Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/3/1977

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich darf zunächst mitteilen: Für den Abgeordneten Lorenz, der mit Wirkung vom 23. Februar 1977 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat, ist am 24. Februar 1977 der Abgeordnete Dr. Pfennig in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße das neue Mitglied und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit. ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Punkte ergänzt werden: 1. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Neue Eckwerte zum Jahreswirtschaftsbericht ({1}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}), Haushaltsausschuß 2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({3}) ({4}) Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist so beschlossen. Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 16. Februar 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schröder ({5}), Ey, Dr. Köhler ({6}), Sauer ({7}), Dr. Gruhl und Genossen betr. Naturschutz, bier: Errichtung eines Nationalparks „Lüneburger Heide" ({8}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/147 verteilt. Wir treten dann in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 11 auf: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1977 ({9}) - Drucksache 8/100 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1976 bis 1980 - Drucksache 8/101 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Ferner rufe ich den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Neue Eckwerte zum Jahreswirtschaftsbericht - Drucksache 8/133 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({10}), Haushaltsausschuß Hier ist eine verbundene Debatte vereinbart worden. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wäre es nicht eine Serie von schweren Pannen und kaum faßbaren Fehlleistungen gewesen, so hätte sich beinahe die Vermutung einstellen können, die Bundesregierung habe den Auftakt zu einer neuen Legislaturperiode nach einem besonders ausgeklügelten und raffinierten taktischen Konzept inszeniert. Denn was immer nun kommen wird, kann sich, von Katastrophen einmal abgesehen, von den Wirren und Turbulenzen des Beginns eigentlich nur angenehm und vorteilhaft unterscheiden, ({0}) und schon normales und reibungsloses Verwalten wird sich vor solchem Hintergrund wie ein Muster hoher Regierungskunst ausnehmen. ({1}) Dieses Zitat von Jürgen Kellermeier vom Westdeutschen Rundfunk hat wohl der Bundesfinanzminister im Auge gehabt, als er glaubte in seiner Etatrede diesen Bundeshaushalt und die mittelfristige Finanzplanung als eine solche besondere Leistung würdigen und von der deutschen Öffentlichkeit noch zusätzliches Lob dafür erwarten zu können. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine genaue Sicht auf diesen Etat kann nicht verbergen, daß sich der Bundeshaushalt 1977 als ein Dokument der Zerrüttung der Staatsfinanzen darstellt. ({2}) Es gab seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keine Bundesregierung, die eine so lange Anlaufzeit . gehabt und die dann einen so schlechten Start gehabt hat wie das zweite Kabinett Helmut Schmidt. ({3}) Das begann mit der Rentenmisere und setzt sich fort in der Deutschlandpolitik; es führt über die Querelen um die Gesundheitspolitik schließlich zur Darstellung der Finanzsituation des Bundeshaushalts 1977 und der mittelfristigen Finanzplanung. Und seit gestern nachmittag hat diese Bundesregierung ein neues Problem auf dem Tisch. Ihr ist nämlich vom höchsten Verfassungsgericht bescheinigt worden, daß sie in einem ganz gravierenden Punkt die Verfassung gebrochen hat. ({4}) Ich werde auf diesen Komplex zum Ende meiner Rede noch zu sprechen kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Versuch, den Verfall unserer finanziellen Basis aufzuhalten und zu bewältigen, ist genauso kläglich gescheitert wie der Sanierungsversuch bei der Alterssicherung für 14 Millionen Rentner. Es gab noch keine Koalition, die vor dem Wahltag und bis zum Beginn der Parlamentsarbeit soviel Möglichkeiten hatte, überzeugende Lösungsvorschläge vorzulegen, und die dann ein so klägliches und unfertiges Ergebnis vorgelegt hat. ({5}) Seit nahezu einem halben Jahr arbeitet diese Bundesregierung am Bundeshaushalt 1977. Sie verlangt nun vom Parlament, daß der Bundestag innerhalb von sechs Sitzungswochen, also genau gesagt, innerhalb von 18 Sitzungstagen, 26 Einzelpläne und ein Gesamthaushaltsvolumen von 172 Milliarden DM durch dieses Hohe Haus peitschen soll. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist leider kein Einzelfall. - Herr Kollege Wehner, Sie sollten nicht lachen, wenn eine solche Beanstandung kommt, denn dasselbe erleben wir jetzt beim Rentendebakel. Ich glaube, es ist ein trauriges Armutszeugnis, wenn sowohl der Bundeskanzler wie der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion nur Gelächter dafür haben, wenn sich dieses Parlament darüber beschwert, daß hier in wenigen Wochen gravierende Dinge erledigt werden sollen. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das spricht Bände für das Demokratieverständnis, das Sie haben und das Ihnen das Bundesverfassungsgericht jetzt bestätigt hat. ({8}) - Herr Bundeskanzler, ich glaube, die Situation ist nicht so, daß Sie hier im Hause über irgend jemand lachen könnten. Ich glaube, Sie haben nichts mehr zu lachen! ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie nicht einmal in dieser Situation und wenn Sie nicht einmal einen Tag nach diesem Verfassungsgerichtsurteil den Mut haben, diese Dinge ernsthaft zu überlegen, dann zeigt das doch, wie weit Sie gekommen sind. ({10}) Lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Haushaltsabschluß 1976 machen, ({11}) den der Bundesfinanzminister gestern hier behandelt hat. Der Bundesfinanzminister rühmt sich, daß wir 1976 einen guten Abschluß gehabt hätten, und er verweist voller Stolz darauf, daß der Etat sogar noch um 2 Milliarden DM unter dem Ansatz von 164 Milliarden DM geblieben sei. Was der Herr Bundesfinanzminister dabei verschweigt, ist die Tatsache, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesem Ergebnis den entscheidenden Beitrag geleistet hat, indem sie nämlich vor dem Bundesverfassungsgericht einen Mißbrauch angeprangert und zur Klage gebracht hat, der in den letzten Jahren und besonders in der Zeit, in der Helmut Schmidt Bundesfinanzminister war, ein ungeheuerliches Ausmaß angenommen hatte, nämlich die Gewohnheit, daß zum Jahresende immer die Reste, die im Haushalt verblieben waren, schnell am Parlament vorbei noch unter das Volk gebracht wurden. ({12}) Das ist sogar soweit gegangen, daß die Verwaltung des Bundesfinanzministeriums schon bei der Aufstellung des Etats sogenannte „Weihnachtswunschlisten" angelegt hat und denjenigen, die bei den Etatansätzen nicht berücksichtigt werden konnten, erklärte, es gebe ja noch die Möglichkeit, die Dinge durch aus- und überplanmäßige Ausgaben zum Jahresende in Ordnung zu bringen. ({13}) 1973 waren es bescheidene 5 Milliarden DM, die auf diese Weise am Bundeshaushalt vorbei ohne Bewilligung des Parlaments zum Jahresende in einer Nacht- und Nebelaktion noch unter das Volk geschüttet wurden. ({14}) - Mein sehr verehrter Fraktionsvorsitzender Wehner, Sie sollten sich wirklich wieder einmal überlegen, warum wir alle hier sitzen. ({15}) Doch wohl deshalb, weil wir die Interessen des Bürgers und des Steuerzahlers zu vertreten haben und nicht deshalb, daß wir solche Nacht- und Nebelaktionen dieser Bundesregierung unbeanstandet hinnehmen. ({16}) Es ist auch bedauerlich, daß sich die beiden anderen Fraktionen dieses Hohen Hauses nicht bereit gefunden haben, diese Frage, wo nun das Mittelbewilligungsrecht des Parlaments ende, vor dem Verfassungsgericht nachprüfen zu lassen. Ich glaube, es ist an der Zeit, sich in diesem Lande und besonders in diesem Parlament wieder einmal grundsätzliche Gedanken über die Aufgabe und die Funktion der Volksvertretung zu machen. Wir haben mit unserer Verfassungsklage immerhin erreicht, daß 1975 und 1976 Milliardenbeträge nicht noch schnell zum Jahresende ausgegeben wurden. Und erfreulicherweise können wir somit feststellen, daß auch die Nettoneuverschuldung entsprechend herabgesetzt werden konnte. Sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie nicht das Bundesverfassungsgericht im Nacken gehabt hätten, wäre kein solcher Rest im Bundeshaushalt 1976 übriggeblieben. ({17}) Wir alle, meine ich, können uns nur darüber freuen, daß diese Unsitte der Schlußverteilung von Haushaltsresten damit, wie wir hoffen, endgültig der Vergangenheit angehört. ({18}) Sie werden ja am 25. Mai noch einmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekommen. Ich glaube, alle, die die mündliche Verhandlung verfolgen konnten, sind davon überzeugt, daß dieses Urteil voraussichtlich nicht weniger hart für die Bundesregierung ausfallen wird als das Urteil, das gestern verkündet worden ist. Lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen zum Bundeshaushalt 1977 machen. ({19}) - Wir stellen fest, Herr Kollege Wehner, daß Sie auch über eine Steigerungsrate von 10 Milliarden DM, die Sie in diesem Haushalt vorgesehen haben, offensichtlich nur lachen können. Ich weiß nicht, wie lange dieser bei Ihnen ja meistens schon politisch motivierte Humor reichen wird. Vielleicht haben Sie einen besonderen Grund, heute vormittag eine lächelnde Maske zur Schau zu tragen. ({20}) Wir meinen, daß dieser Humor Ihnen sehr schnell vergehen wird. Jedenfalls ist die CDU/CSU nicht bereit, eine derartige Ausweitung des Bundeshaushalts 1977 hinzunehmen. ({21}) Wir werden, wie wir das auch in den vergangenen Jahren getan haben, nach einer genauen Durchforstung dieses Etats unsere Einsparungsvorschläge machen. Dabei weise ich darauf hin, in welcher zeitlichen Schwierigkeit . das Parlament in _diesem Jahr steht, wenn es den Haushalt noch bis zur Jahresmitte verabschieden will. Ohne hier schon in die Einzelheiten gehen zu können, möchte ich pauschal sagen, daß es möglich sein müßte, die Mehrausgabe um rund 50 °/o, also die Hälfte, d. h. um etwa fünf Milliarden DM, herunterzusetzen. Dabei hat auch eine sogenannte globale Minderausgabe ({22}) eine sehr wichtige Funktion, die für die Sparsamkeit der Verwaltung, Herr Kollege Apel, von entscheidender Bedeutung ist. Denn was bedeutet es, wenn wir schon in den vergangenen Jahren sehr wesentliche globale Minderausgaben eingesetzt haben und dies sicherlich auch in diesem Jahr wieder tun werden? Das bedeutet doch, daß Sie, Herr Finanzminister, und Ihre Mitarbeiter gezwungen sind, mit den Mitteln auf sparsamste Weise zu verfahren, um diese Minderausgabe bis zum Jahresschluß herauszuwirtschaften. Das ist die Hausaufgabe, die man Ihnen stellen muß, wenn Sie schon von sich aus nicht bereit und in der Lage sind, die Steigerungsrate in einem angemessenen Rahmen zu halten. Wir werden natürlich auch im Rahmen dieser Auseinandersetzung darüber zu diskutieren haben, welche Möglichkeiten eine Opposition hat, hier ihren konstruktiven Beitrag zu leisten. Herr Finanzminister, es hat uns gar nicht gewundert, daß Sie gestern wieder die alte tibetanische Gebetsmühle gedreht und erklärt haben, diese Opposition habe keine Alternativen, sie habe keine Gegenvorschläge. Ich habe hier eine zwölfseitige Zusammenstellung der Gegenvorschläge der CDU/CSU zur Finanz- und Haushaltssituation seit dem Jahre 1970 bei mir, und ich würde Ihnen diese sehr gerne zustellen, damit Sie endlich einmal mit dieser alten Legende aufhören, daß diese CDU/CSU keine Alternativen vorlegt. ({23}) Natürlich erleben wir immer wieder das gleiche, daß unsere Vorschläge zunächst abgelehnt werden, daß sie für absurd erklärt werden. Am Jahresende stellen wir dann fest, daß wir mit unseren Vorschlägen genau richtig gelegen haben. Herr Minister Apel, es wäre eine Anstandspflicht, auch von diesem Platz aus sich einmal dafür zu entschuldigen, daß Sie die Opposition wegen dieser Gegenvorschläge immer wieder in dieser Weise apostrophiert haben, wenn Sie zum Jahresende feststellen müssen, daß unsere Vorschläge genau richtig waren und daß das Ergebnis unseren Überlegungen mehr Rechnung getragen hat als dem, was Sie vorher prognostiziert hatten. Der entscheidende Punkt bei der Auseinandersetzung über den Bundeshaushalt 1977 und insbesondere über die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahre 1981 ist natürlich die Frage der Steuererhöhungen. Auch hier hat der Bundesfinanzminister gestern gemeint, die CDU/CSU habe keine eindeutige Linie. Wir werden Sie da enttäuschen müssen, Herr Bundesfinanzminister. Die CDU/CSU ist sich in dieser Frage völlig klar und einig. Wir haben ja auch in der vergangenen Diskussion schon ein Beispiel dafür, wer in dieser Frage seine Auffassung ändert. Wir sollten uns daran erinnern, daß die Bundesregierung noch bis zum Sommer des vorigen Jahres erklärt hat, der Bundeshaushalt 1977 würde nicht ohne eine Steuererhöhung spätestens vom 1. 7. 1977 an zu finanzieren sein. Ich darf Ihnen nur zwei Zitate zu diesem Punkte noch einmal in Erinnerung rufen. Der Bundeskanzler hat am 13. September 1975 in Köln anläßlich der Eröffnung der ANUGA erklärt: Was er nicht kann - er meinte damit den Deutschen Bundestag und auch nicht tun wird, ist, grundsätzlich auf diese Steuererhöhungen zu verzichten. Das muß sein; denn die öffentliche Hand muß 1977 mit weniger Kredit auskommen. Also schon für 1977. Und was ist geschehen? Wir haben die Mehrwertsteuer nicht erhöht und sind trotzdem mit weniger Kredit ausgekommen. Bundesfinanzminister Apel hat am 8. April 1976 eine Wette dafür angeboten, daß die Mehrwertsteuer schon 1977 erhöht werde. Herr Finanzminister, Sie haben Glück gehabt, daß diese Wette niemand angenommen hat. ({24}) - Herr Kollege Leicht, dann werden wir ja hören, um was es bei der Wette geht, und ich wünsche Ihnen nur, daß Sie dann wirklich einen erklecklichen Wettgewinn haben werden. ({25}) Der Bundesfinanzminister hat am 20. 8. 1976 erklärt: „Das Geld muß in die Kasse, oder die soziale Demontage droht." Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Geld ist für 1977 nicht in der Kasse, und die soziale Demontage hat an einem ganz anderen Punkte eingesetzt, nämlich bei den Rentnern. Die gleiche Bundesregierung, die damals Steuererhöhungen für unvermeidbar hielt, übrigens einträchtig unterstützt - leider, möchte ich sagen - von SPD und FDP, behauptet heute, daß der Haus- halt 1977 auch ohne diese Steuererhöhung ausgeglichen sei. Da müssen wir doch fragen, wer eigentlich dieser Bundesregierung noch glauben will, wenn sie derart ihren Standpunkt und ihre Behauptungen von Monat zu Monat ändert. ({26}) Diese Behauptung, daß es ohne Steuererhöhung 1977 nicht geht, ist der gleiche Betrug am Bürger, den wir in der Rentendiskussion erlebt haben. ({27}) Jetzt beginnt das gleiche Spiel wieder für das Jahr 1978. Am Anfang erklärte die Bundesregierung, sie brauche die vollen 12 Milliarden DM zum Ausgleich ihres Haushalts. Als dann die Opposition, die schon 1977 den Bürger vor solchen Steuererhöhungen bewahrt hat, erklärte, sie sei unter gar keinen Umständen bereit, hier mitzutun, und nachdem die Bundesregierung offenbar erkennen mußte, daß die CDU/CSU auch das letztlich vielleicht über den Bundesrat verhindern werde, kam eine neue Alternative. Da hieß es plötzlich, es würde auch ausreichen, wenn man etwa die Hälfte dieser 12 Milliarden für die Defizitdeckung verwendete, und die andere Hälfte - über die Größenordnungen ist übrigens noch Streit; einmal hört man von 6 Milliarden, dann steht in der Mittelfristigen Finanzplanung wieder, daß 7,1 Milliarden dem Bundeshaushalt zur Verfügung ständen - also soll dem' Bürger in Form von Steuererleichterungen wieder zugute kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dieser Roßtäuschertrick, daß man jetzt plötzlich von Steuererleichterungen redet, wo man 12 Milliarden DM vom Bürger haben will, wird nicht gelingen. Wir lassen uns nicht darauf ein, daß angesichts der schon vorhandenen Abgabenlast, die unsere Bürger im Lande zu tragen haben, hier noch einmal eine so große weitere Last auferlegt wird. Natürlich wird hier behauptet, daß die Gesamtverschuldung des öffentlichen Haushaltes, insbesondere die Verschuldung des Bundeshaushaltes, eine solche Maßnahme notwendig mache. ({28}) Hier sind wir von der CDU/CSU grundsätzlich anderer Auffassung, und wenn Sie so wollen, haben Sie hier auch eine grundsätzliche Alternative der CDU/ CSU. Wir sind der Meinung, daß der Bundeshaushalt und sicher auch die Gesamtetats, Länder und Gemeinden, von der Ausgabenseite her korrigiert werden müssen, weil dieses strukturelle Ungleichgewicht nur von dem Punkte her ernsthaft und echt beseitigt werden kann. Wir' lassen uns auch nicht von Lockungen und Drohungen einschüchtern, die etwa dahin gehen, daß man sagt, wenn ihr der Steuererhöhung nicht zustimmt, dann gibt's auch kein Kindergeld. Auch das ist so eine üble Sache aus der Trickkiste dieser Bundesregierung, daß man im einen Fall - siehe BAföG - nicht die Auffassung vertritt, daß hier erst die Steuer erhöht werden muß, daß man dann auch noch sagt, ohne Rücksicht darauf, ob die Steuererhöhung kommt oder nicht kommt, werde man in der § 7 b-Sache, also Altbauerneuerung, etwas tun. Und an dem einen zentralen Punkt, wo man offenbar der Überzeugung ist, daß dies ein besonderes Anliegen der CDU/CSU sei, will man sozusagen die Kindergelderhöhung als Geisel dafür nehmen, daß die CDU/CSU der Steuererhöhung zustimmt. ({29}) Das ist ein ganz übler Trick, den wir nicht bereit sind mitzumachen. ({30})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Blank?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Bertram Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Althammer, dürfen wir Sie denn so verstehen, daß die CDU/CSU hier ankündigt, daß sie keine Kindergelderhöhung wünscht und daß sie keine Steuererleichterungen wünscht? ({0})

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Blank, wenn es Ihnen noch nicht klar geworden sein soll - ich glaube, den anderen ist es klar geworden -, dann heißt dies, daß wir auf jeden Fall, und zwar ohne Steuererhöhung, darauf bestehen, daß das Kindergeld endlich angepaßt wird, weil das eine der wichtigsten sozialen Maßnahmen ist, vor der wir stehen. ({0}) - Herr Kollege Wehner, ich gehe gern auf diesen Zwischenruf ein. ({1}) Die CDU/CSU hat - und das hat noch keine Opposition vorher getan - wiederholt in der Fraktion den Beschluß gefaßt, daß sie keine ausgabewirksamen Anträge stellen wird. (Dr. Schäfer ({2}) Aber daß wir weiter denken, das können Sie uns nicht verbieten. ({3})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Althammer, gehört es zu diesem Weiterdenken, daß Sie vielleicht verstehen könnten, daß eine Streichung bei den Sachausgaben nicht dasselbe ist wie die Erhöhung des Kindergeldes; denn das bedeutet nämlich Erhöhung der Sachausgaben, in diesem Falle um 1,8 Milliarden DM?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westphal, wenn Sie ein bißchen gewartet hätten! Ich werde im zweiten Teil meiner Rede genau auf diesen Punkt, nämlich die Streichungen auf der Ausgabenseite noch eingehen. Das ist doch der zentrale Punkt, um den es überhaupt geht, und man sollte endlich begreifen, daß es notwendig ist, auf der Ausgabenseite wieder eine Manövriermasse freizumachen. Ich werde auf diesen Punkt noch zu sprechen kommen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind auch deshalb mit allem Nachdruck gegen eine weitere Steuererhöhung, weil wir feststellen müssen, daß ja ohnehin, ohne daß die Regierung auch nur einen Paragraphen ändert, Jahr um Jahr die Steuerbelastung der Bürger in ganz extremem Ausmaß steigt. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel dokumentieren, an einem Beispiel, das den Arbeitnehmer ganz besonders trifft: der Lohnsteuer. Wir haben - ohne jede Steuererhöhung - 1975 ein Lohnsteueraufkommen von 71,2 Milliarden DM gehabt, 1976 schnellte dieses Aufkommen schon auf 80,7 Milliarden DM, für 1977 erwartet die Bundesregierung in ihrem Etat 92 Milliarden DM allein aus der Lohnsteuer. Das heißt - und diese Steigerungsrate, Herr Finanzminister, hätten Sie der Offentlichkeit auch einmal bekanntgeben können -, daß in einem Jahr die Lohnsteuer um 14 °/o steigt. Weil dies so ist, sind wir nicht bereit, weiter auf diesem Weg voranzuschreiten. Im übrigen ist es ja sehr interessant, daß z. B. das Bräuer-Institut nachgerechnet hat, daß die besonders leistungswillige Gruppe unserer Arbeitnehmer durch diese unsozialen Steuererhöhungsmaßnahmen ganz massiv, ganz nachdrücklich getroffen wird. Dies führt dann dazu, daß unsere Bürger eben nicht mehr bereit sind, diese laufenden Mehrbelastungen hinzunehmen, und daß insbesondere die Leistungsbereitschaft und der Leistungswille unserer Bürger ganz entscheidend getroffen werden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank? Dr. Althammer ({0}) Ich will es hier zwar zu keiner Fragestunde kommen lassen, Herr Präsident, aber bitte.

Bertram Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Althammer, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß die Steigerung der Lohnsteuer, die ja bekannt ist, gleichwohl noch eine halbe Milliarde DM unter dem liegt, was der Arbeitskreis Steuerschätzung seinerzeit mit den Länder-Finanzministern festgestellt hat?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Blank, ich weiß nicht, ob es unsere Arbeitnehmer besonders tröstet, ({0}) wenn Sie dies feststellen. Tatsache ist, daß sie im Durchschnitt in diesem Jahr höchstens mit einer Lohnsteigerung von 7 % rechnen können, daß aber ihre Lohnsteuer um das Doppelte, um 14 %, steigt. ({1}) Wir von der CDU/CSU beziehen in dieser Frage eine ganz klare Gegenposition. Wir möchten nicht mehr Abgabenbelastungen, nicht mehr Staat, sondern wir setzen uns dafür ein und möchten unseren Einfluß dahin geltend machen, daß der Bürger mehr Freiheit - mehr Freiheit auch im finanziellen Bereich - und die Möglichkeit hat, die wichtigen Aufgaben, vor denen wir wirtschaftspolitisch heute stehen, durch seinen Beitrag bewältigen zu helfen. ({2}) Ich möchte Ihnen das jetzt einmal an einem sehr entscheidenden Beispiel - auch Ihnen, Herr Kollege Wehner - vor Augen führen, nämlich an Hand der Frage der Arbeitslosigkeit und des Abbaus der Arbeitslosigkeit. Der Herr Bundeskanzler hat in dieser zentralen und entscheidenden Frage sein Rezept inzwischen offenbar gefunden. Ich beziehe mich auf eine Mitteilung des Presseamtes vom 17. Januar 1977, in der nur ein einziges Zitat einer Rede aufgeführt ist, die der Herr Bundeskanzler in Inzell am selben Tag gehalten hat. Der Herr Bundeskanzler erklärte dort - ich darf zitieren, Herr Präsident -: Ich will hier einmal mit Anerkennung, innerem Respekt erinnern an eine Bemerkung, die ansonsten so viel Anerkennung nicht gefunden hat - weder bei den eigenen Kollegen noch bei den gegenüberstehenden Tarifpartnern -, die der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor zehn oder 14 Tagen gemacht hat, was das Thema angeht, daß, wenn nicht genug Arbeit da sei im Augenblick, man dann vielleicht für alle ein bißchen weniger Arbeit sich auch vorstellen könnte, allerdings auch - und das war das Bemerkenswerte ein bißchen weniger Lohn, damit andere auch einen Teil der Arbeit abkriegen und auch einen Teil Lohn abkriegen. ({3}) - Herr Bundeskanzler, dieses Zitat ist von Ihrer Pressestelle veröffentlicht; das gebe ich hier wieder. ({4}) - Weil das Bundespresseamt nur dieses Stück veröffentlicht hat, Herr Wehner. Offenbar wurde das für so gravierend erachtet, - ({5}) - Das mag ja sein. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie können mir nicht verwehren, daß ich diese entscheidende Passage hier zitiere. ({6}) - Wenn Sie erklären, das Rezept bestünde darin, daß die Arbeitnehmer nicht nur auf Arbeit, sondern auch auf Lohn verzichten sollen, dann muß ich fragen, woher diese Bundesregierung überhaupt noch den traurigen Mut nimmt, von Brüningschen Notverordnungen zu reden. ({7}) Soweit ist ja noch nicht einmal Herr Brüning gegangen wie jetzt diese Bundesregierung, die, nachdem sie die Rentner geschröpft hat, nun auch noch die im aktiven Arbeitsleben Stehenden in dieser Weise zur Kasse bitten will. Ich möchte mich jetzt aber mit ernster zu nehmenden Projekten zum Abbau der Arbeitslosigkeit beschäftigen. Der Bundesfinanzminister hat gestern sehr ausführlich darüber gesprochen, daß die Arbeitslosigkeit durch ein neues Investitionsprogramm abgebaut werden soll.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Althammer, halten Sie Ihre Bemerkungen, die Sie soeben an die Adresse des Bundeskanzlers gerichtet haben, tatsächlich für einen Beitrag, der dem Problem und der sehr ernsten Fragestellung gerecht wird, ob Arbeitszeitverkürzung bei teilweisem Lohnverzicht nicht eventuell ein Mittel zum Abbau von Arbeitslosigkeit sein könnte, und stimmen Sie mir zu, daß diese Anregung, die ja zum Teil auch aus dem Munde von Spitzenfunktionären der `Gewerkschaft gekommen ist, vielleicht einer ernsthafteren Nachprüfung wert wäre, als Sie sie vorgenommen haben? ({0})

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lambsdorff, wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie oder einer Ihrer Kollegen, die ja nach mir sprechen, die Frage beantworten würden, ob Ihre Fraktion, ob die FDP dafür ist, daß nicht nur Arbeitszeit, sondern auch der Lohn verkürzt wird. Das würde uns sehr interessieren. ({0}) - Das sage ich Ihnen ganz deutlich: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wenden, daß der Lohn der im Arbeitsleben Stehenden verkürzt wird. Wir halten das nicht für eine gute und richtige Lösung des Problems. ({1}) Lassen Sie mich auf die Frage zurückkommen, ob die Form des neuen Investitionsprogramms, mit dem die Bundesregierung jetzt an das Problem herangehen will, geeignet ist, den optimalen Beitrag zu leisten. Die Bundesregierung hat ja schon eine Reihe von Investitionsprogrammen durch das Parlament verabschieden lassen. Der Bundesfinanzminister hat gestern die Zahl von 17 Milliarden DM genannt, die bisher in solche Programme investiert worden seien. Herr Bundesfinanzminister, Sie werden nicht feststellen können, daß dadurch heute auch nur ein Arbeitsloser weniger auf der Straße steht, sondern ganz im Gegenteil: Trotz dieser vielen Programme mit diesem Gesamtvolumen ist die Arbeitslosigkeit jetzt im Januar erneut gewachsen. ({2}) - Herr Kollege Wehner, ich werde zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes noch kommen, ({3}) und was ich Ihnen zu dieser Frage zu sagen habe, wird Ihnen keine Freude machen. ({4}) Die CDU/CSU ist der Meinung, daß allein dies - jetzt mit einem neuen Konjunkturprogramm zu versuchen, der Arbeitslosigkeit beizukommen - nicht optimal geeignet ist, dieses Problem zu lösen. Ich möchte Ihnen die Bedenken kurz an Hand von sechs Punkten vortragen. Erstens. In vielen Fällen entsteht nur ein optischer Effekt, so als ob weitere Arbeitsplätze geschaffen würden, während in Wirklichkeit nur Investitionsprogramme, die ohnehin durchgeführt worden wären, in ein solches Sonderprogramm einbezogen werden. Wir haben bei der Durchsicht dieses neuen Programms, das jetzt im Entstehen ist, sehr kritisch die Frage zu stellen, ob es wirklich zur Arbeitsplatzbeschaffung optimal geeignet ist oder ob hier nicht eine Fülle von Projekten durchgeführt wird, die möglicherweise sehr finanz- und kapitalintensiv sind, die aber nicht die vielen neuen Arbeitsplätze bringen, die wir brauchen. ({5}) Zweitens. In vielen Fällen - besonders dann, wenn es nicht nur solche umgepolten Programme sind - werden Steuergelder falsch und unrentabel eingesetzt; denn diejenigen, die diese Programme regional durchführen müßten, würden ohne die Verlockung der Bundes- und Landeszuschüsse in dieser Weise nicht investieren. Vielmehr sind sie nur bereit, eine solche zum Teil fragwürdige Investition zu machen, weil eben die goldene Kugel, also der Zuschuß des Bundes, winkt. Drittens. Die Programme sind in vielen Fällen zu starr und zu eng abgezirkelt. Sie laufen zu langsam an und werden noch weiterfinanziert, wenn das örtliche Bedürfnis längst nicht mehr vorhanden ist. Dieses Bedenken, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesfinanzminister, besteht besonders auch gegen dieses neue Programm. Wir halten es für eine bare Illusion, daß Sie schon in diesem anlaufenden Jahr in einem finanziellen Ausmaß investieren und damit Arbeitsplätze schaffen können, wie Sie das gerne möchten. Es hat sich vielmehr immer wieder gezeigt, daß einfach die Bürokratie nicht in der Lage ist, diese Dinge so schnell effektiv zu machen. Vielleicht kommen die Programme erst in einer Phase zum Tragen, in der es nicht mehr so vor- dringlich wäre wie gegenwärtig. Das hat sich ja auch in einer Fülle von Einzelbeispielen gezeigt. Denken Sie z. B. daran, daß noch heute in Wolfsburg ein Programm weiterfinanziert wird, das damals ausdrücklich - mit Recht - mit der besonderen Schwierigkeit im Volkswagenwerk begründet worden ist, die, wie wir alle wissen, nun Gott sei Dank längst behoben ist. Viertens. Der Staat will, um einen möglichst schnellen Erfolg zu erreichen, hier sehr oft in der Form des sogenannten Windhundverfahrens denjenigen begünstigen, der am schnellsten mit seinem Projekt aufwarten kann. Ob das dann auch immer das beste Objekt ist und ob damit nicht Ungerechtigkeiten gegenüber anderen, die sehr viel vernünftigere Dinge finanzieren wollen, eintreten, ist eben auch eine Frage, die wir zu stellen haben. Fünftens. Mit der Ankündigung solcher Investitionsprogramme schaffen Sie einen Erwartungseffekt, der dazu führt, daß zunächst einmal nicht investiert wird, weil sich jeder, der jetzt investieren will, natürlich die Frage stellt, ob er nicht, wenn er noch einige Wochen zuwartet, in den Genuß solcher Staatszuschüsse kommt, die er nicht erhielte, wenn er sofort investierte. Damit haben Sie genau den umgekehrten Effekt, nämlich daß mit Investitionen zugewartet wird, die wir im Augenblick bitter notwendig hätten, statt daß so schnell wie möglich soviel wie möglich investiert wird. Sechstens. Ein ganz entscheidender Punkt, auf den der Bundesfinanzminister gestern in seiner Rede Gott sei Dank auch eingegangen ist, betrifft die Frage der finanziellen Dauerlasten, die aus solchen Investitionsprogrammen entstehen. Es ist ja nicht damit getan,' daß man so schnell wie möglich neue Krankenhäuser, neue Schulen usw. baut, sondern man muß sich auch die Zeit nehmen, um durchzurechnen, welche finanziellen Dauerlasten dadurch entstehen. Wenn hier die Gefahr besteht, daß unter Umständen falsch investiert wird, daß Kapital in Bahnen gelenkt wird, wo es nicht so optimal wirkt, dann sind natürlich diese Fehlleitungen von Dauerfolgelasten um so schlimmer, weil hier ja Geldmittel gebunden werden, die anderweitig eingesetzt werden könnten, wenn sie nicht durch sehr massive Folgelasten blockiert würden. Das sind die Gründe, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum wir in den Wein der euphorischen Erwartungen, die der Herr Bundesfinanzminister gestern in das neu angekündigte Programm gesetzt hat, etwas Wasser schütten müssen. Wir von der CDU/CSU haben uns auch sehr ernsthaft überlegt, ob nicht ein ganz anderer Weg viel erfolgversprechender wäre als der, den Staat dadurch einzuschalten, daß zunächst einmal dauernd neue Finanzmittel hereingeholt werden, die dann wiederum in dieser unvollkommenen Weise über die Bürokratie ausgegeben werden, nämlich der Weg, mit dem die CDU/CSU in einer ganz schweren Situation - in den Jahren 1949 und danach - so große Erfolge gehabt hat: die Privatinitiative sehr viel stärker zur Lösung dieses Problems zu mobili800 sieren. Das kann z. B. dadurch geschehen, daß man gezielte Steuererleichterungen beschließt, die Investitionen anregen und Arbeitsplätze schaffen. Überlegen Sie sich bitte einmal, was hier bei Investitionshaushalten an Finanzvolumen bewegt wurde und wird, nämlich bisher 17 Milliarden und jetzt noch einmal 10 bis 12 Milliarden, also fast 29 Milliarden DM, und zwar, wie wir alle wissen, mit einem Strohfeuereffekt: momentan vielleicht eine gewisse Ankurbelung, die aber keinen Dauereffekt hat. ({6}) Wenn wir diese Gelder wenigstens zum Teil hätten verwenden können, um der Privatwirtschaft steuerliche Anreize zu geben, wären wir, glaube ich, sehr viel weiter gekommen. ({7}) Ich weiß natürlich, daß diese Gedanken bei den Sozialisten keine Freude hervorrufen und keinen Beifall finden. ({8}) - Natürlich! Ich wundere mich aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die FDP bisher bereit war, diesen Weg der permanenten Steuererhöhungen, diesen Weg von immer mehr staatlich gelenkter Wirtschaft mitzugehen, und daß sie nicht bereit war, wenigstens auf unsere Konzeption einzuschwenken. ({9}) Erinnern wir uns, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die FDP hat 1966 wegen einer Steuererhöhungsmaßnahme von 1 Milliarde DM ({10}) um diesen Betrag sollten damals die Branntwein-und die Tabaksteuer erhöht werden - das Kabinett Erhard verlassen und damit den Regierungssturz herbeigeführt. Und heute ist sie Seite an Seite mit der SPD, wenn es darum geht, hier Steuererhöhungen von 12 Milliarden zu vertreten! ({11}) Ich darf mich der Ausgabenseite des Etats 1977 und der mittelfristigen Finanzplanung zuwenden. Hier ist zweifellos - das hat auch der Bundesfinanzminister angesprochen - das Problem der exorbitanten Staatsverschuldung das entscheidende, das schwierigste Problem, vor dem wir stehen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat in einer Analyse vom 6. Januar 1977 in nackten Zahlen das bestätigt, was ich eingangs gesagt habe, daß sich nämlich hier die Zerrüttung unserer Staatsfinanzen mit der allergrößten Deutlichkeit zeigt. Dieses Institut, das bestimmt nicht im Verdacht steht, der CDU/CSU nahezustehen, hat festgestellt, daß wir dann, wenn das Finanzierungsdefizit innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung, also bis zum Jahre 1980, abgebaut werden soll, die Hälfte der Zuwachsraten unseres Staatseinkommens beim Bund allein für Zins- und Tilgungsverpflichtungen verwenden müssen, und die andere Hälfte, so sagt das Institut, ist voll von den Steigerungsraten bei den Löhnen und Gehältern im öffentlichen Dienst beansprucht. Das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren: wenn auf diesem Sektor nichts Entscheidendes geschieht, bleibt für neue Aufgaben nichts übrig. Das ist das strukturelle Ungleichgewicht in unserem Haushalt, von dem ich spreche. Es ist ja sehr merkwürdig, wie sich die Bundesregierung zum Problem der Staatsverschuldung einläßt. Für den Gebrauch in der Innenpolitik wird immer wieder behauptet, diese Staatsverschuldung sei ja gar nicht so schlimm, und dann kommen all die vielen Entschuldigungen, die wir schon oft genug gehört haben. Wenn aber die gleiche Bundesregierung gegenüber dem Ausland, z. B. gegenüber den Amerikanern, argumentiert, sieht das Verschuldungsproblem schon wieder ganz anders aus. Den USA z. B. hat diese Bundesregierung gesagt, die Verschuldungsrate in der Bundesrepublik steige in diesem Jahr doppelt so stark und sei auch schon im vergangenen Jahr doppelt so hoch gewesen, als dies z. B. im amerikanischen Staatshaushalt der Fall gewesen sei. Damit sind wir genau beim entscheidenden Punkt. Das Besorgniserregende an der Schuldenentwicklung ist dieses in wenigen Jahren - ab 1974 - zu beobachtende ungeheure Hochschnellen. Was hier innerhalb von drei Jahren geschehen ist, ist gegenüber allem, was in allen anderen Industriestaaten passiert, völlig unvergleichlich. ({12}) Es ist ganz interessant, einmal nachzulesen, was Herr Wannenmacher in einem Aufsatz in der „Deutschen Zeitung" vom 4. Februar gerade zu dieser rasanten Entwicklung der Neuverschuldung gesagt hat. Jetzt kommt der nächste gravierende Punkt. In den vergangenen Jahren hat sich die Bundesregierung immer damit entschuldigt, daß sie gesagt hat: Wir müssen so hohe Schulden machen, um die Rezession zu bekämpfen. Nun sagt sie aber in ihrem Wirtschaftsbericht und in ihren Eckdaten: Im Jahre 1977 und in den folgenden Jahren haben wir keine Rezessionsbekämpfung mehr. Das hätte bedeutet, daß dann keine so hohen Steigerungsraten bei der Verschuldung zu erwarten gewesen wären. Wenn Sie sich den Bundeshaushalt 1977 ansehen, sehen Sie ohne Rezessionsbekämpfung eine Neuverschuldung von 23 Milliarden DM allein beim Bund in diesem einen einzigen Jahr, und diese Kette setzt sich in den nächsten Jahren fort, wobei die Abbauraten, die uns die Regierung hier auf den Tisch legt, unseres Erachtens viel zu optimistisch sind. Daß wir ohne Inflationsbekämpfung so hohe Verschuldungsraten haben, zeigt, daß ein strukturelles Defizit des Bundeshaushalts vorliegt, das unserer Überzeugung nach nur auf der Ausgabenseite bekämpft werden kann. Darum wenden wir uns auch so sehr dagegen, daß man nun versucht, mit der Spritze der dauernden Steuererhöhungen diesen Patienten, der sich leicht daran gewöhnen kann, in einer Weise süchtig zu machen, die schließlich, wenn das wohltuende Gift vorbei ist, wieder zu einer viel schlimmeren Malaise führt. Wir von der CDU/CSU sind dafür, daß diese Regierung, die die Verantwortung in diesem Lande hat, endlich einmal damit Ernst macht, daß eine Entziehungskur auf der Ausgabenseite einsetzt. ({13}) - Ich komme jetzt zu diesem Punkt. Es ist natürlich klar, daß die Situation nicht so ist, daß etwa im Bundeshaushalt 1977 10 Milliarden DM oder noch mehr Milliarden DM wie Ostereier verborgen wären, die Bundesregierung und die Koalition blind daran vorbeiliefen und die Opposition nur ins Nest greifen müßte und dann diese Wundereier herausziehen könnte. So primitiv ist die Sache natürlich nicht. Ich habe Ihnen vorher schon gesagt, daß wir genauso, wie wir in den letzten Jahren sehr intensiv und - wenn Sie ein bißchen ehrlich wären, müßten Sie das anerkennend sagen - auch mit Erfolg die Durchforstung der Etats durchgeführt haben, auch diesmal versuchen werden, zu wesentlichen Einsparungen zu kommen. ({14}) - Herr Kollege Blank, wir sind uns völlig darüber im klaren, daß mit solchen Einzeleinsparungen im jeweiligen Einzeletat das Problem des Ungleichgewichtes des Bundeshaushaltes nicht zu beseitigen ist, sondern hier wäre der Ort, wo die Regierung, die das Wort Reform fast zu einem Schimpfwort gemacht hat, weil sie es so mißbraucht hat, wirklich mit echten Haushaltsreformen ansetzen müßte. Die Ansatzpunkte sind genannt und in diesem Fall erfreulicherweise auch von der FDP unterstützt worden. Wir haben gesagt: Nicht nur der Bund, nicht nur die Länder, sondern insbesondere auch die Kommunen müßten sich von öffentlichen Aufgaben entlasten, die von privater Seite wirksamer und mit besserem Erfolg wahrgenommen werden könnten. Dies ist der entscheidende Punkt, auf den es ankommt, nämlich daß wir hier langfristig und mittelfristig Reformen durchführen. Das gleiche gilt für den Personalsektor. Wir müssen hier dazu kommen, daß wir langfristig die Leistungsreserven, die im Personalsektor der öffentlichen Hand enthalten sind, endlich mobilisieren. Davon wird seit der Regierungszeit von Willy Brandt gesprochen, aber geschehen ist auf diesem Sektor nichts. Hier müßte die Regierung ansetzen, wenn sie den Haushalt endlich und endgültig in Ordnung bringen wollte. Ich habe eingangs meiner Rede angekündigt, daß ich noch einige Anmerkungen zu dem gestern ergangenen Verfassungsgerichtsurteil machen werde. ({15}) - Herr Fraktionsvorsitzender Wehner, diese Sache hat mit dem Bundeshaushalt sehr viel zu tun. ({16}) Wir haben im letzten Jahr eine Auseinandersetzung über die Verschwendung von Steuergeldern gehabt, ({17}) über den Mißbrauch, den die Regierung gerade im Bundestagswahlkampf 1976 betrieben hat. ({18}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie machen die Sache durch Ihr Geschrei natürlich nicht besser. Tatsache ist, daß das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß nicht nur Steuergelder von der Regierung verfassungswidrig zu Wahlkampfzwecken mißbraucht worden sind, sondern daß diese Bundesregierung auch gegen Art. 20, 21 und 38 des Grundgesetzes verstoßen hat. ({19}) Wenn Sie diese Grundgesetzartikel nachlesen, stellen Sie fest, daß dies die Fundamentalnormen unserer Verfassung sind. Dort geht es nämlich um die Legitimation einer Regierung durch den Wähler, durch den Bürger in freien Wahlen. ({20}) Unser Grundgesetz will sicherstellen, daß der Wähler seine Entscheidung unbeeinflußt treffen kann. Das oberste Gericht hat festgestellt, daß bei der Bundestagswahl 1976 diese freie und unbeeinflußte Entscheidung nicht stattgefunden hat, weil die Bundesregierung in verfassungswidriger Weise in den Wahlkampf eingegriffen hat. ({21}) Der Bundeskanzler hat zweimal, am 16. Mai 1974 und am 15. Dezember 1976, geschworen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen. Jetzt stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß er und seine Regierung die Verfassung gerade in dem Punkt gebrochen haben, wo es um die fundamentale Ausübung der Rechte unserer Bürger geht. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Legitimation dieser Bundesregierung auf Grund dieser Wahl in Frage gestellt. ({22}) Der Herr Bundeskanzler muß sich die Frage stellen, ob er angesichts dieser Entscheidung des obersten Verfassungsgerichts die Basis für die Weiterarbeit seines Kabinetts überhaupt noch als gegeben ansieht. ({23}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich müssen sich dieses Urteil nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Landesregierungen und die Parteien hinter die Ohren schreiben. Ich sage Ihnen aus meiner persönlichen Erfahrung dieses Wahlkampfes: Jeder ist gut beraten, wenn er mit dieser Materialschlacht, die diese Bundesregierung im Wahlkampf inszeniert hat, so schnell wie möglich Schluß macht. ({24}) Unsere Bürger haben kein Verständnis mehr dafür, daß man ihnen dauernd etwas von den finanziellen Schwierigkeiten des Staates sagt, daß man ihnen dauernd neue Steuern und Abgaben zumutet, während man gleichzeitig Millionen und aber Millionen in èinem Wahlkampf verpulvert, und das noch in Form von Steuergeldern, die für diesen Zweck überhaupt nicht vorgesehen sind. Wir haben hier im vergangenen Jahr z. B. die Debatte beim Haushaltssicherungsgesetz geführt, das auch der Herr Bundesfinanzminister angesprochen hat. Bei diesem Haushaltssicherungsgesetz sind z. B. die Renten für die Kriegshinterbliebenen um 18 Millionen DM gekürzt worden. Die CDU/CSU hat diese Kürzung abgelehnt und einen Deckungsvorschlag aus den Propagandamitteln der Bundesregierung gemacht. ({25}) Ich stelle heute die Frage, ob die Bundesregierung nicht besser beraten gewesen wäre, den Kriegshinterbliebenen diese Unterstützungen zu belassen und statt dessen ihre Propagandaausgaben entsprechend einzuschränken. ({26}) Der entscheidende Punkt dabei ist aber, daß das Ergebnis der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 so knapp ausgefallen ist. Wir haben heute die Frage zu stellen, ob es diesen Bundeskanzler und diese Bundesregierung überhaupt gäbe, wenn hier keine Verfassungsverstöße vorgenommen worden wären, wenn z. B. nicht von dieser Regierung Annoncen des damaligen Arbeitsministers Walter Arendt zu Lasten der Steuergelder in allen Zeitungen gestanden hätten, in denen er erklärt hatte : „Eure Renten sind sicher". Hätten die 14 Millionen Rentner in dieser Form gewählt, wenn sie nicht bei der Wahl in der Weise beeinflußt worden wären? ({27}) Damit ist die Legitimationsfrage für diese Regierung gestellt. Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich wirklich ernsthaft die Frage stellen, ob nach diesem Urteil die Vertrauensbasis für eine weitere Arbeit ihres Kabinetts überhaupt noch gegeben ist. ({28}) Sie werden ja im Mai dieses Jahres ein weiteres Urteil zu erwarten haben, und ich weiß nicht, Herr Bundeskanzler, ob Sie so lange warten sollen, bis Ihr Fraktionsvorsitzender wieder einmal irgendwo in einer ausländischen Hauptstadt sich über Badewassertemperaturen seines Kanzlers unterhält, ({29}) oder ob es nicht besser wäre, Sie würden sich selber rechtzeitig die Frage stellen, wann und aus welchen Gründen Sie Ihren Abgang von dieser Position wählen sollten. ({30}) Eines jedenfalls werden wir nicht zulassen, nämlich daß die Regierung und ihre eilfertigen Publizisten diese Sache, die eine Angelegenheit der Regierung ist, in einen allgemeinen Vertrauensschwund der Politiker und des Parlaments, in eine Staatsverdrossenheit ummünzen. Diese Regierung und diese Regierungskoalition haben mit dem Vertrauen der Bürger gespielt, und sie haben das Vertrauen der Bürger verspielt. ({31}) In einer Demokratie steht in einem solchen Falle die parlamentarische und demokratische Opposition bereit, die Vertrauensbasis wiederherzustellen. ({32}) Wir von der CDU/CSU, die wir in einer der schwersten Stunden unseres Volkes nach 1948/1949 die Verantwortung übernommen haben, ({33}) die wir diese Verantwortung getragen haben, mit Erfolg, wie, glaube ich, heute jedermann sagen muß, wir sind bereit, wenn diese Vertrauensbasis nicht mehr gegeben ist, wenn die Legitimation dieser Regierung durch eine Verfassungsgerichtsentscheidung in Frage gestellt ist, hier in die Bresche zu springen und die Verantwortung zu übernehmen. ({34})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun, lieber Herr Althammer, nach diesem pathetischen Schreckensgemälde am Schluß Ihrer Rede möchte ich vorschlagen, daß wir wieder auf den Teppich der Sachdebatte über den Haushalt zurückkommen ({0}) und daß wir die Frage des neuen Verfassungsgerichtsurteils in sauberer Ordnung selbstverständlich an der richtigen Stelle beantworten und auf sie eingehen. Einer meiner Kollegen ist darauf vorbereitet, über diese nicht einfache Frage, die sich aus dem gestrigen Urteil ergeben hat, hier zu uns zu sprechen. Ich aber möchte gern auf das eingehen, was mit der Tagesordnung und dem Haushalt zu tun hat. Der Bundesminister der Finanzen hat gestern dem Parlament in nüchtern-eindrucksvoller Weise den Entwurf des Haushaltsplans 1977 und mit ihm verbunden die finanzpolitische Perspektive der Bundesregierung bis an das Ende der Legislaturperiode vorgetragen. Wir Sozialdemokraten wollen heute deutlich machen, daß wir zu den Grundzügen dieses Konzepts ja sagen. Das gilt für den Inhalt, für den Umfang und auch für seine Begründung. Dies heißt, daß wir vor Eintritt in die Einzelberatungen des Haushalts, die sicher viele Veränderungen in Einzelpositionen und auch manche Einsparungen brinWestphal gen werden, unsererseits hier aussagen können und wollen: dieser Haushaltsplanentwurf und die Finanzplanung bis zum Jahre 1980 entsprechen dem, was aus heutiger Sicht für unser Land notwendig und möglich ist. Sie berücksichtigen in klar erkennbarer Weise die Einbettung in die weltwirtschaftlichen Entwicklungen und übersetzen die Regierungserklärung des Bundeskanzlers in die nüchterne Sprache der Zahlen. Die Bundesregierung hat als ihre vorrangige wirtschaftliche Aufgabe der 8. Legislaturperiode die Arbeit zur Wiederherstellung und zur Sicherung der Vollbeschäftigung bezeichnet. Sie will dieses Ziel ansteuern, ohne den erreichten Grad an Stabilität zu gefährden. Wir haben uns zu fragen, ob der vorgelegte Haushaltsplan, den der Finanzminister unter das Motto „Bundeshaushalt 1977 - Sicheres Fundament für den Aufschwung" stellte, und die Finanzplanung dieser Politik in Richtung auf Vollbeschäftigung dienen. Der Bundesfinanzminister hat gestern, ich finde, überzeugend verdeutlicht, in welchem Ausmaß weltweite Abhängigkeiten einerseits und deutsche Bemühungen um international koordiniertes Handeln andererseits Einfluß auf nationale Regierungsentscheidungen haben. Und er hat klargestellt, daß staatliche Maßnahmen für das Geschehen in unserer Volkswirtschaft Anstoßwirkungen haben und helfende Unterstützung geben. Aber gemessen am Bruttosozialprodukt als Summe aller wirtschaftlichen Aktivitäten ist und bleibt der staatliche Handlungsraum nur ein Teilbereich. In dieser Eingrenzung gesehen stellen wir folgendes fest. Erstens. Bezogen auf den Stand der konjunkturellen Entwicklung, deren positive Trendwende im Jahre 1975 lag und deren in verschiedenen Wirtschaftsbereichen unterschiedlichen Aufwärtstrend wir insgesamt verstetigen wollen, sehen wir das Volumen des Bundeshaushalts 1977 mit seinen 171,8 Milliarden DM und seinem Anstieg im Vergleich zum Vorjahr um 6,2 % im Ist-Soll-Vergleich als konjunkturangemessen an. Der Haushaltsentwurf 1977 trägt der Zielsetzung der Politik, die der Bundeskanzler am 16. Dezember 1976 mit der Forderung nach Vollbeschäftigung bei Erhaltung der Stabilität gekennzeichnet hat, voll Rechnung. Er entspricht der Abschlußphase der bisherigen antizyklischen, konjunkturstützenden Finanz- und Haushaltspolitik; er unterstützt Wachstumsvorsorge und Sicherung der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung; er setzt verstärkt die Bemühungen der sozialliberalen Koalition um eine mittelfristige Konsolidierung des Haushalts fort. Hier, meine Damen und Herren, möchte ich gerade auch in Beantwortung dessen, was Herr Dr. Althammer zu dieser Frage gesagt hat, hinzufügen, daß wir nach unserer Ansicht in dieser Richtung bereits einen Schritt weiter wären, wenn zur Finanzierung des Ausgabevolumens schon im Jahre 1977 die Mittel hätten eingesetzt werden können, die wir aus der angestrebten Umsatzsteuererhöhung erwarten. Die Verantwortung für die Verhinderung dieser Verbesserung der Einnahmesituation des Bundes und der Länder haben die CDU/CSU-geführten Bundesländer und neben ihnen die Opposition hier in diesem Hause zu tragen. Dieser Haushalt trägt nicht nur wachstums- und beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten Rechnung - ich verweise z. B. auf die Veranschlagung der 400 Millionen DM für das arbeitsmarktpolitische Programm zur Beschäftigungssicherung vom November 1976 -, sondern mit ihm werden erfreulicherweise auch zugleich erste Früchte unserer bisherigen konjunkturpolitischen Bemühungen geerntet. Z. B. benötigt die Bundesanstalt für Arbeit im Etatjahr 1977 keine Zuschüsse des Bundes mehr, während 1976 noch 3 Milliarden DM erforderlich waren; z. B. erfährt die Finanzierungsseite des Bundeshaushalts erste Besserung durch die sich aus der Konjunkturerholung ergebenden Steuermehreinnahmen, die für 1977 auf Grund der letzten Steuerschätzung vom Dezember 1976 gegenüber der bisherigen Planung ein Plus von 3,8 Milliarden DM erbringen, allerdings - so muß man hinzufügen - einschließlich 1,2 Milliarden DM als einmaligem Effekt aus der Körperschaftsteuerreform. Diese, sagen wir ruhig, wohlschmeckenden Früchte im Bundeshaushalt 1977 eröffnen ihrerseits auch die Möglichkeit zum beginnenden Abbau der rezessionsbedingten hohen Finanzierungsdefzite. Zweitens. Um auch staatlicherseits zu den arbeitsplatzbeschaffenden und arbeitsplatzstabilisierenden Bemühungen beizutragen, soll die Investitionsquote im Staatshaushalt so hoch wie möglich sein. Gegenüber den ungünstigen Zahlen des Jahres 1976, denen allerdings eine starke Steigerung der Investitionen im Jahre 1975 vorausgegangen war, ist das Wachsen der Investitionsausgaben im Haushaltsentwurf 1977 um 7,1 % positiv zu bewerten. Drittens. Gerade im Blick auf das am Anfang dargestellte Ziel, durch die Haushalts- und .Finanzpolitik die Bestrebungen zu stützen, die zur Wiedererreichung von Vollbeschäftigung führen, begrüßen wir Sozialdemokraten die Absicht der Bundesregierung, das Programm Zukunftsinvestitionen nach den Absprachen mit den Ländern und unter Einbeziehung der kommunalen Spitzenverbände in die Beratungen so bald wie möglich zu verabschieden, ({1}) so daß dieses Programm nicht nur umgehend in die Haushaltsberatungen einbezogen werden kann, sondern auch so bald wie möglich - d. h. für uns: zum Sommer dieses Jahres, Herr Althammer - zu wirken beginnt. Um diese Bestrebungen der Regierung in besonderer Weise zu stützen, haben die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß schon am 9. Februar dieses Jahres den Beschluß herbeigeführt, daß die im Bundeshaushaltsplan enthaltenen Mittel für Investitionsausgaben bereits dann voll eingesetzt werden und ausgegeben werden dürfen, wenn darüber im Ausschuß Beschluß gefaßt worden ist. Es braucht also nicht gewartet zu werden, bis der Haushalt insgesamt in zweiter und dritter Lesung verabschiedet und Gesetz geworden ist. Die Konzentration der vom Bund, den Ländern und Gemeinden vorgeschlagenen Maßnahmen zum Ausbau der öffentlichen Infrastruktur in zum Teil neuen und bisher weniger berücksichtigten Bereichen und der damit verbundene Versuch, zu einer sinnvollen regionalen Verteilung zu gelangen, machen bereits jetzt deutlich, daß dieses über mehrere Jahre ausgelegte Förderungsprogramm nicht einfach nur im Sinne einer Verstetigung des konjunkturellen Aufstiegs wirken soll und wirken wird, sondern tatsächlich die' erforderliche Verbesserung von wirtschaftlichen Grundstrukturen mit sich bringt, die aus sich heraus Anregung und Erleichterung für wirtschaftliches Handeln der privaten Unternehmen bringt, so daß der erwünschte Multiplikatoreffekt erreicht wird, der in sich steigerndem Maße private Investitionen auslöst, die über Rationalisierung und Modernisierung hinausführen und die dringend erforderlichen zusätzlichen Dauerarbeitsplätze bewirken können. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, daß er hoffnungsvoll auf die Bereitschaft der Bundesländer und der Gemeinden blickt, das Programm Zukunftsinvestitionen mitzutragen. Dies heißt nicht nur, daß die anderen Gebietskörperschaften ihren Anteil für diejenigen Teile des Programms, die Mischfinanzierung darstellen, in ihre Haushalte einstellen, sondern auch, daß der Fianzminister darauf hofft, die Länder für eigene, in gleicher Richtung wirkende Teile des Programms Zukunftsinvestitionen gewinnen zu können, die aus Ländermitteln finanziert werden. Wir möchten dieser vom Finanzminister ausgedrückten Hoffnung die Mahnung und auch die dringende Bitte anfügen, sich diesen gemeinsamen Bemühungen um eine Verbesserung unserer gesamten Wirtschaftsstruktur und damit der Voraussetzung für neue Arbeitsplätze nicht zu verschließen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir stimmen zu, daß die komplizierten Formen der Mischfinanzierung nur einen Teil des Gesamtprogramms Zukunftsinvestitionen darstellen können. Aber gerade dies macht auch deutlich, daß die in eigener Verantwortung der Länder durchgeführten Programmteile ohne diese Komplizierung dringend erforderlich sind. Dabei wissen wir, daß die Länder und Gemeinden - gleich dem Bund - außerordentlich stark daran interessiert sind, im Zuge der Konsolidierungsbemühungen aller öffentlichen Haushalte die hohen Grade der Verschuldung, die sich gerade aus der antizyklischen Haushalts- und Konjunkturpolitik der vergangenen Jahre ergeben haben, zügig abzubauen. Herr Dr. Althammer, vielleicht darf ich hier die Überlegung einschieben, daß das von Ihnen zitierte Institut, das gesagt haben soll, man müsse sehr schnell von den Schulden herunter, tatsächlich genau das Gegenteil zum Ausdruck gebracht hat. Vielleicht prüfen Sie dies einmal und lesen nach, was das Gutachten des DIW vom 20. Januar 1977 zu diesem Thema sagt. Aber auch uns geht es selbstverständlich darum, in einem zügigen Prozeß die hohe Verschuldung abzubauen. Eine nüchterne Prüfung der Zahlen im Vergleich zwischen den verschiedenen Ebenen der öffentlichen Haushalte zeigt aber, daß, insgesamt gesehen, dieser Konsolidierungsvorgang, insbesondere die Rückführung der Nettoneuverschuldung, bei Ländern und Gemeinden relativ schneller vorangeht, als dies beim Bund möglich sei. Der Bundesfinanzminister hat in dieser Hinsicht vor einer prozyklischen Verhaltensweise der anderen Gebietskörperschaften gewarnt. Wir möchten dazu ergänzend zum Ausdruck bringen, daß diese schwierige, längerfristige Operation des gleichzeitigen Schuldenabbaus einerseits und der mit neuen Kreditmitteln finanzierten Zukunftsinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur andererseits dann am besten gelingen kann, wenn Bund und Länder zu einem aufeinander abgestimmten Verhalten kommen. Das Wort von der gleichen Schrittgeschwindigkeit bei dem Prozeß des Abbaus der Rezessionsverschuldung in Bund, Ländern und Gemeinden, kürzlich von Herrn Finanzminister Halstenberg aus Nordrhein-Westfalen wohl erstmalig verwendet, könnte ein sinnvolles Leitmotiv für alle Beteiligten sein, zumal wenn der Bund mit Rücksicht auf seine Größe auch eine etwas größere Schrittlänge erzielen könnte. Es liegt uns allerdings daran, hier zu unterstreichen, daß man mit den Entscheidungen über das Programm für Investitionen, die die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur betreffen, nicht warten kann, bis die letzte Runde der gegenwärtig angelaufenen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Steuerneuverteilung eingeläutet wird. Es mhg für die eine oder andere Landesregierung verlockend sein, die Länderanteile für dieses Investitionsprogramm auch noch in das sowieso schon sehr umfangreiche und schwierige Paket der zu entscheidenden Steuerneuverteilungsfragen hineinzutun. Dem muß im Interesse der Sache, d. h. im Interesse der Schaffung von Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze deutlich widersprochen werden. Gerade diejenigen, die oft leichtfertig vom noch fehlenden Vertrauen von Investoren sprechen, werden uns zustimmen müssen, wenn wir sagen, daß solches Vertrauen nicht als Auswirkung von Pokerergebnissen in der Steuerneuverteilungsdebatte entstehen kann. Ein klares Ja zu den gemeinsamen Investitionsanstrengungen aller Ebenen und die umgehende Nennung der Beträge, die das Programm länderseits bis zu dem vom Bund angestrebten Gesamtumfang von etwa 12 Milliarden DM auffüllen und eventuell darüber hinaus ergänzen, wird der beste Beitrag zur Schaffung des gewünschten Vertrauens sein.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber bitte, Herr Präsident.

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westphal, können Sie dem Hause einmal erklären, wie die Kommunen mit diesem Problem eigentlich fertig werden sollen angesichts der Tatsache, daß nach den Feststellungen, die der Deutsche Städtetag in diesen getroffen hat, allen Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1976 nur noch Investitionsmittel aus den laufenden Einnahmen in Höhe von 200 Millionen DM zur Verfügung standen?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kenne diese Rechnung nicht. Man müßte sie prüfen, Herr Schröder. Klar ist doch wohl, daß mit einem solchen Programm, wie es hier vorgeschlagen wird, allen Ebenen unseres Landes im Hinblick auf die Verbesserung der Infrastruktur der öffentlichen Einrichtungen geholfen wird. Einer der Überlegungsfaktoren ist, das große Problem der Folgekosten in die inhaltliche Entscheidung über die Programme einzubeziehen. Auch die Kommunen, die sich gerade in dem schwierigen Prozeß des Herabführens der Schulden vergleichsweise wesentlich schneller zu einer besseren Situation hin entwickeln als der Bund - die Zahlen liegen vor -, müssen sehen, daß es zwar gilt, den Prozeß, wie ich ihn vorhin geschildert habe, fortzusetzen, daß aber gleichzeitig die Bereitschaft vorhanden sein muß, sich in richtiger Dosierung neuzuverschulden, um die notwendigen Schritte machen und insgesamt damit Wirkungen erzielen zu können, die durch Verbesserung der Infrastruktur auch private Investitionen zusätzlich auslösen. Meine Damen und Herren, Sie erkennen aus dem bisher Gesagten, daß wir Sozialdemokraten in dieser Kombination des konjunkturgerechten Haushalts, der so hoch wie möglich angesetzten Investitionsquote im Bundeshaushalt, ergänzt durch das Programm der Zukunftsinvestitionen, von dem wir eben sprachen, und des gleichzeitig fortgesetzten Konsolidierungsvorganges durch deutliche Zurückführung der Nettoverschuldung im Zusammenwirken von Bund und Ländern und auch Gemeinden die bejahende Antwort auf die Frage sehen, ob diese Haushalts- und Finanzpolitik des Bundes unseren Haupterfordernissen Rechnung trägt, nämlich alle Anstrengungen zu unternehmen, die Beschäftigtenzahl zu erhöhen und auf der Grundlage einer verbesserten Infrastruktur wirtschaftliche Leistungen anzuregen, die auf Dauer Arbeitsplätze neu erbringen. Dies ist insbesondere deshalb gerade in dieser Zeit so wichtig, weil die wachsende Zahl der die Schulen verlassenden jungen Menschen Zukunftsaussichten im Berufsleben haben muß und wir uns dafür verantwortlich fühlen. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede auch deutlich gemacht, daß die Zusammensetzung des heute arbeitslosen Personenkreises uns vor Sonderaufgaben stellt, die durch den normalen Gang von Investitionsförderung nicht in jedem Bereich gemeistert werden können. Deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß dieser Bundeshaushaltsplanentwurf auch die Mittel enthält, die für gezielte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erforderlich sind, um gerade jugendlichen und weiblichen Arbeitsplatzsuchenden, älteren und behinderten Arbeitnehmern in besonderer Weise zu helfen. Schließlich gehört zu den Instrumenten dieser unserer Politik auch das geschaffene Ausbildungsplatzförderungsgesetz, das uns helfen kann, die erforderlich werdende größere Zahl zusätzlicher Ausbildungsplätze zu erreichen. Diese Haushalts- und Finanzpolitik ist in ihrer Gesamtheit auch so bemessen, daß nicht befürchtet werden muß, der bisher abwärts geneigte Trend der Zinskostenentwicklung würde sich umkehren. Auch in dieser Hinsicht brauchen wir Stabilität. Dies setzt uns Grenzen im Hinblick auf den Umfang der Kreditfinanzierung, auch bei strukturorientierten Investitionsprogrammen. Wir sind sicher, daß das vorgelegte Zahlenwerk und die mittelfristige Finanzplanung der wichtigen Vorgabe für den Erfolg unserer Politik gerecht werden, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Bund den Sozialversicherungsträgern bei der erforderlichen Verbesserung ihrer Liquiditätslage in der vom Finanzminister geschilderten Weise unter die Arme greifen wird. Mir gibt die soeben gemachte Bemerkung doch einen Anlaß, Herrn Dr. Althammer an dieser Stelle eine kurze, aber deutliche Erwiderung zu geben im Hinblick auf eine Debatte, die wir in der nächsten Parlamentswoche führen werden. Herr Dr. Althammer, wenn Sie so einfach dahinsagen, diese Bundesregierung habe die Rentner geschröpft, dann kann ich hier nur feststellen, davon kann nicht die Rede sein. ({0}) Am 1. 7. dieses Jahres werden die Renten erhöht, und zwar um den vorgesehenen Satz von 9,9 %. Da ist nichts von Schröpfen. Über alles andere, Herr Dr. Althammer, reden wir gerne und freundschaftlich in der Debatte, die über diese Frage stattfinden wird. Wir sind ja sehr interessiert, wie denn die „Schröpfungsvorschläge" der Union zu demselben Thema aussehen. Einiges lesen wir ¡a täglich.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Na gut, ich muß sie wohl gestat ten.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westphal, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Rentner auf Grund der vorliegenden Gesetze über den 1. Juli 1977 hinaus Rechtsansprüche erworben haben, die Sie nun durch Gesetzesänderung reduzieren, womit Sie auch die Position der Rentner, d. h. die Leistungen, die diese künftig zu erwarten haben, entsprechend reduzieren?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich werden durch gesetzliche Regelungen Rechtsansprüche geändert, geschaffen oder auch einmal zurückgenommen. Auf diesen Gebieten sind wir ja ständig tätig. ({0}) Das ist sozusagen die Aufgabe eines Parlaments. Ich habe den Eindruck, Herr Dr. Althammer, daß bei Ihren Diskussionen, die noch dubios und noch nicht voll durchschaubar sind - aber Sie haben ja für Mitte März angekündigt, mit der Entwicklung Ihrer Vorstellungen fertig zu werden -, eben auch das Problem ansteht, langfristig eine Sanierung in diesem Bereich, eine Sicherstellung der Sozialversicherung in ihrer Gesamtheit herbeizuführen. Dazu sind Gesetzesänderungen notwendig. Sie haben hier die Formulierung „Rentner geschröpft" gebraucht. Dem kann ich mit aller Eindeu806 tigkeit und der Wahrheit entsprechend widersprechen. ({1}) Meine Damen und Herren,, jetzt bin ich bei der Opposition. Sie haben gemerkt, daß ich in meinem bisherigen Redeverlauf gar nicht auf sie eingegangen bin, und das läßt sich leicht erklären.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westphal, können Sie mir bestätigen, daß wir trotz der Vorlage der Kostendämpfungsgesetze in der Zukunft bei einem sehr hohen Rentenniveau bleiben, wie wir es in der Vergangenheit im Grunde nicht erreicht haben?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Urbaniak, das bestätige ich Ihnen gern, und es bleibt dabei. Wir alle wissen, daß wir nichts Unrechtes und nichts Falsches, sondern etwas Richtiges sagen, wenn wir darauf hinweisen, daß die Anhebung der Renten in den vergangenen vier Jahren jedes Jahr 11 % oder etwas mehr als 11 % betrug. Das war ja wohl eine Leistung. ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe die Opposition bis jetzt ausgelassen. Ich habe zur Sache Haushalt sprechen und bestätigen können, daß wir hinter dem Konzept der Bundesregierung stehen. Ich will auch erklären, worin der Grund dafür liegt, daß ich das Behandeln der Ansichten der Opposition sozusagen erst jetzt in die Rede einbringe. Das liegt einfach daran, daß wir noch nicht wissen, welche Alternativen von der CDU/CSU unserem Konzept eingegengesetzt werden. ({1}) Herr Althammer, Sie haben von zwölf Seiten Text von Alternativvorschlägen der CDU/CSU aus dem Jahre 1970 bis irgendwann jetzt gesprochen. Wir werden das mit Interesse lesen. Zwölf Seiten in sechs Jahren, je zwei Seiten pro Jahr - das sind schon Alternativen, das muß ja schon gewichtig sein! Zu dem Thema, das wir heute hier ansprechen, hat Ihre ganze Rede nicht einen einzigen konkreten Gedanken im Hinblick auf Alternativen für morgen gebracht. ({2}) Herr Dr. Althammer, selbst dort wo es um das Programm Zukunftsinvestitionen geht, haben Sie sechs Punkte ,der Kritik vorgetragen. Dies ist, Kritik im Sinne eines Auseinandernehmen, damit nichts von dem Programm übrigbleibt. Es sind dies Punkte, über die man sicherlich nachdenken muß und die auch uns beschäftigen, wenn wir sachlich über dieses Problem nachdenken und überlegen, wie man das Programm verbessern, wirkungsvoller, schneller arbeitend machen kann. Aber ein Vorschlag, wie Sie an die Probleme herangehen können, war doch nicht da. Nichts davon, Herr Dr. Althammer! ({3}) Also auch die Rede meines Vorredners, die Rede von Herrn Dr. Althammer, hat uns diese Unions-Konzeption zu dem hier anstehenden Thema nicht geliefert. Es war nicht anders zu erwarten. Man muß zwar manchmal denken, daß dieser Saal nicht groß genug ist, um die Fülle der Behauptungen in sich aufnehmen zu können, die von der Opposition als Kritik an unserer Auffassung oder als Darstellung einer furchtbar schlimmen Situation vorgetragen wurden. Der Saal könnte aber viel, viel kleiner sein, und Sie müßten dann immer noch mit der Lupe danach suchen, wo denn Gegenvorstellungen einheitlicher, konkreter und für die gesamte Opposition geltender Art in den bisherigen Äußerungen zu finden wären. ({4}) Das Ganze geht los mit der Behauptung, die Wirtschaftsdaten, die die Bundesregierung in ihrem Wirtschaftsbericht in Erwartung der Entwicklung des Jahres 1977 vorgetragen hat und an denen sich Haushalts- und Finanzplanung orientieren, würden nicht mehr zutreffen. Es liegt uns sogar ein Antrag vor, der die Bundesregierung auffordert, vor Beginn ,der Haushaltsberatungen neue Wirtschaftsdaten zu prognostizieren, weil einer der Abschlüsse im Bereich der freien Tarifvereinbarungen in einer großen Branche so hoch ausgefallen ist, daß der Wirtschaftsminister sich Sorgen darüber macht. Es wäre doch wohl eine völlige Verkennung des Instrumentariums, das wir für die wirtschaftliche Orientierung von Haushalts- und Finanzplanung benutzen, wenn wir diese Daten nach jedem Tarifabschluß einer Branche veränderten. Man kann fast gespannt darauf sein, Herr Dr. Althammer, ob die Opposition nach dem gestrigen auch sehr wichtigen und gerade für die öffentlichen Finanzen so bedeutsamen Abschluß zwischen den Tarifpartnern im öffentlichen Dienst wieder eine Neuberechnung der Wirtschaftsdaten von der Regierung verlangen wird. Nach jedem Tarifabschluß eine neue Berechnung der Wirtschaftsdaten! Wo kommen wir denn da hin? Das sind doch alles nur Ideen von Leuten, die Lohnleitlinien am liebsten staatlich festgelegt sehen würden, die mit der Wahrung der Tarifautonomie innerlich nicht zurecht kommen und die die Marktwirtschaft, die sie so oft im Munde führen, so hochhalten, daß sie selbst von deren Konsequenzen am liebsten nicht erreicht würden. ({5}) Nein, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir empfehlen der Bundesregierung, an den gegebenen Wirtschaftsdaten des Jahreswirtschaftsberichts festzuhalten und ihre Politik daran zu orientieren, wie es beim Haushalt und bei der Finanzplanung geschehen ist. Im übrigen ist für mich das Urteil des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der der Schönfärberei gewiß unverdächtig ist, doch sehr interessant. Er stellt in seinem jüngsten Bericht fest, daß keine Gefahr eines Umkippens der Konjunkturentwicklung gegeben ist. Der BDI zeichnet mit nur geringen Einschränkungen ein weitgehend positives Bild der konjunkturellen Lage und bescheinigt der Bundesregierung, daß die im Jahreswirtschaftsbericht 1977 enthaltene Projektion mit der wahrscheinlichen Wirtschaftsentwicklung in diesem Jahr nahezu übereinstimmt. Diese Äußerung stammt vom 1. März dieses Jahres, d. h., sie ist nach dem Metalltarifabschluß gemacht worden. Sie könnte Ihren Antrag und die Meinung darüber bei Ihnen vielleicht noch beeinflussen. ({6}) Meine Damen und Herren, als zweites ist die von Herrn Leicht, dem wegen seiner fairen Führung der Verhandlungen von uns hochgeschätzten Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, vorgetragene Kritik zu nennen, dieser Entwurf des Haushaltsplans sei nicht sparsam genug. Man könne aus den Sachausgaben 5 bis 6 Milliarden DM herausstreichen. Auch Herr Dr. Althammer hat diese These hier vertreten und gleich schön sauber hinzugefügt, daß Instrument der globalen Minderausgabe sei dabei nicht zu verachten. Sicher, auch wir haben dieses Instrument immer wieder benutzt und wissen um seine Bedeutung. Aber wir wissen andererseits - ich nehme an, mein Kollege Löffler wird darauf eingehen -, daß wir es eben nicht großzügig anwenden möchten. Daher werden wir eben nicht diesen leichten Ausweg, 5 bis 6 Milliarden DM an Sachausgaben im Wege der globalen Minderausgaben zu streichen, wählen, wenngleich wir uns - wie immer - bei den Einzelberatungen von Sparsamkeit leiten lassen. ({7}) - Ich freue mich über den Beifall meiner Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, wenn ich sage: Wir werden uns von Sparsamkeit leiten lassen und Position für Position nüchtern durchgehen. ({8}) - Nüchtern, einverstanden! „Nüchtern" bezieht sich hier auf heutige Presseveröffentlichungen. ({9}) Meine Damen und Herren, mit der erwähnten Größenordnung von 5 oder 6 Milliarden DM folgen Sie nicht nur einer Illusion, sondern auch einer falschen Zielvorstellung. Denn wer so viel aus dem Haushaltsentwurf streichen und dies nicht bei den Investitionen tun will, muß Eingriffe in Milliardenhöhe bei den sozialen Leistungen dieses Etats, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen, vornehmen. Absichten dieser Art haben wir nicht. ({10}) Unser Volk hat den Wert der von uns in den vergangenen Jahren ausgebauten sozialen Sicherung erlebt. Das kann man heute so sagen. Dieser Schutz, diese Hilfen und diese Umverteilung im Sinne sozialer Gerechtigkeit müssen erhalten bleiben. Mehr noch, wir brauchen an einigen konkreten Stellen, die in der Regierungserklärung genannt und vom Finanzminister gestern wiederholt worden sind, einen Ausbau. Dieser Haushaltsplan ermöglicht die notwendigen Verbesserungen bei der Ausbildungsförderung und stellt die Finanzierung der erweiterten 7 b-Abschreibungen für eigengenutzte Altbauwohnungen sicher. Die vorgelegte Finanzplanung für die kommenden Jahre verbessert unter der Bedingung der Umsatzsteuererhöhung die Kindergeldleistungen, stockt das Wohngeld auf, vergrößert die Sonderabgabenhöchstbeträge und bahnt den Weg für gewisse Steuererleichterungen. Die Opposition aber wird sagen müssen, durch welche gravierenden Einschnitte sie das Haushaltsvolumen bei den Sachausgaben um 5 Milliarden DM einschränken will, und wird erklären müssen, ob sie tatsächlich der Ansicht ist, daß eine so weitgehende Einschränkung der konsumtiven Ausgaben konjunkturpolitisch verantwortbar ist. Wir glauben dies nicht. Dann muß ich zu dem kommen, was ich das Steuerdebakel der Opposition nennen möchte. ({11}) - Herr Wohlrabe, das kommt gleich; Sie können nachher noch einmal hoi sagen. - Ich habe mich in der Debatte über die Regierungserklärung mit der Vielfalt der unterschiedlichen Äußerungen der Herren Strauß, Gaddum, Stoltenberg und Häfele auseinandergesetzt. Niemand wird sagen können, daß in der Zwischenzeit aus der Vielfalt der unterschiedlichen Meinungen auf der Seite der Opposition in dieser Hinsicht ein einheitliches Bild des Wollens und Verhaltens geworden ist; auch nicht nach dem, was Sie, Herr Dr. Althammer, heute gesagt haben. Aber jeder wird mir bestätigen müssen, daß die Menge der divergierenden Äußerungen zu dieser Thematik in der Zwischenzeit inflationsartig angewachsen ist, und Inflation bedeutet bekanntlich Wertverlust, Herr Althammer. Sehen wir uns die gravierenden Äußerungen einmal an. Am steifsten gegen die Anhebung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte sind noch die Herren Stoltenberg und Leicht; und ich rechne nun auch Herrn Dr. Althammer dazu. Herr Strauß hingegen - er ist nicht da; weit entfernt - folgt Gedankengängen ({12}) - das gibt Herrn Dr. Althammer ja doch auch eine Chance, wenn Herr Strauß nicht hier ist -, ({13}) bei denen man erkennen kann, daß er die gesamten Mehreinnahmen einer solchen Erhöhung schon durch Entlastungen bei ertragsunabhängigen Steuern umverteilt hat. In seinem Umverteilungskonzept bleibt nicht einmal etwas übrig, um das Kindergeld zu erhöhen. Diese Erhöhung des Kindergelds - so meinen er und auch Herr Dr. Althammer - hätte schon 1976 erfolgen müssen und sollte aus dem wachsenden Steueraufkommen finanziert werden. Aus wachsendem Steueraufkommen bei ständigen Entlastungen und dementsprechenden Steuereinnahmen des Haushalts! Er möchte, zusammen mit Herrn Gaddum, den Tarifsprung zwischen Proportionalzone und Progressionszone unseres Einkommensteuertarifs einebnen und übersieht dabei leider, daß dieser schöne Gedanke, dem mancher von uns auch gern folgen würde, den Verlust von mehrfach so viel Steuereinnahmen bedeutete, wie die Verbesserung des Kindergeldes kostet. ({14}) Herr Kiep soll sich mit Herrn Strauß schon auf eine Umverteilung des Mehraufkommens aus der Umsatzsteuer verständigt haben. Es soll sogar eine nicht näher bezeichnete Entlastung bzw. Verbesserung für Arbeitnehmer dabei sein. Wenn diese Informationen meines zweiten Halbsatzes zutreffen, wäre das ganz erfreulich, zumal sich die Aussage inhaltlich dann auf das zubewegt, was die Bundesregierung in ihrem Steuerpaket vorzuschlagen gedenkt, in dem ja in gewissem Maße auch Entlastungen für Arbeitnehmer vorgesehen sind. Aber Herr Kiep muß wohl übersehen haben, daß Herr Strauß auch Vorstellungen hat laut werden lassen, an Stelle des gleich hohen Kindergeldes für alle Eltern wieder Kinderfreibeträge einzuführen, die bekanntlich die unsoziale Nebenwirkung haben, daß die höheren Einkommensbezieher für ihre Kinder stärker entlastet werden als diejenigen, die geringe oder gar keine Einkünfte haben. Dann kommt natürlich irgendwo auch noch das Argument, daß im Regierungspaket die Mehrwertsteuererhöhung mit ihrem Belastungseffekt nicht sozial sei. Auch dieses Argument paßt doch nun wirklich nicht in den Mund von Herrn Strauß; denn wieso ist es sozialer und familienfreundlicher, wenn die Mehrwertsteuer - nach Herrn Strauß - angehoben werden soll, um die Gewerbesteuer abzubauen? Sie sehen, das ist wirklich ein Steuerdilemma der Unionsparteien, das nur noch deutlicher wird, wenn man den Versuch der ordnungspolitischen Überhöhung dieses Themas durch die Herren Barzel und Biedenkopf hinzunimmt. Ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung", Herr Präsident, vom 7. Februar dieses Jahres: Das ist typisch: Da gibt es einen dramatischen Appell zur „Beendigung der ordnungspolitischen Krise", und herauskommt im gleichen Atemzug die „Notwendigkeit einer Revision der ertragsunabhängigen Steuern". That's all. Da hilft auch nichts mehr, wenn Herr Kohl vor dem Wirtschaftsrat der CDU zu der Erkenntnis kommt, daß steuerliche Entlastungen nicht gleich zu privatwirtschaftlichen Investitionen führen, und seinen Wirtschaftspolitikern empfiehlt, das Denken in Alternativen zu lernen. Das einzige, was sich bei den Unionspolitikern als gemeinsame Formel durchzusetzen scheint, ist die von Herrn Strauß stammende und von Herrn Kohl übernommene Formulierung, die CDU/CSU könnte dem Vorhaben der Regierung in der Umsatzsteuerfrage nur dann zustimmen, wenn „gleichzeitig leistungsfeindliche, sozial ungerechte, investitionshemmende und wirtschaftsfremde Belastungen des Steuerrechts zumindest gemildert bzw. beseitigt werden". Was soll dieses schön klingende, inhaltslose Wortgeklingel? Solange Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht eine gemeinsame, klare, einheitliche Antwort mit Ihren inhaltlichen Vorstellungen dazu geben, müssen wir davon ausgehen, daß die Übersetzung dieses Wortgeklingels heißt: Die höheren Einkommen und Vermögen sollen entlastet werden, die mittleren Einkommen sollen entlastet werden, die kleineren Einkommen sollen entlastet werden, die Kreditaufnahme muß reduziert werden, eine Streichung öffentlicher Ausgaben ist notwendig. Aber es wird dazu konkret nichts vorgeschlagen. ({15}) Das ist das Wortgeklingel hinter diesen Sätzen. Das aber ist nicht nur nicht möglich, sondern unsinnig. ({16}) Lassen Sie uns feststellen: Es gibt bisher keine Alternative zu dem ausgewogenen und, wie wir zugeben, Kompromißcharakter tragenden Vorschlag der Bundesregierung, der in der Regierungserklärung unterbreitet wurde, den wir hier in Kürze zu behandeln haben werden. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, die vom Wähler bereits akzeptierte, wenn auch sicher nicht freudig begrüßte, maßvolle Anhebung der Mehrwertsteuer, die Bund und Länder für ihre Leistungen an den Bürgern dringend brauchen, zu einem beachtlichen Teil zu verwenden, um den Prozeß der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzusetzen, d. h. insbesondere die rezessionsbedingte hohe Verschuldung abzubauen und andererseits einen Teil dieses erhöhten Steueraufkommens zu verwenden, um sozial sinnvolle Entlastungen zu ermöglichen und gleichzeitig eine hoffentlich anregend wirkende gewisse Entlastung bei ertragsunabhängigen Steuern in einer Weise vorzunehmen, über die das Parlament nachdenken muß. Auch wir, meine Damen und Herren, können uns selbstverständlich theoretisch weitergehende und mehr Freude verteilende Lösungen im Hinblick auf die Steuerproblematik vorstellen. Aber die Regierungserklärung hat nüchtern festgestellt: Der Rahmen für Neues wird gering bleiben. Damit möchte ich abschließen. Im übrigen weisen wir das Krisengeunke der Opposition, so wie es im Anfangssatz von Herrn Althammer wieder anklang, zurück und meistern mit der hier dargelegten Haushalts- und Finanzpolitik unsere auf mittlere Sicht nicht einfache Situation. Es gibt keinen Grund, meine Damen und Herren, daran zu zweifeln, daß wir auf dem richtigen Wege sind. ({17})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Althammer hat versucht, den Einstieg in seine Haushaltsrede mit dem Schlagwort „Zerrüttung" zu finden, und doch blieb der Auftrittsapplaus bei seinen politischen Freunden aus. Das war auch gar kein Wunder; denn bei dem Stichwort „Zerrüttung" denkt niemand an den Haushalt 1977; alle denken vielmehr an den Zustand der Opposition. ({0}) Franz Josef Strauß hat das über den „Bayernkurier" mit schönen Grüßen aus Togo gerade heute noch einmal wieder deutlich gemacht. ({1}) Mit der bei Herrn Kollegen Althammer im Schlußwort enthaltenen Anpreisung, die Opposition sei in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen, würde ich deshalb mit Rücksicht auf das Allgemeinbefinden. der Opposition etwas vorsichtiger sein. ({2})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern, Herr Kollege Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie fragen, ob Sie bei dem Stichwort „Zerrüttung". nicht auch an Ihre Berliner Verhältnisse denken? ({0})

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege Althammer, ich komme im Verlauf meiner Rede im Zusammenhang mit Zustandsbetrachtungen auf Spitzenpolitiker dort und auch auf den verehrten Herrn Kollegen Kohl zurück. ({0}) Der Kollege Althammer hat sich im weiteren Verlauf seiner Rede am Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Öffentlichkeitsarbeit aufzurichten versucht. Es ist verständlich, daß die Opposition die richterliche Kritik auf ihre Mühlen lenken möchte, aber, meine Damen und Herren, das Urteil ist sehr viel grundsätzlicher. ({1}) Die Opposition hat das auch sehr wohl erkannt, und ein Kommentar in der Zeitung „Die Welt" vom heutigen Tage macht es noch einmal sehr deutlich. Nun ist „Die Welt" aus der Sicht der Opposition sicher kein ihr mißgünstiges Presseorgan; deshalb wird die Opposition es nicht als unfreundlichen Akt empfinden, wenn ich hier aus diesem Kommentar zitiere. Dort heißt es: Das Karlsruher Urteil im Wahlwerbungsprozeß trifft selbstverständlich nicht nur die gegenwärtige Regierung, sondern indirekt auch ihre Vorgängerinnen, und eigentlich jede bisherige und bestehende Regierung überhaupt. ({2}) Wenn also der Union nur ihre Prozeßkosten erstattet werden, wo ihr „eigentlich" der Wahlverlust erstattet werden müßte, so mag sie sich mit Sünden trösten. ({3}) Meine Damen und Herren, meine Partei hat das Urteil begrüßt. Es wird unsere Regierungen im Bund und in den Ländern wieder auf den Pfad der Tugend zurückführen, und die Parlamente können dabei gute Schrittmacherdienste leisten. ({4}) - Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, Herr Kollege Wohlrabe; ({5}) in der zweiten Lesung dürfen Sie dann darauf zurückkommen. ({6}) Meine Damen und Herren, Etatberatungen werden doch wohl immer noch als bedeutungsvolles parlamentarisches Ereignis eingestuft. Dennoch muß die kritische Frage erlaubt sein, was von dem so hoch gepriesenen Budgetrecht des Parlaments eigentlich noch übriggeblieben ist. Sicher ist die Entscheidungskompetenz des Parlaments unbestritten die Verfassungslage will es so -, aber ist die Sachkompetenz noch in allen Bereichen vorhanden? Wenn man auch das bejaht, bleibt immer noch die bittere Erkenntnis, daß der Entscheidungsspielraum durch gesetzlich oder vertraglich festgelegte Leistungspflichten und damit durch Fortsetzungsraten und Bindungsermächtigungen stark, ja, manchmal möchte man meinen, über Gebühr stark eingeengt worden ist. Nun werden politische Grundsatzbemerkungen im Haushaltsbuch der Nation von einem Koalitionär gewiß behutsam formuliert werden müssen; unterstützende und aufbauende Kritik ist die Aufgabe. Die Opposition kann sich da ganz anders ins Zeug legen; sie darf, ja sie soll die kritischen und schwachen Stellen schonungslos aufdecken. Wer wollte leugnen, daß jeder Haushalt - auch der des Jahres 1977 - seine Probleme hat? Insofern sind die Sprecher der Opposition in einer geradezu beneidenswerten parlamentarischen Rolle. Aber was machen sie daraus? Die Kritik am vorgelegten Zahlenwerk der Bundesregierung ist - jedenfalls bisher - nicht zum großen Wurf der Opposition geworden, der ein klar konzipiertes Alternativmodell erkennen ließe. Der Versuch dazu ist gar nicht erst gemacht worden. Die Opposition blieb in der reinen Kritik stecken, wobei zweifelhaft sein kann, ob sie wirklich so rein ist. Ein solches Verhalten ist zwar verständlich, aber es reicht einfach nicht für den Nachweis der Befähi810 gung, bessere Politik machen zu können, aus. Daran hat es in den kritischen Beiträgen der Opposition in der Vergangenheit gefehlt, und daran mangelt es offenbar auch heute. Man kann sich aber in der politischen Diskussion unter Demokraten nicht damit begnügen, vorhandene Systeme und Wertordnungen zu verdammen, sondern man muß die besseren Lösungen deutlich machen. Andernfalls wird die Kritik zum Selbstzweck, und darauf sollte niemand, auch die Opposition nicht, seine Beiträge reduzieren. Die Haushaltspolitik wird häufig sowieso als Verwirrspiel mit Zahlen abgetan, das dem Bürger undurchsichtig bleibt. Es kommt hinzu, daß das Haushaltsvolumen mit über 170 Milliarden DM tatsächlich eine Größenordnung erreicht hat, die nur noch für Fachleute überschaubar ist, weil der einzelne reale Bezüge dazu kaum noch herzustellen vermag. Die Opposition - so scheint es mir allerdings - löst diese Schwierigkeiten immer wieder in der ihr eigenen Weise. Sie greift die publikumswirksamen Themen heraus und handelt sie mit griffigen Schlagworten und mit tendenzieller Einseitigkeit ab, so daß sie dann auch die Zustimmung der staunenden Offentlichkeit erwarten darf. Diese Rosinenpolitik ist wohlfeil; brauchbare Anregungen für eine solide Haushaltspolitik sind daraus allerdings nicht zu gewinnen. Es reicht nämlich nicht, auf der Einnahmeseite lediglich zu beklagen, daß die Höhe der Verschuldung bedenkliche Grenzwerte erreicht hat, und gleichzeitig die Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Verbesserung der Steuer- und Haushaltsstruktur rundweg abzulehnen. Die Meinungsvielfalt in der Opposition war in der Tat selten so verworren wie hier bei der Steuerdiskussion. Herr Kollege Strauß hatte deshalb nur allzu recht, als er Herrn Kohl ermuntern wollte, in seinen eigenen Reihen endlich Klarheit zu schaffen. Bis zur Beratung über das Steuerpaket bleiben der Opposition nur noch wenige Wochen, um mit sich ins reine zu kommen. Irgend jemand wird bis dahin für die Koordinierung zuständig sein. Auf der Ausgabenseite wird von der Opposition Sparsamkeit gepredigt und die .Einsparung von 5 Milliarden DM gefordert. Gewiß ist das eine löbliche Absicht, aber die Milliardenbeträge, die der Opposition immer so leicht von den Lippen gehen, werden bei den mühevollen Streicharbeiten des Haushaltsausschusses von Einzelplan zu Einzelplan auch bei bester Absicht nicht zusammenzubringen sein. Außerdem bin ich keineswegs sicher, was tatsächlich selbst dann eingespart werden kann, wenn wir wirklich in Einzelfällen zu Ausgabenkürzungen kommen. Schließlich sind genug Mehrforderungen in der öffentlichen Diskussion, und auch alle diese Forderungen finden wieder prompt die Unterstützung der Opposition. Ich möchte uns allen einige Beispiele in Erinnerung bringen, um damit auch den kritischen Sinn für die sich jetzt anschließenden Haushaltsberatungen zu schärfen: in der Familienpolitik das von der verehrten Frau Kollegin Wex propagierte Erziehungsgeld, die Erhöhung der Beiträge für die Studenten- und Schülerförderung über die von der Bundesregierung vorgesehene finanzielle Aufstockung hinaus, wie sie von Herrn Pfeifer und anderen gefordert wird. In der Sicherheitspolitik kann es Herrn Kollegen Dregger gar nicht teuer genug sein. Für Herrn Wörner und den Bereich der Verteidigung gilt natürlich dasselbe. Anderen Abgeordneten sind die Aufwendungen für den Agrarhaushalt zu dürftig. All diese Forderungen finden jeweils punktuell den ungeteilten Zuspruch der Opposition, obwohl die Realisierung aller dieser Projekte zu jenen chaotischen Verhältnissen in unserer Finanzpolitik führen müßte, die die Opposition seit Jahr und Tag bereits als gegeben an die Wand malt. Mit dieser Methode kann man die Probleme ganz gewiß nicht lösen. Dabei gibt der von der Bundesregierung vorgelegte Haushalt 1977 Anlaß, ernsthaft darüber nachzudenken, wie. über die Konsolidierung des Haushalts der notwendige Handlungsspielraum in unserer Fiskalpolitik überhaupt erst zurückgewonnen werden kann. Der Haushalt könnte zu einem Stück Selbstbesinnung werden, und das dann, wenn wir an jene Aufbruchstimmung anknüpfen, die noch vor einigen Monaten bei allen Parteien und in allen Fraktionen zu Hause war. Dies war die Zeit, in der am Brahmsee noch eine steife Brise wehte und das Mittel des Haushaltsstrukturgesetzes allen dringend geboten erschien, um die von den wissenschaftlichen Sachverständigen und der Bundesbank in eindringlichem Klartext aufgezeigten Schwächen unserer Fiskalpolitik zu bekämpfen und damit die mittel- und längerfristig entstehenden Gefahren abzuwenden. Die damals eingeleiteten Gegenmaßnahmen haben gegriffen. Sie haben aber offenbar auch viel politische Energien verbraucht. Denn es macht sich vielfach eine Stimmung breit, als hätte sich bereits alles zum besten gewendet. Ich bin selbstkritisch genug, dies hier ausdrücklich so zu sagen. Ich gehöre nicht zu denen, die da glauben, man brauche sich um die Konsolidierung des Haushalts keine ernsthaften Sorgen mehr zu machen und es gebe keine Probleme der wachstumspolitischen Vorsorge, auch wenn die Relation von investiven und konsumtiven Ausgaben wirklich nicht zufriedenstellen kann. ({7}) Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitischen Eckdaten des Haushalts sind im Wirtschaftsbericht der Bundesregierung festgelegt. Sie sind für den Haushalt damit vorgegeben. Wir werden in der Aussprache über die konjunkturelle Entwicklung an der sich daraus ergebenden Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts mit ihren unmittelbaren Folgerungen für die Etatgestaltung nicht vorbeigehen können. Und doch ist das Haus mit dieser Frage in Kürze speziell befaßt, wenn es darum geht, hier den Jahreswirtschaftsbericht zu debattieren. Ich begnüge mich heute daher mit der Feststellung, daß wir im Gegensatz zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts im Jahr 1976, bei dem das Wachstum die Voraussagen übertraf, in diesem Jahr einen flacheren Anstiegswinkel als Grundlage für die Planung anzunehmen haben. Dies schien für die Aufstellung des Bundeshaushalts und des Finanzplans darauf hinzudeuten, daß von wesentlichen konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen gegenüber den bisherigen Planansätzen nicht auszugehen ist. Nach den relativ günstigen Januarergebnissen werden wir aber gemeinsam mit gewissen Erwartungen der nächsten Steuerschätzung entgegensehen können. Ob dies jedoch zu entscheidenden Korrekturen am Haushalt 1977 führt, bleibt abzuwarten. Wir sollten es gemeinsam dem weiteren Gang der Beratung überlassen. Die Einnahmensituation bei den Steuern zwang zwecks Deckung des Ausgabenbedarfs zu einer Nettokreditaufnahme von knapp unter 23 Milliarden DM. Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, daß damit der verfassungsrechtlich zugelassene Handlungsspielraum fast völlig ausgenutzt ist. Der Nettokreditbedarf des Bundes konnte zwar gegenüber den Vorjahren leicht zurückgeführt werden, aber der große Schritt nach vorn zum Abbau des Haushaltsstrukturungleichgewichts blieb aus. Es hat keinen Zweck, der Erkenntnis ausweichen zu wollen, daß sich die Absicht, die Nettokreditaufnahme bereits kurzfristig stark zurückzuführen, leider nicht hat erfüllen lassen. Auch wenn wir die Fortdauer des nicht befriedigenden Zustandes des Haushalts 1977 nicht ändern können, muß uns dieses Problem ernsthaft weiter beschäftigen: Ohne auf die Probleme des Kapitalmarkts jetzt in diesem Zusammenhang einzugehen, wird nämlich deutlich, daß sich allein von der Zinsbelastung her eine weitere Kreditexpansion verbietet. Die Zinsausgaben des Bundes steigen nämlich von 4 Milliarden' DM im Jahre 1974 auf über 15 Milliarden DM im Jahre 1980 - vorausgesetzt, daß die verhältnismäßig günstigen Zinsen gleichbleiben. Natürlich ist das die Folge der notwendigen und erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung wie des Parlaments zur Überwindung der Rezession der vergangenen Jahre. Sicher war diese Finanzoperation unausweichlich. Aber damit kann sich der Haushaltspolitiker noch nicht begnügen, und er kann sich auch nicht mit der Anerkennung trösten, die diese Maßnahme überall gefunden hat - vielleicht nicht bei der Opposition, aber sonst bei den Fachleuten im Inland und auch in der internationalen Fachwelt. ({8}) Es ist doch dann von allen, so glaube ich, gleichwohl mit Sorge zu sehen, daß bei einer solchen Vorbelastung des Haushalts die Gefahr besteht, den Haushalt auf der Ausgabenseite so weit festzulegen, daß uns die Hände gebunden sind und wir nicht mehr die Fähigkeit haben, die auf den Staat und den Haushalt zukommenden politischen Aufgaben der Zukunft zu erfüllen. Hieraus wird deutlich, warum der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede wiederholt sehr betont auf die notwendige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen hingewiesen hat. Wer uns weismachen will, daß dieses Ziel allein mit dem Mittel der radikalen Drosselung der Ausgaben erreicht werden kann, wirkt doch vor dem Hintergrund der Haushaltswirtschaft wie ein finanzpolitischer Scharlatan. ({9}) Die Ausgabenseite gibt die Reserve für eine grundlegende finanzpolitische Strukturoperation, wie die Erfahrungen der Vergangenheit eigentlich für jeden gezeigt haben sollten, einfach nicht her. Was hier im ersten Zugriff möglich war, ist geschehen. Der Bundesfinanzminister hat zutreffend auf die Entlastungen des Haushalts 1977 hingewiesen, die durch die Eingriffe des Haushaltsstrukturgesetzes herbeigeführt worden sind. Für die Fraktion der Freien Demokraten und für die Koalition darf ich in Anspruch nehmen, daß wir im vergangenen Jahr mit einschneidenden Beschlüssen zum Personaletat unseren aktiven Beitrag zur Konsolidierung geleistet haben. Wir haben nicht nur von der Sanierung der Finanzen geredet, wir haben auch danach gehandelt. Bei der Opposition sind Wort und Tat dagegen keineswegs so deckungsgleich, wie das in der Offentlichkeit immer gern dargestellt wird. Sie haben zum vergangenen Haushalt - wir können nach dieser Auf-, Vor-, Nach- und Gegenrechnung, Herr Kollege Althammer, das Thema endgültig zu den Akten legen; aber ich muß doch noch einmal darauf verweisen - Einsparungen in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen angekündigt. Wäre der Haushaltsausschuß aber allen Ihren dann während der Beratung gestellten Anträgen gefolgt, hätte dies Mehrausgaben von rund 250 Millionen zur Folge gehabt. Die Opposition kann sich ein solches Spiel natürlich leisten. Sie ist ja nicht in der Verantwortung. Aber sie sollte sich dann endlich auch abgewöhnen, anderen ständig den leichtfertigen Umgang mit Steuergeldern vorzuwerfen. ({10}) Auf der Ausgabenseite steht die Diskussion über die Personalkosten nach wie vor im Vordergrund, in dieser Stunde aktualisiert durch den Tarifabschluß im öffentlichen Dienst. Es hat keinen Zweck mehr, die Diskussion durch einen parlamentarischen Annex verlängern zu wollen. Und doch bleibt trotz positiver Grundstimmung ein fataler Beigeschmack. Die Fürsorge und Vorsorge des Staates für seine Staatsdiener wurden im Vergleich zum Arbeitnehmer der freien Wirtschaft früher in der plastischen Kurzform ausgedrückt: Die Decke des Staates ist kurz, aber sie wärmt kolossal. Heute, meine Damen und Herren, hat man den Eindruck, daß an diesem guten Prinzip jedenfalls manchmal „herumgeklunckert" wird. Die warme Decke soll offenbar mit einem Einstieg ins 14. Monatsgehalt auf Überlänge gebracht werden. Hier wird der doch weiß Gott gerade in dieser Zeit wichtige Faktor der Sicherheit des Arbeitsplatzes manchmal nur noch ein wenig in Kurzfassung in die Betrachtung des öffentlichen Dienstbereichs einbezogen. Wir können deshalb immer nur mahnen und immer wieder nur appellieren, die Kirche im Dorf zu lassen und auf dem Teppich der Vernunft zu bleiben. ({11}) Wenn ich weiter davon ausgehe, daß auf der Ausgabenseite die Bereiche Soziales und Gesundheit, innere und äußere Sicherheit, Wissenschaft und Technologie, Europapolitik und Entwicklungshilfe und nicht zuletzt der gesamte Investitionsbereich nicht für Kürzungen zugänglich sein werden, dann zeigt sich daran schon, welche begrenzten Möglichkeiten wir haben, die konsumtiven Ausgaben tatsächlich wirkungsvoll zu beschneiden. Dennoch werden wir uns dieser Aufgabe mit allem Ernst stellen. Wir werden dabei nicht in eine Überdimensionierung der globalen Minderausgabe ausweichen. Ein Parlament, das nichts anderes an Kürzungen zustande bringt, als der Regierung für den Haushaltsvollzug eine pauschale Verfügungsbeschränkung aufzuzwingen, opfert nämlich auch noch den letzten Rest der parlamentarischen Einflußnahme und Gestaltungsmöglichkeit im Haushaltsrecht. ({12}) Wir werden uns deshalb mit den konsumtiven Ausgaben von Position zu Position befassen. Die Beratungszeit dafür ist knapp, die Arbeitslast wird erdrückend sein. Doch muß ich zu dem Protest gegen das Arbeitstempo und die Belastung, den der verehrte Herr Kollege Althammer hier für die Opposition angemeldet hat, anmerken - und ich freue mich, das feststellen zu dürfen -, daß dennoch der Arbeitsplan des Haushaltsausschusses einvernehmlich aufgestellt und verabredet werden konnte. ({13}) Bei den Beratungen müssen wir zu konkretisierten Einsparungen kommen. Auch wenn dem Bundesfinanzminister darin zu folgen ist, daß die, konsumtiven. Ausgaben im Entwurf der Bundesregierung gegenüber der Finanzplanung um 1,4 Milliarden DM niedriger veranschlagt worden sind, bin ich andererseits nicht so sicher, daß wir bereits damit den Platz für das mehrjährige Programm für Zukunftsinvestitionen schaffen konnten. Wenn ich es richtig begreife, werden wir das zusätzlich in den Haushalt einzufügende Investitionsprogramm doch wohl nur mit zusätzlich am Kapitalmarkt aufzunehmenden Mitteln finanzieren können. Der Bundesregierung ist allerdings Erfolg bei ihren Bemühungen zu wünschen, sich mit den Ländern möglichst kurzfristig über das Infrastrukturprogramm zu einigen, damit die öffentlichen Aufträge noch in diesem Jahr für Wirtschaft und Beschäftigte wirksam werden können. Wer die erste Reaktion der Länder nicht einfach ignoriert, sollte die Chancen hierfür allerdings zurückhaltend beurteilen. Es hat schließlich Stimmen gegeben, die die Beteiligung der Länder nur mit dem Vorbehalt in Aussicht gestellt haben, daß der Bund erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen müsse, daß den Ländern ein größerer Anteil am Steueraufkommen und damit für die Finanzierung ihres Programmteils zugestanden wird. Unter einem solchen Vorbehalt wäre die positive Absichtserklärung der Länder dann allerdings nicht sehr viel wert. Das Investitionsprogramm darf aber nicht zum Streitobjekt werden, an dem die Auseinandersetzungen über die Neufestsetzung des Anteils der Länder am Steueraufkommen ausgefochten werden sollen. Es bleibt dringend zu wünschen, daß man bei diesem so wichtigen Programm schnell zur Sache kommt und daß es nicht in einem langwierigen Hin und Her zerredet wird. Die Diskussion zwischen Bund und Ländern über die Steuerneuaufteilung wird allerdings das Thema der nächsten Monate sein, ob es uns gefällt oder nicht. Dabei wird man erfahrungsgemäß alle im Augenblick zur Entscheidung anstehenden Fragen mit finanzieller Auswirkung, die beide Seiten berühren, zu einem Gesamtpaket schnüren und dann nach einer Lösung suchen. Für die Funktionsfähigkeit des föderalistischen Staates ist es wichtig und bedeutsam, daß die Lösung in einem fairen Ausgleich zwischen den Interessen des Bundes und der Länder gesucht wird. Es gibt auf Länderebene gewisse Anzeichen dafür, daß sich der Meinungsstreit darüber künftig wieder stärker an der Sache orientiert und daß die parteipolitische Konfrontation vermieden wird. Wir müssen darauf bauen können, daß sich alle an den finanzpolitischen Entscheidungen beteiligten Verfassungsorgane des Bundes am gesamtstaatlichen Interesse orientieren. ({14}) Das gemeinsame und aufeinander abgestimmte Handeln von Bund, Ländern und Gemeinden ist für den konjunktur- und arbeitsmarktpolitischen Aspekt nämlich von durchschlagender Bedeutung; denn neben dem Bund verfügen Länder und Gemeinden mit ihren Haushalten über ein erhebliches Finanzpotential und entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten gerade auf diesem Gebiet. So ist es also der öffentliche Gesamthaushalt, der über das konjunkturwirksame Verhalten überhaupt erst Aufschluß gibt. Ein Beispiel für die unterschiedliche Gewichtung sind die Aufwendungen im Bereich der öffentlichen Bauausgaben. Während im Tiefbau der Bundesanteil ca. 28 % beträgt, ist der Anteil der Länder und der Gemeinden 72 %. Im Hochbau ist der Vergleich noch krasser. Für den Bund stehen hier nämlich lediglich 6 °/o, für die Länder 23 % und für die Gemeinden 71 °/o der Dispositionsmasse zur Verfügung. An diesem Beispiel ist leicht zu erklären, daß der Bund allein nur über ein sehr begrenztes Steuerungsinstrumentarium verfügt. Die gestrige Rede des Bundesfinanzministers hat einige zusätzliche Bereiche aufgezeigt, die für den Haushalt als kritisch anzusehen sind und unabwägbare Risiken für ihn, beinhalten. Die Deutsche Bundesbahn ist ein solches erkennbares Haushaltsrisiko, das noch nicht zu beziffern ist. Im Haushalt 1977 wird das Problem zwar deutlich, seine Lösung jedoch noch nicht mitgeliefert. Die notwendige Sanierung muß erst noch eingeleitet werden. Das vorliegende Programm kann deshalb nur ein Anfang sein. Zu einem vernünftigen Konzept gehört aber, wie wir meinen, daß sich die Deutsche Bundesbahn dann aus Geschäftsbereichen zurückzieht, die hoffnungslos defizitär sind und in denen die Bahn weniger als 5 % des Marktanteils für sich in der eigenen Verantwortung hat. Die Bundesbahn sollte hier stärker als bisher die Zusammenarbeit mit der gewerblichen Wirtschaft suchen. Dort, wo das bereits geschieht, sind die Erfahrungen durchweg positiv. Keinesfalls aber kann man eine sinnvolle TarifHoppe I gestaltung darauf abstellen, einen Verdrängungswettbewerb mit Dumpingpreisen auf Staatskosten zu betreiben. Ein negatives Beispiel, das keine Schule machen sollte, ist der Versuch der Deutschen Bundesbahn, mit solchen Tarifen im Massengutverkehr der Binnenschiffahrt Konkurrenz zu machen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird die Haushaltsexperten des Parlaments bei ihren Anstrengungen, das Unternehmen Deutsche Bundesbahn wieder flottzumachen, auf ihrer Seite haben. Bei seinen Ausführungen über die enorme öffentliche Investitionstätigkeit der letzten Jahre hat der Bundesfinanzminister auf die stürmischen Wachstumsraten im Bereich des Sozialen Wohnungsbaus hingewiesen. Nach seiner Darstellung handelt es sich im wesentlichen um erfolgreich abgeschlossene Leistungen der Vergangenheit. So sehr das richtig ist, müssen wir uns doch schon heute im klaren sein und darauf einstellen, daß die Form der Finanzierung und der Einsatz der Mittel für die Mietpreisgestaltung in Zukunft große Probleme aufwerfen. Das Thema Finanzierung des Sozialen Wohnungsbaus und soziale Miete ist nicht nur für die Länder und Gemeinden von großer Bedeutung. Die Bundesregierung hat mit ihrem Entwurf des Haushaltsplanes 1977 eine tragfähige Grundlage für die Haushaltspolitik dieses Jahres und der kommenden Jahre gelegt. Der Haushaltsplan ist gewiß ohne Glanzlichter, aber in der Tat ein Fundament für die Fortsetzung einer soliden und erfolgreichen Arbeit dieser Bundesregierung. Bei allen finanzund wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten der Gegenwart kann der Haushaltsentwurf 1977 als geglückte Gratwanderung betrachtet werden. Die notwendige und grundlegende Konsolidierung, die uns allen den wieder gewünschten Bewegungsspielraum für finanzpolitische Entscheidungen bringt, werden wir allerdings wohl erst in einer Phase des konjunkturellen Aufschwungs erreichen. Hoffentlich haben uns dann die jetzigen Erfahrungen gelehrt, auch in einem solchen Augenblick auf allzu schnelle Zugriffe zu verzichten, wenn sich die öffentlichen Kassen allmählich wieder füllen. Wir würden nämlich die Chance der Gesundung der öffentlichen Finanzen unweigerlich verspielen, wenn wir dann nicht die Möglichkeit nutzten, die Staatsverschuldung drastisch abzubauen. ({15}) Der Haushalt 1977 ist unter den gegebenen Umständen ein sachgerechter und konstruktiver Beitrag zur Lösung der anstehenden Aufgaben und kann darüber hinaus ein Instrument für eine positive Entwicklung unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik sein. Der erste Haushalt der 8. Legislaturperiode wird jetzt in die anschließenden Beratungen des Haushaltsausschusses gehen. Über das Arbeitsklima in diesem Ausschuß ist in der Vergangenheit immer wieder Erfreuliches berichtet worden. Das ist eine gute Ausgangsbasis für parlamentarische Arbeit. Aber es wäre für die Bewältigung der jetzigen Probleme noch wichtiger, wenn es diesmal gelingen könnte, endlich ein Stück gemeinsame Verantwortung auch in der Sache sichtbar zu machen. ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für Ihre Verhältnisse, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie sich gestern um viel Sachlichkeit bemüht. Sie haben auch manches Richtige gesagt, was wir unterstreichen. Aber Sie haben auch vieles verzerrt dargestellt, was wir wenigstens teilweise richtigstellen müssen, und Sie haben entscheidende Probleme überhaupt nicht angesprochen. ({0}) Ihre Polemik, Herr Finanzminister, in Richtung auf die Opposition war in Ihrer Haushaltsrede deplaziert. Der Versuch, der Opposition Termine vorzuschreiben, ist, wie ich meine, eine Anmaßung. Die Opposition bestimmt noch immer selbst, wann, wo und wozu sie ihre Vorschläge vorlegt. ({1}) Beklagenswert falsch ist Ihre Behauptung, die Opposition habe die Maßnahmen zur Ausgabeneinschränkung abgelehnt. Das war - ich sage das mit Nachdruck - wenig hilfreich. Sie sollten das aus der Welt schaffen. Offenbar wollten Sie mit dieser Polemik eine Verbeugung vor der starken Gruppe der Linken in Ihrer Fraktion machen, ({2}) an die weite Passagen - meine Herren, ich sehe gerade einige - Ihrer Rede addressiert waren. Die Opposition brauchten Sie z. B. nicht davon zu überzeugen, daß die Bundesrepublik Deutschland in Anbetracht Ihrer weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen bei ihrer Finanzpolitik auch den weltwirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung zu tragen hat. Wir haben immer darauf hingewiesen, daß es nicht nur Einflüsse von außen nach innen gibt, sondern daß in gleicher Weise auf das Ausland ausstrahlt, wie wir als zweitgrößtes Handelsland unsere Finanzpolitik gestalten. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, daß der Finanzminister sich gestern diesen Standpunkt, soweit ersichtlich, erstmals in der Öffentlichkeit zu eigen gemacht hat. Wir hoffen, daß jetzt die gefährliche und törichte Behauptung, nur das böse Ausland sei an Inflation und Arbeitslosigkeit schuld, endgültig vom Tisch ist. Dann können wir künftig viel sachlicher miteinander diskutieren. ({3}) Die Zahl der Arbeitslosen hat bei uns nach den jetzt vorliegenden Ermittlungen - heute morgen sind gerade die neuesten gekommen; die Zahlen sind gegenüber dem Januar etwas zurückgegangen, was wir begrüßen müssen ({4}) der Bundesanstalt für Arbeit in den Monaten Januar und Februar aber immer noch die Grenze von 1 Million um mehr als 200 000 überschritten. ({5}) Damit hat diese Bundesregierung bereits im dritten Winter über 1 Million arbeitsloser Mitbürger entscheidend zu verantworten. Ich glaube, daß es richtig ist, was die stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende Frau Weber über das Wochenende gesagt hat, daß wir neben diesen über 1,2 Millionen Arbeitslosen weitere 500 000, die sie als stille Arbeitsreserve bezeichnet hat, haben. In einer Zeitung lautet die Überschrift: „DGB: Mehr Arbeitslose, als offiziell gemeldet." 1 Million Arbeitslose reißen immerhin - insoweit ist das für die Haushaltsdebatte sehr entscheidend - in den öffentlichen Kassen ein Loch von insgesamt 20 Milliarden DM jährlich, -

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich meinen Satz vollendet habe, gern. - Nämlich 10 Milliarden DM an Zuwendungen und weitere 10 Milliarden DM an Mindereinnahmen an Steuern und Beiträgen.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leicht, sehen Sie sich in der Lage, auch noch einige andere Äußerungen vom Wochenende von Frau Weber hier zu wiederholen, die sie an die Adresse der Wirtschaftspolitik Ihrer Partei und an die Person Ihres Generalsekretärs gerichtet hat? ({0})

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Graf Lambsdorff, dann müßte ich allerdings auch noch viel mehr Ausführungen über das machen, was an die Adresse der Regierung und an den Bundeskanzler gerichtet gewesen ist. ({0}) Ich komme zurück auf die Frage: Was bedeuten eine Million Arbeitslose an Verlusten an Beiträgen und Steuern auf der einen und an Zuwendungen auf der anderen Seite? Hier ist doch ein wesentlicher Grund dafür zu suchen, daß sich auch die Rentenfinanzen in einem so desolaten Zustand befinden. Wenn der Bundesfinanzminister in seiner gestrigen Rede ausdrücklich betont, dank der Konjunkturprogramme der Bundesregierung seien rund 700 000 Arbeitsplätze gesichert worden, so ist dies angesichts einer Arbeitslosigkeit von über 1 Million kein Grund für die Bundesregierung, sich zu rühmen. Es ist vielmehr die verdammte Pflicht und Schuldigkeit einer Bundesregierung, in einer rezessiven Phase antizyklische Finanzpolitik zu betreiben und Beschäftigungsrisiken so gering wie möglich zu halten. Hätten Sie sich in den Jahren 1970 bis 1973, in der Phase der Hochkonjunktur also, nicht in einem Ausmaß prozyklisch verhalten, das wider jegliche finanzpolitische Vernunft war, wäre ein Großteil der heutigen Arbeitslosigkeit mit all ihren Folgen insbesondere im Sozialbereich vermieden worden. ({1}) Gerade hier wird offenbar, daß die Bundesregierung, wenn es zu ihrem Nutzen. ist, nicht vor Manipulationen und Täuschungen zurückschreckt; selbst der Bundesfinanzminister hat gestern von Manipulationen gesprochen. Bis zur letzten Bundestagswahl gab es, so der Herr Bundeskanzler, bei den Rentenversicherungen nur ein Problemchen. Nach der Wahl konnte auch die Regierung nicht mehr verschweigen, wie zerrüttet die Finanzen der Sozialversicherung mittlerweile sind. Der bisher zuständige Minister resignierte und trat zurück. Es ist geradezu ein Paradoxon, daß der neue Bundesarbeitsminister aus marktwirtschaftlichen Erwägungen heraus, nämlich wegen zu hoher Belastungen, echte Beitragserhöhungen ablehnt, selbst aber versteckte Beitragserhöhungen vorschlägt und gleichzeitig die vielbeschworene Selbstverwaltung im Sozialversicherungsbereich durch mehr Staat ersetzen will. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, reden von dem einen und realisieren das andere. Der Herr Bundeskanzler hat mehrfach auf die Notwendigkeit öffentlicher wie privater Investitionen richtigerweise hingewiesen, weil nur so das Schicksal der Arbeitslosigkeit für Hunderttausende unserer Mitmenschen dauerhaft gelöst und ein gewichtiger Teil der Finanzkrise im Sozialversicherungsbereich beseitigt werden kann. ({2}) In diesem Zusammenhang möchte ich das von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, in Ihrer gestrigen Rede angekündigte langfristige Infrastrukturprogramm grundsätzlich begrüßen. Es ist aber zu bedauern, daß die Bundesregierung in dieser Sache nicht zu Stuhle kommt und so die Unsicherheit in unserem Lande nur noch vergrößert wird. Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß ein solches Infrastrukturprogramm allenfalls Anstöße vermitteln kann. Zu einer nachhaltigen Belebung ,der privaten Investitionstätigkeit bedarf es aber einer dauerhaften Ertragssteigerung der deutschen Wirtschaft. Voraussetzung hierfür ist, daß wir erstens den Abbau leistungs- und wachstumshemmender Steuerbestimmungen forcieren und zweitens das verlorengegangene Vertrauen der Wirtschaft wiederherstellen, ihr also wieder das Gefühl zurückgeben, daß sich ihre Investitionen in der Zukunft wieder in höheren Erträgen niederschlagen. ({3}) Anstatt aber die hierfür notwendigen Perspektiven zu vermitteln, trägt die Bundesregierung zu einer weiteren Verunsicherung von Bürgern und Wirtschaft bei. ({4}) Die widersprüchlichen Äußerungen der verschiedenen Regierungsmitglieder - das muß hier einmal gesagt werden - hinsichtlich der Tarifabschlüsse im Metallbereich sind geradezu ein Paradebeispiel dafür: Der Bundeswirtschaftsminister hält sie zuLeicht nächst für zu hoch. Der Bundesfinanzminister begrüßt sie, revidiert aber später seine Aussage mit dem Hinweis, ihm habe der Überblick gefehlt. ({5}) Dann wieder erklärt Staatssekretär Schlecht vom Wirtschaftsministerium den Abschluß mit dem Lohneckwert des Jahreswirtschaftsberichts für vereinbar. Und jetzt nimmt der Bundeswirtschaftsminister, wenn ich es richtig verstanden habe, in seiner Rede in Frankfurt seine erste Äußerung wieder halb zurück ({6}) und führt aus, daß zu niedrige Abschlüsse gefährlich seien. Man muß doch die Frage stellen, welchen Sinn Lohneckwerte unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch haben. ({7}) Das gleiche, meine Damen und Herren, gilt für das ewige Hin und Her mit der Mehrwertsteuer. Das von der Bundesregierung jetzt unter dem Druck der Opposition mit geringfügigen Steuerentlastungen versehene Mehrwertsteuererhöhungspaket, so möchte ich es einmal nennen, ist unter den gegebenen Voraussetzungen -- unter den gegebenen wirtschaftlichen Voraussetzungen! - stabilitätspolitisch falsch, konjunkturpolitisch schädlich, in höchstem Maße unsozial und haushaltspolitisch sogar entbehrlich. ({8}) Noch im letzten Jahr haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, im Chor mit dem Herrn Bundeskanzler verkündet, die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 1977 sei unentbehrlich, da der diesjährige Bundeshaushalt ansonsten nicht finanzierbar sei. Gestern aber behaupteten Sie in Ihrer Rede von dem gleichen Haushalt, er sei solide finanziert und stelle ein sicheres Fundament für den Aufschwung dar. Dies sind zwei völlig gegensätzliche Aussagen. - Zur Frage der Mehrwertsteuerfolgen wird Herr Kollege Häfele nachher einen eigenen Beitrag leisten. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, bin ich der Auffassung, daß der letztjährige Haushaltsabschluß symptomatisch dafür ist, daß bei einer Realisierung der dem jeweiligen Bundeshaushalt zugrunde liegenden Eckwerte immer zwischen 3 bis 6 Milliarden DM Minderausgaben bzw. Mehreinnahmen herausgewirtschaftet werden können. Ich brauche Sie nicht damit zu belästigen, Ihnen die Zahlen ab 1973 vorzulesen. Sie kennen sie so gut wie ich. Zum Jahre 1976 hat der Herr Kollege Dr. Althammer heute morgen das Nötige gesagt. Was die Investitionen des Bundes anlangt - um in einer Grundsatzaussprache, die diese erste Lesung ja bedeuten soll, auf einen anderen wesentlichen Gesichtspunkt zu sprechen zu kommen -, so muß man objektiv feststellen, daß sich diese auf einer steilen Talfahrt befinden. Trotz immer höherer Schulden geht der Anteil der investiven Ausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes von Jahr zu Jahr stärker zurück. Er belief sich bis 1973 noch auf über 18 % 1976 waren es einschließlich der Konjunkturprogramme nur noch 14,4 °/o, wie mir der Parlamentarische Staatssekretär des Finanzministers dieser Tage auf eine Anfrage von mir mitgeteilt hat. Nach dem Finanzplan soll es dann Jahr für Jahr immer weniger werden: 12,10/o im. Endjahr 1980. Selbst wenn sich die Investitionsquote durch das von Ihnen angekündigte Infrastrukturprogramm, wie Sie gestern feststellten, um 0,5 % erhöhen sollte, so läge sie .damit immer noch, meine Damen und Herren, rund 5 % unter der Quote des Jahres 1971. ({9}) Damit ich nicht mißverstanden werde: Investitionen schlechthin sind für die CDU/CSU kein Wert an sich, keine heilige Kuh, wie man so schön sagt. Es war nicht die Opposition, sondern es war die SPD/FDP-Koalition, die früher erklärt hat, daß sich die Verwirklichung der von ihr versprochenen Reformen vor allem in einer immer höheren Investitionsquote zeigt. Sozialistischen Neidkomplexen entsprang die Klage über die früher angeblich vorhandene öffentliche Armut bei privatem Reichtum. Gemessen an diesen Maßstäben müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, meine Damen und Herren von der Regierung, daß Sie über immer mehr Schulden und immer schlechtere Haushaltsstruktur öffentliche Armut produzieren, an der Sie dann den Bürger durch immer neue Beitrags- und Steuererhöhungen teilhaben lassen wollen. ({10}) Die Opposition war und ist für einen bedarfsund sachgerechten Straßenbau, für neue Schulen, wo ein dauerhafter Bedarf besteht, für Klärwerke und Kanalisation, wo noch nicht vorhanden. Hier wäre übrigens der Ansatzpunkt: Die Gemeinden könnten diese Vorhaben morgen ausschreiben. ({11}) Aber Investitionen waren für uns noch nie ein Fetisch. Es ist leider wahr, daß als Folge einer übersteigerten Reformeuphorie in den vergangenen Jahren viele öffentliche Investitionen Fehlinvestitionen waren. Ich denke z. B. an Auswüchse im Krankenhauswesen, wo in vielen Fällen mit Sicherheit des Guten zu viel getan worden ist und wo man heute Folgekosten für leere Betten zahlen muß. ({12}) - Ich werde gleich etwas zu den Ländern sagen. Sie haben gestern, Herr Bundesfinanzminister - da bin ich bei einem weiteren Thema, das in der Grundsatzaussprache eine Rolle spielt -, einige kritische Anmerkungen zu den rückläufigen Investitionen bei Ländern und Gemeinden gemacht und die hohen Personalkosten der Länder in Relation zu dem Personalkostenanteil des Bundes gesetzt. Dazu zwei Bemerkungen. Erstens. Es wäre eine unwahre Unterstellung, würde man behaupten - ich sage nicht, daß Sie das getan haben -, die Länder und Gemeinden hätten ohne jeden bundespolitischen Einfluß ihren Personalbestand und damit auch ihre Personalkosten ausgedehnt. ({13}) Vielmehr sind, Graf Lambsdorff, rund 80 °/o der Länderhaushalte nicht anders als Funktionen der Bundespolitik. Die restlichen 20 °/o sind die Folgen der vom Bund und seiner Politik erweckten Erwartungen. ({14}) So muß man die Dinge sehen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz etwas sagen, weil sich darüber vielleicht sehr schnell - so hoffe ich jedenfalls - eine einheitliche Meinung bildet. Denken wir an die Gesetzgebung, die wir in Bonn gemacht haben. Ich habe die Bundesregierung gefragt - wir haben jetzt eine detailliertere Kleine Anfrage eingebracht -, wie viele Bundesgesetze in Kraft sind. Mir wurde geantwortet: rund 1 300 im Augenblick. Die wirken sich doch alle bis hinunter in die Gemeinden und bis hin zum Bürger aus. ({15}) - Jetzt lassen Sie mich doch meinen Gedanken zu Ende führen. Ich will Sie ja dazu gewinnen, daß wir in Zukunft in einer Legislaturperiode statt 518 nur 50 Gesetze - und die anständig - verabschieden. ({16}) In diesem Zusammenhang muß ich im Interesse unserer Gemeinden auch noch schnell den Satz hinzufügen: Bei ihnen hat sich die Bundesgesetzgebung in der Weise ausgeweitet, daß heute von ihnen ein Betrag von 10 Milliarden DM für Sozialhilfeleistungen gefordert wird. ({17}) Ist das das, was wir uns unter Gesetzgebung vorstellen? Zweitens. Sie wissen sehr genau, Herr Bundesfinanzminister, daß die Investitionsbereitschaft der Gemeinden nach wie vor groß ist, daß aber viele Kommunen ihre Etats eben wegen eines zu hohen Schuldenanteils nicht mehr ausdehnen können, weil sie ansonsten ihre Haushalte nicht genehmigt bekommen. Das scheint im übrigen der neue Bundesarbeitsminister nicht zu wissen, wenn er den Gemeinden den Ratschlag gibt, sie sollen sich kräftig verschulden. Die ständige Verschlechterung der Struktur des Bundeshaushalts ist beschäftigungs- und wachstumspolitisch schädlich, zumal sie nicht durch private Investitionen kompensiert wird. Sie macht zudem die Beeinflussung der konjunkturellen Entwicklung durch eine konjunkturgerechte Steuerung der öffentlichen Ausgaben, wie sie das Stabilitätsgesetz vorsieht, weitgehend unmöglich. Wenn wir jetzt immer mehr Schulden machen - nicht um für die Zukunft vorzusorgen, sondern nur um Gehälter, Löhne, Renten und sonstige laufende Ausgaben auf Pump zu bezahlen -, dann bedeutet das, daß wir unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder gefährden, ja - man verzeihe mir den derben Ausdruck - die Zukunft regelrecht auffressen. Die Bundesregierung rühmt sich, in diesem Jahr erstmals seit 1974 die Nettokreditaufnahme unterhalb der Summe der Investitionsausgaben gehalten und damit die Verschuldungsobergrenze des Grundgesetzes wieder knapp eingehalten zu haben. Hinter diese Aussage müssen aber ganz dicke Fragezeichen gesetzt werden. Nach den Zahlen des Bundesfinanzministers beläuft sich die Neuverschuldung netto auf 22 Milliarden 801 Millionen DM, die Summe der Investitionsausgaben auf 22 Milliarden 951 Millionen DM. Die amtliche Verschuldungszahl liegt damit um ganze 150 Millionen DM oder knapp 1 °/o unter der Summe der Investitionsausgaben. Dieser sogenannte Erfolg, für sich allein schon bescheiden genug, ist indessen nur durch mehr oder weniger fragwürdige - in diesem Zusammenhang haben Sie das Wort auch gebraucht, Herr Finanzminister - Manipulationen bei der Berechnung der Investitionsausgaben wie bei der Berechnung der Neuverschuldung herbeigeführt. Deren Aufhellung macht es leider erforderlich, in vier Punkten in das Dickicht der Buchungstechnik des Haushalts einzusteigen. Erstens. Zu den investiven Ausgaben, deren Summe nach der Verfassung die Obergrenze der Verschuldung bildet, rechnet der Gruppierungsplan neben Baumaßnahmen, Investitionszuschüssen an andere Investitionsträger auch Darlehen schlechthin. Man ging dabei offenbar davon aus, daß Darlehen ausschließlich für investive Zwecke gewährt werden. Das trifft aber nicht mehr zu, seit z. B. auch im Rahmen des sogenannten BAföG und für die Sicherstellung der Arbeitslosenversicherung Darlehen gewährt werden. In diesem Jahr betragen diese beiden Positionen insgesamt 730 Millionen DM. Rechnet man diese Darlehen aus der Summe der investiven Ausgaben heraus, so liegt die Nettokreditaufnahme schon nicht mehr bei 150 Millionen DM unter, sondern bei 600 Millionen DM über der Summe der investiven Ausgaben. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich gestern über die zum Teil merkwürdige Definition des Begriffs „Investitionen der öffentlichen Hände" geäußert. Ich stimme diesen Ausführungen weitgehend zu. Nur ändert das nichts an der von mir beklagten Manipulation insofern, als für die Vergleichbarkeit das bisher praktizierte Verfahren herangezogen werden muß. Wir unterstützen Sie in Ihrem Bemühen, hier die Begriffe in Zukunft klarer voneinander abzugrenzen und damit dann neue Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen. Zweitens. Im Haushalt 1977 ist wieder eine globale Kürzung - wenn wir davon sprechen, fangen Sie zu protestieren an, wenn Sie das selber tun, ist das „gute Politik" - in Höhe von 1,8 Milliarden DM vorgeschrieben. Diese muß zu einem ganz erheblichen Teil bei den Investitionen verwirklicht werden, da diese Ausgaben am ehesten ohne Gesetzesänderung beeinflußbar sind. Durch die globale Minderausgabe werden Sie also die investiven AusgaLeicht ben um bestimmt mehr als 150 Millionen DM kürzen müssen. Dritter Punkt: Der Bund zahlt nach dem Wirtschaftsplan insgesamt rund 1,5 Milliarden an Investitionszuschüssen an die Bundesbahn. Die Bundesbahn selbst aber braucht zur Finanzierung ihrer Investitionen den Kapitalmarkt - wie es so schön im Finanzplan zu lesen ist - nur in Höhe von 993 Millionen zu strapazieren. Andererseits zwingt der Bund die Bundesbahn, den größeren Teil ihres Defizits von insgesamt 2,1 Milliarden am Kapitalmarkt zu finanzieren und somit also Verluste durch Schulden auszugleichen. Will man nicht der Manipulation durch das Hin- und Herschieben von Schuldenaufnahmen zwischen Bundeshaushalt und Bundesbahn Tür und Tor öffnen, müssen auch diejenigen Schulden, die die Bundesbahn zur Finanzierung ihres Jahresverlusts macht, bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bundesverschuldung angemessen berücksichtigt werden. Das vierte Beispiel betrifft die Tilgung der Schuldbuchforderungen an die Rentenversicherungen von 1,8 Milliarden. Ist der Finanzbericht, den Sie herausgegeben haben, richtig, dürfen die jetzigen Barzahlungen auf die Schuldbuchforderungen nicht als bloße Tilgungsleistung von der Summe der Bruttokreditaufnahme abgesetzt werden. Die Nettokreditaufnahme beträgt dann 22,8 Milliarden plus 1,8 Milliarden und ist damit höher als die Investitionszahlen des Finanzministers. Diese vier Fälle zusammen machen, vorsichtig gerechnet, über 4 Milliarden aus. Ohne diese 4 Milliarden müßte der Bundesfinanzminister seine Aussage, er habe erstmals seit 1974 einen Haushalt vorgelegt, bei dem die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen über der der Neuschulden liege, revidieren. Wir behalten uns vor, den Rechnungshof um gutachtliche Stellungnahme zu dieser grundsätzlichen Frage zu bitten; das gebietet einfach der Respekt vor der Verfassung. Die Verschuldungsobergrenze nach dem Grundgesetz hat aber nicht nur rechtliche Bedeutung. Bundesbankpräsident Klasen, der bisher der Regierung in Finanzschwierigkeiten durchweg hilfreich beigestanden hat, sagte noch vorige Woche: Das Haushaltsdefizit des Bundesfinanzministers hat die Grenzen des Erträglichen erreicht. - Noch jede große Inflation, meine Damen und Herren, hatte ihren Anfang in einer zu hohen Verschuldung. Auch die CDU/CSU ist nicht dafür, den Haushalt ganz ohne Kredite zu finanzieren. Es geht aber um Höhe und Tempo der Staatsverschuldung; es geht letztlich darum, inwieweit es einer Regierung und einem Parlament erlaubt ist, die Generationen der jetzt noch Unmündigen zu belasten. ({18}) Für die Zinsen - also ohne Tilgungsleistungen, die Sie gestern in Ihrer Rede auch angesprochen haben - mußten Sie in der Vergangenheit weniger als 3 % des Steueraufkommens verwenden. 1969 waren es 2,8 %, 1973 waren es 2,9 %. Diese Zinsquote hat sich innerhalb von nur vier Jahren mehr als verdoppelt. Sie beläuft sich nach dem neuen Finanzplan für 1977 bereits auf 6,4 %. 1980 sollen schon fast 8 Pfennige von jeder Steuermark, die der Bund kassiert, nur für Zinsen aufgewendet werden. Zins- und Tilgungsleistungen zusammen sollen 1980 mit 36 Milliarden DM fast ebenso hoch wie die gesamten Ausgaben des Verteidigungshaushalts sein. Das Aufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung, das der Bundesfinanzminister erwartet, wird - wenn er es überhaupt bekommt - durch den Anstieg der Zinsausgaben seit 1973 mehr als aufgezehrt. ({19}) Abgesehen davon stellt die Nettoneuverschuldung des Bundes 1977 ein erhebliches Inflationspotential dar. Der Bund muß sich in diesem Jahr mit rund 6 Milliarden stärker an den Kapitalmarkt halten als 1976, weil er für 1976 Schulden auf Vorrat gemacht hatte. Das wird nicht kritisiert; im Gegenteil, das war richtig. Fällt diese erhöhte Kapitalmarktbeanspruchung durch den Bund - darüber muß man sich Gedanken machen - zusammen mit der Rücklagenauflösung der Rentenversicherungsträger, mit erhöhter Kreditnachfrage der Bundesbahn und mit einem zusätzlichen Kreditbedarf der privaten Wirtschaft, so werden Zinssteigerungen mit all ihren schädlichen Folgen für Stabilität und Wachstum, wie ich befürchte, unvermeidlich sein. In diesen Zusammenhang gehört ein kritisches Wort zur Geldpolitik der Bundesbank. Schon die Ausweitung der Geldmenge in den vergangenen beiden Jahren um 10 % bzw. 9,2 % stellte ein erhebliches Inflationspotential dar. Daß es bisher nicht virulent wurde, lag an einer Reihe von Faktoren im konjunkturellen und gesellschaftspolitischen Bereich. Die Einhaltung der 8%igen Geldmengenausweitung im Jahre 1977 ist meiner Meinung nach nur dann erreichbar, wenn die Bundesbank die Erhöhung der Geldmenge für den Rest des Jahres auf 5 % bis 6 % begrenzt. Wird dieser Kurs eingehalten, so treten bei der von mir vorhin geschilderten Kreditnachfragekonstellation - öffentliche Hand, Rentenversicherung, Bundesbahn und Privatwirtschaft - auf dem Kapitalmarkt Spannungen auf. Hieran wird deutlich, wie problematisch der erhöhte Zugriff des Bundes auf den Kapitalmarkt in diesem Jahr werden kann.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leicht, sind Sie sich im klaren darüber, daß eine Forderung, schon heute im März für den Rest des Jahres den Geldmengenzuwachs auf 5 % bis 6 % zu beschränken, durchaus kontraktive Wirkungen haben. könnte, und berücksichtigen Sie bei dieser Forderung die Frage der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, die man für den Rest des Jahres heute doch noch nicht endgültig vorhersagen kann?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur festgestellt, daß die Geldmengenausweitung eine Rolle spielt. Ich habe festgestellt, daß die Begrenzung auf 8 % von der Bundesbank nicht eingehalten worden ist, sondern daß die Ausweitung in den ersten beiden Monaten stärker war ({0}) und daß sich, wenn man über das ganze Jahr das Ziel von 8 % erreichen will, daraus die Prozentsätze ergeben, die ich Ihnen genannt habe. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Leicht, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß gerade die Erfahrungen aus dem Vorjahr wegen des zu schnellen Geldumlaufes im letzten Teil des Jahres uns dazu veranlassen müßten, bei der Festsetzung der Geldmenge vorsichtiger zu sein?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann diese Frage bejahen. Eine Begrenzung öffentlicher Ausgaben und eine Verbesserung der Haushaltsstruktur zugunsten öffentlicher Investitionen scheint mir auch deswegen besonders wichtig zu sein, weil der diesjährige Bundeshaushalt - das ist gestern in den Ausführungen des Bundesfinanzministers nicht ganz so deutlich geworden - erhebliche Risiken beinhaltet. Dazu habe ich einige Fragen, auf die wir gern eine Antwort hätten. Erstens. Haben Sie im Bundeshaushalt die rund sechsprozentigen Lohn- und Gehaltsverbesserungen im öffentlichen Dienst einschließlich Bundesbahn eingeplant? Zweitens. Sind Sie nach den Umfragen von Ifo und Commerzbank wirklich sicher, daß die Arbeitslosigkeit auf 850 000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt zurückgeht? Allein eine Nichterreichung Ihrer Zielgröße bei der Arbeitslosigkeit macht neue Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit erforderlich. Die latenten Risiken bei der Bundesbahn und den Europäischen Gemeinschaften sind ja hinlänglich bekannt, und Sie haben gestern in Ihrer Rede, Herr Finanzminister, die EG-Beiträge kritisch gewürdigt. Ich stimme Ihnen da weitgehend zu. Wer zu Europa ja sagt, der muß auch zu entsprechenden Zahlungsverpflichtungen ja sagen. Aber es muß in Zukunft stärker als bisher darauf geachtet werden, daß die der Europäischen Gemeinschaft von allen Mitgliedsstaaten zufließenden Mittel auch sachgerecht verausgabt und auch sachgerechter geschätzt werden. Im Haushalt 1976 wurden die Abführungen nach Brüssel um insgesamt 40 % höher veranschlagt, als später der Bedarf war. Auch hier sollte man auf mehr Sorgfalt drängen. Sie können hier auf unsere Mithilfe rechnen. ({0}) Die Schuldenwirtschaft, der Rückgang des Investitionsanteils und die rapide Strukturverschlechterung unseres Haushalts sind nur e i n Ausdruck der Tatsache, wie in unserem Staat seit Jahren von der Hand in den Mund gelebt worden ist und weiter gelebt wird. Hierzu gehört auch die leichtfertige, in jeder Phase konjunkturwidrige Personalpolitik seit der Regierungsübernahme durch SPD und FDP im Bund. Als die Arbeitsplätze knapp waren und eine Million zusätzliche ausländische Arbeitskräfte angeworben wurden, bewilligte sich der Staat immer neue Stellen und stellte immer weiter Personal ein. Damit wurde damals die Überbeschäftigung .verschärft. Erst als das Pendel umschlug und an die Stelle von Überbeschäftigung Arbeitslosigkeit trat, entdeckte auch der Staat die Kunst des Sparens. Jetzt auf einmal zeigte sich, daß man in Wirklichkeit so viele Beamte, Angestellte und Arbeiter, wie man immer behauptet hatte, gar nicht brauchte, und jetzt auf einmal wird das Personal vermindert und damit die Arbeitslosigkeit verstärkt. Sie, Herr Bundesfinanzminister, rühmen sich auch noch solch wirrsinniger und absolut konjunkturwidriger Beschäftigungspolitik. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Auch ich weiß, daß man den Personalhaushalt nicht antizyklisch steuern und etwa bei Arbeitslosigkeit zusätzliches Personal einstellen und es in der Hochkonjunktur wieder entlassen kann. Das will auch die Opposition nicht. Die weitere Aufblähung der Bürokratie ist für uns kein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({1}) Aber wir hätten es heute leichter - und darauf kommt es an -, wenn die Regierung nicht in der Vergangenheit so viel falsch gemacht hätte. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grobecker?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will jetzt meine Rede zu Ende halten. Ich habe schon viele Zwischenfragen zugelassen. Jetzt habe ich nur noch kurze Zeit. Die prozyklische Beschäftigungspolitik der Jahre nach 1969 rächt sich jetzt in doppelter Weise. Der Bund hat erstens kein Geld, um die öffentlichen Investitionen in hinreichender Weise ohne zusätzliche Kredite aufzustocken. Zweitens ist der Staat angesichts der Finanzenge gezwungen, gerade in der Zeit hoher Beschäftigungslosigkeit den Personalstand zu verringern und damit zur Arbeitslosigkeit beizutragen. Es ist klarzustellen: Dafür trägt diese Regierung die Verantwortung. Die Regierung verspricht jetzt, daß sich die Arbeitslosigkeit in Zukunft von Jahr zu Jahr trotzdem verringern wird. Aber der Finanzplan, der Spiegelbild der Ziele und Absichten der Regierung sein sollte, schweigt sich über die Wege und Probleme aus. Für die nächsten Jahre erhöht sich Jahr für Jahr das Angebot an deutschen Arbeitskräften, drängen Jahr für Jahr mindestens 50 000 BerufsanLeicht fänger mehr auf den Arbeitsmarkt, als vorhandene Beschäftigte wegen Erreichung der Altersgrenze oder aus ähnlichen Gründen aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden. Aber kein Wort wird darüber verloren, wie neben dem vorhandenen Millionenheer von Arbeitslosen auch diese zusätzlichen 50 000 jährlich in Arbeit und Brot gebracht werden sollen. Schon heute findet nach einer im „Spiegel" veröffentlichten Statistik, die ich selber nicht nachprüfen konnte, die Hälfte aller Akademiker gleich nach dem Examen keinen Arbeitsplatz. Jeder fünfte ist fast ein ganzes Jahr auf Stellungssuche. 12 % aller Hochschulabsolventen warten bis zu zwei Jahren auf die erste Anstellung. Die Berufsaussichten sind also in der Zukunft noch schlechter. Mit der Frage, welche Konsequenzen aus dieser absehbaren Entwicklung vom Staat gezogen werden müssen, setzt sich der vorgelegte Finanzplan aber nicht auseinander. Aus diesen und ähnlichen Gründen hat die Opposition die jetzt vorgelegte Haushalts- und Finanzplanung als Planung ohne Perspektive bezeichnet. Das ist keine gestaltende Planung der Zukunft, die in der Konfrontation zwischen Machbarem und Wünschenswerten Prioritäten setzt, sondern ist mehr und mehr Flickwerk; ein Loch wird aufgerissen, um ein anderes zu stopfen. Wenn Sie dann immer neue Steuer- und Beitragserhöhungen als letzten Ausweg einkalkulieren, verstärken Sie die Kosteninflation und tragen damit wieder zu mehr Arbeitslosigkeit bei. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Als wir schon vor Jahren vor der drohenden Gefahr einer Finanzkrise von Staat und Gesellschaft warnten, wurden ich und meine Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, verlacht und als Panikmacher verhöhnt. Heute dürfte in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden, auch Ihnen das Lachen vergangen sein. ({0}) Die CDU/CSU ist bereit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um der Krise Herr zu werden - nicht zur Erhaltung der SPD/FDP-Koalition als Dauererscheinung, sondern im Interesse unseres Gemeinwesens und unserer Bürger. Das ist auch die Rolle, ein Teil der Rolle der Opposition. Aber wir können nur dann helfen, wenn wir erstens gewiß sein können, daß nicht jede Oppsoitionsalternative verketzert und dazu benutzt wird, bei den jeweils Betroffenen Stimmung zu machen, ({1}) wenn zweitens der Herr Bundesfinanzminister bereit ist, die ständigen Manipulationen und Fehldarstellungen aufzugeben und nicht über die wahre Verantwortlichkeit hinwegzutäuschen, und wenn drittens die Bundesregierung zukünftig wirklichkeitsnahe Zahlen über die wirtschaftliche Entwicklung vorlegt. Der Jahreswirtschaftsbericht, auf dem Haushaltsund Finanzplan aufgebaut sind, ist nach den eigenen Aussagen des Bundeswirtschaftsministers überholt. Um der Regierung die Realisierung dieser Forderung zu erleichtern, hat die Opposition jetzt einen Antrag vorgelegt, mit dem die Korrektur der Wirtschaftsprognosen gefordert ist. Der Bundesfinanzminister hat seine gestrige Rede mit einem Zitat unseres verstorbenen Kollegen Erler beendet. Ich möchte diese Aussage Fritz Erlers -„Schlechtes kritisieren, Gutes unterstützen" - auf das Parlament in seiner Gesamtheit ausgedehnt wissen, ({2}) zumal nicht nur die Opposition, sondern auch die Koalitionsfraktionen über diesen Bundeshaushalt 1977 beschließen müssen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es tut mir leid, ich komme zum letzten Satz, Graf Lambsdorff. Daher gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß diesen Haushaltsplan einer kritischen Würdigung - Herr Kollege Hoppe, hier sind wir uns einig - seitens aller Fraktionen mit dem Ziel unterziehen, die öffentlichen Ausgaben in stärkerem Maße als bisher zu begrenzen und somit Wirtschaft und Bürgern zu mehr Spielraum und freier Entscheidungsmöglichkeit zu verhelfen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Haushaltsplan wird die Politik in der knappen Sprache der Zahlen wiedergegeben. Allgemein ist bekannt, daß es in der Politik ohne Kompromisse nicht geht. Das gilt in einem verstärkten Maße für die Haushaltspolitik, in einem verstärkten Maße deshalb, weil gerade in der Haushaltspolitik die verschiedenen Faktoren und Bestandteile von Kompromissen besonders zahlreich vorhanden sind. Da gibt es die Ansprüche der verschiedenen Gruppen in unserer Gesellschaft, die Aufgaben, die der Staat für seine Menschen erfüllen muß und die ständig mehr werden, die Verpflichtung - unser aller Verpflichtung -, die Lebensverhältnisse unserer Bürger zu sichern und einander anzugleichen, wo sie noch weit auseinander-liegen. Da gibt es die Erwartungen der Wirtschaft, und da gibt es die Signalwirkungen auf die Wirtschaft. Da muß von den Notwendigkeiten geredet werden, die sich aus unserer exponierten geographischen Lage ergeben. Da müssen unsere Verpflichtungen berücksichtigt werden, die wir als eine der größten Exportnationen weltweit zu erfüllen haben. Da stehen wir ständig in dem Spannungsverhältnis zwischen der Forderung nach mehr Sparsamkeit und unserem Engagement, dem Engagement des Staates im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Da muß das Erfordernis der finanzpolitischen Solidität er820 füllt werden. Das alles auf einen Nenner zu bringen, ist nicht ganz leicht. Der Bundesfinanzminister hat gestern einen Haushaltsplan vorgelegt, der, gemessen an unserer wirtschaftlichen und finanziellen Situation, ein ausgewogenes Zahlenwerk darstellt. ({0}) Der Haushaltsplanentwurf 1977 ist ein guter, sachgerechter Kompromiß. Das politisch Notwendige in unserer Zeit und das finanziell Mögliche sind auf einen Nenner gebracht worden. Dabei will ich insbesondere gegenüber dem Kollegen Leicht gern einräumen, daß es eine Reihe von sachlichen Gründen gibt, die dafür sprechen, an der einen oder anderen Stelle Veränderungen zu wünschen, da nicht alle Vorstellungen voll erfüllt sind. Aber, lieber Herr Kollege Leicht, das ist etwas völlig Normales. Ich kenne weder aus meiner eigenen Erfahrung noch aus der Literatur einen einzelnen Haushaltsplan, der sofort und voll alle Wünsche befriedigt und deshalb die ungeteilte Zustimmung gefunden hätte. Die geplagten Familienväter in diesem Hause wissen, daß selbst zu der privaten Haushaltswirtschaft, die sehr viel kleiner ist, nicht alle Mitglieder der Familie ihre Zustimmung geben. ({1}) - Darauf kommen wir noch, Herr Kollege Leicht. Hier macht dieser Haushalt selbstverständlich keine Ausnahme. Aber, nebenbei gesagt, ist es ja auch nicht die Methode von Haushaltspolitikern, einen Haushalt daran zu messen, ob alle Vorstellungen und Wünsche erfüllt sind. Ich hätte auch sagen können, es ist nicht die Methode von soliden Haushaltspolitikern. Aber ich habe mir das erspart, weil ich bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehe, daß der Umgang mit Zahlen eigentlich jeden solide machen soll. Ich darf mir vielleicht die etwas ironische Bemerkung erlauben, daß sich heute vormittag zwei bedeutende Haushaltspolitiker beider Fraktionen bei ihrer Redezeit schwer verkalkuliert haben. Dabei klappte es schon nicht so ganz mit dem Umgang mit Zahlen. ({2}) - Bei Ihnen hat es geklappt, Herr Kollege Leicht, ja. Es muß aber auch in diesem Zusammenhang einmal gesagt werden, daß nicht erfüllte Wünsche nicht immer unbedingt als Opfer dargestellt werden können. Leider ist diese Einstellung ziemlich weit verbreitet, und zwar häufig in erster Linie bei denen, die sich ansonsten hinstellen und andere auffordern, Opfer zu bringen. Die Opposition, insbesondere der Herr Kollege Leicht durch seine Veröffentlichungen vor dieser Haushaltsdebatte, will den Eindruck erwecken, als stehe dieser Haushalt auf dem brüchigen Fundament falscher wirtschaftlicher Grunddaten für dieses Jahr. Darüber wird ja in dieser Debatte wahrscheinlich noch eingehender zu reden sein. Mein Kollege Dr. Sperling wird sich dazu noch äußern. Der Vorwurf ist, nebenbei gesagt, nicht neu, Herr Leicht. Er war bisher immer falsch, und es spricht nichts dafür, daß er diesmal richtig ist. Das Vertrauen in den Haushaltsplan 1977 kann 'dadurch nicht erschüttert werden. Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition ({3}) - der Herr Wirtschaftsminister wird sich auch noch dazu äußern, nehme ich an -, habe ich manchmal das Empfinden, die Opposition verwechselt offensichtlich den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung mit den Volkswirtschaftsplänen staatlich gelenkter Wirtschaftssysteme. Dann allerdings müßten wir sofort revidieren. Aber in unserem Wirtschaftssystem sind genügend ausgleichende Kräfte vorhanden, es ist anpassungsfähig genug, als daß wir nun gebannt auf die Angaben hinter dem Kormma starren müßten. Ich hätte beinahe in Abwandlung eines Wortes eines sächsischen Königs gesagt: Sie sind mir schöne Liberale in der Wirtschaftspolitik. Mit dein Haushalt ist auch der Finanzplan bis 1980 vorgelegt worden. Damit wird die finanzpolitische Linie in dieser Legislaturperiode vorgezeichnet, aber nicht festgeklopft. Zwei Feststellungen kann man zu diesem Finanzplan machen, und sie sind auch besonders hervorzuheben. Erste Feststellung: Die Nettokreditaufnahme wird heruntergefahren. So wie geplant wird das durchgeführt. Zweitens: Die Investitionsausgaben werden höher angesetzt als im vorigen Finanzplan. Mit anderen Worten, bei von Jahr zu Jahr weniger Schulden werden mehr Sachwerte für die Gesellschaft hingestellt, als das bisher vorgesehen ist. Das geschieht unter nicht ganz leichten Bedingungen. Um so höher ist dieser finanzpolitische Kurs zu bewerten. Herr Kollege Leicht meinte nun, daß ein Trick darin verborgen sei, daß die Nettokreditaufnahme nicht unter der Investitionsquote liegen würde. Nun, Herr Kollege Leicht, wie das mit den Pophezeiungen und Prognosen der Opposition zu haushaltspolitischen Problemen aussieht, das wäre ein Kapitel, das man einmal sehr gründlich erörtern könnte. Ich glaube, daß die Prognosefähigkeit der Opposition dabei nicht allzu gut wegkäme. ({4}) - Ich komme auf Sie auch noch, Herr Kohl. Meine Damen und Herren, Finanzminister sind ja nicht darauf aus, bei Freund oder Gegner Dank zu ernten. Sie bekommen ihn ja auch meistens nicht. Sie sind auch meistens von der gesamten Statur her gar nicht dazu geeignet, daß man ihnen einen Dank ausspricht. Ich bin aber doch bei diesem Haushaltsplan versucht, unserem Finanzminister wenigstens ein leises Dankeschön ins Ohr zu flüstern. ({5}) Meine Damen und Herren, ich habe mir heute früh die Reden der Oppositionsredner angehört und habe mir bei der Rede des Kollegen Althammer die Frage gestellt, welches Datum er eigentlich schreibt. Argumente und Stil ließen darauf schließen, daß er sich noch im September 1976 befindet, nämlich auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes. Kollege Althammer, wir haben jetzt aber März 1977, und da sollte Polemik möglichst klein und Sachlichkeit groß geschrieben werden. Das sind wir auch unserem Volke schuldig, Herr Kollege Althammer, ({6}) dessen Interessen wir hier zu vertreten haben. Ich will auf die Rede des Kollegen Leicht nicht näher eingehen, schon um nicht den unangenehmen und fatalen Eindruck zu erwecken, als ob ich Dinge unterschiedlich beurteile und Keile in die Opposition treiben will. Ich nehme an, daß ich auf die Rede des Kollegen Leicht noch nachher eingehen kann. Bei Ihnen aber, Herr Kollege Althammer, drängt sich doch die Vermutung auf, daß die Opposition, was die Finanzpolitik angeht - und Sie waren ja schließlich der erste Sprecher der Opposition -, beim Stil des Wahlkampfes bleiben will. ({7}) - Ja, ich will jetzt einmal etwas zum Stil sagen. Wie sah dieser Stil im Wahlkampf aus? ({8}) Wenn der erste Mann von der Union, Herr Dr. Kohl, gefragt wurde, welche finanzpolitische Linie er denn als Kanzler vorzeichnen wolle, dann sagte er, zunächst müsse einmal Kassensturz gemacht werden. Der selbsternannte Finanzministerkandidat, Herr Dr. Strauß, drückte das gleiche quasi etwas wissenschaftlicher und sachkompetenter aus, indem er von einer Bilanz sprach, von Bilanzanalyse und von Bilanzkonsequenzen. Eigentlich gibt es zwischen beiden Äußerungen keinen Unterschied. Herr Dr. Strauß mußte natürlich dem Kanzlerkandidat und der deutschen Offentlichkeit beweisen, daß er es besser kann als die Nr. 1 der Union. Beiden Äußerungen ist aber eines gemeinsam, nämlich die fahrlässige leichtfertige Unterstellung hinsichtlich des Zustandes der Staatsfinanzen und des staatlichen Finanzwesens, um Unsicherheit draußen zu verbreiten. Ich will jetzt nicht weiter auf das eingehen, was Herr Dr. Kohl gesagt hat. Nach seinen eigenen Bekundungen ist er ein politischer Generalist, und da würde ich sagen, da schaut man nicht so genau hin. Das sieht bei Herrn Dr. Strauß aber anders aus. Der war Finanzminister und wollte es auch wieder werden. Er kann uns doch nicht weismachen, daß er die notwendigen Angaben für eine Bilanz nicht aus dem meterhohen Stapel von Material, das uns jährlich über die Staatsfinanzen zur Verfügung gestellt wird, herausfinden konnte, ({9}) es sei denn, er stellt seine eigene Qualifikation als möglicher Finanzminister in Abrede. ({10}) Nein, die Begriffe Kassensturz und Bilanz wurden von Ihnen immer wie Schwerter gehandhabt, ({11}) und man hat sich allen Ernstes gefragt, liebe Frau Kollegin Berger: Wen wollen Sie eigentlich damit hauen? Herr Althammer sprach wieder von den zerrütteten Staatsfinanzen, aber den Ansatz zu einer Bilanz hat er nicht gemacht. Herr Kollege Leicht hingegen hat eine ganze Reihe von kritischen Fragen gestellt, er hat eine Reihe von Punkten aufgeführt, die vielleicht zu einer Bilanz gehören. Aber zur Bilanz, Herr Kollege Leicht, sind auch Sie nicht gekommen. ({12}) Aber da ich weiß, daß Sie, Herr Kollege Leicht, ein sehr versierter Haushaltspolitiker sind, habe ich fast das Empfinden, daß Sie aus gutem Grunde nicht zu der Bilanz kommen wollten: weil diese Bilanz nämlich gar nicht so schlecht aussieht. ({13}) Bekanntlich ist eine Bilanz die kontenmäßige Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva. Es ist ein Verdienst des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, uns in einer Ausarbeitung, die vor einigen Wochen veröffentlicht worden ist, sehr gute und deutliche Hinweise für solch eine Bilanz gegeben zu haben. ({14}) Danach sieht es so aus: Unser Staat, Gebietskörperschaften und Sozialversicherung zusammen, hat Außenstände, Forderungen, in Höhe von insgesamt 272 Milliarden DM. Dem stehen die Verpflichtungen gegenüber, die sich auf 259 Milliarden DM belaufen. Das ergibt - Kollegin Berger, Sie rechnen sicherlich mit - einen Aktivsaldo von 13 Milliarden DM.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Löffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Althammer?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Löffler, würden Sie uns auch noch verraten, wie Sie diesen Aktivsaldo jetzt so schnell wie möglich in Geld ummünzen können, um Ihr Haushaltsdefizit zu dekken.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf diesen Punkt wollte ich gerade kommen, Herr Kollege Althammer. Sie werden es gleich hören. Jetzt kommen nämlich die Fragen, die für die Haushaltspolitik und auch für den Staatshaushalt insgesamt von großer Bedeutung sind: Von den 272 Milliarden DM Außenständen erhalten wir jährlich etwa 8,3 Milliarden DM Zinsen. Das entspricht einer Verzinsung von 3 %. Für unsere Verpflichtungen, für die Forderungen, die andere uns gegenüber haben und die etwas niedriger sind, zahlen wir jährlich 13,9 Milliarden DM Zinsen, also rund 6 %. Rechne ich die Zinseinnahmen der Sozialversicherung heraus, bleiben wir auf Zinseinnahmen von 2,7 Milliarden DM hängen. Das entspricht einer Kapitalverzinsung von ca. 1,3 %. Nun will ich Ihnen einmal sagen, wie das im Einzelfall aussieht; das können Sie im Haushaltsplan nachlesen. Im Einzelplan 10, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Kap. 10 02, sind die Zinseinnahmen ausgewiesen. Wenn Sie das saldieren, kommen Sie auf eine Summe von 26 334 000 DM. ({0}) - Ach halten Sie sich doch zurück, Mensch! ({1}) Die Forderungen aus diesem Kapitel belaufen sich aber auf 2,7 Milliarden DM. In diesem Bereich, wo der Staat besonders geholfen hat, Herr Kollege Schmitz, haben wir also eine Verzinsung von nicht einmal 1 %. Würde aber der Staat den gleichen Zinssatz fordern, den er selber zahlen muß, würden wir ca. 8 Milliarden DM Zinseinnahmen mehr haben und stünden natürlich auch finanziell anders da. Das ist eine klare Bilanz, Herr Kollege Leicht.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Löffler SPD): Bitte, Herr Kollege Leicht.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Löffler, Sie müßten, damit keine falschen Eindrücke entstehen - nicht nur bei den Kollegen hier, sondern insbesondere bei den Bürgern, die uns zuhören -, schon etwas darüber sagen, wie sich die Forderungen in Höhe von 272 Milliarden DM zusammensetzen.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Leicht, ich habe eigentlich nicht die Absicht gehabt, das heute zu tun. Vielleicht muß man das bei anderer Gelegenheit nachholen. Ich sage aber etwas darüber, keine Sorge! Ich wollte nämlich gerade loslegen und sagen: Muß ich erst aufzählen, wohin das Geld geflossen ist? In Agrarstruktur, Wirtschaftsstruktur, Wohnungsbau, Verkehrsbauten, in allgemeine Infrastruktur und in andere wesentliche Bereiche unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft! Mit anderen Worten, Herr Kollege Leicht: Diese Mittel, die der Staat mit einem niedrigen Zins zur Verfügung stellt, sind entscheidende wirtschaftliche und soziale Stützpfeiler unserer Gesellschaft. ({0}) Diese Mittel helfen, das Leben aller Bürger unseres Landes angenehmer und sicherer zu gestalten, helfen, Arbeitsplätze zu sichern oder neue zu schaffen, helfen, zurückgebliebene Strukturen anzupassen. Man kann doch von seiten der Opposition nicht so tun, als ob dieses Geld zum Fenster hinausgeworfen würde. ({1}) Der Staat kann nicht wie ein Geldverleihinstitut nach bankkaufmännischen Gesichtspunkten handeln, sondern er muß nach politischen Notwendigkeiten handeln, um die Lebensverhältnisse der Menschen zu sichern. ({2}) - Und wer mit offenen Augen durch Europa fährt, Herr Kollege Schmitz, der erkennt doch, welche mustergültigen Leistungen wir im Auf- und Ausbau unseres Landes vollbracht haben, Leistungen, an denen Sie doch beteiligt sind. ({3}) Sie müssen sich doch jetzt nicht finanzpolitisch davon distanzieren wollen. Aber die Opposition will das nicht sehen. Die Opposition fordert mehr Sparsamkeit. Der Finanzminister hat gestern einiges zum Problem der Sparsamkeit gesagt. Er hat aufgefordert, in dieser allgemeinen Form nicht mehr über Sparsamkeit zu reden, da das wenig Sinn hat. Deshalb will ich auch nur ganz wenige Bemerkungen dazu machen. ({4}) - Lieber Herr Schröder, nun sagen Sie doch gleich, Sozialisten können nicht mit Geld umgehen. Hauen Sie doch die ganze Masche ab. ({5}) Das ist doch Ihr Stil, Herr Kollege Schröder, das ist doch haargenau Ihr Stil der Sachlichkeit, zu der Herr Leicht soeben aufgerufen hat. Es gibt ein sehr interessantes Wort über die Sparsamkeit. Es stammt vom Theodor Fontane. Fontane hat einmal gesagt: „Eine richtige Sparsamkeit vergißt nie, daß nicht immer gespart werden kann. Wer immer sparen will, der ist verloren." Fast habe ich das Empfinden, als ob Theodor Fontane die Krise unseres Staates und unserer Gesellschaft Anfang der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts vorweggenommen habe. Jedenfalls steht fest, wir haben es in unserer leidvollen Geschichte schon einmal erlebt, daß eine freiheitliche Gesellschaft mit zugrunde gespart worden ist. Unsere Arbeitslosen beurteilen uns doch z. B. danach, welch einen Beitrag die Regierung, das Parlament leistet, um sie wieder in gesicherte Arbeit zu bringen. Dazu ist eine verantwortungsvolle Schuldaufnahme unerläßlich.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Haase?

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Löffler, ich entnehme Ihrer Bemerkung von vorLöffler hin, wir hätten uns schon einmal zu Tode gespart, daß Sie auf die Brüningschen Notverordnungen abzielen. Ich möchte doch, um diese ein für allemal hier aus der Diskussion herauszubringen, daran erinnern, daß diese Brüningschen Notverordnungen

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, Sie dürfen nicht erinnern. Sie müssen fragen.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie fragen, - Löffler ({0}): Ja, Sie dürfen fragen, Herr Kollege Haase.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich fragen, ob Sie sich daran erinnern, daß diese Notverordnungen, die sicher als problematisch zu beurteilen sind, damals auch von Ihrer Partei, zumindest partiell, mitgetragen worden sind - um das ein für allemal festzustellen.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Haase, wenn Sie nun glauben, daß ich in der Auseinandersetzung mit der heutigen Opposition auf die Brüningschen Notverordnungen zurückgreifen muß, dann irren Sie sich. Sie bieten so viel Material, daß wir das in der Auseinandersetzung mit Ihnen gar nicht alles verwenden können. ({0}) Aber bei dem Beitrag, den der Staat zu leisten hat, sind wir uns natürlich bewußt - da stimme ich mit dem Kollegen Leicht überein -, daß wir nur einen Beitrag leisten können, der etwa die gleiche Funktion hat, die ein Anlasser beim Automobil haben kann. Wir können nur so wie der Anlasser versuchen, Kräfte in der Wirtschaft freizusetzen, die sich nachher aus sich heraus entwickeln und die eine lange Strecke Fahrt gewährleisten. ({1}) - Das tut mir allerdings von Herzen leid, liebe Frau Kollegin Berger. Das wird mich zu einem Tränenausbruch reizen. Der Finanzminister hat gestern in seiner Rede durch Zahlen belegt, welche Wirkungen die bisherigen Programme der Regierung hatten. Ich bitte, das nachzulesen. Und, Herr Kollege Leicht, wenn Sie sagen, die 700 000 sind nicht genug, so stimmen wir da miteinander überein. Aber dann sollten Sie der Regierung auch auf dem jetzigen Wege folgen. Aber lassen Sie mich mal den Begriff der Sparsamkeit unter mehr mathematischen Gesichtspunkten betrachten. Ein bekannter wissenschaftstheoretischer Lehrsatz lautet: Das Ganze ist die Summe seiner Teile. Die Mütter und Väter im Saal, die schulpflichtige Kinder haben, die jetzt Mengenlehre in der Schule haben, mußten sich mit diesem Satz schon abplagen. Das Ganze ist die gesamte Ausgabenfinanzmasse des Haushaltes. Die Teile sind seine Einzelpläne und die Einzelmaßnahmen, die finanziell in diesen Einzelplänen festgelegt sind. Wer jetzt das Ganze vermindern will, Herr Kollege Leicht, durch so eine kräftige globale Minderausgabe, wie Sie sie vorschlagen, der kommt wohl nicht darum herum, auch zwangsläufig zu sagen, wie nun die Teile - sprich: Einzelmaßnahmen - sich verringern sollen. Wer - auch solche Kollegen gibt's ja in Ihrer Fraktion, ich denke da z. B. an die agrarpolitisch interessierten Kollegen in der Fraktion, von denen man noch nie einen Kürzungsvorschlag gehört hat - etwas bei den Teilen zulegen will, der muß sich auch dazu äußern, wie er dann das Ganze erhöhen will. Ich habe manchmal das Empfinden, die Finanzpolitik der CDU/CSU-Fraktion rüttelt verzweifelt an den Grundfesten dieses Lehrsatzes. Ich sage, sie rüttelt vergebens. Herodot sagt: Kein Zwang geht über die Unmöglichkeit. Auch nicht der manische Zwang der Opposition, bei jeder Gelegenheit der Regierung etwas am Zeuge flicken zu wollen, auch wenn es gar nicht geboten und nötig erscheint. ({2}) Ich habe hier einmal aufgelistet - das ist auch ein ganz schönes Paket - die finanzpolitischen Forderungen der Opposition oder einzelner Oppositionssprecher aus der vorigen Legislaturperiode. Da werden einmal Einnahmeminderungen gefordert und mal Ausgabenerhöhungen, zum Teil in zweistelliger Milliardenhöhe. Aber stets fehlte der zweite Teil, nämlich a) wie eine Verringerung des Ganzen sich auf die Teile auswirken soll, und b) wie eine Vermehrung bei den Teilen durch eine entsprechende Erhöhung beim Ganzen nun zu geschehen hat. Dieser Teil fehlte immer, und der fehlt auch bei Ihnen wieder, Herr Kollege Leicht. Das sagen Sie: „Das, lieber Finanzminister, hast du zu machen." Herr Kollege Leicht hat angekündigt, daß er 5 bis 6 Milliarden DM einsparen will. Herr Kollege Leicht, ich bin sehr gespannt auf die Beratungen im Haushaltsausschuß. Natürlich haben wir uns über Fragen der Personalwirtschaft zu unterhalten. Sie wissen genausogut wie ich, daß wir dabei auch sehr kritisch dran sind. Nur, Herr Kollege Leicht, wenn Sie vorhin sagten, jetzt streiche der Bund Stellen, und das sei doch antizyklisch, dann frage ich mich: Wie wollen Sie das eigentlich vertreten im Hinblick darauf, daß Sie im vorigen Jahr die Streichung von 4 000 Stellen haben wollten? ({3}) Lassen Sie mich jetzt auch mal ein. kritisches Wort sagen; da hat - nebenbei gesagt - das ganze Haus Gelegenheit zu buhen. Hier spreche ich jetzt einmal als alter Beamter. Ich will Ihnen mal das eine sagen: Auch wir im Parlament sollten einmal darauf achten, daß wir mit Anfragen, Forderungen und Arbeitsaufträgen an die Regierung den Personalstand nicht unnütz in die Höhe heben. Wir fragen mitunter Dinge, deren Beantwortung mehrere Tage mehrere Beamte beschäftigen muß. Das muß auch nicht immer sein. Vielleicht setzt man sich mal mit der Regierung in Verbindung und fragt: Wie lange dauert das eigentlich? Wenn ich jetzt mal Ihre Finanzpolitik insgesamt ins Populäre umsetzen soll, dann könnte ich folgendes Bild wählen. Da gibt es einen Ehemann, der fordert von seiner Frau: „Statt Hackfleisch will ich jetzt stets Steaks essen, und statt gewöhnlicher Oberhemden möchte ich nur noch Seidenhemden tragen." Wenn die Frau fragt: „Wie soll ich das finanzieren?", sagt er: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, du kriegst von mir jeden Monat 100 DM weniger Kostgeld." ({4}) Das, meine verehrten Damen und Herren, kann keine Alternative sein, ist nicht einmal der Ansatz einer Alternative. Der Finanzminister hat gestern gefordert, daß die Opposition sich bemühen soll, was die Finanzpolitik angeht, debattefähig zu werden. Ich schließe mich dem an. Ich möchte jetzt gar nicht noch darauf eingehen, welche widersprüchlichen Aussagen im einzelnen von Sprechern der Opposition zur Finanzpolitik in den letzten Tagen und Wochen gemacht worden sind. Ich fasse zusammen. Erstens. Der Haushaltsplan 1977 ist unter den gegebenen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen ein solides Finanzwerk. ({5}) - Ich freue mich, Herr Kollege Wohlrabe, daß Sie dem zustimmen. Ich werde das in Berlin zu verkünden wissen, daß Sie finanzpolitisch auf unserer Linie liegen. Zweitens. Dieser Haushaltsplan verdient unser Vertrauen, weil das finanziell Mögliche und das politisch Notwendige auf einen Nenner gebracht worden sind. Drittens. Die Opposition verfügt noch immer nicht über eine verhandlungsfähige Alternative, ({6}) sondern sie bietet im wesentlichen ein Sammelsurium von finanzpolitischen Maßnahmen an, die sich teilweise widersprechen. ({7}) Viertens. Wer das Gespenst des Staatsbankrotts an die Wand malt, verkennt die tatsächliche Lage einer allgemeinen Staatsbilanz, die immer noch einen Aktivsaldo aufweist, womit der Beweis erbracht wird, daß die Finanzpolitik, die Haushaltspolitik der Regierung auf einer soliden Grundlage steht. .({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner.

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zwei Vorbemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Althammer. Ich würde ihm raten, daß er die Bemerkungen, die er heute morgen im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsarbeit hier gemacht hat, möglichst rasch nach Bayern schickt, damit einer der Kollegen aus der CSU-Fraktion dies im Bayerischen Landtag bei den Beratungen des Haushalts dort vortragen kann. Weiter möchte ich noch eine Vorbemerkung zu dem hier gefallenen Wort vom Roßtäuschertrick im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhöhung, dem Steuererleichterungspaket, machen. Dies scheint dann wohl auch für die grundsätzliche Zustimmung des saarländischen Ministerpräsidenten zu diesem Paket wie auch für den niedersächsischen Finanzminister Kiep zu gelten, der diesem - im Grundsatz jedenfalls - ebenfalls zugestimmt hat. Die Debatte über den Haushaltsplanentwurf - so ist das jedenfalls in vielen Büchern, die Politik zum Gegenstand haben, nachzulesen -, soll immer die Sternstunde der parlamentarischen Opposition und auch so etwas wie eine Generalabrechnung mit der Regierung sein. Aber das scheint wohl nur dann stattzufinden, wenn der General da ist. Wenn der General nicht da ist, wird auch nicht richtig abgerechnet. ({0}) Niemand, meine Damen und Herren, bestreitet, daß in diesem Land insgesamt wie auch in den Bundesländern, die christdemokratisch geführt werden, noch Verbesserungen möglich, ja notwendig sind. Aber dies alles ist ja nicht so einfach. So ist z. B. die Arbeitslosenquote auch in den Bundesländern hoch, die christdemokratisch geführt werden. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, reden immer vom fehlenden Vertrauen der Wirtschaft, von klimatischen Verwerfungen - und an alle dem sind die Sozialliberalen schuld - ob in Bayern, in Rheinland-Pfalz oder in Schleswig-Holstein. Ich frage mich nur, wofür denn die konservativ geführten Landesregierungen eigentlich zuständig sind, wenn sie für all das, was schlecht ist, nicht zuständig sind. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber gern, Herr Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wollen Sie bestreiten, daß für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Bundesrepublik, also die Bundesregierung, zuständig ist?

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Althammer, auf diese wirtschaftlichen Rahmendaten werde ich noch zurückkommen, insbesondere auch wegen der unterschiedlichen Betrachtungsweise dieser wirtschaftlichen Rahmendaten - auch im internationalen Bezugsrahmen - von Ihnen und von Herrn Leicht. - Die wenigen Glanzlichter in den landespolitischen Erfolgsskalen stecken sich allerdings diese Nord-und Südlichter, wie das ja in Ihrer Parteiumgangssprache heißt, selbst auf, während alles Schlechte, wie gesagt, von Bonn kommt. Das ist für Sie offensichtlich alles sehr einfach. Sie lehnen hier zwar Jahr für Jahr den Bundeshaushalt und Sonderprogramme, wie etwa das soeben diskutierte, ab, um aber dann, wenn es um bestimmte Projekte und Beteiligungen geht, möglichst kräftig zuzulangen. Das hat ja heute morgen auch schon eine Rolle gespielt. Ich fand es bezeichnend, daß der. Kollege Althammer in diesem Zusammenhang im Grunde vom Verprassen von Steuergeldern gesprochen und Herr Kollege Leicht entdeckt hat, daß das, wenn man das richtig mache, eine vernünftige Sache gebe. Ein weiteres: Sie haben heute morgen das Windhundverfahren angegriffen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß das Windhundverfahren bei den Investitionsprogrammen notwendig war. Wenn man damals Investitionsprogramme als Konjunkturprogramme verstand - und so war das ja -, dann. mußte, um möglichst schnell einen Effekt zu erzielen, dieses Verfahren gewählt werden. ({0}) Daß wir damit insgesamt nicht zufrieden sind und daß es da auch zu Fehlern kommen kann, ist eine ganz andere Sache. Aber wer mit Konjunkturprogrammen etwas Anständiges machen will, muß es möglichst schnell machen. ({1}) Aber, wie gesagt, wir werden in diesem Bereich ja noch erleben - nämlich wenn wir das Programm für Zukunftsinvestitionen während der Haushaltsberatungen bekommen -, daß die Projektlisten insgesamt von Bayern bis Schleswig-Holstein reichen. Dort, wo christdemokratische Ministerpräsidenten regieren, sind wahrscheinlich die größten Ansätze vorgesehen, weil dort auch in aller Regel die größten Problemgebiete liegen. ({2}) - Herr Waigel, nun machen Sie mal langsam, es kommt nämlich noch etwas. Dann können Sie klatschen. Aber vielleicht erinnern Sie sich einmal an Franz Josef Strauß - auch wenn er heute in viel schöneren Gegenden ist -, der 1972, fast auf den Tag genau vor fünf Jahren, unter dem Eindruck einer Haushaltsdebatte, die hier stattgefunden hat - ich weiß nicht, ob es in derselben Besetzung war, aber immerhin hat sie hier stattgefunden -, im RheinRuhr-Club sinngemäß gesagt hat, daß man auf dem Weg in die Stagflation sei, wenn die Bereitschaft der öffentlichen Hand erlahme, immer wieder zum Ausgleich für die privatwirtschaftliche Übernachfrage auf öffentliche Vorhaben, deren Vordringlichkeit niemand bestreite, zu verzichten. Sie werden sich vielleicht daran halten; ich weiß es nicht. Aber wenn Sie sich daran halten, werden Sie auf jeden Fall gleichzeitig beklagen, daß die Verschuldung durch staatliche Investitionsprogramme ins Unermeßliche steigt. Sie beklagen im übrigen auch eine steigende Staatsquote, die Sie mit verursachen, nämlich durch die breite Zustimmung zu fast allen Geldleistungsgesetzen, ob hier als Opposition oder dort, wo Sie in den Ländern die Regierung stellen. Wenn Herr Kollege Althammer davon spricht, daß man auf der Aufgabenseite eine Entziehungskur machen solle ({3}) - auf der Ausgabenseite, Entschuldigung; Aufgabenseite ist im übrigen nicht völlig falsch; denn man kann es auch so verstehen, daß Landespolitik eine Aufgabe ist, an der man natürlich gelegentlich etwas streichen oder zu der man etwas hinzutun kann -, dann frage ich mich immer, wo diese Entziehungskur bei den christdemokratisch geführten Ländern stattfindet, wann Sie damit anfangen. Dort wird nämlich in diesem Bereich im Grunde nie gestrichen, sondern man muß sagen, daß da fast immer noch zugelangt wird. Wenn ich beispielsweise Podiumsdiskussionen mit christdemokratischen Kollegen führe, ist das immer eine prima Sache. Wenn es um die Bundespolitik geht, wo sie keine Zuständigkeit haben, sind diese Kollegen immer die ersten, die finanziellen Forderungen, die von den Zuhörern gestellt werden, zustimmen. Warum auch nicht? Sie brauchen sie ja nicht mitzutragen, sie tragen sie dann ja auch in aller Regel nicht mit. Insofern sind sie relativ ehrlich, hätte ich beinahe gesagt. Auf jeden Fall ist das ganz seltsam. Vielleicht bitten Sie einmal Ihre Kollegen, wenn sie in die Länder hinausgeschickt werden, dort ein bißchen ehrlicher zu argumentieren. Unter Umständen wird in Bayern aber im nächsten Jahr einiges besser. Wenn ich es richtig verstanden habe, soll dort ja der rechte Mann zum Ministerpräsidenten gemacht werden. Diesen Ministerpräsidenten möchte ich dann einmal sehen, wenn er den nächsten Haushalt vertreten muß, der ja auch mit einer nicht gerade geringen Verschuldungsrate gesegnet ist. Darauf darf man ja wohl gespannt sein. Sie können nicht immer alles und jedes der Bundesregierung in die Schuhe schieben. Der Haushaltsentwurf 1977 der Bundesregierung ist, wie ich finde, ein vernünftiges Mittel zur weiteren Konsolidierung und wird auch den anstehenden Problemen gerecht. Er zeigt darüber hinaus den Weg für eine vernünftige Weiterentwicklung in unserem Lande auf. Sie haben im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition - damit komme ich noch einmal auf eine Zwischenbemerkung zurück -, meines Erachtens ein etwas zu einfaches Weltbild. Ich will Sie, Herr Kollege Leicht, jetzt ausnehmen, weil Sie heute morgen dafür genau das Gegenteil geliefert haben, aber bisher ein einsamer Rufer in Ihrer Wüste sind. Sie ignorieren nämlich hartnäckig die weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten, die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge. Sie ignorieren auch veränderte internationale Rahmenbedingungen für die Bundesrepublik Deutschland, weil Sie, wenn Sie das alles zugäben, alle Ihre kritischen Angriffe in diesem Hause eigentlich einstellen müßten. Die Rohstoffabhängigkeit z. B. ist doch keine Erfindung dieser sozialliberalen Koalition. Das ist z. B. etwas, mit dem wir immer leben müssen. Gerade wegen dieser Abhängigkeiten ist allerdings eine aktive internationale Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland notwendig. Der Entwurf 1977 bietet dafür meines Erachtens eine vernünftige Grundlage. Diese Grundlage wird man ausbauen müssen; denn gerade Maßnahmen in diesem erwähnten Bereich sind zugleich Grundlagen für eine langfristige Exportsicherungspolitik. Ich will jetzt keine einzelnen Bereiche besonders hervorheben, nur zu drei Bereichen noch kurz Stellung nehmen. Ein Bereich hängt mit dem gerade erwähnten Problem zusammen, nämlich die Steigerung des Bürgschaftsrahmens. Wir haben uns damit in einer Sitzung des Haushaltsausschusses schon in ersten Ansätzen beschäftigt. Die Vertreter der Opposition haben das sehr kritisch getan. Ich hatte allerdings den Eindruck, daß man den Blick für die Wirklichkeit ein bißchen verstellt hatte; denn in der Diskussion wurde zu sehr übersehen, was dieser Bürgschaftsrahmen eigentlich sichert. Er sichert nämlich Arbeitsplätze in unserem Lande. Vor allem eines wird sowohl draußen als auch offensichtlich in der damaligen Debatte übersehen, nämlich daß mit diesem Bürgschaftsrahmen auch und gerade im mittelständischen Bereich Arbeitsplätze abgesichert werden. ({4}) Die kritischen Anmerkungen, die damals gekommen sind - auch von Ihnen, Herr Schröder -, stammen zum Teil auch von denen, die bereits im Rahmen des Bürgschaftsrahmens vergangener und vorvergangener Jahre ihren Exportbereich gesichert haben. Sie sagen aber, das sei alles zuviel. Diesen Punkt muß man mitbetrachten, wenn man in diesem Zusammenhang kritische Stimmen wie z. B. die von Herrn Wolff von Amerongen zitiert. Streitig kann meines Erachtens vernünftigerweise nicht das Instrument sein; diskutieren kann man über die Risiken in den verschiedenen Ländern, für welche die Projekte verbürgt werden. Dabei darf man aber auch nicht gleich blind werden. Sie haben in der damaligen Debatte die Ostgeschäfte sehr, sehr kritisch beurteilt, obwohl gerade in diesem Bereich z. B. bezüglich der Zahlungspünktlichkeit keine Kritik geübt werden kann. Sie haben die Geschäfte insgesamt als riskant betrachtet; aber bei einem Staat wie beispielsweise Südafrika haben Sie wohl keine Bedenken, wenn es darum geht, dessen langfristige Zahlungsfähigkeit anzunehmen. ({5}) Diskutieren sollte man wirklich die Frage, wie bei der Ausfüllung des Bürgschaftsrahmens die Beteiligung des Parlaments gesichert und verstärkt werden kann. Nach dem, was Sie heute morgen vorgetragen haben, wird im Auschuß, so meine ich, sowohl genügend Gelegenheit als auch genügend Zeit dazu sein. Personalkosten sind ja immer diejenigen Kosten, die die jeweilige Opposition gern aufs Korn nimmt. Nur: In den christdemokratisch geführten Bundesländern hat die jeweilige Opposition es wirklich leichter; dort sind die Personalkosten tatsächlich in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen, und sie sind wirklich zu hoch. Wenn es darum geht, auszurechnen, wie hoch der Anteil der Personalkosten an den öffentlichen Haushalten in den einzelnen Bundesländern ist, kommt man zu dem Ergebnis, daß Baden-Württemberg und Bayern an der Spitze stehen. Die Bundesregierung hat von sich aus einen ersten und weiteren eigenen Schritt zur weiteren Eindämmung der Personalkosten getan. Ich bin allerdings sicher, daß man in diesem Bereich noch etwas tun kann, insbesondere in dem Bereich, in dem der Haushaltsausschuß in den letzten Jahren bei den Stellen bestimmte Qualifikationsvermerke angebracht hat. Noch wichtiger aber erscheint mir - darauf ist der Kollege Westphal eingegangen, und das haben auch Sie, Herr Leicht, angesprochen -, daß wir bei der Umsetzung von politischen Programmen in Gesetze und Verordnungen die Personalfolgekosten stärker in den Griff bekommen sollten. ({6}) Eine Möglichkeit besteht darin, bei den vorgesehenen Maßnahmen die entstehenden Personalkosten bei Bund, Ländern und Gemeinden anzugeben. Gesetze, die auf dem Deckblatt ausweisen, daß keine Kosten entstehen, sollte man sehr kritisch prüfen; denn die auf dem Deckblatt nicht ausgewiesenen Kosten schlagen meistens bei den Ländern und Gemeinden durch. Das ist völlig klar. ({7}) - Herr Kollege Althammer, wenn Sie jetzt schon lachen, müssen Sie sich einmal ansehen, wie der Personalkostenanteil beispielsweise in den vergleichbaren Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg aussieht: Nordrhein-Westfalen 38 %, Baden-Württemberg über 43 %. Dies ist so, obwohl beide Länder nach demselben System „bedient" werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer? - Bitte.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wären Sie vielleicht so freundlich, sich zu erkundigen, wie z. B. die Hochschulkapazitäten in diesen Ländern aussehen? Da liegt nämlich mit eine Antwort auf diese Frage.

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, neben dem, was Sie hier so täglich in Bonn machen, sollten Sie sich auch einmal den Landeshaushalt von Nordrhein-Westfalen und die Anstrengung ansehen, welche die sozialliberale Koalition gerade auf dem Gebiet des Hochschulsektors gemacht hat. Sie haben sich leider das falsche Pferd ausgesucht! ({0}) Manch einer wird allerdings bei der Diskussion um die Personalkosten einwenden, daß man diese bei Bund und Ländern nicht so richtig ausrechnen könne. Aber ich erinnere mich sehr genau daran, wie z. B. bei der Kindergeldreform die Länder ohne Rücksicht darauf, wer dort regierte, genau ausrechnen konnten, welche Belastungen personalmäßig Auf die Länder zukämen. So ist denn auch anschließend die Sache auf die Arbeitsämter abgeschoben worden. Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Punkt herausgreifen, nämlich die Förderung des Mittelstands im Rahmen des Haushaltsplans und die dazugehörigen sonstigen Maßnahmen. Es wundert mich eigentlich, daß dies heute morgen nicht angesprochen wurde, denn es ist ja sonst das Leib- und Magenthema. Der Kollege Biedenkopf hat es in der Debatte um die Regierungserklärung angesprochen. Leider ist der Herr Kollege Biedenkopf nicht anwesend; ich möchte ihn trotzdem ansprechen. ({1}) - Er wird es vielleicht hören, daß jetzt gerade über ihn gesprochen wird. Es wird heute über viele Kollegen gesprochen, die nicht da sind, Frau Kollegin Berger. ({2}) Der Kollege Biedenkopf, der ja wohl als hervorragender Vertreter der deutschen mittelständischen Wirtschaft gelten kann, hat in dieser" Debatte am 20. Januar, wie er sagte, Tränen der Rührung in den Augen gehabt, als er über die Mittelstandspolitik der sozialliberalen Koalition sprach und insbesondere das Handwerk im Auge hatte. Diese Tränen haben wohl auch den Blick für die Wirklichkeit verstellt. Vielleicht kann der Kollege Biedenkopf jedoch einmal in den Einzelplan 09 sehen und vielleicht auch nachlesen, was hier vor rund einem Jahr bei der Aussprache über den Mittelstandsbericht gesagt worden ist. Da hat der Kollege Wurbs ganz deutlich gemacht, was diese Koalition im Bereich der Mittelstandspolitik im einzelnen geleistet hat. ({3}) - Ach, wissen Sie, Herr Kollege Haase, die Sache mit den Pleiten kriegen Sie gleich zurück. Darauf habe ich mich - Sie werden sich kaum überrascht zeigen - auch vorbereitet, weil das immer der übliche Einwand ist, der da kommt. ({4}) Die Bilanz ist, was die öffentlichen Leistungen angeht, insgesamt, so meine ich, eindrucksvoll. Im Einzelplan 09 z. B. - Sie können ihn ja auch einmal nachlesen, Herr Haase - kann man, ohne die ERP-Mittel und die Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau besonders aufzuzählen, Maßnahmen zur Förderung des Handwerks finden; sie sollen vom Rechnungs-Ist 1975 von 30,9 Millionen auf 37 Millionen im Soll 1977 ansteigen. Und Sie finden z. B. Maßnahmen zur Förderung von Beratungen in kleineren und mittleren Unternehmen; sie werden vom Rechnungs-Ist 1975 von 1,8 auf fast 3 Millionen ansteigen usw. Dies alles sind Maßnahmen, die der Kollege Biedenkopf in der damaligen Debatte völlig ignorierte. Er konnte das damals offensichtlich nicht wissen, weil er erstens den Haushaltsplan noch nicht kannte und zweitens wahrscheinlich die alten Debatten nicht nachgelesen hat, als er hier am 3. Oktober eingezogen ist. ({5}) - Auch Sie werden gleich damit bedient werden, wenn es um die Insolvenzen geht. Das sage ich ja. Machen Sie mal langsam! Ich darf Ihnen vielleicht einmal in aller Bescheidenheit raten, die Untersuchungen der Prognos AG in Basel über die Lage der kleineren und mittleren Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, die vor einem Jahr veröffentlicht worden sind, zu lesen. ({6}) Und dem Herrn Kollegen Biedenkopf möchte ich empfehlen, zwecks Einübung in die nordrhein-westfälische Landespolitik einmal das Spezialgutachten, mit dem der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister ebenfalls die Prognos AG beauftragt hat, zu lesen. ({7}) - Bitte? Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen. Vielleicht können Sie das hier einmal an irgendeiner Stelle in einem zusammenhängenden Beitrag darlegen; dann wird man darauf reagieren können. In beiden Gutachten bestätigen die Verfasser die Effizienz der sozialliberalen Mittelstandspolitik im Bund und im Lande Nordrhein-Westfalen. Die Wirksamtkeit und Qualität der Mittelstandspolitik unter sozialliberalen Koalitionen, insbesondere unter liberalen Wirtschaftsministern, wird ja im übrigen auch von den Betroffenen bestätigt, nur nicht in den letzten vier Wochen vor Wahlterminen. Das ist ein ganz interessanter Klagezyklus; da könnten Sie auch einmal überlegen, woher das alles kommt. Wer jetzt - wie Sie es eben getan haben - die Insolvenzen heranzieht, muß auch ein bißchen vorsichtig sein, wenn er ordnungspolitisch immer so fest auf dem Boden der Marktwirtschaft steht. ({8}) Das Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft hat über Insolvenzgefahren festgestellt, daß die Spitze der Firmensterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeitspanne vom zweiten bis zum vierten Lebensjahr eines Unternehmens liegt; das trifft für rund ein Viertel der Unternehmen zu. Ich überlasse es Ihnen, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Die nächste Spitze liegt bei Unternehmen, die über 20 Jahre alt sind; das sind also insbesondere solche, die bereits vor der Währungsreform gegründet worden sind. Bei ihnen liegt die Quote bei 21 %. Dann muß man noch eine empirische Analyse des Instituts für Mittelstandsforschung, veröffentlicht am 21. Januar 1977, nachlesen. Da kann man zu den Ursachen von Insolvenzen in Erwerbsunternehmen - in Erwerbsunternehmen, Herr Kollege Haase; nicht alles, was in der Insolvenzstatistik rechts unten beim Saldo ausgewiesen ist, sind Insolvenzen im Erwerbsbereich, sondern da sind auch die privaten dabei, ({9}) und das muß man alles auseinanderhalten, ({10}) aber es macht im Wahlkampf ja nicht so viel Spaß, wenn man differenziert -

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Ihnen die „Wirtschaftswoche" Nr. 10 vom 25. Februar bekannt ist, ({0}) - ja, weil Sie hier alles aufzählen -, wo Wolfgang Kartte über Wettbewerbspolitik für den Mittelstand geschrieben hat und wo er sagt: Mehr als 90 % aller Pleiten spielen sich im Mittelstand ab. Kleine und mittlere Firmen sind dem rauhen Klima des Wettbewerbs stärker ausgesetzt.

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr. Kartte wird sicherlich recht gehabt haben. Das Problem ist nur: Wenn man auf die Ursachen zurückgeht, wird das möglicherweise ganz anders. Ich darf Ihnen einmal die Ursachen zitieren. Da gibt es z. B. in diesem Bereich nach den Ergebnissen einer empirischen Untersuchung - das ist also nicht irgend etwas aus der Luft Gegriffenes -, die einen sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigenden Untersuchungsansatz hat, die Aussage - und ich darf diesen Satz mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -, daß die Betriebsführung als Institution die wichtigste Entstehungsquelle für Insolvenzursachen ist. ({0}) - Herr Schröder, wir haben uns schon darüber unterhalten, wer bei Ihnen immer ganz neu auftritt. Ich halte es für nicht angebracht, daß ausgerechnet Sie, der Sie weitgereist sind, wie ich mir sagen ließ, die Weltwirtschaftskrise in diesem Zusammenhang erwähnen. 75,4 % der Betriebe wiesen erhebliche Schwachstellen auf. Die schwerwiegendsten Mängel, die den Betrieb in der Existenz gefährden, lagen der Untersuchung zufolge in der Person des mittelständischen Unternehmers bzw. der Führungsperson. Mangelhafte Unternehmerqualifikationen, ungenügende Fachkenntnisse und ungenügender Informationsstand erwiesen sich in diesem Bereich als häufiges Kriterium. Das mag hart klingen, aber wenn es einmal in einer solchen Untersuchung festgestellt ist, steckt, wie ich glaube, schon eine Menge an Wahrheit dahinter. Hier kann man ordnungspolitisch nicht nur über Wettbewerb theoretisieren. Da Sie z. B. jahrelang die Kartellnovelle aufgehalten haben - ich möchte das einmal darauf abstellen, Sie haben sie ja im Grunde dauernd torpediert -, können Sie sich nicht darüber beschweren, daß diese Situation entstanden ist. ({1}) - Entschuldigen Sie, Herr Schröder, ich kenne Herrn Lambsdorff gut genug, um ihm das nicht zuzutrauen. Insolvenzen sind gewiß auch nicht das Salz in der Suppe der Marktwirtschaft. Aber wer die Insolvenzen nur einem staatlichen Fehlverhalten zuschreibt, muß sich stärker mit der Wirklichkeit befassen. ({2}) Die Haushaltspolitik des Bundes für alles verantwortlich zu machen ist eben leichter. Meine Damen und Herren won der Opposition, schwierig ist es für Sie auch nicht, wie im letzten Wahlkampf vom Norden bis in den tiefen Süden allen Gruppen in diesem Lande Steuererleichterungen zu versprechen - bei gleichzeitiger Zurückführung der Defizite der öffentlichen Haushalte. Dies ist meines Erachtens mehr Magie als Politik, und wir werden in den kommenden Beratungen leicht feststellen, ob sich die Opposition weiter der Magie verschreibt oder sich zu konkreten politischen Alternativen verständigen kann. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich unterbreche die Sitzung für die Mittagspause. Das Haus tritt um 14 Uhr wieder zusammen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Meine Damen und Herren, bevor wir in der Debatte fortfahren, rufe ich den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 8/51 Vizepräsident Frau Renger Die Drucksache 8/151 liegt Ihnen vor. Wer diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen. Wir fahren in der verbundenen Aussprache über Punkt 11 der Tagesordnung - Haushaltsgesetz 1977 und Finanzplan des Bundes 1976 bis 1980 - und über den Zusatzpunkt 1 - neue Eckwerte zum Jahreswirtschaftsbericht - fort. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zu einer Reihe von Bemerkungen komme, zu denen insbesondere die Opposition Anlaß gegeben hat, einige Bemerkungen zu dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts machen. Es scheint am zweckmäßigsten zu sein, dies ohne Aufgeregtheit zu tun und sich einfach an dem Text des Urteils selbst zu orientieren und daran dann einige Konsequenzen anzuschließen. Ich glaube, das geht am besten, indem ich hier einzelne Passagen verlese. Die erste Passage - wörtliches Zitat -: Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist in Grenzen nicht nur verfassungsmäßig zulässig, sondern auch notwendig. Das heißt also, wenn ich diesen Satz kommentieren darf: Hier wird sehr deutlich, daß die Bundesregierung auch im Haushalt 1977 Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit vorsieht und ihre Öffentlichkeitsarbeit genauso betreiben wird wie der Deutsche Bundestag, wie die Landesregierungen, - so heißt es in diesem Urteil - die gesetzgebenden Körperschaf ten. Lassen Sie mich hier ein zweites wörtliches Zitat einführen: Ebenso wie die Verfassungsorgane der Länder ihre Öffentlichkeitsarbeit auf den Aufgaben-und Kompetenzbereich des jeweiligen Landes zu beschränken haben, muß sich die Bundesregierung, soweit sie nicht zuständig ist, jedes Eingriffs in den Länderbereich enthalten. Diese wechselseitige Schranke ist stets zu beachten. Hier komme ich zu einer wesentlichen Schlußfolgerung. Hier wird nämlich deutlich, daß sich dieses Urteil eben nicht nur an den Bundesgesetzgeber, an die Bundesregierung wendet, sondern auch an die Landesregierungen, die damit aufgefordert sind, sich z. B. nicht mit Mitteln für die Öffentlichkeitsarbeit in die Bundespolitik einzuschalten. Ich habe hier eine Anzeige der bayerischen Staatsregierung, die unmittelbar vor dem 3. Oktober lanciert worden ist. ({0}) Ich will hier nur in aller Ruhe und Gelassenheit sagen: Solche Anzeigen sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dann ebenfalls nicht mehr zulässig. ({1}) - Ich werde daraus gleich allgemeinere Schlußfolgerungen ziehen. Damit komme ich zu einem dritten Bereich. Hier führe ich wieder ein wörtliches Zitat aus eben diesem Urteil ein: Die Grenzen zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und verfassungwidrigem Hineinwirken in den Wahlkampf waren bisher umstritten. In dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird das erstmals näher präzisiert. Diese Grenzen sind nicht nur bei der Bundestagswahl 1976, sondern auch schon zuvor in zunehmendem Maße von den Regierungen von Bund und Ländern überschritten worden. Damit wird deutlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß dies wohl die bedeutsamste Passage ist: daß also, wenn hier Kritik zu üben ist, diese zwar natürlich auch an der Bundesregierung zu üben ist, aber ebenso an allen Regierungen dieser zweiten deutschen Republik und auch an den Regierungen aller deutschen Länder. ({2}) Dies heißt, daß wir von diesem Urteil alle betroffen sind. Ich kann für ,die Bundesregierung erklären, daß wir selbstverständlich diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts akzeptieren. ({3}) Im übrigen wird die Bundesregierung umgehend mit allen Bundesländern Kontakt aufnehmen, um mit ihnen gemeinsam zu beraten, wie die Öffentlichkeitsarbeit von Bund und Ländern aussehen muß, damit sie den vom Bundesverfassungsgericht sehr eng gezogenen Grenzen gerecht wird. Soviel hierzu. Damit haben Sie die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Problemkreis. Ich möchte nun zu der aktuellen Haushaltsdebatte des heutigen Morgens zurückkommen. Die beiden Sprecher der Opposition, insbesondere Sie, Herr Kollege Leicht, haben gesagt, ich hätte gestern eine polemische Rede gehalten. ({4}) - Wenn Sie sagen „sehr richtig", dann müssen Sie auch den Beweis dafür erbringen. Ich hatte eher das Gefühl, daß es eine sehr nüchterne Rede war. ({5}) Denn ich hatte mir vorgenommen - und ich will auch möglichst dabei bleiben -, Haushaltsdebatten nicht mit Vokabeln wie „Roßtäuscherei" und „Wählerbetrug" zu belegen, wie Sie das getan haben, Herr Althammer. Was sollen eigentlich diese Argumente? Der deutsche Wähler will von uns Sachargumente hören, ({6}) er will von uns wissen, was wir wollen. Deswegen habe ich gestern eben bewußt keine Polemik gemacht. Eines habe ich allerdings getan, Herr Kollege Leicht: Ihnen keine Termine vorgeschrieben. Aber ich habe Sie gebeten, an Ihre staatspolitische Verantwortung appelliert, sich doch bitte darum zu bemühen, entweder zu dem ganzen Komplex - Einnahmeverbesserungen, Haushaltspolitik - eine einheitliche Position zu finden, oder aber, wenn dies nicht geht, nicht in eine allgemeine Aufforderung auszuweichen, wie Sie es heute erneut getan haben, man möge doch mehr sparen. Darum bitte ich Sie weiterhin - es hat doch keinen Zweck, wenn wir Verbalinjurien, gegenseitige Vorwürfe austauschen -: Hier muß eine Konzeption - und unsere Konzeption ist die Konzeption der Koalitionsparteien - einer anderen, einer teilweise anderen gegenübergestellt werden, damit der Dialog einen Sinn hat. Aber wenigstens sollten wir in dieser Debatte in sich logisch geschlossen argumentieren. Mir ist aufgefallen, daß dies heute morgen bei der Opposition nicht der Fall war. Ich möchte Ihnen dafür vier Beispiele geben. Beispiel Nummer eins. Herr Althammer sagte, wir müßten massiv sparen. Er hat zwölf Seiten in der Hand gehabt, auf denen seine Sparvorschläge stehen. Er hat sie nun leider wieder mitgenommen. Ganz gerne hätten wir ja einmal hineingeguckt. Immerhin war es schon ein Vorschlag. Bei der letzten Spardebatte hat Herr Althammer hier einen Stapel Bücher auf den Tisch gelegt, aus denen wir uns die Sparvorschläge heraussuchen sollten. Es wäre natürlich sehr schön, wenn Sie - nicht heute, aber doch bei Gelegenheit - diese zwölf Seiten einmal aufblätterten, damit man einmal sehen kann, worum es sich im einzelnen handelt. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Aber selbstverständlich.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Ihnen entgangen ist, daß ich bei diesen zwölf Seiten ausdrücklich erklärt habe, daß dies die bereits unterbreiteten Sparvorschläge und Alternativen von 1970 bis 1976 sind? Ich werde sie gerne Ihrem Staatssekretär überreichen. Ich sage dies nur, damit Sie hinterher nicht enttäuscht sind.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Enttäuscht wäre ich sicherlich, nachdem ich das jetzt gehört habe. Darauf hat ja der Herr Kollege Löffler schon etwas gesagt. Er hat gesagt: Da haben wir schon einmal den dicken Saldenstrich darunter gezogen, und am Ende war es insgesamt teurer geworden. Wenn es das ist, dann haben Sie allerdings Ihre Sparvorschläge noch vor sich. Dann werden Sie uns noch sagen müssen, wo die 5 Milliarden DM herkommen sollen, die Sie einsparen wollen. Eines muß ich ja sagen: Natürlich ist die globale Minderausgabe ein legitimes Instrument der Haushaltspolitik. Aber wenn Sie 5 Milliarden DM globale Minderausgabe einsetzen wollten - ich spreche hier im Konjunktiv -, dann allerdings begeben Sie sich jedes Gestaltungsrechts. Dann geben Sie im Endeffekt Ihre Verantwortung, die Sie als Haushaltsgesetzgeber haben - auch die Opposition -, an die Regierung zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Deutsche Bundestag sich politisch in dieser Weise entmannen möchte. ({0}) Aber nun kommt das eigentliche Problem. Sie, Herr Kollege Leicht, sagen: Bitte schön, massiv sparen! Gleichzeitig sagen Sie, Herr Kollege Leicht - ich glaube, ich habe das Zitat richtig aufgeschrieben -, eine antizyklische Haushaltspolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei so wörtlich - „unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit". Das haben Sie so gesagt. Meine Damen und Herren, dann bitte ich aber auch darum, hieraus wirklich einen Kontext zu machen. Man kann doch - ich komme darauf zurück - nicht auf der einen Seite sagen: sparen, sparen, sparen, und uns auf der anderen Seite sagen, antizyklische Haushaltspolitik sei notwendig. Wenn Sie, Herr Kollege Häfele, sagen, antizyklische Haushaltspolitik gehe nur in die Richtung investiver Ausgaben, ({1}) dann bin ich eben nicht Ihrer Meinung. ({2}) Antizyklische Haushaltspolitik heißt in der Rezession z. B. auch, das Netz sozialer Sicherheit zu erhalten, hieß z. B. auch, der Bundesanstalt für Arbeit im letzten Jahr 3 Milliarden DM zu geben, damit die Arbeitslosenunterstützung bezahlt werden kann. Antizyklische Haushaltspolitik heißt notfalls auch Subventionen für bedrohte Industriezweige, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. ({3}) Aus diesem Grund haben wir im letzten Jahr z. B. der Werftindustrie, wenn auch bescheiden, geholfen. ({4}) - Noch einen Satz, dann bin ich sofort am Ende. Antizyklische Haushaltspolitik heißt natürlich auch öffentliche Investitionen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) ?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß der Wissenschaftliche Beirat Ihres eigenen Hauses nichts anderes zum Ausdruck gebracht hat als der Kollege Leicht, als er nämlich in seiner Stellungnahme zwischen einem konjunkturell und einem strukturell bedingten Defizit unterschied? Und wenn Sie dem zustimmen, welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für Ihre eigene Finanzpolitik, und wie können Sie dann Herrn Leicht einen Widerspruch vorwerfen?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herrn Leicht und Herrn Althammer werfe ich in jedem Fall erst einmal vor - beide Herren sind sicherlich keine Ökonomen, auf jeden Fall nicht die wirtschaftspolitischen Sprecher der Opposition -, daß sie uns Rezepte angeben, bei denen wir uns allerdings, wenn wir sie befolgten - sie werden nicht befolgt, weil Sie gar keine Sparvorschläge machen, meine Damen und Herren -, wirklich fragen müßten: Wo soll denn eigentlich das Wachstum 1977 herkommen, wenn nun auch noch die öffentliche Hände ihre Ausgaben rigoros zusammenstreichen? ({0}) Das ist doch das Problem: Wo soll denn eigentlich Wachstum herkommen, wenn wir in einer unklugen und unvernünftigen Art und Weise nun noch rigoros zusammenstreichen? Im übrigen, um auf Ihre Frage einzugehen: Dies ist ja nicht eines der letzten Gutachten, sondern es ist schon 18 oder 24 Monate alt. Ich habe damals mit Unterstützung meiner politischen Freunde von der FDP und der SPD eine Antwort darauf gegeben, indem wir hier - ich habe gestern die Zahlen vorgeführt - 20 Milliarden DM Ausgabeprojektion für das Jahr 1977 über Haushaltsstrukturgesetze und ähnliches weggebracht haben. Das, was jetzt nachbleibt, ist in einem hohen Maße, nicht vollständig, ein Strukturdefizit auf Grund von drei Jahren Weltrezession, und zu dessen Beseitigung brauchen wir Einnahmeverbesserungen. Nun habe ich gestern gesagt - ich will das hier gern wiederholen -: Ich werde mir den Bundeshaushalt weiterhin kritisch angucken. Ich habe gestern ein Beispiel gebracht, nämlich die Besteuerung der deutschen Landwirtschaft. Die Koalitionsfraktionen haben sich Ihren Wünschen auch in einem zweiten Punkt widersetzt, beim Bundesausbildungsförderungsgesetz, beim BAföG, in einer unvernünftigen Weise konsumtive Ausgaben zusätzlich über das hinaus zu produzieren, was allerdings sachlich im Hinblick auf die Einkommenssituation der Schüler und Studenten geboten ist. Ich gebe Ihnen gern zwei Zitate. Die Herren Pfeifer und Fuchs schrieben am 5. Januar 1977 im „Deutschland-Union-Dienst : Auch für die Schüler und Studenten beginnt die 8. Legislaturperiode mit einem Tiefschlag. Die Herren Ritz und Kiechle meinten am 6. Januar 1977 hinsichtlich meiner Vorstellung, einmal nachzuprüfen, ob nicht die Steuertatbestände bei der Landwirtschaft neu zugeschnitten werden müßten: Finanzminister Apel und Landwirtschaftsminister Ertl wollen nunmehr die Bauern durch Anziehen der Steuerschraube schröpfen. Das ist ein weiteres großes Täuschungsmanöver von SPD und FDP. ({1}) - Augenblick, Herr Kollege Ritz! Dazu muß ich nun sagen: Hier werden große Parolen verkündigt, man wolle die konsumtiven Ausgaben zusammenstreichen. Wenn es dann im Detail ernst wird, dann greifen Sie, Herr Kollege Ritz, zu solchen starken Worten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zwischenfrage, Herr Dr. Ritz.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Bitte schön.

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Apel, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir der von Ihnen gewünschten Prüfung zugestimmt haben, sich aber die jetzt von Ihnen zitierte Passage darauf bezog, daß in der Offentlichkeit aus dieser Prüfung die Schlußfolgerung gezogen worden ist, daß es hier darum ging, der Landwirtschaft 2 bis 3 Milliarden DM zusätzlich abzuknöpfen, ({0}) und daß hier doch ein entscheidender Unterschied zwischen dem besteht, was die Prüfung betrifft, und dem, was damit an Spekulationen verknüpft worden ist?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Dann muß ich dazu sagen, Herr Kollege Dr. Ritz, daß Sie einfach mißinterpretiert haben - ich will das einmal so wertneutral sagen -, was in der Koalitionsvereinbarung und, wie ich denke, wohl auch in der Regierungserklärung steht, nämlich daß wir prüfen wollen - natürlich nicht zum Selbstzweck. ({0}) - Dann in der Koalitionsvereinbarung. Die Prüfung hat begonnen. Sie können sich ja nicht erst einen Pappkameraden in der Größenordnung von 2 bis 3 Milliarden DM hinstellen, dann darauf schießen und, wenn ich das kritisiere, sagen: So war es nicht gemeint. ({1}) Dies ist keine seriöse Politik, Herr Kollege Ritz. ({2}) In jedem Falle geht es so nicht. Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit auf einen weiteren Widerspruch hinweisen: Sie können doch nicht die konsumtiven Ausgaben zusammenstreichen, aber dennoch das Kindergeld anheben, was wir im übrigen auch wollen, allerdings aus den Mehrerträgen der Mehrwertsteueranhebung; denn natürlich ist Kindergeld eine konsumtive Ausgabe in einer Größenordnung von 1,8 Milliarden DM pro Jahr, so wie von uns vorgesehen. Ich bitte Sie also - und damit bin ich schon beim zweiten Punkt -, auch hier in sich schlüssig zu argumentieren. Wenn Sie die konsumtiven Ausgaben zusammenstreichen wollen, dann bitte nicht bei BAföG mehr versprechen, als leistbar ist, dann bitte nicht beim Kindergeld anders argumentieren als wir und dann bitte auch hinsichtlich der deutschen Landwirtschaft die Dinge so betrachten, wie ich sie dargestellt habe. Ich bitte Sie im übrigen auch darum, in einem dritten Bereich in sich logisch zu argumentieren. Sie sagen, Herr Kollege Leicht, ich hätte nun endlich die internationale Perspektive unserer Politik entdeckt. ({3}) Das ist doch aber wirklich merkwürdig, was Sie da sagen. Wer hat denn in diesem Hause über viele Jahre immer wieder von der „hausgemachten Rezession" gesprochen, davon, daß es eine weltweite Rezession gar nicht gebe? Sie waren es doch. ({4}) für die die Politik in Aachen oder in Mainz aufhörte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Im übrigen dürfen wir doch auch nicht übersehen - und hier bin ich Ihnen für Ihre Bernerkungen sehr dankbar, Herr Kollege Leicht -, daß wir in diesem Jahre 8,7 Millarden DM nach Brüssel geben und daß dieses wiederum die internationale Komponente unserer Politik ist. Dies schlägt sich natürlich auch in der Nettokreditaufnahme nieder. Wenn Sie mich im übrigen in dieser Weise auffordern, wenn Sie sogar von meiner „verdammten Pflicht und Schuldigkeit" sprechen - lassen wir das „verdammte" einmal weg, denn wir Christen sollen nicht fluchen; sprechen wir lieber von meiner Pflicht und Schuldigkeit, die ich im übrigen akzeptiere -, dann bitte ich Sie, lieber Herr Kollege Leicht, auch die Konsequenzen zu akzeptieren, nämlich eine hohe Nettokreditaufnahme und natürlich für die Zukunft auch Zinsbelastungen. Wir werden den Bürgern, die uns ihr Geld geliehen haben, dieses Geld nicht nur zurückzahlen, sondern sie bekommen darauf auch anständige Zinsen. Wer A sagt, muß natürlich auch B sagen, Herr Kollege Leicht. ({5}) - Das ist ein bißchen zu einfach. Wenn Sie meinen, daß ich etwas verdrehe, dann stellen Sie eine Zwischenfrage, damit Sie mir nachweisen können, daß ich etwas verdrehe. ({6}) Bitte, stellen Sie mir eine Zwischenfrage. Wenn Sie dieses nicht wollen, dann sagen Sie nicht, ich verdrehte die Dinge. ({7}) - Schönen Dank für die Hilfe.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Dr. Althammer übernimmt das. ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ja, bitte schön.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, wenn Sie uns schon so schön auffordern, möchte ich Sie fragen, ob dies nun ehrlich ist, daß Sie - ich übertreibe jetzt einmal - den Bürger darum bitten, daß er danke schön dafür sagen soll, daß er Zinsen bekommt, obwohl Sie doch genau wissen, daß er zunächst Steuern dafür bezahlen muß, damit man Guthaben überhaupt verzinsen kann.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ich weiß nicht, was das soll. Der Bürger könnte sich nach dieser finanzpolitischen Debatte selbst danke schön dafür sagen, daß er verhindert hat, daß Sie die Verantwortung in der Finanzpolitik übernehmen. ({0}) Im übrigen weiß ich gar nicht, was das soll. Wir sagen dem Bürger immer wieder: Wir müssen diese antizyklische Finanzpolitik machen, damit wir in die Nähe einer hohen Beschäftigung zurückkehren. Dafür nehmen wir Schulden auf. Die verzinsen wir anständig. Die Preisstabilisierung in unserem Lande setzt sich fort. Der positive Zinssatz ist hoch. Das weiß der Bürger doch alles. Von Zerrüttung kann doch da überhaupt nicht die Rede sein. ({1}) Herr Kollege Leicht, wenn Sie mich schon auffordern, international zu argumentieren, so will ich etwas in die Debatte einführen, was ich gestern nicht darlegen wollte, weil eine Stunde und 20 Minuten schon lang genug waren. Das können Sie heute in den „Finanznachrichten" nachlesen, einer Statistik der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit der westlichen Industrienationen. Dort können Sie sehen, daß wir, Bund und Länder, obwohl wir die hohe Nettoverschuldung haben, im internationalen Vergleich immer noch sehr beruhigend dastehen. Die letzte Statistik ist von Ende 1975. In der Reihe der Staaten, die dort aufgeführt sind, gibt es nur wenige Länder - genauer gesagt: drei -, die eine niedrigere Verschuldensrate, bezogen auf das jeweilige Bruttosozialprodukt, haben als wir. Natürlich hat die Schweiz eine höhere Verschuldensrate, natürlich haben Großbritannien, die USA, die Niederlande, Norwegen, Italien eine höhere Verschuldensrate. Luxemburg liegt mit uns in etwa gleich, Belgien viel höher als wir. Ich bitte Sie also sehr herzlich! Natürlich mache ich mir als Haushaltsminister Sorgen um die Verschuldung. Ich habe das gestern hier offen ausgebreitet. Aber lassen Sie uns bitte nicht den Eindruck erwecken, als seien die öffentlichen Finanzen in diesem Lande ruiniert oder zerrüttet! Anders, als daß bei uns alles in Ordnung ist, ist es ja wohl nicht zu verstehen, wenn die ganze Welt auf dieses Land blickt, ihre Forderungen an dieses Land richtet und uns in einem gewissen Sinne sogar überschätzt, was unsere Leistungsfähigkeit für die Weltwirtschaft anlangt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Leicht?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe heute morgen Ähnliches zu der Frage Verzinsung gesagt wie Sie; ich verstehe deshalb nicht, daß Sie mich da kritisieren. Aber meine Frage: Halten Sie das, was die OECD hier zur Verschuldung sagt, für absolut vergleichbar angesichts der Tatsache, daß wir zwei Inflationen gehabt haben, die den Staat von Schulden befreit haben, daß aber etwa die Amerikaner heute noch in ihren Haushalten Schulden aus dem zweiten Sezessionskrieg mitschleppen?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ich gebe Ihnen zu, daß der Vergleich, der hier von der OECD vorgelegt wird, in bezug auf zwei Länder mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Das sind einmal die USA, und es ist zum zweiten England, weil beide Länder in einem hohen Maße noch Schulden aus dem zweiten Weltkrieg mit sich herumschleppen. Bei den anderen Ländern aber ist der Vergleich durchaus zulässig. Aber ich gebe Ihnen zu: Jeder internationale Vergleich ist mit einer gewissen VorSicht zu nehmen. ({0}) - Jetzt sind wir auf einer Linie, wie ich sehe. Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen. Ihre beiden Redner, glaube ich, haben gesagt - und da bitte ich dann wieder um konsistente Argumentation -: Da sehen wir es doch, wir haben es ja immer gesagt: Die Mehrwertsteuererhöhung war für 1977 überhaupt nicht notwendig. Wenige Sätze später aber sagen Sie: Die Nettokreditaufnahme ist unerträglich hoch; der Bundesfinanzminister manipuliert sogar in bezug auf Art. 115 des Grundgesetzes; in Wirklichkeit ist er mit seiner Nettokreditaufnahme über die dort gezogene Grenze hinweggegangen. - Ich bitte Sie auch hier um eine klare, intellektuell eindeutige Position. Entweder ist die Nettokreditaufnahme des Jahres 1977 in etwa so in Ordnung - für mich ist sie zu hoch; ich hätte sie lieber niedriger -, oder sie ist zu hoch - und das haben Sie ja in der zweiten Hälfte Ihrer Intervention gesagt. Dann aber hätten wir auch für 1977 bereits die Mehrwertsteueranhebung gebraucht. Entweder - oder! ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Einen Satz noch dazu, damit Sie den gleich einbeziehen können: Es hat keinen Zweck, als große Oppositionspartei an einem Vormittag Debattenreden nach dem Motto zu halten: Für jeden ' etwas. Das fällt auf, meine Damen und Herren. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wenn Sie schon davon ausgehen, daß offenbar nach Ihrer Meinung die Mehrwertsteuererhöhung zur Absenkung der Verschuldung beitragen sollte, dann muß ich Sie fragen, warum Sie dann in der mittelfristigen Finanzplanung für 1978, wo nach Ihrer Meinung die Steuererhöhung zum Zug kommen soll, eine Steigerungsrate von 7,2 % haben? Das läßt doch nur den Schluß zu, daß Sie eben mehr ausgeben wollen.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ich komme auf diese Frage noch zurück; denn sie ist ja etwas weiter zu ziehen. Sie hätten ja eigentlich fragen müssen: Wieso sind Sie als Finanzminister bereit und in der Lage, einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen im Jahre 1978 für Leistungsverbesserungen bzw. Steuersenkungen einzusetzen? Dies hätte doch eigentlich Ihre Frage sein müssen; auf diese Frage habe ich gewartet. Das wäre die Frage gewesen, die bei mir unter Ziffer 4 kommt. Ich will aber eines vorweg sagen: Die Steigerungsrate für 1978 von 7 und soundso viel Prozent ist durch die Verbesserung des Kindergeldes bedingt. ({0}) - Aber ich bitte Sie, die 1,8 Milliarden DM Kindergeld müssen natürlich erst in den Haushalt eingestellt werden und werden dann über die Arbeitsverwaltung ausgezahlt. Das wirkt auf den Prozentsatz. Aber, Herr Kollege Leicht, ich wollte gern noch eine Bemerkung zu Ihnen machen. Eines hat mich wirklich gefreut. Sie haben sich ja darüber ausgebreitet, daß wir wohl in der Gefahr seien, die. Summe, die wir für Investitionen ausgeben und die durch den Art. 115 des Grundgesetzes limitiert ist - Schuldenaufnahme -, zu manipulieren. Nun will ich die Einzelheiten gar nicht untersuchen. Nur habe ich mit großem Vergnügen festgestellt, daß wir zur Definition und zur Errechnung der Investitionsausgaben im Bundeshaushalt - diese sind ja für die Höhe der Nettokreditaufnahme wichtig - exakt die Grundsätze anwenden, die Sie 1969 als Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium mit Herrn Strauß zusammen beschlossen haben. Also Sie können doch nicht Ihre eigenen Grundsätze, die Sie damals beschlossen und verabschiedet haben, mir heute als Manipulationstatbestand vorwerfen. Das geht doch nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht? - Bitte.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich muß jetzt weiter fragen: Verdrehen Sie nicht die Tatsachen, wenn Sie so etwas behaupten? Denn ich habe heute morgen in meiner Rede nicht das gesagt, was Sie hier feststellen. Sie legen den Leuten dauernd andere Worte in den Mund, als sie gesagt haben.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Nein, Herr Kollege Leicht, wir wollen uns direkt einmal darüber unterhalten. Sie haben doch gesagt: Betreffend Darlehen, z..B. bei BAföG, habe ich, Leicht, die Frage, ob das eine investive Ausgabe ist. - Herr Kollege Leicht, Sie haben 1969 festgelegt, daß Darlehen investive Ausgaben sind. Ich habe Ihnen gestern in meiner Einbringungsrede zum Haushalt gesagt, daß ich dieses gern überprüfen möchte, da ich Zweifel daran habe, ob das, was der Herr Staatssekretär Leicht damals verabschiedet hat, heute noch einen Sinn gibt. ({0}) - Na, gut. Dann machen Sie bitte hier keinen Manipulationsvorwurf. Wir wollen die damals von Ihnen verabschiedeten Grundsätze jetzt überprüfen. Lassen wir es dabei und gucken uns die Dinge an, wenn das Gutachten vorliegt. Aber, bitte, keine Vorwürfe! ({1}) Ich komme jetzt zum dritten Punkt: Landesfinanzen. Sie sagen, Herr Kollege Leicht, die Gemeinden - ich fange mit den Gemeinden an - seien in großen Schwierigkeiten, um die Komplementärmittel aufzubringen, die aufgebracht werden müssen, um im Rahmen dieses Infrastrukturprogramms Mitfinanzierung möglich zu machen. Das mag im Einzelfalle so sein. Nur eines sagen mir meine Zahlen sehr deutlich: daß seit 1966 die Einnahmen 'der Gemeinden sich sehr viel stärker entwickelt haben - jährlich um 10,4 % - als die Einnahmen beim Bund, nämlich diese nur um 7,6 %. Ich bin für eine Föderation und für einen föderalen Staat. Dann muß man aber auch die Gemeindefinanzen dorthin zuordnen, wo sie hingehören, nämlich in den Länderbereich. Dafür ist nun der Bund bei Gott nicht zuständig. Ich kann nicht den Vorwurf akzeptieren, daß ich indirekt oder direkt auch noch für die Gemeindefinanzen zu sorgen habe. Dieses ist die Aufgabe der Länder, und so muß es auch wirklich bleiben. Sie haben im übrigen eine zweite Frage gestellt, ob wir in der Lage sind, die Kosten der Lohnrunde im Haushalt ohne Nachforderungen unterzubringen. Wir sind dazu in der Lage. ({2}) - Ich habe Ihnen meine Antwort gegeben. Es ist abgedeckt. Es war Vorsorge getroffen, um diesen Tarifabschluß zu bedienen. Herr Leicht, Sie haben dann über die Personalausgaben der Länder geredet, und Sie haben erneut gesagt, was ich von Herrn Stoltenberg schon mehrfach gehört habe, nämlich die Personalausgaben der Länder seien in einem hohen Maße ursächlich durch Bundespolitik. Aber, Herr Kollege Leicht, Sie wissen das doch besser. Ich habe gestern gesagt, daß jeder zweite öffentliche Bedienstete bei den Ländern als Lehrer oder im Bildungsbereich tätig ist. Nun wissen Sie doch ganz genau, daß wir in diesem Bereich fast überhaupt keine Kompetenz haben. Wir beklagen das; in der Regierungserklärung ist dazu etwas gesagt worden. Nun können Sie mir oder der Bundesregierung wirklich nicht vorwerfen, daß die Vergrößerung der Zahl der Lehrer, die ich als Vater von schulpflichtigen Kindern ausdrücklich begrüße, etwas mit Bundesgesetzgebung zu tun hat. Oder nehmen Sie das Gesundheitswesen. Wo liegt hier eigentlich die Verantwortung? Lassen Sie uns doch dieses Spiel nicht fortsetzen! Lassen Sie uns doch zu dem Ergebnis kommen, daß das einzig Richtige ist, daß die Haushalts- und Finanzdecke bei Bund, Ländern und Gemeinden zu kurz ist, daß über Ver- schiebebahnhöfe nicht eine Mark mehr in die Kassen kommt und daß es daraus nur eine Konsequenz gibt, nämlich Einnahmeverbesserung, so unbequem das politisch auch sein mag. Alles andere hat doch keinen Wert. ({3}) Nun haben Sie erneut die Rückläufigkeit der Investitionen beim Bund beklagt. Zugegeben - ich habe das bereits vor einigen Wochen dargestellt -, im Jahre 1966 hat der Bund 15,5 oto seiner Ausgaben für Investitionen getätigt; es waren im letzten Jahr 14,4 %. Das ist ein Rückgang in dieser Dekade um 8 %. Aber bei den Ländern sind in der gleichen Dekade die investiven Nettoausgaben um 35 % zurückgegangen und bei den. Gemeinden um 40 °/o. Das ist das, was ich gestern gesagt habe. Es hat keinen Zweck, wenn der Bund antizyklisch Infrastrukturprogramme beschließt, wenn Länder und Gemeinden - nicht alle - prozyklisch reagieren; dann kommt unter dem Strich für die Beschäftigung weniger heraus. ({4}) Ich komme zu meinem vierten Punkt. Herr Althammer hat Bemerkungen zu unserem Infrastrukturprogramm gemacht. Sie haben, wenn ich richtig mitgeschrieben habe, in fünf Punkten ({5}) - dann muß mir einer entgangen sein, oder ich habe zwei zusammengezogen - gesagt, Sie sähen hier Probleme. Sie sehen z. B. Probleme, daß das Ganze zu langsam verwirklicht wird. Aber, Herr Kollege Dr. Althammer, dieses Argument können Sie doch nicht an meine Adresse richten. Ich höre für die morgige Sitzung der Landeswirtschafts- und -finanzminister mit Herrn Friderichs und mir von zwei Ländern, daß die sagen, sie wollten dieses Infrastrukturprogramm erst dann verabschieden, wenn das zusammen mit der Umsatzsteuerneuverteilung geschieht. Da dieses beides Länder sind, die Ihnen politisch näherstehen - ich will die Länder hier nicht öffentlich vorführen, das gehört sich nicht, aber ich sage Ihnen persönlich gern die Namen -, nehmen Sie doch bitte Einfluß auf die Landeswirtschafts- und -finanzminister, damit die Befürchtung, die Sie hier aussprechen, nicht eintritt. ({6}) Wir wollen das schnell machen. Wir wollen diesen Verschiebehahnhof nicht. Sie sagen ferner, es gebe eine Umfinanzierungsproblematik. Was Herr Kollege Dr. Althammer damit meint, ist klar. Es wird irgendwo eine Investition getätigt bei einer Gemeinde, die sowieso auf dem Programm stand, und nun tritt an die Stelle der - sagen wir mal - hundertprozentigen Landes-, und Gemeindefinanzierung der Bund mit einer Mitfinanzierungsquote von X %. Auch mich beunruhigt dieses. Nur, Herr Kollege Dr. Althammer, die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes, um dieses zu verhindern, sind doch nicht zuletzt deswegen geringer geworden, weil die bayerische Landesregierung die Direkteinwirkung des Bundes auf Gemeindeinvestitionen über eine entsprechende Klage beim Bundesverfassungsgericht reduziert hat. Das können Sie doch nicht mir dann aufs Butterbrot schmieren wollen. Ich bitte Sie! So können wir doch miteinander nicht umgehen, insbesondere dann nicht, wenn ich jemand bin, der die Tatsachen ziemlich genau kennt. Das hat doch keinen Zweck! Insgesamt kann ich nur sagen, ich habe dieses Infrastrukturprogramm und auch meine gestrigen Ausführungen dazu nicht mit euphorischem Glanz versehen. Aber eins liegt doch wohl klar auf der Hand Wenn nicht alle öffentlichen Hände - Bund, Länder und Gemeinden das Maximale tun, um die Arbeitslosigkeit über öffentliche Investitionen zu bekämpfen, dann machen wir uns vor der Geschichte dieses Landes schuldig und werden dann auch sehr bald die Folgen zu spüren haben - nicht nur bei den öffentlichen Finanzen. ({7}) Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich, Ihre Skepsis im Herzen zu bewahren - es ist im wesentlichen eine Skepsis, die sich an die anderen Gebietskörperschaften richtet - und uns am Ende bei der Verwirklichung des Programms zu helfen. Nun haben Sie angedeutet - so habe ich das wenigstens verstanden -, Sie wollten insbesondere bei der Unternehmensbesteuerung etwas tun, daß Sie also sagen - ich habe Sie da doch wohl richtig verstanden? -, hier müssen wir Steuern senken. Keine Sorge. Ich beginne diese Debatte jetzt nicht von neuem. Wir haben sie in diesem Saale oft genug geführt. Aber ich darf Ihnen vielleicht einmal vorführen, wie nüchtern sich die Zahlen darstellen. Für den Unternehmensbereich hat es im Jahre 1976 - das können Sie im Subventionsbericht nachlesen - Steuervergünstigungen in einer Größenordnung von 8,2 Milliarden DM gegeben. Die Investitionszulage, von der ich gestern gesprochen habe, hat der Wirtschaft und damit uns allen 7 Milliarden DM gebracht. Wir haben im letzten Jahre den Verlustrücktrag eingeführt. Wir haben trotz der Steuerreform und auch trotz höherer Belastungen die Unternehmen durch die Steuerreform unterm Strich insgesamt um rund 1 Milliarde DM entlastet. Und wir haben, wiederum gekoppelt an die Mehrwertsteuererhöhung, weitere Entlastungen vor. Hören Sie doch also bitte endlich mit dieser Legende auf! In einem allerdings stimme ich Ihnen zu: Wir sind in der Gefahr, daß die Lohnsteuer zu stark Träger der Finanzierung der öffentlichen Ausgaben wird. ({8}) Dies ist richtig. Aus diesem Grund wollen wir eben auch - und damit bin ich im Endeffekt schon bei meinem letzten Punkt - einen Teil der Mehrerträge der Mehrwertsteuer hier einsetzen. Und da kann man füglich darüber streiten, ob wir das richtige Augenmaß gehabt haben. Ich bitt' Sie, alles ist politischer Kompromiß. Da werden die einen die Dinge nuanciert anders betrachten als die anderen. So ist das in einer Koalition. Nur, der Unterschied auch hier wieder ist der, daß es am Ende ein Ergebnis gegeben hat, zu dem wir alle zusammen stehen, während bei Ihnen eine 12-Ton-Sinfonie zu dieser Frage aufgeführt wird. Damit kann ich nun allerdings wirklich nichts anfangen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ja sicher, bitte schön.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Apel, sind Sie nicht dabei, die Verfassung umzudrehen? Haben Sie als Regierung nicht die Pflicht - egal nun, ob Koalition oder allein -, diesem Hause einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, oder meinen Sie, die Opposition müsse im selben Augenblick wie die Regierung auch einen vorlegen?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Nein, Herr Kollege Leicht, ich will Sie bei Gott nicht überfordern. Nachdem ich heute morgen die Debatte erlebt habe, kann ich das auch gar nicht. ({0}) - Gut, okay, ohne Polemik. Das wird von mir zurückgenommen. Alles klar, kein Problem. - Aber eines darf ich doch wohl in aller Bescheidenheit sagen: Wenn Sie dauernd so hochtrabende Vokabeln wie Zerrüttung der Staatsfinanzen, Staatsbankrott, Gefährdung unserer Zukunft im Munde führen und sogar behaupten, wir zahlten in diesem Jahr Rentenzuschüsse und andere konsumtive Ausgaben, Löhne, aus der Nettokreditaufnahme - Sie wissen, daß das nicht stimmt -, ({1}) dann müssen Sie allerdings auch sagen, was Sie denn tun würden, wenn Sie noch immer Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium wären. ({2}) Denn wenn das anders wäre, meine Damen und Herren, hätten doch Debatten dieser Art wirklich keinen Sinn. ({3}) Nun wollte ich gerne noch, bevor ich zur Frage der Mehrwertsteuer komme, eine Bemerkung machen. Hier muß ein Mißverständnis vorgelegen haben. Sie sagen, das Geldmengenziel müßte für 1977 nach unten geschrieben werden - ich nehme an, daß ich Sie so richtig verstanden habe -, und zwar um 5 bis 6 °/o. ({4}) - Schön, aber mein Argument wird deswegen nicht schlechter. ({5}) Worum ich Sie sehr herzlich bitte, ist, mir hinsichtlich folgender Auffassung zu folgen: Geldmengenziel ist kein Ziel an sich. Geldmengenziel ist ein Ziel, um das Wachstum der Volkswirtschaft nicht zu behindern und Preissteigerungsmöglichkeiten zu kappen. ({6}) - Na schön. Aber dann drehen wir doch solche Argumente nicht so hin. Sie können doch feststellen, daß das Wachstum im letzten Jahr real 5,6 % betrug und die Preissteigerungsrate kräftig zurückgegangen ist. Was soll denn eigentlich diese Debatte? ({7}) Nun möchte ich ganz gerne - das ist mein letzter Punkt - ein paar Bemerkungen machen zu dem von Ihnen angesprochenen Hickhack, wie Sie das nennen ({8}) - dann war es Kollege Dr. Althammer -, zur Frage der Mehrwertsteuer. Diese Debatte kann man ja am besten eröffnen, indem man einfach Zitate aneinanderreiht. ({9}) Herr Kollege Gaddum am 22. Dezember 1976: ({10}) „Steuerentlastungen sind auch ohne Mehrwertsteuererhöhung finanzierbar." ({11}) Herr Kollege, wie das angesichts des düsteren Gemäldes, das gemalt worden ist, finanziert werden soll, ist eine andere Frage. Herr Kollege Stoltenberg einen Tag später, am 23. Dezember 1976, in der „Wirtschaftswoche": Vor einer von der Bundesregierung nun für den 1. Januar 1978 geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer sind alle Einsparungsmöglichkeiten zu nutzen. Herr Strauß im Deutschen Bundestag am 17. Dezember 1976: Die Fraktion der CDU/CSU kann, wie ich glaube, sehr wohl dafür gewonnen werden, einer Mehrwertsteuererhöhung zuzustimmen, wenn sie ... Dann kommt eine Reihe von Kautelen. Herr Zimmermann dann am 23. Januar 1977 - inzwischen hatte Herr Häfele einmal von einem unwürdigen Schacher gesprochen, den Sie nicht mitmachen würden -: ({12}) „Mit uns kann man über eine Mehrwertsteuererhöhung reden." Schließlich sollte man sich noch an Herrn Kiep erinnern - der im übrigen, glaube ich, auch von Herrn Kollegen Löffler bereits zitiert worden ist -, der am 4. Februar 1977 in der „Zeit" wörtlich gesagt hat: Ich habe vor der Wahl, nach der Wahl und in den niedersächsischen Koalitionsverhandlungen den Standpunkt vertreten, daß ein Steuerprogramm notwendig ist, um die Investitionstätigkeit der Wirtschaft in Gang zu bringen. Dieses Programm könnte auch zum Teil durch eine Mehrwertsteuererhöhung finanziert werden. Wenn man sich das alles vor Augen führt, dann muß ich sagen: Der „Bayernkurier" - ich gebe ihm selten und nur sehr ungern recht ({13}) vom heutigen Datum - wir haben ihn heute bekommen - hat natürlich völlig recht, wenn er schreibt, daß man die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Opposition stellen müsse. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Bitte schön.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzmister, stimmen Sie mir darin zu, daß die Koalition die Mehrwertsteuererhöhung ebenso wie die Verteilung des Aufkommens unterschiedlich begründet hat und daß das demzufolge auch Auswirkungen auf die Argumentation der Opposition haben muß? ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Auf unsere Position komme ich sofort zu sprechen. Aber obwohl Sie nach dem Sitz, den Sie einnehmen, augenscheinlich nicht zur CSU gehören, darf ich vielleicht noch einen Satz aus dem „Bayernkurier" hinzufügen. Dort steht nämlich: Ein anderes Beispiel über die Glaubwürdigkeit der Opposition ist die Diskussion um die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Der Absatz über die Mehrwertsteuer endet mit der Bemerkung - wörtlich -: Es liegt auf der Hand, daß auch dies - nämlich die Debatte der Mehrwertsteueranhebung untrennbar zum Kapitel oppositioneller Glaubwürdigkeit gehört. Wie gesagt, das ist wahrscheinlich das erste und das letzte Mal, daß ich dem „Bayernkurier" ausdrücklich zustimme. ({0}) - Eben, Vorsicht. Man soll nie den Tag vor dem Abend loben. Zugegeben. ({1}) Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zu unserer Position machen, weil Sie eben auch danach gefragt haben. Sie haben gefragt: Wie ist es denn mit eurer Position? Unsere Position ist ziemlich deutlich. ({2}) Sie bestand darin, daß wir vor der Bundestagswahl gesagt haben - insofern kann ich eigentlich nicht ganz begreifen', Herr Kollege Dr. Althammer, wieso in dieser Frage ein Wählerbetrug gelegen haben soll; ganz im Gegenteil -: Wir brauchen die Mehrwertsteueranhebung, und zwar tunlichst bald; deshalb wollen wir sie zum 1. Januar 1977 wirksam werden lassen. Heute, am Beginn der Legislaturperiode, sagen wir: Wir brauchen sie weiterhin, jetzt zum 1. Januar 1978, weil es einen früheren Termin nicht gibt. Aber es wäre natürlich illusionär und auch gesellschafts- und wirtschaftspolitisch nicht zu verantworten, wenn wir nicht bereit wären - so schmerzlich das auch für den Finanzminister ist -, deutlich zu machen, daß aus den Mehrerträgen ein Teil auch bereitgestellt wird für unabweisbare Bedürfnisse. Sie selbst sind doch wohl der Meinung, daß das Kindergeld erhöht werden sollte, Sie selbst sind doch sicherlich auch der Meinung, daß es vernünftig ist, die Vorsorgehöchstbeträge anzuheben. Wir alle haben uns den geschiedenen Vätern gegenüber in der einen oder in der anderen Weise im Wahlkampf verpflichtet. Jetzt breche ich die Aufzählung auch schon ab. Insofern ist diese Position in sich geschlossen. Zum Abschluß: Ich würde mir wünschen, daß Sie - wenn nicht heute, dann aber in den nächsten Wochen und Monaten - wirklich zu einem tatsächlichen und valablen Gesprächspartner werden. Ich sage das nicht, um Vorwürfe zu erheben, sondern weil ich der Meinung bin, daß „Parlament" „Rede und Gegenrede" heißt, aber nicht „Rede und Verdächtigung". Ich bitte Sie darum, die Verdächtigungen in den Schrank zu packen und uns endlich zu sagen, wo Ihre Position ist. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Häfele.

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie haben soeben in Ihrem Beitrag verschiedene Randbemerkungen gemacht, aber zu einer Frage nicht Stellung genommen, wozu Sie mein Kollege Albert Leicht heute morgen aufgefordert hat. Sie haben nämlich gestern in Ihrer Etatrede die Behauptung aufgestellt, die CDU/CSU-Opposition habe sich den Sparbemühungen beim Haushaltsstrukturgesetz im Sommer 1975 widersetzt. Dieses ist nicht wahr! ({0}) Heute morgen hat Ihnen der Kollege Leicht eine Brücke zu bauen versucht. Sie erschweren sich selbst das Handwerk, wenn Sie so etwas behaupten - ein Handwerk, das Sie in den nächsten Jahren womöglich bitter notwendig haben, um die Finanzen zu sanieren, auch mit Unterstützung dieser Opposition. ({1}) Wie war es denn? Herr Westphal, ich will es Ihnen darlegen. Wir haben damals genau unterschieden zwischen dem sogenannten Sparteil des Haushaltsstrukturgesetzes und dem Abgabenerhöhungsteil, den Sie schließlich abgetrennt haben und ohne Zustimmung des Bundesrats verwirklichen konnten. Aber diesen Sparteil haben wir sowohl im Bundesrat als auch hier im Bundestag mitgetragen. Anstatt uns hier zu ehren und zu loben, machen Sie uns Vorwürfe und verkünden die Unwahrheit. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Häfele, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß die Opposition hier in diesem Hause bei der zweiten und dritten Lesung des Haushaltsstrukturgesetzes gegen das Gesetz in namentlicher Abstimmung gestimmt hat?

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin Ihnen dankbar für diese Frage, Herr Westphal. Sie wissen ganz genau, wie es hier war. Von 44 Artikeln dieses Haushalts838 Strukturgesetzes haben wir hier in zweiter und dritter Beratung 40 Artikeln zugestimmt und haben gesagt: Ändert die vier restlichen, dann können wir dem Ganzen zustimmen. Als dann schließlich im Vermittlungsausschuß ein Kompromiß zustande gekommen und der Abgabenerhöhungsteil abgetrennt war, haben wir, herauskommend aus dem Vermittlungsausschuß, eben diesem Gesetz schließlich zugestimmt. Wir haben es mitgetragen draußen vor unserem Volk. Das sollten Sie honorieren und hier nicht die Unwahrheit sagen. ({0}) Ein zweiter Punkt zu Ihrer Intervention, Herr Bundesfinanzminister. Sie spielen hier im Hohen Hause immer die Rolle des Bundeskassenwarts und tun so: Das sind die Länder, das sind die Gemeinden, das sind die anderen öffentlichen Körperschaften; wenn ich gesündigt habe, haben die noch mehr gesündigt, das interessiert mich nicht, ich bin nur für die Bundeskasse verantwortlich. Ich glaube, damit werden Sie der Verantwortung als Bundesfinanzminister dieser Republik nicht gerecht. ({1}) Wenn Sie jetzt bedauern - natürlich mit Recht; auch wir bedauern das -, daß sowohl bei den Ländern wie auch bei den Gemeinden der investive Anteil in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen ist und der konsumtive, vor allem der Personalkostenanteil immer mehr gewachsen ist, muß hier doch einmal die Verantwortlichkeit klargelegt werden: Wer hat denn im Jahre 1969 in diesem Lande den Reformrausch fabriziert? Wer hat das hier gemacht? ({2}) Wer hat im Jahre 1970 in den Bildungsgesamtbericht der Bundesregierung hineingeschrieben, daß 50 % eines Jahrganges das Abitur zu machen hätten? ({3}) Und wenn die Länder das dann nicht schnell genug gemacht haben, sind Sie durchs Land gegangen und haben gesagt: die sind bildungsfeindlich, die sind nicht so reformerisch wie wir. Das ist doch der Tatbestand in diesem Land! ({4}) Nun, meine Damen und Herren, zurück zum Bundeshaushaltsplan 1977. - Jede neugebildete Regierung hat eine große Chance. Es ist die Chance des Neubeginns. Dies gilt besonders auch für die öffentlichen Finanzen, also für den ersten Haushaltsplan und die erste Finanzplanung, die eine Regierung vorlegt. Diese Chance des Neubeginns hat die Bundesregierung am Beginn dieser Legislaturperiode nicht wahrgenommen. ({5}) Vielmehr sind der Haushaltsplan und der Finanzplan nichts anderes als eine buchhalterische Fortschreibung bisheriger Zahlen, so besorgniserregend diese bisher schon waren, nichts anderes als ein akrobatischer Versuch der Vermeidung der Verfassungswidrigkeit nach Art. 115 des Grundgesetzes infolge Ansteigens der Schuldenlast, nichts anderes als eine unzulässige Selbstbescheidung des Bundesfinanzministers auf die Rolle des reinen Bundeskassenwarts, obwohl daneben die anderen öffentlichen Körperschaften teilweise in einer noch viel tieferen Finanzkrise als der Bund selbst stecken, ({6}) und schließlich nichts anderes als der Verbrämungsversuch, die tiefreichende Finanzkrise in unserem Lande als eine vernünftige Wirtschaftspolitik darzustellen. ({7}) Auf jeden Fall ist die erste mittelfristige Finanzplanung nicht die redliche Bestandsaufnahme für den öffentlichen Gesamthaushalt - und darauf kommt es an -, welche überfällig geworden ist. Dabei haben wir, meine Damen und Herren, doch in den letzten Monaten in unserem Lande mit zusammengebrochenen Versprechungen - etwa in der Rentenpolitik - Erfahrungen gemacht. Wäre dies nicht in Deutschland der Zeitpunkt für eine grundlegende Besinnung, für eine grundlegende Besinnung darauf, was der Staat, was die Gemeinschaft überhaupt noch leisten kann und was der Staat, was die Gemeinschaft eben nicht mehr leisten kann? ({8}) Wird nicht von dieser Regierung wiederum, wird nicht erneut mehr versprochen, als sie schließlich in den nächsten Jahren tatsächlich einhalten kann? ({9}) Ist nicht inzwischen in unserem Volk der Hunger nach der Wahrheit so groß, daß hier die Chance zu einer aufrichtigen Sanierung - auch mit Unterstützung dieser Opposition, die sie oft genug angeboten hat - hätte wahrgenommen werden können? ({10}) Diese Chance hat die Bundesregierung nicht wahrgenommen. Sie hat die Kraft dazu nicht aufgebracht. Sie setzt vielmehr die Irrwege der vergangenen Jahre fort, die notgedrungen in der Sackgasse werden enden müssen. Für die CDU/CSU - und damit haben Sie unsere klare Position, Herr Bundesfinanzminister - scheidet auf jeden Fall die Fortsetzung zweier Irrwege aus, erstens des Irrwegs, immer mehr Staatsverschuldung zu produzieren, und zweitens des Irrwegs, mit immer mehr Abgabenbelastung den Versuch der Sanierung zu machen. ({11}) Zum ersten: Die Fortsetzung der Verschuldungspolitik ist der Weg, der schließlich zur galoppierenden Inflation - mit allen verheerenden Folgen für alle in unserem Land - führt. Dazu muß man sich - und ich rede hier vom Gesamthaushalt, vom öffentlichen Gesamtbereich, und dafür und nicht bloß für die Bundeskasse tragen Sie die VerantDr. Häfele wortung - einmal vergegenwärtigen, um welche Zahlen es sich bei der Verschuldung inzwischen handelt. Ende 1973 belief sich die öffentliche Gesamtverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland - also alle öffentlichen Hände zusammengenommen - noch auf 163 Milliarden DM. In nur drei Jahren hat sich dieser Schuldenstand ungefähr verdoppelt auf 300 Milliarden DM; dies sind 300 000 Millionen Mark. Darin sind Bahn und Post mit 30 Milliarden bzw. 38 Milliarden DM Schulden noch gar nicht enthalten. Ende 1977 werden die öffentlichen Hände einen Schuldenstand von 350 Milliarden DM haben; wenn man Bahn und Post noch dazurechnet, sind es weit über 400 Milliarden DM. Dies heißt, daß mindestens 25 Milliarden DM - einschließlich Bahn und Post sogar über 30 Milliarden DM - allein für den Zinsendienst in unserem Land angesichts dieser Staatsverschuldung aufgebracht werden müssen. Das ist der Tatbestand. Bedenklich ist, daß sich vor allem der Anstieg der konsumtiven Ausgaben in allen öffentlichen Körperschaften in den letzten Jahren fortgesetzt hat. Dies war nicht, sosehr Sie sich auch dessen rühmen, Herr Bundesfinanzminister, das klassische „Defizitspending" in den letzten Jahren, indem man bewußt etwa investive, wachstumsfördernde Dinge steigert, solange die private Nachfrage in der Krise ausfällt, sondern das war nichts anderes, als daß Sie wiederkehrende, gesetzlich verbriefte Leistungen, in erster Linie Personalkosten, mit diesen Schulden finanziert haben. ({12}) Dies war die Folge der Fehler, die diese Koalition nach 1969 gemacht hat. Als zunächst von 1970 bis 1974 die heimlichen Steuererhöhungen im Übermaß hereinsprudelten, haben Sie unsere Warnungen nicht ernst genommen, sondern so getan, als wenn Sie ordentlich finanzieren würden. Als dieses dann unter unserem Druck durch die sogenannte Steuerreform, die nur einen Teil dieser heimlichen Steuererhöhungen wieder zurückgegeben hat, plötzlich wieder beendet werden mußte, sah die Wirklichkeit so aus, wie sie vorher immer schon erkennbar war. ({13}) Die Folge ist, daß wir auch in normalen Jahren eine enorme Neuverschuldung haben. Sie sagen und können das inzwischen nachweisen: Letztes Jahr haben Sie ein volkswirtschaftliches Wachstum von 5,6 % gehabt, dieses Jahr erwarten Sie amtlich 5 %. Das sind völlig normale Jahre. Wenn wir durchschnittlich mehr als 4 % Wachstum haben, so sind das sogar gute Jahre, und trotzdem setzen Sie die Neuverschuldung bis an den Rand oder womöglich über den Rand der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit hinaus fort. In Ihrer Etatrede sagten Sie gestern, Herr Bundesfinanzminister: Unser Schuldenstand ist, international gesehen, niedrig. Lesen Sie einmal den neuesten vorliegenden Bundesbankbericht vom Februar! Darin steht, daß der Marsch ins Defizit in Deutschland in den letzten Jahren ausgeprägter als in vergleichbaren Ländern gewesen ist. Es geht nicht nur um den Schuldenstand, sondern das Verhängnisvolle war gerade die Entwicklung der letzten Jahre, und es gibt kein vergleichbares Land, wo der Marsch in die Verschuldung so ungestüm war wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. ({14}) In den kommenden Jahren kommt es darauf an, daß die wachstumsfördernden Teile Schritt für Schritt wieder größer werden und auch vernünftige öffentliche Zukunftsinvestitionen wieder gesteigert werden. Statt dessen haben Sie erreicht, daß die Beweglichkeit der öffentlichen Haushalte immer kleiner geworden ist, und zwar wegen des Schuldendienstes, der in den nächsten Jahren zunehmen wird. Es ist ein gespenstischer Ausblick, wenn wir in den kommenden Jahren wirklich wieder eine echte Rezession bekommen würden. Es ist überhaupt keine Chance für eine Reserve in irgendeinem öffentlichen Haushalt vorhanden, um auch nur ein zweites Mal annähernd so etwas zu tun, was wir in den letzten Jahren getan haben. Das ist ein gespenstischer Ausblick in unserer Lage. ({15}) Nein, geordnete öffentliche Finanzen sind eine der wichtigsten Rahmenbedingungen für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung. So lange, wie Sie eine solche Verschuldungspolitik fortsetzen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß das Vertrauen in unserem Land für eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung nicht wieder einkehren wird. Öffentliche Verschuldung in diesem Ausmaß und Vertrauen sind nicht möglich. Das Zweite: Die CDU/CSU macht den Irrweg nicht mit, mit immer mehr Abgabenbelastung die Dinge lösen zu wollen. Dabei meinen wir die Summe sämtlicher öffentlicher Abgaben. Hier haben wir inzwischen in Deutschland die Grenzen des Erträglichen erreicht, ja teilweise sogar schon überschritten. Bei den arbeitenden Bürgern ist es immer mehr so, daß sie leistungs- und aufstiegshemmend besteuert oder mit anderen Abgaben belastet werden. Bei den Betrieben ist es so, daß die überzogene Besteuerung und sonstige Belastungen Investitionen verhindern, was auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze hemmt. Das ist das Ergebnis einer Politik, die beim SPDSteuer-Parteitag 1971 amtlich eröffnet wurde und durch Ihren aufrichtigsten Mann mit dem Siegel versehen wurde: Wir wollen die Belastbarkeit der Wirtschaft ausprobieren. 1977 setzen Sie den Weg immer stärkerer Abgabenbelastungen fort. 4 Milliarden DM Steuermehrbelastungen gibt es allein in diesem Jahr. - Herr Bundesfinanzminister, da sollten Sie nicht lachen. Sie wissen ganz genau, was in den kommenden Monaten an Abgabenmehrbelastung auf unsere Bürger, unsere Wirtschaft zukommt. Das ist kein Grund für Sie, hier hämisch zu lachen. ({16}) Sie heben die Beitragsbemessungsgrenzen an. Der Rentensanierungsversuch Ihrer Regierung wird die Krankenkassenbeiträge steigen lassen, wird zu einer Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge führen. ({17}) Daneben sind die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer in diesem Jahr um ,rund 2 Milliarden DM gestiegen, von der Tabak- und Branntweinsteuererhöhung gar nicht zu reden. Wir haben also 4 Milliarden DM Steuermehrbelastungen und daneben die Belastungen durch geänderte Beiträge. Die heimlichen Steuererhöhungen setzen sich sprunghaft fort. Der Bund der Steuerzahler hat ausgerechnet, daß bei einem Lohnanstieg von brutto 6 % - das ist ungefähr das, was jetzt für den öffentlichen Dienst ausgehandelt wurde - Millionen unserer Arbeitnehmer davon weniger als die Hälfte netto auf die Hand erhalten und daß ungezählte sogar weniger als 30 oder 20 % dieses Bruttomehrbetrags bekommen. Das ist die Lage in unserem Land. Gestern ist eine neue Untersuchung des Ifo-Instituts bekanntgeworden. Lesen Sie diese Untersuchung einmal genau nach! Sie sagt aus, wohin die Entwicklung in den nächsten Jahren mit der Abgabenbelastung vor allem der tragenden Mittelschichten treibt, der Facharbeiter, der Werkzeugmacher, der Maschinenschlosser, der Maurer. Fragen Sie die draußen mal, wenn sie ihren Lohnzettel kriegen, was ihnen von einer Erhöhung um 6 oder 7 % auf der Hand bleibt. Es sind kaum mehr als 1 oder 2 %. ({18}) Meine Damen und Herren, wenn es so weit ist, daß sich derjenige, der aufsteigen will, der arbeiten will und kann, immer mehr als der Dumme vorkommt, dann ist die Axt an die Wurzel unserer Sozialen Marktwirtschaft gelegt. ({19}) Damit komme ich zu unserer Haltung in der Mehrwertsteuerfrage. Sie sollen heute ganz genau Bescheid bekommen, Herr Bundesfinanzminister. Wir haben schon einen Teilerfolg erreicht: Der CDU/CSU ist es gelungen, den Plan der SPD/FDP-Koalition abzuwenden, die Mehrwertsteuer schon im Jahr 1977 anzuheben Wir haben auch schon einen weiteren Teilerfolg erreicht: Inzwischen haben Sie davon Abstand genommen, für das kommende Jahr 100 °/o einer Mehrwertsteuererhöhung für fiskalische Zwekke zu vervespern; Sie wollen, wie Sie sagen, die Hälfte einer Erhöhung in Form von Entlastungen wieder zurückgeben. Diese Teilerfolge sind schon einmal da. Aber, Herr Bundesfinanzminister, es kommen noch andere Erfolge. Sie haben inzwischen zwar nur die Hälfte zum Stopfen von Haushaltslöchern vorgesehen. Das ist ein Fortschritt. Aber auch hierzu sagt die CDU/CSU ein klares Nein. Wir machen dieses Geschäft in der Tat nicht mit, Herr Bundesfinanzminister, Ihnen mit Hilfe von ohnedies überfälligen Reparaturen an der mißglückten Steuerreform noch 6 Milliarden DM zum Stopfen von Haushaltslöchern in die Hand zu geben. ({20}) Die Hauptgründe für unser Nein zu diesem Steuererhöhungsplan der Bundesregierung sind, kurz gesagt, die folgenden. Erstens. Die Mehrwertsteuererhöhung, wie sie die Regierung vor hat, ist wirtschaftspolitisch falsch. Die Preis-Lohn-Spirale wird auf eine gefährliche Weise verschärft. Rein rechnerisch wird sie zwar nur Preissteigerungen von 1,5 % nach sich ziehen, in Wirklichkeit können diese aber sogar mehr als 2 % betragen. In dem neuesten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank ist nachzulesen, wie sich die Branntwein- und die Tabaksteuererhöhung ab 1. Januar dieses Jahres auf die Preissteigerungsrate ausgewirkt hat. Die Bundesbank sagt, daß allein wegen dieser Erhöhung um „nur" 1,3 Milliarden DM die Preissteigerungsrate im Januar von 3,6 auf 4,1 %, also um 0,5 Prozentpunkte, angewachsen ist. Wenn man dies auf die Mehrwertsteuererhöhung fortschreibt, die nämlich 12,5 Milliarden DM mehr erbringt, dann müßten die Preise am 1. Januar nächsten Jahres um 5 % steigen. Eine Berechnung der Deutschen Bundesbank! Wir wollen alle hoffen, daß es nicht so ist. Aber damit ist mindestens bewiesen, daß die Annahme, daß das preisniveauneutral beschlossen werden könnte oder daß nur eine Preissteigerung von 1,5 % die Folge wäre, völlig irreal ist, völlig an der Wirklichkeit unserer Lage vorbeigeht. ({21}) Vielmehr besteht die große Gefahr, daß die Preise steigen werden und als Folge davon die Löhne steigen werden; denn die Tarifpartner werden dies natürlich in die Kalkulation nehmen. Die Kosten unserer Betriebe werden steigen. Die ohnedies schon vorhandene Investitionsschwäche wird noch verschlimmert mit der Folge, daß zusätzliche Arbeitsplätze nicht geschaffen oder gar Arbeitsplätze vernichtet werden. Zweitens. Die Mehrwertsteuererhöhung, die die Regierung vorhat, dient nicht der Sanierung der öffentlichen Haushalte. Nur nominell und scheinbar wird der Kreditbedarf verringert. In Wirklichkeit erfassen die Preissteigerungen natürlich auch die öffentlichen Ausgaben. Vor allem die Gemeinden sind die Hauptleidtragenden jeder Mehrwertsteuererhöhung. Dann muß man vor allem natürlich über kurz oder lang auch noch die Sekundärwirkungen mit einbeziehen. Die Folgewirkung auf die Lohnentwicklung - wir haben die Gehaltsrunden gerade eben erlebt - ist, daß das selbstverständlich bei den Gehaltsrunden mit in die Verhandlungen eingeht, so daß gerade im öffentlichen Bereich eine Personalkostensteigerung ebenfalls die Folge sein wird. Es ist nicht irreal, anzunehmen, daß von diesen rund 12,5 Milliarden die Hälfte eben rein nominelles, scheinbares Wachstum ist; sie wird in Wirklichkeit durch diese Kostensteigerung aufgezehrt werden, vor allem auch im personellen Bereich. ({22}) Nein, der bessere Weg ist der, den die Bundesregierung letztes Jahr in ihrer mittelfristigen FinanzDr. Häfele planung selbst aufgezeigt hat. Die letztjährige mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung unterscheidet sich von der neu vorgelegten. Die Steigerungsquoten waren wesentlich geringer für die kommenden Jahre angesetzt, als Sie sie jetzt ansetzen. Wenn wir die Steigerungsquoten nähmen, die Sie letztes Jahr beschlossen haben - bis 1979 -, dann würden Sie sich in der Gesamtsaldierung sogar wesentlich besser stellen als mit einer Mehrwertsteuererhöhung, weil Sie ja die Preissteigerungen mit einrechnen müssen. 3 % hatten Sie letztes Jahr für das Jahr 1977 als Steigerungsquote vorgesehen, jetzt 6,3 %; für 1978 7 %, jetzt 7,5 %, für 1979 5,4 %, jetzt 6 %. Nein, das ist nur scheinbar ein Weg. Das ist nicht ein redlicher Weg, der. Ihnen wirklich weiterhelfen kann. Drittens. Das Steuerpaket der Bundesregierung ist kein Steuerentlastungsprogramm, sondern ist ein Steuererhöhungsplan. Es ist ein Köder, wie einer gesagt hat, mit Haken, und dabei ist der Haken doppelt so groß wie der Köder. Lassen Sie mich das an Hand des Beispiels Kindergeld nachweisen. Sie sagen, Sie würden einen Teil als Kindergeld. wieder zurückgeben. Nehmen wir mal die VierPersonen-Familie, die ja inzwischen in Deutschland schon überdurchschnittlich groß geworden ist, also eine Familie mit einem Zweitkindergeld. Für das zweite Kind geben Sie 10 DM scheinbar mehr. In Wirklichkeit nehmen Sie dieser Familie 30, 40 oder gar mehr Mark mit der anderen Hand wieder weg. Das Ganze nennen Sie eine „Entlastung" oder eine zusätzliche Bereicherung einer kinderreichen Familie. So geht die Rechnung nicht auf. ({23}) Es ist völlig ausgeschlossen, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie das Wohngeld anheben, daß Sie die Ausbildungsförderung anheben, daß Sie für die öffentlichen Bediensteten mehr zahlen und ausgerechnet beim Kindergeld, wo wirklich ein soziales Ärgernis in unserem Land besteht, sagen: Aber das geht nur, indem man den Familien vorher das Doppelte dessen wegnimmt, was man ihnen nachher gibt. ({24}) Genauso ausgeschlossen ist es, einen ganz kleinen Teil der heimlichen Steuererhöhungen, wie sie sich seit der Steuerreform weiterentwickelt haben, in Form von höheren Sonderausgabensätzen wieder zurückzugeben, wie Sie sagen, aber auf der anderen Seite eine Vielfaches den Leuten vorher wegzunehmen. Sie geben 7 bis 9 Mark für erhöhte Sonderausgaben zurück - so etwa wirkt 'es sich aus -, und 30 bis 40 oder gar mehr Mark nehmen Sie der Familie vorher weg. ({25}) Schließlich Ihre Vermögensteuerentlastung! Bei der Vermögensteuer, deren Anhebung wir für den größten wirtschaftspolitischen Fehler bei der sogenannten Steuerreform gehalten haben, ist eine Reparatur der Steuerreform längst fällig. ({26}) Es ist völlig ausgeschlossen, daß man für Reparaturarbeiten die Mehrwertsteuer benützt, die nur für echte Reformen zur Verfügung stehen darf. Im übrigen entlasten Sie hier auch nicht die Betriebe. Graf Lambsdorff, glauben Sie im Ernst an eine Entlastung, wenn Sie die Preise um 1,5 bis 2 oder mehr Prozent steigern und wenn Sie infolgedessen die Lohnkosten um etwa 8 Milliarden steigern? Rechnen Sie mal aus: 550 Milliarden Lohn- und Gehaltssumme nur 1,5 % mehr, dann kommen Sie auf 8 Milliarden Kosten Personalkostensteigerung. Das zeigt, daß Sie der Wirtschaft 8 Milliarden mehr Lasten aufbürden und dann 2 Milliarden wieder zurückgeben. Dann sagen Sie: Dadurch ist die Investitionsfähigkeit unserer mittelständigen Betriebe besser. - Diese Rechnung geht genausowenig auf. ({27}) Nein, es bleibt bei dem Urteil, das der Bundesfinanzminister im August 1974 über sein eigenes Programm selber gesprochen hat. Ich darf es wörtlich zitieren. Herr Minister Apel, Sie haben damals gesagt: Wir denken nicht daran, dem Bürger mit der einen Hand etwas zu geben und mit der anderen zu nehmen. ({28}) Das wäre nicht nur unsozial, das wäre unseriös. Viertens. Wir halten die Mehrwertsteuererhöhung für den grundsätzlich falschen Weg, der nür den sowieso schon vorhandenen Irrweg fortsetzt, immer mehr Staat in Deutschland auszubreiten. Die Haltung der CDU/CSU ist die gleiche wie vor der Bundestagswahl: wir halten den Weg für grundsätzlich falsch, hier immer mehr Abgabenbelastung, immer mehr Staat zu produzieren. Inzwischen hat auch der Herr Bundeskanzler entdeckt, daß es in unserem Land ein Problem gibt: Staat, Bürokratie, Gängelung des Bürgers, ein Unwohlsein wegen dieser immer mehr überhandnehmenden Bürokratie. Er beklagte diese undurchsichtige, anonyme Bürokratie. Er sagte: Wir müssen dafür sorgen, daß nicht die Freiheit, die Liberalität gefährdet werden. Dann zitierte er die Formulare, sprach von der Überforderung des Bürgers; er zitierte die Strom- und Gasrechnungen und die Mietabrechnungen. Wir haben ihn bei der Aussprache über die Regierungserklärung erlebt. Hier war er der klassische Ombudsmann, der sich für das einfache Volk darüber beklagt, was diese böse Regierung in den letzten Jahren alles getan hat. ({29}) In Wirklichkeit, wenn man die Sache genau untersucht, muß man doch fragen: Was ist denn die Wurzel dieser Fehlentwicklung? An der Spitze dieser Fehlentwicklung stand das Langzeitprogramm der SPD, das Anfang der 70er Jahre entworfen wurde. ({30}) Vorsitzender der Langzeitkommission war Herr Helmut Schmidt. Er hat damals in einer Rede gesagt das ist seine Gemeinwohlvorstellung -: „Der öffent842 liche Anteil am Sozialprodukt muß wachsen, wenn das öffentliche Wohl wachsen soll." ({31}) Und das kommt dann am Schluß heraus! Nein, das ist kein Ombudsmann, der sich vor die kleinen Leute stellen darf; das ist allenfalls ein In-sich-Ombudsmann oder, noch besser, ein Dorfrichter Adam, der jetzt beginnt, über sich selbst Gericht zu sitzen. ({32}) Nein, so einfach ist es nicht, wie der Kanzler es mit seiner Darstellungskunst hier darzulegen versucht hat. Sie sollten dieses Problem ernst nehmen. ({33}) Hier muß das Übel an der Wurzel gepackt werden. Das sind die Folgen von immer mehr Staat, von immer mehr Gesetzen, von immer mehr Bürokratie, von immer mehr Gängelung, immer mehr öffentlich Bedienstete und immer mehr Abgaben. Deshalb wollen wir diesen Abgabenstaat stoppen. Wir wollen das Übel an der Wurzel packen. ({34}) Wie weit wir inzwischen in Deutschland schon gekommen sind, sehen Sie, wenn Sie einmal in unsere mittelständischen Betriebe gehen. Sie werden von morgens bis abends gegängelt: durch Vorschriften, durch Richtlinien, durch Belastungen, so daß sie zu einer schöpferischen Tätigkeit, zu Initiativen überhaupt nicht mehr kommen. ({35}) Oder fragen Sie die freien und gemeinnützigen Träger von sozialen Einrichtungen, denen allmählich vor lauter Gängelung die Lust vergeht, überhaupt noch weiterzumachen, obwohl wir sie dringend nötig haben. ({36}) Oder nehmen wir Ihr neuestes Produkt von mehr Staat: die Berufsbildungsabgabe. Typisch mehr Staat! ({37}) - Ich hoffe, daß die FDP das inzwischen gemerkt hat. Sie sollten diese Abgabe ersatzlos kassieren und die ausbildungshemmenden Vorschriften abbauen, damit wieder mehr Lust und Initiative, mehr Leute auszubilden, entsteht. Das ist der andere Weg. ({38}) Wir brauchen in unserem Land eine grundsätzliche Wende: weniger Staat. Voraussetzung dafür ist, daß wir dem Wuchern des Abgabenstaates immer mehr entgegentreten. Unser Weg - das ist die Alternative - ist: wir müssen wieder Spielraum und Ermunterung für diejenigen schaffen, welche mehr arbeiten wollen und können, die etwas leisten wollen und können, die aufsteigen wollen und können. Wir müssen wieder Spielraum und Ermunterung für diejenigen schaffen, die etwas unternehmen wollen, die Initiative entfalten wollen, die investieren wollen. Wir sind davon überzeugt, daß wir die Probleme unseres Landes ({39}) - über das Problem von über einer Million Arbeitslosen z. B., das Problem Jugendarbeitslosigkeit ({40}) in den kommenden Jahren um so eher lösen werden, je weniger wir Leistung und Aufstieg bestrafen, je mehr wir Leistung und Aufstieg als Motoren des Fortschritts zum Nutzen aller einsetzen. Nur so werden wir auch die sozialen Probleme in unserem Lande lösen. ({41})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Herr Abgeordneter Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Häfele, wären Sie bitte einmal so nett, uns auf Grund Ihrer Ausführungen der letzten fünf Minuten darzulegen, was die Bürokratie in diesem Staate mit der Arbeitslosigkeit zu tun hat? ({0})

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das will ich Ihnen ganz genau sagen. Der Staatsanteil in unserem Lande belief sich, als Sie angefangen haben, auf 37 °/o. Inzwischen ist er auf 471)/0 angestiegen. Jede zweite Mark wird durch irgendeine öffentliche Kasse verwaltet. Das ist Einschränkung der freien Verfügbarkeit der Bürger, der Wirtschaft und der Gesellschaft, ({0}) das ist mehr Staat, das ist mehr Bürokratie, das ist mehr Schwerfälligkeit, dies ist Erschlaffen von dynamischen Kräften. ({1}) Das ist die tiefere Ursache für unsere Wirtschaftskrise, die Sie verbockt haben. ({2}) Genau dieses Erschlaffen der dynamischen Kräfte in unserem Land in Verbindung mit der Politik des In-die-vollen-Gehens nach 1970, das sind die tieferen Ursachen für unsere Fehlentwicklung. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir in der Steuerpolitik alles tun, damit sich Arbeit und Leistung wieder lohnen und Investitionen wieder erleichtert werden. Das ist der Sinn einer zukunftsgerechten Steuerpolitik. ({3}) Dies ist auch der Schlüssel zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und von neuen Chancen für die Jugend. Wenn dies nicht gelingt, können Sie von Staats wegen versuchen, was Sie wollen, Sie werden immer nur den Mangel verwalten, und am Schluß sind alle gleich mangelbehaftet. ({4}) Deshalb - und das ist unser Kurs in der Steuerpolitik werden wir - Akt 1 - dieser Steuererhöhung entgegentreten, wir werden sie ablehnen. Akt 2 - wir werden Vorschläge machen für eine sofortige Reparatur wenigstens der drängendsten Fehler der Steuerreform, wobei wir vor allem án die Kinderreichen zu denken haben. Drittens werden wir Vorschläge für einen dauerhaften Abbau der Überbesteuerung machen, und zwar der leistungshemmenden auf seiten der arbeitenden Bürger und der investitionsfeindlichen auf seiten der mittelständischen Betriebe. Das ist eine zukunftsträchtige Steuerpolitik und nicht Ihr Steuererhöhungsplan, den Sie hier vertreten. ({5}) Ich fasse zusammen: Die Sanierung der öffentlichen Finanzen ist die wichtigste finanzpolitische Aufgabe in den kommenden Jahren. Es führt kein Weg an Sparbeschlüssen vorbei, und zwar auf Jahre hinaus in allen öffentlichen Haushalten. Unser Fraktionsvorsitzender Helmut Kohl hat schon am 17. September 1975 hier in diesem Hause von der Bundesratsbank her ein umfassendes Angebot an die Koalition gemacht. ({6}) Wenn sie ihrer Führungsrolle gerecht wird, wenn sie vorangeht, ({7}) dann werden wir es nicht daran fehlen lassen, unseren Teil der Verantwortung zu tragen, wenn die Regierung mit dem Sparen wirklich ernst macht. Dieses Angebot haben sowohl Helmut Kohl wie auch Franz Josef Strauß in der Aussprache über die Regierungserklärung ausdrücklich wiederholt. Warum ergreift die Bundesregierung eigentlich diese Chance nicht? Warum werden Sie Ihrer Führungspflicht nicht gerecht und leiten die unvermeidlichen Sparbeschlüsse ein; und zwar nicht, indem sie da und dort etwas wegstreichen, sondern für eine umfassende Sanierung des gesamten öffentlichen Haushalts? Wenn Sie den Weg der grundlegenden Sanierung gehen - dieses Wort haben Sie -, wird sich die CDU/CSU aus der Verantwortung für das Ganze heraus nicht widersetzen. Wir haben dies bewiesen, als wir beim Haushaltsstrukturgesetz 1975 den Sparteil mitgetragen haben. Herr Wehner, wir haben uns völlig anders verhalten als Sie als Opposition 1965/66, wo Sie bei vergleichsweise niedlichen Problemen gesagt haben: Wir waschen doch nicht die schmutzige Wäsche fremder Leute. Wo kommen wir da hin? Das lehnen wir ab. Wir haben den Sparteil mitgetragen - das ist eben der Unterschied - und darüber hinaus angeboten, diesen Weg mit Ihnen mitzugehen, wenn Sie ihn fortsetzen. Wir sind um unserer gemeinsamen Zukunft willen bereit, auch unbeliebte Maßnahmen mitzutragen. Aber wir können nicht die Hand zu Scheinlösungen, zu Viertellösungen, zu falschen Lösungen oder zu kurzatmigem Weiterwursteln reichen, und genau das tun Sie, Herr Bundesfinanzminister, und die Bundesregierung, im Grunde lavieren Sie finanzpolitisch bloß weiter. Das ist keine Sanierung, die Sie anbieten. ({8}) Es ist für diese Legislaturperiode nicht zu spät. Wenn Sie Ihrer Führungspflicht gerecht werden, werden wir von der CDU/CSU unsere Mitverantwortung tragen. Es ist keine fortschrittliche Politik, auf Kosten kommender Generationen leben oder gar genießen zu wollen. Oder soll die Jugend einmal für die Fehler dieser Generation büßen müssen? Anstatt Zinsen zu zahlen - und das tun wir zur Zeit in erster Linie - für Vergangenes oder Gegenwärtiges, müssen wir allenfalls Zinsen für Zukunftsinvestitionen, für Zukünftiges zahlen oder müssen Erleichterungen herbeiführen, etwa um Ausbildungsplätze zu schaffen, um Arbeitsplätze zu schaffen oder schaffen zu lassen - durch Erleichterungen auf steuerlichem Gebiet. Ich nenne auch die Felder Energie und Umweltschutz. Da liegen die Zukunftsprobleme. Statt dessen zahlen wir Zinsen für Gegenwartskonsum oder gar für Vergangenes. Es ist auch keine fortschrittliche Politik, immer mehr diejenigen mit Abgaben bestrafen zu wollen, die arbeiten wollen und arbeiten können. Das führt zu keiner Lösung für das Gemeinwohl. ({9}) Auch die Regierungskoalition muß erkennen, daß es in unserem Lande längst nicht mehr nur um parteitaktisches Kalkül geht. Es geht in der Finanzpolitik inzwischen trotz aller Beschönigungen um die Grundlagen unseres Staates. Es geht wahrhaftig ums Ganze. Deshalb hat die Regierung zu handeln. Wir werden ihr folgen, wenn sie es richtig macht, aber nicht, wenn sie es falsch macht. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Böhme.

Dr. Rolf Böhme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesminister Apel hat gestern und vorhin in seinem Beitrag wieder das bekannte Steuerpaket der Bundesregierung vorgetragen und gefragt, welche Alternativen die Opposition auf diesem Gebiet hat. Mit Recht hat der Minister festgestellt, daß es diese Alternativen nicht gibt. Man konnte gespannt sein, ob die Redner der Opposition in der heutigen Debatte eine konkrete Antwort auf diese offene Frage erteilen würden. Dies war leider nicht der Fall, sondern die Redner ergingen sich samt und sonders in allgemeinen Ausführungen. Wie so etwas geht und funktioniert, hat der letzte Sprecher der CDU/CSU, Herr Kollege Dr. Böhme ({0}) Häfele, soeben in seiner unnachahmlichen Art demonstriert, indem er einen steuerpolitischen Rundschlag durchgeführt hat, indem er sozusagen ins Volle greift, weil es ums Ganze geht. ({1}) Wenn man aber den Pulverdampf der Polemik aus dieser Rede vorbeiziehen läßt, lieber Herr Kollege Häfele, stellt man fest, daß Sie im Grunde das gleiche gesagt haben, was Sie schon einmal an diesem Tisch gesagt haben: am 13. Mai 1976, als es in. der Debatte dieses Hauses um die Erhöhung der Mehrwertsteuer ging. ({2}) Damals habe ich das verstanden, Herr Häfele; denn es war ja kurz vor dem Wahlkampf. Aber inzwischen ist der Wahlkampf vorbei, und ich stelle fest: Sie haben nichts dazugelernt, Sie sind stehengeblieben. Der Ansatz Ihrer Philippika und Ihrer großen Darstellung, um was es eigentlich geht - Grundsatzfrage usw. -, war ja die Mehrwertsteuererhöhung. Wenn das aber eine so grundsätzliche Frage ist, würde ich Ihnen doch empfehlen, in Ihrer Fraktion bei denen anzufangen, die gar nicht prinzipiell gegegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sind. ({3}) Wir haben doch vorhin aus vielen Zitaten des Finanzminister gehört, daß es eine ganze Reihe von Äußerungen von Spitzenpolitikern Ihrer Partei gibt, die sich sehr wohl ein bedingtes Nein zur Anhebung der Mehrwertsteuer vorstellen können. Dies ist eigentlich der entscheidende Punkt: Bis heute gibt es bei der Opposition keinen verbindlichen Standpunkt, welchen Kurs die CDU/CSU in der Steuerpolitik fahren wird. Das, was Sie, Herr Häfele, hier vorgetragen haben, war Ihr Spezialkurs, es ist aber nach allem, was hier zu hören war, nicht der Kurs der gesamten CDU/CSU. ({4}) Es gibt - das ist vorhin in Zitaten nachgewiesen worden - zur wichtigen Frage der Mehrwertsteuererhöhung so viele Varianten, wie finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU auftreten. Es gibt das radikale Nein zur Mehrwertsteuererhöhung - Grundsatzfrage -, es gibt das bedingte Nein - bei gleichzeitiger Entlastung in anderen Bereichen, dann aber wieder unterschiedliche Überlegungen, wie diese Entlastungen aussehen sollten - und schließlich Forderungen zur Steuerentlastung ohne Mehrwertsteuererhöhung. Dies ist die Position des Kollegen Häfele, die eigentlich sehr pikant und fast makaber ist. Denn dieser gleiche Kollege Häfele, der sich hier hingestellt und prinzipiell gegen die Mehrwertsteuererhöhung mit den tollsten Argumenten gewettert hat, hat dazu einen Aufsatz geschrieben. Das ist noch gar nicht lange her. Der Aufsatz datiert vom Januar 1974. Das Heft heißt „Die politische Meinung". Da hat der Herr Häfele die politische Meinung zur Mehrwertsteuererhöhung vertreten, die ich jetzt noch einmal verlese: „Schon aus Gründen der EG-Harmonisierung wird keine verantwortliche Finanzpolitik an der Erhöhung der Mehrwertsteuer vorbeikommen. ({5}) Dies entspricht einer inneren Notwendigkeit." Das sind die Worte des Kollegen Häfele, die damals in diesem Aufsatz hier zum Ausdruck gekommen sind. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Herr Abgeordneter Häfele.

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Ihnen danken, Herr Kollege Böhme, daß Sie mich zitiert haben und auch die Worte „aus Gründen der EG-Harmonisierung" angeführt haben. Sind Sie bereit, die Gewerbesteuer abzuschaffen? Dann können wir sofort miteinander ins Gespräch kommen. Das ist EG-Harmonisierung.

Dr. Rolf Böhme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist nicht der Punkt. Herr Häfele, wir haben schon einmal darüber gesprochen. Die gleiche Frage haben Sie - ich habe zu Ihrer Rede vom 13. Mai das Protokoll noch einmal nachgelesen - damals meiner Vorgängerin und Kollegin .Huber gestellt. Was Sie hier sagen, steht nicht in dem Aufsatz, kein Wort davon. Es bleibt dabei, daß Sie vor drei Jahren einen völlig anderen Standpunkt bezogen haben als heute. ({0}) Die Wirkung dieses Taktierens ist klar. Das trifft alle, die wir in diesem Hause versammelt sind. In einer Zeit, in der es darum geht, die Konjunktur anzukurbeln, Investitionen zu fördern und die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, ist die Opposition mit ihrem Gewicht im Bundesrat ein Faktor der Unsicherheit und der Ungewißheit in unserem Lande. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die ständig das Wort vom Vertrauensklima im Munde führen, tun in Wirklichkeit alles, um in der Wirtschaft Verunsicherung und Unklarheit zu schüren. ({2}) Die Opposition ist auch unglaubwürdig, und ihre Rolle wird zur Obstruktion, wenn sie nur und ständig Kritik anmeldet, ohne selbst zur Sache zu kommen und ohne Alternativen auf den Tisch zu legen. Dies gilt vor allem für das immer wieder vorgetragene Kolossalgemälde von der ständig steigenden Steuer- und Abgabenlast mit dem Vorwurf der Überbesteuerung unserer Wirtschaft, daß nämlich die Wirtschaft im „Würgegriff der Steuern" zu ersticken droht und was der griffigen Vokabeln mehr sind Richtig ist - Herr Häfele, da stimme ich Ihnen voll zu -, daß das Lohnsteueraufkommen stark gestiegen ist. Dies ist gerade für uns SozialdemokraDr. Böhme ({3}) ten eine große Sorge. Da brauchen wir keine Belehrung von Ihrer Seite. Arbeitnehmer haben gläserne Taschen. Das Problem des Ansteigens der Lohnsteuer wird für uns. Sozialdemokraten in der Steuerpolitik der Zukunft die entscheidende Frage überhaupt sein. ({4}) Aber was heißt das, Herr Häfele? Das heißt zunächst, daß aufgezeigt wird, in welcher Weise sich das Steueraufkommen insgesamt in der Belastungswirkung verändert hat. Der Anteil der indirekten Steuern am Gesamtsteueraufkommen ist gefallen, während der Anteil der direkten Steuern am Gesamtsteueraufkommen gestiegen ist. Das Anwachsen der direkten Steuern geht fast ausschließlich auf das Konto der Lohnsteuer. Oder im Klartext und in Zahlen: der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen ist von 1960 bis 1976, also in sechzehn Jahren - 1960 waren Sie noch in der Regierung -, von 12 % auf 31 % angestiegen. Im gleichen Zeitraum fiel der Anteil der Gewinnsteuern von 34 % auf 25 % ab. Dies bedeutet, daß die Lohnsteuerzahler im Verhältnis zur Unternehmerseite eine relativ stärkere Belastung erfahren haben. Wenn aber dieser Ausgangspunkt richtig ist und die Frage künftiger Steuerentlastung ernsthaft gestellt wird, kann das Ergebnis nur sein, daß für Steuererleichterungen im Unternehmensbereich über das hinaus, was jetzt im Steuerpaket der Bundesregierung geschnürt ist, und insbesondere für undifferenzierte Steuergeschenke, die für große und kleine Betriebe in gleicher Weise wirken würden, kein Raum mehr ist. In diesem Zusammenhang ein Wort zur Steuerbelastung insgesamt. Tatsache ist, daß die Steuerlastquote in 1976 mit 23,4 % nicht höher lag als 1952 mit 23,5 %. Interessant sind auch die Relationen zu anderen vergleichbaren Ländern. Danach lag die Bundesrepublik Deutschland 1975 unter dem internationalen Durchschnitt. Viele Staaten weisen eine höhere Steuerlastquote aus, z. B. Luxemburg 33,7 %, die Niederlande 28,8 %, Belgien 25,5 %, Kanada 30,3 %. Ich weiß sehr wohl, wie problematisch solche internationalen Vergleiche sind und wie kritisch der Begriff der Steuerlastquote zu werten ist. Aber da er als Vergleichsmaßstab immer herangezogen wird, auch in der Rede von Herrn Häfele, muß ich dazu einige Worte sagen. Die Bundesrepublik liegt also im internationalen Vergleich am unteren Ende, was die Steuerlastquote angeht. ({5}) - Doch, das stimmt auch für die Gesamtabgaben. Richtig ist aber - das will ich gar nicht wegreden -, daß die Sozialversicherungsquote gestiegen ist. Aber an dieser Schraube hat die CDU/CSU kräftig mitgedreht. Es gab wohl kein Sozialgesetz, bei dem Sie als Oppositionspartei nicht Ideen genug hatten, um noch ein Teil draufzulegen. Das heißt, im Grunde sind von Ihrer Seite auf diesem Gebiet keine Sparvorschläge gekommen. Aber ich komme zurück zur Steuerbelastung. Hier hat das Ifo-Institut in seiner letzten Analyse über das Steueraufkommen 1977 festgestellt - die Zahl wurde auch von .Herrn Häfele eben genannt -, daß 1977 „nur" noch 48,3 Pfennig durchschnittlich von jeder zusätzlich verdienten Mark an öffentlichen Abgaben einbehalten werden. Herr Strauß, der gestern sozusagen steuerpolitische Grüße vor seiner Abreise nach Afrika für diese Debatte hier in einem Artikel in der „Welt" hinterlassen hat, ging somit bei seiner Schilderung von falschen Zahlen aus. Im übrigen kommt es weniger auf die Belastung der „letzten Mark" - also die Grenzbelastung - an, sondern auf die durchschnittliche Belastung des Einkommens mit Steuern und Sozialabgaben. Im Jahr 1976 - diese Zahl ist interessant - betrug diese Durchschnittsbelastung der Arbeitnehmereinkommen mit Lohn- und Kirchensteuer sowie Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung laut Angaben des Ifo-Instituts knapp 30 %, wobei noch das Kindergeld mit rund 2 % in Abzug zu bringen ist. Ich sage dies nicht, um die Steuerbelastung der Lohnsteuerzahler zu verniedlichen. Aber ich wende mich dagegen, daß mit falschen Zahlen in der Öffentlichkeit argumentiert wird, die Zahlen verzerrt bewertet werden und damit in der Öffentlichkeit ein falscher Eindruck hervorgerufen wird. ({6}) Dies gilt auch für die jetzt neu vorgebrachte Behauptung, die zusätzliche Belastung der Wirtschaft summiere sich von 1969 bis 1976 zu einem Gesamtbetrag von nahezu 87 Milliarden DM, davon Steuermehrbelastungen allein in Höhe von 37 Milliarden DM. Diese Zahlenangaben von Herrn Strauß gestern in seinem Artikel in der „Welt" gehen auf eine Veröffentlichung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zurück. Dabei wird jedoch die Steuerentlastung im gleichen Zeitraum verschwiegen. Diese Entlastungen betragen im gleichen Zeitraum allein gut 20 Milliarden DM, erreichen also eine beträchtliche Größenordnung. Ich meine, wenn Mehrbelastungen der Wirtschaft über einen längeren Zeitraum hinweg kumuliert herausgestellt werden, so dürfen die Entlastungen im gleichen Zeitraum nicht unterschlagen werden. Entscheidend aber bei dieser Debatte um zusätzliche Steuerent- oder -belastungen im Unternehmensbereich ist ein Vergleich des Ansteigens vom Brutto- und Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen. Auch hier beziehe ich mich auf eine Untersuchung des Ifo-Instituts vom November letzten Jahres. Danach ist die jährliche Wachstumsrate für Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zwischen 1968/69 und 1974/75 brutto wie netto nahezu gleich. Dies bedeutet, daß die steuerliche Belastung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen relativ kaum zugenommen hat. Ergebnis dieser Überlegung: Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig, und dieser Aufgabe entzieht sich die Opposition völlig. Eine Antwort auf die hier gestellten Fragen gibt im Steuerbereich das Steuerpaket der Bundesregierung, wonach die Mehrwertsteuer erhöht und zeitgleich gezielte Entlastungen vorgenommen werden: Erstens Entlastungen im Arbeitnehmerbereich, Herr Häfele, durch Heraufsetzung der Sonderausgabenhöchst846 Dr. Böhme ({7}) beträge und durch die Erhöhung des Kindergeldes. Zweitens Entlastungen für mittelständische Betriebe durch Ermäßigung der Gewerbesteuerbelastung mit Schwerpunkt bei den ertragsunabhängigen Teilen dieser Steuer. Drittens Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern. Ferner: Impulse für die Stadterneuerung, für die Erhaltung älterer Wohngebiete, für die Verbesserung der Voraussetzungen, Wohnungseigentum zu erwerben und zwar durch die Neuregelung von § 7 b des Einkommensteuergesetzes und der Grunderwerbsteuer. Die vorgesehenen steuerlichen Regelungen sind in der Regierungserklärung angekündigt worden und werden diesem Hohen Hause in Kürze als Gesetzesvorlage zugeleitet werden. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien nennen mit ihrem Steuerpaket Roß und Reiter. Keine Antworten gab es bisher bei der Opposition. Das „Handelsblatt", bestimmt keine Zeitung, die uns, der SPD, besonders verbunden ist, hat heute mit Recht konstatiert: „Die Union bietet ein Bild der Zerrissenheit." Diese Schwierigkeiten der CDU/CSU sind allerdings verständlich, da in der Vergangenheit allen Gruppen in unserer Gesellschaft bei jeder Gelegenheit Steuergeschenke in Milliardenhöhe versprochen worden sind. Heute zappelt die CDU/CSU im Netz ihrer eigenen Versprechungen. Hoffentlich geht ihr nicht die Luft aus, wenn der Fischzug an Land kommt. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte gern auf die gestrige Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers zurückkommen. ({0}) Das einzige, was mir an ihr nicht gefiel, war die Überschrift: Sicheres Fundament für den Aufschwung. Aber ich denke, wir können uns unschwer einigen: Wir jedenfalls sagen ja zu diesem Haushalt als einem sicheren Fundament. Die Eckwerte des Jahreswirtschaftsberichts und des Sachverständigengutachtens liegen dem zugrunde. Wir werden das bei der Debatte des Jahreswirtschaftsberichts miteinander diskutieren. Bis dahin, Herr Kollege Leicht, hat die CDU/CSU-Fraktion genügend Zeit, um ihren heutigen Antrag auf der Basis des gestrigen Abschlusses im öffentlichen Dienst noch einmal zu revidieren. Ich bin nur gespannt, ob Sie jetzt nach jedem einzelnen Tarifabschluß eine Revision von Eckwerten verlangen werden. Dann jedenfalls .halten wir uns hier am Rechnen. Meine Damen und Herren, das Stichwort „Aufschwung" ist das einzige, das mir etwas mißverständlich zu sein scheint. Ich hätte es lieber gesehen, wenn die Überschrift gelautet hätte: „Sicheres Fundament für die stetige Erholung unserer Volkswirtschaft im Rahmen der weltwirtschaftlichen Entwicklung", und zwar weil ich meine, daß wir zwar dasselbe wollen, aber uns hüten sollten, falsche Erwartungen zu wecken. Mit dem Stichwort „Aufschwung" könnte ein Erwartungshorizont verbunden sein, der an dem ausgerichtet ist, was wir in den 60er Jahren nach der Erholung von Rezessionen gewohnt waren - deswegen ist auch verständlich, daß dieser Ausdruck nach wie vor benutzt wird -, was sich aber wahrscheinlich so nicht mehr vollziehen wird, weil der weltwirtschaftliche Gesamtrahmen nicht mehr der gleiche ist. Im übrigen halte ich das, was ich gestern vom Herrn Bundesfinanzminister gehört habe, für - dies ist mein persönliches Urteil - die beste Rede zur Einbringung eines Haushalts, die ich bisher in diesem Hause gehört habe. ({1}) Sie gab eine abgewogene Darstellung unserer Situation. Es ist weder beschönigt noch schwarzgemalt worden. Und es ist eines geschehen, was ich für sehr wesentlich halte: Es ist der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1977 in die internationalen Zusammenhänge hineingestellt worden. Herr Kollege Leicht, Sie haben das dankenswerterweise nicht nur gesehen, sondern auch angesprochen. In den Ausführungen des Kollegen Althammer klang davon nicht ein Wort an. Dies kann ich nur mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Allerdings, Herr Leicht, haben Sie gesagt, der Bundesfinanzminister habe zum ersten Mal zugegeben oder zu erkennen gegeben, daß es auch Einflüsse und Einwirkungen der Bundesrepublik von innen, so haben Sie gesagt, nach außen gebe. Dies, Herr Leicht, ist nicht zutreffend. Darf ich Sie daran erinnern: In diesem Hause, an dieser Stelle haben wir über die Wirkungen diskutiert, die bundesrepublikanische wirtschaftspolitische Entscheidungen nach außen haben; nach Rambouillet, nach Puerto Rico, nach der Weltwährungskonferenz in Manila, nach dem „Schlangen"-Austritt der Franzosen. Immer wieder ist hier diskutiert und besprochen worden, welche Wirkungen die Entscheidungen, die wir treffen, auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge haben. ({2}) - Danke sehr. Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie das einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ebensowenig stimmt doch Ihr wiederholt vorgebrachter Vorwurf - auch das hören wir ja leider wirklich wie eine Gebetsmühle -, wir stünden auf dem Standpunkt und verteidigten uns damit, nur das böse Ausland sei schuld an Inflation und Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik. Ich finde das Nachkarten aus alten Debatten höchst langweilig und wenig anregend. Herr Leicht, seit 1973, seit der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht, an der sich damals unser verstorbener Kollege Klaus Dieter Arndt, Altbundeskanzler Professor Erhard und ich für meine Fraktion beteiligten, haben wir immer wieder gesagt: Selbstverständlich ist ein Teil der Entwicklung auch hausgemacht. Gestritten haben wir um den Prozentsatz dieser Beteiligung. Wir sind Graf Lambsdorff doch längst davon herunter - wenn wir das überhaupt je gedacht haben -, zu behaupten, alles komme nur von außen, wir hätten alles fabelhaft gemacht. Wer wollte so töricht sein, so etwas von sich zu behaupten? ({3}) Aber, Herr Leicht, wenn Sie und Ihre Fraktion die internationalen Zusammenhänge der Haushaltssituation der Bundesrepublik im Jahre 1977 und natürlich auch in Zukunft anerkennen, wird sowohl Ihr Dilemma wie auch das Dilemma der Bundesregierung - das liegt allerdings zwei Jahre zurück und ist gelöst - deutlich sichtbar. Herr Kollege Althammer hat heute gesagt: Wir werden eine Ausweitung des Haushalts, des Budgets der Bundesrepublik nicht hinnehmen. Das ist eine plakative Formel; wahrscheinlich gehört das in eine solche Debatte. Am Schluß werden selbstverständlich die notwendigen unvermeidlichen Ausweitungen, um die wir angesichts der Gesamtentwicklung gar nicht herumkommen, auch von Ihnen hingenommen werden. Aber viel entscheidender ist doch folgendes. Wenn auch die Bundesregierung nicht mehr Defizit, nicht mehr Staatsverschuldung in diesem Jahre will - Herr Kollege Häfele, das hat der Bundesfinanzminister in der Debatte dieser Tage mehrfach bestätigt; insofern sind wir mit Ihnen völlig einig -, dann können wir diese Position international, im Kreise unserer Partner in der Welt gegenwärtig nur durchhalten, weil wir darauf verweisen können, daß wir das Unsrige in Sachen Staatsverschuldung, in Sachen deficit spending, in Sachen Bekämpfung der Rezession durch Einsatz öffentlicher Mittel doch längst getan haben. Wir haben das getan und können deshalb darauf verweisen, weil wir eben 1975 und 1976 nicht auf die Einwände der Opposition zu diesem Thema gehört haben. Wir sehen uns in der internationalen Diskussion, Herr Häfele und auch Herr Kollege Leicht, einem Vorwurf, mindestens aber der Aufforderung ausgesetzt, wir sollten zusammen mit den beiden anderen starken Volkswirtschaften der Welt die Lokomotive anheizen, die die Weltwirtschaft wieder in Schwung bringt. Und wir sollen sie anheizen, Herr Häfele, durch mehr Verschuldung, durch mehr deficit spending des Staates, also durch etwas, was Sie beklagen. Wir können das nur deswegen von uns weisen - darin sind wir uns hoffentlich einig -, weil wir darauf verweisen können - ich wiederhole es -: Das haben wir zu einer Zeit getan, als ihr, unsere Partner draußen, euch noch sehr zurückhaltend gezeigt habt. Aber dann dürfen Sie, Herr Häfele, uns nicht den Marsch in die Verschuldung vorwerfen, dann können Sie uns auch nicht vorhalten, daß der Staatsanteil auf 47 % gestiegen ist - eine unbestreitbar faktisch richtige Feststellung ({4}) - lassen Sie mich bitte den Satz zu Ende sprechen-, sondern dann müssen Sie doch anerkennen, daß jede Mark Konjunkturprogramm, jede Mark Arbeitsbeschaffungsprogramm, jede Mark Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in diesen Staatsanteil eingegangen ist und daß es die klare Folge jeder wirtschaftlichen Rezession ist, daß der Staatsanteil steigt und die Steuerlastquote wegen schlechter werdender Erträge sinkt. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Haben Sie zur Kenntnis genommen, Graf Lambsdorff, daß die Opposition die Bundesregierung in ihrer Haltung unterstützt, die internationalen Versuche abzuwehren, mit immer mehr Verschuldung - übrigens womöglich auch mit mehr internationaler Inflation - für einen vermeintlichen Aufschwung zu sorgen?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Häfele, ich habe ja gerade gesagt, daß wir darin einig sind. Aber darf ich Sie noch einmal bitten einzusehen, daß wir diese Position nur deswegen nach außen hin erfolgreich vertreten können, weil wir in den beiden vorigen Haushaltsjahren Verschuldungen vorgenommen haben, und zwar gegen Ihren Widerspruch. Wären wir damals Ihrem Rate gefolgt, würde uns Ihre jetzige Zustimmung nichts helfen; der Druck von außen würde unerträglich. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben die Pflichten, die uns von draußen auferlegt werden, auf die wir angesprochen werden - wir drücken uns nicht um unsere wirtschaftiche Verantwortung herum; wir wissen, daß wir uns darum nicht herummogeln können -, an vielen Fronten erfüllt. Es ist Unsinn, uns das vorzuwerfen, was man eine Beggar-myneighbour-Politik nennt. Wir haben hier bei uns Konjunkturprogramme mit Rezessionsbekämpfung verabschiedet und durchgeführt. Noch einmal: Die Folge war eine hohe und schnelle Verschuldung. Diese hohe und schnelle Verschuldung, Herr Kollege Häfele, wollen wir jetzt konsolidieren, und zu dieser Konsolidierung wollen wir die Mehrwertsteuererhöhung einsetzen, jedenfalls einen größeren Teil der Mehrwertsteuererhöhung. ({1}) Wenn ich Ihren Ausführungen zur Mehrwertsteuer folge und das logisch bis zum Ende durchdenke, Herr Häfele, müßten Sie konsequenterweise für die völlige' Abschaffung der Mehrwertsteuer plädieren, weil sie ohnehin keinen Erfolg haben kann, den Staat eher noch belastet und die Lohnentwicklung antreibt. ({2}) Im übrigen, meine Damen und Herren, schlage ich vor, daß wir hier untereinander eine Diskussion führen, die von den politischen Gegebenheiten in der Bundesrepublik im März 1977 ausgeht. Was Sie, Graf Lambsdorff Herr Häfele und Herr Althammer, heute zum Thema Mehrwertsteuer hier aufgeführt haben, sind doch Schattengefechte. Sie wissen ebensogut wie ich, daß die Antwort des Bundesrates nicht so ausfällt, wie Sie sie haben wollen. Glauben Sie wirklich, daß neue Länder-Koalitionen zustande gekommen sind in Kenntnis dieser Probleme nicht anderer Probleme -, ohne daß diese Probleme in diesem Zeitpunkt so abgehandelt worden sind, daß es darauf eine Antwort geben wird? Das wissen .Sie ebensogut wie ich. Sie wissen, wie diese Antwort aussehen wird. Wir müssen im Zusammenhang mit der Verschuldung auch folgende Frage stellen. Herr Häfele, wie sähe denn die Situation - der Bundesfinanzminister hat gestern mit Zahlen aufgewartet; ich will nur die rhetorische Frage stellen, die sich, wie ich glaube, von selbst beantwortet -, auf dem Arbeitsmarkt bei uns ohne jedes Konjunkturprogramm in den Jahren 1975 und 1976 aus? ({3}) Im übrigen: Wir haben in gleichem Kontext und zur gleichen Zeit auch - dies war wahrlich nicht immer einfach - die Pflichten der Bundesrepublik als eines weltwirtschaftlich und volkswirtschaftlich starken Landes nach außen hin erfüllt. Die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland haben nichts unternommen gegen einen ständig steigenden Aufwertungstrend der Deutschen Mark, der in den letzten 18 Monaten erneut - im gewogenen Durchschnitt - 10 % gegenüber unseren wichtigsten Handelsländern ausmachte. Bundesbank und Bundesregierung haben kein schmutziges Floaten, keine Beeinflussung der Kurse durchgeführt - mit der einen Ausnahme, die ich nicht bestreite, nämlich daß wir die Position in der Schlange gegenüber Frankreich reichlich lange verteidigt haben. Dies hat die Bundesbank getan. Dazu gibt es eine sehr persönliche Meinung von mir; sie ist nicht die Auffassung der Bundesregierung. Noch einmal darf ich sagen, Herr Leicht: Was Sie zur Geldmengenpolitik gesagt haben, kann so nicht stehenbleiben. Der Bundesfinanzminister hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß wir ja doch wahrlich - ich komme gleich darauf zurück, daß ich das Ziel für bedeutsam halte - das Ziel nicht zu einem politischen Ziel an sich erklären können. Wenn wir am Ende des Jahres 1976 feststellen, daß mit dieser Geldmengenpolitik und anderen Maßnahmen ein Wirtschaftswachstum von real 5,6 % und eine Preissteigerungsrate von nur noch 4 % erzielt wurden, dann hat es doch keinen Sinn, an der Tatsache herumzukritisieren, daß das ursprünglich gesetzte Geldmengenziel um 1,2 Prozentpunkte überschritten worden ist. ({4}) Dasselbe gilt auch für das Jahr 1977. Für 1977 läßt sich heute noch nicht absehen, wie am Ende des Jahres der Geldmengenzuwachs aussehen wird. Er läßt sich auch deswegen nicht absehen - ich komme auf das zurück, was ich Sie in meiner Zwischenfrage gefragt habe, Herr Leicht -, weil wir die Umlaufgeschwindigkeit, die ja von der konjunkturellen Entwicklung abhängt, heute noch nicht kennen. Ich meine, wir haben allen Anlaß, nach erfolgreicher Geldmengenpolitik, die wir jetzt zwei Jahre durchgeführt haben, mit einigem Vertrauen auf die weitere Handhabung dieses zugegebenermaßen wichtigen - ja, ich sage: unerläßlichen - Instruments durch die Bundesbank zu sehen. Meine Damen und Herren, es werden draußen - auch im Zusammenhang mit unserer wirtschaftlichen Situation - Forderungen gestellt. Merkwürdigerweise klingt auch die Forderung nach einer Aufwertung der Deutschen Mark immer wieder auf. Man kann sich nur fragen, wie das im Floating eigentlich gemacht werden soll. Außerdem scheint es mir deswegen nicht sehr sinnvoll, weil wir anschließend, wenn wir massiv aufwerteten - sofern wir es überhaupt könnten -, um neue Kredite gebeten würden, um das Absacken von Währungen anderer Länder zu verhindern, deren Ölrechnungen auf diese Weise natürlich sehr viel teurer würden. Ich glaube, daß dies kein in sich logisches und vernünftiges Argument, keine vernünftige Forderung ist. Bundesregierung und Bundesbank tun gut daran, sich darauf nicht einzulassen. Wir werden aufgefordert, ein größeres Defizit in unserer Leistungsbilanz herzustellen. Ich frage mich: Wie macht man das eigentlich künstlich? Das kann man doch nur auf die Weise erreichen, daß unsere Partner draußen, unsere Handelspartner, insbesondere die großen und bedeutsamen, ihre Chancen wahrnehmen, die ihnen die Kostenentwicklung, die Preisentwicklung und auch die Inflationsentwicklung der deutschen Wirtschaft und die Entwicklung unserer Währung bieten. Man halte sich vor Augen, wie :dies die Wirtschaft der Vereinigten Staaten z. B. im letzten Quartal 1976 erfolgreich getan hat. Dort haben wir plötzlich eine Umkehr der Handelsbilanz; wir haben einen Importüberschuß aus den USA hierher. Man kann nur mit Betrübnis konstatieren, daß ein großer Teil unserer europäischen Partner dies nicht - hoffentlich kann man sagen: noch nicht - zuwege gebracht hat. Aber so ganz leicht wollen wir es ihnen natürlich - dies gebe ich zu - auch nicht machen, denn daß wir als ein rohstoffarmes Land die Leistungsbilanz für Gastarbeiterzahlungen, für Tourismuszahlungen und ähnliches dringlich brauchen, kann doch wohl keinem Zweifel unterliegen; wir haben hier einfach mit Vorsicht zu operieren. Um den dritten Punkt zu erwähnen: Wir und diese Bundesregierung haben international unsere Pflicht auch dadurch getan, daß wir uns an nahezu allen übernationalen Kreditaktionen, die in den letzten zwei Jahren erforderlich waren, beteiligt haben, direkt an die Adresse Italiens, in mehreren Aktionen der Europäischen Gemeinschaft, über den Internationalen Währungsfonds für ölpreisgeschädigte Länder und nicht zuletzt - ebenfalls über den Internationalen Währungsfonds - an die Adresse Großbritanniens. Graf Lambsdorff Hier möchte ich ein kritisches Wort anmerken. Die Bundesrepublik und die Bundesregierung machen die unangenehme Erfahrung eines jeden Bankiers. Der zukünftige Geldgeber wird hofiert; sobald er Geld gegeben hat und Gläubiger geworden ist, wird er eher kritisiert und ist gar nicht mehr so gerne gesehen. Das ist nicht so ganz einfach, ist aber eine Entwicklung, der wir uns nicht entziehen können. Nur muß ich sagen, daß ich wenig Verständnis etwa für Kritik aus Großbritannien an deutscher Wirtschaftspolitik - ausgerechnet im Rahmen der OECD - aufbringe. ({5}) Der Haushalt des Jahres 1977 wird internationaler Verpflichtung gerecht. Mein Kollege Gärtner hat heute schon darauf hingewiesen, daß der Bürgschaftsrahmen - ich habe es merkwürdig gefunden, daß das seitens der Koalition geschehen mußte, denn das ist ja eine risikoträchtige Angelegenheit - erheblich ausgeweitet worden ist. Ich bin dem Bundesfinanzminister dafür dankbar, daß er in einer Erklärung vor einigen Tagen darauf hingewiesen hat, daß Bürgschaften, auch wenn es damit jahrelang und jahrzehntelang gutgegangen ist, selbstverständlich dennoch ein Risiko beinhalten. Wäre das nicht so, bräuchte man sie nämlich nicht; es würde auch kein Mensch eine Bürgschaftsprovision dafür zahlen, die der Bundesfinanzminister erfreulicherweise als Einnahmeposten buchen konnte. Aber dieser Bürgschaftsrahmen ist nach außen wichtig, weil sonst viele unserer Partnerländer, insbesondere Entwicklungsländer, nicht belieferungsfähig wären. Und er ist nach innen wichtig, weil er unsere Exportindustrie - auch die mittelständische, Herr Kollege Schröder, die ich in diesem Bereich durchaus gern noch stärker beteiligt sähe - nach außen lieferfähig macht. Ohne diesen Bürgschaftsrahmen könnte man jedenfalls das politische Risiko - dazu gehört auch das Zahlungsbilanzrisiko - den Lieferanten aus Deutschland wohl kaum zumuten. Korrespondierend allerdings scheint mir wichtig, daß wir die Situation bei den Einfuhren in die Bundesrepublik untersuchen und prüfen, wo Verbesserungen notwendig sind, und zwar wiederum für die Dritte und die Vierte Welt, die ihre Produkte doch auf unseren Märkten absetzen müssen. Wir können uns nicht in die Welt stellen und sagen, wir sind für freien Welthandel, und die Schranken herunterlassen, wenn bei uns etwas geliefert werden soll. So einfach geht es nicht; diese Position ist nicht glaubwürdig. Zum zweiten gilt das aber auch wieder nach außen, weil die Belebung des Welthandels durch Importe natürlich Rückstrahlungswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland hat. Auch in diesem Zusammenhang muß man diesen Bundeshaushalt sehen, und in diesem Zusammenhang möchte ich ihm jedenfalls das Attest einer wohlausgewogenen Finanz- und Haushaltspolitik im Namen der FDP-Fraktion erteilen. ({6}) Herr Häfele, lassen Sie mich einige Worte zu dem sagen, was Sie im allgemeinen Teil Ihrer politischen Ausführungen hier haben anklingen lassen. ({7}) - Ja, auch polemisch; aber das macht nichts, denn man kann vielleicht auch versuchen, aus der Polemik den Kern herauszuholen. Ich hoffe, daß sich einer finden läßt. ({8}) - Aber Herr Franke, Sie werden doch von mir nicht erwarten, daß ich auf Polemik unpolemisch antworte. Wie käme ich dazu? Ich würde Sie enttäuschen. ({9}) Es ist richtig und wir stimmen Ihnen darin zu, daß die Situation, insgesamt gesehen, angesichts völlig veränderter Daten innen und außen in der Bundesrepublik in den kommenden Jahren nicht einfacher, sondern schwieriger werden wird. Wir stimmen Ihnen auch darin zu, daß es eine der Voraussetzungen für die Lösung dieser Probleme ist, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Ich habe keinen Zweifel - ich teile diese Auffassung mit meinen Freunden; wir haben das auch selbstkritisch offen ausgesprochen -, daß Entscheidungen und Ereignisse der Jahre 1976 und 1977, Art und Thematik des Wahlkampfes, Rentenfragen und gleichzeitige Diätenverabschiedung, Energiedebatte, die diffus geführt wird, daß all das nicht dazu beigetragen hat - um es sehr vorsichtig auszudrücken -, das Vertrauen des Wählers und des Bürgers in die Einrichtungen der parlamentarischen Demokratie zu verstärken. ({10}) Wenn wir das wieder herstellen wollen - ich fürchte, dies wird ein etwas längerer Prozeß sein, bei dem wir uns anstrengen und Mühe geben müssen, und zwar alle miteinander, die wir hier sind; ich weiß, daß auf allen Seiten des Hauses hierzu öffentliche Erklärungen abgegeben worden sind -, dann müssen mindestens zwei Erfordernisse berücksichtigt werden, wobei es wahrscheinlich noch einige mehr geben wird. Erstens: Wir sollten versuchen, so ehrlich wie möglich zu argumentieren und so ehrlich wie möglich zu sein, um die Tatsachen so, wie wir sie sehen - diese Einschränkung muß jeder machen, denn Ehrlichkeit und Wahrheit sind subjektive Begriffe[CDU/CSU] : Genau!) auf den Tisch zu legen, und wir sollten nicht mit Steinen aus dem Glashaus werfen, wie das etwa zum Thema des gestrigen Urteils dès Bundesverfassungsgerichts zur Wahlwerbung heute teilweise geschehen ist, sondern wir sollten sehen, daß wir allesamt in diesem Glashaus sitzen. ({11}) Graf Lambsdorff - Gut. Dann will ich dieses schöne Plakat aus Bayern aus dem Wahlkampf 1976 nicht noch vorzeigen. Hier sind wir allesamt und allzumal Sünder - wenn ich das in dieser Ihnen gemäßen Form sagen darf. ({12}) Zweitens. Die politischen Gruppierungen in diesem Land sollten sich darum bemühen, eindeutige Antworten auf die Probleme, wie sie heute vorliegen, zu geben. Damit meine ich: so geschlossene und, einheitliche Antworten wie nur irgend möglich. Es kann den Bürger nur verwirren, wenn er aus den Reihen einer Organisation für jedes Problem zwei oder mehr Antworten serviert bekommt. ({13}) - Diese Bemerkung richtet sich auch an Ihre Adresse, Herr Haase. Was wir zur Rentenpolitik bisher von Ihnen gehört haben, sind eine Vielzahl und Vielfalt von Vorschlägen. Ich behaupte gar nicht, daß das, was die Regierung vorschlägt, bis zum letzten eine Patentlösung sein muß; aber es ist der Versuch, eine einheitliche Antwort zu geben, und wir können uns nicht damit zufriedengeben, daß Sie zwei oder drei Antworten zu diesem Thema und zu den Krankenversicherungskosten geben. ({14}) Wir können uns auch nicht damit zufriedengeben, daß Sie uns in der Steuerfrage - der Bundesfinanzminister hat das heute hier zitiert - mehrere Antworten geben. ({15}) Sie dürfen wahrlich nicht von Hickhack sprechen, wenn Sie sich nicht den Vorwurf einhandeln wollen, daß Sie selber hier CDU/CSU-Gehacktes, aber reichlich ungenießbar, anliefern, in dem sich niemand zurechtfinden kann. ({16}) - Herr Franke, dieses Stadium, in dem der Kollege Schmidt - subjektiv wahrscheinlich gar nicht einmal unberechtigt - das Stichwort der Flickschusterei in die Debatte eingeführt hat, ist beendet. Es gibt verbindliche, auf Koalitionsbeschlüssen und Kabinettsentscheidungen beruhende Vorschläge, die zur Diskussion stehen. Heute kann jeder wissen und sehen, was diese Koalition und diese Regierung in diesen Fragen wollen. Leider kann keiner sehen, was CDU und CSU - es würde schon genügen, wenn es wenigstens CDU wäre - einheitlich wollen. ({17}) Meine Damen und Herren, der Haushalt 1977 festigt bei mir die Überzeugung, daß die Bundesregierung diese Situation erkannt hat, daß der Bundesfinanzminister versucht, im finanziellen Rahmen mit dem Haushalt die politische Antwort auf die Fragen zu geben, die sich uns heute stellen, und daß er diese Antwort solide, ehrlich und ausgewogen gibt. Hierfür bedankt sich die FDP-Fraktion beim Bundesfinanzminister. ({18})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat Herr Abgeordneter Haase ({0}).

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herrén! Der Herr Bundesfinanzminister hat zu Beginn seiner heutigen Ausführungen auf das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen und dargelegt, daß auch nach dem Urteil regierungsamtliche Informationspolitik möglich und nötig sei. Herr Bundesminister, das haben wir nie bestritten, und darum ist es in Karlsruhe überhaupt nicht gegangen. Das war alles völlig unumstritten. Gegenstand unserer Klage, Herr Apel, war der Mißbrauch, der von Ihrer Regierung mit dem Institut der Informationspolitik betrieben worden ist. Herr Finanzminister, Sie bemühen bei Ihrer Argumentation ein Inserat der bayerischen Staatsregierung. Ich will das gar nicht verteidigen, obwohl Sie mit Ihren Informationskampagnen natürlich auch die Länderregierungen herausgefordert haben. Aber statt mit Ihren Argumenten, Herr Bundesfinanzminister, außer Landes zu gehen, sollten Sie nach diesem Urteil besser in sich gehen. ({0}) Nach diesem für Sie so niederschmetternden Ausgang der Angelegenheit sollten Sie einmal selbstkritisch prüfen, Herr Apel, welchen Anteil der Beihilfe Sie an diesem rechtswidrigen Unternehmen gehabt haben. ({1}) Sie haben als Finanzminister, der mit dem Steuergeld doch in erster Linie treuhänderisch umgehen müßte, die schweren Verstöße gegen das Grundgesetz, die das Verfassungsgericht jetzt festgestellt hat, erst ermöglicht, Herr Apel. Sie haben das doch dadurch ermöglicht, daß Sie die 100 Millionen DM, die die Bundesregierung in den Wahlkampfauseinandersetzungen eingesetzt hat, Ihren Hofpropagandisten ausgeliefert haben. Es war - aus der Sicht des Urteils von gestern kann man das heute schon sagen - an jenem denkwürdigen 24. Juni 1976 - wir debattierten hier, woran sich noch jeder erinnern wird, über die Wahlkampfführung der Bundesregierung in dem damals beginnenden Bundestagswahlkampf -, als uns unser sehr verehrter Herr Kollege Hoppe ermunterte, unsere Klagen doch in Karlsruhe vorzutragen. ({2}) - Sie können es im Protokoll nachlesen, lieber Herr Hoppe. Angesichts der von der CDU/CSU festgestellten schweren Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Finanzierung der Regierungswerbung aus Steuermitteln sollte die Opposition nach Ihrer Ansicht, Herr Kollege Hoppe, nicht so viel im Hohen Hause lamentieren, sondern in Karlsruhe Beweis führen. Nun, lieber Herr Hoppe, wir haben Ihre Anregung aufgegriffen. Wir sind nach KarlsHaase ({3}) ruhe gegangen. Wir haben Beweis geführt und ein Urteil erstritten, das wohl tiefgreifende Rückwirkungen auf das Verhältnis der politischen Parteien zu den staatlichen Organen und das Verhalten der öffentlichen Hand im politischen Tageskampf nach sich ziehen wird. ({4}) Es ist nicht nur die Aktualität, die mich veranlaßt, diese Angelegenheit hier noch einmal aufzugreifen, sondern es sind die gravierenden Auswirkungen auch auf den Bundesetat, die dieses Urteil zwangsweise mit sich bringt. Denn eines kann man doch schon jetzt mit Fug und Recht sagen: das Urteil wird uns eine Fülle von Einsparungsmöglichkeiten schon in diesem Etat eröffnen. Die Rate der Einsparungen kann bei gutem Willen auf allen Seiten bei über 100 Millionen liegen. Herr Bundesfinanzminister, ich würde anregen, daß - als erster Akt im Zuge der tätigen Reue - Sie und Ihre Mitarbeiter uns jetzt im Haushaltsausschuß beim Suchen jener propagandistischen Schwachstellen behilflich sind, die in Zukunft im Etat überflüssig werden, weil das Verfassungsgericht diesen Ausgaben einen Riegel vorgeschoben hat. ({5}) Bitte, gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Mit seiner Entscheidung in der Klage der Christlich-Demokratischen Union gegen die Bundesregierung wegen Verletzung der Chancengleichheit der Parteien im Bundestagswahlkampf 1976 und wegen der Vergeudung von Steuermitteln hat das Gericht der Klage der Union in vollem Umfang stattgegeben. Das ist doch wohl unbestritten, auch angesichts der Entscheidung, ,daß der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu erstatten sind. Nunmehr ist für jedermann in dieser Republik kundig - ich sage das mit einer gewissen Genugtuung, denn ich habe sieben Jahre lang als Berichterstatter des Presseamtes von diesem Platz aus darauf hingewiesen, welcher unredlichen Mittel Sie sich im Rahmen Ihrer Volksaufklärung und Propaganda bedienen -, es ist jetzt für jedermann deutlich sichtbar, daß die amtierende Bundesregierung, in erster Linie der Bundeskanzler Schmidt, aber auch sein Finanzminister Apel - er ist ja von mir soeben schon der Beihilfe bezichtigt worden - sich schwerster Verstöße gegen das Grundgesetz schuldig gemacht haben. ({6}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien, Sie haben sich in der Vergangenheit bei der Verteidigung Ihrer regierungsamtlichen Parteipropaganda auf ein Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahre 1966 zur Parteienfinanzierung berufen, in dem seinerzeit festgestellt worden war, daß Öffentlichkeitsarbeit der Regierung unbedenklich sei, soweit sie, auf ihre Organtätigkeit bezogen, der Offentlichkeit Maßnahmen und Vorhaben darlege und erläutere. Sie haben daraus förmlich eine Informationspflicht hergeleitet. Ich erinnere mich immer noch der werten Bemühungen des Kollegen Esters, uns darzulegen, welche Wohltaten das doch seien, wenn man dem mündigen Bürger vermitteln müsse, was diese Regierung an Gutem aus dem Füllhorn ihrer Reformen auf das Land ausgeschüttet habe. Nun kann man aber rückschauend mit Fug und Recht sagen: Sie haben letztes Jahr - ich will mich auf das letzte Jahr beschränken -, um Ihr politisches Überleben zu retten, dieses Land mit einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Kampagne zur Volksaufklärung und Propaganda überzogen, die ihresgleichen sucht. Trotz schlechter Wirtschaftslage, ({7}) trotz trostloser Situation der Staatsfinanzen, trotz Abzügen bei Witwen, Waisen, Kriegsbeschädigten und Soldaten - wir haben es ja im Detail auch heute wieder gehört - haben Sie in die öffentlichen Kassen gegriffen mit dem Ziel, Ihre Wiederwahl zu sichern und sich die Staatsmacht zu erhalten. ({8}) Es ist in unserer bundesrepublikanischen Geschichte wohl einmalig, wie diese Regierung - man muß schon sagen, mit aller Zurückhaltung - schamlos öffentliche Einrichtungen und Gelder für parteipolitische Zwecke mißbrauchte. ({9}) - Ja, schamlos. Ich bin an manche Ausführungen erinnert, die der Kollege Wehner vor 1966 hier im Hause gemacht hat; er hatte sicher auch Anlaß, die Regierung zu schelten. Aber wir sind nun mal in 1977. Man kann sagen „Ihre billigen Sprüche", -({10})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber bitte sehr, Herr Kollege Wehner, gern.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege Haase, ohne die Chancengleichheit verletzen zu wollen - deswegen will ich nicht, daß Sie unmittelbar antworten -, frage ich Sie, ob Sie bereit wären,. diesem Bundestag einmal aus der großen Kenntnis eines Berichterstatters auch im Nachschlagen in diesem Bereich die Sonderorganisationen früherer Bundesregierungen in Gestalt der „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise", jener reich dotierten Organisation, die noch einen Vorgänger vor dieser Bundesrepublik hatte, und der „Mobilwerbung" hier darzulegen? Diese Frage stelle ich Ihnen, ob Sie dazu bereit wären. ({0})

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, ich kenne die Klagen, die Sie seinerzeit geführt haben, im Detail. Ich gebe Ihnen gern zu und greife ,das Wort des Grafen Lambsdorff auf: Wir sind hier alle Haase ({0}) allzumal Sünder. Nur, im Augenblick stehen Ihre Taten hier zu Gericht. ({1}) Herr Wehner, noch ein Zweites. Wenn wir ein Resümee aus diesem Urteil ziehen - es gilt ja nicht nur für die gegenwärtige Regierung, sondern es gilt auch für zukünftige Regierungen und ebenfalls für die Länderregierungen -: Wir sollten froh darüber sein, daß wir zukünftig mit dieser aus zusätzlichen Steuermitteln bezahlten amtlichen Parteipropaganda nicht mehr behelligt werden. Wir sollten froh darüber sein, daß dieses Urteil so enge Grenzen zieht. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Haase, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Sperling?

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sicher, Herr Präsident! Aber ich habe doch nur ein Viertelstündchen. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich werde Ihnen das - Haase ({0}) ({1}) : Lieber Herr Kollege Sperling, bitte.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank! Herr Kollege Haase, ist Ihnen klar, daß nicht nur die Taten der Bundesregierung des letzten Jahres zu Gericht stehen, sondern auch die Taten aller Landesregierungen im gleichen Zeitraum, und sind Sie der Ansicht, daß die bayerische Staatsregierung „schamlos" gehandelt hat? ({0})

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Sperling, was konnten denn die armen Landesregierungen anders tun, die von der Bundesregierung permanent herausgefordert worden sind? ({0}) Das sind doch nur die Reaktionen darauf gewesen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Haase, es haben sich inzwischen noch zwei Kollegen zu Zwischenfragen gemeldet. Sie haben soeben angedeutet, daß Sie - Haase ({0}) ({1}) : Bitte, wir kommen sonst in die Nacht. Graf Lambsdorff, lassen Sie es, bitte!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Also erledigt.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Sie hatten wunderbare Texte. Wissen Sie, die billigen Sprüche, die Sie in Inseraten im Lande kolportierten, waren für die deutschen Bürger die teuersten, die es je gab. ' ({0}) Solche Leistungen verdienten wahrlich Vertrauen. Ich denke hier besonders - keine Angst, es kommt nur ein einziges Beispiel; aber das sollten wir uns noch einmal zu Gemüte führen - an das Lob, das Herr Bölling an jenem denkwürdigen 24. Juni in der Fragestunde, die der Aktuellen Stunde vorausging, der Druckschrift zur sozialen Sicherheit spendete. Sie kostete damals 2 Millionen DM. Zu dieser Schrift, die den inzwischen unrühmlich davongeschlichenen Walter Arendt ({1}) in den höchsten Tönen als Rentnerfreund herausstellte, sagte Herr Bölling, sind eine Fülle positiver Zuschriften eingegangen. Da können Sie einmal sehen, meine Damen und Herren: mit „Rentnerfreund" haben Sie die Leute unter Vorspiegelung unredlicher Tatsachen eingefangen. ({2}) Das Verfassungsgericht hat Ihnen das ja auch bescheinigt. Das ist nur ein einziges Beispiel, das rückschauend deutlich macht, daß Sie sich nicht nur Eigenlob gespendet und sich selbst auf die Schulter geklopft haben, sondern auch durch unredliche Darstellungen der Sachverhalte die Bürger in unserem Lande getäuscht haben. Aber nicht genug damit, meine Damen und Herren: Sie benutzten im gleichen Zuge öffentliche Mittel, um die Opposition auch noch zu diffamieren. Leider! CDU und CSU wurden als „Schwarzmaler" gebrandmarkt, ({3}) als wir es wagten, auf die Problematik der Arendtschen Rentenrechnerei hinzuweisen. Dafür, daß wir unserer demokratischen Oppositionspflicht nachkamen und auf das sich abzeichnende Rentenfiasko hinwiesen, wurden wir mit regierungsamtlichen Mitteln herabgesetzt und einer unchristlichen Handlungsweise geziehen. Jedermann hat doch das noch in der Erinnerung. Inzwischen weiß jeder in diesem Lande, wer unredlich handelte und wer unchristliches Verhalten in diesem Wahlkampf an den Tag gelegt hat. ({4}) Meine Damen und Herren, die Opposition hat der Regierung in der Vergangenheit immer eine vernünftige Informationspolitik zugebilligt - ohne jeden Zweifel. Wir haben uns immer nur dann gewehrt, wenn sich die Regierung in Vorwahlkämpfen und Wahlkämpfen praktisch mit politischen Parteien identifizierte und sich gleichsam dem Publikum zur Wiederwahl stellte. Haase ({5}) Nun, damit wird es wohl ein Ende haben. Ein parteiergreifendes Einwirken von Staatsorganen in die Wahl wird es künftig nicht mehr geben. Es wird auch zu Ende sein mit der die offene staatsfreie Willensbildung des Volkes verfälschenden beeinflussenden Werbung der Bundesregierung zwischen den Wahlen oder in wahlfreien Jahren. Meine Damen und Herren, ein ganz wichtiger Punkt: Auch mit dem Einsatz von Sachleistungen des Staatsapparates im politischen Tageskampf muß es nunmehr ein Ende haben. Das bequeme Jetten im Flugzeug mit dem Balkenkreuz von einer Partei-und Wahlveranstaltung zur anderen wird in Zukunft auch nicht nur mehr als Akt der Veruntreuung von Steuergeldern angesehen werden, sondern erscheint unzulässig, da es gleichfalls eine grobe Verletzung der Chancengleichheit bewirkt. ({6}) Unserem verehrten Herrn Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als stellvertretendem SPD-Vorsitzenden wird von uns natürlich auch in Zukunft der Jet gegönnt, nur nicht mehr der mit dem Balkenkreuz, wenn er parteiamtlich unterwegs ist. Ich kenne im Augenblick nicht die Embleme der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, aber die mögen Sie an das Flugzeug malen. Mit dem Geld Ihrer Partei kann Herr Schmidt jetten von der Maas bis an die Memel, aber nicht mehr im Bundeswehr-Jet. ({7}) Abschließend, meine Damen und Herren: Wir blasen keine Fanfaren der Selbstgerechtigkeit, wie Herr Bölling gestern befürchtete, keineswegs. Das habe ich Ihnen auch schon deutlich gemacht. Ich wiederhole das noch einmal. Wir sind ja hier allzumal Sünder, der eine mehr, der andere weniger, Sie im Augenblick ganz besonders. ({8}) Meine Damen und Herren, positiv zu werten ist, daß uns angesichts der Weiterungen dieses Urteils auch für die Landesregierungen und selbstverständlich auch für die Kommunen in Zukunft eine Wahlkampfführung der öffentlichen Organe erspart bleiben wird. Auch die Kommunen, die sich ja, wie uns immer wieder versichert wird, in finanziell so klammen Verhältnissen befinden, sind aufgerufen aufzuhören, unredlich zu werden; denn die können das zum Teil auch ganz gut. Gehen Sie einmal nach Frankfurt. Da können Sie im Augenblick erleben, was eine pfiffige Stadtverwaltung unter sozialdemokratischer Führung an öffentlichen Mitteln im Wahlkampf einsetzt. Auch die Adventsabende für die lieben Alten zu Ostern kurz vor der Wahl sollten tunlichst unterbleiben. Da fließt nämlich auch eine Menge unnützer Gelder hin. Wir werden manche Ersparnisse erzielen können und den Bürger in Zukunft vor dem Ärgernis regierungsamtlicher Werbung bewahren. Eine gründliche Durchforstung des vorliegenden Etats nach nunmehr überflüssigen Werbeansätzen kündigt die Opposition schon heute an. Ich bin dem Berichterstatter für den Etat des Presseamtes, unserem Freund Wohlrabe, sehr verbunden, daß er dem Presseamt bereits heute ein Schreiben hat zugehen lassen, in dem er es auffordert, von sich aus erste Kürzungsvorschläge unter dem Gesichtspunkt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu erarbeiten. ({9}) Meine Damen und Herren, das gilt nicht nur für diesen Etat, sondern auch für die anderen Einzelhaushalte. Wir werden bei gutem Willen ein Fülle von Kürzungen anbringen können, und es wird sich sicher ein schönes Sümmchen zum Wohle unserer Bürger einsparen lassen. ({10})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Haase, es hat in der letzten Zeit schon einmal ein Verfassungsgerichtsurteil gegeben, wo zunächst eine ganze Menge von Kollegen hurra schrie, aber erst sehr .viel später merkte, daß sie dies auf dem falschen Fuße getan hatten. Denn in dem Moment, wo man in die nähere Prüfung eintrat, wich die Begeisterung sehr schnell, und alles sah danach ganz anders aus, als man es sich ursprünglich gedacht hatte. Ich will aber drei Sätze aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitieren, damit wir klar sehen, wer hier verurteilt worden ist und weshalb. Erstens Seite 51: Die Grenzen zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und verfassungswidrigem Hineinwirken in den Wahlkampf waren bisher umstritten. Ihr Verlauf wird in dieser Entscheidung erstmals näher präzisiert. Diese Grenzen sind nicht nur bei der Bundestagswahl 1976, sondern auch schon zuvor in zunehmendem Maße von den Regierungen in Bund und Ländern überschritten worden. Zweitens Seite 27: Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig. Der dritte Satz bezieht sich dann darauf, daß Bund und Länder in dieser Frage anders fahren müssen. Herr Kollege Haase, durch die Zwischenfrage von Herrn Wehner sind Sie ja schon darauf aufmerksam gemacht worden: Es sollte sich hier als Ankläger tunlichst nur hinstellen, wer dies mit reiner Weste tun könnte. Ein fest eingespielter Apparat mit 2 000 Beschäftigten bei der ADK - Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise -: Ganze Wagenkolonnen waren in der Mobilwerbung eingesetzt. Dies alles ist abgeschafft worden. Und, Herr Kollege Haase, die Bayerische Staatsregierung - da bin ich ganz sicher - wird ihre helle Freude an diesem Urteil haben. ({0}) Denn so wie der Kollege Wohlrabe Herrn Bölling gebeten hat, einiges wegzutun, wird wohl die Bayerische Staatsregierung - von sich aus, verständlicherweise, Herr Kollege Althammer - Wert darauf legen, die 1977 erstmals im Etat ausgebrachten 1,2 Millionen DM - wohlgemerkt, nur- Verteilungskosten für eine Boulevardzeitung mit einer Auflage von 3 Millionen ({1}) als Beilage für die bayerischen Tageszeitungen - zur Streichung anzubieten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Esters, nachdem nun schon wiederholt die Mobilwerbung und die ADK angesprochen sind, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß diese Organisation überparteilich war ({0}) und daß in ihr, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, erfreulicherweise sehr viele Sozialdemokraten mitgearbeitet haben.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Althammer, ich glaube, Sie haben dem Lachen meiner Fraktionskollegen entnehmen können, daß dies sicher eine ganz neue Erkenntnis ist. Wenn es so gewesen wäre, hätten Sie da einen hervorragenden Trick angewandt. Denn in der Perfektion, mit der Sie in dieser Phase mit Steuergeldern umgegangen sind, sind Sie nach wie vor unübertroffen. ({0}) Ich will aber noch einiges zu dem sagen, was in dem Urteil steht, und zu der Frage, zu welchen Konsequenzen es führt. Das Verfassungsgericht hat zum erstenmal Grundsätze für die Grenzziehung zwischen zulässiger und nicht zulässiger Öffentlichkeitsarbeit aufgestellt, und zwar für die Verfassungsorgane in Bund und Ländern. Grundsätzlich ist Öffentlichkeitsarbeit zulässig. Dies ist ausdrücklich klargestellt worden. Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit wird erst in Frage gestellt, wenn es um Einflußnahmen auf den Wahlkampf geht. Als Indizien sind in dem Urteil - ich nehme an, Herr Kollege Haase, Sie haben dies auch gelesen - genannt: Massierung von Anzeigen, Broschüren und Faltblättern, Identifizieren von Staatsorganen mit Parteien, appellartige Ansprache der Wähler, reklamehafte Aufmachung der Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, Verteilung von Broschüren und Faltblättern über Parteien und nahestehende Organisationen, positive Leistungsbilanzen am Ende der Legislaturperiode. Der Bundesregierung kann man hier sicherlich zugute halten, daß sie einer Praxis gefolgt ist, ohne die Negativwirkungen zu übernehmen, die frühere Bundesregierungen begründet haben und an die sich bis jetzt auch die Landesregierungen gehalten haben. Durch die ausdrückliche Einbeziehung der Länder in das Urteil ist die Chancengleichheit, was die Reaktion auf Aktionen der Öffentlichkeitsarbeit mancher Länder anbelangt, wiederhergestellt worden. Danach wird es auch z. B. nicht mehr möglich sein, daß der Kollege Kohl oder der neue Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz Maßnahmen als Leistungen der Landesregierung für Dinge in Anspruch nimmt, die der Bund geleistet hat, sprich: Autobahnbau. ({1}) Dies haben wir ja in den Serien von Anzeigen seinerzeit gehabt. Wenn in dem Urteil verschiedentlich davon gesprochen wird, daß hier zu viel mit Bildern argumentiert werde, muß man natürlich immer mal wieder in die alten Unterlagen sehen. Die Anzeigen - Herrn Althammer habe ich sie schon mal gezeigt - enthalten natürlich sehr viel Information für den Bürger. Saarbrücker Zeitung: „Der Ministerpräsident" . Zwei Worte! ({2}) - Einen Moment! Ich will hier nur sagen, wie die Konsequenzen in diesem Fall für Bund und Länder aussehen, Herr Kollege Wohlrabe. Sie können sich beruhigen, wir werden damit ja gemeinsam zu tun haben. S

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Esters, Sie gestatten wohl die Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder.

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich möchte in Anknüpfung an eine Bemerkung des Kollegen Graf Lambsdorff, hier keine Schlachten von gestern auszuführen, fragen: Welche konkreten Schlußfolgerungen gedenkt die sozialdemokratische Haushaltsgruppe bezüglich der Haushaltstitel „Öffentlichkeitsarbeit" aus dem Urteil von Karlsruhe zu ziehen?

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schröder, die Sozialdemokraten und Freien Demokraten im Haushaltsausschuß haben diese Fragen bereits behandelt und beraten, bevor wir wußten, wie das Urteil aus Karlsruhe aussehen würde. ({0}) Bei dem, was wir dort beschlossen haben, können wir guten Gewissens bleiben. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Sie gestatten wohl eine weitere Zwischenfrage.

Klaus Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000816, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wären Sie um der Wahrheit willen bereit, bevor Sie weiter nach dem Motto „Haltet den Dieb!" argumentieren, einzuräumen, daß die Aussage, nicht erst die jetzige Bundesregierung habe Verstöße der gerügten Art begangen, sondern neben zahlreichen LandesregieHartmann rungen auch frühere Bundesregierungen, weder in den Leitsätzen noch in den Gründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts drinsteht, sondern lediglich - ich setze dies in Anführungsstriche - in dem Sondervotum der Richter Geiger und Hirsch?

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das stimmt nicht. Das steht in dem Begründungsteil des Urteils selbst drin. Ich kann es Ihnen gern zur Verfügung stellen. Ich will aber auch noch sagen, worauf wir uns hier demnächst einzulassen haben. Die Kriterien für die Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit sind in der Begründung des Urteils ausschließlich an Wahlkampfzeiten orientiert. Meiner Meinung nach wird dabei nicht genügend berücksichtigt, daß in der Bundesrepublik Deutschland laufend Landtagswahlkämpfe stattfinden. Hier wird es Probleme geben. Deswegen bin ich dankbar für die Ankündigung des Bundesfinanzministers, daß es hier zu Absprachen mit den Länderregierungen kommen soll. Die notwendige und vom Gericht nicht bestrittene Informationstätigkeit einer Regierung könnte unvertretbar stark beeinträchtigt werden, wenn man daran denkt, daß die Leistungsbilanzen am Ende einer Legislaturperiode - dies gilt auch als grundsätzliches Problem - nicht mehr gegeben werden dürfen. Und schließlich wird man sehen müssen, daß der Beginn der eigentlich relevanten Wahlkampfzeiten wenig genau präzisiert worden ist. Ich wollte diese Bemerkungen nur dazu machen, damit Sie schon jetzt wissen, daß ein frühzeitiges Triumphieren unter Umständen Sie oder Ihre Parteifreunde, die anderswo mit diesem Urteil zu tun haben, in eine ganz andere Richtung bringen wird, als Sie es zur Zeit gern hätten. Im übrigen, Herr Kollege Haase, wir werden das, was wir für notwendig halten, an Konsequenzen hieraus zu ziehen, tun; dies nach genauer Prüfung dessen, was in dem Urteil steht. Nach erstem Durchsehen, glaube ich, können die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß bei den Beschlüssen bleiben, die sie intern bereits gefaßt haben. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Ich wollte mich nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschäftigen, sondern zu anderen Problemen der Haushaltspolitik und des gesamtwirtschaftlichen Bereichs zurückkehren. Nur, Herr Abgeordneter, weil Sie eben etwas gesagt haben, was im Urteil stehe und was nicht, erlaube ich mir, aus dem Urteil wörtlich zu zitieren. Es heißt dort in der mir vorliegenden Fassung auf Seite 51 unter VI: Die Grenzen zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und verfassungswidrigem Hineinwirken in den Wahlkampf waren bisher umstritten. Ihr Verlauf wird in dieser Entscheidung erstmals näher präzisiert. Dann geht es wörtlich weiter im Urteil: Diese Grenzen sind nicht nur bei der Bundestagswahl 1976, sondern auch schon zuvor in zunehmendem Maße von den Regierungen in Bund und Ländern überschritten worden. ({0}) An der verfassungsrechtlichen Beurteilung konnte sich dadurch nichts ändern. Dies ist von den Mitgliedern des Senats des Bundesverfassungsgerichts unterschrieben. Ich wollte nur haben, daß im Protokoll steht, was das Gericht wirklich gesagt hat. ({1}) - Herr Abgeordneter, es heißt Regierungen in Bund und Ländern. Sie können es also nicht eingrenzen. Aber, meine Damen und Herren, ich wollte zurückkommen auf Debattenbeiträge, die Vertreter der Oppositionsparteien heute vormittag gehalten haben, und zwar erstens auf den Bereich abweichender Äußerungen von mir zur Frage der Einkommenspolitik in diesem Jahr oder anders ausgedrückt, Herr Abgeordneter, zur Tarifpolitik. Weil ich dieser Frage, so lange die Tarifverträge für dieses Jahr noch nicht abgeschlossen sind, eine erhebliche Bedeutung beimesse und weil ich Mißinterpretationen zuvorkommen wollte, habe ich mich damit bei der Eröffnung der Frankfurter Frühjahrsmesse bewußt und - ich glaube - einigermaßen exakt befaßt. Ich möchte Ihnen gerne sagen, was ich dort ausgeführt habe: Die einkommenspolitischen Entscheidungen der Tarifvertragsparteien bleiben dabei - davor hatte ich dargelegt: Wachstums-, Beschäftigungsziele eine Gratwanderung zwischen Kostenwirksamkeit auf der einen und Nachfrageeffekt auf der anderen Seite. Wenn in letzter Zeit hin und wieder der Nachfrageaspekt steigender Löhne und Gehälter einseitig in den Vordergrund gerückt worden ist, so ist dazu anzumerken: Die Lohnkosten sind nun einmal der bedeutendste inländische Kostenfaktor. Immerhin werden in einer Lohnrunde zusätzliche Kosten produziert, die, um eine Größenordnung zu nennen, grob die Hälfte der Aufwendungen für Ausrüstungsinvestitionen ausmachen. Für das einzelne Unternehmen sind diese Kosten unmittelbar zu spüren und haben damit erhebliches Gewicht bei allen Entscheidungen. Nicht nur die jeweilige Höhe, auch die Erwartungen über zukünftige Entwicklungen sind mitbestimmend dafür, inwieweit investiert und rentabel produziert werden kann. So weit werden wir uns vielleicht auch einigen können. Aber ich habe, weil in letzter Zeit einige Propheten aufgetreten sind, die, überspitzt gesagt, so taten, als ob Tarifvertragsabschlüsse bei Null ideale Wachstumsvoraussetzungen seien, folgendes hinzugefügt, nämlich: Auf der anderen Seite spielen auch Absatzerwartungen, für die eine Endnachfrage vorhanden sein muß, eine Rolle. Deshalb kann, wenn es um die Gesamtwirtschaft geht, auch der Nachfrageaspekt bei der Entwicklung der Einkommen nicht unberücksichtigt bleiben. Die These: Je geringer der Lohnansstieg, desto besser für den Konjunkturaufschwung, ist ebenso falsch wie die These, allein der Nachfrageaspekt sei das Entscheidende. Ich habe weiter hinzugefügt: Das einseitige Hervorheben der Nachfragewirkung bedeutet ein Münchhausen-Rezept, und zwar mit der Besonderheit, daß der Schopf, an dem man sich aus dem Sumpf ziehen will, am Ende sich als Toupet erweist. Denn das ist das Problem, wenn Sie nur die eine Seite sehen. Ich habe versucht, darzulegen, daß dann, wenn die Lohnerhöhungen nur in die Preissteigerungen gehen, real nichts bewirkt wird, daß sie aber dann, wenn sie über Preissteigerungen nicht abgewälzt werden können, in die Rentabilität gehen und damit Investitionsprobleme auftreten können. Das ist das Problem, wenn die Gratwanderung nicht sauber durchgeführt wird. Weil sich ein Redner, ein Vertreter der deutschen Industrie, auf derselben Veranstaltung vorher mit dem Metallabschluß auseinandergesetzt und ihn wieder mit 6,9 % benannt hat, habe ich - und dies zitiere ich nun wörtlich - hinzugefügt: Deshalb habe ich den Metallabschluß kritisiert. Ich habe weiter hinzugefügt: Ich wollte nicht, daß er Modell für die anderen Abschlüsse würde. Allerdings waren insoweit die Überschriften in der Presse zum Teil nicht korrekt. Denn in den Überschriften stand: 6,9 %; darunter meine Kritik. Ich habe hinzugefügt: Meine Kritik richtet sich allerdings gegen die tatsächliche Höhe des Vereinbarten. Und die tatsächliche Höhe liegt nach, meinen Berechnungen bei zirka 81/2 %. Dies - so habe ich gesagt ist vom Jahreswirtschaftsbericht nicht mehr abgedeckt, weil diese Steigerung außerhalb der Möglichkeiten liegt, wenn wir die für die Beschäftigung und das Wachstum angestrebten Ziele in diesem Jahr erreichen wollen. Dieser Bemerkung habe ich nichts hinzuzufügen. Mir ging es um eine Präzisierung, weil ich dringend bitte, mitten in schwierigen tarifpolitischen Auseinandersetzungen nicht durch überflüssige, nur an Parteiegoismen aufgehängte öffentliche Polemik eine richtige Entwicklung zu gefährden. Darum bitte ich auch hier und heute. ({2}) Nun ein Wort zu Ihrer Forderung, meine Damen und Herren von der Opposition, die mich überrascht hat, nämlich auf Grund eines Tarifabschlusses die Eckwerte des Jahreswirtschaftsberichts zu korrigieren. Wir werden darüber, so glaube ich, im Detail besser dann sprechen, wenn wir Ende März die entsprechende Debatte haben. Aber was ist denn das, was im Jahreswirtschaftsbericht steht? Meine Damen und Herren, das ist eine Zielprojektion. Das heißt, es ist das, was die Regierung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln - Steuerpolitik, Wirtschaftspolitik, unterstützt durch die Bundesbank - an ökonomischen Zielen erreichen will. Aber es ist auf keinen Fall eine Prognose. Wenn also Ihre Aufforderung, die Eckdaten zu revidieren, von uns ernst genommen werden sollte, dann müßten wir wegen eines Abschlusses, der sich nicht in der Zielprojektion bewegt, danach die eigenen Ziele der tatsächlichen Entwicklung anpassen. Genau dies ist nicht die Aufgabe, die das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz der Regierung gestellt hat. Das wäre möglicherweise der Fall, wenn wir eine Prognoseaufgabe hätten. Die haben wir aber nicht. Wir haben eine Projektionsaufgabe. Tun Sie mir doch den Gefallen: Lassen Sie uns endlich einmal miteinander den Unterschied zwischen Projektion und Prognose klären. Das sind zwei verschiedene Dinge. ({3}) Abgesehen davon: Nie - auch nicht, als Sie den Bundeskanzler stellten - sind die Eckwerte des Jahreswirtschaftsberichts später korrigiert worden, auch nicht, Herr Abgeordneter, in Zeiten, in denen die Eckwerte um beachtliche Prozentsätze verfehlt worden sind, z. B. beim Wachstum. Nur ein einziges Mal hat die Regierung mitten im Jahr festgestellt, daß die Eckwerte auf Grund der tatsächlichen Entwicklung nicht erreicht würden. Das war, glaube ich, im Jahre 1970. Abgesehen davon ist es ja auch sehr riskant, auf Grund eines einzigen Abschlusses so etwas zu verlangen. Unser Bestreben muß doch sein, durch die anderen Abschlüsse, die noch folgen, die Voraussetzung zu schaffen; daß die Zahlen, die im Jahreswirtschaftsbericht stehen, möglichst erreicht werden, nämlich eine Steigerung der Lohn- und Gehaltssumme pro Beschäftigten von 7,5 °/o; nicht zu verwechseln mit dem Tarifabschluß. Und das, was der Kollege Maihofer in den letzten Tagen erreicht hat, ist ein Beitrag dazu, daß trotz des von mir kritisierten Abschlusses diese Projektion eben nicht unrealistisch geworden ist. Aber darüber sollten wir Ende dieses Monats miteinander sprechen. Lassen Sie mich noch zu einem einzigen Punkt ein Wort sagen. Ich bin ein bißchen erschrocken, unter wie stark fiskalischen Gesichtspunkten die Haushaltsdebatte heute vormittag geführt worden ist. Eigentlich ist der Haushalt in unserem Gemeinwesen doch nicht nur eine Fiskalfrage, sondern er ist auch ein wichtiges Datum in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Auch er ist doch ein Eckwert. Wenn Sie, Herr Abgeordneter, das wahrmachen, was Sie heute morgen vorgeschlagen haben, nämlich den Haushalt in seiner Zuwachsrate von 10 Milliarden um 5 Milliarden DM verändern ({4}) - habe ich Herrn Althammer falsch verstanden? -, ({5}) dann müssen Sie nach Ihrer Theorie auch einen Eckwert korrigieren; denn wenn die öffentliche Gesamtnachfrage durch Reduzierung des Haushaltsvolumens um 5 Milliarden DM anders wächst als in unserer Projektion, müssen Sie konsequenterweise das Wachstumsziel verändern. Sie werden es dann nämlich nicht erreichen. Herr Althammer, Sie wissen genauso gut wie ich: 5 Milliarden DM öffentliche Gesamtnachfrage sind rund 1/2 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das können Sie doch nicht bestreiten. Das ist eine sehr einfache Rechnung. ({6}) - Bitte schön.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, sind Sie bereit zuzugeben, daß es sehr darauf ankommt, wie diese Kürzungen ausfallen, und daß man nicht schlicht umrechnen und behaupten kann, das bringe eine entsprechende Reduzierung der Gesamtnachfrage mit sich?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Es ist überhaupt keine Frage, Herr Abgeordneter, daß das Wie auch entscheidend ist. Aber nach der normalen, einfachen Rechnung ist es wirklich so, daß 5 Milliarden DM nicht vorhandener öffentlicher Gesamtnachfrage das Bruttosozialprodukt mit ungefähr einem halben Prozentsatz tangieren. Das können wir Ihnen auf Grund der Primär- und Sekundärwirkungen dieser öffentlichen Ausgaben sehr leicht nachweisen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Bitte schön.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Friderichs, Sie kennen sicherlich die Veröffentlichung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen vom heutigen Tage.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Vom heutigen Tage?

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vom heutigen Tage.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Nein, die kenne ich nicht. Ich habe sie nicht gelesen.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber trotzdem darf ich wenigstens einen Satz daraus vorlesen, weil er gerade hierhin paßt, und Sie fragen, wie Sie dazu stehen: Sodann sei eine Finanzpolitik nötig - und wir haben es ja mit der Finanzpolitik zu tun -, die den Ausweg nicht zuerst in Steuererhöhungen und zusätzlichen Belastungen suche, sondern den Wildwuchs öffentlicher Ausgaben beschneide. Die Frage stelle ich nur deshalb, weil vorher die jetzige Situation unter Umständen ewas schiecher beurteilt wird, als andere Institute sie sehen.

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Wobei ich mich zur Zeit mit dem Haushalt 1977 befasse, von dem mir nicht bekannt ist, daß er Steuererhöhungen enthält, wenn ich von Branntwein- und Tabaksteuer absehe, die - was ich zugebe - ihre Wirkung haben. Aber ich wollte hierbei auf etwas anderes eingehen. In diesem Parlament gibt es sicher keine Divergenz der Meinungen, daß es gelingen muß, den öffentlichen Gesamthaushalt weiterhin mittelfristig zu konsolidieren, d. h., die Nettokreditaufnahme aller Gebietskörperschaften unter das derzeitige Maß herabzudrücken, auch nicht zwischen dem Finanzminister und uns. Das ist auch sein Ziel. Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite muß man auch einmal fragen: Wie hoch soll eigentlich aus gesamtwirtschaftlichen Gründen der öffentliche Gesamthaushalt sein, und wie soll seine Finanzierung erfolgen? Lassen Sie mich dazu nur zwei, drei Bemerkungen machen. Wir haben 1977 eine Ersparnisbildung der privaten Haushalte von gut 100 Milliarden DM. Das öffentliche Defizit einschließlich der Sozialversicherung beträgt rund 55 Milliarden DM. Von der privaten Ersparnisbildung geht noch ein kleiner Teil als Kapitalexport nach draußen. Ich bin ökonomisch davon überzeugt, daß der verbleibende Rest der privaten Ersparnisbildung voll ausreicht - ich betone: voll ausreicht - zur Finanzierung der privaten Investitionstätigkeit. Das ist doch die entscheidende Frage: ob ich die private Ersparnisbildung zu stark in Anspruch nehme zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben und dadurch die private Investitionstätigkeit gefährde oder ob ich Mittel, die ansonsten eben nicht in Anspruch genommen werden, benutze, um eine Gesamtnachfrage zu produzieren, die ich ermöglichen will, weil ich mir nun einmal ein Wachstumsziel von 5 % gesetzt habe, das ich wiederum unter anderem aus beschäftigungspolitischen Gründen erreichen möchte. Ich glaube, das sind Fragen, über die wir ein bißchen mehr sprechen müssen als nur über ein Urteil, dem ich mit keinem Wort ausweichen will. Zudem kommt auch die Selbstfinanzierungsquote der privaten Wirtschaft mit ins Spiel, die ich doch auch im Ansatz bringen muß. Oder wollen Sie wirklich sagen: Lieber ein bißchen schneller konsolidiert und ein bißchen weniger Wachstum und ein bißchen mehr Probleme im Beschäftigungsbereich? Anders ausgedrückt: Dieselbe Gratwanderung, Herr Leicht, die wir bei der Feststellung „Löhne sind Nachfrage und Kosten" machen, müssen wir im Grunde genommen auch bei der Frage machen „Konsolidierung und öffentliche Gesamtnachfrage". Ich glaube, daß der Haushalt in seiner jetzigen Steigerungsrate genau diese Gratwanderung versucht, nämlich mittelfristig das Konsolidierungsziel nicht aus den Augen zu verlieren, aber auch seiner Verpflichtung gerecht zu werden, die öffentliche Ge858 samtnachfrage zu ermöglichen, die Sie ganz einfach brauchen, wenn Sie nicht vermeidbare Probleme selbst erzeugen wollen. Das ist doch die Frage, die an eine Regierung gestellt wird. Deswegen können Sie es sich nicht so leicht machen, einfach nur zu sagen: Kürzen wir einmal um 5 Milliarden DM. Sie müssen wissen, daß Sie dann dafür andere Daten verändern müssen, wenn Sie dasselbe Ziel erreichen wollen, und Sie müssen eben sagen, welche Daten Sie damit meinen. Ich glaube, daß das Defizit der öffentlichen Haushalte einschließlich der Sozialversicherung im Jahre 1977 - und darüber reden wir - gesamtwirtschaftlich nicht nur vertretbar ist, sondern ich bin sogar der Meinung, daß das öffentliche Defizit im Januar 1977 in der Größenordnung, wie es sich in diesem Haushaltsplan niederschlägt, aus gesamtwirtschaftlichen Gründen schlicht und einfach erforderlich ist, nämlich um die Gesamtnachfrage auf das Niveau zu bringen, auf dem wir sie haben wollen, wenn wir das Wachstumsziel erreichen wollen. Das ist doch die Gretchenfrage. ({0}) Wenn Sie nein sagen - natürlich gibt es keine ökonomische Theorie oder Alternative -, dann müssen wir uns darüber unterhalten, wie Sie sonst die 5 % erreichen wollen, die ich will. Wir sind uns doch wohl darüber einig, das sich, wenn wir wesentlich unter 4,5 % bleiben, im Beschäftigungsbereich wenig oder gar gar nichts verändert. Daß dies auch ein Ziel ist, wenn wir diese Ordnung halten wollen, dürfte keine Frage sein.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundeswirtschaftsminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Wenn es sein muß, bitte.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, können Sie sich nicht dennoch vorstellen, daß bei zielgerichteten Streichungen im Haushalt die öffentliche Nachfrage durch private Nachfrage ersetzt wird, zumal die Sparquote in letzter Zeit rückläufig war?

Dr. Hans Friderichs (Minister:in)

Politiker ID: 11000586

Wenn wir dieser Meinung so sicher wären, hätten wir wahrscheinlich die private Nachfrage etwas anders eingesetzt; aber hier zeigt sich doch, Herr Abgeordneter - ganz unabhängig von der Frage, ob Sie den Menschen mehr Geld lassen oder weniger Geld lassen; ich meine das jetzt im Hinblick auf die Steuerpolitik -, daß auf Grund des erreichten Lebensstandards die früheren Nachfragestrukturen nicht mehr gelten. Es ist doch kein Geheimnis, daß von jeder Mark, die netto mehr verdient wird - lassen Sie brutto ganz weg -, eben nicht mehr automatisch die früheren Kanäle gespeist werden, nämlich produktionswirksame Bereiche der Konsumgüterindustrie. Wir haben doch vor zwei Jahren gespürt, daß die Sparquote in ihrer Elastizität weitgehend emotional bestimmt ist. Wir haben ebenso zur Kenntnis nehmen müssen, daß vom zusätzlichen Verdienst ein relativ hoher Anteil zum Beispiel in den Bereich Freizeitgestaltung/ Reisen geht, was bei uns angesichts der Fremdenverkehrsbilanz und Reisebilanz der deutschen Staatsbürger de facto Export bedeutet. Das heißt: es gibt eben nicht automatisch 5 Milliarden DM private Nachfrage. Wenn das so wäre, könnten Sie theoretisch vergleichsweise leicht umbuchen. Weil es nicht so ist, können Sie das nicht so einfach machen. ({0}) Oder anders ausgedrückt: Wer 5 Milliarden DM streicht, muß eine Antwort darauf geben, wie er die Gesamtnachfrage strukturieren will - wenn er nicht zugeben will, was er damit sonst hinsichtlich Wachstum und Beschäftigung anrichtet. Ich betone noch einmal, alles dies steht unter der Voraussetzung: Anpeilen einer mittelfristigen Konsolidierung. Jetzt sage ich etwas, was mit dem Finanzminister nicht abgestimmt ist und mehr in sein Ressort gehört. Meine Damen und Herren, wir müssen dazu kommen, statt Vergangenheit zu bewältigen, hier wirklich einmal eine zukunftsorientierte Debatte zu führen. Ich hoffe für den 24. März darauf. Wir haben uns voriges Jahr einen Vormittag gestritten, ob wir ein Wachstum von 4 bis 5 % oder nur von 31/2 % erreichen. Hinterher hatten wir 5,6 %. Das war doch die Wirtschaftsdebatte des vorigen Jahres! Es ist abenteuerlich - Sie können das nachlesen -, worüber wir uns gestritten haben. Weil wir beide unrecht hatten, mußten wir uns beide nach oben korrigieren. Das war der feine Unterschied. Meine Damen und Herren, es erhebt sich die Frage: Welche Bedingungen muß ich eigentlich in einem Land wie der Bundesrepublik mit ihrem jetzigen Kostenniveau, mit 25 % Export des Bruttosozialproduktes und all den anderen Rahmenbedingungen haben, um auf Dauer das Ziel zu erreichen? Ich stelle das heute nur als Frage; ich bin aber gern bereit, bei der Debatte des Jahreswirtschaftsberichtes darüber zu sprechen, ob wir aus gesamtwirtschaftlichen Gründen - ich betone: aus gesamtwirtschaftlichen Gründen! - unabhängig von der erforderlichen Konsolidierung auf Dauer ein höheres öffentliches Defizit brauchen, als wir es in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Kriege hatten. ({1}) - Bitte, das sind Fragen, über die wir sprechen müssen, nämlich ob wir mit dem öffentlichen Defizit in Höhe der beiden ersten Nachkriegsjahrzehnte, mit einer sehr starken Nachfrageentwicklung aus ganz anderen Bereichen hinkommen, mein Ziel zu erreichen, nämlich bis 1985 ein Wachstum irgendwo um die 4 % zu haben, möglichst bis 1980 5 % und danach deutlich weniger. Denn es hängt auch mit der Entwicklung der Geburten und der Schulentlaßjahrgänge zusammen, welches Wachstum erforderlich ist, um ökonomische Ziele insgesamt erreichen zu können. Das ist die Frage. Ich will nur eine Zahl in den Raum stellen. Unterhalten wir uns doch einmal darüber, ob nicht vielleicht dauerhaft - na - 2 bis 21/2 % der richtige Satz sind. Man muß ja einmal gegenrechnen, wie man sonst in der Lage sein will, die anderen Ziele, für die wir doch eintreten, zu erreichen. Meine Damen und Herren, auch der Bundeshaushalt ist nicht nur ein Rechenwerk, sondern er ist doch letztlich Bestandteil einer Politik, die wir für die Bürger in diesem Lande machen. Ich bitte sehr herzlich darum: Lassen Sie uns um diese in die Zukunft reichenden Fragen hier ringen. Es können ja Alternativen auf den Tisch gelegt werden. Vergessen wir die Vergangenheitsbewältigung. Der Wahlkampf des letzten Jahres ist vorbei. Bis zum nächsten haben wir Gott sei Dank vier Jahre Zeit. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dollinger.

Dr. Werner Dollinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000403, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Beitrag soeben einmal den Zusammenhang zwischen Haushalt und wirtschaftlicher Entwicklung angedeutet hat. Ich stimme Ihnen gern zu, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß wir heute diese Debatte nicht ausweiten sollten; denn das wird der Gegenstand der Aussprache sein, die wir am 24. März durchzuführen haben. Ich möchte mich auf wenige Bemerkungen beschränken. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zum Thema Tarifpolitik auf Ihre Aussagen und auf die Abschlüsse hingewiesen. Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß hier eine Entwicklung vorhanden ist, die nach wie vor mit großer Sorge und mit großem Ernst gesehen werden muß. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß bei den Abschlüssen im Metallbereich die Überschriften „6,9 %" lauteten, während es in Wirklichkeit 8,5 % gewesen sind. Ich stelle hier einmal die Frage: Haben wir nicht bei den Abschlüssen von gestern, die sich bei dem Tarif selbst in einem vernünftigen Rahmen halten, durch die Tatsache, daß hier zum erstenmal Urlaubsgeld eingeführt wird, einen völlig neuen Weg beschritten, der in Zukunft neben der Tarifgestaltung weitere Belastungen bedeutet. Die Zielprojektionen, die hier vorhanden sind, sind von der Regierung selbst manchmal in Zweifel gezogen worden. Wenn man den Jahreswirtschaftsbericht liest, so kann man gerade zum Thema der Projektion scherzhaft sagen: hier zeigt sich eigentlich im Bericht selbst ein gewisser Januskopf. Ich darf mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren. Es heißt dort in Ziffer 1: Offensichtlich belasten vor allem die Inflations-und Rezessionserfahrungen die Zukunftserwartungen und Dispositionen in der Wirtschaft. In Ziffer 6 heißt es: Die Bundesregierung ist sich der Unsicherheit aller prognostischen Aussagen, die sich durch die starken strukturellen Veränderungen der letzten Jahre eher noch vergrößert haben dürfte, bewußt. Ich bitte zu sehen: Wenn in diesem Ausmaß Abschlüsse erfolgen, ist es, wie ich glaube, von der Opposition nicht irgendwie ein Widerspruch an sich, sondern Verantwortungsbewußtsein, wenn sie die Frage stellt: Kann unter diesen Aspekten die bisherige Projektion, die Zielsetzung noch aufrechterhalten werden oder nicht? Ein Wort der Warnung zur rechten Zeit ist immer besser, als wenn man schweigt und dann sagt: Nun ist es leider zu spät. ({0}) Ich habe etwas den Eindruck, daß diese Eckwerte keine kantigen Steine sind, sondern hier ist der Stein sehr abgerundet; man kann elegant vorbeirutschen, und es läuft noch einmal weiter. Ich darf eine zweite Bemerkung machen. Fritz Schäffer hat als Finanzminister einmal gesagt: Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Es kann gar keinen Zweifel darüber geben, daß auch dieser Haushalt sehr deutlich zeigt, welche Gesamtentwicklung bei uns vor sich geht. Die Entwicklung dieses Haushaltes hängt auf das engste mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zusammen. Hier stellt sich die Frage: Haben wir nun eine bessere Chance für die Zukunft, oder, anders ausgedrückt: inwieweit werden die Zukunftserwartungen, auch die des Jahreswirtschaftsberichts, durch den Haushalt gefördert oder in Frage gestellt? Ich habe keinen Zweifel daran, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Unsicherheit durch diesen Haushalt nicht abgebaut worden ist. Sie haben von den öffentlichen Haushalten und der Bedeutung der Defizite gesprochen. Ich möchte hier einmal sehr deutlich die Frage stellen, ob wir besser nicht immer von öffentlichen Haushalten und von Defiziten im Interesse der Belebung der Wirtschaft sprechen sollten. Sollten wir nicht vielmehr fragen: Was müssen wir tun, damit der Staat nicht mit Hilfe von Defiziten versucht, die Wirtschaft zu beleben? Ist es nicht viel richtiger, dafür zu sorgen, daß die private Wirtschaft durch ihre Investitionen und die Verbraucher durch die Ausgabe ihrer Gelder die Wirtschaft beleben? ({1}) Ich darf noch einmal Bezug auf den Bericht nehmen, den Kollege Leicht vorhin in einer Zwischenfrage erwähnt hat. In der dpa-Meldung von heute heißt es: Die Fortsetzung der Konjunkturerholung in der Bundesrepublik läßt auf sich warten, stellte das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen fest. In seinem am Donnerstag veröffentlichten Konjunkturbericht heißt es, in einigen Zweigen sei der Aufschwung erlahmt, in anderen in sich zusammengefallen. Bei Grundstoffen in der Industrie für Produktions- und Verbrauchsgüter sei die Nachfrage schwach geblieben. In der Bauwirtschaft liege sie tiefer als in der Rezession. Die Produktion nehme kaum noch zu. Neue Belastungen für das Kosten- und Preisniveau, dessen Stabilisierung ohnehin ins Stocken geraten sei, ständen bevor. Dies alles spricht dafür, daß die Wirtschaft nicht wieder über eine stabile Konstitution verfügt, so meint das Institut. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich glaube, eine solche Betrachtungsweise sollte uns allen zu denken geben. Denn wie wird die Entwicklung des Haushalts und wie werden Ihre Zielvorstellungen aussehen, wenn sich dieser Trend in den letzten Monaten, den das Institut hier ausdrückt, fortsetzen wird? ({2}) Herr Bundeswirtschaftsminister, sicher hat es eine Regierung bei einer Koalition nicht leicht, alles durchzusetzen. Aber ich möchte hier doch mit aller Deutlichkeit sagen: Wenn es Ihnen gelingen würde, Vorstellungen, die Sie immer wieder vertreten haben, auch in bezug auf steuerliche Entlastungen für Investitionen, durchzusetzen, und die Wirtschaft nicht durch die Gefahr neuer steuerlicher Belastungen mit steigenden Kosten zu rechnen hätte, dann wäre manches anders. Diese Unsicherheit von der Wirtschaft und vom Verbraucher zu nehmen, scheint mir ein entscheidender Punkt zu sein, wenn der Haushalt in Zukunft mit weniger Defiziten auskommen und die Wirtschaft mit einem entsprechenden Wachstum vorankommen sollen. Aber es liegt doch an der Bundesregierung, hier für einen Wandel zu sorgen. Lassen Sie mich noch das Folgende sagen. Sie haben am Anfang Ihrer Betrachtung noch einmal von dem Karlsruher Urteil gesprochen. Das hat mich, wie ich sagen muß, etwas merkwürdig berührt. Das Urteil von Karlsruhe sollte jedem Mitglied der Bundesregierung peinlich sein, darüber hinaus vielleicht auch dem ganzen Parlament. Die Selbstgefälligkeit, mit der über diesen Punkt hinweggegangen wird, ist letzten Endes die gleiche, mit der man über die Bedenken und Sorgen der Opposition in bezug auf Haushaltsfragen und wirtschaftliche Fragen hinweggeht. ({3}) Insofern bleiben sich die Regierung und ihre Vertreter absolut treu. Ich hoffe, daß wir am 24. März zu einer umfassenden Aussprache kommen werden. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Herrn Wirtschaftsminister Friderichs für die Ausführungen, die er gemacht hat, ausdrücklich danken. Ich habe gesehen, daß in den Gesichtern der Angehörigen der Opposition Nachdenklichkeit entstand. ({0}) - Nicht bei allen! Bei Ihnen habe ich es nicht sehen können; Sie drehen das Gesicht ohnehin leicht weg, Herr Wohlrabe. - Bei Ihnen entstand Nachdenklichkeit, die es Ihnen zumindest erspart, von mir jetzt den Vorwurf zu erhalten, Sie seien einsichtsunfähig. Ich glaube, bei Ihnen gibt es eine ganze Reihe von Kollegen, die gegenüber dem, was Herr Friderichs gesagt hat, in der Tat einsichtsbereit sein könnten. Ich glaube auch, daß Sie dies Herrn Friderichs aus politischen Interessenhintergründen weitaus eher abnehmen, als wenn es irgendein Sozialdemokrat sagen würde. Nur, Herr Friderichs, mache ich es mir nicht ganz so einfach. Nach dem, was Sie hier eben ausgeführt haben, habe ich den Eindruck, daß der Fundus der sozialliberalen Koalitionsgemeinsamkeiten eher im Wachsen ist. Ich weiß nicht, ob dies andere vielleicht sehr ungern hören. Der Haushalt, der vorgelegt wurde, ist eine Philosophie, in Zahlen ausgesprochen. Herr Althammer, nach den Worten, die Sie heute zum Auftakt der Haushaltsdebatte verwendet haben, muß ich sagen: Was Sie angeboten haben, ist schlitzohrige Taktiererei, in Zahlenlosigkeit gepackt. ({1}) Denn das, was auch von Herrn Häfele gesagt wurde, zeigt, daß bei Ihnen eine Seuche grassiert, die Generalistenseuche, eingeschleppt von Kohl, ({2}) merkwürdigerweise aufgenommen von dem früheren Erbsenzähler Althammer und voll durchgehalten von Herrn Häfele. Dies überrascht mich sehr; denn eigentlich hätte ich von Ihnen, Herr Althammer, nach allem, was ich im Haushaltsausschuß mit Ihnen erleben durfte - ich habe manches von Ihnen gelernt -, erwartet, daß Sie nicht den Auftakt einer Haushaltsdebatte damit beginnen, daß Sie sagen: Nun wollen wir mal gleich eine globale Minderausgabe ankündigen. Das ist doch völlig unmöglich. Das kann man vielleicht am Ende einer Haushaltsdebatte machen, nach den Beratungen im Haushaltsausschuß, in einer Art Bereinigungssitzung vielleicht, weil man den Eindruck hat - auf Grund einer bestimmten Lageentwicklung oder weil die Zeit nicht gereicht hat -, man habe doch noch Luft im Haushalt gelassen. Aber wir Parlamentarier begeben uns doch aller Rechte, wenn wir gleich zu Anfang sagen: Da ist sicher Luft im Haushalt drin; sie wollen wir erst gar nicht suchen; wir machen sozusagen ein großes Loch hinein und lassen die Luft durch eine globale Minderausgabe heraus. - Das verführt die Regierung doch nur dazu - das hätten wir wohl zu erwarten, wenn Sie regierten -, daß gesagt würde: Dann machen wir überall was darauf, bieten den Parlamentariern die Möglichkeit an, sich mit der Tugend der Sparsamkeit zu kränzen, bieten Ihnen an: Wir buttern 10 Milliarden mehr hinein, sie sollen ruhig 8 Milliarden globale Minderausgaben beschließen. Dann haben wir einerseits die Tugend der Sparsamkeit gezeigt, und andererseits hat die Regierung genau das Geld, das sie haben will. Diese fiese Tour wollen wir also gar nicht zulassen. Wir machen das nicht mit. ({3})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Dr. Sperling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, darf ich Sie fragen, ob Sie gerade den Plenarsaal verlassen hatten, als ich ausführlich dargelegt habe, daß wir mühsam Position um Position durchgehen wollen, und dabei beklagt habe, daß wir leider so wenig Zeit für die gründliche Einzelprüfung haben.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Althammer, ich war die ganze Zeit im Saal. Ich habe Ihre Rede sogar noch mal nachgelesen, um mich zu vergewissern, daß das mit der Ankündigung der globalen Minderausgabe hier in der Sitzung stimmte. Ich hatte es gehört, aber ich hatte eigentlich meinen Ohren nicht getraut, daß ausgerechnet Sie das bringen. Ich will Ihnen auch das noch sagen: ich empfinde dies, so wie Sie es gemacht haben, nicht nur als schlitzohrig und unlauter - Herr Präsident, wenn ich hinzufüge „abgrundtief verlogen", bekomme ich dann eine Rüge? -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, ich bin hier nicht für Belehrungen zuständig. Ich empfehle Ihnen aber, nachdem der Tag so gut verlaufen ist, sich das sorgfältig zu überlegen. ({0})

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, ich unterlasse also diese Qualifizierung und begnüge mich mit „unlauter" und „schlitzohrig". ({0}) Das, was Sie mit der angekündigten globalen Minderausgabe machen wollen, sieht doch so aus. Sie sagen: Bundesregierung, wir zwingen dich dazu, irgendwo Ausgaben zu kürzen; irgendwem wird dies wehtun; wir lassen uns den Mantel der Sparsamkeit umhängen, und die Bundesregierung soll den Ärger mit denjenigen haben, die nun bei diesem allgemeinen und globalen Beschluß die Betroffenen sind. So kann ich mir eine Opposition, die werdende Regierung sein will, überhaupt nicht vorstellen. Das ist eine Bankrotterklärung zum Auftakt der Haushaltsdebatte, die Sie geliefert haben, Herr Althammer. Das ist nicht in Ordnung. Ich würde mich freuen, wenn diese Worte von der globalen Minderausgabe von Ihnen zurückgenommen würden. Dann würden Sie etwas glaubhafter. ({1}) Dann könnten Sie gleich noch etwas Weiteres zurücknehmen: diesen hübschen Antrag, den Sie eingereicht haben und den wir hier in verbundener Debatte mit behandeln. Ich könnte Ihnen spaßeshalber empfehlen - ernsthaft kann ich Ihnen das nicht empfehlen, wohl aber spaßeshalber -, ihn nach dem nächsten Tarifabschluß wieder einzubringen. Rechnen Sie das einmal aus! Ich will Ihnen auch vorführen, wie das mit diesem Antrag ist. Deswegen, weil der Tarifabschluß Metall über bestimmte Daten hinausgegangen ist, sollte der Jahreswirtschaftsbericht geändert werden. Der Tarifabschluß Metall, von der Regierung in der effektiven Wirkung auf 8 bis 9 % eingeschätzt - Herr Dollinger hat sich vorhin freundlicherweise auf 8,5 % real festgelegt -, betrifft 4 Millionen Arbeitnehmer. Der Tarifabschluß im öffentlichen Dienst - in den Zeitungen steht: 6,3 %; wenn man berücksichtigt, daß der Abschluß für 13 Monate gilt und ihn auf das Jahr umrechnet, ergeben sich knapp 6 % - betrifft 4,4 Millionen Arbeitnehmer. Beide Erhöhungen zusammen bleiben unter 15 %. Geteilt durch zwei - weil, grob gerechnet, etwa gleich viel Arbeitnehmer betroffen sind - ergibt sich eine Durchschnittssteigerung von 7 ½ % Der Wert liegt genau in der Zielprojektion des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung. Es wäre also vernünftig, wenn Sie - auch im Interesse der Sparsamkeit von Bürokratie, gegen die Herr Häfele so gewettert hat, auch hier im Parlament -, den Antrag zunächst einmal zurückzögen und sich überlegten, ob Sie irgendwelche Bürokraten und Parlamentarier im Haushaltsausschuß mit diesem Antrag noch befassen wollen. ({2}) Man sollte nicht nur starke Worte machen, sondern auch kleine Einsichten daraus ziehen. So viel zu diesen beiden Dingen, die Sie nach meiner Ansicht zurücknehmen sollten. ({3}) Dem Finanzminister möchte ich sagen, daß wir den Haushalt für eine hervorragende Grundlage für ein Durchfieseln in den einzelnen Positionen halten. Nach allem, was Herr Friderichs gesagt hat, ist die Verbesserung des Haushalts unter dem Gesichtspunkt möglich: Wie läßt sich der Beschäftigungseffekt der öffentlichen Ausgaben steigern? Ich würde mich freuen, wenn die Kollegen von der CDU/CSU die Worte von Herrn Althammer bezüglich der globalen Minderausgabe nicht wahrmachten, sondern zunächst einmal fragten: Wie läßt sich der Beschäftigungseffekt dessen, was im Haushalt an Geldern eingeplant ist, steigern? Wenn dies möglich ist, sollten wir uns alle auch gemeinsam Mühe geben, dies zu tun. Dabei sollten wir uns nicht von der irrsinnigen Aufteilung leiten lassen - ich glaube, auch mit dem Kollegen Leicht wird man darüber sprechen können -, ob irgend etwas investive oder konsumtive Ausgaben sind. Nach allem, was Herr Friderichs hier vorgetragen hat - jetzt möchte ich Ihnen ein paar Zahlen zum Haushalt nennen; wir reden ja schließlich über den Haushalt, und das ist ein Zahlenwerk -, wollen wir uns einmal ein paar Zahlen darin anschauen. Die Rentenversicherungen werden mit 23,4 Milliarden DM bezuschußt. Diese Mittel gehen unmittelbar in das Portemonnaie von Staatsbürgern; sie behält kein Beamter sozusagen für irgendwelche eigenen dunklen Zwecke, sondern sie landen im Geldbeutel von Staatsbürgern. Für landwirtschaft862 liche Sozialpolitik - mit derselben Wirkung: im Geldbeutel von Landwirten landend - sind 2,96 Milliarden DM vorgesehen, für Kindergeld - es geht ebenfalls direkt in die Taschen der Bürger -14 Milliarden DM. ({4}) - Zum Kindergeld, weil der Kollege Langner einen Zwischenruf machte, lohnt es, daran zu erinnern, daß die frühere Regelung mit den Steuerfreibeträgen denjenigen, die das Kindergeld nicht nötig hatten, ({5}) hohe Beträge, und denjenigen, die es am nötigsten hatten, nichts gab. Dies haben wir geändert. ({6}) Jetzt ist das Kindergeld für alle gleich. Wir nehmen es in Kauf, daß eine paar Millionäre auch etwas kriegen. Früher hatten sie sogar mehr davon, jetzt haben sie weniger davon. Dies ist in der Tat vernünftig. Nach dem, was Herr Minister Friderichs gesagt hat, ist nämlich die kaufkräftige Nachfrage dorthin gelangt, wo die Bedürfnisse liegen und wo dieses Geld dann auch ausgegeben wird. Deswegen ist es richtig, die konsumtiven Ausgaben im Staatshaushalt so einzusetzen, daß sie in der Tat zur Belebung der Nachfrage beitragen. Dort, wo die Bedürfnisse liegen, muß das Geld hin. Es sollte nicht dort lagern, wo die Bedürfnislosen ihre Bankkonten haben. ({7}) Für Wohngeld sind 800 Millionen DM vorgesehen, für Kriegsopferversorgung, Kriegsopferfürsorge 11,7 Milliarden DM - es lohnt, sich diese Zahlen ins Gedächtnis zu rufen, damit Sie nachher nicht wieder mit Ihrem dämlichen, Entschuldigung, mit Ihrem Globalismus herumfunktionieren können -, für Wiedergutmachung und Rückerstattung 1,28 Milliarden DM, für Arbeitsmarktpolitik 1,4 Milliarden DM, für Sparprämien und Wohnungsbauprämien 5,3 Milliarden DM und schließlich für Ausbildungsförderung 2 Milliarden DM. Wenn Sie dies alles zusammenzählen - es sind alles Gelder aus dem Bundeshaushalt des Jahres 1977, die in diesem Jahr im Geldbeutel der Bürger landen werden -, ({8}) dann kommen Sie auf mehr als 65 Milliarden DM. ({9}) Ich nenne dies den direkten Bürgeranteil am Staatshaushalt, der unmittelbar kaufkräftige Nachfrage wird und damit die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes hervorragend stützt. ({10}) Dies ist auch in den vergangenen Jahren mit gleichen Anteilen am Staatshaushalt geschehen, und es ist auch Kredit aufgenommen worden, um das durchzuhalten. Das alles hat dazu geführt, daß dank der mutigen Staatsverschuldung durch die Bundesregierung Massenkaufkraft vorhanden blieb, und diese Massenkaufkraft führte dazu, daß das Beschäftigungsniveau hoch blieb. Nun sagen Sie: Ihr hättet lieber sparsam sein sollen. Dies klingt wie die Geschichte von dem Hausbesitzer, dem ein Sturm das Dach abgedeckt hat, der daraufhin zur Bank gegangen ist und einen Kredit aufgenommen hat. Das Dach ist wieder zu, die Familie hat im Winter nicht gefroren und ist nicht naß geworden. Dann kommt der liebe Nachbar zu Besuch und fragt: Wieso, hier hat keiner gefroren, keiner ist naß geworden, warum hast du dich denn verschuldet? Wir haben diese Politik gemacht, damit die Bevölkerung dieses Landes die Stürme der Wirtschaftskrise in der Welt möglichst unbeschadet übersteht, ({11}) und dies war sehr sinnvoll. Jetzt zu sagen: Ihr hättet sparsam sein sollen, bedeutet nichts anderes als: Ihr hättet die Bevölkerung im Regen stehen lassen sollen. ({12}) Dies ist zutiefst unehrlich. Deswegen sollten Sie möglichst lange auf den Bänken sitzen bleiben, auf denen Sie zur Zeit sitzen. Für einsichtsfähig halte ich Sie inzwischen, aber noch nicht für einsichtig. Was Sie bisher in der Haushaltsdebatte ausgeführt haben, zeigt entweder Mangel an Einsicht oder Mangel an Wahrheitsliebe oder Mangel an Aufrichtigkeit oder all dies zusammen. Erst wenn Sie für Ihre Sparprogramme Zahlen nennen, wird deutlich, Herr Kollege Schröder, was eigentlich eine Bevölkerung zu erwarten hätte, wenn diese Opposition Regierungspartei würde. Nur dann kann man der Bevölkerung sagen, das sei eine mögliche Alternative, denn unwissend eine andere Regierung zu wählen, die im Ungewissen läßt, was sie eigentlich tun will, und die sich nicht über die Wirkungen ihres ungewissen Tuns äußert, kann man wirklich niemandem anempfehlen. ({13}) - Das wollen wir gar nicht. Wenn die Opposition, die wir jetzt haben, so miserabel ist, wäre es wirklich ein Fehler, wenn wir versuchten, schlechter zu sein als diese, und wenn wir in die Opposition gingen. Wir sind besser als Sie; deswegen sollten wir weiter regieren - entgegen Jochen Steffen. ({14}) Der Haushalt, der vorgelegt wurde, ist gut. Er ist - das werden die Beratungen erweisen - in der Diskussion zwischen Haushaltspolitikern und Haushaltssachbearbeitern der Ministerien wahrscheinlich sogar verbesserungsfähig. Er muß verbessert werden, und zwar durch das Einarbeiten des Investitionsprogramms, das hoffentlich im Laufe dieses Monats von der Bundesregierung beschlossen werden wird, zumindest in den Teilen, für die die BunDr. Sperling desregierung selbst die Verantwortung tragen kann. Auf Grund dieses Investitionsprogramms, das, wie ich hoffe, bis Ende Juni in den Haushaltsentwurf eingearbeitet sein wird, wird sich eine Reihe von Mehrausgaben einstellen. Wir erwarten, daß sich die Bundesregierung nicht durch Ressortegoismus, aber auch nicht durch Länderegoismus dazu verleiten läßt, dieses Investitionsprogramm zu verkleckern. Es darf nicht darum gehen, bisher nicht ganz befriedigte Ressortinteressen oder nicht ganz befriefriedigte Länderinteressen durch dieses Zusatzprogramm zu befriedigen. Wir erwarten vielmehr, daß es tatsächlich für zukunftsbezogene Investitionen zur Verfügung steht, die dafür sorgen, daß die Bundesrepublik ein belebenswertes Land bleibt: Trinkwasserreservoirs schützen, Landschaft schützen, für die Sauberkeit unserer Flüsse sorgen. Dann muß es auch einmal zumutbar sein, daß Bayern und Schleswig-Holstein, weil sie nicht am Rhein liegen, nicht ganz den Anteil bekommen, den die am Rhein gelegenen Länder bekommen. Dafür werden sie aber sicher bei der Beseitigung von schienengleichen Straßenübergängen unter Umständen etwas bevorzugt werden können. Wir können aber nicht die Vergangenheit und die Gegenwart dadurch fortschreiben, daß wir schlicht einen prozentualen Anteil für jedes mögliche Interessengrüppchen oder für jede mögliche Interessengruppierung, sei es ein Ressort oder sei es ein Land, zulassen. Die Zukunft heißt vielmehr Veränderung gegenüber dem, was in der Vergangenheit war. Deswegen wollen wir auch nicht, daß dieses Programm so angelegt wird, daß man bei bestimmten Vorhaben bloß die Finanzierungsquelle austauscht, wie das leider bei manchen Konjunkturprogrammen geschehen ist. Wir wollen auch, daß der Beschäftigungseffekt groß ist, so daß dieses Investitionsprogramm der allgemeinen Philosophie dient, die dieser Haushalt bereits in Zahlen ausdrückt, die aber noch nachdrücklicher verfochten werden kann. Ich möchte den Finanzminister zu der Vorlage und zu der Art und Weise, wie sie hier vertreten worden ist, beglückwünschen und glaube an gute und nützliche Zusammenarbeit mit ihm. ({15})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.

Claus Grobecker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000730, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Debatte hier nicht unnötig verlängern, ich will nur zwei oder drei Gedanken aufgreifen, die heute morgen bei Herrn Althammer und heute nachmittag bei Herrn Häfele eine Rolle gespielt haben, weil ich finde - da hat Herr Lambsdorff völlig recht -, daß wir hier ehrlich debattieren müssen, wenn wir schon in die Sache einsteigen. In diesem Sinne meine ich, es geht nicht, daß wir z. B. das Lohnsteueraufkommen, das Herr Althammer heute morgen kritisiert hat, nur so behandeln, als seien wir sozusagen mit einer Schraube dabei, es dauernd in die Höhe zu treiben. Ich finde, wir müssen da ehrlich bleiben. Ich will nicht sagen, daß Sie das falsch dargestellt haben. Aus Ihrer Lage gesehen, ist die Darstellung vielleicht richtig. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß das Gesamtaufkommen natürlich nicht deswegen gestiegen ist, weil wir an der Schraube gedreht haben, sondern deswegen, weil es eine ganze Reihe anderer Faktoren gibt. Mir ist bei diesem Anstieg sehr mulmig, und ich finde es gut, daß der Herr Finanzminister soeben noch einmal klargestellt hat, daß es auch ihm so geht. Wir können nicht den gesamten Haushalt zu 50 % aus Lohnsteueraufkommen finanzieren. Wir müssen da am Ball bleiben und darüber nachdenken. Das bedeutet aber natürlich auch, daß wir uns nicht die Steuern verwehren, die wir einnehmen müssen, um möglicherweise etwas machen zu können. ({0}) Das ist doch der entscheidende Punkt. Sie können nicht immer nur sagen, Sie wollen dies nicht und Sie wollen jenes nicht. Sie wissen wie ich, daß es eigentlich nur zwei Steuerarten gibt, über die wir hier beschließen können: Tabak- und Branntweinsteuer. Alle anderen Steuerarten müssen in den Bundesrat, bei ihnen muß also ein Kompromiß mit Ihnen geschlossen werden. Das ist für uns keine schöne Lage. Deshalb finde ich, wir sollten hier ehrlich debattieren. Ich sage ganz offen, daß uns nicht wohl bei diesem Anstieg des Lohnsteueraufkommens ist. Aber es gibt eine Reihe von Gründen, die eben dazu beigetragen haben, daß das Lohnsteueraufkommen so hoch ist. Erster Punkt: Es gibt gar keinen Zweifel - das wissen Sie auch, und das hätte Herr Althammer sagen müssen -, daß wir heute viel mehr Lohnsteuerpflichtige haben als vor zwei, drei Jahren, etwa im Jahre 1975, als die Rezession ihren Tiefpunkt erreicht hatte. Wir haben heute mehr Lohnsteuerpflichtige, wir haben weniger Kurzarbeit, und es werden teilweise längst wieder Überstunden gemacht. Das treibt natürlich die Lohnsteuerquote in die Höhe. Das ist ein ganz klarer Fall. Ich finde, das muß man berücksichtigen. Der zweite Punkt: Hier geht es um einen buchungstechnischen Vorgang. Sie wissen ja alle - ich werfe Ihnen das nicht vor; das betrifft ja auch die Länder, die von uns regiert werden -, daß es uns alle Länder verweigert haben, bei der Steuerreform den Weg über die Finanzämter zu gehen, d. h. das Kindergeld in die Lohnsteuertabelle einzurechnen. Das bedeutet, daß wir etwa 15 Milliarden DM mehr Lohnsteueraufkommen haben, das wir als Kindergeld wieder weggeben. Das muß man doch berücksichtigen. ({1}) Wir haben also nicht die Lohnsteuer für den einzelnen Steuerzahler hochgeschraubt, sondern das Gesamtaufkommen ist gestiegen, und dabei spielen diese Faktoren eine Rolle. Dritter Punkt: Die durchschnittliche Abgabenbelastung hatte im Jahre 1974 mit 28 %, davon 16 % Steuern, den Höhepunkt erreicht. Dann kam die Steuerreform, und im Jahre 1975 hatten wir eine Gesamtbelastung von 25 %, davon 13 % Steuern. Und jetzt, im Jahre 1976, stellen wir fest, daß die Belastung wieder nach oben geht. Das muß verhindert werden, und ich fände es gut, wenn man darüber ehrlich debattierte. Ich finde es aber falsch - und das kommt Ihnen, Herr Althammer, auch nicht zu-, daß Sie sich sozusagen wie ein selbsternannter Arbeitnehmervertreter hier hinstellen und beklagen, daß die Lohnsteuer so hoch ist, wenn Sie uns andere Steuerarten verweigern, die wir eigentlich bräuchten. Mehr als zwei Drittel aller Arbeitnehmer sind eben noch in der Proportionalzone, sind nicht in der Progressionszone. Das bitte ich zu berücksichtigen. Aus dem, was Herr Althammer gesagt hat, läßt sich auch schließen, daß er eben keine Ahnung hat, was ein Facharbeiter eigentlich verdient, wie hoch die Löhne sind. Sie sind eben nicht so hoch, daß man in die Progressionszone kommt. ({2}) Ich möchte noch einen anderen Gedanken aufgreifen, der hier natürlich auch wieder eine Rolle gespielt hat - warum auch nicht? -: den hohen Staatsanteil. Herr Kollege Sperling hat das soeben klargemacht. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Natürlich spielen hier die Transferleistungen, die soeben von Herrn Sperling aufgezählt worden sind, sozusagen Umverteilungsleistungen, eine große Rolle. Wenn Sie meinen, der Staatsanteil müsse geringer sein, müssen Sie auch sagen, ob Sie an das Kindergeld oder an das BAföG herangehen wollen. Diese Debatten haben wir häufig genug geführt; ich will sie nicht wieder aufnehmen. Aber irgendwann müssen Sie das wirklich sagen. Denken Sie nur daran, daß in den Jahren 1974 und 1975 das allgemeine Einkommen natürlich nicht in dem Maße gestiegen ist, weil wir eine Wirtschaftsflaute hatten, und daß sich, weil wir dieser Entwicklung mit Konjunkturprogrammen entgegenwirken mußten, der Staatsanteil logischerweise gesteigert hat. Er mußte in die Höhe gehen. Daß der Höhepunkt mit 47 % längst überschritten ist, wissen Sie auch, Herr Häfele; Sie verschweigen nur, daß die Rate inzwischen längst tiefer liegt. Ich habe da auch einen unverdächtigen Zeugen, Samuelson, der in einem Aufsatz - es ist schon ein bißchen her, deshalb kann man das ruhig sagen -, als hätte er zu Ihnen gesprochen, sagt: Beachten Sie, daß in ökonomischen Mischsystemen wie Schweden, Frankreich und Bundesrepublik der verhältnismäßig größte Teil für Staatsaufgaben aufgewendet wird. Gerade dies sind die Staaten, die in den letzten Jahrzehnten das höchste Wirtschaftswachstum und den größten wirtschaftlichen Fortschritt erzielt haben. Im Gegensatz zu den Staaten mit geringem Staatsanteil hat sich der moderne Wohlfahrtsstaat sowohl menschlich als auch zahlungskräftig erwiesen. ({3}) Ich finde schon, wir können ihm dies abnehmen. Wir gehören zu diesen Staaten mit hohem Staatsanteil und mit verhältnismäßig hoher Zahlungsbilanz. Und nun dem, was Herr Häfele betreffend die Bürokratisierung und Entwicklung der Personalausgaben sagte. Ich bin nicht der Meinung, daß das, was seit 1970 in wichtigen gesellschaftspolitischen Bereichen, wie z. B. im Bildungs- und Krankenhauswesen, zusätzlich an Personal eingestellt worden ist, das Ergebnis gesellschaftspolitischer Euphorie des Jahres 1969 ist, sondern dringend notwendig war. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß die Zuwachsrate des Personalbestandes der Länder im Bildungsbereich seit dem Amtsantritt der sozialliberalen Bundesregierung keine wesentliche Veränderung gegenüber dem Zeitraum vorher erfahren hat. Die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate des Personalbestandes im Bildungsbereich der Länder betrug von 1960 bis 1970 - Große Koalition -5,4 % und von 1970 bis 1976 - kleine Koalition -5,5 %. Herr Häfele, wollen Sie bitte noch zur Kenntnis nehmen, daß Lehrer erst drei bis fünf Jahre nach der Entscheidung über ihren Beruf und für ihren Beruf eingestellt werden. Ich darf Sie ebenso daran erinnern, daß bis 1969 z. B. Ihr Parteifreund Stoltenberg Bundesbildungsminister war und diese Steigerungsraten somit in seine Amtszeit gefallen sind. Ihm wollen Sie doch ganz sicher keine Reformeuphorie unterstellen. Die These von der zunehmenden Bürokratisierung seit dem Beginn der sozialliberalen Koalition wird durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Auch darüber sprechen wir ja jedes Jahr. Ich erinnere daran, daß wir im letzten Jahr, was den Bundeshaushalt angeht, erhebliche Stellen gestrichen haben. Die Zahlen zeigen ganz deutlich eine stetige Personalentwicklung bei Bund, Ländern und Gemeinden seit 1960, nicht erst, seitdem wir für die Bundespolitik verantwortlich zeichnen. Die Zahl der Beschäftigten der Gebietskörperschaften stieg von 1960 bis 1969 mit einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate von 2,9 %. Ich will Sie damit nicht langweilen. Das muß aber ins Protokoll, weil Sie gesagt haben, wir hätten damit herumgeaast. Von 1969 bis 1976 stieg diese Zahl um 3 %. Das ist eine unwesentliche Abweichung gegenüber der Zeit vorher. Die Entwicklung verlief allerdings bei den Gebietskörperschaften sehr unterschiedlich; bei den Ländern war die Zunahme stärker als beim Bund. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Ich finde, Sie können sie sich besorgen. Sie sind ja ein verantwortungsvoller Politiker. Mir lag daran, Ihnen in diesen drei Punkten zu widersprechen, weil wir, wie gesagt - der Kollege Sperling hat darauf hingewiesen -, was diesen Haushalt angeht, in der ersten Lesung eben nicht nur Schaumschlägerei betreiben sollten. Wir müssen ja später auch wieder im Haushaltsausschuß zusammensitzen und Punkt für Punkt, Kornma für Komma diesen Haushalt beraten. Ich finde, daß es nicht gut ist, wenn Sie hier die Eröffnung, die erste Lesung zum Anlaß nehmen, auf die gleiche Pauke zu schlagen wie im Jahre 1976, obwohl sich ganz eindeutig erwiesen hat, daß wir damals richtiger gelegen haben. Das sehen wir am Abschluß 1976. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesem untauglichen Versuch einer Doppelverteidigung dieses Bundeshaushalts möchte ich mich einem abgeschlossenen Themenbereich zuwenden. In der gestrigen Haushaltsrede verwies der Bundesfinanzminister auf die Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland an die EG. Er tat dies ohne Kritik. Es sind im Jahre 1977 nach seinen Worten 8,9 Milliarden DM; immerhin eine Summe, die zur Stärkung der Kooperation des freien Europas ganz erheblich beiträgt. An diesem Maßstab müssen Osthandel, Ostkredite und Verschuldung der RGW-Staaten bei der westlichen Welt und unser Beitrag dazu gesehen werden. Hierbei stellen sich drei Fragen. Erstens: Ist ökonomisch gesehen die wachsende Verschuldung der Ostblockstaaten und der DDR gegenüber der Bundesrepublik unter Berücksichtigung der Gesamtverschuldung dieser Länder gegenüber westlichen Partnern überhaupt noch vertretbar? Zweitens. Helfen wir nicht durch diese stillschweigende Kreditgewährung kräftig bei der gegen uns gerichteten militärischen Aufrüstung des Ostens mit? Drittens. Sollten Osthandel und wachsende Verschuldung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland nicht stärker als bisher als politisches Faustpfand in den Verhandlungen mit der Sowjetunion und den übrigen Ostblockstaaten und der DDR genutzt werden? Zu diesen drei Fragen möchte ich einen Beitrag leisten. Schon im vergangenen Sommer und Herbst hat die CDU/CSU, vereint mit der Deutschen Bundesbank und mit renommierten Wirtschaftsforschungsinstituten mit Nachdruck auf die Gefahren der ständigen Ausweitung des deutschen Osthandels und seiner Finanzierung hingewiesen. Dies geschah zu einer Zeit, in der ständig neue Angriffe Moskaus auf den Status Berlins, das Nichteinhalten der Vereinbarungen von Helsinki in Verbindung mit den massiven Rüstungsanstrengungen des Ostblocks eine fühlbare Abkühlung des politischen Klimas, ja, eine östliche Apartheidpolitik signalisieren. Vor der Bundestagswahl wurden die Warnungen der CDU/CSU vor der immer stärker steigenden Verschuldung der Ostblockstaaten als unverantwortliche Panikmache, als Spiel mit den Arbeitsplätzen abgetan. Heute, nach den Wahlen - die Situation ist wieder ruhiger geworden -, also ein knappes halbes Jahr später, hört und liest man vieles anders. „Der Osthandel stößt an seine Grenzen - Verschuldung verhindert Ausweitung", so ist z. B. eine längere Erklärung des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Wolff von Amerongen, in der Presse vom 8. Februar 1977 überschrieben. Ähnlieh skeptisch und besorgt äußerte sich die Deutsche Bundesbank vor dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages erst vor einigen Wochen, und besorgte Stimmen gibt es sogar neuerdings im Regierungslager. Die neuesten Zahlen - man kann hier nur Schätzwerte annehmen, da es bisher keine exakt zusammengetragenen Zahlen gibt -, also auf Grund ungenauer Statistiken, sind die: Ende dieses Jahres werden die Ostblockländer bei ihren Handelspartnern bereits mit weit mehr als 100 Milliarden DM in der Kreide stehen. Damit wird jede dritte Warenlieferung aus dem Westen von den östlichen Importeuren mit Schuldscheinen bezahlt. In der Gläubigerliste steht die Bundesrepublik ganz oben an. Die Gesamtschulden der Ostblockstaaten gegenüber der Bundesrepublik werden sich Ende dieses Jahres auf weit mehr als 20 Milliarden DM belaufen. Das ist viermal so viel wie Ende des Jahres 1971. Weit besorgniserregender als die absolute Höhe der Verschuldung der Ostblockstaaten gegenüber der Bundesrepublik und der westlichen Welt ist das rasante Tempo, mit dem sie seit Beginn der 70er Jahre explosionsartig zugenommen hat. ({0}) Wenn die Neuverschuldung im bisherigen Tempo weitergeht - das ist die Frage, die sich auch für diesen Bundeshaushalt stellt -, käme nach Berechnungen von Experten allein die Bundesrepublik Ende 1980 auf ein Kreditvolumen von rund 100 Milliarden DM. Gegenüber der gesamten westlichen Welt würde dann die Verschuldung bei rund 400 Milliarden DM liegen. ({1}) Aus diesem Grunde halten es derzeit eine Reihe großer internationaler Banken für äußerst risikoreich, den Staatshandelsländern weitere Kredite einzuräumen; sind doch ihre Zinszahlungen bereits auf 15 bis 20 % der Devisenbeträge angestiegen, welche die Ostblockländer durch Westimporte einnehmen. So erreichen Schuldrückzahlungen aus Polen bereits 25 % der polnischen Exporteinnahmen. Bei der Sowjetunion sind es mehr als 20 % und bei Ungarn rund 15 %. Nach neuesten Erkenntnissen des Bundesministeriums der Finanzen hat sich der Anteil der Staatshandelsländer am Wirtschaftsvolumen des Bundes in den letzten fünf Jahren -wir haben dies alles gestern in den Zeitungen lesen können - von 15 °/o auf mehr als 20 % vergrößert; das sind immerhin rund 40 Milliarden DM. ({2}) In diesem Zusammenhang hält Wolff von Amerongen die vielfach im Wahlkampf - ich will dazu ein Wort sagen, weil dies damals in der Polemik eine erhebliche Rolle spielte - und auch noch danach gebrauchte Schätzung der Bundesregierung, daß durch den Osthandel rund 500 000 Arbeitsplätze gesichert würden, für viel zu hoch. Nach überschlägigen Berechnungen des Hamburger Instituts für Wirtschaftsforschung seien es allenfalls 250- bis 300 000 Arbeitsplätze. ({3}) Aber auch das ist aus unserer Sicht eine schiefe Rechnung; wird doch durch kreditfinanzierte Exporte in die Ostblockstaaten das Beschäftigungsproblem von heute nur auf die Zukunft verschoben. In einigen Jahren werden die osteuropäischen Staaten mit ihren Produkten, die mit den jetzt importierten Maschinen gefertigt werden, wieder auf den deutschen Markt und auf den westlichen Konkurrenzmarkt von uns zurückdrängen. Sie sind dazu gezwungen, um ihre Kredite zurückzahlen zu können und ihre Handelsbilanzen freundlicher zu gestalten. Das Hamburger Institut, das ich soeben schon erwähnte, sagt dazu - ich zitiere und bitte die Bundesregierung, diesen Sachverhalt in ihre Überlegungen hinsichtlich der Hermes-Deckungskredite einzubeziehen -: Je stärker die osteuropäischen Länder bei uns verschuldet sind und je stärker sie ihre Produktionsstruktur im Hinblick auf den deutschen Markt in den nächsten Jahren verändern können, um so spürbarer werden die osteuropäischen Exportaktivitäten für die deutsche Wirtschaft ausfallen. ({4}) Dies, meine Damen und Herren, ist die ökonomische Seite dieses Problems, die niemand wegdiskutieren kann. Mindestens ebenso problematisch sind der allgemeinpolitische und der militärische Aspekt dieser Entwicklung. Die Bundesregierung sollte sich angesichts Schießbefehls, Einreisebehinderungen, sowjetischer Berlin-Offensiven, ständiger Verstöße der Führung der UdSSR und der DDR gegen das Viermächteabkommen und andere Vereinbarungen darüber im klaren sein, daß die DDR wie auch andere Ostblockstaaten ohne die auf Kredit gewährten Leistungen und Lieferungen aus der Bundesrepublik nicht in der Lage wären, ihre ehrgeizigen Fünfjahrespläne auch nur annähernd zu erfüllen. ({5}) So tragen wir mit unseren harten DM-Devisen letztendlich dazu bei, daß es den Ostblockstaaten immer wieder gelingt, Unzulänglichkeiten ihrer Planwirtschaften wenigstens notdürftig zu überbrücken und zu verschleiern, während diese in ihren Ländern gleichzeitig kräftig die Werbetrommel gegen die von „Wirtschaftskrise zu Wirtschaftskrise taumelnden kapitalistischen Länder" rühren. Anders als bei uns ist es im kommunistischen Machtbereich so, daß jede Maßnahme von Staat und Gesellschaft als eine Einheit gesehen wird. Man kann nicht einfach die wirtschaftlichen Beziehungen von den übrigen politischen Tatsachen und Entwicklungen trennen. Der Bundesregierung muß in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, der Vorwurf gemacht werden, daß sie die politische Bedeutung wirtschaftlicher Macht und wirtschaftlicher Beziehungen eben nicht wie die Ostblockstaaten einer außenpolitischen Strategie zielstrebig unterordnet. Die Bundesregierung muß sich angesichts der Entwicklung des kreditfinanzierten Osthandels fragen lassen, wie die Interessen der Bundesrepublik Deutschland liegen, wo sie liegen. Wenn es so ist, daß Außenhandel heute zum Teil mit staatlichen Mitteln gefördert bzw. staatlich verbürgt wird, und wenn für solche Maßnahmen nur ein begrenztes Volumen zur Verfügung steht, dann müssen die Mittel dort eingesetzt werden, wo sie am dringlichsten sind. ({6}) Für die CDU/CSU lauten diese Prioritäten: Abbau des sozialen Gefälles in Europa und Stärkung der industriellen Position der Verbündeten in Europa aus sozialen und militärischen Gründen. ({7}) Angesichts der gigantischen militärischen Aufrüstung der Sowjetunion und ihrer Satelliten mit Zielrichtung auf Westeuropa muß daran erinnert werden, daß jede wirtschaftliche und finanzielle Leistung, welche die Bundesregierung an diese Länder erbringt, dort die innenpolitische Szene entspannt, Mängel zentral verwalteter Wirtschaftssysteme überkleistert und nicht virulent werden läßt. Jede Mark, die in diese einseitig auf militärische Ziele ausgerichtete, zentral gelenkte Produktionsmaschinerie fließt, setzt zwangsläufig immer wieder Ressourcen frei, die für die militärische Aufrüstung dort ganz entscheidend genutzt werden können. ({8}) Wenn dem aber so ist, wenn darüber hier im Hause Einigkeit besteht, dann muß auch die Frage erlaubt sein, ob dies so weitergehen kann. Wenn, meine Damen und Herren, heute noch nicht einmal Klarheit darüber zu gewinnen ist, wie hoch die Ostblockstaaten im Westen verschuldet sind - niemand kann die Zahl exakt nennen -, ({9}) so sollte als erster Schritt zumindest eine Pause in dieser verhängnisvollen Entwicklung eintreten. Ein zweiter Schritt - dies ist eine Forderung der CDU/CSU, die ich hier gern erneuern möchte - sollte die Errichtung einer Evidenzzentrale für Osthandel und Ostkredite bei der EG oder der OECD sein. ({10}) Dies ist unsere zentrale Forderung zur Sichtbarmachung der Zahlen, um die es geht. Wir wollen nicht mehr aneinander vorbeireden und von falschen Zahlen ausgehen. Diese Zentrale könnte endlich genaue Daten in diesem problematischen Bereich liefern. Die Bundesregierung wird von der CDU/CSU in dieser ersten Lesung aufgefordert, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hinzuwirken, nicht nur im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch im Interesse aller westlichen Länder in Europa und überhaupt der westlichen Welt. Ein weiterer nicht problemfreier Bereich sind die Leistungen an die DDR. Ich will dazu in Kürze ein Wort sagen, auch deshalb, weil der Vorsitzende des Haushaltsausschusses gerade in den letzten Tagen - klar auf Grund der Zahlen, die jedermann aus dem Etat ablesen kann - der Öffentlichkeit eine neue Aufstellung überreicht hat. Daraus geht hervor, daß wir an die DDR im letzten Haushaltsjahr genau 665 Millionen DM in bar geleistet haben. Es handelt sich um 400 Millionen DM Transitpauschale, 20 Millionen DM für Maßnahmen zur Verbesserung des Straßenverkehrs von und nach West-Berlin, 51 Millionen DM zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin, 25 Millionen DM Erstattung von Leistungen Berlins bei Reisen in die DDR und nach Ost-Berlin, 131 Millionen DM für Sondermaßnahmen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, 30 Millionen DM an Zahlungen der Bundespost im innerdeutschen Postverkehr und 8 Millionen DM Erstattung an Visagebühren und Steuerausgleichsabgaben im Binnenschiffahrtsverkehr. In diesem Betrag - ich füge das hinzu - sind nicht enthalten die Vergünstigungen durch den zinslosen Bundesbankkredit - Swing -, zur Zeit 850 Millionen DM. Es sind nicht enthalten die Umsatzsteuervergünstigungen für die DDR, und es sind nicht enthalten die bundesverbürgten Kredite der Privatwirtschaft, die nach gestriger Auskunft - das spielt ja gerade heute in der Presse eine erhebliche Rolle und ist in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen nachzulesen - erneut um 200 Millionen DM auf nunmehr rund 2,6 Milliarden DM angestiegen sind. Alles in allem also - ich fasse das einmal zusammen - eine Finanzierungshilfe für die DDR - dem Bürger draußen kaum bekannt - ohne die Honekker seine ehrgeizigen Fünfjahrespläne überhaupt nicht verwirklichen könnte - wir tragen ganz erheblich dazu bei -, eine Summe, die, seit 1970 zusammengerechnet, seit Antritt der sozialliberalen Koalition, rund 5 Milliarden an Mitteln aus dem Bundeshaushalt ausmacht. Ein Betrag aber auch, der den Gegenleistungen aus der DDR in keiner Weise entspricht. ({11}) Über eventuelle wirtschaftliche Sanktionen - ein ein sehr sensibles Thema; ich spreche es an -, die in Fällen von Vertragsverletzungen seitens der DDR durch die Bundesregierung verhängt werden könnten, gab es bereits während des Bundestagswahlkampfes und auch wieder in den letzten Tagen heftige Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung und der CDU/CSU. Dazu stelle ich für uns folgendes fest. Auch wir, die CDU/CSU, müssen und werden geschlossene Verträge und Vereinbarungen einhalten. Das gilt auch für die finanziellen Vereinbarungen. Ich sage das mit aller Deutlichkeit, weil uns die Koalitionsparteien häufig anderes unterschoben und unterstellt haben. Gegenmaßnahmen sind jedoch möglich - ich spreche das bewußt an, auch im Hinblick auf meinen Nachredner für den Fall, daß er das Thema aufnehmen sollte -, wo die DDR immer mehr und vor allem immer neue Leistungen von uns haben will. ({12}) Im Klartext heißt das: Wenn die willkürlichen Vertragsbrüche der DDR anhalten und vereinbartes politisches Entgegenkommen im humanitären Bereich zurückgenommen und von Ost-Berlin laufend sabotiert wird, dann muß mit zusätzlichen finanziellen Leistungen seitens der Bundesregierung endlich Schluß sein. ({13}) Die Methode der DDR ist immer dieselbe: Sie verstößt einseitig gegen das Viermächteabkommen bzw. gegen die Vereinbarungen zwischen beiden Staaten in Deutschland und läßt sich die Zurücknahme dieser einseitigen Schikanen jeweils ganz kräftig - natürlich erst nach Monaten - durch entsprechendes finanzielles Entgegenkommen der um ein gutes ostpolitisches Klima bemühten Bundesregierung honorieren. Wir haben das alles in den vergangenen Jahren schon mehrfach erlebt. Ein solches ebenso durchsichtiges wie aber auch unverschämtes Manöver läuft zur Zeit mit der Erhebung von zusätzlich 10 DM Straßenbenutzungsgebühr nach Ost-Berlin ab, d. h., wenn heute jemand nach Ost-Berlin fahren will - sei er Westdeutscher oder West-Berliner -, muß er rund 20 DM zahlen. Das ist der „Eintrittspreis". Ich frage die Bundesregierung unter Bezugnahme auf einen Artikel aus der „Welt am Sonntag", in dem Minister Franke sagte „Wir nehmen die neue Schikane nicht tatenlos hin" : Was will die Bundesregierung denn tun? Vielleicht kann man hier eine Antwort bekommen; denn dieser Wegelagererzoll, der den Bürgern ja neben den vereinbarten Beträgen abgepreßt wird, muß endlich einmal eine Reaktion der Bundesregierung hervorrufen, die mehr ist als Worte. ({14}) Wir, die CDU/CSU, haben dazu am Ende der letzten Wahlperiode einen klaren Vorschlag im Zusammenhang mit der Lkw-Steuer gemacht. Ich lese mit Freude, daß der Bundesfinanzminister heute offensichtlich geneigter zu sein scheint, das KfzSteuergesetz zu ändern, um eine Lkw-Besteuerung auch für Lkws aus der DDR zu erreichen. Dies ist doch eine sinnvolle Position, über die man sprechen kann. Wir hätten uns aber mehr gefreut, wenn Sie unseren Vorschlag, den Sie früher verteufelt haben, auch vor der Wahl aufgenommen hätten. Die Drucksache ist einsehbar; der Antrag ist hier im Hause eingebracht worden. ({15}) Seit Monaten bemühen sich die DDR-Unterhändler um die massive Erhöhung des der DDR eingeräumten Kreditrahmens. Nach den Vorstellungen der DDR-Führung soll völlig außerhalb der sonstigen finanziellen Leistungen und Vergünstigungen nochmals rund 1 Milliarde DM zugelegt werden. Ich erkläre für die CDU/CSU dazu folgendes: Die CDU/CSU ist für einen Stopp neuer finanzieller Leistungen, solange die DDR nicht bereit ist, vertragskonform zu handeln. Die Ausgewogenheit von Leistungen und Gegenleistungen muß endlich gegeben sein. Es geht einfach nicht an, daß Milliardensummen ohne Zweckbindung in die Kassen der DDR fließen. Es geht nicht an, daß die DDR immer wieder einseitig gegen vertragliche Vereinbarungen verstößt und trotzdem der Zahlungs- und Vergünstigungsrahmen seitens der Bundesregierung immer mehr erweitert wird. In einer Zeit, meine Damen und Herren, die dem Bürger der Bundesrepublik Opfer zur Erhaltung des Lebensstandards und des sozialen Sicherungssystems abverlangt, muß in der Deutschlandpolitik, muß insbesondere im Verhalten und im Aushandeln der Verträge zwischen Ost und West eine Leistung eine echte Gegenleistung bewirken. Solange dies nicht der Fall ist, dürfen neue Zusagen in keiner Hinsicht an die östliche. Seite ergehen. ({16})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Blank.

Bertram Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Ich denke, wir haben hier die dritte Variante dessen mitbekommen, was die Opposition für Entspannungspolitik hält. Die erste Variante war die Diskussion in der Generalsdebatte, als Herr Zimmermann ein furchtbares Gemälde des Schreckens über die anwachsende Bedrohung durch die UdSSR und ihre Verbündeten und darüber gezeichnet hat, daß demgegenüber die Leistungen der Bundesrepublik oder auch der NATO als außerordentlich schwächlich anzusehen seien. Die zweite Variante kam dann in dem Diskussionsbeitrag über Williamsburg von Herrn Kollegen Damm und Herrn Kollegen Handlos. Insbesondere hier wurde noch einmal deutlich gemacht, wie furchtbar die Dinge und wie schwächlich die Bemühungen der Bundesrepublik und des Westens überhaupt seien, dem zu begegnen. Heute haben wir gewissermaßen die wirtschaftspolitische Variante desselben Themas gehört. Es hat mich gewundert, daß es so lange gedauert hat, bis es gebracht wurde; denn es scheint ja nun wirklich zum eisernen Bestandteil der Diskussion zu gehören. Tatsache ist - um das wirtschaftspolitische Thema auch wirtschaftspolitisch aufzufassen -, daß die Sowjetunion im Jahre 1976 per 24. November des vergangenen Jahres Gewährleistungen in Höhe von 9,675 Milliarden DM empfangen hat. Tatsache ist, daß auch die übrigen Staaten, die sogenannten Staatshandelsländer, ganz erhebliche Gewährleistungsleistungen empfangen haben. ({0}) - Das kann ich bestätigen. Nur: Die Folgerungen, die Sie daraus ziehen, Herr Wohlrabe, ziehe ich daraus nicht. Zum Thema: Der Haushalt 1977 wird übrigens auf dem Gewährleistungssektor noch eine weitere Ausweitung erfahren. Es ist zu vermuten, Herr Wohlrabe, daß auch im Zusammenhang mit dem Ostgeschäft weitere Ausdehnungen erfolgen. Daran werden Sie die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses kaum hindern können; denn die Bedenken, die Sie zunächst aus wirtschaftspolitischer Sicht gebracht haben - Konkurrenz, die wir uns züchten, oder aber Schuldner, der uns nicht zurückzahlen kann, was er bekommen hat; das sind ja die beiden wirtschaftspolitischen Argumente, die Sie gebracht haben -, ziehen nach unserem Dafürhalten keineswegs. Zunächst einmal können Sie nicht so einfach über das Argument der Arbeitsplätze, die dadurch gesichert werden, hinweggehen. Das geht einfach nicht. Bedenken Sie, daß nach einer Untersuchung des Deutschen Industrieinstitutes etwa pro 100 Millionen DM zusätzlicher Leistungen 2 165 Arbeitsplätze für das gesamte Jahr gesichert werden. Diesen Zusammenhang muß man sehen. Das ist eine ganz wichtige Geschichte. Derjenige, der etwa der Industrie in der Bundesrepublik verschreibt, sie möge da Enthaltsamkeit zeigen, muß allerdings auch sagen, wie sich das auf den Arbeitsmarkt auswirkt. ({1}) Im übrigen glaube ich, daß nicht einmal Herr Wolff von Amerongen gern das gehört hätte, was Sie hier vorgetragen haben. ({2}) Zweiter Punkt. - Das Risiko des Handels mit den Staatshandelsländern haben Sie ebenso finster gemalt, wie etwa Herr Zimmermann die Tatarenmeldungen über die militärische Bedrohung gebracht hat. Bislang gibt es dafür keinen vernünftigen Anlaß; denn Tatsache ist - das wissen Sie noch aus Ihrer Zeit im Haushaltsausschuß -, daß es außerordentlich solide Schuldner und solide Zahler gibt: das sind die Staatshandelsländer. Das können Sie doch überhaupt nicht bestreiten, Herr Jenninger. Um einmal ein Beispiel zu nehmen: Sie wissen, daß die UdSSR über erhebliche Goldvorräte verfügt, daß die UdSSR über die rohstoffreichsten Gebiete der Welt verfügt. Deshalb ist anzunehmen, daß eine hockindustrialisierte Wirtschaft wie die der Bundesrepublik damit einen Handelspartner hat, mit dem man genau das austauschen kann, was wir brauchen, und umgekehrt der andere Partner das, was er braucht. Nun kommen Sie allerdings nicht mit einer wirtschaftspolitischen Begründung, Herr Wohlrabe, sondern Sie kommen mit der Gefährdungsbegründung als Variante drei, wie ich es eben genannt habe. ({3}) - Ja, aber sicher! - Es ist sicherlich richtig, daß Sie bei der Lieferung von ganz erheblichen Mengen großer Lkw argumentieren können: Die kann man auch militärisch nutzen. - Es gibt fast nichts, was man nicht militärisch nutzen kann. Nur: Wenn Sie diese Forderung ernst nehmen wollen, bedeutet das nicht nur, daß Sie nicht sagen dürfen: wir wollen aus den Gründen aktueller Schwierigkeiten oder Behinderungen, die wir etwa gegenüber der DDR zu rügen haben, einen Stopp oder eine Drohung mit einem Stopp, sondern das bedeutet konsequenterweise: überhaupt keinen Handel mit Staatshandelsländern. Das müssen Sie doch endlich einmal sehen. Ich glaube, das werden Sie gar nicht wollen und gar nicht tun. Insofern ist die Argumentation, die Sie gebracht haben, genauso zu qualifizieren wie etwa die Argumentation Ihres Fraktionskollegen und Verteidigungsexperten Dr. Wörner. Ich greife damit einen Punkt auf, der genau in diesen Bereich gehört, nämlich die Verteidigungspolitik. Sie wissen, daß sich Dr. Wörner seit langem große Sorgen über die nach seiner Auffassung zu geringen Zuwächse im Verteidigungshaushalt macht. Nun haben wir das im Haushaltsausschuß, wenn ich das richtig sehe, quer durch die Fronten ab und an unterschiedlich gesehen. Ich bin gespannt, wie Sie sich in diesem Jahr verhalten. Deshalb habe ich in der letzten Debatte auch versucht, Herrn Damm zu einer Äußerung zu bringen, wie ernst er es denn eigentlich meint, wenn er sagt: Es geschieht zuwenig. Er hat gesagt: Nein, von uns sind keine zusätzlichen Anträge zu erwarten. - Vielleicht bringt die Herr Kollege Haase. Herr Kollege Wörner hat einen noch abenteuerlicheren Weg beschritten. In München lebt es sich leichter, Herr Riedl; vielleicht ist man dort etwas munterer. - Herr Wörner hat etwa gesagt, man müsse die Verteidigungsaufwendungen am Zuwachs des Bruttosozialproduktes messen. Das hört sich gut an. Komischerweise haben die Verteidigungsexperten auch heftig Beifall geklatscht; wahrscheinlich weil Strategen so schlecht rechnen können. Ich habe es einmal nachgerechnet. Ich bin von der Basis 1967 - zehn Jahre zurück - ausgegangen. Damals haben wir einen Verteidigungshaushalt von - wenn ich mich recht erinnere - 19,7 Milliarden DM gehabt. Wenn man den Zuwachs des Verteidigungsetats am Zuwachs des Bruttosozialprodukts in der Bundesrepublik bemessen hätte, müßten wir statt der in diesem Jahr veranschlagten rund 32 Milliarden DM - raten Sie mal - 50 Milliarden DM haben. Wenn man diese Rechnung für vier Jahre fortsetzt, sind das schon 64 Milliarden DM statt 34 Milliarden DM. ({4}) - Dies ist in der Tat eine Milchmädchenrechnung, Herr Kollege Leicht. Sagen Sie es bitte Ihrem Kollegen Wörner! In diesem Punkt sind wir uns einig. ({5}) Es ist schlimm, daß solche Äußerungen in Verhandlungen gemacht wurden, in denen unsere Freunde beteiligt waren. Es war eine internationale Verhandlung. Diese haben dann wahrscheinlich mit Hinblick auf uns gesagt, daß diejenigen NATO-Partner, deren Wirtschaft so wesentlich besser als die eigene aussehe - es war übrigens der britische Verteidigungsminister, der diesen Vorschlag machte -, sich wohl stärker engagieren müßten. Wenn dann eine Erklärung wie diejenige des Kollegen Wörner hinzukommt, muß der Eindruck entstehen, daß immerhin ein erheblicher Teil dieses Hauses bereit ist, auf solche Vorschläge einzugehen. Da machen wir nicht mit. Ich sage es auch einmal in aller Öffentlichkeit und auch nach draußen: Wir fordern unseren jungen Leuten einen 15monatigen Dienst ab. Andere unserer Freunde tun das nicht und glauben, mit unserer Freunde tun das nicht und glauben, mit zeren Wehrpflichtzeiten zurechtzukommen. Wir tun das nicht zum Spaß und auch nicht deshalb, weil wir glauben, daß diese jungen Leute 15 Monate ordentlich gedrillt werden müßten, sondern weil wir der Meinung sind, daß bei dem, was wir finanziell leisten können, die Aufwendungen bei einer entsprechenden Wehrpflichtarmee wesentlich besser investiert sind. Wenn das so ist - das muß man ganz klar sagen -, sind finanzielle Ausweitungen nach oben in solchen Vorstellungen, wie sie etwa Herr Wörner geäußert hat - diese sind sicherlich absurd; darin sind wir einer Meinung, Herr Leicht -, wie sie aber auch andere als Erwartung geäußert haben, nicht zu verwirklichen. ({6}) An diesem Punkt möchte ich noch einmal auf eine Überlegung eingehen, die die Haushaltsgruppe von SPD und FDP jüngst in Helgoland angestellt hat. Wir sind der Meinung, daß wir in den Beratungen zum Verteidigungshaushalt sehr genau untersuchen müssen, ob die Anforderungen berechtigt sind. Wir haben auch deutlich gemacht, daß wir bei allen unseren Überlegungen - Herr Jenninger, da müßten Sie als ehemaliges Mitglied des Haushaltsausschusses eigentlich zustimmen - z. B. vom letztmöglichen Preisstand ausgehen. Das scheint eine solide Überlegung zu sein. Weiter wollen wir ganz genau wissen, wann das vorhandene Material, das ausgesondert werden soll, wirklich ausgesondert wird, damit wir solche Geschichten, Herr Haase, die wir erlebt haben, daß plötzlich 50 Starfighter, die auch schon nicht mehr so aktuell sind, neu beschafft werden, nicht noch einmal erleben. Ich glaube, darin sind wir einig. ({7}) Schließlich sind wir der Meinung, daß wir ganz genau wissen müssen, ob die Ansätze, die in der mittelfristigen Finanzplanung aufgenommen sind, wirklich ausreichen, um die Rüstungsplanung, wie sie beschlossen worden ist, worüber es bereits entsprechende Kenntnisnahmen gibt, wirklich abzudecken. Wir werden nach diesen Grundsätzen auch in den Dingen verfahren, die nicht rein nationaler, sondern internationaler Art sind, z. B. NATO-Fragen. Wir sind der Meinung, daß wir uns hier überhaupt nichts vormachen lassen sollten, sondern daß wir sehr nüchtern prüfen müssen, erstens, was politisch notwendig ist, und zweitens, was bezahlt werden kann. Ich sage das in aller Deutlichkeit, und diejenigen, die sich mit den Dingen befassen, wissen auch exakt, was ich meine. Wir werden insbesondere nicht etwa den Vorstellungen folgen, die wiederum Ihr Fraktionsfreund, Herr Leicht, geäußert hat. Ich muß Herrn Wörner in diesem Zusammenhang leider noch einmal zitieren, der gesagt hat, es gebe ein Kopplungsgeschäft der luftgestützten Radarstationen, der sogenannten AWACS, die jetzt in der Presse erwähnt werden, mit Panzern. Ich halte das für blühenden Unsinn und sage das hier auch ganz deutlich. ({8}) Ihnen zuliebe, Herr Kollege Riedl, zitiere ich Herrn Potyka von der „Süddeutschen Zeitung", der gesagt hat: Mit starken Worten und einem riskantem Junktim zum Panzergeschäft kann man sich aus dem AWACS-Dilemma nicht befreien. Wörner und Damm sollten davor warnen, anstatt die Bundesrepublik in ein zweifelhaftes Gegengeschäft hineinzureden. So schrieb Potyka in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern. ({9}) So Potyka in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern. Meine Damen und Herren, ich habe die Gelegenheit genommen, den militärwirtschaftspolitischen Exkurs des Kollegen Wohlrabe ({10}) - melden Sie sich doch, wenn Sie eine Frage stellen wollen, Herr Wohlrabe - kurz dazu zu benutzen, zu zeigen, daß man auch bei den haushaltspolitischen Fragen, die sich aus Einzelplan 14 und den übrigen Verteidigungsleistungen ergeben, durchaus in sorgfältige Prüfungen hineingehen muß. Ich werde als neuer Berichterstatter frohgemut, Seite an Seite mit Herrn Haase die Dinge untersuchen und daraufhin abklopfen, ob sie so notwendig und nützlich sind. Ich hoffe, daß sich hier eine vernünftige Zusammenarbeit ergibt. Nach dem Eindruck, den ich hier gewonnen habe, ist nicht zu befürchten, daß die Vorstellungen des Herrn Wörner tragfähig werden. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Schröder ({0}).

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Ende dieser Debatte, die nur noch durch eine kurze EG-Auseinandersetzung angereichert werden soll, noch einmal auf einige mehr grundsätzliche Aspekte der Auseinandersetzung des heutigen Tages zurückkommen, die in den Debattenbeiträgen hier immer wieder angeschnitten worden sind. Da ist zunächst einmal das Thema der Alternativen. Eine große Rolle hat die Frage des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt gespielt. Als letztes möchte ich dann auf einige Strukturprobleme dieses Haushalts, auf die Fragen der Investitionen, der gesamtfinanziellen Situation in unserem Staat und der Schuldenlasten eingehen. Was die Alternativen anlangt - das war ja so etwas wie eine tibetanische Gebetsmühle, die uns von den Vertretern der Koalition hier immer wieder abgefragt worden ist -, so halte ich diese Frage, lieber Kollege Haase, zwar für absolut und in jeder Hinsicht berechtigt; nur setzt eine Alternative ja voraus, meine Damen und Herren, daß ein Konzept da ist, mit dem man sich auseinandersetzen kann und dem man eine Alternative gegenüberstellt. ({0}) Da müssen wir doch einmal fragen: Was ist denn eigentlich das finanzpolitische Konzept und das haushaltspolitische Konzept dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren? Ich vermag ein solches nicht zu erkennen, ({1}) es sei denn, daß man das Treibenlassen, Herr Kollege Simpfendörfer, und die vage Hoffnung darauf, daß mehr Steuereinnahmen in die Kassen fließen und, wenn das nicht gelingt, man die Steuern erhöht, als ein finanzpolitisches Konzept bezeichnet. ({2}) Meine Damen und Herren, zu so etwas kann man keine Alternative haben. Aber wir haben ein eigenes Konzept. ({3}) Dieses eigene Konzept, meine Damen und Herren und lieber Kollege Löffler, hat einige unverrückbare Eckdaten. Eckdatum 1 ist, daß sich die Haushalte, insbesondere der Bundeshaushalt, in ihren jährlichen Zuwachsraten an den realen Wachstumsraten aes Bruttosozialprodukts zu orientieren haben. Dagegen haben Sie sich seit Jahren versündigt, und dagegen versündigen Sie sich 1977 und in den Folgejahren der mittelfristigen Finanzplanung. Eckdatum 2 ist, daß demgemäß die Steigerungsraten für die einzelnen - und zwar für alle - Ausgabepositionen niedriger sein müssen als in den vergangenen Haushalten. Eckdatum 3 ist, daß eine Umschichtung vom Konsum hin zu den investiven Leistungen zu erfolgen hat. Was das Eckdatum 4 betrifft, so haben wir Jahr für Jahr - Herr Kollege Leicht wird es bestätigen - sehr konkrete Anträge vorgelegt, die Sie abgeschmettert haben. Das ist natürlich auch so eine Frage der Redlichkeit, nachdem man Alternativen abgeschmettert hat, diese Frage immer wieder von neuem zu stellen. Eckdatum 4 ist der Abbau des völlig überzogenen Stellenplans des Bundes. Nur dadurch kann der Personalkostenanstieg gedämpft werden. Was schließlich die Vorlage einzelner Anträge anlangt - die haben wir Jahr für Jahr gestellt. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden von uns doch wohl nicht im Ernst verlangen, daß wir Ihnen im Vorwege sagen, daß wir in den Zuwachsraten der Ausgaben da und dort ein bißchen niedriger gehen wollen, damit Sie draußen, so wie wir es jetzt bei der von Ihnen verschuldeten Rentenmisere erleben, wieder einmal Ihre alte Leier der sozialen Demontage spielen können. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schröder, soll dieses erste Eckdatum, von dem Sie gesprochen haben und das Sie als Konzeption ausgegeben haben - Sie sprachen davon, daß Sie das Haushaltswachstum am realen Bruttosozialprodukt orientieren wollen -, bedeuten, daß Sie in Zukunft in einem Krisenjahr den öffentlichen Haushalt eben nicht benutzen wollen, um konjunkturell gegenzusteuern, sondern dort ein Minuswachstum einordnen wollen?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westphal, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage. Zum ersten. Ich habe hier nicht über Konjunktursonderprogramme gesprochen. Die schließe ich nicht aus. Aber - zweitens - lassen Sie mich mit aller Klarheit sagen: jenen Irrglauben, der sich auch heute wie ein roter Faden durch alle Ihre Reden zog, daß man nämlich durch staatliche Konjunktursonderprogramme, daß man mit einigen Milliarden zusätzlicher staatlicher Ausgaben die Konjunktur wieder auf Vordermann bringen könne, echtes, reales wirtschaftliches Wachstum bewirken und damit die Arbeitslosigkeit beseitigen könne, diesen sozialistischen Irrglauben teile ich in der Tat nicht. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen, der hier insbesondere schon in den Ausführungen des Kollegen Grobecker angesprochen wurde, nämlich den Glauben, daß ein Anstieg des Staatsanteils - das steht ja in engem Zusammenhang mit der Frage, die Sie gestellt haben - am Bruttosozialprodukt zu einer Verbesserung der Lebensqualität unserer Bürger beitragen würde. Das ist doch im Grunde genommen Ihre Ideologie, wenn ich das richtig formuliere. Und ich sage das dem Kollegen Grobecker als Antwort: wir wollen in der Tat keinen weiteren Anstieg des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt. ({0}) Denn nicht dies ist für uns die kardinale Frage, sondern für uns ist die kardinale Frage: Wieviel wollen wir, will der Staat, wollen Sie insbesondere eigentlich auf Dauer den Bürgern noch von ihren selbstverdienten Einkommen aus den Taschen ziehen, um schließlich einen Punkt zu erreichen, den wir meiner Meinung nach in weiten Kreisen schon erreicht haben? Denn über 40 % - nach einer Feststellung des Ifo-Instituts aus diesen Tagen geht die Zahl voraussichtlich in diesem Jahr schon auf 50 % - aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland befinden sich jetzt schon in den Progressionszonen der Lohnsteuer und der Einkommensteuer. ({1}) Da frage ich Sie: wie weit wollen Sie denn eigentlich die Steuer- und Sozialabgabenlast noch ausweiten, ohne daß der Leistungswille des einzelnen Arbeitnehmers in unserem Lande und ohne daß die Leistungsfähigkeit unserer Betriebe und Unternehmer dabei über die Wupper geht? ({2}) In diesem Zusammenhang fällt mir eine Berner-kung ausgerechnet eines sogenannten Liberalen ein. In der Jungfernrede des Kollegen Gärtner, glaube ich, wurde heute morgen der für mich wirklich aus sogenannter liberaler Sicht phänomenale Versuch unternommen, jene traurige Reformbilanz von 60 000 Konkursen und etlichen hunderttausend freiwilligen Betriebsstillegungen in diesem Lande seit 1969 auf die angebliche Unfähigkeit unserer Händler, Handwerker und Unternehmer abzuschieben. ({3}) Das ist doch geradezu grotesk, diese mittelständischen Existenzen zunächst einmal durch eine ständig ansteigende Kosten-, Abgaben- und Steuerlast an den Rand des existentiell Möglichen zu drücken und sie anschließend auch noch der Unfähigkeit zu bezichtigen. Daß so etwas aus liberalem Munde kommt, ist doch schon reichlich verblüffend. ({4}) Ich kann nur hoffen, daß diese Ausführungen in den Zeitungen des Handels und des Handwerks ausführlich wiedergegeben werden. Lassen Sie mich drittens vor dem Hintergrund der Fragestellung: was ist denn eigentlich das Konzept, zu dem man eine Alternative vorlegen kann?, zu den Grundfragen dieses Konzeptes kommen, nämlich der Entwicklung der Investitionen. Denn anders kann man ja auch das, was Sie im Orientierungsrahmen 1985 geäußert haben - Ausweitung des sogenannten staatlichen Korridors -, nicht interpretieren und nicht deuten. Das hat doch wohl nur einen Sinn, wenn damit eine Vermehrung produktiver Leistungen des Staates und damit eine Ausweitung der investiven Anteile am Haushalt gemeint sind. Die Bilanz in dieser Hinsicht ist mehr als traurig, und sie geht noch über das hinaus, was der Kollege Leicht heute morgen hier vorgetragen hat. Nicht nur, daß der Investitionsanteil am Bundeshaushalt über die Jahre bis zu diesem Haushalt 1977 gesunken ist und in der mittelfristigen Vorausschau bis 1980 auf 12 % im Jahre 1980 weiter sinken wird; nein, meine Damen und Herren, dort, wo vor allen Dingen die staatlichen Investitionen erbracht werden, in den Ländern und den Gemeinden, haben wir einen besorgniserregenden Rückgang zu verzeichnen. Die Kommunen haben vor 20 Jahren, Herr Kollege Westphal, noch 50 % ihrer Ausgaben für Investitionen verwenden können; in diesem Jahr sind es nur noch knapp 25 %. Dies ist nicht auf eine fehlerhafte Finanz- und Ausgaben872 Schröder ({5}) politik der Kommunen zurückzuführen; nein, die Kommunen haben auszubaden, was hier in Bonn angerichtet wird, ({6}) die Kommunen sind diejenigen, die die sogenannten Reformgesetze auszuführen haben, die daraufhin ihre Personalzahlen und die Personalausgaben steigern müssen. Die Kommunen, Herr Kollege Westphal, sind vor allen Dingen das Opfer Ihrer inflationären Politik. ({7}) Hier geht es - deshalb erwähne ich es, Herr Kollege Westphal; das ist nicht zum Lachen - an die Grundsubstanz der staatlichen Investitionen schlechthin. Dies können Sie auch nicht durch ein kleines oder etwas größeres, mittelgroßes zusätzliches Konjunkturprogramm des Bundes korrigieren. Wenn Sie die Finanzkraft der Kommunen so weit schwächen - der Städtetag hat ja in der letzten Woche eine Stellungnahme beschlossen, aus der hervorgeht, daß die Kommunen durch die jetzt angekündigten Maßnahmen dieser Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Haushalt und den sogenannten Steuermaßnahmen allein in einem Haushaltsjahr mit zusätzlich 3 Milliarden DM belastet werden -, dann bringen Sie die Investitionsfähigkeit der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland auf den Nullpunkt. ({8}) Was das für die gesamte Leistungsfähigkeit der öffentlichen Investitionen heißt, brauche ich, glaube ich, in diesem Kreise wohl nicht deutlich zu machen. Damit schwächen Sie mittel- und langfristig die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hände in einem viel größeren Ausmaß, als jedes kurzfristige Konjunkturprogramm es jemals korrigieren kann. ({9}) Zum Schluß noch eine grundsätzliche Bemerkung zum Konzept, daß ich nicht sehe, es sei denn, wie gesagt, Treibenlassen in der Hoffnung, die Dinge würden sich von allein bessern. Der Bundesfinanzminister hat hier geradezu noch mit einem gewissen Stolz in der Brust darauf aufmerksam gemacht, daß die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr etwas niedriger geworden sei und daß in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1980 ein weiterer Rückgang - allerdings vorausgesetzt, daß gewisse wirtschaftspolitische Eckdaten auch tatsächlich realisiert werden, was ich ein wenig bezweifle; aber gut, unterstellen wir das einmal - zu verzeichnen sei. Aber, meine Damen und Herren, über das Konzept und die traurige Hinterlassenschaft der völlig verfehlten Finanz- und Haushaltspolitik der letzten Jahre möchten Sie natürlich nicht mehr so gerne reden. Ich kann verstehen, wenn sich Graf Lambsdorff hinstellt und fragt: Was sollen wir noch Schlachten von gestern schlagen? Sie mögen an Ihre Missetaten, Ihre Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre nicht erinnert werden. ({10}) Nur, die Haushalts- und Finanzpolitik dieses Jahres und der vor uns liegenden Jahre ist gar nicht zu verstehen, wenn man nicht die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre mit in die Betrachtung einbezieht. ({11}) Für diese Fehlentscheidungen, lieber Graf Lambsdorff, werden wir noch arg zu büßen haben. Lassen Sie mich das einmal an einigen Zahlen verdeutlichen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, wollen Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff zulassen?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dem Grafen kann ich nichts verweigern.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schröder, auf diese letzte Erklärung werde ich zu passender Zeit zurückkommen. Vielen Dank! Im übrigen möchte ich Sie fragen, ob ich Sie vielleicht daran erinnern darf, daß zwischen den von Ihnen kritisierten Entscheidungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik eine sehr wesentliche, nämlich zustimmende Entscheidung des Wählers gelegen hat. ({0})

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Graf Lambsdorff, ich schätze Sie wirklich als einen der gescheitesten Kollegen aus den Reihen der Koalition. Aber daß Sie an diesem Abend angesichts der gestrigen Entscheidung von Karlsruhe noch ein solches Eigentor schießen würden, hat mich ein bißchen verwundert. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht mehr. Ich möchte nicht mehr ganz so ernst werden wie mein Kollege Haase und das hier alles noch einmal wiederholen, will aber dennoch einen Satz mit allem Ernst und mit aller Deutlichkeit sagen: Wenn diese massive Irreführung des Wählers nicht gewesen wäre, dann wäre - davon, Graf Lambsdorff, bin ich hundertprozentig überzeugt - das Ergebnis am 3. Oktober ein völlig anderes gewesen. ({0}) Lassen Sie mich aber auf die konzeptionellen Fragen zurückkommen, auf das, was uns in den nächsten Jahren belasten wird. Meine Damen und Herren, allein in diesem Jahr wird die Schuldenlast jener gigantischen Verschuldungspolitik von 1969 bis 1975 im Zuge des sozial-liberalen Reformrausches um eine Milliarde höher liegen, als wir an neuen Schulden aufnehmen. In diesem Jahr muß der Bund 22,8 MilliSchröder ({1}) arden DM Schulden neu aufnehmen, er muß aber 23,8 Milliarden DM aufwenden, um Schulden zu tilgen und Zinszahlungen zu leisten. Im nächsten Jahr werden wir für Zins- und Tilgungsleistungen 27,6 Milliarden DM aufwenden müssen, 1979 36,4 Milliarden DM ({2}) und 1980 35,9 Milliarden DM. Das ist in den Jahren 1970 und 1980 mehr, als Sie nach der jetzigen mittelfristigen Finanzvorschau für die Verteidigung in diesem Land aufwenden wollen. Das, Herr Minister Apel, ist das Ergebnis einer katastrophalen Verschuldungspolitik, die uns noch über Jahre hinaus belasten wird. ({3}) Wenn ich diese grundsätzlichen Überlegungen zusammenfasse, muß ich allerdings zu dem Ergebnis kommen, daß von einem Konzept, daß von einer Konsolidierung überhaupt noch keine Rede sein kann. Wir befinden uns noch tief in den Folgen eines verhängnisvollen Umgangs mit den Geldern unserer Steuerzahler, mit den Ausgaben des Bundes in den Jahren 1969 bis 1975. Wir alle werden diese Last bis 1980 und noch darüber hinaus zu tragen haben. Wie man sich da an die Brust schlagen kann, es sei schon alles zum besseren gekehrt, ist mir schleierhaft. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Löffler. ({0})

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin eigentlich bis zu der letzten Rede davon ausgegangen, daß Gemeinsamkeit in der Politik nur über den Weg der Vernunft erreicht werden kann. ({0}) Mein früherer Beruf hat es eigentlich so mit sich gebracht, daß ich mich nicht irremachen lasse in dem Glauben, daß der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist. Der Herr Kollege Schröder hat eben der Koalition vorgeworfen, daß sie kein Konzept vorgelegt habe. Wir haben uns in einer langen Debatte bemüht, ehrlich und offen auch mit gewissen kritischen Aspekten all die Schwierigkeiten darzulegen und unser Konzept aufzuzeigen, wie wir unser Land und unsere Gesellschaft auch mit Hilfe des Haushalts über eine schwierige wirtschaftliche Phase hinwegbringen wollen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat darauf hingewiesen, daß man einen Haushaltsplan eben nicht nur eng fiskalisch sehen kann. Die Opposition hat viel Kritik geübt. Das ist richtig. Sie muß auch Kritik üben. Sie hat auch eine ganze Menge Polemik angebracht. Darüber wollen wir auch nicht streiten. Teilweise war sie ja auch so wirkungsvoll vorgetragen, fast bühnenreif, daß man sich den nächsten Kinobesuch sparen kann. Im wesentlichen haben Sie aber nur sehr punktuelle, eingegrenzte Kritik geübt. Sie haben keinen großen Rahmen gezogen, Sie haben Ihre Kritik nicht in eine Gesamtschau eingeschlossen. Dann ist der Herr Kollege Schröder - und das ist eigentlich das Konzept der Opposition - mit der Krümelbürste durch die Debatte gegangen und hat all die Ladenhüter noch einmal serviert, die die Opposition für schick und besonders wirkungsträchtig hält. Da wird dann z. B. gesagt: „Sie treiben die inflationäre Politik hoch." Schauen Sie sich doch einmal an, wie die Verhältnisse in Europa aussehen! Kennen Sie denn noch mehr europäische Länder, die soviel Stabilität in schwieriger Zeit gehalten haben wie die Bundesrepublik Deutschland? ({1}) Und natürlich: Wir sind nur deshalb verhältnismäßig gut über die Runden gekommen, weil wir das alles haben treiben lassen. - So der Kollege Schröder, um uns dann im nächsten Satz vorzuwerfen, wir seien eingeengte Bürokraten, die das gesamte gesellschaftliche Leben mit einem Netz von Verordnungen überziehen wollen. Herr Kollege Schröder, wenn sich Ihre Fraktion schon nicht einigen kann, Sie selber müssen doch wenigstens in sich einig werden: Lassen wir nun treiben, oder wollen wir die Gesellschaft gängeln? Da müssen Sie doch für sich irgendeine Entscheidung treffen können. Oder wenn Sie dann von Missetaten und Fehlentscheidungen sprechen, welche Länder meinen Sie damit eigentlich? ({2}) Nein, Herr Kollege Schröder, es kam auch Ihre grundsätzliche Philosophie hier zum Ausdruck. Sie haben ja auch das deutsche Volk soeben für unmündig erklärt und waren der Meinung, daß ein paar Druckschriften und Broschüren die Entscheidung des Volkes ganz anders gestaltet hätten. ({3}) Ich muß sagen: Ich glaube so stark an die politische Vernunft des deutschen Volkes, daß ich nicht glauben kann, daß einige Druckschriften das Wahlergebnis verändert haben. ({4}) Wenn Sie dieser Meinung sind, dann steckt dahinter im Grunde genommen eine menschenverachtende Philosophie, und die lehnen wir grundsätzlich ab. ({5}) Dann wird davon gesprochen, wir hätten einen völlig überhöhten Stellenplan. Gucken Sie sich doch einmal die tatsächlichen Zahlen an, Herr Kollege Schröder! Ich kann mir Ihre Aussage nur so er874 klären, daß Sie grundsätzlich nur Ihre eigenen Reden nachlesen, die Sie vielleicht einmal vor vielen Jahren gehalten haben. Sonst müßten Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses doch wissen, daß wir gemeinsame Anstrengungen unternommen haben und, wie ich hoffe, auch weiterhin unternehmen werden, um den Stellenplan abzubauen. ({6}) Als der Kollege Grobecker einige Ausführungen über den Staatsanteil machte, haben Sie ihm vorgeworfen, daß seine Auffassung ein Irrglaube sei. Das war von Ihrer Seite besonders interessant. Der Kollege Grobecker hat nämlich ein Zitat von Paul Samuelson gebracht - bekanntlich Nobelpreisträger für Nationalökonomie. Er ist in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen dahintergekommen, daß sich in den Staaten, in denen der Staatsanteil verhältnismäßig hoch ist, besonders viel soziale und wirtschaftliche Stabilität in dieser Welt ergeben hat. Aber ich gehe davon aus, daß der Nationalökonom Schröder natürlich mit Sicherheit höher zu bewerten ist als der Nobelpreisträger Paul Samuelson. Herr Schröder, was Sie hier geboten haben, war insofern ein erschreckendes Bild, als man beinahe glauben muß, daß die Opposition tatsächlich nicht in der Lage ist, eine Gesamtschau zu entwickeln. Ohne Gesamtschau kriege ich jedoch auch kein Konzept. Aber ich würde sagen: Wir wollen uns alle gemeinsam bemühen, daß Sie unsere Gesamtschau, unser Konzept, verstehen, weil Sie sich dann nämlich selber die formalen Voraussetzungen dafür erarbeiten können, zu einem eigenen Konzept zu kommen. Ich glaube nämlich, daß die Diskussionen hier im Deutschen Bundestag dann auch von der Sache her etwas fruchtbarer würden. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner. ({0})

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Abgeordnete Schröder hat mir vorgeworfen, so etwas wie eine liberale Verirrung begangen zu haben. Ich darf dazu folgendes feststellen. Ich habe nicht liberal, ich habe nicht konservativ, nicht christdemokratisch, nicht sozialdemokratisch argumentiert, sondern wissenschaftlich. Dabei habe ich diese Ausgabe hier benutzt und das auch als Zitat ausgewiesen. Ich werde jetzt, damit Herr Schröder Gelegenheit hat, das nachzukontrollieren, ihm das mit freundlichen Grüßen überreichen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Carstens.

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginen und Kollegen! In der letzten Runde der heutigen Haushaltsdebatte möchte ich einige Ausführungen zur Europapolitik und zum Etat der EG sowie zu seinen Auswirkungen auf unseren eigenen Haushalt machen. Sowohl in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor einigen Wochen als auch in der Haushaltsrede des Finanzministers von gestern sind zu Europa nur völlig unzureichende Aussagen gemacht worden. Diese Tatsache scheint mir ein sicheres Indiz dafür zu sein, daß bei der Bundesregierung in Sachen Europa eine ziemliche Konzeptionslosigkeit herrscht. Diese Konzeptionslosigkeit bewirkt offensichtlich, daß die Regierung nicht in der Lage ist, eine europäische Entwicklung konkret aufzuzeigen. Sie beweist ferner, daß die Europapolitik nicht - leider nicht - an der Spitze der Prioritätenliste dieser Bundesregierung steht. Hieraus resultiert dann geradezu zwangsläufig, daß, wie Sie sagen, Herr Minister Apel, von Jahr zu Jahr zwar immer größere Summen an die EG abzuführen sind, entsprechende politische Erfolge aber nicht erzielt werden. Es stimmt doch, daß in den letzten Jahren zufriedenstellende Fortschritte bei der Integration der Europäischen Gemeinschaft ausgeblieben sind. Nun weiß ich sehr wohl, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, daß es andere EG-Länder gibt, die sich restriktiver verhalten, als unser Land es tut. Das ist richtig. Das Verhalten anderer europäischer Regierungen befreit jedoch die Bundesregierung nicht von der Verantwortung, die sie nun einmal als Vertreterin eines wichtigen Landes beim weiteren Bau Europas hat. Es befreit sie nicht von der Verpflichtung, ständig neue Bemühungen und neue Vorstöße zugunsten Europas zu unternehmen. Es berechtigt sie nicht dazu, die Hände in den Schoß zu legen, die weitere Entwicklung abzuwarten und auf eigene Initiativen zu verzichten. Mein Vorwurf geht konkret dahin, daß ich der Bundesregierung vorwerfe, sie verhindert europäische Integrationsbestrebungen zwar nicht, unternimmt aber viel zu wenig, um gestaltend und zukunftweisend tätig zu werden. Es genügt nun einmal nicht, die Hauptinitiative von der Brüsseler Kommission zu erwarten. Bürokratie kann politische Entscheidungen nicht ersetzen. Es reicht ebenfalls nicht aus, wenn man in bestimmten und besonderen Situationen zwar richtigerweise Devisenhilfen gibt, Bürgschaften übernimmt oder sich auch an zweckbestimmten Fonds beteiligt. Selbst angelaufene bzw. bereits abgeschlossene Verhandlungen der EG mit Drittländern über technische oder wirtschaftliche Hilfen, über Assoziierungs- oder gar Beitrittsmöglichkeiten können meinen Vorwurf gegen die Bundesregierung letztlich nicht entkräften. Ich behaupte, daß bei entsprechendem Konzept und höchster politischer Priorität in der Vergangenheit bei gleichem finanzpolitischem Einsatz für Europa mehr hätte erreicht werden können und daß auch in Zukunft mehr erreicht werden könnte. Ich denke daran, daß der Bericht von Herrn Tindemans hier besondere Anregungen gibt. Ich möchte die Bundesregierung seitens der CDU/CSU-Fraktion dazu anregen und auffordern, mutige politische Schritte in Carstens ({0}) der Europapolitik zu unternehmen. Sie können unserer Unterstützung sicher sein, wenn wir dadurch dem Hauptziel eines vereinten freien Europa ein Stück näherkommen. ({1}) Nun zum Haushalt der EG. Der EG-Haushalt hat inzwischen ein Volumen erreicht, das für die Gemeinschaft zunehmend konjunkturrelevant und für die nationale Haushaltsgestaltung immer bedeutsamer wird. Aus diesem Grund und angesichts der Wirtschafts- und Finanzlage unseres Landes und der anderen Mitgliedstaaten der EG müssen an die Praxis der Haushaltsveranschlagung und -führung in der EG strengere Maßstäbe angelegt werden, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Die leeren Kassen der Mitgliedstaaten zwingen diese im europäischen Bereich zu einer äußerst sparsamen und effizienten Haushaltspolitik. Sie erfordern bei neuen und bestehenden Programmen konkretere Kostenvorausschätzungen und vor allem auch eine verläßlichere, aussagefähige mittelfristige Finanzvorschau, damit sich die Mitgliedstaaten in ihrer nationalen Finanzplanung realistisch auf den Finanzbedarf der EG einstellen können. Die leeren Kassen werden aber auch eine klare Prioritätsentscheidung nötig machen. Zu all dem hat der Finanzminister in der Haushaltsdebatte keinerlei Aussagen gemacht. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich hier, wie auch schon in der Aussprache über die Regierungserklärung im Januar, die Dinge sehr leicht gemacht. Statt einer detaillierten Analyse der zukünftigen Belastungen, ihrer abschätzbaren Risiken zu geben und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, hörten wir nur Appelle an die Verantwortung anderer, z. B. Länder und Gemeinden, weniger getragen von einer eigenen politischen Verantwortung als vielmehr von Selbstmitleid. Aber Selbstmitleid steht einem Finanzminister nicht an. Es geht auch nicht an, die steigenden EG-Zahlungsverpflichtungen so hinzustellen, als handele es sich hier um eine unabänderliche Entwicklung, der man sich nicht entgegen zu stellen, sondern die man klaglos hinzunehmen habe. Herr Minister Dr. Apel - Sie sind ja noch anwesend; alle Achtung, Herr Minister -, ({2}) Sie machten im Zusammenhang mit den EG-Ausgaben zwar auf die Problematik beim Bundeshaushalt aufmerksam, ähnlich wie in der Debatte zur Regierungserklärung. Sie sprachen von jährlichen Steigerungsraten von ca. 30 %, davon, daß wir der größte Nettozahler sind. Sie stellten auch fest, daß ca. 73 % der EG-Ausgaben in den Agrarmarkt fließen und daß die deutschen Leistungen für den EG-Haushalt 5 % des Haushaltsvolumens des Bundes entsprechen. Sie haben jedoch - das muß gesagt werden - mit keinem Wort erwähnt, ob und welche Schlüsse und Konsequenzen Sie hieraus ziehen wollen. Herr Minister, das ist Ihre Aufgabe. Vor dieser Aufgabe können Sie sich nicht drücken, was Sie ja bishang beharrlich getan haben. Da möchte ich an Sie die Frage richten: Wo bleiben eigentlich jetzt die Alternativen, die von Ihnen kommen müssen, in bezug auf den europäischen Bereich? Sie fragen uns ja ständig nach Alternativen. Hier sind Sie gefragt, als Regierung endlich zu handeln und Alternativen aufzuzeigen. In einer Beziehung allerdings, Herr Minister, muß ich Ihnen einen gewissen Fortschritt zum Besseren bestätigen. Sie haben gestern nicht mehr Ihre schon gewohnte Zahlmeisterallüre gezeigt, sondern waren erheblich vorsichtiger und abgewogener in den Äußerungen zu Europa. Offenbar haben Sie eingesehen, daß man die Frage der europäischen Einigung nicht nur von der Seite der EG-Finanzierung betrachten darf. Aber das bewahrt Sie nicht davor, klare und eindeutige Aussagen darüber zu machen, wie Sie mit der EG-Haushaltsproblematik fertig werden wollen. Sie wissen doch genau, daß nach den Schätzungen der Deutschen Bundesbank schon zu Beginn der achtziger Jahre die dann der EG zustehenden eigenen Einnahmen, einschließlich des geplanten einprozentigen Mehrwertsteueraufkommens, zur Finanzierung nicht mehr ausreichen. Was folgern Sie daraus? Was wollen Sie tun? Das sind Fragen, die Sie beantworten müssen. Dazu muß die Bundesregierung Stellung nehmen, nicht erst in einigen Jahren, sondern jetzt bald. Die Zeit drängt. Ich denke hierbei nicht zuerst an Einsparungen und Kürzungen, sondern vor allem daran, daß klare Perspektiven deutlich gemacht und Prioritäten aufgezeigt werden. Meine Damen und Herren, abschließend noch einige Worte zur Haushaltswahrheit und -klarheit in unserem Bundeshaushalt. Obwohl der Anteil der Bundesrepublik Deutschland am EG-Haushalt für 1977 über 8 Milliarden DM betragen wird - Sie haben es in Ihrer Haushaltsrede gestern gesagt -, werden Sie bei Durchsicht keine Ausweisung im Bundeshaushalt finden. Herr Minister Apel, ich halte Ihr Verhalten, den EG-Anteil lediglich im Anhang zum Haushalt auszuweisen, nach wie vor eindeutig nicht für korrekt. Ich habe das bereits vor zwei Jahren angesprochen. Das ist nach wie vor nicht korrekt, und das hat mit einem seriösen Haushaltsgebaren nichts zu tun. Solange die Finanzbeiträge der EG-Mitgliedsstaaten noch nach einem Bruttosozialproduktschlüssel festgelegt werden, solange also nicht von echten eigenen Einnahmen der EG über die Mehrwertsteuereinnahmen gesprochen werden kann, ist eine volle Etatisierung vorzunehmen. Alles andere ist einfach nicht in Ordnung und muß abgelehnt werden. Zusätzlich ist dabei zu berücksichtigen, daß die jeweiligen Soll-Ansätze unverantwortlich weit von den späteren Ist-Ergebnissen abweichen. Dazu hat bereits der Herr Kollege Leicht heute morgen in seiner Rede Stellung bezogen. Aus seiner Stellungnahme ging hervor, daß in der Ubersicht über den vorläufigen Abschluß des Bundeshaushalts von 1976 steht, daß der EG-Anteil an der Umsatzsteuer mit zirka 4 Milliarden DM veranschlagt war, die EG aber nur gut 2,8 Milliarden DM benötigte, so daß der Differenzbetrag den Bundesanteil an den Steuern vom Umsatz um 1,14 Milliarden DM erhöht hat. Das ist eine Abweichung von zirka 40 %. Meine Damen Carstens ({3}) und Herren, das ist eine geradezu abenteuerliche Abweichung. Was ist denn nun dort geschehen, was haben wir danach für die Zukunft zu berücksichtigen? Gestatten Sie mir, daß ich kurz auf einige Zahlen eingehe. Die Bundesregierung war bei der Festsetzung der Soll-Ansätze vom endgültigen Haushalt der EG für das Jahr 1976 ausgegangen. Der Haushalt der EG betrug in etwa 7,6 Milliarden Rechnungseinheiten. Das ist, wenn man unseren Anteil ausrechnet, in etwa auch das, was wir in D-Mark zu zahlen haben. Diese Summe von zirka 7,6 Milliarden DM wurde also im Anhang zum Bundeshaushalt aufgeführt. Interessanterweise sind im Laufe des Jahres - das ist aber in den Vorjahren durchaus auch üblich gewesen - noch mehr als 800 Millionen DM bzw. Rechnungseinheiten für Nachtragshaushalte aufgewandt worden. Obwohl also 800 Millionen und mehr Rechnungseinheiten mehr ausgegeben wurden, als zu Beginn des Jahres geplant war, hat die Bundesregierung noch mehr als 1,1 Milliarden DM übrigbehalten. Das deutet also eindeutig darauf hin, daß die Ansätze, von denen die Bundesregierung jeweils ausgeht, absolut nicht wirklichkeitsnah sind. Ich kann Ihnen versprechen, daß wir bei den Haushaltsberatungen Wert darauf legen werden, diese Einzelpositionen genauestens unter die Lupe zu nehmen. Da wir uns gerade bei den Zahlen des EG-Haushalts aufhalten, noch ein letztes zu diesem Bereich. Man spricht oft von all den Kosten, die im Bereich Europas zusätzlich auf uns zukommen. Interessant ist, daß das Volumen der echten neuen Politiken, der Politiken, die in den letzten vier, fünf Jahren eingeführt wurden, z. B. Sozialsektor, Regionalsektor, Forschung, Energie, Transport und Entwicklungshilfe, in etwa nur so groß ist, wie das, was in der EG insgesamt für die Verwaltung, das Personal und für die Erstattung von Erhebungskosten aufgewandt wird, nämlich rund eine Milliarde Rechnungseinheiten. Es kommt also darauf an - ich möchte Sie hier noch einmal ganz besonders ansprechen, Herr Minister -, daß Prioritäten gesetzt werden. Man kann sich nicht immer mit den Beträgen entschuldigen, die insgesamt gezahlt werden, sondern es kommt darauf an - ich wiederhole es -, das Prioritäten gesetzt werden und daß dann mit dem, was gezahlt wird, auch Effektivität auf dem Wege zur Integration Europas erreicht wird. Daß wir uns bei den Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen besonders mit den Zahlen in Sachen EG beschäftigen wollen, scheint noch so lange von besonderer Bedeutung zu sein, bis dem Europäischen Parlament die vollen Haushaltsbefugnisse übertragen werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß dies bald geschieht, dafür sollten wir uns gemeinsam mit Nachdruck einsetzen. Auch das ist ein Schritt in Richtung auf eine weitere Integration der Europäischen Gemeinschaft. Diese europäische Integration sollte uns durchaus etwas wert sein. Hierbei denke ich gar nicht vorrangig an Geld, obwohl es ohne Geld sicherlich auch in Zukunft nicht gehen wird. Ich denke vielmehr daran, daß wir alle unsere Fähigkeiten und unseren guten Willen für ein vereintes Europa in Freiheit und Frieden einsetzen sollten. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Simpfendörfer.

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Koalition hat es nicht nötig, zum Abschluß dieser Debatte in großen Worten darzutun, was alles von ihr in den letzten Jahren an Initiativen in Richtung einer Integration Europas bzw. weiterer Fortschritte zur Integration tatsächlich verwirklicht wurde. Wir stehen jetzt am Anfang einer neuen Legislaturperiode. Trotz aller Klagen der Opposition - in der Debatte über die Regierungserklärung, heute wieder -, daß Europa angeblich kein vorrangiges Ziel dieser Koalition sei, wird sich im Laufe dieser Legislaturperiode ganz sicher erweisen, wo der Motor des Integrationsfortschritts in Europa ist und wo auf der anderen Seite die vielfältigen objektiven Hemmnisse sind, die uns hindern, mehr als die Fortschritte zu erzielen, die wir tatsächlich erreichen könnten. Es ist ja nicht so, wie ich neuerdings immer wieder aus den Reihen der Opposition höre, daß es die Sozialisten seien, die in Nationalstaaterei zurückfielen, und das es deswegen keine Fortschritte gebe; sondern das liegt an ziemlich genau kalkulierbaren, feststellbaren objektiven Tatbeständen, die uns gehindert haben, die Fortschritte etwa im Bereich der Währungspolitik, im Bereich der Wirtschaftspolitik, einer Währungs- und Wirtschaftsunion zu erzielen, die wiederum die Voraussetzungen dafür wären, daß wir im allgemeinpolitischen Bereich mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit entwickeln können. In diesem Zusammenhang ist die europäische Wahl, die für diese Legislaturperiode in Aussicht gestellt ist, ganz sicher ein enorm wichtiges Datum, auf das wir viel Kraft und Aufmerksamkeit verwenden müssen, um deutlich zu machen, daß es nicht nur ums Geld geht, Kollege Carstens, sondern daß es uns auch um den gemeinsamen politischen Willen geht, in Europa Fortschritte zu erzielen. Trotzdem soll und muß in einer Haushaltsdebatte auch vom Geld die Rede sein. Wenn ich lese, daß etwa der Verkauf von 10 000 Tonnen Butter aus den Kühlhäusern Europas 57 Millionen DM Aufwand an Steuermitteln kostet, daß daran der Bundeshaushalt wiederum mit 35 %, also mit ungefähr 20 Millionen DM beteiligt ist, daß davon wiederum nur 12,7 %, also ungefähr 2,4 Millionen DM an die deutsche Wirtschaft zurückfließen, dann muß es erlaubt sein, über die Zusammenhänge zu reden: wieso das so ist, und ob das wohl so bleiben muß. Daß hier ein Ärgernis besteht und daß es notwendig ist, über dieses Ärgernis und die daraus zu ziehenden Konsequenzen nachzudenken, darin sind wir uns als Opposition und als Koalition wohl einig. Ich bin der Regierung sehr dankbar, daß sie frühzeitig versucht hat, dieses neue Buttergeschäft, das ein Ärgernis für uns alle ist, zu verhindern, und daß ein Beschluß gefaßt wurde, in der Zukunft zumindest mit Ostblockländern solche Geschäfte nicht mehr zu machen. Aber das bedeutet nicht, daß die Kühlhäuser jetzt leer sind und daß es nicht mehr notwendig sein wird, diese Kühlhäuser zu leeren. Infolgedessen müssen nach wie vor Anstrengungen gemacht werden - und zwar vernünftigere Anstrengungen -, um mit diesem Problem fertig zu werden. Wenn der Finanzminister betont hat, daß die vierte Finanzierungsebene, die EG, eine wachsende Bedeutung gewinne, gilt das natürlich in zwei Richtungen. Erstens. Die Bundesländer müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir inzwischen die berühmten 5 % des Haushaltsvolumens des Bundes für Brüssel aufwenden müssen, Herr Kollege Carstens. Die Rückflüsse kommen dem Bundeshaushalt so gut wie nicht zugute, d. h., das ist eine echte zusätzliche Belastung auf Bundesebene. Das muß Folgen für die Verhandlungen über den Umsatzsteueranteil zwischen Bund und Ländern haben. ({0}) Zweitens. Die Staaten in Europa und in -der Welt dürfen auch ruhig wissen, daß wir bereit und fähig sind, für die Erreichung vordringlicher Ziele einen hohen finanziellen Einsatz zu leisten. Sie müssen jedoch auch wissen, daß wir Abgeordnete im Deutschen Bundestag zu rechnen und Nutzen und Kosten zu prüfen gewohnt sind. Die Milchmarktordnung hält dieser Prüfung längst nicht mehr stand. In diesem Zusammenhang hat Kollege von Weizsäcker am 19. Januar in der Debatte über die Regierungserklärung in diesem Hause gegen die Zahlmeisterattitüde polemisiert, die auch heute hier vom Kollegen Carstens erneut aufgegriffen wurde, ({1}) aber mit dem lobenden Hinweis, der Herr Finanzminister habe sich ja in der Zwischenzeit gebessert. Ich habe damals nicht das Gefühl gehabt, daß der Kollege von Weizsäcker recht hat. Er selber mag es als peinlich empfinden, daß über Geld geredet wird; wir Haushaltsleute müssen zweifellos darüber reden. ({2}) - Er hat es ausdrücklich beklagt, daß über Geld geredet wird, daß man vorrechnet, wieviel wofür aufgewendet wird. Er hat gemeint, daß das in Wirklichkeit doch gar nicht die Fragestellung sei, sondern es seien viel höhere Interessen im Spiel. So ungefähr war der Duktus seiner Ausführungen. Ich meine, daß ihn nichts abhalten soll, diese Ausführungen zu machen. Nur: Haushaltsleuten muß es erlaubt sein, davon zu reden, ob der Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht. ({3}) Insoweit müssen wir erhebliche Zweifel anmelden. Wenn wir prüfen, in welchem Verhältnis die Ausgaben der EG für die Milchmarktordnung oder für die Beseitigung von Weinüberschüssen zu den Ausgaben für die Schaffung von Erwerbsalternativen für die Milch- oder Weinbauern stehen, ist ein erschreckendes Mißverhältnis festzustellen. Ich glaube, es ist für uns alle Zeit, darauf zu drängen, daß dieses Mißverhältnis abgebaut wird. Es gibt allerdings eine Antwort auf dieses Problem, die nicht die richtige ist. Es wird nämlich gelegentlich das Patentrezept der Plafondierung ins Spiel gebracht. Demnach sollen die Agrarmarktausgaben auf einer bestimmten Höhe eingefroren werden. Eine ,,Bilanz"-Sendung des ZDF hat im August 1976 gezeigt, daß der Kollege Dr. Strauß ein Anhänger dieser Idee ist. ({4}) - Liebe Herren Kollegen von der Opposition, Sie platzen heute genauso, wie damals der Kollege Dr. Ritz geplatzt ist ({5}) - nein, Sie haben es mir nicht bewiesen -, als es der Kollege Lothar Löffler in die Offentlichkeit brachte. Er hat keine Antwort von demjenigen erhalten, der eigentlich die Antwort hätte geben müssen. Er hat eine Antwort - wenn auch nicht in der Sache - vom Kollegen Dr. Ritz erhalten. Herr Kollege Dr. Ritz hat gesagt: „Das kann überhaupt nicht in Frage kommen; im übrigen sind wir der folgenden Auffassung." - Das war eine ausweichende Antwort. In Wirklichkeit war es so, daß nachweisbar und immer unbestritten der Kollege Dr. Strauß die Idee der Plafondierung in dieser Sendung gebracht hat. Damals hat der Präsident des Bauernverbands darauf nicht geantwortet, wie er eigentlich hätte antworten müssen; denn eine Plafondierung wäre ja der Tod der Einkommenszuwächse der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Aber er hat nicht geantwortet, weil er damals ein höheres Staatsamt im Auge hatte. Deswegen konnte er nicht gut antworten. ({6}) Er konnte natürlich auch nicht gut antworten auf einen Vorschlag seines künftigen Finanzministers, der in Zukunft seinen Haushalt hätte aufstellen müssen. ({7}) Ich mußte heute erneut darauf eingehen; denn es war die einzige erkennbare Alternative auf dem agrarpolitischen Sektor, die wir im letzten Jahr zur Kenntnis nehmen konnten, eine im übrigen für die deutsche und europäische Landwirtschaft verhängnisvolle Alternative, da sie zweifellos dazu führen würde, daß sich nicht die Strukturen ändern; vielmehr würde man damit den Bauern, insbesondere den einkommensschwachen und denen ohne Erwerbsalternative, einfach den Strick um den Hals legen, Herr Kollege Dr. Jenninger.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Kollege Simpfendörfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Simpfendörfer, wann werden Sie denn endlich einmal das zur Kenntnis nehmen, was in dem Vermerk enthalten ist, den ich Ihnen vorgelegt habe, nämlich daß in der Zeit des Bundesfinanzministers Alex Möller auch die sozialliberale Regierung diese Vorstellungen des ehemaligen Bundesfinanzministers Dr. Strauß übernommen hat? ({0})

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, nein! Ich habe den Vermerk, Herr Kollege, von dem Sie sprechen, zur Kenntnis genommen. Ich hatte damals nicht genügend Material, um die Sache weiter zu verfolgen, und habe deswegen nichts mehr darauf gesagt. In der Zwischenzeit hat mir der Kollege Lothar Löffler sehr wohl ausreichendes Material zur Verfügung gestellt, aus dem einwandfrei der Schluß gezogen werden kann, daß eben die Idee von der Plafondierung, die Idee von Dr. Strauß, im Jahre 1976 erneut aufgewärmt worden war und daß niemand in diesem Hause - möglicherweise außer Dr. Strauß - bereit ist, über dieses Thema ernsthaft zu reden. Wir jedenfalls nicht!

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Simpfendörfer, würden Sie vor dem Hintergrund der Metapher „Tod der Landwirtschaft" die Absicht, die Subventionen um 2 bis 3 Milliarden DM zu kürzen, als einen ausgesprochenen Wiederbelebungsversuch betrachten? ({0})

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Klein, ich weiß nicht, wer wann die Absicht geäußert hat, irgendwelche Subventionen um 2 bis 3 Milliarden DM zu kürzen. Wenn Sie aber meinen, daß eine Kommission tätig wird, die die möglicherweise ungerechte Besteuerung innerhalb der Landwirtschaft überprüft und Vorschläge zur Korrektur macht, dann trifft das zu. Dagegen haben Sie wahrscheinlich auch nichts. Oder doch? Ich wollte dieses Thema noch einmal aufbringen, weil es in dem Zusammenhang möglicher Lösungsvorschläge des vor uns stehenden Problems eben ein höchst unzureichender Lösungsvorschlag ist, der den entscheidenden Punkt, um den es geht, nämlich die Agrarstrukturen zu ändern und Erwerbsalternativen zu schaffen, ganz bestimmt nicht vorwärts-bringt. Es bedarf unserer Auffassung nach eines Bündels von Maßnahmen, die kurzfristig und langfristig in die richtige Richtung gehen, die bestehenden einseitigen Strukturen als die Ursachen der Überproduktion aufzulockern, statt sie durch die Subventionierung über die Preise ständig neu zu verfestigen und in die falsche Richtung zu entwikkeln. Deswegen meinen wir, daß eine solche zukunftsorientierte Politik durch den Minsterrat und durch die Kommission in dieser Legislaturperiode in verstärkter Weise in die Wege geleitet werden müsse. Zum Abschluß möchte ich dem Kollegen Schröder noch etwas sagen. Er meinte, es sei ein typisches Phänomen des Sozialismus, daß man mit Hilfe eines wachsenden Staatsanteils in wirtschaftlichen Krisensituationen mangels privater Nachfrage öffentliche Nachfrage schafft; das sei seiner Meinung nach zu verurteilen. Nun habe ich mich gefragt, ob derjenige Ökonom, der diese Lehre des staatlichen Verhaltens entwickelt hat, Keynes nämlich, zu den Sozialisten zu zählen sei. Aber da er inzwischen nicht mehr da ist, kann er diese Frage mir wohl nur noch schriftlich beantworten. Im übrigen möchte ich zum Abschluß dieser Debatte allen, die an der Aufstellung dieses Haushaltes beteiligt waren, recht herzlich danken und für die Koalition versichern, daß wir uns im Ausschuß unserer Verpflichtung zu sorgfältiger Prüfung ganz außerordentlich unterziehen werden und daß wir gerne die Vorschläge der Opposition aufnehmen und einarbeiten werden, sofern wir sie für vernünftig halten können. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wir sind am Ende der Aussprache zur ersten Lesung angelangt. Auf Vorschlag des Ältestenrates sollen die Vorlagen in den Drucksachen 8/100 und 8/101 dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen. Die Vorlage auf Drucksache 8/133 soll dem Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und dem Haushaltsausschuß - mitberatend - überwiesen werden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 16. März 1977, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.