Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/3/1979

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung ist folgendes mitzuteilen: Der Rechtsausschuß hat in seiner Sitzung vom 27. Juni 1979 beschlossen, zu den Verjährungsvorlagen in Abweichung von § 60 Abs. 2 der Geschäftsordnung keine Beschlußempfehlung vorzulegen. Der Ältestenrat schlägt daher vor, die Vorlagen auf Drucksache 8/2653 ({0}), 8/2539 und 8/2616 auch ohne eine Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu beraten, insbesondere die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes auf Drucksache 8/2653 ({1}) durchzuführen. Dies muß gemäß § 127 der Geschäftsordnung mit der dort vorgesehenen Mehrheit beschlossen werden. Wer hiermit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig und damit auch mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen, die in § 127 unserer Geschäftsordnung vorgesehen ist. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß im Ältestenrat vereinbart wurde, nicht vor 17 Uhr abzustimmen. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Abgeordnete Carstens ({2}) hat mit Wirkung vom 29. Juni 1979 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 28. Juni 1979 das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften ({3}) bestätigt. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3026 verteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 27. Juni 1979 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz, dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz, Huonker, Lenders, Baack, Egert, Dr. Diederich ({4}), Heyenn, Dr. Jens, Kühbacher, Marschall, Rapp ({5}), Rohde, Dr. Spöri, Dr. Steger, Dr. Haussmann, Angermeyer, Gärtner, Frau Schuchardt, Zywietz und der Fraktionen der SPD und FDP betr. Verbraucherschutz im Versicherungsbereich - Drucksache 8/2957 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3030 verteilt. Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 21. Juni 1979 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Langguth und der Fraktion der CDU/CSU betr. Demokratischer Kulturbund Deutschlands ({6}) - Drucksache 8/2671 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3031 verteilt. Die in Drucksache 8/2919 unter Nr. 6 aufgeführte EG-Vorlage Memorandum betreffend den Beitritt der Europäischen Gemeinschaften zur Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten wird als Drucksache 8/3037 verteilt. Gemäß- den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom 8. April 1959 und 16. Oktober 1967 hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Schreiben vom 27. Juni 1979 den Deutschen Bundestag über die Beschäftigung Schwerbehinderter bei den Bundesdienststellen ({7}) unterrichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3035 verteilt. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 1 auf: a) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster ({9}), Wohlrabe, Frau Dr. Riede ({10}), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder ({11}), Dr. Pfennig, Frau Berger ({12}), Stommel, Conrad ({13}), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz ({14}) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes ({15}) - Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 ({16}), 8/3032 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Emmerlich, Erhard ({17}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes ({18}) - Drucksache 8/2653 ({19}) - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster ({20}), Wohlrabe, Frau Dr. Riede ({21}), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder ({22}), Dr. Pfennig, Frau Berger ({23}), Stommel, Con13234 Präsident Stücklen rad ({24}), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz ({25}) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord - Drucksache 8/2539 - d) Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord - Drucksache 8/2616 - Im Ältestenrat ist zu Tagesordnungspunkt 1 a) bis d) verbundene Debatte vereinbart worden. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mertes ({26}).

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die Berichterstatter heute morgen das Wort nicht nehmen, richte ich zunächst ein Wort des Dankes an sie, also an die Kollegen Dr. Alfred Emmerlich und Benno Erhard. Der von ihnen verfaßte Bericht ist eine umfassende und klare Darstellung der Beratungen des Rechtsausschusses. Der Bericht vermittelt außerdem jedem Beobachter im In- und Ausland, der um Fairneß bemüht ist und der sich ein zutreffendes Bild der Argumente für und gegen die Beibehaltung des geltenden deutschen Rechtes in der Frage der Mordverjährung verschaffen will, eine höchst informative Darstellung, die an Objektivität nichts zu wünschen übrig läßt. Dies ist nicht, wie so oft gemeint wird, eine Debatte zwischen Juristen einerseits und Moralisten andererseits. Das sage ich nicht nur, weil ich selbst nicht Jurist bin, sondern weil ich Wert auf die Feststellung lege, daß es bei der Verjährung um einen Konflikt zwischen zwei gleichrangigen moralischen Werten und Zielen, nämlich zwischen der vergeltenden Gerechtigkeit und dem notwendigen Rechtsfrieden, geht. Da es keine zwingenden Kriterien für die Lösung dieses Konfliktes gibt, handelt es sich also im besten Sinne um eine , politische Entscheidung, die wir zu treffen haben, selbstverständlich nach bestem Wissen und Gewissen. Was eigentlich bedeutet Verjährung? Das ist die Grundfrage. Leider wird das Rechtsinstitut der Verjährung immer wieder verwechselt mit Amnestie, mit Begnadigung, mit Verzeihen, mit Verharmlosen, mit Vergessenwollen. Sogar eine kürzliche Entschließung der Knesset, die Frau Kollegin Renger uns auf Veranlassung des israelischen Botschafters zugeleitet hat, stellt Vergebung und Verjährung von NS-Verbrechen auf eine Stufe. Immer wieder hören wir bei den Appellen, das seit 1969 geltende deutsche Recht wieder zu ändern, daß die nationalsozialistischen Morde niemals vergessen und verziehen werden dürfen. Als ob dieses Nichtvergessen nicht eine Selbstverständlichkeit für jeden Abgeordneten in diesem Hause wäre, als ob dieses Nichtvergessen durch die Aufhebung der 1969 beschlossenen Gesetze zu erreichen wäre! Welche Verwirrung der moralischen Kategorien, welche Verirrung psychologischer Einsichten! Ich selbst empfinde diese suggestive Kombination von Verjährung, Vergebung und Vergessen als eine beleidigende Zumutung. ({0}) Unter Menschen von sittlicher und intellektueller Integrität gibt es keine Diskussion über die Schrecklichkeit der Verbrechen, die im Dritten Reich nachweisbar geschehen sind. Das möchte ich auch an die Adresse all derjenigen sagen, die draußen im Zusammenhang mit der Verjährungsdebatte die Verbrechen jener Zeit zu entschuldigen, zu bagatellisieren oder gar zu leugnen versuchen. ({1}) Die Diskussion ging in den 50er und 60er Jahren und geht auch heute ausschließlich darum, welches der beste Weg ist, mit dem Erbe des Dritten Reiches fertig zu werden, dessen Beginn ich als 11 jähriger in einer Familie erlebt habe, die dann zwölf Jahre lang als reaktionär, ewiggestrig und nicht auf der Höhe des Zeitgeistes stehend angesehen wurde. Aber familiäre Einbettung ist ebenso wie spätes Geburtsdatum kein Verdienst, ebenso wie familiäre Verstrickung oder die Zufälligkeit des Geburtsdatums und des Geburtsortes keine Schuld sind. Meinem Elternhaus verdanke ich auch die Ehrfurcht vor dem jüdischen Volk und die Ehrfurcht vor dem Leben. Merken wir denn nicht, daß wir bei der Gleichsetzung der Verjährung mit ganz anderen Kategorien den Kollegen früherer Legislaturperioden unterstellen, ihr moralischer Rang sei minder als der unsere, weil sie sich ausdrücklich gegen alle Vorschläge der Aufhebung der Mordverjährung gewandt haben? Wie aber können wir untereinander, mit Jugendlichen draußen, mit Hinterbliebenen der Opfer der NS-Terrorherrschaft, mit moralisch besonders sensiblen Menschen angemessen und sinnvoll sprechen, wenn der Sinn der Verjährung so unrichtig, ja, so pervertiert gesehen wird? Im Gegensatz zum angelsächsischen Rechtskreis des Common Law, zu dem Großbritannien, Irland, Kanada, die USA - außer einem Bundesstaat -, Südafrika, Australien, Neuseeland, Indien, Malaysia und Israel gehören, spielt die Verjährung in den Ländern des kontinentaleuropäischen Rechtskreises, zu dem Deutschland gehört, eine erhebliche Rolle. In dieser europäischen Rechtskultur bedeutet die Verjährung ausschließlich - ich sage: ausschließlich - die Sicherung des Staates vor dem Justizirrtum, also vor dem Risiko neuen Unrechts, diesmal durch den Staat selbst. . In den Ländern des angloamerikanischen Rechtskreises sichert sich der Staat gegen das Risiko eigenen Unrechts auf andere Weise, nämlich durch das Opportunitätsprinzip und durch besonders strenge Beweisregeln. Die Verjährung ist im deutschen und europäischen Recht das notwendige Korrektiv zum Legalitätsprinzip. Sie soll das moralische Gleichgewicht zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gewährleisten. Die Verjährung ändert überhaupt nichts an der moralischen VerDr. Mertes ({2}) werflichkeit der Tat und nichts an ihrem Unrechtsgehalt. ({3}) Gerade auch aus außenpolitischen Erwägungen halte ich es für eine elementare Pflicht der Wissenden, die Unwissenden - und sie sind zahlreich, auch im befreundeten Ausland - auf diese Zusammenhänge hinzuweisen. ({4}) Meine Kollegen, vor einigen Wochen hatte ich zusammen mit anderen Kollegen Gelegenheit zu einem Gespräch über die Verjährung mit einer Gruppe jüdischer Amerikaner. Wir haben unsere Auffassung - die der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion - dargelegt, und einer der Vertreter dieser namhaften Gruppe sagte: Ihre Argumente sind ehrenwert und gravierend; aber seien Sie sich als Außenpolitiker darüber im klaren, daß diese Argumente in den Vereinigten Staaten kaum bekannt sind, sondern daß bei uns in den USA weitgehend eine Beibehaltung der Verjährung als ein Mangel an Absage an das NS-System verstanden wird. Ich habe den anwesenden Rabbiner gefragt: Herr Rabbiner, kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, in einer Frage, auf der mein Gewissen mir eine ganz bestimmte Antwort gibt, vor der Ignoranz der amerikanischen Öffentlichkeit zu kapitulieren? Ich kann es nicht! - Der Rabbiner hatte Verständnis. ({5}) Die Bundesrepublik Deutschland hat mit 30 Jahren, bei NS-Morden mit 35 Jahren, die längste Verjährungsfrist in Europa. Luxemburg, die CSSR, Frankreich, die Sowjetunion, Holland und Polen haben erheblich kürzere Verjährungsfristen. Allerdings gilt dort ein Ausnahmerecht gegen die Verjährung von NS-Morden, das sich in der Praxis fast ausschließlich gegen Deutsche richtet und in starkem Maße den Charakter von Siegerrecht trägt. So ist es in früheren Jahren auch in diesem Bundestag von allen Fraktionen empfunden worden. Es genügt nicht, nur festzustellen, daß auch die Anhänger der Beibehaltung des 1969 beschlossenen Mordverjährungsrechts von honorigen Motiven geleitet sind. vielmehr gebieten es die intellektuelle Redlichkeit und die moralische Transparenz der Debatte, die objektive sittliche Funktion der Verjährung all denen zu erläutern, die der irrigen Auffassung sind, die Verjährung sei ein Institut der Unrechtsduldung, eine Art Rechtswohltat zugunsten des Verbrechers. ({6}) In seinem Beschluß vom 19. Februar 1963 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs den Sinn der Verjährung folgendermaßen definiert: Rechtssicherheit strebt nach Rechtsfrieden. Wird dieser durch eine Straftat gestört, so dient es ihm, wenn die Gerechtigkeit. durch Eingriff mit strafender Hand die Störung beseitigt. Ist der Rechtsfrieden jedoch von selbst durch heilenden Ablauf der Zeit wiederhergestellt, so hat ein Eingriff des Staates keiner Nutzen mehr; er führt nur zu neuer Unruhe. Meine sehr verehrten Kollegen; mit der Verjährung gibt der Gesetzgeber zu, daß die Erkenntnisschwäche des Menschen der Verwirklichung irdischer Gerechtigkeit Grenzen setzt; denn mit wachsendem Zeitabstand von der Tat des Beschuldigten, der bis zum eindeutigen Beweis seiner Schuld ja nicht verurteilt werden darf, wächst gerade auch nach der Erfahrung der NS-Mordprozesse - ich erinnere an die kürzlichen Urteile im Majdanek-Prozeß - die Schwierigkeit der einwandfreien Beweisführung für Taten vor 35 bis 47 Jahren, damit aber auch das Risiko staatlichen Unrechts. Der SPD-Politiker Adolf Arndt, selbst Opfer der NS-Zeit, bis 1969 sicher nicht nur der bedeutendste Rechtsfachmann der SPD-Bundestagsfraktion, sondern eine herausragende Gestalt in der Parlamentsgeschichte nach dem Kriege, schrieb dazu 1965 -ich zitiere -: Eingedenk der Geschichtlichkeit und Endlichkeit des Menschen und der engen Grenzen seiner Wissensfähigkeit ist die Verjährung ein Menetekel vor der Hybris, also ein Warnruf vor der Anmaßung des Menschen, auf dieser Erde perfekte Gerechtigkeit verwirklichen zu können. Diese von meinen Freunden und mir geteilte Sicht entspricht dem Realismus des christlichen Menschenbildes, der sich nicht vom Vorrang des Vergeltungs- und Sühnegedankens leiten läßt. Im übrigen gehört es zu den großen Unaufrichtigkeiten unserer Zeit, den Strafzweck der sühnenden Gerechtigkeit in allen Lebensbereichen zugunsten der Resozialisierung zurückzudrängen, im Falle der NS-Verbrechen aber sogar nach 35- bis 47jähriger Resozialisierung die Sühne zum obersten und ausschließlichen Strafzweck zu machen. Hier entsteht das Risiko neuen Unrechts in vielfältiger Form. Mir sind Fälle bekannt, in denen die Ehefrau, die Kinder, die Schwiegerkinder, die Enkelkinder 15 Jahre lang darauf warten, ob der Großvater, der sich seit 1945 untadelig gehalten hat, nun ein Mörder war oder nicht. In fast allen Fällen - wir wissen es ja - erweist es sich nicht, daß er es war. Hier tun sich neue Unrechtszusammenhänge auf, auf die wir achten müssen und deren Bedeutung wir vor unserem Gewissen zu prüfen haben. Ich habe die große Sorge, daß diese moralische und rechtliche Schizophrenie der Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates auf die Dauer nicht gut bekommt. Ich für meine Person bin jedenfalls nicht gewillt, potentiellen Gegnern unseres Rechtsstaates - und gerade auch nicht solchen aus der dunklen braunen Ecke - gegen die innere Konsistenz unseres Rechtsdenkens die Argumente frei Haus zu liefern. Ich werde noch in einem anderen Zusammenhang auf die Gefährlichkeit jeder Doppelmoral zu Lasten der Glaubwürdigkeit unseres Gemeinwesens zurückkommen, einer Doppelmoral, vor der schon der weise König Salomon in seinen Sprüchen Dr. Mertes ({7}) warnte, als er sagte: „Doppeltes Maß und doppeltes Gewicht, beides ist dem Herrn ein Greuel." Im Gegensatz zur Verjährung setzt Amnestie die Verurteilung des Angeklagten oder zumindest dringenden Tatverdacht voraus. Begnadigung kann nur einem bereits rechtskräftig Verurteilten zuteil werden. Verzeihung und Vergebung sind wieder etwas anderes. Verzeihen - das weiß doch jeder schon aus seinem privaten Bereich - ist ein höchst intimer Vorgang von eminenter personaler Freiheit. Verzeihen kann - hier stimme ich meinem Freund Paul Mikat zu - nicht der Staat, sondern verzeihen können nur die Opfer der Straftat, wenn sie dazu in der Lage sind, in voller Freiheit. Verzeihen kann in letzter Instanz - lassen Sie mich das als Christ sagen - nur die Allmacht des göttlichen Richters, dessen höchste Machtfülle sich darin zeigt, daß sie Schuld im vollen Sinne des Wortes aus Gnade vernichten ' kann. Dies ist im übrigen nicht nur christliche, sondern auch jüdische Glaubensüberlieferung. Der Bundestag ist nicht der Herr des letzten Gerichtes. Sein Wille zur Gerechtigkeit darf nicht dazu führen, daß im Ergebnis neues Unrecht auch nur entstehen könnte. ({8}) Gegen Vergessen und Verharmlosen - auch mit ihnen wird die Verjährung ja so oft in Verbindung gebracht - hilft nur ein waches, umfassendes und faires Geschichtsbewußtsein, das auf Wissen beruhen muß. Dies aber ist nicht Sache der Strafjustiz, sondern unser aller pädagogische und politische Pflicht. Sie zu erfüllen obliegt dem Gespräch der Eltern am Tisch zu Hause, sie obliegt den Lehrern, den Publizisten aller Medien, allen, die mit jungen Menschen ohne geschichtliche Erfahrung Verbindung haben. Hier aber gilt erneut die Warnung vor der doppelten Moral, vor einseitigen Anklagen. Wer keinen neuen deutschen Nationalismus, keine neue verbitterte Rechthaberei in diesem Lande aufkommen lassen will - und das will ich nicht -, der muß Sonderrecht gegen Deutsche in dieser vielschichtigen und empfindlichen Frage ablehnen. Das war für die Generation, die darum wußte, wie es zu 1933 gekommen war, eine selbstverständliche Lehre der Geschichte. ({9}) Nun hören wir alle oft das Argument, die ehemaligen Feindmächte hätten doch auch ähnliches getan wie wir. Es wird erinnert an die Bombardierung Hamburgs oder Dresdens, überhaupt an die Methode, zivile Wohnviertel mit Bombenteppichen zu belegen, an die Vertreibung Millionen Deutscher aus den Ostgebieten, die zahllosen umgekommen Flüchtlinge. Dieses Argument, meine verehrten Kollegen, ist falsch. Denn weder moralisch noch strafrechtlich gilt das Argument „tu quoque", auch du hast Böses getan. Kein Verbrecher kann sich damit entschuldigen, daß auch andere Verbrechen begangen haben. Was aber der Mann auf der Straße in Wirklichkeit und durchaus zu Recht meint, ist etwas anderes, nämlich daß in der Strafverfolgung international in dieser zusammenrückenden Welt der Gleichheitsgrundsatz gewahrt werden muß. ({10}) Ich erinnere daran, wie nachdrücklich Papst Johannes Paul II. in seinen Verlautbarungen der ersten Monate seines Pontifikats immer wieder auf die Universalität der Gerechtigkeit, der moralischen Prinzipien, der Menschenrechte hingewiesen hat. In dieser Zeit können wir diese Grundsätze nicht nur auf unser Territorium, auf unser Land beschränken, sondern wir müssen die Gesamtheit der Welt sehen. Was ist das für eine Psychologie, die von einer weltweiten Verantwortung spricht und in dieser Frage, bei der die Möglichkeit der Geltung moralischer Prinzipien für die ganze Erde zur Debatte steht, dieses nicht sieht! Es widerspricht aber einem elementaren Grundsatz der Gerechtigkeit, nur eine bestimmte Kategorie von Verbrechen - hier die deutschen - einerStrafverfolgung auszusetzen, eine andere Kategorie aber - Angehörige der Siegerstaaten - de facto oder durch Amnestie vor einer Strafverfolgung zu schützen. Wenn man dann noch bedenkt, daß die Bundesrepublik Deutschland sich 1955 im sogenannten Überleitungsvertrag verpflichten mußte, niemanden deswegen strafrechtlich zu verfolgen, weil er ein Delikt im Sinne der Alliierten begangen hat; wenn man weiter bedenkt, daß viele der von den Alliierten begnadigten Hauptverantwortlichen in den NS-Prozessen als Zeugen gegen jene auftreten, die einst ihre Werkzeuge waren, dann sind die Empfindungen des Mannes auf der Straße, so unkorrekt oder grob, unannehmbar grob er sie oft auch artikuliert, alles andere als unverständlich. Adolf Arndt hat dieses dunkle Kapitel in der Geschichte der deutschen Nachkriegsjustiz treffend charakterisiert, als er sagte, hier seien Gleichheit und Gerechtigkeit in nicht wiedergutzumachender Weise zerstört worden. ({11}) Hinzu kommt ein anderer Zusammenhang zwischen Verjährungsdebatte und Unrechtsbewußtsein, nämlich das millionenfache Quälen und Morden, das auch nach dem Ende der NS-Herrschaft in vielen Ländern kein Ende fand und das heute noch tausendfach, millionenfach Triumpfe feiert. Wer denkt jetzt nicht an das Morden und Quälen, das von den Machthabern in Vietnam und im Iran unschuldigen Menschen angetan wird. Ich verstehe es, daß der Gerechtigkeitssinn, der Sinn für Maß und Proportion sich bei vielen Menschen in diesem Lande aufbäumt, wenn sie sehen, mit welch unterschiedlichen Maßen auf dieser Erde gemessen wird. ({12}) Daß wir uns nicht mißverstehen: Das System der Konzentrationslager, wie sie etwa Eugen Kogon in seinem Buch „Der SS-Staat" dargestellt hat, muß im Wissen und in der verantwortungsbewußten Besinnung unserer Erzieher bleiben, auch wenn es nun schon 35 bis 47 Jahre zurückliegt. Daneben muß aber mit der gleichen moralischen Intensität Dr. Mertes ({13}) - ich wiederhole: nicht zur Selbstrechtfertigung, sondern um der vollen Wahrheit und Gerechtigkeit willen - das Wissen um jenes Unrecht bleiben, das vor Hitler, während der NS-Zeit und nach Hitler Menschen in den Tod gequält hat. „Archipele GULags" existieren auch heute noch vielfältig. Welch klägliche Moral, die aus politischer Opportunität aktuellstes, verhinderbares Unrecht verschweigt - wo immer es auch sein mag -, ({14}) dagegen Unrecht vor Jahrzehnten, das individuell kaum mehr zu verifizieren und sicher nicht mehr zu verhindern ist, mit einer Intensität begleitet, das sie dem Unrecht unserer Zeit, unserer Umgebung tausendfach versagt. Lesen Sie bitte nach, was Alexander Solschenizyn selbst zu unserer Selbstreinigungsleistung in der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat - ich darf nur ganz kurz zitieren -: Und dann hört man aus Westdeutschland, daß dort ... 86 000 Naziverbrecher verurteilt wurden ... - und wir trumpfen auf, wir geizen nicht mit Zeitungsspalten und Hörfunkstunden, wir brennen darauf, auch noch nach der Arbeit zu einer Kundgebung zu eilen und zu fordern wie ein Mann: „Auch 86 000 sind zuwenig! Auch zwanzig Jahre sind zuwenig. Weitermachen!" ... Will man indessen die 86 000 aus Westdeutschland auf unsere Relationen übertragen, dann ergäbe dies für unser Land EINE VIERTELMILLION! ... Ein Land, das das Laster sechsundachtzigtausendmal - wie West-Deutschland durch seine Richter verurteilen ließ ({15}), wird Jahr um Jahr, Stufe um Stufe von ihm gereinigt. Meine sehr verehrten Kollegen, das deutsche Recht ließ seit 1851 den Mord nach 20 Jahren verjähren. Völlig fremd war ihm natürlich der Typus des Verbrechers, den Winfried Martini den „Regimetäter" genannt hat; also den Verbrecher, bei dem der Staat - seine Macht, seine Ideologie, seine Verführungskraft - als Anstifter und als Be-günstiger in Erscheinung tritt, so daß der „Regimetäter" sich von allen anderen Tätertypen unterscheidet. Es war dann Hitler, der - in Anlehnung an das Recht seiner österreichischen Heimat - die Mordverjährung 1943 aufhob. Der Deutsche Bundestag führte sie 1953 - acht Jahre nach der NS-Zeit - wieder ein. 1965 verwarf der Bundestag die Anträge auf Aufhebung der Mordverjährung und verlegte die Verjährungsfrist auf den 1. Januar 1950. 1969 verlängerte er die Mordverjährungsfrist auf 30 Jahre, für NS-Morde praktisch auf 35 Jahre. Mit guten Argumenten waren damals die FDP unter Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher sowie -ein Teil meiner Fraktion gegen diese Verlängerung, also für Mordverjährung ab 1. Januar 1970. Hätte diese Gruppe mit so ehrenwerten Männern die Mehrheit gehabt, so hätten wir heute diese Debatte gar nicht. Der Bundestag hat 1965 und 1969 außerordentlich gründlich und verantwortungsbewußt alle nur denkbaren Argumente für und wider die Verjährung von Mord - und die Liste auf beiden Seiten ist weiß Gott lang - beraten, um dann deren Aufhebung endgültig zu verwerfen. Einzige Ausnahme war der FDP-Abgeordnete William Borm, der bei der Ablehnung der Mordverjährung - ob 20 oder 30 Jahre - blieb. Das Protokoll verzeichnet keinen Beifall - auch nicht seiner Fraktion - bei seiner Erklärung. Das Gesetz, mit dem 1969 der Vorschlag der Bundesregierung, die Mordverjährung aufzuheben, zunächst auf Antrag der SPD-Fraktion, dann allgemein abgelehnt wurde, ist ganz ausdrücklich mit der Absicht verabschiedet worden, das Thema abschließend und endgültig zu lösen. ({16}) So hatten es damals auch das deutsche Volk und das Ausland verstanden. Der CDU-Sprecher in der dritten Lesung, der Abgeordnete Süsterhenn, erklärte am 26. Juni 1969, also vor genau zehn Jahren: Wollen wir uns aber nicht selbst und andere über die Tatsachen hinwegtäuschen, so kommen wir nicht an der Feststellung vorbei, daß es sich hier quasi um eine Tilgungsrate und, wie wir nach innen und nach außen deutlich sagen wollen, sozusagen um die Schlußrate auf rechtlichem Gebiet für die schwere Hypothek handelt, die auf unserer Geschichte liegt. Hier - also in der Endgültigkeit ist der wirkliche Ausgangspunkt dieser Gesetzgebung. Nun soll das alles wieder umgestoßen werden.. Ich respektiere selbstverständlich die Kollegen, die dies wollen. Meine persönliche Vorstellung und die der mit mir votierenden Freunde von Verläßlichkeit und Kontinuität der Gesetzgebung in einer so aufwühlenden Frage gestattet mir die Beteiligung an diesem Wollen nicht. ({17}) Wirklich neue Argumente sind seit 1969 nicht hinzugetreten. ({18}) Die NS-Morde liegen weitere zehn Jahre zurück. Der Hinweis auf die linken Terroristen überzeugt mich nicht. Niemand rief bei ihren Mordtaten in den letzten Jahren nach Aufhebung der Verjährung. Dieses Argument einiger von mir geschätzter Kollegen in allen Fraktionen, insbesondere in meiner Fraktion, kam de facto erst, nachdem Herbert Wehner - aus politischen Gründen, so nehme ich an - während einer Israelreise die Aufhebung der Mordverjährung mit Blick auf die NS-Zeit gefor13238 Dr. Mertes ({19}) dert hatte, übrigens ohne jede Vorabsprache mit den anderen Fraktionen. Wenn wir die gewissenhafte Entscheidung des Bundestages von 1969 wieder umstoßen und die Verjährung aufheben, klagen wir, ob wir es wollen oder nicht, in Wirklichkeit die damaligen Abgeordneten des Opportunismus an. ({20}) Bejahen wir aber die gewissenstreue Verantwortung des damaligen Ja zur Verjährung von Mord nach 30 Jahren, könnte eine Aufhebung zehn Jahre danach meines Erachtens auf das deutsche Volk als tagespolitische Anpassung seiner Parlamentarier wirken, die dann als hin- und herschwankende Gestalten in einer wesentlichen Frage erscheinen, selbst wenn die einzelnen Abgeordneten gegen die Verjährung noch so honorige Gründe - ich unterstreiche das - vortragen. Recht muß nach meiner Vorstellung vor allem verläßlich sein. ({21}) In der Verjährungsfrage stehen, wie gesagt, seit je zwei moralische Grundsätze und Ziele gleichen Ranges im Konflikt miteinander, nämlich - ich sage es noch einmal - die vergeltende Gerechtigkeit und der notwendige Rechtsfrieden. Ich habe es sehr gewürdigt, Herr Bundeskanzler, daß Sie bei der Gedenkfeier in der Synagoge von Köln am 8. November 1978 auf diesen Konflikt zwischen zwei moralischen Positionen hingewiesen haben. Weder die Befürworter der Verjährung noch ihre Gegner können für sich eine höhere Moral in Anspruch nehmen. Beide haben den gleichen Abscheu gegen Mord. Die heute von jedem unter uns zu treffende Entscheidung, ob er das 1969 beschlossene Recht erhalten oder aufheben will, muß er nach bestem Wissen und Gewissen fällen. Das Wort „Wissen" bedeutet dabei: Gewissensfreiheit heißt in Fragen dieses Gewichts keineswegs die Berechtigung zu noch so gut gemeintem Urteil nach spontanem Empfinden. ({22}) Gewissensentscheidung bedeutet - und darin sind wir uns wohl alle einig - auch die Pflicht zum sehr sorgfältigen Abwägen aller Argumente für und wider, bedeutet bei der Mordverjährung für mich auch die Berücksichtigung der außerordentlich ernsten Entscheidungsgründe früherer Bundestage, die auch ohne ,,Holocaust"-Film das NS-System kannten, teilweise sogar erlitten haben und in denen namhafte NS-Gegner wie Konrad Adenauer ({23}), Fritz Schäffer ({24}), Adolf Arndt ({25}) und Thomas Dehler ({26}) nachdrücklich für die Beibehaltung der Verjährung eintraten. Meine Gewissensentscheidung beruht aber auch auf einem Widerwillen gegen den schnell schwankenden Zeitgeist, ({27}) gegen ungerechten und auch kurzsichtigen Druck von außen. ({28}) Hier eine kurze außenpolitische Bemerkung: Nur die kommunistischen Staaten Osteuropas und die DDR haben ein Interesse an der Erschütterung des Vertrauens unserer Bürger in die verläßliche Rechtsstaatlichkeit und Kontinuität so wichtiger Gesetzesentscheidungen. ({29}) Israel, unsere Verbündeten, unsere Freunde, unsere demokratischen Parteien haben, so denke ich, das entgegengesetzte Interesse. Gerade unsere jüdischen Mitbürger wissen, wie das Unheil 1933 begann - und daran denke ich sehr oft -: mit dem Übergang von der Legalität in eine damals als berechtigt erscheinende parlamentarische Opportunität, von der Opportunität dann in den Opportunismus, in die Anpassung und in das Schweigen, das wir heute zu Recht als schuldhaft empfinden. Die Kritik an der deutsche Justiz und am deutschen Verjährungsrecht nach den Freisprüchen im Majdanek-Prozeß ist verständlich, aber ich empfinde sie nicht als weitsichtig und fair. Die entscheidende deutsche Wiedergutmachungsleistung nach dem NS-Unrechtsstaat war der Aufbau eines soliden demokratischen Rechtsstaates, ({30}) zu dessen Ordnung unweigerlich auch der Grundsatz gehört: Im Zweifel für den Angeklagten. Die Forderung nach perfekter Vergeltung und Justiz ist unvereinbar mit der Ethik des Rechtsfriedens, den das Verjährungsrecht verkörpert. Wer den parlamentarischen Befürwortern der 1969 vom Bundestag beschlossenen Verjährung von NS-Morden nach 35 Jahren andere als ehrenvolle Motive unterstellt - ich weiß, daß es in diesem Hause niemand tut, aber im Ausland geschieht das leider allzuoft -, beleidigt zahlreiche verantwortungsbewußte Gegner des Nationalsozialismus und des Antisemitismus in den Nachkriegsjahren. Ungewollt begünstigt er die pharisäische Doppelmoral des Unrechtsregimes der DDR, das die israelfreundliche Politik Bonns als faschistisch verleumdet und das der Wiedergutmachungsleistung eines Konrad Adenauer nichts Vergleichbares an die Seite stellen kann. ({31}) Nahum Goldmann hat als Präsident des Jüdischen Weltverbandes diese geschichtlich einmalige deutsche Sühneleistung auf der Kölner Synagogengedenkfeier am 8. November 1978 gewürdigt. Ich werde diese Feierstunde, bei der ich Gast der Jüdischen Gemeinde war, niemals vergessen können, gerade auch nicht wegen der Rede Nahum Goldmanns. Der redlichen Aufarbeitung der NS-Zeit und der konstruktiven Gestaltung der deutsch-israelischen Beziehungen kann auf Dauer schwerer Schaden entstehen, wenn sich einseitige Sühneforderungen praktisch mit der Diffamierung des demokratischen Deutschlands verbinden. Ein Übermaß an Anklage - das sage ich als jemand, der sehr viel über die Gründe, wie es zu 1933 gekommen ist, nachgedacht hat - führt nicht zur Besinnung, sondern zur VerDr. Mertes ({32}) härtung. Es führt zu nichts Gutem, wenn sich der massive moralische Druck auf die deutsche Justiz und Gesetzgebung weiter verstärkt und der Eindruck entstehen muß, statt des Rechtes regiere in Bonn wieder die politische Anpassung an momentane Stimmungen und Opportunität. Zwar braucht, meine verehrten Kollegen, das freie Deutschland das Vertrauen der freien Völker. Aber - das möchte ich auch einmal sagen dürfen - diese brauchen auch das Vertrauen der Deutschen. ({33}) Und zu diesem wechselseitigen Vertrauen, das die CDU/CSU-Regierungen unter Adenauer zusammen mit SPD und FDP aufgebaut haben, gibt es nur die Alternative der gemeinsamen Zerstörung der Zukunft. Für diese Zukunft trägt die gegenwärtige Generation mehr Verantwortung als für die Vergangenheit vor 34 bis 46 Jahren. Der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen als die Wichtigsten außenpolitischen Repräsentanten unseres Landes sollten erneut an den Weitblick und die Fairneß des westlichen Auslandes appellieren. Das gilt auch gegenüber Israel, dessen Motive wir respektieren, die aber letztlich nicht maßgebend sein können für eine wirklich unabhängige deutsche Gesetzgebung und Justiz. Meine sehr verehrten Kollegen, wir sind gewiß, daß alle Verantwortlichen in den mit uns befreundeten und verbündeten Ländern - ich denke hier mit großer. Hoffnung gerade auch an Israel - das Gewicht unserer Argumente würdigen. Gegen Blindheit bei den einen, Kurzsichtigkeit bei den anderen und Bosheit wieder bei anderen ist ohnehin kein Kraut gewachsen. Hier müssen wir innerlich vor unserem Gewissen ruhig und frei bleiben. Ich selbst habe in den letzten Monaten so überzeugende, auch öffentliche Bekundungen der Solidarität mit unserer Auffassung aus dem Kreise derjenigen bekommen, die Hinterbliebene oder Opfer des Nationalsozialismus sind, daß ich ihnen, gerade ihnen, von dieser Stelle aus meinen ganz besonders herzlichen Dank sagen möchte. ({34})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Frühjahr dieses Jahres haben zahlreiche Kollegen dieses Hauses - ich gehöre zu ihnen - dem Bundestag den Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes vorgelegt. Inhalt dieses Gesetzentwurfs ist es, die Verjährung von Mord generell aufzuheben. Das ist bekanntlich der dritte Vorstoß innerhalb von 15 Jahren in diesem Haus, zu dessen Beurteilung wir aufgerufen sind. Wir halten diesen Vorstoß für sehr erforderlich, und zwar im Interesse der Sache, um die es heute bei uns geht. Der Anlaß ist heute der gleiche wie vor einem Jahrzehnt und vor 15 Jahren: Es droht die Gefahr jetzt mit Ablauf des Jahres 1979 -, daß NS-Mörder nicht länger vor Gericht gestellt werden können, wenn man ihrer habhaft wird, weil ihre Taten dann verjährt wären. Was das bedeutet, ist klar. Es bedeutet, daß solche Nazimörder, die es bisher mit welchen Mitteln auch immer geschafft haben, sich verborgen zu halten, im Ausland unterzutauchen oder ihre Verbrechen zu verschleiern, dann von uns keinerlei Verfolgung mehr zu befürchten bräuchten. Sie könnten dann ohne jene Heimlichkeit und Zurückhaltung, ja mit großer Dreistigkeit und ohne ihre Taten wenigstens noch verschweigen zu müssen, unter uns leben. Niemand könnte ihnen noch irgend etwas anhaben oder sie gar zur Rechenschaft ziehen. Die Antragsteller würden dies für einen unerträglichen Zustand halten, und zwar auch dann,, wenn wir davon ausgehen können - und wir tun das -, daß nicht mehr Hunderte oder Tausende von Tätern betroffen sein werden. Es mag zutreffen, was uns erfahrene Praktiker sagen: daß die Zahl der noch nicht bekannten in Frage kommenden Mörder nicht groß sei. Für uns ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, unseres Selbstverständnisses, nicht eine Frage der Zahl, und das auch dann nicht, wenn wir heute Einschätzungen nüchtern vernehmen, möglicherweise nüchterner als 1965. Denn damals mögen viele in diesem Haus von der Hoffnung ausgegangen sein, die Zeit bis 1969 werde ausreichen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen oder wenigstens die Verjährung nach den bestehenden Gesetzen unterbrechen zu können. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Auch die Hoffnung des Jahres 1969, man werde durch eine weitere, diesmal zehnjährige, Verlängerung der Verjährung für Mord von 20 auf 30 Jahren bis zum Ende des Jahres 1979 zu einem endgültigen Abschluß kommen können, hat sich - das sehen wir heute - nicht erfüllt. In den derzeitigen Beratungen findet sich dann auch kein Verantwortlicher mehr, der uns mit Ernsthaftigkeit versichern würde, daß weitere Täter, also Mörder mit schwerster Schuld, nicht mehr ermittelt werden können, noch daß die Verjährung in allen in Frage kommenden Fällen schon habe unterbrochen werden können. Im Gegenteil, die Beratungen, die wir in den letzten Monaten im Rechtsausschuß geführt haben, haben unsere Skepsis verstärkt. Der für die Zentralstelle zur Aufklärung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen unmittelbar zuständige Justizminister des Landes Baden-Württemberg hat, wie uns in den Beratungen mitgeteilt wurde, erst vor einigen Wochen darauf hingewiesen, daß schon die Personalbesetzung der Zentralstelle in Ludwigsburg nicht ausreichen könne, um den heute vorhandenen Bestand an eingegangenen Ermittlungsakten bis Ende des Jahres 1979 wenigstens soweit aufzuarbeiten, daß fristgemäß nach dem geltenden Recht die Verjährung durch die erforderlichen richterlichen Akte unterbrochen werden könnte, wo dies geboten ist. Ich frage jetzt nicht, warum das so ist. Das ist uns bekannt. Ich stelle nur fest, daß wir auch heute durchaus die Sorge haben müssen, daß das, was ich geschildert habe, in manchen Fällen Realität gewinnen kann, wenn wir uns heute - wie ich meine falsch - entscheiden. Die Antragsteller würden dies für einen unerträglichen Zustand halten - unerträglich wegen der moralischen, wegen der juristischen und auch wegen der politischen Folgen, die ja dann leicht absehbar wären. Die Antragsteller sind deshalb der Meinung, daß der Deutsche Bundestag, daß jeder von uns die Pflicht hat, durch sein Verhalten heute dafür zu sorgen, daß die Voraussetzungen für eine weitere Verfolgung von solchen Mördern über das Jahr 1979 hinaus geschaffen werden und daß damit zugleich der nicht wiedergutzumachende Schaden vermieden wird, der sonst auf uns alle zurückfallen würde. In der ersten Lesung vom 29. März dieses Jahres haben wir ausführlich über viele Gesichtspunkte gesprochen, die unserem Antrag im Grundsätzlichen und auch in seiner Ausgestaltung, im Weg, den er vorschlägt, zugrunde liegen. Sie werden es mir nachsehen, daß ich nicht die ganze Diskussion vom März nachzeichne. Lassen Sie mich lediglich auf einige Bedenken eingehen, die uns in den Beratungen der vergangenen Monate im Rechtsausschuß, in Diskussionen innerhalb des Bundestags - auch heute von Kollege Mertes - oder auch in Diskussionen draußen in der Öffentlichkeit immer wieder entgegengehalten worden sind. Viele dieser Stimmen, die wir hören, sagen uns, man solle die Verjährung jetzt nicht mehr verlängern, man solle sie schon gar nicht aufheben, wie wir das vorschlagen. Solche Stimmen laufen darauf hinaus, die Verjährung mit Ablauf dieses Jahres eintreten zu lassen. Viele der vorgetragenen Bedenken sind grundsätzlicher Art. Fast nahezu alle sind uns aus den Diskussionen von 1969, ja schon von 1965 durchaus geläufig. Wir haben die vergangenen Monate dessen ungeachtet dazu benutzt, unsere Meinung, unsere Argumente, unsere Schlußfolgerungen auch an Hand dieser Einwände nochmals zu durchdenken, unseren Ausgangspunkt nochmals auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Ich glaube, dieser Weg war richtig, weil alle diese Einwände seit 1969 eine zusätzliche Dimension erhalten haben, nämlich die des zusätzlichen Zeitablaufs, der inzwischen eingetreten ist. Wir haben die vergangenen Monate im Rechtsausschuß auch dazu benutzt, um uns mit Sachkennern zu beraten. Herr Dr. Rückerl von der Zentralen Stelle in Ludwigsburg hat uns mit Rat und seinen Kenntnissen zur Seite gestanden. Andere erfahrene und auch verantwortliche Persönlichkeiten aus den Ermittlungsbehörden, aus den Gerichten und aus der Wissenschaft haben dankenswerterweise dazu beigetragen, uns umfassende und, wie ich meine, zuverlässige Beurteilungsgrundlagen zu verschaffen. Uns, meine Damen und Herren, die Antragsteller des Gesetzentwurfs, über den wir heute beraten, hat dies in unserer Auffassung noch sicherer gemacht, auch dann, wenn wir in den Diskussionen vieles Neue erfahren haben und einige unserer Meinungen durchaus relativieren konnten. Niemand in diesem Hause bezweifelt - lassen Sie mich das betonen - den Grundsatz, daß Mörder nach unserer Rechtsordnung, nach dem. Selbstverständnis unserer Gesellschaft für ihre Taten auch zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Dieser Konsens besteht nicht nur heute, dieser Konsens bestand 1965 und 1969. Aber die Bedenken damals und auch die Bedenken gegen die Aufhebung der Verjährung heute werden anders begründet. Es gibt hier Einwände von sehr unterschiedlichem Gewicht. Wenn beispielsweise - ich habe Herrn Kollegen Mertes so verstanden - eingewandt wird, Verjährung sei deshalb so wichtig, weil Gründe des Rechtsfriedens es erforderten, daß nach Ablauf von eigentlich 20 Jahren - nach heutigem Rechtszustand von 30 Jahren; faktisch, wie Sie ganz richtig sagen, auch nach mehr Jahren - die Strafverfolgung eben ein Ende haben müsse, so muß ich gestehen, daß mich dieser Einwand, zumindest wenn er so formuliert wird, am wenigsten überzeugt, nicht nur deshalb, weil ja die Praxis heute mit der Möglichkeit, die Verjährung zu unterbrechen, schon ganz anders aussieht, sondern einfach deshalb, weil ich den Rechtsfrieden für viel nachhaltiger gestört sehe, wenn ein Mörder lediglich wegen des Verjährungseintritts nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, und das, obwohl seine Tat offenbar ist und obwohl die Nachweisbarkeit seiner Täterschaft gar kein Problem darstellen würde. ({0}) Auch der Einwand, die Verjährung sei ein hohes Gut unserer Rechtstradition und müsse auf jeden Fall beibehalten werden, scheint mir zumindest in dem Zusammenhang, über den wir heute reden, nicht so schwer zu wiegen. Dabei bestreite ich keineswegs, daß das Prinzip der Verjährung seinen Sinn hat. Ich will es auch nicht etwa abgeschafft wissen. Wenn man indes unsere vermeintliche Rechtstradition als Wert betrachtet und diesen der Verfolgbarkeit einer Tat gegenüberstellt, die das schwerste Verbrechen ist, das unsere Rechtsordnung kennt, nämlich die bewußte und gewollte Vernichtung menschlichen Lebens unter Mordumständen, dann muß sich diese Tradition schon gefallen lassen, hinterfragt zu werden. Was dabei herauskommt, steht meiner Ansicht nach völlig außer Zweifel: Der Wert menschlichen Lebens und sein Schutz durch unsere Rechtsordnung muß hier einfach Vorrang haben. Weiter ist uns in nahezu allen Diskussionen der Vergangenheit entgegengehalten worden, unser Vorstoß zur Aufhebung der Verjährung bei Mord verstoße unter den gegebenen Umständen gegen ein anderes Prinzip, das wir hochhalten wollten, nämlich das der Resozialisierung des Täters. Dieser Einwand ist, wie ich meine, in der Tat sehr erwägenswert. Ich habe ihn sehr ernst genommen, denn ich bin ein erklärter Anhänger des Resozialisierungsstrafrechts; ich teile nicht die Auffassung einiger Kollegen in diesem Hause, daß Sühne, Vergeltung und Abschreckung im Vordergrund der Strafzwecke zu stehen hätten. Ich glaube jedoch nicht, daß in unserem Zusammenhang dieser Einwand unserem Antrag wirklich entgegengehalten werden könnte. Mir scheint, wir müßten hier einiges deutlicher voneinander unterscheiden. Nicht nur vom Typ des Täters - des Mörders oder gar des NS-Mörders - her, mit dem wir es zu tun haben, wirft das Problem der Resozialisierung und der Resozialisierbarkeit als eines Strafzwecks erhebliche Fragen auf - sowohl wegen der Begleitumstände der Tat als auch wegen der häufig nicht wiederholbaren Konstellationen, die eine Tat überhaupt ermöglichen; das alles haben wir schon häufiger erörtert -; entscheidend scheint mir zu sein, daß es bei unserem Antrag zur Aufhebung der Verjährung zunächst einmal nicht um die Frage der Resozialisierung eines Straftäters durch Strafe geht, sondern um die Frage, ob überhaupt eine Straftat noch mit strafprozessualen Mitteln aufgeklärt werden kann, ({1}) ob das als Voraussetzung einer Strafe überhaupt noch zulässig sein soll. Ich sehe den richtigen Platz für den Resozialisierungsgedanken nicht vor dem Strafausspruch, sondern erst danach, z. B. bei der Verbüßung der verhängten Strafe. Schon 1965 und 1969, in den damaligen Diskussionen um die weitere Verfolgbarkeit von NS-Mördern, hat der Gedanke eine Rolle gespielt, ob nicht der lange Zeitablauf zwischen der Begehung der Tat und einer möglichen Strafverfolgung alles, was wir wollen und anstreben, an Grenzen geraten lassen müsse. Wir haben uns mit diesen Bedenken heute in der Tat auseinanderzusetzen. Ich glaube, daß die Gegner einer Aufhebung der Verjährung mit ihrer Auffassung dann recht hätten, wenn eine Strafverfolgung heute nur noch zu Lasten der Opfer von damals durchgeführt werden könnte. Auch solche Stimmen hört man heute, und sie wurden auch in der ersten Lesung laut. Wenn darauf hingewiesen wird, daß es häufig Zumutungen sind, denen sich die Opfer der Verbrechen von damals heute als Zeugen in NS-Prozessen ausgesetzt sehen, stimme ich dem zu. Da wird mit Recht betont, es müsse für diese Zeugen häufig eine Quälerei bedeuten, sich immer wieder an die grauenvollsten Zeiten ihres Lebens erinnern zu müssen und im Strafprozeß nach Einzelheiten, nach präzisen Details gefragt zu werden, wobei mit zunehmender Entfernung von der Tat die Erinnerung an strafprozessual wichtige, für den Zeugen selbst aber nebensächliche Wahrnehmungen zwangsläufig verblassen muß. Da wird ganz zu Recht darauf hingewiesen, daß es häufig Anwälte mutmaßlicher NS-Mörder sind, die aus falsch verstandener Solidarität mit ihren Mandanten - wenn nicht manchmal auch aus schlimmeren Beweggründen - Salz in diese Wunden streuen und den Zeugen vorführen, wie man aus den Opfern von damals Opfer von heute machen kann. Das ist häufig so; jeder, der an NS-Prozessen teilgenommen hat, weiß das, und diese Erfahrung ist bitter. Das ist heute so, und das wird auch dann so sein, wenn wir die Verjährung aufheben. Aber, meine Damen und Herren, haben wir nicht gerade in diesem Zusammenhang sehr viel stärker zu berücksichtigen, daß es gerade die Opfer von einst sind, die uns gestern wie heute und speziell auch in den vergangenen Monaten im Inland und im Ausland mit großem Ernst zurufen, wir dürften einen Schlußstrich eben nicht zulassen, die uns auffordern, die Verjährung aufzuheben, weil trotz aller Quälerei ein Ablauf der Verjährungsfrist für sie noch schmerzhafter sein müsse und weil sonst von vornherein auf jeden Versuch verzichtet werde, ihnen wenigstens durch Anklage und Verurteilung der Peiniger von einst ein wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? So zwiespältig unsere Empfindungen angesichts der Erfahrungen mit NS-Prozessen heute auch sein mögen - und sie sind es -, ich glaube, daß dieser Ruf der Opfer von einst nicht ungehört verhallen darf. ({2}) Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen. Schon 1965, auch 1969, auch in den vergangenen Monaten haben wir uns immer wieder gefragt: Überfordern wir nicht doch die Ermittlungsbehörden und die Gerichte, wenn wir die Verjährung für Mord aufheben? Wird nicht allein schon wegen des erwähnten Zeitablaufs die Chance auf Gerechtigkeit zwangsläufig geringer, wird. Recht nicht zwangsläufig immer mehr zum Spielball von Zufällen? Auch diese Bedenken haben wir gehört, und wir nehmen sie ernst. Einiges davon ist zumindest im Ansatz ganz zweifellos richtig. Es ist unbestreitbar, daß die Schwierigkeiten der Rechtsfindung, der Beweiserhebung immer größer werden, je mehr Zeit zwischen der Begehung der Tat und dem Zeitpunkt der Strafverfolgung vergeht. Das führt zu Unzuträglichkeiten, zu langen Prozessen, zu quälenden Verhandlungen, an deren Ende viele ehrenwerte Versuche, aber manchmal keine angemessenen Verurteilungen stehen. Auch das wissen wir. Das zeigen auch die Statistiken über Anklageerhebungen und Verurteilungen in NS-Verfahren der vergangenen Jahrzehnte. Der Leiter der Zentralen Stelle, Dr. Rückerl, hat uns berichtet, daß dies so sei, und wir haben keinerlei Anlaß, an seinen Feststellungen zu zweifeln. Wir gehen davon aus, daß die Zahlen der Anklageerhebungen weiter rückläufig sind und daß das auch bei den Zahlen der Verurteilungen in erheblich größerem Umfang der Fall ist. Auch ist uns klar, was das jenseits von Prozentzahlen, Erfolgsquoten und Relationen zwischen Ermittlungszahlen, Zahlen über Anklageerhebungen und Verurteilungen bedeutet. Es bedeutet die nüchterne Erkenntnis, daß längst nicht jeder Täter im Strafprozeß abgeurteilt werden kann, von dem zu Beginn der Ermittlungen angenommen werden mußte und konnte, daß er persönlich gemordet hat, daß er somit nach geltendem Recht noch der Strafverfolgung unterliegt. Das bedeutet weiter, daß das, was wir aus der Kenntnis der Geschichte des Dritten Reiches zu wissen meinen, häufig genug nicht ausreicht, um den strengen Regeln unseres strafprozessualen Verfahrens und seiner Nachweispflicht standzuhalten. Das gilt, wie gesagt, schon für die NS-Prozesse heu13242 te. Wer würde es bestreiten wollen, daß die Gefahr besteht, daß dies eine Fortsetzung finden wird, wenn wir, unserem Antrag entsprechend, die Verjährung von Mord aufheben? Wir wissen, daß dies unbefriedigend ist. Wir wissen auch, Herr Mertes, daß dies häufig nicht verstanden wird; das stimmt. Ich gebe auch denen recht, die in diesem Zusammenhang auf die Freisprüche im Majdanek-Prozeß und auf die Proteste verweisen, die sie im In- und Ausland ausgelöst haben. Ich gebe auch denen recht, die auf die Strafaussprüche verweisen, die bisweilen in groteskem Mißverhältnis zu den vorgeworfenen Straftaten stehen. Auch wir meinen, daß das die bitteren Zeiten der NS-Prozesse sind, und zwar heute und bei der Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord auch in Zukunft. Nur ist damit die Antwort auf die Frage, die wir heute erörtern müssen, noch nicht gegeben. Auch der Hinweis auf eine doppelte Moral reicht dazu nicht aus. Ich sehe die Folgerungen anders, die wir daraus ziehen müssen. Ich meine, wir alle müssen daraus mit Sicherheit die Verpflichtung ziehen - gerade weil wir wissen, welche enorme Last die Ermittlungsbehörden und Gerichte tragen, welche Last die Richter und Staatsanwälte auf sich nehmen, die in solchen Verfahren eingesetzt sind -, daß wir ihnen zur Seite treten, wenn sie ihre Pflicht getan haben und dennoch unbefriedigende Ergebnisse erzielen konnten. ({3}) Ich meine, daß wir daraus auch die Verpflichtung ziehen müssen, immer wieder auf den uns einsichtigen Zwiespalt zwischen geschichtlicher Wahrheit und strafprozessualer Nachweisbarkeit hinzuweisen, ({4}) dem Unverständnis der jungen Generation, wenn wieder ein unbefriedigendes Urteil ergehen mußte, geduldig nachzuhelfen, damit daraus Verständnis wird. Dort wird häufig das Auseinanderklaffen, von dem ich hier spreche, noch schmerzlicher als von uns selbst empfunden. Das bedeutet sicher auch, daß wir die Unkenntnis im Ausland abbauen und dem dort, sei es gesteuert oder spontan, vorhandenen Argwohn begegnen müssen, der darauf hinausläuft, wir täten nicht genug, um NS-Mörder abzuurteilen. Eines glaube ich allerdings nicht. Ich glaube nicht, daß wir aus alledem die Berechtigung ableiten dürfen, die Verjährung nicht aufzuheben. Das hätte doch nur zur Folge, daß möglicherweise einige unbefriedigende neue Fälle nicht auftauchen würden, und diese werden ja, wie wir alle bestätigen und alle wissen, nicht allzu zahlreich sein. Die große Zahl der Verfahren, in denen wir solche Probleme haben, würde dadurch in keiner Weise verhindert. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Forderung vertreten und auch durchgesetzt werden soll, jetzt müsse Schluß sein - und das vollständig. Diese Forderung wird von uns nicht erhoben, sie wird - soweit ersichtlich - in diesem Hause nicht vertreten. Ich bin über diesen Konsens froh. Denn ich bin ganz sicher, daß diese Forderung und ihre Verwirklichung das Rechtsbewußtsein unserer Gesellschaft und gerade der jungen Menschen viel nachhaltiger verwirren und viel nachhaltiger korrumpieren würde, als dies jede der Unzuträglichkeiten vermöchte, über die ich gerade gesprochen habe. Das, Herr Mertes, wäre in der Tat doppelte Moral, und diese wäre das Gefährlichste. Meine Damen und Herren, alle diese Gründe und Einwände, über die ich gerade gesprochen habe, bestärken uns in unserem Wunsch, das 18. Strafrechtsänderungsgesetz zur Durchsetzung zu bringen. Lassen Sie mich aber noch auf einen anderen Gesichtspunkt eingehen, der nicht die Frage betrifft, ob die Verjährung im Grundsatz aufgehoben werden soll, sondern den Weg, den wir Ihnen vorschlagen. Unser Antrag zielt darauf ab, die Verjährung für Mord insgesamt aufzuheben. Obwohl ich in den vergangenen Ausführungen - und das ganz bewußt - immer von Nazi-Morden gesprochen habe, enthält unser Vorschlag diese Differenzierung nicht. Das ist kein Versehen und kein Widerspruch, sondern die Folge sorgfältiger Überlegungen. Zunächst: Ich habe es immer akzeptiert und verstehe es auch heute sehr gut, wenn mir angesichts der grauenvollen Ereignisse in Deutschland zwischen 1933 und 1945 und der Verbrechen, die in deutschem Namen, hauptsächlich im Osten Europas - aber nicht nur dort -, begangen wurden, erklärt wird, daß es aus einem Vergleich der Lebenssachverhalte heraus eben zweierlei sei, ob man über einen noch so üblen verbrecherischen Einzelmord rede oder diese fabrikmäßigen, grauenvollen Vernichtungs- und Ausrottungsaktionen der staatlichen Terrormaschine der Nationalsozialisten in Betracht ziehe. Ich sehe das auch so. Nur, meine Damen und Herren, ich kann daraus keine differenzierten Konsequenzen für die Frage der Aufhebung der Verjährung ableiten, und zwar nicht nur deshalb, weil ich mich frage, ob bei der bewußten und gewollten Vernichtung von Leben unter Mordumständen differenziert werden darf - jedenfalls dann, wenn es um die Verfolgbarkeit einer solchen Tat geht, und darum geht es heute -, sondern auch deshalb - hier haben mich die Beratungen der letzten Wochen in meiner Beurteilung sicherer gemacht -, weil ich keine Anhaltspunkte für eine differenzierende Lösung sehe, die nicht noch mehr Probleme, mehr Schwierigkeiten und mehr Unzulänglichkeiten mit sich bringen müßte. Ich weiß, daß einige Kollegen in diesem Hause dies anders sehen. Ich respektiere das, auch wenn ich nicht in der Lage bin, dem zu folgen. Meine Damen und Herren, wenn ich Sie heute um Ihre Unterstützung unseres Antrags bitte, so nicht nur wegen der Gründe, die ich bisher erörtert habe - der großen moralischen und politischen Verantwortung, die ich damit verbunden sehe, des Schadens für unser aller Rechtsgefühl, den ich sehe, wenn die Entscheidung zuungunsten der Verjährung ausfallen sollte -, sondern auch aus einem anderen Grund, der mir besonders wichtig ist und zu dem ich jetzt noch einiges sagen will. Herr Wissmann hat in der ersten Lesung am 29. März betont, daß es seiner Meinung nach in unserer Situation des Jahres 1979 weniger um die Aufhebung der Verjährung von Mord gehen könne, daß sich vielmehr die Frage stelle, wie wir es erreichen könnten, ohne, wie er es nannte - ich stimme ihm da nicht zu -, die Justiz als Alibi zu gebrauchen, daß die Öffentlichkeit und die jungen Menschen in unserem Lande mehr Kenntnisse, mehr Informationen über das erhalten, was sich in diesem unsäglichen Kapitel deutscher Geschichte zugetragen hat. Ich stimme ihm hier und auch dort zu, wo er über die Bedeutung von Kenntnissen und Verständnis redet. Ich bin der Meinung, daß wir es schaffen müssen, daß gerade die jungen Menschen mehr darüber erfahren, damit sie genau wissen, was damals geschehen ist, wie das geschehen konnte. Vor allem müssen sie in die Lage versetzt werden, daraus zu lernen. Wir alle müssen lernen, wie wir es anstellen, daß sich so etwas in unserem Einflußbereich - und das ist hier - nicht mehr wiederholt. Er hat es dann für richtig gehalten, auf die Schulen, die Presse und die anderen Medien zu verweisen. Nun gut, ich teile auch diese Auffassung, die damit verbunden ist: daß es wichtig ist; daß die Schulen Kenntnisse vermitteln, und daß das durch die Presseberichterstattung ebenfalls geschieht. Hier wird inzwischen einiges getan. Ich habe die Ausstrahlung von „Holocaust" im Fernsehen, vor allem aber die Diskussionen nach der Sendung und die unzähligen Materialmappen, die durch die Zentralen für politische Bildung verteilt worden sind, für einen wesentlichen Beitrag gehalten, von dem ich hoffe, daß er einen Anfang darstellt. Eines bleibt allerdings festzuhalten: Auf Schulen und Schulverwaltungen haben wir - sagen wir - keinen unmittelbaren Einfluß. Bei allen Anstrengungen, die von dem einen oder anderen Lehrer unternommen werden, sehen wir zudem, daß man sich dort, wo man auf Schulbuchrichtlinien und deren Umsetzung Einfluß hat, manchmal übermäßig schwer tut. Das zeigt das Beispiel der deutsch-polnischen Schulbuchrichtlinien, die ja ein größeres Kapitel unserer Geschichte aufhellen, beleuchten und ins Bewußtsein der nachwachsenden Generation rücken sollen. Dieses Beispiel ist nicht unbedingt ermutigend. Soviel ich weiß, werden diese Richtlinien noch nicht einmal überall in solchen Punkten umgesetzt, bei denen aktuelle politische Meinungsverschiedenheiten nicht bestehen. Auch unser Einfluß auf die Medien ist - lassen Sie es mich so ausdrücken - begrenzt, vergleichbar gering oder noch geringer. Hier können wir bestenfalls appellieren, und das sollten wir tun. Nur, ich glaube nicht, daß wir uns auf solche Hinweise beschränken können. Vor allen Dingen aber meine ich, daß das unsere eigene Verantwortung, unseren eigenen Beitrag keinesfalls ausschließt. Wir sind heute und hier gefordert. Wir können heute handeln, indem wir Maßnahmen beschließen, die jetzt zur Debatte stehen, Maßnahmen, die unsere sind, Maßnahmen, die den Weg zu dem Ziel eröffnen, das wir wollen. Wenn wir uns heute gegen die Aufhebung der Verjährung entscheiden, dann befürchte ich, daß wir dieses gemeinsame Ziel auch dauerhaft versperren können. Wir sind gefordert, meine Damen und Herren, über die Aufhebung der Verjährung zu entscheiden. Das kann einer unserer Beiträge sein, das ins Auge gefaßte Ziel zu erreichen. Ich halte diese Entscheidung für den derzeit wichtigsten von uns geforderten Beitrag. Dieser Beitrag wird ein Zeichen unserer Glaubwürdigkeit sein. Wir müssen uns der Verantwortung stellen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist ganz offensichtlich viel schwerer als 1965, für dieses Thema die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit zu gewinnen, die es heute wie damals in gleicher Weise verdient. Das Haus ist davon ganz offensichtlich nicht verschont geblieben. Dabei haben wir geglaubt, daß die Auseinandersetzungen im Rechtsausschuß wenigstens insoweit, als die Presse darüber berichtet hat, die Aufmerksamkeit für dieses Problem geschärft hätten und daß das Problembewußtsein dadurch erneut so groß geworden wäre, wie es allenthalben in unseren internen Besprechungen dargestellt wird. Aber es ist eben doch nicht mehr so, wie es 1965 in so leidenschaftlicher Form bewiesen worden ist. Ich glaube, es lohnt sich sehr, über unser Thema, das wie 1965 von außerordentlichem Interesse ist, noch einmal sehr gründlich - und nicht nur lange - zu sprechen. Zunächst möchte auch ich im Namen der Mehrheit der Freien Demokraten Herrn Emmerlich und Herrn Erhard sehr herzlich für den Ausschußbericht danken, ({0}) wobei ich gleich hinzufügen möchte, daß wir den anderen Kollegen, die sich zu ihren abweichenden Vorstellungen äußern werden, nicht etwa absprechen wollen, daß sie genau so sehr um ein möglichst gutes und möglichst richtiges Ergebnis bemüht sind. Mehr läßt sich bei allem in dieser Diskussion nicht erzielen. Dem Ausschußbericht gebührt das große Verdienst, hier noch einmal in Aufbereitung all dessen, was im Laufe der Jahre vorgetragen wurde, Klarheit geschaffen zu haben. Ich meine, diese Klarheit ist für das Haus unbequem. Übersehen Sie doch bitte nicht, daß 1965 legitimerweise eine Fülle von Überlegungen in der Diskussion waren, die nach diesem Ausschußbericht überhaupt nicht mehr vorhanden sind. Es bestand nämlich 1965 eine erhebliche verfassungsrechtliche Ungewißheit über die Frage, ob die Rückwirkung der Verjährung materiellen oder formellen Charakters sei und ob sich deshalb über13244 haupt eine Änderung des Instituts der Verjährung auch nur in der zeitlichen Geltung ermöglichen ließe oder nicht. Dieses Bedenken war Anfang 1969 durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgeräumt. Eine weitere Frage hat 1960, in der ersten dieser Diskussionen, wie auch 1965 in viel stärkerem Maße als heute die Debattanten bewegt: Wie viele Täter gibt es noch, die unerkannt sind? Wie viele werden, wenn wir uns hier so oder so entscheiden, nicht bestraft werden können, obwohl sie schwerste Schuld auf sich geladen haben. Auch diese Frage, meine Damen und Herren, ist nach diesem Bericht des Ausschusses fast ganz in dem Sinne geklärt, daß nach Ansicht aller Sachverständigen, die inzwischen mit größerer Akribie, als das leider am Anfang der Geschichte der Republik der Fall war, den Fragen nachgegangen sind, kaum noch Fälle von Strafverfolgungen nach Eintritt der Verjährung nach geltendem Recht möglich sein werden. Es ist keineswegs auszuschließen - das sehen wir ganz klar -, daß einzelne Täter noch auftauchen. Zahlenmäßig wird es sich allenfalls um ganz, ganz wenige handeln. An dieser Stelle muß ich gleich zu Anfang sagen: 5 000 Personen, die zu lebenslanger Strafe verurteilt und anschließend amnestiert wurden und seit 20 oder 25 Jahren frei in diesem Land herumlaufen - übrigens ohne sich jemals ihrer Untaten gerühmt zu haben -, stehen gegen einige wenige, die, wenn wir beim geltenden Recht bleiben, ihrer Strafe entgehen könnten. Die anderen haben wir schon hinnehmen müssen. Deshalb ist das, was hier noch quantitativ allenfalls verbleibt, nicht mehr von der Qualität, die uns in unserer Entscheidung wesentlich beeinflussen könnte. Unter Berücksichtigung dieser beiden inzwischen ausgeräumten Punkte haben wir heute eine ganz besondere Debatte. Wir müssen uns nämlich nun der Frage stellen: Wollen wir aus Prinzip bis zum Schluß keine Verjährung? Wollen wir dieses Institut abschaffen, oder wollen wir die Sache praktisch handhaben in Ansehung dessen, was jetzt allenfalls noch auf uns zukommen kann und was wir sehr viel genauer wissen als 1960, 1965 und 1969? Oder wollen wir sagen: „Wir bleiben beim geltenden Recht?" Auf diese Fragen spitzt sich die heutige Situation bei den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen deutlicher zu. Die Entwicklung der Debatte bis zum heutigen Tage habe ich einleitend schon als etwas ermüdend gekennzeichnet. Sie war auch ungewiß. Ich möchte über folgendes keinen Zweifel aufkommen lassen. Ich habe bei der Lektüre über die verflossenen Debatten an keiner Stelle gefunden, daß sich die Sozialdemokraten mit den jeweiligen Zwischenlösungen abgefunden hätten. Ihre Redner haben vielmehr stets betont, sie würden die jeweilige Zwischenlösung als einen Schritt auf dem von ihnen seit sehr früher Zeit für richtig gehaltenen Weg der Abschaffung der Verjährung ,auffassen. Das ist konsequent; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ich habe umgekehrt auch nie gefunden, daß, unsere Vertreter bei den verschiedenen Abstufungen, in denen sich dieses Haus an das Problem herangetasfet hat - so muß man die Ergebnisse der vergangenen Debatten wohl bezeichnen -, in ihrer Überzeugung jemals wankend gewesen wären, daß unsere rechtspolitischen Grundsätze - das ist eben unsere Überzeugung vom Rechtsstaat; ich will damit nicht sagen, daß die Sozialdemokraten weniger rechtsstaatlich wären - auch nur im geringsten im Zweifel gewesen wären. Wir sind da immer anderer Auffassung gewesen. Ich finde, es ist sehr gut, daß diese Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten an einem so wichtigen Punkt einmal darstellen kann, wie es möglich ist, sich bei fairer Partnerschaft in einer wichtigen Frage ganz frei und offen voneinander zu unterscheiden, und dies beiderseits bei sehr großer Konsequenz. Ich will nun nicht etwa den Vertretern der Christlich Demokratischen Union absprechen, daß sie sich um das Problem ihre Sorge gemacht hätten. Sie haben in all den Jahren aber jeweils den Teil gestellt, der dann dazu beigetragen hat, daß immer ein Schritt weitergegangen worden ist, ohne daß die eigentliche Entscheidung getroffen worden wäre. Ich weiß nicht, wie ich mich heute entscheiden würde, wenn heute 1960 wäre und hier über die Abschaffung der Verjährung, und zwar in klarer Zielansprache der Verbrechen des Naziregimes, entschieden werden würde. Nachdem aber seit 1960 19 Jahre vergangen sind, weiß ich ganz genau, daß mir in der jetzt eingangs geschilderten, zugespitzten Entscheidungslage mit größter Selbstverständlichkeit nur bleibt, mich für das zu entscheiden, für das sich meine politischen Freunde, als ich noch nicht dabei war, hier im Hause stets entschieden haben:' nämlich Beibehaltung des geltenden Rechts. ({1}) Denn viele Gründe, die es früher einmal gegeben hat, die mindestens zu erheblichen Zweifeln Anlaß geben konnten, gibt es heute nicht mehr. Wir haben jetzt über unsere Auffassung von Strafrechtspflege zu entscheiden - oder über einen viel weitergehenden moralischen Grundsatz im Hinblick auf die Vergangenheit, auf unsere geschichtliche Vergangenheit zur Zeit des Nationalsozialismus. Wir haben zu entscheiden, ob wir sagen wollen: Das, was damals geschehen ist, war so singulär, daß es auch einen Eingriff in unsere Strafrechtspflege von erheblichem Gewicht rechtfertigt - wie wir inzwischen wissen: nicht von verfassungsrechtlichem, aber von ungewöhnlich erheblichem Gewicht. Das ist die Auffassung der Sozialdemokraten. Wir sind der Meinung: Hier werden das, was wir in der Kontinuität der Strafrechtspflege tun können, und das, was wir in der Kontinuität der Geschichte dieses Landes tun müssen, verwechselt. ({2}) Das ist früher schon einmal in der Debatte dargelegt worden. Es handelte sich damals um einen Zwischenruf von Herrn Jahn, wenn ich mich recht erinnere, der gesagt hat, es handle sich nicht um die Kontinuität der Strafrechtspflege, sondern um die Kontinuität der Geschichte. Sie sehen das so zusammen; das kann man ja auch tun. Wir sehen es nicht so zusammen, sondern wir meinen: Wir schulden es unserer Geschichte, in unserer Strafrechtspflege gerade nach den Ereignissen des Dritten Reiches besonders sauber und besonders klar zu bleiben. ({3}) Daran hat es bei den vorangegangenen Entscheidungen dieses Hauses im Ergebnis - keineswegs in den Ansätzen, darüber habe ich bereits gesprochen - jedesmal gefehlt. Ich mag nicht so sehr auf die Frage eingehen, ob wir heute über das Thema der Aufhebung der Verjährung sprechen würden, wenn es sich um wirklich alle Morde gleichermaßen handelte. Ganz beiseite lassen darf ich es nicht. Ich bin schon der Meinung, wir würden nicht darüber sprechen, wenn es licht die Morde aus der Zeit des Nationalsozialismus gäbe. ({4}) Herr Süsterhenn hat für die CDU 1969 nicht nur von der letzten Rate gesprochen, die Herr Mertes eben zitiert hat - etwas, was mir nicht so gut gefällt, obwohl es sich ja tatsächlich so abgespielt hat -, sondern auch davon, daß es der CDU leichter werde, dem damaligen Kompromiß zuzustimmen, weil man alle Mordtaten gleichsetze. Ich würde das anders sehen. Ich halte die Auffassung unseres Freundes Professor Maihofer schon für erheblich konsequenter. Er sagt, es gehe doch in Wirklichkeit um das besondere und exzeptionelle Unrecht, viele Fälle von Völkermord, viele Fälle von grausigen Verbrechen besonderer Art, bei denen man versuchen müsse, sie als solche zu erfassen und aus der Verjährung herauszunehmen. Vom politischen Anliegen her ist das, was Herr Professor Maihofer - er wird ja dazu sprechen - versucht, konsequenter als die Aufhebung der Strafe für Mord in allen Fällen. Ich glaube allerdings auch, daß der Weg, den Herr Professor Maihofer sucht, die Konsequenz, vor der wir uns sehen, etwas verschleiert. Es ist eine Hilfe, klarzumachen, worum es eigentlich geht. Es ist aber keine Hilfe in der Bewältigung des Problems. Ich habe dieser Tage irgendwo gelesen, „Bewältigung" wäre sehr schlecht, es hätte den gleichen Sprachstamm wie „Gewalt" und „vergewaltigen", und man würde sich zu etwas zwingen, was man gar nicht so meine. Ich glaube, das ist sehr richtig beobachtet. Wir wollen gar nicht bewältigen, sondern wir wollen klar sehen und klar entscheiden. Dazu hilft uns meiner Ansicht nach auch die mittlere Lösung von Herrn Professor Maihofer in klarer Zielansprache dessen, was hier gewollt ist, nicht. Wir müssen uns einfach fragen: Tun wir recht daran, Mord nicht verjähren zu lassen, weil er gegen das höchste aller Rechtsgüter gerichtet ist, oder sollen wir nicht hier genauso wie in allen anderen Fällen aus einer wirklich humanen Einstellung sagen, auch hier müsse es, abgesehen von allen Zweckmäßigkeitserwägungen, eine Grenze der Verfolgung geben, hier müsse es Verzeihen geben, hier müsse es Rücksichtnahme auf die Pesönlichkeitsveränderungen geben, von denen ich immer noch ausgehe? Ich habe in den vielen Diskussionen dieser Wochen und Monate gehört, die Persönlichkeit würde sich nicht ändern. Ich glaube, sie verändert sich sehr wohl. Ich glaube darüber hinaus, gerade viele Sozialdemokraten würden in ihrem rechtspolitischen Bestreben auf anderen Gebieten wesentlich zurückgeworfen, wenn sie nicht mehr daran glaubten, daß sich die Persönlichkeit verändern lasse. ({5}) Wir haben doch gemeinsam um viele Elemente der Resozialisierung gerungen. Dabei gehe ich nicht so weit wie manche, daß ich sage, das sei das alleinige Ziel der Strafrechtspflege. Ich sehe daneben durchaus den Gesichtspunkt der- Sühne. Die stärkere Betonung der Resozialisierung verbindet uns doch aber in unserem Bemühen um eine bessere Strafrechtspflege. Also kann ich nicht sagen, in diesen Fällen ändere sich die Persönlichkeit nicht. Sie ändert sich sehr wohl. Darin liegt für mich ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt, daß irgendwann Verjährung ihren tieferen und auch gerechten Sinn hat, abgesehen von den technischen Schwierigkeiten, abgesehen von dem, was man 1965 auch nur vermuten konnte. Inzwischen hat es sich erwiesen. Der Majdanek-Prozeß ist ein Prozeß, der uns viel Schelte bei denen eingetragen hat, die ihn nicht sorgfältig vor Ort verfolgt haben. Sehr zu Unrecht! Die Richter haben nach meiner Überzeugung ihr Äußerstes getan, aber sie sind zu erschreckenden Beweisergebnissen gekommen, zu erschreckenden Ergebnissen schließlich ihrer Beweiswürdigung gekommen mit der Folge, daß das Ergebnis auch die technischen Bedenken rechtfertigt, die man 1965 nur prophezeien konnte, die aber inzwischen ganz offensichtlich geworden sind. Man kann nach dieser Zeit nicht mehr in geordneter Weise so Recht sprechen, daß es dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit zumindest nahekommt. Das hat dieser Majdanek-Prozeß und sein Urteil ganz klar erwiesen. Vieles spricht auch gegen die Gleichbehandlung aller Mörder. Die Knesset, das Parlament des Staates, in dem sicherlich die meisten Menschen leben, die von dem, was im Dritten Reich an Verbrechen geschehen ist, zutiefst betroffen sind, hat uns eine Entschließung übersandt. Sie hat in dieser Entschließung darauf hingewiesen, daß es sich um ein Verbrechen handelte wie kein Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Auf die Geschichte der Menschheit will ich mich hier gar nicht einlassen; daß dieses Verbrechen ungeheuerlich war, das ist außer Zweifel. Aber welche Folgerung soll ich daraus ziehen? Das ist der Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit hier immer wieder zu lenken versuche. Muß ich daraus die Folgerung ziehen, daß ich in diesem Fall in unser Strafrecht eingreifen muß, um den einzelnen zu bestrafen, oder ist die Folgerung nicht eine ganz andere, nämlich die, daß wir, d. h. große Teile des Volkes, unserer Geschichte als Volk gegenüber nach wie vor fahrlässig blind, bequem und leichtfertig sind? ({6}) „Da in der Kammer 201 B des Landgerichts sowieso wird verhandelt." Damit wird die Geschichte dieses Landes erledigt, und draußen geht die Bevölkerung spazieren und amüsiert sich, während da drinnen die Vergangenheit bewältigt wird. Das kann doch nicht die Lösung sein! ({7}) Das ist wirklich keine Lösung. Das ist Verdrängung in einer besonders miesen Form. ({8}) Wir müssen uns der Rechtsfrage einerseits und der geschichtlichen Frage andererseits stellen. Ich habe schon einmal versucht, das hier darzulegen, und ich lasse nicht nach in meinem Bemühen, dieses klarzumachen: Die geschichtliche Frage ist in unserem Lande in verheerender Weise unbekannt. Wenn ich höre, was die Lehrer an unseren Schulen davon wissen, dann wage ich gar nicht mehr zu fragen, woher die Schüler etwas wissen sollen, denn die Lehrer wissen gar nichts. ({9}) Das ist doch das Entscheidende an der Situation. Und dann soll ich sehenden Auges hergehen und mit der angeblich strafrechtlichen Bewältigung der Resttatbestände dieses alles noch mehr zumachen? Nein, wir wollen es offen haben. Und deshalb bedarf es einer ganz klaren Trennung zwischen unserer Sorge um die Strafrechtspflege und unserer Sorge um das geschichtliche Bewußtsein von der Verantwortung für die einmaligen Verbrechen, die unser Volk, und zwar unser Volk im ganzen, damals begangen hat. ({10}) - Herr Wehner, mir geht es auch so; ich weiß, wie schwer es ist, hier etwas wirklich zu bewegen. Aber das darf mich doch nicht daran hindern, es nicht mit heißem Herzen zu versuchen. Ich gehöre nicht zu der Generation, wie damals Herr Benda. Herr Benda ist damals hier als junger Mann von wohlmeinenden älteren Kollegen angesprochen worden; er hat hier 1965 als Vertreter der jungen Generation gestritten, wie ihm schulterklopfend die Älteren bescheinigten, und sie waren glücklich darüber, daß er so gesprochen hat, wie er damals gesprochen hat. Nun, ja, um einiges jünger bin ich immer noch; aber eines weiß ich: ich weiß, daß unser politisches Engagement, nämlich das der Generation, die - wie ich - etwa 1932 geboren wurde, daher rührt, daß wir noch einigermaßen klar gesehen haben, wie unsere Studienräte zwischen 1944 und 1946 vom straffen Hochziehen des rechten Armes zum Kreuz-Schlagen übergegangen sind. ({11}) Weil wir das nicht wollten, haben wir ein erhebliches politisches Engagement entwickelt. Das ist auch eine Generation, die ein besonderes Erlebnis hatte, wie das viele Generationen in dieser Debatte schon für sich in Anspruch genommen haben. Herr Wehner, es wird uns niemand daran hindern, in diesem Sinne weiterzustreiten. Aber ich meine, wir sollten auf dem richtigen Felde streiten. Alle diejenigen, die unter dem damaligen Unrecht gelitten haben, werden diejenigen sein, die uns in einer vernünftigen Unterhaltung Recht geben, wenn wir sagen: Das alles ist passiert, weil in diesem Lande kein genügend gefestigtes, gesichertes und deshalb selbstverständliches Rechtsbewußtsein vorhanden war. Formale Eigenschaft oder materielle Eigenschaft der Verjährung hin und her: Die Verjährung ist in diesem Lande ein wichtiges Rechtsinstitut seit mehr als hundert Jahren. Es prägt die Rechtsüberzeugung der Rechtsgenossen. Und wenn ich damit so umgehe, wie dieses Haus schon mehrfach damit umgegangen ist, nämlich in Raten, dann prägt das dieses Rechtsbewußtsein falsch. Das Interessante ist ja: Manche glauben - aus sehr ehrenwerten Gründen -, wir hätten hier auch eine gewisse außenpolitische Verantwortung. Natürlich haben wir die. Natürlich schaut das Ausland auf das, was wir in dieser Frage tun. Das wissen wir alle. Aber es ist nicht so, daß man daraus nur eine Konsequenz ziehen könnte. ({12}) Wir haben Unterhaltungen gepflogen, nicht nur hier, sondern auch in Jerusalem, Tel Aviv und Warschau, und wir haben auch hier in Bonn mit Vertretern verschiedenster jüdischer Spitzenorganisationen aus den Vereinigten Staaten und mit Verlegern jüdischer Zeitungen gesprochen. Wenn man unsere Argumente sachlich - möglichst in kleinerem Kreise - auseinandergelegt und dargestellt hat, dann waren das immer diejenigen, bei denen ich mehr Verständnis gefunden habe als bei manchem, der hier ideologisch auf die eine oder andere Lösung eingeschworen ist. ({13}) Dazu bedarf es allerdings des Willens, die besondere Bedeutung dieser rechtsstaatlichen Entscheidung aus unserer Rechtstradition den anderen auch klarzumachen. Ununterbrochen wird uns z. B. erzählt, in den angelsächsischen Ländern wäre das überhaupt nicht drin. Da gäbe es die Verjährung nicht. Ich habe versucht, mich in London mit führenden Mitgliedern des Anwaltvereins - so sagt man bei uns; bei denen ist das viel komplizierter - zu unterhalten. Die haben mir gesagt: Es ist völlig unmöglich, daß ein britischer Ankläger nach 20 Jahren anklagen würde. Daß ein Richter dann diese Anklage annehmen würde, ist absolut ausgeschlossen. Die Praxis dieses case law, die gesicherte Tradition dieses Rechtsbereichs läßt die Idee überhaupt nicht aufkommen, daß man nach so langer Zeit hier etwa noch strafrechtlich vorgehen könne. ({14}) Dann soll man uns doch mit oberflächlichen Rechtsvergleichen dieser Art verschonen ({15}) und vielmehr vor Ort erforschen, wie sich das wirklich verhält - und es verhält sich wirklich so, wie ich es vor Ort erfahren und Ihnen eben wiedergegeben habe. ({16}) Meine Damen und Herren, das Entscheidende - ich habe es mehrfach gesagt - ist die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Ich habe das Buch von Frau Aicher-Scholl über die Geschichte der „Weißen Rose" in diesen Tagen noch einmal gelesen. Diese jungen Menschen haben damals sehenden Auges - so muß man das ganz deutlich verstehen - ihr Leben aufs Spiel gesetzt, nur um zu zeigen, daß es noch ein Prinzip gibt, daß es noch ethische, moralische und gewiß auch rechtliche Prinzipien gibt; sie wollten ein Zeichen dafür setzen, daß sich der einzelne dafür notfalls aufzuopfern hat. Das war das Signal, was die damals geben wollten. Sie wollten zeigen, daß wichtiger als das Leben diese Grundprinzipien sind. Jetzt versuchen wir durch letztlich technische Maßnahmen - und sehr technisch hat mir auch einiges in den vorangegangenen Reden geklungen - mit derartigen Dingen fertigzuwerden. Uns hätte es gut getan, wenn möglichst viele von denen, die heute mit der Bierflasche in der Hand vor ihrem Fernseher sitzen, damals auch nur einen Funken von dem an den Tag gelegt hätten - ohne Heldentum, ganz klein, ganz schlicht, in ihrem Umkreis -, was dann schließlich in letzter Stunde diese Geschwister Scholl und ihre Freunde gezeigt haben. Für die Zukunft zu erreichen, daß davon mehr vorhanden ist, als damals vorhanden war, ist unsere Aufgabe, ({17}) aber nicht, mit rechtlichen Argumenten zu versuchen, unter Gefährdung eines wesentlichen Instituts unseres Rechtsstaates hier scheinbar Dinge in Ordnung zu bringen, die so keineswegs in Ordnung zu bringen sind. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hartmann.

Klaus Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000816, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Kleinert, wir alle wissen, daß Sie griffige und auch deftige Formulierungen lieben, und wir haben uns oft über dieselben amüsiert. Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß ich Ihre Aussage vom reibungslosen Übergang vom Armstrecken zum Kreuzschlagen - womit Sie die Opportunisten und Anpasser gemeint haben; ich weiß sehr wohl, wie ich das aufzufassen habe - nicht für sehr glücklich formuliert halte. ({0}) Dies wollte ich voranstellen. Meine Damen und Herren! Die Befürworter einer generellen Aufhebung der Verfolgungsverjährung bei Mord haben schon in der ersten Lesung des von den Kollegen Wehner, Ahlers und Genossen eingebrachten Gesetzentwurfs eingeräumt, daß die konkrete Situation des Auslaufens der Verjährungsfrist nach geltendem Recht zum 31. Dezember 1979 der hauptsächliche, ja der alleinige Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sei. Dazu haben sich auch die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuß, die eine generelle Aufhebung der Mordverjährung befürworten, ohne Umschweife bekannt. Der Umstand, daß am 31. Dezember 1979 die Verjährung schwerster Verbrechen drohe, gebe dem Gesetzgeber Anlaß -so argumentieren Sie -, erneut die Frage einer Strafverfolgungsverjährung bei Mord zu stellen. Mit einer Änderung des geltenden Rechts wird also das Ziel verfolgt, zu verhindern, daß schweres Unrecht aus der NS-Zeit ungesühnt bleibt. Ich möchte mich daher zuerst mit der Frage auseinandersetzen, ob der mit der beantragten Rechtsänderung erstrebte Erfolg auch tatsächlich erreicht werden kann. Der Deutsche Richterbund, der in diesem Hohen Hause, wenn es um Gesetzgebungsvorhaben geht, oft und mit Nachdruck zitiert wird, hat in seiner Erklärung vom 15. Februar dieses Jahres darauf hingewiesen, daß entgegen einer in der Bevölkerung offenbar weit verbreiteten Auffassung auch ein Festhalten am gegenwärtigen Rechtszustand nicht bedeuten würde, daß nach dem 31. Dezember 1979 keine Verfolgung von NS-Verbrechen mehr stattfinde. Die von Oberstaatsanwalt Rückerl, dem Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, vorgelegten Zahlen - sie sind in der von ihm herausgegebenen Dokumentation genau nachzulesen - weisen aus, daß nach rund 80 000 abgeschlossenen Verfahren noch etwa 3 700 Ermittlungs- und Straf13248 verfahren wegen NS-Verbrechen anhängig sind, in denen die gesetzliche Verjährungsfrist durch Strafverfolgungshandlungen unterbrochen worden, die Strafverfolgung also weiterhin möglich ist. Relevant wäre die Aufhebung der Verjährungsfristen nur für Täter, die erst ab 1. Januar 1980 bekannt werden. Ich folge dem Deutschen Richterbund in der Darlegung, daß, nachdem die Bundesregierung bereits 1964 und 1969 alle Staaten aufgefordert hat, vorhandenes Belastungsmaterial zur Verfügung zu stellen, es unwahrscheinlich ist, daß in den kommenden Jahren bisher unbekannte Täter neu festgestellt werden und daß es wohl ausgeschlossen ist, daß diese dann überführt und verurteilt werden können. Von den in den letzten Jahren eingeleiteten 168 Ermittlungsverfahren in NS-Sachen mußten fast alle schon mangels eines hinreichenden Verdachts gegen einen bestimmten Täter eingestellt werden. Wenn es nach dem 31. Dezember 1979 noch zu Ermittlungsverfahren kommen sollte, werden zwischen der Tat und dem Strafverfahren Zeiträume von zwischen 35 und 45 Jahren liegen. Der Täter wie auch die zumeist im europäischen und außereuropäischen Ausland lebenden Zeugen werden alte Menschen sein. Schon heute zeigt die Erfahrung, daß auch bei sorgfältigster Prozeßführung, die keine Mühen und Kosten scheut, eine ausreichend sichere Feststellung der Täter und ihrer Taten in dem Strafverfahren kaum noch möglich ist, obwohl die Ermittlungsverfahren schon vox langer Zeit eingeleitet worden sind. Ich erinnere an die Freisprüche im Majdanek-Prozeß und an ihre Kommentierungen im In- und Ausland. Was ist denn eigentlich fragwürdiger, denn Ansehen unserer Rechtsprechung abträglicher: immer mehr Freisprüche nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten" oder der Eintritt der gesetzlichen Strafverfolgungsverjährung? Unter der Überschrift „Das Recht im Elend" heißt es in einem Leitartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 31. März dieses Jahres - ich darf zitieren -: Die Zeugen, der Totalität des Vernichtungslager entkommen, meinen ein Zusammenspiel aller gegen sie zu erkennen. Die Angeklagten befinden sich auf freiem Fuß, das Gericht wehrt den Verteidigern nur in geringem Umfang. Es ist ein Zusammenspiel von Recht, das ihr erlittenes Unrecht in eine andere Welt verweist. Wenn Leid Sühne will, dann hat dieses Leid vor diesem neuen Recht keinen Halt. Wird man sich eines Tages an die Stirn schlagen und sagen, daß diese Prozesse eine groteske, menschenverachtende Entlastungsveranstaltung waren? Wer die Aufhebung der Mordverjährung fordert und dennoch Freisprüche mangels Beweises für unerträglich hält, wie weit ist der wohl noch davon entfernt, wegen des Ausmaßes und wegen der Grausamkeit der NS-Verbrechen jenen Angeklagten gegenüber auch den Grundsatz „in dubio pro reo" und andere fundamentale Rechtsprinzipien für verwirkt zu erklären? In Verfahren, die erst nach dem 1. Januar 1980 eingeleitet würden, wären die Beweisschwierigkeiten ja noch erheblich größer als bei den bereits eingeleiteten. Es ist daher zutreffend, wenn bei dieser Sachlage der Deutsche Richterbund der Auffassung ist, daß eine abermalige Änderung des geltenden Rechts kein Mehr an Gerechtigkeit und Befriedung des Rechtsempfindens verspricht. Es würde immer wieder zu Verfahrenseinstellungen oder Freisprüchen kommen, die der deutschen Justiz wie auch der Bundesrepublik Deutschland insgesamt den sachlich unberechtigten Vorwurf der Begünstigung nationalsozialistischer Gewalttäter eintrügen. Diese Befürchtung unserer Richterschaft sollten wir besonders ernst nehmen. Interessant ist es in diesem Zusammenhang, einmal nachzuforschen, wo in den westeuropäischen Staaten, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und in Kanada 30 Jahre nach Tatbegehung oder später die Strafverfolgung von Mordtaten überhaupt noch stattgefunden hat. Mir liegt die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages gegenüber dem Herrn Kollegen Spranger vom 5. April 1979 vor. Dort heißt es: 1. In England wurde ein Mann namens Hone wegen Mordes an seinem unehelichen Kind 35 Jahre nach Begehung des Verbrechens hingerichtet. Aus der Fundstelle ergibt sich, daß diese Verurteilung im vorigen Jahrhundert oder eventuell sogar noch früher erfolgt sein muß. Das genaue Datum ist nicht angegeben. An anderen Fällen, in denen die Aburteilung erst relativ spät nach der Tatbegehung erfolgte, sind aus England bekannt: - 1802 wurde Governor Wall wegen eines 1782 begangenen Mordes hingerichtet, - Sheward wurde in Norwich wegen Mordes an seiner Frau nach mehr als 20 Jahren hingerichtet, - 1905 wurde in dem Mordfall Appleton der Täter wegen eines im Jahre 1882 begangenen Mordes verurteilt, jedoch anschließend begnadigt. 2. In Bayern wurde im Jahre 1951 wegen eines im Jahre 1922 auf einem Bauernhof in Hinterkaifeck verübten sechsfachen Mordes gegen einen der Tatverdächtigen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet... Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, weil - infolge der Kriegswirren - nicht geklärt werden konnte, ob die Verjährung wirksam unterbrochen worden war. Das ist die quantitative Situation in Fällen der allgemeinen Kriminalität. Sie treten nicht täglich auf. Der Wissenschaftliche Dienst weist noch auf folgendes hin: Aus der Tatsache, daß für das Ausland lediglich ein - aus dem vorigen Jahrhundert stammender - englischer Fall festgestellt werden konnte, in dem die Verurteilung später als 30 Jahre nach der Tatbegehung erfolgte, könne nicht geHartmann schlossen werden, daß es weder in England noch in anderen westeuropäischen Staaten oder in Amerika oder Kanada andere solche Fälle gegeben hat. Doch seien keine Unterlagen darüber greifbar. Diese Fälle dürften als Ausnahmen von der Regel anzusehen sein, daß Verurteilungen über 25 Jahre nach der Tat gemeinhin nicht mehr vorkommen. Die Frage nach dem praktischen Nutzen einer generellen Aufhebung der Mordverjährung ist daher ganz eindeutig dahin zu beantworten, daß wegen der auf der Hand liegenden praktischen Schwierigkeiten nicht verhindert werden kann, daß auch schweres Unrecht nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne nicht mehr gerecht gesühnt werden kann. ({1}) An dieser Stelle möchte auch ich wie vorhin Herr Kollege Mertes darauf hinweisen, daß der Eintritt der gesetzlichen Verjährung weder mit einer Amnestierung zu vergleichen ist noch eine moralische Absolution im Sinne einer Freisprechung von Vorwerfbarkeit beinhaltet. Mit dem Eintritt der Strafverfolgungsverjährung werden nicht das Wahrsein der kriminellen Tat und ihr Unrechtsein geleugnet. Es geht nicht um die Verjährung von Schuld, sondern um die Grenzen ihrer Sühnbarkeit. Jedes menschliche Tribunal stößt auf seiner Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit an diese Grenzen, jenseits derer sich der Konnex zwischen Schuld und Sühne auflöst. In diesem Zusammenhang ist auch danach zu fragen, ob die Aufhebung der Mordverjährung. nicht gegen den Verfassungsgrundsatz der grundsätzlichen und gleichmäßigen Anwendbarkeit, also der Praktikabilität, verstößt. Professor Böckenförde hat dazu vor dem Rechtsausschuß ausgeführt, daß die Praktikabilität in Frage steht, wenn eine Kumulation solcher Schwierigkeiten stattfindet, die praktisch zu einer Unausführbarkeit einer gesetzlichen Regelung im Sinne ihrer grundsätzlichen und gleichmäßigen Anwendung und Handhabung führt. Dies könne sich dann ergeben, wenn trotz intensiver kontinuierlicher Ausführung des im Gesetz enthaltenen Auftrags durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte bestensfalls Zufallsergebnisse erzielt werden können, etwa wegen unaufhaltbaren Beweisverfalls, unüberwindlicher Ermittlungsschwierigkeiten und fehlender Möglichkeit effektiver Beweissicherung. Professor Böckenförde hat freilich eine Aufhebung der Mordverjährung nicht von vornherein unter das Verdikt „verfassungswidrig" gestellt; er hat aber deutlich von einem verfassungsrechtlichen Unbehagen gesprochen. Die Fragwürdigkeit der Praktikabilität ist ein großes Bedenken gegen die Aufhebung der Mordverjährung. Ein weiteres Gegenargument ist das Postulat der Kontinuität der Gesetzgebung - auch dieses wurde heute bereits angesprochen -, der Kontinuität der Gesetzgebung im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsstaats. Seit dem Jahre 1953 ist der Deutsche Bundestag mehrfach mit der Verjährungsproblematik befaßt worden. Ich möchte diese Entwicklung jetzt nicht nochmals darstellen, aber feststellen, daß er zu keinem Zeitpunkt an der Grundentscheidung gerüttelt hat: Auch Mord verjährt. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders auf einen Umstand hinweisen, den der Bundesrichter Professor Willms in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Februar dieses Jahres ausführlich dargestellt hat. Der Bundestag hat es ja nicht nur 1965 und 1969 bei der Mordverjährung im Grundsatz belassen, er hat die Grundentscheidung vielmehr im Jahr 1953 ausdrücklich getroffen. ({2}) Im Jahre 1943 fügte nämlich im Zuge der Angleichung des österreichischen Strafrechts, das eine Verjährung der Verfolgung mit der Höchststrafe bedrohter Verbrechen nicht kannte, sondern nur nach Ablauf von 20 Jahren seit Begehung der Tat einen geringeren Strafrahmen vorschrieb, ein besonders von Freisler betriebenes NS-Gesetz der allgemeinen Vorschrift des Strafgesetzbuches über die Verfolgungsverjährung einen zweiten Absatz an, in dem es hieß, daß die Staatsanwaltschaft auch nach Ablauf der Verjährungsfrist die Verfolgung einleiten könne, wenn die Verhängung der Todesstrafe oder von lebenslangem Zuchthaus zu erwarten sei. Damit war sachlich zweierlei bestimmt. Zum einen wurde die Verjährung für mit den Höchststrafen bedrohte Verbrechen, also insbesondere für Mord, generell beseitigt. Zum anderen wurde es in die Hand der Strafverfolgungsbehörde gegeben, in Fällen des Ablaufs der nur noch im Sinne dieser Zäsur beachtlichen Verjährungsfrist nach Erwägungen der Opportunität über Verfolgung oder Nichtverfolgung zu entscheiden. Diese Regelung konnte nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes selbstverständlich nicht unverändert fortbestehen. Eine Durchbrechung des Verfolgungszwangs bei Mord, die erst nach Ablauf einer der bisherigen Verjährungsfrist entsprechenden Zeitspanne letztlich dem „Führer", wie man damals sagte, überlassen wollte, ob der Täter noch zur Rechenschaft zu ziehen sei, war so typisch nationalsozialistisch, daß sie nun ohne weiteres gesetzlicher Geltungskraft entbehrte. Ganz anders verhält es sich freilich mit der Beseitigung der Verjährung. Sie hatte nichts typisch Nationalsozialistisches an sich und infolgedessen hatte sie auch nach dem Kriege Bestand. ({3}) Wollte man an ihr festhalten, so hätte es auch nur einer redaktionellen Änderung des Gesetzestextes bedurft. Nach Meinung von Bundesrichter Willms hat es der Gesetzgeber ohne Zweifel auch so gesehen, als er sich im Jahre 1953 mit der Frage auseinandersetzte. Man wollte aber zur Verjährung zurückkehren. Die Bundesregierung schlug deshalb in ihrem Entwurf die vollständige Streichung des genannten Absatzes vor, weil - ich zitiere aus der damaligen Begründung - neuzeitliches Rechtsdenken verlan13250 ge, daß auch bei schwersten Taten einmal der Zeitpunkt eintrete, von dem an eine Strafverfolgung ausgeschlossen sein müsse. Der Bundesrat wollte an diesem Vorschlag damals nicht uneingeschränkt teilhaben; er sprach sich für eine Verlängerung der Verjährungsfrist von 20 auf 30 Jahre aus. Der Rechtsausschuß lehnte diesen Vorschlag seinerzeit jedoch ab, obwohl die Bundesregierung ihm beigetreten war. Der Bundestag stimmte dann ohne Aussprache der vollständigen Streichung und damit der Rückkehr zur alten Verjährungsregelung zu. ({4}) - Er stimmte der Frist von 20 Jahren zu. Willms fährt fort - jetzt zitiere ich wörtlich -: Nicht eine Stimme wurde laut, die auf die Notwendigkeit einer zeitlich unbegrenzten Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen hingewiesen hätte. Heute fragt man sich, warum der Bundestag es damals, als man den schrecklichen Ereignissen noch so viel näher war, nicht bei der von den Nazis im 'Ergebnis zum eigenen Nachteil eingeführten Regelung des Ausschlusses der Verjährung belassen hat. Es gibt noch Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Entscheidung des Jahres 1953 beteiligt waren - Herr Kollege Wehner und jetzt vielleicht anders entscheiden möchten. Man sollte sie einmal fragen, zitiere immer noch Willms aus der „FAZ" was sie sich damals bei einem Gesetz gedacht haben, das uns bis auf den heutigen Tag mit wiederholter Auseinandersetzung über die Verjährungsfrage weit über die Grenzen unseres Landes hinaus so viel Schwierigkeiten bereitet hat und bei dem man überlegen muß, ob es nicht als ernstes rechtliches Hindernis einer neuerlich geplanten Beseitigung der Verjährung im Wege steht. Denn diese Regelung soll ja gerade Verbrechen ergreifen, für die man damals die Verjährung wieder einführte. Kann es dem Gesetzgeber dort, wo es um das Grundrecht der persönlichen Freiheit geht, gestattet sein, einen bestimmten historischen Sachkomplex einmal so und einmal entgegengesetzt zu behandeln? Kann es ein beliebiges Hin und Her je nach politischer Wetterlage geben? Meine Damen und Herren, exakt dies ist der Punkt! ({5}) Das „verfassungsrechtliche Unbehagen", von welchem Professor Böckenförde vor dem Rechtsausschuß gesprochen hat, hat sich auch in mehreren anderen Hinsichten erhoben. Professor Frowein hat die kritische Frage aufgeworfen, ob es denn verfassungsrechtlich unbedenklich sei, daß ein ganz klar umgrenzbarer Tatenkomplex zum Anlaß genommen werde, wegen gewisser Schwierigkeiten, eben diesen bestimmten Tatenkomplex isoliert zu erfassen, zu einer generellen Regelung zu greifen, die eine Vielzahl von Taten erfasse, die man sonst niemals einer Neuregelung zuführen würde. Er hat in diesem Zusammenhang den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit tangiert gesehen. An dieser Stelle möchte ich eine Bemerkung zum differenzierenden Vorschlag des Herrn Kollegen Maihofer und des Herrn Kollegen Helmrich u. a. machen. Ich möchte nur kurz erwähnen, was vor allem gegen diese Lösung spricht. Zu allen Einzelheiten verweise ich auf den vorliegenden Bericht des Rechtsausschusses, in dem der Vorschlag ausführlich abgehandelt ist. Im Einklang mit dem Präsidenten des Bundesgerichtshofes und mit zwei vor dem Rechtsausschuß als Sachverständigen gehörten Generalstaatsanwälten bin ich der Auffassung, daß der Vorschlag Maihofer/Helmrich deshalb mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, weil er in unzulässiger Weise das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 umgehen will. Die Entlehnung der Nichtverjährbarkeit aus dem Völkermordparagraphen stellt nach meinem Dafürhalten und nach dem Dafürhalten der genannten Sachverständigen in unzulässiger Weise auf materiell-rechtliche Voraussetzungen ab, die zur Zeit der Tatbegehung noch nicht gegolten haben. Meine Damen und Herren, die von den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen abgeurteilten NS-Mörder, deren Fälle nach dem sogenannten Überleitungsvertrag nicht mehr aufgegriffen werden können und bei denen es sich um die eigentlichen „großen Fische" gehandelt hat, befinden sich, soweit sie nicht hingerichtet worden oder zwischenzeitlich verstorben sind, inzwischen sämtlich in Freiheit und treten als Zeugen in den Prozessen gegen ihre früheren Untergebenen und Befehlsempfänger auf. In diesem Zusammenhang muß angesprochen werden, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung - und dies ist bekanntlich ein verfassungsmäßiger Grundsatz - tangiert ist. Denn der Gleichheitsgrundsatz gebietet es, jeden NS-Gewalttäter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Wie soll nach mehr als 30 Jahren noch eine gerechte Sühne für die Befehlsausführer von damals - im Vergleich zu den Strafen, mit denen ihre mit weitaus größerer Schuld belasteten Befehlsgeber vor den alliierten Gerichten davongekommen sind - gefunden werden? Und noch eines: Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Zulässigkeit einer rückwirkenden Veränderung von Verjährungsvorschriften bejaht hat, bleibt eine rückwirkende Gesetzesänderung dennoch eine rechtspolitisch fragwürdige Maßnahme, ({6}) die uns auch das Ausland nicht ansinnen sollte. Gerade diejenigen, die durch den militärischen Sieg über den Nationalsozialismus die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß in Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat entstehen konnte, sollten uns Dispositionen über unsere Rechtsordnung als vermeintliches Mittel der Vergangenheitsbewältigung nicht abfordern wollen. ({7}) Unsere Antwort auf das Unrechtssystem des Nationalsozialismus ist der freiheitliche, demokratische Rechtsstaat. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich bitte zu warten, bis wieder Ruhe eingetreten ist. ({0})

Klaus Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000816, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unsere Antwort auf das Unrechtssystem des Nationalsozialismus ist der freiheitliche, demokratische Rechtsstaat, und wir dürfen den fatalen Eindruck erst gar nicht aufkommen lassen, daß auch in diesem Rechtsstaat gewachsene Rechtsinstitute zur Disposition gestellt werden können, wenn die Zwänge - welche auch immer - nur stark und signifikant genug sind. Können wir es überhaupt der Justiz überbürden, über juridische Feststellungen und Ahndungen individueller Schuld hinaus, über die biologisch-zeitliche Grenze der Wahrheitsfindung hinaus mittels des justitiellen Instrumentariums historische Schuld aufzuarbeiten? Es wäre Hybris - das hat schon Adolf Arndt gesagt -, dem Staat die Aufgabe der gerechten Vergeltung allen Unrechts zuzuschreiben. Soweit der Staat nicht um der Vergeltung, sondern um der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung willen straft, muß er sich um Gerechtigkeit bemühen. Spezial- und Generalprävention, d. h. die Wirkung der Strafe auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft bzw. die Wirkung der Strafe für die Verteidigung der Rechtsordnung und für die Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung, bilden in diesem Rahmen die begrenzten Zwecke menschlicher Strafe. Die Notwendigkeit der Spezialprävention gegenüber einem zur Zeit der Aburteilung vielleicht 80jährigen Täter aus der NS-Zeit ist entfallen. Nur mit einem außerordentlich weit gefaßten Begriff von Generalprävention ließe sich die Notwendigkeit der Strafe nach Ablauf der Verjährungsfrist nach geltendem Recht noch begründen. Der Strafrechtslehrer Professor Schünemann hat es als eine bemerkenswerte Inkonsequenz bezeichnet, daß sich gerade diejenigen, die in ihrem Rechtsdenken eine Affinität zu einem modernen Präventionsstrafrecht bewiesen haben, gleichzeitig für die Aufhebung der Verjährung auszusprechen vermögen. Ich halte es auch für ein Zeichen dieser Inkonsequenz, wenn gleichzeitig von unserer Bundesregierung ein Gesetzentwurf beschlossen wird, nach welchem Straftäter, die zu lebenslanger Haft verurteilt sind, künftig bereits nach 15 Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt werden können, so daß dann ein Täter für einen im Alter von beispielsweise 30 Jahren begangenen Mord noch als 80jähriger belangt werden könnte, während ein anderer, gleichaltriger Täter, dessen gleichzeitig begangener Mord, da die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe auf dem Fuße folgte, schon seit 35 Jahren wieder auf freiem Fuß und resozialisiert sein würde. Mit einer durchgängigen Beachtung des Resozialisierungsgedankens und des Spezial- und Generalpräventionsprinzips hat dies wohl nicht mehr sehr viel zu tun; diese modernen Rechtsprinzipien sprechen auch für eine Beibehaltung der Verjährung für Mord. Wir alle wissen, das Problem der Aufhebung der Mordverjährung wurzelt tief im Grundsätzlichen. Es ist kein rechtspolitisches Problem, um welches es letztlich geht, auch wenn es rechtspolitisch abgehandelt, wenn rechtspolitisch dafür und dagegen argumentiert wird. Herr Kollege Mertes hat die innen- und außenpolitischen Involvierungen dargelegt. Ich möchte dem folgendes Zitat hinzufügen. Es lautet: Manche Mahnung, manche Kritik aus dem Ausland wäre glaubhafter, wenn sie weniger selbstgerecht wäre. So sprach der ehemalige Bundesjustizminister Professor Horst Ehmke in der Verjährungsdebatte des Bundestages am 11. Juni 1969. Man muß nicht auf die tabuisierten, an Deutschen begangenen Vertreibungsverbrechen zurückgreifen, um ohne jede Aufrechnung den Ruf nach der Urteilbarkeit des Rechts und der Unteilbarkeit der Verantwortung für das Leben zu erheben, wie es Süsterhenn bereits 1965 von dieser Stelle aus getan hat. Die Welt ist voll von menschenverachtenden, lebensverachtenden Massenverbrechen, die im Namen von Staaten und von Regierungen heute noch begangen werden. Müssen erst 30 Jahre vergehen, um die Sensibilität der Weltöffentlichkeit auch für diese Untaten zu schärfen? ({0}) Zum Schluß, meine Damen und Herren, nochmals: Unsere Antwort auf das Unrechtssystem ist der strikte Rechtsstaat. ({1}) Begnügen wir uns mit den Antworten, die er und seine Gerichtsbarkeit nach geltendem Recht zu geben vermögen! ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel ({0}).

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Geschichte ist nicht arm an Beispielen für Konflikte zwischen der Macht und dem Recht, zwischen der Gewalt und der ethisch fundierten Norm. Selten indes sind Macht und Recht, Gewalt und Norm, Willkür und Wert so elementar aufeinandergeprallt wie in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In diesen zwölf Jahren hat die Macht, hat willkürliche Macht dem Recht immer wieder Gewalt angetan und es auch pervertiert, jedenfalls das positive Recht, die in die äußeren Formen des Gesetzes und der Verordnung gekleideten Regeln und Vorschriften. Aus diesem Geschehen hat unsere Rechtsordnung seit Gründung der Bundesrepublik vielfältige Folgerungen gezogen. Unser Grundgesetz und zahlreiche andere wichtige Rechtsnormen hätten nicht den Inhalt, den sie heute haben, wenn in unser Recht nicht die geschichtliche Erfahrung jener Schreckenszeit eingegangen wäre. ({0}) Und das ist gut so. Denn Rechtspolitik wird nicht im luftleeren Raum betrieben, Rechtspolitik muß sich auch mit der Geschichte auseinandersetzen. ({1}) Die Diskussion, in der wir heute miteinander beraten und miteinander ringen, gehört in diesen Zusammenhang. ({2}) Auch hier geht es darum, ob ein schrecklicher Machtmißbrauch, nein, der schrecklichste Mißbrauch während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, nämlich die massenhaften Tötungsverbrechen, eine Rechtsänderung, nämlich die Änderung unseres Verjährungsrechts, erforderlich macht. Diese Diskussion hat vor ziemlich genau 20 Jahren, im Jahre 1960, begonnen. Damals verlangte die SPD-Fraktion, die drohende Verjährung der Totschlagsverbrechen abzuwenden. In diesem Zusammenhang, also vor fast zwei Jahrzehnten, tauchte auch bereits die Frage auf, ob nicht die Verjährung der Strafverfolgung von Morden überhaupt aufgehoben werden müsse. Heute sind wir am Ende dieser Diskussion angelangt. Heute müssen wir die Frage, die Adolf Arndt und Ernst Benda 1965 übereinstimmend formulierten und übereinstimmend mit Ja beantworteten, endgültig entscheiden. Die Entscheidungen der Jahre 1965 und 1969, die Verjährungsfristen um viereinhalb und dann noch einmal um zehn Jahre zu verlängern, waren - das hat sich heute herausgestellt - nur Zwischenbescheide, Bescheide, die das Problem vertagten, die es nicht lösten. Wir müssen endgültig auch in dem Sinn antworten, daß uns eine abermalige Korrektur nicht erlaubt sein wird. ({3}) Die Antwort, um die wir heute in Ernst und Verantwortung ringen, muß Ja oder Nein lauten. Eine erneute Verlängerung der Frist läge zwischen Ja und Nein. Sie wird von niemand befürwortet. Zwischen Ja und Nein läge aber auch jede Lösung, die nur einen Teil der Morde von der Verjährung ausnehmen wollte. Solche Vorschläge gibt es. Ich respektiere die Motive solcher Vorschläge; ja, ich danke den Kollegen Maihofer und Erhard dafür, daß sie diese Vorschläge gemacht haben. Sie haben uns dadurch Anlaß gegeben, die ernsten und schwierigen Fragen, die hier zu erwägen sind, noch einmal mit großem Ernst zu bedenken. Ich trete ausdrücklich einzelnen ausländischen - und in dieser Minute muß ich hinzufügen: auch inländischen - Stimmen entgegen, die aus der Haltung. gegenüber der Verjährungsfrage oder gar aus den zur Debatte stehenden Vorschlägen Schlüsse auf die Haltung gegenüber den nationalsozialistischen Verbrechen ziehen wollen. Das ist unzulässig und unbegründet. ({4}) Genauso unzulässig und unbegründet ist es allerdings, auch nur andeutungsweise Parallelen zwischen der Freislerschen Verordnung über die Durchbrechung eingetretener Verjährung und der heute zur Beratung stehenden Vorlage zu ziehen. ({5}) Ich wiederhole es in großem Ernst: Ich respektiere die Motive des Antrags, den Kollege Maihofer schon gestellt hat, und auch die des Antrags, den Kollege Erhard bei den Beratungen des Rechtsausschusses zur Erwägung gegeben hat. Aber ich warne vor der Annahme dieser Anträge. Nach meinem Urteil bedeutet jeder dieser Vorschläge im Ergebnis Sonderrecht. Jeder läuft darauf hinaus, daß Morde unverfolgbar werden, und zwar gerade auch Morde aus der Schreckenszeit. Jeder der beiden Vorschläge löst in jedem einzelnen Strafverfahren eine neue Verjährungsdebatte aus, trägt der Justiz das zur Entscheidung auf, was hier bei Annahme des einen oder anderen Antrags nicht entschieden würde. Jeder dieser Vorschläge bewirkt oder beschwört dort nach Anhörung der Sachverständigen die ernste Gefahr herauf, daß auch schon wegen Mordes Angeklagte, ja, sogar wegen Mordes in erster Instanz Verurteilte außer Verfolgung gesetzt werden müssen. Das in § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches und in Art. 15 des UN-Menschenrechtspaktes normierte rechtsstaatliche Prinzip, demzufolge bei Rechtsänderungen zwischen der Tat und der Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden ist, führt dorthin. Wer, so frage ich, könnte auch nur die ernste Gefahr, daß solche Entscheidungen getroffen werden, den Opfern und ihren Angehörigen wirklich zumuten, zudem noch mit einem Entwurf, der ja - und da besteht Dr. Vogel ({6}) Übereinstimmung - die Aufhebung der Verjährung zum Ziel hat? Dennoch haben diese Vorschläge ihr Gutes. Sie zeigen nämlich, daß auch Kolleginnen und Kollegen, die zunächst die Beibehaltung der Verjährung als ein zwingendes Gebot der Rechtsstaatlichkeit bezeichnet haben, nunmehr Ausnahmen von einem solchen Gebot anerkennen. Damit ist der Gegensatz zwischen diesen Kolleginnen und Kollegen und denen, die wie ich die Verjährung für Mord insgesamt aufheben wollen, kein prinzipieller, kein qualitativer mehr - da stimme ich dem Kollegen Hartmann zu -, sondern nur noch ein gradueller, nämlich ein Meinungsunterschied darüber, wie weit die Ausnahmen von der Verjährbarkeit reichen müssen, um den furchtbaren Erfahrungen unserer jüngeren Geschichte gerecht zu werden. ({7}) Es ist nicht mehr die Frage des Ob, sondern die Frage des Inwieweit. Ich appelliere an diese Kolleginnen und Kollegen und bitte sie, nicht auf halbem Weg stehenzubleiben. Ich bitte sie, die Frage, ob die Verjährung für Mord aufgehoben werden soll, mit Ja zu beantworten und dieser Antwort so zu einer breiten, nicht nur zu einer knappen Mehrheit zu verhelfen. Mord soll, nein, Mord darf in unserer Republik nicht mehr verjähren. Von der Richtigkeit dieses Satzes bin ich jetzt, nach den sorgfältigen Beratungen der letzten Wochen und Monate, tief überzeugt. Folgendes sind meine beiden Gründe. Ich halte erstens dafür, daß jeder Mord, der nach dem 31. Dezember 1979 bekannt wird und dann nicht mehr verfolgt werden kann, den Rechtsfrieden auf das schwerste erschüttern würde, auch dann, wenn der Mörder still nach Deutschland zurückkehrt und selbst über seine Taten schweigt. Der Fall des stellvertretenden KZ-Kommandanten Gustav Wagner, der dem Haftbefehl nach für einen Zeitraum von knapp 18 Monaten, nämlich für die kurze Spanne zwischen dem Frühjahr 1942 und dem Herbst 1943, 150 000fachen Mord im Lager Sobibor zu verantworten haben soll, hat uns erschreckend vor Augen geführt, was es für die Opfer und darüber hinaus für alle menschlich Denkenden bedeutet, wenn ein solcher Mann infolge des Eintritts der Verjährung - und sei es auch nur nach fremdem Recht - nicht mehr verfolgt werden kann und dann seinerseits durch seinen Anwalt sogar noch Schadenersatzansprüche gegen die Bundesrepublik geltend macht! ({8}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte fast beschwörend sagen: Sage doch bitte keiner, ein solcher Fall sei nach unserem Recht nicht denkbar, die Verjährung sei in allen vergleichbaren Fällen unterbrochen! Wer will denn schon im Ernst die Hand dafür ins Feuer legen, daß alle angeblich toten Massenmörder, die nach den Bekundungen in den Akten tot sein sollen, wirklich tot sind? Was dann, so frage ich, wenn der erste dieser „Toten" in seine Heimat zurückkehrt? ({9}) Überhaupt mißtraue ich allen Vorhersagen, daß dieses oder jenes nicht mehr eintreten werde, daß alles bekannt sei, daß alle Fälle bestimmter Verbrechen bereits restlos abgeurteilt seien. Dreimal schon, 1960, 1965 und 1969, haben sich solche Voraussagen durch die amtierenden Justizminister, die sicher subjektiv im besten und ehrlichsten Glauben ausgesprochen wurden, als falsch und durch die Tatsachen überholt erwiesen. Ich halte zum zweiten dafür, daß wir nach den millionenfachen Morden Zeichen aufrichten müssen, Zeichen, die der Furchtbarkeit des Geschehens entsprechen. Wir wissen heute, daß nicht der Himmel, wohl aber die Hölle, von Menschen bereitet, auf Erden möglich ist. Papst Johannes Paul II., der heute schon zitiert wurde, hat vor knapp einem Monat Auschwitz das „Golgatha unserer Zeit", das „Golgatha der Gegenwart" genannt. ({10}) Daran - dies ist meine Überzeugung - kann unser Recht nicht vorübergehen. ({11}) Die Abschaffung der Todesstrafe im Grundgesetz war ein solches Zeichen; übrigens: die völlige Abschaffung der Todesstrafe, nicht nur ihre Abschaffung für den Bereich, in dem sie mißbraucht wurde. Die Aufhebung der Verjährung für Mord würde ein zweites Zeichen sein - auch hier die völlige Aufhebung, nicht nur die Aufhebung für einzelne, genau ausgezirkelte Bereiche des Mordes. Sie würde ein Zeichen für die radikale Absage an das Verwerflichste der Schreckensherrschaft sein, nämlich an das Mörderische, das Lebensvernichtende am Nationalsozialismus, ein Zeichen auch für den Ernst, mit dem wir den ersten Sätzen unseres Grundgesetzes gerecht werden sollen, die unter dem nahen Eindruck der Schreckensherrschaft geschrieben wurden, den Sätzen, die da lauten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." - Auch der Gesetzgebung. Sie würde schließlich auch ein Zeichen für die junge Generation setzen, der wir doch verstärkt nahebringen wollen, was damals an Furchtbarem geschehen ist. Wie eigentlich könnten wir der jungen Generation erklären, daß es sich um Verbrechen handelt, die in unserer Geschichte ihresgleichen suchen, wenn wir gleichzeitig darauf verzichten, solche zur Verantwortung zu ziehen, die diese Verbrechen begangen zu haben im dringenden Verdacht stehen? ({12}) Diese beiden Gründe als Resümee aus einer langen Diskussion wiegen für mich schwerer als alle Dr. Vogel ({13}) Bedenken, vor denen ich die Augen nicht verschließe und die ich durchaus respektiere. Adorno hat nach dem Kriege einmal gesagt, daß nach Auschwitz nie wieder ein Gedicht geschrieben werden könne. Wer schon einmal dort war - viele von uns waren es -, wer dort an der schwarzen Wand gestanden, wer in dem Bunker gewesen ist, in dem Maximilian Kolbe verhungert ist, wer in Birkenau die Rampe gesehen hat, kann diesen Gedanken nachempfinden. Das Leben hat diesen Satz widerlegt. Ein anderer Satz aber ist, so meine ich, auch um unserer eigenen Selbstachtung willen notwendig, der Satz nämlich, daß nach Auschwitz in Deutschland kein Mord mehr verjähren darf. Wir haben doch in der Mehrheit dieses Hauses diesem Satz bis jetzt durch zwei Gesetzesänderungen - 1965 und 1969 - Geltung verschafft, wohl auch aus dem Gefühl, ja, aus dem sicheren Instinkt heraus, daß es anders nicht sein dürfe. Lassen Sie uns diesen Satz heute ausdrücklich und endgültig in unser Recht aufnehmen! Ich komme zum Schluß. In dieser Debatte ist - auch heute - immer wieder und zu Recht Adolf Arndt zitiert worden. Er ist besonders häufig auch von denen zitiert worden, die sich mit ihren Gründen für die Verjährung aussprechen. Ich bitte gerade diese Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zu bedenken, was Adolf Arndt am Ende seiner denkwürdigen Rede von dieser Stelle aus am 10. März 1965 gesagt hat, am Ende der Rede, in der er sich für die Aufhebung der Verjährung für Mord aussprach. Er schloß mit den Worten: Was haben wir zu tun? Wir haben nicht nur daran zu denken, daß der Gerechtigkeit wegen, auf die wir uns berufen, die überführten Mörder abgeurteilt werden sollen, sondern wir haben auch den Opfern Recht zuteil werden zu lassen schon allein durch den richterlichen Ausspruch, daß das ... ein Mord war. Schon dieser Ausspruch ist ein Tropfen, ein winziger Tropfen Gerechtigkeit, der doch zu erwarten ist zur Ehre aller derer, die in unbekannten Massengräbern draußen in der Welt liegen. Und er fuhr fort: Nicht daß wir Jüngstes Gericht spielen wollen; das steht uns nicht zu. Nicht daß es hier eine justitia triumphans - eine triumphierende Justiz gäbe! Es geht darum, eine sehr schwere ... Last und Bürde auf uns zu nehmen. Es geht darum, daß wir dem Gebirge an Schuld und Unheil, das hinter uns liegt, nicht den Rücken kehren, sondern daß wir uns als das zusammenfinden, was wir sein sollen: kleine, demütige Kärrner, Kärrner der Gerechtigkeit, nicht mehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, anderes, geschweige Besseres wüßte ich zum Schluß meiner Darlegungen nicht zu sagen. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich stimme dem Kollegen Dr. Mertes zu, daß es weniger eine rechtliche, weniger eine politische als eine moralische Frage ist, die wir hier heute zu entscheiden haben, daß wir abzuwägen haben zwischen verschiedenen Grundwerten. Im Ergebnis komme ich zu einem anderen Ziel. Niemand in diesem Hause, niemand in diesem Lande würde über die Aufhebung der Verjährung für Mord sprechen, gäbe es die unvorstellbaren Greuel- und Massenmorde aus der Nazizeit nicht. - So sagen es viele, und ehrenwert ist die Überzeugung, aus der heraus so argumentiert wird. - Niemand in diesem Lande und anderswo habe außerhalb der NS-Problematik in überschaubarer Vergangenheit jemals die Aufhebung der Mordverjährung gefordert. - Ehrenwert sind die Motive, aus denen heraus diese rechtspolitische Tatsachenforschung angestellt wurde. - Niemand in diesem Lande empfinde es als unerträglich, wenn ein unentdeckt gebliebener „normaler Mörder" - welch schreckliches Wort! - nach 30 Jahren ungeschoren davonkomme. - Wiederum ehrenwert ist der Eifer, mit dem dies behauptet wird. - Folglich gehe es den Befürwortern der Aufhebung der Mordverjährung allein darum, ungesühnte Nazimorde auch nach Ablauf der 30jährigen Verjährungsfrist noch gerichtlich aburteilen zu können. - Natürlich ist auch solches Schlußfolgern ehrenwert. Meine Damen und Herren, ich aber sage: Mit solcher Argumentation fügt man nicht nur den Befürwortern der Aufhebung der Mordverjährung Unrecht zu, man verengt auch die moralische Dimension der zur Entscheidung anstehenden Frage. In keinem anderen Rechtsbereich sind die Zusammenhänge zwischen Rechtsnormen und moralischen Wertvorstellungen so eng wie im Strafrecht und im Strafverfahrensrecht. Die moralische Wertung eines Rechtsgutes und das moralische Verdikt über den das Rechtsgut verletzenden Täter kommen aber nicht nur im materiellen Straftatbestand und im angedrohten Strafrahmen zum Ausdruck, vielmehr ist die moralische Sensibilisierung des Staates, der ja allein befugt ist, den Strafanspruch der Rechtsgemeinschaft durchzusetzen, daran abzulesen, nach welchen Regeln er den Strafanspruch verwirklicht. Das Legalitätsprinzip z. B., das ebenso wie Mordverjährung in diesem Lande bis auf eine kurze Unterbrechung in unheilvoller Zeit Tradition hat, ist Ausdruck einer solchen hohen moralischen Verantwortung des Staates gegenüber seiner Pflicht zur Strafverfolgung. Ich erwähne dies, weil in den Diskussionen der letzten Wochen bei dem Bemühen, einen Kompromiß in einer Frage zu finden, die nur ein klares Ja oder ein klares Nein ermöglicht, vor diesem Prinzip nicht haltgemacht wurde. Ich warne davor, meine Damen und Herren, Scheinlösungen zu akzeptieren, die unser moralisches und rechtsstaatliGattermann ches Bild nach innen und außen so verwaschen machen, daß unsere in 30 Jahren gewachsene Glaubwürdigkeit daran Schaden nehmen würde. ({0}) In der Tat, auch das Instrument der Mordverjährung hat bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts und darüber hinausgehend Tradition in diesem Lande. Mit den geltenden moralischen Wertvorstellungen war es also durchaus vereinbar, daß auch die mörderische Lebensvernichtung nach Ablauf von ehedem nur 20 Jahren keine gerichtliche Ahndung mehr erfuhr. Was also hat sich verändert, daß dies so fürderhin nicht mehr gelten soll? Hier nun, meine Damen und Herren, ist der Zusammenhang mit den Verbrechen der Nazi-Zeit - ich sage ganz bewußt: seien sie nun gesühnt oder seien sie ungesühnt - nicht nur nicht zu leugnen, sondern sie sind als das zentrale Entscheidungskriterium herauszustellen. Wir, die wir leidvoll haben erfahren müssen, welche Dimension das Verbrechen Mord in der Addition von einzelnen Mordtaten annehmen kann, wenn ein verbrecherischer Staat den Boden bereitet, wir haben besondere Veranlassung, neu zu prüfen, ob der Wert des Rechtsgutes Leben, ob der Unwert der mörderischen Lebensvernichtung noch vereinbar ist mit der Handhabung des Strafverfolgungsanspruchs durch den Staat im Rahmen einer Verjährungsregelung, ob nicht vielmehr der Staat aus seiner Pflicht zur Strafverfolgung erst mit dem biologischen Ende des Täters entlassen werden kann. Es wäre, meine Damen und Herren, so glaube ich, ein Irrweg, sich dieser Fragestellung aus unserer unheilvollen Geschichte dadurch zu entziehen, daß man wegen des unbestreitbaren Unterschiedes zwischen dem Mord im Rechtsstaat und dem Mord im Unrechtsstaat die Frage nur teilweise beantwortet. Vor den lebenden Angehörigen der Opfer des Nazi-Regimes in aller Welt könnten wir vielleicht - ich sage: vielleicht - mit einer solchen Teilantwort bestehen, vor der Geschichte und den nachgeborenen Generationen nach meiner Überzeugung nicht. Der Wert des Rechtsgutes Leben läßt eine zeitliche Differenzierung bei der Pflicht zur Anklageerhebung bei Mord je nach den staatlichen Rahmenbedingungen und der Zahl der Opfer nicht zu. ({1}) Der Satz: „Über einen normalen Mord wächst Gras, über Auschwitz nicht" mag historisch richtig sein, moralisch und rechtspolitisch ist er nach meiner Überzeugung ohne Aussagekraft für eine differenzierte Lösung. ({2}) Eine Verschiebung moralischer Beurteilungskriterien ist in der Rechtsgeschichte ja nicht gerade etwas Neues, wie daraus abgeleitete Folgerungen für materielles und formelles Strafrecht nichts Ungewöhnliches sind. Solche Rechtsänderungen auf Grund veränderter Wertvorstellungen stehen am Ende evolutionärer gesellschaftlicher Prozesse, sie können aber auch am Ende kurzer, verdichteter, mit schmerzhaften Erfahrungen verbundener Zeitläufe stehen. Lassen Sie mich für die erste Alternative auf ein Beispiel verweisen, das in der umgekehrten Richtung liberalisierende Wertverschiebungen belegt. Die gemeinrechtliche Wissenschaft des 16. Jahrhunderts, die auf der Grundlage des römischen Rechts noch von prinzipieller Verjährbarkeit von Straftaten ausging, wollte den Ehebruch als Straftatbestand, weil besonders verwerflich, unverjährbar stellen. Heute ist dieser Straftatbestand entfallen. In der gesellschaftlichen Wertung ist die moralische Verurteilung in weiten Bevölkerungskreisen auf die Verletzung eines zwischen zwei Partnern wirkenden Treuegelöbnisses reduziert. Meine Damen und Herren, für die zweite von mir genannte Alternative ist der Beleg sehr einfach. Unsere Verfassung, insbesondere die Grundrechte unserer Verfassung, und eine Vielzahl von Einzelgesetzen sind von Grundwerten geprägt, deren Vorhandensein, mindestens aber ihre stringente Akzeptierung aus dem zwölfjährigen Erleben des Unrechtsstaates erwachsen sind. Warum aber werden die Konsequenzen in der Mordverjährungsfrage erst 34 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft gezogen? Warum hat der Deutsche Bundestag in den 50er Jahren bei der Durchforstung der Gesetze nach nazistischem Gedankengut und bei der Überprüfung aller Vorschriften auf Grund der Erfahrungen der Nazi-Zeit keine Veranlassung gesehen, die traditionelle Mordverjährungsregelung zu ändern? Warum hat der Deutsche Bundestag 1965 und 1969, jeweils gezielt auf die Frage der Verfolgung von NS-Morden, Kompromißregelungen getroffen? Warum hat der von mir so hochgeschätzte Thomas Dehler, beharrend auf geltendem Verjährungsrecht aus tiefster Überzeugung, den unbeugsamen Willen zum Recht als Mittel zur Bewältigung der Vergangenheit angeboten? Meine Damen und Herren, ich bin weit davon entfernt, hier irgend jemandem irgendeinen Vorwurf zu machen, wie ich meinen vollen Respekt den Kolleginnen und den Kollegen zum Ausdruck bringen will, die auch heute noch an der traditionellen Mordverjährung festhalten wollen. Dennoch aber muß der Versuch unternommen werden, auf die gestellte Frage eine Antwort zu geben. Bei dieser Antwort kann es sich allerdings nur um den Ausdruck einer subjektiven Überzeugung handeln, weil die Antwort nur zum geringsten Teil auf der Beurteilung feststellbarer Fakten, im wesentlichen aber auf der Beurteilung innerer Vorgänge beruht. Das schreckliche Miterleben des Nazi-Regimes und des zweiten Weltkrieges, die Betroffenheit aus der Erkenntnis des ganzen Ausmaßes der Verbrechen, die selbstquälerischen Fragen, was man selbst getan oder unterlassen hat, um das Schreckliche zu fördern, haben viele der Männer geprägt, die diesen freiheitlichen Rechtsstaat auf deutschem Boden geschaffen haben. Anfangs fehlte ihnen auf Grund eingeschränkter Souveränität das Recht und damit aber auch die Verpflichtung zur strafrechtlichen Aufarbeitung jener Verbrechen, für deren Art und Ausmaß es in der Geschichte keine Vorbilder gab. Und es fehlte ihnen der zeitliche Abstand, um emotionsfrei alle Grundwerte und ihre instrumentale Handhabung in der Praxis zu überprüfen. Deshalb ist mir der leidenschaftliche Appell Thomas Dehlers zum unbeugsamen Festhalten am Recht, hier bezogen auf ein 150 Jahre altes Rechtsinstrument, völlig verständlich, was mich, meine Damen und Herren, der ich damals Kind war, allerdings nicht von der Verpflichtung freistellt, mit dem nunmehr gegebenen zeitlichen Abstand diese damalige Wertung nachzuvollziehen und das damalige Ergebnis zu verwerfen. Dabei ist ein entscheidender Gesichtspunkt, daß wir heute, anders als damals, nach gefestigter Rechtsprechung und wissenschaftlicher Erkenntnis wissen, daß es sich nicht um ein Problem des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 des Grundgesetzes handelt. Wenn die vorliegende Gesetzesinitiative zum Tragen kommt, wenn für jeden Mörder von damals, von heute und von morgen klar ist, daß die Ahndung seiner Mordtat in diesem Lande unabwendbar ist, wie lange er auch immer unentdeckt geblieben sein mag, dann gehe niemand aus diesem Raum in der Überzeugung, er habe nun alles getan, was zur Aufarbeitung der Erfahrungen und der Verbrechen der Nazizeit getan werden muß. ({3}) Meine Damen und Herren, es bleibt doch dabei, daß auf Grund der fehlenden Souveränität von damals und der Gnadenpraxis der Siegermächte Täter schlimmsten Kalibers mit lächerlichen Strafen davongekommen sind und heute unter uns leben. Es bleibt doch dabei, daß scheußlichste Verbrechen aller Art verjährt sind, wenn das Opfer nur überlebt hat oder die Tötungshandlung als Totschlag zu klassifizieren ist. Es bleibt dabei, daß Schreibtischtäter so gut wie überhaupt nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können, und es ist wohl auch richtig, daß nur noch sehr wenige bisher unentdeckt gebliebene Mörder bis hin zur Verurteilung vor Gericht gestellt werden können. Meine Damen und Herren, deshalb ist für mich der Vorwurf, den Initiatoren des vorliegenden Gesetzentwurfs gehe es nur darum, einige wenige Nazimörder noch zur Verantwortung zu ziehen, um sich vor der Welt ein Alibi zu verschaffen, so kränkend; denn ich scheue mich nicht, zu sagen, daß ich neben der Scham über das, was im deutschen Namen Schreckliches geschehen ist, auch mit der Tatsache fertig werden muß, daß uns die Möglichkeiten, die Kraft und die Einsicht nach dem Ende der Schreckensherrschaft gefehlt haben, das Geschehene angemessen und schnell strafrechtlich aufzuarbeiten. Es bleibt für jeden von uns die unerfüllte und als Daueraufgabe in die Zukunft wirkende Aufgabe der geistigen und politischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus mit dem Ziel, das unverwechselbare Bild jedes einzelnen Menschen, insbesondere - im Zusammenhang unserer Debatte - seine körperliche Integrität, im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen zu bewahren gegen nationalistische Hybris, gegen ideologische und rassistische Heilslehren, aber auch gegen unmenschliche bürokratische Verplanung. Meine Damen und Herren, nichts ist mehr gefährdet - und das gilt zeitlos - als der Mensch, seine Würde, seine Freiheit und sein Leben. Es geht also in der Tat wirklich um die rechtspolitische Frage, ob für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Mord in diesem Lande verjährbar oder unverjährbar sein soll. Ich meine, daß als Lehre aus den Erfahrungen mit dem menschenverachtenden Unrechtsstaat in diesem Lande Mord unverjährbar sein soll. Ich meine, wir verwirklichen damit ein Stück rechtsstaatliche Glaubwürdigkeit. Meine Damen und Herren, diese moralischen Überlegungen - wenn Sie so wollen - sind für meine Fraktionsfreunde und mich, die wir den vorliegenden Gesetzentwurf unterstützen, die die Entscheidung tragenden Gründe. Dahinter treten die vielen mehr oder minder wichtigen Argumente und Zweckmäßigkeitserwägungen zurück, die hier in der ersten Lesung ausgetauscht worden sind; denn für jedes dieser Argumente gibt es ein ebenso überzeugendes Gegenargument. Da ist die allgemeine Beweisnot, der die verbesserte Kriminaltechnik der Spurensicherung und ihrer Konservierung entgegenzuhalten ist. Da ist die besondere Zeugenbeweisnot, die dann wohl auch bei Gerichtsverfahren nach Ablauf von 30 Jahren und vorheriger Verjährungsunterbrechung gilt. Da ist die Qual der Zeugen, Schreckliches aus der Erinnerung wiederbeleben zu müssen, was mit der Überlegung zu beantworten ist, daß diese Not des Opferzeugen zu jedem Prozeßzeitpunkt besteht. Da ist die beschworene Gefahr von Fehlurteilen, der die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung entgegenzusetzen ist. Es wird die Überforderung der Richter angeführt, obwohl die Richter doch wohl zu jedem Prozeßzeitpunkt ein ungewöhnlich schweres und verantwortungsvolles Amt übernommen haben. Da wird auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag hingewiesen, die nicht zu leugnen sind, die bisher aber nicht gehindert haben, die Verjährungsfristen für Mord und Totschlag um 100 %, nämlich 15 und 30 Jahre, divergieren zu lassen. Da wird der Rechtsfrieden bemüht, was sich die Frage gefallen lassen muß, wessen Rechtsfrieden hier gemeint ist, der der Täter, der der Opfer und ihrer Angehörigen oder der der Unbeteiligten. ({4}) Da ist von der mangelnden Resozialisierungsbedürftigkeit die Rede, was als Argument mit der obligatorischen lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord wohl nicht zu vereinbaren ist. Kurz: Auf dieser Argumentationsebene gibt es gute Gründe für die Beibehaltung der Mordverjährung, wie es gute Gründe für deren Abschaffung gibt. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen zum Schluß sagen, warum ein Liberaler so wie meine Freunde und ich entscheidet, bei dem doch das Schuldstrafrecht, die Resozialisierung des Täters im Vordergrund strafrechtlicher Überlegungen steht. Die Antwort, so glauben wir, ist sehr einfach: Subjektive Schuld dieser Dimension wird durch bloßen Zeitablauf nicht kompensiert. ({5}) Und Fragen der Resozialisierung gehören primär in' die Zeit nach der Urteilsverkündung, sie gehören im Rahmen der Strafzumessung auch in das Gerichtsverfahren. Sie entscheiden aber, bitte schön, nicht über die Frage, ob Anklage erhoben werden soll oder nicht. ({6}) Im übrigen: Ein Staat, der im Rahmen des Legalitätsprinzips jeden entdeckten Mörder zu jeder Zeit vor Gericht stellt, muß und soll deshalb der Gnade nicht entraten. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertritt in der Frage der Verjährbarkeit von Mord keine einheitliche Meinung. Dies ist gut so. In dieser rechtspolitischen Frage, die, von unserer Vergangenheit überschattet, eine Regelung in der Gegenwart auch für die Zukunft erfordert, kann es in einer Volkspartei und in einer großen Fraktion keine Einheitsmeinung geben. Es kann eine Einheitsmeinung produziert werden, wenn die Gewissensfreiheit einzelner niedergewalzt würde oder wenn man um einer Scheineinigkeit willen einen möglicherweise dann zweifelhaften Kompromiß suchen würde. Die Negierung der Gewissensfreiheit des einzelnen würde unserer Demokratie schaden. Die Schaffung eines Kompromisses um jeden Preis könnte der Sache schaden, die zu grundsätzlich ist, als daß sie zu einem Handelsobjekt denaturiert werden darf. ({0}) Ich danke meiner Fraktionsführung, daß sie nie einen Zweifel daran gelassen hat, daß in dieser Angelegenheit jeder Abgeordnete so stimmen sollte, wie er allein es für richtig hält. ({1}) Diese Toleranz und Liberalität stehen in der Tradition der Entscheidungen der Jahre 1965 und 1969. Sie erfordern Respekt, wie ich selbst respektiere, daß eine Mehrheit in meiner Fraktion für die Beibehaltung der Verjährung eintritt. Ich spreche allerdings für die Minderheit meiner Fraktion, die für die generelle Aufhebung der Mordverjährung eintritt. Diese Gruppe hat als erste eine parlamentarische Initiative zur Aufhebung der Mordverjährung ergriffen. Sie legt Wert auf ihre Eigenständigkeit, auch wenn sie heute aus verfahrensrechtlichen Gründen einem Gesetzentwurf aus den Reihen der Koalition zustimmen muß. Der Deutsche Bundestag entscheidet wieder einmal über die Verjährbarkeit von Mordverbrechen. Wieder einmal stehen wir am Ende einer Debatte, die bisher in Abständen von vier bis zehn Jahren immer wieder in dieses Haus stand, jeweils die gleiche Debatte mit den gleichen Argumenten, mit dem gleichen öffentlichen Interesse und mit den gleichen Leidenschaften. Kaum eine andere Frage hat unsere 30jährige Republik so oft und so intensiv beschäftigt und die Gefühle vieler Menschen so tief aufgewühlt. Nur mit wenigen Fragen taten wir uns so unendlich schwer wie mit dieser Verjährungsfrage. Dabei stehen Anlaß und Wirkung in einem offenkundigen Mißverhältnis. So werden, wie wir wissen, bei einer Aufhebung der Verjährung nur relativ wenige Personen unmittelbar betroffen werden. Wer hätte kein Verständnis für das Argument, diese Frage müsse einmal endgültig geregelt bleiben? Wer versagt denen den Respekt, die Mordverjährung nicht alle paar Jahre neu und anders normieren wollen? Und doch zeigt das Wiederauftauchen dieses Themas immer und immer wieder, was nur mit einiger Beklommenheit hier festgestellt werden kann: In der Frage der Verjährbarkeit von Mord hat der Deutsche Bundestag bisher keine dauerhafte, keine allen Anfechtungen standhaltende Antwort geben können. Nur darum muß uns diese Frage immer wieder einholen. Ich füge hinzu: Auch die Entscheidung des Jahres 1979 wird uns nicht ruhen lassen, wenn wir nicht endlich die Verjährbarkeit von Mord generell aufheben. ({2}) Wir werden erst loskommen - dies sage ich gerade auch denjenigen, die den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit in den Vordergrund stellen -, wenn Mord in diesem Lande nicht verjähren wird. Bisher litt der Deutsche Bundestag unter der Last seiner Verantwortung, weil rechtspolitische Motive allgemeinpolitischen und außenpolitischen sowie moralischen Kategorien entgegenzustehen scheinen. Gleichwohl haben bisher immer juristische Erwägungen den Ausschlag für die Bestätigung der Verjährung gegeben. Auch heute können Begriffe und Werte wie Rechtstradition, Rechtsfrieden Rechtssicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, Gerster ({3}) aber auch die Verläßlichkeit des Gesetzgebers als Argumente gegen die Verjährungsaufhebung geltend gemacht werden, und ich füge hinzu: mit bestem Gewissen und durchaus ehrenwert. Aber, meine Damen und Herren, wollte man 1965 und 1969 die Verjährung von Mord wirklich mit der letzten Konsequenz bestätigen? Mit der Folge, daß dann nach Ablauf der neuen, verlängerten Frist NS-Mörder frei und unangreifbar herumlaufen sollten? Glaubte man nicht vielmehr, die jeweilige Fristenverlängerung werde ausreichen, um auch noch den letzten noch lebenden NS-Mörder entdekken und verfolgen zu können? ({4}) Rechtspolitisch waren die Entscheidungen der Jahre 1965 und 1969 eine Bestätigung des Rechtsinstitutes der Verjährung. Faktisch wurden diese Entscheidungen jedoch als zeitlich begrenzte Verjährungsaufhebungen verstanden und auch so gewollt. Auch heute kann niemand ausschließen -das haben gerade die Beratungen im Rechtsausschuß belegt -, daß bisher unbekannte Mörder noch auftauchen werden. Im Gegenteil! Dies führt heute daher zu der Erkenntnis, daß die Fristverlängerungen von 1964 und 1969 ihr eigentliches Ziel verfehlt haben. Daher, meine ich, müßten diejenigen, die damals für eine Fristverlängerung stimmten, auch heute im Prinzip wieder so votieren. Da wir uns aber eine neuerliche Verlängerung der Verjährungsfrist - der Gedanke erscheint kaum aussprechbar zu sein - etwa auf 40 oder 50 Jahre wirklich nicht mehr leisten können, bleibt für diese Kollegen nach meiner Auffassung konsequenterweise nur die Aufhebung der Verjährung. Damit stünden sie zugleich in der Kontinuität etwa des Gruppenantrages von Ernst Benda aus dem Jahre 1965 und dem Regierungsentwurf der Großen Koalition aus dem Jahre 1969, die beide dem Ziel dienen sollten, die Verjährung für Mord generell und grundsätzlich aufzuheben. Die Frage, wie viele Strafverfahren nach 1979 dann auf uns zukämen, ist dagegen wenig überzeugend. Das Rechtsgefühl vieler Bürger unseres Landes müßte nach meiner festen Überzeugung Schaden nehmen, wenn einerseits junge Menschen wegen jugendlicher Straftaten sitzen müssen, aber nur ein Massenmörder - wäre die Tat auch noch so weit zurück - nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könnte. ({5}) Ich meine, wegen eines einzigen Massenmörders müßten wir die Verjährung aufheben. Es geht, meine Damen und Herren, aber nicht nur um eine rechtspolitische Entscheidung, es geht um mehr. In der Verjährungsfrage wird der Deutsche Bundestag, ob uns dies paßt oder nicht, in eine Mitentscheidung und Mithaftung für unsere Geschichte gedrängt. ({6}) Deutschland hat den Naziterror mit der Zerstörung, mit der Teilung, auch mit Verbrechen gegen Deutsche bei der Vertreibung und mit der Unfreiheit im Osten unseres Vaterlandes bezahlt. Der Westen ist in die Gemeinschaft der freien Welt aufgenommen. Es besteht kein Zweifel, daß hierzulande alles Mögliche unternommen wurde, um alle NS-Mörder zu entdecken und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und dennoch wird ein erneuter Beweis für die Dauerhaftigkeit unserer Grundwertentscheidungen, für die Abkehr vom Unrecht und für eine weitere Selbstanklage verlangt, indem NS-Mörder unnachsichtig weiter verfolgt werden sollen. Ich gestehe offen, mich persönlich stört es ganz erheblich, daß an uns strengere Maßstäbe angelegt werden als an andere Staaten, in denen nach 1945 im Namen des Unrechts gemordet wurde und auch heute noch gemordet wird. Vergeben und Vergessen wird ihnen offenbar freigiebiger gewährt als uns Deutschen im Westen. ({7}) Dazu stelle ich fest: Wer Mord aus politischen Gründen, so z. B. heute im Iran oder in Vietnam, nicht anprangert, hat das moralische Recht verwirkt, von uns die Aufhebung der Verjährung zu verlangen. ({8}) Und doch: Sollen wir, nur weil das Ausland Druck auf uns ausübt, dem Druck der eigenen Überzeugung nicht nachgeben? Nicht weil, sondern obwohl die Welt Gefahr läuft, Unrecht mit vielerlei Maß zu messen, sollten wir durch unsere Entscheidung heute erneut dokumentieren: Mord im deutschen Namen wird es nie wieder geben, und er wird daher auch 35 Jahre nach Kriegsende unnachsichtig geahndet. Rigorosität mit uns selbst stärkt aber auch unser Recht, Mord heute und überall an den Pranger zu stellen. Sie legitimiert uns, auch Verbrechen an Deutschen - heute an der innerdeutschen Grenze, früher bei der Vertreibung - als Verbrechen zu bezeichnen und dadurch einer falschen und einseitigen Geschichtsschreibung entgegenzuwirken. ({9}) Meine Damen, meine Herren, letztlich können aber weder rechtspolitische noch außenpolitische Erwägungen bei der Verjährungsentscheidung den Ausschlag geben. Es geht um eine Grundentscheidung, und zwar nicht um eine losgelöste Entscheidung über die Vergangenheit, sondern notwendigerweise auch um eine Entscheidung für heute und für die Zukunft. Die Väter unserer Verfassung haben nach den bitteren Erfahrungen mit dem NS-Terror die Würde des Menschen an den Anfang unseres Grundrechtskataloges, an den Anfang unseres Grundgesetzes gestellt. Der Schutz des menschlichen Lebens genießt Vorrang, wenn man von wenigen gesetzlichen Ausnahmen wie etwa der Notwehr einmal absieht. Gerster ({10}) Die Tötung eines Menschen unter den besonders verwerflichen Umständen des Mordes ist das schwerste Verbrechen, das unsere Rechtsordnung kennt. Dennoch hat der Staat aus humanitären Gründen die Todesstrafe abgeschafft, und dies bejahe ich. Selbst lebenslängliche Freiheitsstrafe bedeutet nicht mehr unbedingt „lebenslänglich". Die Schutzfunktion der Strafandrohung für Mord ist damit stark gemindert. Sie wird zusätzlich relativiert, wenn der Mörder durch Fristablauf der Verantwortlichkeit gegenüber Staat und Gesellschaft ganz entzogen wird. ({11}) Mord bleibt Mord, so wie des gemordeten Ehegatten Witwe Hinterbliebene und sein Kind Halbwaise bleiben. Die Tat als die persönliche, auch moralisch vorwerfbare Schuld bleibt mit dem Täter verhaftet; er kann sich ihrer nicht entledigen. Wir sollten jedem, der menschliches Leben in derart schändlicher Weise zerstören will, zu erkennen geben, daß er sich nach einer solchen Tat sein ganzes Leben lange nicht der Verantwortung und Strafverfolgung entziehen kann. ({12}) Die Prävention ist heute leider notwendiger als 1949. Mord und grausamste Hinrichtungen nehmen weltweit zu. Sie werden politisch begründet und gerechtfertigt. Was noch 1965 und 1969 niemand für möglich hielt, ist inzwischen bittere Wahrheit geworden. Auch in unserem Lande wurde unter Vorgabe politischer Beweggründe seit 1970 wieder gemordet. ({13}) Das geschah zwar nur von einer kleinen Bande irregeleiteter Narren, aber immerhin begleitet von dem Versuch einer größeren Zahl von Personen, diesen Taten einen rechtfertigenden Anstrich zu geben. Name und Person von Hanns Martin Schleyer stehen hier für zahlreiche Opfer eines neuen politischen Fanatismus auch in Deutschland. ({14}) Mord nicht verjähren zu lassen, ist daher für mich - ich sage dies in aller Deutlichkeit - weniger ein Akt der Vergangenheitsbewältigung als ein Signal für die Gegenwart und die Zukunft. ({15}) Es wird deutlich gemacht, daß Mord keinerlei Berechtigung haben kann. Mörder haben dafür ein Leben lang geradezustehen und können frühestens, wenn ihr Schuld in einem Gerichtsverfahren erkannt ist, mit Gnade rechnen. Diese Grundentscheidung verträgt keine Ausweichmanöver. Sie ist ein moralischer Akt, ein erneutes Bekenntnis für das Lebensrecht jedes einzelnen Menschen. Daher verbietet sich auch ein Sonderrecht für NS-Verbrecher. Weder ein privilegierendes noch ein verschärfendes Sonderrecht wäre nach meiner Überzeugung zu rechtfertigen. Maßgeblich für die strafrechtliche Verantwortlichkeit war und ist die persönliche Schuld des Täters. Dies kann bei NS-Mördern geringer als bei einem Mord in einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft sein; sie kann natürlich auch größer sein. Jede generelle Unterscheidung der Schuld, je nach Zeitablauf oder Staatsverfassung, wäre dagegen willkürlich und berührte damit die Grenzen des Rechtsstaates. Daher 'verbietet sich nach meiner Auffassung und nach meinem Verständnis eine Differenzierung der Verjährung von Mordtaten je nach Zeitepochen oder Mordfallgruppen. Den Vorschlag der Kollegen Maihofer und Helmrich werte ich als einen Versuch des Ausgleichs zwischen unterschiedlichen Meinungen. Dieser Versuch löst aber in keinem Fall die anstehende Problematik. ({16}) Nicht Fraktionen, sondern jeder einzelne Abgeordnete entscheidet heute über die Nichtverjährbarkeit von Mord. ({17}) Diese Frage ist für viele eine Gewissensentscheidung, die keinen politischen Kompromiß verträgt. So wurde dies auch in den Jahren 1965 und 1969 gesehen und akzeptiert. Daher mißtraue ich allen, die in dieser Frage und in ihrer Fraktion auf eine einstimmige Entscheidung drängen. ({18}) Ich beanstande auch Ort und Art, in der der Kollege Wehner diese Debatte in der Öffentlichkeit eröffnet hat. Wer eine Israel-Reise zu einer Verjährungsdebatte mißbraucht, belastet unsere Diskussion und die Entscheidung des einzelnen auf das schwerste. Ich befürchte, daß dies sogar gewollt war. So blicke ich heute gespannt auf die Fraktion der SPD, um eine von ihrem Vorsitzenden abweichende Auffassung hier und heute an dieser Stelle zu vernehmen. ({19}) Ich glaube, daß die Öffentlichkeit auch von der SPD Pluralität und Freiheit des einzelnen erwarten darf. Jedenfalls ist dieses Thema für interne und äußere Machtproben völlig ungeeignet. ({20}) Die heutige Entscheidung ist - ganz gleich, wie sie ausfällt - politisch, juristisch, moralisch tragbar. Hier danke ich dem Herrn Botschafter des Staates Israel, dem ich bei einer entgegengesetzten Äußerung öffentlich widersprochen habe, und bei dem ich dennoch auf ein großherziges und freundschaftliches Verständnis gestoßen bin. ({21}) Jede Entscheidung, die heute im frei gewählten deutschen Parlament fällt, muß für die Menschen in unserem Lande, aber auch draußen in der Welt annehmbar sein. Eine Einschränkung der freien Gerster ({22}) Entscheidung des einzelnen gibt es nicht und darf es nicht geben. Mit dem Herrn Botschafter des Staates Israel bin ich in der Sache allerdings einer Meinung: Wir sollten uns alle einen Ruck geben und die Mordverjährung nach vielen Vorläufen endlich aufheben: ohne inneren Groll, ohne Wenn und Aber. Wir sollten aber auch jede andere Entscheidung hinnehmen. Entscheidend ist, daß wir diese Entscheidung mit Würde treffen, um sie dann gemeinsam zu tragen und zu verteidigen. ({23}) Nicht das in dieser Frage Trennende, sondern das uns im Streben nach Recht und Freiheit Einende muß dieser Entscheidung heute seinen prägenden Stempel aufdrücken. ({24})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001414, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ende dieses Jahres läuft die in der letzten Verjährungsentscheidung 1969 verlängerte 30-Jahres-Frist für Mordtaten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - so wie zuvor bereits die für alle anderen NS-Verbrechen aus. Der heute zur zweiten Lesung anstehende Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes will den Eintritt auch der Mordverjährung für NS-Verbrechen dadurch verhindern, daß er die Mordverjährung überhaupt aufhebt. Auch wenn ich mit dem Ziel dieses Entwurfs übereinstimme, die durch Mord begangenen NS-Verbrechen nicht verjähren zu lassen, so halte ich - auch und gerade nach den zwischenzeitlichen Beratungen im Rechtsausschuß des Bundestages - den hier vorgeschlagenen Weg nach wie vor für verfehlt. Denn auf diesem Weg gelangen wir, wie ich meine, weder zu einer sachangemessenen und verhältnismäßigen noch zu einer dauerhaften Regelung der Verjährungsfrage. Aus dieser, durch die Beratungen eher noch gestärkten Überzeugung heraus haben Herr Kollege Heimrich und ich schon im Rechtsausschuß einen Änderungsantrag eingebracht, den wir mit Unterstützung weiterer Mitglieder des Bundestages hier mit zur Entscheidung stellen. Er geht dahin, das Ziel: die Unverjährbarkeit der Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, nicht durch eine pauschale Aufhebung der Mordverjährung zu erreichen, sondern auf dem Weg einer differenzierten Aufhebung der Mordverjährung für die Verbrechen des Mordes, welche die völkerstrafrechtlichen Voraussetzungen des Völkermordes oder der Kriegsverbrechen erfüllen. Die entscheidenden Gründe, die uns zu diesem Änderungsantrag bewegen, will ich in. den folgenden vier Punkten zusammenfassen. Erstens. Die Antragsteller sind der Überzeugung, daß man zu einer sachangemessenen Regelung der Verjährungsfrage für nationalsozialistische Gewaltverbrechen nur gelangen kann, wenn man von dem bereits in unserem geltenden Recht verankerten grundsätzlichen Wertunterschied zwischen Mord auf der einen und Völkermord und Kriegsverbrechen auf der anderen Seite ausgeht. Schon der Bericht des Strafrechtssonderausschusses des Bundestages zur Strafrechtsreform 1975 sieht diesen Grundunterschied darin, daß es sich beim Völkermord - im Unterschied zum Mord, der grundsätzlich ein Verbrechen von einzelnen gegen einzelne ist -, aber auch bei Kriegsverbrechen um Staatsverbrechen handelt, die in Ausführung oder doch in Ausnutzung staatlicher Befehle begangen werden. Auch hier muß dem einzelnen Täter - das muß klar festgehalten werden - seine persönliche Schuld nachgewiesen werden, die er durch seine Mitwirkung an solchen Staatsverbrechen auf sich geladen hat. Auch hier muß Strafe - auch das gilt es klarzustellen - als Sühne für Schuld begründet und gerechtfertigt werden. Aber anders als bei dem Einzelverbrechen des Mordes ist die Strafe bei einem solchen Staatsverbrechen wie dem Völkermord nicht mehr nur die Sache des einzelnen Staats, sondern eine Angelegenheit der Völkergemeinschaft. Das ist der Grund dafür, daß gemeine Mordverbrechen nach wie vor eine Sache innerstaatlichen Rechts, völkerstrafrechtliche Verbrechen dagegen ein Gegenstand völkerrechtlicher Vereinbarungen wie der UNO-Konvention gegen Völkermord von 1948 oder der Genfer Konventionen gegen Kriegsverbrechen von 1949 sind, ({0}) denen auch die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist und die heute in Kraft befindliches, geltendes Recht unseres Landes sind. Diese internationalen Konventionen haben den Zweck - auch das gilt es eingangs klarzustellen -, allen Mitgliedstaaten die Verpflichtung aufzuerlegen, stellvertretend für die Völkergemeinschaft bestimmte völkerstrafrechtliche Verbrechen auch und gerade dann zu ahnden, wenn sie als Staatsverbrechen begangen wurden und deshalb in der Zeit der Herrschaft eines Unrechtsstaates ungeahndet blieben und unverfolgbar waren. Zweck der Bestrafung solcher Staatsverbrechen ist so - anders als bei den gemeinen Mordverbrechen - neben der in beiden Fällen gewichtigen Sühne für Schuld - die internationale Prävention, die mit solchem Völkerstrafrecht - so unvollkommen das heute auch noch geschehen mag - geübt werden soll. Dagegen wird die sogenannte Resozialisierung des Täters, seine Wiedereingliederung also in die Rechtsgemeinschaft, die selbst bei der Mordbestrafung nach einer vom Bundesverfassungsgericht bekräftigten Wertüberzeugung der leitende Gesichtspunkt sein soll, bei den Tätern solcher Staatsverbrechen mit dem Zusammenbruch des Unrechtsstaates selbst gegenstandslos, wie die Erfahrungen mit den NS-Tätern ausnahmslos zeigen, bei denen sich Resozialisierungsprobleme niemals gestellt haben. Wenn Sie diesen Grundunterschied der Strafzwecke übersehen und damit den Grundunterschied dieser beiden Verbrechensbereiche überhaupt außer acht lassen, kommen Sie meiner Meinung nach mit einer Verjährungsregelung für NS-Verbrechen von vornherein auf einen falschen Weg. ({1}) - Darüber werden wir gleich noch reden. Aber nicht nur im Strafzweck liegt, wie ich meine, ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Mord auf der einen und solchen Staatsverbrechen wie Völkermord und Kriegsverbrechen auf der anderen Seite. Auch bei der Strafverfolgung solcher Staatsverbrechen ergeben sich grundsätzliche Schwierigkeiten, die mit dem Einzelverbrechen des Mordes unvergleichbar sind, dadurch nämlich, daß die Ahndung dieser vom jeweiligen Staat selbst befohlenen oder doch gedeckten Verbrechen regelmäßig erst mit seinem Zusammenbruch möglich wird. Das ist eine völlig unvergleichbare Ausgangslage, schon allein was den Zeitablauf und damit Beweisverlust bei der Ahndung solcher Staatsverbrechen anlangt. Eben dies ist der Grund für die in der Völkergemeinschaft sich abzeichnende Entwicklung, die Verfolgung solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit - oder wie man noch schärfer sagen kann: die Menschheit - dadurch von der Dauer eines kriminellen Regimes unabhängig zu machen, daß man sie grundsätzlich für unverjährbar erklärt. Diese Entwicklungen des Völkerrechts haben zuletzt in der Europäischen Konvention über die Nichtverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen von 1974 ihren Niederschlag gefunden, die inzwischen von Frankreich und den Niederlanden unterzeichnet worden ist und zu deren Ratifikation die Mitgliedstaaten durch die den heutigen Beratungen mit zugrundeliegende Entschließung des Europäischen Parlaments vom Februar dieses Jahres erneut aufgefordert worden sind. Diese Europaratskonvention fordert von den Mitgliedstaaten nicht etwa die generelle Aufhebung der Mordverjährung, sondern die Nichtverjährbarerklärung bestimmter Völkermordverbrechen und Kriegsverbrechen und deren Anwendung auf früher begangene Taten, soweit diese noch nicht verjährt sind. Sie fordert somit eben das - nicht mehr, aber auch nicht weniger -, was wir mit einer differenzierten Verjährungsregelung für die anstehende Lösung der Verjährungsfrage bei NS-Verbrechen vorschlagen. Dies würde für unser deutsches Recht zu den gleichen Differenzierungen in der Verjährungsfrage führen, wei sie auch in anderen Ländern gelten, die eine zeitliche Mordverjährung kennen, wie etwa in Frankreich mit 10 Jahren, in Holland mit 18 Jahren, die demgegenüber beide die Verjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen durch Gesetz von 1964 - in Frankreich; seinerzeit noch von de Gaulle unterzeichnet - und von 1971 - in Holland - ausdrücklich aufgehoben haben. ({2}) - Dies - das habe ich schon in der letzten Verjährungsdebatte gesagt - steht auf einem völlig anderen Blatt. Es dreht sich hier zunächst allein darum, auf welchem Weg, dem einer Differenzierung oder Nichtdifferenzierung, man zur Nichtverjährung der' Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelangen will. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat eben diesen doppelspurigen Weg schon in ihrer Verjährungsentscheidung 1969 mit dem Neunten Strafrechtsänderungsgesetz beschritten, indem sie auf der einen Seite zwar die Mordverjährung um 10 Jahre auf 30 Jahre heraufgesetzt, auf der anderen Seite aber zugleich als einzigen Strafbestand unseres Rechts den völkerrechtlichen Tatbestand des Völkermords für unverjährbar erklärt hat. Es ist so überall ein und dieselbe differenzierende Verjährungsregelung, die wir hier vorfinden, angefangen von der Europaratskonvention bis zur Verjährungsregelung unserer Nachbarstaaten, die ich soeben angeführt habe. Der Vorschlag auf Aufhebung der Mordverjährung überhaupt will diesen in unserem geltenden Recht enthaltenen und inzwischen auch in anderen Rechten zu findenden Grundunterschied der Verjährung innerstaatlicher Verbrechen auf der einen Seite und der Nichtverjährbarkeit völkerstrafrechtlicher Verbrechen auf der anderen Seite nachträglich wieder aufheben. Zur Begründung dieser allgemeinen Rechtsänderung wird vorgetragen, sie sei gefordert durch eine Neubewertung des Rechtsguts „Leben", zu der man zwar aus Anlaß dieser Verjährungsdebatte 1979 über die drohende Verjährung von NS-Morden, aber doch in der Sache davon unabhängig, aus grundsätzlichen Erwägungen gelangt sei. Dem steht bei aller Würdigung Ihrer Gründe, Herr Kollege Vogel, einfach die nachweisbare Tatsache entgegen, daß während der auch von Ihnen in Erinnerung gerufenen fünfundzwanzigjährigen Beratungen zur Srafrechtsreform, die zu einer vollständigen Umgestaltung des Allgemeinen Teils unseres Strafgesetzbuchs geführt haben, zu keiner Zeit und von keiner Seite sich auch nur eine einzige Stimme für eine generelle Aufhebung der Mordverjährung erhoben hat, daß vielmehr die einzigen Vorschläge in dieser Richtung ausschließlich - auch das ist eine nachweisbare Tatsache - im Zusammenhang mit den Verjährungsdebatten, vor allem 1965 und 1969, gemacht wurden und dort nicht nur ausdrücklich abgelehnt wurden, sondern auch zu keinerlei Folgeänderungen für die 1975 in Kraft gesetzte Strafrechtsreform geführt haben. ({3}) Ich kenne auch keine wissenschaftliche Äußerung außerhalb der Verjährungsdebatten über NS-Verbrechen, in der irgendein Sachgrund für die Nichtverjährbarkeit von Morden genannt worden wäre. Alle im Zusammenhang mit der Umgestaltung unseres bisherigen Vergeltungsstrafrechts in ein modernes Resozialisierungsstrafrecht abgegebenen Begründungen - bis hin zur Neubewertung selbst der le13262 benslangen Freiheitsstrafe als Resozialisierungsstrafe - sprechen eine völlig andere, ich will es noch schärfer sagen: eine völlig entgegengesetzte Sprache. Sachgründe für eine Verjährungsaufhebung bei Mord sind nicht vorhanden. Das ist nach wie vor meine unerschütterte Überzeugung. Dann aber bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder offen zu bekennen, daß diese pauschale Verjährungsaufhebung ihren Hauptgrund darin hat, daß man glaubt, nur auf diesem Wege das Problem der Verjährung von NS-Verbrechen lösen zu können - das wäre eine in sich eindeutige Feststellung -, oder aber nach einer an die völkerstrafrechtlichen Tatbestände anknüpfenden differenzierten Verjährungsregelung für NS-Verbrechen zu suchen. Das ist die Alternative, vor der wir stehen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Josten?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001414, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Maihofer, teilen Sie nicht meine Meinung, daß gerade in den letzten Jahren eine derartige Veränderung in unserer Gesellschaft eingetreten ist, wo das Morden doch heute praktisch an jedem Tag in einer Form geschieht, daß wir - wir haben uns auch damals anders entschieden - konsequenterweise zu einer anderen Entscheidung kommen mußten?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001414, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nun, dies kann ich - und nicht nur ich und nicht nur die Antragsteller, die sich meinem Antrag verbunden haben, sondern auch meine Fachkollegen, die sich mit diesen Fragen seit Jahren beschäftigen -nicht feststellen. Den grundlegenden Wandel der Wertüberzeugungen, der dazu nötigen würde, die Unverjährbarkeit der Mordverbrechen einzuführen, gibt es nicht. Ganz im Gegenteil - um dies ganz klar zu sagen -, selbst die Regelstrafe für Mordverbrechen läuft heute auf eine eindeutig unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu gestaltende, etwa durchschnittlich 15jährige Gesamtstrafe hinaus. ({0}) Das ist einfach ein Widerspruch in sich. Zweitens. Die Antragsteller gehen mit ihrem Änderungsantrag den zweiten Weg, den einer Unverjährbarerklärung der früher begangenen Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, soweit sie die Voraussetzungen der schon in unserem geltenden Recht enthaltenen Straftatbestände des Völkermordes oder der Kriegsverbrechen erfüllen. Zwar schließt das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 unserer Verfassung die rückwirkende Anwendung dieser erst später in unser Recht aufgenommenen Straftatbestände selber aus, wie Sie alle wissen. Die Strafbarkeit kann sich immer nur nach dem bereits zur Tatzeit geltenden Mordtatbestand richten. Darüber gibt es zwischen uns keinen Streit. Nicht vom Rückwirkungsverbot berührt sind dagegen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 1969 die Verjährungsvorschriften. Deshalb steht es dem Gesetzgeber frei, diejenigen Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unverjährbar zu stellen, welche die oben dargelegten völkerstrafrechtlichen Voraussetzungen, bestimmter Völkermordverbrechen oder Kriegsverbrechen, also von Staatsverbrechen, erfüllen. Man hat eine solche differenzierende Verjährungsregelung für NS-Verbrechen auf der Rechtsgrundlage des Völkerstrafrechts von verschiedenen Seiten - auch von der Ihren - für verfassungsmäßig nicht möglich erklärt. Demgegenüber haben die beiden - das ist in der Öffentlichkeit nicht durchgedrungen - im Rechtsausschuß gehörten wissenschaftlichen Sachverständigen, übereinstimmend insoweit, einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 unseres Grundgesetzes in seiner vom Bundesverfassungsgericht gegebenen verbindlichen Auslegung ausdrücklich verneint. Vielmehr betreffe die von einer differenzierenden Verjährungsregelung angestellte Prüfung, ob bestimmte Mordtaten gleichzeitig Völkermord oder Kriegsverbrechen seien, nicht ihre Tatbestandsmäßigkeit, sondern sei lediglich, wie Professor Frowein herausgearbeitet hat, die für eine Aussonderung der weiter verjährenden und der nicht verjährenden Morde entscheidende prozessuale Vorfrage. Wenn deshalb der Gesetzgeber verfassungsrechtlich in. der Lage sei, die Verfolgungsverjährung bei Mord generell zu beseitigen, so könne es ihm nicht verwehrt sein, im Rahmen einer prozessualen Verjährungsvorschrift auch eine weniger weitgehende Regelung zu treffen. Die einzige Voraussetzung dabei ist, daß die Differenzierung sachgemäß ist. Diese Sachgemäßheit, aber auch die Verhältnismäßigkeit etwa unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 unseres Grundgesetzes wird von Frowein gerade für eine differenzierende Lösung durch ihre Anknüpfung der deutschen Verjährungsregelung an die geschilderte völkerrechtliche Entwicklung ausdrücklich bejaht. Fazit: Wenn überhaupt Änderung des geltenden Rechts, dann in Richtung auf eine allein als sachangemessen und verhältnismäßig aufgefaßte differenzierende Verjährungsregelung. Zu demselben Gesamtergebnis gelangt auch der zweite wissenschaftliche Sachverständige, Professor Böckenförde, wenn auch von ganz anderer Position aus. Er sieht, wie Sie auch seinen veröffentlichten Darlegungen entnehmen können, entgegen dem Verfassungsgerichtsurteil in jeder nachträglichen Verjährungsänderung eine auch materiellrechtliche und nicht nur formell-rechtliche Neubewertung mit Rückwirkung für den davon Betroffenen. Stelle man sich dagegen auf den vom Bundesverfassungsgericht eingenommenen Standpunkt einer rein prozessualen Rechtsnatur der Verjährungsvorschriften, welche das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 unberührt lasse, dann gelte es, durch eine von Böckenförde als verfassungsgemäß erachtete Sonderregelung „die rechtsstaatlichen Auswirkungen so eng begrenzt wie möglich" zu halten. So seine wörtliche Ausführung auf ausdrückliche Nachfrage bei den Beratungen im Rechtsausschuß des Bundestages. Dies fordert im Prinzip ebenso eine differenzierte Verjährungsregelung, wobei es bei deren Differenzierung auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG allerdings - und das war ein sehr bedeutsamer Gesichtspunkt, den Herr Böckenförde in die Beratung eingeführt hat - entscheidend darauf ankommen muß, ob sich die daraus folgende verschiedene Behandlung verjährender und nicht verjährender Mordtaten nach völkerstrafrechtlichen Gesichtspunkten auch aus unterschiedlichen Strafzwecken begründen läßt. Eben hier in den unterschiedlichen Strafzwecken, neben dem für beide Bereiche wichtigen Zweck der Sühne für Schuld, liegt, wie ich eingangs dargelegt habe, für eine differenzierte Verjährungsregelung der eigentliche Unterschied zwischen der letztlich auf Resozialisierung abzielenden Bestrafung des gemeinen Mordes als Einzelverbrechen und der auf internale Prävention gerichteten Bestrafung von Völkermord und Kriegsverbrechen als Staatsverbrechen. Drittens. Die Antragsteller sind der Überzeugung, daß mit einer differenzierenden Verjährungsregelung die Fälle aus dem Kernbereich des Völkermordes und der Kriegsverbrechen erfaßt werden, die auch nach 1979 auf Grund neuer Unterlagen neu zur Verhandlung anstehen könnten, ohne daß zuvor eine vorsorgliche Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch gerichtliche Akte möglich war. Die Frage, die sich hier zunächst nüchtern stellt, ist die: Um welche Zahl, aber auch um welche Art von Fällen geht es bei dem Für und Wider einer Verjährungsaufhebung? Durch die, wie ich sagen möchte, irrealen Diskussionen der vergangenen Wochen sind in unserer Bevölkerung völlig falsche Vorstellungen darüber vorhanden, um welche Größenordnungen, aber auch um welche Fallbereiche es sich nach unseren bisherigen Erfahrungen in den künftigen NS-Verfahren handeln dürfte, die von unserer Verjährungsentscheidung 1979 betroffen sein könnten. Es sind nach den nachprüfbaren Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts von 1969 bis 1979 nicht, wie viele meinen, Tausende, auch nicht Hunderte von neuen NS-Verfahren, mit denen wir werden rechnen müssen. Nach den vorliegenden Verfahrensakten sind von 1969 bis 1979 insgesamt drei Verurteilungen und zwei Freisprüche ergangen, die ohne eine Verjährungsverlängerung nicht hätten ergehen können. Ebenso sind es für diesen Zehnjahreszeitraum insgesamt weitere 18 neu zur Anklage gebrachte Fälle, von denen inzwischen sieben in die Hauptverhandlung gelangt, die übrigen elf entweder eingestellt oder noch nicht eröffnet sind. Gerade wenn man die Verjährungsentscheidung nicht für eine Frage der Quantität, sondern des Prinzips hält, wird man andererseits an Hand dieser ernüchternden Zahlen den völlig falschen Erwartungen entgegentreten müssen - gerade auch unter dem Vorzeichen der Aufhebung der generellen Mordverjährung -, denen man draußen in der Öffentlichkeit begegnet. Um es einmal ganz scharf zu sagen: Hier geht es darum, in einigen ganz wenigen Fällen, in denen zureichende Beweisunterlagen für ein Strafverfahren vorhanden sind, Anklage zu erheben - wohl in weniger als zwanzig Fällen in zehn Jahren - oder Urteile zu erlangen - wohl in weniger als fünf Fällen in zehn Jahren -, wobei alle Fachleute übereinstimmend erklärt haben, daß es in den nächsten Jahrzehnten eher weniger Fälle sein werden als mehr. Das ist für alle Standpunkte hier in der Verjährungsdebatte wichtig. Deshalb möchte ich mit gebührender Deutlichkeit daran erinnern. Ebenso wie bei der Größenordnung ist, nach den irrealen Diskussionen der vergangenen Wochen, aber auch in Hinsicht auf die Fallgruppen, die von solchen NS-Verfahren noch erfaßt werden könnten, die Vorstellung verbreitet, als ob es sich hier wie in früheren Zeiten um das ganze Spektrum der Kriminalität unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft handelte. Die Wahrheit ist auch hier, daß die sich aus den gerichtlichen Unterlagen ergebenden tatsächlichen Fälle des vergangenen Jahrzehnts fast ausnahmslos Morde an Juden, an Zigeunern, an polnischen Häftlingen, an polnischen Zivilpersonen durch KZ-Personal oder Polizeiorgane zum Gegenstand haben, die in den Kernbereich, sei es der Völkermordverbrechen, sei es der Kriegsverbrechen, fallen. Angesichts dieser Sachlage erwies sich nach Auffassung der Antragsteller zwar die - auch in der Europaratskonvention vorgesehene - Einbeziehung schwerster Kriegsverbrechen in eine differenzierende Verjährungsregelung als angemessen, aber auch als ausreichend, um die nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts tatsächlich zukünftig neu zur Ahndung gelangenden NS-Verbrechen zu erfassen. Wenn demgegenüber gerade gegen eine differenzierende Verjährungsregelung die Lückenfrage aufgeworfen wird - und das ist hier in den Beiträgen auch dieser Debatte geschehen und geschieht auch im Bericht des Rechtsausschusses, etwa an Hand einer Übersicht von Fällen, denen teilweise schon die Mordqualität überhaupt fehlt, die also von keiner Verjährungsregelung erfaßt werden könnten -, dann ist dem entgegenzuhalten, daß es eine lückenlose Abgrenzung in keiner Verjährungsregelung überhaupt gibt. Schon das seit 1975 geltende Recht weist gerade bei der entscheidenden Ahndung der hauptverantwortlichen Schreibtischtäter verhängnisvolle Lükken auf, die Herrn Rückerl nach seiner eigenen Aussage dazu veranlaßt haben, den schon vorbereiteten Prozeß gegen die Hauptverantwortlichen für die „Endlösung der Judenfrage" im Reichssicherheitshauptamt einzustellen. Was hier so einzig - und dies ist für mich die Folgerung aus alledem - bleibt, ist die Anknüpfung der Unverjährbarkeit der NS-Verbrechen an die völkerstrafrechtlichen Tatbestände des Völker13264 mords und der Kriegsverbrechen, denen nicht nur wegen der Schwere der Tat, sondern auch der Schwierigkeit der Verfolgung solcher Staatsverbrechen nach der in der Völkergemeinschaft sich abzeichnenden Entwicklung der Unverjährbarkeit zukommen muß. Nur damit stellen wir unsere Verjährungsregelung 1979 auf eine allseits unbestreitbare Grundlage. Alle anderen Grundlagen, selbst die einer generellen Mordverjährungsaufhebung, haben hier oder dort ihre fragwürdigen Lücken. ({1}) Viertens. Die Antragsteller sind durch die Beratungen im Rechtsausschuß aber auch in ihrer Überzeugung bekräftigt worden, daß nur die in ihrem Änderungsantrag vorgeschlagene differenzierende Verjährungsregelung zu einer nicht nur sachangemessenen und verhältnismäßigen, sondern auch zu einer dauerhaften Lösung der Verjährungsfrage führt. Eben auf diesen Gesichtspunkt, den letzten, den ich hier vortrage, kommt es mir entscheidend für den Abschluß dieser Beratungen an. Denn: nur eine solche Verjährungsentscheidung, die sich in die oben geschilderten Rechtsentwicklungen der Völkergemeinschaft einfügt, schafft nach meiner Überzeugung, wie im Bericht des Rechtsausschusses im einzelnen dargelegt, zugleich die gesetzlichen Voraussetzungen in unserem Strafrecht, die es der Bundesrepublik Deutschland ohne erneute Verjährungsdebatte und neuerliche Rechtsänderungen gestatteten, die vorliegende Europaratskonvention über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu ratifizieren. Wie immer man sich in dieser Frage endgültig entscheidet, die Frage ist: ,Muß dies alles nicht, jedenfalls vorsorglich, mitbedacht werden, wenn wir heute eine Verjährungsentscheidung treffen? Zur Sicherstellung der Unverjährbarkeit von Völkermord und Kriegsverbrechen hält diese Europaratskonvention - und ich kann mir nicht ersparen, Ihnen dies hier noch einmal im einzelnen vorzustellen - eine vierfache innerstaatliche Regelung bei den Mitgliedstaaten des Europarats für erforderlich - alles im Text der Konvention nachzulesen -: Erstens. Unverjährbarerklärung des Völkermords. Das steht in Art. 1 Nr. 1 der Europaratskonvention. Dies hat, wie Sie wissen, die Bundesrepublik Deutschland bereits mit der letzten Verjährungsentscheidung 1969 getan. Zweitens. Unverjährbarkeitserklärung der in den Genfer Konventionen von 1949 als „schwere Verletzungen" bezeichneten Kriegsverbrechen, sofern sie „besonders schwerer Art" sind - Art. 1 Nr. 2 der Europaratskonvention. Drittens die Anwendbarerklärung dieser Unverjährbarkeit des Völkermords und - viertens - der Kriegsverbrechen auch auf früher begangene Taten, wenn die Verjährungsfrist „zu der Zeit nicht abgelaufen" war. So Art. 2 Ziffer 2 der Europaratskonvention, was heute nurmehr für die noch unverjährten Verbrechen des Mordes in Betracht kommt, wogegen alle Fälle des Totschlags oder der Körperverletzung längst verjährt sind. Mit einer differenzierten Verjährungsregelung auf der Rechtsgrundlage dieses Völkerstrafrechts wären zugleich eben diese drei noch ausstehenden innerstaatlichen Entscheidungen mit getroffen. Sie führt zu einer Unverjährbarerklärung - in den Artikeln des Änderungsantrags nachzulesen - derjenigen Verbrechen des Mordes unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, welche die Voraussetzungen dieser internationalen Konventionen gegen Völkermord und Kriegsverbrechen erfüllen. ({2}) Eine solche differenzierte Verjährungsregelung, welche bei der Erklärung der Unverjährbarkeit früher begangener Mordverbrechen ausdrücklich an völkerstrafrechtliche Tatbestände anknüpft, bewegt sich nicht nur nach Aussage der gehörten wissenschaftlichen Sachverständigen innerhalb der durch das Rückwirkungsverbot unserer Verfassung gezogenen Grenzen, sie erfaßt zugleich den Kernbereich der Fälle von schwersten Völkermordverbrechen und Kriegsverbrechen, die nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts auch in den kommenden Jahrzehnten zur Verfolgung anstehen können. Demgegenüber stellt die vorgeschlagene Aufhebung der Mordverjährung allenfalls - ich meine dies wörtlich - eine Zwischenlösung dar, mit der die hier gebotene Unverjährbarerklärung der NS-Verbrechen unter dem völkerstrafrechtlichen Vorzeichen des Völkermordes und der Kriegsverbrechen gerade nicht erfolgt, sondern umgangen wird. Sie würde uns in absehbarer Zeit, so wie die früheren Verjährungsentscheidungen von 1965 und 1969 auch, eine erneute Verjährungsdebatte bescheren. Herr Kollege Gerster, deshalb hinterläßt nicht etwa eine differenzierte Verjährungsregelung ungelöste Probleme, sondern, wie ich meine, eben die von Ihnen mit befürwortete pauschale Verjährungsregelung. Sie hinterläßt uns eben dieses ungelöste Problem der Einfügung unserer Verjährungsentscheidung in die völkerstrafrechtlichen Entwicklungen. Ich versage es mir, schon beim jetzigen Stand der Aussprache auf die Erläuterung der Einzelanträge unseres Abänderungsantrags einzugehen. Worum es den Antragstellern bei dieser einführenden Begründung geht, ist, Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor Ihrer freien Gewissensentscheidung die rechtlichen Gründe und die werthaften Überzeugungen darzulegen, die uns zum Vorschlag einer differenzierten Verjährungsregelung bewogen haben. Wir halten sie für die beste mögliche Antwort auf die uns gestellte Frage. Sie führt zu einer sachangemessenen, verhältnismäßigen und dauerhaften Regelung der Verjährungsfrage, ohne die rechtsstaatliche Errungenschaft der zeitlichen Verjährung für die Straftatbestände unseres innerstaatlichen Rechts anzutasten. ({3}) Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - . I Damit treffen wir zugleich auch eine Entscheidung, die sagt, was sie will, und tut, was sie sagt, die sich ehrlich zu unserer unverjährbaren Verantwortung als Nachfolgestaat für die Verfolgung der Mordverbrechen der NS-Gewaltherrschaft bekennt, die unter diese völkerstrafrechtlichen Vorzeichen fallen. Damit treffen wir auch eine Entscheidung, die diese Verjährungsregelung in die Rechtsentwicklung der Völkergemeinschaft einfügt dadurch, daß sie die Lösung dieser nicht nur unsere nationale Rechtsordnung, sondern auch den internationalen Rechtsfrieden berührenden Frage auf die gesicherte Grundlage des Völkerstrafrechts stellt. Nur damit werden wir der von uns geforderten stellvertretenden Verantwortung für die heutige Völkergemeinschaft und ihre zukünftige Entwicklung gerecht. Dies zum Ausgangspunkt der von uns geforderten Verjährungsregelung zu machen, dies aber auch in den Mittelpunkt der Verjährungsentscheidung dieses Hauses zu stellen, ist die Absicht, die dem von uns gestellten Änderungsantrag für eine differenzierende Verjährungsregelung zugrunde liegt, um deren Unterstützung ich Sie in den folgenden Abstimmungen bitte. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Verjährung hat, wie ich finde, ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme im In- und Ausland hervorgerufen. Ich bedaure, daß ich schon in diesem Punkt meinem besonders geschätzten Kollegen Kleinert widersprechen muß. Diese ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme hängen gewiß mit vielen Umständen zusammen, nicht zuletzt damit, daß uns das Verjährungsproblem erneut in aller Härte mit dem Nationalsozialismus und seinen die menschliche Vorstellungskraft übersteigenden Verbrechen konfrontiert und unvermeidlich zu den Fragen führt: Wie konnte das alles in unserem Land passieren? Was ist eigentlich getan worden, um aus diesem furchtbaren Geschehen die richtigen Folgerungen zu ziehen? Bei den Älteren unter uns, die die nationalsozialistische Zeit als Erwachsene erlebt haben, kommt nicht selten die Frage hinzu: Wie hast du dich in der damaligen Zeit verhalten? Das Verjährungsproblem wirft darüber hinaus gewiß auch Fragen nach der Legitimation, nach den Möglichkeiten und nach den Grenzen des Strafrechts auf. Manchem wird dabei gegenwärtig, daß politisch motivierte Straftaten in der Geschichte bis in unsere Zeit hinein einer besonderen moralischen und rechtlichen Wertung unterstellt und gleichsam privilegiert worden sind. Ich selbst habe mich des öfteren gefragt, ob dieser Gesichtspunkt auch bei der Verjährung eine Rolle spielt. Was die Beratung im Rechtsausschuß anlangt, so gibt es für mich für eine solche Annahme keinerlei Anhaltspunkte. Mancher Bürger in unserem Land fragt: Warum verfolgt ihr nur die Verbrechen der Deutschen? Wäre es nicht ein Gebot der Gerechtigkeit, auch die Verbrechen anderer zu verfolgen? Auch diese Fragen muß man ernst nehmen. Meine Antwort lautet: Richtig ist, daß es im Zweiten Weltkrieg wie wohl in jedem Krieg auf allen Seiten zu Kriegsverbrechen gekommen ist. Doch die NS-Untaten, mit denen wir es zu tun haben, sind nicht nur während des Kriegs begangen worden, wenn sie auch in ihrer Masse in die Kriegszeit fallen. Bei diesen NS-Verbrechen handelt es sich aber keineswegs um Kriegsverbrechen, also um solche Straftaten, die im Kampf oder im Zusammenhang damit begangen worden sind. Richtig ist ferner, daß politischer Terror noch keineswegs vom Erdball verbannt ist und daß auch heute noch Massenvernichtungen stattfinden, ohne daß die Verantwortlichen in rechtsförmlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden. Vermindert dieser Tatbestand aber die Notwendigkeit, sie, die Verantwortlichen, zur Verantwortung zu ziehen? Ich sage: Nein! Im Gegenteil! Dieser Tatbestand unterstreicht die Notwendigkeit, diese Art von Tätern zur Rechenschaft zu ziehen. Fordert, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gerechtigkeit denn tatsächlich von uns, daß politische Mörder deshalb von Strafverfolgung freigestellt werden, weil politische Mörder andernorts straffrei ausgehen? Ich sage wiederum: Nein und abermals nein! Denn es wäre geradezu ein Anschlag auf die Gerechtigkeit, wenn schwerste Untaten der NS-Zeit ungesühnt bleiben würden. ({0}) Angesichts der das menschliche Vorstellungsvermögen sprengenden und immer noch einmaligen Ungeheuerlichkeit der Verbrechen des Nationalsozialismus, der andauernden Bedrohung der Menschen durch politischen Mord und der durch die Technik schrecklich gesteigerten Möglichkeiten zur Massenvernichtung haben wir die Pflicht, mit der sich durch die Geschichte ziehenden Privilegierung des politischen Mordes Schluß zu machen. ({1}) Wir müssen ein Zeichen setzen, ein Zeichen für die Rechtsentwicklung und das Rechtsbewußtsein in unserem Lande und in der Welt. ({2}) Meine Damen und Herren, der Bedeutung der Verjährungsentscheidung entsprechend sind die Beratungen im Rechtsausschuß besonders sorgfältig gewesen. Jedem Einwand und jedem Hinweis auch eines einzelnen Abgeordneten ist nachgegangen worden. Bevor ich versuche, in der gebotenen Kürze ein Resümee dieser Beratungen zu ziehen, halte ich es für notwendig, einer Behauptung entgegenzutreten, die auch heute wieder vorgetragen worden ist, der Behauptung nämlich, wir, die Initiatoren der Ihnen vorliegenden Gesetzesvorlage plädierten für die generelle Aufhebung der Verjährung von Mord nur deshalb, um die Unverjährbarkeit der sogenannten NS-Morde zu erreichen. Ich bin dieser Behauptung bereits in der ersten Lesung des Deutschen Bundestages entgegengetreten und tue das erneut. Auf Grund der jüngsten geschichtlichen Erfahrungen und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, alle Möglichkeiten zum Schutz des höchsten Gutes des Menschen, nämlich des Lebens, auszuschöpfen, sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß die Verjährbarkeit von Mord diesem Schutzgut „menschliches Leben" nicht gerecht wird. Zuzugeben ist, daß wir aus dem Anlaß bevorstehender drohender Verjährung von schwersten Straftaten während der NS-Zeit versucht haben, diese unsere Grundüberzeugung im Deutschen Bundestag zum Tragen zu bringen: 1965, 1969 und jetzt, 1979. Herr Kollege Maihofer, daß wir im Rahmen der Strafrechtsreform diesen Versuch nicht unternommen haben, ist zwar richtig. Das liegt aber daran, daß wir in durchaus zutreffender Einschätzung der Kräfteverhältnisse im Bundestag wußten, daß es im Zusammenhang mit diesem Vorhaben für die Realisierung unserer Grundüberzeugung „generelle Aufhebung der Verjährung von Mord" keine Mehrheit geben würde. ({3}) Wenn ich nunmehr auf das Ergebnis der Beratungen des Rechtsausschusses eingehen darf, so liegt mir daran, zunächst festzustellen, daß meine Behauptung nicht dahin geht, daß sich die Einwendungen gegen eine generelle Aufhebung der Strafverfolgungsverjährung in den Beratungen des Rechtsausschusses als belanglos herausgestellt haben. Es ist nämlich richtig, daß die Beweiskraft insbesondere von Zeugenaussagen mit der Zeit abnimmt und daß es für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte mit der Zeit immer schwieriger wird, die Wahrheit zu ergründen und zu einer gerechten Bewertung auch schwersten menschlichen Fehlverhaltens zu gelangen. Es ist deshalb sinnvoll, die Pflicht und das Recht des Staates zur Verfolgung von Straftaten durch Verjährung zeitlich zu begrenzen. Eine solche zeitliche Begrenzung der Strafverfolgung setzt aber nach meiner Überzeugung voraus, daß die Straftat selbst, weil sie so lange zurückliegt, dem Bewußtsein der Menschen entschwunden ist und der Verzicht auf Strafverfolgung nicht seinerseits als ein Schlag gegen die Gerechtigkeit, als eine schwerwiegende Störung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens empfunden wird. Diese inhaltliche, diese materielle Voraussetzung für die Strafverfolgungsverjährung ist nach meinem Empfinden beim Mord, also bei der vorsätzlichen Vernichtung eines Menschenlebens aus niedrigsten Beweggründen oder in besonders verabscheuungswürdiger Weise, nicht gegeben. ({4}) Insoweit vermag ich das, was Herr Maihofer gesagt hat, daß nämlich auch über Mord irgendwann Gras wachse, nicht uneingeschränkt zu teilen. ({5}) Ich bin der Überzeugung, der Mord schreit so lange zum Himmel, wie der Täter straffrei umherläuft. ({6}) An dieser inhaltlichen Rechtfertigung der Verjährung, an dieser letzten Voraussetzung für Verjährung fehlt es bei den NS-Morden in, wie ich finde, unbezweifelbarer Weise, Lind ich freue mich darüber, daß ich den für mich sehr beeindruckenden Satz von Herrn Maihofer aus der ersten Lesung „Über Auschwitz wächst in Generationen kein Gras" hier voll aufnehmen und voll unterstützen kann. Insoweit gibt es zwischen uns keinerlei Meinungsverschiedenheiten. ({7}) Diese Verbrechen der NS-Zeit stehen den Opfern des NS-Regimes, ihren Angehörigen, ihren Mitbürgern in Israel, in Polen, in der Bundesrepublik - überall dort, wo der NS-Terror gewütet hat - so vor Augen, als wären sie gestern geschehen. Die Konzentrationslager, die Einsatzgruppen, die Gestapo-Keller, der gnadenlose Terror in Polen, in der UdSSR, in der CSSR, in den Niederlanden, in Deutschland und in den anderen besetzten Ländern, die Vernichtungslager und die Vernichtungsaktionen, Auschwitz, Oradour und Lidice, sie alle sind in der ganzen Welt unvergessen. Wie unvergessen sie sind, wird jedem überdeutlich, der sich vergegenwärtigt, daß Papst Johannes Paul II. am sechsten Tage seiner Pilgerreise nach Polen das Konzentrationslager Auschwitz besucht, in diesem - um ihn selbst zu zitieren - „Golgatha der Gegenwart" eine Messe zelebriert und dabei eine erschütternde Predigt gehalten hat, ({8}) die ich jedem zur Lektüre empfehlen möchte. Aus dieser Predigt möchte ich einen Satz zitieren. Der Papst hat ausgeführt: Auschwitz ist eine Gewissensabrechnung der Menschheit durch diese Tafeln, die von den Opfern zeugen, die die Völker erlitten haben. Auschwitz ist der Ort, den man nicht nur besichtigen kann. Man muß bei dem Besuch mit Furcht daran denken, wo die Grenzen des Hasses, der Vernichtung des Menschen durch den Menschen, die Grenzen der Grausamkeit liegen. Die überlebenden Verfolgten des NS-Terrors, die zivilisierte Welt, alle, auf deren Urteil wir Wert legen, würden es als einen Rechtsbruch ohnegleichen, als einen unerhörten Affront gegen die Opfer des Nationalsozialismus ansehen, wenn die Bundesrepublik Deutschland am 31. Dezember 1979 mit der Verfolgung selbst der schwersten vom Nationalsozialismus begangenen Verbrechen Schluß machen würde. ({9}) Der Rechtsausschuß hat besonders sorgfältig Vorschläge für eine differenzierende Regelung, insbesondere den Vorschlag vom Kollegen Professor Dr. Maihofer, erwogen. Professor Dr. Maihofer hat an den Beratungen des Rechtsausschusses teilgenommen und diese durch seine Beiträge belebt und vertieft, insbesondere was die völkerstrafrechtlichen Aspekte der Verjährung angeht. Dafür möchte ich ihm als einer der Berichterstatter - ich nehme an, auch im Namen aller Mitglieder des Rechtsausschusses - an dieser Stelle ausdrücklich danken. ({10}) Ich bedaure, die Annahme dieses Vorschlages, der im Bereich der auch von uns zunächst erwogenen Entscheidungsalternativen liegt und dem eine gewisse Plausiblität des ersten Blicks nicht abzusprechen ist, ({11}) ich bedauere, die Annahme dieses Vorschlages von Professor Maihofer gleichwohl nicht empfehlen zu können. Dieser Vorschlag ist für mich mit Risiken behaftet, die ich nicht für tragbar halte. Erstens. Dem Vorschlag kann nicht attestiert werden, daß er verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Der Präsident des Bundesgerichtshofs und zwei Generalstaatsanwälte haben als Sachverständige vor dem Rechtsausschuß ausgeführt, der MaihoferVorschlag laufe auf eine Umgehung des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes hinaus. Wenn diese Auffassung von zwei Professoren auch nicht geteilt worden ist - ich füge hinzu: ich persönlich teile sie auch nicht -, so kann eine solche übereinstimmende Bewertung von drei Persönlichkeiten, die höchste Ämter in der Justiz innehaben, durch diese Äußerung der zwei Professoren nicht mit der für uns erforderlichen Gewißheit als entkräftet angesehen werden. Wegen weiterer, mehr am Rande vorgetragener verfassungsrechtlicher Bedenken darf ich auf den Bericht des Rechtsausschusses und seine Protokolle verweisen. Zweitens. Es ist keine auch nur annähernd gesicherte Prognose über die Interpretation des Völkermordtatbestandes und der Genfer Abkommen durch die innerstaatlichen Gerichte möglich. Der Anwendungsbereich des Vorschlages von Professor Maihofer ist deshalb nicht mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen. Wir können nicht ausschließen, daß sich die Gerichte nicht in der Lage sehen, solche Mordtaten unter den Maihofer-Vorschlag zu subsumieren, die ihrem Unrechts- und Schuldgehalt nach unter allen Umständen unverjährbar sein müssen. Denn das Mordgeschehen der NS-Zeit wird durch den Völkermordtatbestand und durch die in den Genfer Abkommen von 1949 erfaßt ten Kriegsverbrechen nur zu einem Teil erfaßt. Eine Verjährungsregelung, die nur einen Teil der NS-Morde erfaßt, erscheint nicht akzeptabel, weil eine solche Differenzierung die Gefahr heraufbeschwört, daß Taten schwersten Unrechts und schwerster Schuld verjähren würden, während andere, bei denen die Schuld geringer ist, weiterhin der Strafverfolgung unterliegen. Das ist eine Konsequenz, die nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren ist, die auch dem Prinzip der Gerechtigkeit zuwiderläuft und somit das Rechtsempfingen der Betroffenen tief verletzen und unsere Glaubwürdigkeit in Frage stellen würde. Drittens. Die Prognose von Professor Maihofer, es seien zukünftig nur solche Fälle zu erwarten, die unter seinen Vorschlag fallen, ist nicht abgesichert. Die Untersuchungen haben ergeben, daß viele Taten in bereits laufenden Straf- und Ermittlungsverfahren nicht unter seine Regelung fallen und daß es in anderen Fällen zweifelhaft ist, ob für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte eine Subsumtion darunter möglich wäre. Im übrigen ist eine halbwegs gesicherte Voraussage über zukünftige Fallgestaltungen nicht möglich. Wahrscheinlich ist es, daß zukünftig vor allem Exzeßtaten zu verfolgen sind; gerade sie können mit dem Maihofer-Vorschlag aber häufig nicht erfaßt werden. Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend zur Kernfrage unserer Entscheidung zurückkommen. Die Einwendungen gegen eine generelle Aufhebung der Verjährung für Mord haben ihr Gewicht. Die Frage ist, ob diese vornehmlich strafprozessualen Einwendungen gewichtiger sind als die Argumente für die Aufhebung der Verjährung. ({12}) Die Frage ist auch, ob es in unserer Zeit der erhöhten Bedrohung menschlichen Lebens ausreicht, sich auf Rechtstraditionen einer ruhigeren Vergangenheit zurückzuziehen. ({13}) Nach meiner festen Überzeugung sind die auf moralische, auf rechtliche und auf politische Erwägungen gestützten Gründe für die Aufhebung der Verjährung gewichtiger als die von mir durchaus gewürdigten Gegengründe.. Ich bitte den Deutschen Bundestag deshalb um seine Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr. ({0})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird wieder eröffnet. Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich trete dafür ein - wie Herr Professor Maihofer es heute vormittag schon dargelegt hat -, daß es bei der generellen Verjährung für Mord verbleibt, so wie sie heute in unserem Gesetz festgeschrieben ist, daß jedoch die Verjährungsfrist für NS-Mordtaten aufgehoben wird. Ich trete also für eine differenzierende Lösung ein. Lassen Sie mich deshalb zunächst noch einmal kurz die Gründe zusammenfassen, weshalb ich eine Verfolgungsverjährung auch von Mordtaten für richtig halte. Es ist zunächst die wachsende Unmöglichkeit für den Richter, nach langem Zeitablauf einen Wahrspruch zu finden. Die Gefahr des Justizirrtums wächst. Deshalb ist es erforderlich, daß der formelle Rechtsfrieden nach Ablauf von, wie wir es heute haben, 30 Jahre wieder eintritt. Ebenso spricht für ein Beibehalten der generellen Verjährung die Abnahme der Strafwürdigkeit und des Strafbedürfnisses sowohl unter dem Gesichtspunkt einer etwa eingetretenen Resozialisierung als auch im Sinne der Prävention und Sühne. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern. Ein junger Mann oder eine junge Frau wird in einem Familien- oder Ehekonflikt zum Mörder, und zwar im Alter von 20 Jahren. Der Täter wird zunächst nicht festgestellt; die Tat wird erst nach 40 Jahren aufgeklärt. Dann ist der Täter 60 Jahre alt und hat in diesen 40 Jahren inzwischen ein ordentliches Leben geführt. Nach diesen 40 Jahren sitzt dieser Täter, der damals bei Begehung der Tat 20 Jahre alt war, auf der Anklagebank, und neben dem Staatsanwalt sitzt ein Jugendpfleger, der 25 Jahre alt ist. Er soll nach unserem Gesetz dem Richter helfen, darüber zu entscheiden, ob dieser inzwischen 60jährige wie ein Jugendlicher oder wie ein Erwachsener beurteilt werden soll. Einen solchen Anachronismus in unserem Rechtssystem versteht kaum jemand. ({0}) Ich meine, daß die Verjährung hier ihren guten Sinn hat. Ich trete deshalb dafür ein, daß bei dem üblichen Individualmord derartige Prozesse, die den Richter vor eine fast unerträgliche Situation stellen, nicht stattfinden. Es kommt hinzu, daß sich die Verjährung bei uns - das ist richtig so - nach der Schwere der Tat richtet. Eine einfache Übertretung der Verkehrsregeln ist in relativ kurzer Zeit verjährt. Eine längere Verjährung gibt es bei Diebstahl, eine noch längere Verjährung wiederum bei Einbruchsdiebstahl. Die längste Verjährungsfrist von 30 Jahren haben wir bei Schwerverbrechen, insbesondere bei Mord. Die schwersten Verbrechen, die wir in unserer Rechtsgeschichte kennen, sind nun die NS-Verbrechen. Deshalb glaube ich, daß wir diese Mordtaten anders als den Individualmord behandeln können, den ich vorhin geschildert habe. Bei diesen Taten geht es um etwas anderes. Wir haben es hier mit einem planmäßigen Organisationsverbrechen zu tun, getragen vom damaligen Unrechtsstaat und von politischen Gruppen - mit Taten, die durch ihre Ausrottungszielsetzung gekennzeichnet waren. Deshalb sage ich, daß eine Differenzierung die sachgerechteste Lösung ist. Wenn ich diese Besonderheiten der NS-Morde betone, wird, glaube ich, gleichzeitig deutlich, daß es nicht richtig ist zu sagen, daß Mord gleich Mord sei. Gerade die heutige Debatte hat das nach meiner Auffassung gezeigt. Denn worüber hat man heute den ganzen Vormittag debattiert? Über nichts anderes als über die NS-Morde. ({1}) - Herr Kollege Gerster hat eine Ausnahme gemacht. Herr Kollege Mertes, das ist richtig. Deshalb sage ich, Herr Kollege Wehner und andere, niemand aus diesem Hause hätte sich im vergangenen Jahr in Israel, in Polen oder auch sonstwo über die Aufhebung der Verjährungsfrist von Mord überhaupt unterhalten, wenn es nicht einzig und allein darum ginge. Darum, glaube ich, ist diese Lösung, die differenziert, die klarere, vielleicht auch sogar die ehrlichere, eindeutigere und konsequentere. Sie nennt das, worum es geht, beim Namen. Nun sind in den Beratungen juristische Bedenken gegen diese Lösung vorgetragen worden. Herr Professor Maihofer hat etliche dieser Bedenken hier heute früh schon behandelt. Lassen Sie mich nun noch zwei Dinge hervorheben. Das erste Bedenken war die Frage, ob diese differenzierende Lösung, die an den Tatbestand des Völkermords anknüpft, gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Wir haben sowohl von Sachverständigen, insbesondere von Herrn Professor Bökkenförde, als auch von den Herren des Justizministeriums gehört, daß nach ihrer Auffassung das Rückwirkungsverbot nicht tangiert wird. Vielmehr steht eine solche Differenzierung mit der hier heranzuziehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes im 25. Band im Einklang. Die Differenzierung muß nämlich auf erhebliche Unterschiede gestützt werden; diese erheblichen Unterschiede gerade der Mordtaten der NS-Zeit zu den sonstigen Morden habe ich bereits hervorgehoben. Ein zweiter Einwand war die Frage, ob die tatbestandliche Umgrenzung sowohl klar genug sei als auch nicht etwa Lücken aufreiße, so daß Fälle unberücksichtigt blieben, die auch nach unserer Auffassung berücksichtigt werden müssen. Wir haben in den Beratungen einen Lernprozeß durchgemacht und haben den ursprünglichen Tatbestandsvorschlag ergänzt und, wie ich meine, klarer gefaßt. Die tatbeHelmrich standliche Umgrenzung ist nunmehr meines Erachtens gelungen. Die Lückendiskussion, die im Ausschuß einen großen Raum eingenommen hat, hat es uns ermöglicht, auch von daher die Mängel auszuräumen, die an dem Tatbestand zunächst noch bestanden. Ich räume ein, daß unsere Lösung, unser Änderungsvorschlag, den wir vorlegen, nicht in der Lage ist - das bedrückt mich schwer -, letzte Gerechtigkeit in den Gesamtsachverhalt der NS-Verbrechen zu bringen. Das liegt aber nicht an der Tatsache, daß wir jetzt überhaupt etwas am Gesetz ändern, sondern das liegt an der geschichtlichen Situation, die ich, als ich in den Bundestag gekommen bin, so zu übernehmen hatte. Wir wissen alle, daß wir Täter haben, die, als die Bundesrepublik noch keine Gerichtshoheit besaß, von Amerikanern und Engländern bestraft worden sind, daß diese Täter zum Teil zum Tode verurteilt, zu lebenslänglich begnadigt und dann in den Jahren 1954, 1955, 1956 vollständig begnadigt und freigelassen worden sind, Täter zum Teil mit schwerer Schuld. Heute haben wir noch Täter mit zum Teil geringerer Schuld auf der Anklagebank. Das alles vermögen wir heute, 35 Jahre nach dem Kriege, nicht mehr auszuräumen. Wir sind nicht mehr in der Lage, diese Ungereimtheiten, die nach dem Kriege generell bei den NS-Taten entstanden sind, im Sinne einer materiellen Gerechtigkeit zu klären. Das bedrückt mich sehr. Dennoch glaube ich, daß diese differenzierende Lösung, dieser differenzierende Gesetzesvorschlag Schwierigkeiten vermeidet, die sowohl die generelle Beibehaltung der Verjährung mit sich brächte, als auch Schwierigkeiten, die die generelle Aufhebung der Verjährung mit sich bringt. Das liegt einfach darin, daß wir nicht in die Situation kommen werden, daß die 3 700 Verfahren, die etwa noch anhängig sind, geführt werden müssen und daß jeder, der nach dem Stichtag des 31. Dezember dieses Jahres entdeckt wird, nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann. Aber mit der differenzierenden Lösung vermeiden wir auch die Schwierigkeiten, in die der Vorschlag insbesondere von Herrn Wehner und der SPD kommt, der nämlich dazu führt, daß wir solche Prozesse mit jugendlichen Tätern, die erst im Alter entdeckt werden, in unserer Rechtsordnung auf ewig fortschreiben. Damit verliert das Institut der Verjährung für den Individualmord seinen Sinn. Obwohl also auch unsere Lösung letzte Gerechtigkeit in allen Fragen der NS-Vergehen nicht zu bringen vermag, glauben wir doch, daß sie die sachgerechteste Lösung ist und daß wir mit ihr der Verstrickung einzelner in unserem Staate, der Verstrickung unseres Volkes und der Verstrickung, in der wir als Nachfolgestaat stehen, am ehesten gerecht werden können. Wir bitten deshalb für diesen Vorschlag um Ihre Stimme. ({2})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Abgeordnete Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt gute Gründe dafür, daß in vielen unserer Debatten das Abstimmungsergebnis faktisch weitgehend schon vor Beginn der Beratungen feststeht. Ich will mich darüber heute nicht verbreiten. Aber wenn Beratungen der Art, wie wir sie heute führen, einen Sinn haben sollen, dann muß es möglich sein, daß der einzelne seine Entscheidung im Laufe der Debatte noch einmal überdenkt und überprüft. Ich habe der ganzen Debatte seit heute morgen beigewohnt und sehr aufmerksam zugehört und sie mit dem Willen verfolgt, alle meine Argumente an anderen Argumenten zu wägen und zu prüfen. Dabei räume ich natürlich ein, daß sich der Standpunkt desjenigen, der im Rechtsausschuß nun schon wochen- und monatelang hierüber diskutiert hat, etwas stärker verfestigt hat als der anderer Kollegen. Ich will versuchen, diesen Dialog mit denen, die meinen, Verjährung solle jetzt eintreten, und auch mit den Vertretern anderer Regelungen zu führen. Ich wende mich dabei, Herr Kollege Gerster, auch an meine eigenen Fraktionskollegen, die eine andere Ansicht als ich haben. Ich möchte dazu hier nur bemerken, daß man es ihnen überlassen muß, ob sie zu dieser Meinung, die sie vertreten, das Wort ergreifen oder nicht. Ich will zunächst einige Bemerkungen zu dem Antrag der Kollegen Maihofer und Helmrich, betreffend den Versuch einer Sonderregelung für NS-Gewaltverbrechen, machen. Bei Ihrem Beitrag, Herr Kollege Helmrich, ist mir noch einmal klargeworden - das geschah heute schon mehrfach in der Debatte -, daß ein großer, ein grundlegender Fehler von Ihrer Seite, der Sie zu Ihrem Antrag geführt hat, darin liegt, daß Sie in der Bewertung Tat und Täter nicht unterscheiden. Die Taten, die in jenen zwölf Jahren geschehen sind, sind so grauenhaft, daß man noch in tausend Jahren davon reden wird. Die Täter aber, Herr Kollege Helmrich, sind Täter wie andere Täter auch. Mit ihren schrecklichen Taten sind sie einem anderen Mörder - ich will nicht sagen: einem gewöhnlichen oder üblichen Mörder; das sind schreckliche Ausdrücke -durchaus vergleichbar, ja, ich sage es hier ganz offen, es kann sogar sein, daß der einzelne Täter, der in diese Maschine hineingeraten ist, weniger schrecklich gehandelt hat als der Mörder bei einem anderen Mord. Ich will micht nicht mehr im einzelnen mit diesem Antrag beschäftigen. Ich denke, andere Redner vor mir haben - nach meiner Auffassung - zur Genüge dargetan, daß dieser Weg einer differenzierenden Regelung kein gangbarer, kein rechtlich sicherer Weg ist; ich füge hinzu: mindestens heute nicht mehr. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit gewesen, wenn wir von Anfang an, gleich nach 1945 oder sobald die deutsche Strafhoheit gegeben war, besondere Regelungen für die Behandlung dieser NS-Gewaltverbrechen geschaffen hätten. Ich will das offenlassen. Damals ist man diesen Weg nicht gegangen, und zwar - wie wir wissen - ja ganz bewußt nicht, weil man unter dem Eindruck des Sonderrechts der Nazi-Zeit kein Sonderrecht wollte und weil man ganz bewußt sagen wollte: Hier sind Mörder, andere Straftäter - damals noch Totschläger -, die genauso behandelt werden sollen, wie andere Mörder und Totschläger auch. Das heißt in bezug auf den Täter: „Gleichheit vor dem Recht" ; „Mord ist Mord". Wir können diesen Weg, diese Grundentscheidung, die wir damals getroffen haben, heute nicht mehr ändern wollen. Wir können den einmal eingeschlagenen Weg nicht mehr verlassen. Herr Kollege Mertes, Sie haben davon gesprochen, es sei die Unaufrichtigkeit unserer Zeit, daß man Sühne wolle und gleichzeitig Resozialisierung und daß man dies nicht in das richtige Verhältnis zueinander bringe. Ich hoffe, daß ich Sie so richtig verstanden habe. ({0}) - Nein, da muß ich Ihnen widersprechen, Herr Kollege Mertes. Es ist nicht so, daß etwa die, denen ich in diesem Zusammenhang nahestehe, nicht einen ganz wesentlichen Anteil des Strafzweckes in der Sühne bei schwersten Verbrechen wie Mord sehen. Wir wollen die Verjährung von Mord allgemein nicht nur, aber auch aus diesem Grunde, weil wir wissen, daß die Sühne hier eine starke Komponente bildet. Die Resozialisierung folgt nach meiner Auffassung erst in zweiter Linie. ({1}) - Was die schwersten Verbrechen anlangt, Herr Kollege Erhard, dies habe ich anders in Erinnerung. Aber ich will mich jetzt hier nicht mit Ihnen darüber auseinandersetzen. Herr Kollege Mertes, Sie haben von einem Sonderstrafrecht gegen Deutsche gesprochen. Eigentlich - ich will das gern und dankbar hervorheben - haben Sie dies gleich wieder ein wenig relativiert, indem Sie mit Recht darauf hingewiesen haben, daß vergleichbare Straftaten anderer uns nicht davon befreien, das zu tun, was hier bei uns notwendig ist. Ich möchte das deutlich unterstreichen. ({2}) Hier gilt das englische Sprichwort: Charity begins at home, Nächstenliebe beginnt zu Hause. Man kann es auch mit einem deutschen Sprichwort sagen: Jeder kehre zunächst vor seiner eigenen Tür. Es ist ja auch deswegen unser Bestreben gewesen, keine Sonderregelung zu schaffen, weil wir der Meinung waren, hier sollte man von etwas, was nach Sonderrecht aussieht, absehen und deswegen für die allgemeine Verjährung von Mord eintreten. In der Debatte heute ist auch jener Vorschlag erwähnt worden, eine Verjährungsregelung zu schaffen, die Elemente des Legalitätsprinzips - bei uns herkömmlicher Art - und solche des Opportunitätsprinzips angelsächsischer Tradition enthält. Ich wäre, Herr Kollege Erhard, die Sie diesen Gedanken bei uns in die Debatte des Rechtsausschusses getragen haben, wie Sie wissen, durchaus bereit gewesen, über so etwas als Kompromißlösung - als Kompromißlösung, nicht als das, was ich anstrebe - nachzudenken, wenn es nicht so wäre, daß zwingend - und darüber sind wir uns zum Schluß alle einig gewesen - die anhängigen Verfahren in eine solche Regelung mit einem grotesken Ergebnis hätten einbezogen werden müssen: Wir hätten eine eingeschränkte weitere Verfolgung derartiger Verbrechen zwar erreicht, aber zulassen müssen - ohne die Zahl der Verbrechen, die wir hätten weiterverfolgen können, genau zu kennen; es könnten verhältnismäßig wenige sein -, daß es mit Sicherheit zu einem gekommen wäre: der Einstellung zahlreicher anhängiger Verfahren. ({3}) Ich glaube, wir sollten hier klarstellen, daß wir nicht von uns aus irgend etwas tun dürfen, was uns auch nur in den Verdacht bringen könnte, etwas zu tun, was nach Amnestie oder Teilamnestie aussieht.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Erhard.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sieglerschmidt, würden Sie bestätigen, daß wir uns im Rechtsausschuß die Akten sämtlicher Fälle, die seit 1970 zur Erhebung von Anklagen geführt haben, haben vorlegen lasen und daß sich aus den Akten, die noch nicht abgeschlossen, also noch nicht mit Urteil erledigt sind, ergeben hat, daß, wenn überhaupt, allenfalls ein Fall unter die Regelung gefallen wäre, die ich vorgeschlagen habe?

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dies kann ich so nicht bestätigen, Herr Kollege Erhard. ({0}) - Nein. Es ist so, daß durchaus auch andere Verfahren von den anhängigen Verfahren hätten darunterfallen können. Aber wir können das jetzt nicht im einzelnen klären, weil wir dann die Akten vornehmen müßten. ({1}) Jedenfalls besteht die Befürchtung, daß nicht nur ein Verfahren hätte eingestellt werden müssen. Herr Kollege Erhard, ich meine, dazu würde vielleicht noch etwas zu sagen sein, wenn man die Akten, die ich jetzt natürlich nicht hier habe, heranzöge. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß weder eine differenzierende Regelung, so, wie sie uns der Kollege Maihofer empfohlen hat, noch etwas in der Richtung, wie ich es eben hier behandelt habe, zu einem Ergebnis führt, das - jedenfalls für mich - annehmbar ist, bleibt die Entscheidung, entweder die Unverjährbarkeit von Mord allgemein einzuführen oder den Eintritt der Verjährung bei nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Kauf zu nehmen. Dies ist die Entscheidung, vor der wir stehen. Ich habe in der ersten Lesung davon gesprochen, daß die Stunde der Wahrheit in dieser Frage herannahe. Nun stehen wir vor dieser Stunde der Wahrheit und haben uns zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu entscheiden. Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Auch der Versuch, etwa durch weiteres Hinausschieben dieser Entscheidung zu einer besseren Regelung kommen zu wollen, kann uns nicht weiterhelfen. Wir haben lange genug im Rechtsausschuß danach gesucht, wie wir zu der optimalen Regelung - nicht „Lösung", sondern „Regelung" - kommen könnten. Außer dem, was heute hier auf dem Tisch liegt bzw. in der Diskussion ist, hat sich nichts gezeigt. Es ist also auch für die Zukunft kaum zu erwarten, daß, neue Elemente hinzukommen werden. Deswegen möchte ich hier mit al- ler Deutlichkeit sagen: Jeder Versuch einer Verschiebung dieser Entscheidung wäre ihrer Bedeutung und dieses Parlaments nicht würdig. Meine Damen und Herren, es gibt Entscheidungen, die in die geschichtliche Zukunft fortwirken. Man merkt das häufig erst hinterher, wenn nach einer solchen Entscheidung eine unwiderrufliche Veränderung eingetreten ist. Wir haben heute hier - ich gestehe das ganz freimütig zu - auch viele gute Gründe gehört, die für einen Eintritt der Verjährung sprechen könnten. Wir haben wiederum - wie schon in der ersten Lesung - von den Schwierigkeiten gehört, die Bestrafung weiterer NS-Verbrecher zu erreichen. Wir haben sicherlich übereinstimmend festgestellt, daß die Möglichkeiten dazu nach so langer Zeit begrenzt sind. Dennoch muß ich Ihnen sagen: Wir würden meiner Meinung nach nicht die gleiche Republik sein, wenn wir im Namen des deutschen Volkes einen Schlußpunkt für die Strafverfolgung dieser Verbrechen setzten. ({2}) Die Aufhebung der Verjährung von Mord allgemein sollte auch nicht schwerfallen. Ich will hier noch einmal deutlich machen, was andere Kollegen vorher schon in anderer Form geäußert haben. Wenn wir erkennen, daß die Abschaffung der Todesstrafe ein erster Schritt war, an den sich die Aufhebung der Verjährung als logischer zweiter Schritt anschließt, dann, meine ich, könnte es doch auch den Kollegen, die sich noch nicht in dieser Richtung entschieden haben, leichter fallen, diesen Schritt mit uns zu tun. Es waren doch die Erfahrungen am Ende der NS-Gewaltherrschaft, die in Feuer und Blut zu Ende ging, die zu jener Wertentscheidung geführt haben, daß das Recht auf Leben ein höchstes Gut ist. Ich will noch einmal eine Verbindung zwischen den beiden Entscheidungen deutlich machen. Die eine damals getroffene Entscheidung war die auf Abschaffung der Todesstrafe, die andere, nämlich für Unverjährbarkeit von Mord, steht heute vor uns. Der Staat hat nicht das Recht, Leben zu vernichten - so war damals diese Grundentscheidung -, auch nicht auf Grund eines Richterspruches. Wer aber Leben durch Mord vernichtet, den hat der Staat ohne zeitliche Begrenzung zu verfolgen und seinem Richter zuzuführen. Eine solche Ethik, Herr Kollege Mertes, steht für mich aus bitterer Erfahrung heraus höher - das sage ich ganz offen - als die Ethik des Rechtsfriedens, die Sie erwähnt haben. Welche Rolle hat in dieser Diskussion nun das Ausland zu spielen? Welche Rolle hat es gespielt? Ich sage Ihnen, verehrte Kollegen, ganz freimütig: Wenn ich nicht mit gutem Gewissen für die Aufhebung der Verjährung von Mord eintreten könnte, würde keine Mahnung, keine Forderung aus dem Ausland mich beeinflussen können. Weil aber mit der Entscheidung für eine Aufhebung der Verjährung von Mord, so meine ich, zumindest nichts Rechtsstaatswidriges verlangt wird - wie immer man auch die Frage beurteilen mag -, haben wir auf diese Stimmen aus dem eigenen Land und aus dem Ausland, insbesondere auf die Stimmen der Opfer, ihrer Angehörigen und ihrer Hinterbliebenen zu hören. Herr Kollege Mertes, Sie haben hier eine Formulierung gebraucht, die ich gern zwischen uns hier vom Tisch bekäme, wenn es geht. Sie haben gesagt, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß statt des Rechtes bei uns die politische Anpassung regiere. Ich will mich vorsichtig ausdrücken: Ich halte eine solche Formulierung zumindest für mißverständlich und gefährlich. Denn sehen Sie: So wie Sie mit Recht jeden Verdacht zurückweisen, daß Ihre Haltung interpretiert werden könne, als wollten Sie damit Naziverbrecher unterstützen oder fördern, so haben wir natürlich jeden Verdacht zurückzuweisen, daß wir hier etwa aus Gründen der politischen Anpassung handeln. ({3})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sieglerschmidt, sind Sie bereit, entgegenzunehmen, und zwar in der Atmosphäre des gegenseitigen, wirklich aufrichtigen Respekts, daß ich folgendes gesagt habe: Nachdem der Deutsche Bundestag dreimal über die Mordverjährung beschlossen hat - zweimal nach sehr langen eingehenden Beratungen aller Argumente für und wider, beim vorigen Mal mit der ausdrücklichen Erklärung der Endgül13272 Dr. Mertes ({0}) tigkeit -, könnte der Eindruck entstehen - ich habe ihn mir nicht zu eigen gemacht -, daß nicht die Verläßlichkeit und Kontinuität des Rechts Vorrang haben, sondern momentane Anpassungen.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mertes, ich nehme Ihre Erklärung mit Befriedigung zur Kenntnis. Aber lassen Sie mich hinzufügen: Die Schwierigkeit bei solchen Sätzen liegt darin, daß sie sich häufig sehr schnell selbständig machen und Beine bekommen; und dann weiß man nicht, was daraus wird. Dies wollte ich mit meiner Bemerkung gern zum Ausdruck bringen. ({0}) - So ist es. Die Welt schaut heute auf uns hier in diesem Plenum - auch wenn es leider nur mäßig besetzt ist -, und die Welt hört uns zu. Zu dieser Welt gehören unter anderem unsere Partner in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Sie würden meiner Einschätzung nach insgesamt gesehen - da mag es auch verschiedene Stimmen ge- ben - wenig Verständnis dafür haben, wenn wir uns heute für ein Eintreten der Verjährung entscheiden würden. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich jener Debatte im Europäischen Parlament beigewohnt habe, die der Entschließung vorausging, die ebenfalls Gegenstand der Aussprache hier in diesem Haus ist. ({1}) Vor allem haben wir bei dem, was wir hier zu beschließen haben, an die Jugend in unserem Land zu denken. Ihr müssen wir unsere Entscheidung ohne juristische Tüftelei vor dem Hintergrund unserer Geschichte erklären können. Was wir heute beschließen, gilt nicht nur für die Gegenwart. Es wirkt in die Zukunft hinein. Es hat Bedeutung für die nachfolgenden Generationen, vor denen wir zu verantworten haben werden, was wir nachher hier beschließen. ({2})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermords oder der Kriegsverbrechen nach dem Genfer Abkommen von 1949 erfüllt, nicht verjähren darf. Ich glaube, daß dafür in erster Linie internationale Verpflichtungen maßgeblich sind. Nicht nur die UNO-Konvention über die Nichtverjährung von Völkermord und Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1968, sondern auch Art. 7 der Menschenrechtskonvention von 1948 sowie das Abkommen des Europarats über die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1974 sehen solches vor. Meine Damen und Herren! Ich darf kurz aus dieser Europäischen Konvention von 1974 zitieren. Es heißt dort: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die Verjährung für die Verfolgung der folgenden Verbrechen nicht gilt ... Dann sind die Verbrechen des Völkermordes und Kriegsverbrechen genannt. Es heißt dort weiter: Es - nämlich dieses Übereinkommen gilt auch für Verbrechen, die vor diesem Inkrafttreten begangen worden sind, wenn die Verjährungsfrist zu der Zeit nicht abgelaufen war. Meine Damen und Herren, bei dieser Aufforderung aus dem Jahre 1974 ist es nicht geblieben, sondern das Europäische Parlament hat erst Anfang dieses Jahres seine Aufforderung wiederholt, dem Übereinkommen von 1974 auch tatsächlich beizutreten. Es hat seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, daß das noch nicht von ausreichend vielen Staaten getan worden ist, und gefordert, daß möglichst viele Staaten dies nachholen sollten und daß alle politischen und juristischen Vorkehrungen zu treffen sind, um eine Verjährung in diesen Fällen nicht eintreten zu lassen. Das ist die internationale Situation, in der wir in der Bundesrepublik Deutschland stehen. ({0}) Diese internationalen Aufforderungen gehen auch nicht ins Leere, denn mittlerweile ist ja nicht mehr streitig, daß mit größter Wahrscheinlichkeit, ja, mit Sicherheit nach einem Ablauf der Verjährung Ende dieses Jahres neue Täter bekannt würden mit neuen Taten oder doch an Tatkomplexen beteiligt, die wir bereits kennen. Von daher meine ich, daß wir sowohl juristisch als auch politischmoralisch verpflichtet sind, entsprechend diesem Übereinkommen im Bundestag tätig zu werden und die Verjährungsfrist Ende dieses Jahres nicht ablaufen zu lassen. ' Ich glaube, daß nur eine wirklich gewichtige Gegenposition eingenommen werden kann, nämlich die, die vor etwa zehn Jahren von Thomas Dehler eingenommen wurde mit, wie ich finde, damals sehr überzeugenden Argumenten. Er führte nämlich aus, daß die Verjährungsfrist aus rechtlichen Gründen nicht nachträglich aufgehoben werden sollte. Ich meine aber, daß im Laufe der Zeit dieser Argumentation von Thomas Dehler die Grundlage entzogen worden ist. Zum einen deswegen, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß die rückwirkende Aufhebung der Verjährungsfrist verfassungsrechtlich zulässig ist. Das heißt: Schon for-malrechtlich ist die Position, die Thomas Dehler - damals für mich überzeugend - dargestellt hat, heute nicht mehr gültig. Zum anderen meine ich, daß auch inhaltlich nicht richtig ist, was immer wieder gesagt wird: daß nämlich das Institut der Verjährung ein Kernstück liberaler Rechtspolitik sei. Ich halte die Verjährung für ein bloßes Verfahrensinstrument, ein Instrument, von dem bekannt ist, daß es im Laufe der Geschichte und in den verschiedenen Staaten - auch Staaten, die uns politisch nahestehen - höchst unterschiedlich gehandhabt worden ist. Schon von daher kann es sich meiner Ansicht nach gar nicht um ein Kernstück liberaler Rechtspolitik handeln. Außerdem glaube ich, daß all die für eine Verjährung immer herangezogenen Argumente bei der vorliegenden Diskussion, nämlich der Verjährung von NS-Verbrechen oder, wie wir es juristisch formuliert haben, der Verjährung für Mord, der zugleich den Tatbestand des Völkermordes erfüllt, nicht zum Tragen kommen:, Gesichtspunkte wie Beweisschwierigkeiten nach einer dreißigjährigen Frist, als unangemessen empfundene Freisprüche, Schutz der Rechtspflege vor Überforderung nach einer so langen Zeit, Bedürfnis nach Rechtsfrieden oder das angebliche Fehlen eines Bedürfnisses nach Strafverfolgung. All dies kann meiner Ansicht nach für eine Verjährung in diesen Fällen nicht vorgetragen werden. In der Öffentlichkeit wird leider zu oft eine falsche Alternative aufgestellt. Hier geht es nicht um die Alternative, daß Ende dieses Jahres bei einem Ablauf der Verjährungsfrist ein Ende der NS-Prozesse eintritt, also ein Ende der Beweisschwierigkeiten in solchen Prozessen oder ein Ende der als unangemessen empfundenen Freisprüche. Nein, alle diese Prozesse gehen ja weiter; wir werden auch bei einem Ablauf der Verjährungsfrist noch jahrelang, möglicherweise jahrzehntelang NS-Prozesse haben. Die deutsche Justiz tut alles, um noch in möglichst vielen Fällen Verjährungsunterbrechung herbeizuführen. Das heißt, man bemüht sich ausdrücklich darum, daß auch nach einem möglichen Ablauf der Verjährungsfrist möglichst viele Prozesse stattfinden können. Wenn das so ist, geht es aber gar nicht um das Problem, daß nach dem 31. Dezember dieses Jahres Schluß wäre, sondern die Alternative stellt sich ganz anders. Wenn wir nämlich die Verjährung nicht aufheben, werden wir, wie ich finde, nach purem Zufall - je nachdem, ob eine Verjährungsunterbrechung eingetreten ist oder nicht - die einen Täter auf der Anklagebank und die anderen im Zuschauerraum sitzen haben. Das ist doch die Alternative, die wir nach Ende dieses Jahres haben werden, und diese Alternative halte ich nun für unerträglich. Ich glaube, daß auch kein Bürger draußen eine solche Ungleichbehandlung von doch gleichen Tätern mit gleichen Tatkomplexen verstünde; im Gegenteil, ich sähe es als eine unerträgliche Belastung der noch laufenden NS-Prozesse an, wenn auf Grund solcher Zufälligkeiten in der Frage „Verjährungsunterbrechung, ja oder nein?" eben die einen auf der Anklagebank und die anderen im Zuschauerraum säßen. Dies alles führt meiner Ansicht nach dazu, daß die Verjährung für solche Verbrechen aufgehoben werden muß. Auf der anderen Seite bin ich nicht der Ansicht, daß wir aus diesen Gründen die Verjährung für Mord generell aufzuheben haben. Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Debatten heute, am 29. März und auch in den letzten Jahren, als wir über die Verjährung gesprochen haben, aus einem einzigen Grunde geführt worden sind. Es ging - vom konkreten Anlaß her - nie um die Frage der generellen Aufhebung der Verjährung; Anlaß war immer das Problem der NS-Verbrechen, bei denen sonst die Verjährung eingetreten wäre. Das ist der eine Grund. Der zweite Grund ist dieser: Ich glaube, daß Völkermord - dies ist in der ersten Lesung wie auch heute schon mehrfach gesagt worden - eine andere Qualität hat als Mord aus privaten Motiven. ({1}) Es handelt sich bei Völkermord um organisierte Massenmordverbrechen, die - das ist wichtig - unter Ausnutzung des staatlichen Herrschaftsapparates - denn sonst hätten sie überhaupt nicht geschehen können - gegen ganze Bevölkerungsgruppen begangen worden sind. Dies hat eine andere Dimension als sonstige Mordtaten, eine andere Dimension nicht nur von der Zerstörungsdimension her - hier sind ja Millionen von Menschen umgebracht worden -, sondern auch von der Zielrichtung her; denn hier geht es um das Negieren des Existenzrechts ganzer Gruppen. Deswegen haben wir ja auch internationale Regelungen, die eine solche Zerstörung ganzer Gruppen unter Strafe stellen und uns auffordern, ihre Verjährung nicht eintreten zu lassen. Auch das geltende Strafrecht sieht - das kommt leider in der Diskussion zu kurz - diese Differenzierung vor. Wir haben doch schon heute in § 220 a des Strafgesetzbuches einen Sondertatbestand, der neben dem § 211, dem Mordparagraphen, existiert. Dieser Sondertatbestand des Völkermordes ist im Jahre 1954 eingeführt worden. Wir haben 1969 die Verjährung für Völkermord aufgehoben, und zwar nicht nur im Blick auf zukünftigen Völkermord, sondern auch rückwirkend bis zum Jahre 1954, also bis zur Einführung dieses Tatbestandes. Es fehlt im Grunde nur ein einziger Schritt, und dieser Schritt wird in dem Änderungsantrag, den wir hier in zweiter Lesung vorlegen, vorgesehen. Es ist der Schritt, die weitergehende Rückwirkung für den Völkermordtatbestand vorzusehen, und zwar insoweit, als es um Taten geht, die zugleich den Mordtatbestand erfüllen, um Taten, die vor 1954 - bis zurück in die NS-Zeit - geschehen sind. Ich meine also, daß unser bundesrepublikanischer Gesetzgeber diese Besonderheit des Völkermordes, die hier immer wieder bestritten worden ist, selber eingeführt hat und daß es nur konsequent ist, wenn wir, einerseits internationalen Verpflichtungen folgend und andererseits dem deutschen Gesetzgeber folgend, eine Regelung vorsehen, wie der sogenannte Maihofer-Entwurf sie empfiehlt. Ich glaube, daß wir, wenn wir die Verjährung für Mord generell aufheben, diesen qualitativen Unterschied zwischen Mord und Völkermord unzulässig und unverhältnismäßig verwischen. Heute morgen wurden einmal die Lehrer kritisiert, daß sie den Kindern und Jugendlichen in der Schule die au13274 ßerordentliche Dimension solcher Taten aus unserer jüngsten Geschichte zuwenig nahebringen. Ich kann nur zurückfragen: Wie sollen die Lehrer den Kindern nahebringen, daß die Völkermordverbrechen des Dritten Reiches etwas Außergewöhnliches sind, wenn wir diese Verbrechen bei der Verjährungsfrage nicht auch außergewöhnlich behandeln? Ich meine, daß diese unterschiedliche Qualität in der Verjährungsfrage zum Ausdruck kommen muß. Ich bin in den zurückliegenden Monaten von Kollegen, die anderer Ansicht als ich sind, mehrfach gefragt worden: Wie rechtfertigen Sie eigentlich eine unterschiedliche Verjährungsregelung für z. B. den grausamen Mord an einem Kind im Jahre 1979 auf der einen Seite und für die Morde an jüdischen oder polnischen Kindern im KZ auf der anderen Seite? Ist denn das Leben all dieser Kinder nicht genausoviel wert? Die Antwort kann selbstverständlich nur sein: Das Leben all dieser Kinder ist genausoviel wert, und sicher ist auch das Mitgefühl für die Opfer und für die Angehörigen in beiden Fällen genauso vorhanden. Aber ich meine, daß zwei Gründe dagegen sprechen, die Verjährung in diesen Fällen gleichzubehandeln. Der erste Grund ist - wenn Sie so wollen - mehr praktischer Natur. Das Problem einer Verjährungsfrist hat sich in den erstgenannten Fällen in der Praxis noch nicht gestellt. Es gibt in der gesamten Geschichte des Strafrechts und des Strafprozeßrechts nicht einen einzigen Fall - ich habe mich bei den zuständigen Fachleuten erkundigt -, wo nach Ablauf der Verjährungsfrist ein Täter aufgetaucht ist, von dem ein Mord bekannt geworden ist oder der sogar von sich aus gesagt hat, er habe vor 20, 30 Jahren jemanden umgebracht, und der dann wegen Ablauf der Verjährung nicht mehr hätte verfolgt werden können. Daher ist diese an uns gestellte Frage nicht tatsächlich akut. Wenn dies in der Praxis noch nie vorgekommen ist und nichts dafür spricht, daß es in Zukunft vorkommen wird, besteht keine Notwendigkeit dafür, von dem ansonsten bewährten Prinzip der Verjährung auch für solche Fälle generell abzugehen. Der zweite Grund ist grundsätzlicher Natur. Es besteht nämlich zwischen den beiden genannten Fällen nicht beim Opfer und auch nicht bei den Angehörigen, wohl aber in der Bewertung der Täter und der Taten ein erheblicher Unterschied. Ich glaube nämlich, daß die Hemmschwelle bei Völkermordverbrechen - das hat das Dritte Reich gezeigt - oft geringer als bei anderen Morden war. Das war deswegen so, weil es sich um Verbrechen handelte, die vom Regime gutgeheißen worden sind, hinter denen ein Staat mit einer Staatsideologie stand, zu der es gehörte, daß das Recht und die Pflicht bestand, bestimmte Gruppen in diesem Lande auszumerzen, weil es sich bei ihnen angeblich um „unwertes Leben" handelte. Ich glaube, daß dies der Grund dafür ist, daß es im Dritten Reich Täter gab, die an den schrecklichsten Morden und Völkermorden beteiligt waren, die aber privat als liebenswürdige Familienväter geschildert werden. Zu Hause haben sie wie andere gelebt, aber im KZ waren sie bereit, die tödliche Spritze zu setzen oder an der Rampe mit einem einfachen Handzeichen über Tod und Leben zu entscheiden. ({2}) Ich meine, wenn es so etwas gibt, wenn sich bei solchen Völkermordverbrechen die Täter hinter der Ideologie verschanzen, müssen besondere Barrieren aufgerichtet werden. Das ist der Grund dafür, daß uns das internationale Recht eine besondere Ahndung solcher Verbrechen vorschreibt. ({3}) - Ja! - Die generalpräventive Wirkung der Strafe steht bei diesen Verbrechen ganz entscheidend im Vordergrund. Herr Maihofer hat darauf hingewiesen, daß es das Problem der individuellen Resozialisierung bei vielen NS-Tätern in der Tat nicht gibt. Deswegen muß hier die generalpräventive Wirkung im Vordergrund stehen. ({4}) Lassen Sie es mich so formulieren: Niemand, der sich, in welchem Land und unter welcher Ideologie auch immer, an Völkermordverbrechen beteiligt, darf darauf hoffen können, daß er nach dem Wechsel des Regimes und einem Aufenthalt von 20 oder 30 Jahren im Ausland dann in seine Heimat zurückkehren kann, ohne für seine Mordtaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ich meine, daß dies die eigentliche Logik, der eigentliche Sinn unseres Antrags ist. Dieser Sinn würde aber verwischt werden, wenn die Mordverjährungsfrist generell aufgehoben werden würde. Lassen Sie mich ein letztes sagen: In der heutigen Debatte ist unser Antrag mehrfach als Versuch des Ausgleichs oder des Kompromisses aufgefaßt worden. Ich sehe unseren Antrag nicht so. Wir hatten nicht die Absicht, zwischen unvereinbaren Vorstellungen, nämlich hier Ablauf der Verjährung, dort Abschaffung der Verjährung, einen Kompromiß um des Kompromisses willen zu finden. Wir meinen, daß von der Sache her, von der internationalen Verpflichtung her und von der unterschiedlichen Qualität von Mord einerseits und Völkermord andererseits her die differenzierende Lösung die eigentlich sachgemäße ist, für die wir um Unterstützung in diesem Hause bitten. Ich glaube zwar nicht, daß wir damit, wie es immer wieder beschworen worden ist, die Vergangenheit bewältigen können. Aber ich glaube, daß die Aufhebung der Verjährung für Mord, der zugleich Völkermord darstellt, eine notwendige Voraussetzung für die Bewältigung der Vergangenheit ist. ({5})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dr. Lenz ({0}) Lassen Sie mich bitte im Anschluß an die Beratungen des Rechtsausschusses einige verfassungsrechtliche Bemerkungen zu dem Thema unserer Debatte machen. Das der Aufhebung der Mordverjährung zugrunde liegende Anliegen, nach mehr als 35 Jahren gegen heute noch nicht bekannte Täter Ermittlungs-und Strafverfahren durchzuführen, bedeutet nach meiner Auffassung eine Überforderung der Rechtspflege. Trotz intensiver, kontinuierlicher Bemühungen der Strafverfolungsbehörden können heute bestenfalls noch Zufallsergebnisse erzielt werden. So sind z. B. im Jahre 1977 nur sieben Angeklagte verurteilt worden. Demgegenüber wurden im gleichen Zeitraum 2 709 Verfahren ohne Bestrafung der Angeklagten oder Beschuldigten abgeschlossen. Meine Damen und Herren, das ist Justiz im Lotterieverfahren. Derartiges kann nicht in Ordnung sein. ({1}) Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Denn den Gesetzen muß eine Ausführbarkeit im Sinne ihrer grundsätzlichen und gleichmäßigen Anwendbarkeit zu eigen sein. So hat uns Professor Böckenförde im Rechtsausschuß gesagt. Insofern hat also die praktische Durchführung eines Gesetzes im Hinblick auf den Gleichheitssatz verfassungsrechtliche Bedeutung. Wir alle wissen, daß der Hauptansatzpunkt, das Hauptanliegen des Gesetzes die Verhinderung der möglichen Verjährung von NS-Verbrechen sein soll. Deswegen soll die Verjährung von Mord im allgemeinen - so wollen es die meisten SPD-Abgeordneten und einige Kollegen aus der CDU/CSU-und der FDP-Fraktion - aufgehoben werden. Auch das ist ein verfassungsrechtlich problematischer Vorgang. Professor Frowein hat uns im Rechtsausschuß gesagt, so wie sich ihm die Frage stelle, stoße es auf verfassungsrechtliche Bedenken, wenn man in einer Situation, in der Anlaß für die Aufhebung der Verjährung ein ganz klar umgrenzter Tatkomplex sei, wegen gewisser Schwierigkeiten - unter Umständen vielleicht der Formulierung - zu einer Lösung greife, von der man genau wisse, daß sie eine Vielzahl von Taten erfasse, die man niemals einer Neuregelung zuführen würde, wenn es nicht die anderen Fälle gäbe. Wir haben ja alle von der Tatsache Kenntnis genommen, daß weder bei den Beratungen zur Strafrechtsreform noch bei den Beratungen über eine schwerere Bestrafung von terroristischen Gewalttätern auch nur einem einzigen von uns hier in diesem Saal der Gedanke gekommen ist, hier etwa die Verjährung aufzuheben oder die Verjährungsfristen zu verlängern. ({2}) Professor Frowein ist dann fortgefahren: ... man kann nicht bestreiten, daß die Verjährung auch eine Vergünstigung für den Täter ist, und es erhebt sich die Frage, ob es richtig ist, diese Vergünstigung für die Zukunft nunmehr auch für Bereiche aufzuheben, in denen ein Anlaß dazu für den Gesetzgeber ... überhaupt nicht besteht. Frowein kam zwar nicht zu dem Ergebnis, das vorliegende Gesetz sei verfassungswidrig. Aber er hat ebenfalls bestätigt, daß das eine Frage von verfassungsrechtlicher Bedeutung sei. Hier setzt nun die Regelung ein, die in diesem Hause von Herrn Kollegen Maihofer, unserem Kollegen Helmrich und auch von meiner Vorrednerin vertreten worden ist. Wir haben uns mit dieser Frage im Rechtsausschuß sehr ausgiebig beschäftigt. Die gegen diese Lösung erhobenen Bedenken sind im Bericht des Rechtsausschusses eingehend dargestellt. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, den Kollegen Emmerlich und Erhard sehr herzlich dafür zu danken, daß sie bei der Fertigstellung des Berichts die äußersten Anstrengungen unternommen haben; denn es ist noch keine Woche her, daß wir die Beratungen im Rechtsausschuß abgeschlossen haben. Sie standen - das möchte ich ganz freimütig sagen - gegen Abschluß der Beratungen unter einem gewissen Zeitdruck. Wir haben uns im allgemeinen für Berichte dieser Bedeutung Fristen von mehreren Wochen bis zur Fertigstellung gegönnt. Daß die Kollegen es möglich gemacht haben, heute die Entscheidung zu treffen, verdient unseren Dank und unsere Anerkennung. ({3}) Mein Dank schließt auch die Mitarbeiter ein, die mit zu dem Ergebnis beigetragen haben. Von den vorgetragenen Bedenken gegen den Vorschlag der Kollegen Maihofer, Helmrich und Frau Matthäus-Maier scheint mir das Argument von Herrn Professor Böckenförde, unterschiedliche Verjährungsregelungen seien nur dann zu vertreten, wenn der Unrechtsgehalt der individuellen Taten unterschiedlich sei, von großer Bedeutung zu sein. Böckenförde sagt: Man kann nicht einfach klassifizieren: hier Staatsverbrechen, hier Privatverbrechen, sondern man muß sich schon, wie es das Strafrecht überhaupt tut, an der Schuld des Täters orientieren. ({4}) In diesem Zusammenhang möchte ich das Hohe Haus und auch die deutsche Öffentlichkeit auf die in meinen Augen sehr beachtlichen Ausführungen hinweisen, die der Kollege Erhard am 30. Mai 1979 in der Sitzung des Rechtsausschusses zu diesem Thema gemacht hat. - Sie sind für jeden zugänglich, der sich dafür interessiert, Frau Kollegin. - Er hat dabei die Frage aufgeworfen und einzeln durchbuchstabiert - dekliniert - konjugiert - wie Sie wollen -, ob einem, der damals - häufig gezwungenermaßen, ohne andere Wahl - die Uniform der SS anziehen mußte und dann vielleicht wegen eines körperlichen Gebrechens, weil er nicht voll felddiensttauglich war, ({5}) Dr. Lenz ({6}) zu einer solchen Bewachungsmannschaft abkommandiert wurde, tatsächlich vorgeworfen werden könne, daß er unter dem Einfluß dieser Umgebung die nationalsozialistische Ideologie aufgenommen - was für den Mordvorsatz ja ausreicht - bzw. unter dem Einfluß von Befehl und Gehorsam sowie dieser Ideologie die Taten begangen habe, deren Nichterfüllung ihm damals ebenfalls vorgeworfen worden wäre. Hier muß man versuchen, Gerechtigkeit gegenüber jedermann walten zu lassen, auch wenn es schwerfällt, auch wenn Täter und Tatumstände besonders abscheulich sind und wir mit den Opfern besonderes Mitleid haben. Im übrigen haben der Präsident des Bundesgerichtshofs, Dr. Pfeiffer, sowie die Generalstaatsanwälte Dr. Ulrich und Geißel den Vorschlag unserer beiden Kollegen wegen der Umgehung des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes kategorisch für verfassungswidrig erklärt, jenes Grundsatzes, der unter dem Namen nulla poena sine lege bekannt ist. Ich möchte für meine Freunde und für mich zu diesem Punkte sagen, was ich schon vor einigen Wochen hier feststellen durfte: Wir wollen NS-Mörder nicht anders behandeln als andere Mörder. Wir wollen für sie keine Ausnahme machen, weder im entschuldigenden noch im belastenden Sinne. ({7}) Ich habe mich gefreut, daß in diesem Punkte auch mit zahlreichen Kollegen der SPD im Rechtsausschuß durchaus Übereinstimmung bestand. Wir sind vielleicht in den Lösungen auseinander. Aber die Beratungen haben doch - das muß ich feststellen - ein bemerkenswertes Maß an Übereinstimmung in rechtspolitischen Grundauffassungen gezeigt, was ich nicht verdeckt sehen möchte durch eine möglicherweise kontroverse Entscheidung in dieser Frage heute. Gestatten Sie mir auch zu sagen, daß die Beratungen des Rechtsausschusses in einem Klima gegenseitigen Respekts, der Sachlichkeit und der Rücksichtnahme stattgefunden haben, das ich allen Gremien dieser Republik zu allen Zeiten wünsche. Meine Damen und Herren, nicht nur die Möglichkeit, den Täter nach mehr als 30 Jahren der Tat zu überführen, ist begrenzt, sondern auch die Chancen, jeden NS-Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Nicht wenige Hauptverantwortliche können .heute aus den verschiedensten Gründen nicht mehr verfolgt werden, obwohl ihre Schuld oft wesentlich größer ist als die Schuld derer, die unter ihnen gedient haben und die heute vor den deutschen Gerichten stehen. Ich denke besonders an die schon mehrfach erwähnten, von den Alliierten verurteilten und bald darauf begnadigten NS-Verbrecher, die auf alliierten Wunsch einer erneuten Überprüfung durch die deutsche Justiz entzogen worden sind. Ich denke auch an die vielen, die 1969 durch die Änderung des Strafgesetzbuches - des § 50 Abs. 2; für die Spezialisten - aus der Bestrafung herausgefallen sind, weil der Bundesgerichtshof dieser neuen Vorschrift eine Auslegung gegeben hat, die für viele überraschend war. Derartige Ungleichheiten sind in einem Rechtsstaat schwer zu vertreten. Die Bundesrepublik Deutschland ist aber von Verfassungs wegen ein Rechtsstaat. Auch aus diesen Gründen gibt es hier verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Regelung. ({8}) Der Deutsche Bundestag hat sich mit der Verjährungsfrage 1953, 1960, 1965 und 1969 beschäftigt. Dabei hat er sich im Gegensatz zu dem, was der Herr Kollege Vogel ({9}) heute morgen hier gesagt hat, zur Beibehaltung des Instituts der Verjährung auch bei NS-Verbrechen bekannt. Eine nochmalige Änderung ist dem Rechtsempfinden nicht förderlich. Das gilt selbst dann, wenn man die Einmaligkeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der deutschen Geschichte berücksichtigt. Ich habe sie in der ersten Lesung hier als die Herrschaft des Verbrechens bezeichnet. Leider haben Kriegsverbrecherprozesse und die versuchte internationale Prävention nicht dazu geführt, daß weitere Verbrechen dieser Art und vergleichbaren Ausmaßes unterblieben sind. Wir brauchen nur unsere Blicke auf Ostasien zu richten. Dort wird in unseren Tagen der Tatbestand des § 220 a des Strafgesetzbuches, des Völkermordparagraphen, verwirklicht. Dort wird nämlich eine durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe, nämlich die in Vietnam lebenden Chinesen, unter Lebensbedingungen gestellt, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung dieser Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen. Und nirgendwo erhebt sich ein Kläger und stellt die Täter vor Gericht! ({10}) Völkerstrafrecht wird nach der bisherigen Erfahrung der Weltgeschichte nur an den Besiegten geübt. Deswegen habe ich auch große Zweifel, ob die von Herrn Kollegen Maihofer hier verfolgten Ziele der völkerrechtlichen Prävention erreicht werden können. Deshalb sollte es keine weitere Änderung unseres Verjährungsrechts geben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen, daß ich auf eine strafrechtliche Würdigung des Verhaltens derjenigen Länder, die diese Flüchtlinge an ihren Küsten nicht landen lassen, sondern auf zerbrechlichen Fahrzeugen wieder ins Meer hinausschicken, ausdrücklich verzichten möchte. Rühmen möchte ich nur die englische Kronkolonie Hongkong, die trotz entsetzlicher Überfüllung ihrem humanitären Auftrag gerecht wird. Die dortige Kolonialregierung und die britische Regierung, unter deren Verantwortung dies geschieht, verdienen hierfür unsere besondere Anerkennung. ({11}) Vielleicht ist dies auch ein Beispiel, das wir nachahmen sollten. Es ist schon gesagt worden, Kollege Sieglerschmidt: „Charity begins at home." Vielleicht können wir alle miteinander darüber nachdenken, ob wir nicht viel mehr in diesem Zusammenhang tun können. Dr. Lenz ({12}) Der Deutsche Bundestag ist aufgerufen, in die Kontinuität des 1., des 3., des 4. und des 5. Deutschen Bundestages zu treten und sich für die Beibehaltung der Verjährung auszusprechen. Daß Kollegen, die damals mitgewirkt haben, heute für eine weitere Änderung des Verjährungsrechts eintreten, ist für mich persönlich ein schwer verständlicher Vorgang. ({13}) - Ist für mich, Herr Kollege Josten, ein schwer verständlicher Vorgang. Rechtsordnung ist mehr als eine Summe von Entscheidungen, die unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßgkeit vorgenommen werden, auch der höchsten Zweckmäßigkeit. Eine Rechtsordnung lebt von der Beständigkeit ihrer Entscheidung in grundsätzlichen Fragen. Eine nochmalige Änderung unseres Verjährungsrechts würde - ich zitiere Professor Böckenförde - das Vertrauen in die Konsistenz ausführlich diskutierter und als generelle Regelung konzipierter gesetzgeberischer Akte beeinträchtigen. Dieses Vertrauen - so sagt Böckenförde, ein Sozialdemokrat - wird durch die jetzigen Vorschläge enttäuscht. Darin liegt für ihn ein weiteres verfassungsrechtliches Bedenken. Die Kernfrage ist jedoch, ob die Aufhebung der Mordverjährung im Jahre 1979 für Taten, die vor 1945 begangen worden sind, nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes verstößt. Die Ieidenschaftlichen Plädoyers des Herrn Präsidenten des Bundesgerichtshofes und der beiden Generalstaatsanwälte, die der Rechtsausschuß angehört hat, gegen eine Umgehung des Rückwirkungsverbots in Form des Vorschlages des Kollegen Maihofer zwingen zu der Frage, ob man sich einfach auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1969 zurückziehen und sagen kann: Damit ist dieses Problem ein für allemal geregelt. Das ist nicht der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bekannten, schon oft heute zitierten Entscheidung in Leitsatz 2 folgendes ausgeführt - ich zitiere wörtlich : Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden kann. Sie lassen die Strafbarkeit der Tat unberührt. Verjährungsvorschriften unterliegen daher nicht dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes. Für die Anhänger der Aufhebung der Verjährung ist jedoch eine besondere Sanktion zur Verdeutlichung der Verwerflichkeit der schwersten Tötungsdelikte unverzichtbar und gegeben, wenn die Rechtsordnung die Verletzung des höchsten Rechtsgutes durch Mord von der Verjährung ausnimmt. - Meine Damen und Herren, das steht so in einer der Drucksachen, über die wir heute diskutieren. Das ist nicht mein Argument. Das ist ein Argument derjenigen, die die Aufhebung der Verjährung fordern. Diese beiden Thesen, die des Bundesverfassungsgerichts und die derjenigen, die sich zur Rechtfertigung ihrer Vorlage auf das Verfassungsgericht berufen, stehen sich aber diametral entgegen. Für die Anhänger der Unverjährbarkeit des Mordes hat diese Strafcharakter. Damit fiele sie aber unter das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes. Unser Kollege Graf Stauffenberg hat hier am 29. März gesagt: Die Unterscheidung zwischen materiellem Recht, das Rückwirkung ausschließt, und dem Verfahrensrecht, das Rückwirkung zuläßt, scheint mir persönlich immer noch zu formal zu sein. Denn das tatsächliche Ergebnis - so Stauffenberg - bleibt doch, daß mit der Aufhebung der laufenden Verjährungsfrist die tatsächliche Rechtsposition des Angeschuldigten rückwirkend verändert wird. Der Sachverständige Professor Böckenförde hat uns gesagt, wenn es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gäbe, käme er zu dem Ergebnis, daß keine der beiden hier diskutierten Lösungen verfassungsrechtlich möglich sei. Meine Damen und Herren, angesichts dieser Häufung verfassungsrechtlicher Bedenken, die ich hier nicht in ihrer ganzen Vollständigkeit vortragen konnte, kann ich Bundestag und Bundesrat nur noch einmal mit dem Grafen Stauffenberg gemeinsam auffordern, mit großer Sorgfalt und äußerster Behutsamkeit an die Änderung dieses Gesetzes heranzugehen. Für mich steht gerade nach den eingehenden Anhörungen im Rechtsausschuß fest: Die einzige verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung ist die Beibehaltung der Verjährungsfrist auch für Mord. ({14})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Weber.

Prof. Dr. Hubert Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Kölner Strafkammer hat gestern den Kommandanten eines KZ-Nebenlagers wegen Beihilfe zum Mord zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Beweisführung dieses Urteils - jeder kann es draußen nachlesen, es ist zumindest in den Kölner Tageszeitungen sehr ausführlich gewürdigt - war einwandfrei. Sie entsprach unseren überlieferten Grundsätzen. Dabei stand außer Zweifel, daß sich der Täter - ich bringe diese menschliche Entwicklung bewußt etwas herein, weil immer wieder auf sie angespielt wird - in unserer Gesellschaft, wie man sagt, eingegliedert hatte, daß er nach dem Krieg nicht mehr, wie man weiter sagt, aufgefallen ist und daß er heute ein alter und kranker Mann ist. Gleichwohl war seine Verurteilung notwendig, weil die Tat, wie die Strafkammer ausführt, „die grausame und menschenverachtende Tötung marschunfähiger Häftlinge zweifellos Mord war". Das Gericht konnte das auch heute, wenn auch nicht in allen Anklagepunkten, aber doch in denen, die zur Verurteilung ausgereicht haben, zweifelsfrei feststellen. Deswegen ist es falsch, Herr Kollege Lenz, in den Fällen der Anklage wegen Mordes von Zufallsergebnissen zu sprechen oder die Justiz mit einem, wie Sie gesagt haben, Lotterieverfahren zu vergleichen. Dies ist der Notwendigkeit, das Straf13278 Dr. Weber ({0}) verfahren durchzuführen, nicht angemessen. Es gibt doch zweifelsohne, wie dieser Fall zeigt, auch heute noch Fälle, die juristisch einwandfrei überprüft werden können. Es darf und kann deshalb keinen Freibrief auf die Nichtverfolgbarkeit geben. Ich darf Sie fragen, Herr Kollege Lenz, ob es einen Vertrauensgrundsatz dahin gibt, daß der Mörder auf eine Verjährung vertrauen kann, ob er ein Recht darauf hat, in dieser seiner Kalkulation - nach 30 Jahren darfst du nicht mehr verurteilt werden -, nicht enttäuscht zu werden. Eine solche Kalkulation kann doch nicht schutzwürdig sein, wenn jemand für 20 oder 30 Jahre in der Erwartung untertaucht oder außer Landes geht, der Strafverfolgung dann zu entkommen. Am wenigsten verdient doch der Mörder diesen Schutz. - Bitte!

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Eine Zwischenfrage des Grafen Stauffenberg.

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, gilt das Beispiel, das Sie vorher genannt haben, das sicherlich beeindruckend ist, aber eigentlich das Problem nicht trifft, im gleichen Umfang auch für Fälle, in denen nach 30 Jahren nicht einmal so viel bekannt ist, daß es zu einer Unterbrechung der Verjährung gereicht hätte? Können Sie dann mit gleicher Sicherheit sagen, ein solches Verfahren sei ohne weiteres so durchzuführen, wie Sie es von dem eben geschilderten Verfahren gesagt haben?

Prof. Dr. Hubert Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege von Stauffenberg, das Problem dabei ist Mord. Immer dann, wenn ich einen Mörder durch Mittel der Beweisführung verurteilen kann, muß ich es tun, und dann darf die Verjährung dabei kein Hemmschuh sein. Deswegen habe ich dieses Beispiel von gestern gebracht. Ein Zweites, Herr Kollege Lenz. Sie haben Professor Frowein erwähnt, um Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken darzulegen. Deswegen, weil nicht alle Kollegen, die hier sind, Mitglieder des Rechtsausschusses sind, gestatten Sie mir, aus der Kurzfassung des Gutachtens von Herrn Professor Fro-wein den Satz zu zitieren, auf den Sie offensichtlich abstellen wollen, weil er nämlich darlegt, daß Ihre Darlegung über das, was Professor Frowein gesagt hat, nicht zutrifft. Es heißt dort - ich zitiere -: Dagegen taucht nach meiner Auffassung kein Problem unter Art. 103 Grundgesetz auf, da für die betreffenden Mordtaten lediglich die noch laufende Verjährungsfrist durch Aufhebung der Verjährung überhaupt verlängert würde. Die Prüfung, ob die betreffenden Mordtaten gleichzeitig Völkermord oder Kriegsverbrechen sind, würde nicht ihre Tatbestandsmäßigkeit im eigentlichen Sinne betreffen, sondern lediglich für die Aussonderung der weiter verjährenden und der nicht verjährenden Morde entscheidend sein. Das ist also etwas ganz anderes als das, was Sie zitiert haben; Professor Frowein sagt kein Wort von Verfassungswidrigkeit. Gestatten Sie eine dritte Bemerkung. Sie haben im Unterton auch die Vorschläge erwähnt, die Herr Kollege Erhard im Laufe der Beratungen des Rechtsausschusses gemacht hat. ({0}) Wir haben diese Vorschläge - darauf haben Sie abgestellt, ({1}) wenn Sie auf den Täter, der heute anders ist, der viel älter ist, der sich angeblich gewandelt hat, ({2}) zurückkamen - natürlich sehr sorgfältig geprüft und auf ihre Praktikabilität überprüft. Wir sind der Meinung, daß Umstände und Bedingungen, die im Einzelfall die Tat eines Mörders weniger verwerflich erscheinen lassen können, ausschließlich in einem ordentlichen Gerichtsverfahren festgestellt und gewürdigt werden können, nicht aber im Stadium der Ermittlungen. Eine letzte Bemerkung zur Frage des Rückwirkungsverbotes. Herr Kollege Lenz, Sie haben diese Frage in Ihrem Katalog von Bedenken angesprochen. Schon im 2. Band seiner Entscheidungen auf Seite 307 hat der Bundesgerichtshof angeführt - ich zitiere wörtlich -: Die Länge der gesetzlichen Verjährungsfrist ist nichts, worauf der Täter, der das Strafgesetz verletzt, einen unabänderlichen, verfechtbaren Anspruch gegen den Staat besäße; ihre spätere gesetzliche Verlängerung verletzt das Gebot rückwirkender Bestrafung nicht. An einer anderen Stelle heißt es - ich zitiere -: Durch eine Verlängerung der Verjährungsfrist würde die Strafbarkeit nicht neu begründet, sondern nur ein der Durchsetzung des fortbestehenden Strafanspruchs entgegenstehendes Hindernis beseitigt. Diese Entscheidung ist nicht nur vom Bundesgerichtshof gefällt worden, sondern auch die Praktiker, die wir im Rechtsausschuß gehört haben, an der Spitze der Präsident des Bundesgerichtshofes und die beiden Generalstaatsanwälte von Hamm und Koblenz, hatten keinerlei Zweifel daran, daß das, was wir mit der Verlängerung bzw. der Aufhebung der Verjährungsfrist zu tun beabsichtigen, verfassungskonform ist. Deswegen würde ich Sie bitten, die Kollegen, die den Gang der Beratungen im Rechtsausschuß nicht ständig verfolgen konnten, hier nicht zu irritieren. Unser Rechtssystem, meine Damen und Herren, und besonders das Strafrecht verlangen nicht nur der Gerechtigkeit wegen, daß der Mörder abgeurteilt wird, sondern auch in gleicher Weise, daß dem Opfer Recht zuteil wird, oder, wie Adolf Arndt es 1965 formuliert hat, daß schon allein durch den richterlichen Ausspruch, daß es sich um Mord gehandelt hat, wenigstens die Gerechtigkeit und das Dr. Weber ({3}) Vertrauen für die vielen Opfer wiederhergestellt wird. Schon allein wegen dieser Feststellung, die wir dem Opfer schuldig sind, ist es notwendig, daß wir diese Feststellung dann und immer wieder dann treffen, wenn wir es können, wenn wir es noch können. Das bedeutet, die Barriere zu beseitigen, die die Juristen als ein Verfahrenshindernis bezeichnen: die Verjährung. In der gleichen Debatte im Jahre 1965, als diese Worte von Adolf Arndt gesprochen wurden, hat der damalige Abgeordnete und heutige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Benda, ausgeführt: Der Kern des Problems ist die Unerträglichkeit, Menschen, die möglicherweise des Mordes schuldig sind, für ihre Taten nicht zur Verantwortung zu ziehen. Warum tun sich denn manche so schwer, die Verjährung bei dem schwersten aller uns bekannten Verbrechen, dem Verbrechen gegen das menschliche Leben, aufzuheben? Da wird versucht, historische Argumente zur Begründung heranzuziehen. Wir müssen doch erkennen, daß es falsch ist, sich auf eine angebliche Rechtstradition zurückzuziehen, die es einerseits gar nicht gibt und die unter den heutigen Umständen, unter dem heutigen Erkenntnisstand, auch gar nicht mit substantiellem Bestand ausgefüllt werden kann. Wer will denn überhaupt von Verjährung reden, meine Damen und Herren, wenn wir - und wer sagt uns denn, daß uns nicht auch noch andere Fälle, die uns heute noch gar nicht bekannt sind, eines Tages offenbar werden -Sachverhalte zur Aburteilung anstehen haben, die alle Dimensionen menschlichen Denkens einfach sprengen, sie in den Schatten stellen? Ich habe hier den Auslieferungshaftbefehl gegen Wagner vorliegen, ausgestellt vom Amtsgericht Düsseldorf am 7. Juni 1978. Gestatten Sie mir, nur um diese kolossale Dimension einmal vorzuführen, einen Satz daraus zu verlesen: Er ist dringend verdächtig, - neben anderen Straftaten von April 1942 bis Mitte Oktober 1943 aus niedrigen Beweggründen, teilweise auch heimtükkisch und grausam, vorsätzlich Menschen getötet zu haben, und zwar von April 1942 bis etwa Mitte Oktober 1943, in diesem Falle durch eine einheitliche gemeinschaftlich heimtückisch und grausam begangene Handlung, eine un- bestimmte Anzahl, mindestens aber 150 000 Menschen ermordet zu haben. Das, meine Damen und Herren, sind doch Dimensionen, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können: Ein einzelner Mensch ist verdächtig, in einem Zeitraum von 18 Monaten 150 000 Menschen, teils allein, teils mit Hilfe anderer umgebracht zu haben. Wenn wir vor solche Dimensionen gestellt sind und sie bewältigen müssen, dürfen wir uns nicht auf formale Verfahrenshindernisse berufen können. ({4}) - Ich möchte jetzt keine Fragen zulassen, Herr Kollege Lenz. ({5}) - Aber Herr Kollege Lenz, dann müssen Sie aufpassen. Ich habe das doch eingangs gesagt: Wer schützt uns denn davor, daß andere Fälle bekanntwerden, die wir heute noch nicht kennen? ({6}) Ich war vorn 23. bis 26. Juni, also vor noch nicht vierzehn Tagen, in Polen und habe mit dem Leiter der Zentralen Verfolgungsstelle gesprochen, auch mit anderen hohen polnischen Justizbeamten. Ich weiß, daß im September dort ein großer wissenschaftlicher rechtshistorischer Kongreß auch unter Beteiligung von amerikanischen Historikern abgehalten werden wird, der versucht, das, was an Material noch vorhanden ist, aufzuarbeiten und die Verbrechen des Drittens Reiches zu erfassen. Ich kann Ihnen sagen, daß wir - genauso wie andere Staaten auch - in den nächsten Wochen und Monaten Material über scheußliche Verbrechen in Polen zugeschickt bekommen werden. Wenn wir diese Fälle mit unserem menschlichen Erkenntnisstand nicht aufklären können, dann ist das schon schlimm. Aber viel schlimmer wäre es, Herr Kollege Lenz, wenn wir dorthin schreiben müßten: „Wir schicken Ihnen die Akten zurück, weil wir wegen des Verfahrenshindernisses Verjährung nicht weiter aufklären dürfen." ({7}) Können wir es denn, meine Damen und Herren, dem Zufall überlassen, ob die Verjährung im 29. Jahr nach der Straftat rechtswirksam unterbrochen wird oder ein Jahr später bei dem gleichen Erkenntnisstand eine Verfolgung nicht mehr möglich ist, weil die Verjährung eben dieses eine Jahr vorher, weil der Täter zu diesem Zeitpunkt namentlich noch nicht bekannt war, nicht unterbrochen worden ist? Soll es denn, damit die Staatsanwaltschaft wenigstens in den Fällen ermitteln kann, die sie bis zum 31. Dezember dieses Jahres noch zugeschickt bekommt, durch formaljuristische Handlungen, z. B. durch die Bestimmung des Gerichtsstandes, wie dies 1969 geschehen ist, zu der Folge kommen, daß die Frist um 30 Jahre gestreckt wird? Diese juristische Technokratie wollen wir doch nicht fortsetzen. Wir wollen ein sauberes, ein ordentliches Verfahren, das letztlich auch dem Täter dient. Wir sollten uns alle bemühen, an Stelle der juristischen Technologie ein ordentliches Verfahren zu setzen. ({8}) Soll denn die bloße Mitteilung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, auch wenn diese Mitteilung den Täter noch gar nicht erreicht, für die Verjährungsunterbrechung genügen? Gebietet es dabei nicht vielmehr die Gerechtigkeit, die gerichliche Verfolgung von Mördern nicht dem Zufall an13280 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 166. Sitzung. Bonn, Dienstag den 3. Juli 1979 Dr. Weber ({9}) heimzugeben, z. B. ob ein Richter durch einen Federstrich die Verjährung gerade noch unterbricht, ob es ein Beschuldigter versteht, sich den Ermittlungen zu entziehen, ob er mit Raffinesse oder unter Ausnutzung der Untätigkeit eines anderen Staates oder auch, weil sein Opfer vielleicht selbst nicht an die Öffentlichkeit treten will, sich der Bestrafung entzieht? Nein, unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit wäre dies eine nicht erträgliche Folge. Natürlich ist es richtig, daß wir auch bei der Verletzung anderer, minderschwerer Rechtsgüter diese Folge der Verjährung hinnehmen. Aber dort ist sie erträglich, weil sie nicht das höchste Gut, nämlich das menschliche Leben, vernichtet hat. ({10}) - Das wissen Sie doch genau, Herr Erhard. Ich habe Ihnen eben diesen Auslieferungshaftbefehl vorgelesen. Soll ich Ihnen daraus nochmals vorlesen? Mord setzt eben voraus, daß der Täter die Tat heimtückisch, grausam oder aus niederen Beweggründen oder zur Verdeckung einer anderen Straftat begangen hat. Dann wird gesagt, derartige schreckliche Taten könnten die Täter nicht wiederholen, ja unser Volk könne überhaupt nicht mehr so schrecklich denken und handeln wie in der Zeit des Nazireichs. Dazu müssen wir aber wissen - das ist heute morgen schon einmal angeklungen -, daß unsere jungen Menschen, unsere Schuljugend von fast gänzlicher Unkenntnis darüber sind, zu welchen Gewalttaten Menschen - insbesondere in der Nazizeit, aber nicht nur damals - fähig waren. Niemand kann garantieren, daß diese Gefahren für immer ausgerottet sind. Wir brauchen doch nur unsere nahe Vergangenheit und unsere Gegenwart anzusehen. Da gibt es auch heute Schändungen jüdischer Friedhöfe; da werden Juden symbolisch verbrannt; da gibt es haßerfüllte Parolen in Schundblättern; da gibt es Aufmärsche von sogenannten Traditionsvereinen; da werden selbst an Bundestagsabgeordnete - wie in der vergangenen Woche geschehen - Pamphlete geschickt, in denen die Massenvernichtung von Juden als historische Lüge bezeichnet wird; da werden die Opfer zu Lügnern gestempelt; da wird von dem Film „Holocaust" als von einem „Schmierfilm" gesprochen, der, wie es wörtlich heißt, als „Gipfel zionistischer Volksverdummung" dargestellt wird. Wenn wir diese Reihe von Ereignissen im vorigen und in diesem Jahr ansehen, wird uns recht deutlich, daß die deutsche Vergangenheit des Nazireiches noch lange nicht bewältigt ist. Die Vergangenheit wird da wieder zur Gegenwart, wo wir das Gedächtnis am liebsten gar nicht bemühen würden. Oder wie die „Süddeutsche Zeitung" es in der vorigen Woche formuliert hat: Nicht die Vergangenheit als Vergangenheit, sondern die Vergangenheit in der Gegenwart müssen die Deutschen bewältigen. Deswegen, Herr Kollege Kleinert, ist es doch nicht richtig, was Sie heute morgen gesagt haben: daß man der Justiz nicht alles aufbürden könne. Diese Vergangenheit kann sicher von der Justiz allein nicht bewältigt werden. Besonders die im Rechtsausschuß gehörten und in der Praxis tätigen Sachverständigen haben uns die Schwierigkeiten gezeigt, die - wie es heute morgen gesagt worden ist - „Restbestände" aufzuarbeiten. Aber das bedeutet doch umgekehrt, daß dort, wo es um die Verfolgung schwerster Verbrechen geht, die Justiz aus ihrer und aller Pflicht und Schuldigkeit nicht entlassen werden kann, vor allem nicht mit dem Hinweis, die Zeit für die Verfolgung sei abgelaufen. Das gilt erst recht dann nicht, wenn wir wissen, daß - ich habe es vorhin schon angedeutet - andere Länder noch dabei sind, diese Tatbestände aufzuklären. Und da bleiben Sie mir mit der Justizstatistik weg, es seien nur noch soundso viele Fälle da. Selbst wenn in anhängigen Verfahren nur einer verurteilt wird und zehn freigesprochen werden, wäre es für unseren Rechtsstaat und für unsere moralisch begründete Rechtsvorstellung unerträglich, wenn dieser eine frei herumlaufen könnte. ({11}) Damit aber sind Sinn und Zweck der Verjährung überhaupt angesprochen. Thomas Dehler hatte damals in der Verjährungsdebatte gemeint, derRechtssicherheit und des Rechtsfriedens wegen verzichte die Verjährung auf letzte Gerechtigkeit. Aber wäre es für den Rechtsfrieden und das Vertrauen in das Recht nicht eine schlimme Sache, wenn nach dem Eintritt der Verjährung Täter, die wir nicht namentlich kennen, bei denen also nicht unterbrochen werden konnte, Mörder, die sich in andere Kontinente geflüchtet haben und unter anderem Namen untergetaucht sind, zurückkehren würden? Wäre es nicht eine Erschütterung des Vertrauens der Bürger auf die Funktionsfähigkeit unseres Rechts, wenn sich einer dieses Mordes vielleicht sogar rühmen würde? Würde es nicht den Rechtsfrieden erheblich bedrohen, wenn uns Polen, wenn uns Israel und andere Staaten Material gegen Mörder liefern und wir nicht mehr ermitteln dürfen? Also gerade der Rechtsfrieden in unserem Lande, meine ich, aber auch der internationale Rechtsfrieden fordern die Aufhebung der Verjährung; denn Herstellung des Rechtsfriedens ist doch eine ganz und gar praktische Frage mit einer tatsächlichen Wirkung. Deshalb geht es die internationale Rechtsgemeinschaft durchaus etwas an, wie wir uns heute verhalten, und wir haben die Verpflichtung, an dem Zustandekommen dieses internationalen Rechtsfriedens mitzuwirken. Herr Lenz, wenn Sie vorhin Tatbestände in Vietnam angesprochen haben, dann lassen wir doch durch unsere heutige Entscheidung ein Signal setzen, daß wir es damit ernst meinen, daß politische Morde in der ganzen Welt geächtet werden und jeder Mord in der ganzen Welt geächtet werden muß! Geben wir ein Beispiel dafür, daß wir auch nach 30 und mehr Jahren diese Taten noch verfolgen wollen! Von den Bedenken rechtlicher Art, die vorgetragen wurden, bleibt letztlich nur noch übrig, daß die Verjährung nicht nur den Schuldigen schütze, sondern auch jeden Bürger, weil jeder, auch der Unschuldige, beschuldigt werden und nach langer Zeit Dr. Weber ({12}) mit der Widerlegung eines Verdachts in Beweisnot Kommen könne. Meine Damen und Herrn, wegen dieser Beweisprobleme hat die Verjährung ihre Bedeutung im Strafprozeß weitestgehend verloren. Die Strafprozeßordnung hat im Laufe der Rechtsgeschichte ihre Beweisregeln ebenso verfeinert wie die Kriminologie ihre tatsächlichen Beweissicherungsmöglichkeiten. Deshalb, Herr Kollege Maihofer, vermögen auch alle Versuche, die Verjährung nur für einen Teil von Mordtaten gänzlich aufzuheben, nicht zu überzeugen. Wo es um grundsätzliche Prinzipien des Rechtes und muß Kapitalverbrechen geht, läßt sich das Recht doch nicht aufteilen. Jeder Versuch, das Teilmotiv „Nazischergen" zu verfolgen, führt doch nur zu einer Teilregelung. Jeder dahin gehende Versuch führt auch zu einer falschen moralischen Einordnung. Jede dahin gehende Differenzierung sieht nur die Quantität des Eingriffs, aber nicht das menschliche Leben an sich, das mit diesem Eingriff zerstört worden ist. ({13}) Eine differenzierte Verjährungsregelung bei Mordtaten dürfte zudem gegen Artikel 3 Grundgestz verstoßen. Der Mordtatbestand schützt das Leben schlechthin, der Rechtsgüterschutz ist qualitativ und nicht quantitativ. Auch eine auftretende Häufigkeit von Rechtsgutsverletzungen in der NS-Zeit kann nicht zu einer unterschiedlichen Schwere einer Mordtat führen. Die Häufigkeit mag ein Argument für die Verfolgungsintensität sein, nicht jedoch für den Tatbestand selbst. Hier gilt und kann nur gelten: Mord ist Mord. Fritz Erler, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, hat 1965 wörtlich gesagt - ich möchte dies zitieren-: Wir alle gehören zur ganzen deutschen Geschichte und bemühen uns darum, daß unser Volk mit sich selbst ins Reine kommt, sich mit sich selbst aussöhnt. Daher spüren wir die Verantwortung dafür, daß die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen dürfen, daß nicht vom deutschen Boden eine Drachensaat gesät werden kann. Da gilt es, Zeichen aufzurichten. Eines dieser Zeichen ist, daß Mord nicht verjähren darf. Dem, meine Damen und Herren, ist nichts hinzuzufügen. ({14}) Meine Freunde und ich bekräftigen unsere Auffassung, daß die Verjährung bei Mord aufzuheben ist. Ich bitte Sie deshalb auch, die anstehende Entscheidung über diese Frage nicht mit Scheinlösungen zu verbinden, die juristisch, moralisch und politisch zu untragbaren Ergebnissen führen müßten. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ey.

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, die Art und Weise, in der dieses Hohe Haus über das ernste Thema der Verjährung diskutiert, zeichnet es insgesamt aus. Darüber können wir - quer durch alle Fraktionen und bei unterschiedlichen Standorten - außerordentlich froh sein. Meine Damen und Herren, den vorliegenden Anträgen zur Unverjährbarkeit von Mord und Völkermord schließe ich mich nicht an, sondern ich stimme für die Beibehaltung der bestehenden Regelung, wonach auch nationalsozialistische Gewaltverbrechen am 31. Dezember 1979 verjähren. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen meines Kollegen Graf Stauffenberg in der ersten Lesung hinweisen. Sie werden es mir nachsehen, daß ich meine Auffassung an dieser Stelle nicht noch einmal ausführlich darlege. Das habe ich - und ich gehe davon aus, auch Sie - in den vergangenen Monaten häufig vor vielen Bürgern und in Gesprächen mit vielen Bürgern getan, und ich habe mit Vertretern insbesondere des mit uns befreundeten Staates Israel sowie auch der beiden großen Kirchen in Deutschland unser Problem erörtert. Ihnen darf ich an dieser Stelle meinen herzlichen und aufrichtigen Dank für den intensiven und hilfreichen Gedankenaustausch sagen, den ich mit ihnen haben durfte. Wir stehen sicher, auch soweit wir kontroverse Auffassungen vertraten, mit Respekt vor den jeweiligen Meinungen voreinander. Zusammenfassend möchte ich aber unterstreichen, daß nach meiner Überzeugung im Interesse der Rechtspflege, der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Fehlurteilen an dem Rechtsinstitut der Verjährung auch bei Mord festgehalten werden sollte. Einen Aspekt und eine Anregung möchte ich jedoch besonders hinzufügen. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir heute nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch und vor allem für die Zukunft Lösungen schaffen müssen. Mit „Zukunft" ist zwangsläufig besonders die Jugend angesprochen, die nachwachsende Generation, die künftig die Geschicke unseres Staates verantwortlich übernehmen muß. Was können wir also für die Jugend und ihre Zukunft tun? Bundespräsident Karl Carstens hat in seiner Antrittsrede auf die Notwendigkeit eines verstärkten Geschichtsunterrichts und damit eines fundierten Geschichtsbewußtseins hingewiesen. Geschichtsbewußtsein ist abhängig vom Wissen um die Geschichte. Clausewitz fügte einmal hinzu - ich darf dabei ein Adjektiv weglassen ({0}) -, daß Geschichte nicht zu verwechseln sei mit dem Blatt einer Zeitung. Ich möchte daher anregen, daß der Deutsche Bundestag eine umfassende Dokumentation über diese Verjährungsdiskussion veröffentlicht. Diese Dokumentation gehört in die Schulen und in die Universitäten. Sie sollte in die Richtlinien jedes Kultusministeriums über den staatsbürgerkundlichen Unterricht aufgenommen werden. Auf diese Weise möge es der Jugend gelingen, unsere vom großen Unheil überschattete Vergangenheit nicht zu verwinden, wie man einen Schmerz verwindet, sondern aktiv zu überwinden, um künftig und für alle Zeiten Lehren zu ziehen, wie sie für die Erhaltung des Weltfriedens unabdingbar sind. Um es mit Carl Friedrich von Weizsäcker in seinem bemerkenswerten Vortrag „Gedanken über unsere Zukunft" zu sagen: Er weist darauf hin, daß die Erhaltung des Weltfriedens unabdingbar sei, daß aber die Erhaltung dieses Weltfriedens auch bisher nicht gekannter Anstrengungen bedürfe. Selbst alle Investitionen oder Aufwendungen für Kriege stünden zu diesen erforderlichen Anstrengungen zur Erhaltung des Weltfriedens in keinem Verhältnis. Wenn diese Chance genutzt wird, heute die Entscheidung in dieser wichtigen Frage, auf die Zukunft orientiert, zu fällen, dann kann auch das aufmerksame Ausland, insbesondere auch dessen Jugend, den Zugang zu uns Deutschen finden, dessen wir bedürfen und der für eine gemeinsame Zukunft so dringend erforderlich ist. Dieses sollte auch unser Leitgedanke bei der vor uns liegenden Abstimmung sein. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher ein Wagnis, versuchen zu wollen, sich als Nichtjurist in dieser Debatte zu Wort zu melden und einen Diskussionsbeitrag zu versuchen, in dem wenig oder gar nichts von juristischen, rechtlichen, rechtsphilosophischen Argumenten, aber viel von persönlicher Betroffenheit die Rede sein wird. Der Ausgangspunkt dieser Debatte über eine uns alle bewegende Gewissensentscheidung fällt mit der 30. Wiederkehr der Verabschiedung des Grundgesetzes, mit dem 30. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland schlechthin zusammen. Ich meine, diese Daten fallen nicht zufällig zusammen, und vielleicht ist es gut, auch in dieser Stunde einmal daran zu erinnern, daß das eine eng mit dem anderen zusammenhängt. Liebe Kollegen, wir haben in diesen Tagen und Wochen sehr viel über diesen ersten schwierigen Anfang unseres staatlichen Neuaufbaus gelesen und gesprochen, und erst vor zwei Tagen anläßlich der Vereidigung des fünften Bundespräsidenten wurden hierzu unvergeßliche Worte gesprochen. Wir haben uns an die Anfänge unserer Demokratiewerdung auf den Trümmern eines Unrechtsstaates erinnert, und ich glaube, wir alle sind mit guten Gründen stolz auf das in diesen 30 Jahren Erreichte. Aber dürfen wir es angesichts der Verjährungsdebatte wirklich bei diesem Feierstundenresümee bewenden lassen? Wenn wir hier zur gleichen Zeit mit großem Ernst, mit Behutsamkeit und Respekt vor der jeweils anderen Meinung eine Verjährungsdebatte führen, dann sollten wir meines Erachtens die Chance nützen, diese Debatte nicht nur in der quasi verdünnten Luft rechtlicher, juristischer und rechtsphilosophischer Argumente zu führen. ({0}) - Das ist auf weite Strecken leider so geschehen, und auch die Resonanz in der Öffentlichkeit ist so gewesen, liebe Kollegen. ({1}) Ich hatte oft das Gefühl, daß man als Nichtjurist wochenlang gar nicht mehr durchschauen konnte, wofür das Gewissen der Abgeordneten noch bemüht werden soll. ({2}) . Ich muß gestehen, daß mich - bei aller Anerkennung der Redlichkeit der vorgebrachten Argumente - dieser Stand der Entscheidungsfindung doch nicht voll befriedigt. Auch in der interessierten Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, wird dieses Thema völlig anders diskutiert. ({3}) Ich meine, wir sollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, in dieser Debatte abermals an dem Bewußtsein und an den Denkkategorien unserer Bürger vorbeizudebattieren. Ich erinnere mich hier sehr lebhaft an die bewegenden Gespräche auf dem Evangelischen Kirchentag. Und ich erinnere mich mit Schrecken, meine Damen und Herren, an die ungezählten Postkarten, die mir in diesen Wochen -wie Ihnen auch - auf den Schreibtisch geflattert sind. Meine Damen und Herren, ich bin als junger Mensch im Hitler-Deutschland aufgewachsen und als Studentin während des Krieges seine entschiedene Gegnerin geworden. ({4}) Viel Glück, eine schwere Krankheit und ein wunderbar zivilcouragierter Doktorvater haben mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Seit 1946 habe ich - ermutigt durch Theodor Heuss - begonnen, am Aufbau unseres Landes mitzuarbeiten, seit 1948 als Stadträtin in München. Seither habe ich nun in jeder Phase unserer politischen Entwicklung miterlebt und zeitweise auch miterlitten - ich möchte darüber nachher noch etwas sagen -, wie wir unsere Demokratiewerdung vollzogen haben. Deshalb, meine Damen und Herren, sehe ich so wichtige politische und auch moralische Zusammenhänge zwischen der 30. Wiederkehr des Gründungstages der Bundesrepublik Deutschland und der Verjährungsentscheidung. Ich meine, wir sollten uns als Abgeordnete bei dieser Gelegenheit diesen Zusammenhängen auch öffentlich stellen. Wir sollten uns dieser Auseinandersetzung auch - ich glaube, zur Befriedigung fast der meisten Kollegen hier im Hohen Hause - mit sehr viel mehr Offenheit, mit sehr viel mehr Breiten- und Tiefenwirkung annehmen. Ich möchte nur daran erinnern, daß wir uns gerade in jüngster Zeit bei vergleichsweisen Bagatellbelastungen aus dem Dritten Reich - ich meine die Beispiele Filbinger, Jahn und Seifriz - darüber klargeworden sind, daß vieles in unserem politischen Bewußtsein eben nicht verjähren kann, wenngleich es mit der Verjährungsdebatte, die wir hier heute führen, überhaupt nicht vergleichbar ist. ({5}) Ich sehe darin vor allem auch die Chance - ich freue mich, daß das von so vielen Kollegen angesprochen worden ist --, diese spürbar befreiender und krampflösender werdende Debatte zwischen den Generationen über Ursachen, Folgen und Konsequenzen der nationalsozialistischen Greueltaten zu führen und sie nicht aus dieser Verjährungsdebatte auszuklammern. Meine Damen und Herren, ich möchte vor der falschen Hoffnung warnen - das ist heute auch schon geschehen -, daß wir mit dieser noch so fairen Debatte im Parlament einen endgültigen Schlußstrich unter das traurigste Kapitel deutscher Geschichte setzen können. ({6}) - Herr Kollege, nicht hier im Hohen Hause, aber ich erinnere nur an die Postkarten, die uns doch allen einen tiefen Schock versetzt haben. ({7}) Ich möchte wirklich davon absehen, mich herausgefordert zu fühlen, einige davon hier vorzulesen. Ich glaube, es wäre beschämend, lieber Kollege. Diese Postkarten haben leider den Eindruck in mir erweckt, daß es in unserem Lande immer noch Menschen gibt, die glauben, diesen Schlußstrich ziehen zu können. Mit welcher Entscheidung auch immer wir heute diesen Saal verlassen, die tiefen Beschädigungen, die unser aller Seelen, die Seelen der Deutschen davongetragen haben, können auch mit der heutigen Abstimmung nicht geheilt, nicht zugeschüttet, nicht aus der Welt geschaffen werden. Deshalb bin ich überzeugt davon, daß diese Debatte, je offener wir sie führen - und das heißt, je redlicher wir auch ihre eigentlich politische Dimension ansprechen -, um so eher ein fortwährender Beitrag zur Klärung, zur Bewältigung und schließlich hoffentlich auch zur Heilung dieser Beschädigungen sein wird. Ich sage das wiederum vor allem mit Blick auf unsere junge Generation, die den leidvollen Prozeß unserer Demokratiewerdung nach 1945 doch überhaupt nur dann verstehen kann, wenn wir ihr die Hypotheken nicht verschweigen, mit denen sie von Anfang an belastet war. Ich sage das auch zu uns Älteren, die wir sehr wohl um diese Hypotheken wissen, die unsere demokratische Ordnung 1945 und danach belastet haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang unseren ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss zitieren, der vor fast genau 30 Jahren anläßlich seiner Amtseinführung festgestellt hat: Es ist - ... - das geschichtliche Leid der Deutschen, daß die Demokratie von ihnen nicht erkämpft wurde, sondern als letzte, als einzige Möglichkeit der Legitimierung eines Gesamtlebens kam, wenn der Staat in Katastrophen . . . zusammengebrochen war. Dies ist die Last, in der der Beginn nach 1918, in der der Beginn heute mit uns steht, das Fertigwerden mit den Vergangenheiten. Nach meiner Überzeugung ist die Verjährungsfrage - nachdem mittlerweile unbestritten ist, daß beide der hier diskutierten Lösungen juristisch möglich sind - zwar für viele von uns immer noch eine Entscheidung zwischen zwei rechtlich möglichen Lösungen; letztlich aber ist es doch wohl eine politische Entscheidung, welcher der beiden Lösungen man den Vorzug gibt. ({8}) Diese Entscheidung, Herr Kollege, fällt jedem von uns schwer genug. So erweist es sich auch heute nach 30 Jahren doch noch und doch wieder als eine schwere Last, mit unseren Vergangenheiten fertig zu werden, so wie Theodor Heuss das vor 30 Jahren vorausgesehen hat. Für meine Person möchte ich mich jedenfalls dazu bekennen, daß es politische, wenn Sie wollen: politisch-moralische Gründe sind, die bei mir den Ausschlag geben, daß ich für eine generelle Aufhebung der Verjährung für jeden gemeinen Mord votieren werde. ({9}) Es sind gewiß keine Haß- oder Rachegefühle, die mich dabei leiten, und schon gar nicht ist es, Herr Kollege Mertes, wie Sie das heute früh zu formulieren beliebten, eine Anpassung an den schnell schwankenden Zeitgeist. ({10}) - Ich habe es mir notiert, Herr Kollege. Sie haben gesagt: an einen mit der Mode schwankenden Zeitgeist. ({11}) - Herr Kollege Mertes, Sie sprachen vom Zeitgeist und vom Schwanken. Entsprechend habe ich das wiedergegeben. ({12}) - Das mag ja so sein. Aber es ist durchaus ehrenwert, daß ein Kollege, der 1945 und 1969 anders votiert haben mag, unter der fortschreitenden Diskussion, unter dem Grauen und dem Morden, das sich mittlerweile auf der Welt weiter verbreitet hat, heute eine andere Entscheidung fällt. ({13}) Weshalb wollen Sie das mit einer solchen Bemerkung abqualifizieren? Ich möchte hier nachdrücklich für alle Kollegen eintreten, die den Mut haben, ihre Meinung bei einer so schwierigen Entscheidung zu ändern. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0})?

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, haben Sie die Freundlichkeit, nachzulesen, was ich im Zusammenhang gesagt habe? Wenn Sie dazu bereit sind, werden Sie feststelln, daß Sie mich mißverstanden haben.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin dazu gern bereit. Aber ich habe sorgfältig zugehört, und ich muß sagen: ich war von Ihren diesbezüglichen Bemerkungen enttäuscht. ({0}) - Das kann immer mal passieren. Das schließt ja nicht aus, daß wir einander schätzen. Mich erfüllt allein der heiße Wunsch und die ungebrochene Überzeugung, die mich über 30 Jahre politischer Arbeit immer von neuem motiviert hat, nämlich: Das, was im nationalsozialistischen Unrechtsstaat geschehen ist, darf niemals wieder geschehen. Deshalb müssen wir es in Denken und Handeln im politischen Leben und mit allen uns zu Gebote stehenden Konsequenzen austragen. Erlauben Sie mir deshalb, meine wichtigsten Gründe für mein Votum noch einmal zusammenzufassen. Wer, wie ich, die Nachkriegszeit als junger Mensch sehr bewußt als Nach-Hitler-Zeit im Sinne der Umkehr, der Buße und des neuen Anfangs verstehen wollte, der wurde doch wohl zunächst tief enttäuscht. Ich habe darunter gelitten, meine Damen und Herren - und das ist nun ein sehr ungeschütztes persönliches Geständnis -, daß wir nach 1945, unabhängig von einer falsch angelegten vordergründig-formalen Entnazifizierung, nicht entschieden genug an die Wurzeln des Übels herangegangen sind, ({1}) und daß der rasche materielle Aufbau den mühsamen und schmerzlichen Prozeß der überfälligen Katharsis unerlaubt abgekürzt, ja verdrängt hat. ({2}) Dieses uns heute immer wieder entgegenschallende „Es muß endlich einmal Schluß sein" tönte einem schon Anfang der 50er Jahre entgegen. Von der Aufarbeitung in Schule und Gesellschaft war wenig zu spüren; das überließ man wenigen Politikern, Wissenschaftlern, Theologen und Schriftstellern. Es war für mich kein Zufall, daß seit Ende der 50er Jahre und in den 60er Jahren eine NPD und andere rechtsradikale Organisationen Zulauf bekamen. Es war leider auch kein Zufall - was heute gottlob gar nicht mehr möglich wäre -, daß ein Mann jahrelang Kultusminister in einem großen Bundesland sein konnte, der in seinen Schriften beispielsweise die Tätigkeit der Geheimen Staatspolizei legalisiert hatte und der solche lächerlichen Scheußlichkeiten wie die Trennung von Juden und Ariern auf Parkbänken und die Trennung von Juden und Ariern in Schwimmbädern tatsächlich rechtlich gerechtfertigt hat. ({3}) Erst während des letzten Jahrzehnts haben wir schrittweise wirklich begonnen, uns mit den Wurzeln des nationalsozialistischen Unrechts zu beschäftigen, hierbei auch die steigende Anteilnahme der Bevölkerung gefunden und, wie Alexander Mitscherlich es in dem so wichtigen Buch „Die Unfähigkeit zu trauern" beschrieben hat, notwendige und allfällige Trauerarbeit geleistet. Ich erinnere an diese vielen enttäuschenden Entwicklungen heute im Zusammenhang mit der Verjährungsdebatte nicht, um Wunden aufzureißen, sondern weil ich einfach bewußtmachen möchte, daß es nicht eine sozusagen lückenlose Abrechnung und Bewältigung mit der Zeit des Nationalsozialismus gegeben hat, und weil ich nicht möchte, daß mit der heutigen Debatte wieder neue Tabus errichtet werden. Es geht für mich auch darum, mit dieser Erklärung ein weiteres Stück Glaubwürdigkeit zu gewinnen und auf diese Weise einer dauerhaften Versöhnung und Verständigung vor allem mit der jungen Generation den Boden zu bereiten. Nachdem dieser Prozeß gerade erst eingesetzt hat, sollten wir ihn nicht abreißen lassen. Damit bin ich noch einmal bei der jungen Generation. Ist es schon schwer, das Phänomen der Faszination des Nationalsozialismus für die meisten Deutschen der 30er Jahre dieser jungen Generation zu erklären, so erweist sich die Rechtfertigung der Nachkriegsmentalität - des Vergessenwollens, des Verdrängens, der auschließlich materiellen Befriedigung und der offenkundigen Unfähigkeit zu trauern - als noch schwieriger. Der ohnehin natürliche und immer wieder notwendige Generationskonflikt wird hier zu einer Zerreißprobe. Während früher die Söhne den oft aufgeputzten Erzählungen ihrer Väter über deren Heldentaten atemlos gelauscht haben, erzählen heute die Väter ihren Söhnen kaum noch etwas. Sie schweigen, weil sie vieles einfach nicht erklären können. Ich meine deshalb: wir sollten weder idealisieren noch verschweigen, wie es nach 1945 gelaufen ist und warum es wohl auch nicht anders laufen konnte. Wir sollten der jungen Generation reinen Wein über die Bedingungen einschenken, unter denen wir damals anfangen mußten. Wir sollten offen über unsere Bemühungen, Erfahrungen und Enttäuschungen Rechenschaft ablegen. Denn gerade - Walter Scheel hat es einmal vor Tübinger Studenten gesagt - das Unfertige, das Verbesserungsfähige, das immer von neuem Mögliche erzeugt die Schwungkraft unserer Demokratie. Demokratie ist immer auf dem Wege zu sich selbst, sie ist niemals fertig. Dafür brauchen wir die kritische Sympathie und die Mitarbeit der jungen Generation. ({4}) Ich habe mehr als einmal erlebt - gerade wieder auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg -, daß auf diesem Wege durch eine schonungslose Offenheit und durch das tapfere Bemühen um einen neuen Anlauf zum Verstehen von beiden Seiten wirklich weiter geholfen werden kann. ({5}) - Herr Präsident, bitte erlauben Sie mir, noch eine weitere Bemerkung zu machen. Ich glaube, ich habe die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses noch nicht so lange in Anspruch genommen wie meine Vorredner. Ich möchte noch einmal auf den Ausspruch von Papst Johannes Paul II. zurückkommen: Auschwitz, das ist das Golgatha des 20. Jahrhunderts. Es wurde hier gesagt und ich möchte es für meine Person wiederholen: Das Golgatha des 20. Jahrhunderts, es kann nicht verjähren, unabhängig davon, für welche strafrechtliche Regelung wir uns entscheiden. Aber hier zeigt sich, daß der Begriff Verjährung über das Strafrecht hinaus für jeden Menschen symbolische, moralische, ja religiöse Bedeutung hat. Hier liegt wohl auch die Gewissensentscheidung. Wir wissen heute, daß das Bild des unschuldig Gekreuzigten auf Golgatha nicht nur über den Millionen durch Rassenwahn und Menschenhaß geschundenen, ermordeten und vergasten Menschen steht. Wir erfahren voller Verzweiflung, daß Hitlers Saat wieder und wieder aufgeht, in Massen- und Völkermorden, in Terror und auch in einer zunehmenden Brutalität und Menschenverachtung gegenüber dem einzelnen Menschenleben. Damit dürfen wir uns doch nicht abfinden! Golgatha ist überall, wo das geschieht. Wir müssen dem ein deutliches Zeichen entgegensetzen, einen kategorischen, einen moralischen Imperativ: Mord darf in der Welt zunehmender Menschenverachtung nicht mehr verjähren. ({6}) Wir leben in einer Welt, die sich zunehmend brutalisiert. Die von Albert Schweitzer und vielen anderen Mahnern geforderte „Ehrfurcht vor dem Leben" - wo ist sie? Sie nimmt doch offensichtlich ab. Von Irland bis Vietnam und vom faschistischen bis in den kommunistischen Machtbereich, überall werden Menschenrechte gröblich verletzt, und mörderische Untaten bleiben ungesühnt. Sind wir angesichts dieser Entwicklungen wirklich für alle Zeit vor allen Rückfällen gefeit? Nach allem, was geschehen ist, nach allem, was noch geschehen kann - wir sollten hier ein Zeichen setzen: Du sollst nicht töten! Zum Vollzug dieses Gebots gehört für mich sowohl die Ächtung der Todesstrafe wie auch die Unverjährbarkeit von Mord, aber auch die Humanisierung des Begnadigungsrechts für lebenslänglich verurteilte Mörder. ({7}) Aus den eben genannten Gründen, sehr verehrte Kollegen, sollten wir meines Erachtens anläßlich der 30. Wiederkehr unseres demokratischen Neubeginns und der Gründung unseres freiheitlichen Rechtsstaates dieses unmißverständliche Zeichen als Mahnung, aber zugleich auch als Warnung setzen. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Blumenfeld.

Erik Bernhard Blumenfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000206, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor Schluß der zweiten Lesung möchte ich noch versuchen, einen Gedanken und eine Dimension in die Debatte einzuführen, die zwar von einigen meiner Kollegen heute früh - so von Herrn Mertes, Kollegen Gerster und auch vom Kollegen Sieglerschmidt - angesprochen worden ist, aber nicht vertieft wurde. Ich will dies auch nicht über Gebühr strapazieren. Das ist die europäische, die außenpolitische, die moralisch-politische Seite unserer Diskussion und des Themas, mit dem wir uns beschäftigen und über das wir abstimmen werden. Wir haben vom Rechtsausschuß verdienstvollerweise auch eine kurze Stellungnahme über die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord vorgelegt bekommen. Dabei hat der Rechtsausschuß darauf hingewiesen, daß es sich um zwei Tatbestände handelt, nämlich einmal die Aufforderung an die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, bei Kriegsverbrechen und solchen Verbrechen, die , während der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus begangen wurden, die Verjährung nicht eintreten zu lassen, soweit es sich bei diesen Taten um Völkermord oder Mord handelt, und zweitens die Aufforderung, das Europäische Übereinkommen über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vom 25. Januar 1974 zu unterzeichnen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht umhin, darauf zu verweisen, daß es jemandem, der wie auch andere in diesem Hause seit Jahrzehnten in der europäischen Politik und im außenpolitischen Bereich tätig ist, daß es eigentlich jedermann in diesem Hause zu denken geben muß, daß das Europäische Parlament unter Punkt 1 und als Grundlage seiner Entschließung darauf abgehoben hat, daß es die Kriegsverbrechen und die Verbrechen während der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus gewesen sind, die das Europäische Parlament und damit die Gemeinschaft von 250 Millionen Menschen veranlaßt haben, auf diese Frage in ihrer ganzen politischen und moralischen ebenso wie rechtspolitischen Gewichtigkeit zurückzukommen. Ebenso wichtig erscheint mir, daß das Europäische Parlament darauf hingewiesen hat, daß auch die Auslieferung von Beschuldigten an Län13286 der ohne Verjährung verhindert würde, wenn die Verjährung von Mord und Völkermord nicht aufgehoben würde. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie wollen wir Deutschen uns eigentliche - ich habe dies hier vor einem Monat ebenso wie andere Redner in der Debatte zum Ausdruck gebracht - draußen im europäischen Bereich für die Ahndung der Verbrechen, die an den Deutschen begangen worden sind, einsetzen, wenn wir durch einen Beschluß, es bei der Verjährung zu belassen, diese Verbrechen bei uns nicht zur Strafverfolgung freigeben und nicht aburteilen lassen? ({0}) Das ist für mich ein ungemein wichtiger politischer Gesichtspunkt. Ich kann Ihnen nur sagen, daß meine Kollegen und ich angesichts der Unzahl von Gesprächen, die wir im Bereich Europa, in Amerika, in Israel, in Teilen Afrikas und im osteuropäischen Bereich - soweit man dort solche Gespräche führen kann - geführt haben, uns darüber klargeworden sind, wie stark unsere Position angehoben wird, wenn wir hier mit gleichem Maße messen und auch für uns das gelten lassen, was wir von anderen fordern. Deswegen meine ich, daß diese moralisch-politische Position hier heute von uns und von jedem einzelnen, der nachher abzustimmen hat, auch noch einmal bedacht werden muß. Lassen Sie mich eines hinzufügen. Frau HammBrücher, Sie haben hier eben als Nichtjuristin gesprochen; ich bin auch Nichtjurist. - Frau Kollegin Hamm-Brücher, darf ich Ihr Ohr einen Moment erreichen? - Ich nehme Ihr Wort vom Besuch des Papstes in Polen und in Auschwitz auf. Ich glaube, ich kann das, wenn Sie so wollen, mit besonderer Autorität tun, denn der Papst hat auf einem Gelände gesprochen, auf dem ich einige Jahre als Häftling verbracht habe; daher kenne ich das alles. Der Papst hat in dieser ergreifenden gewaltigen Kundgebung an Hunderte von Millionen von Zuhörern in der ganzen Welt diese moralische Frage nicht nur gestellt, sondern sie auch beantwortet. Wollen wir vor dem Hintergrund dieses großen geschichtlichen Ereignisses des Papstbesuches in einer solchen Stunde, angesichts dieser Dimension hier in diesem Hause verzagen bzw. uns angesichts dieser geschichtlichen Stunde als nicht wirklich reif erweisen? ({1}) Ich wiederhole das, was ich hier vor vier Wochen erklärt habe, mit dem großen Respekt vor der Meinung der andersdenkenden Kollegen quer durch dieses Haus, aber natürlich insbesondere an meine Kollegen in der eigenen Fraktion gerichtet. Ich habe nicht nur Respekt, sondern auch Verständnis für Ihre Haltung. Ich vertrete Ihre Haltung, lieber Herr Kollege Mertes und lieber Herr Kollege Erhard, auch draußen in Europa, in Israel, in den Vereinigten Staaten, so wie sie hoffentlich auch die meine und die unsere vertreten. ({2}) Aber lassen Sie mich Ihnen noch einmal sagen, daß wir das mit rechtspolitischen und mit rein rechtstraditionalistischen, im deutschen Rechtsbewußtsein - wie es hier immer wieder vorgetragen wird - verwurzelten Gedankengängen nur sehr schwer anderen Völkern, anderen Menschen draußen verständlich machen können. ({3}) Das ist für mich und für die meisten meiner Kollegen keine Richtschnur für die Abstimmung, für die eigene Gewissensentscheidung, wohl aber ist es eine ganze wesentliche Frage für unsere zukünftige politische Position bei vielen schwierigen Problemen, die in den kommenden Jahren noch auf uns zukommen werden. ({4}) Glauben Sie ja nicht, daß das Kapitel erledigt sei. Frau Kollegin Hamm-Brücher hat darauf verwiesen, daß, nicht in diesem Hause, aber in einem ziemlich breiten Bereiche unseres Volkes, auch unserer jungen Generation, das Wort vom „Nun mal endlich Schluß machen mit dem ..." und „Wir wollen einen Schlußstrich unter die Geschichte ziehen" umgehe - gemeint ist nicht nur die Geschichte der Vergangenheit, sondern damit ist auch die Geschichte der Zukunft impliziert. Dem gilt es mit unserem Votum entgegenzuwirken. Kollege Gerster hat heute früh in seiner bernerkenswerten Rede gesagt, daß rechtspolitisch die Entscheidungen von 1965 und 1969 eine Bestätigung des Rechtsinstituts der Verjährung gewesen seien, während sie faktisch als zeitlich begrenzte Aufhebungen der Verjährung verstanden worden und - so hat er hinzugefügt - gewollt gewesen seien. Das ist richtig wiedergegeben, Kollege Gerster. So war es. Ich habe daran teilgenommen, wie eine ganze Reihe der Kollegen, die noch heute hier im Plenum mit uns abstimmen werden. Aber Sie haben auch hinzugefügt: Wer denn ausschließen wolle, daß bisher unbekannte Mörder noch auftauchten. Die Fristverlängerung habe somit ihr Ziel verfehlt. Ich widerspreche hier ausdrücklich der Behauptung, daß jemand, der 1965 und 1969 so votiert habe, wie wir votiert haben, heute nicht gegen die Aufhebung der Verjährungsfrist votieren könne. Meine Damen und Herren, für mich sind zwei Dinge maßgeblich - und die können Sie niemandem hier und auch nicht draußen im Volke erklären; keiner der Juristen kann das -: Erstens. Es kann nicht erklärt werden, daß das verfassungsrechtlich nicht in Ordnung wäre, was hier vorgeschlagen wird, die Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord, nachdem wir sie für Völkermord schon aufgehoben haben. Es wird doch wohl darauf rekurriert: keine Strafe ohne vorheriges Gesetz. Richtig. Aber die Verjährung betrifft die Verfolgbarkeit und nicht die Strafbarkeit, die hier seit eh und je gegeben war. Darum geht es. ({5}) Wir sind uns darüber im klaren, daß die Unverjährbarkeit von Mord der Justiz eine weitere Last auferlegen wird. Auch könnte mit wachsendem zeitlichem Abstand zu den Taten die Zahl der Freisprüche zunehmen, wie wir wissen, was vor allem für die Opfer des NS-Regimes, aber auch für nicht unerhebliche Teile unserer Bevölkerung, insbesondere für die jüngere Generation, unbegreiflich wäre. Diese Folge unseres rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens haben wir zu tragen, meine Damen und Herren. Das ist eben die Konsequenz eines rechtsstaatlichen Verfahrens in einer freiheitlichen Demokratie. Dazu müssen wir stehen. Zweitens: Mir hat noch niemand - kein Jurist, Herr Kollege Lenz, und sei er noch so bedeutend - erklären können, was eigentlich der Unterschied zwischen der Beweisnot des Gerichts infolge der Unterbrechung der Verjährung - die auch ich sehe und von der ich weiß; denn auch ich habe als Zeuge in NS-Prozessen vor vielen Jahren mitgemacht - und der Beweisnot des Gerichts bei Aufhebung der Verjährungsfrist ist. Was ist also der Unterschied zwischen der unterbrochenen Verjährung, wo wahrscheinlich bis zum Jahre 2000 verfolgt werden kann, wo die Gerichte in Beweisnot kommen können, und der Aufhebung der Verjährungsfrist? Wollen Sie sagen, daß das 27, 30 oder 35 Jahre sind? ({6}) Da ist die Inkonsequenz Ihrer Position, lieber Kollege Lenz, gegeben. Ich kann Ihnen nur sagen: Niemand hat bisher - weder hier noch draußen - irgendwie erklären können, was da eigentlich für ein Unterschied ist bzw. wo das Kriterium liegt. Lassen Sie mich abschließen, Herr Präsident, mit der Bemerkung: Wir dürfen keinen Mörder - weder aus der Vergangenheit noch für die Zukunft - seiner Strafverfolgung entziehen. Darum geht es hier bei der Frage der Aufhebung der Verjährbarkeit, um nichts anderes. Dies ist der kardinale Punkt. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Mertes hat hier heute morgen, wie ich meine, zu Recht die Diskussion zu einer moralischen Frage erhoben. Er hat ausgeführt, daß es um die Abwägung verschiedener moralischer Positionen geht, die untereinander nicht in ein Wertigkeitsverhältnis gebracht werden können. Dem Wert des Lebens steht der Wert des Rechtsfriedens und der Kontinuität des Rechtes gegenüber. Die Mehrheit der FDPFraktion, für die hier zu sprechen ich die Ehre haben, bewertet diese moralische Position des Rechtsfriedens so hoch, daß sie den Vorschlägen hier nicht zustimmen kann. Dies bedeutet aber keineswegs, daß für uns die Position des Lebens geringerwertig ist. Lassen Sie mich außerdem auf einen Fragenkomplex eingehen, der durch die Vorschläge des von mir sehr verehrten Herrn Professor Dr. Maihofer und seiner Anhänger hier aufgeworfen worden ist. Ich werde mit einem ganz bestimmten Problem nicht fertig, nämlich dem Problem der Gewichtung der völkerrechtlichen Verpflichtung. Es ist mir wie den Anhängern und Befürwortern des MaihoferVorschlags ein ebenso hohes Anliegen, diese völkerrechtliche Verpflichtung zu bewerten. Aber gerade der hohe Rang dieser völkerrechtlichen Sicht läßt es doch geboten erscheinen, der Ausgestaltung ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Was bedeutet dies? - Dies bedeutet, daß wir in Übereinstimmung mit den Kollegen, die sich für die Aufhebung der Verjährung einsetzen, den besonderen Charakter dieser völkerrechtlichen Straftaten bewerten müssen. Hier zeigt sich eben der Unterschied zwischen Mord und Mord. Wenn überhaupt irgend etwas zur Differenzierung berechtigt, dann der Mord in Form des Staatsverbrechens. Wenn hier - und dies ist richtig - dieser Form des Mordes eine besondere Qualität beigemessen wird, dann hilft in der Tat unser jetziges Strafrecht nicht weiter. Dann muß man darüber nachdenken, ob bei dem, was Professor Maihofer zu Recht Staatsverbrechen nennt, nicht anders zwischen Henker und Henkersbuben als im geltenden Recht unterschieden werden muß. Es ist für mich und einige meiner Freunde unerträglich, wenn immer mehr die Henkersbuben und immer weniger die Henker, die Schreibtischtäter, von dem betroffen werden, was wir hier beschließen sollen. ({0}) Denn sie sind die wahren Verantwortlichen, die wirklichen Mörder. Wir wissen alle, daß sie von dem hier Vorgeschlagenen nicht betroffen sein werden. Nehmen wir die Idee von Professor Maihofer auf! Aber nehmen wir sie so auf, daß das Verhältnis von Tätern und ausführenden Helfershelfern zurechtgerückt wird. Wir wollen, daß, wenn schon eine Ausnahme von rechtspolitischen Grundsätzen gemacht wird, das Ergebnis nicht so ist, daß die wirklich großen Schreibtischtäter nicht verfolgt werden können, aber möglicherweise der eine oder andere kleine Täter ohne Aussicht auf Verurteilung verfolgt werden kann. Viel von dem, was die Befürworter der Verjährungsaufhebung heute gesagt haben, läuft - ganz sicher ungewollt - auf ein solches Ergebnis hinaus. Auch deswegen lehnt die Mehrheit der FDP-Fraktion die Anträge auf Aufhebung der Verjährung ab. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand, der die Rede des Herrn Kollegen Blumenfeld gehört hat, blieb unbeeindruckt und konnte sich dem entziehen, was der Kollege Blumenfeld aus persönlichem Erleben und tiefer moralischer Verantwortung hier ausgeführt hat. Gestatten Sie mir trotzdem, daß ich aus der Position der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion zu erläutern versuche, warum wir zu einem anderen Ergebnis kommen. Ich erspare es mir, im einzelnen auf die Vorschläge von Herrn Maihofer einzugehen, die im Rechtsausschuß sehr ausführlich erläutert und diskutiert wurden, aber hier bei der voraussehbaren Abstimmungslage wahrscheinlich über eine deutliche Minderheit nicht hinauskommen werden. Die Entscheidung wird hier für oder gegen eine generelle Aufhebung der Mordverjährung fallen. Hier geht es vor allem um rechtspolitische Gesichtspunkte, die im Rechtsausschuß - was bei dessen Zusammensetzung verständlich ist - natürlich im Vordergrund standen. Neben den rechtspolitischen Erwägungen liegt das Schwergewicht in gleicher Weise auf Fragen unserer innenpolitischen Auseinandersetzungen und auch der außenpolitischen Rücksichtnahme oder - wenn Sie es weniger hart formuliert haben wollen - der außenpolitischen Stellungnahme. Darauf hat niemand deutlicher hingewiesen als Herr Kollege Mertes im ersten Beitrag heute vormittag. Aus rechtspolitischen Erwägungen ist es ratsam, es beim derzeitigen Rechtszustand zu belassen. Im Lauf der ersten Lesung, in den Beratungen des Rechtsausschusses und auch heute wurden so viele Argumente vorgetragen, daß es sehr schwierig ist, zu dieser Materie noch viel Neues zu bringen. Ich möchte nochmals versuchen, einen weit verbreiteten Irrtum auszuschließen: Selbstverständlich bleiben das Strafbedürfnis und der Strafanspruch des Staates bestehen. Es fragt sich nur, ob der Staat bei den einen Vergehen oder Verbrechen nach einer kürzeren Zeit und bei Mord erst nach 30 Jahren auf die Strafverfolgung verzichten kann, wenn er eine Abwägung mit anderen Rechtsgütern vornimmt. Hier ist auch die Frage zu stellen - und sie wurde wiederholt gestellt -, ob man nach langer Zeit überhaupt noch solche Beweise führen kann, daß auch unter Berücksichtigung unseres Grundsatzes „In dubio pro reo" - „Im Zweifel für den Angeklagten" - eine Verurteilung noch möglich ist. Hier sind heute Zahlen genannt worden, insbesondere vom Kollegen Lenz, die eben nicht mit einer Nebenbemerkung vom Tisch gewischt werden können. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen und dem letzten Redner dieser ernsten Debatte noch mit großer Aufmerksamkeit zuzuhören. ({0})

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wo man nicht nur auf den vielleicht unbestechlichen „Herrn Computer" vertrauen kann, sondern auf Zeugenaussagen angewiesen ist, wird es eben nach einem längeren Zeitraum immer schwieriger, auf ein gesichertes Erinnerungsvermögen pochen zu können. Sicherlich, vielleicht wäre es gerechter, die Strafverfolgung ad infinitum fortzusetzen. Aber ich darf - zum wiederholten Male - betonen: Die Verjährungsvorschrift ist eben nicht als ein Rechtsvorteil für den Verbrecher anzusehen, sondern das Rechtsinstitut der Verjährung soll davor schützen, daß Unschuldige nach langer Zeit, wenn Beweisschwierigkeiten größten Ausmaßes auftreten, in ein Verfahren verwickelt werden. ({0}) Aber es soll nicht nur der potentiell unschuldige Bürger nach einem Menschenalter vor einem Verfahren geschützt werden, auch die Justiz soll davor bewahrt werden, ({1}) mit Verfahren belastet zu werden, bei denen die Gefahren eines Justizirrtums besonders groß sind. Noch ein Wort zur Verfassungsmäßigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat - um das klarzustellen - bisher nur die Gelegenheit gehabt, die Frage der rückwirkenden Verlängerung der Verjährungsfrist zu entscheiden. Es hat diese nicht für verfasungswidrig erklärt. Deshalb ist vielleicht damit zu rechnen, daß die rückwirkende Abschaffung der Verjährungsfrist auch toleriert werden würde. Wir sollten uns aber nicht völlig der Überlegung verschließen, daß auch gegenteilige Auffassungen bestehen. Ich meine deshalb, es gibt nur eine verfassungsrechtlich völlig bedenkenfreie Lösung, nämlich die Ablehnung der Anträge der Mehrheit der SPD und einer Minderheit in unserer eigenen Fraktion und die Entscheidung, es beim derzeitigen Rechtszustand zu belassen. Es wurde hier gesagt, der Gedanke der Resozialisierung passe nicht in diese Debatte hinein, weil sich diese Frage zu einem anderen Zeitpunkt des Strafverfahrens stelle als die Frage der Verfolgungsverjährung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können unsere Strafrechtspflege nicht in kleine Hascheestücke aufspalten, sondern müssen doch das Strafrecht als Ganzes sehen; wenn ich es etwas salopp sagen darf: nicht als Haschee, sondern als ein Filetstück, das man als Ganzes betrachten und als Ganzes beurteilen muß. Gibt es deshalb, um mich ganz vorsichtig auszudrücken, sicherlich keine zwingenden rechtspolitischen Gründe, vom derzeitigen Rechtszustand abzugehen, so wird aber behauptet - und dies ist auch heute gesagt worden -, daß beispielsweise außenpolitische Rücksichtnahme die Aufhebung der Verjährung zwingend gebiete. Nun, ich habe Verständnis, wenn Organisationen ehemaliger Widerstandskämpfer aus dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere in den Ländern, die von Adolf Hitler mit dem Krieg überzogen wurden, oder in Israel, beispielsweise daran interessiert sind, sich in diese Verjährungsdiskussion einzuschalten und zu versuchen, hier bei uns die Aufhebung der Verjährung zu erreichen. Nur - auch dies ist gesagt worden, ich möchte es nochmals betonen -, die Entscheidung kann uns niemand abnehmen, die Entscheidung müssen wir selber in eigener Zuständigkeit und eigener Verantwortung treffen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns fragen, ob es nicht besser ist, uns bei der immer schwieriger werdenden Beweislage dazu zu entschließen, unsere Freunde jetzt einmal zu enttäuschen, statt bei jedem Freispruch, bei dem ja nach unserem Strafgesetz zu Recht nicht mehr unterschieden wird, ob er mangels Schuld oder mangels Beweises erfolgt, erneut einen Aufschrei des Entsetzens und der Empörung hinnehmen zu müssen. Ich meine, eine einmalige Enttäuschung ist vielleicht besser, als diese Erfahrung dann dauernd zu Unrecht machen zu müssen. ({2}) Meine Damen und Herren, auch der immer mehr in den Vordergrund gerückte Einwand, daß doch der Gedanke schrecklich sei, wenn sich nach Ablauf der Verjährungsfrist ein NS-Mörder oder ein sonstiger Mörder frei in unserem Lande bewege und sich dann noch seiner Mordtaten rühmen dürfe, geht - abgesehen davon, daß ich einen solchen Fall für unwahrscheinlich halte - von einem Mißverständnis des Sinnes der Verjährung aus. Die Verjährung ändert ja nichts am Vorhandensein der Tat, und sie ändert nichts am Vorhandensein des Unrechtsgehalts einer solchen Tat. Im übrigen glaube ich, daß die geltenden Bestimmungen des § 140 des Strafgesetzbuchs und des § 131 - Verherrlichung von Gewalt - ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist unzumutbar, bei diesem Geräuschpegel die Diskussion fortzuführen. Darf ich die Abgeordneten bitten, Platz zu nehmen. Dies gilt für die linke wie für die rechte Seite. Herr Abgeordneter, bitte, fahren Sie fort.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich. Ich nehme das hin, weil ich auch schon andere bedauert habe, die hier als letzte vor einer namentlichen Abstimmung reden mußten: Man sollte das als ein Selbstverständnis des Parlaments ansehen. Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch einige allgemeine Bemerkungen anschließen. Niemand sollte vergessen, daß das erneute Aufgreifen der Verjährungsfrist vom Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Wehner, bewerkstelligt wurde. Schon aus dieser Tatsache läßt sich schließen, daß es sich hierbei eben nicht nur um eine rechtspolitische Frage handelt; denn ich erinnere mich nicht, daß sich Herbert Wehner schon einmal zu spezifisch rechtspolitischen Fragen so dezidiert und engagiert in dieser Form geäußert hätte. Er sieht das so oder so unter allgemeinpolitischen und, wie ich meine, unter außenpolitischen Aspekten. Die Motive zu erforschen, warum er diese Frage im Herbst letzten Jahres, nachdem sie an sich abgeschlossen schien, erneut aufgegriffen hat, ist nicht meine Aufgabe. ({0}) Er selbst hat in einem Kommentar der „Westfälischen Nachrichten" vom 25. November 1978 kurz nach Eröffnung der Debatte ausgeführt, es handle sich nicht um eine parteipolitische oder fraktionsspezifische Angelegenheit. Ich muß dies jedenfalls im Hinblick auf die Vorgänge, die sich seitdem abgespielt haben, zumindest für seine Fraktion mit einem sehr großen Fragezeichen versehen; denn sicherlich hatte schon zu dem Zeitpunkt, als dieser Kommentar geschrieben wurde, die Bearbeitungsphase innerhalb der SPD mit Nachdruck begonnen. Konnte die „Süddeutsche Zeitung" in ihrer Ausgabe vom 4./5. November 1978 unter der Überschrift „Auch in der SPD Widerstand gegen Wehner" noch von Bedenken in der Fraktion der SPD berichten, so hörte man wenige Wochen später nichts mehr von einem eigenen Antrag von SPD-Abgeordneten, die, abweichend vom Wehner-Vorschlag, andere Vorstellungen hatten. Das Endergebnis dieser Phase war dann die Überschrift im Bonner „General-Anzeiger" vom 15. Febraur 1979: „Waltemathe verzichtet auf eigenen Verjährungsantrag" . Jeder kann sich seinen Reim darauf machen, was zwischenzeitlich geschehen sein könnte, um mich vorsichtig auszudrücken. Das muß die Fraktion der SPD unter sich ausmachen, und sie wird es auch tun. In der Fraktion der CDU/CSU wurde es jedenfalls wesentlich anders, wesentlich richtiger und der Freiheit des Gewissens des einzelnen Abgeordneten gerecht werdend behandelt. ({1}) Ich bedaure trotzdem - das sage ich am Schluß -, daß sich auch Kollegen unserer Fraktion in der Praxis dem Antrag Wehner und Genossen zwar nicht formell, aber in der Sache angeschlossen haben. ({2}) - Das muß gesagt werden, Herr Kollege Gerster; daran kommen wir nicht vorbei. Ich möchte deshalb nochmals an alle, insbesondere an die Kollegen in der eigenen Fraktion, appellieren, noch einmal Ihre Entscheidung auch unter den allgemeinen politischen Aspekten zu überprüfen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Präsident Stücklen Bevor ich zur Abstimmung in zweiter Lesung und zur Einzelberatung komme, möchte ich noch folgendes bekanntgeben: Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Carstens ({0}) ist mit Wirkung vom 3. Juli 1979 der Abgeordnete Besch in den Deutschen Bundestag eingetreten. Ich begrüße den neuen Kollegen recht herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Arbeit. ({1}) Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 8/2653 ({2}) unter Tagesordnungspunkt 1 b. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3041 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Maihofer, Helmrich, Eimer ({3}) und weiterer Abgeordneter vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 8/3041. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Dieser Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich möchte bekanntgeben, daß noch mindestens eine, wenn nicht noch weitere namentliche Abstimmungen folgen. Meine Damen und Herren, es haben 8 Abgeordnete wegen Krankheit an der Abstimmung nicht teilnehmen können. Das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 8/3041: Von den stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 482 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 21, mit Nein 460; enthalten hat sich ein Mitglied des Hauses. Alle 20 Berliner Abgeordnete haben mit Nein gestimmt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 482 und 20 Berliner Abgeordnete; davon ja: 21 nein: 459 und 20 Berliner Abgeordnete enthalten: 1 ungültig: 1 FDP Eimer ({4}) Grüner Dr. Haussmann Hoffie Dr. Graf Lambsdorff Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Frau Schuchardt Dr. Vohrer Dr. Zumpfort Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Ja CDU/CSU Helmrich SPD Coppik Frau Erler Hansen Frau Dr. Hartenstein Kühbacher Lattmann Meinike ({5}) Dr. Schwencke ({6}) Voigt ({7}) Waltemathe Dr. Aigner Alber Dr. Althammer Dr. Barzel Dr. Becher ({8}) Dr. Becker ({9}) Frau Benedix Benz Berger ({10}) Berger ({11}) Besch Biechele Dr. Biedenkopf Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Blumenfeld Böhm ({12}) Dr. Bötsch Braun Broll Bühler ({13}) Burger Carstens ({14}) Conrad ({15}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({16}) Ernesti Dr. Evers Ey Eymer ({17}) Feinendegen Frau Fischer Francke ({18}) Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({19}) Gerstein Gerster ({20}) Gierenstein Glos Haase ({21}) Haberl Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({22}) Hauser ({23}) Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({24}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({25}) Dr. Jahn ({26}) Dr. Jahn ({27}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({28}) Dr. Jobst Frau Karwatzki Katzer Kiechle Dr. Klein ({29}) Klein ({30}) Dr. Klepsch Klinker Dr. Köhler ({31}) Dr. Köhler ({32}) Köster Dr. Kohl Kolb Krampe Dr. Kraske Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({33}) Lagershausen Lampersbach Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({34}) Lenzer Link Lintner Löher Dr. Luda Lücker Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({35}) Metz Dr. Meyer Izu Bentrup Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({36}) Müller ({37}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Pieroth Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Regenspurger Dr. Reimers Frau Dr. Riede ({38}) Dr. Riedel ({39}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Russe Sauer ({40}) Sauter ({41}) Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble Präsident Stücklen Schartz ({42}) Schedl Schetter Frau Schleicher Schmidt ({43}) Schmitz ({44}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({45}) Schröder ({46}) Schröder ({47}) Dr. Schulte ({48}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({49}) Dr. Starke ({50}) Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({51}) Vogt ({52}) Voigt ({53}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({54}) Weiskirch ({55}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({56}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({57}) Dr. Wörner Baron von Wrangel Würzbach Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Amrehn Frau Berger ({58}) Kittelmann Kunz ({59}) Luster Müller ({60}) Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling Dr. Apel Arendt Augstein Baack Bahr Dr. Bardens Batz Dr. Bayerl Becker ({61}) Biermann Bindig Dr. Böhme ({62}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({63}) Brück Buchstaller Büchler ({64}) Büchner ({65}) Dr. von Bülow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Czempiel Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({66}) Dr. Enders Engholm Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({67}) Friedrich ({68}) Gansel Gerstl ({69}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({70}) Haehser Hauck Henke Heyenn Hoffmann ({71}) Hofmann ({72}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({73}) Jahn ({74}) Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({75}) Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kuhlwein Lambinus Lange Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({76}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({77}) Müller ({78}) Müller ({79}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({80}) Neumann ({81}) Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({82}) Rappe ({83}) Frau Renger Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Sander Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({84}) Dr. Schäfer ({85}) Scheffler Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({86}) Schmidt ({87}) Schmidt ({88}) Schmidt ({89}) Schmidt ({90}) Schmidt ({91}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({92}) Dr. Schwenk ({93}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({94}) Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({95}) Vogelsang Walther Dr. Weber ({96}) Wehner Weisskirchen ({97}) Wendt Dr. Wernitz Wiefel Wilhelm Wimmer ({98}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({99}) Wolfram ({100}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({101}) Dr. Dübber Egert Löffler Männing Mattick Schulze ({102}) Sieglerschmidt Fraktionslos Dr. Gruhl FDP Angermeyer Dr. Bangemann Baum Engelhard Ertl Gärtner Gallus Genscher Hölscher Jung Dr.-Ing. Laermann Ludewig Merker Mischnick Möllemann Paintner Schäfer ({103}) Schmidt ({104}) 13292 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3 Juli 1979 Präsident Stücklen von Schoeler Spitzmüller Dr. Wendig Wolfgramm ({105}) Wurbs Zywietz Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wir stimmen jetzt über Art. 1 in der Fassung des Gesetzentwurfs auf Drucksche 8/2653 ({106}) ab. Es wird namentliche Abstimmung verlangt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Zur Abstimmung eine Erklärung des Herrn Abgeordneten Dr. Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001414, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe folgende persönliche Erklärung abzugeben. Ich werde in der abschließenden Abstimmung zusammen mit den Fraktionskollegen Frau Matthäus-Maier, Dr. Vohrer, Frau Schuchardt, Hoffie und Dr. Zumpfort, die den soeben von der Mehrheit abgelehnten Änderungsantrag unterstützt haben, für die offenbar in der Schlußabstimmung allein mehrheitsfähige Verjährungsentscheidung stimmen: die Aufhebung der Mordverjährung. Ich tue dies, weil nur so, nicht aber durch einen sonst drohenden Verjährungsablauf, der alle diese Möglichkeiten endgültig verbauen würde, die von mir für erforderlich gehaltene völkerstrafrechtliche Regelung der Verjährungsfrage auf der Rechtsgrundlage der Europaratskonvention von 1974, wenn auch nicht getroffen, so doch zumindest für die Zukunft offengehalten wird. Im übrigen will ich mich, wie schon in meiner Rede zur zweiten Lesung, der Bekenntnisse enthalten. Unser Änderungsantrag ist in der Sache selbst ein politisches Bekenntnis, das unmißverständlich deutlich macht, worum es uns auch in der Schlußabstimmung jetzt allein geht und gehen kann: die Unverjährbarkeit der Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, und nichts sonst. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Haben alle Mitglieder des Hauses, die sich an der namentlichen Abstimmung beteiligen wollen, ihre Stimme abgegeben? - Dies scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Ich mache darauf aufmerksam, daß für die dritte Lesung ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt ist. Ich gebe weiterhin bekannt, daß die CDU/CSU-Fraktion gebeten hat, die Sitzung nach Bekanntgabe des Ergebnisses um eine halbe Stunde zu unterbrechen. Die Sitzung wird dann also pünktlich um 18.30 Uhr fortgesetzt. Einverstanden? ({0}) - Sie sind einverstanden. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Art. 1 auf Drucksache 8/2653 ({1}) : Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 481 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 253, mit Nein 228 gestimmt. Von den' Berliner Abgeordneten haben mit Ja 16 und mit Nein 4 gestimmt. Ergebnis Abgegebene Stimmen 481 und 20 Berliner Abgeordnete; davon ja: 253 und 16 Berliner Abgeordnete nein: 228 und 4 Berliner Abgeordnete Dr. Böhme ({2}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({3}) Brück Buchstaller Büchler ({4}) Büchner ({5}) Dr. von Bülow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Czempiel Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr, von Dohnanyi Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({6}) Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({7}) Friedrich ({8}) Gansel Gerstl ({9}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase' ({10}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Hoffmann ({11}) Hofmann ({12}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Enthaltungen FDP Ja CDU/CSU Benz Dr. Biedenkopf Burger Conrad ({13}) Dr. Evers Gerstein Gerster ({14}) Dr. Hammans Dr. Jaeger Dr. Jobst Josten Katzer Dr. Kraske Dr. Mikat Milz Müller ({15}) Dr. Müller-Hermann Frau Pack Fran Dr. Riede ({16}) Russe Schartz ({17}) Schröder ({18}) Dr. Schwarz-Schilling Dr, Stercken Stommel Stücklen Frau Tübler Frau Dr. Wisniewski Würzbach Berliner Abgeordnete Frau Berger ({19}) Kittelmann Luster Dr. Pfennig Frau Pieser Wohlrabe SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling Dr. Apel Arendt Augstein Baack Dr. Bardens Batz Becker ({20}) Biermann Bindig Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode Präsident Stücklen Ibrügger Immer ({21}) Jahn ({22}) Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({23}) Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({24}) Meinike ({25}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({26}) Müller ({27}) Müller ({28}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({29}) Neumann ({30}) Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({31}) Rappe ({32}) Frau Renger Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Sander Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({33}) Dr. Schäfer ({34}) Scheffler Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({35}) Schmidt ({36}) Schmidt ({37}) Schmidt ({38}) Schmidt ({39}) Schmidt ({40}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({41}) Dr. Schwencke ({42}) Dr. Schwenk ({43}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({44}) Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({45}) Vogelsang Voigt ({46}) Waltemathe Walther Dr. Weber ({47}) Wehner Weisskirchen ({48}) Wendt Dr. Wernitz Wiefel Wilhelm Wimmer ({49}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({50}) Wolfram ({51}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({52}) Dr. Dübber Egert Löffler Männing Mattick Schulze ({53}) Sieglerschmidt fraktionslos Dr. Gruhl FDP Gärtner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hof fie Dr.-Ing. Laermann Ludewig Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Schäfer ({54}) Frau Schuchardt Dr. Vohrer Dr. Zumpfort Zywietz Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Aigner Alber Dr. Althammer Dr. Barzel Dr. Becher ({55}) Dr. Becker ({56}) Frau Benedix Berger ({57}) Berger ({58}) Besch Biechele Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Böhm ({59}) Dr. Bötsch Braun Broll Bühler ({60}) Carstens ({61}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({62}) Ernesti Eymer ({63}) Feinendegen Frau Fischer Francke ({64}) Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({65}) Gierenstein Glos Haase ({66}) Haberl Dr. Häfele Handlos Hanz Hasinger von Hassel Hauser ({67}) Hauser ({68}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({69}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({70}) Dr. Jahn ({71}) Dr. Jahn ({72}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({73}) Frau Karwatzki Kiechle Dr. Klein ({74}) Klein ({75}) Dr. Klepsch Klinker Dr. Köhler ({76}) Dr. Köhler ({77}) Köster Dr. Kohl Kolb Krampe Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({78}) Lagershausen Lampersbach Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({79}) Lenzer Link Lintner Löher Dr. Luda Lücker Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({80}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller Müller ({81}) Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Petersen Pfeffermann Pfeifer Pieroth Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Regenspurger Dr. Reimers Dr. Riedl ({82}) Dr, Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Sauer, ({83}) Sauter ({84}) Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Präsident Stücklen Dr. Schäuble Schedl Schetter Frau Schleicher Schmidt ({85}) Schmitz ({86}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({87}) Schröder ({88}) Dr. Schulte ({89}) Schwarz Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({90}) Dr. Starke ({91}) Dr. Stavenhagen Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({92}) Vogt ({93}) Voigt ({94}) Dr. Voss Dr, Waffenschmidt Dr. Waigel Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({95}) Weiskirch ({96}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({97}) Windelen Damit ist Art. 1 angenommen. Ich unterbreche die Sitzung. ({98})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Art. 2 bis 5 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Gegenstimmen in zweiter Beratung angenommen. Meine Damen und Herren, wir treten in die dritte Beratung ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Erhard.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Jeder Mord schreit zum Himmel", hat heute der Kollege Emmerlich gesagt. - Ja, jeder Mord schreit zum Himmel, aber nicht zum irdischen Gericht. ({0}) In deutschen Landen gibt es ein anderes Wort: Mord schreit nach Rache, nach Blutrache. Dieses Wort galt auch früher in deutschen Landen. In einer langen Rechts- und Kulturentwicklung ist die Strafgewalt vom einzelnen, der die Blutrache übte, auf den Staat übergegangen. Der Staat hat ein faires Verfahren entwickelt. Er hat sich seit langer Zeit durch Grenzen der Verfolgbarkeit von Verbrechen aller Art beschränkt. Der Strafzweck wurde bis auf unsere heutigen Tage ziemlich deutlich definiert, nämlich Sicherung der Gesellschaft vor dem Verbrecher, Resozialisierung des Verbrechers und Sühne - drei nebeneinanderstehende Elemente. Es gab in den früheren Jahren in diesem Hause einen langen Streit zwischen der CDU/CSU und vor allen Dingen den Sozialdemokraten, ob der Staat überhaupt Sühne erzwingen könne, ob die Strafe etwas mit Sühne zu tun haben könne. Wir haben uns bei der Verabschiedung des neuen jetzt geltenden Strafgesetzbuches zur Gleichrangigkeit der drei Strafzwecke durchringen können. Was wir heute mit der Aufhebung der Verjährung in zweiter Lesung beschlossen haben - ich zweifle nicht daran, daß es auch in dritter Lesung beschlossen wird -, halte ich für einen Teilrückschritt in eine Zeit, die wir vom kulturellen Standpunkt glaubten überwunden zu haben. ({1}) Was steht an? Wir sollten uns alle nichts vormachen - die Beratungen der zweiten Lesung haben es ebenso wie die Beratungen im Rechtsausschuß überdeutlich gemacht -: Es geht um die Vergangenheit des NS-Staates, es geht um die Menschen, die im nationalsozialistischen Herrschaftsstaat möglicherweise oder sicher Mörder geworden sind oder geworden sein könnten. Im nationalsozialistischen Staat hatte das Strafrecht andere Zwecke als die, auf die wir uns geeinigt haben. Darf ich daran erinnern, daß die Reinhaltung des Blutes zum Strafrechtszweck gehörte, daß die Durchsetzung des Führerwillens als Willen des verfassungsgemäßen Gesetzgebers im Volk das Strafrecht nutzte. Die Unterwerfung aller unter diesen totalen Staat wurde auch mit brutalen Strafgesetzen und Ahndungen erzwungen. Ich bin sehr traurig darüber, daß wir heute eine Abkehr von der alten Tradition unseres Strafrechtes beschließen; denn wir wissen, daß es nur um NS-Täter geht, auch wenn generell die Mordverjährung aufgehoben ist. Wir haben im Rechtsausschuß die Praktiker gefragt, ob es Mordtaten nach dem 8. Mai 1945 gebe, die nicht gesühnt worden seien und die nach der Verlängerung der Verjährung von 20 Jahren auf 30 Jahre in der Justiz zur Anklage oder zu einer weiteren Ermittlung gekommen seien. Die Antwort war eindeutig, solche Fälle gebe es nicht. Die Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre und jetzt die Aufhebung der Verjährung betreffen also den gleichen Personenkreis, soweit Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({2}) Dr. Wörner Baron von Wrangel Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Amrehn Kunz ({3}) Müller ({4}) Straßmeir SPD Dr. Bayerl Dr. Penner FDP Angermeyer Dr. Bangemann Baum Cronenberg Eimer ({5}) Engelhard Ertl Frau Funcke Gallus Genscher Grüner Hölscher Jung Dr. Graf Lambsdorff Merker Mischnick Möllemann Paintner Schmidt ({6}) von Schoeler Spitzmüller Wolfgramm ({7}) Wurbs Erhard ({8}) er nach dem 1. Januar 1980 noch bekanntwerden sollte. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang nur noch einmal an das damalige Recht und Reich erinnern, um das Problem der Schuld näher zu erläutern; denn um dieses Problem geht es Ihnen, wenn Sie heute die Verjährung aufheben. Ich erinnere Sie daran, daß Professor Schlegelberger, bereits vor 1933 Staatssekretär im Reichsjustizministerium, mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Ministers beauftragt war, als Hitler die Euthanasie - die Ermordung der geistig Behinderten, der körperlich Behinderten und Kranken - anordnete. Dieser amtierende Minister lud den Präsidenten des Reichsgerichts, alle Oberlandesgerichtspräsidenten und alle Generalstaatsanwälte zu einer Konferenz ein, um ihnen bekanntzugeben, daß der Führer diese Art von Tötungen befohlen habe. Er hat sich darauf berufen, das entspreche dem Willen des Führers und sei deswegen zu vollziehen. Die gesamte Justiz in ihrer Spitze kannte also diese Morde, und nichts anderes als Mord war es. Die gesamte Justiz hat das passieren lassen, und sie hat ein ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, um alle Anklagen oder Anregungen, Anklage zu erheben, durch Berichtspflichten auf der Ebene, die ich eben nannte, verschwinden zu lassen. Wenn das die Rechtsauffassung der Großen, der obersten Rechtshüter in unserem Lande war, dann sollten wir nicht so tun, als wären diejenigen, die an der letzten Stelle ausgeführt haben, die Schuldigen und die oben eigentlich nicht. ({9}) Mir ging und geht es darum, daß wir die Gewichte richtig setzen. Ich könnte mich persönlich mit der Aufhebung der Verjährung durchaus einverstanden erklären, wenn eine Regelung gefunden worden wäre, die die unglücklichen Entwicklungen vermieden hätte, die wir jetzt zu beklagen haben. Ich rufe es hier vor der Öffentlichkeit und vor diesem Hohen Hause in unser aller Bewußtsein: was das wohl für ein gutes Recht ist, nach dem derjenige - mit lebenslanger Strafe bedroht - als schwerer Totschläger, als vorsätzlicher Töter in besonders schwerem Fall eine lebenslange Freiheitsstrafe erhalten kann, gegebenenfalls erhalten muß, die Verjährung seiner Tat aber auf 20 Jahre festgeschrieben ist, während derjenige, der Beihilfe zu einem Mord geleistet hat, mit einer Höchststrafe von 15 Jahren bedroht wird, aber seine Strafe verjährt - was wir heute beschließen - nie. Das halte ich nicht für ein gutes Recht. Ein damals 20jähriger Jugoslawen-Deutscher, kaum der deutschen Sprache mächtig, der auf einem Marsch mit einem anderen zusammen einen Häftling, der aus der Reihe sprang - warum?, niemand weiß es mehr - erschoß, ist deshalb in diesen Jahren, weil die Tat erst nach 1970 bekanntgeworden ist, mit 2 1/2 Jahren Jugendstrafe bestraft worden. Bis 1948 war er in amerikanischen Lagern, weil er bei der SS - eingezogen zur SS - gewesen ist. Nachher hatte er eine Familie gegründet und im Bergbau gearbeitet. In seinem 52. Lebensjahr wurde er angeklagt und ist jetzt im 53./54. Lebensjahr endgültig verurteilt worden. Nunmehr muß er als Arbeitsinvalide die Kosten des Verfahrens zahlen; das ist viel. Wenn das unseren Rechtsvorstellungen für die Zukunft entspricht - nun gut, die Mehrheit will das so. Ich sage für die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion: das meinen wir nicht, wenn wir von Mord und Mordverjährung reden. Wir möchten diese Dinge in der Zukunft möglichst nicht mehr vor dem Forum des Gerichts haben. ({10}) Da gibt es solche Urteile und andererseits Freisprüche. Jemand, der auf der Rampe gestanden und die Kräftigen ins Lager zum Arbeiten - vielleicht zum Totarbeiten -, die anderen in die Gaskammer geschickt hat, wird nur wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord verurteilt. Aber der, der unmittelbar an der Gaskammer stand - ein Unteroffizier, ein Gemeiner -, der wird als Mörder bestraft. Das ist der Unterschied in unserem Recht, und hier könnte für die Zukunft eine Heilung durch den Eintritt der Verjährung entstehen. Unsere Justiz wird nie und nimmer vom Ausland verstanden, wenn der eine als Mörder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird und der andere, der Arzt und Offizier oder SS-Führer war, mit zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Jahren Gefängnis bestraft wird. ({11}) - Oder überhaupt nicht. - Das versteht niemand. Wer noch höher war, im Büro war - wir werden das spätestens in zwei Jahren auch wissen, denn ein solches Verfahren läuft -, der wird entweder überhaupt nicht bestraft oder das Verfahren wird eingestellt oder erst gar nicht eröffnet. Durch solche Dinge kommt unsere Justiz in ein völlig falsches Licht und über die Justiz unser Staat. Ich meine, wir sollten solchen Schaden von unserem Staate abwenden. ({12}) Es kommt hinzu, daß in diesen Wochen der „Spiegel" einen Fortsetzungsbericht über das ehemalige Kriegsgefangenenlager Lamsdorf in Oberschlesien bringt, das nach dem Kriege ein Lager für Deutsche gewesen ist. Hierzu haben unsere Staatsanwälte ein langes Ermittlungsverfahren geführt, das zu bestimmten Ergebnissen gekommen ist. Die Bundesregierung lehnt es ab - zumindest sagt das der Parlamentarische Staatssekretär -, die Akten nach Polen zu senden, weil das die politischen Verhältnisse stören könnte, obwohl die Täter in diesem Falle Polen und die Opfer Deutsche sind. Auf die Frage hier im Plenum in der Fragestunde hat der Herr Staatssekretär de With gesagt, es sei auch unzweckmäßig, die Akten oder ähnliches nach Polen zu senden oder dort um eine Strafverfolgung nachzusuchen, denn in Polen seien diese Taten verjährt. Das ist richtig. Wie das in anderen Ländern aussieht, haben wir ja in unseren Bericht des Rechtsausschusses geschrieben. Wie deutlich Verjährungselemente in das Recht eingreifen, wissen wir, denn während Erhard ({13}) dieser Beratungen des Rechtsausschusses fiel die Entscheidung des obersten brasilianischen Gerichtshofes, den früheren Spieß in einem der Vernichtungslager, Wagner, nicht an die Bundesrepublik auszuliefern. Ich meine, daß wir mit diesen beiden Entscheidungen und der Tatsache, daß das Ausland einen politischen Druck auf uns ausübe, was wir heute auch gehört haben, schlecht beraten sind, innere Rechtspolitik zu machen oder gar strafrechtliche Entscheidungen zu treffen. ({14}) Die politischen Rücksichten sollte man als Politiker, auch als Parlament selbstverständlich nicht vergessen. Ich habe immer zugestanden, daß Rücksichten genommen werden sollen. Ich bin aber nicht bereit, das Rechtsbewußtsein unserer Bevölkerung anders zu werten als das Rechtsbewußtsein über unsere Grenzen hinaus und im internationalen Bereich. Wenn wir immer wieder von einem internationalen Rechtsfrieden gesprochen haben, Herr Professor Maihofer, dann muß dieser internationale Rechtsfrieden für alle gleichmäßig gelten und nicht nur so, daß wir Deutschen die Bösen und die anderen die Guten sind. ({15}) Ich wünschte mir von einer anderen Entscheidung ein kleines, kleines Stückchen mehr an erkennbarer Gerechtigkeit in unserem Volk und nicht die Möglichkeit, auf uns, das Parlament, und damit auf die Führung in diesem Staate mit dem Finger zu zeigen und zu sagen: Vor Ausländischen habt ihr euch gebeugt und unsere Eigenen in die Pfanne gehauen. ({16}) Mehr Gerechtigkeit erfordert, daß man den Tätern, den Uniformierten, den in einem Zwangsstaat in ein System eingespannten Letzten, nicht den Großen, so viel an Gerechtigkeit widerfahren läßt, wie es ihre Situation und daraus resultierend ihre Schuld rechtfertigt. „Gerechtigkeit erhöht ein Volk", hat der Bundespräsident Heuss bei seinem Amtsantritt gesagt, und unser jetziger Bundespräsident, Professor Carstens, hat das Wort für sich aufgegriffen. Gerechtigkeit erhöht ein Volk: Ungerèchtigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn sie nur in relativ wenigen Fällen deutlich wird, muß dann das Volk erniedrigen. ({17}) Ein Pole namens Wojtyla, der jetzt Papst Johannes Paul II. ist, hat mit Recht von den schrecklichen Verbrechen und dem Haß, der in Auschwitz sichtbares Zeichen geworden ist, gesprochen. Er wurde heute zweimal zitiert. Ich zitiere ihn auch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Papst Johannes Paul warnte vor der „Bedrohung des Menschen durch den Menschen". Ich zitiere wörtlich: Es genügt, ihn - den Menschen in eine andere Uniform zu stecken - ich wiederhole das: .,... in eine andere Uniform zu stecken" -, ihn mit dem Gerät zur Gewalt und mit den Mitteln der Vernichtung auszurüsten. Es genügt, ihm eine Ideologie aufzuzwingen, in der das Recht der Menschen den Bedürfnissen des Systems bedingungslos untergeordnet ist, so daß faktisch das Recht des Menschen nicht mehr existiert. Das ist nicht nur im schrecklichen Terrorstaat der Nationalsozialisten in unseren Landen so gewesen, das war in anderen Ländern vorher, und das ist in manchen Ländern heute so. Das sollten wir nicht vergessen. Wenn wir jetzt zur Endabstimmung schreiten, bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sich das, wenn sie können, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich bitte Sie auch angesichts der dritten Lesung: Machen Sie diesen Weg, bei dem ich vielen den guten Willen nicht abspreche-vielen! -, nicht mit. Ich. bitte Sie um Ablehnung des Gesetzes. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem persönlichen Wort an Herrn Kollegen Benno Erhard beginnen. Er möge seinen letzten Satz „Machen Sie diesen Weg, bei dem ich vielen den guten Willen nicht abspreche, nicht mit" überdenken. Das, was mich stört, ist das Wort „vielen". Bitte, setzen Sie bei allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses, wie sie auch abstimmen mögen, guten Willen voraus. ({0}) Wenn der Bundestag heute die Unverjährbarkeit von Mord beschließt, dann wird die in Zahlen meßbare Auswirkung gering sein. Die Zahl der Anklagen und der Verurteilungen wird nur wenig von dem abweichen, was zu erwarten wäre, wenn es beim geltenden Recht bliebe. Das ist zum großen Teil die Folge davon, daß - wenn auch spät - von der Möglichkeit der Unterbrechung der Strafverfolgungsverjährung Gebrauch gemacht wurde. Von dieser Unterbrechung der Strafverfolgungsverjährung wurde in dieser Debatte relativ wenig gesprochen. Besonders wenig sprachen diejenigen darüber, die es beim geltenden Recht belassen wollen. Diese Unterbrechung der Verjährung ist ja keine Unterbrechung im eigentlichen Sinne, wie etwa bei einem Fußballspiel, das in der 28. Minute unterbrochen und in der 28. Minute fortgesetzt wird. Wird die Strafverfolgungsverjährung unterbrochen, dann springt der Zeiger der Uhr auf Null zurück, und die Uhr beginnt neu zu ticken. Das heißt, bei einer Strafverfolgungsverjährung für Mord von jetzt 30 Jahren kann bei Unterbrechung der Verjährung maximal beinahe 60 Jahre Verfolgbarkeit herauskommen. Das unterscheidet sich von der Unverjährbarkeit von Mord in einzelnen Fällen wegen des begrenzten Lebens der Täter möglicherweise überhaupt nicht mehr. Für die Gerichte werden die Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung bestehen bleiben, vielmehr weiter zunehmen. Immer öfter werden Zeugen in der Hauptverhandlung keine Aussage mehr machen können, weil sie inzwischen verstorben oder schwer krank sind. Auch bewahrt das menschliche Gedächtnis Wahrnehmungen aus früherer Zeit nicht gleich lange auf. Der Präsident des Bundesgerichtshofs, Gerd Pfeiffer, hat vor dem Rechtsausschuß auf Grund seiner Kenntnis vieler Akten über NS-Gewaltverbrechen ausgeführt, offensichtlich sei es den Zeugen fast unmöglich, nach langer Zeit Einzelpersonen aus einer Gruppe heraus, etwa einem Erschießungskommando, noch in Erinnerung zu behalten, während andere Situationen, in denen ein Täter einem Opfer gegenüberstand, auch heute noch mit fast fotografischer Genauigkeit wiedergegeben werden könnten. Daraus folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß in Zukunft fast nur noch Fälle zur Hauptverhandlung kommen werden, in denen jemand in der nationalsozialistischen Zeit mehr und Furchtbareres getan hat als das, was ihm im organisiert mordenden Unrechtsstaat anbefohlen war. Ist das, was hier ausgeführt wird, ein Aufruf zur Resignation? Nein. Es ist nur eine Warnung vor falschen Hoffnungen, unsere heutige Entscheidung könne es möglich machen, der Gerechtigkeit ein wenig in dem Sinne näherzukommen, daß Gleichschuldige einigermaßen gleich bestraft würden. Der Grund, für Unverjährbarkeit von Mord zu stimmen, ist wohl bei allen Befürwortern weniger rechtspolitischer Natur. Für mich ist die entscheidende Frage: Dürfen wir den Opfern und Hinterbliebenen nationalsozialistischer Gewalttaten zumuten, daß nach dem 1. Januar 1980 auch nur einer 'aufstehen und sagen könnte: Ich habe in dieser Zeit gemordet und keine Justiz darf mich deswegen mehr anklagen und verurteilen. ({1}) Diese Frage kann und muß auch allgemein gestellt werden: Dürfen wir den Hinterbliebenen irgendeines Ermordeten zumuten, daß der Täter nach langer Zeit sagen darf, ihn dürfe nun niemand mehr deswegen zur Verantwortung ziehen? ({2}) Ich hoffe - und habe nach der letzten Abstimmung Grund dazu -, daß der Bundestag heute beide Fragen mit Nein beantworten wird. Es wird - übrigens unabhängig von der heutigen Entscheidung - auch in Zukunft Freisprüche geben, weil das Gericht zwar Ausmaß und Furchtbarkeit der Mordtaten feststellen, den Tatbeitrag einzelner Angeklagter aber nicht mehr individuell nachweisen kann. Im In- und Ausland werden gegen solche Freisprüche Vorwürfe erhoben werden, wie sie auch in der Vergangenheit erhoben worden sind. Soweit sich diese Vorwürfe darauf beziehen, solche Strafverfahren seien zu spät eingeleitet worden, haben wir diese Vorwürfe als berechtigt hinzunehmen. Wir können nicht erwidern, es sei alles und es sei alles rechtzeitig getan worden. Vielleicht ist in früheren Jahrzehnten auch versäumt worden, Fälle, die heute zum Freispruch vom Vorwurf der Täterschaft bei Mord führen, rechtzeitig unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation zu prüfen. Ziel dieser Vorwürfe sollten aber nicht die heutigen Richter - weder die Berufsrichter noch die ehrenamtlichen Richter - sein. ({3}) Sie haben - an Gesetz und Recht gebunden - solche Vorwürfe nicht verdient. Denken Sie bitte auch daran, daß wir vor eineinhalb Jahrzehnten Beschuldigten und Angeklagten das Recht gegeben haben, ohne Furcht vor Nachteilen im Strafprozeß zu schweigen. Es muß also jede Einzelheit aus dem Jahre 1942 oder 1943 durch andere Beweismittel als die Einlassung des Angeklagten erwiesen werden. Das wird immer schwieriger, je länger die Taten zurückliegen. Das erklärt auch zum Teil die quälend lange Dauer der Strafverfahren. Wir dürfen die Gefühle der Hinterbliebenen der Opfer der nationalsozialistischen Mordtaten nicht unbeachtet lassen, wir dürfen auch die Schwierigkeiten nicht übersehen, vor denen Staatsanwälte und Richter vor und in solchen Strafverfahren stehen. Wir müssen aber auch, schon um gefühlsbedingten Mißverständnissen zu begegnen, deutlich sagen: Wegen nationalsozialistischer Gewalttaten verurteilte Personen sind Menschen, keine Symbolfiguren. Daraus folgt - das erkläre ich für mich persönlich -, daß Rudolf Heß aus dem Gefängnis in Altenpflege verbracht werden sollte. Hier geht es nicht darum, daß das Urteil zu Recht ergangen ist. Ihn aus Strafhaft zu entlassen erscheint als ein Gebot der Menschlichkeit, aber auch der politischen Klugheit. Denn politisch Unbelehrbare können nur den eingesperrten Rudolf Heß als Märtyrer ansehen, nicht aber einen Mann, der seinem hohen Alter und schlechten Gesundheitszustand entsprechend behandelt wird. Das sollte in dieser Debatte ausgesprochen werden, auch wenn die Entscheidung darüber nicht in deutscher Hand liegt. ({4}) Daraus folgt ferner, daß auch für Personen, die wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen verurteilt worden sind, bei der Prüfung, ob bedingte Entlassung aus der Strafhaft in Frage kommt, die Grundsätze nicht ausgeschlossen sein sollten, die für jeden zu langfristiger Freiheitsstrafe Verurteilten gelten. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß wir alle bisher aus Überzeugung und zu Recht ein Sonderrecht für NS-Täter stets abgelehnt haben. Die heutige Entscheidung des Parlaments darf nicht dahin mißverstanden werden, als würde damit die Bewältigung des dunkelsten Kapitels deutscher Vergangenheit unserer Justiz übertragen. Unsere Gerichte können einzelne Sachverhalte aufklären und Einzeltätern strafrechtliche Schuld zumessen, nicht mehr. Die Frage, wie es zum bürokratisch perfekt organisierten Massenmord im Unrechtsstaat kam, wie es dazu kommen konnte, kann kein Gericht beantworten und der Öffentlichkeit erläutern. Diese Darstellung und Erläuterung zu versuchen ist Aufgabe derer, die die Zeit bis 1945 bewußt miterlebt haben. Sie gehören heute der Eltern- oder - meist - Großelterngeneration an. Vergessen wir nicht: 45 % unserer Bevölkerung sind erst nach dem Kriegsende im Mai 1945 geboren worden. Die Darstellung dessen, was in der Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist, und die Erläuterung, wie es dazu kam, ist ferner Aufgabe derer, die sich mit Geschichte und politischer Bildung befassen. Es genügt nicht, wenn sie den Massenmord im Unrechtsstaat schildern. Auschwitz, Sobibor und Treblinka sind Namen aus den letzten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft. Wer wissen will, wie es dazu kam, muß sich mit der Anfangszeit befassen, er muß etwas von der schrittweisen Beseitigung von Demokratie und Rechtsstaat, von den Anfängen der Unterdrückung von Minderheiten wissen. Wer darüber Bescheid weiß, vermag die übrigens zum Teil aus dem Ausland zu uns importierten Ansätze von Neonazismus richtig zu bewerten. Wir bemühen uns, dagegen das rechtlich und politisch Erforderliche zu tun. Die Einsicht, daß Neonazismus zur Zeit keine Gefahr für unsere Demokratie darstellt, entbindet uns nicht von der Pflicht zu stetiger Wachsamkeit. ({5}) Die Kenntnis der Vergangenheit bietet aber keine sichere Gewähr dafür, daß uns Demokratie und freiheitlicher Rechtsstaat in Zukunft erhalten bleiben. Gefahren für die Stabilität der Demokratie drohen nie genau aus derselben Ecke wie vor Jahrzehnten. Meine Großmutter hätte gesagt: Der Teufel kommt nicht zweimal aus demselben Loch. Eine Überlegung soll das beispielhaft verdeutlichen. Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre dieses Jahrhunderts war bei großen Teilen der deutschen Jugend ein aus dem Gefühl kommender Kulturpessimismus sehr in Mode, eine verächtliche Distanz zum institutionalisierten, bürokratisierten Staat. Diesen jungen Menschen haben die Nationalsozialisten vorgegaukelt, ihr Staat werde ihnen etwas für ihr Gefühl bieten; im NS-Staat müsse alles ganz anders werden. Der Großteil dieser Jugendlichen ließ sich davon blenden, marschierte mit oder sah zumindest widerspruchslos zu, wie langweilig zu lesende, gar nicht das Gefühl bewegende Vorschriften etwa der Weimarer Verfassung hinweggefegt wurden, Vorschriften, die in Wirklichkeit die Freiheit der Bürger geschützt hatten. Warum berichte ich darüber, wo doch jedermann weiß, daß Bonn nicht Weimar ist? Weil es heute unsere Aufmerksamkeit erregen sollte, wenn immer mehr junge Menschen erklären, sich nicht an Wahlen beteiligen zu wollen, weil die in der Politik Agierenden doch alle gleich seien. Wer erklärt, zwischen Franz Josef Strauß, Willy Brandt und anderen keinerlei Unterschied mehr sehen zu können, und wer sie alle ablehnt, der sollte sich fragen, ob sein Gefühl in der Ablehnung demokratischer Politiker sich nicht dem Punkt nähert, an dem er die Demokratie als ablehnenswürdig abschreibt. Eine Demokratie ist am stabilsten und am besten vor der Gefahr irgendeines Totalitarismus gesichert, wenn sich ein möglichst großer Teil der Bevölkerung, insbesondere der jüngeren, mit dem demokratischen Staat identifizieren kann und ihn als seinen Staat ansieht. Das macht das Gespräch zwischen den Generationen so wichtig für die Sicherung unserer Demokratie. Darüber sprechen, welche Gefühle und Einstellungen vielen jungen Menschen die Identifizierung mit unserem Staat derzeit erschweren und möglicherweise ihre geistige Widerstandskraft gegen Einflüsterung von Demogogen herabsetzen, das ist, wie mir scheint, eminent wichtig. Dieses Gespräch mit gemeinsamer Blickrichtung in die Zukunft ist schwer, aber wichtiger als mancher Gesetzgebungsakt. In diesem Bemühen um Sicherung unserer Demokratie sind wir alle, wie wir heute in dieser Frage auch abgestimmt haben und abstimmen werden, uns einig. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sprechen wir zunächst noch einmal von den Grundsätzen und den Verfahrensregeln und dem Stil, die unsere Debatte und heutige Entscheidung bestimmen und prägen sollen. Wir sind am 29. März dieses Jahres mit dem festen Vorsatz in die Beratungen gegangen, daß diese Entscheidung von jedem einzelnen einzig und allein nach seiner höchstpersönlichen Überzeugung getroffen werden muß. Hier kann und darf es keine Fraktionsmeinung und keine Regierungsmeinung geben, und hier stehen sich nicht Auffassungen der Koalition einerseits und der Opposition andererseits gegenüber. Der Rechtsausschuß hat stellvertretend für das ganze Parlament diesen Vorsatz nochmals bekräftigt. Er hat sich einstimmig meinen Antrag zu eigen gemacht, im vorliegenden ganz besonderen Falle von einer Beschlußempfehlung an das Plenum Abstand zu nehmen. Und jetzt, vor der Endentscheidung, liegt es bei jedem einzelnen von uns, nach seiner ureigensten Überzeugung und nach nichts sonst bei der dritten Lesung seine Entscheidung zu treffen. Stillschweigend und ebenso gewichtig war unsere weitere Übereinkunft, die Beratungen mit Anstand - bei allem Engagement in der Sache - zu führen. Ich denke, daß wir uns bis jetzt alles in allem redlich darum bemüht haben. Die Achtung vor der Person des Andersdenken entbindet uns aber nicht vom Recht und auch der Pflicht zur Auseinandersetzung. Niemand darf des anderen redliche Überzeugung in Zweifel ziehen und damit beschädigen. Aber die jenseits der Gewissensentscheidung des „Hier stehe ich, ich kann nicht anders" liegenden Gründe und Argumente für diese Überzeugung müssen um der Klarheit der Entscheidungsempfindung und um der Wahrheit der Entscheidung willen offen und fair, aber auch ohne jede falsche Zurückhaltung diskutiert und ausgesprochen werden. Deshalb sage ich: Die Debatte um die Verjährung von NS-Morden ist durch den Vorschlag, die Unverjährbarkeit von Mord ganz allgemein einzuführen, überlagert worden und zur rechtspolitischen Belastungsprobe geworden. Ich akzeptiere, daß einige Kollegen dieser Idee der Unverjährbarkeit schlechthin schon immer, schon seit Jahren angehangen haben. Aber man braucht generell wohl kein Hellseher in die Vergangenheit hinein zu sein, um zu sagen: Hätte etwa ein Mitglied diese Hauses vor einigen Jahren weitab von der Entscheidung dieser Stunde und ohne jede Bezugnahme darauf die Unverjährbarkeit des gemeinen Mordes gefordert, allgemeines Kopfschütteln, Ablehnung und kritische Kommentare wären seinem Vorschlag weit und breit sicher gewesen. Ernster erscheint mir aber dies: In unserer Rechtspolitik sind wir ansonsten ja so stolz darauf, gesetzgeberische Schritte vom Ergebnis der Rechtstatsachenforschung abhängig zu machen. Oft ist diese Forschung noch sehr unzulänglich, oft ist sie überhaupt noch nicht zu Ergebnissen gekommen. Hier aber bei der Verjährung von Mord haben wir nicht nur eine lange Rechtstradition, sondern da liegen die Tatsachen ganz schlicht auf der Hand. Weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik, noch in der Bundesrepublik bis 1965 bestand jemals auch nur das Bedürfnis, am geltenden Recht etwas zu ändern. Und so kann es niemand verwundern, wenn etwa der niederländische Strafrechtler Professor Röter - zitiert aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23. Mai 1979 - meint: Das manchmal etwas Gespenstische an der zur Zeit stattfindenden Diskussion ist, daß die Aufhebung der Verjährung für Mord und für eine weitere und vor allem gerechte Ahndung von NS-Verbrechen belanglos ist, dafür aber den wesentlichen Nachteil bringt, daß die Unverjährbarkeit des Mordes als ein Fremdkörper in das deutsche Strafrecht eingeführt wird. ({0}) Bei der ersten Lesung habe ich angedeutet, daß die Befürworter der Unverjährbarkeit von Mord etwa sagen könnten: Unser Anliegen ist die Unverjährbarkeit von NS-Morden; die Unverjährbarkeit auch des gemeinen Mordes nehmen wir nur bewußt in Kauf, weil wir anders unser Ziel nicht glauben erreichen zu können. Aber spätestens bei den Ausschußberatungen ist etwas ganz anderes deutlich geworden. Wir lesen jetzt im Ausschußbericht, angesichts des Umfangs der NS-Verbrechen komme zwar der Verjährungsproblematik im Jahre 1979 gesteigerte Bedeutung zu, aber dennoch dürfe die Entscheidung nicht nur im Blick auf die Morde aus der Zeit vor dem 8. Mai 1945 getroffen werden; ja, die Aufhebung der' Verfolgungsverjährung bei Mord schlechthin wird im Ausschußbericht sogar als konsequenter Schlußpunkt einer kontinuierlichen Entwicklung unserer Gesetzgebung dargestellt. Welche Verkennung, so sage ich, der zeitlichen und der inhaltlichen Relationen bei der Bewertung der rechtspolitischen Entscheidungen des Deutschen Bundestages in den Jahren 1953, 1960, 1965 und schließlich auch 1969 und inhaltlich nicht einmal gegenläufiger Beschlüsse der letzten zehn Jahre! In kaum zu überbietender Schärfe und Deutlichkeit hat deshalb Professor Röter - dessen subjektiven Teil seiner Wertung ich mir nicht zu eigen machen will - erklärt: Die Ausdehnung - gemeint ist: der Verjährungsaufhebung auf den gemeinen Mord ist jedoch durch nichts zu rechtfertigen. Bei seiner Verjährung geht es um eine zur deutschen Rechtskultur gehörende bewährte Rechtsinstitution, die völlig nutzlos der Tagespolitik geopfert würde. Wer so, ohne Not, die Rechtskontinuität aufgibt, mißachtet das Recht als gewachsenes Kulturprodukt. Für die Mehrzahl meiner politischen Freunde und mich ist daher die wirkliche, von der Sache her begründete Gegenposition zur Beibehaltung des geltenden Rechts der Vorschlag unseres Kollegen Professor Maihofer. Dieser Vorschlag beschränkt sich auf die Regelung dessen, was uns überhaupt zu diesen Beratungen zusammengeführt hat: die anstehende Verjährung von NS-Morden zum Jahresende, soweit nicht eine Unterbrechung eingetreten ist. Jetzt, da der Maihofer-Vorschlag bei der Abstimmung in zweiter Lesung keine Mehrheit gefunden hat, werden seine Befürworter - und ich sage dies, Herr Kollege Professor Maihofer, ungeachtet der Erklärung, die Sie vorher, auch für eine Reihe von Kollegen, abgegeben haben - genau zu prüfen haben, ob die Unverjährbarkeit von Mord schlechthin ihr Anliegen mit abdeckt, so daß der Unverjährbarkeit auch des gemeinen Mordes zugestimmt werden kann, oder ob ihnen auf der Suche nach einer sachgerechten Lösung mit ihrer Zustimmung zur Unverjährbarkeit schlechthin nicht doch ein viel zu hoher Preis abverlangt wird, ein Preis, den wir erst in einer späteren, allerdings nicht mehr zu fernen Zeit zu bezahlen haben werden. ({1}) Die Mehrzahl meiner Fraktionskollegen und auch ich treten für die Beibehaltung des geltenden Rechts ein. ({2}) Die Gründe hierfür mögen bei dem einzelnen unterschiedlich gewichtet sein. Für mich haben die langen und eingehenden Beratungen des Rechtsausschusses eine Bestärkung meines in der ersten Lesung eingenommenen Standpunktes gebracht. So hat etwa Professor Böckenförde für seine Darlegungen vor dem Rechtsausschuß spontanen Beifall von allen Seiten erhalten. Das ist eine im Rechtsausschuß sonst ungewöhnliche Anerkennung. Er hat vom verfassungsrechtlichen Unbehagen bei allen Versuchen gesprochen, das geltende Recht entgegen vielfacher gegenteiliger Vorentscheidungen zu ändern. Hätte Professor Böckenförde sein Gutachten in ein abschließendes Votum einmünden lassen, so hätte dieses Votum nur lauten können: für Beibehaltung des geltenden Rechts oder allenfalls eine möglichst eingeschränkte Unverjährbarkeit, entsprechend dem Vorschlag von Professor Maihofer. Immer wieder wurde bei den Ausschußberatungen deutlich, daß sich das Ziel materieller Gerechtigkeit auf Dauer niemals in der Abstraktion - darauf habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen -, auch nicht in der Abstraktion des guten Willens, verwirklichen kann. Wenn es vom 1. Januar 1970 bis Ende 1978 lediglich bei drei der neu entdeckten Fälle zur Verurteilung gekommen ist und das Durchschnittsalter aller Angeklagten heute bereits bei 67 Jahren liegt, so läßt sich - das ist sicherlich nicht unzulässig - unschwer absehen, welchen Weg die Strafverfolgung bei einer Aufhebung der Verjährung nehmen wird. Ich zitiere wiederum Professor Rüter, weil sich hier eine ausländische Stimme gemeldet hat, ein Strafrechtler und gerade im Bereich der NS-Verbrechen ein Experte von besonderen Graden, der uns Argumente ins rechtspolitische Stammbuch geschrieben hat, denen sich niemand wird so einfach entziehen können. Professor Rüter ist zuzustimmen, wenn er meint: „Eine Aufhebung der Verjährung kann diese Umstände nicht aus der Welt schaffen; denn materiell hat diese Verjährung schon längst begonnen." Nun hat Herr Kollege Dürr noch einmal dargestellt, daß es darauf gar nicht ankomme, weil wir das Institut der Verjährungsunterbrechung haben, nach deren Vornahme die Zeit wieder von vorn zu laufen beginnt. Dieses Argument halte ich im Rahmen dieser Debatte so generell keineswegs für stichhaltig und richtig; denn wir haben uns von Oberstaatsanwalt Rückerl genau darüber unterrichten lassen, wie zur Abwendung drohender Verjährung bei NS-Verfahren die Verjährung unterbrochen wurde. Sicherlich völlig richtig ist man daran gegangen, sich der aufgefundenen schriftlichen Materialien zu bedienen, der Mannschaftslisten von Einsatzkommandos etwa, und oft überhaupt nicht wissend, ob der einzelne noch lebt und wo er sich aufhält, hat man die Verjährung unterbrochen. Das ist richtig, um die Verjährung hier nicht eintreten zu lassen. Aber wie ist es bei der allgemeinen Kriminalität, insbesondere der des Mordes? Ich will ein Beispiel dafür nennen. Niemals ist es meines Wissens in der deutschen Rechtsgeschichte passiert, daß etwa auf einer kleinen Insel im Meer in der Zeit, wo ein heftiger Sturm herrschte, der die Landung jedes Schiffes ausschloß, so daß feststand, daß nur die dort Lebenden zum Zeitpunkt der Tat auf der Insel anwesend waren, daß auf dieser Insel ein Mensch ermordet wurde, die Tat nicht aufgeklärt werden konnte und daß man zur Abwendung der Verjährung alle, die ihrem Alter nach überhaupt zu einer solchen Tat imstande gewesen wären, als Beschuldigte geführt hätte, um die Verjährung zu unterbrechen. Wir sehen an diesem Beispiel sehr deutlich, daß man auch in dieser Debatte sehr wohl die Unterschiede zwischen der Verfolgung von NS-Verbrechen und der Verfolgung von Verbrechen der allgemeinen Kriminalität sehen muß. Ich habe schon bei der ersten Lesung zu bedenken gegeben, daß wir in der Gerichtspraxis heute an einem Punkt angelangt sind, an dem zunehmend der Freispruch zwingend zum Symbol der NS-Verfahren wird. Wer da meint, sich mit seiner wohlgemeinten Bereitschaft zur Ahndung von Verbrechen bis zum Tode des Täters den vorgegebenen Tatsachen entziehen zu können, wird, so meine ich, letztlich auch vor den Augen der überlebenden Opfer und ihrer Angehörigen kaum bestehen können. Denn wir erleben es ja zunehmend und bedrückend, etwa im Majdanek-Verfahren, daß - aus der Situation und überhäuft von der Fülle des Leids - die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung nur die Ergebnisse sehen und sich der Freispruch für sie nicht als das Produkt eines rechtsstaatlich geführten Verfahrens, sondern eines Nicht-Verurteilen-Wollens auf seiten eines deutschen Gerichts darstellt. Ich zitiere zum Schluß noch einmal Professor Rüter. Denn in seinen Worten sind die Grundsätze und Erwägungen in etwa gebündelt zusammengefaßt, die für die Mehrheit meiner politischen Freunde und für mich am heutigen Tage Entscheidungsgrundlage sind. Professor Rüter schreibt: Die drohende Verjährung von NS-Verbrechen stellt die deutsche Öffentlichkeit vor eine Frage, die von ihr mit Recht nicht einseitig als politische Frage verstanden wird. Beim Ringen um die richtige Lösung ist auch die Befragung des eigenen Gewissens von entscheidender Bedeutung. Bei allem sollte aber nicht vergessen werden, daß hier auch Einsicht in die unvermeidlichen Grenzen staatlichen Strafens erforderlich ist. Denn eine Vorentscheidung ist bereits vor vielen Jahren gefallen: die Bundesrepublik Deutschland unternimmt - gerade weil sie sich als Rechtsstaat versteht - seit nunmehr über 30 Jahren den Versuch, auf ungeheuerliche Massenverbrechen des vorangegangenen Regimes nicht entweder durch blutige Rache oder durch eine allgemeine Amnestie, sondern mit den Mitteln einer die Rechtsstaatlichkeit anstrebenden Strafrechtspflege zu reagieren. Wer diese Wahl einmal getroffen hat, der verzichtet notwendigerweise auf eine lükkenlose Vergeltung. Das ist der Preis, der verlangt und um der Rechtsstaatlichkeit willen auch gezahlt werden muß. Zu diesem Preis kann auch die Verjährung über 34 Jahre alter Straftaten gehören. Ich schließe mit dem Satz, daß ich bezweifle, daß wir mit einer Regelung - so engagiert sie immer sein mag - des guten Willens, der die Tat nicht folgen kann und die sich in Vorsätzen und Prinzipien erschöpfen muß, vor den Opfern, vor uns selbst Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 166. Sitzung. Bonn, Dienstag. den 3. Juli 1979 13301 und vor unserer Rechtsordnung besser werden bestehen können. Dies - darum bitte ich herzlich - möge ein jeder hier im Raum bei seiner Schlußentscheidung noch einmal gewissenhaft bedenken. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.

Dr. Johann Baptist Gradl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf, an dem auch Mitglieder der von mir vertretenen Gruppe aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den Beratungen mitgearbeitet haben, entspricht unserem Verlangen in der Sache. Ich beschränke mich deshalb jetzt vor der Schlußabstimmung darauf, noch einmal in Kürze die Gedanken zusammenzufassen, die uns zu unserer Haltung bewogen haben, sozusagen die Moral unseres Standpunktes deutlich zu machen. Aber vorweg diese Bemerkung: Man hat uns, den Gegnern der Verjährung, entgegengehalten, lebenslange Strafverfolgung sei unbarmherzig. Aber ich frage: Ist denn der mörderische Raub menschlichen Lebens nicht das Allerhärteste, da er doch die Tat endgültig macht? ({0}) Was aber die Unverjährbarkeit der Strafverfolgung angeht, so hat sie doch mit der Strafe selbst nichts zu tun, nichts mit dem Strafverfahren, nichts mit der Höhe der Strafe und ihrem schließlichen Vollzug. Der Mordverdächtige kommt vor ein unabhängiges, öffentlich verhandelndes Gericht. Ihm wird der totale Schutz des freiheitlichen Rechtsstaates gegeben. Er kann sich verteidigen; er bekommt einen Verteidiger. Die etwaige Strafe wird unter Bewertung der Persönlichkeit, des Gewichts der Tat, der Verstrikkung und des Schuldanteils differenziert. Das alles hat er als Schutz. Das Opfer hatte das alles nicht, als ihm das Leben genommen wurde ({1}) - von dem hilflosen, anonymen Untergang von Millionen NS-Opfern ganz zu schweigen. In den Gesamtkomplex Mord ist der Komplex NS-Mord einbezogen. Das ist gar nicht neu. Das war immer so, und das ist in Wahrheit unvermeidlich. Eine klare, eindeutige Lösung findet sich nur in der Alternative: Verjährung oder Nichtverjährung von Mord allgemein. So ist es doch ein Gebot der Vernunft, erneut das gesamte Problem zu betrachten. Natürlich tut man das mit den Erfahrungen und dem Wissen von heute, von 1978, 1979, der Zeit, in der wir das jetzt behandeln. ({2}) Die Verjährung von Mord generell stellt sich heute eben ganz anders dar als zehn Jahre zuvor. Es kann doch niemand bestreiten, daß die Delikte krimineller Gewalt seither ungemein angestiegen sind und neue Antworten verlangen. Das ist der dem NS-Mord gleichgewichtige, neue Grund, Mord ganz allgemein unverjährbar zu stellen. Wir haben als Verjährungsgegner nie geleugnet, daß wir aus moralischen und politischen Gründen gegen Verjährung von NS-Mord sind. Wir brauchen keinen Tarnmantel. Aber die allgemeine Unverjährbarkeit ist zum Schutz unserer Gesellschaft heute und morgen notwendig. ({3}) Man braucht neben der Kriminalstatistik doch nur die Aktivitäten der verschiedenen Terrorgruppen in Rechnung zu stellen, die dem Verbrechen in unserer Gesellschaft eine neue Dimension gegeben haben. Daß wir jetzt eine Zeitlang von spektakulären Terrormorden und Terroranschlägen sowie Erpressungen verschont geblieben sind, darf doch niemanden täuschen. Es war z. B. der bayerische Innenminister, der kürzlich gewarnt hat, daß sich die Terrorszene wieder konsolidiere. Wir meinen, diese neue Herausforderung verlangt eine neu bedachte Antwort. Gegen diese neue kriminelle Herausforderung genügen nicht Traditionen und Systematiken aus einer anderen, aus einer vergangenen Zeit. ({4}) Bei allem Beharren - ich erkenne das an, wahrscheinlich Sie alle, daß das sein muß -, mit dem sich das Recht gegen Willkür zu schützen sucht, ist immer auch die Beachtung der Wirklichkeit notwendig, in der Recht und Gerechtigkeit je zu vollziehen sind. Unsere Rechtsordnung - so meinen wir - vergibt sich nichts, wenn sie aus neuen Gegebenheiten, wie hier, neue Konsequenzen zieht. Überall in ebenso betroffenen Ländern denkt man darüber nach. Auch in unserer Bevölkerung tut man es. Zu stark ist doch bereits das Gefühl auch der persönlichen Unsicherheit in der Wohnung, beim Spaziergang, beim nächtlichen Heimgang, beim Besuch von Einkaufszentren und Geldinstituten. Die alten Menschen besonders, aber keineswegs nur sie, fragen, wie das weitergehen soll, was wir, die sie für die Abwehr verantwortlich halten, zu tun gedenken. Mörderische Gewalt ist eben nicht bloß NS-Mord der Vergangenheit. Sie ist Gegenwart. Sie ist nach Zahl und Art eine ungemein stärkere Herausforderung und Bedrohung des einzelnen und der Gesellschaft, als sie jemals früher denkbar war. Dagegen gibt es keine Patentrezepte. Moralisch-sittliches Mühen und soziale Gesundung sind im Grunde und auf Dauer die einzigen Hilfen. Sie brauchen lange Zeit. So muß man doch vorbeugend abzuschrecken suchen durch polizeilichen und sicherheitstechnischen Aufwand, durch jedermann einsichtige rechtliche Warnsignale. Ein solches ist die drohende Mahnung, daß Mordtat nie verjährt. Dies ist unsere Überzeugung. Um die Situation ganz zu kennzeichnen: Dieser Tage hat der Sohn des am 30. Juni 1934 von den Nationalsozialisten ermordeten einstigen Ministerialdirektors Klausner, der Prälat Erich Klausner, im Berliner „Petrusblatt" zur Frage der Verjährung persönlich Stellung genommen. Sein Votum: Ich bin gegen die Verjährung von Mord, meine freilich, es sei nicht gut, diese Regelung auf NS-Verbrechen einzugrenzen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der nihilistische Einflüsse spürbarer werden. Für Gut und Böse gibt es kaum noch einen Maßstab, es sei denn, den eigenen Vorteil. Da wird man nachdenklich. Ich mache mir diese Meinung zu eigen, möchte aber klarstellen, diese Meinung hat nichts mit Haß gegen die Mörder des Vaters zu tun. Die Mutter hat nach dem Kriege dem überführten Mörder ihres Mannes öffentlich vergeben - aber erst nach dem Prozeß! So sagte mir der Sohn betont in einem Gespräch. Nun das andere Kapitel: NS-Mord. Wir sind darüber einig, die maßlose Grausamkeit der Einzel- und Massenmorde an hilflos ausgelieferten Menschen gab diesen NS-Verbrechen eine abgrundtiefe Gemeinheit. Ich meine, die zeitlich ungehemmte gerichtliche Aufhellung tatsächlichen Geschehens und die etwaige Strafverfolgung dieser Verbrechen sind doch im Grunde das einzige, was den Millionen armseliger Todesopfer an nachträglicher Wiedergutmachung wenigstens moralisch noch erwiesen werden kann. ({5}) Aber lassen Sie mich bitte auch dies sagen: Manche Vorwürfe, die gegen die Bundesrepublik Deutschland und uns Politiker wegen der langen, intensiven Auseinandersetzung über die Verjährungsfrage und wegen des sorgsamen rechtsstaatlichen Verhaltens bei der Verfolgung von NS-Verbrechen gerichtet werden, kommen aus Ländern und Bereichen, in denen man auch heute noch nicht mit den menschlichen Grundrechten zurechtkommt. Wieviel Anlaß zu kritischer Selbstbetrachtung auch andere haben, ist vor einigen Tagen in der Fernsehsendung „Report" deutlich geworden in Zusammenhang mit der Vertreibung von Deutschen bei und nach Kriegsende. Jeder sollte also, statt Vorwürfe zu erheben, vor seiner eigenen Tür kehren. Und nun füge ich hinzu: Dies - das Kehren - tun wir Deutschen immerhin. Wir tun es jetzt schon mehr als drei Jahrzehnte lang. Mehr als drei Jahrzehnte lang haben wir die fortdauernde Konfrontation mit den NS-Verbrechen auf uns genommen, die Ermittlungen, die von unseren eigenen, in ihrer Sachlichkeit und Rechtlichkeit unbestreitbaren Institutionen und Gerichten vorgenommen worden sind. Warum sage ich das? Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen können, daß wir Deutschen damit gezeigt haben - bis auf den heutigen Tag -, daß wir uns der verbrecherischen Schuld der NS-Vergangenheit stellen, daß wir ihr nicht ausweichen und daß wir es für unser Volk ernst meinen mit der Abkehr von diktatorischen Methoden und von allgewaltigen Systemen und Regimen, welcher Art und welcher Farbe auch immer. ({6}) Der Aufbau der Bundesrepublik - nun ja, das haben wir im eigenen Interesse getan. Aber dies, sich diesem allen stellen, unentwegt, ist einer unserer entscheidenden Beiträge zu dem, was man Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit nennt. Wie gesagt, das haben wir jahrzehntelang getan. Nun kommt die aktuelle Frage: Soll dieser Prozeß der Bewältigung jetzt abgebrochen werden? Muß er nicht vielmehr - so meine ich, so meinen meine Freunde - einwandfrei und voll zu Ende geführt werden? ({7}) Es geht Ihnen sicher so wie mir. Sie hören immer: endlich muß Schluß sein; man soll nicht immer wieder die alten Untaten hervorzerren. Wer verstünde das nicht? Empfinden wir das nicht selber? Aber der Schlüssel zum Schluß liegt doch gar nicht bei uns. Er liegt doch wegen der weltweiten Ausstrahlung der NS-Verbrechen bei denen, die in der Lage sind, bisher nicht entdeckte Fälle und Komplexe aufzudecken, oder die bereits gefundenes Material zurückhalten. Nun meinen wir, würde die Strafverfolgung neu entdeckter Fälle, auch des kleinsten Komplexes, abgeschnitten, dann bekäme dadurch jeder neue Fall eine sensationelle Bedeutung für die Betroffenen, und das wäre Stoff für neue antideutsche Agitation. Wer meint, es solle Schluß sein, dem sage ich: Die Verjährung brächte nicht Schluß, sondern immer neue, lärmende Anfänge. ({8}) Aber lassen Sie mich zum Schluß noch folgenden Gedanken anfügen. Wichtiger als das, was ich soeben gesagt habe, ist: Gerade weil es so viele Vorbehalte gegen uns Deutsche gibt, darf man eben nicht zusätzlichen Stoff für neue, lärmende Vorwürfe bieten. Man darf nicht den Eindruck erwekken, man wolle jetzt die Last der Vergangenheit durch Fallenlassen des Vorhangs verdrängen. Unsere menschliche und nationale Interessenlage kann das überhaupt nicht gebrauchen. Wir dürfen doch nicht unterschätzen, welchen Einfluß gerade die Verjährungsfrage auf das internationale Urteil und die internationale Stimmungslage hat. Es ist nun einmal so: wir Deutschen sind mehr als andere auf Verständnis draußen politisch angewiesen. Wir wollen doch etwas unendlich Schwieriges erreichen. Wir wollen z. B. die freie Selbstbestimmung für alle Deutschen erreichen. Wir wissen doch, wie schwer das ist. Auch und gerade deshalb müssen wir uns um das Gegenteil von Vorbehalten und Abneigungen, um Verständnis und Unterstützung in der Welt, zumal in unserer europäischen Umwelt, mühen. Deshalb, so meinen wir, wäre Verjährung auch politisch nicht zu verantworten. Meine verehrten Kollegen, unsere Aufgabe als gewählte deutsche Abgeordnete - so darf ich jetzt schließen - ist es, von unserem Volk Schaden abzuwehren, Schaden in Gestalt der gemeinen, verbrecherischen Gewalt, die erschreckend und wachsend umgeht und Angst im Lande verbreitet, ({9}) Schaden aber auch aus den noch immer lebendigen Nachwirkungen jener Untaten von 1933 bis 1945, die in Europa Schrecken verbreitet und den Ruf unseres Volkes so schwer getroffen haben. In dieser umfassenden Verantwortung stehen wir alle. Wir, die wir die Verjährung von Mord aufheben wollen, sind davon überzeugt, daß damit unserem Volk ein notwendiger Dienst erwiesen, daß seinem Nutzen gedient wird. Geben Sie deshalb dem Gesetzentwurf gegen die Verjährung von Mord Ihre Zustimmung. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Thüsing.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Daß es mit der Nazi-Vergangenheit keinen Frieden geben kann, haben heute alle Redner hier betont. Was ich deshalb sagen und auch fragend anmerken möchte, hat nichts damit zu tun, als ginge es etwa darum, an der ehrlichen und subjektiv begründeten Entscheidung jedes einzelnen Abgeordneten zu zweifeln. Die Frage, die ich noch einmal stellen will, lautet, ob es mit Nazi-Mördern einen Rechtsfrieden im Sinne einer Verjährung geben kann. Sicherlich, man muß zwischen historischem Geschehen einerseits und strafprozessualer Nachweisbarkeit andererseits unterscheiden; die Kollegin Herta Däubler-Gmelin hat das heute morgen getan und darauf hingewiesen. Aber bei der Strafverfolgung von Nazi-Verbrechen ist eben auch die historische Perspektive unverzichtbar, die besagt, daß die Nazi-Verbrecher Staatsverbrechen begangen haben, also, wie Helmut Ridder zu Recht bemerkt hat - ich zitiere - „von Inhabern staatlicher Gewalt angeordnete, durchgeführte, überwachte und - nicht zuletzt - honorierte Verbrechen". Die Diskussion über die Mordverjährung würde eine wichtige Dimension ausklammern, wenn diese Unterschiede zu anderen Morden nicht genannt würden; diese Unterschiede sind heute genannt worden. Deshalb gehörte auch ich in meiner Fraktion zu denjenigen, die nur die Nazi-Morde nicht verjähren lassen wollten, nicht, weil ich den Grundsatz „Mord ist Mord", und das müssen wir auch gerade den Nazi-Mördern deutlich sagen, nicht anerkenne und ihm nicht zustimme, sondern weil die Verjährung von Mord eine Diskussion, die Diskussion über die Verjährung von Nazi-Morden eine andere ist. Bei der Verjährung von Nazi-Morden tut sich beispielsweise die bedrückende Perspektive auf, daß bei der Verfolgung von Nazi-Verbrechern die Tatsache weiterhin besteht, daß, wie ebenfalls Helmut Ridder festgestellt hat, ({0}) „die Bestrafung leitenden und nutznießenden Verhaltens entfiel, vor dessen ungeheuerlicher Unmoral auch die Handlungen der in den KZs oder sonst vor Ort tätigen Killer, Büttel, Schergen und Sadisten verblassen, die den Normallohn für ihren Dienst allenfalls um kleine Extras verbessern konnten". Weiterhin ist die bedrückende Tatsache festzustellen - das will ich hinzufügen -: Beim Rückblick auf die Verfolgung von Nazi-Verbrechern fanden sich Schreibtischtäter bald wieder hinter Schreibtischen anstatt hinter Gittern. Aus einer Reihe von rechtlichen und auch praktisch-politischen Gründen hat es heute keine Mehrheit für eine differenzierende Lösung gegeben, auch wegen des sogenannten Lückenproblems. Wie haben wir heute zur entscheiden? Was ist wesentlich? Niemand in diesem Parlament kann, so glaube ich, bei seiner Entscheidung übersehen - das ist heute andeutungsweise auch gesagt worden -, was die Überlebenden der Konzentrationslager als Einzelpersonen oder durch ihre Verbände gesagt haben. Bis auf ganz wenige haben sich alle überlebenden Opfer eindeutig für die Aufhebung der Verjährung ausgesprochen, nicht etwa aus Rache an den Mördern - wiewohl diejenigen, die nicht betroffen waren, nach meiner Meinung darüber auch nicht zu richten haben -, sondern weil sie warnend ihre Stimme vor den politisch-moralischen Folgen der Verjährung erhoben haben und darin einen „Verrat" sehen am Erbe derjenigen, die nicht mehr sprechen können, weil ihre Münder durch Mord zum Schweigen gebracht wurden; der Kollege Gradl hat dazu gerade Beeindruckendes gesagt. Die Fragen und Befürchtungen der überlebenden Opfer müssen ernst genommen werden. Mit ihnen fragen viele in der Bundesrepublik und in vielen Ländern der Welt: Würde die Verjährung nicht als staatliche Legitimierung des Schlußstriches gesehen werden, den diejenigen wollen - damit meine ich keinen in diesem Parlament -, die nichts gelernt haben oder nicht lernen wollen, nach der Parole: „Einmal muß ein Ende sein"? Weiter will ich fragen: Kann man bei der heutigen Entscheidung darüber hinwegsehen, daß die Alt- und Neu-Nazis in ein Triumphgeheul ausbrechen würden, wenn die Verjährung für Nazi-Verbrechen eintreten würde, und daß sie die Entscheidung des Parlaments für Verjährung in eine parlamentarische Bestätigung dafür, daß es in dieser Gesellschaft wieder Platz für sie gibt, umfälschen würden? Welche politische Symbolwirkung, so frage ich, hätte es wohl, wenn sich nach dem 31. Dezember dieses Jahres unentdeckte Nazimörder - und solche leben noch immer mitten unter uns - ihrer Taten rühmen könnten, auch in den entsprechenden Medien, oder gar vom Staat Pensionen einforder13304 ten, weil jemand beispielsweise Polizeirang bekleidete, während er in einem Einsatzkommando mordete? Der Herr Kollege Kleiner hat für diejenigen Kollegen in der FDP, die für Verjährung sind, gesprochen und dabei durch Beispiele belegt, wie fahrlässig blind wir gegenüber der Geschichte und der geschichtlichen Erfahrung des Nationalsozialismus sind - worin ich ihm zustimme -, und dann streng zwischen Strafrechtspflege und historischem Bewußtsein getrennt. Herr Kollege Kleinert, hat sich nicht aber auch die Strafrechtspflege den historischen und moralischen Ansprüchen der Vergangenheit und Gegenwart gerade bei dieser Frage mehr als bei anderen Fragen zu stellen? Es ist nicht nur so, daß eine Verjährung - ich wies schon darauf hin - bewußt und bei vielen wohl auch naiv als Signal mißverstanden werden könnte, als könne man die Vergangenheit vergessen und endlich zur sogenannten Tagesordnung übergehen oder der Vergangenheit völlig neue, nämlich positiv bewertende Kriterien unterschieben, sondern auch so - und das will ich ebenfalls betonen -, daß die Prozesse selbst einen notwendigen Beitrag zum historischen Erinnerungsvermögen des gesamten deutschen Volkes und der Welt leisten, was notwendig ist, wenn man Faschismus zukünftig verhindern will. Es mag bedrückend sein, Herr Kollege Kleinert, daß, wie Sie sagten, hinter den Türen von Schwurgerichtssälen Prozesse gegen Naziverbrecher stattfinden, während die meisten so tun, als wäre nichts gewesen und als fände hinter diesen Türen nichts statt. Die ersten Freisprüche im Majdanek-Prozeß mögen noch so bedrückend sein. Aber, so frage ich, wer hätte in den letzten Jahren ohne diesen Prozeß überhaupt von Majdanek geredet? Majdanek wäre vergessen, ein Aktenvorgang und das Vermächtnis der Ermordeten allenfalls in den Tränen der überlebenden Opfer und denen der Angehörigen der Opfer. Noch etwas war wichtig am Majdanek-Prozeß: Einer breiten Öffentlichkeit wurde erstmalig unübersehbar das Wirken rechtsradikaler Anwälte bewußt, die den schändlichen Versuch machten, die Opfer erneut zu Opfern zu machen und Mordverdächtige zu Heroen. Diese Anwälte, von denen inzwischen zwei ausgeschlossen werden konnten, standen nicht für sich allein, sondern waren auch Sprecher eines neuen Ungeistes, der die Zeit gekommen sieht, das Verdrängen und Vergessen des Nationalsozialismus durch Glorifizierung und Heroisierung abzulösen. Diese Anwälte konnten sich erlauben, einen Antrag auf Ablehnung eines Gutachters zu stellen, weil dieser, wie sie sagten, jüdischer Herkunft sei. Eine verantwortbare politische Entscheidung hat nicht nur rechtsphilosophische, rechtssystematische und rechtspolitische Erwägungen und Argumente einzubeziehen, sondern eben auch die Frage, welche Antwort mit dieser Entscheidung auf geschichtliche mörderische Ereignisse gegeben wird. Sie muß sich also auch der Frage stellen, in welcher geschichtlichen und gesellschaftlichen Gegenwart eine solche Entscheidung getroffen wird. Kann man eigentlich bei einer solchen Debatte und Entscheidung übersehen, daß die zweitgrößte deutsche Wochenzeitung, die „Deutsche NationalZeitung", Woche für Woche ungestraft die Opfer verhöhnen darf und in dieser Woche mit der Schlagzeile „4 Millionen KZ-Tote erfunden" erscheint? Kann man das Wirken der Alt- und Jungnazis übersehen, die es beispielsweise wieder wagen können, den jüdischen Dichter Edgar Hilsenrath an einer Lesung zu hindern, die Kundgebungen mit der Frage „Ewig büßen für Hitler?" und Auschwitz-Kongresse veranstalten, bei denen die „Auschwitz-Lüge" entlarvt werden soll? Es gibt auch anderswo vielfältige Anzeichen dafür, daß einigen die Zeit gekommen zu sein scheint, die nationalsozialistische Vergangenheit „objektiver" zu betrachten. Der Hitler-Film von Joachim Fest „Hitler, eine Karriere" ist nur ein, wenn auch besonders erschreckendes Beispiel dafür. Und selbst das Hitler-Bild, das Sebastian Haffner in seinem Buch „Anmerkungen zu Hitler" zeichnet, ist nicht frei davon, was mich persönlich sehr enttäuscht hat. Daß sich auch sogenannte „seriöse" Verlage schamlos am Druck von NS-Propaganda-material bereichern, das unter dem Deckmantel sogenannter „Dokumentationen" erscheint, sei nur am Rande vermerkt. ({1}) Insgesamt - so belegen viele Ereignisse - gibt es eine erschreckende Unsensibilität in der Öffentlichkeit und auch bei den Gerichten gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Mordmaschinerie und neonazistischen Provokationen. Einige fast beliebig ausgewählte Beispiele: ({2}) - Herr Kollege, diese Bemerkung möchte ich überhört haben. Sie beleidigen damit die Opfer. ({3}) - Ein jüdischer Lehrer aus den USA gab seine Arbeit an einer West-Berliner Schule auf, nachdem er monatelang von Schülern mit antisemitischen Schikanen bedacht worden war. - Beispielhaft erscheint mir die neue Karriere des Stuka-Fliegers der „Großdeutschen Luftwaffe", Oberst Rudel. Alte und neue Nazis feiern ihn reihum als Helden, nicht nur, weil er ein ausgezeichneter Soldat war, sondern weil er „noch immer mit dem rechten Geist" auftrete. - In München wurden am 40. Jahrestag der Reichskristallnacht NS-Embleme in einer öffentlichen Auktion versteigert. - Der berühmt-berüchtigte Erwin Schönborn, gegen den nun endlich einmal ein Urteil ergangen ist, wurde in einem anderen Prozeß von der Anklage der Volksverhetzung freigesprochen. Er hatte Flugblätter mit der Behauptung verteilt, das Tagebuch der Anne Frank sei eine Fälschung, um die Lüge von den sechs Millionen vergaster Juden zu stützen. Das Gericht befand, diese Äußerungen seien vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und enthielten keinen Angriff auf die Menschenwürde. ({4}) - Als Zeuge in einem Prozeß wurde der Führer der US-Nazis Gary Lauck vorgeladen. Er sollte bestätigen, daß die NS-Bewegung gewaltfrei sei. Er bekam freies Geleit in die Bundesrepublik. Einem Hamburger, der einen Juden in einem Brief mit „Judenschwein" anredete und ihn sonst ähnlich beschimpfte, wurde nicht die entsprechende Strafverfolgung zuteil, weil - wörtliches Zitat „diese Bemerkungen zwar überaus häßlicher Natur" seien, „aber den Rechtsfrieden über ihren Lebenskreis hinaus nicht beeinträchtigen" . Man könnte diese Beispiele fortsetzen. ({5}) Eine Antwort verdient noch ein Argument: Die zunehmende Beweisnot der Gerichte und die auch dadurch bedingten Freisprüche würden - so die Behauptung - die Verfahren ad absurdum führen und gerade dadurch den Eindruck vermitteln, daß diejenigen, die meist als normale, gar geachtete Bürger unter uns leben und dann bezichtigt werden, Morde begangen zu haben, tatsächlich anständige Mitbürger seien. Meine Antwort darauf ist: Abgesehen davon, daß die Prozesse an sich für das öffentliche Bewußtsein wichtig sind - was ich argumentativ belegt habe -, kann ich mich nicht damit abfinden, daß die über Jahre hin durch Schuld deutscher und alliierter Stellen und Verantwortlichen nur schleppend betriebene Aufklärung und Verfolgung heute als Grund dafür angeführt werden kann, daß nach so langer Zeit Verjährung eintreten müsse. Studiert man die Geschichte der Verjährung der Nazi-Verbrechen, wäre - obwohl es natürlich auch eine Fülle korrekter Verfahren gegeben hat - eine Chronik der Skandale zu schreiben, sowohl was die Verfolgung als auch die Bestrafung oder meist Nichtbestrafung der Schuldigen angeht.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Thüsing, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen. ({0})

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Beifall spricht für sich. ({0}) Ich komme zum Schluß und schenke mir die Beispiele. Ich meine, die Art der Verfolgung der Nazi-Verbrechen nach 1945 und die entsprechende Statistik, die heute noch einmal bekanntgemacht wurde, sind allein schon Grund genug gegen die Verjährung dieser Verbrechen zu sein. Dies, Herr Kollege Lenz, ist auch die Antwort auf das, was Sie „Justiz im Lotterieverfahren" genannt haben. Ein letzter Satz. Ich meine, am Schluß dieser Debatte, auch im Sinn der Glaubwürdigkeit dieser Debatte einen Appell hinzufügen zu dürfen. Die Bundesrepublik hat versucht, geschehenes Unrecht und Leid - ich vermag nicht zu sagen: wiedergutzumachen, das war fast immer unmöglich - aber doch zu mildern. Wie steht es aber mit unserer Glaubwürdigkeit, wenn bestimmte Opfergruppen noch immer darauf warten? Was hindert uns z. B., endlich den Zwangssterilisierten gerecht zu werden? ({1}) Was hindert uns daran, deutschen Zigeunern, denen die Staatsbürgerschaft während der Nazi-Herrschaft aberkannt wurde, diese Staatsbürgerschaft wiederzugeben, ohne jeden einzelnen auf den Klageweg zu verweisen?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Thüsing, Sie können den Satz noch beenden. Aber ich bitte Sie, dann zum Schluß zu kommen.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Moral und Politik sind unteilbar. Wer nicht will, daß Nazi-Morde verjähren, muß gleich dem Antrag zustimmen, der von den Abgeordneten Wehner, Wendig usw. eingebracht wurde und der bei einer Mehrzahl von Kollegen in allen Fraktionen Unterstützung gefunden hat. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst eine allgemeine Bemerkung. Herr Kollege Thüsing, Sie haben soeben eine Reihe von Fragen aufgeworfen, deren eine oder andere sicher beantwortet werden muß. Ich bezweifle allerdings, daß die Unverjährbarkeit von Mord die Fragen, die Sie aufgeworfen haben, löst. ({0}) Eingangs halte ich die Feststellung für notwendig, daß in diesem Haus niemand unterstellt, ein Verbleiben bei der Verjährbarkeit der Strafverfolgung von Mord habe etwas mit Vergeben, Vergessen oder Amnestie zu tun. Ich sage dies im Blick auf den Herrn Kollegen Mertes, der heute morgen diese Befürchtung ein wenig anklingen ließ. Damit diese Gemeinsamkeit - darauf lege ich großen Wert - noch einmal unterstrichen wird, füge ich die Bemerkung hinzu, daß von allen Seiten der Abscheu gegenüber den Gewalttaten des NS-Regimes uneingeschränkt geteilt wird und wir alle unsere vornehmste Aufgabe darin erblicken, unser Volk vor einer ähnlichen Entwicklung zu bewahren. Neben den Unterschieden in der Rechtsauffassung über die Verjährungsfrage sollten wir also die uns allen gemeinsamen Grundlagen auch nicht in einem Nebensatz in Zweifel ziehen. Dann, Herr Kollege Erhard, gefällt es mir allerdings nicht, wenn Sie zu denjenigen, die für die Unverjährbarkeit von Mord sind, etwa in der Richtung „Mord schreit nach Rache!" sprechen oder wenn Sie als Beispiel für die Entwicklung, die hier eingeleitet wird, die Entwicklung der Strafzwecke im Dritten Reich - Reinerhaltung des Bluts oder Durchsetzung des Führerwillens - anführen. Ich glaube, dies sind Dinge, die mit unserer heutigen Debatte wirklich nichts zu tun haben. ({1}) Wenn ich mir gestatte, heute ein Resümee - ich bin der letzte in der Runde - aus der öffentlichen Diskussion, aus den Beratungen des Rechtsausschusses und aus dem heutigen Debattenverlauf zu ziehen, so fällt mir die Feststellung nicht schwer, daß wesentlich neue Argumente nicht mehr hervorgetreten sind. Mit einer solchen Feststellung geschieht auch der sehr ausführlichen und gründlichen Diskussion im Rechtsausschuß kein Unrecht. Bei jedem Gegenstand - er mag so kompliziert sein, wie er wolle - erschöpft sich einmal die Zahl der Argumente. Dies ist dann die Stunde, in der entschieden werden muß. Ich habe bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im März meine Gründe und Überlegungen darzulegen versucht, die mich veranlaßt haben, einer Gesetzesinitiative zur Aufhebung der Verjährung der Strafverfolgung von Mord meine Stimme zu geben. Für meine Person und meine Freunde möchte ich heute feststellen, daß sich an dieser Überzeugung nichts geändert hat. Deshalb will ich darauf verzichten, die alten Argumente noch einmal zu wiederholen, bis auf einen Punkt, auf den es mir allerdings ganz entscheidend ankommt. Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen waren sicher die noch nicht verjährten Morde aus der Zeit der NS-Gewaltherrschaft. Leider, muß ich sagen, waren auch die Erörterungen im Rechtsausschuß und heute nur zu .sehr von diesem Ausgangspunkt geprägt. Man verengt nämlich, wie ich meine, die rechtspolitische, aber auch die moralische Dimension, die dem Schutz des menschlichen Lebens zukommt, wenn man den zweifelsohne besonders schrecklichen Zeitraum unserer jüngsten Geschichte nicht nur, wie es richtig ist, zum Ausgangspunkt, sondern zugleich auch zum Schluß- und Endpunkt aller Überlegungen macht. ({2}) Ich glaube, daran kranken viele der heutigen Überlegungen. Das ist dann die Frage der Unehrlichkeit der Argumentation, mit der man sich auseinandersetzen muß. Herr Kollege Engelhard, Sie haben sicherlich die ehrlichen Motive derer, die wie ich dieser Meinung sind, nicht bestritten. Aber auch bei Ihnen und bei vielen dringt doch immer wieder durch: Euer aller Argument für diese generelle Lösung der Unverjährbarkeit ist nicht ehrlich, und damit muß man sich auseinandersetzen. Deshalb trifft die Anhörung von sachverständigen Juristen im Rechtsausschuß über den Umfang etwa noch verfolgbarer NS-Morde für mich nicht den Kern der Sache. Ernster muß man schon den verfassungsrechtlichen Zweifeln nachgehen, die von einigen Rechtslehrern im Rechtsausschuß vorgetragen worden sind. So hat beispielsweise - ich nehme dieses Beispiel - Professor Frowein den Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht. Er begründet diesen Zweifel mit dem Vorwurf, daß mit der Vorlage ein klar umgrenzter Tatsachenkomplex als Anlaß genommen werden könne, wegen gewisser Schwierigkeiten in der Formulierung zu einer generellen Lösung zu gelangen, die eine Vielzahl von Taten erfasse, die man sonst niemals einer Neuregelung zuführen würde. Ich sage hierzu: Wäre dem wirklich so, gäbe ich Professor Frowein sogar in einem gewissen Umfange recht. Aber so ist es nicht. Die Taten außerhalb der NS-Zeit sollen eben nicht nur aus einer rechtskonstruktiven Notlage heraus erfaßt werden. Der Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes ist vielmehr Ausdruck einer rechtspolitisch einheitlichen Neubewertung des menschlichen Lebens im System unseres Strafrechts. ({3}) Mein Kollege Hans Gattermann hat heute morgen sehr zutreffend und sehr überzeugend, wie ich meine, die Verbrechen der NS-Zeit als zentrales Entscheidungskriterium herausgestellt, wobei er die konsequente Frage angeschlossen hat, ob die Neubewertung des Rechtsgutes „menschliches Leben" aus diesen Erfahrungen heraus nicht im Bereich der Verjährung generell zu einer anderen Handhabung des Strafverfolgungsanspruchs führen müsse. Das, meine Damen und Herren, ist genau der Punkt, auf den es ankommt. Ich bedaure nur - bei aller Anerkennung der respektablen Gründe für diese damalige Entscheidung -, daß der Gesetzgeber von 1965 und 1969 diesen Zusammenhang so nicht gesehen und dann anders entschieden hat. Zur Sache selbst will ich von den Gründen, die mich zu meiner Auffassung geführt haben, nicht mehr viele anführen. Der Kollege Dürr hat zu Recht das Problem der Unterbrechung der Verjährung angesprochen. Ich bin der Meinung, daß alle Argumente, die gegen die Unverjährbarkeit von Mord angeführt werden, durch dieses Instrument der Verjährungsunterbrechung im Grunde genommen entkräftet werden. Schließlich ist es doch so, daß diese Unterbrechung der Verjährung praktisch eine Strafverfolgung bis zu maximal 60 Jahren bedeuten würde. Meine Damen und Herren, alle Argumente, die Sie vorgebracht haben, schwinden dahin, wenn Sie diesen Zeitraum vor Augen haben. Nun noch ein allgemeiner Gedanke: Daß in internationalen Konventionen nur von Völkermord und ähnlichen Verbrechen die Rede ist, darf nicht zu der Schlußfolgerung führen, in der Weltöffentlichkeit wäre die generelle Unverjährbarkeit von Morden überhaupt kein Thema. Bei internationalen KonvenDr. Wendig tionen geht es zunächst um Staatsverbrechen, die für die Völkerrechtsgemeinschaft relevant sind. Wie die einzelnen Staaten im übrigen die Strafverfolgung bei Mord regeln, ist kein Gegenstand internationaler Übereinkommen. Im internationalen Vergleich ist darüber hinaus die Unverjährbarkeit von Mord keine Ausnahme. Ich will dafür keineswegs die besonderen Verhältnisse im Bereich des common law als Beispiel nehmen; auch in Westeuropa, etwa in Osterreich oder in Dänemark, ist eine Mordverjährung teilweise unbekannt. Ich folgere daraus: Jeder Staat muß nach seiner eigenen Rechtsüberzeugung entscheiden, wie er die Frage nach der Mordverjährung beantwortet. Das heißt aber expressis verbis, meine Damen und Herren: Dies ist für uns eine deutsche Frage. Damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück. Der Wert des menschlichen Lebens muß von uns Deutschen - wobei sicher von den schrecklichen Ereignissen der NS-Zeit auszugehen ist - in einer neuen moralischen und ethischen Dimension gesehen werden, auch von Konsequenzen für die Strafverfolgung. ({4}) Aus diesen Überlegungen leite ich die Verpflichtung ab, unverändert meine Stimme der Unverjährbarkeit der Strafverfolgung bei Mord zu geben. ({5}) Dies ist eine Rechtsüberzeugung, die sich zwar aus der Vergangenheit ableitet, die zugleich aber auch für die Zukunft Gültigkeit beanspruchen muß. Ich sehe, von unserer jüngsten Geschichte ausgehend, keinen grundsätzlichen Bruch mit einer liberalen Rechtstradition, wenn ich dieses Rechtsbewußtsein in neue Rechtsnormen für die Unverjährbarkeit von Mord umsetze. Herr Kollege Engelhard, Sie haben in Ihren Ausführungen zur Verjährung von Mord rechtshistorisch bis ins vergangene Jahrhundert und in die Weimarer Zeit zurückgegriffen und haben dann zur Gegenwart übergeleitet. Ich bitte, auch einmal die Frage zu stellen und zu bedenken, ob sich die Verhältnisse, die Zeiten und die Gegebenheiten, unter denen wir heute diese Frage entscheiden müssen, für uns Deutsche nicht geändert haben. ({6}) Meine Damen und Herren, ich bin gleichwohl mit denen einig, die meinen, daß wir mit Mitteln des Strafrechts eine - ich sage es einmal so salopp - sogenannte Bewältigung der Vergangenheit, wenn überhaupt, nur in sehr unvollkommener Weise bewirken können. Da stimme ich durchaus dem zu, was der Kollege Kleinert heute morgen hierzu gesagt hat. Dies ist ein anderes Feld, ein Feld, das ich allerdings trotz des Lamentos vieler in unserem Lande noch nicht als gehörig bestellt empfinde. Schon in der März-Debatte habe ich darzulegen versucht, aus welchen Gründen es nach 1945 zu einer selbstkritischen Betrachtung der Vergangenheit bei vielen in unserem Lande nicht gekommen ist. Ich halte auch unverändert an meiner Auffassung fest, daß dies einer der Gründe ist, die den Riß zwischen den Generationen bei uns oft haben zu groß werden lassen. Nachdem wir nicht mehr unter der vielfältigen Not der Nachkriegsjahre zu leiden haben, sollte bei einem Abstand von über drei Jahrzehnten den Älteren von uns die Beantwortung der Frage leichter sein, ob wirklich, wie viele meinten und vielleicht heute noch meinen, die Jahre von 1933 bis 1945 nur ein peinlicher Betriebsunfall unserer Geschichte gewesen sind. Gerade diejenigen, die sich unserem Volk und unserer Nation besonders verbunden fühlen, sollten erkennen, was man ihnen und ihren Kindern angetan hat, als im deutschen Namen unmenschliche Verbrechen verübt wurden. Der Hinweis auf Unmenschlichkeiten in anderen Völkern ist da nur eine bequeme Ausflucht und löst unser deutsches Problem nicht. ({7}) Viele bezeichnen Fichtes „Reden an die deutsche Nation" von 1810 als eine maßlose Überschätzung deutschen Selbstverständnisses. Fichte hebt die Deutschen in seinen Reden deswegen so hoch empor, weil er ihnen sittliche Tugenden zuspricht, die sie, wie er meinte, vor allen anderen Völkern auszeichnen. Darin mag er geirrt haben. Wie weit ist aber der Abstand zwischen den von Fichte angenommenen sittlichen Tugenden der Deutschen und der Unmoral der NS-Gewaltherrschaft, in der individuelles Leben und das Leben von Völkern keinen Wert mehr besaßen! Diese Überlegungen betreffen sicher ein anderes Feld als den unmittelbaren Bereich des Strafrechts, obgleich sie für mich mit in den Bewertungsprozeß einmünden, in dem ich den Wert des menschlichen Lebens auch bei der Strafverfolgung fortentwickelt sehen möchte. Gleichwohl habe ich Respekt vor den anderen hier geäußerten Meinungen, zumal neben rechtspolitischen auch ethische Gesichtspunkte ins Feld geführt worden sind. Ich kann indessen den abweichenden Meinungen nicht folgen, weil mich auch die Überlegungen, die ich zuerst angestellt habe, immer wieder zu dem Punkt führen, an dem mich die notwendige Neubewertung des menschlichen Lebens als höchstem Rechtsgut vor die Frage der Unverjährbarkeit der Strafverfolgung von Mord stellt. Die Antwort auf diese Frage steht für mich und meine Freunde in dem Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, das uns heute hier vorliegt. Ich habe meine Darlegungen bewußt subjektiv gehalten, weil jeder für sich, nach seiner Überzeugung und nach seinem Gewissen spricht und handelt. Dies zeichnet - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - die heutige Debatte in all ihren Phasen aus. Jede der hier vertretenen Meinungen ist respektabel. Niemand ist daher der bessere oder der schlechtere Deutsche oder aber auch jemand, der sich den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaates näher oder ferner fühlt. Dieses Bewußtsein, das wir alle haben sollten, wird uns dann auch - das ist ein Blick in die Zukunft - in die Lage versetzen, die Entscheidung, die heute letztendlich getroffen wird, auch dann mitzutragen, wenn sie der eigenen Meinung nicht oder nicht voll entspricht. Nichts wäre gefährlicher, als wenn die Verjährungsdebatte über den heutigen Tag hinaus in diesem Parlament oder auch in unserem Land unbegrenzt fortgesetzt würde. Ich glaube, Ihre Motivation für die folgende Abstimmung in der dritten Lesung nicht ungebührlich zu belasten, wenn ich für die Zukunft um diese notwendige Gemeinsamkeit aller politischen Gruppen werbe. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Mir liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung von Herrn Abgeordneten Penner vor. Sie wird gemäß § 59 der Geschäftsordnung zu Protokoll genommen *) . Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in dritter Beratung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt, und dieser Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die Abstimmung. Sind Sie damit einverstanden, daß wir in der Zeit der Auszählung die Tagesordnungspunkte 2, 3 und 4 beraten und abstimmen? - Da das der Fall ist, bitte ich Sie, in der Nähe zu bleiben. Haben alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Ich bitte, Platz zu nehmen, damit wir mit der Sitzung fortfahren können. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({1}) - Drucksache 8/3027 Berichterstatter: Abgeordneter Pfeifer Das Wort hat der Herr Berichterstatter Pfeifer.

Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. Juni 1979 zu dem vom Bundestag am 18. Mai 1979 beschlossenen Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Bundesrat begehrte in drei Punkten eine Änderung des Gesetzesbeschlusses des Bundestages. Hierüber hat der Vermittlungsausschuß am 28. Juni 1979 mit folgendem Ergebnis beraten. Erstens. Nach der vom Bundestag beschlossenen und vom Bundesrat akzeptierten Regelung des § 1 Abs. 1 wird ein Schüler gefördert, der sich in einer berufsbildenden Vollzeitausbildung befin- *) Anlage 2 det, und zwar bis zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluß. Die Förderung wird erst eingestellt, wenn er drei Vollzeitschuljahre verbracht und einen berufsqualifizierenden Abschluß erworben hat. Dauert die Schulzeit in der Berufsschule oder -fachschule weniger als drei Jahre, so wird eine zusätzliche Ausbildung bis zu deren qualifizierendem Abschluß gefördert. Für den Fall, daß auch diese zweite zusätzliche Ausbildung an einer Berufsfachschule oder Fachschule durchgeführt wird, sollte nach der vom Bundestag beschlossenen Fassung des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 nunmehr auch noch eine weitere, dritte Ausbildung bis zu deren berufsqualifizierendem Abschluß gefördert werden. Der Vermittlungsausschuß stimmte der Ansicht des Bundesrats zu, daß das eine unangebrachte Ausweitung der Förderung einer zusätzlichen Ausbildung wäre. Er schlägt deshalb vor, das Gesetz so zu fassen, daß die weitere Ausbildung nur dann gefördert wird, wenn es sich bei der vorhergehenden, zumindest dreijährigen Ausbildung an einer Berufsfachschule oder Fachschule um die erste berufsqualifizierende Ausbildung in einer solchen Schule handelt. Die Förderung einer dritten Ausbildung, wie sie der Bundestagsbeschluß in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ermöglichen würde, möchte der Vermittlungsausschuß ausgeschlossen wissen. Er schlägt deshalb vor, § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 so zu fassen, wie es in der Ziffer 1 der Empfehlung des Vermittlungsausschusses zum Ausdruck kommt. Zweitens. Der Bundestag hat beschlossen,. für die Bundesregierung eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung vorzusehen, in der bestimmt werden kann, daß für Land- und Forstwirte bei der Berechnung des Einkommens nicht, wie sonst im Gesetz vorgesehen, die Einkommensteuererklärung herangezogen wird; das Einkommen soll vielmehr von den Ämtern für Ausbildungsförderung nach Pauschsätzen bestimmt werden können. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, diese Ermächtigungsnorm zu streichen, da eine solche Einkommenserfassung die Ämter für Ausbildungsförderung im Grunde mit Aufgaben der Finanzverwaltung betrauen und damit überlasten würde. Im übrigen hat der Bundesrat auf die zur Zeit ohnehin laufenden Verhandlungen zur Neugestaltung der Besteuerung für den Bereich der Land-und Forstwirtschaft verwiesen, so daß eine selbständige Einkommensermittlung im Rahmen des Ausbildungsförderungsgesetzes nicht geboten sei. Wie Sie aus Ziffer 2 der Empfehlung des Vermittlungsausschusses entnehmen können, ist der Vermittlungsausschuß diesem Anrufungsbegehren des Bundesrates gefolgt. Drittens. Nach dem derzeit geltenden Gesetz ist die Einbeziehung der 10. Klasse von Berufsfachschulen und des Berufsgrundbildungsjahres in die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bis 1981 befristet. Der Bundesrat hat im ersten Durchgang die Streichung dieser Befristung vorgeschlagen. Dem ist der Bundestag mit seiner Mehrheit nicht gefolgt. Der Bundesrat hat bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses seinen Vorschlag erneuert und zur Begründung vor allem geltend gemacht, daß die Förderung des Besuches des Berufsgrundbildungsjahres der Aufwertung der beruflichen Bildung dient, wie sie auch die Bundesregierung in der Regierungserklärung am Beginn dieser Legislaturperiode befürwortet hat. Eine zeitliche Befristung der Förderung des Berufsgrundbildungsjahres sei deshalb weder sachlich noch rechtlich geboten. Im Vermittlungsausschuß hat die Bundesregierung erklärt, sie halte hinsichtlich der Bewertung des Berufsgrundbildungsjahres an der Regierungserklärung von 1976 fest. Sie wolle aber die Entscheidung darüber, ob es bei der Befristung der Einbeziehung des Berufsgrundbildungsjahres in die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bleibt, den Beratungen der 7. Novelle überlassen. Diese 7. Novelle steht 1981 zur Beratung an. Um in jedem Fall genügend Zeit für diese Beratung zu schaffen, empfiehlt der Vermittlungsausschuß in Ziffer 3 seiner Empfehlung, die Befristung für die Einbeziehung des Berufsgrundbildungsjahres zunächst bis zum Ende des Schuljahres 1982/83 zu verlängern. Nach dem Eindruck, den ich als Berichterstatter aus dem Verlauf der Beratungen im Vermittlungsausschuß gewonnen habe, war im Vermittlungsausschuß eine Mehrheit für eine darüber hinausgehende sofortige Aufhebung der Befristung nicht erreichbar. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über seinen Vorschlag gemeinsam abgestimmt werden soll. Als Berichterstatter des Vermittlungsausschusses bitte ich Sie, diesen Empfehlungen zuzustimmen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat, wie eben berichtet, gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 beschlossen, daß über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/3027 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze - Drucksache 8/3028 Berichterstatter: Abgeordneter Westphal Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Westphal.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es gelingen kann, in dieser Abendstunde Ihre Aufmerksamkeit auf das Thema zu konzentrieren, das mit den Reichsgrenzen von 1937 und der Umsatzsteuer zusammenhängt; es ist eine ernste Sache. Der Bundesrat hat dem Vermittlungsausschuß zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze fünf Vermittlungsbegehren vorgelegt, von denen zwei angenommen worden sind, während drei abgelehnt wurden. Somit ist ein Vermittlungsergebnis erzielt worden, das ich Ihnen zur Annahme empfehle. Das erste Anrufungsbegehren hob sich dadurch deutlich von den anderen vier ab, daß die darin enthaltene Problematik eben nicht vorrangig steuerpolitischer Art war. Es ging dabei um den Inlandsbegriff, der der Definition des Gebietes dient, in dem das Umsatzsteuergesetz seine Anwendung findet und der so gefaßt sein muß, daß für uns die DDR nicht zum Ausland erklärt wird. Der entsprechende § 1 Abs. 2 sollte in seinen Sätzen 1 und 2 nach dem Begehren der Bundesratsmehrheit wie im früheren Umsatzsteuergesetz lauten; ich zitiere: Unter Inland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 ({0}) mit Ausnahme der Zollausschlüsse und der Zollfreigebiete zu verstehen. Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das danach nicht Inland ist. Dies hätte dann eine Reihe von Folgeänderungen erforderlich gemacht, indem das Inland, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, noch einmal enger definiert werden müßte. Das führte in dem Anrufungsbegehren zu Formulierungen, die insbesondere in Berlin politisch umstritten sind. Weil die im Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Umsatzsteuergesetz 1980 verwendete und vom Deutschen Bundestag übernommene Formulierung des Inlandsbegriffs das Gebiet der DDR und von Berlin ({1}) als Gebiet definiert, das weder zum Inland noch zum Ausland gehört, und weil in der vom Bundestag beschlossenen Fassung die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße dem Begriff Ausland zugeordnet werden, bestehen bei der Mehrheit des Bundesrats schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Definition. Nach Ansicht der Mehrheit des Bundesrats könne die Bezugnahme der Bundesregierung in der Begründung ihres Entwurfs auf die rechtliche und politische Lage nach dem Grundlagenvertrag eine Änderung des alten Inlandsbegriffs nicht rechtfertigen. Diese Auffassung fand nicht die Zustimmung des Vermittlungsausschusses. Es soll deshalb bei der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Fassung bleiben, die wie folgt lautet: Unter Inland im Sinne dieses Gesetzes ist der Geltungsbereich des Gesetzes mit Ausnahme der Zollfreigebiete zu verstehen. Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das nicht Inland ist und nicht zur Deutschen Demokratischen Republik und Berlin ({2}) gehört. Die Begründung für diese Formulierung hebt hervor, daß in einem umfassend neugestalteten Umsatzsteuergesetz des Jahres 1979 die Definition des Inlands als des Gebiets des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 rechtlich nicht mehr vertretbar ist. Mit einer solchen Formulierung würde der Anspruch erhoben, daß 1979 in der Bundesrepublik Deutschland noch Gesetze mit der Wirkung für das Gebiet der heutigen DDR und das Territorium der ehemaligen deutschen Ostgebiete erlassen werden könnten. Die neugefundene Formulierung befinde sich in Übereinstimmung mit Art. 6 des Grundlagenvertrages, wonach - ich zitiere - „die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt". Dem würde auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 entsprechen, in dem festgestellt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Hoheitsgewalt auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkt. Auf die möglichen politischen Implikationen, die die Folge einer Reichsgebietsdefinition haben könnte, wurde im Vermittlungsausschuß mit Deutlichkeit hingewiesen. Die neugewählte Formulierung bezieht die DDR nicht in den Inlandsbegriff ein, macht die DDR für uns aber auch nicht zum Ausland. Dieses Verfahren entspricht der Praxis der neueren Gesetzgebung und enthält die von den Fachleuten so genannte „Tertium-Lösung" für die DDR. Im übrigen, so muß man hinzufügen, haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat in dem 1971 verabschiedeten zustimmungspflichtigen Weingesetz eine Formulierung des Inlandsbegriffes angenommen, die genau dem entspricht, was nun auch für das Umsatzsteuergesetz 1980 Geltung haben soll. Dort heißt es nämlich unter dem Datum vom 14. Juli 1971: Als Inland im Sinne dieses Gesetzes gilt der Geltungsbereich dieses Gesetzes. Als Ausland im Sinne dieses Gesetzes gelten die Gebiete, die weder zum Geltungsbereich dieses Gesetzes noch zu den Währungsgebieten der Mark der Deutschen Demokratischen Republik gehören. Dies ist der erste Teil. Wie schon angedeutet, hatten die vier übrigen Anrufungsbegehren bei weitem nicht die Brisanz, die in der Diskussion um die Neuformulierung des Inlandsbegriffs lag, obwohl es sicherlich hilfreich wäre, wenn man auch in der eben behandelten Frage recht bald zu einer nüchternen und unpolemischen Betrachtungsweise gelangte. Das zweite Anrufungsbegehren des Bundesrates bezog sich auf die Besteuerung der Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters mit Ausnahme der Amtshilfe. Während der Deutsche Bundestag in § 2 Abs. 3 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes 1980 unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung zwischen freiberuflich tätigen, öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren auf der einen Seite und der Vermessungsverwaltung auf der anderen Seite für eine Besteuerung der Umsätze der Verwaltung entschieden hatte, verlangte der Bundesrat die Nichteinbeziehung der Vermessungsbehörden in die Besteuerung, weil dies insbesondere zu gravierendem Verwaltungsmehraufwand und zusätzlichen Schwierigkeiten führen würde. Eine größere Wettbewerbsverzerrung auf diesem Gebiet wollte der Bundesrat nicht anerkennen. Die Entscheidung des Vermittlungsausschusses fiel mit Mehrheit für die Annahme des Begehrens des Bundesrates, so daß die Vermessungsbehörden nicht besteuert werden sollen. Die Nachteile für die Vermessungsingenieure würden wohl dadurch aufgehoben, daß sie bei weitem schneller arbeiten und tätig werden als Behörden und der Inanspruchnehmer solcher Leistungen deshalb bereit wäre, ein wenig mehr dafür zu zahlen. In seinem dritten Anrufungsbegehren wünschte der Bundesrat die Einführung einer neuen im bisherigen Beratungsverfahren des Gesetzes nicht aufgegriffenen Regelung, eine Steuerbefreiung sollte eingeführt werden für Umsätze, die im Rahmen eines Zweckbetriebes einer gemeinnützigen Organisation bei kulturellen, sportlichen und geselligen Veranstaltungen stattfinden und nach dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz mit dem halben Steuersatz belegt sind. Auch in dieser Frage standen sich Überlegungen der Steuervereinfachung und Überlegungen zur Wettbewerbsverzerrung insbesondere gegenüber Gastwirten einander gegenüber. Darüber hinaus wurde aber darauf hingewiesen, daß dieses schwierige und folgenreiche Thema den Deutschen Bundestag in absehbarer Zeit sowieso beschäftigen würde, nachdem ein Gesetzentwurf zur Vereinsbesteuerung auf dem Wege vom Bundesrat zum Bundestag ist. Um durch die Entscheidung des Vermittlungsausschusses den eigentlichen Gesetzgeber aus der Beratung dieser Materie nicht auszuschalten und auch die Betroffenen hören zu können, fiel die Entscheidung gegen das Vermittlungsbegehren des Bundesrates. Das vierte Vermittlungsbegehren des Bundesrates richtet sich darauf, die vom Deutschen Bundestag getroffene Regelung für die ermäßigte Besteuerung von Betriebshelfern in der Landwirtschaft auf denjenigen Personenkreis auszudehnen, der im Auftrage von Sozialversicherungsträgern als Arbeitskräfte in Notfällen zur Verfügung gestellt wird. Der Vorschlag des Bundesrats will also die Fälle in den ermäßigten Steuersatz einbeziehen, in denen sich der Land- oder Forstwirt Ersatzkräfte dann selbst beschafft, wenn ein voll mitarbeitendes Familienmitglied wegen Krankheit, Unfall oder Tod ausfällt. In der Diskussion dieses Punktes wurde zwar auf die dadurch eintretende beachtliche Verwaltungserschwernis hingewiesen, die Ausdehnung des Steuerermäßigungstatbestandes wurde aber akzeptiert. Meine Damen und Herren, schließlich verlangte das fünfte Anrufungsbegehren des Bundesrates die Halbierung des Steuersatzes bei der Personenbeförderung mit Seilbahnen einschließlich der Sessel-und Schlepplifte. Die aus Gründen der Wettbewerbsverzerrung vornehmlich in den Skigebieten der deutschen Alpen an den Grenzen zu Osterreich und der Schweiz vorgeschlagene Regelung konnte deshalb nicht die Zustimmung des Vermittlungsausschusses finden, weil eine Gleichstellung mit dem öffentlichen Personennahverkehr in der Besteuerung zur Voraussetzung hätte, daß der Verkehr mit Seilbahnen der genannten Art eine soziale Bedeutung hätte und nicht vornehmlich dem Fremdenverkehr dient. Es bestand auch die Gefahr weiterer Berufungsfälle aus dem Bereich der Verkehrsbetriebe. Meine Damen und Herren, Sie ersehen aus meinen Darstellungen, daß der Vermittlungsausschuß durch die Annahme von zwei und die Ablehnung von drei Begehren des Bundesrats zu einem Ergebnis gekommen ist. Es wurde vereinbart, daß die Entscheidung über das Vermittlungsergebnis in einer Abstimmung erfolgen soll. Ich bitte Sie hierdurch um Ihre Zustimmung zu diesem Vermittlungsergebnis. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zu Erklärungen wird offenbar nicht gewünscht. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Beschluß des Vermittlungsausschusses. Es ist wiederum nach § 10 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsordnung beschlossen worden, über die Änderungen gemeinsam abzustimmen. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/3028 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen. Meine Damen und Herren, bevor wir fortfahren, möchte ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes mitteilen. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 477 ihre Stimme abgegeben. Keine ungültige Stimme. Mit Ja haben 255 gestimmt, mit Nein haben 222 gestimmt. Enthaltungen keine. Von den Berliner Abgeordneten haben 20 ihre Stimme abgegeben, davon haben 16 mit Ja und 4 mit Nein gestimmt. Ergebnis Abgegebene Stimmen 477 und 20 Berliner Abgeordnete; davon ja: 255 und 16 Berliner Abgeordnete, nein: 222 und 4 Berliner Abgeordnete Burger Conrad ({0}) Dr. Evers Gerstein Gerster ({1}) Ja CDU/CSU Benz Dr. Biedenkopf Dr. Hammans Dr. Jaeger Dr. Jobst Katzer Dr. Kraske Dr. Mikat Milz Müller ({2}) Dr. Müller-Hermann Frau Pack Reddemann Frau Dr. Riede ({3}) Russe Schartz ({4}) Schröder ({5}) Dr. Schwarz-Schilling Dr. Stercken Stommel Frau Tübler Frau Dr. Wisniewski Würzbach Berliner Abgeordnete Frau Berger ({6}) Kittelmann Luster Dr. Pfennig Frau Pieser Wohlrabe SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling Dr. Apel Arendt Augstein Baack Bahr Dr. Bardens Batz Becker ({7}) Biermann Bindig Dr. Böhme ({8}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({9}) Brück Buchstaller Büchler ({10}) Büchner ({11}) Dr. von Bülow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Czempiel Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({12}) Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({13}) Friedrich ({14}) Gansel Gerstl ({15}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({16}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Hoffmann ({17}) Hofmann ({18}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({19}) Jahn ({20}) Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({21}) Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({22}) Meinike ({23}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({24}) Müller ({25}) Müller ({26}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({27}) Neumann ({28}) Dr. Nöbel Vizepräsident Frau Funcke Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({29}) Rappe ({30}) Reuschenbach Rohde. Rosenthal Roth Sander Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({31}) Dr. Schäfer ({32}) Scheffler Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({33}) Schmidt ({34}) Schmidt ({35}) Schmidt ({36}) Schmidt ({37}) Schmidt ({38}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({39}) Dr. Schwencke ({40}) Dr. Schwenk ({41}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({42}) Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({43}) Vogelsang Voigt ({44}) Waltemathe Walther Dr. Weber ({45}) Wehner Weisskirchen ({46}) Wendt Dr. Wernitz Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer ({47}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({48}) Wolfram ({49}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({50}) Dr. Dübber Egert Löffler Manning Mattick Schulze ({51}) Sieglerschmidt FDP Gartner Gattermann Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hoffie Dr.-Ing. Laermann Ludewig Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Schäfer ({52}) Frau Schuchardt Dr. Vohrer Dr. Zumpfort Zywietz fraktionslos Dr. Gruhl Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Aigner Alber Dr. Althammer Dr. Becher ({53}) Dr. Becker ({54}) Berger ({55}) Berger ({56}) Besch Biechele Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Böhm ({57}) Braun Broil Bühler ({58}) Carstens ({59}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({60}) Ernesti Eymer ({61}) Feinendegen Frau Fischer Francke ({62}) Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({63}) Gierenstein Glos Haase ({64}) Haberl Dr. Häfele Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({65}) Hauser ({66}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({67}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({68}) Dr. Jahn ({69}) Dr. Jahn ({70}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({71}) Frau Karwatzki Kiechle Dr. Klein ({72}) Klein ({73}) Dr. Klepsch Klinker Dr. Köhler ({74}) Dr. Köhler ({75}) Köster Dr. Kohl Kolb Krampe Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({76}) Lagershausen Lampersbach Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({77}) Lenzer Link Lintner Löher Dr. Luda Lücker Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({78}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Regenspurger Dr. Reimers Dr. Riedl ({79}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Sauer ({80}) Sauter ({81}) Dr. Schäuble Schedl Schetter Frau Schleicher Schmidt ({82}) Schmitz ({83}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({84}) Schröder ({85}) Dr. Schulte ({86}) Schwarz Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({87}) Dr. Stavenhagen Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({88}) Vogt ({89}) Voigt ({90}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({91}) Weiskirch ({92}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({93}) Windelen Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({94}) Dr. Wörner Baron von Wrangel Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Vizepräsident Frau Funcke Berliner Abgeordnete Amrehn Kunz ({95}) Müller ({96}) Straßmeir SPD Dr. Bayerl Dr. Penner FDP Angermeyer Dr. Bangemann Baum Eimer ({97}) Engelhard Ertl Frau Funcke Gallus Genscher Grüner Hölscher Jung Dr. Graf Lambsdorff Merker Mischnick Möllemann Paintner Schmidt ({98}) von Schoeler Spitzmüller Wolfgramm ({99}) Wurbs Damit ist das 18. Strafrechtsänderungsgesetz angenommen. ({100}) Wir haben noch über den Antrag auf der Drucksache 8/2539 zu Tagesordnungspunkt 1 c abzustimmen. Ist das Haus damit einverstanden, daß der Antrag für erledigt erklärt wird? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 1 d. Hierzu liegt eine Entschließung des Europäischen Parlaments auf Drucksache 8/ 2616 zur Kenntnisnahme vor. - Ich stelle fest, daß das Haus davon Kenntnis genommen hat. Außerdem möchte ich feststellen, daß das Haus damit einverstanden ist, die zu den Vorlagen eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. - Auch hier höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({101}) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung - Drucksache 8/3029 - Berichterstatter: Senator Apel In Vertretung des Berichterstatters Senator Apel bitte ich Herrn Abgeordneten Jahn zur Berichterstattung. .

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 158. Sitzung am 1. Juni 1979 das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung beschlossen. Der Bundesrat hat in seiner 474. Sitzung am 22. Juni 1979 den Vermittlungsausschuß aus insgesamt sechs Gründen angerufen. Erstens. Die sogenannten überwachungsbedürftigen Anlagen nach § 24 der Gewerbeordnung - das sind z. B. Dampfkessel, Druckbehälter und andere - sollen in das Gerätesicherheitsgesetz einbezogen werden. Diese Bestimmung, so der Bundesrat, schaffe die Möglichkeit, auch gegen sogenannte Inverkehrbringer einzuschreiten, schließe eine Lükke im präventiven Gefahrenschutz und löse zugleich einen sonst bestehenden Widerspruch bezüglich der medizinisch-technischen Arbeitsmittel. Der Vermittlungsausschuß hat diesem Anrufungsbegehren zugestimmt. Zweitens. Das Zeichen für „Geprüfte Sicherheit" - „GS" - wird von bestimmten Prüfstellen verliehen. Diese Prüfstellen erhielten bisher ihre Befugnis dadurch, daß der Bundesarbeitsminister sie durch Bekanntgabe im Bundesarbeitsblatt anerkannte. Der Bundesrat begehrte demgegenüber, daß dies künftig durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes geschehe. Diesem Begehren hat der Vermittlungsausschuß zugestimmt. Die Begehren zu Ziffer 3 und 4 im Vermittlungsverlangen des Bundesrates sind nicht aufgegriffen worden. Zu Ziffer 5 bezieht sich das Anrufungsbegehren des Bundesrats auf die Bestimmung über die Ordnungswidrigkeiten. Der Bundesrat wünscht eine seiner Meinung nach rechtstechnisch erforderliche Anpassung und Klarstellung des Textes ohne materielle Änderungen. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, diesem Begehren zu entsprechen. Zu Ziffer 6 wünscht der Bundesrat, die Berlin-Klausel nach § 13 dem Wortlaut der heute üblichen Fassung anzugleichen. Auch hier empfiehlt der Vermittlungsausschuß, diesem Begehren zuzustimmen. Im übrigen hat der Vermittlungsausschuß nach § 10 Abs. 3 seiner Geschäftsordnung beschlossen, den nunmehr vorliegenden Vermittlungsvorschlag zur gemeinsamen Abstimmung zu stellen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zu einer Erklärung wird nicht gewünscht. Sie haben gehört, daß über die Änderungen wiederum gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf der Drucksache 8/3029 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf morgen, Mittwoch, den 4. Juli 1979, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.