Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen den Tod unseres Kollegen Walter Peters bekanntzugeben, der am 8. April plötzlich und unerwartet in Niebüll starb. Walter Peters wurde am 14. August 1912 in Poppenbüll in Nordfriesland geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung und arbeitete nach einjähriger Militärdienstzeit seit 1937 als selbständiger Landwirt. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit durch den zweiten Weltkrieg, an dem er von 1939 bis 1945 teilnahm.
Seine politische Heimat fand Walter Peters in der FDP. Bevor er 1961 in den Bundestag kam, sammelte er reiche Erfahrungen auf kommunalpolitischer Ebene als Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Poppenbüll und als stellvertretender Landrat. Dem Deutschen Bundestag gehörte er von 1961 bis 1972 und dann wieder seit Juni 1975 an.
Der Schwerpunkt seiner parlamentarischen Arbeit lag auf agrarpolitischem Gebiet. Er gehörte dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an und war agrarpolitischer Sprecher seiner Partei. Walter Peters hat maßgeblich an der Einleitung und der Weiterentwicklung agrar- und sozialpolitischer Reformvorhaben mitgewirkt. Sein ausgeprägter Sinn für das politisch Mögliche und parlamentarisch Machbare befähigte ihn, auch in schwierigen Situationen ausgleichend zu wirken und Kompromissen den Weg zu ebnen. Walter Peters hatte Realitätssinn und engen Kontakt zu den Bürgern; dies hat er sich erhalten. Daher ist sein Name mit einer Agrarpolitik verbunden, die der Landwirtschaft und den Verbrauchern gleichermaßen diente.
Walter Peters war ein Mann, der sich allein der Sache verpflichtet fühlte und wenig Aufhebens von seiner eigenen Person machte. Er war immer zur Stelle, wenn man ihn rief und wenn es galt, den Ideen seiner Partei zu dienen. Seine Pflichten gegenüber diesem Hause, dem er viele Jahre angehörte, hat Walter Peters bis kurz vor seinem Tode wahrgenommen. Noch Mitte März ergriff er im Plenum während der Agrardebatte das Wort.
Walter Peters war Träger des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Ich spreche der Familie des Verstorbenen sowie der Fraktion der FDP meine aufrichtige und herzliche Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Walter Peters ein dankbares und ehrendes Andenken bewahren. - Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nachträglich darf ich dem Abgeordneten Dr. Kiesinger herzlich gratulieren, der am 6. April 1979 seinen 75. Geburtstag gefeiert hat.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen - Drucksache 8/2764 -. - Kein Widerspruch.
Außerdem soll Punkt 7 der Tagesordnung - zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes - abgesetzt werden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden.
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie that mit Schreiben vom 20. April 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Zimmermann, Dr. Probst, Röhner, Dr. Althammer, Dr. Jobst, Engelsberger, Lintner, Regenspurger, Voigt ({2}), Lenzer, Gerlach ({3}), Höffkes, Hartmann, Glos, Gerstein, Dr. Bötsch, Kraus, Klein ({4}), Dr. Voss, Dr. Riesenhuber, Benz, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Beratungswesen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie insbesondere am Beispiel des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens" - Drucksache 8/2725 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2765 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 20. April 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller ({5}), Löher, Dr. Blüm, Katzer, Vogt ({6}), Prangenberg, Schetter, Dr. Reimers, Conrad ({7}), Breidbach, Bühler ({8}), Schmidt ({9}), Geisenhofer, Ziegler, Link, Wawrzik, Burger, Volmer, Krampe, Stutzer, Baron von Wrangel, Müller ({10}), Rawe, Frau Karwatzki, Schwarz, Russe, Pfeffermann, Reichold betr. Sozialversicherungsrechtliche und finanzielle Probleme durch Streik und Aussperrung - Drucksache 8/2736 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2768 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. April 1979 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Spilker, Dr. Warnke, Röhner, Dr. Unland, Niegel, Dr. Waigel, Kiechle, Dr. Kunz ({11}), Dr. Rose, Schedl und der Fraktion der CDU/CSU betr. EWG/EFTA-Ursprungsregelung - Drucksache 8/2732 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2771 verteilt.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Braun, Burger, Geisenhofer, Franke, Müller ({12}), Dr. Möller, Zink, Frau Geier, Frau Verhülsdonk, Hasinger, Kroll-Schlüter, Frau Hürland, Dr. Hoffacker, Dr. Hüsch, Dr. Hammans, Köster, Höpfinger, Frau Karwatzki, Bühler ({13}), Dr. George, Rühe und der Fraktion der CDU/CSU
Lebenssituation älterer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 8/2031, 8/2303 Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem sich der Deutsche Bundestag in den letzten Jahren verschiedentlich mit den' Rentenproblemen, also mit der materiellen Sicherung der älteren Menschen befassen mußte, soll die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion Gelegenheit geben, darauf aufmerksam zu machen, daß es neben der Sicherung der materiellen Existenz andere, aber sicher gleichgewichtige Probleme für die ältere Generation in der Bundesrepublik Deutschland gibt, wobei man auch heute nicht davon ausgehen darf, daß die materielle Sicherheit in jeder Weise für alle gewährleistet und geregelt sei.
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Die von der Bundesregierung im Juli 1977 eingesetzte Transfer-Enquete-Kommission mußte in ihrem Zwischenbericht feststellen: Lücken im System der sozialen Sicherung zeigen sich insbesondere bei den Einkommensverhältnissen alleinstehender Frauen. Zwei Drittel aller Rentnerinnen und Pensionärinnen leben allein. Ihr Nettoeinkommen erreichte 1977 nicht einmal die Hälfte des Nettoeinkommens aller privaten Haushalte.
Aber, meine Damen und Herren, heute geht es hier in erster Linie um gesellschaftspolitische, soziologische und - wenn Sie so wollen - auch psychologische Probleme. Es geht schlicht und einfach darum, daß mit dem Eintritt ins Renten- und Pensionsalter nicht der Austritt aus der Gesellschaft erfolgen darf.
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Mit den Problemen des Alterns hat man sich zu allen Zeiten befaßt. Wenn sich aber im letzten Jahrzehnt die Öffentlichkeit und auch die Forschung immer stärker mit den Fragen, die das Alterwerden mit sich bringt, befaßt haben, dann sicherlich nicht zuletzt wegen der veränderten und sich noch ständig verändernden Altersstruktur in der Bundesrepublik. Es ist davon gesprochen worden, daß das 20. Jahrhundert als Jahrhundert des Kindes begann und als Jahrhundert des älteren Menschen ausklingen wird. Das Verhältnis der unter 15jährigen zu den über 65jährigen hat im Laufe dieses Jahrhunderts schon erhebliche Verschiebungen erfahren. Lautete es 1890 noch 7 : 1, so erwartet man für 1980 ein Verhältnis von 1 : 1. Die Lebenserwartung der Menschen ist in den letzten Jahrzehnten laufend gestiegen und wird sicherlich noch weiter steigen. Rund 20 °/o der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sind älter als 60 Jahre.
Dieser veränderten Situation haben wir auch im politischen Bereich mit veränderten Maßnahmen zu begegnen. Es gilt, die Voraussetzungen zu schaffen, daß die dritte Lebensphase nicht das ist, was wir auch heute noch mit dem sicherlich ungeschickten Wort „Ruhestand" beschreiben, sondern eine erstrebenswerte und erfüllte Lebensphase.
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Die Wohnsituation ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, wobei zu berücksichtigen ist, daß der ältere Mensch, so lange, wie es eben möglich ist, selbständig sein möchte und auch in seiner gewohnten Umgebung, in seinem gewohnten Milieu, bleiben sollte. Um das zu erreichen, werden von den Betroffenen oft Unannehmlichkeiten im wohnlichen Bereich, wie das Fehlen von sanitären Einrichtungen, Zentralheizungen usw., in Kauf genommen. Hier hat die Wohnungspolitik die Aufgabe, die finanziellen Möglichkeiten zu schaffen, daß Altbauten modernisiert und Altenwohnungen gebaut werden können.
Wir müssen aber auch sehen, daß zunehmend ältere Menschen, insbesondere alleinstehende oder die, die ihren Partner verloren haben, eine kleinere, modernere, zweckmäßigere Wohnung anstreben. Aus diesem Grunde haben die Altenwohnheime in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Diese Einrichtungen, die nicht zu groß sein dürfen, um nicht zu einer Ghetto-Bildung zu führen, die möglichst am bisherigen Wohnort sein sollten, müssen weiter und verstärkt gefördert werden. Der Bedarf ist vorhanden.
Insbesondere ist es zu begrüßen, daß auch Altenwohnheime zunehmend Pflegeeinrichtungen schaffen, damit im Falle einer Pflegebedürftigkeit kein Wechsel aus der gewohnten Umgebung notwendig ist. Ungeklärt ist aber nach wie vor, wer diese notwendige Pflege bezahlt. Wir hoffen, daß es der Bund-Länder-Arbeitsgruppe bald gelingt, auch die Finanzierung der Pflege im Alter zu klären.
Meine Damen und Herren, Teilnahme am Leben der Gemeinschaft bedeutet aber auch, die technischen Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Schon anläßlich der Behindertendebatte habe ich darauf hingewiesen, daß sogenannte architektonische Barrieren nicht nur für Rollstuhlfahrer bestehen, sondern ebenfalls für ältere Menschen. Die Omnibusse der Verkehrsbetriebe sollten in dieser Beziehung laufend verbessert werden, wie auch die Bundesbahn ihren Wagenpark und ihre Bahnsteige und Bahnhöfe den Bedürfnissen eines großen Bevölkerungsteils - eben der älteren Generation - anpassen muß, einer Personengruppe, die fast ausschließlich auf diese öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist.
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Bei aller Technisierung und Modernisierung, die notwendig ist, dürfen aber die menschlichen Aspekte nicht außer acht gelassen werden.
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In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß im Jahre 1977 in der Bundesrepublik Deutschland 14 978 Personen bei Straßenverkehrsunfällen getötet wurden; 3 244 - das sind 21,7 0/o - waren 65 Jahre und älter. Wir können daher nicht genug tun, um auf die Bedeutung des Themas „Verkehrssicherheit" hinzuweisen. Ein Dank gebührt bei dieser Gelegenheit der Polizei, die immer wieder in Gesprächen in Altenwohnheimen, Altenklubs, Altentagesstätten usw. informiert und aufklärend tätig ist.
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Meine Damen und Herren, von besonderer Bedeutung ist die Vorbereitung auf die dritte Lebensphase. Allein in der Bundesrepublik Deutschland scheiden monatlich zirka 33 000 Männer und Frauen aus dem aktiven Berufsleben aus; ein Vorgang, der nicht nur den unmittelbar Betroffenen berührt, sondern irgendwie auch den Partner, die Kinder, vielleicht auch Freunde und Bekannte mitberührt. Für viele wird dieser Übergang in den neuen Lebensabschnitt als Krise wahrgenommen und empfunden. Wir wissen wahrscheinlich auch heute noch zu wenig von dieser nachberuflichen Lebensphase; denn zu oft und auf Grund dieses Nichtwissens werden falsche Konsequenzen im städteplanerischen und sozialpolitischen Bereich gezogen; z. B. das „Altenheim im Grünen", wobei wir heute wissen, daß gerade der Altenheimbewohner inmitten der Stadt, inmitten der Gemeinschaft bleiben möchte; oder das Fehlen des Geschäfts im Neubauviertel, wobei wir daran denken müssen, daß der Supermarkt draußen nur für die Motorisierten erreichbar ist,
({6}) nicht für die alten Menschen und die Behinderten.
Die Vorbereitung auf das Älterwerden kann nicht beginnen, wenn die Situation eingetreten ist, sondern, wie in der Antwort der Bundesregierung meines Erachtens richtig dargestellt wurde, bei den 50- bis 55jährigen. Hier liegt die große Aufgabe für die Kirchen, die Gewerkschaften, Verbände, Gruppen, aber auch für die großen Firmen. Angebote für Gesprächskreise und Kurse müssen unterbreitet werden. In diesem Zusammenhang muß auch die Weiterbildung älterer Menschen gesehen werden. Ein Zwischenbericht des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin zeigt, daß hier Neuland betreten wurde und daß es weiteren Einsatzes aber, meine Damen und Herren, auch gewisser Phantasie bedarf, um an diejenigen, die es angeht, überhaupt heranzukommen. Wir bedürfen der Hilfe der Medien, um schon den 50- bis 55jährigen klarzumachen, daß die dritte Lebensphase nicht mit dem Abschalten beginnt, sondern mit dem Einschalten eines anderen, eines neuen Programms, auf das wir uns aber vorbereitet haben müssen.
Wichtig ist bei allem, zu bedenken, daß es d e n alten Menschen nicht gibt
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und daß es folglich d i e Altenpolitik ebenfalls
nicht geben kann. Wir können und sollten nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wir sollten aber alle Förderungsmöglichkeiten, auch in steuerlicher Hinsicht, deutlich machen und laufend verbessern.
Meine Damen und Herren, wir können heute im Deutschen Bundestag nichts beschließen. Wir haben aber einen Entschließungsantrag vorgelegt, den ich beantrage zur weiteren Beratung federführend an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen; mitberatend sollte der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sein. Wir werden in den Ausschüssen Gelegenheit haben, die heutige Diskussion mit dem Ziel fortzusetzen, zu konkreten Ergebnissen zu kommen.
Wir wollen und sollten in dieser Aussprache deutlich machen, daß sich die vom Volk gewählten Vertreter der Verantwortung bewußt sind, die sie für eine Generation tragen, die zwei Weltkriege erlitten hat, die zwei Inflationen erdulden mußte, die nach 1945 mit ihrer Hände Arbeit die Grundlagen für unseren heutigen Wohlstand geschaffen hat und die im politischen Bereich auch in diesem Hohen Hause die Basis für Frieden und Freiheit schuf.
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Das Wort hat Frau Bundesminister Huber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jedes Volk fühlt sich seinen Alten als denjenigen verpflichtet, die in ihrer aktiven Zeit ihre Jugend erzogen, ihre Alten ernährt, für soziale Fortschritte gekämpft, Erfolge erlebt, aber auch Enttäuschungen und Leid ertragen und mit den Lasten - oft unter Zurückstellung eigener Interessen - auch die Verantwortung für die Zukunft getragen haben. Wir haben zu solcher Dankbarkeit ganz besonderen Grund, hat doch die Generation der jetzt Alten die Wunden des Krieges verschmerzen, ein zerstörtes Land wiederaufbauen, ein neues Staatssystem einführen, Frieden und Demokratie stabilisieren, Wohlstand und soziale Sicherheit hart erarbeiten müssen.
Die Sorge für ein menschenwürdiges Alter ist also für die gegenwärtige Politik eine selbstverständliche Dankesschuld. Sie entspricht darüber hinaus aber auch unser aller persönlichem Interesse, weil jeder einzelne von uns sich doch einen gesicherten, lebenswerten Feierabend seines Lebens wünscht.
Die große Anfrage gibt mir heute willkommene Gelegenheit, darüber zu berichten, was die Bundesregierung für unsere älteren Mitbürger bisher getan hat und wo die offenen Fragen sind. Zunächst aber einige Angaben zur Situation.
Wissenschaftliche Fortschritte und zivilisatorische Errungenschaften haben eine gewaltige Umschich11794
tung in der Altersstruktur vor allem der Industrieländer gebracht. 1871 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen nur 35 Jahre, 1953 waren es bereits 68 Jahre. Heute sind es weit über 70 Jahre, wobei wir Frauen eine längere Lebenserwartung haben als die Männer. Ich merke das hier an.
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- Im Schnitt eine längere. Das bedeutet, daß das sogenannte zarte Geschlecht im großen ganzen doch wohl widerstandsfähiger ist.
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Im Gegensatz zu der Zeit vor hundert Jahren haben wir heute eine ganz andere Bevölkerungsdichte und Zusammensetzung der einzelnen Altersgruppen. Der Anteil der Menschen über 65 Jahre an der Gesamtbevölkerung betrug im Jahre 1880 nur 4,8 °/o, heute sind es rund 15 °/o. In absoluten Zahlen ausgedrückt, bedeutet dies, daß heute in der Bundesrepublik Deutschland 9,4 Millionen Menschen über 65 Jahre leben. Davon leben 36,5 °/o allein, 60,8 °/o in Familien und 2,7 °/o in Einrichtungen.
Diese Entwicklung hat Konsequenzen für den einzelnen und für die Politik. Es ist nämlich nicht damit getan, die allgemein längere Lebenserwartung zu feiern, wenn es uns nicht gelingt, das längere Leben auch sinnvoll auszufüllen. Das ist eine Frage der Lebensqualität unserer gesamten Gesellschaft. Für sie ergibt sich hier eine doppelte Aufgabe und eine doppelte Verantwortung: Sie muß die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für eine befriedigende individuelle Bewältigung des Älterwerdens schaffen, und das heißt auch, daß sie dafür sorgen muß, daß der älter werdende Mensch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben voll in unsere Gesellschaft integriert bleibt.
Schopenhauer hat einmal gesagt: „Gemeinschaft ist nicht alles, aber ohne Gemeinschaft ist alles nichts." Dies trifft in ganz besonderem Maße auf den älteren Menschen zu. Altwerden ruft bei den meisten Menschen Ängste und Sorgen hervor. Für viele bringt der Übergang aus der Arbeit und beruflichen Aktivität Anpassungsprobleme mit sich. Man spricht vom sogenannten Pensionierungsschock. Er tritt um so eher ein, je mehr Berufsarbeit ausschließlich oder überwiegend das Leben erfüllt haben. Erzwungene Untätigkeit, plötzliches Abgeschnittensein von den gewohnten Lebenszusammenhängen kann unheilvolle Auswirkungen haben.
Die vorindustrielle Gesellschaft kannte solche Probleme kaum, weil die Großfamilie mit all ihren Nach-, aber auch Vorteilen den älteren Menschen umfing. Das Rad dieser Entwicklung können wir nicht zurückdrehen. Aus zahlreichen Umfragen wissen wir, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung, Junge wie Alte, selbständig wohnen will. Die Zahl der Haushalte, in denen mehrere Generationen leben, nimmt ab. Aber die alten Menschen möchten meist in der Nähe ihrer Kinder wohnen. Sie wollen mit Kindern und Enkeln in Kontakt bleiben, aber mit einer gewissen Distanz, dieinnere Nähe nicht ausschließt.
Worauf kommt es den fast 10 Millionen älteren Mitbürgern nun vor allem an? Sie wollen ein ausreichendes Einkommen, eine vernünftige Wohnung, gute Gesundheitsversorgung, um möglichst lange fit zu bleiben, gesellige Kontakte und die Sicherheit, daß sie für den Fall der Pflegebedürftigkeit keine Angst zu haben brauchen.
Noch bis vor einem Jahr galt die Hauptsorge eindeutig der materiellen Sicherung. Das ist heute nicht mehr so. Die Alterseinkommen sind ganz überwiegend gut. Allein von 1969 bis 1978 sind die Renten um 124 °/o und damit stärker gestiegen als die Nettolöhne und -gehälter der Erwerbstätigen, die sich um 98 °/o verbessert haben. 1978 betrug die Rente eines Rentners mit 45 Versicherungsjahren 73,6 °/o des Nettoarbeitsverdienstes eines vergleichbaren Arbeitnehmers. Diese Entwicklung ist nicht von allein gekommen, sondern Zeichen jahrzehntelanger und oft auch gemeinsamer Bemühungen. Die Bundesregierung hat außerdem die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für alle Bürger durchgesetzt und damit auch den Hausfrauen die Möglichkeit gegeben, der Rentenversicherung beizutreten. Wir haben auch die Rente nach Mindesteinkommen eingeführt.
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- Ich bestreite nicht, daß wir gemeinsam vieles in diesem Hause beschlossen haben. Ich war 1972 selbst dabei. Wenn Sie nachlesen, was ich gerade im drittletzten Satz gesagt habe, werden Siedies wiederfinden.
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Ich finde es nicht schlecht, wenn der Bundestag einmal gemeinsam etwas für die Alten beschließt.
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Aber es sind in den letzten Jahren auch viele Dinge
geschehen, an denen Sie weniger beteiligt waren.
Jetzt soll bis 1984 die Hinterbliebenensicherung neu geordnet werden mit dem Ziel, besonders für Frauen endlich genügend eigene Sicherungsansprüche für Alter und Invalidität zu schaffen. Und wenn Sie hier auf Urheberschaft solchen Wert legen, so meine ich: Ein bißchen mehr hätten wir 1972 schon tun können. Damals wurde das Babyjahr gestrichen, das aber war nicht unser Wunsch.
Ein ausreichendes Einkommen ist, wie gesagt, die Grundlage für eine zufriedenstellende selbständige Lebensführung im Alter. Heute ist jedoch die hauptsächliche Sorge der älteren Menschen die Erhaltung der Gesundheit als Voraussetzung dafür, so lange wie möglich im eigenen häuslichen Bereich in der angestammten Nachbarschaft zu leben. Grundsätzlich ist die ambulante und stationäre Versorgung der alten Menschen in der Bundesrepublik gesichert. Gerontologie und Geriatrie bescheren uns jedoch neue Möglichkeiten und damit die Frage, ob wir uns mit den früher hingenommenen sogenannten Altersleiden abfinden müssen oder
aus neuen Erkenntnissen nicht auch zu tatsächlichen Verbesserungen finden können, die das Altern leichter und das Alter glücklicher machen.
Gesundheitliche Fortschritte sind ohne den Einsatz einer multidisziplinären wissenschaftlichen Forschung nicht denkbar. Deshalb hat die Bundesregierung in der Vergangenheit hierfür erhebliche Mittel aufgewandt. Das 1974 eingerichtete Deutsche Zentrum für Altersfragen in Berlin arbeitet zur Zeit an einer neuen Dokumentation „Gerontologie". Die Erkenntnisse aus solchen Forschungsvorhaben können Konsequenzen für die Praxis auch dort haben, wo Menschen wegen Gebrechlichkeit schon in Heimen sind. Bei Besuchen in Altenpflegeheimen habe ich festgestellt, daß wir erst anfangen, hierüber nachzudenken. Die Rückkehr ins selbständige Leben ist bisher kaum erwogen worden; man sah es lediglich als Aufgabe an, Menschen das Leben in Heimen so angenehm wie möglich zu machen. Erst jetzt werden die Möglichkeiten einer aktivierenden Pflege bekannt, die das Ziel haben, den Menschen zu befähigen, möglichst wieder für sich selbst zu sorgen.
Wir haben Modelle gefördert, die deutlich machen sollen, daß Pflegeheime nicht Einbahnstraßen sein müssen, sondern auch Zwischenstationen sein können, weil auch das beste Pflegeheim die häusliche Selbständigkeit und die Altenkontakte nicht ersetzen kann.
Diese Erkenntnis ist auch die Grundlage der Arbeit in einer Bund-Länder-Kommission unter meinem Vorsitz, die sich um ein neues Konzept für eine längere Selbständigkeit mit mehr ambulanter Hilfe bemüht. Die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen.
Ambulante Versorgung, wie sie heute schon in vielen Bundesländern u. a. bei den sogenannten Sozia lstationen und Altendienstleistungszentren - bei oft noch mangelnder Kooperation der Träger - angeboten wird, bezweckt, daß die alten Menschen so lange wie möglich in der ihnen vertrauten Umgebung bleiben können und ein Heimaufenthalt hinausgezögert oder vermieden wird.
Die Bundesregierung hat 18 Modelle über integrierte soziale Dienste gefördert, die inzwischen ausgewertet worden sind. Die Auswertung hat uns bestätigt, daß das Konzept richtig ist. Es setzt allerdings voraus, daß es genügend Wohnungen gibt, die den Bedürfnissen der älteren Menschen entsprechen. Aus vielen Zuschriften, die mich täglich erreichen, weiß ich, daß die Nachfrage nach altersgerechten Wohnungen nach wie vor sehr groß ist. Hier ist viel, aber noch nicht genug getan worden.
Der Bund hat den Bundesländern hierfür in den vergangenen Jahren erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und wird dies auch weiter tun. Die Mietkosten solcher Wohnungen übersteigen zwar häufig die Leistungsfähigkeit der älteren Menschen, jedoch bieten die Möglichkeiten des Wohngeldgesetzes hier Ausgleich. Die Älteren sind die größte Gruppe der Wohngeldempfänger.
Viele ältere Menschen, die in einer Mietwohnung leben, haben früher jahrelang Angst davor gehabt, daß der Vermieter von heute auf morgen die Miete erhöhen oder ihnen kündigen könnte. Das ist vorbei. Mit dem Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetz haben wir ein soziales Mietrecht als Dauerrecht in unserer Rechtsordnung verankert. Es schützt besonders auch die alten Menschen vor ungerechtfertigter Kündigung oder Mieterhöhung.. Leider aber kennen viele der Betroffenen noch immer nicht ihre Rechte. Nicht immer erreichen die Informationen die Betroffenen, und das macht es allzuoft unmöglich, den Zugang zu vorhandenen Diensten und Hilfen zu finden und die Möglichkeiten der Selbsthilfe zu erkennen und auch zu nutzen.
Bei allen Bemühungen um ambulante Hilfen kann auf Heime natürlich nicht verzichtet werden. Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß es mehr gut ausgestattete Heime, vor allem Pflegeheime, gibt. Die Qualität vieler Heime reicht noch nicht aus. Vor allem fehlen Möglichkeiten zur Rehabilitation. Das ist aber nicht unbedingt den Heimträgern anzulasten. Häufig können neue Maßnahmen aus finanziellen Gründen nicht durchgeführt werden. Die Pflegekosten sind bekanntlich sehr hoch, so hoch, daß die meisten alten Menschen sie aus eigenen Mitteln nicht tragen können und Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen.
Es gibt aber Anforderungen, die unerläßlich sind. Hierzu gehört eine ausreichende personelle Ausstattung der Pflegeheime, die eine gute Pflege gewährleistet. Deshalb spreche ich mich hier noch einmal dafür aus, daß es als unterste Grenze gelten muß, im Pflegebereich einen Personalschlüssel von 1 : 4 zugrunde zu legen,
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d. h. eine Pflegeperson auf vier Pflegebedürftige, wie es übrigens auch vom Deutschen Städtetag, von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und vom Kuratorium Deutsche Altershilfe gefordert wird. Noch gibt es unterschiedliche Auffassungen in den einzelnen Ländern, aber ich hoffe, daß die noch bestehenden Bedenken bald überwunden werden können. Diese Frage ist für immerhin 110 000 alte Menschen von Bedeutung, deren ganze Welt das Pflegeheim ist.
Im Grunde wissen wir noch wenig über die Heimsituation. Wir haben daher eine Untersuchung veranlaßt. Eine Pflegeheimkonzeption soll erarbeitet werden, in der von den Bedürfnissen der Bewohner und den Erfordernissen des Betriebes alternative organisatorische und bauliche Eigenschaften abgeleitet werden. Dazu gehört auch die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und der Modernisierung alter Einrichtungen. Es wurde festgestellt, daß sich die Personalkosten in einigen Einrichtungen durch die bessere Zuordnung von Pflegearbeitsräumen senken ließen. Wir fördern einige Modelle, durch die ältere Einrichtungen so modernisiert werden, daß sie den heutigen Ansprüchen gerecht werden.
In der Bundesrepublik leben aber über 400 000 alte Menschen in anderen Alterseinrichtungen, Altenheimen und Altenwohnungen. Ihre Interessen zu wahren, ist ebenfalls eine wichtige sozialpolitische Aufgabe. Der Bund hat zwischen 1973 und 1977 824 Millionen DM beigesteuert, um fast 47 000 Al11796
tenwohnungen und rund 45 000 Wohnplätze in Heimen schaffen zu helfen.
Durch das Heimgesetz von 1975 und die dazu bereits erlassenen Rechtsverordnungen ist dem Anliegen nachhaltig Rechnung getragen worden, den Alten nicht nur Plätze zu schaffen, sondern sie auch zu schützen, wenn sie in Heimen sind. Das Heimgesetz hat eine Entwicklung eingeleitet, die uns künftig, so hoffe ich, vor skandalösen Ereignissen bewahren wird, wie sie sich in den Jahren vor 1975 ereignet haben. Mitwirkungsrechte für Heimbewohner, Mindestanforderungen, Sicherung geleisteter Einlagen sind wichtige soziale Absicherungen für die Alten.
Ein anderes wichtiges Thema ist die Öffnung der Heime, d. h. die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten für Heimbewohner mit Gleichaltrigen aus der Umgebung und mit Familienangehörigen. Die ersten Modelle zeigen, daß hier noch viel getan werden muß. Es gibt aber schon neue Heimformen. Einem Teil der älteren Menschen, die nur tagsüber einer Betreuung bedürfen und abends in ihrer eigenen Wohnung, ihrer Familie bleiben können, wird durch Tagespflegeheime geholfen. Es gibt auch Nachtpflegeheime. Hier liegt ein Schwerpunkt unserer Modellförderung. An verschiedenen Orten gibt es schon solche Einrichtungen. Ich verweise z. B. auf Bad Dürkheim, wo die alten Angehörigen von Weinbauern tagsüber außerhalb ihrer Familie versorgt werden müssen. Das dortige Modell übernimmt diese Funktion.
Einkommen, Gesundheit, wenn nötig einen Heimplatz, so lange wie möglich Kontakte zur Familie, zu Nachbarn und Freunden, sinnvolles Tun - das wünschen wir uns alle für unser Alter. Es wächst aber immer mehr die Erkenntnis, daß man sich auf das Alter vorbereiten muß. Ich freue mich über den positiven Trend, den wir in der letzten Zeit beobachtet haben, nämlich über die Bereitschaft, sich in vielfältiger Weise auf das Alter vorzubereiten und sich auch im höheren Erwachsenenalter noch weiterzubilden.
In der Gerontologie standen erziehungswissenschaftliche Fragen noch bis vor wenigen Jahren im Hintergrund. Auf vielen Kongressen, die in den zurückliegenden Jahren auf internationaler Ebene durchgeführt wurden, spielte die Thematik der Pensionierung zwar eine wichtige Rolle, jedoch wurde bis vor etwa fünf Jahren kaum erwähnt, daß der ältere Mensch auch nach der Pensionierung noch Bildungsprozesse mitmachen kann, geschweige denn, daß ihm Bildungschancen angeboten werden sollten oder könnten. Der Rentner und Pensionär noch einmal aktiv, sozusagen auf der Schulbank - das war eine Vorstellung, die dem Altersstereotyp des körperlichen und geisten Abbaus, des Verfalls und der zunehmenden Passivität widersprach. Diese Vorstellung lebte selbst noch zu einer Zeit fort, als dieses Bild wissenschaftlich längst widerlegt war.
Bildung im höheren Erwachsenenalter soll nun nicht primär Vermittlung von Wissen, Kultur und Bildungsgütern sein, sondern überwiegend ein Angebot an praktischer Lebenshilfe, also Erkennen der
eigenen altersspezifischen Situation, Auffinden von Möglichkeiten, eigene Schwierigkeiten zu meistern, das bewußte Annehmen der Altersphasen. Bei den Alten gibt es inzwischen aber auch schon Interesse am allgemeinen Studienangebot. Das sollte manchem von uns Anlaß sein, Vorurteile abzubauen. Es ist, denke ich, auch für die politische Jugendbildung interessant, die sich ja schon länger mit dem Generationenproblem befaßt.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit fördert im Rahmen der gesellschaftspolitischen Maßnahmen für die ältere Generation seit 1972 eine Vielzahl von Projekten in diesem Bereich: in Seniorenzentren, Altenbegegnungsstätten, Häusern der offenen Tür, Volkshochschulen und Altenklubs.
Die Ziele der Vorbereitung auf das Alter sind nun bekannt. Wege und Inhalte müssen allerdings vielfach noch gesucht werden. Beispiele wie die Berliner Seniorenbriefe, Aktionen „Betagte helfen Mitmenschen", Begegnungen von Alten und Jungen verdienen Nachahmung. Etliches erhoffen wir uns von den Ergebnissen mehrerer gerade laufender Forschungsprojekte. Die Bundesregierung versucht zur Zeit auch, in mehrjährigen Projekten für die Weiterbildung im höheren Erwachsenenalter Angebote besonders für diejenigen zu entwickeln, die bisher im Rahmen der Erwachsenenbildung nur wenig erreicht wurden, nämlich ungelernte Arbeiter, Arbeiter, Hausfrauen.
Es ist gut, daß alle diese Aufgaben nicht nur auf die Bundesrepublik beschränkt sind, sondern zunehmend auch im europäischen und internationalen Bereich an Bedeutung gewinnen. So können wir voneinander lernen. Der Bericht zur sozialen Lage, der innerhalb der Europäischen Gemeinschaften alljährlich erstellt wird, umfaßt regelmäßig auch die Problematik der älteren Menschen. Der Europarat befaßt sich mit spezifischen Fragen der älteren Generation. Hierzu gehören sowohl die Fragen der Vorbereitung auf den Ruhestand als auch die Probleme der Rehabilitation älterer Menschen und sozialmedizinische Fragen. Diese Initiativen setzen sich im Bereich der Vereinten Nationen fort.
So kann das Alter zu einer Chance für viele werden, aber nur, wenn wir, die Jüngeren, die Alten nicht allein lassen, nicht mit ihren materiellen, nicht mit ihren menschlichen Sorgen. Bei uns, mitten unter uns, bedürfen sie unserer Hilfe in erster Linie als Hilfe zur Selbsthilfe. Aus ihrem reichen Erfahrungsschatz können sie uns in Familie und Gesellschaft Wissen und Wärme schenken, wenn wir sie nicht zum alten Eisen tun. Für die Bundesregierung ist Altenpolitik daher eine ganz wichtige Aufgabe der Humanisierung unseres Lebens.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit ihrer Großen Anfrage auf
die Lebenssituation der älteren Mitbürger aufmerksam machen. Kennen wir eigentlich die Probleme des Alters und des Alterns? Ist unser Staat und ist unsere Gesellschaft bereit und in der Lage, die Aufgaben befriedigend zu lösen, die sich aus der zukünftigen Altersstruktur ergeben?
Fast unbemerkt - es ist von den Vorrednern darauf hingewiesen worden - vollzog sich in unserem Land ein Wandel. Die durchschnittliche Lebensdauer hat sich in den letzten 100 Jahren um nahezu 30 Jahre verlängert. Heute ist jeder Vierte über 60 Jahre alt, und älter als 70 Jahre werden im statistischen Schnitt alle Bewohner der Bundesrepublik Deutschland.
Der Gesundheitsbericht der Bundesregierung rechnet für die Jahrhundertwende mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung, die bei 85 Jahren liegt. Diese positive Entwicklung zwingt vor allem die politisch Verantwortlichen, den Blick auf die vielfältigen Daseinsprobleme alter Menschen zu lenken. Unsere älteren Mitbürger demonstrieren nicht, sie melden keine Forderungen an; aber es gibt Probleme, ja, es gibt vernachlässigte Probleme.
Leistungsorientierte Gesellschaften lassen die Älteren leicht ins Abseits geraten. Die Alten sind aus der Produktivität entlassen. Sie haben den Beruf oder ihre Tätigkeit aufgegeben. Andere Formen der Produktivität aber werden kaum akzeptiert, denn Leistung ist das zentrale Medium der heutigen Gesellschaft.
Aus diesem Wertsystem jedoch fallen die Älteren gleichsam heraus. Was die älteren Menschen geleistet haben, wird schnell vergessen. Fortwährend neues Wissen gilt mehr als Lebenserfahrung. Unsere Gesellschaft beruht auf der Konkurrenzbasis. Die Positionen sind knapp. Der Schnellere ist im Vorteil; dies ist im Zweifel der Junge. Daß der Ältere durch Erfahrung langsamer wird, wird kaum gewürdigt. Immer noch beherrschen überholte, überwiegend negative Klischees das Bild vom Altern und den Älteren. Diese pressen eine ganze Generation in ein liebloses Korsett eines Defizitmodells. Das Wort „alt" wertet ab, bedeutet nach landläufiger Meinung „Abbau" und „Lebensminderung".
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich viele Menschen vor dem Altern fürchten. Denn falsche Altersbilder beeinflussen nachweisbar das Selbstwertgefühl der älteren Mitbürger. Dieses von der Wissenschaft als Defizitmodell bezeichnete falsche Altersbild ist jedoch längst revidiert. Die zählebigen Auffassungen sind falsch. Ganz klar und eindeutig sagen uns die kompetenten Wissenschaftler, daß Alter und Abbau nicht gleichzusetzen sind. Alter ist nicht einfach Verminderung von Fähigkeiten, ist nicht einfach Rückentwicklung.
Es gibt heute ein breites fundiertes Wissen über ein positives Altenbild. Es hat sich viel getan in dem Bemühen, älteren Menschen zu helfen, und es gibt viel, was uns die Wissenschaft vermitteln könnte. Dieses Wissen ist weithin unbekannt. In uns allen ist immer noch das Bewußtsein von überholten Vorstellungen vom Alter belastet.
Das Problem liegt darin, wie und wo und durch wen das positive Wissen vermittelt werden soll. Wir müssen dafür sorgen, daß dieses Akademikerwissen an den Praktiker weitergegeben wird. Es müssen Möglichkeiten in den verschiedensten Formen angeboten werden, für Hochschullehrer, für Sozialarbeiter, für Ärzte, Schwestern und Pflegeberufe. Die wichtigste Förderung heißt deshalb dafür zu sorgen, daß dieses inhumane unrichtige Altersbild abgebaut wird. Ich verweise auf unseren Entschließungsantrag, in den wir diese Forderung eingebaut haben.
Der Bund sollte unserer Auffassung nach mit Modellversuchen vorangehen. In Amerika hat man dies getan und damit gute Erfahrungen gemacht.
Meine Damen und Herren! Die Älteren sind keine geschlossene Gruppe, ihre Probleme sind vielschichtig, so vielschichtig wie die Gesellschaft. Es gibt Trendberechnungen, die den Politikern zu denken geben sollten; zum Beispiel das zahlenmäßige Verhältnis von Männern zu Frauen. Auch Sie Frau Minister, haben auf die Lage der Frauen hingewiesen. Ich darf das noch einmal etwas unterstreichen. Es gibt nach der Statistik 4,5 Millionen Witwen und 773 000 Witwer. Bei der älteren Generation kommen auf 100 Männer 160 Frauen. Wenn dieses Verhältnis im Jahre 1980 auf 100 zu 180 und im Jahre 1990 auf 100 zu 206 angewachsen sein wird, und wenn man bedenkt, daß gerade die älteren Frauen die Hauptproblemgruppe unter den älteren Mitbürgern ausmacht, dann muß man daraus frühzeitig Konsequenzen ziehen.
Die Transferkommission hat einen Zwischenbericht vorgelegt, der sich in erster Linie mit der finanziellen Situation von Rentnerhaushalten befaßt. Danach beziehen vor allem alleinstehende Frauen ein deutlich unterdurchschnittliches Einkommen. Zwei Drittel aller Rentnerinnen oder Pensionärinnen leben allein. Ihr Nettoeinkommen erreichte 1977 nicht einmal die Hälfte der Nettoeinkommen aller privaten Haushalte.
Frau Minister, der Bericht macht deutlich, daß die Lage der älteren alleinstehenden Frauen einer besonderen Beachtung bedarf. Ich glaube, es genügt nicht, wenn wir nur mit den Prozentzahlen der Rentenerhöhungen der letzten Jahre operieren.
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Es liegt mir eine Statistik vor. Im Jahre 1977 haben 3,5 Millionen Frauen eine Rente unter 800 DM bezogen, und es haben 1,2 Millionen Männer eine Rente unter 800 DM bezogen.
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Die Durchschnittsrente der alleinstehenden Frauen beträgt 583 DM. Meine Damen und Herren, mit statistischen Rentenerhöhungszahlen kann man diese Probleme nicht lösen.
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Wir müssen diese Probleme konkret angehen.
Frau Professor Ursula Lehr, sachkundige Expertin aus Bonn, erklärte unlängst:
Wohlbefinden im Alter setzt für den einzelnen auch ausreichende finanzielle Möglichkeiten voraus, die in einem gewissen Rahmen auch eine Selbstbestimmung erlauben.
Das Einkommen ist eben ausschlaggebend für Vieles, für das Wohnen, die Ernährung, die Freizeitgestaltung, die Kontaktmöglichkeiten und auch für die ärztliche Versorgung und die gesundheitliche Betreuung. Leider treffen die vielfältigen Auswirkungen der Kostendämpfungsgesetze gerade die älteren Mitbürger. Viele Medikamente werden von den Krankenkassen nicht mehr bezahlt, und das sind gerade die, die die älteren Mitbürger brauchen.
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Auch die Rehabilitation vergißt die Rentner und Pensionäre. Sie ist einseitig auf das Ziel Eingliederung in Beruf und Arbeit ausgerichtet. Bei bereits aus dem Berufsleben ausgeschiedenen Personen findet Rehabilitation kaum mehr statt.
Warum ist das so? Ist der ältere Mensch nicht mehr so viel wert, weil er nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis steht? Auch hier warnt Frau Professor Lehr, wenn sie erklärt:
Wenn nichts mehr in Richtung Rehabilitation älterer Menschen getan wird, dann kommen die Kosten von anderer Seite auf uns zu.
Eine wichtige Frage ist auch die Regelung für eine sinnvolle Altersgrenze. Der Bundestag hat sich mit der Einführung der flexiblen Altersgrenze und Sonderregelungen für Frauen und Behinderte grundsätzlich für eine Herabsetzung entschieden. Die Parteien verstanden diese Regelung als sozialen Fortschritt. Die Arbeitslosigkeit zwingt nun zu neuen Überlegungen. Arbeitsplätze für die Jüngeren, Ausschluß für die Älteren erscheint vielen als das kleinere Übel.
Gegen diesen Trend wendet sich nun entschieden die Arbeitsgruppe Altersforschung in Bonn. Auch dazu sagt Frau Professor Lehr sehr konkret:
Berufstätigkeit ist die Achse, um die sich das Leben dreht. Arbeit ist für viele Menschen die 'zentrale Quelle ihres Wohlbefindens. Diejenigen, die eine Vorverlegung der Altersgrenze propagieren, arbeiten der Gesundheit im Alter geradzu entgegen.
Und sie meinte, daß das vorzeitige Berufsende ein Danaergeschenk sei; mit diesem Geschenk werde der Mensch in einem 'immer früheren Alter in eine Problemgruppe eingereiht.
Meine Damen und Herren, dieser Satz war auch für mich 'schockierend. Ich gestehe, ich habe gekämpft für die Herabsetzung der Altersgrenze; aber wir haben natürlich eine hohe Flexibilität erreichen wollen. Sie ist eben heute nicht gegeben. Hier steckt des Pudels Kern.
Die Bundesregierung widerspricht in ihrer Antwort auf die Große Anfrage dieser Auffassung der Wissenschaftlerin. Doch ein Kern Wahrheit steckt darin. Frau Lehr hätte sicher dann recht, wenn es im Leben nicht noch andere Inhalte gäbe als Arbeit, Leistung und Beruf. Diese anderen Inhalte aber kommen allerdings in unserem Wertsystem zu kurz. Die Konzentration nur auf die Arbeit scheint mir nicht ausreichend. Man sollte ein Abbauen dieses Lebenszieles zugunsten von mehr kulturellen Aktivitäten fördern.
Im übrigen sind die Altersgrenzen zu starr, es gibt keine Übergänge, und die großen Unterschiede in der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Menschen werden zuwenig berücksichtigt.
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Welche Widersprüche gibt es doch bei den Entscheidungen über die Berentung. Einerseits werden mit Erreichen der Altersgrenze rüstige Leute abgeschoben, während andererseits beispielsweise bei früh gealterten, verbrauchten oder kranken Endfünfzigern der Versicherungsträger mit kostspieligen Untersuchungen, teuren Begutachtungen und langwierigen Gerichtsverfahren ausdauernd tätig wird, um vielleicht doch noch für kurze Zeit eine Beschäftigung zu erzwingen, obwohl der Arbeitsmarkt für diese Gruppe keine Chance mehr bietet.
Im übrigen sollten die Politiker die Rentenprobleme ehrlicher ansprechen. Es ist enorm viel Glaubwürdigkeit verlorengegangen. Die ältere Generation hat nicht 'vergessen, was den Rentnern vor und nach der Bundestagswahl von hoher und höchster Stelle gesagt wurde.
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Verbessert werden muß auch die Vorbereitung auf das Alter. Wir begrüßen die Altenpläne der Gemeinden und der Landkreise, die Arbeit der Kirchen und der Verbände. Ein gelungenes Experimentsind sicher die Berliner Seniorenbriefe.
Meine Damen und Herren, Altenpolitik ist ein Prüfstein für dieGesellschaft. Wir müssen uns fragen, ob die in der Verfassung garantierten Werte der Humanität auch angewandt werden. Der ältere Mensch will in die Gesellschaft integriert bleiben, und er will sich als ihr nützliches Glied fühlen können. Altenpolitik ist deshalb mehr als Fürsorge. Es geht nicht darum, die Älteren in Laufställchen ungestört spielen zu lassen, ohne die anderen zu beeinträchtigen.
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Es wird nicht unbedingt mehr Geld erforderlich sein, aber sicher viel mehr Phantasie, um den Senioren zu helfen, erfolgreich zu altern.
Ich möchte schließen mit einem Satz von Peter Bender; er sagte - ich zitiere -:
In der Antike und auch heute noch zollen asiatische Kulturen den älteren Menschen nicht nur Respekt, sie lassen ihnen auch noch Aufgaben. Sie wissen, was bei uns immer mehr vergessen wird, daß jedes Alter seine Fähigkeiten hat.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Eilers.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß mit der heutigen Debatte über die Große Anfrage der CDU/CSU die Gelegenheit gegeben ist, im Bundestag über die Lebenssituation der älteren Menschen, einer der wichtigsten sozialpolitischen Anliegen unserer Gegenwart, ausführlich sprechen zu können. Sie dankt der Bundesregierung für ihre Informationen und ausführlichen Antworten auf Fragen, die sich zum Teil mehr durch Quantität - so würde ich sagen - als durch Qualität ausgezeichnet haben. Die Antwort macht aber deutlich, daß die Verbesserung der Lebenssituation unserer älteren Mitbürger ein besonderer Schwerpunkt sozialliberaler Politik ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt nachdrücklich die von der Bundesregierung in ihrer Antwort lbeschriebene und von Bundesminister Frau Huber heute ausführlich erläuterte Konzeption ihrer Politik für die ältere Generation. Viele der hier angesprochenen Bereiche fallen in die Kompetenzen der Länder und der Kommunen. Das sollte die CDU auch bei ihrem vorgelegten Entschließungsantrag mit bedenken. Hier kann der Bund lediglich Initiativen anregen, Forschungsvorhaben unterstützen, Starthilfen für richtungsweisende Vorhaben geben und im überregionalen Bereich Hilfe leisten. Das ist in umfangreicher Weise angeregt oder schon getan worden. Aufbauend auf Anfänge und auch schon kleine Erfolge in der Vergangenheit, sind Weichen gestellt worden, um eine moderne bedarfsgerechte und vorausschauende Altenpalitik zu verwirklichen.
Eine der Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben im Alter ist die ausreichende materielle Sicherung der älteren Mitbürger. In diesem Bereich ist in den letzten Jahren Vorbildliches geleistet worden. Unser soziales Sicherungssystem - das wissen Sie, Herr Kollege Burger - ist trotz der Verunsicherung, die Sie immer wieder in die Diskussion gebracht haben,
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so klar, daß wir sagen können: die Renten der alten Menschen sind gesichert und sind in entsprechender Weise in den letzten Jahren auch mit gewachsen.
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Dieses soziale Sicherungssystem ist kontinuierlich ausgebaut worden. Waren 1969 lediglich die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Unfallversicherung dynamisiert, so sind heute 95 0/o aller sozialen Einkommensleistungen an die Entwicklung der Löhne und Gehälter gekoppelt. Die Bezieher dieser Renten nehmen damit ständig am wirtschaftlichen Wachstum teil; auch ihr Lebensstandard steigert sich dadurch. Denken Sie doch bitte einmal an die Zeiten zurück, in denen z. B. die Renten der Kriegsopfer und ihrer Witwen zu Zeiten der politischen Verantwortung der CDU nicht dynamisiert waren, wo sie um jeden Prozentpunkt auf die Straße gehen mußten, um zu demonstrieren, um das erst einmal zu erreichen. Es ist ein wichtiger Grundpfeiler unserer Gesellschaft, diese Steigerung des Lebensstandards mit gesichert zu haben, um damit Solidarität zwischen den Generationen zu garantieren.
Darüber hinaus wurden aber nicht oder nicht ausreichend gesicherte Personenkreise in den Schutz der sozialen Sicherung einbezogen, bestehende Lücken geschlossen und Ungerechtigkeiten beseitigt. Wir wissen um manche Schwierigkeiten und Probleme, die z. B. mit den gestiegenen Pflegesätzen zusammenhängen. Alle Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen arbeiten zur Zeit intensiv an Lösungsmöglichkeiten. Das ist auch der Opposition bekannt. Ihre Versuche, die älteren Mitbürger dadurch zu verunsichern, daß Sie die Inanspruchnahme von Sozialleistungen z. B. als etwas Negatives oder Entwürdigendes suggerieren, sind nach meiner Meinung nicht verantwortbar. Denn wir sollten den betreffenden Menschen klarmachen, daß der Anspruch auf Sozialhilfe ein Rechtsanspruch ist. Wenn wir immer wieder die Sozialhilfe in den parteipolitischen Konflikt bringen und als Kampfmittel gebrauchen, ist das herabwürdigend, unseriös und gefährlich.
Wir wissen, daß wir gegenüber der älteren Generation, die die Grundlagen für unsere wirtschaftliche Stabilität, den sozialen Frieden und den Wohlstand geschaffen hat, zu Dank und Solidarität verpflichtet sind. Das haben wir in der Vergangenheit durch unsere gesetzespolitischen Maßnahmen bewiesen, und das wird auch in der Zukunft so bleiben.
Ich muß noch einmal auf Herrn Kollegen Burger zurückkommen. Noch nie war das Rentenniveau so hoch wie heute. Trotzdem sind wir uns bewußt, daß viele Menschen insbesondere dann, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht oder nur kurze Zeit Mitglied der sozialen Sicherungssysteme waren, auch heute nicht zureichend versorgt sind.
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- Ja, wer seine Beitragspflicht nicht hat erfüllen können - das gilt insbesondere für viele ältere Frauen,
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die auf Grund ihres Geschlechtes in minderen Einkommensgruppen waren oder auf Grund ihrer Familiensituation geringere Versicherungszeiten aufzuweisen haben. Das bestreiten wir nicht.
Eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre wird es sein, die biss 1984 durchzuführende Neuord. nung der Hinterbliebenenversorgung und damit die grundlegende Verbesserung der sozialen Sicherung der Frau anzustreben. Die sozialliberale Koalition widmet sich der Lösung dieser schwierigen gesellschaftspolitischen Aufgabe mit ganzer Kraft. Ich glaube, hier sitzen wir alle in einem Boot und sind auch bereit, miteinander diese Probleme zu diskutieren.
Frau Eilers ({4})
Solidarität mit der älteren Generation bedeutet aber sehr viel mehr als Sicherung der materiellen Existenz. Das hat die Antwort der Bundesregierung sehr deutlich gemacht. Sie bedeutet die umfassende soziale Integration der älteren Mitbürger.
Folgende Schwerpunkte sind nach unserer Vorstellung dabei zu setzen:
Erhaltung der gewachsenen Lebensbereiche und Förderung der sozialen Integration. Dazu gehört: Alte Menschen sollten so lang wie möglich in ihren bisherigen Lebensbereichen bleiben. Die Umsiedlung in Heime, oft - wie soeben schon von dem Herrn Kollegen Braun geschildert - am Rand der Städte, war seiner Zeit gut gemeint, führte aber häufig zu sozialer Entwurzelung und Isolation.
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Ältere Menschen dürfen nicht in Ghetto-Situationen gedrängt werden, sondern müssen ausreichend Gelegenheit erhalten, ein Leben in gewachsenen sozialen Bindungen zu führen
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und auch Kontakte zu anderen Altersgruppen zu pflegen.
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Das müssen wir nach meiner Meinung gerade bei der Stadtsanierung sehr deutlich beobachten.
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- Ja; Stadtsanierung bedeutet für mich Wohnungspolitik, denn Städte bestehen aus Häusern, in denen Menschen wohnen.
Ein anderer Punkt: Erhaltung der Selbständigkeit. Ein besonderer Schwerpunkt einer modernen Altenpolitik ist, durch vielfältige Hilfen dazu beizutragen, daß alte Menschen ihre selbständige Lebensführung beibehalten können. Damit wird ihren Bedürfnissen am ehesten Rechnung getragen. Um dies zu gewährleisten, sind vielfältige Hilfen bereitzustellen. Soziale Dienste wie fahrbare Mittagstische, Reinigungsdienste, Wäschedienste, Einkaufshilfen, Pflegedienste und Beratungen - Beratungen im ganz besonderen meine ich - sind hier von wichtiger Bedeutung
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- ich komme noch darauf -, helfen sie doch, zu verhindern, daß alte Menschen ohne Not in Altenheime abgeschoben werden! Ambulante Dienste müssen vorrangig vor stationären Unterbringungsmöglichkeiten ausgebaut werden. Das ist unser Grundsatz. Daher ist auch, Herr Hasinger, der Ausbau von Sozialstationen in den meisten Ländern und Kommunen vorrangig zu betreiben. In den Ländern und Kommunen! Bei uns hier ist nur das gute Wort einzubringen und die Hilfestellung zu geben.
In diesem Bereich haben die freien Wohlfahrtsverbände und die Kirchen bereits Vorbildliches geleistet, gerade beim Ausbau der Sozialstationen. Ich möchte diesen Organisationen namens der
SPD-Bundestagsfraktion für ihre hervorragende Tätigkeit ausdrücklich danken. Auf ihre Mithilfe sind wir auch in Zukunft angewiesen.
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In meinen Dank möchte ich aber ausdrücklich auch die vielen Zivildienstleistenden einbeziehen, deren Arbeit gerade für viele alte Menschen unentbehrlich geworden ist, um ihnen zusätzliche Betreuung zukommen zu lassen. Ich kann das aus eigener Nähe zu einem Altenheim und der dortigen Erfahrung sehr wohl abschätzen.
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Besonders erwähnen möchte ich auch die ABM-Maßnahmen des Programms 1977 der Bundesregierung. Mit ihm wurde, abgesehen von den erzielten Arbeitsmarkteffekten, durch Beschäftigung zusätzlicher Arbeitskräfte das Angebot für die alten Menschen, die besonderer Hilfen bedürfen, erheblich erweitert.
Einer der Schwerpunkte der Modellförderung der Bundesregierung gilt teilstationären Einrichtungen wie Rehabilitationszentren, Tagespflegeheimen, Nachtpflegeheimen und ähnlichem, von denen wir heute noch zuwenige im Angebot haben. Ich glaube, daß wir auf die Länge der Sicht auch diese modernen, fortschrittlichen Einrichtungen ausbauen werden. Sie haben entscheidende Bedeutung für die Erhaltung der Selbständigkeit auch dann, wenn schwerwiegende gesundheitliche Probleme oder auch psychische Probleme vorliegen.
Besondere Bedeutung für die Verbesserung der Situation älterer Menschen hat ein ausreichendes Angebot an altengerechten Wohnungen. Gerade in diesem Bereich hat die Bundesregierung in ihren Programmen erfreulicherweise Antwort auf die hier angeschnittenen Fragen gegeben.
Lassen Sie mich, da die Zeit für ausführliche Erläuterungen, die ja von allen Seiten gekommen sind, hier fehlt, kurz weitere für eine vorausschauende Altenpolitik in Stichworten wichtige Faktoren nennen, denen wir besondere Beachtung schenken werden.
Zunächst: Gesundheitliche Sicherung des Alters. Hier muß den 'speziellen 'Bedürfnissen alter Menschen Rechnung getragen werden. Geriatrische Stationen und Kliniken sowie Rehabilitationseinrichtungen in Alten- und Pflegeheimen müssen noch weiter ausgebaut werden. Das Heimgesetz hat einen Teil der Angst der älteren Generation vor einem Alter, das nicht mehr in voller Selbständigkeit geführt werden kann, genommen. Mitbestimmung bietet auch hier größere Freiräume.
Die Mitberatung und Mitverantwortung der älteren Mitbürger auch im kommunalen Bereich müssen verstärkt werden. Wir müssen mehr Voraussetzungen für sinnvolle Betätigungsmöglichkeiten im Alter schaffen. Sie müssen mehr sein als Beschäftigungstherapie. Es müssen Möglichkeiten zu wirklich sinnvoller Tätigkeit sein.
Die älteren Menschen werden gebraucht. Das müssen wir auch dadurch dokumentieren, daß wir ihnen mehr als bisher Chancen zur aktiven MitarFrau Eilers ({12})
beit in unsererGesellschaft anbieten. Es gilt, verstärkt die Erkenntnisse und auch die sich wandelnden Erkenntnisse - das müssen wir sehen - der Alterswissenschaft in die Praxis umzusetzen. Wir müssen dabei flexibel sein und müssen wissen, daß auch Dinge, die wir vor drei, vier, fünf Jahren als gut, notwendig und wichtig angesehen haben, immer wieder überprüft werden müssen, um sie neuen Gegebenheiten anzupassen.
Altenpolitik darf sich nicht erst an die 65jährigen wenden und sich damit begnügen, die Älteren zum passiven Betreuungsobjekt abzustempeln. Die ältere Generation ist keine homogene Gruppe, die besonderer Fürsorge bedarf. Entscheidend ist, für vielfältige, differenzierte Angebote zu sorgen.
Den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Menschen dieser Generation muß Rechnung getragen werden. Das rechte Verhältnis zum Alter muß von klein auf gelernt und geübt werden. Faktoren wie Schulbildung, Berufsausbildung, befriedigende Berufstätigkeit, gute Kontakte zur Umgebung, ein guter Gesundheitszustand prägen das Befinden stärker als rein kalendarisches Alter.
Der Erfolg dieser Politik für die ältere Generation hängtentscheidend auch davon ab, daß es uns gelingt, die jüngere Generation für die Probleme des Alters zu interessieren und zu motivieren. Gustav Heinemann hat einmal gesagt: „Die Zukunft der Jugend ist das Alter." Und wir alle wünschen uns doch eigentlich diese Zukunftsperspektive, Alter einmal für uns in Anspruch nehmen zu können.
Noch eine große Reihe von Aufgaben müssen gelöst werden. Bund, Länder, Gemeinden, Kirchen, freie Träger und die Wissenschaft - jeder an seinem Platz - müssen dazu beitragen, den älteren Mitbürgern ein Leben ohne Not und in Würde zu gewährleisten. Die Konzeption der Bundesregierung bietet hierfür eine geeignete Grundlage. Die SPD-Bundestagsfraktion wird alle Bemühungen, eine moderne, vorausschauende Altenpolitik zu realisieren, mit besonderem Nachdruck unterstützen. Sie fordert die Bundesregierung auf, den bisher beschrittenen erfolgreichen Weg zum Wohl der älteren Generation weiter zu gehen. Wir alle sind dazu gemeinsam aufgerufen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Geisenhofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Eilers, ich schätze Sie sehr, aber es tut mir leid, daß ich jetzt etwas zurechtrücken muß, weil Sie durch eine Äußerung eine Schärfe in die Diskussion gebracht haben. Sie haben nämlich gesagt: Während der Unionszeit mußten die Kriegsopferverbände demonstrieren. Jawohl, sie haben demonstriert, aber für Leistungsverbesserungen, die die CDU/CSU immer wieder gewährt hat.
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Auch in den letzten drei Jahren, also zu SPD/FDPRegierungszeiten, Frau Kollegin Eilers - Sie wissen das -, mußten die Kriegsopferverbände, vor allem der VdK, demonstrieren, aber nicht für Leistungsverbesserungen, sondern dagegen, daß Leistungen, die die CDU/CSU gewährt hat, geschmälert oder weggenommen wurden.
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Das ist der ganz große Unterschied. Entschuldigen
Sie, aber diese Richtigstellung hätte ich nicht
bringen müssen, wenn Sie Ihre Äußerung nicht gemacht hätten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in meinen Ausführungen nehme ich zu den Problemen der älteren Menschen in Altenheimen und Pflegeheimen Stellung.
Die Frage 6 der CDU/CSU-Fraktion, ob der Bundesregierung eigene Erkenntnisse darüber vorliegen, wie viele der über 65 Jahre alten Personen, die in Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen untergebracht sind, auf die Sozialhilfe angewiesen sind, hat die Bundesregierung nur unzureichend beantwortet. Die Antwort der Bundesregierung erwähnt die Zahl von 138 000 in Anstalten lebenden Personen. Diese Zahl ist zwar grundsätzlich richtig, sie ist aber nicht nur auf Bewohner von Heimen der Altenhilfe bezogen, sondern enthält auch die Bewohner von Einrichtungen für Behinderte und Nervenkranke. Die Antwort enthält keine Zahlen über die Kosten in den Heimen sowie über den Anteil der Bewohner, die ganz oder teilweise auf Wohngeld oder Sozialhilfe angewiesen sind.
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Meine Damen und Herren, die besorgniserregende Diskrepanz zwischen Heimkosten einerseits und der Zahlungsfähigkeit ,der Heimbewohner andererseits wird von dieser Bundesregierung vollkommen ignoriert. Es ist kein Wort darüber gesagt worden.
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Nach der ernst zu nehmenden Studie des Arbeitsministeriums von Baden-Württemberg „Pflegebedürftigkeit als Leistungsgrund der Sozialversicherung„, die der Bundesregierung vorliegt, dürften gegenwärtig ca. 105 000 pflegebedürftige Personen im Alter von über 65 Jahren in Pflegeheimen und Anstalten untergebracht sein. 88 % davon sind dauernd pflegebedürftig.
Zur Frage 7 stellt die Bundesregierung zwar die Ursachen des Anstiegs der Pflegekosten in den Heimen richtig dar, sie weiß aber auf die Frage, wie der Kostenanstieg auf ein erträgliches Maß gesenkt werden kann und die Förderung und der Ausbau der Pflegeplätze vorangetrieben werden können - außer dem Hinweis auf die erteilten Forschungsaufträge -, keine zufriedenstellende Antwort zu geben.
Die von der Bundesregierung angesprochene Förderung der Pflegeheime aus Mitteln des Wohnungsbaus für ältere Menschen wäre zweifellos ein Beitrag zur Senkung der Heimkosten. Aber die
Bundesregierung. verschweigt, daß sie diese Sondermittel seit 1978 gar nicht mehr gewährt.
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Gerade diese wirksame finanzielle Förderung durch den Bund hätte dazu beitragen können, die Heimkosten in erträglichen Grenzen zu halten.
Ein besonderes Ärgernis in der Förderung von stationären Einrichtungen in der Altenhilfe ist die Tatsache, daß der Bund Pflegeheime nicht fördert und auch Altenheime und Wohnheimplätze von der Förderung ausschließt, wenn der Anteil der Pflegeplätze an der Gesamtkapazität 25 % übersteigt. Die Trägerverbände haben sich ebenso wie der Freistaat Bayern mehrfach um eine Änderung der Förderungsrichtlinien des Bundes bemüht - bisher leider ohne Erfolg.
Die Auflage, daß nur ein Viertel aller Plätze eines Heimes Pflegeplätze sein dürfen, meine Damen und Herren, entspricht einfach nicht mehr den sozialpolitischen Notwendigkeiten unserer Zeit. Wir wissen alle, daß ein besonders hoher Bedarf an Pflegeplätzen besteht und daß gerade der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung
- alle Redner vor mir haben das auch ausgeführt
- im Steigen begriffen ist.
Eine wesentliche Verbesserung der Situation der pflegebedürftigen älteren Menschen ergäbe sich auch durch die Schaffung von mehr therapeutischen Angeboten in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Notwendig wären vor allem die Vereinfachung des Förderungswesens und die Anpassung der Förderungssätze an die gestiegenen Kosten sowie ein eigenes Förderungsprogramm für die Modernisierung älterer Altenheime, da derzeit nur eine Förderung von Neubauten möglich ist.
Notwendig wäre ferner - und ich weise mit Nachdruck auf diese Forderung hin - der weitere Auf- und Ausbau der sogenannten offenen Hilfen, die den älteren Menschen ermöglichen würden, die Ubersiedlung in ein Heim hinauszuschieben, oder sie überhaupt überflüssig machen könnten.
Die Union hat hier mit ihrem Konzept der Sozialstationen bahnbrechende und segensreiche Arbeit geleistet.
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In der Praxis kann davon ausgegangen werden, daß in einer nicht uherheblichen Zahl von Fällen, insbesondere im Bereich der psychisch Kranken, Personen in Krankenhäusern untergebracht werden, die bei einer entsprechenden pflegerischen Betreuung auch ambulant behandelt werden könnten. Durch die Schaffung entsprechender teilstationärer oder ambulanter Dienste könnten Krankenhauskosten in erheblichem Umfang eingespart werden.
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Ein schwerwiegendes Problem, dessen Lösung drängt, hat die CDU/CSU-Fraktion in Frage 8 angesprochen. Wir fragten die Bundesregierung:
Wie gedenkt die Bundesregierung das Risiko „Pflegebedürftigkeit" generell bei alten Menschen zukünftig zu regeln?
Die Bundesregierung vertritt hier in ihrer Antwort die Auffassung, sie müsse erst einmal die Lösungsvorschläge der unter der Federführung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe abwarten, die Mitte dieses Jahres zu erwarten sind. Die gleiche Auskunft hat der Staatssekretär Buschfort auf eine diesbezügliche Anfrage des CDU-Abgeordneten Horstmeier in der Fragestunde am 15. März 1979 erteilt. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung weiß doch seit vielen Jahren, daß das Problem des Pflegerisikos und seiner Absicherung in der Sozialversicherung ständig diskutiert wird.
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Die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen fallen eindeutig und einzig und allein in die Zuständigkeit des Bundes.
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Die Bundesregierung schiebt das Problem seit Jahren vor sich her, statt endlich zu handeln oder wenigstens Lösungsansätze erkennen zu lassen. Seit Jahren liegen Lösungsvorschläge vor; ich zitiere einige: das Gutachten des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, die Vorlage des Deutschen Städtetages, der 3. bayerische Landesplan für Altenhilfe und die eben zitierte Studie des Landes Baden-Württemberg. Alle diese Gutachten sprechen sich für die Absicherung der Pflegebedürftigkeit in der Sozialversicherung aus. Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion diesen Punkt in den Entschließungsantrag mit aufgenommen.
Ich erwähnte schon vorher, daß die Zahl der pflegebedürftigen Personen ständig zunimmt. Diese Zahl wird im Bundesgebiet derzeit mindestens mit 450 000, maximal aber mit 600 000 Personen geschätzt. Der Anteil der bis 65jährigen dürfte 250 000 betragen. Hiervon dürften ungefähr 105 000 bis 110 000 in Pflegeheimen und Anstalten untergebracht sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Nein, ich bitte davon Abstand zu nehmen; meine Redezeit ist gleich um.
Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen in Heimen sind wegen der hohen Kosten auf die Sozialhilfe angewiesen. Aus der jetzigen Rechtslage - das bitte ich sehr ernst zu nehmen - ergibt sich doch folgende Problematik. Wer als Behandlungsfall in ein. Krankenhaus eingewiesen wird, wird kostenlos behandelt; die Krankenkasse zahlt alles. Erfolgt bei fast gleichem Krankheitsbild die Einweisung in ein Altenpflegeheim, muß der Pflegebedürftige alles allein zahlen; die Krankenkasse zahlt nichts.
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Ist der Betreffende vermögend und hat er Ersparnisse angesammelt, gehen alle Ersparnisse hierdurch kaputt. Ist er nicht vermögend, kann er die Kosten nicht aufbringen, muß er zur Sozialhilfe. Bei monatlichen Pflegesätzen - Herr Glombig, hören Sie jetzt gut zu - von 1 200 bis 2 000 DM reicht eine Durchschnittsrente eines Arbeitnehmers mit 40 Jahren Arbeits- und Beitragszeit von 1 100 DM nicht aus, um die Heimkosten zu bezahlen. Das muß doch gesehen werden.
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Es hat doch keinen Sinn, daß wir über die Probleme einfach hinwegplatscheln. Nach derzeit geltendem Recht kann heute schon jeder Rentenempfänger und jeder Beamte bis zum Regierungsdirektor Sozialhilfeempfänger werden, wenn ihn und seine Ehefrau das Schicksal der Pflegebedürftigkeit ereilt.
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Das ist eine ganz tragische Sache. Dieses Problem, das tagtäglich hart in viele Familien eingreift, darf die Bundesregierung und darf der Deutsche Bundestag nicht mehr vor sich herschieben; es drängt zur Lösung.
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Ich bitte daher die Bundesregierung ein Konzept zur Lösung oder Milderung des Problems zumindest für Langzeitpflegefälle dem Deutschen Bundestag in Kürze vorzulegen.
Im Hinblick auf das Ziel, durch krankenhausentlastende Maßnahmen die Aufwendungen für den stationären Bereich langfristig zu senken, sollte die Hilfe in Pflegefällen sowohl bei der Unterbringung in entsprechenden stationären Einrichtungen als auch bei häuslicher Pflege gewährt werden. Dabei wäre jedoch im Gesetz festzulegen, daß die Leistungen der Krankenkassen ausschließlich den pflegebedingten Mehrbedarf umfassen. Um Abgrenzungsprobleme von vornherein auszuschließen, müßte der Begriff der pflegebedingten Mehraufwendungen konkretisiert werden; Unterkunft und Verpflegung sollten vom Heimbewohner bezahlt werden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Mittel für die Hilfe zur Pflege wären von den im Versicherungsverhältnis Beteiligten aufzubringen. Aber die Beitragssätze der Krankenkassen sind nun an einer Grenze angelangt, die eine Erhöhung nicht mehr vertretbar erscheinen lassen. Infolgedessen könnte eine Finanzierung des neuen Leistungs- und Pflegerisikos nur durch Einsparung bei der Krankenhauspflege erfolgen. Die Pflegefälle bedürfen dringend der sozialen Absicherung. Hier ist eine Lücke. Die Sozialhilfeträger stöhnen über die Pflegekosten, die fast die Hälfte ihrer Gesamtausgaben ausmachen. Das Problem drängt zur Lösung. Ich bitte alle Fraktionen, hier mitzuhelfen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einigen Monaten fiel mir wiederholt in einer großen Tageszeitung jeweils auf der ersten Seite eine großformatige Anzeige einer Schwimmschule auf, die mit erstaunlichen Parolen warb: Erfolgsgarantie, keine Altersgrenze, 11 000 erfolgreiche Schüler, 3 200 über 65 Jahre. Sie werden sich fragen, was ich mit diesem Hinweis auf eine Werbeanzeige zu Beginn einer Rede über Altenpolitik bezwecke. Für mich ist dieser Appell an ältere Mitbürger, im Alter noch das Schwimmen zu lernen, Ausdruck eines gewandelten, wenn auch noch nicht allgemein verbreiteten Verständnisses von der Rolle des älteren Menschen in unserer Gesellschaft. Wer über 65jährigen so ohne weiteres zutraut, im sogenannten Ruhestand noch Schwimmer zu werden, der baut auf die Aktivität, auf das Selbstbewußtsein der älteren Generation auf, jener Generation der Rentner und Pensionäre, die man so klischeehaft mit der Vorstellung von zunehmender Gebrechlichkeit, nachlassender Spannkraft, häufiger Krankheit, Altersbehinderungen und Pflegebedürftigkeit in Verbindung bringt.
Jahrhundertelang hat bei der sozialen Betreuung alter Menschen - sicher in der Vergangenheit mit sehr viel mehr Recht als heute - der hilfsbedürftige, unselbständige, gebrechliche, oft auch sieche und greise Mensch im Mittelpunkt gestanden. Nun hat jedoch die Lebenserwartung der Menschen im Verlaufe der letzten zwei Jahrhunderte außerordentlich stark zugenommen. Es wurde im Verlauf der Debatte bereits darauf hingewiesen. Immer mehr Menschen erreichen nicht nur die Zeit ihres Ruhestandes, sondern leben zehn, zwanzig, ja teilweise sogar mehr Jahre in diesem neuen, dritten Lebensabschnitt. Dazu kommt, daß die moderne Medizin die sich nach wie vor einstellenden Beschwerden - Krankheiten des Alters und des Alterns - in einem viel höheren Maß als früher zu lindern vermag. Für körperliche und geistige Aktivitäten, Selbständigkeit und Selbstbewußtsein im Alter sind viele Voraussetzungen günstiger geworden.
Der Geist unseres Systems der sozialen Hilfen und die Mentalität vieler ihrer Betreuer sind aber dieser Entwicklung bisher leider nicht immer gefolgt. Ein gut gemeintes Betreuen, Beschützen und Bewahren wird in vielen Fällen, in denen das altersbedingt gar nicht notwendig wäre, zum Absterben vorhandener Aktivitäten, körperlicher und geistiger Trägheit, zu einer passiven Versorgungsmentalität beim alten Menschen selbst. Ich möchte die heutige Debatte über die Lebenssituation älterer Menschen benutzen, um vor allem über diese grundsätzlichen menschlichen Aspekte unserer Sozial- und Altenpolitik zu sprechen.
Was die materiellen Lebensbedingungen betrifft, insbesondere die Entwicklung über Renteneinkommen in den letzten zehn Jahren, können wir auf beachtliche Erfolge hinweisen. Das wurde bereits gesagt. Ich möchte gerade im Anschluß an die Ausführungen von Herrn Geisenhofer den Anstieg der Sozialrenten um 124 °/o, der Versorgungsrenten um ungefähr 139 °/o bei einer gleichzeitigen Steige11804
Eimer ({0})
rung der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer um 98 % erwähnen.
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Sie, Herr Geisenhofer, haben am Anfang die Schärfe der Debatte bedauert. Aber Sie sind der erste, dessen Rede von Anfang an auf Konfrontation ausgelegt war.
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Mir stellt und beantwortet sich die Frage nach der Lebenssituation älterer Menschen in der Bundesrepublik nicht nur nach den Fragen, die Sie von der Opposition in der Großen Anfrage gestellt haben, sondern auch an Fragen, die Sie nicht gestellt haben. Die Lebensqualität wird nicht nur danach beurteilt, welche materiellen Absicherungen vorliegen, sondern auch danach, wie sich das menschliche Miteinander gestaltet. Herr Braun hat dies in seiner Begründung ergänzt.
Die Bundesregierung hat vor der Beantwortung der eigentlichen Fragen durch die Vorbemerkung deutlich gemacht, daß es auf die Integration der älteren Menschen in Familie, Nachbarschaft und Gemeinde ankommt, auf die Organisation von Selbsthilfe und die Entwicklung neuer Formen ehrenamtlicher Dienste, auf die Entwicklung und Erprobung integrierter offener und personaler Formen sozialer Dienste in der Altenhilfe und auf die Begegnung und Zusammenführung der Generationen.
Die Situation der älteren Generation in einer Gesellschaft wird entscheidend davon abhängen, wie das Verhältnis zur nachfolgenden Generation ist, wie die Alten mit den Jungen mitleben können und dürfen, ob sie eingewoben sind in das gesellschaftliche Leben innerhalb der Familie und nicht neben den Familien leben. Es wird darauf ankommen, daß wir keine Gesellschaft nach dem Prinzip „gleich, aber getrennt" bekommen, daß wir keine Apartheid der Generationen bei uns aufbauen. Die Scheu, Alte als Alte zu bezeichnen, und die Übung, sie statt dessen mit dem Worte „Senioren" zu umschreiben, sehe ich als eine bedenkliche Entwicklung zu einer altersbedingten Trennung der Generationen an.
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Alt sind wir alle, der eine mehr, der andere weniger, es kommt auf den Vergleichsmaßstab an. Das Altern ist ein fließender Vorgang. Mit der Einführung des Begriffes „Senioren" wird aber nicht nur ein natürlicher Vorgang schamhaft umschrieben, sondern eine neue Klasse geschaffen. Den Alten schadet das meiner Meinung nach am meisten.
Ein Wort noch an diejenigen, die heute noch nicht zu den Alten gehören, die aber auch einmal in. die Jahre kommen. Heute finden es viele angenehm, in jungen Jahren nicht finanziell und zeitlich durch Kinder belastet zu sein. Ich wage aber die Prognose, daß jene schwer vom Schock des Alleinseins getroffen werden, wenn Freunde, Verwandte und Bekannte allmählich wegsterben. Auch das ist ein Problem, das die Lebenssituation der älteren Generation beeinträchtigen wird, ein Problem, das nicht neu ist, nicht immer selbst verschuldet, ein Problem, das die Gesellschaft lösen muß. Das hat es sicher schon früher gegeben, wenn es auch nur wenige schwer traf, weil es nicht immer als so hart empfunden wurde, wenn man aus einer kinderreichen Familie stammte und das Glück hatte, im Alter als Onkel oder Tante im Leben der Jüngeren verwoben zu sein. Die heutigen Einkinderfamilien bieten diesen Ausweg nicht mehr. Ich sagte schon, hier werden neue Probleme auf uns zukommen, die wir mit materiellen Angeboten nicht lösen können.
Ich sage bewußt, diese Probleme muß die Gesellschaft lösen. Der Staat kann nur Rahmenbedingungen schaffen. Ausgefüllt werden müssen diese Rahmenbedingungen von uns als Bürger, als Nachbarn dem Nächsten gegenüber, und hier meine ich „Nächsten" durchaus im christlichem Sinne.
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Wir müssen dazu beitragen, daß die Selbständigkeit der Bürger erhalten bleibt. Diesem Grundsatz entsprechen auch die Programme der Freien Demokraten, die für mehr Eigenverantwortung und Wahlfreiheit im System der sozialen Sicherung eintreten. Wir würden es begrüßen, wenn das bestehende System der Alterssicherung zu einem liberalen Angebotssystem fortentwickelt würde, das die erreichte soziale Sicherheit zur größeren Verfügung der selbständig gewordenen Bürger stellt.
In unserem gesundheitspolitischen Programm von 1976 fordern wir außer dieser stärkeren Selbstverantwortung des Bürgers für seine Gesundheit den Ausbau der ambulanten Hilfen, um die Selbständigkeit älterër Menschen in ihrer vertrauten Wohnumgebung zu erhalten. Besondersdeutlich wird der Grundsatz der Selbständigkeit im Alter ein FDP-Programm für die ältere Generation durchziehen, das seiner Fertigstellung entgegengeht. Das Programm baut auf dem Zutrauen zu Erfahrung, Eigenverantwortung und Leistungsfähigkeit auch des alternden Menschen auf.
Ich begrüße es .deshalb, daß die Bundesregierung in den grundsätzlichen Vorbemerkungen zu ihrer Antwort diese Zielrichtung ihrer Altenpolitik herausstellt. Es ist dann nur konsequent, wenn die Regierung in der Förderung teilstationärer Einrichtungen einen Schwerpunkt ihrer Modellförderungen sieht.
Erst recht gilt es selbstverständlich, das schon weitverzweigte Netz ambulanter Dienste auszubauen, das es immer mehr älteren Mitbürgern ermöglicht oder erleichtert, zu Hause wohnen zu bleiben und sich damit die vertrauten familiären, nachbarschaftlichen und sonstigen gesellschaftlichen Bindungen zu erhalten.
In meinen Augen sind die Leistungen ,der Sozialversicherung zur Abdeckung oder Milderung des häuslichen Krankheits- oder Pflegerisikos noch nicht ausreichend; in dem Punkte stimme ich Ihnen, Herr Kollege Geisenhofer, also zu. So läßt etwa § 185 der RVO hinsichtlich der ambulanten Betreuung kranker und pflegebedürftiger Menschen noch einiges offen. Es kann nicht sinnvoll sein,
Eimer ({5})
solche Langzeitkranken oder pflegebedürftige Personen, wie es heute oft geschieht, ins Krankenhaus einzuweisen, wobei die Kassen den vollen Pflegesatz zahlen müssen, obwohl der Patient besser, billiger und vor allem menschlicher zu Hause gepflegt werden könnte.
Ein ähnliches Mißverhältnis im sozialen Leistungsrecht sehen wir vor allem zwischen dem Krankenhaus und dem Altenpflegeheim. Mein Kollege Spitzmüller hat bereits im Herbst 1977 auf eine Fehlentwicklung im stationären Pflegebereich aufmerksam gemacht. Auch die Große Anfrage greift ja dieses Problem auf. Leider muß die Regierung im Augenblick noch auf die Ergebnisse vertrösten, die eine Bund-Länder-Arbeitgsruppe Mitte des Jahres vorlegen soll.
Der sozial auf Dauer nicht akzeptable gegenwärtige Zustand läßt sich kurz damit umschreiben, daß bis zu zwei Drittel der Bewohner von Altenheimen ganz oder teilweise auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Frage allerdings, ob die Forderung nach mehr Staat in diesem Bereich richtig ist oder nicht die Forderung nach mehr Familie besser wäre, möchte ich hier in den Raum stellen.
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Angesichts der Qualitätsverbesserung in den Heimen ist aber mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung, so glaube ich jedenfalls, Herr Kollege, weiter zu rechnen. Eine Beseitigung dieser außerodentlich schwierigen Lage bei der Kostenentwicklung kann unserer Meinung nach nicht einfach dadurch erreicht werden, daß man das private Finanzierungsdefizit der Sozialhilfe abnimmt und voll der gesetzlichen Krankenversicherung aufbürdet. Dies wäre mit all unseren Bemühungen um eine Kostendämpfung in diesem Bereich nicht vereinbar.
Es sind für mich auch neue Formen des Zusammenlebens im Alter denkbar, etwa in Selbsthilfeorganisationen und in genossenschaftlichen Formen, wo anfallende Pflegearbeiten teilweise von den Insassen selbst zugunsten derjenigen, die dies nötig haben, übernommen werden können. Ich glaube, daß aufdiese Weise einiges an Personalkosten gespart werden könnte und daß diese Art der Pflege in Selbsthilfe den Alten im Endeffekt viel besser bekommen würde als das, was wir heute anbieten.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einige kritische Worte an uns selbst richten. Es darf nicht dazu kommen, daß der Stolz auf unsere schönen Programme und auf vollbrachte Leistungen, wie sie ja auch Frau Minister Huber dargestellt hat, uns den Blick darauf verstellt, daß eben nicht alles durch Gesetze machbar ist, daß man Wohlbefinden im Alter nicht als Angebot hinnehmen und konsumieren kann,
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wie es allzu leicht angenommen werden kann, wenn man die. Debatte unkritisch verfolgt und die Fragen und die Antworten allein zum Maßstab nimmt. Wir sind hier nicht nur als Politiker, als
Gesetzgeber gefordert, sondern auch als Mitbürger unserem Nächsten gegenüber. Menschlichkeit braucht den Menschen mehr als Gesetze und Modelle.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker ({0}).
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen! Meine Kollegen! In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Lebenssituation älterer Menschen erscheinen mir noch einige Punkte ergänzungsbedürftig.
In der Antwort auf die Frage nach Vorurteilen gegenüber älteren Menschen weist die Bundesregierung darauf hin, daß das bei Jüngeren vorherrschende Bild vom Alter und von den Fähigkeiten im Alter mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Eine negative Einstellung von Jugendlichen und Jüngeren gegenüber dem Alter ist schon einige Jahrzehnte bekannt; nur hat sie in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen. Wir haben uns daher nicht nur im Interesse der heutigen, sondern auch im Interesse der künftigen älteren Generationen zu fragen, wie diese negative Einstellung geändert werden kann.
Die Bundesregierung will einer Isolchen negativen Einstellung durch sachliche Informationen auf allen Ebenen entgegenwirken. Nun, weder durch Appelle noch durch bloße Belehrungen noch durch Ermahnungen wird man nach lerntheoretischen Erfahrungen etwas erreichen können. Das Wichtigste ist vielmehr die Meidung aller Informationen und Einwirkungen, die das negative Klischeebild über das Alter verstärken könnten. Wieviel in dieser Hinsicht gerade in der Schule gesündigt wird, geht aus Analysen bundesdeutscher Lehrbücher hervor. So ergaben Untersuchungen, daß z. B. nur 8 °/o der Beschreibungen den älteren Menschen als lebenstüchtig, weise oder in ähnlicher Art kennzeichneten. Demgegenüber war die negative Charakterisierung des Alters - Hilflosigkeit, mangelnde Kompetenz, Vergeßlichkeit und Ungeschicklichkeit - absolut vorherrschend. In der allgemeinen Deklassierung des Alters zeigt der Sprachgebrauch der Worte Opa und Oma, wohin wir mit der Ächtung und dem Respekt vor dem Alter gekommen sind.
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Aber auch wenn die Schulbücher einmal ein günstigeres Bild vermitteln würden, so würden doch außerhalb der Schule, nicht zuletzt in den Massenmedien, so viele Verstärkungen des f al-schen Klischees erfolgen, daß eine Änderung der Einstellung so rasch nicht zu erwarten ist. Wir müssen heute annehmen, daß das durch die Massenmedien vermittelte Bild des Alters sehr stark
Dr. Becker ({1})
auf die Einstellung der Kinder und Jugendlichen dem Alter gegenüber wirkt. Schon hier werden Erwartungshaltungen geschaffen, die falsch sind.
Im Fernsehen erscheint kaum je der kompetente, vernünftige ältere Mensch, sondern fast ausschließlich der hilfsbedürftige, stark abgebaute ältere Mensch. Eine Analyse der Werbung ergibt, daß es dort nicht viel anders ist. In der Werbung erscheint die Oma immer als dumm, desorientiert, schlecht informiert; darauf bezog 'sich meine Bemerkung hinsichtlich der „Oma". Sie. weiß eben nicht - wie es dort heißt -, daß es soundso lange das Putzmittel A oder das Waschmittel B gibt. Auch hier sollte dringend mit einer Korrektur des Bildes vom Alter begonnen werden.
Eine wichtige Rolle bei der Korrektur solcher Klischeevorstellungen und bei der Meidung ungünstiger Erwartungshaltungen gegenüber dem eigenen Alterspielen die Meinungsführer, Personen, die die öffentliche Meinung beeinflussen, vom Politiker angefangen bis zum Arzt hin.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Vorbereitung auf das Alter von besonderer Bedeutung ist. Sie unterscheidet in ihrer Antwort zwei grundsätzliche Komplexe. Der erste Komplex, die übergreifende, lebenslange Aufgabe, von Jugend an die Grundlagen dafür zu legen, daßbestimmte, typische Altersprobleme nicht auftreten, wird nur mit drei kurzen Sätzen in sieben Zeilen abgehandelt. Der zweite Komplex, die direkten Veranstaltungen zur Vorbereitung auf die dritte Lebensphase, kommt ausführlicher weg. Demgegenüber weisen aber alle Forschungs- und Untersuchungsergebnisse darauf hin, daß gerade dem ersten Komplex, nämlich der Eintibung eines richtigen Verhaltens, eine viel wichtigere Rolle zukommt.
So werden z. B. falsche Eßgewohnheiten wie Uberernährung und Überfütterung zeitlebens mitgeschleppt und sind im Alter kaum noch zu korrigieren. Ernährungserziehung für das Alter beginnt praktisch in der Schulzeit. Oder etwa Haltungsschäden bei Jugendlichen und Kindern: In einer bundesdeutschen Großstadt hatten bereits 22 % der Heranwachsenden Haltungsschäden. Ohne Korrektur sind diese Haltungsschäden aber Ausgangspunkt für viele chronische Erkrankungen im Alter bzw. Ursache für deren Verstärkung.
Wenn das Problem des gesunden Alterns und Alters bewältigt werden soll, so kann das nur über eine effektivere Gesundheitserziehung und -leitung geschehen. Gesundheitserziehung kann aber nur dort effektiv sein - und das sollte die Bundesregierung auch bei anderen Komplexen beachten -, wo sie auf einer persönlichen Beeinflussung fußt: in der Beratung des Menschen bezüglich seiner körperlichen, seelischen und sozialen Lebenssituation. Appelle, Schriften und Deklarationen helfen da nur wenig.
Heute ist die geriatrische Tätigkeit des Arztes in erster Linie mit der Stoffwechsel-, der Herz- und Kreislaufhypothek vieler gesundheitlich falsch verbrachter Jahre belastet. Risikofaktoren wie Überernährung und Bewegungsarmut, Risikokrankheiten
wie Zuckerkrankheit, Bluthochdruck. oder Gicht und viele andere sind weitgehend vermeidbar und oft in ihren Anfängen auch heilbar. Der Geriater kann aber heute praktisch nur noch die verpaßten Gelegenheiten registrieren. Letzten Endes entscheidet der einzelne Mensch in den meisten Fällen über sein gesundheitliches und damit auch über sein Altersschicksal.
Eine erfolgreiche Rehabilitation in der Behandlung der Alterskrankheiten ist auf kooperative Mitwirkung und Motivierung der Patienten angewiesen. Eine Dauertherapie muß aber konsequent sein und konsequent durchgehalten werden. Leider werden z. B. aber nur 20 °/o aller Patienten mit Bluthochdruck auf Dauer optimal und damit richtig behandelt. Die meisten brechen die Behandlung bereits nach kurzer Zeit ab. Die Hälfte weiß von ihrer Erkrankung überhaupt nichts.
Von besonderer Bedeutung im Alter ist gerade die Bewegung und aktives Training. Längst ist bewiesen, daß regelmäßige kontrollierte körperliche Bewegung die biologische Lebensuhr langsamer gehen läßt. Auch muß immer wieder betont werden, daß alte Menschen nicht weniger lernfähig sind als junge. Man muß nur methodisch und differenzierter vorgehen. Allerdings müssen die Motivation und das Lerninteresse aus den aktiven Lebensjahren mitgebracht werden. Wenn man erst im Alter das Lernmotiv finden und aufbauen muß, wird es schwierig.
Verbote, Entmündigung und Isolierung sind keine Vorbereitung auf das Alter. Ständige Ermahnungen an die Pflicht, sich auf das Alter vorzubereiten und sich gesundheitsgerecht zu verhalten, sind indessen ebensowenig wirksam wie permanente Überbetreuung mit „liebevollem Zwang" zur Untätigkeit.
Entgegen allen Theorien ist die frei laufende Information tausendmal wichtiger - allerdings in Verständlichkeit angeboten - als z. B. die Organisation. Mitmachen dürfen ist wichtiger als Schulung, Freundlichkeit tausendmal wichtiger als jegliche Anordnung. Ein bißchen heitere Schlamperei macht immer noch glücklicher als perfektionierter psychologischer Drill.
Vorbereitung auf das Alter bedeutet Regieführung. Es darf ruhig eine Humoreske, es darf zwischendurch ein Lustspiel sein; Tragödien kommen in unserer Kultur von ganz allein. Oder, wissenschaftlich ausgedrückt: Vorbereitung auf das Alter hat zwei Ansätze, nämlich einmal die Ausräumung aller Bedingungen, die dem Alter negative Vorzeichen geben - das sind: Krankheit, Leiden, Depression, Einsamkeit, Rollenverlust und nicht zuletzt die soziale Diskriminierung -, und zweitens die Förderung aller Maßnahmenentwicklungen, die dem Alter positive Vorzeichen geben, wie die Förderung der Gesundheit, soziale Anerkennung, sinnvolles Tätigsein und vor allem Gemeinsamkeit mit jüngeren Menschen. Ganz besonders wichtig ist das Handeln nach dem Grundsatz: dem alten Menschen helfen, damit er sich selbst hilft.
In der Frage der flexiblen Altersgrenze tendiert die Bundesregierung mehr zu einer Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze, wenn sie es auch in der
Dr. Becker ({2})
freien Bestimmung des alten Menschen beläßt, den Zeitpunkt der Berentung selbst zu wählen. Hier sollten die Ergebnisse von in Ost und West durchgeführten Untersuchungen der letzten Jahre in die Überlegungen mit einbezogen werden. Kollege Burger hat bereits darauf hingewiesen.
Eindeutig spricht man sich überall gegen eine zu frühe Aufgabe der Berufstätigkeit aus und weist nach, daß eine frühzeitige Beendigung des Erwerbslebens sowohl zum Schaden der Gesellschaft als auch zum Schaden des einzelnen führt.
Zum Schluß möchte ich noch mit einigen Bemerkungen auf die Altersforschung und die spezielle Ausbildung der Medizinstudenten eingehen. Die Information des Arztes über die Bedeutung der einzelnen Lebensformen, über die sozialen Aspekte und ihre Einflußnahme auf Gesundheit und Krankheit kommt in der universitären Ausbildung zu kurz. Hier ist es notwendig, dies zu ändern, indem wir an den Hochschulen die Ausbildung und auch die Weiterbildung sowohl in der Gerontologie als auch in der Geriatrie stärker fördern.
Die Bedeutung des dritten Lebensabschnitts nimmt ständig zu. Helfen wir mit, Bedingungen für ein zufriedenes Alter zu schaffen, Schwerpunkte zu setzen und praktikable Lösungen zu finden! Zwei Dinge jedoch dürfen wir nicht vergessen: Erstens: Der alte Mensch kann nicht warten. Zweitens: Wir alle, auch die Jugendlichen, die Jungen werden einmal alt.
Als Abschluß beantrage ich die Überweisung unseres Entschließungsantrags an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fiebig.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich insbesondere an die Damen und Herren der Opposition wenden. Sie haben ja heute morgen ausgezeichnete Reden gehalten. Aber gestatten Sie mir, daß ich an der Qualität Ihrer Reden die Qualität dessen messe, was Sie schriftlich vorgelegt haben. Da entdekke ich doch einen bedauerlichen Unterschied. Das Schriftliche, das Sie vorgelegt haben, ist gar nicht so schön. In Ihren Reden waren Sie hundertmal besser. Ich nenne einige Beispiele. Warum fragen Sie eigentlich in Ihrer Großen Anfrage nach der „gefährlichen Verschärfung des Generationenkonfliktes" ? Warum formulieren Sie das nicht positiv und fragen: Wie positiv hat sich das Verhältnis der Generationen in der Bundesrepublik entwikkelt?
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Man kann alles negativ darstellen. Man kann es aber auch genau umgekehrt machen. Auch wenn Goethe in seinem Faust von dem Geiste spricht, der stets das Böse will und doch das Gute schafft,
so können sie sich mit diesem Geiste noch lange nicht messen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Ja, bitte.
Haben Sie vergessen, Kollege Fiebig, daß es die Bundesregierung und vor allen Dingen die SPD war, die diesen Generationenkonflikt dadurch heraufbeschworen haben, daß sie immer wieder nachdrücklich erklärt haben, die Rentner seien mit der Verbesserung ihrer Einkommenstruktur besser gefahren als die Aktiven?
({0})
Und haben Sie vergessen, daß diese statistischen Zahlen eben nicht die Wahrheit darstellen?
Verzeihung, Herr Kollege Burger, wir gehen von der Solidarität der Generationen aus, um ein gerechtes Verteilen aller Lasten und Pflichten zu erreichen.
({0})
Und wenn man dieses gerechte Verteilen in den Vordergrund stellt, dann kommt man zu der Solidarität zwischen den Generationen, die wir dringend brauchen. Warum haben Sie nicht nach der Solidarität der Generationen gefragt und danach, wie positiv sich diese Solidarität darstellt? Wir Sozialdemokraten gehen eben von der Solidargemeinschaft und dem Generationenvertrag aus. Dieser Generationenvertrag hat sich bewährt und wird sich weiter bewähren.
Herr Professor Kaltefleiter - keineswegs von der SPD - hat ja wieder einmal das Parteienprofil untersucht. Dabei hat er einmal mehr festgestellt, daß doch die Sozialdemokraten bei den Bürgern mehr Vertrauen .finden, was Stabilität und Sicherheit der Renten und der sozialen Frage insgesamt angeht.
({1})
Sehen Sie, da wird doch deutlich, daß es uns gelungen ist, die Tragfähigkeit des Generationenvertrages in der Bundesrepublik zu erreichen.
({2})
Nach unserer Meinung muß das individuelle Risiko des Lebensabends, des letzten Lebensabschnittes vom einzelnen auf die Gesellschaft übertragen werden. Was einmal als Invalidenversicherung Bismarckscher Prägung für wenige begonnen hatte, gilt heute für 95 °/o aller Bürger.
Wenn Sie nach der materiellen Sicherung des Alters fragen, welche Antwort haben Sie da eigentlich von der Bundesregierung erwartet?
({3})
Haben Sie die Antwort erwartet, das sei alles nicht so schön, nicht so gut?
Da gibt es eine Vorlage von Professor Biedenkopf, Vorsitzender der CDU in Westfalen-Lippe, an seinen Landesvorstand, in der es heißt: „Das soziale System ist an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gestoßen."
({4})
Was gilt denn nun bei der Opposition? Gilt das, was Sie hier formuliert haben, nämlich eine noch bessere materielle Sicherung des Alters, oder gilt das, was Biedenkopf gesagt hat? Entweder - oder, Sie müssen sich doch endlich einmal entscheiden!
Dann sagt Biedenkopf noch, das sei die Meinung aller drei im Bundestag vertretenen Parteien. Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich aber sagen: das ist Phantasie. Wir Sozialdemokraten sind im Gegensatz zu Herrn Biedenkopf der Meinung, daß noch sehr, sehr viel getan werden kann und getan werden muß.
({5})
Herr Biedenkopf sagt weiter:
Wir brauchen Energien zur Erneuerung, zur Übernahme individueller Risikobereitschaft und Eigenverantwortung.
Ja, gilt denn das auch für alte Menschen?, frage ich Sie als Verfasser dieses Antrags und dieser Anfrage. Es wäre doch ein unglaublicher Zynismus, wenn das auch für ältere Menschen gelten sollte und für diejenigen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, für die Querschnittsgelähmten, für die Behinderten, für die Obdachlosen und für wen auch immer. Alle diejenigen, die sich in einer besonderen Lebenssituation befinden, sind doch wohl darauf angewiesen, daß die Risikobereitschaft von der Gesellschaft getragen wird.
({6})
Herr Biedenkopf sagt ferner:
Die fortschreitende Verwirklichung sozialistischer Ordnungsvorstellungen in unserem Lande wie in anderen westlichen Industrieländern hat dazu geführt, daß wichtige Antriebskräfte unserer Gesellschaft erlahmen und der einzelne seine soziale Identität an kollektive Strukturen verliert.
Ich frage Sie: Was ist denn dann mit dem älteren Menschen, dessen Antriebskräfte erlahmen? Muß es da nicht soziale, ja, notwendigerweise kollektive Strukturen geben, die den älteren Menschen auffangen? Dann lasse ich mir gerne den Vorwurf des Kollektivismus gefallen. Ist die Sozialversicherung dann auch eine kollektive Struktur, die den einzelnen lähmt?
({7})
Hat nicht vielmehr eine Gesellschaft, die das Leistungsprinzip absolut setzt, allzu viele, ja gerade
auch ältere Menschen überfordert und gelähmt, so daß sie die Hilfe der Gesellschaft brauchen? Warum fühlen sich gerade ältere Arbeitnehmer überfordert? Liegt das nicht an einem inhumanen Leistungsdruck, der am Ende sogar zu totaler Leistungsverweigerung führen kann? Was geschieht mit den Menschen in unserem Lande, die n o c h nicht zur Leistung fähig sind, ,wie Kinder, oder die nicht mehr zur Leistung fähig sind, wie ältere Menschen? Herr Biedenkopf bleibt die Antwort schuldig. Er denunziert Vorsorge und Fürsorge als Kollektivismus.
Ich frage Sie: Wie kann man nach einer Diskriminierung der älteren Menschen durch die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze fragen? Warum fragen Sie nicht positiv? Dem älteren Arbeitnehmer werden durch die flexible Altersgrenze mehr Freiräume für seine individuelle Lebensgestaltung am Lebensabend gegeben. Das ist doch die Überlegung, die wir angestellt haben, als wir die flexible Altersgrenze eingeführt haben.
({8})
Ihr Antrag basiert ja im wesentlichen auf Ihrem Programm für ältere Menschen vom 23. Juli vergangenen Jahres. Da sagen Sie, die Rente nach Mindesteinkommen sei von Ihnen durchgesetzt worden.
({9})
Nein, das stimmt nun wirklich nicht. Wer hat denn wohl die Regierung gestellt? Das war doch wohl die sozialliberale Koalition. Und wenn Sie nun sagen, Sie hätten sich besondere Verdienste um die 3. Novelle des BSHG erworben, dann ist das ebenso zu bezweifeln. Herr Geisenhofer hat soeben gesagt, die CDU habe sich durch die Einrichtung der Sozialstationen besonders hervorgetan. Ich bitte Sie, Herr Geisenhofer, es wäre doch gut gewesen, Sie hätten den freien Wohlfahrtsverbänden dieses Verdienst gelassen, denn es waren die Caritas, die Innere Mission und die Arbeiterwohlfahrt, die diese Sozialstationen eingerichtet haben und auch betreiben.
({10})
Denen muß man doch wohl das Verdienst zuerkennen, wie überhaupt die freien Wohlfahrtsverbände auch auf dem Gebiet der Altenpflege Ungeheures leisten. Diesen Verbänden muß man doch wohl in erster Linie die Anerkennung aussprechen und sich nicht immer die Lorbeerkränze auf das eigene Haupt setzen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Fiebig, darf ich fragen, ob Sie sich wirklich nicht erinnern, daß die Regierung Brandt im Jahre 1972 durch das Fernbleiben des damals zurückgetretenen Wirtschaftsministers Schiller hier im Plenum die Minderheit hatte und daß die CDU/CSU dadurch die Rente nach MinFranke
desteinkommen mit einer Stimme Mehrheit hier im Deutschen Bundestag durchgesetzt hat?
({0})
Müssen Sie denn nun immer noch die Schlachten von vorgestern führen?
({0})
Fest stand seit 1969 auf dem Programm der sozialliberalen Koalition, den Kleinstrentnern und den kleinen Rentnern in erster Linie zu helfen. Das stand von Anfang an fest, als die sozialliberale Koalition die Regierung übernahm, und es war das Verdienst von Walter Arendt,
({1})
hier immer wieder darauf hinzuweisen und das zum politischen Programm zu machen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Herr Kollege Fiebig, nachdem der Herr Kollege Geisenhofer eine Frage von mir zugelassen hat, bin ich überzeugt, auch Sie werden sie zulassen. Die Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, daß die Rente nach Mindesteinkommen, die 1972 in diesem Hause beschlossen worden ist, vorher im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beschlossen wurde, und zwar auf Grund einer Initiative, die im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter der Federführung von Walter Arendt entwickelt worden ist?
Herr Kollege Glombig, ich danke Ihnen, daß Sie mir geholfen haben.
({0})
Ich gehöre nicht dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung an. - Ja, warum darf man das denn nicht offen zugeben? - Ehrlichkeit währt doch am längsten!
({1})
Aber im Ansatz, Herr Kollege Glombig, hatte ich dann aber auch richtig geantwortet, indem ich auf Walter Arendt hingewiesen habe. - Ich danke Ihnen, Herr Kollege Glombig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß damals der Herr Kollege Arendt
einen sogenannten Sockelbetrag einführen wollte und daß der Gesetzentwurf für Renten nach Mindesteinkommen an sich von uns kam?
({0})
Man kann ja über die Wege streiten, Herr Kollege Müller, entscheidend ist immer, daß man zum richtigen Ziel kommt und daß das Problem der Kleinst- und Kleinrenten beseitigt wurde. Wir können ja auch heute vielleicht noch etwas mehr an diesem Thema tun. - Aber die Zeit läuft; ich möchte gerne noch auf eines eingehen.
Herr Kollege Geisenhofer hat ausführlich davon gesprochen, wie es denn mit der Finanzierung der Aufwendungen für Pflege in Altenpflegeheimen steht. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort auf die Frage des Abgeordneten Horstmeier korrekt und zutreffend geantwortet hat:
Soweit es sich um die Behandlung von Krankheiten handelt, werden die Kosten für Versicherte von den Krankenkassen getragen. Zu den Kosten der Krankheitsbehandlung zählen nicht die Aufwendungen für die Unterbringung in Wohn-, Alten- oder Pflegeheimen. Soweit in einer Einrichtung Krankenhauspflege im Sinne der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung gewährt wird, übernimmt die Krankenkasse diese Kosten. Auf die Bezeichnung der Einrichtung, ob z. B. „Altenkrankenheim" oder „Altenkrankenhaus", kommt es nicht an. Entscheidend sind vielmehr die Verhältnisse im Einzelfall.
Das ist die korrekte Antwort gewesen, Herr Kollege Müller. Herr Geisenhofer, wenn Sie diese Forderung erheben, der Aufenthalt in einem Altenpflegeheim solle durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckt werden, dann müssen Sie auch sagen, wenn es jetzt um Kostendämpfung im Gesundheitswesen geht, wie denn das finanziert werden soll. Das möchten wir dann gerne von Ihnen hören. Soll denn das durch eine Beitragserhöhung in der Krankenversicherung finanziert werden? Dann müssen Sie auch das sagen und dürfen nicht diese Frage offenlassen.
({0})
Wir sind jedenfalls der Meinung, daß der bessere Weg ist, weiterhin die ambulanten sozialen Dienste auszubauen, nach Möglichkeit den Menschen in seiner altgewohnten Umgebung zu lassen und ihm dort Pflege zu gewähren.
Im übrigen kann man hier auch eine Lanze für die Familien brechen. Frau Minister Huber hat es schon gesagt, wie viele ältere Menschen in der eigenen Familie bleiben und von der eigenen Familie gepflegt werden. Das ist eine ungeheure Leistung, die die Familien in unserem Lande erbringen. Das muß man ja auch wohl mal positiv anerkennen und sollte nicht immer, wie Sie das in Ihren Fragen gemacht haben, alles so mit einem gewissen Hauch der Negativität umhüllen.
Zum Schluß möchte ich noch ganz kurz auf Ihren Entschließungsantrag eingehen. Das meiste davon betrifft ja die Länder und gar nicht die Bundesregierung. So fragen Sie nach einem Lehrstuhlangebot für Gerontologie. Das fällt in die Kulturhoheit der Länder. Auch in der Frage der altengerechten Ausstattung der öffentlichen Verkehrsmittel sind in erster Linie die Länder gefordert. Daß Sie eine Teilzeitbeschäftigung für ältere Menschen verlangen, ist sicher gut. Aber dann verlangen Sie bitte gleichzeitig mehr Teilzeitarbeit für Frauen, und sagen Sie uns, wie das bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation durchgeführt werden soll.
Wir stimmen der Überweisung Ihres Entschließungsantrags an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu. Wir werden dort zeigen, was wir Sozialdemokraten in die Politik für ältere Menschen einzubringen haben.
({1})
Ich möchte mit Worten meines Kollegen Glombig schließen, die er schon vor fünf Jahren geschrieben hat:
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ernst zu nehmen, das heißt auch und in besonderem Maße für die Belange der älteren Mitbürger einzutreten. Wir Sozialdemokraten werden uns von niemandem darin übertreffen lassen, für die älteren Menschen in unserem Lande einzutreten,
({2})
und wir bitten auch alle älteren Mitmenschen, selber mitzuhelfen, uns zu beraten und uns zu sagen, wo ihnen geholfen werden kann und wo ihnen geholfen werden muß.
({3})
Das Wort hat für etwa zwei Minuten der Herr Abgeordnete Franke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fiebig, Sie haben mit großem Schwung wenig liebevoll hier ein paar - ich will es mal so sagen - nicht ganz richtige Behauptungen aufgestellt. Ich betone hier noch einmal ausdrücklich: Die Rente nach Mindesteinkommen war Gegenstand eines Initiativantrags der CDU/CSU-Fraktion und ist mit ihrer Mehrheit im Deutschen Bundestag bei einer Minderheitsposition, die die Koalition damals hatte, durchgesetzt worden.
({0})
Zweitens. Herr Kollege Fiebig, ist Ihnen wirklich nicht bekannt - Sie haben den Eindruck erweckt, daß Sie das nicht wissen -: Wenn Sie den § 185 RVO ändern und insoweit z. B. die Krankenkassen, die es heute schon in vielen Bereichen durchführen, veranlassen, statt der Akutbettenbelegung mit Pflegesatzbeträgen von 150 bis 200 DM zur Errichtung von Pflegebetten für nicht akut Kranke beizutragen, wird das nicht zusätzliche, sondern mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weniger Beitragspunkte erfordern
({1})
und somit hier zu einer Ersparnis und Kostendämpfung beitragen.
Die letzte Bemerkung. Der Herr Kollege Fiebig hat sich hier mit einem meiner Kollegen, dem Professor Biedenkopf, auseinandergesetzt. Es gibt einen anderen Professor, einen von mir ebenfalls sehr geschätzten ehemaligen Kollegen dieses Hauses. Er hat folgendes gesagt:
Die Sozialpolitik steht vor der Frage: Wie soll es weitergehen? Darauf fällt vielen die Antwort schwer, und bei manchen Politikern stellt sich sogar Ratlosigkeit ein.
Ich glaube,
- so sagt dieser Professor, ein Minister der SPD; ich sage gleich den Namen daß diese Unsicherheit im wesentlichen drei Gründe hat:
- Ich nenne nur den ersten; Herr Kollege Fiebig, wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten darf:
Die Sozialpolitik hat in vielen Punkten finanzielle Grenzen erreicht. Die finanziellen Überschüsse der Sozialversicherungsträger sind so gut wie vollkommen erschöpft.
Das wurde vor eineinhalb Jahren in einer offiziellen Dokumentation der Reden von Professor Dr. Friedhelm Farthmann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, SPD-Mann, gesagt.
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Bei dem müssen Sie sich beschweren, wenn Sie diese grundsätzliche Auseinandersetzung weiter führen wollen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine mißliche Sache, hier so aus der Lamäng heraus Behauptungen aufzustellen, ohne entsprechende Nachweise zu bringen.
({0})
- Nein, ich spreche jetzt über Herrn Franke, Herr Hasinger, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben sollten.
({1})
- Das ist doch ein Vorgang, der sich ständig wiederholt. Wenn Herr Franke hier ans Pult geht, dann trägt er im Brustton der Überzeugung eine Sache vor, die eben immer nur halb richtig ist.
({2})
Richtig ist, daß der Gedanke einer Rente nach Mindesteinkommen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung entwickelt worden ist.
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- Ja, Sie wissen doch davon überhaupt nichts.
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- Ja, ja, gut. Aber damit wollen Sie doch wohl nicht sagen, daß die Beamten im Arbeitsministerium alles wissen.
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Herr Hasinger weiß als früherer Beamter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung darüber ganz bestimmt nichts. Er beweist mit seinen Zwischenrufen und seinen Bemerkungen immer wieder, daß er nicht alles weiß.
Ich will damit nur folgendes sagen. In der letzten Phase der Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur Rentenreform 1972 hat es in der Tat, wenn Sie so wollen ein Geben und Nehmen gegeben, z. B. was die Voraussetzungen für die Rente nach Mindesteinkommen auf der einen Seite und das Baby-Jahr auf der anderen Seite anlangte. Daß es darüber in den Ausschußberatungen sehr umfangreiche Verhandlungen sowohl innerhalb der Koalition als auch zwischen Koalition und Opposition gegeben hat, ist richtig. Aber die Behauptung, daß die Rente nach Mindesteinkommen hier erst in der zweiten oder dritten Lesung
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durch die CDU/CSU initiiert worden sei, kommt der geschichtlichen Wahrheit doch wohl nicht nahe.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Braun, Burger, Geisenhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2772. Es wird vorgeschlagen, diesen Antrag an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich vernehme keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Eingriffe an Verstorbenen zu Transplantationszwecken ({0})
- Drucksache 8/2681 Überweisungsvorschlag d. Ältestenrates: Rechtsausschuß ({1})
Ausschuß für Jugend; Familie und Gesundheit
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten zwölf Jahren hat eine größere Zahl von Staaten Transplantationsgesetze erlassen, so z. B. Dänemark im Jahr 1967, Norwegen im Jahr 1973, Schweden 1975, Italien 1975, Frankreich 1976. Nunmehr legt auch die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland den Entwurf eines solchen Gesetzes vor.
Worum geht es bei dieser Vorlage? Es geht darum, daß Tausenden von Mitmenschen Jahr für Jahr durch die Verpflanzung von Organen und Geweben das Leben gerettet oder doch eine fühlbare Erleichterung und Linderung ihrer Leiden verschafft werden kann. Tausende unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger wären taub, wenn Ihnen nicht durch Verpflanzung Gehörknöchel eingesetzt worden wären. 2 000 unserer Mitmenschen würden jedes Jahr erblinden, wenn die Medizin nicht imstande wäre, ihnen Augenhornhäute einzusetzen. Rund 1 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger könnten jährlich durch Nierenverpflanzungen von der quälenden Notwendigkeit regelmäßiger Dialysen befreit werden. Die Zahl der Fallgruppen und die Zahlen innerhalb der Fallgruppen werden in den nächsten Jahren zunehmen. Bis 1982 rechnen die Sachverständigen mit insgesamt über 15 000 Fällen von chronischer Niereninsuffienz, die eine Behandlung, sei es im Wege der Dialyse oder im Wege der Transplantation, erforderlich machen, wenn das Leben erhalten werden soll.
Das Anliegen dieser Vorlage ist also das Bestreben, in diesen Fällen zu helfen. Das auslösende Moment ist der Wunsch, Leben zu retten, das andernfalls enden würde, und Leiden zu lindern, Leiden, die gerade auch bei der Benutzung der Dialyse oft quälend werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es in erster Linie medizinischer Anstrengungen. Die Sachverständigen sind sich darüber einig, daß die Zahl der Ärzteteams und der Anstalten, in denen Einpflanzungen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft vorgenommen werden können - ich spreche jetzt von Niereneinpflanzungen -, vergrößert werden muß.
Dazu bedarf es auch medizinischer Anstrengungen in der Richtung, daß mehr Ärzte als bisher die Spendebereitschaft, die erklärt worden ist, dann auch tatsächlich durch die Entnahme nutzen, wobei ich darauf aufmerksam machen muß, daß meistens der entnehmende und der einpflanzende Arzt nicht identisch sind, sondern daß dies verschiedene Personen sind, die oft auch räumlich weit voneinander getrennt sind.
Um das genannte Ziel zu erreichen, bedarf es weiter einer steigenden Spendenbereitschaft, und zwar vor allen Dingen soweit es sich um das Spenden von Nieren handelt. Bei den Gehörknöcheln und auch bei den Augenhornhäuten ist die Situation wesentlich günstiger.
Hinsichtlich der Nieren nannte ich die voraussichtlichen Bedarfszahlen schon. Bisher sind die chronisch Niereninsuffizienten in unserem Lande in einem erheblichen Maße auf die beiden bestehenden europäischen Zentren in Aarhus und in Leiden angewiesen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß wir beide Zentren mehr in Anspruch nehmen, also öfters von dort Hilfe empfangen, als wir, umgekehrt, Spenden aus der Bundesrepublik dort zur Verfügung stellen können. Wir nehmen also die Hilfs- und Spendenbereitschaft anderer Völker seit Jahr und Tag stärker in Anspruch, als es unserem eigenen Beitrag entspricht.
Bei alledem ist zu bedenken, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz der Spendenbereitschaft medizinisch tatsächlich genutzt werden kann. Es entsteht draußen oft ein ganz falscher Eindruck, weil Hunderttausende von Spendenbereitschaftserklärungen mit Hunderttausenden wirklich verwendbarer und verfügbarer Organe gleichgesetzt werden. Es ist aber nur ein ganz geringer Prozentsatz, den ich jetzt nicht beziffern kann, ein fast verschwindend geringer Prozentsatz aller Fälle, in dem die Voraussetzungen für die Nutzung der Spendenbereitschaft wirklich gegeben sind.
Um das Ziel zu erreichen, bedarf es aber auch - ich setze das bewußt an die zweite Stelle, nicht an die erste - rechtlicher Regelungen, rechtlicher Klarheit. Insbesondere bedarf es der Klarheit in zwei Fragen: erstens in der Frage, von welchem Zeitpunkt an ein Organ entnommen werden darf, und zweitens, von welcher Äußerung, von welchem Verhalten, von welcher Willenserklärung des Verstorbenen vor seinem Tode die rechtliche Zulässigkeit der Entnahme abhängen soll.
Zur Frage des Zeitpunktes gibt es grundsätzliche Übereinstimmung. Die Entnahme darf erst geschehen, wenn der Tod des Spenders völlig zweifelsfrei feststeht. Dies ist im übrigen mehr eine Frage der subjektiven Beruhigung der Spender, nicht etwa Ausfluß einer Erkenntnis, daß Ärzte auf diesem Gebiet leichtfertig und verfrüht tätig würden. Es geht einfach um die subjektive Gewißheit und Beruhigung dessen, der sich in ärztliche Hand begibt. Über einige Detailprobleme, wie der Tod festgestellt wird, welche zeitlichen Abstände bestehen sollen, wird man sich verständigen. Der Bundesrat hat dazu bedenkenswerte Anregungen gegeben. Dies ist ein, wie ich meine, nicht besonders kompliziertes Problem.
Viel schwieriger ist die Beantwortung der zweiten Frage, von welchem Verhalten des Verstorbenen vor seinem Tode, von welcher Erklärung die Zulässigkeit der Entnahme abhängen soll. Hier stehen sich bekanntlich zwei Lösungen gegenüber: die sogenannte Widerspruchslösung und die sogenannte Einwilligungslösung. Bei der Widerspruchslösung ist die Entnahme immer dann zulässig, wenn der Personalausweis des Verstorbenen vorliegt und - ich komme noch auf den Punkt - in Form einer verdeckten Folie, die dann abgelöst werden kann, keinen Widerspruch erkennen läßt. Bei der Einwilligungslösung hingegen muß die Zustimmung des Verstorbenen bzw. - dies ist dann ein weiteres
kompliziertes Problem - an seiner Stelle die Zustimmung der nächsten Angehörigen nachgewiesen werden. Nach übereinstimmender Ansicht wird die Zahl der Organe, die für Hilfen zur Verfügung stehen, wohl bei der Widerspruchslösung größer sein als bei der Einwilligungslösung.
In den jahrelangen gründlichen Vorarbeiten und Diskussionen haben sich für die Widerspruchslösung unter anderem ausgesprochen: die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung der Transplantation und der Sektion mit sehr großer Mehrheit, die Bundesärztekammer in einer förmlichen Stellungnahme im Jahre 1975, die Gesundheitsministerkonferenz, ich glaube bei einer Enthaltung und einer Gegenstimme, im übrigen einstimmig in ihrer Sitzung vom 9. und 10. November 1977, mehrere Gesundheitspolitiker aller politischen Richtungen, auch Gesundheitspolitiker der Union, etwa Herr Staatssekretär Prof. Dr. Beske aus Schleswig-Holstein und namentlich wiederholt unsere Kollegin Frau Dr. Neumeister. Für die Widerspruchslösung hat sich weiter ausgesprochen ein Gesetzentwurf der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus vom 24. Februar 1978, der übrigens noch einen kleinen Schritt weitergeht und nicht jeden Widerspruch respektieren will, sondern nur den Widerspruch, der weltanschaulich oder religiös motiviert ist. Für die Widerspruchslösung haben sich die geltenden gesetzlichen Regelungen in Dänemark, Norwegen, Schweden, Italien und Frankreich ausgesprochen, wenn auch in unterschiedlicher Detailregelung. Für die Widerspruchslösung schließlich hat sich auch eine Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedstaaten vom Mai 1978 ausgesprochen.
Demgegenüber haben die Einwilligungslösung unter anderem befürwortet: das Kommissariat der katholischen Bischöfe in einer Erklärung aus dem letzten Jahr, der Präsident der Bundesärztekammer Herr Dr. Vilmar in einer Erklärung vor einigen Monaten, eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestags quer durch das Haus, einige Kollegen auch mit der Hinzufügung, daß die Einwilligungslösung verbunden werden sollte mit einem stärkerem Engagement insbesondere der gesetzlichen Krankenkassen auf dem Gebiet der Werbung und der Bemühung um Spendenerklärungen.
Zwischen diesen beiden Lösungen geht es nicht um juristische Spitzfindigkeiten - wie Schweigen auszulegen ist, etwa nach dem Grundsatz, wer schweigt, scheint zuzustimmen -, sondern es geht um eine Abwägung, wie sie der Gesetzgeber häufig vornehmen muß. Wir haben auf der einen Seite das verständige und berechtigte Interesse des einzelnen an der Integrität seines Körpers über seinen Tod hinaus. Auf der anderen Seite steht das Interesse des Hilfsbedürftigen, der leidet oder der sogar sein Leben verliert. Diese beiden Gesichtspunkte müssen gegeneinander gewogen werden.
Nun gibt es drei Fallgestaltungen, von denen zwei Fälle völlig unproblematisch sind. Es wird wohl keine Auseinandersetzung darüber geben, wie die Abwägung in den Fällen auszugehen hat, in
denen der Verstorbene vor seinem Tod ausdrücklich zugestimmt hat; dann ist die Abwägung klar. Ich meine - dies ist eine kleine Nuance zu dem Berliner Entwurf, von dem ich gesprochen habe -, die Sache ist auch dann klar, wenn der Betreffende ausdrücklich erklärt, nein, er möchte seine Integrität wahren. Dann fällt die Abwägung zu seinen Gunsten aus.
Schwierigkeiten macht uns der dritte Bereich. Zu welchem Ergebnis führt die Abwägung, wenn sich der Betroffene zu Lebzeiten nicht geäußert hat, obwohl er informiert war und zur Äußerung Geleheit hatte, aus Gründen, die man ebenfalls verstehen kann: ein junger Mensch, der mit dem Gedanken an seinen Tod nicht konfrontiert werden will; einer, der nicht sicher ist, wie er sich entscheiden soll; vielleicht auch einer, dem andere Dinge wichtiger sind als die Auseinandersetzung mit dieser Frage. Hier muß die Antwort gesucht werden. Ich sage für die Bundesregierung ausdrücklich: Es muß eine Antwort sein, die in diesem Hause und dann auch im Bundesrat von einer breiten Mehrheit getragen wird.
Dieses Thema eignet sich mit Sicherheit nicht für eine zugespitzte, etwa sogar noch ideologische Auseinandersetzung. Es eignet sich auch nicht für Polemik. Es eignet sich erst recht nicht, so oder so, für den Wahlkampf. Wir müssen bei den Beratungen eine sorgfältige Abwägung versuchen, und wir müssen den Rat der Kundigen hören.
Ich füge allerdings noch einmal hinzu: Im Rahmen dieser Beratungen wird die Bundesregierung den Standpunkt vertreten, daß die Abwägung bei dieser Gruppe zu dem Ergebnis führen sollte, daß das Interesse des Leidenden, daß der, um dessen Leben es geht, den Vorrang gegenüber der Integrität dessen haben sollte, dem diese Integrität nicht so dringlich vor Augen stand, daß er dazu eine Erklärung, einen Widerspruch abgegeben hat, obwohl er es konnte.
Ich sage noch einmal, wir sind bereit, offen an der Diskussion teilzunehmen. Man wird auch beobachten müssen, ob die wachsende Spendenbereitschaft der Bevölkerung, die diese Diskussion ausgelöst hat, anhält. Wir begrüßen dankbar und mit großer Anerkennung all die Aktivitäten, die in letzter Zeit von vielen Organisationen und Einrichtungen, auch im kirchlichen Bereich beispielsweise, in Gang gekommen sind, auch von Städten.
Wir bitten aber, bei dieser Erwägung und Abwägung und bei dieser Entscheidung noch drei Dinge zu bedenken.
Erstens. Es wird nicht leicht sein, die freiwillige Spendenbereitschaft durch ständige Werbung über Jahre hin auf dem hohen Niveau zu halten. Es ist leichter, einmal durch eine große Anstrengung die Bereitschaft sehr zu fördern. Dies hier würde aber bedeuten, daß wir die Bereitschaft über lange, lange Jahre hin erhalten und noch steigern müssen. Sie wissen, daß dies auch bei anderen wichtigen Anliegen nicht leicht ist.
Zweitens. Wir werden den anderen Ländern gegenüber, die gespendete Organe in Aarhus und in
Leiden zur Verfügung stellen und die selber die Widerspruchslösung haben, zu irgendeinem Zeitpunkt erklären müssen, warum wir Organe in Anspruch nehmen, die aus Ländern mit Widerspruchslösung stammen, wenn wir nicht in der Lage sind, mit unserer Lösung mindestens in gleichem Umfang zu helfen. Diesen Punkt müssen wir in der Beratung noch sorgfältig beleuchten.
Dann ein dritter Gesichtspunkt, den ich nicht verschweigen darf, obwohl ich mir seiner Problematik bewußt bin. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen sollten, daß der Eingriff in die Integrität, den die Entnahme einer Niere, eines Organs oder eines Gehörknöchels oder einer Augenhornhaut darstellt, nur zulässig sein darf, wenn der Betreffende dies ausdrücklich vorher erklärt hat, dann werden wir nur schwer umhin kommen, eine ähnliche Konsequenz für die viel einschneidenderen Eingriffe in die Integrität in den vielen Fällen der Obduktion, der Sektion, der Leichenöffnung, der Ausbildung in Anatomie usw. zu erwägen. Ich appelliere an das Verantwortungsbewußtsein aller, die auf diesem Gebiet schon sachkundig sind oder sich in der weiteren Beratung sachkundig machen, diese Konsequenz zu sehen, daß man den schweren Eingriff in die Integrität - und wer einmal eine Leichenöffnung miterlebt hat, weiß, daß dieser Eingriff schwerer ist als der Schnitt, der etwa zur Entnahme einer Augenhornhaut führt - nicht von einer leichteren Voraussetzung abhängig machen kann als den milderen. Dies wird in unseren Beratungen ebenfalls mit Ernst erwogen werden müssen.
Ich berühre noch einen letzten Punkt, den ich aber nach dem Stand der Diskussion für unproblematisch halte. Ich glaube, es besteht allgemeine Einigkeit - dazu hat dankenswerterweise auch der Bundesrat beigetragen -, daß die Willensentscheidung des Betreffenden, ob wir nun zur Einwilligungslösung oder zur Widerspruchslösung kommen, im Personalausweis in einer Art und Weise vermerkt werden muß, die nicht nur vor denen verborgen bleibt, denen man den Ausweis zeigt, sondern auch vor dem verborgen bleibt, der den Ausweis ausstellt. Es ist heute mit Hilfe der Folienlösung möglich, daß nur der Betreffende selbst weiß, was er er erklärt hat und wie seine Entscheidung lautet. Dies ist in der Tat ein Intim- und Privatbereich nicht nur all denen gegenüber, denen man den Ausweis zeigt, sondern, so behaupte ich, auch dem ausstellenden Beamten gegenüber, so daß diese Entscheidung das höchstpersönliche Geheimnis des einzelnen bleiben muß.
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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben im letzten Monat eine Diskussion über ein Thema geführt, das sicher in ganz anderer Richtung ganz erhebliche Bedeutung hat. Die Öffentlichkeit hat dankbar und angenehm empfunden, daß dies in großer Sachlichkeit und mit großem Ernst geschehen ist. Ich meine, daß wir auch bei diesem Thema sehr gut beraten sind, wenn wir es so sachlich weiterführen, wie dankenswerterweise - von zwei, drei Mißtönen mehr im publizistischen Bereich abgesehen - bisher die Diskussion dieser Frage
verlaufen ist, und wenn wir bei allem, was wir sagen, immer auch die Menschen sehen, die leiden, insbesondere die, die bei der Dialyse in einer Abhängikeit von einer Maschine leben und auch subjektiv unter Empfindungen stehen, bei denen es einfach unsere Verpflichtung ist, zu tun, was wir können, um ihnen das Leben ein bißchen leichter und erträglicher zu machen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat - und der Bundesminister der Justiz war sich in seinen Ausführungen dieser Tatsache ganz offenkundig bewußt - dem Haus einen Entwurf vorgelegt, von dem seit Monaten erkennbar ist, daß er in dieser Form die Zustimmung des Hauses schwerlich finden wird. Auch der Bundesrat hat ihm bereits widersprochen. Ich meine, es wäre der Sache - und da stimme ich dem Bundesminister der Justiz voll zu -, die ein gemeinsames Anliegen ist, dienlich, wenn die Bundesregierung in den folgenden Beratungen ein größeres Maß an Flexibilität an den Tag legen würde, als dies bisher der Fall war. Ich möchte eigentlich auch die heutigen Ausführungen von Herrn Minister Vogel dahin deuten, daß dies der Fall sein wird.
Über die Regelungsbedürftigkeit des Problems besteht kein Zweifel. In der Bundesrepublik Deutschland besteht ein wachsender Bedarf an Transplantaten, der aus dem Inland zur Zeit nur in Teilbereichen gedeckt werden kann. Einer - das zeigen Umfragen - abstrakt großen Bereitschaft, sich als Organspender im Falle des Ablebens zur Verfügung zu stellen, steht eine offenbar beträchtliche Skepsis gegenüber, wo es darum geht, die konkrete Entscheidung zu treffen. Politisch geht es darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der steigende Bedarf an Transplantaten ohne für die Betroffenen quälende Verzögerung und - auch darin stimme ich Herrn Vogel zu - auch ohne unbescheidene Inanspruchnahme ausländischer Angebote befriedigt werden kann.
Der Herr Minister hat einige Zahlen genannt; ich möchte ein weiteres Beispiel, das die Dringlichkeit der Problemregelung deutlich macht, hinzufügen. In der Bundesrepublik werden zur Zeit 7 000 Patienten im Endstadium des chronischen Nierenversagens mit Dialyse behandelt. Die Zahl dieser Patienten wird sich in absehbarer Zeit pro Jahr und pro eine Million Einwohner um 40 erhöhen, so daß in Zukunft auf jede Million Einwohner mit maximal 400 Dialysepatienten zu rechnen ist.
Ein Dialysepatient ist in seiner Leistungsfähigkeit erheblich reduziert; er ist zu 100 % arbeitsunfähig. Die künstliche Niere kann nur 7 % der natürlichen Nierenfunktionen substituieren. Der Dialysepatient braucht drei Behandlungen pro Woche, die jeweils zwischen 400 und 700 DM kosten.
Die Nachfrage nach Spendernieren übersteigt in der Bundesrepublik das Angebot um 100 %. Das bedeutet, daß der Dialysepatient heute in der Regel 24 Monate auf eine Spenderniere warten muß, und dies angesichts der Tatsache, daß die Nierentransplantation inzwischen eine anerkannte Heilmethode ist, die die Lebenserwartung um 15 bis 20 % zu steigern vermag.
Einer der Gründe dafür, daß Transplantate, insbesondere Nierentransplantate, die ja auch - lassen Sie mich dies am Rande sagen - für die rechtliche Regelung ganz anders qualifizierte Probleme aufwerfen als die oft in einem Atemzug mit ihnen genannten Gehörknöchelchen und Augenhornhäute, zur Zeit in der Bundesrepublik nur in ganz unzureichender Zahl zur Verfügung stehen, ist die auf diesem Gebiet herrschende Rechtsunsicherheit. Sie erschwert die Lage der behandelnden Ärzte und die psychologische Situation der als Spender in Betracht kommenden Personen. Hier setzt die Aufgabe des Gesetzgebers ein.
Der inzwischen dem Bundestag vorliegende Regierungsentwurf folgt, wie wir eben gehört haben, der sogenannten Widerspruchslösung. Diese Widerspruchslösung mutet dem Bürger zu, noch zu Lebzeiten einen etwaigen Widerspruch gegen eine Organentnahme zu äußern. Der Widerspruch soll dann in den Personalausweis eingetragen werden.
Der Bundesrat hat demgegenüber einen Entwurf beschlossen, der auf der sogenannten Einwilligungslösung beruht, die vorsieht, daß grundsätzlich - ich betone: grundsätzlich - eine Organentnahme nur bei urkundlich belegter Zustimmung des Verstorbenen oder nach Zustimmung seines nächsten Angehörigen erfolgen darf.
Meine Fraktion gibt der Einwilligungslösung aus den folgenden Gründen den Vorzug. Die Widerspruchslösung berücksichtigt das fortwirkende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen und das Totensorgerecht der Angehörigen nicht hinreichend. Sie nimmt nicht die gebotene Rücksicht auf die Trauer der Hinterbliebenen. Die Widerspruchslösung bevormundet den Bürger, dessen oft beschworener, aber häufig nicht beachteter Mündigkeit nur eine Lösung angemessen ist, nach der er sich aus eigener Einsicht und Überzeugung. zu einer Einwilligung in die Organentnahme entschließen kann.
Der Widerspruchslösung steht auch der allgemeine Rechtsgrundsatz entgegen, nach dem Schweigen nicht als Zustimmung gewertet werden kann. Herr Bundesminister, ich vermag diesen Rechtsgrundsatz - zumal in einer freiheitlichen Rechtsordnung - nicht als juristische Spitzfindigkeit abzutun.
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Schließlich macht es sich die Widerspruchslösung zunutze - das ist nach meinem Empfinden eine Frage der sozialen Gerechtigkeit -, daß viele Bürger von einer Widerspruchserklärung vor der zuständigen Behörde absehen werden, weil sie den Gedanken an ihren Tod verdrängen oder sich scheuen, bei der Behörde einen besonderen Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs . zu stellen. Das
Dr. Klein ({1})
trifft, wie wir wissen, Herr Minister, im besonderen auf jene Bevölkerungskreise zu, denen es auch sonst allgemein schwerfällt, sich gegenüber einer Behörde zu artikulieren.
Sie sagen, vermutlich werde bei einem Einschwenken auf die Widerspruchslösung die Zahl der Transplantate größer sein als im Falle einer Einwilligungslösung. Das mag sein, obwohl wir uns hier natürlich im Bereich des Spekulativen bewegen. Aber ich gebe angesichts der ja nicht nur in diesem Bereich leicht zu schürenden Emotionen auch zu bedenken, ob nicht für den Fall, daß - publizistisch wirksam - einmal eine mißbräuchliche oder voreilige Organentnahme bekannt wird, die Stimmung ins gerade Gegenteil umschlagen kann mit der Konsequenz, daß dann sehr viel weniger Transplantate zur Verfügung stehen.
Das zweite wichtige Problem - Sie haben es ,auch angesprochen - im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf ist die Festlegung des Zeitpunkts, von dem an die Organentnahme zulässig ist. Der Regierungsentwurf stellt gesetzestechnisch eine Regelung in den Mittelpunkt, die bestimmt, daß die Organentnahme nach Ablauf von drei Stunden nach dem endgültigen Stillstand des Kreislaufes erfolgen darf. Unter medizinischen Gesichtspunkten ist dieser Fall nun relativ uninteressant, weil - abgesehen von Augenhornhaut und Gehörknöchelchen - der Kreislauftote für eine Transplantatentnahme nicht mehr in Betracht kommt.
Vom medizinischen Standpunkt aus ist der Gehirntod, also der Zeitpunkt des Verlustes der Gehirnfunktionen, der maßgebende Zeitpunkt. Um die Brauchbarkeit der zu entnehmenden Transplantate zu erhalten, muß infolgedessen nach Eintritt des Gehirntodes der Kreislauf oft künstlich aufrechterhalten werden.
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Nun gibt es aber auch Fälle, in denen ohne künstliche Nachhilfe auch nach dem Erlöschen der Gehirnfunktionen die Atmung und der Kreislauf des Patienten noch intakt sind. Es wird sogar von Fällen berichtet, in denen Gehirntote wieder genesen sind.
Dieser Sachverhalt macht deutlich, daß angesichts des berechtigten medizinischen Interesses an einer möglichst frühzeitigen Organentnahme an dieFeststellung des Todes strengste Anforderungen gestellt werden müssen. Der Regierungsentwurf sieht dafür ein Verfahren vor, das ich im einzelnen nicht referieren will. Im Unterschied zum Regierungsentwurf verzichtet der Bundesrat auf materielle Kriterien zur Bestimmung des Todeszeitpunktes und sieht statt dessen vor, daß das Todesfeststellungsverfahren in jedem Falle durchgeführt werden muß. Das deckt sich mit dem im Regierungsentwurf vorgeschlagenen, jedoch enthält der Entwurf des Bundesrats die - wie mir scheint, notwendige - ergänzende Vorschrift, daß die Ärzte, die die Bestätigung erteilen, im Zeitpunkt der Feststellung des Todes nicht Weisungen eines Arztes unterworfen sein dürfen, der an dem Eingriff oder den genannten Maßnahmen beteiligt ist.
Die Überlegungen dazu sind nicht abgeschlossen. Das Ziel ist klar: Den Ärzten muß eine klare Rechtsgrundlage zur Verfügung gestellt und den Patienten muß die Sicherheit gegeben werden, daß ihnen Organe nicht vorzeitig entnommen werden.
Die dritte Frage, in welcher Form das Einverständnis dokumentiert werden soll, ist mehr technischer Natur. Ich will sie, da meine Redezeit abgelaufen ist, nicht mehr ausbreiten.
Alle diese Fragen werden einer sorgfältigen, aber auch, wie ich meine, zügigen Beratung zugeführt werden müssen; denn die drängenden Probleme der Patienten, die der Bundesminister zutreffend und eindringlich geschildert hat, zwingen uns zu einer baldigen und guten Lösung.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bardens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute in erster Lesung mit diesem Gesetzentwurf. Das heißt zugleich, daß wir die Ausschußberatungen nicht vorwegnehmen sollten - sonst wäre das, was wir im Ausschuß zu tun haben, eine Farce -, aber auch, daß wir uns hier nicht endgültig festlegen sollten, daß wir keine endgültigen Festlegungen vortragen sollten, Herr Kollege Klein. Wir haben gründlich zu beraten und uns dann zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, ich will hier nicht vieles von dem, was zur Technik und zur Vorgeschichte schon vorgetragen wurde, wiederholen. Nur ein paar Sätze: Die moderne Transplantationschirurgie bietet, wie schon gründlicher ausgeführt wurde, heute Heilungsmöglichkeiten, die vor wenigen Jahren noch nicht vorstellbar waren. Es ist auf die Möglichkeit, Schwerhörigkeit durch eine solche Operation zu beheben, und auf die Möglichkeit, Erblindung zu vermeiden, hingewiesen worden. Vor allem wurde auf die großen Probleme hingewiesen, die gelöst werden müssen, wenn wir dem chronisch Nierenkranken helfen wollen.
Die neuen Möglichkeiten der Chirurgie sind tatsächlich segensreich. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, daß sie auch angewandt werden können.
In der täglichen Praxis sind einige Probleme aufgetaucht, die durch den vorliegenden Gesetzentwurf so weit wie möglich gelöst werden sollen. Zum einen fehlt bisher für das ärztliche Handeln in diesem Bereich eine ausreichende Rechtsgrundlage. Schon deshalb muß ich der gelegentlich geäußerten Meinung widersprechen, daß es ohne Gesetz besser ginge als mit einem Gesetz.
Eine andere große Schwierigkeit, die wir möglichst beseitigen müssen, ergibt sich daraus - auch darüber ist schon ausführlich gesprochen worden -, daß wir zur Zeit zu wenig Organspenden haben. Immerhin können z. B. in den skandinavischen Ländern im Verhältnis zur Einwohnerzahl vier- bis fünfmal
so viele Nieren transplantiert werden wie bei uns. Das ist aber wahrscheinlich nicht nur auf anders formulierte Rechtsvorschriften zurückzuführen, sondern möglicherweise auch auf mehr Öffentlichkeitsarbeit, vielleicht aber auch auf eine stärkere soziale Motivation in den Gesellschaften dort. Dies alles sollten wir mit bedenken und mit untersuchen.
Umfragen haben aber immerhin ergeben, daß weit über die Hälfte unserer Mitbürger mit einer Organentnahme nach ihrem Tod einverstanden wäre. Diese breite Hilfsbereitschaft im Interesse schwerkranker Menschen nutzbar zu machen, ist eine außerordentlich wichtige, und, wie ich meine, gemeinsame Aufgabe. Auch für die Erfüllung dieser Aufgabe wird es hilfreich - ich meine sogar: notwendig - sein, eine gesetzliche Regelung zu beschließen, die den Menschen eine zumutbare und würdige Mitwirkungsmöglichkeit bei der Entscheidung über ihren eigenen Körper gibt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht hierfür die Widerspruchsregelung vor. Wer also verhindern will, daß nach seinem Tod zu Heilzwecken Organe aus seinem Körper entnommen werden, soll dies durch eine geeignete Dokumentation in seinem Personalausweis sicherstellen können. Die Befürworter dieser Regelung vertreten die Auffassung, daß nur so die notwendige Zahl von Organen zur Verfügung stehen könne. Ihr Motiv ist also achtbar und bedenkenswert, vor allem auch, weil sie den Heilungsanspruch des Kranken in den Vordergrund stellen. Einige wenige recht unqualifizierte Angriffe auf die Entwurfsautoren werden deshalb dieser sehr ernsten Sache auch nicht gerecht.
Auf der anderen Seite sind aber auch die Argumente der Vertreter einer Einwilligungsregelung beachtlich. Ich will diesen Argumenten noch ein weiteres hinzufügen, um zu erklären, warum ich persönlich zur Einwilligungsregelung neige. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu § 223 des Strafgesetzbuches - Körperverletzungsdelikte - sind ärztliche Behandlungen nur dann nicht rechtswidrig, wenn unter anderem die Einwilligung des Betroffenen vorliegt. Eine Rechtfertigung ärztlicher Heilmaßnahmen durch das Fehlen eines Widerspruchs gibt es bisher weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung.
Nun befaßt sich ja das vorliegende Gesetz nicht mit Heilmaßnahmen, sondern nur mit der Entnahme von Organen aus dem Körper Verstorbener. Es ist also eigentlich ein reines Explantationsgesetz. Aber die Explantation muß meines Erachtens mit der Übertragung dieses entnommenen Organs auf einen Empfänger als eine Einheit gesehen werden und wird damit eben zum Teil einer ärztlichen Heilmaßnahme. Ärztliche Heilmaßnahmen sollten nach meiner Überzeugung immer den gleichen Kriterien und Voraussetzungen unterworfen bleiben. Im Interesse eines überschaubaren einheitlichen Arztrechtes würde ich also gern die Einwilligungsregelung wählen. Im übrigen meine ich, daß bei entsprechender Aufklärung, Werbung und bei einfachen organisatorischen Voraussetzungen für die Dokumentation die vorhandene breite Hilfsbereitschaft unserer Mitbürger voll wirksam werden wird. In der Gesetzesbegründung steht - das ist nach meiner Meinung richtig -, daß der Gesetzentwurf fragmentarisch bleiben mußte, daß andere durchaus regelungsbedürftige Fragen, die mit der inneren Leichenschau, der anatomischen Sektion und ähnlichen Problemen zusammenhängen, vorerst nicht mit geregelt werden konnten, weil eben die Regelung des Transplantationsrechts dringend ist und Vorrang haben muß.
Ich bin der Bundesregierung durchaus dankbar, daß sie deutlich macht, daß dies keinen Verzicht auf eine Gesamtregelung bedeutet. Der Herr Minister hat vorhin auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dieser gesetzlichen Regelung und den nachfolgenden Regelungen für die Sektion und für die Leichenschau hingewiesen. Selbstverständlich sollte man die Folgewirkung der Gesetze, die wir jetzt erarbeiten, immer mit bedenken. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen dem, was wir jetzt regeln, und dem, was in einem neuen Gesetz über die Leichenschau und über die Sektion geregelt werden muß. Leichenschau und Sektion sind nie Teil einer ärztlichen Heilmaßnahme. Sie sind rechtlich - wenn man das Ärzterecht berücksichtigt - etwas völlig anderes. Ich glaube nicht, daß wir uns jetzt - etwa in den Ausschußberatungen - mit diesen Fragen sehr befassen müssen.
In diesem Zusammenhang darf ich an eine Formulierung von Frau Minister Donnepp erinnern, die in der Bundesratsdebatte für das Land Nordrhein-Westfalen Stellung nahm. Sie sprach von den umfassenden Aufgaben, unter denen die Lösung der Transplantations- und Sektionsproblematik nur einen Ausschnitt darstelle, und sagte dann wörtlich: Ich meine die gesetzlich Regelung des gesamten Rechts der ärztlichen Heilbehandlung. Die Zeit ist wirklich reif dafür, daß sich der Gesetzgeber - wie es ja auch im Gesetzgebungsprogramm der Bundesregierung steht - nunmehr damit befaßt und sich dieser Aufgabe unterzieht.
Die bisherige Debatte sowohl im Bundesrat als auch hier im Hause hat meines Erachtens gezeigt, daß wir bei einigem guten Willen die Sache im Ausschuß ohne jede störende Polemik angemessen behandeln können. Ich hoffe, daß wir eine Regelung finden werden, die kranken Menschen mehr Hilfe bietet als bisher und die eine menschenwürdige Praxis ermöglicht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine drei Vorredner haben schon deutlich gemacht, daß es Möglichkeiten gibt, in dieser Frage zu einem breiten Konsens zu kommen. Gestatten Sie mir trotzdem, daß ich Sie bitte, sich einen Augenblick Ihrer Phantasie zu überlassen: Stellen Sie sich folgende Szene - sagen wir einmal im Sommer 1986 - vor. In eiSpitzmüller
nem Freibad stolzieren ein paar gutgewachsene junge Männer und Frauen mit etwas hochmütigem Blick über den Rasen. Sie kümmern sich scheinbar überhaupt nicht um die vielen anderen Badegäste, von denen sie mit einer Mischung aus Neugier und Betretenheit angestarrt werden. In Wirklichkeit genießen sie das Aufsehen, das sie erregen, und das heimliche Ansehen, das aus der Vielzahl stummer Blicke spricht. Die jungen Herrschaften tragen nämlich - das ist der Grund des allgemeinen Aufsehens - auf dem linken Arm in die gebräunte Haut ein deutlich sichtbares „d" eintätowiert. Seit dem Erlaß des neuen, international verabredeten Transplantationsgesetzes, über das die Presse wiederholt berichtet hat, wissen die Leute, was das bedeutet: „donor" bedeutet Spender und ist die international vereinbarte Bezeichnung für Menschen, die im Falle ihres Todes als Spender verpflanzbarer Organe in Frage kommen.
Welch eine Vision! Es kann einem dabei kalt über den Rücken laufen. Diese utopisch anmutende Szene ist nicht etwa frei erfunden und auch nicht dem Zukunftsroman „1984" von Orwell oder dem Roman „Schöne neue Welt" von Huxley entnommen. Nein, der Vorschlag für das eintätowierte „d" wird in einem 1969 in Stuttgart erschienenen Buch über Transplantationschirurgie gemacht.
Ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen, wir Parlamentarier sollten uns in der Tat bei dem heiklen Gesetzentwurf, dessen Beratung wir heute beginnen, auch mit ein wenig Phantasie in die psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen hineindenken, die der eine oder andere Vorschlag praktisch einmal haben könnte. Denn bei diesem Gesetz haben wir es mit einem hochsensiblen Rechtsgut zu tun, um dessen mögliche Einschränkung im Dienste der Allgemeinheit es geht, um das Persönlichkeitsrecht des einzelnen. Unsere Verfassung hat dieses Recht nicht von ungefähr an die Spitze ihrer Grund-und Freiheitsrechte gestellt. Das Persönlichkeitsrecht ist Ausfluß der Menschenwürde, die das Grundgesetz als obersten Verfassungswert unbedingt schützen will. Diesen Vorrang des Persönlichkeitsrechts behaupten nicht etwa nur Verfassungsjuristen; auch die ganz überwiegende Mehrheit der Bürger wird das so empfinden.
Täuschen wir uns nicht. Die Fragen der Transplantation, insbesondere der Explantation von Organen beim Spender gehen den Leuten, wenn sie damit erst einmal etwas näher konfrontiert sind, buchstäblich unter die Haut. Wir dürfen hier keine vorschnelle Entscheidung treffen, auch keine Entscheidung, die das Persönlichkeitsrecht stärker einschränkt als unbedingt notwendig. An sich ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel zum erstrebten Zweck für den Gesetzgeber heute eine Selbstverständlichkeit, aber es wird gelegentlich trotzdem dagegen verstoßen.
Das Persönlichkeitsrecht enthält zwei verschiedene Werte, um deren Schutz es uns Freien Demokraten bei der Transplantationsregelung gehen muß,
nämlich den Schutz der Intimsphäre, insbesondere der Vertraulichkeit einer wie auch immer getroffenen Entscheidung als Ausfluß des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Zunächst zur Vertraulichkeit. Sie werden es bei meinem eingangs vorgeführten Beispiel gewiß alle als abenteuerlich empfunden haben, die Eignung eines Menschen als Organspender, selbst wenn sich der Betreffende freiwillig zur Verfügung gestellt hat, durch Tätowierung markieren zu wollen. Die Älteren unter uns erinnern sich noch mit Grauen an jene Eintätowierungen im Dritten Reich.
Bevor ich überhaupt auf die seit langem kontrovers erörterten Lösungsmodelle für die Zulässigkeit der Transplantation zu sprechen komme, die Widerspruchs- oder die Einwilligungs- bzw. Zustimmungslösung, will ich dies vorab deutlich machen: In jedem Fall sollte die höchst private Entscheidung eines Menschen, ob er nach seinem Tod der Verwendung von Teilen seiner Leiche zur Verpflanzung in den Körper anderer Menschen zustimmt oder widerspricht, absolut vertraulich bleiben und gegen jede unbefugte Einsicht geschützt sein. Technische Verfahren zur verdeckten Eintragung einer Organspendeentscheidung in den Personalausweis sind in den letzten Monaten seitens der Bundesregierung, des Bundesrates, der Bundesärztekammer und anderer Stellen wiederholt angesprochen worden. Die Einzelberatungen in den Ausschüssen und eine Anhörung von Sachverständigen können uns gerade in dieser Frage weiterbringen.
Doch nun zu der für uns Freie Demokraten grundlegenden Frage der Freiwilligkeit jeder Organspendeentscheidung. Meine Fraktion hat sich bereits im September des vergangenen Jahres vor Wiederbeginn der Parlamentsarbeit auf einer Klausursitzung einstimmig für die Einwilligungslösung ausgesprochen. Die gesamte Fraktion ist auch heute noch einhellig der Meinung, daß wir die Zulässigkeit von Organtransplantationen nur mit der ausdrücklichen Zustimmung legitimieren dürfen. Wo kommen wir hin, wenn wir generell in Fällen, in denen Entscheidungen .allein unter persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten sind, die allgemeine juristische Regelung „Schweigen gleich Zustimmung" einführen würden? Dies erscheint uns nicht möglich.
Insoweit können .wir uns mit dem modifizierten Widerspruchsmodell des Regierungsentwurfs nicht einverstanden erklären. Ich ' möchte jedoch ausdrücklich anerkennen, wie aufgeschlossen sich der federführende Bundesminister der Justiz früher und heute zu weiteren Modifizierungen der von ihm vorgelegten Lösungen bekannt hat. Ich bin zuversichtlich, daß wir in den Ausschüssen eine gemeinsame, von allen Fraktionen getragene Lösung finden werden, die der Freiwilligkeit ihren zentralen Rang einräumt.
Wir können uns schlecht vorstellen - das ging aus den Reden meiner Vorredner hervor -, daß ein in Kampfabstimmungen zustande gekommenes Transplantationsgesetz von der Bevölkerung innerlich akzeptiert werden würde. Auch von daher soll11818
ten wir uns bemühen, aufeinander zuzukommen und eine Lösung zu finden.
Wir verkennen nicht, daß hinter der Widerspruchslösung, ja, selbst hinter der sogenannten Notstandslösung sehr ehrenwerte Motive stehen. Die Notstandslösung - sie wurde schon angesprochen -, wie sie etwa von der Berliner CDU-Fraktion vertreten wird, sieht vor, daß die Explantation eines Organs mit Einschränkungen selbst gegen den vormaligen Willen des Verstorbenen zulässig ist, wenn sie zu Heilzwecken notwendig ist. Auch unter den theologischen Stimmen gibt es Befürworter dieser Notstandslösung. Andere gewichtige Stimmen aus dem kirchlichen Raum, so das Kommissariat der Katholischen Bischöfe und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche, haben allerdings Bedenken gegen die Widerspruchslösung angemeldet. Wir Politiker haben alle theologischen, moralischen, medizinischen und praktischen Gesichtspunkte aufmerksam zu prüfen und dann nach gewissenhafter Abwägung des Für und Wider schließlich eine politische Entscheidung zu treffen.
Lassen Sie mich heute vor den Detailberatungen in den Ausschüssen nur noch auf die folgenden Gesichtspunkte aufmerksam machen, die ebenfalls für eine Freiwilligkeitsregelung sprechen. Aus medizinischen Gründen kommen als Spender einwandfreier transplantationsfähiger Organe im wesentlichen nur die Jahrgänge etwa zwischen dem 15. und 45. Lebensjahr in Frage - und auch aus diesen jungen und mittleren Jahrgängen nur die organisch Gesunden. Es wäre daher nach unserer Meinung verfehlt, durch eine allgemeine Widerspruchslösung jedermann, auch alte Bürger, in die allgemeine Pflichtigkeit einzubeziehen, wie dies im Regierungsentwurf geschieht. Nur bei einer klaren Einwilligungslösung kann man gezielt die Gruppen möglicher Organspender ansprechen, auf die es ankommt, und diejenigen aussparen, die von vornherein nicht in Frage kommen. Die Zustimmungslösung ermöglicht es außerdem jedem Bürger, seine Spendenbereitschaft, soweit sie besteht, individuell zum Ausdruck zu bringen. Das heißt, wer nur zum Spenden seiner Niere bereit ist, erklärt sich hierzu bereit, kann aber im übrigen eine weitere Spendenbereitschaft ausschließen. Unter Umständen ist auch ein bestimmtes Organ eines zum Spenden bereiten Bürgers krank und deshalb zur Transplantation ungeeignet. Es kann durch einfache Erklärung aus dem Spendenausweis gestrichen werden. Bis heute wird meistens nur über Nierentransplantate gesprochen, weil dadurch Lebensrettung möglich ist. Ich bin dankbar, daß alle Redner auch darauf hingewiesen haben, daß nicht übersehen werden darf, daß die Transplantate der Augenhornhaut und der Gehörknöchelchen vielen eine völlige Erblindung oder Taubheit ersparen oder sogar die Möglichkeit eröffnen, den Beruf lange, sogar bis zum 65. Lebensjahr auszuüben. Die Einwilligungslösung erlaubt auf diese Weise differenzierte Erklärungen und ist damit in unseren Augen auch liberaler.
Gerade bei jungen Leuten, auf die es ja besonders ankommt, kann in langen Jahren der persönlichen Entwicklung, eventuell auch bedingt durch Veränderung der Lebenssituation, die Bereitschaft zur Organspende wachsen bzw. aufhören, oder der Betreffende kann seine Erklärung nachträglich einschränken wollen. Auch hierbei ist die Einwilligungslösung flexibler als das Widerspruchsmodell.
Mit der letzten Bemerkung bin ich bereits auf die bei diesem Gesetz nicht unwichtige technische Frage gekommen, wie man eine positive oder - bei der Widerspruchslösung - eine negative Spendenerklärung festhält und auffindbar bei sich trägt. Der Regierungsentwurf hat sich hier für die Ausweislösung entschieden. Sie hat gewiß den Vorteil, daß jeder Bürger den Personalausweis bei sich zu führen hat und daher in der Regel der Spenderwille im Ernstfall daraus rechtlich einwandfrei entnommen werden kann. Ein Nachteil ist es freilich, daß dem Bürger bei Ausstellung oder Verlängerung seines Ausweises unter Umständen eine zu kurze Überlegungsfrist für eine weitreichende Entscheidung belassen wird. Außerdem ist die nachträgliche Revision einer mit technischem Aufwand im Ausweis angebrachten Erklärung unter Umständen schwierig. Hier scheint uns das Einlegen eines amtlichen Erklärungskärtchens in den Personalausweis bzw. die Herausnahme desselben einfacher. Doch solche Details gehören in die Ausschußberatungen. Sie sind zu prüfen. Ich wollte sie aber hier angesprochen haben.
Zu prüfen ist auch der neueste Vorschlag der Bundesärztekammer, der wohl am ehesten für eine große Mehrheit konsensfähig sein dürfte. Ich will dieses Modell einmal als Erklärungslösung bezeichnen. Der Bürger hätte bis zum 40. oder 45. Lebensjahr - auch darüber wird man sich unterhalten müssen - bei Ausstellung oder Verlängerung des Personalausweises im Ausweis oder im amtlichen Spendenkärtchen selbst seine Zustimmung oder seinen Widerspruch einzutragen und mit einer amtlichen Folie zu überkleben.
Ganz entscheidend kommt es meiner Fraktion auf die erforderliche Motivierung der Bevölkerung zur freiwilligen Organspende an. Der Regierungsentwurf gibt die erfreulichen Ergebnisse einer Meinungsumfrage wieder, nach der fast 60 % der jüngeren Bürger unter 30 Jahren ohne jeden Vorbehalt mit einer Explantation ihrer Nieren einverstanden sind. Von dieser verbreiteten Bereitschaft der jungen Kassenmitglieder haben uns soeben auch die Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen berichtet. Aufklärungsaktionen, z. B. die des Bundesverbands der Innungskrankenkassen im vorigen Jahr, haben nicht von ungefähr einen erstaunlichen Erfolg gehabt. Die Kasse berichtete im Januar über die Abgabe von 40 000 Organspendeausweisen, die jeweils persönlich angefordert worden waren. Die FDP-Fraktion ist mit den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen im Gespräch darüber, wie man ein Einwilligungsmodell durch einen gesetzlichen Auftrag an die Selbstverwaltung der Krankenkassen absichern könnte. Wir legen besonderen Wert darauf, das Prinzip der Freiwilligkeit durch institutionelle Maßnahmen so zu flankieren, daß die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung nicht nur kurzfristig wachgerufen, sondern kontinuierlich erhalten und erneuert wird.
Lassen Sie mich gegen Ende nur noch andeuten; daß wir dem Problem der Feststellung des Todes des Spenders in den Ausschußberatungen besondere Sorgfalt widmen müssen. Mit Sicherheit ist die Bevölkerung für die freiwillige Organspende in großem Ausmaß nur dann zu gewinnen, wenn jeglichen Besorgnissen der Boden entzogen ist, die nach heutiger Situation zwar unberechtigt, aber eben vorhanden sind. Manche haben die Sorge, Ärzte könnten und dürften zu schnell explantieren.
Nicht verschweigen will ich auch ein gewisses Unbehagen in meiner Fraktion darüber, daß der Gesetzentwurf nicht die Zulässigkeit der Eingriffe an Leichen generell regelt. Jedenfalls sollte die klare Eingrenzung der inneren Leichenschau, der anatomischen Sektion und der wissenschaftlichen Leichenversuche alsbald in einem anderen Gesetz geregelt werden.
Zum Schluß, meine Kolleginnen und Kollegen, unterstreiche ich nochmals: Die Fragen, die wir hier zu entscheiden haben, gehen jedermann sozusagen unter die Haut. Die Öffentlichkeit wird und kann nicht teilnahmslos auf das reagieren, was der Deutsche Bundestag nach sorgsamen Beratungen in den Ausschüssen hierüber beschließt. Begrüßenswert und dringlich ist es jedenfalls, daß durch diesen Gesetzentwurf für die Möglichkeit der modernen Medizin, durch Transplantationen Leben zu erhalten oder schwerwiegende Gesundheitsschädigungen abzuwenden, eine Klärung der mit den Organübertragungen zusammenhängenden Rechtsfragen erfolgen wird.
Notwendig wird es aber auch sein - der Herr Bundesjustizminister hat darauf ausdrücklich hingewiesen -, daß in den Krankenhäusern selbst die technischen Möglichkeiten, Explantationen und Transplantationen durchzuführen, vermehrt werden; denn gerade was die Möglichkeiten der Explantationen anbelangt, gibt es noch viel aufzuholen. Wir brauchen nicht nur wesentlich mehr Spender, sondern auch mehr klinische Möglichkeiten, um schneller helfen zu können. Darauf hat Herr Minister Vogel deutlich hingewiesen. Das müssen wir im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages bei der Mitberatung besonders unter die Lupe nehmen.
({0})
Das Wort hat der Justizminister des Landes Baden-Württemberg.
Minister Dr. Eyrich ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, nachdem schon viele Redner Einzelheiten des Gesetzentwurfs der Bundesregierung behandelt haben und nachdem schon auf die Stellungnahme des Bundesrats eingegangen worden ist, ganz kurz einige Bemerkungen anzufügen, von denen wir miteinander spüren, daß sie notwendig sind, weil dies, Herr Bundesjustizminister, in der Tat ein Gesetz ist, das sich nicht dazu eignet, ideologische Kampffelder zu errichten, sondern ein Gesetz, bei dem es im wesentlichen um die Frage geht: Wie sieht der beste Weg aus, um denen zu helfen, die. auf unsere Hilfe angewiesen sind? Das ist eine entscheidende Frage, ja, es ist die entscheidende Frage überhaupt.
Ich werde nachher auf Ihre Äußerung zurückkommen, der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei von dieser Abwägung diktiert: daß auf der einen Seite geholfen werden müsse und daß auf der anderen Seite zu fragen sei, welcher Wert dem Schweigen eines Menschen in diesem Zusammenhang beigemessen werden könne. Das sind in der Tat die entscheidenden Fragen.
Wenn wir sie gegensätzlich beantworten - der Bundesrat hat auf Antrag des Landes Baden-Württemberg eine vom Gesetzentwurf der Bundesregierung abweichende Regelung empfohlen -, sollten wir anerkennen, daß beide Seiten den Willen haben, jene Hilfe zu bringen, von der wir sprachen.
Daß es kein ideologisches Kampffeld sein kann, habe ich schon gesagt. Aber mit dieser Feststellung kann man es nicht bewenden lassen. Meine Damen und Herren, ich bin ebenso fest davon überzeugt, daß es sich um einen Bereich handelt, wo in hohem Maße auch Fragen der Menschenwürde und des Pietätsempfindens zu behandeln und zu entscheiden sind.
Ich darf es einmal so sagen: Es geht schließlich auch um die Beschäftigung mit Fragen um den eigenen Tod, um die damit zwangsläufig verbundene Scheu, die Unsicherheit, die Skepsis, in einem solchen Augenblick eine Entscheidung über den Tod hinaus zu treffen. Die Schwierigkeit liegt darin, im Zeitpunkt der Ausstellung eines Ausweises eine solche Aussage zu bekommen. Können wir da sagen - und das ist die Frage, um die es geht -, hier sei es besser, darauf zu vertrauen, daß jeder weiß, wenn er nicht widerspricht, kann ihm ein Transplantat entnommen werden? Oder sollten wir nicht den Standpunkt vertreten - ich neige dazu und möchte diese Lösung ganz energisch vertreten -, daß der Mitbürger bei aller Skepsis, die auch ich habe, ob wir diese Aufklärung durchhalten werden, im Zeitpunkt der Ausstellung seines Personalausweises gebeten werden sollte, die Einwilligung zu geben? Bauen wir doch auf der durch Umfragen deutlich gewordenen und bestätigten Spendenbereitschaft, insbesondere einer jungen Generation, auf!
Herr Bundesjustizminister, auch mir ist klar, daß nicht jeder, der jetzt erklärt, er sei, wenn es darauf ankomme, bereit, ein Organ zu spenden, auch in dem Augenblick zu seiner Zusage steht, wo es wirklich darauf ankommt. Natürlich haben wir da Zweifel. Aber ich bin sicher, daß die Scheu davor, einen solchen Eingriff hinnehmen zu müssen, ohne sich dazu erklärt zu haben, mit Sicherheit größer wäre und vielleicht Bewegungen in Gang setzen könnte, die uns allen, welche wir um dieses Gesetz ringen, nicht lieb sein könnten.
Lassen Sie mich vor allen Dingen auf zwei Punkte hinweisen, die wichtig sind.
Jeder, der von Transplantation, von Spendenbereitschaft spricht, wird einsehen müssen, daß wir eine Spendenbereitschaft und eine Hinwendung zur
Minister Dr. Eyrich ({1}) Hilfsbereitschaft nur erreichen können, wenn jeder klipp und klar weiß, um was es bei diesem Gesetz geht. Die Klarheit überwiegt alles andere. Dieser Klarheit dienen zwei Punkte, auf die das Land Baden-Württemberg und mit ihm auch der Bundesrat großen Wert gelegt haben.
Erstens nenne ich die Frage des Todesfeststellungszeitpunkts. Dies ist - Sie hatten es gesagt - weniger eine Frage danach, ob die Ärzte heute unser Vertrauen verdienen oder nicht. Natürlich verdienen sie dieses Vertrauen. Aber wir wissen ganz genau, daß in der Öffentlichkeit durch Propaganda unschwer eine Stimmung gegen die Integrität der Ärzte erzeugt werden kann, etwa mit der Überschrift, daß es sich hier eben doch auch um Geldmacherei und ähnliches handelt.
Deswegen bin ich nicht der Meinung, die von Vertretern der Widerspruchslösung im Bundesrat vorgetragen worden ist, daß die Lösung BadenWürttembergs etwas manifestieren wolle, was auf eine Erschwerung hinauslaufe. Nach dieser Lösung sollen zwei Ärzte den Tod feststellen, selber aber nicht transplantieren dürfen; zum anderen sollen sie auch nicht von Weisungen der transplantierenden Ärzte abhängig sein dürfen. Es ist doch nicht gewollt, dadurch eine Erschwerung einzubauen. Gewollt ist genau das Gegenteil. Wer in dem Zusammenhang von Erschwerung redet, ist kurzsichtig oder denkt nur kurzfristig.
Jede Klarheit, die draußen in der Bevölkerung einkehrt, dient der Spendenbereitschaft der Bevölkerung, die wir ansprechen wollen. Darum sollten wir ganz ehrlich sagen: Wir kennen die Skepsis; wir wollen sie ausräumen; wir wollen jede erdenkliche Möglichkeit der Kontrolle geben. Der Staat legt größten Wert darauf, daß hier Kontrollmechanismen eingebaut werden, damit die Hilfsbereitschaft und die Hinwendung zu ihr stärker werden.
Auch das zweite ist - Sie hatten es angesprochen, und Herr Kollege Klein hat darauf erwidert - keine Spitzfindigkeit juristischer Art, wenn es um die Widerspruchslösung, um die Frage geht: Wer schweigt, scheint zuzustimmen. Hier geht es wieder um das Prinzip der Klarheit. Wir sollten daran denken, daß es nicht nur um die Klarheit für den geht, dessen Körper zur Debatte steht, wenn er nicht mehr lebt, sondern auch um die Klarheit bei denen, deren Empfinden betroffen wird, wenn nach dem Tod des Angehörigen ein Eingriff vorgenommen werden soll. Wenn die Angehörigen wissen, daß der in Rede stehende junge Mensch seine Einwilligung gegeben hat, werden auch sie dieses Einverständnis des Verstorbenen mitvollziehen können.
Ich habe im Bundesrat gesagt: Bei aller Skepsis, ob die Einwilligungslösung genügend Transplantate bringt - Herr Bundesjustizminister, Sie haben auf das Ausland verwiesen -, meine ich, daß, wenn die notwendige Klarheit und - auch das sollten wir nicht vergessen - das Gefühl beim Bürger besteht, daß sein Wille ernstgenommen wird, auf Grund der Zustimmungs- oder Einwilligungslösung gleich viele
Transplantate wie bei der anderen Lösung zur Verfügung stehen werden.
Ich habe dann auch die Hoffnung, daß es nicht geschieht - aber das können wir auch nicht ausschließen -, daß im Falle eines Eingriffs bei einem Menschen, der den Widerspruch nicht erklärt hat, die Angehörigen kommen und geltend machen, sie wüßten, daß er damit eigentlich nie einverstanden gewesen sei. Die Ärzte hätten in diesem Fall mit derselben Schwierigkeit zu kämpfen, die es zugegebenerweise auch bei der Einwilligungslösung da und dort geben kann.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Ich halte die Einwilligungslösung für eine. Lösung, die der freien Entscheidung des einzelnen gerechter wird. Ich kann nicht behaupten - und ich sage das ganz ehrlich, weil auf diesem Gebiet die Dinge auf den Tisch gelegt werden müssen -, daß bei dieser Lösung genau so. viele Transplantate wie im anderen Fall zur Verfügung stehen werden. Wenn von den dafür verantwortlichen Stellen in der Öffentlichkeit hinsichtlich der Weckung der Spendenbereitschaft die gleiche Intensität entwickelt wird, wie das auf anderen Gebieten bereits geschehen ist, bin ich davon überzeugt, daß wir auch mit dieser Einwilligungslösung, die klarer, für den einzelnen übersichtlicher ist und die die Menschenwürde und den Willen des einzelnen mehr achtet als die andere Lösung, zu demselben Ergebnis kommen können wie bei der Alternative. Über dieses Ergebnis hoffe ich, wird es in diesem Haus und auch zwischen diesem Hause und dem Bundesrat keinen Streit geben. Ich habe die Hoffnung, daß in den weiteren Beratungen eine gemeinsame Plattform gefunden wird.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich am 5. Juni 1975 den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, der die Bundesregierung aufforderte, baldmöglichst einen Gesetzentwurf für Explantationen und Transplantationen vorzulegen, meinte der Kollege Jaunich ({0}), dieser Antrag wäre bereits überholt, wir sprängen nur auf fahrende Züge auf; denn der Regierung lägen schon entscheidungsreife Unterlagen für einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Nun, die Züge fuhren noch ziemlich lange; denn erst heute, vier Jahre später, sprechen wir in erster Lesung über den nunmehr von der Regierung vorgelegten Entwurf eines Transplantationsgesetzes. Dieses Gesetz ist überfällig.
3 000 bis 4 000 Bürger, davon 2 000, denen eine völlige Erblindung droht, erhoffen eine mögliche Hornhauttransplantation zur Rettung ihrer Augen. Weniger als der Hälfte kann geholfen werden. Tausende Schwerhöriger warten auf die Transplantation von Gehörknöchelchen, die ihnen die Hör- und damit Arbeitsfähigkeit garantieren könnte. RechtFrau Dr. Neumeister
liche Schwierigkeiten behindern großenteils diese wichtige therapeutische Maßnahme.
In der Bundesrepublik Deutschland müssen zur Zeit über 7 000 Patienten im Endstadium des chronischen Nierenversagens mit Dialyse behandelt werden. Diese Zahl wird sich pro Jahr um 2 000 erhöhen. Entschuldigen Sie, wenn ich diese Zahlen wiederhole, die bereits genannt wurden. Aber ich meine, sie dokumentieren das Leiden einer großen Zahl unserer Mitbürger, der Bürger, die heute voller Hoffnung auf unsere Entscheidung warten. Unter Zugrundelegung dieser Zahlen sowie der Sterberate von 10 °/o pro Jahr muß man in Zukunft mit 20 000 bis 24 000 Patienten rechnen, die mit Dialyse behandelt werden müssen, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann. Rund 10 °/o der Dialysepatienten kämen sofort für eine Nierentransplantation in Frage. Deren Verwirklichung scheitert aber immer noch an dem Mangel an Spenderorganen und an der bestehenden Rechtsunsicherheit. Dabei ist einwandfrei erwiesen, daß durch eine erfolgreiche Nierentransplantation ein erheblich höherer Grad an Gesundheit und Rehabilitation erreicht werden kann als durch das eindrucksvollste Resultat der Dialyse, in vielen Fällen aber die Nierentransplantation sich als einzige lebensrettende Therapie anbietet.
Während in Norwegen 73 °/o der terminal Nierenkranken transplantiert werden, in Dänemark 58 °/o, in Schweden 51,7 °/o, in der Schweiz 37,2 °/o, in Großbritannien 33,9 °/o, der Europadurchschnitt bei 20 °/o liegt, können in der Bundesrepublik Deutschland nur 5 °/o der Patienten im Endstadium des chronischen Nierenversagens mit Nierentransplantaten versorgt werden; und auch das ist nur möglich, weil die niederländische Stiftung „Eurotransplant" bisher großzügig geholfen hat.
Die zunehmende Bedeutung, die die Transplantation von Organen Verstorbener in der midizinischen Praxis gewonnen hat, zwingt den Gesetzgeber einfach, endlich rechtliche Klarheit zu schaffen; einmal im Interesse derjenigen Bürger, die zu Lebzeiten wissen wollen, wie eines Tages nach ihrem Tode über ihren Körper verfügt wird, zum anderen aber im Interesse der Patienten, die lebensnotwendig auf ein Transplantat angewiesen sind, und letztlich im Interesse der Ärzte, die klar wissen müssen, unter welchen Voraussetzungen sie transplantieren dürfen.
Die Sachverständigen, die den Gesetzentwurf vorbereiteten, haben es sich nicht leichtgemacht. Nun liegt aber die Verantwortung beim Parlament, eine praktikable und den Schutz des Persönlichkeitsrechts des einzelnen gewährende Lösung zu erarbeiten. Die Argumente für unterschiedliche Lösungen wurden heute schon breit erörtert, und ich möchte sie nicht wiederholen. Es bleibt nur zu hoffen, daß im Interesse der kranken Menschen, denen zu helfen wir aufgerufen sind, eine breite Mehrheit des Parlaments diese Entscheidung tragen wird. Bemühen wir uns gemeinsam, daß behutsam beraten wird und nicht ein perfektionistisches Gesetz resultiert, daß zwar juristisch einwandfrei ist, jedoch keinen Freiraum für Eigenverantwortung, für
Opferbereitschaft und Menschlichkeit beläßt. Es wäre unverantwortlich und für die auf Hilfe hoffenden Kranken einfach unverständlich, müßten wir am Ende unserer jahrelangen Bemühungen sagen: Es gibt Probleme, die am besten ungelöst bleiben, bevor sie schlecht gelöst werden.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur zwei ganz kurze Bemerkungen.
In der Debatte hat der Satz „Wer schweigt, scheint zuzustimmen" eine Rolle gespielt. Ich habe mich offenbar mißverständlich ausgedrückt. Meine Kritik richtete sich dagegen, zu glauben, die Bundesregierung würde die Widerspruchslösung einfach auf diesen Satz stützen und sagen, es gelte hier der Satz: „Wer schweigt, scheint zuzustimmen." Dies wäre juristische Spitzfindigkeit gewesen. Davon sind wir weit entfernt. Hier stimmen wir alle überein. Zugrunde liegen muß die Abwägung der beiden Rechtsgüter, um die es geht.
Herr Kollege Bardens, Sie haben sicher recht, Obduktion, Leichenöffnung und Sektion sind keine Heilmaßnahmen mehr, weil eine Heilmaßnahme einen lebenden Patienten voraussetzt. Nur, wenn wir auf den Eingriff in die Integrität des Körpers des Verstorbenen abstellen, geht natürlich dieser Eingriff an Schwere und Intensität weit über den Eingriff hinaus, der unter persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkten von den Vorrednern erörtert worden ist. Dies werden wir in den weiteren Beratungen sicherlich noch eingehender prüfen.
Die heutige erste Lesung hat für die Beratungen im Ausschuß eine ganz hervorragende Voraussetzung geschaffen. Ich möchte mich allseits dafür bedanken.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 8/2681 an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - vor. Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
- Drucksache 8/2058 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({0})
- Drucksache 8/2605 Berichterstatter: Abgeordneter Dreyer ({1})
Vizepräsident Stücklen
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist Kurzdebatte vereinbart. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort! - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreyer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der CDU/ CSU-Fraktion nehme ich zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes wie folgt Stellung.
Der in der zweiten Beratung vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung bedeutet für die CDU/ CSU-Fraktion eine unmittelbare Bedrohung für die mittelständische Struktur im Güterfernverkehrsgewerbe. Die durch und durch mittelständische Struktur des gewerblichen Güterfernverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland ist aber nach unserer Auffassung der entscheidende Garant für die große Flexibilität und die Leistungsfähigkeit dieses wichtigen Wirtschaftszweiges.
Von den rund 9 000 Unternehmen in diesem Bereich haben immerhin fast 60 °/o nicht mehr als zwei Fernverkehrsgenehmigungen. Eine derartige Betriebsstruktur bietet die Gewähr für intensiven Wettbewerb und zugleich dafür, daß auch die Randgebiete und wirtschaftsschwächeren Räume unseres Landes angemessen mit Transportleistungen des Güterfernverkehrs versorgt werden. Der Großbetrieb hat im Zweifel seinen Standort im Ballungsraum. Die CDU/CSU mißt deshalb der Erhaltung gerade dieser Struktur größte politische Bedeutung bei.
({0})
Kernpunkt der zur Beratung anstehenden Gesetzesnovelle ist die Einschränkung des sogenannten Konzessionshandels. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht Lösungen vor, die nach unserer Auffassung in der Praxis auf einen staatlich verordneten Konzentrationsprozeß für den Güterfernverkehr hinauslaufen. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom Oktober 1975 den Handel mit Fernverkehrskonzessionen kritisiert und den Gesetzgeber aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, daß in Zukunft Konzessionen grundsätzlich ausgeschrieben werden müssen. Es ist ganz ohne Zweifel ein Ärgernis, wenn Güterfernverkehrskonzessionen, also das Stück Papier, mit 100 000 DM und mehr gehandelt werden. Aber auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Argumentation nicht darüber hinwegsetzen können, daß die Konzession ein wirtschaftlicher Wert ist. Das Verfassungsgericht will in Zukunft nur verhindert wissen, daß lediglich das Papier, also die nackte Konzession, die für eine geringe Verwaltungsgebühr erworben wurde, zu horrenden Preisen gehandelt wird.
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene gesetzliche Regelung zur Einschränkung dieses unrühmlichen Konzessionshandels schüttet aber nach unserer Auffassung das Kind mit dem Bade aus. Vom Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen in Zukunft nur dann abgesehen werden können, mit anderen Worten, der Konzessionshandel dann möglich sein, wenn Güterfernverkehrsunternehmen im ganzen oder aber ab-grenzbare selbständige Unternehmensteile an einen Käufer veräußert werden, der dann auch die entsprechenden Konzessionen zur tatsächlichen Weiterführung des Betriebes ohne öffentliche Ausschreibung erhalten kann. Das gleiche muß auch für den Erbfall gelten.
Sicherlich ist richtig, daß ein Fernverkehrsbetrieb ohne Konzession praktisch unverkäuflich wäre. Wenn aber, wie es die Bundesregierung vorsieht, der Konzessionshandel im wesentlichen auf diese Fälle eingeschränkt wird, dann werden in Zukunft nur noch die größeren und die finanzstarken Betriebe des Güterfernverkehrs in der Lage sein, durch Aufkauf ganzer Unternehmen ihre Konzessionen aufzustocken. Hier liegt der Kern eines gesetzlich verordneten Konzentrationsprozesses, den wir entschieden ablehnen.
Mit unserer Kritik am Gesetzentwurf der Bundesregierung befinden wir uns im übrigen in recht guter Gesellschaft. So hat z. B. auch der Deutsche Industrie- und Handelstag den Gesetzentwurf der Bundesregierung gerade in diesem Punkt ganz entschieden kritisiert. Wie der Deutsche Industrie- und Handelstag empfinden es auch wir als völlig unverständlich, daß die Bundesregierung im Falle dringender persönlicher Belange des Bewerbers ebenfalls die Übertragung einer Konzession zulassen will, entsprechende dringende persönliche Belange des Veräußerers aber völlig unberücksichtigt bleiben sollen. Sollte der Gesetzentwurf in der-vorliegenden Form in Kraft treten, wird sich - so ist es unsere Auffassung - gerade in diesen Punkten sehr bald erweisen, daß er völlig praxisfremd ist.
Nach Auffassung der CDU/CSU hat die Bundesregierung den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts klar überinterpretiert. Wir sind der Auffassung, daß dem Urteil des Verfassungsgerichts Rechnung getragen werden kann, ohne daß die mittelstandsfeindlichen und konzentrationsfördernden Wirkungen des Gesetzentwurfes der Bundesregierung hingenommen werden müßten und ohne daß die Belange des Veräußerers außen vor bleiben. Wir haben unseren Lösungsvorschlag formuliert und bereits in den Ausschußberatungen einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt.
Kernpunkt dieses Änderungsantrages ist es, daß in Zukunft bei der Übertragung einer Konzession der Vermögenswert der Genehmigung den Vermögenswert des Betriebes oder eines Betriebsteiles nicht übersteigen darf. Wir sind der Auffassung, daß damit der Forderung des Verfassungsgerichts auf Einschränkung des Konzessionshandels mit dem bloßen Papier voll und ganz Rechnung getragen wäre. Dies wäre zugleich auch eine Brücke, um dringende persönliche Belange auch des Veräußerers zum Tragen zu bringen.
Auf der Drucksache 8/2776 haben wir Ihnen unseren Änderungsantrag zur heutigen zweiten Lesung erneut vorgelegt. Mein Appell, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht an die Mitglieder
der Koalitionsfraktionen, dem Änderungsantrag der CDU/CSU die Zustimmung nicht zu versagen. Nur wenn diesem unserem Anliegen Rechnung getragen wird, sehen wir uns in der Lage, den vorliegenden Gesetzentwurf mitzutragen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Curdt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes vorgelegt. Damit sollen eine gesetzliche Regelung der Kriterien und Maßstäbe für die Vergabe von Genehmigungen für den Güterfernverkehr eingeführt und zugleich auch der in den letzten Jahren immer umfänglicher gewordene Handel mit Konzessionen unterbunden werden. Die Aufnahme von Vergabekriterien in das Gesetz selbst und insbesondere auch die Unterbindung des sogenannten Konzessionshandels sind dem Gesetzgeber durch einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 1975 und auch durch zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 1976 auferlegt worden.
Die für den Straßengüterverkehr geltende Begrenzung der Konzessionen - zur Zeit dürften etwa 30 000 Genehmigungen für den Güterfernverkehr erteilt sein - beruht auf einer seit langem geltenden und auch unumstrittenen verkehrswirtschaftlichen Zielsetzung, die ihrerseits wiederum Teilstück der in der Bundesrepublik verfolgten kontrollierten Wettbewerbsordnung ist. Die Kontingentierung der Güterfernverkehrsgenehmigungen stellt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einen schweren Eingriff in die Freiheit der Berufswahl dar. Daher müßten, so sagt das Gericht, allen Bewerbern um eine Genehmigung nach Möglichkeit gleiche Chancen eingeräumt werden; die Übertragung von und der Handel mit Konzessionen beseitigten jedoch die zu fordernde Chancengleichheit.
Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erstens die grundsätzlich öffentliche Ausschreibung der zur Verteilung kommenden Genehmigungen für den Güterfernverkehr, zweitens eine angemessene Berücksichtigung verschiedener Bewerbergruppen sowie regional- und strukturpolitischer Gesichtspunkte bei der Erteilung von Genehmigungen und drittens die Erteilung von Genehmigungen an den Erwerber eines Güterkraftverkehrsunternehmens nur bei dessen Fortführung vorgeschlagen: - Bei den übrigen Regelungen des Gesetzentwurfes handelt es sich um solche von geringerer Bedeutung und um die Anpassung an derzeit gültige EG-Vorschriften.
Meine Damen und Herren, bei der Beratung des Gesetzentwurfes im Verkehrsausschuß konzentrierte sich das Interesse auf wenige, allerdings wesentliche Bestandteile der neuen Regelungen. Dabei haben die Koalitionsfraktionen SPD und FDP Änderungen vorgenommen, die nach unserer Auffassung zu einer Verdeutlichung der Vergabekriterien für Güterfernverkehrsgenehmigungen beitragen. Durch eine Textausweitung haben SPD und FDP beispielsweise sichergestellt, daß im Erbfall oder zur Weiterführung eines Unternehmens bzw. eines selbständigen, abgrenzbaren Unternehmensteils eine Genehmigung erteilt werden kann. Ferner soll künftig zwar gelten, daß bei Ablauf einer Konzession die Wiedererteilung grundsätzlich nur dann erfolgt, wenn der bisherige Genehmigungsinhaber mindestens 50 °/o der durchschnittlichen Leistungen nach Gewichtskilometern und Umsatz des jeweiligen Bundeslandes erzielt. Nach der von den Koalitionsfraktionen neu aufgenommenen Bestimmung darf die Wiedererteilung jedoch nur dann versagt werden, wenn der Unternehmer die erforderlichen Leistungen aus Gründen, die e r zu vertreten hatte, nicht erzielte. Diese Präzisierung gewinnt, Herr Kollege Dreyer - in diesem Punkte sind wir offensichtlich unterschiedlicher Auffassung -, im Hinblick auf die mittelständische Struktur des Güterkraftverkehrsgewerbes und auch bei der Berücksichtigung von Standortunterschieden, die in diesem Bereich selbstverständlich gegeben sind, eine erhebliche Bedeutung. Jede weitere Auflockerung der bewußt eng gezogenen Grenzen des Genehmigungsverfahrens führt nach Auffassung der SPD-Fraktion zu einer nicht vertretbaren Verwässerung der Vergabekriterien mit der Gefahr des Fortbestehens des Konzessionshandels.
Wenngleich es so schien, als würde der Handel mit Genehmigungen von allen Fraktionen des Hauses nicht gebilligt, zeigten im Ausschuß und zeigen auch heute Versuche der CDU/CSU, daß durch entsprechende Änderungsanträge neue Hintertüren geöffnet werden sollen.
({0})
So sollen beispielsweise bei der Erteilung von Genehmigungen nicht nur die Belange des Erwerbers, sondern auch die des Veräußerers berücksichtigt werden.
({1})
Gerade hierin, Herr Dr. Schulte, ist jedoch der offensichtliche Versuch zu erblicken, neuen Manipulationsmöglichkeiten Tür und Tor zu öffnen. Wir wollen das nicht und sagen das auch sehr deutlich. Eher würden wir uns bereit erklären - darüber habe ich mich bereits mit dem Kollegen Dreyer unterhalten -, in eine Prüfung der steuerlichen Bewertung käuflich erworbener Konzessionen einzutreten, weil wir glauben, daß wir auf diesem Wege zu einer sachgerechteren Lösung kommen könnten.
Lassen Sie mich noch einige Erläuterungen zum neuen Gesetzentwurf geben. Auch bisher schon mußte der angenommene Standort für alle Kraftfahrzeuge des Unternehmers einheitlich bestimmt werden. Die Praxis erwies jedoch, daß in den Anträgen auf Standortbestimmung Fahrzeuge ausgelassen wurden oder für nachträglich erworbene Fahrzeuge der Standort nicht bestimmt wurde. Das führte dazu, daß vom Sitz eines Unternehmens oder einer Niederlassung aus mit Fahrzeugen verschiedener
Standortbestimmung Güternahverkehr im Bereich mehrerer Nahzonen betrieben werden konnte. Eine neu in das Gesetz aufgenommene Bestimmung sagt nunmehr, daß die Gemeinde des Unternehmenssitzes oder der Niederlassung Standort für alle Fahrzeuge ist, für die kein Antrag auf Bestimmung gestellt wurde.
Aus regional- und strukturpolitischer Sicht ist es auch zu begrüßen, daß die Wanderung der Genehmigungen von einem Landeskontingent in das Kontingent eines anderen Bundeslandes grundsätzlich nur mit Zustimmung der zuständigen Länderbehörden möglich sein soll. Damit kann durch die Behörde zugleich auch ein ausgewogenes Verhältnis des angebotenen Gütertransports - Kollege Dreyer hat auf einen angeblichen Mangel in diesem Bereich hingewiesen - außerhalb der Ballungsräume sichergestellt werden. Wir sind der Überzeugung, daß insbesondere diese Tatsache - die Berücksichtigung landespolitischer Erwägungen bei solchen Entscheidungen - von hoher Bedeutung für dieses Gesetz ist.
Die neu in das Gesetz aufgenommenen Maßstäbe und Kriterien für die Erteilung der Genehmigungen sollen zu einer höchstmöglichen Chancengleichheit aller Bewerber führen. Das soll u. a. durch die öffentliche Ausschreibung gewährleistet werden. Die Möglichkeit der Beschränkung auf bestimmte Bewerbergruppen oder Gebiete erlaubt zugleich eine angemessene Berücksichtigung von Neubewerbern, Klein-, Mittel- oder Großbetrieben. Dabei sollen solche Bewerber bevorzugt werden, die eine hinlängliche Gewähr dafür bieten, daß sie das öffentliche Bedürfnis nach Leistungen im Güterfernverkehr bestmöglich befriedigen.
Daß auch Ausnahmen möglich sind, wird durch § 10 Abs. 4 gewährleistet. Von den vorgenannten Kriterien kann zwar abgewichen werden, doch muß die Genehmigungsbehörde dabei einen strengen Maßstab anlegen. Vor allem können Bedingungen gestellt und Auflagen gemacht werden, wenn das zur Vermeidung des Handels mit Genehmigung notwendig sein sollte.
Mit der Neufassung des Güterkraftverkehrsgesetzes wird für das betroffene Gewerbe eine praxisorientierte Regelung geschaffen. Das kann man auch den bisher erschienenen kritischen Würdigungen der Verbandspresse entnehmen. Kollege Dreyer, ich sehe auch hier einen gewissen Widerspruch zu dem, was Sie dazu ausgeführt haben. Ich zitiere aus dem BDF-Unternehmerbrief:
Der Entwurf der Bundesregierung wurde verabschiedet, wobei es noch einige bedeutsame Veränderungen gegeben hat, die für die Erhaltung der mitelständischen Struktur des Güterkraftverkehrsgewerbes wichtig sind. Wenn der Gesetzentwurf in der Fasung des Verkehrsausschusses zum Tragen kommt, kann man davon ausgehen, daß sowohl den Erfordernissen, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, wie auch der Interessenlage des mittelständischen Güterkraftverkehrsgewerbes Rechnung getragen worden ist.
Das neue Gesetz berücksichtigt die geäußerten verfassungsmäßigen Bedenken. Es verbessert die Chancen von Bewerbern und Genehmigungen und verringert keineswegs die Rechte der Veräußerer, sorgt damit also auch für Rechtssicherheit. Es beinhaltet nicht zuletzt auch größere Möglichkeiten der Einflußnahme der Bundesländer, dient damit zugleich also auch sektoraler Strukturpolitik. Aus diesem Grunde sind seitens des Bundesrates auch nur zwei redaktionelle Änderungen eingebracht worden, die im Gessestz Berücksichtigung gefunden haben.
Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich die ungeteilte Zustimmung zu diesem Gesetz bekunden. Ich darf die Oppositon bitten, diesem Gesetz ebenfalls zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Merker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat der Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium Haar auf eine Anfrage des Kollegen Kirschner bestätigt, daß eine im Jahr 1949 für 5 DM ausgegebene Konzession zum gewerblichen Güterfernverkehr inzwischen zu einem Preis verkauft wird, der zwischen 80 000 und 170 000 DM liegt. Wer heute Güterfernverkehrsunternehmer werden will, muß entweder mit einer großen Portion Geduld ausgestattet sein - denn er kommt auf eine Warteliste und muß auf die Genehmigung warten -, oder er muß über eine große Menge Geld verfügen, um sich für solche astronomischen Summen eine Konzession auf dem Schwarzen Markt kaufen zu können. Dies macht es insbesondere den mittelständischen und natürlich noch mehr den Kleinunternehmern unmöglich, in diesem Beruf eine Existenz zu gründen.
Das Bundesverfassungsgericht hat wohl auch darum von einem schweren Eingriff in die freie Berufswahl gesprochen und uns alle in die Pflicht genommen, dies abzustellen und Chancengleichheit zwischen allen Bewerbern herzustellen. Es heißt in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, daß die Kontingentierung der Genehmigungen einen schweren Eingriff in die Freiheit der Berufswahl darstelle und daß gerade deshalb jedem Bewerber die gleiche Chance eingeräumt werden müsse.
Für die FDP standen bei der Beratung in den Ausschüssen folgende Forderungen im Vordergrund.
Erstens: Der Handel mit den Konzessionen muß soweit wie möglich unterbunden werden.
Zweitens: Der Gesetzentwurf muß den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts in allen Teilen entsprechen. Deshalb darf hier und heute nichts beschlossen werden, was noch einmal Anlaß zu einer Klage sein könnte.
Drittens: Wir wollen eine mittelstandsgerechte Lösung.
({0})
Wir wollen, daß durch dieses Gesetz die Großen nicht noch größer und die Kleinen nicht noch kleiner gemacht werden, Herr Dr. Schulte.
({1})
Viertens: Eine gesunde Struktur im Güterverkehrsgewerbe muß erhalten und weiter ausgebaut werden. Der Bestand leistungsfähiger kleinerer und mittlerer Betriebe ist zu sichern und bei der Neuausgabe von Konzessionen der Aufbau neuer Unternehmen zu ermöglichen.
Wenn wir den nun vorliegenden Text des Gesetzentwurfs an diesen vier Kriterien messen, dürfen wir feststellen, daß diese Forderungen im vollen Umfang erfüllt worden sind.
({2})
Die Diskussion in den Ausschüssen und die Mitwirkung der betroffenen Verbände hat zu einer substantiellen Verbesserung des Gesetzentwurfs geführt. Wenn wir die Forderung des Bundesverfassungsgerichts erfüllen wollen, den Handel mit Konzessionen soweit wie möglich zu unterbinden, müssen wir uns auch zu gemeinsamen Formulierungen durchringen, die nicht durch die Hintertür einen solchen Konzessionshandel wieder einführen.
({3})
- Verehrter Herr Dr. Schulte, wie Sie sich erinnern, haben wir dieses Problem im Ausschuß sehr intensiv diskutiert. Ich darf daran erinnern, daß uns eine Übersichtstabelle vorgelegen hat, in der allein 20 Beispiele aufgeführt worden sind, unter welchen Voraussetzungen der Verkauf von Konzessionen im ganzen oder in abgrenzbaren Teilbereichen möglich ist.
({4})
- Die kennen Sie nicht?
({5})
- Kennen Sie die nicht, Herr Dreyer? Sie werden sich erinnern, daß wir gemeinsam in einer Ausschußsitzung der Regierung einen Fragenkatalog vorgelegt haben bezüglich Fragen, bei denen uns eine Verdeutlichung notwendig erschien. Bei der Antwort haben wir eine Liste bekommen, die Bestandteil des Protokolls ist, wenn ich mich richtig erinnere. Ich kann Ihnen aber gerne, damit Sie nicht glauben, daß ich im Besitz von Herrschaftswissen bin,
({6})
diese Ubersicht zustellen. Dann werden Sie feststellen, daß Sie sie möglicherweise doch in Ihren Unterlagen haben.
Es ist doch grotesk, meine Damen und Herren von der Opposition: Im Ausschuß formulieren Sie dramatische Einwände und bezweifeln sogar, ob der Sinn des Gesetzentwurfs, nämlich den Konzessionshandel zu unterbinden, mit dem Entwurf überhaupt erreicht werden kann, und dann kommen Sie hierher und stellen Anträge, von denen Sie genau wissen, daß der Konzessionshandel damit wieder eingeführt wird.
({7})
- Aber sicher stimmt das, meine Herren Kollegen. Künftig würden bei der Erteilung von Genehmigungen nicht nur die Belange des Erwerbers, sondern eben auch die des Veräußerers zu berücksichtigen sein. Und nun nennen Sie mir doch einmal einen Fall, in dem nicht zumindest das Interesse des Veräußerers gegeben ist. Mit Ihrem Antrag kommen doch wieder alle diese Möglichkeiten auf den Tisch und damit auch der Konzessionshandel wie eh und je. Wir müssen alles vermeiden, was die Gefahr heraufbeschwören könnte, daß dieses Problem erneut an die Gerichte herangetragen wird, weil dadurch das gesamte System der Kontingentierung in Frage gestellt werden könnte. Dies wollen wir alle nicht. Wir haben deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie mit Ihrem Vorschlag, den Sie heute als Änderungsantrag vorlegen, praktisch den alten Zustand wiederherstellen wollen.
({8})
Nach Ihrem Vorschlag ändert sich an der bestehenden Praxis fast nichts. Zwingende Belange des Veräußerers - ich wiederhole das - liegen fast in allen Fällen vor. Dies wird übrigens in der Stellungnahme des Deutschen Industrie- und Handelstages ausdrücklich bestätigt. Vielleicht lesen Sie diese Stellungnahme einmal nach.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits eingangs gesagt, daß die FDP den Gesetzentwurf daran gemessen hat, ob er mittelstandsfreundlich ist. Ich meine, es ist uns gelungen, ein mittelstandsgerechtes Gesetz vorzulegen und die gesunde Struktur des Güterkraftverkehrsgewerbes zu erhalten und zu stärken. Dies war uns in den Beratungen ein besonderes Anliegen. Wir haben deshalb mit großer Intensität darauf bestanden, daß die von der Bundesregierung vorgesehene Regelung, nämlich daß eine Genehmigung dann nicht wieder erteilt werden darf, wenn der Unternehmer mit seinem Umsatz 50 % unter dem Durchschnitt gelegen hat, geändert wird. Dieser im Grunde zwar richtige Ansatz, bei dem man sich darauf beruft, daß auch bei der Ersterteilung einer Genehmigung die Leistungsfähigkeit eines Erwerbers zu prüfen ist und eine Leistungsfähigkeit regelmäßig dann nicht gegeben sei, wenn die Konzession zu weniger als 50 % ausgenutzt ist, dieser im Grunde richtige Ansatz - ich sage das noch einmal - drohte zu einem Damoklesschwert insbesondere für die kleinen Unternehmer zu wer11826
den. Während große Unternehmer die Möglichkeit haben, durch gezielten Einsatz ihrer Konzessionen eine gleichmäßige Auslastung zu erzielen, ist es in den kleinen Unternehmen, bei denen manchmal der Inhaber selber auf dem Bock fährt, eben nicht möglich, mit einer solchen Manipulation sich über diese magische 50 °/o-Grenze hinwegzuretten.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit - um das den Kollegen der Opposition noch einmal klarzumachen
- darlegen, wie sich die Struktur dieses Gewerbes insgesamt darstellt. 58 °/o aller Güterfernverkehrsunternehmen arbeiten mit einer oder zwei Konzessionen.
({9})
- Das wird sich überhaupt nicht ändern, verehrter Herr Kollege Dr. Schulte;
({10})
denn in all diesen Fällen wird es so sein, daß die Konzessionen zurückgegeben und dann erneut ausgeschrieben werden müssen.
({11})
Und dann kommen genau die Kriterien wieder zum Tragen, die auch bei der ersten Ausschreibung gelten, nämlich Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit und Berücksichtigung besonders kleinerer und mittlerer Unternehmen.
({12})
- Herr Dr. Schulte, Sie sind natürlich auf diesem Gebiet besonders sachkundig; das gebe ich Ihnen gerne zu. Aber vielleicht 'sollten Sie sich in diesem Punkte einmal bei den betreffenden Fachverbänden noch ein wenig 'sachkundiger machen. Die Verbände sind nämlich ganzanderer Ansicht.
Wir haben deshalb in den Beratungen mit aller Intensität darauf bestanden, daß auch in den Fällen eine Konzession wieder zu erteilen ist, in denen die 50 % Marke aus nicht vom Unternehmer zu vertretenden Gründen nicht erreicht werden kann. Ein klassisches Beispiel dafür wäre, wenn der Unternehmer auf Grund einer Krankheit für längere Zeit 'ausfällt und deshalb diese Marke nicht erreichen kann.
Sie haben während der Beratungen erklärt, daß Sie ein praktikables und ökonomisches Gesetz machen wollen. Diese Zielsetzung haben wir durchgemeinsame Bemühungen durch den ständigen Kontakt mit den beteiligten Verbänden erreicht. Insbesondere der hier in erster Linie betroffene Bundesverband des Deutschen Güterfernverkehrs hat erklärt, daß er mit dem mittelstandspolitischen Aspekt in der von der Koalition vorgelegten Fassung voll zufrieden ist. Er würde es als einen großen Nachteil ansehen, wenn dieses Gesetz durch Ihren Einspruch nicht verabschiedet werden könnte. Enttäuschen Sie die Beteiligten nicht, stimmen Sie dem Gesetz. entwurf zu!
({13})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in der zweiten Beratung.
Ich rufe Art. 1 Nr. i und Nr. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? -Das erste war die Mehrheit; die aufgerufenen Bestimmungen sind angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2776 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der 'Drucksache 8/2776 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer Art. 1 Nr. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 bis 28, Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine; mit Mehrheit angenommen. Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine; das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Meine 'sehr verehrten Damen und Herren, wir treten entsprechend der Verabredung im Ältestenrat in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung. Sie wird um 14 Uhr fortgesetzt.
({0})
Die Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 8/2763 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Hat das Bundesamt für den Zivildienst eine derart unzureichende Vorausschau auf die Zahl der zum Einsatz kommenden Zivildienstleistenden und deren Einsatzmöglichkeit, daß das Amt anerkannte Beschäftigungsstellen noch im Herbst 1978 gedrängt hat, eine große Anzahl von Zivildienstleistenden zusätzlich aufzunehmen, während es dann schon im Frühjahr 1979 sogar die bis dahin beschäftigt gewesene Zahl nicht mehr zuweisen konnte, und wenn ja, warum?
Frau Präsidentin, wenn es gestattet wäre, würde ich gern die Fragen 54 und 55 gemeinsam beantworten, da sie in einem Zusammenhang stehen.
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter? - Dann rufe ich auch die Frage 55 auf:
Ist es richtig, daß das Bundesamt Beschäftigungsstellen aufgefordert hat, selbst um Zivildienstleistende zu werben und ihnen anheimstellt, sich dazu vorbereitend die Anschriften von Kriegsdienstverweigerern örtlich bei Gemeinden, Pfarrämtern und Schulen zu beschaffen, und wenn ja, wird diese Praxis gebilligt oder sogar als Zeichen guter Arbeit des Bundesamts gewertet?
Herr Kollege, das Bundesamt für den Zivildienst ist bemüht, die Zahl der verfügbaren Zivildienstplätze weiter zu erhöhen. Das ist im Zusammenhang mit den Bestrebungen der drei Fraktionen des Deutschen Bundestages zu sehen, das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer neu zu regeln.
Das Bundesamt hat die Aufgabe, vorsorglich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auch nach Inkrafttreten einer Neuregelung alle anerkannten Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst herangezogen werden können. Das Bundesamt wirbt daher bei den Beschäftigungsstellen des Zivildienstes für eine Aufstockung der Zahl der verfügbaren Zivildienstplätze. Dabei kann aber keine Verpflichtung eingegangen werden, die neu eingerichteten Zivildienstplätze auch sofort zu besetzen.
Seit einiger Zeit ist die Einplanung der Zivildienstpflichtigen auf die Zivildienstverwaltungsstellen der Verbände, denen Beschäftigungsstellen des Zivildienstes angeschlossen sind, übertragen. Das Bundesamt für den Zivildienst vollzieht in der Regel nur die Einberufungsvorschläge, die ihm die Verwaltungsstellen vorlegen. Es ist nach meinen Feststellungen nicht auszuschließen, daß im Einzelfall Mitarbeiter des Bundesamtes, wenn sie von Beschäftigungsstellen um Hilfe bei der Zuweisung von Dienstpflichtigen gebeten werden, neben dem Hinweis auf die Zuständigkeit der Verwaltungsstellen den von Ihnen erwähnten Rat geben. Es dürfte aber auch nicht zu beanstanden sein, wenn von Mitarbeitern des Bundesamtes ein derartiger, mehr persönlicher Ratschlag gegeben wird. Dies kann es den betroffenen Beschäftigungsstellen erleichtern, bereits in einem frühen Stadium des Heranziehungsverfahrens Kontakt mit den Dienstpflichtigen aufzunehmen, die ihren besonderen Anforderungen entsprechen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit der Praxis des Bundesamtes einverstanden - und hält sie sie für verbesserungsfähig -, wenn konkret, wie in dem von mir dargestellten Falle, im November 1978 noch um zusätzliche Plätze geworben wird und im Frühjahr 1979 dann schon die bis dahin besetzt gewesenen Plätze nicht mehr besetzt werden können?
Herr Kollege, die regionalen Zugänge im Zivildienstbereich sind häufig sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, daß die einzelnen Dienststellen auch oft auf besondere Vorkenntnisse der Zivildienstleistenden Wert legen.
Wenn hier Schwierigkeiten in einem Einzelfall aufgetreten sein sollten, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diesen einmal mitteilten, um vielleicht doch zu prüfen, ob Abhilfe möglich ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts des Verständnisses, das Sie dafür bekundet haben, daß das Bundesamt den Rat gibt, die Beschäftigungsstelle möge sich selbst bei Kirchen, Verbänden etc. um Zivildienstleistende bemühen, frage ich: Sieht die Bundesregierung nicht die Gefahr, daß in einer solchen Umfrage auch eine Werbung für den Zivildienst als solchen gesehen werden könnte?
Herr Kollege, die Verbände haben bisher immer großen Wert darauf gelegt, persönliche Kenntnis von den Zivildienstleistenden zu erhalten. Hierüber hat es eine lange Auseinandersetzung gegeben. Die karitativen Verbände haben uns immer wieder deutlich gemacht, daß sie eine Einstellung ohne persönliche Kenntnisnahme nicht gern vornehmen. Dies hat z. B. mit konfessionellen Gründen etwas zu tun. Es hat sehr häufig auch etwas mit den gewünschten Vorkenntnissen zu tun. Beispielsweise hat es keinen Zweck, einen zivildienstpflichtigen Bewerber einzustellen, der für den fahrbaren Mittagstisch eingesetzt werden soll, wenn er nicht über einen Führerschein verfügt. Von daher gibt es viele Einzelschwierigkeiten. Man kann durchaus verstehen, daß die Organisationen Wert darauf legen, solche oder ähnliche Notwendigkeiten zu berücksichtigen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Zustände in Einzelfällen dazu geführt haben, daß Organisationen inzwischen gezwungen sind, an Zivildienstleistende Handgelder zu zahlen, damit sie bereit sind, sich bei dieser Stelle zu bewerben, und würde die Bundesregierung, wenn das so ist, ein solches Verfahren billigen oder solchen Vorgängen nachgehen?
Ich würde es verurteilen, wenn Organisationen Handgelder zahlen würden. Mir ist aber ein solcher Fall bisher nicht bekanntgeworden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß angesichts des Hintergrunds der Knappheit an Zivildienstleistenden einzelne Beschäftigungsstellen auch dazu übergehen, Zivildienstleistenden anzubieten, sie könnten nebenher studieren, und daß es Fälle gibt, wo während des Zivildienstes ein volles Studium absolviert wird, und wie beurteilt die Bundesregierung das im Vergleich mit dem Dienst, den Wehrpflichtige leisten müssen?
Ich würde sagen: Wenn jemand neben der Zivildienstleistung ein volles Studium abwickeln möchte, so ist das sicher nicht miteinander in Einklang zu bringen und auch nicht zu rechtfertigen. Der Zivildienstleistende muß in einer Weise eingesetzt werden, die dem Dienst des Wehrdienstleistenden vergleichbar ist. Wir gehen davon aus, daß das geschieht. Wenn es diesbezügliche Mängel gibt und Ihnen solche bekannt sind, wären wir dankbar, wenn sie uns mitgeteilt würden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 56 und 57 der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier sollen auf Bitte der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Hält die Bundesregierung es für angemessen, daß Auszubildende in der Landwirtschaft, die eine Fremdlehre ableisten ({0}), von der landwirtschaftlichen Kran. kenversicherung in die Allgemeine Ortskrankenkasse überwechseln müssen, und wenn nein, welche Regelungen schlägt sie vor?
Buschfort, ParL Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung sind, abgesehen von den Altenteilern, nur landwirtschaftliche Unternehmer mit ihren Familienangehörigen versichert. Arbeitnehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind, sofern es sich nicht um einen mitarbeitenden Familienangehörigen handelt, nicht nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte, sondern nach den Vorschriften erfassen auch Auszubildende. Für die sichert ({1}). Diese Vorschriften erfassen auch Auszubildende. Für die Auszubildenden gilt deshalb die gleiche Kassenzuständigkeit wie für Arbeitnehmer. Wenn die Auszubildenden, die eine sogenannte Fremdlehre ableisten, z. B. nur für ein Jahr von einer landwirtschaftlichen Krankenkasse zu einer Ortskrankenkasse wechseln, vermag ich darin keinen Nachteil für die Versicherten zu erblicken. Selbst wenn die von Ihnen genannten Auszubildenden in der Krankenversicherung der Landwirte pflichtversichert wären, käme innerhalb der landwirtschaftlichen Krankenversicherung ein Krankenkassenwechsel in Betracht. Das wäre dann der Fall, wenn die Fremdlehre in dem Bereich einer anderen als der bisherigen landwirtschaftlichen Krankenkasse abgeleistet würde.
Ich sehe keine Veranlassung, eine Neuregelung der Kassenzuständigkeit für Auszubildende in der Landwirtschaft vorzuschlagen. Denn eine solche Regelung könnte nicht auf die Auszubildenden beschränkt werden. Sie müßte gegebenenfalls alle Arbeitnehmer in der Landwirtschaft betreffen. Das würde zu einer erheblichen Umstrukturierung in der Krankenversicherung der Landwirte führen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es durch den Wechsel, der da vorgenommen werden muß, nicht doch einen erhöhten Verwaltungsaufwand?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, ein Verwaltungsaufwand ist sicher mit jedem Wechsel verbunden. Aber hier ist nicht nur die Frage des Verwaltungsaufwands zu beurteilen, sondern auch die Struktur der Krankenkassen zu sehen. Die landwirtschaftliche Krankenkasse ist eine Krankenkasse für Unternehmer und deren Angehörige. Würden wir die Arbeitnehmer und die Auszubildenden voll einbeziehen, so müßten wir natürlich auch die Frage stellen, ob dann z. B. die Selbstverwaltung, wie sie in anderen Krankenkassen üblich ist, herbeigeführt werden müßte. Hier geht es also nicht nur um die Frage, ob das zweckmäßig ist, sondern hier geht es um die Struktur der Krankenversicherung überhaupt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie von der Zielsetzung der einzelnen Krankenkassen her einen sachlichen Grund, im Hinblick auf die Zuständigkeit der Krankenkassen für die Auszubildenden einen Unterschied zwischen Elternlehre und Fremdlehre zu machen?
Buschfort, ParL Staatssekretär: Herr Kollege, für die Fremdlehre bedarf es der Zuordnung in der jeweiligen Region. Sie mögen recht haben, daß man darüber nachdenken kann, ob mit der Ableistung einer Lehre im eigenen Betrieb wegen der Familienbezogenheit die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Krankenkasse zu begründen ist, bei einer Fremdlehre aber nicht. Ich gebe Ihnen gern zu, daß Ihre weitere Frage auch für mich noch ein wenig aufklärungsbedürftig ist; ich werde das nachprüfen lassen. Da ich diese Frage im Moment nicht abschließend beantworten kann, würde ich gern die Antwort auf diese Frage schriftlich nachreichen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung mit Rücksicht darauf, daß in den letzten Jahren bei wissenschaftlichen Untersuchungsreihen auch Unterleibkrebs bei jüngeren Frauen gefunden wurde, bereit, durch Änderung des § 181 Abs. 1 Nr. 2 RVO die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, daß auch Frauen unter 30 Jahren an der gesetzlich eingeführten Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen teilnehmen können?
Herr Kollege Dr. Becker, Frauen haben als Versicherte oder Familienangehörige von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung von Beginn des 30. Lebensjahres an einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Forderung erhoben wird, diese Altersgrenze zu senken. Auf diese Weise sollen auch Frauen unter 30 Jahren diese Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen können.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat deshalb im Rahmen des Programms der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit ein Forschungsprojekt „Krebsfrüherkennungsuntersuchungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung" ausgeschrieben. Es soll sich mit der Effektivität und Effizienz der bisher angewandten Methoden und Organisationsformen der Krebsfrüherkennungsuntersuchung bei Männern und Frauen befassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten abgewartet werden.
Außerdem hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Zusammenhang mit der in der Öffentlichkeit geführten Diskussion über die derzeitigen Untersuchungsmethoden zur Früherkennung verschiedener Krebsformen den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen gebeten, eine umfassende methodische, therapeutische und organisatorische Überprüfung der Krebsfrüherkennungsuntersuchungen durchzuführen und darüber zu berichten.
Im übrigen kann sich jede durch die gesetzliche Krankenversicherung geschützte Frau, die aus konkretem Anlaß befürchtet, daß sie an einer Krebserkrankung leiden könnte, auf Kosten der Krankenkasse von ihrem Arzt untersuchen lassen, auch wenn sie das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der Bundesrepublik, aber auch im Ausland bereits umfassende Untersuchungsergebnisse vorliegen, die zeigen, daß in den letzten Jahren bei jüngeren Frauen zunehmend atypische Zellbefunde, auch Krebsvorstufen und sogar Unterleibskrebs vorgekommen sind und vorkommen?
Herr Kollege Dr. Becker, ich bin sicher, daß es im Ausland solche Ergebnisse gibt. Auch in der Bundesrepublik gibt es
schon Erhebungen zu dieser Frage. Deshalb war es ja auch sinnvoll, den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen um eine Überprüfung und Zusammenführung dieser Werte und der eigenen Erkenntnisse zu bitten. Die hier gesammelten Erkenntnisse werden wir dann vielleicht so auswerten können, daß es möglicherweise zu einer Initiative im Deutschen Bundestag kommen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich fragen, wann Ihre Aufforderung an den Bundesausschuß ergangen ist?
Herr Kollege Dr. Becker, ich kann Ihnen zu Ihren Fragen insoweit eine Zusatzinformation geben, daß wir davon ausgehen, daß der Bundesausschuß im Frühsommer über das Ergebnis dieser Untersuchungen berichten wird.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich sind damit beantwortet: Ich darf mich bei Ihnen bedanken, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Bülow anwesend.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Lintner auf:
Entsprechen Gliederung und Organisationsprinzip der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR dem militärischer Einheiten?
Frau Präsidentin, bevor ich die Fragen der Herren Kollegen im einzelnen beantworte, möchte ich zunächst noch einmal aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur militärischen Bedeutung der Kampfgruppen der DDR für den Warschauer Pakt vom 23. August 1978 zitieren. Ich gehe nachher auf die einzelnen Fragen ein.
Erstens:
Gliederung, Ausbildung, Ausrüstung und Unterstellung befähigen die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse" ({0}) der DDR, Aufgaben in der territorialen Verteidigung zu übernehmen.
Zweitens:
Die KG sind im Gegensatz zur Nationalen Volksarmee nur bis zur Bataillionsebene militärisch organisiert. Ihre Organisationsstruktur zeigt Parallelen zur Verwaltungsstruktur der DDR.
Drittens:
In den KG wird die Ausbildung überwiegend in der Freizeit der Werktätigen betrieben.
Viertens:
Für Ausbildung, Ausrüstung und Versorgung
sind das Ministerium des Innern, auf nachge11830
ordneten Ebene die Bezirksbehörden der Deutschen Volkspolizei ({1}) und die Volkspolizeikreisämter ({2}) zuständig.
Fünftens:
Gliederung, Ausbildung, Ausrüstung und Unterstellung befähigen die KG nicht zu einem taktisch-operativen Zusammenwirken mit den offensiven Kräften der Nationalen Volksarmee auf dem Gefechtsfeld.
In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 15. November 1978 hat mein Kollege Hiehle u. a. ausgeführt, daß die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, die militärische Bedeutung der Kampfgruppen anders zu beurteilen, als sie das in der Antwort auf die Kleine Anfrage bereits getan hat. Dieser Sachverhalt ist unverändert geblieben.
Nun zu den Fragen 60 und 61 des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Kollege, sind Sie einverstanden, daß beide Fragen zusammen beantwortet werden?
Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Lintner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Stoffplan der letzten Ausbildungsperiode der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR, und worin sieht die Bundesregierung die Schwerpunkte dieser Ausbildungsperiode?
Zur Frage 60: Die Gliederung und das Organisationsprinzip der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse" sind nur bis zur Bataillonsebene denen militärischer Einheiten vergleichbar. Oberhalb der Bataillonsebene gibt es keine Großverbände der Kampfgruppen. Von dieser Ebene an aufwärts zeigt ihre Organisation Parallelen zur Verwaltungsstruktur der DDR.
Die Führung der Kampfgruppen in den Kreisen und Bezirken erfolgt jeweils durch den Ersten Sekretär der SED-Kreis- bzw. Bezirksleitung. Den Ersten Sekretären unterstehen auf Bezirksebene die sogenannten Bezirkskampfkräfte, auf Kreisebene die sogenannten Kreiskampfkräfte, die jeweils aus mindestens einem Bataillon bestehen.
Die Gesamtführung liegt bei der Abteilung Sicherheit im Zentralkomitee der SED. Insoweit sind Gliederung und Organisation der Kampfgruppen oberhalb der Bataillonsebene nicht mit der Gliederung der NVA vergleichbar.
Zur Frage 61: Nach Kenntnis der Bundesregierung lag der Schwerpunkt der Ausbildung der Kampfgruppen im letzten Ausbildungsjahr auf folgenden Vorhaben: Herabsetzung der Zeitnorm zur Herstellung der Einsatzbereitschaft, militärische Ausbildung im Gelände mit verstärkter Förderung der Ausbildung des militärischen Führungspersonals einschließlich der Kommandeure, Fertigstellung von Bauvorhaben und personelle Auffüllung der Einheiten einschließlich der eingeplanten 10%igen Reserven.
Nach Auffassung der Bundesregierung hat sich die Kampfkraft der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse" im Ausbildungsjahr 1978 weiter erhöht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung Stellung und Aufgabenbereich der Hauptabteilung Kampfgruppen beim Ministerium des Innern?
Es ist zuständig für die Fragen der Ausbildung, Ausrüstung und Versorgung dieser Kampfgruppen.
Weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung ebenfalls der Auffassung, daß es sich bei den Kampfgruppen um eine ideologisch gefestigte Parteiarmee handelt, die ähnlich wie die Parteieinheiten der Nationalsozialisten zum Einsatz kommen könnte?
Es handelt sich bei diesen Kampfgruppen um Organisationen, bei denen einerseits der Versuch einer sehr starken ideologischen Indoktrinierung gemacht wird, die andererseits aber eine Art Territorialverteidigungsorganisation darstellen. Das ist mit unserem System nicht zu vergleichen.
Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, Herr Staatssekretär, daß die verstärkte Ausbildung im Zusammenhang mit dem Ausbildungsthema Angriff den offensiven Charakter der Kampfgruppen offenbart?
Darauf gehe ich in den Antworten auf die folgenden Fragen, die mir vorgelegt worden sind, ein. Ich würde Sie bitten, darauf zu warten.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß man durch gezielte und im Republikmaßstab einheitliche Kampfausbildung bereits in großen Teilen einen Ausbildungsstand erreicht hat, der die gegenseitige Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit von Führung, Einheiten und Teileinheiten ermöglicht, und tritt nicht dadurch das rein militärische Wesen der Kampfgruppen zutage?
Das ist daraus nicht zwingend zu folgern. Wenn man Polizeieinheiten nach einheitlichen Grundsätzen schult, sind sie und ihre Führungskader entsprechend austauschbar. Das gibt natürlich der SED ein entsprechendes Kampfinstrument an die Hand, das auch überregional eingesetzt werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Stellung und der Aufgabenbereich der Hauptabteilung Kampfgruppen beim Ministerium des Innern der DDR eher der eines verdeckten Generalstabs zur Führung der gesamten Kampfgruppen entspricht und z. B. auch die Abteilungen Kampfgruppen bei den Bezirksdirektionen der Volkspolizei eher mit Regimentsstäben vergleichbar sind als der harmlosen Ausdeutung, die Sie in der Antwort auf die Frage des Kollegen Lintner gegeben haben?
Nein. Hier ist eine zweiwegige Zuständigkeit gegeben. Der Einsatzbefehl kommt von den jeweiligen SED-Bezirks-und -Kreisleitungen bzw. der Kreisleiter, während Ausbildung, Ausrüstung und Versorgung, möglicherweise darüber hinaus auch andere grundlegende Fragen des Einsatzes dieser Gruppen, im Ministerium des Innern und den entsprechenden Volkspolizeiuntergliederungen geregelt werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß entgegen Ihrer Aussage es im „Kleinen politischen Wörterbuch", erschienen im Dietz-Verlag, Ost-Berlin, 1973 über die Aufgaben folgendermaßen heißt - ich zitiere auszugsweise -:
Die Aufgaben lösen sie
- nämlich die Kampfgruppen der Arbeiterklasse wenn notwendig mit Einheiten der Nationalen Volksarmee.
Dr. von Bülow, Parl. 'Staatssekretär: Sie haben ja auch Aufgaben der territorialen Verteidigung, wie wir sagen würden. Sie sind sehr stark angelehnt an die Organisation der Betriebe, der Verwaltungen. Sie rekrutieren sich dorther. Ein Großteil des Materials lagert in den entsprechenden Betrieben. Sie sind - neben vielem anderen - auch zum Objektschutz eingesetzt. Es ist völlig klar, daß sich von daher sachlogisch eine Zusammenarbeit mit der Nationalen Volksarmee ergeben muß.
Eine Frage ,des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, wie paßt die von Ihnen vorhin aufgezeigte Aufgabe bei der Ausbildung und Schulung, nämlich die Kampfausbildung im Gelände für die Einheiten der Kampfgruppen, in das Bild, das Sie im Rahmen Ihrer bisherigen Antworten gezeichnet haben?
Ich wüßte nicht, warum die Territorialverteidigung nicht mit Kämpfen im Gelände verbunden sein sollte; das muß sie praktisch sein. Es ist ja praktisch die territoriale Verteidigung der DDR, so wie sie es nach außen auf jeden Fall darlegt und wie sie es übt, und das hat mit Üben im Gelände etwas zu tun.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wittmann.
Herr Staatssekretär, inwieweit sind diese Einheiten in die Festlegung der Truppenstärken bei den MBFR-Verhandlung in Wien mit einbezogen?
Sie sind einvernehmlich zwischen Ost und West aus den Truppenstärken ausgeklammert, genauso wie unsere ganze territoriale Verteidigung nicht in die MBFRVerhandlungen eingeschlossen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, nochmals zur Ausbildung: Wo und in welchem zeitlichen Rahmen führen die schweren Einheiten der Kampfgruppen ihre Übungen mit dem scharfen Schuß durch? Findet das auf den Truppenübungsplätzen der Nationalen Volksarmee statt?
Das könnte ich mir gut vorstellen. Ich kann es Ihnen jetzt nicht sagen, ich kann Ihnen das nachreichen. Aber ich wüßte nicht, wo man das sonst üben sollte.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, ist unser Territorialheer auf mögliche Aktionen der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse" vorbereitet, und reicht die Ausbildung hierzu aus?
Unser Territorialheer, genauso wie unser Feldheer, ist auf eine Auseinandersetzung mit den entsprechenden Truppen des Ostblocks hin ausgerüstet und wird auf sie hin ausgebildet. Wir gehen davon aus, daß die Kampfgruppen im rückwärtigen Gebiet als territoriale Verteidigung eingesetzt werden. Deswegen ist es nicht primäre Aufgabe, darauf geschult zu sein, sich damit auseinanderzusetzen.
Keine weitere Frage. Dann rufe ich die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Böhm 'auf:
Welche Stellung mißt die Bundesregierung den Kampfgruppen als Bestandteil der sozialistischen Landesverteidigung innerhalb der Kräfte des Warschauer Pakts zu?
Nach Auffassung der Bundesregierung haben die Kampfgruppen
Parl. Staatssekretär Dr. von Billow
den Auftrag, die örtlich gebundene territoriale Landesverteidigung der DDR sicherzustellen. Als Bestandteil der „sozialistischen Landesverteidigung" innerhalb der Kräfte des Warschauer Paktes sollen sie im Kriegsfall die Operationsfreiheit dieser Streitkräfte gewährleisten. Sie entlasten damit die regulären Streitkräfte von Aufgaben im rückwärtigen Gebiet. Zur Erfüllung dieser territorialen Aufgaben ist ein Zusammenwirken mit anderen bewaffneten Kräften zu erwarten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt angesichts dieser Lage die Bundesregierung meine Auffassung, daß durch das Vorhandensein der Kampfgruppen und anderer paramilitärischer Organisationen in der DDR die Nationale Volksarmee in ihrer Gesamtheit als Offensivkraft und nicht als Defensivkraft zu beurteilen ist?
Nein.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt und bewertet die Bundesregierung die intensive Zusammenarbeit der Kampfgruppen mit der Nationalen Volksarmee im Rahmen des Warschauer Paktes, z. B. ihre Teilnahme an Übungen, die gemeinsam mit den Streitkräften des Warschauer Paktes abgehalten werden?
Ich wies schon darauf hin, daß den Kampfgruppen zu einem wesentlichen Teil die Aufgabe der territorialen Verteidigung zukommt. In diesem Zusammenhang ist es, wie ich schon sagte, logisch, daß sie mit den entsprechenden Kampftruppen des Warschauer Paktes zusammenarbeiten, genauso wie unser Territorialheer ebenfalls mit den verbündeten Truppen zusammenarbeitet, weil es ebenfalls den rückwärtigen Bereich sicherzustellen hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, habe ich eben Ihre Antwort an den Kollegen Böhm richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, die Nationale Volksarmee habe nach ihrer Bewaffnung und nach ihrer Ausbildung keinen offensiven Charakter?
Nein, Sie haben 'das nicht richtig verstanden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, wie ist die eben dem Kollegen Berger gegebene Antwort und die Tatsache, daß die Kampfgruppen der
Arbeiterklasse in Ausbildung und Übungen auf das engste in die Programme der Nationalen Volksarmee einbezogen sind, mit der vorhin von Ihnen gegebenen Auskunft in Einklang zu bringen, daß es sich hier um eine territoriale Verteidigungstruppe handele?
Wenn Sie sich einmal in die Überlegungen der DDR zur Verteidigung ihres Landes hineindenken, müssen Sie ihr doch zubilligen, daß sie für die sicherheitsmäßige Abdeckung ihres Territoriums Vorsorge trifft. Wie sie das organisiert, ist eine ganz andere Frage. Sie hat sich entschieden, das u. a. über die Betriebskampfgruppen zu lösen. Nun können Sie aus mir nicht die Antwort herausbekommen, daß aus der Kombination, daß die territorialen Betriebskampfgruppen zusammen mit den normalen Feldstreitkräften üben, auf die Offensivität einer Armee zu schließen ist. Das halte ich für weit überzogen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Staatssekretär, widerspricht Ihrer Beurteilung nicht die Tatsache, daß die Kampfgruppen in verstärktem Maße spezielle Aufklärungseinheiten in ihren Reihen haben und sie auch schulen, ausbilden?
Natürlich gehört auch die Aufklärung zu den Aufgaben der Territorialtruppen, bei der Bundeswehr genauso.
Keine weitere Frage. Dann rufe ich die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Hat die Bundesregierung auf Grund der unlängst bekanntgewordenen Äußerungen des DDR-Verteidigungsministers Armeegeneral Hoffmann zur Bedeutung der Kampfgruppen den Darlegungen des Generalmajors Leube, der offen vom operativen Einsatz der Kampfgruppen" spricht, sowie der Veröffentlichungen von Generaloberst Scheibe, dem Leiter der Abteilung Sicherheit beim ZK der SED, zu diesem Thema eine neue Lagebeurteilung angestellt, und zu welchem Ergebnis kommt sie gegebenenfalls dabei?
Herr Kollege, die in der Frage angesprochenen Äußerungen haben der Bundesregierung keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die bisherige Lagebeurteilung der Bundesregierung ist daher nach wie vor gültig. Bei der Aussage, daß die Kampfgruppen „je nach dem festgelegten Hauptzweck des Einsatzes für operative Aufgaben bzw. für die Sicherung ausgewählter Objekte im heimatlichen Territorium vorbereitet sind", werden die beiden Hauptaufgaben der Kampfgruppen angesprochen, nämlich der bewegliche Einsatz zur Absicherung des rückwärtigen Grenzgebietes, z. B. bei der Bekämpfung von Luftlandetrupps und beim Katastrophenschutz, und der Objektschutz „verteidigungswürdiger Objekte", u. a. auch durch Flugabwehr. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß die Kampfgruppen in der Lage sind, an offensiven überregionalen Kampfhandlungen der Streitkräfte teilzunehmen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es Ihnen tatsächlich unvorstellbar, daß die Kampfgruppen der DDR im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden könnten?
Ich komme darauf noch zu sprechen. Es ist nicht ihre Aufgabe, aber es ist nicht undenkbar, daß sie im Falle von Auseinandersetzungen im rückwärtigen Bereich eingesetzt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Kampfgruppen in der Lage wären und im strategischen Spiel des Warschauer Paktes auch die Aufgabe übernehmen könnten, außerhalb des Einsatzes der Nationalen Volksarmee, gewissermaßen als Bürgerkriegsarmee, auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland vorzudringen, ohne - ich wiederhole das - daß die NVA eingesetzt wird?
Das halten wir nach unseren Erkenntnissen für weitgehend ausgeschlossen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Staatssekretär, spielt bei den Überlegungen der Bundesregierung überhaupt die Frage eine Rolle, ob die Kampfgruppen möglicherweise nicht auch geeignet sein könnten, etwa im Raum der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt zu werden?
Zur Zeit ist das nicht der Fall.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Entspricht der Aufbau der rückwärtigen Dienste der Kampf-` gruppen der Arbeiterklasse in der DDR dem logistischen System der Nationalen Volksarmee, und welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Herr Kollege, im Gegensatz zur Nationalen Volksarmee verfügen die Kampfgruppen nicht über eigene rückwärtige Dienste. Die Versorgung der Kampfgruppen erfolgt aus Depots des Ministeriums des Innern der DDR. Der Sofortbedarf lagert zum Teil in den von den Kampfgruppen zu schützenden Objekten, teils auch in Lagern, die den Volkspolizeikreisämtern unterstehen. Bei den Industriebetrieben, die von den Kampfgruppen geschützt werden sollen, wurden Lager- und Unterstellmöglichkeiten für Waffen, Munition, Fahrzeuge und Gerät gebaut. Dieses Programm ist noch nicht abgeschlossen. Auf der Ebene der Kampfgruppenbataillone besteht ein Versorgungszug.
Aus diesem Organisationssystem für Geräte- und Nachschubbedarf der Kampfgruppen sieht sich die Bundesregierung in ihrer Beurteilung bestätigt, daß die Kampfgruppen der Arbeiterklasse Aufgaben im Rahmen der territorialen Landesverteidigung zu erfüllen haben, nicht jedoch zu einem taktisch-operativen Zusammenwirken mit den offensiven Kräften der Nationalen Volksarmee auf dem Gefechtsfeld bestimmt sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß seit dem Herbst 1977 für Organisation und Durchführung der rückwärtigen Sicherstellung umgeschriebene Dienstvorschriften, die mit denen der Nationalen Volksarmee sinngleich sind, in die Kampfgruppen eingeführt werden?
Ich halte das überhaupt nicht für undenkbar. Im Gegenteil hat es logisch einen Sinn, dies zu tun; denn wenn man diesen Gruppen die Aufgabe der territorialen Verteidigung überträgt, dann ergibt sich daraus zwangsläufig, daß bestimmte Einsatzregeln der Nationalen Volksarmee auf diese Kampfgruppen Anwendung finden müssen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich daraus schließen, daß die Bundesregierung auch zu dem zwingenden Schluß kommt, daß durch diese Neuorganisation der rückwärtigen Dienste eine noch bessere Zusammenarbeit mit der Nationalen Volksarmee gewährleistet werden soll?
Ich bin sicher, daß das der Fall ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie es, daß es in der in Bonn erschienenen Schrift „Nationale Volksarmee in Stichworten" über den Einsatz der Einheiten der Kampfgruppen heißt:
Kommandos, die im Hinterland des Gegners unter der Leitung von Fallschirmjägern und Agenten operieren sollen. Zu den Aufgaben der Einheiten gehört der Kampf um das Hinterland. Darunter wird verstanden, daß diese Einheiten unmittelbar nach Kampfbeginn gegnerische Flugplätze ausschalten, Militäransammlungen bekämpfen und Verwirrung in die Verkehrsregelung bringen.
Ich nehme an, daß damit der Gegner gemeint ist, den die Kampfgruppen zu bekämpfen haben. So habe ich das verstanden. Ich kenne dieses Wörterbuch nicht im einzelnen, aber nach der Formulierung wird eine Feindlage angenommen, gegen die man sich einzurichten hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen aus der Zeitschrift „Der Kämpfer", dem offiziellen Organ der Kampfgruppen in der DDR, der Beitrag bekannt, in dem unter der Überschrift „Variante zur Beurteilung des Luftgegners" Lageskizzen dargestellt werden, bei denen operativer Einsatz an einem Fluß mit dem Namen „Leine" erfolgt, und ist Ihnen bekannt, daß es in der DDR keinen Fluß mit dem Namen Leine gibt?
Mir ist der Zusammenhang nicht bekannt, wir lassen ihn aber gern nachprüfen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Welche Lernziele hat die Zentrale Schule für Kampfgruppen in der DDR bei der ideologischen Indoktrinierung, und welche Ausbildungsgebiete und Ziele haben die Waffenschulen der Kampfgruppen?
Herr Kollege Hennig, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die konkreten Lernziele der Zentralschule für Kampfgruppen vor, soweit sie sich auf die politisch-ideologische Indoktrinierung beziehen. Es ist jedoch anzunehmen, daß die ideologische Motivierung des Kampfwillens der Kampfgruppen durch Haßerziehung und Feindbildindoktrinierung gegen die NATO und vor allem die Bundesrepublik Deutschland hierbei im Mittelpunkt steht. Weiterhin ist zu erwarten, daß - gleichsam als Kontrastprogramm - die Freundbildvermittlung unter dem Schlagwort „Sozialistische Waffenbrüderschaft" einen breiten Raum einnimmt, wobei vor allem die Rolle der Sowjetunion gewürdigt werden dürfte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt denn die Bundesregierung diese Erziehung zum Haß an den Schulen der Kampfgruppen?
Einheitlich und durchgehend negativ.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie nach dieser erschöpfenden Antwort fragen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung darüber hat, daß im Rahmen dieser Kampfgruppenausbildung eine Ausbildung an schweren Waffen stattfindet?
Die Antwort will ich Ihnen gern schriftlich nachreichen; ich habe sie im Augenblick nicht vorliegen.
({0})
Aber ich kann heute schon generell die Vermutung aussprechen, daß das auf den Truppenübungsplätzen innerhalb der DDR geschieht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Staatssekretär, ist insbesondere die Bundeswehr in ausreichendem Maße über die Kampfgruppen und speziell über die dortige Ausbildung unterrichtet?
Die Bundeswehr bemüht sich, ihre Soldaten über das zu informieren, was sie für den Fall, daß die Abschreckung versagen und es eine kriegerische Auseinandersetzung geben sollte, erwarten könnte. Dazu gehören sicher sämtliche Waffensysteme des Ostblocks in ihrer Anwendung, auch die von den Kampfgruppen eingesetzten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 66 des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf:
Muß die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland damit rechnen, daß in einem Verteidigungsfall Einheiten der Kampfgruppen auf ihrem Territorium eingesetzt werden - eventuell zur Sicherung der Operationsfreiheit der Warschauer-PaktStreitkräfte oder als Sonderkommandos?
Nach der Beurteilung der Bundesregierung sind die Kampfgruppen territorial gebundene Kräfte. Sie sind daher für einen Einsatz außerhalb des Territoriums der DDR normalerweise nicht vorgesehen. Wenn allerdings im Kriegsfall Warschauer-Pakt-Streitkräfte Teile des Gebiets der Bundesrepublik einnehmen sollten, wäre der Einsatz der DDR-Kampfgruppen in diesen Gebieten nicht von vornherein auszuschließen, wenn auch wenig wahrscheinlich. Solche Gebiete würden dann zum rückwärtigen Kampfgebiet des Warschauer Paktes zählen; die Sicherung der Operationsfreiheit der WarschauerPakt-Streitkräfte im rückwärtigen Gebiet ist jedoch eine reguläre Aufgabe der Kampfgruppen. Dagegen ist mit dem Einsatz von Sonderkommandos, gebildet aus Angehörigen der Kampfgruppen, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht zu rechnen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß die verstärkte Ausbildung zum Thema „Angriff" den offensiven Charakter der Kampfgruppen deutlich macht?
Nein, keineswegs. Wenn Sie sich in die Lage, einen Luftlandefeind zu bekämpfen, hineinversetzten, so tun Sie das in der Regel in der Form des Angriffs oder können es jedenfalls in der Form des Angriffs tun. Es ginge zu weit, daraus insgesamt auf einen Offensivcharakter zu schließen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung von dieser Auffassung auch nicht durch das folgende Zitat abzubringen, das am 19. April dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, vom „Informationsbüro West" verbreitet wurde? Es handelt sich um ein Zitat aus der vom Zentralkomitee der SED herausgegebenen Kampfgruppenzeitung „Der Kämpfer", in der es über die Aufgabenstellung wörtlich heißt, daß die Kampfgruppen
den Übergang von einer Gefechtsart in die andere mit hoher Dynamik und Organisation bei unmittelbarer Berührung mit dem Gegner unter Ausnutzung schneller gedeckter Manöver und wirksamer Feuerführung perfekt beherrschen müssen.
Ich kann Ihnen versichern, daß dieselben Grundsätze für das Territorialheer der Bundeswehr gelten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, ist angesichts der ideologischen Schulung, von der Sie uns berichtet haben, nach der ja auch ein aus unserer Sicht als Angriff einzuschätzendes militärisches Vorgehen der DDR von dort als Verteidigung - und sei es etwa der Interessen der Arbeiterklasse bei uns - angesehen würde, nicht damit zu rechnen, daß tatsächlich auch die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse" auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt würden?
Ich sagte vorhin schon: allenfalls - im Ausnahmefall - im rückwärtigen Bereich. Dies kann auf Grund der Ausrüstung und des Trainings dieser Kampfgruppen , wie sie sich zur Zeit darstellen, gesagt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Staatssekretär, haben die Kampftruppenschulen der Bundeswehr Material über die Kampfgruppen, z. B. die Kampftruppen-schule in Hammelburg?
Ich nehme das an, will das aber gerne genau feststellen und Ihnen dann mitteilen.
({0})
- Herr Kollege, wir wollen ja auch nicht im rückwärtigen Teil der DDR kämpfen. Das könnte einer der Gründe sein, falls die entsprechenden Unterlagen in Hammelburg noch nicht vorhanden sind.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Hält die Bundesregierung es für einen geeigneten Schritt zum Abbau des sogenannten Verwendungs- und Beförderungsstaus in der Dienstgradgruppe der Feldwebel bis Hauptfeldwebel, wenn gegenwärtig in neuen Stellenplanentwürfen für. die Gerätedepots C 1 nach dem Wegfall der Stelle eines S 2-Feldwebels ({0}) auch nodi die Stelle des S 3-Feldwebels vom Hauptfeldwebel auf Feldwebel/ Oberfeldwebel herabdotiert werden soll, ober wird diese Stellenkürzung nicht vielmehr zu einer Verschärfung des angesprochenen Problems führen?
Eine Neuordnung der Versorgungsabläufe in den Depots des Heeres erforderte im vergangenen Jahr eine Anpassung der Organisation und damit auch der Dienstpostenausstattung der Depots an die neuen Gegebenheiten. Bei der vorangegangenen Überprüfung des Gerätedepots Rheine im November 1978 hatte sich nämlich ergeben, daß bei den Gerätedepots die nicht auslastenden Aufgaben für einen S 2-Feldwebel einem anderen Dienstposten zugeordnet werden mußten und der Dienstposten eines S 3-Feldwebelssachgerecht und angemessen mit der Dotierung Feldwebel/Oberfeldwebel zu bewerten war. Hierbei handelt es sich um insgesamt 36 Stellen.
Als Ergebnis der Überprüfung wurde die für die Depots des Heeres erforderliche Dienstpostenausstattung nach Anzahl und Dotierung neu festgestellt und entschieden. Der Wegfall von Hauptfeldwebeldienstposten in Bereichen, die für die Verwendung älterer, aus Truppenverwendungen herauszulösender Berufsunteroffiziere geeignet sind, erschwert zwar den Abbau des Verwendungsstaus; die Überprüfungskommission konnte jedoch bei Beachtung der Auflagen der Bundeshaushaltsordnung zu wirtschaftlichen und sparsamen Entscheidungen zu keinem anderen Ergebnis kommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Verwendung als S 2- und S 3-Feldwebel mit den Versorgungsabläufen eines Depots eigentlich nichts zu tun hat?
„Nichts" würde ich für zu weitgehend halten. Aber daß es vieles gibt, was wesentlich ,differiert, ist richtig.
Eine weitere Zusatz.. frage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Arbeitsbelastung und auch die Verantwortung dieser Dienstposten in den Depots in den letzten Jahren infolge der verschlechterten Sicherheitslage eher gestiegen als gesunken ist?
Auch diese Frage Ist sicherlich von jener Kommission überprüft worden; denn die Frage der zunehmenden Sicherheitsbedrohung mußte in die Überprüfung eingehen. Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, das ich Ihnen mitgeteilt habe. Ich muß davon ausgehen, daß es eine sachgerechte Überprüfung gewesen ist.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Voigt ({0}) auf:
Sind bei der Luftlandetruppe die Übungsmöglichkeiten bei Fallschirmabsprüngen jetzt stark eingeschränkt worden, obwohl gerade die sich freiwillig zur Luftlandetruppe meldenden Soldaten und Wehrpflichtigen diese Ubungen unbedingt benötigen, um auf dem Höchststand der Einsatzbereitschaft und des Leistungsvermögens auch weiterhin zu bleiben, und, wenn ja, warum?
Herr Kollege Voigt, vom Führungsstab des Heeres ist festgestellt worden, daß der bisherige Umfang der Fallschirmspringerausbildung im Heer die Forderungen der Konzeption des Heeres und der Einsatzgrundsätze der Luftlandetruppen überstieg. Mit Erlaß vom 6. November 1978 ist daher ab 1979 der Umfang der Fallschirmabsprünge neu festgelegt, und verringert worden. Zukünftig werden in der 1. Luftlandedivision, in der Fernspähtruppe und an der Luftlande-/ Lufttransportschule - wie bisher auch - ca. 5 800 Soldaten für das Fallschirmspringen iausgebildet und in Übung gehalten. Durch genauere Vorgaben für den Besuch des Falls chirmspringerlehrgangs und durch Begrenzung der zulässigen Fallschirmsprünge für das In-Übung-Halten werden jedoch der Umfang der Ausbildung und der dafür erforderliche Aufwand verringert.
Für die Fallschirmjägerbataillone der 1. Luftlandedivision sind jetzt Fallschirmsprünge zum In-ÜbungHalten wie folgt vorgesehen: Soldaten des Fallschirmjägerbataillons, die besondere Sprungeinsätze im Rahmen der NATO durchführen, acht Sprünge im Jahr; Soldaten der übrigen Fallschirmjägerbataillone fünf Sprünge pro Jahr; Freifallspringer 20 Sprünge pro Jahr.
Diese Ausbildung entspricht den Einsatzerfordernissen der Fallschirmjägertruppe, die in erster Linie Luftlandungen mit Hubschraubern ausführen muß. Daneben wird auch weiterhin den Offizieren und Offiziersanwärtern aller Truppengattungen die Teilnahme am Fallschirmspringerlehrgang ermöglicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt ({0}).
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, ob z. B. auch für Reservisten, die eine abgeschlossene Fallschirmsprungausbildung haben, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen werden?
Ich nehme an, daß sich auch das auf Grund der Konzeption des Heeres leicht verringern dürfte. Aber ich will Ihnen gern genauere Auskünfte dazu liefern.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Voigt ({0}) auf:
Inwieweit ist der Bundesverteidigungsminister bereit, die im Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1978 angeführte Kritik über ,fehlerhaftes Führungsverhalten und Disziplinlosigkeit durch Trunksucht" anzuerkennen, und welche konkreten Vorschläge macht der Bundesverteidigungsminister im Falle einer Anerkennung der Kritik, die elementaren Bestandteile einer Armee, nämlich vorbildliches Verhalten der militärischen Führer und Disziplin, wiederherzustellen?
Herr Kollege Voigt, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß vom Bundesministerium der Verteidigung zur Zeit die Stellungnahme zum Jahresbericht 1978 des Wehrbeauftragten erarbeitet wird. Der Verteidigungsausschuß des deutschen Bundestages wird sich voraussichtlich am 13. Juni 1979, also noch vor der Sommerpause, mit dem Bericht befassen. Ohne der ausführlichen Erörterung des Problems bereits vorzugreifen, darf ich heute Ihre Frage wie folgt beantworten:
Der Bundesminister der Verteidigung stimmt der Beurteilung und Bewertung der Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs auf die Disziplin und innere Ordnung der Streitkräfte durch den Wehrbeauftragten grundsätzlich zu. In seinen Ausführungen weist der Wehrbeauftragte jedoch darauf hin, daß seine auf der Grundlage des gesetzlichen Kontrollauftrags gewonnenen übergreifenden Erkenntnisse nicht den Schluß auf eine Verschlechterung der Disziplin in den Streitkräften insgesamt zulassen.
Durch die Berichterstattung ist allerdings der Eindruck entstanden, als sei das Ausmaß an Alkoholkonsum in alarmierendem Maße gestiegen und die Disziplin der Truppe durch Alkoholmißbrauch in Gefahr. Hierzu ist festzustellen: Alkoholmißbrauch und seine Folgen sind keine speziellen Probleme der Streitkräfte. Für die Bundeswehr ist hervorzuheben, daß das Alkoholproblem vor 1974 größer war als heute; am größten war es in den ersten Aufbaujahren. Aus den Jahresberichten 1977 und 1978 über disziplinare Maßnahmen ergibt sich z. B., daß die Zahl der Dienstvergehen unter Alkoholeinfluß von 1977 auf 1978 von 7 878 auf 5 750, also um 27 °/o, abgesunken ist.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Voigt: Ich teile nicht ihre Auffassung, daß „elementaParl. Staatssekretär Dr. von Bülow
re Bestandteile" der Streitkräfte inGefahr sind. Das Bundesministerium der Verteidigung wird jedoch in seinen Bemühungen, den übermäßigen Alkoholgenuß einzuschränken und Alkoholmißbrauch zu verhindern, nicht nachlassen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der im Bericht des Wehrbeauftragten geschilderten Vorfälle zu veranlassen, daß die Dienstaufsicht aller Vorgesetzten wieder den in § 10 des Soldatengesetzes geforderten Normen entspricht, um in Zukunft einen Fall wie den eines Kompaniechefs zu vermeiden, der - obwohl dies allen seinen Vorgesetzten bekannt war - über zweieinhalb Jahre im Dienst und außerhalb des Dienstes unverhältnismäßig viel Alkohol trank und dadurch eigentlich seine Stellung als Vorgesetzter nicht mehrausüben durfte?
Ich glaube, daß dieses konkret mit einem Versagen der Vorgesetzten dieses Mannes zusammenhängt. Ich glaube aber, daß wir im Detail im Verteidigungsausschuß und nachher hier im Plenum Gelegenheit haben werden, gerade diese Fälle und die Notwendigkeit ihrer generellen Auswertung zu erörtern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit anzuerkennen, daß die im Bericht geschilderten Vorfälle ihre Ursache aber auch darin haben, daß viele Vorgesetzte unzureichend und zu kurz z. B. in der Menschenführung ausgebildet worden sind?
Ich glaube nicht, daß der Fall, daß man aus Kameraderie einem Untergebenen über zwei oder zweieinhalb Jahre den Alkoholmißbrauch in diesem Umfang durchgehen läßt, durch Ausbildung in Fragen der Inneren Führung gelöst werden könnte. Das ist ein schlichtes Fehlverhalten des Vorgesetzten, das man ohne viel Schulung erkennen und dem man entsprechend gegensteuern kann.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer ersten Antwort entnehmen, daß der Herr Verteidigungsminister seine erste Überreaktion, nämlich ein generelles Ausschankverbot innerhalb der Kasernen während der üblichen Dienststunden verhängen zu wollen, noch einmal überdenken wird?
Auch dies wird Gegenstand der Diskussion im Verteidigungsausschuß und hier im Plenum sein können.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe nunmehr die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die Verbündeten bei den letzten Manövern auf Grund der Äußerungen des Generalmajors Bastian Konsequenzen im Hinblick auf Kommandostrukturen gezogen haben, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege, die von Generalmajor Bastian kommandierte. 12. Panzerdivision ist auf Grund ihres Verteidigungsauftrags besonders auf enge Zusammenarbeit mit den amerikanischen Streitkräften angewiesen. Diese Zusammenarbeit erfolgte und erfolgt weiterhin reibungslos. Amerikanische Konsequenzen auf Grund der Äußerungen des Generalmajors Bastian im Hinblick auf Kommandostrukturen sind der Bundesregierung nicht bekanntgeworden. Reaktionen anderer Verbündeter sind ihr ebenfalls nicht bekannt.
Herr Staatssekretär, waren diesem General nicht auch in der Manöverlage Streitkräfte unserer Verbündeten unterstellt, und ist es nicht so, daß die Verbündeten auf Grund der Äußerungen ihre Verbände seinem Kommando entzogen haben?
Sie haben keine Unterstellungen zurückgezogen; die Zusammenarbeit der Verbündeten wird wie bisher stattfinden, und es gibt keine Änderung des bisherigen Zustands.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, können Sie hier klarstellen, daß die in bezug auf die Zusammenarbeit von Generalmajor Bastian und den Alliierten in die Welt gesetzten Verleumdungen - in Form von Leserbriefen - freie Erfindung sind?
Nach unserer Kenntnis ja.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Bülow.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander zur Verfügung. Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Hammans auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung aus der Erkenntnis, daß nur die cis-Form mehrfachungesättigter Fettsäuren den Blutcholesterinspiegel senkt, der Margarineindustrie zur Auflage zu machen, auf das Vorhandensein der cis-Form hinzuweisen, um dem Verbraucherkreis, der bislang mit dem aus dem Verkehr gezogenen Arzneimittel Clofibrat behandelt wurde, eine Alternativmöglichkeit zur Erhaltung seiner Gesundheit zu geben?
Herr Abgeordneter Dr. Hammans, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Kennzeichnung der cis-Form von mehrfach ungesättigten Fettsäuren vorzuschreib en, zumal nach den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs in Margarinen, bei denen auf besonders hohe Anteile an mehrfach ungesättigten Fettsäuren hingewiesen wird, 50 °/o Linolsäure in cis-Form enthalten sein muß. Im übrigen werden diätetische und medikamentöse Maßnahmen zur Senkung erhöhter Blutlipide, soweit überhaupt möglich, nicht alternativ, sondern kombiniert angewandt. Diese Möglichkeit besteht mit Hilfe anderer Arzneimittel auch weiter, nachdem Clofibrat aus dem Verkehr gezogen wurde.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgordneten Amling auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Jahr 1978 alle zwei Wochen ein Kind beim Spielen mit Plastiktragetüten durch Erstikken ums Leben kam, und wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß künftig alle Plastiktragetüten mit feinen Löchern und mit der Aufschrift „Vorsicht Erstickungsgefahr" versehen werden, um zu erreichen, daß diese in Zukunft sich nicht mehr als „Todesfalle" für Kleinkinder auswirken?
Herr Abgeordneter Amling, der Bundesregierung sind Presseberichte bekannt, wonach in der Bundesrepublik jährlich im Durchschnitt etwa 25 Kinder beim Spielen mit Kunststofftragetaschen erstickt sein sollen. Die in den Berichten genannten Zahlen kann ich allerdings nicht bestätigen, weil mir hierüber Unterlagen nicht vorliegen. Der Bundesregierung sind aber auch Mitteilungen bekannt, daß die ständigen Warnungen der Münchner Aktion „Das sichere Haus" und der Massenmedien einige Hersteller bereits veranlaßt haben, einen Teil der Tragetaschen aus Kunststoff mit Perforationen zu versehen. Die Bundesregierung begrüßt diese Entwicklung und erwartet, daß auch die übrigen Hersteller solcher Erzeugnisse sich eigenverantwortlich diesen Maßnahmen anschließen. Sie wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemühen, daß die Massenmedien sich verstärkt der Aufklärung der Bevölkerung zur Vermeidung solcher Kinderunfälle annehmen. Hierzu wird sie im Rahmen der Überarbeitung der Sicherheitsfibel, die im Juli 1979 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung herausgegeben wird, ausdrücklich auf die besonderen Gefahren für Kinder beim Spielen mit Tragetaschen hinweisen und die Erarbeitung von DIN-Normen anregen, durch die die aufgezeigten Gefahren vermieden werden können.
Ein Anfang hierfür ist bereits in der neuen europäischen Spielzeugnorm gemacht worden. Sie schreibt für diesen Bereich eine Mindestdicke für Plastikbeutel vor und verbietet Zugverschlüsse mittels Schnur oder Band, damit Erstickungsfällen vorgebeugt wird. Diesen Initiativen kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil rechtlich verbindliche Maßnahmen, z. B. nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, nicht getroffen werden können. Tragetaschen sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes
nur dann Bedarfsgegenstände, wenn sie mit Lebensmitteln direkt in Berührung kommen und die menschliche Gesundheit durch ihre stoffliche Zusammensetzung geschädigt werden könnte. Dies trifft nur auf die wenigen Fälle zu, in denen unverpacktes Obst oder Gemüse in Tragetaschen transportiert wird und gleichzeitig toxikologisch wirkende Stoffe aus den Tragetaschen auf die Lebensmittel einwirken. Die aufgezeigten Todesfälle durch Tragetaschen sind aber nicht hierdurch, sondern durch rein technische Voraussetzungen der Tragetaschen entstanden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 73 der Abgeordneten Frau Erler auf:
Welche Folgerungen hat die Bundesregierung aus der Tatsache gezogen, daß in der Frauenmilch so hohe Rückstände an chlorierten Kohlenwasserstoffen enthalten sind, daß die damit dem Säugling zugeführten Mengen den vom FAO/WHOExpertenkomitee festgesetzten Wert für die duldbare tägliche Aufnahmemenge für den erwachsenen Menschen bereits wesentlich überschreiten?
Zander, Pari. Staatssekretär: Frau Abgeordnete Erler, es steht außer Zweifel, daß die beste Ernährung für den Säugling die Milch der eigenen Mutter ist, da sie beim Trinken an der Brust keine Keime enthält und gleichzeitig einen großen Infektionsschutz bietet. Außerdem fördert das Trinken den Kontakt zwischen Mutter und Kind und es gibt keine Probleme der Überfütterung. Weiterhin ist die Muttermilch in ihrer Zusammensetzung ganz auf die Funktion des Verdauungsapparats eingestellt. Das Problem des Pestizidgehaltes in Frauenmilch ist weltweit. Selbst in Ländern mit wesentlich höherem Pflanzenschutzmittelverbrauch als in der Bundesrepublik und daher wesentlich höheren Pestizidgehalten in der Frauenmilch haben sich bisher keine gesundheitsschädlichen Auswirkungen ergeben, und zwar durch die meist relativ kurze Stillperiode, kurz im Verhältnis zu der gesamten Lebenszeit gesehen, auf die sich der von der FAO/WHO angenommene Wert für eine annehmbare tägliche Aufnahme bezieht.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung haben in der letzten Zeit mehrfach auf die besonderen gesundheitlichen Vorzüge des Stillens hingewiesen und hierbei zum Ausdruck gebracht, daß der Nutzen des Stillens wesentlich höher ist als ein möglicherweise vorhandenes Gesundheitsrisiko durch Rückstände in der Frauenmilch. Zu diesem Ergebnis kommt ebenfalls die DFG-Kommission zur Prüfung der Rückstände in Lebensmitteln in ihrer Mitteilung vom 26. April 1978. Nach dem bisherigen Ergebnis eines vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit finanzierten Forschungsvorhabens haben die Pestizidmengen in der Frauenmilch im Jahre 1978 gegenüber 1977 geringfügig abgenommen. Diese Entwicklung dürfte das Ergebnis des Anwendungsverbotes dieser Stoffe im DDT-Gesetz vom August-1972 sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß es bisher noch keine klinisch-ärztlichen Befunde gebe - und das sagt auch die DFG -, heißt das, daß Untersuchungen angestellt worden sind, aber keine Befunde festgestellt worden sind, oder hat es noch keine detaillierten Untersuchungen gegeben?
Es hat Untersuchungen gegeben. Dabei haben sich keine negativen Befunde herausgestellt. Sie müssen bitte beachten, daß die Grenzwerte, die Sie zitiert haben, die Grenzwerte der WHO, davon ausgehen, daß eine bestimmte Menge über einen sehr langen Zeitraum, der wesentlich über den Zeitraum des Stillens hinausgeht, aufgenommen wird, und daß diese Menge aus Sicherheitsgründen mit 100 multipliziert wird. Dies sind die Zahlen der WHO.
Eine weitere Frage.
Aber, Herr Staatssekretär, in der Untersuchung der DFG ist von für den Erwachsenen toxischen Mengen die Rede, die dem Baby zugeführt werden, so daß die Mutter vor der Alternative steht, entweder dem Kind die Immunstoffe, die bisher noch nicht künstlich herstellbar sind, zu entziehen, oder ihm täglich Gift zuzuführen.
Zander, .Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Erler, ich habe versucht, Ihnen darzustellen, daß in der Abwägung zwischen dem Nutzen des Stillens und den möglicherweise damit verbundenen Gefährdungen die wissenschaftliche Meinung eindeutig für das Stillen spricht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hammans.
Herr Staatssekretär Zander, treffen Pressemeldungen zu, daß der Gehalt an Rückständen chlorierter Kohlenwasserstoffe in der Muttermilch höher ist als in der Kuhmilch?
Das kann ich nicht beurteilen; das kann ich nicht bestätigen. Da müßte ich mich informieren.
Es liegen keine weiteren Fragen vor. Dann rufe ich die Frage 74 der Frau Abgeordneten Erler auf:
Ist beabsichtigt, weitere Forschungsvorhaben zu fördern bzw. zu intensivieren, um der toxikologischen Beurteilung anhand umfangreicherer Befunde eine besser fundierte Grundlage geben zu können, und um Empfehlungen aussprechen zu können wie die Ursachen für die gesundheitsschädlichen Rückstände in der Frauenmilch ausgeschaltet werden können?
Frau Kollegin Erler, Ihre Frage ist auch in der Mitteilung der DFG-Kommission zur Prüfung von Rückständen in Lebensmitteln enthalten. Diesem Vorschlag wird vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit durch die Finanzierung eines umfangreichen weiteren Forschungsvorhabens Rechnung getragen. Hierbei wird in Zusammenarbeit von vier Universitätskinderkliniken und vier Universitätsfrauenkliniken mit zwei namhaften wissenschaftlichen Instituten eine umfassende Untersuchung über die Konzentration von chlorierten Kohlenwasserstoffen in der Muttermilch während der ganzen Stillperiode durchgeführt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für nötig, daß angesichts der Ergebnisse der DFG, wonach die Giftkonzentration in der Muttermilch zehnmal so hoch ist wie in der Kuhmilch, Sofortmaßnahmen eingeleitet werden? Ich denke etwa an Auflagen an dieKliniken, in deneneine rein biologische Ernährung der Wöchnerinnen vorzuschreiben ist.
Frau Kollegin Erler, das Problem ist nicht, in welcher Relation die Konzentration der Giftstoffe in der Milch hier und dort steht, sondern die Frage ist, in welchem Verhältnis diese Giftstoffe zu den Grenzwerten stehen, die von der WHO festgelegt worden sind - Grenzwerten, von denen man annimmt, daß sie eine gesundheitliche Gefährdung darstellen können. Der entscheidende Punkt ist, daß diese Grenzwerte die tägliche Aufnahme über sehr lange Zeiträume - in der Regel ein ganzes Leben - hinweg unterstellen, während tatsächlich die Aufnahme nur in einer kurzen Periode erfolgt. Ich bin aber gern bereit, Ihnen noch einmal Unterlagen fiber den von Ihnen angesprochenen Zusammenhang mit der Kuhmilch vorzulegen. Ich bin auch gern bereit, weitere Fragestellungen, die sich daraus ergeben, in die Forschungsvorhaben, die ich angesprochen habe, einzubeziehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob bei der Giftigkeit, von der iFrau Kollegin Erler sprach, ,auch genetische Voraussetzungen eine Rolle spielen?
Der Bundesregierung, die sich von Amts wegen nicht unmittelbar damit beschäftigt, liegen keine Erkenntnisse vor; aber selbstverständlich hat die Bundesregierung die Möglichkeit, über das Bundesgesundheitsamt dort vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse heranzuziehen. Wenn das gewünscht wird, bin ich gerne bereit, festzustellen, ob dort solche Erkenntnisse vorliegen, und Ihnen entsprechende Nachricht zukommen zu lassen.
Keine weitere Frage dazu. Dann danke ich Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
Vizepräsident Frau funcke
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wrede zur Verfügung,
Ich rufe Frage 76 - des Herrn Abgeordneten Corterier - auf:
Wird die Karlsruher Eurocontrol-Zentrale bei einer weiteren Nationalisierung 1981 nicht mehr betriebsfähig sein?
Frau Präsident, ich würde gern die beiden Fragen des Abgeordneten Corterier gemeinsam beantworten, wenn er einverstanden ist.
Sie sind einverstanden? - Dann bitte auch die Frage 77:
Wie sieht die Bundesregierung die Zukunft der Karlsruher Eurocontrol-Zentrale nach dem Auslaufen der Eurocontrol-Konvention im Jahr 1983?
Die Kontrollzentrale in Karlsruhe wind auch nach 1983 zur Erfüllung der Aufgaben der Flugsicherung und der Flugüberwachung benötigt. Die Bundesanstalt für Flugsicherung wird deshalb nach Auslaufen der EUROCONTROL-Konvention im Jahre 1983 die Kontrollzentrale in ihre Zuständigkeit übernehmen. Die Bundesregierung sieht deshalb keinenGrund für eine Gefährdung des Betriebes der Zentrale in den nächsten Jahren.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, die Betriebsfähigkeit der Zentrale in der Zukunft wird ja sehr stark davon abhängen, ob es gelingt, das qualifizierte Personal von EUROCONTROL dort zu halten. Hat die Bundesregierung diesen qualifizierten Kräften ausreichende Angebote gemacht, um sie zum Bleiben zu veranlassen?
Herr Kollege, sich bitte um Verständnis, daß ich über Einzelheiten in diesem sehr schwierigen personellen Zusammenhang hier nicht sprechen möchte. Die Bundesregierung wird jedenfalls alles unternehmen, um sicherzustellen, daß auch in dem von ihnen angesprochenen Bereich ein ungefährdeter Weiterbetrieb der Kontrollzentrale möglich ist.
Darf ich doch noch einmal nachfragen: ist 'es richtig, daß es jetzt schon eine ganze Reihe von nichtbesetzten Stellen bei der Zentrale gibt, und ist die Bundesregierung bereit, diese Stellen bald zu besetzen, wenn nicht endgültig, so doch wenigstens vorübergehend bis zum Auslaufen der Konvention?
Herr Kollege, ich kann Ihnen nicht bestätigen, daß es eine Anzahl von nichtbesetzten Stellen gibt. Jedenfalls ist es so, daß der Betrieb der Zentrale mit all den Aufgaben, die dort zur Zeit zu erfüllen sind, gewährleistet ist. Die Bundesregierung wird alles unternehmen, um dies auch für die Zukunft sicherzustellen.
Ich bitte aber um Verständnis, daß ich über Einzelheiten der Gespräche, die dort mit Verhandlungspartnern zu führen sind, nicht hier ein der Öffentlichkeit reden kann.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß ein großer Teil der Systeme, mit denen die Zentrale gegenwärtig arbeitet, spätestens ab 1983 erneuert werden muß?
Ich kann Ihnen nicht besttätigen, ob das genau ab dem Datum 1983 'erforderlich ist. Aber selbstverständlich müssen auch diie Systeme dort erneuert werden. Auch hier sind entsprechende Gespräche eingeleitet worden, um den technischen Betrieb für die Zukunft sicherzustellen.
Ist die Bundesregierung bereit, baldentsprechende Planungsaufträge zu vergefben, und ist sie bereit, dabei auch EUROCONTROL mit seinem qualifizierten Personal zu berücksichtigen?
Wrede, Parl. ;Staatssekretär: Die Bundesregierung wirdalles, was notwendig ist, unternehmen, Herr Kollege. Selbstverständlich wird sie auch das qualifizierte Personal von EUROCONTROL dabei berücksichtigen.
Keine weiteren Fragen.
Die Fragen 78 und 79 des Herrn Abgeordneten Eickmeyer sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 80 des Herrn Abgeordneten Biehle auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dasselbe gilt für Frage 81 des Herrn Biehle.
Ich rufe Frage 82 den Herrn Abgeordneten Merker auf:
Worin besteht nach Meinung der Bundesregierung die Erhöhung der Verkehrssicherheit bei Installation einer Lichtzeichenanlage an plangleichen Bahnübergängen gegenüber einer handbetriebenen Schranke, die unter der optischen Bewachung des Schrankenwärters steht?
Herr Kollege, bei der Installation einer Lichtzeichenanlage ist eine Signalabhängigkeit gegeben. Bei einer mechanischen Schrankenanlage ist diese nicht zwingend
einbezogen. Durch die Signalabhängigkeit wird eine Erhöhung der Sicherheit am Bahnübergang erreicht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir über die Kosten Auskunft geben, beispielsweise über Kosten, die bei der Installation einer solchen Lichtzeichenanlage in der geplanten Umorganisation auf der Eisenbahnstrecke Hameln-Altenbeken entstehen? Wie stellt sich die Relation der Investitionskosten gegenüber den zu erwartenden Personalkosteneinsparungen?
Auf der von Ihnen angesprochenen Strecke werden insgesamt drei Bahnübergänge auf die Fernüberwachung umgestellt. Die Gesamtkosten hierfür werden sich auf rund 1,1 Millionen DM belaufen. Davon gehen rund 628 000 DM nach den Bestimmungen des Eisenbahnkreuzungsgesetzes in die Kostenteilungsmasse ein. Dieser Betrag resultiert ausschließlich aus Aufwendungen für die Herstellung der Signalabhängigkeit. Der Rationalisierungseffekt dieser angesprochenen Gesamtmaßnahme macht hinsichtlich des Personaleinsatzes eine Einsparung von elf Kräften aus.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nein; danke schön.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Schwencke ({0}), die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. von Geldern, die Fragen 85 und 86 des Herrn Abgeordneten Gärtner, die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Milz und die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulte ({1}) sollen auf Bitte der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 91 und 92 des Herrn Abgeordneten Becker ({2}) sollen auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Wie versteht sich nach Ansicht der Bundesregierung die vom 17. April für das kommende Jahr in Aussicht gestellte weitere Senkung der Telefongebühren und Gebühren für Zusatzapparate mit der zum 1. April 1979 in Kraft getretenen Erhöhung der Gebühren für Nebenstellenanlagen?
Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 93 und 94 gern zusammen beantworten.
Sind Sie einverstanden?
Ja; gern.
Ich rufe daher auch die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Anhebung besonders dieser Gebühren nicht in erster Linie auf eigenen betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten beruht, sondern vielmehr auf entsprechende Vorstellungen und Wünsche einzelner privater Wirtschaftsunternehmen zurückzuführen ist?
Herr Kollege, die Erhöhung der Gebühren für Nebenstellenanlagen wurde vom Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost mit der 10. Verordnung zur Änderung der Fernmeldeordnung bereits am 12. Dezember 1977 beschlossen. Die Erhöhung erfolgte in zwei Stufen zum 1. April 1978 und zum 1. April 1979, weil die Leistungs- und Kostenrechnung der Deutschen Bundespost für den Bereich der post- und teilnehmereigenen Nebenstellenanlagen eine Kostenunterdeckung aufweist. Die Aussage von Bundespostminister Gscheidle konnte sich nur auf künftige Vorschläge für Gebührensenkungen beziehen. Die Vorschläge werden Fernmeldebereiche mit Kostenüberdeckung betreffen, so daß diejenigen Kunden am stärksten davon profitieren, die am meisten zu den derzeitigen Gewinnen im Fernmeldewesen beitragen.
Die Deutsche Bundespost vertreibt Nebenstellenanlagen in Konkurrenz zur Privatwirtschaft. Als öffentliches Unternehmen kann sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, in einem Konkurrenzdienstzweig die Gebühren durch Subventionierung aus anderen Dienstzweigen zu niedrig zu halten. Allein deswegen ist sie bemüht, die Leistungs- und Kostenrechnung im Nebenstellengeschäft zu verbessern.
Eine Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß hier keine Preis- oder Gebührenbeeinflussung von außerhalb auf die Kalkulation der Deutschen Bundespost stattgefunden hat?
Nein, Herr Kollege, sondern, wie ich darstellte, das Bemühen, hier nicht in den Verdacht zu kommen, mit Subventionen aus anderen Bereichen Gebühren künstlich niedrig zu halten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen erledigt. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wrede.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sperling zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Kolb auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dasselbe gilt für die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Kolb.
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Francke ({0}) auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dasselbe gilt für die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Francke ({1}).
Ich rufe die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
Ist die Bundesregierung auf Grund der sich zuspitzenden Lage in der Energieversorgung bereit, Sparmaßnahmen auch dadurch zu unterstützen, daß beispielsweise die Kosten für die Beheizung von Wohnungen nicht mehr pauschal auf Grund der Quadratmeterzahl, sondern nach dem individuellen Verbrauch bemessen werden?
Dr. Sperling: Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Herr Kollege Voss, die Bundesregierung hat soeben eine Verordnung beschlossen, nach der die Heizkosten für preisgebundene Mietwohnungen, also, wie man so sagt, die des sozialen Wohnungsbaus, unter Berücksichtigung des individuellen Verbrauchs abgerechnet werden müssen. Dies geschieht aber erst nach dem Einbau von Geräten zur Verbrauchserfassung. Die Verordnung bedarf im übrigen noch der Zustimmung des Bundesrates.
Eine weitere Verordnung wird im Rahmen der von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen zur rationellen und sparsamen Energieverwendung vorbereitet. Sie soll sich unter anderem auf alle Wohnungen in Mehrfamilienhäusern beziehen, also auch auf solche, die nicht zum preisgebundenen Wohnungsbau gehören.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie die Dauer und die Kosten dieser Umrüstung?
Herr Kollege, die Kostenschätzung ist recht schwierig. Der Ablauf wird, was den preisgebundenen Wohnungsbau angeht, sicher bis ins Jahr 1983 reichen und, was den nicht preisgebundenen Wohnungsbau betrifft, noch länger dauern. Gerade damit die Kosten nicht allzu hoch werden, werden solch längere Fristen berücksichtigt werden müssen, damit nicht über eine zu hohe Nachfrage die Herstellerindustrien überfordert werden und somit Preiserhöhungsspielräume entstehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, beispielsweise im Bereich der bundeseigenen Wohnungen und im Bereich der vom Bund finanzierten und mitfinanzierten Wohnungen mit gutem Beispiel voranzugehen und eine zügigere Umrüstung zu gewährleisten?
Herr Kollege Voss, die Bundesregierung wird bemüht sein, in dieser Frage wie in allen Energiesparfragen allen anderen ein gutes Vorbild zu bieten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
Erwartet die Bundesregierung aus dem Bundeswettbewerb „Wohnen in der städtebaulichen Verdichtung" zukunftsweisende Projekte, wenn die Länder festlegen, daß sie Projekte aus diesem Wettbewerb nur fördern werden, wenn diese den Vorschriften des sozialen Wohnungsbaus entsprechen, und damit neue Wohnformen, die Alternativen zum Wohnen im Eigenheim auf dem Lande darstellen könnten, von vornherein erschweren?
Frau Präsidentin, ich hätte gern die beiden Fragen des Kollegen Conradi im Zusammenhang beantwortet.
Dann bitte auch noch die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Conradi:
Ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, den Ländern zu empfehlen, bei der Förderung von Projekten aus dem Bundeswettbewerb „Wohnen in der städtebaulichen Verdichtung" die Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes nur als Anhaltspunkte zu verstehen und Abweichungen, z. B. geringere Ausbaustandards zugunsten größerer Wohnflächen und besserer Gestaltungsmöglichkeiten der Bewohner, zuzulassen?
Das Bundesprojekt, Herr Kollege Conradi, „Wohnen in der städtebaulichen Verdichtung" hat zum Ziel, beispielhafte Lösungen aufzuzeigen, wie in überwiegend bebauten innerstädtischen Gebieten, die vor allem durch das Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe gekennzeichnet sind, attraktive Wohnverhältnisse geschaffen werden können. Im Rahmen dieses Bundesprojektes werden in ausgewählten Gemeinden Architektenwettbewerbe durchgeführt.
Aus den danach beim Bund eingereichten Arbeiten wird eine Kommission besonders interessante und beispielhafte Lösungen für fachliche Teilbereiche, also auch für Maßnahmen außerhalb des Wohnungsbaus, z. B. für Lösungen einer guten Verkehrsführung oder besonders guter Spielplätze für Kinder, auswählen. Diese Beispiele werden dann in einer Dokumentation dargestellt werden. Hierin liegt die eigentliche Bedeutung dieses Bundesprojektes, nämlich den Gemeinden besonders gelungene Lösungen des Problems Wohnen im Innenstadtbereich als Anregung aufzuzeigen, die dann als Beispiele für eigene Maßnahmen dienen können. Die Auswahl der Beispiele in dieser Dokumentation erfolgt dabei unabhängig davon, ob es sich im Einzelfall um Maßnahmen des Sozialen Wohnungsbaus handelt oder ob der Ausbaustandard der betreffenden Wohneinheiten, der vom Sozialen Wohnungsbau gefordert wird, eingehalten wird oder
nicht. Insoweit besteht im Rahmen dieses Bereichs keine Einengung, die die Erarbeitung guter Lösungen erschweren würde.
Über dieses Aufzeigen beispielhafter Lösungen und ihre Festhaltung in der Dokumentation hinaus hat sich der Bund aber noch bereit erklärt, nach einem entsprechenden Vorschlag der Auswahlkommission in jedem Land eine beispielhafte Lösung im lahmen des Programms zur Weiterentwicklung des Wohnungs- und Städtebaus durch Modellvorhaben, Versuchs- und Vergleichsbauvorhaben zu fördern.
Nun stehen für ein solches Programm nur Rückflußmittel des Sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung. Dies bedeutet, daß die Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes beachtet werden müssen. Dies ergibt sich aus den Vorschriften, die für uns durch die Vorbemerkungen zum Tit. 2503 des Haushaltsplans gegeben sind. Nach diesen Vorbemerkungen, die für uns Vorschriften sind, müssen Rückflüße aus Darlehen, die der Bund zur Förderung des Wohnungsbaus gewährt hat, laufend zur Förderung von Maßnahmen zugunsten des Sozialen Wohnungsbaus verwendet werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß unter den engen Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in den vergangenen Jahren fast keine neuen Bau- oder Wohnformen im Sozialen Wohnungsbau zustande gekommen sind, weil ganz offensichtlich die Innovationsbereitschaft im Sozialen Wohnungsbau durch diese bürokratischen Vorschriften zu sehr eingeengt wird?
Herr Kollege Conradi, ich fürchte, Sie haben mit dieser Betrachtung der Dinge recht. Auflockerungen werden in Zukunft sicher nötig werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sind wir uns dann einig, daß wir zukunftweisende Vorschläge nicht erwarten können, wenn wir die Richtlinien der Vergangenheit zur Grundlage dieser Vorschläge machen?
Herr Kollege Conradi, so allgemein würde ich dies nun auch nicht sagen. Aber ich meine, daß wir für mehr Kreativität im Sozialen Wohnungsbau sicher Auflokkerungsmöglichkeiten schaffen müssen.
Noch eine Zusatzfrage.
Nachdem Sie auf die Bindungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hingewiesen haben, Herr Staatssekretär: Ist die Bundesregierung bereit, einen Vorschlag zu machen, wie wir in das Zweite Wohnungsbaugesetz eine Experimentierklausel einbringen könnten, die auch ein Abgehen von den Vorschriften in begründeten Einzelfällen erlaubt?
Herr Kollege Conradi, ob die Bundesregierung dazu bereit sein wird, kann ich Ihnen heute von dieser Stelle nicht versprechen. Aber ich bitte Sie um Ihre Mithilfe, wenn es darum geht, nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Mitglieder des Bundestages zu überzeugen, daß so etwas sinnvoll sein wird.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben erklärt, daß Ihnen für Demonstrativvorhaben nur Rückflußmittel, die nach den Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zu bewirtschaften sind, zur Verfügung stehen. Warum beantragt das Bundesbauministerium für das Haushaltsjahr 1980 keine zusätzlichen Mittel für solche Vorhaben, die nicht diesen Bindungen unterliegen?
Herr Kollege Conradi, es gibt einen Haushaltsvoranschlag. An den sind die Mitglieder der Bundesregierung gebunden. Es gibt die Möglichkeit, daß die Mitglieder des Parlaments diesen Entwurf ändern. Für das Jahr 1980 stehen wir in der Bindung der Beschlüsse der Bundesregierung.
Keine weitere Zusatzfrage.
Auf die Fragen 103 und 104 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) sind von ihm schriftliche Antworten erbeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Sperling, beantwortet. Vielen Dank.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Da sie im Zusammenhang mit der Aktuellen Stunde stehen, dürfen sie hier nicht behandelt werden.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf:
Wie weit ist die Gründung einer Kenntnisverwertungsgesellschaft für die bei der Hochtemperaturreaktorentwicklung anfallenden, verwertbaren Erkenntnisse gediehen, ist diese Regelung mit der auf dem Schnellbrüterbereich gefundenen Konstruktion vergleichbar, und welche Maßnahmen will die Bundesregierung gegebenenfalls ergreifen, um die Gründung einer solchen Kenntnisverwertungsgesellschaft zu beschleunigen?
Herr Kollege Steger, die Verhandlungen zur Gründung einer Kennt11844
nisverwertungsgesellschaft Hochtemperaturreaktor stehen kurz vor dem Abschluß. Die angestrebte Regelung soll analog der Kenntnisverwertung im Schnellbrüterbereich erfolgen. Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Monaten durch ständigen Kontakt und Verhandlungen mit den Beteiligten bemüht, die Gründung einer Kenntnisverwertungsgesellschaft HTR zu beschleunigen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie darüber Auskunft geben, warum es so lange gedauert hat, bis die Kenntnisverwertungsgesellschaft zustande gekommen ist?
Herr Kollege Steger, Sie wissen, daß es ein sehr kompliziertes Problem ist, viele unter einen Hut zu bekommen, und daß es bei der Schwierigkeit dieser Technologie und der Vertragsausgestaltung eine längere Zeit dauert, ein derartiges Konzept zu erarbeiten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dann, wenn sich der Vertragsabschluß weiter verzögern sollte, bereit, Maßnahmen zu ergreifen, um einen Vertragsabschluß zu beschleunigen, z. B. die vorgesehenen Zuschüsse nicht eher auszuzahlen, als dieser Vertragsabschluß erreicht ist?
Herr Kollege Steger, die Bundesregierung geht davon aus, daß sich die an dem Projekt Beteiligten einigen werden.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann werden diese und die von ihm eingereichte Frage 114 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Pfeffermann hat schriftliche Antworten auf die von ihm eingereichten Fragen 116 und 117 erbeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Ueberhorst auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann werden diese und die ebenfalls von ihm eingereichte Frage 119 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragen Ihres Geschäftsbereichs, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stahl. Ich bedanke mich bei Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brück.
Ich rufe die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Köhler auf:
Welche finanziellen, sächlichen und personellen Aufwendungen sind in welchem Zeitraum aus Mitteln der deutschen Entwicklungshilfe für die peruanische Organisation Sinamos geleistet worden?
Herr Kollege Köhler, ,bei der Sinamos handelte es sich um eine vom peruanischen Staat 1972 gegründete Institution, die ab 1975 von der peruanischen Regierung schrittweise aufgelöst worden ist. Für sechs Projekte, die zeitweilig mit Sinamos durchgeführt wurden, sind insgesamt 40,5 Millionen DM bereitgestellt worden. Die Bewilligungen während der Projektträgerschaft von Sinamos zwischen 1972 und 1977 belaufen sich ,auf 27,8 Millionen DM. Von den in dieser Zeitgetätigten Ausgaben in Höhe von zirka 15,8 Millionen DM entfallen zirka 10 Millionen DM ,auf Personalkosten, zirka 4 Millionen auf Materiallieferungen und der Rest auf sonstige Aufwendungen für die Projektvorbereitung und -durchführung. Die Restauszahlungen ,aus den bewilligten Mitteln erfolgten zum Teil für die Nachfolgeträger, mit denendiese Projekte weiter bzw. zu Ende geführt worden sind. Kleinere Beträge konnten nicht ausgezahlt werden; sie werden für andere Projekte ,eingesetzt.
Vizpräsident Frau Funcke: Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es kann sein, daß ich Sie in dieser gedrängten Antwort nicht vollkommen eindeutig verstanden habe. Beinhaltet Ihre Antwort, daß 13 Millionen von den ursprünglichen zugesagten 40 Millionen nicht mehr disponiert wurden? Wenn ja, was ist mit diesen Summen vorgesehen?
Herr Kollege Köhler, ich muß das selbst überprüfen. Ich kann Ihnen das im Detail jetzt nicht so beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär - ich hoffe, es gelingt mir, das in Frageform zu kleiden -, ich frage Sie, ob Sie dann bereit sind, ,den Gesamtbetrag von 40 Millionen in seiner real erfolgten oder statt dessen beabsichtigten Verwendung offenzulegen.
Herr Kollege Köhler, ich habe Ihnen gesagt, daß 27 Millionen in der Zeit ausgegeben worden sind, in der Sinamos bestanden hat. Der Rest, bis auf einige geringere Beiträge, ist für die Nachfolgeorganisationen oder die anderen Trägerrausgegeben worden.
Keine weitere Frage. Ich rufe die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Köhler auf:
Aus welchen Gründen wurde diese Hilfeleistung beendet, und wie beurteilt die Bundesregierung ihren Nutzen?
Herr Kollege Köhler, im Einvernehmen mit der peruanischen Regierung wurde nach der Auflösung von Sinamos das Projekt Errichtung von Buchhaltungszentren für landwirtschaftliche Genossenschaften schon in der Anlaufphase auf das Landwirtschaftsministerium übertragen und im März 1979 übergeben, das Vorhaben Ingenieurberatergruppe planmäßig nach Zielerreichung Ende 1975 abgeschlossen, das Projekt Audiovisionelles Zentrum, kurz nach der im April 1975 beginnenden Auflösung von Sinamos vorzeitig beendet. Die Projekte Förderung von Handwerk und kleinerer, mittlerer Industrie in Slumgebieten sowie Neusiedlungsvorhaben bei Pukalpa wurden mit anderen Trägern weitergeführt und nach Erreichung ihrer Zielsetzungen 1978 übergeben. Das Projekt Ökonomisch-landwirtschaftliche Beratergruppe wird mit einem ,anderen Träger bis etwa Mitte 1980 zu Ende geführt werden. Trotz gewisser Schwierigkeiten und Verzögerungen infolge des Projektträgers konnten die Zielsetzungen der Vorhaben, mit Ausnahme des Projektes Audiovisionelles Zentrum, im wesentlichen erreicht werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir meine hier noch gestellte Frage beantworten, wie die Bundesregierung insgesamt ,den Nutzen der Zusammenarbeit mit der Organisation Sinamos beurteilt?
Herr Kollege Köhler, zuerst muß man die Projekte betrachten und erst in zweiter Linie die Institution, mit der wir zusammengearbeitet haben. Ich habe soeben gesagt, daß wir Projekte übergeben haben und daß wir andere übergeben werden. Das heißt, wir betrachten die Projekte als erfolgreich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es in der Zeit des Bestehens dieser Organisation selten jemandem gelang, eine eindeutige Definition ihres wirklichen Charakters zu bekommen, und auch eine Delegation aller Parteien des Bundestages bei einem Besuch dort laut Besuchsbericht diese Erleuchtung nicht gewinnen konnte, darf ich Sie fragen, ob nun abschließend im Rückblick ,die Bundesregierung eine entsprechend klare Erkenntnis gewonnen hat, was Sinamos eigentlich für eine Organisation gewesen ist?
Herr Kollege Köhler, Sinamos sollte Randgruppen in Slumgebieten, aber auch in den ländlichen Regionen Perus mobilisieren, sie dazu befähigen, sich selbst zu helfen, Genossenschaften, Unternehmen zu gründen. Dies war die Aufgabe von Sinamos und von der Idee her auch richtig. Aus der Tatsache, daß die peruanische Regierung ,die Arbeit von Sinamos ab 1975 beendet hat, können Sie schließen, daß diese Aufgabe nicht erfüllt worden ist, so wie sie ursprünglich von der peruanischen Regierung gestellt worden war.
Keine Frage mehr. Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit beantwortet. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brück.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatsminister von Dohnanyi anwesend.
Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Miltner auf:
Ist die Erklärung der „Gesellschaft BRD/UdSSR, Regionalverband Rhein/Ruhr e. V." ganz oder teilweise zutreffend, das Auswärtige Amt trage alle Kosten bei Veranstaltungen wie der Armenischen Woche", die die „Gesellschaft" in Köln durchgeführt hat?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Es trifft nicht zu, Herr Kollege, daß das Auswärtige Amt die Veranstaltung „Armenische Woche" als Projekt ganz oder teilweise finanziert hat. Insofern waren die Informationen ein der Veröffentlichung unzutreffend.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft es auch nicht zu, daß diese Gesellschaft vielleücht indirekt unterstützt worden ist?
Die Gesellschaft kann über den Dachverband unterstützt worden sein. Es ist zu vermuten, daß sich der Dachverband an der Finanzierung beteiligt hat; der Dachverband unterstützt gelegentlich einzelne Projekte. Das Projekt „Armenische Woche" ist aber vom Bund nicht unterstützt worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß diese Gesellschaft in der Zukunft weder direkt noch indirekt unterstützt wird?
Herr Kollege, sprechen Sie jetzt von der gesamten Gesellschaft, vom Dachverband?
({0})
- Ah ja, deswegen meine Rückfrage, Herr Kollege. Beim Regionalverband Rhein-Ruhr kommt es
wie bei den übrigen Regionalgesellschaften jeweils auf das einzelne Projekt an. Sie wissen, daß die Regionalverbände, die dem Dachverband angehören, in ihrer Zusammensetzung unterschiedlich sind. Für eine mögliche Unterstützung würden wir uns jeweils vorbehalten, das einzelne Projekt zu betrachten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Miltner auf:
Wenn ja, was ist das Motiv der Bundesregierung für eine solche Finanzierung bei einer Gesellschaft, deren Vorstand zu einem großen Teil aus aktiven oder ehemaligen Funktionären der DKP, der FDJ und der DFU bestehen, mit denen zusammenzuarbeiten oder die zu unterstützen nach eigenen Erklärungen der Bundesregierung „erfahrungsgemäß deren revolutionäre Ansätze fördert, die eigene politische Position jedoch schwächt"?
Herr Kollege, die Frage entfällt durch die Beantwortung der ersten Frage.
Die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung als eine der fünf Westmächte die jüngsten Greueltaten, Morde und Terrorakte, die von der SWAPO an unschuldigen Bürgern SWA/Namibias wie Farmern und Schulkindern verübt wurden, und warum hat sie dazu bisher nicht ebenso deutlich Stellung genommen wie zu anderen Ereignissen, die während der Unterhandlungen über eine friedliche Zukunft und dauerhafte Lösung der politischen Probleme SWA/Namibias stattfinden?
Die Bundesregierung verurteilt jede Anwendung von Gewalt, von welcher Seite auch immer die Gewalttaten ausgehen. Die Bundesregierung hat folglich Gewalttaten beider Seiten in einer Reihe von öffentlichen Erklärungen auch konkret verurteilt.
Die Bundesregierung hat im Rahmen der Namibia-Initiative der fünf westlichen Mächte äußerste Anstrengungen unternommen, um durch eine international akzeptable Lösung diesem Land und seinen Menschen einen gewaltlosen Weg in eine demokratische Zukunft zu ermöglichen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wäre die Bundesregierung bereit, dem Hause einmal eine Dokumentation über von der SWAPO in Namibia verübte Gewalttaten zugänglich zu machen?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist sicherlich bereit, hier oder in dem zuständigen Ausschuß ihre Informationen über Gewalttaten in der Region zur Kenntnis zu geben. Sie wissen, daß es sehr häufig umstritten ist, wer der Verursacher der jeweiligen Gewalttaten gewesen ist.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in ihrer Eigenschaft als eine der fünf Westmächte die Erklärung des SWAPO-Führers Thlabanello, es handele sich bei den an der Zivilbevölkerung verübten Gewalttaten um „Kriegstaten" zwischen kriegführenden Parteien?
Herr Kollege, der Bundesregierung sind diese Äußerungen des SWAPO-Führers nicht bekannt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, sich darüber zu informieren, ob diese Äußerungen tatsächlich gefallen sind und insbesondere ob es andere Äußerungen dieser Art aus den Reihen der SWAPO gibt, die darauf hindeuten, daß die SWAPO entschlossen ist, die Gewalt in Namibia mit Gewalt an sich zu reißen?
Herr Kollege, wir beobachten selbstverständlich die Lage in Namibia, wie Sie wissen, mit großer Sorgfalt. Aber uns ist eine entsprechende Äußerung nicht bekannt.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich noch die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Vogel ({0}) auf:
Sieht die Bundesregierung in den angeführten Greueltaten nicht eine Bestätigung dafür, daß es der SWAPO entscheidend um eine Revolutionierung SWA/Namibias und um eine Eskalation von Gewalt geht?
Herr Kollege, die Bundesregierung sieht die Zunahme der Gewalt in Namibia mit großer Sorge. Dabei darf nicht verkannt werden, daß die Ursache der heutigen Lage in Namibia in der fortdauernden illegalen Herrschaft der Republik Südafrika in Namibia liegt. Gerade um die Menschen in Namibia vor weiteren Gewalttaten zu bewahren, ist es daher wichtig, daß auch die südafrikanische Regierung so bald wie möglich von der ihr durch die Namibia-Initiative der fünf westlichen Mächte gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, die Namibia-Frage einer friedlichen, international akzeptablen Lösung zuzuführen.
Keine Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatsminister von Dohnanyi.
Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 5 und 6 auf:
5. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und VolksbefraVizepräsident Frau Funcke
gung nach Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 8/1646 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 8/2705 Berichterstatter: Abgeordnete Wittmann
({2}), Dr. Miltner
({3})
6. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes ({4})
- Drucksache 8/1647 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
- Drucksache 8/2706 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Miltner,
Wittmann ({6})
({7})
Im Ältestenrat sind eine verbundene Debatte und je ein Kurzbeitrag der Fraktionen vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die verbundene Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die beiden Gesetzentwürfe zur Ausführung von Art. 29 Abs. 6 und 7 setzen fast genau zum 30. Jahrestag des Grundgesetzes einen Schlußstrich unter die seit Bestehen der Bundesrepublik andauernde Diskussion über die Neugliederung des Bundesgebietes. Die Tatsache, daß diese verfassungspolitisch bedeutsame Entwicklung heute ohne größere Anteilnahme der Öffentlichkeit zu Ende gebracht werden kann, zeigt, daß die Bevölkerung den bestehenden föderalistischen Aufbau in unserem Land akzeptiert hat. Das Ergebnis ist im Interesse unseres demokratischen und föderalistischen Staatswesens zu begrüßen. Dies war aber nicht immer so.
Der Parlamentarische Rat ging noch im Jahre 1949 davon aus, daß die Landesgrenzen, die weitgehend von den: Besatzungsmächten festgelegt worden waren, weder historischen Grenzlinien noch den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten entsprachen. Man war daher der Auffassung, die recht künstlich gezogenen Grenzen bedürften auf jeden Fall der Korrektur. Die einzige bedeutsame Gebietsänderung erfolgte in den Jahren 1951 und 1952. Aus den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern wurde das Land Baden-Württemberg geschaffen, das wegen seiner günstigen Infrastruktur Vorbild für andere Neugliederungsmodelle hätte sein können.
Noch im Jahre 1972 hat die Ernst-Kommission in ihrem Bericht empfohlen, die Zahl der Bundesländer auf fünf oder sechs zu reduzieren. Die anschließende politische Diskussion zeigte, daß entgegen den Erwartungen der Väter des Grundgesetzes die Bundesländer in der Zwischenzeit an Profil und an Eigengewicht gewonnen hatten. Eine Veränderung des Gebietsbestandes, so zweckmäßig sie auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sein mag, würde, aber zu erheblichen und nicht absehbaren politischen Problemen führen. Es war daher folgerichtig, daß angesichts der eingetretenen Verfestigung des Bestandes der Bundesländer Art. 29 durch das 33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes im Jahre 1976 neu gefaßt wurde. Aus dem Zwang zur Neugliederung wurde die Möglichkeit der Neugliederung.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat seinerzeit der Verfassungsänderung zugestimmt. Sie unterstützt auch die jetzt vorgelegten Gesetzentwürfe. Mit ihnen werden die notwendigen Einzelregelungen über Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung getroffen. Außerdem wird das Verfahren bei kleineren Gebietsänderungen geregelt.
Hierzu sind zwei grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Erstens. Art. 29 und die beiden Gesetzentwürfe stehen natürlich einer Wiedervereinigung Deutschlands und einer europäischen Integration nicht entgegen. Diese Feststellung ist für meine Fraktion von großer Bedeutung.
Zweitens. Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung sind Mittel unmittelbar ausgeübter Demokratie. Andere Fälle als die in Art. 29 genannten kennt unsere Verfassung nicht. Ihnen kommt daher bei Gebietsneugliederungen nach wie vor besondere Bedeutung zu; der Wille des Volkes muß daher bei vorgesehenen Änderungen des Bundesgebietes in besonderem Maße berücksichtigt werden.
Der Bundesrat hatte im ersten Durchgang zahlreiche Änderungswünsche zu den Gesetzentwürfen geäußert. Die Vorschläge des Bundesrates sind - man kann sagen, zum weit überwiegenden Teil - von den beteiligten Ausschüssen des Deutschen Bundestages übernommen worden, meist sogar einstimmig. Die Änderungsvorschläge des Bundesrates haben zu einer Anreicherung, zu einer praxisnäheren Ausgestaltung der Gesetzentwürfe geführt.
Nach wie vor kontrovers ist die Frage, ob das Gesetz zu Art. 29 Abs. 6 und die auf Grund dieses Gesetzes zu erlassenden Rechtsverordnungen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die CDU/ CSU teilt die Auffassung des Bundesrates, daß diese Regelungen zustimmungsbedürftig sind. Auch wenn wir, insbesondere im Innenausschuß, die Gepflogenheit haben, nicht darauf zu insistieren und darüber abzustimmen, halte ich doch im vorliegenden Falle die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit für überaus bedeutsam. Dann nämlich, wenn es um das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung oder um das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes eines Landes geht, ist eben insbesondere die Verwaltung eines Landes oder der Länder angesprochen.
Die Zustimmungsbedürftigkeit der Regelungen ergibt sich aber zusätzlich auch daraus, daß wir im Innenausschuß einige Änderungen beschlossen und z. B. auch den Beschluß gefaßt haben, daß die Bevölkerung eines in seinem Bestand zu ändernden Gebietes vor der zweiten Lesung eines Bundesgesetzes gehört werden muß. Gerade diese besonderen Regelungen führen eben zu einer Berührung des heute vorliegenden Bundesgesetzes mit der Landesverwaltung. Daher sind wir der Auffassung, daß der Gesetzentwurf die landeseigene Verwaltung regelt. Die Verordnungen, die in diesem Gesetz vorgesehen sind, bedürfen ebenfalls der Zustimmung des Bundesrates.
Im übrigen werden von meiner Fraktion gegen die Einzelregelungen der beiden Gesetzentwürfe keine grundsätzlichen Einwendungen erhoben. Diese Regelungen betreffen notwendige Details und Modalitäten der in Art. 29 Abs. 6 und 7 niedergelegten grundsätzlichen Bestimmungen über Volksbegehren, Volksentscheid und Volksbefragung sowie über das Verfahren bei kleinen Gebietsänderungen.
Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU wird daher den Gesetzentwürfen zu Art. 29 Abs. 6 und 7 zustimmen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Deutsche Bundestag heute in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung - Bundestagsdrucksache 8/2705 - verabschiedet, erfüllt er eine Aufgabe, die er sich bei der Änderung des Grundgesetzartikels 29 im Jahre 1976 selbst gestellt hat.
Bei diesem Gesetz geht es nicht um die Regelung eines bestimmten, konkreten Neugliederungsproblems, sondern um die Schaffung eines Rahmens, innerhalb dessen sich das Verfahren bei einer konkreten Neugliederungsmaßnahme abzuspielen hat. Da das Abstimmungsverfahren beim Volksentscheid in seiner technischen Durchführung weitgehend dem Verfahren einer allgemeinen Wahl gleicht, sieht der diesbezügliche Abschnitt des Gesetzes eine entsprechende Anwendung zahlreicher Vorschriften des Bundeswahlgesetzes vor.
Nach der Verfassung haben die Bürger eines zusammenhängenden Wirtschafts- und Lebensraumes, dessen Teile in mehreren Bundesländern liegen und mindestens 1 Million Einwohner umfassen, die Möglichkeit, ein Volksbegehren zu fordern. Dazu ist es notwendig, daß sich ein Zehntel der zum Bundestag wahlberechtigten Bürger dieses Raumes für eine einheitliche Landeszugehörigkeit entscheidet. Wenn der Kollege Miltner darauf hinweist, daß sich die Strukturen in diesem Lande zwischenzeitlich verfestigt haben, stellt sich natürlich die Frage: Was soll diese Ausfüllung des Grundgesetzes? Ich meine, es könnten sich immer wieder Bürgerinitiativen entwickeln, denen das eine oder andere in diesem
Land oder die Zugehörigkeit zu ihrem Land nicht gefällt.
Lassen Sie mich das beispielhaft darstellen. Es könnte z. B. sein, daß sich die Unterfranken nicht mehr zu Bayern bekennen, sondern sie könnten vielmehr zu der Auffassung gelangen, ihnen würde es in Hessen besser ergehen. Das gleiche ist umgekehrt denkbar.
({0})
- Das ist nicht ganz unwahrscheinlich. Lieber Kollege, wenn alles so unwahrscheinlich wäre, stellte sich natürlich die Frage: Warum machen wir das überhaupt? Ich meine sehr wohl, auch in Schleswig-Holstein könnte es passieren, daß die einen zu Hamburg möchten und umgekehrt die Hamburger zu Schleswig-Holstein. In Bayern ist es so: Die einen möchten den Kohl und die anderen möchten den Strauß; man weiß nicht immer genau, wohin sie wollen.
({1})
- Liebe Freunde, ich wollte nur verdeutlichen, daß wir den Bürgern mit diesem Gesetz die Möglichkeit schaffen, ihren Willen zu artikulieren. Das ist die Absicht des Gesetzes. Wenn man alles verneint, stellt sich für mich eben die Frage: Warum machen wir das überhaupt?
Wir haben in dieses Gesetz auch Sicherungen eingebaut, um Sorge dafür zu tragen, daß aussichtslose Anträge auf Veränderung der Länderzugehörigkeit erst gar nicht gestellt werden können. Deshalb wird dem Volksentscheid das Volksbegehren vorgeschaltet, wobei sich das Verfahren wiederum in ein Zulassungsverfahren und in ein Eintragungsverfahren aufgliedert, dem sich dann das eigentliche Volksbegehren anschließt. Das Vorverfahren dient der Feststellung, ob sich überhaupt eine genügende Anzahl von Bürgern findet, die das Volksbegehren unterstützen. Wenn es um einen Raum geht, in dem eine Million Bürger wohnen, von denen nach dem Bundeswahlgesetz ungefähr 700 000 wahlberechtigt sind, muß sich mindestens 1 % dieser wahlberechtigten Bürger für das Volksbegehren entscheiden, d. h., 7 000 Bürger müssen sich durch ihre Unterschrift zu diesem Antrag bekennen.
({2})
Bei einem erfolgreichen Antrag, wenn also diese 7 000 Unterschriften beigebracht sind, muß sich der Gesetzgeber innerhalb von zwei Jahren für eine der drei folgenden Lösungen entscheiden. Der Bundestag, die Bundesregierung kann empfehlen, es bei der bisherigen Ländergliederung zu belassen. Es kann aber auch vorgeschlagen werden, eine Änderung der Landeszugehörigkeit entsprechend dem Volksbegehren vorzunehmen, d. h., es muß ein Volksentscheid durchgeführt werden.
Es gibt noch die dritte Möglichkeit, daß der Gesetzgeber eine Volksbefragung in den betroffenen Ländern anordnet.
Wittmann ({3})
Bei Anordnung einer Volksbefragung sind die Fragen an den Bürger in diesem Gebiet, das eine Million Menschen umfassen muß, so zu fassen, daß der einzelne Bürger eindeutig zum Ausdruck bringen kann, ob er für die Beibehaltung des bisherigen Zustands ist, ob er - um wieder auf mein Beispiel zurückzukommen - dafür ist, daß er weiterhin in Unterfranken lebt und damit zu Bayern gehört, oder ob er dafür wäre, daß sein Gebiet an Hessen angegliedert wird. Umgekehrt kann die Frage lauten, ob hessische Räume an Bayern angegliedert werden. Wenn ich mich an alte Möglichkeiten erinnere, ist auch eine Entscheidung darüber möglich, ob die Pfälzer wieder nach Bayern zurück wollen. Der Bürger muß also die Chance haben, sich für die einzelnen Möglichkeiten zu entscheiden.
Bei den Beratungen des Gesetzentwurfs konnte eine weitgehende Übereinstimmung erzielt werden. Unterschiedlicher Auffassung waren wir nur in der Frage der Zustimmung des Bundesrats. Die Koalition war der Meinung, daß dieses Gesetz nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Bei den Änderungen wurde jeweils eine Anpassung an den Wortlaut des Bundeswahlgesetzes vorgenommen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zu Art. 29 Abs. 6 des Grundgesetzes zustimmen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich gleich noch ein paar Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf in Bundestags-Drucksache 8/2706 machen. Mit diesem Gesetz - hier sehe ich mehr Möglichkeiten, daß sich noch etwas bewegt - sollen Verfahren für kleinere Gebietsänderungen zwischen den Bundesländern geregelt werden. Gebietsänderungen sind danach möglich, wenn das Gebiet eine Bevölkerung von etwa 10 000 Einwohnern umfaßt, wenn sich also Bürger eines Raumes mit 10 000 Einwohnern für eine andere Länderzugehörigkeit entscheiden.
({4})
Diese Änderung muß durch Staatsvertrag der beteiligten Länder oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen. Die Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise muß durchgeführt werden. Die Bürger in dem betroffenen Raum sind zu befragen. Auch diesem Gesetzentwurf wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ihre Zustimmung geben.
({5})
Das Wort hat der 'Herr Abgeordnete Wendig. Ich wäre dem Hohen Hause sehr dankbar, wenn es für diese letzte Aussprache noch genügend Ruhe bewahren würde.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsident, ich will mich bemühen, meinen Beitrag in dieser Aussprache kurz zu halten.
({0}) Meine Damen und Herren! Gebietsreform in Deutschland ist ein leidiges Problem mit einer leidigen Geschichte. Dazu will ich weiter nichts sagen. Seit der Verabschiedung des Art. 29 in seiner neuen Fassung im Jahre 1976 ist es um die Frage der Neugliederung des Bundesgebietes ziemlich still geworden. Das liegt nicht allein daran, daß Art. 29 Abs. 1 nunmehr eine Kann-Vorschrift enthält - davon war ja schon die Rede -; vielmehr ist es offensichtlich so, daß nach allgemeiner Auffassung in unserem Land die Frage einer grundlegenden Neugliederung des Bundesgebietes nicht zu den vordringlichsten Aufgaben unserer Tage gehört.
Hierzu möchte ich nur dieses eine sagen: Diese Einstellung, diese Mentalität ist - wie ich meine - im Prinzip zu bedauern. Gleichwohl bleibt der Gesetzgeber gehalten, in einem Bundesgesetz das Nähere über Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung zu regeln, wie es in Art. 29 Abs. 6 des Grundgesetzes vorgeschrieben ist.
Hierbei geht es neben dem Volksentscheid bei den sogenanten großen Neugliederungsprojekten - Art. 29 Abs. 2 - vor allem um die Frage des Art. 29 Abs. 4, die Frage nach einer einheitlichen Länderzugehörigkeit in einem zusammenhängenden, abgrenzbaren Siedlungs- und Wirtschaftsraum, der mindestens eine Million Einwohner hat.
Unabhängig von der Überlegung, ob und wann es zu einer generellen grundlegenden Länderneugliederung kommt, haben bereits begrenzte Neugliederungsprojekte im Sinne von Art. 29 Abs. 4 durchaus einen aktuellen Bezug. Wir sollten das nicht vergessen.
Ich will in meinem Kurzbeitrag auf eine Erläuterung der einzelnen Vorschriften verzichten. Wichtig ist nur, klarzumachen, daß es in diesem Gesetz nicht um die Regelung und Bestimmung materieller Neugliederungsfragen geht, sondern darum, den gesetzlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen konkrete Maßnahmen durchgeführt werden können.
Wir begrüßen, daß der Entwurf für das Volksbegehren in den Fällen einer begrenzten Neugliederung nach Art. 29 ein förmliches Antragsverfahren vorsieht, das dem alten Reichsrecht, dem Bundesrecht von 1955 wie auch dem Recht einiger Länder entspricht, soweit diese ein Volksbegehren vorgesehen haben. Die Folgerungen aus einem erfolgreichen Volksbegehren sind im Gesetz nicht enthalten; diese hat vielmehr der Gesetzgeber selbst auf der Grundlage des Art. 29 Abs. 4 zu ziehen. Die drei Möglichkeiten, die dem Bundesgesetzgeber hierbei zur Verfügung stehen, hat der Kollege Wittmann aufgeführt. Ich will hier nur das eine sagen: Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Entwurf von der in Art. 29 Abs. 6 vorgeschriebenen Verbotsmöglichkeit Gebrauch macht, nämlich zu untersagen, daß Volksbegehren zum gleichen Gegenstand innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren wiederholt werden können.
({1})
Einen Augenblick, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, jedem von uns kann es passieren, daß er kurz vor einer Ab11850
Vizepräsident Frau Funcke
Stimmung sprechen muß. Ich glaube, wir tun uns gegenseitig einen Gefallen, wenn wir alle versuchen, in diesen wenigen Minuten Ruhe zu halten und nicht alle mit dem Nachbarn zu sprechen.
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Der Herr Abgeordnete Wendig hat schon Mühe, mit seiner Stimme durchzudringen. Ich bitte um Rücksicht.
Im übrigen bestand im Innenausschuß auch über die wenigen Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf Übereinstimmung, ausgenommen die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit. Meine Fraktion hält den Entwurf nicht für zustimmungsbedürftig. Ich verweise darauf, daß das Gesetz von den Ländern nicht als eigene Angelegenheit ausgeführt wird und in den Vorschriften zu Art. 29 alter Fassung damals übereinstimmend eine Zustimmung durch den Bundesrat nicht für erforderlich gehalten wurde.
Die zweite Entscheidung betrifft das Verfahren bei kleineren Gebietsänderungen, also bei Gebietsänderungen in Bereichen bis zu 10 000 Einwohnern. Auch hier wird nur das Verfahren geregelt.
Wir, die Freien Demokraten, begrüßen es ausdrücklich, daß in dem Entwurf, ohne daß es im Grundgesetz vorgeschrieben ist, das Gebot enthalten ist, auch bei den kleineren Gebietsänderungen den dort Ansässigen die Gelegenheit zu geben, Billigung oder Ablehnung des Gesetzentwurfs kundzutun. Wir halten es - wie das auch schon im Innenausschuß die Meinung war - für notwendig, daß der Bundestag in einem solchen Falle schon vor der zweiten Lesung eines solchen Gesetzes weiß, wie die Bevölkerung denkt.
Zum Abschluß möchte ich, meine Damen und Herren, dennoch Ihre Gedanken einmal auf den Ursprung all der Überlegungen lenken, die zu Art. 29 in seiner neuen Fassung geführt haben. Gewiß war dem Parlament im Jahre 1976 daran gelegen, festzustellen, daß die gegenwärtigen Bundesländer nach über 30jähriger Geschichte ein gewisses Eigengewicht erlangt haben, und zwar auch im Bewußtsein der Bürger. Das kann und darf bei einer Neugliederung sicher nicht außer Betracht gelassen werden.
Gewiß ist aber auch, überblickt man unsere deutsche Verfassungsgeschichte in längeren Zeiträumen, daß nichts politisch so schwer durchzusetzen war und ist und wahrscheinlich sein wird wie eine Neugliederung der Länder. Vergessen wir aber bei alledem nicht - und deshalb sage ich das -, daß das Verfassungsgebot einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet unverändert wei- ter gilt.
Vielleicht ist eine Neugliederung des Bundesgebiets in gleich starke Länder nicht der einzige Weg, auf dem man diesem Verfassungsgebot entsprechen kann. Eine Änderung der Finanzverfassung und damit auch des Finanzausgleichs könnte ähnliches bewirken. Man kann aber kaum daran zweifeln, daß es der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland besser entspräche, würde die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse durch eine Gliederung des Bundesgebietes in Länder erreicht, die gleich leistungsstark sind.
Nimmt man die zur Zeit brennenden Probleme unserer Innenpolitik zum Vergleich, so mag es vielleicht ein wenig weltfremd erscheinen, wenn man von Länderneugliederung spricht; aber ich wehre mich ein wenig dagegen, daß wir hier als Gesetzgeber nur eine leere Hülse produzieren, nur weil das Grundgesetz eine Regelung vorschreibt. Deshalb sollten wir auch über das Gesetz, das nur ein Verfahrensgesetz für den Fall X ist, hinaus denken. Im übrigen empfehle ich namens der FDP-Fraktion die Annahme beider Entwürfe.
({0})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Es besteht eine Chance, das Abstimmungsverfahren abzukürzen. Dazu wäre es allerdings nötig, daß die Damen und Herren in den hinteren Reihen sich setzen. Dann haben wir eine bessere Übersicht; denn wir müssen die Zahlen feststellen.
Ich rufe zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung Punkt 5 der Tagesordnung auf. Wer §§ 1 bis 42, Einleitung und Überschrift in der zweiten Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir müssen nun noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses unter Ziffer 2 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir stimmen nunmehr in zweiter Beratung über den Gesetzentwurf unter Punkt 6 der Tagesordnung ab. Wer §§ 1 bis 7, Einleitung und Überschrift seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung.
Meine Damen und Herren, zur Verabschiedung dieses Gesetzes ist die Zustimmung von mindestens 249 Abgeordneten erforderlich. Wir müßten auszählen. Die gegenwärtige Präsenz im Hause gestattet möglicherweise eine Übersicht. Deshalb frage ich, ob Einwendungen dagegen erhoben werden, wenn wir jetzt versuchen, ohne Auszählen abzuDeutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 148. Sitzung,. Bonn, Donnerstag, den 26. April 1979 11851
Vizepräsident Frau Funcke
stimmen. Widerspricht jemand diesem Vorschlag? - Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich diejenigen, die dem Gesetz in dritter Beratung zustimmen möchten, bitten, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, das Präsidium ist der Meinung, daß das die Zustimmung von mindestens 249 Abgeordneten des Hauses war.
Es gibt auch nachträglich keine Einwendungen gegen diese Feststellung? - Dann stellen wir hiermit die Gültigkeit des Beschlusses fest.
Wir müssen auch hier noch über die Beschlußempfehlung unter Ziffer 2 abstimmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist ebenfalls so beschlossen.
Meine Damen und Herren, es ist vorgesehen, die Aktuelle Stunde um 16.15 Uhr zu beginnen. Wir haben eine Viertelstunde eingespart. Ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß wir noch die Tagesordnungspunkte erledigen, die keiner Aussprache bedürfen, so daß wir genau den Zeitpunkt einhalten können, den wir uns gesetzt haben.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 bis 15 auf - es handelt sich um von der Bundesregierung und aus der Mitte des Hauses vorgelegte Gesetzentwürfe -:
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
- Drucksache 8/2597 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Innenausschuß ({0})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Februar 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen
- Drucksache 8/2614 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
13. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dürr, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Spitzmüller und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Bürgerlichen Gesetzbuches
- Drucksache 8/2612 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 22. März 1974 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets
- Drucksache 8/2599 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({1})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 19. November 1976 und vom 5. Juli 1978 über die Ersetzung des Goldfrankens durch das Sonderziehungsrecht des Internationalen Währungsfonds sowie zur Regelung der Umrechnung des Goldfrankens in haftungsrechtlichen Bestimmungen ({2})
- Drucksache 8/2596 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({3})
Finanzausschuß
Ich frage zunächst das Haus, ob dazu das Wort gewünscht wird? - Das ist nicht der Fall.
Ich bitte, die Überweisungsvorschläge des Altestenrates aus der Tagesordnung zu entnehmen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 2597, 2614, 2612, 2599 und 2596 einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1979
hier: Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 8/2493, 8/2619 - Berichterstatter: Abgeordneter Glos
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich frage, ob aus dem Hause das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 2619 die Annahme einer Entschließung. Ich frage, ob das Haus einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Entsprechend dem Vorschlag der Frau Präsidentin fahren wir dann mit dem Tagesordnungspunkt 18 fort:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Haushaltsausschusses ({5}) zu dem Entschließungsantrag der
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1979
hier: Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 8/2496, 8/2620 - Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz ({6})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Auch aus dem Hause wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. - Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 8/2620 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 19 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1979
hier: Einzelplan 12 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksachen 8/2507, 8/2622 Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({8})
Herr Berichterstatter, begehren Sie das Wort? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke Ihnen. Auch aus dem Haus wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/2622, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/2507 für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 8 des Rechtsausschusses ({9}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 8/2643 Das Wort wird nicht gewünscht. Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der Übersicht 8 aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Zu den Einzelheiten verweise ich auf die Vorlage.
Ist das Haus einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1977 ({10})
- Drucksache 8/2450 Überweisungsvorsthlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort zur Begründung wird von der Bundesregierung nicht gewünscht. Auch aus dem Haus wird das Wort nicht begehrt.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Drucksache 8/2450 an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung Technologie ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Rückgewinnung von Industrie- und Hausmüll ({12}) - Indirekte Aktion ({13})
- Drucksachen 8/2270, 8/2678 - Berichterstatter:
Abgeordnete Gerstein, Dr. Steger
Begehren die Herren Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern. Auch aus dem Haus wird das Wort nicht gewünscht.
Daher kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/2678 unter Ziffer 1, die Vorlage zur Kenntnis zu nehmen und unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung, die Sie auf der Drucksache 8/2678 finden,. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Reichs- bzw. bundeseigene Grundstücke in Berlin-Tiergarten; Veräußerung für Zwecke des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaues und für den Bau von sogenannten Stadthäusern
- Drucksache 8/2685 Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Haushaltsausschuß ({14})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Das Wort zur Begründung wird von der Bundesregierung nicht gewünscht. Auch aus dem Haus wird das Wort nicht begehrt.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - mitberatend - zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich gehe davon aus, daß wir hier nicht auf die Minute festgelegt sind, sondern jetzt mit der Aktuellen Stunde beginnen können.
Ich rufe daher den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf :
Aussprache über die Haltung der Bundesregierung zu den jüngst bekanntgewordenen Äußerungen und Plänen zur Wiedervereinigung Deutschlands sowie zu den Behinderungen der Arbeitsmöglichkeiten von in Ost-Berlin akkreditierten Journalisten.
Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aussprache zu Fragen von allgemeinem aktuellen Interesse nach Anlage 4 Nr. 1 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung beantragt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleichsam über Nacht ist die Deutschlandpolitik wieder in das grelle Licht der Öffentlichkeit gerückt. Was ist passiert? Die DDR betreibt wieder einmal Abgrenzungspolitik mit Maulkorb-Verordnungen gegenüber Journalisten. Sie verfolgt mißliebige Opponenten wie beispielsweise Havemann. Über die Qualifikation dieser Vorgänge sind wir uns in diesem Hause einig.
Was macht die Bundesregierung? Die Bundesregierung erklärt, sie müsse die Situation zuerst analysieren, sie protestiere, man müsse abwarten, man müsse behutsam sein. Die DDR wird das alles nicht beeindrucken.
Gleichzeitig mit diesen Äußerungen und mit dieser Entwicklung erklären prominente Politiker der Regierungskoalition die Wiedervereinigung für erledigt.
Das ist die Situation der Deutschlandpolitik. Gelegentlich läßt sich noch etwas mit hohen Milliardenbeträgen bewegen, aber offensichtlich werden auch diese riesigen Summen für die kostspielige Illusion einer verfehlten Politik verschwendet.
Sonst sieht die Bilanz der Deutschlandpolitik düster aus: statt Annäherung forcierte Abgrenzung, statt Miteinander aggressives Gegeneinander, statt menschlichen Erleichterungen Verfolgung und Unterdückung, statt freier Meinung Maulkörbe.
Aus dem komplizierten Kunstwerk der Verträge, das der „Architekt" noch mit zusätzlichem Briefwechsel, Protokollen, Erklärungen „wasserdicht" gemacht hat, strömt das Wasser aus hundert Löchern. Das Haus der Deutschlandpolitik steht bis zum Dach unter Wasser.
({0})
Welches ist die Antwort der großen Strategen? Sie wollen am liebsten sofort das ganze Haus aufgeben. Deswegen Verzicht auf Wiedervereinigung.
Man erklärt natürlich, wie gehabt, das ganze zuerst für eine begriffliche Angelegenheit. Doch die großen Tricheure der deutschen Politik wissen ganz genau: Hinter den Begriffen stehen die Positionen. Das Verständnis für die sowjetischen gigantischen Rüstungen, die Diskussion um eine Neutralisierung Deutschlands, die Absage an die Wiedervereinigung Deutschlands zeigen System. Sie lassen hinter der Ruine der sogenannten neuen Deutschlandpolitik eine noch neuere, neueste Deutschlandpolitik erkennen, eine Politik, die lebensgefährlich zu werden droht.
({1})
Hierbei geht es nicht mehr nur um die Wiedergewinnung der Freiheit für 17 Millionen Deutsche in der DDR, sondern es droht bei Fortsetzung dieser Konzeption auch der Verlust der Freiheit von 60 Millionen Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Diese Politik riskiert, nachdem sich die alte, sogenannte neue Deutschlandpolitik gerade noch am Rande der Verfassung bewegt hat, die Grenzen unserer Verfassung zu sprengen. Damit wird den Menschen in der DDR die Aussicht und die Hoffnung auf ein Leben in einem wiedervereinigten freien Deutschland genommen.
Eine solche Politik jedenfalls verdient sicher nicht das Prädikat, eine humane Politik zu sein.
({3})
Sie verstößt gegen die Verfassungspflicht aller Verfassungsorgane, die aus dem Wiedervereinigungsgebot folgt - so das Bundesverfassungsgericht -, in ihrer Politik auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hinzuwirken.
Die CDU/CSU wird für den Fall, daß die Bundesregierung den Verzicht auf die Wiedervereinigung in ihrer praktischen Politik konkretisieren sollte, mit allen politischen und rechtlichen Mitteln die Einhaltung der Verfassungstreue im Interesse der Freiheit der Menschen in Deutschland erzwingen.
({4})
Ich fordere im Namen der CDU/CSU die Bundesregierung auf, endlich einmal die Haltung einer unbegrenzten Nachgiebigkeit gegenüber der DDR aufzugeben und durch konkrete Maßnahmen und nicht nur durch verbale Proteste der DDR zu ver- stehen zu geben, daß die Bundesregierung in Zukunft nicht jegliches unfreundliche Verhalten und nicht jede Verletzung der Verträge und Vereinbarungen hinzunehmen gewillt ist. Gleichzeitig fordere ich im Namen der CDU/CSU die Bundesregierung auf, eindeutig klarzustellen, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in Freiheit auch künftig das Ziel der deutschen Politik bleibt.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Herrn Abelein fragen, woher er diese ungeheuren Behauptungen ableitet, die er hier aufgestellt hat, und wo
Büchler ({0})
er die Belege dafür hat. Ich muß diese Behauptungen hier in aller Form zurückweisen.
({1})
In Wirklichkeit geht es doch hier um etwas ganz anderes. Es geht darum, vor wichtigen parlamentarischen Ereignissen oder wichtigen politischen Entscheidungen, wie vor einem Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation oder vor einer Landtagswahl wie der in Schleswig-Holstein, der Versuch gemacht wird, mit Hilfe einer Aktuellen Stunde ein Wahlmanöver durchzuführen.
({2})
Darum geht es und um nichts anderes.
Die Deutschlandpolitik ist ein so sensibler Bereich, daß man ihm nur mit einer ernsthaften Aussprache gerecht werden kann. Die werden wir aber nicht heute, sondern zum Bericht zur Lage der Nation haben - so hoffe ich.
({3})
Sachliche Differenzen zwischen Ihnen und uns wird es immer geben. Die Demokratie lebt davon. Aber gerade für die Deutschlandpolitik gelten zwei Prinzipien, die einer der Mitbegründer unserer Demokratie 1947 formuliert hat:
({4})
„Die Demokratie beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und Ehrlichkeit", sagte Kurt Schumacher.
Dieses Prinzip verletzen Sie, Herr Kohl, und viele Ihrer Fraktionskollegen gegenüber unserem Fraktionsvorsitzenden in fast nicht mehr erträglichem Maße.
({5})
Sie verletzen dieses Prinzip, wenn Sie Herbert Wehner und Willy Brandt Verfassungsbruch und Wortbruch vorwerfen. Wohin führt eine solche unheilvolle Diskussion? Das muß sich doch jeder fragen, der Verantwortung in der Politik trägt.
Da eröffnet ein Alexander von Bismarck eine Zonenrandkonferenz in Schleswig-Holstein und bezeichnet Brandt und Wehner zunächst als „vaterlandslose Gesellen" und dann sogar als „Vaterlandsverräter" - so der Pressebericht.
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Angesichts dieser ungeheuren Vorwürfe muß man doch fragen, ob Sie sich gar nicht mehr schämen. Daß Herr Filbinger dabeigesessen hat, stört mich nicht, daß aber der Abgeordnete des Herzogtums Lauenburg - nach dem Zeitungsbericht - nicht reagiert hat, enttäuscht mich schwer. Eine Antwort müßte heute gegeben werden.
Sie müssen auch heute erklären, ob das folgende Zitat nun gilt oder nicht:
Ich glaube nicht an eine Wiedervereinigung im Sinne einer Wiederherstellung des alten Deutschen Reiches. Das wiedervereinigte Deutschland muß eingebettet werden in eine Architektur der europäischen Einigung und kann nicht mit Gewalt hergestellt werden.
Uns trennt bestimmt vieles von Herrn Strauß, dem
Urheber des Zitats, ganz sicher auch in der
Deutschlandpolitik. Aber was haben wir anderes zur Wiedervereinigung gesagt? Auch diese Frage muß beantwortet werden. - Sie, Herr Kohl, haben - nach Ihren eigenen letzten Presseverlautbarungen - mit Herrn Strauß ein weiteres Problem am Hals.
({7})
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muß es den Organen der Bundesrepublik überlassen bleiben, zu entscheiden, welchen Weg sie gehen, um dem Verfassungsgebot zu entsprechen, die Einheit des deutschen Volkes zu vollenden. Heute kann dies nicht mehr der Weg der Wiedervereinigung getrennter Reichsteile sein. Die Gegebenheiten des Jahres 1979 sind anders. Deshalb muß der Entwicklungsstand im Zusammenhang mit dieser Frage berücksichtigt werden.
Da die Wahl des Weges den Organen der Bundesrepublik überlassen bleibt, meinen wir, daß unsere Politik, dafür. Sorge zu tragen, daß die Zusammenarbeit zwischen den Deutschen nicht abreißt und daß sich Millionen besuchen und miteinander sprechen können, richtig ist. Dazu gehört auch die Berichterstattung der Journalisten, die in der DDR tätig sind.
Es ist gar keine Frage, daß die Anordnung der DDR vom 14. April 1979 gegen den Geist des Grundlagenvertrages und gegen den Geist von Helsinki verstößt; darüber sind wir uns einig. Aber bei den Reaktionen müssen wir auch berücksichtigen, um welche gesellschaftspolitischen Systeme es sich handelt. Wir müssen die grundverschiedenen Auffassungen berücksichtigen. Da müssen wir den richtigen Maßstab ansetzen.
Wir sind natürlich darüber empört. Wer aber seine Empörung in Repressionen umsetzen will, dem muß man ganz entschieden sagen, daß er das Problem nicht verstanden hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist allen Rückschlägen zum Trotz gegenüber der DDR solange in einer starken Verhandlungsposition, als sie es der DDR unmöglich macht, sich aus dem Dialog über praktische Vereinbarungen und vertragliche Abmachungen abzumelden. Wir erwarten von der DDR, daß sie das, was sie unterschreibt und öffentlich bekundet, auch in der Praxis einhält. Wir - die SPD-Fraktion - lassen uns von dem richtigen Weg in der Deutschlandpolitik nicht abbringen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das zusammen mit dem Grundlagenvertrag
ausgehandelte Recht der freien Information und der Berichterstattung aus der DDR ist in Gefahr. Die DDR will die Korrespondenten an die Leine legen. Um Bürger zu ducken, werden Journalisten gedeckelt.
({0})
Der Vorgang ist gravierend und kann Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der DDR wecken. Die DDR muß diese Zweifel schnell ausräumen, damit die Vertragspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten fortgesetzt werden kann. Wir wollen sie fortsetzen.
Ganz offensichtlich wird hier ein Angstkomplex der DDR-Führung abreagiert. Es geht um die Furcht vor dem freien Wort, dem geschriebenen, dem gesprochenen, dem gesendeten. Nicht Selbstsicherheit bestimmt die Handlungen der DDR-Führung, sondern Unsicherheit und innere Schwäche. Die „harte Linie" wird zum Ausdruck dieser Schwäche.
Aber nur wer von äußerster Kurzsichtigkeit heimgesucht ist, kann aus den Restriktionsmaßnahmen der DDR-Regierung eine Kritik an den Verantwortlichen in Bonn ableiten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Unsere Schritt um Schritt durchgesetzte Politik hat ja genau das Ergebnis hervorgebracht, das der SED-Führung heute so zu schaffen macht und von dem in den 50er und 60er Jahren niemand zu träumen wagte.
({1})
Der über die trennenden Grenzen hinweg wieder geknüpfte menschliche Kontakt, die früher undenkbare Form der Berichterstattung aus der DDR und nicht zuletzt auch die Ergebnisse der Konferenz von Helsinki haben den Menschen in der DDR Auftrieb und Hoffnung gegeben.
({2})
Die DDR-Bevölkerung läßt sich heute nicht mehr einschüchtern. Unter Berufung auf bilateral und multilateral ausgehandelte Texte macht sie ihre Ansprüche geltend. Die vielen Anträge auf Ausreisen aus der DDR sind ein Beispiel dafür. Auch das Verhalten der Menschen vor den Kameras westlicher Journalisten macht deutlich, welche Veränderung im Bewußtsein der Menschen eingetreten ist.
({3})
Ich rede nicht von Aufmüpfigkeit, aber die Angst vor der Obrigkeit ist gewichen. Dieses Bewußtsein ist stärker als administrative Gegenmaßnahmen.
Deshalb würde es nur den Scharfmachern ins Konzept passen und den Bürgern in der DDR schaden, wollten wir auf diese aggressiven Maßnahmen mit gleicher Münze heimzahlen.
({4})
Trotz berechtigter Empörung werden wir die Vernunft nicht ad acta legen. Wir sehen uns durch die Vorgänge in der DDR darin bestärkt, daß wir den richtigen Weg für unsere Politik eingeschlagen haben, auf dem wir unbeirrt weitergehen werden.
Wenn die Opposition wieder Zeter und Mordio schreit und sie stupide nach einem Katalog von Gegenmaßnahmen ruft, dann sei sie an Konrad Adenauer und seinen Appell erinnert, den er am 13. August 1961 an alle gerichtet hat:
Es ist das Gebot der Stunde, in Festigkeit, aber auch in Ruhe der Herausforderung des Ostens .zu begegnen und nichts zu unternehmen, was die Lage nur erschweren, aber nicht verbessern kann.
Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt es, auf einen Zustand hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Diese Aufgabe sollten wir uns nicht durch unergiebige Begriffsakrobatik erschweren. Dabei können wir in der Methode flexibel sein, aber die Grundsätze unseres Verfassungsrechts stehen für die Freien Demokraten nicht zur Disposition.
Wann und in welcher Form eine Wiedervereinigung realisiert werden kann, bleibt offen. Fest steht, daß das nicht den aktuellen Inhalt unserer Tagespolitik bestimmt.
Wer das deutlich ausspricht, darf nicht gescholten werden. Deshalb, so meine ich, schießt die Opposition weit über das Ziel hinaus, wenn sie auf Willy Brandt, Herbert Wehner und William Borm mit dem Vorwurf des Verfassungsbruchs eindrischt. Meine Damen und Herren, die Nation wird sich von Franz Josef Strauß nicht verkohlen lassen.
({5})
Herr Kohl, Sie mit Herrn Abelein
({6})
und Herrn Strauß wirken in Ihrer Aufgeregtheit wie jene Falken in Ost-Berlin, die doch nur ängstliche Hühner sind.
({7})
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde wurde von der CDU/CSU beantragt, um die Themen Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten, Menschenrechtsprobleme und auch das Thema der Wiedervereinigung zu behandeln. Ich habe zu diesem Begehren zu erklären, daß es nicht anders zu erwarten war, daß die Opposition versuchen würde, die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Journalisten in der DDR durch die Regierung der DDR dazu zu benutzen, um die Bundesregierung dafür zu kritisieren.
Gegenüber diesem Versuch bleibt festzuhalten: Wer die zur Zeit unüberbrückbaren Unterschiede zwischen uns und der DDR kennt - das behauptet
ja mancher; oft wird auch darüber gesprochen -, der kann im Ernst nicht davon überrascht sein, daß es auch auf dem Gebiet der journalistischen Beziehungen zu Streit gekommen ist und auch noch weiter kommen wird. Dies war der Bundesregierung beim Abschluß des Grundlagenvertrages durchaus bewußt. Dieser Vertrag ist auch ein Dokument für die Unüberbrückbarkeit von prinzipiellen Unterschieden.
Es gehört nicht viel dazu, dies festzustellen. Aber es ist heute wie damals nicht selbstverständlich, sich über die Gegensätze hinweg um Ausgleich und Verständigung zu bemühen. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, nicht den Stimmungen des Augenblicks nachzugeben, sondern das langfristig einzig Vernünftige zu tun: die Politik des Interessenausgleichs auch und insbesondere mit der DDR kontinuierlich fortzusetzen.
({0})
Diese Politik ist keine Schönwetterpolitik. Sie hat Rückschläge und Belastungen ausgehalten und auch in Zukunft auszuhalten. Daß das auf uns zukommen würde, war uns von Anbeginn bewußt und bekannt.
({1})
Wir haben auch immer mit den Störungen, mit den Kritiken von Ihnen gerechnet.
Ich sage für Gegner dieser Politik, für Leute im eigenen Land und in der DDR: Wir werden diese Politik weiterführen. Niemand soll sich in Hoffnung wiegen, Schwierigkeiten könnten uns von dem als richtig und vernünftig erkannten Weg abbringen.
({2})
Ich sage aber auch für Anhänger dieser Politik, für die vielen Millionen Menschen, die ganz unmittelbar Vorteile durch diese Politik haben: Was an uns liegt, wird getan, um diese nicht nur richtige, sondern auch erfolgreiche Politik intakt zu halten, fortzusetzen und weiterzuentwickeln.
Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an der krampfhaften Suche nach Erfolgsrezepten, die von einseitigen Wunschvorstellungen diktiert würden, und nach angeblich wirksamen Sanktionen. Wir haben Verständnis für den Unmut des einzelnen Bürgers gegen diese und andere Maßnahmen der DDR, und wir teilen diesen Unmut.
({3})
Wir haben aber kein Verständnis, wenn sich Politiker, die ernst genommen werden wollen, als Biertischstrategen betätigen.
({4})
- Meine Herren, die Sie gerade so lustig dazwischenmeckerten, ich bin ein Mann, der in seiner
Freizeit in Geselligkeit auch gern einmal ein Bier
trinkt. Aber dabei lösen wir nicht die Probleme, die hier anstehen,
({5})
sondern dann versuchen wir, Gemeinsinn zu entwickeln, was Sie gar nicht können.
Entgegen der Hoffnung unserer Gegner und als Versicherung für unsere Freunde wiederhole ich es: Wir setzen unseren Weg fort, langfristig, kontinuierlich und erfolgreich.
Da hier auch schon das Thema der Menschenrechte angeklungen ist, lassen Sie mich auch dazu einige Anmerkungen machen. Von Anfang an hatte die Deutschlandpolitk der sozialliberalen Koalition das Ziel, die Beziehungen zur DDR im Interesse der Menschen in beiden Staaten zu verbessern. Es ist durch diese Politik auch gelungen, für das Leben vieler Deutscher wichtige Erleichterungen durchzusetzen und sie damit auch bei der Ausübung und Nutzung ihrer Menschenrechte zu unterstützen. Die Durchsetzung von Menschenrechten muß aber den Interessen der einzelnen Menschen dienen. Die Bundesregierung legt gerade deshalb entscheidenden Wert darauf, die humanitären Wirkungsmöglichkeiten, die mit der Politik der Entspannung und des Interessenausgleichs verbunden sind, nicht zu gefährden. Im Interesse der Betroffenen darf dieses Ziel nicht zugunsten kurzfristiger tagespolitischer Absichten mißbraucht werden.
({6})
Es folgt eine kurze Bemerkung zu dem schon angesprochenen Thema der Wiedervereinigung. Dazu wird es sicherlich noch manche Äußerung geben. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, an dem zu zweifeln, was wir bei Abschluß der Verträge erklärt haben, was wir seitdem bei zahllosen Anlässen erneut bekräftigt haben und was wir, wenn das gewünscht wird, auch ständig wiederholen können: Es bleibt das erklärte Ziel der Bundesregierung, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit vollendet. Gerade um diesen Auftrag unserer Verfassung mit Leben zu erfüllen, müssen wir aber auch die tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und Entwicklungen berücksichtigen.
({7})
Hier besteht, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag, speziell zum Selbstbestimmungsrecht, ausgeführt hat, „ein breiter Raum politischen Ermessens". Dem ist nichts hinzuzufügen; alles andere sind haltlose und von Wahlkampfabsichten geprägte Verdächtigungen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Trotz der wohlgesetzten
Worte, Herr Kollege Franke, muß ich Ihnen und der Koalition vorwerfen: Sie zerstören Substanz,
({0})
wenn Sie auf die Worte „Wiedervereinigung" und „die deutsche Frage" verzichten wollen. Genau dieses Wort ist Gegenstand internationaler Verträge; genau dieses Wort haben wir beide, Herr Bundeskanzler, im Jahre 1968 hier unterschrieben und beschlossen; dies haben wir beide, Herr Kollege Wehner, hier unterschrieben und beschlossen und zu einem völkerrechtlich wirksamen Dokument gemacht.
Ich will die rechtlichen und politischen Dinge hier nicht aufführen, sondern ich will ein anderes substanzzerstörenden Element in die Debatte einführen: Wir alle haben im vergangenen Jahr feststellen müssen, daß es mit dem Deutschland-Unterricht an den Schulen nicht funktioniert; die Ergebnisse waren miserabel. Die Kultusminister der Länder - aller Länder - haben sich im Herbst einstimmig auf Richtlinien über den Deutschland-Unterricht an den deutschen Schulen verständigt,
({1})
einstimmig! Diese Richtlinien beginnen mit den klaren Worten „Wiedervereinigung" und „die deutsche Frage". Wollen Sie das den Lehrern nun wieder aus der Hand nehmen, um auch dort und bei den Schülern Substanz zu zerstören?
({2})
Der zweite Punkt: Herr Bundesminister Franke, das sanfte Säuseln gegen einen offenkundigen Rechtsbruch der DDR kann dieses Parlament nicht hinnehmen.
({3})
Der Briefwechsel über die Arbeit unserer Journalisten dort und der anderen hier gehört zum Grundvertrag. Er garantiert die freie Information und Berichterstattung. Die DDR-Rechtsordnung gilt, soweit die DDR nicht durch die Formulierungen des Briefwechsels andere rechtliche Verpflichtungen eingegangen ist. Sie ist diese anderen rechtlichen Verpflichtungen zugunsten von Dingen, die es sonst in der Rechtsordnung dort nicht gibt, nämlich freie Information und Berichterstattung, eingegangen. Dies ist rechtlich und politisch die entscheidende Basis für die Arbeit unserer Journalisten in Ost-Berlin und in der DDR. Das Verhalten der DDR ist ein Rechtsbruch, und ich fordere die Regierung auf, dies beim Namen zu nennen und hier nicht hinter der dänischen Regierung und dem dänischen Außenminister zurückzustehen.
({4})
Das dritte. Wir erleben es nun zum wiederholten Male: Die DDR handelt, sie schafft einen rechtswidrigen Tatbestand. Der wird hier geprüft und registriert. Dann sagen alle: Protest! Anschließend rufen die einen nach Gegenmaßnahmen, und schon winken die anderen ab und sagen, man wolle, könne und werde die „Entspannung" nicht stören, zumal diese ohne Alternative sei - fast eine Einladung, uns und die drüben weiter zu schikanieren.
Meine Damen und Herren, ich frage die Sozialdemokraten, wie eigentlich dieser Verzicht auf die beiden Worte unserer politischen Substanz bei ihnen zustande gekommen ist. Gab es darüber eine Debatte in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und in ihrer Fraktion, auch in Berlin?
({5})
- Ja, ja, Herr Kollege Wehner, ich verstehe, daß Sie darauf reagieren.
({6})
Endlich ist es gelungen, Sie in Bewegung zu bringen; ich freue mich darüber.
({7})
Herr Kollege Wehner, dann wende ich mich nun an Sie: Mit dieser Haltung des Versdiweigens und des schlappen Schweigens produzieren Sie in der Bundesrepublik Deutschland und über sie hinaus das Gefühl, wir seien ohnmächtig. Doch wir sind es nicht.
Erstens. Wenn wir in dieser Sache - besser: in diesen Sachen - versuchen würden, uns einmal zusammenzusetzen und zu sehen - was unendlich oft vorgeschlagen worden ist -, ob es hier einen gemeinsamen Ansatz für Politik gibt, wären wir stärker.
Zweitens. Wenn wir alle mehr an die Macht des Geistes und des Wortes als an die Schläue des Verschweigens glaubten, wären wir alle stärker.
Drittens. Wenn wir alle die Leistungen an die DDR in Stufenplänen mit konkreten, nachprüfbar erbrachten Gegenleistungen verabredeten,
({8})
wie wir dies seit Jahren fordern, wären wir alle stärker.
({9})
Viertens. Wenn die Bundesregierung die eine Milliarde an die DDR - wie hier im Januar vorgetragen und ausgerechnet und nicht bestritten worden ist - nicht verschenkt, sondern in Tranchen aufgeteilt und für die Jahrestranchen ein fühlbares, prüfbares Gegenleistungskonzept vorgelegt hätte, wären wir alle doch stärker.
({10})
Wir sind nicht ohnmächtig. Sie reden sich das ein.
Meine Damen, meine Herren, so frage ich mich: Verstehen wir alle eigentlich unter „Entspannung" noch das, was am Anfang stand? Zu Beginn waren wir einig.
({11})
Wir meinten, Entspannung sei dort, wo die Menschen fühlbar etwas davon hätten.
({12})
Das war der Anfang. Dann kam Wehner: Wir brauchen die Opposition nicht.
({13})
Und nun sagen Sie einmal zu diesen paar Worten etwas!
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat mit einer Bemerkung geschlossen, mit der er mir zum wiederholten Male unterstellt - sonst ist es immer schriftlich geschehen -, ich hätte gesagt: Wir brauchen die Opposition nicht mehr.
({0})
- Lassen Sie mich das doch erklären, und versuchen Sie nicht zu verhindern, daß Sie es endlich einmal erklärt bekommen. Sie haben ja sonst nicht das volle Vertrauen zu Herrn Barzel; sonst müßte er ja nicht hier eine Gelegenheit suchen, einmal zu reden und wieder zu Wort zu kommen.
({1})
Ich habe - Herr Barzel, ich will von Ihnen nicht ein Ja oder Nein, aber Sie werden nachsehen lassen - ein einziges Mal gesagt, wir brauchen die Opposition nicht. Wissen Sie, wozu? Weil Sie in der Debatte über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Brandt seinerzeit damit anfangen wollten, einen Punkt aus einer Entschließung aus der vorhergehenden Legislaturperiode, der die Nr. 6 trug, ändern zu lassen. Mit Bezug auf diesen einzigen Punkt, durch den die ganze Regierungserklärung außer Kraft gesetzt werden sollte - lassen Sie das nachsehen; einige von Ihnen können ja sogar auch noch lesen - -
({2})
- Das ist gar kein Ablenkungsmanöver. Sie machen Ablenkungsmanöver, wenn Sie Menschen wie mich und andere, z. B. den langjährigen Regierenden Bürgermeister von Berlin Brandt so bezichtigen, wie das Ihre Junge Union neuerdings mit den Bezeichnungen „vaterlandslose Gesellen", „Vaterlandsverräter" tut. Das ist Ihr christlich-demokratischer Stil. Schämen Sie sich!
({3})
Ich war 15 Jahre Vorsitzender des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, ich war drei Jahre Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, und ich habe in zehn Jahren als Vorsitzender der Fraktion der SPD für das Zustandekommen der Verträge und für ihre Umsetzung in lebendige Praxis gewirkt.
({4})
- Entschuldigen Sie, das war notwendig, wie Sie sehen werden, wenn ich mir jetzt noch erlaube, hinsichtlich der Legenden um das Wort „Wiedervereinigung" den früheren Bundeskanzler Kiesinger mit seinen Feststellungen vom 17. Juni des Jahres 1967 zu zitieren:
({5})
Deutschland, ein wiedervereinigtes Deutschland hat eine kritische Größenordnung. Es ist zu groß, um in der Balance der Kräfte keine Rolle zu spielen, und zu klein, um die Kräfte um sich herum selbst im Gleichgewicht zu halten. Es ist daher in der Tat nur schwer vorstellbar, daß sich ganz Deutschland bei einer Fortdauer der gegenwärtigen politischen Struktur in Europa der einen oder der anderen Seite ohne weiteres zugesellen könnte. Eben darum kann man das Zusammenwirken der getrennten Teile Deutschlands nur eingebettet sehen in den Prozeß der Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa.
Ist das wahr oder ist das nicht wahr? Wollen Sie Herrn Kiesinger genauso beschimpfen, wie Sie mich, Herrn Brandt und die SPD beschimpfen? Dann tun Sie es bitte, Herr Barzel und Herr Zimmermann.
({6})
Da stellt sich ganz klar heraus - ich habe nicht so viel Redezeit, um das ganz vorlesen zu können -, daß es eine einzige Chance gibt, nämlich die Entwicklung folgerichtig zu einem „Interessenausgleich zwischen den Bündnissen im Westen und im Osten und schließlich zu einer Zusammenarbeit" zu führen, wie Herr Kiesinger erklärt hat. Das sei unsere Aufgabe. Dazu haben wir - Herr Barzel, das wissen Sie ganz genau, aber Sie brauchen jetzt eine Darstellungsform - die Verträge zustande gebracht.
({7})
- Wenn Sie es fertigbringen, eine Aktuelle Stunde so auszudehnen. Ich lese das bei einer nächsten Gelegenheit, wenn wir über die Lage der Nation sprechen, ganz vor, Herr Barzel. Früher hat mir Herr Kiesinger vorgeworfen, daß ich ihn fortgesetzt zitiere, und gefragt, ob etwas dahinter stecke - das wird ja bei mir immer geargwöhnt.
({8})
Nein, nein.
Herr Barzel, ich habe Samstag Ihren Artikel gelesen, in dem zuerst einmal der Versuch gemacht wird, mir ein paar zu versetzen, und der den interessanten Schlußabsatz enthält:
Und in Bonn?
- Es geht da um die Frage, wie die DDR-Behörden und DDR-Regierung auf bestimmte Unmutserscheinungen im Volk dort reagierten, -die dann wieder auf unsere Sende- und Medienpraxis zurückgeführt wurden.
Ist es nicht an der Zeit, die Köpfe zusammenzustecken, um zu sehen und zu lernen, ob und wo und inwieweit gemeinsame Antworten aller Verantwortlichen möglich sind? Sinnvoll wären sie.
- Ja, aber dann können Sie doch nicht die gemeinsame Verantwortung damit erzielen, daß Sie vorher diejenigen, die sich so verhalten, daß sie am Interessenausgleich zwischen den militärischen Bündnissen von West und Ost tätig sind, beschimpfen, verleumden und mit Schmutz beschütten lassen.
({9})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, ein Wort zu Ihnen. Im Zusammenhang mit dem früheren Bundeskanzler Kiesinger, den Sie so gerne zitieren, sage ich Ihnen eines. Dieser Interessenausgleich zwischen Ost und West kann nur erfolgen, wenn das deutsche Volk - so hat es Kiesinger gesagt - die Wiedervereinigung seiner Nation in dieser Europäischen Gemeinschaft erfährt.
({0}) - Ich habe es da, Herr Kollege Wehner.
({1})
Das wissen Sie genau. Im übrigen, Herr Wehner: Versuchen Sie doch nicht, hier etwas herbeizuschimpfen
({2})
und dadurch den Rest an innenpolitischen Gemeinsamkeiten zu zerstören.
({3})
Damit wird in der deutschen Frage etwas demontiert.
Herr Kollege Wehner, in aller Ruhe: Wenn Sie die Berichte darüber gelesen hätten,
({4})
dann hätten Sie auch lesen - oder hören - müssen, daß ich zu keinem Zeitpunkt - ({5})
- Ich habe gesagt, ich hätte großen Respekt vor den guten Traditionen der deutschen Sozialdemokratie. Ich bedaure es nur sehr, daß in diesem Augenblick die SPD eine Fülle von Dingen tut, die mit der guten alten Tradition der SPD nichts mehr gemein haben, meine Damen und Herren!
({6})
Aber Sie haben doch Verträge geschlossen, mit denen Sie ungeheuer viel Erwartungen erweckten, die Sie nun nicht erfüllen können. Die Nervosität, die Sie jetzt zeigen, ist doch ein Stück dessen, was Sie selber in bezug auf Ihre damaligen Erklärungen, die man Ihnen vorhalten könnte, nicht erfüllt haben.
Sie kommen dann immer und sagen: In der Zeit der CDU/CSU wurde ja die Mauer gebaut.
({7})
Als Sie die Entspannungspolitik und den Grundlagenvertrag konzipierten, sind Mauer und Minenfelder leider schlimmer geworden,
({8})
ist eine gewaltige sowjetische Aufrüstung erfolgt, sind die SS-20-Raketen und SS-21-Raketen installiert worden. Dies ist doch keine Entspannungspolitik, solange Sie nicht bereit sind zu erkennen, daß man die Ursachen der Spannungen endlich beseitigen muß.
Ich möchte aber doch noch einige Sätze über das sagen dürfen, was uns in dieser Aktuellen Stunde besonders berührt.
({9})
Es ist die Frage, wie Sie endlich Instrumente entwickeln wollen, um Vertragsverletzungen zu begegnen. Ich glaube, wir können nicht immer sagen, daß wir uns an Verträge halten, und dann mit Vertragsverletzungen weiterleben.
Was die Wiedervereinigung anbelangt und das Offenhalten der deutschen Frage, so ist eine zentrale Voraussetzung für die Freiheit Berlins, daß wir immer von der Einheit Deutschlands und der Offenhaltung der deutschen Frage sprechen.
({10})
Meine Damen und Herren, kehren Sie endlich zu den früheren Gemeinsamkeiten der Deutschlandpolitik zurück! Denn dies - das will ich Ihnen sagen - ist auch ein Stück unserer Selbstachtung
({11})
und dies ist letzten Endes auch ein Stück des Selbstverständnisses der freien Bundesrepublik Deutschland, deren 30jähriges Bestehen wir in diesen Tagen feiern.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen doch reichlich lauten Szenen möchte ich versuchen, etwas ruhiger zu reagieren.
({0})
- Nun ja, Sie haben das Laute vielleicht auch etwas mitprovoziert, Herr Barzel.
Pathos, allzu lautes Pathos tut der Sache nicht gut. Wenn Sie die Pressereaktionen der letzten Tage auf verschiedene Äußerungen von Ihrer Seite gelesen haben, mußten Sie feststellen, daß dieses Pathos in der deutschen Öffentlichkeit nicht verfängt.
Ich kann nur sagen, daß auch wir das Verhalten der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber den Journalisten aufs schärfste mißbilligen. Ich möchte in diesem Zusammenhang aus der Mediendeklaration der Unesco zitieren, die die DDR mit verabschiedet hat. Dort heißt es unter anderem, daß die Stärkung des Friedens, der internationalen Verständigung, die Beseitigung von Rassismus und so fort eines freien Flusses und einer umfassenden und gleichgewichtigen Verbreitung der Information bedürfen, daß es darauf ankommt, daß Information die verschiedenen Aspekte des behandelten Themas widerspiegelt. „Dazu" - so heißt es wörtlich in dieser Deklaration - „müssen die Journalisten die Freiheit des Informierens und den größtmöglichen Zugang zur Information haben und es muß auch" - so wird in dieser Deklaration ausgeführt - „die Möglichkeit bestehen, verschiedene Auffassungen darzutun".
Sie fordern seit Jahr und Tag bei jeder dieser aus Nervosität und innerer Unsicherheit gewachsenen Reaktionen der DDR einen Katalog von Maßnahmen von uns. Sie selbst legen diesen Katalog nicht vor. Sie sagen, wir müssen wirtschaftliche Maßnahmen ergreifen, aber wenn man Sie nach dem Instrumentarium fragt, dann ist von Ihnen wenig zu hören. Ich frage mich, ob Sie nicht vielleicht der DDR sogar einen gewissen Gefallen tun, wenn Sie ständig dazu beitragen, durch Forderungen nach Gegenmaßnahmen möglicherweise einer Politik entgegenzukommen, die solche Gegenmaßnahmen gar nicht einmal für so falsch hält, um nämlich das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu verschlechtern.
({1})
Ich darf Ihnen im Zusammenhang mit der von mir zitierten Mediendeklaration der Unesco noch folgendes sagen: Die Wirkung des Verhaltens der DDR auf die Weltöffentlichkeit ist doch auch eine wichtige, von uns nicht zu übersehende Sache. Diese DDR schadet sich doch damit selbst.
({2})
Bei der Vergabe von Stipendien an junge Leute aus der Dritten Welt wird man in Zukunft doch fragen, oh diese jungen Leute gut daran tun, noch in die DDR zu gehen, oder ob es nicht vielleicht eine gute Maßnahme der Bundesregierung wäre, ihre Stipendien zu erhöhen. Denn das Interesse an Studienplätzen in unserem Land ist in der Dritten Welt eindeutig größer. Die DDR schadet sich, auch ohne daß wir ständig der Gegenmaßnahmen bedürfen.
Jetzt noch ein kurzes Wort zur Diskussion über die Deutschlandfrage in den verschiedenen Parteien. Ich möchte mich hier nicht auf Herrn Wehner und Herrn Brandt beziehen, sondern auf einen Kollegen meiner Partei, Herrn Borm, der uns sicherlich manchmal auch Schwierigkeiten macht, wenn er außerhalb des Bundestages seine Reden hält. Ich will das gar nicht bestreiten. Ich möchte nur eines sagen: Unbequeme Denker in der Frage der Ostpolitik haben die Liberalen schon immer gehabt. Darin sind die Liberalen groß gewesen. Ich darf an Herrn Pfleiderer erinnern und an die Reaktionen auf dessen frühe Vorstellungen zur Ostpolitik. Wie wurde Herr Pfleiderer beschimpft und wie recht hat er gehabt! Ich glaube, es ist für die Entwicklung der Deutschlandfrage sehr wichtig, daß in den Parteien nicht nur deklamiert, sondern auch nachgedacht wird.
({3})
In diesem Sinne, Herr Dr. Kohl, darf ich einmal Schiller zitieren: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abgesehen von der Tatsache, daß wir es hier mit Einschränkungen von höchst gravierendem Charakter für unsere Journalisten und uns in Ost-Berlin zu tun haben, ist dies bei weitem nicht die einzige Vertragsverletzung, die die DDR begangen hat. Solche Verletzungen begeht die DDR im Grunde genommen täglich. Der Unterschied liegt nur darin, daß die Bundesregierung in der Regel zu solchen Verletzungen schweigt. Hier kann sie dies nicht tun, weil der publizistische Druck einfach zu groß ist.
Die Bundesregierung betreibt also ihre Ost- und Deutschlandpolitik nicht ohne eine gewisse Effekthascherei. Wenn die Bundesregierung nun doch verbal protestiert, so wird dabei gleich ihre ganze Hilflosigkeit deutlich.
({0})
Die Bundesregierung redet dauernd von Reaktionen; aber auch diese entwertet sie bereits wieder völlig dadurch, daß sie ihre eigenen Worte durch die beruhigende Versicherung an die Adresse der SED ad absurdum führt, man denke nicht an irgendwelche Sanktionen. Diese Haltung, meine Damen und Herren, nach dem Motto: „Wir werden entschlossen handeln, aber nichts tun!" zeigt doch, wie verhängnisvoll sich die Bundesregierung in ihre Deutschlandpolitik verstrickt hat.
({1})
Unnötig schränkt sie das ihr zur Verfügung stehende Reaktionsinstrumentarium immer wieder vorweg ein und verliert dabei - ich glaube, man muß es feststellen - die Interessenlage der Deutschen
völlig aus den Augen. Die Bundesregierung geht sogar so weit, daß sie vor lauter Rücksichtnahme und Entgegenkommen die mögliche Vorsorge für den Konfliktfall bereits abgeschafft hat.
Demzufolge ist auch der Katalog der von der Bundesregierung nun verkündeten Reaktionen eine Aufzählung von harmlosen Selbstverständlichkeiten, ja, praktisch eine Ermutigung an die SED-Machthaber. Das führt letztlich auch zu einem Höchstmaß an Unglaubwürdigkeit.
Das geht heute schon so weit, daß Sie sich laut „Spiegel" von einem SED-Funktionär vorhalten lassen müssen: Die müssen stillhalten, weil sie fürchten, es käme zur Bankrotterklärung ihrer Ostpolitik!
({2})
Von dieser Handlungsunfähigkeit, meine Damen und Herren - das sei bedacht -, wird auch das Fundament der Freiheit West-Berlins berührt.
Gerade in dieser Phase leiten nun maßgebliche Politiker der Regierungskoalition eine Diskussion über den Anspruch auf Wiedervereinigung schlechthin ein. Herr Kollege Abelein hat das Grundgesetzwidrige in dieser Diskussion bereits dargetan.
Ich will hier nur zusätzlich feststellen, wie absurd diese Vorschläge von den persönlich betroffenen Menschen empfunden werden müssen. Millionen haben enge verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen zu den Deutschen in Mitteldeutschland und pflegen diese Kontakte immer wieder. Sie tun das in dem Gefühl, daß man zusammengehört.
Wie lebendig dieses Gefühl in unserer Bevölkerung noch ist, kann jeder zum Beispiel im Grenzland fast körperlich deutlich empfinden.
Da kommt nun der Vorschlag, politisch so zu tun, als wäre diese heute immer noch lebendige Zusammengehörigkeit völlig überholt, als sei da überhaupt keine Vergangenheit, die das „Wieder" bei Vereinigung rechtfertigen würde.
Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren, die Bevölkerung hat mehr Sinn und Gespür für unsere nationale Einheit als Sie von der Koalition.
({3})
Wir wissen naürlich auch, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie damit im Sinne der Bahrschen Wahrheitstheorie nur die uneingeschränkte Aufwertung der DDR zum souveränen Staat betreiben. Es ist deshalb einfach unehrlich gegenüber der Öffentlichkeit, wenn Sie diesen Teil Ihrer Gedankengänge verschweigen. Unehrlich ist es im übrigen auch, Herr Kollege Büchler, wenn Sie der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß Franz Josef Strauß ähnliches vertreten habe. Wahr für ihn und für uns ist, daß die deutsche Frage offengehalten und, wie er eben ausdrücklich sagte, dann in die Architektur der europäischen Einigung eingebettet werden muß.
({4})
Sie sind deshalb - erlauben Sie mir diese Feststellung zum Schluß - in der Deutschlandpolitik nicht nur hilflos und unglaubwürdig, sondern auch unehrlich geworden.
({5})
Das Wort hat der Bundesminister Graf Lamsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte hier wiederholen, daß es das erklärte Ziel der Bundesregierung bleibt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit vollendet. Grundlage dafür bleibt der Auftrag unserer Verfassung. Aber hier besteht, wie das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Grundlagenvertrag dargelegt hat, ein breiter Raum politischen Ermessens. Diesen Raum wird die Bundesregierung in der Wahrnehmung ihrer Verpflichtungen nutzen.
Es bedarf keines Hinweises und keiner Erinnerung an die Bundesregierung, daß die deutsche Frage offengehalten wird und offengehalten werden muß. Die Bundesregierung hat dies auch bei vielen Gelegenheiten erklärt. Ich selber habe es auch bei meinen Gesprächen in Ost-Berlin eindeutig so formuliert.
Das, worüber wir hier miteinander sprechen, das auslösende Moment für diese Aktuelle Stunde, ist in der Tat ein schwerwiegender Vorgang. Ob es, Herr Kollege Barzel, nun auch wirklich im juristischen Sinne als Rechtsbruch bezeichnet werden kann, ist eine in meinen Augen offene Frage, die aber eher mit Nein zu beantworten ist, weil es eben in dem Briefwechsel zur Ausübung der journalistischen Tätigkeit ausdrücklich heißt: „Die Deutsche Demokratische Republik gewährt im Rahmen ihrer geltenden Rechtsordnung ..." usw.
({0})
Aber ich lasse überhaupt gar keinen Zweifel daran, daß es sich ganz sicherlich um eine schwerwiegende Verletzung des Geistes der Vereinbarungen handelt, die wir getroffen haben. Aber wenn Sie mit jemandem aus dem Herrschaftsbereich dieser Länder, nicht nur der DDR, über Pressefreiheit sprechen - das wissen Sie ebensogut wie jedes Mitglied der Bundesregierung und der Koalitionsparteien -, dann sprechen Sie wie mit einem Bewohner eines anderen Sterns. Das ist bedauerlich. Das ist zu kritisieren. Aber es ist ein Tatbestand, den man nicht einfach wegdiskutieren kann. Es ist so. Jeder hier weiß das so, und niemand sollte Entrüstung über einen Tatbestand oder in einer Form zeigen, als wäre das nicht so, als wäre das Wünschbare Wirklichkeit. Leider ist das Wünschbare nicht Wirklichkeit.
Hier ist wieder von Gegenmaßnahmen gesprochen worden. Herr Kollege Barzel, Sie haben eine Milliarde erwähnt. Ich weiß nicht, ob sich das auf
Bundesminister Dr. Graf Lanbsdorff
den Swing bezog oder auf die Verkehrsverhandlungen; es spielt auch keine entscheidende Rolle.
({1})
- Um welchen Anlaß auch immer, es geht um die Grundfrage, Herr Barzel. - Herr von Wrangel hat davon gesprochen, Herr Lintner ebenso.
Darf ich zu den wirtschaftlichen Maßnahmen - dieser ja schon häufig von Ihnen geäußerten Bitte - doch einmal im einzelnen hören: Wo denn z. B. im Bereich des innerdeutschen Handels soll konkret zugegriffen werden? Das ist ja in den letzten Tagen wieder mehrfach verlangt worden.
Ich muß Ihnen dazu eindeutig sagen, daß auch die Bundesregierung generell wirtschaftliche Maßnahmen nicht ausschließt, daß aber kurzfristige Maßnahmen noch nie etwas gebracht haben und daß ich davor warne - ich habe diese Haltung immer vertreten -, den innerdeutschen Handel als ein Repressionsinstrument benutzen zu wollen.
({2})
- Denn erstens war und ist er ein wesentliches Verbindungsstück zwischen beiden deutschen Staaten. Zweitens ist zwar richtig, daß er für die DDR wesentlich bedeutsamer ist als für uns. Aber er ist auch für westdeutsche Lieferfirmen bedeutsam, für Arbeitsplätze in der Bundesrepublik. Denn ich nehme ja nicht an, daß Sie von der Illusion ausgehen können, daß nicht an unsere Stelle in diesen wirtschaftlichen Beziehungen unmittelbar Konkurrenten aus anderen westlichen Ländern eintreten würden.
({3})
Das ist ein Preis, den wir für unser freiheitliches Wirtschaftssystem zu zahlen haben: daß wir dies nicht ausschließen können. Wir müssen es aber auch sehen.
Ich habe mir auf der Suche nach etwas Konkretem aus Ihrem Bereich die Mühe gemacht, Ihr Memorandum zur Deutschlandpolitik vom August 1978 noch einmal zu lesen. Da steht: Swing, Mehrwertsteuerregelung, Bundesgarantie. Der Swing ist eine klare vertragliche Vereinbarung, und es wird wohl auch Ihnen nicht in den Sinn kommen, die Bundesregierung zu einer Vertragsverletzung aufzufordern. Es ist eine andere Frage, ob hierüber gesprochen werden wird, wenn im Jahr 1980 für 1982 die Verlängerung des Swing-Abkommens auszuhandeln sein wird.
({4})
Die Bundesregierung hat nie etwas anderes gesagt. Daß wir dies im Rahmen der gesamtpolitischen Beziehungen, der deutschlandpolitischen Landschaft sehen - das hat, wie Sie nachlesen können, schon mein Vorgänger erklärt -, das ist eine ganz andere Frage. Aber bestehende Vereinbarungen werden gehalten, weil die Nichteinhaltung auch ganz erhebliche Auswirkungen auf die rechtliche Stellung Berlins hätte.
Ein letzter Satz. Die Forderung nach Einschränkung der Bundesgarantien ist wirtschaftsfremd. Nicht
die DDR braucht diese Garantien, sondern die westdeutschen Lieferanten brauchen sie.
Lassen Sie mich mit dieser einen Bemerkung schließen, Herr von Wrangel: Äußerungen, die in dieser Diskussion gefallen sind und die hier heute wiederholt worden sind, die „Vaterlandsverräter" und „
vaterlandslose Gesellen"
({5})
- nicht hier; die in der Diskussion über diesen Themenkreis gefallen sind, und zwar in der Öffentlichkeit gefallen sind und dort keinen Widerspruch gefunden haben -,
({6})
diese Bemerkungen und derartige Diskussionsweisen
({7})
sind für das Zusammenleben in diesem Land lebensgefährlich. Sie müssen, bei allen Meinungsverschiedenheiten, aus der Welt geschafft werden.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich feststellen, Herr Kollege Barzel, daß Sie sich in Ihrer Argumentation erfreulich von den Verlautbarungen unterschieden haben, die Ihre Partei zu diesem Thema abgegeben hat. Denn Sie haben anders als Ihre Partei mit Recht festgestellt und darauf abgehoben, daß die Verträge und Abkommen, die wir geschlossen haben, insoweit in Ordnung sind
({0})
und daß die DDR sie rechtlich und politisch durchlöchert hat. Insofern sind wir in einer Situation, in der sowohl die Bundesregierung wie jedenfalls die Koalition dies so feststellen. Ich freue mich, daß das insoweit nun auch Sie festgestellt haben. Es wäre gut, wenn Ihre Parteifreunde sich daran ein Beispiel nähmen.
Zum anderen haben Sie in einer Wendung Ihres Beitrags auf mögliche Gegenmaßnahmen aufmerksam gemacht. Sie haben mit erhobener Stimme gesagt, Herr Kollege Barzel: Wir sind nicht ohnmächtig.
({1})
Wenn man es so anklagend vorbringt, muß ich nun doch daran erinnern, daß es in der Vergangenheit mehr als die - sicher von uns allen bedauerte - Einschränkung der Tätigkeit von Journalisten aus der Bundesrepublik in der DDR gegeben hat. Z. B. war der 16. und 17Juni 1953 ein gewaltigeres
Ding, und der Bau der Mauer am 13. August 1961 war ein gewaltiger Vorgang. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie damals, als Sie mehr Verantwortung hatten, als Sie heute haben, gesagt hätten: Wir sind nicht ohnmächtig. Das wäre gut gewesen.
({2})
Mit anderen Worten: Es wäre gut, wenn man heute an die Bundesregierung nicht Maßstäbe anlegte, die man selber nicht anlegen konnte, als man die Verantwortung hatte.
({3})
Ich will nicht sehr lang auf das eingehen, was der Kollege Abelein gesagt hat. Denn die Beweisführung, daß, weil die DDR Abkommen durchlöchert, die Koalition nun darangehe, die Wiedervereinigung aufzugeben, erinnert in Logik und Niveau unmittelbar an die Ankündigung, die wir 1972 gehört haben, nämlich: „Wenn die Koalition, wenn die Sozialdemokraten die Wahlen noch einmal gewinnen, werden das die letzten freien Wahlen in der Bundesrepublik sein, und wenn die Verträge angenommen werden, werden die Kosakenpferde am Rhein weiden."
({4})
Das ist insoweit nicht ernst zu nehmen.
Aber schwieriger ist, daß auch heute wieder in der Diskussion von dem Kollegen Lintner der Vorwurf erhoben worden ist, die Deutschlandpolitik der Koalition und ihr Bekenntnis zur deutschen Einheit seien unehrlich.
({5})
Meine Damen und Herren, man darf nicht auf der einen Seite nach Gemeinsamkeit rufen und auf der anderen Seite dem anderen den guten Willen oder die Ehrlichkeit absprechen.
({6})
Dann muß man auch die Diskussion besser führen als auf dem Niveau von Herrn Mertes, der neulich das ganze Thema Wiedervereinigung mit den Worten abgehandelt hat: „Das deutsche Volk ist gegen seinen Willen gespalten worden, und es will wiedervereinigt werden. So einfach ist das." Meine Damen und Herren, wenn es so einfach ist, warum haben Sie es denn nicht gemacht?
({7})
Wer so tut, als hinge die deutsche Frage allein von der papiernen Stromlinienform ab,
({8})
der betreibt nicht nur Volksverdummung, sondern der versündigt sich an der Sache, der wir alle verpflichtet sind.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Bahr die Vorgänge der letzten Tage mit den Ereignissen am 17. Juni und mit dem Mauerbau vergleicht, dann hinkt dieser Vergleich; denn heute haben Sie Verträge mit der Deutschen Demokratischen Republik, und diese Verträge müssen eingehalten werden, wenn politisches Vertragswerk und Vertragspolitik überhaupt einen Sinn haben sollen. Insofern haben wir heute eine andere Situation.
({0})
Der Herr Bundesminister Franke hat sich heute darüber beklagt, daß wir die Bundesregierung wegen ihrer zu schwächlichen Reaktion angreifen. Aber, Herr Franke, erinnern Sie sich denn nicht daran, daß es gerade Sie waren, der beinahe genau vor einem Jahr in einem aufsehenerregenden Interview der DDR als Signal gegeben hat, als Sie fragten: „Was heißt denn Menschenrechte"? „Ich glaube nicht" - so sagten Sie damals; ich darf zitieren -, „daß wir durch unsere Einflußnahme auf das Geschehen in der DDR die DDR bewegen könnten, unseren Vorstellungen zu folgen, wenn sie es nicht aus eigener Erkenntnis macht." Wenn das kein Signal für die DDR war, Herr Minister Franke, in ihrer Politik des Vertragsbruchs fortzufahren, dann weiß ich nicht, was ein solches Signal überhaupt sein könnte.
({1})
Die schwächliche Reaktion der Bundesregierung setzt jetzt ein neues Signal, das die DDR - das prophezeie ich Ihnen hier -, wenn nichts Besseres und Nachhaltigeres kommt, zu neuen Vertragsbrüchen, zu neuen Schikanen und zu neuen Nachteilen für Millionen Deutsche mißbrauchen wird.
({2})
Eines, meine Damen und Herren, darf an diesem Tag, in dieser Stunde, wo das deutsche Volk mit großem Interesse nach Berlin schaut, nicht vergessen werden. Die Einheit Deutschlands und unser Anspruch darauf, daß sie wiederhergestellt wird, unser Anspruch auf die Herstellung des Selbstbestimmungsrechts gehören zu den politischen Fundamenten der Freiheit der alten deutschen Hauptstadt Berlin, und wer an der Wiedervereinigung rüttelt, der rüttelt an der Freiheit und Lebensfähigkeit Berlins.
({3})
Es sollte also kein Zweifel daran bestehen, daß eine Politik, die hier Begriffe genauso demontiert, wie es der Kollege Barzel sagte, „Substanz demontiert", und zwar nicht nur rechtliche Substanz, sondern Substanz für Millionen von Menschen.
Jäger ({4})
Der Herr Kollege Hoppe hat in seiner Rede eine interessante Ausführung gemacht. Er sagte - ich darf dem Sinne nach zitieren -: Die DDR muß die entstandenen Zweifel an ihrer Vertragstreue rasch ausräumen, wenn unsere Vertragspolitik fortgesetzt werden soll. Ich habe eigentlich gedacht, daß die Mitglieder der Bundesregierung diesen Ball aufgreifen. Denn das hieß doch im Klartext: Wenn die DDR diese Zweifel nicht - und zwar rasch - beseitigt, dann müssen wir uns eine Änderung unserer Politik überlegen. Was sagt die Regierung dazu? Sie schweigt! Damit dementiert sie Herrn Hoppe und den vernünftigen Ansatz, der in diesem seinem Satz enthalten war.
({5})
Meine Damen und Herren, diese Aussprache hat gezeigt, daß die Bundesregierung und die sie tragende Koalition nicht bereit und nicht fähig sind, die erstarrten Denkkategorien ihrer verfehlten Deutschlandpolitik zu verlassen und sich endlich mit den Realitäten des kommunistischen Machtanspruchs auseinanderzusetzen. In den letzten Jahren war es allein die Union, die - was Sie immer wieder ableugnen wollen - praktische Vorschläge in großer Zahl gemacht und Initiativen ergriffen hat. Die Menschen in ganz Deutschland, die mit zum Teil ohnmächtigem Zorn die Hilflosigkeit und Konzeptionslosigkeit dieser Regierung mit ansehen müssen,
({6})
können sich darauf verlassen, daß die CDU/CSU das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes unbeirrt einfordern wird, bis der Tag kommt, an dem es in Freiheit verwirklicht werden kann.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beziehe mich zunächst auf die Interventionen der Herren Bundesminister Franke und Graf Lambsdorff, denen ich zustimme. Ich sehe ¡als Bundeskanzler keinen Anlaß, in dieser Kurzdebatte zu den verschiedensten, teilweise sehr prüfenswerten, sehr bedenkenswerten Äußerungen Stellung zu nehmen, die in jüngster Zeit zur deutschen Situation gemacht wordensind. Die Aufgabe des Bundeskanzlers besteht nicht darin - ,auch wenn er von der Opposition häufig dazu aufgefordert wird, jede Woche zu einem anderen Thema Stellung zu nehmen -, zu kommentieren, sondern, wenn dazu Veranlassung besteht, die Politik der Bundesregierung im Parlament vorzutragen.
Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze folgendes sagen. Unsere Deutschlandpolitik ist frei von Illusionen. Wir werden durch zähe und geduldige Arbeit den Zusammenhalt der Menschen in Deutschland wahren. Dem dient die Politik, die Wir gegenüber dem anderen deutschen Staat auf der Basis des Grundlagenvertrages verfolgen. Jeder weiß -das ist heute mehrfach gesagt worden -, daß es das Ziel unserer Politik ist, auf einen Zustand des
Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Die DDR-Führung zielt ¡auf lange Sicht auf eine Ablösung, auf eine Niederlage unserer politischen Ordnung. Wir wissen das, aber wir können diese Grundvorstellungen der SED ertragen. Umgekehrt wird die SED-Führung, die DDR-Führung ertragen müssen, daß wir an der einen Nation festhalten: Wir vertrauen auf die friedliche Entwicklung für Europa und damit für unser eigenes Volk.
Wir sehen die DDR, wie sie ist. Die DDR muß ,auch uns sehen, wie wir sind und wie unser pluralistisches System ist, zu dem die offene Debatte, die öffentliche Debatte faller großen Fragen unserer Gesellschaft, unseres Volkes gehört, also auch die große öffentliche Debatte über die Lage der Nation.
Ich sage in Klammern: Ich denke, ich wüßte, daß die ,große diesjährige Debatte über die Lage der Nation mit Ihrer Zustimmung für einen Tag Mitte nächsten Monats vorgesehen ist. Jedenfalls bin ich seit längerer Zeit mit meiner Vorbereitung für diese Debatte beschäftigt.
Die Sätze, die ich soeben zu Ihnen isprach, meine Damen und Herren, werden 'einigen von Ihnen vielleicht nicht ganz unbekannt vorkommen. Alles was ich ¡sagte, sind sehr sorgfältig bedachte Formulierungen, die ich Wort für Wort paus der Regierungserklärung dieser Bundesregierung vom 16. Dezember 1976 zitiert habe. Ich habe in dieser Debatte jener Regierungserklärung weder ,etwas hinzuzufügen nochetwas davon abzustreichen. Sie ist unverändert die verbindliche Aussage zur Deutschlandpolitik dieser Regierung. Im übrigen -das füge ich heute hinzu - hat die 'Bundesregierung nicht die Absicht, zum Zwecke der Repression oder, so will ich besiser und verständlicher sagen, zum Zwecke von Repressalienselber Verträge und Abmachungen zu verletzen, die wir ,geschlossen haben.
({0})
Die SED-Führung hat aus einer Situation der inneren Schwäche gehandelt. Die Bundesregierung wird unsere starke Position nicht gefährden.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Ludewig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung hat das Parlament über den Innerdeutschen Ausschuß eingehend über das informiert, was sie in Reaktion auf die Maßnahmen der DDR unternommen hat. Sie hat protestiert. Sie hat sich um eine andere Auslegung der Durchführungsbestimmungen bemüht. Sie hat sich um Kontakte mit betroffenen Journalisten bemüht. Sie hat sich um eine größtmögliche Ausschöpfung des Vorhandenen bemüht. Wir haben Absprachen mit befreundeten Staaten getroffen. Die USA haben reagiert, Dänemark hat reagiert. Sie haben das uns zum Vorwurf gemacht. Es ist auf unsere Bemühungen hin geschehen.
Was ist denn der Dissens? Worauf ist der ganze Streit zurückzuführen? Weshalb regt sich die Opposition so auf?
Die DDR weitet das Prinzip der Nichteinmischung auch auf die Journalisten aus. Wir werden nicht müde, unsere liberale Auffassung von Pressefreiheit dagegenzustellen. Aber auch hier gilt der Grundsatz der Effektivität. Wir können nichts erzwingen. Wir müssen das, was vorhanden ist, ausschöpfen. Wir müssen soviel tun wie möglich. Wir müssen soviel tun wie nur irgend möglich und da, wo wir es können.
In der DDR sind 149 ausländische Korrespondenten akkreditiert. 19 davon kommen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus West-Berlin.
({0})
Diese Journalisten haben bisher versucht, soweit dies unter den auch vor dem 11. April 1979 nicht immer leichten Bedingungen möglich war, ein objektives Bild von den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in der DDR zu vermitteln. Ich glaube, daß diesen Journalisten das auch gelungen ist. Hierfür sollten wir allen danken, die dort tätig sind und waren; denn nicht zuletzt sie waren es, die z. B. den Grundlagenvertrag durch ihre objektive Berichterstattung mit Leben erfüllt haben.
Wenn das „Neue Deutschland" am 16. April 1979 davon spricht, daß unsere Korrespondenten „das Gastrecht der DDR mißbraucht hätten" und in diesem Zusammenhang von „angeblicher Pressefreiheit" spricht, müssen wir dieses ganz entschieden zurückweisen.
({1})
- Danke. - Das Prinzip der Nichteinmischung aus dem Völkerrecht, das für Staaten und deren Vertretungen gilt, kann nach unserem Verständnis von Pressefreiheit nicht auch für Journalisten gelten. Die Grenzen der Pressefreiheit liegen bei uns bei den Dingen, die der Geheimhaltung unterliegen. Sie haben aber gar nichts mit einer freien - ob loyalen oder nicht loyalen - Berichterstattung gegenüber ausländischen Staaten zu tun.
Es gibt ein Sprichwot: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
({2})
Das ist nicht unser Grundsatz. Er wurde von denen verlangt, die gesagt haben: Wenn wir behindert werden, wollen wir die, die bei uns arbeiten, auch behindern; wir haben die Macht dazu. Auch dies wäre nicht gut, Herr Lintner, auch dies wäre nicht gut, Herr Jäger. Wer nach Sanktionen, wer nach Gegenmaßnahmen ruft, Herr Kohl,
({3})
der soll uns konkret sagen - das habe ich auch gestern im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ihren Parteifreunden gesagt -, worüber wir sprechen wollen, Herr Professor Abelein. Dann wollen wir ganz normal und nüchtern darüber verhandeln
und gemeinsam vielleicht eine Marschroute festlegen.
Ich komme zum Schluß. Die Pressefreiheit gilt also nicht nur für die Korrespondenten aus der DDR bei uns, auch wenn uns das, was sie über uns schreiben, oft nicht gefällt. Dieser Grundsatz muß für alle, auch für unsere Journalisten in der DDR gelten. Dafür werden wir uns in Zukunft einsetzen. Unsere Journalisten, die sich drüben mit der Berichterstattung schwertun, uns aber und die DDR-Bürger informieren, haben für das Zusammenhalten der Deutschen in beiden deutschen Staaten mehr getan als Sie, die Sie nun nach Sanktionen rufen.
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Meine Damen und Herren, nach dem Ablauf der Aktuellen Stunde hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel noch dreieinhalb Minuten Redezeit.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst: Graf Lambsdorff, wenn Ihre rechtliche Interpretation stimmt, dann haben Sie nichts mit der DDR verabredet. Denn dann leugnen Sie sogar den Tatbestand. Wenn Sie nichts verabredet haben, kann man nichts, wie Herr Bahr sagt, durchlöchern; denn „durchlöchern" ist ein anderes Wort für „verletzen".
({0})
Deshalb, Herr Bundeskanzler, bringen Sie Ordnung in den Laden! So geht das nicht weiter.
({1})
Wenn der Wirtschaftsminister sagt, mit der Milliarde sei es eigentlich egal wo - dann bin ich ganz sicher, daß er da wieder zitiert werden wird. Aber vielleicht haben Sie die Güte, Graf Lambsdorff, die Debatte vom Januar nachzulesen, wo ich dem Kanzler die Milliarde vorgerechnet habe. Der Kanzler hat sofort auf mich geantwortet, hat dies nicht bestritten, sondern nur gesagt, das sei wegen der Langristigkeit. Lesen Sie das nach und machen Sie keinen Popanz! Hier hat niemand den Eingriff in Verträge verlangt. Wir haben gesagt, wir wollten eine andere Politik, die Tranchen in Stufenpläne aufteilt. Ich will mich nicht wiederholen. Jeder ist imstande, 'das nachzulesen.
({2})
Ihre Ausführungen über die Ohnmacht früher, Herr Kollege Bahr, hat wohl mein Kollege Jäger trefflich beantwortet.
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier sehr verhalten gesprochen; ich finde, für den zentralen Punkt der deutschen Politik zu verhalten.
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Ich möchte Ihnen noch zweierlei mitgeben. Das eine ist: Sie sind verpflichtet, für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu sorgen. Soll nun wirklich auf Grund der Weisung des Herrn Wehner, unterstützt von Herrn Brandt, der Kultusminister in Nordrhein-Westfalen einen anderen Deutschlandunterricht anordnen als
der in Niedersachsen? Das kann doch nicht sein. Das geht Sie an, Herr Bundeskanzler.
({4})
Herr Kollege Wehner, es ist bekannt genug - jeder, der in Moskau war, weiß das -, daß die drüben in Moskau nicht gern von der deutschen Frage sprechen oder so etwas hören. Wenn man dann nachhakt, kommen sie mit dem Plural: „die deutschen Fragen". Warum übernehmen Sie jetzt den Plural, Herr Kollege Wehner? Warum sagen Sie, die deutsche Frage sei eine „Erfindung"? Sagen Sie das auch den verfolgten Sozialdemokraten drüben? Sagen Sie das den Berlinern? Sagen Sie das den Hinterbliebenen derer, die an der Mauer erschossen worden sind?
({5})
- Das ist der Text, Herr Kollege Wehner.
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Eine „Erfindung" - das sind Ihre Worte! Wenn Sie jetzt schon so poltern, dann bekommen Sie auch noch diesen lästerlichen Umgang mit religiösen Gefühlen von anderen vorgeworfen, indem Sie da ein Wort gebraucht haben, das vielen Millionen deutscher Katholiken sehr, sehr viel bedeutet - und dies in einem lästerlichen Umgang.
({7})
Herr Kollege Wehner, das muß ich Ihnen sagen. Ich erinnere Sie deshalb, weil Sie dies nicht gerne hören, an das Wort, das der neue Papst, um den Sie sich bemühen, am Karfreitag gesagt hat, als er von der Würde des Menschen sprach und die Verfolgung und die Entrechtung als den „zivilen Tod des Menschen" verurteilt hat.
Darüber wird am 17. Mai zu sprechen sein, wenn hoffentlich der schriftliche Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland, wie es Vorschrift ist, vorliegt; in den ersten drei Monaten des Jahres ist er nicht erstattet worden. Dann wollen wir nicht nur eine mündliche Regierungserklärung bekommen. Ich hoffe, Herr Kollege Wehner, da sind wir dann wieder einer Meinung: Daß die Sitten hier nicht liederlich werden.
({8})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 8/2680 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 22. Mai 1975 hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert, in den sogenannten Monopolberufen, d. h. in jenen Berufen, wo die Ausbildung allein in Händen des Staates liegt, während die Absolventen dieser Ausbildung auch in jeden anderen Beruf hineingehen können - denken Sie an Juristen: z. B. Rechtsanwälte usw. -, einen, wie es im Urteil heißt, „gleichwertigen, nicht diskriminierenden Vorbereitungsdienst" anzubieten, der ohne Berufung ins Beamtenverhältnis geleistet werden kann, oder im Rahmen des Beamtenverhältnisses mindestens eine Ausnahmeregelung für diejenigen Bewerber zu schaffen, die die Bedingungen, die an einen Beamten hinsichtlich Verfassungstreue zu stellen sind, nicht erfüllen können oder wollen. Der Bundeskanzler hat in der soeben von ihm zitierten Regierungserklärung vom 17. Dezember 1976 auch ein Gesetz in dieser Richtung angekündigt, und die Parteitage von SPD und FDP haben ähnliches verlangt. Geschehen ist bisher aber nichts.
Sowohl der Respekt vor dem Verfassungsgericht als auch die Lage der Dinge hätten es allerdings verlangt, daß die Regierung nun binnen vier Jahren einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt; denn es ist nicht gut zu ertragen, daß in dieser Angelegenheit weder dem Verfassungsgerichtsgebot gefolgt wird noch die einheitliche Entwicklung der Bundesrepublik gesichert ist. Schließlich haben wir nicht umsonst ein Beamtenrechtsrahmengesetz. Wir haben die Vereinheitlichungsgesetze und können auf keinen Fall dulden, daß die Entwicklung in den Dingen des Vorbereitungsdienstes völlig auseinanderläuft.
({0})
Dies gilt um so mehr, als die Bundesregierung, wie man aus den Gegenäußerungen, die sie angeschlossen hat, wohl erkennen mag, wirklich eine bestimmte Meinung hat und eine sozialversicherungspflichtige Regelung des Vorbereitungsdienstes wünscht, die die Länder allein gar nicht in Angriff nehmen können. Wenn man vergleicht, wie die Bundesregierung hinsichtlich des Mängelberichts zu unserem Schul- und Bildungswesen, wo sie keinerlei Kompetenz hat, sehr eifrig bemüht war, hierzu etwas zu sagen, und wie wenig sie in diesem Bereich tut, wo sie eine Kompetenz hat, muß man sagen, daß es schon ein eigentümliches Verständnis von Politik ist, sich die populären Rosinen einer Politik herauszugreifen und die etwas weniger populären Dinge liegenzulassen.
In dieser etwas peinlichen Lage der Regierung hat sich der nordrhein-westfälische Innenminister Hirsch erbarmt und dem Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt, dessen Vaterschaft er in gewissem Sinne nun beanspruchen kann. Ich bin aber davon überzeugt, daß er das Kind, das der Bundesrat daraus entwickelt hat, nicht mehr wiedererkennt.
Broll
Häufig sind wir mit dem Bundesrat sehr zufrieden, was verständlicherweise an den sehr vernünftigen Mehrheitsverhältnissen dort liegt. Der Bundesrat hat an diesem Gesetzentwurf von Nordrhein-Westfalen eine vernünftige Korrektur vorgenommen. Erstens sind die Lehrer ausgenommen, von denen - das ist höchstrichterlich gesichert -, volle Verfassungstreue gefordert werden kann, unabhängig davon, ob sie im Beamtenverhältnis unterrichten oder nicht.
({1})
Zweistens ist die Möglichkeit für die Länder, eine Regelung des Vorbereitungsdienstes außerhalb des Beamtenverhältnisses zu schaffen, auf die Monopolberufe beschränkt worden. Auch das ist anders als in Ihrem Entwurf, Herr Minister Hirsch. Drittens schlägt der Entwurf - das ist bei Ihnen allerdings genauso gewesen - ein öffentlich-rechtliches Verhältnis vor und nicht, wie das in Bremen schon einmal geplant war, ein privatrechtliches, tarifrechtliches Verhältnis der Ausbildung. Viertens enthält der Entwurf des Bundesrates auch noch die Bestimmung, wie wir sie etwa im schleswig-holsteinischen Gesetz schon haben, daß derjenige, der aktiv gegen unsere freiheitlich-demokratische Ordnung kämpft, nicht den Anspruch hat, überhaupt in den Staatsdienst aufgenommen zu werden, auch nicht außerhalb des Beamtenverhältnisses.
Dieser Gesetzentwurf des Bundesrates kann von unserer Fraktion mitgetragen werden, obwohl ich zugebe, daß auch hier noch die Möglichkeit der Auseinanderentwicklung der Länder gegeben ist, weil die einzelnen Länder, wenn das so beschlossen wird, eben doch ganze Bereiche des Vorbereitungsdienstes so oder so regeln können, und das entspricht durchaus nicht der Klarheit, Einheitlichkeit und Kontinuität, die wir gerade im Beamtenrecht verlangen und im übrigen ja auch bisher schon geschaffen haben.
Meine Damen und Herren, optimal wäre nach unserer Meinung das Antragsmodell, d. h., daß grundsätzlich alle im Beamtenverhältnis ausgebildet werden, dem einzelnen aber auf Antrag, den er nicht zu begründen braucht, die Möglichkeit gegeben werden könnte, außerhalb des Beamtenverhältnisses einen staatlichen Vorbereitungsdienst zu durchlaufen, wie Schleswig-Holstein das in seinem Gesetz bereits geregelt hat. - Soweit zu diesem Gesetzentwurf des Bundesrates.
Nun hat die Bundesregierung diesem Gesetzentwurf eine Gegenäußerung - ich möchte sagen, eine Bemerkung - von ganzen 43 Zeilen angefügt, zu deren Herstellung sie rund drei Monate gebraucht hat. Es ist klar, daß bei diesem Tempo des Überlegens ein ganzer Gesetzentwurf nicht herauskommen konnte.
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Die Bundesregierung hat in dieser Anmerkung ihre grundsätzlichen Vorstellungen dargelegt, und ich denke, daß FDP und SPD etwa auf der Linie der Bundesregierung liegen. Es wundert uns nicht grundsätzlich, daß hier Einmütigkeit besteht. Deswegen will ich auch ein paar prinzipielle Bernerkungen zu dem machen, was die Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf des Bundesrates geäußert hat.
Die Bundesregierung wünscht für alle Auszubildenden in Monopolberufen, also auch für Lehrer, einheitlich ein Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses, und zwar ein sozialversicherungspflichtiges Ausbildungsverhältnis, d. h., die Auszubildenden, besser gesagt, die Absolventen des Vorbereitungsdienstes, sollen in Kranken-, Rentenund Arbeitslosenversicherung versichert sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen diese politische Zielsetzung haben wir erhebliche Bedenken, und wir werden Schritten in diese Richtung auch nicht im Ansatz zustimmen.
Erstens. Wer ganze Bereiche des Vorbereitungsdienstes aus dem Beamtenverhältnis herausnimmt, erniedrigt noch einmal die Schwelle, die immer noch gegen Radikale im öffentlichen Dienst besteht. Ich wundere mich im übrigen darüber, daß ausgerechnet Minister Hirsch in diesem Punkte mitmacht, wo er doch in bezug auf radikale Lehrer deutliche Worte gesagt hat, die wir anerkannt haben. Aber wie ich Nordrhein-Westfalen kenne, wird er schon irgendwo eine Methode finden, um mit Radikalen im öffentlichen Dienst fertig zu werden, und sei es, daß er eine Anregung auf einer Mülltonne findet.
Wir sehen das, was die Regierung hier will, als eine einheitliche Linie, begonnen mit der Berufsverbots-Kampagne über die Beschlüsse der Bundesregierung vom 19. Januar dieses Jahres bis hin zu der neuerdings vom baden-württembergischen SPD-Vorsitzenden Eppler verkündeten Meinung, man müsse das Beamtengesetz ändern und die Forderung der Verfassungstreue überhaupt herausstreichen.
({3})
Ich tue wohl der Regierung nicht unrecht, wenn ich vermute, daß dieses Ziel auch eigentlich das Hauptziel ist, das sie anläßlich der Behandlung dieses Gesetzes durchsetzen will, das Ziel nämlich, bei Gelegenheit der Regelung des Vorbereitungsdienstes den Beschlüssen der Parteitage von SPD und FDP gerecht zu werden.
Zweitens. Wenn man in weiten Bereichen den Beamtenstatus verläßt, legt man die Axt an die Wurzeln unseres Beamtentums. Schon Absolventen des Vorbereitungsdienstes sind in vielfältiger Weise hoheitlich tätig, und hoheitliche Tätigkeiten sind nun einmal, wenigstens grundsätzlich, an den Beamtenstatus geknüpft.
Nun will ich nicht behaupten, daß jeder Beamte in unserem Lande dem Ideal des Beamten entspricht. Entscheidend ist aber, daß es den Beamtenstatus überhaupt gibt, daß man auf das Ideal des Beamten, auf Staatstreue, auf Unparteilichkeit, auf Disziplin, auf das, was man eben das Berufsethos des Beamten nennt, hin erzieht. Wenn man den Beamtenstatus abschafft, ist das ein Signal, und deswegen lehnen wir diesen Vorschlag der Regierung ab.
Broll
Im übrigen sehen wir absolut nicht ein, warum man um weniger Radikaler willen Tausende von Bewerbern um ein Amt im Staate während des Vorbereitungsdienstes aus dem Beamtenverhältnis heraushalten sollte, zumal in diesem Bereich der allergrößte Teil der Absolventen doch wiederum in den Staatsdienst gehen muß. Denken Sie an die Lehrer, die sich später zu über 99 % als Beamte im Staatsdienst befinden werden. Nicht umsonst hat es auch das Verfassungsgericht für durchaus sachgerecht erklärt - in seinem Urteil vom 12. April 1972 -, die Referendarausbildung öffentlich-rechtlich zu regeln und im weiteren Sinne in den Bereich des Beamtenrechts einzuordnen.
Die Bundesregierung sagt, es sei nicht zu ertragen, wenn auch nur die Möglichkeit bestünde, daß jemand, der den Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses absolviere, später einmal diskriminiert werde, weil man seine spezielle Ausbildung als Verfassungsuntreue auslegen könnte. Es ist zwar gut und schön, wenn sich die SPD - zumal seitdem der Kanzler auf Katholikentagen zu reden begehrt - an das Wort der Bibel hält, man müsse dem verlorenen Schaf nachlaufen. Daß man aber, nur weil ein paar Schafe auf falschem Wege laufen, nun die ganze Herde in die Wüste schickt, ist absolut nicht einzusehen.
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Die Bundesregierung möchte ferner, daß die Absolventen des Vorbereitungsdienstes sozialversicherungspflichtig werden. Ich erkenne an, daß im Bereich der Arbeitslosenversicherung irgendeine Regelung nötig ist. Wir sind uns da einig. Ich frage aber, ob diese Regelung wirklich praktisch ist. Ich frage nach den konkreten, praktischen Wirkungen für die Kandidaten und den Staat. Diese Frage zu stellen ist nötig; denn ich weiß nicht, ob alle Mitglieder der SPD auch Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen sind, wo man sich darum bemüht, die konkreten Probleme der Arbeitnehmer wieder kennenzulernen.
Sie treten für die Einbeziehung der Auszubildenden in die Krankenversicherung ein. Bisher waren diese jungen Leute in der Regel privat versichert oder durch ihre Eltern pflichtversichert. Jetzt sollen sie für zwei, zweieinhalb, drei Jahre mit immerhin 6 % ihres Einkommens als Beitrag Mitglieder in einer Pflichtversicherung werden. Für die Kassen sind es außerordentlich günstige Patienten, weil sie in diesem Alter in der Regel gesund sind. Nach zwei, drei Jahren werden sie höchstwahrscheinlich wieder ausscheiden und sich dann, wenn sie in den Beamtendienst gegangen oder meinetwegen auch Rechtsanwälte geworden sind, privat versichern lassen. Dort haben sie entschieden schlechtere Bedingungen, weil ihr Eintrittsalter inzwischen höher ist. Die Absolventen des Vorbereitungsdienstes haben also nichts von dieser Krankenkassenpflicht, sondern sie haben eine in der Kumulation für sie doch immerhin spürbare Verschlechterung ihres Status. Wenn sie aber später freiwillig in der Pflichtversicherung bleiben sollten, müßten sie dort enorm hohe Beiträge bei möglicherweise geringeren Leistungen zahlen, als sie in der Privatversicherung bekämen.
Die Absolventen sollen rentenversichert werden und dafür als Beitrag 9 % ihres Einkommens zahlen. Der allergrößte Teil wird nie eine Chance haben, aus der Rentenversicherung jemals eine Leistung zu bekommen.
Sie sollen sich darüber hinaus gegen Arbeitslosigkeit versichern lassen. Obwohl der größte Teil der Absolventen in den Staatsdienst oder in andere Stellungen geht, sollen alle ihren Beitrag für diese Versicherung aufbringen. In diesem Zusammenhang weise ich gern auf ein Vorhaben hin, das im Augenblick von der Bayerischen Staatsregierung erwogen wird. Der Absolvent des Vorbereitungsdienstes, der nach Abschluß des Assessorexamens keine Arbeitsstelle bekommt, soll ein Jahr lang ein Übergangsgeld beziehen, also genau so lange, wie das Arbeitslosengeld gezahlt würde. Danach werden alle wieder gleich behandelt. Diese Regelung verlangte keinen Beitrag, wäre beamtenrechtlich konform und unbedenklich und für den Staat im übrigen natürlich entschieden billiger.
Sehen wir also einmal von den Kosten, die dem einzelnen entstehen, ab und prüfen wir die Kosten, die dem Staat entstehen. Für den Staat kommt das, was die Regierung will, entschieden teurer. Ich vermute, daß die Sorge des Bundesarbeitsministers, der sich hier durchgesetzt zu haben scheint, um die Renten- und Krankenkassenfinanzierung größer ist als die Sorge der Bundesregierung um den Staatshaushalt und die Haushalte der Länder. Ich sehe nicht ein, daß diese politische Haltung erfolgreich sein soll.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die genannte Versicherung einen großen bürokratischen Aufwand erfordert; denn die Absolventen werden ja nur für wenige Jahre versichert. Aber man ist ja dabei, die Arbeitslosenzahl unter 1 Million zu drükken. Vielleicht will man auf diese Weise ein paar Arbeitsplätze schaffen.
Ich vermute also, daß die Begehrlichkeit des Arbeits- und Sozialministers bei der Regelung Pate gestanden hat, die die Bundesregierung wünscht. Wenn man auch das Wort Dienstrechtsreform nicht mehr gebraucht und die Fahne des vermeintlichen Fortschritts scheinbar eingezogen hat, so ist doch insgesamt festzustellen, daß man weiterhin kräftig dabei ist, den Angriff gegen das Beamtentum zu reiten. Aus diesem Grunde lehnt meine Partei die Ziele der Bundesregierung ab. Dabei sind wir sicher, wenn die Auszubildenden in den Monopolberufen, die besonders belastet sind, eines Tages mit den anderen verglichen werden, die im Beamtenverhältnis ausgebildet werden, daß dann gesagt wird, diese Privilegierten müßten endlich auch in die teureren Pflichtversicherungen einbezogen werden. Dann ist das Beamtensystem im gesamten Vorbereitungsdienst beseitigt.
Wir lehnen diese Vorstellung also ab. Ich habe Ihnen die beste Lösung skizziert. Ich habe Ihnen die Lösung des Bundesrats als für uns akzeptabel dargestellt, und ich habe Ihnen gesagt, daß wir weBroll
gen der Schwelle, die wir gegen Radikale im öffentlichen Dienst behalten wollen, wegen der Bewährtheit des Beamtensystems und wegen der Kosten für den einzelnen und für den Staat den Vorschlägen der Bundesregierung auf keinen Fall folgen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist seit 1966 mit in der Regierung; wir führen diese Regierung seit 1969. Alle Untersuchungen, die wir von Dritten anstellen lassen, alle Bekundungen der Gewerkschaften und des Beamtenbundes stellen fest, daß die Beamten am wirtschaftlichen Aufschwung dieses Landes teilgenommen haben und teilnehmen. Was soll die ständige Wiederholung, als sei die SPD-Fraktion so eine Art Konstruktion von Beamtenkillern? Die laufen heute und auch in Zukunft, wie sich das gehört, genauso sauber und gesund durch unser Land wie jeder Arbeitnehmer und Angestellte. Das sind Popanze, die bei jeder Gelegenheit hier wieder aufgebaut werden. Glauben Sir mir: Die finden auch keine Zuhörer mehr draußen im Lande, denn Sie reden an der Wirklichkeit vorbei.
Wir haben in drei großen Debatten hier im Hause nicht ohne engagierte Leidenschaft, wie ich sagen möchte, diesen Bereich der Behandlung der Bewerber für den öffentlichen Dienst diskutiert. Wir sind nicht auf einen Nenner gekommen. So ist es auch nicht verwunderlich, daß dieser Gesetzentwurf, der in diesem Bereich angesiedelt ist, uns in den Ausschußberatungen noch einige Schwierigkeiten bereiten wird, selbst wenn wir bereit sind, aufeinander zuzugehen.
Die Koalition hat ihre Grundposition festgelegt. Sie heißt: mehr Vertrauen gegenüber den Bewerbern. Wir haben die Regelanfrage abgeschafft. Sie halten das für gefährlich. Wir haben gesagt: Es gibt kein Röntgen der Gesinnung mehr; mögliche Vorbehalte sind nur zu messen an konkretem Verhalten der Bewerber. Davon gehen wir nicht mehr herunter, auch nicht über den Weg eines Teilgesetzes in diesem Bereich des Gesamtkonzepts. Uns erscheint es angemessener, den Menschen in diesem Lande - und dazu gehören auch Bewerber des öffentlichen Dienstes - von Staats wegen unter Belassung ihrer Würde zu begegnen. Wir sehen das auch als ein Stück - um auf Ihr neues Thema in den Wahlkämpfen zu kommen - Reform in Richtung bürgernahe, menschliche Verwaltung an.
Ich darf mich im Gegensatz zu den Kollegen der Opposition mit Ihrem Generalsekretär, Herrn Dr. Geißler, verbünden, der in einer Wahlkampfanzeige der Deutschen Zeitung, die morgen erscheint, unter anderem folgenden Satz prägt: „Bei uns muß es heißen: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Der Staat darf den Bürger nicht ständig als potentiellen Betrüger behandeln." Ich kann nur sagen: Folgen Sie Ihrem Generalsekretär, und wir finden uns auch im Innenausschuß.
Wir haben ernste Bedenken, einem Gesetzentwurf zuzustimmen, der die Ausbildung in Monopolberufen zwei- oder gar mehrgleisig in den Ländern ermöglicht. Die Bedenken fußen im wesentlichen auf drei Gesichtspunkten.
Die in meinem bisherigen Leben erworbene Erfahrung sagt mir: Wenn wir die normale Bewerberausbildung weiterhin im Beamtenbereich tätigen und die „unnormale" mit einem Satz von vielleicht 3 °/o bis 4 °/o außerhalb des Beamtenbereiches, dann setzt eine ungleiche Behandlung ein. Die außerhalb des Beamtenbereichs Ausgebildeten erhalten bereits da den Stempel der Unzuverlässigkeit. Und dort, wo Sie die Ungleichheit einführen, haben Sie die Chancengleichheit auch sehr schnell gefährdet und damit wesentliche Rechtsgüter in diesem Staate gewollt oder ungewollt in Frage gestellt.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es jemandem Freude bereitet, zur Rechtszersplitterung in diesem Lande beizutragen.
Noch eines zu Ihnen, Herr Broll. Sie kennen - wie ich - die Untersuchung des Innenministeriums, in der aufgezeigt wird, daß Anfang der 70er Jahre noch zwei Drittel aller Hochschulabsolventen - und um diesen Bereich handelt es sich - einen Beruf im öffentlichen Dienst aufnahmen. Mitte der 70er Jahre, so heißt es in diesem Bericht, also etwa im Jahre 1975, waren es noch 50 °/o. Die Prognose dieses noch nicht sehr alten, uns übersandten Berichtes sagt, daß es 1980 nur noch 32 °/o und 1985 nur noch 15 °/o sein werden. Wir leiten daraus ab, daß wir den in den öffentlichen Dienst Eintretenden - sechs von sieben gehen dann wieder hinaus in die Wirtschaft - von Beginn ihrer Tätigkeit an alle Sparten der Sozialversicherung begleitend mitgeben müssen. Das heißt im Fachdeutsch: eine Ausbildung im Rahmen einer versicherungspflichtigen, vertraglichen Tätigkeit, sprich: außerhalb des Beamtenstatus - zum Wohle dieser Menschen! Zumindest sollte man dieses Argument, das Sie vorhin von vornherein verwerfen, im Ausschuß noch einmal gemeinsam sehr gründlich überdenken.
Ich darf zusammenfassen und stelle fest: Wir haben erstens ernste Bedenken gegen diese Zweigleisigkeit in Berufen mit dieser Monopolausbildung, weil ungleiche Behandlung ungleiche Chancen hervorruft. Damit könnte sich der Staat selbst auf den Weg begeben, wichtige Rechtsgüter zu verletzen. Wir sehen zweitens die soziale Absicherung dieser Leute auf Grund der sich verändernden Berufsfelder, die sie erwarten, für äußerst wünschenswert, ja für notwendig an. Drittens hat es uns viel Mühe und Zeit in diesem Parlament gekostet, in vielen Jahren endlich die Berufe draußen in der freien Wirtschaft mit einheitlichen, gesetzlich vorgeschriebenen Berufsbildern zu belegen, von Bayern bis nach Schleswig-Holstein. Sollen wir nun im staatlichen Bereich, gesetzlich begründet, die Zersplitterung eines Teils der Berufe förmlich einführen? Für Liebhaber des feinen Humors möchte ich sagen: das alles unter der Überschrift „einheitliches Dienstrecht". Irgendwo beginnen da die Abgeordneten sich wie die Katze zu benehmen, die sich in ihren hinten befindlichen Körperteil beißt. Ich den11830
ke, wir haben über dieses Problem noch gründlich nachzudenken.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! ,Meine Damen und Herren! Die Materie, mit der wir uns heute beschäftigen, ist für uns alle nicht neu. Seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 zur Frage der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ist der Gesetzgeber aufgerufen - daran gibt es keinen Zweifel -, die rechtliche Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes bei Monopolausbildungsverhältnissen neu zu überdenken und gesetzlich zu regeln. Herr Kollege Broll, neu sind aber nicht die Gründe, aus denen es weder 1975 bei unseren Versuchen noch später zu einer gesetzlichen Regelung kommen konnte. Darüber brauchen wir wohl nicht zu streiten. Wir haben uns darüber mehrfach unterhalten: bei der Aussprache über die Regierungserklärung, bei den zahlreichen Debatten über Fragen der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst und zuletzt bei den ausführlichen Diskussionen über die Antworten der Bundesregierung auf die entsprechenden Großen Anfragen zur Gewährleistung der Verfassungstreue vor einigen Wochen.
Ich möchte nicht so sehr in die Vergangenheit gehen und nicht mehr im einzelnen darstellen, aus welchen Gründen der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP in der vergangenen Legislaturperiode letztlich nicht verabschiedet werden konnte. Ausschlaggebend war doch zum einen - dieses eine will ich nennen -, daß über die Anforderungen, die an die Verfassungstreue des Bewerbers zu stellen sind, mit den Ländern keine Einigung zu erzielen war.
Sie sagen heute, wir wollten mit einer Umspulung auf ein Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses die Schwelle für Leute, die in den öffentlichen Dienst kommen, niedriger setzen. Bitte, das ist doch genau der Ausgangspunkt, den Karlsruhe damals hatte! Karlsruhe hat damals gesagt: Solange sie Beamte sind - wenn auch Beamte auf Widerruf -, müssen an sie die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an andere Beamte. Damit wir das bei bestimmten Berufen nicht zu tun brauchen, schlagen wir vor, die Möglichkeit eines Ausbildungsverhältnisses außerhalb des Beamtenverhältnisses zu schaffen. Man kann das eingleisig oder zweigleisig machen; darüber streiten wir uns. Man kann aber nicht sagen, das sei eine Sache, die dazu dienen solle, die Schwelle generell niedriger zu setzen. Ausgangspunkt in Karlsruhe war doch dieser Gedanke, aber mit einer ganz anderen Zweckbestimmung.
Aber lassen Sie mich zum Gesetzentwurf des Bundesrates zurückkommen. Ich möchte nur wenige Sätze aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zitieren und dabei sagen, worauf es uns ankommt, wenn wir uns für die Zukunft - da schließe ich mich voll dem an, was Kollege Liedtke gesagt
hat - für eine Eingleisigkeit aussprechen. Karlsruhe sagt:
Dem Staat steht es frei, einen Vorbereitungsdienst, dessen erfolgreiche Absolvierung Voraussetzung sowohl für den Staatsdienst im Beamtenverhältnis als auch für einen freien Beruf ist, allgemein so zu organisieren, daß er in einem zivilrechtlichen Anstellungsverhältnis oder in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Verhältnis außenhalb des Beamtenverhältnisses abzuleisten ist.
Es führt weiter aus: Für diejenigen, für die ein Beruf außerhalb des Staatsdienstes in Betracht komme, müsse ein gleichwertiger und - jetzt kommt es -„nicht diskriminierender Vorbereitungsdienst" angeboten werden, der ohne Berufung in das Beamtenverhältnis abgeleistet werden könne, oder es müsse innerhalb der beamtenrechtlichen Regelung eine Ausnahmeregelung geschaffen werden, die es gestatte, den Vorbereitungsdienst auf Wunsch außerhalb eines Beamtenverhältnisses abzuleisten. - So weit die einschlägigen Sätze des Bundesverfassungsgerichts. Ich möchte dabei die Betonung auf den Satzteil legen, der von einem diskriminierungsfreien Vorbereitungsdienst spricht.
Gerade unter diesem Gesichtspunkt der Diskriminierung hat meine Fraktion erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Gesetzentwurf des Bundesrates. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich deshalb stets gegen eine gespaltene Ausbildung ausgesprochen, in der diejenigen, die den nichtbeamteten Vorbereitungsdienst wählen, sich ständig dem Verdacht ausgesetzt sehen, daß sie das nur getan hätten, weil es ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt an der aktiven Gewähr der Verfassungstreue gemangelt hätte - was gar nicht der Fall zu sein braucht; es können ganz andere Gründe gewesen sein.
Diese Auffassung ist auch bei den Beratungen des Bundesrates am 21. Dezember 1978, und zwar vom Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, wenn ich recht gelesen habe, klar zum Ausdruck gebracht worden. Sie entspricht im übrigen natürlich auch der Auffassung der Bundesregierung, die in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zum Ausdruck kommt. Wir müssen doch klar sehen, daß eine Diskriminierung im späteren Berufsleben jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, wenn es den Ländern überlassen bleibt, eine zweigleisige Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes einzuführen.
Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß nur eine einheitliche Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes dieser Diskriminerung vorbeugt und so dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird. Im übrigen, Herr Kollege Broll, geht doch die Entwicklung auch aus ganz anderen Gründen, ob wir wollen oder nicht, in diese Richtung. Denken Sie allein an die Modelle zur einstufigen Juristenausbildung, die schon praktiziert werden. Dann muß man diese Frage aus ganz anderen Gründen ohnehin neu stellen. Wenn man aber die einstufige, eingleisige Schiene außerhalb des Beamtenverhältnisses vorschlägt, dann verstehe ich nicht,
daß Sie dann - wie Sie es so schön formulieren; Herr Kollege Berger tut es auch sehr gern - immer schon die Axt gehoben sehen, die an die Wurzeln des Berufsbeamtentums gelegt werden soll.
Eine zweite entscheidende Schwachstelle des Bundesratsentwurfs ist die völlige Herausnahme des Vorbereitungsdienstes für das Lehramt aus der beabsichtigten gesetzlichen Regelung. Der Gesetzentwurf läuft nach meiner Auffassung ins Leere, wenn wir diese große Gruppe der Leute, die nicht alle in den Staatsdienst gehen, hier von vornherein ausnehmen. Diese Herausnahme des Lehrerbereichs geht auf einen Antrag des Landes Baden-Württemberg zurück. Die Begründung, die hierzu gegeben wird, ist keineswegs überzeugend. Schon. bei den Beratungen im Bundesrat ist darauf hingewiesen worden, es sei schwer verständlich, daß ein Lehrer während der Ausbildung Beamter sein müsse, wenn er möglicherweise nach der Ausbildung seinen Beruf gegebenenfalls an der gleichen Schule ausüben könne, ohne Beamter zu sein. Da stimmt doch etwas nicht.
Die dritte Schwachstelle, die ich erblicke, ist die Frage der sozialen Absicherung. Leistet jemand seinen Vorbereitungsdienst in der bisherigen Form, also als Beamter auf Widerruf, ist er sowohl von der gesetzlichen Krankenversicherung als auch von der Rentenversicherung befreit. Diese Befreiung fällt naturgemäß fort, wenn der Betroffene den Vorbereitungsdienst in einem nichtbeamteten Ausbildungsverhältnis durchläuft. Er wäre dann versicherungspflichtig, allerdings auch mit der Folge, daß er nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes Arbeitslosenunterstützung erhält, wenn er nicht sogleich in ein Beamtenverhältnis übernommen wird. Eine derart unterschiedliche soziale Absicherung, die bei der heutigen Arbeitsmarktsituation gerade auch im Bereich der Lehrer von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung ist, ist sicherlich unerwünscht. Deswegen plädiert die FDP-Fraktion in jedem Fall für eine Gleichbehandlung. Diese Gleichbehandlung kann entweder darin bestehen, daß alle in die Versicherungspflicht einbezogen werden, oder darin, daß man sie generell von der Versicherungspflicht befreit. Der Gesetzentwurf des Bundesrates spricht sich für die zweite Alternative aus. Meine Fraktion vertritt dagegen in Übereinstimmung mit der Bundesregierung die Auffassung, daß für alle Auszubildenden in sogenannten Monopolausbildungen einheitlich ein sozialversicherungspflichtiges Rechtsverhältnis besonderer Art und auf Zeit geschaffen wird.
Ich möchte abschließend folgendes feststellen: Wir begrüßen den Gesetzentwurf des Bundesrates insofern - ich sage das, Herr Kollege Broll -, als er nun wirklich den Versuch unternimmt - aber noch nicht den richtigen, wie ich meine -, den Beschluß. des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Neugestaltung des Vorbereitungsdienstes zu verwirklichen. Über die rechtliche Ausgestaltung im einzelnen und über die soziale Absicherung - all das, was ich eben vorgetragen habe - werden wir uns in den Auschußberatungen eingehend zu unterhalten haben. Vielleicht besteht die Möglichkeit, daß wir in der einen oder anderen Frage doch zueinander kommen.
Ich möchte für meine Fraktion erklären, daß wir der Überweisung des Gesetzentwurfs an den Innenausschuß zustimmen.
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Das Wort hat der Herr Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.
Minister Dr. Hirsch ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Broll hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Initiative zu diesem mit, ich sage mal, gedämpftem Beifall versehenen Gesetzentwurf vom Land Nordrhein-Westfalen stammt. Allerdings ist der Entwurf im Bundesrat in einer Weise verstümmelt worden, daß ich ernsthafte Zweifel an der Vaterschaft anmelden und sie jedenfalls für mich nicht mehr in Anspruch nehmen möchte.
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- Das ist das Problem, Herr Professor Schäfer, daß man nach der Zeugung nie weiß, wie ein Kind sich entwickelt.
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Gerade die Veränderungen, die im Plenum des Bundesrates erfolgt sind, veranlassen mich zu einigen Bemerkungen, nicht zu hehren Grundsatzausführungen; sondern ich möchte die Sorgen aus der kleinen alltäglichen Praxis einer Landesregierung darstellen.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seinem Beschluß vom Mai 1975 aufgegeben, einen diskriminierungsfreien Vorbereitungsdienst einzuführen. Ursprünglich hat man gesagt, der § 14 des Beamtenrechtsrahmengesetzes erzwinge eine beamtenrechtliche Ausbildung. Diese Position wird inzwischen von keinem mehr vertreten. Auch die Bundesregierung sagt, die Länder seien frei, in ihrem Bereich einen nichtbeamteten, aber öffentlich-rechtlichen Vorbereitungsdienst einzuführen.
Das einzige Land, das davon Gebrauch gemacht hat, ist das Land Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein hat einen gespaltenen Vorbereitungsdienst eingeführt. Das führt zu ungewöhnlich kuriosen Ergebnissen, solange die versicherungsrechtliche Frage nicht geklärt ist, weil in demselben Berufszweig am Ende des Vorbereitungsdienstes, wenn der Praktikant oder bisherige Widerrufsbeamte nicht übernommen wird, völlig differierende versicherungsrechtliche Folgen eintreten. Das kann man also nicht wollen.
Wir sind der Meinung, daß der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts aus dem bekannten Beschluß, der - das wird man sagen dürfen - nicht in allen Punkten durch außerordentliche Klarheit glänzt, nur
Minister Dr. Hirsch ({3})
dann richtig verwirklicht wird, wenn man zu einem einheitlichen nichtbeamteten, aber öffentlich-rechtlichen Vorbereitungsdienst kommt. Man kann das tun. Wir wollen das für die Lehramtsbewerber tun. Es ist - das hat Herr Wendig soeben gesagt - nicht einzusehen, warum es nicht möglich sein soll, den Vorbereitungsdienst als Angestellter oder Praktikant an der Schule abzuleisten, an der man dann als angestellter Lehrer tätig sein kann.
Noch etwas. Hier werden entgegen Ihren Befürchtungen überhaupt keine Schleusen aufgemacht. Denn in keinem einzigen Bundesland wird die Frage der aktiven Verfassungstreue bei der Einstellung eines Lehramtsbewerbers geprüft. Diese Frage tritt überhaupt erst auf, wenn der Lehramtsbewerber am Ende seiner Ausbildung in das Beamtenverhältnis übernommen werden soll. Ob die Ausbildung eines Lehramtsbewerbers als Praktikant oder im Beamtenverhältnis stattfindet, hat für die von Ihnen gestellte Frage also überhaupt keine Bedeutung.
Nun geht die Bundesregierung laut ihrer Stellungnahme einen Schritt weiter. Sie will den einheitlichen Vorbereitungsdienst bei allen Ländern erreichen. Dazu müßte sie in der Tat das Beamtenrechtsrahmengesetz ändern. Sie sagt in ihrer Stellungnahme, ein solches Gesetz bedürfe nicht der Zustimmung des Bundesrates. Wenn die Bundesregierung dieser Auffassung ist, verstehe ich nicht, warum sie nicht einen solchen Gesetzentwurf einbringt. Wir würden einem solchen Gesetzentwurf über einen einheitlichen nichtbeamteten Vorbereitungsdienst natürlich zustimmen, weil wir dasselbe für das Land Nordrhein-Westfalen wollen.
Der zweite Punkt ist die Versicherungspflicht. Als Praktikanten, die also nicht Widerrufsbeamte sind, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, sind die im Vorbereitungsdienst Befindlichen in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig und beitragspflichtig. Sie haben, wenn sie nicht übernommen werden, einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Der Widerrufsbeamte, der nicht übernommen wird, hat diesen Anspruch nicht.
Nun gibt es bei den Ländern im Vorbereitungsdienst auch außerhalb der Monopolausbildungen Widerrufsbeamte. Denken Sie z. B. an die Baureferendare oder an die Referendare mit wirtschaftsoder sozialwissenschaftlicher Vorbildung oder an die Anwärter des gehobenen Dienstes. Sie alle sind Widerrufsbeamte und bleiben es. Wenn wir im Bereich der Ausbildungsmonopole die Versicherungspflicht haben wollen, kommen wir zu einer Ungleichbehandlung dieser verschiedenen Beamtengruppen. Aus diesem Grund haben wir in dem Gesetzentwurf gesagt: Wir wollen für alle Gruppen die Versicherungspflicht nicht; der versicherungsrechtliche Status soll von der Frage „Widerrufsbeamter oder nicht?" unberührt bleiben.
Die Bundesregierung ist anderer Meinung. Man kann ihre Meinung vertreten. Nur möchten wir für unsere Gesetzgebung Klarheit, wie der versicherungsrechtliche Status geregelt wird, und wir wollen erreichen, daß er geregelt wird, damit wir unseren Vorbereitungsdienst auf einer klaren Grundlage organisieren können, ohne zu den kuriosen Ergebnissen zu kommen, die bei der gespaltenen Versicherungslösung des Landes Schleswig-Holstein eintreten würden.
Lassen Sie mich also zusammenfassend sagen: Ich bin der Meinung, daß der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts sachgerecht nur in einem einheitlichen nicht beamteten Vorbereitungsdienst erfüllt werden kann und erfüllt werden sollte. Wir erwarten allerdings vom Bund, daß er uns dafür klare versicherungsrechtliche Grundlagen schafft.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesdesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hält es in Übereinstimmung mit allen, die sich bisher an dieser Debatte beteiligt haben, für wichtig, daß wir in den sogenannten Monopolausbildungsverhältnissen zu einer Regelung kommen. Aber da hört die Einigkeit auch auf.
Nach Auffassung der Bundesregierung sollte es eine Regelung sein, die in allen Bundesländern ein sozialversicherungspflichtiges öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses vorschreibt. Insofern befinden wir uns in Übereinstimmung mit den Fraktionen der SPD und der FDP im Deutschen Bundestag.
Wir lehnen das Antragsmodell ab, Herr Kollege Broll, weil wir glauben, daß es einen diskriminierenden Charakter für denjenigen hat, der auf seinen Antrag hin nicht im Beamtenverhältnis ausgebildet wird. Denn Sie wissen so gut wie wir, daß derjenige, der den Antrag stellt, dies nicht unbedingt freiwillig tun muß. Das kann freiwillig geschehen, aber es muß nicht so sein. Es kann Menschen geben, die diesen Antrag stellen müssen, wenn sie den Vorbereitungsdienst überhaupt ableisten wollen. Das sind diejenigen, die wegen Zweifeln hinsichtlich ihrer Verfassungstreue die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für eine Einstellung in den öffentlichen Dienst nicht erfüllen. Wir wollen nicht, daß jemand, der sich als junger Mensch für den Vorbereitungsdienst im öffentlichen Dienst beworben hat, aber wegen seiner damaligen politischen Vorstellungen vielleicht nicht Beamter werden konnte, dies in Form von Zeugnissen und ähnlichem sein Leben lang mit sich herumschleppt und jeder spätere Arbeitgeber darauf gestoßen wird, zu fragen: Was war denn damals, warum sieht dieses Zeugnis nicht so aus wie in der Mehrzahl der Fälle?
({0})
Ich will das einmal so ausführlich und vielleicht auch etwas praktischer sagen, weil sonst zu Recht, aber immer nur so global von diskriminierendem
Parl. Staatssekretär von Schoeler
Charakter gesprochen wird. Dieser liegt eben darin, daß das jemandem sein Leben lang anhängen kann - völlig überflüssigerweise, weil es eine befriedigende Lösungsmöglichkeit gäbe. Deshalb, wie gesagt, treten wir für ein einheitliches Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses ein.
Die CDU/CSU-regierten Bundesländer haben die Verwirklichung einer solchen Regelung bisher immer abgelehnt und lehnen sie weiterhin ab, wie man an dem sehen kann, was aus dem „Kind" von Herrn Hirsch geworden ist. Die Verstümmelungsprozesse gehen ja genau auf diese Dikussionslage zurück.
Die Bundesländer können diese Frage schon jetzt für ihren Bereich regeln. Der Bund selbst hat keine Monopolausbildungsverhältnisse. Die Bundesländer können diese Frage nach Auffassung der Bundesregierung nicht nur im Statusbereich in befriedigender Weise regeln, sondern auch im sozialversicherungsrechtlichen Bereich.
Die bundeseinheitliche Regelung wäre für uns wichtig. Wir sind aber nicht bereit, die Bundeseinheitlichkeit um den Preis einer diskriminierenden Regelung zu erreichen. Deshalb gehen wir in die Beratungen hinein mit dem Ziel, ein einheitliches öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses mit unmittelbarer Wirkung für die Länder festzuschreiben und die Sozialversicherungspflicht - da sind wir in voller Übereinstimmung, Herr Hirsch - in befriedigender Weise zu regeln, wobei auch die Bundesregierung der Meinung ist, daß man es sich nicht so leicht machen kann, die Frage der Lehramtsanwärter einfach draußen vorzulassen. Hier kann ich dem zustimmen, was Herr Hirsch gesagt hat.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 8/2680 an den Innenausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
-Drucksachen 8/2682, 8/2757 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einige wenige Bernerkungen zur Frage der Wahlkreiseinteilung machen. Hier sieht der Gesetzentwurf, wie Sie wissen, die Regelung der Verteilung unter den Ländern und der Verteilung innerhalb der Länder vor. Die Regelungen sind aus verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gründen notwendig.
Wahlkreiseinteilungsfragen sind keine Fragen, die man im Streit zwischen Fraktionen und Parteien entscheiden sollte.
({1})
Objektivität und Parteineutralität sind ein ganz wichtiges Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Regelung, zu der wir kommen wollen.
Die Bundesregierung hat deshalb auf Ersuchen des Innenausschusses den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien Gelegenheit gegeben, sich auf Landesebene im Rahmen der am 19. Oktober 1978 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Grundsätze auf eine Wahlkreiseinteilung zu verständigen. Soweit eine entsprechende Einigung erzielt worden ist, hat sich die Bundesregierung die einvernehmlich zustande gekommenen Vorschläge zu eigen gemacht. Dies war für die Länder Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und größtenteils auch für Baden-Württemberg der Fall.
({2})
- Mittlerweise für ganz Baden-Württemberg. Ich höre es soeben von Ihnen, Herr Kollege Schäfer.
Für die Wahlkreiseinteilung in den übrigen Ländern, also in Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, wo ein Konsens unter den Landesparteien nicht erreicht werden konnte - nach meinem Informationsstand gilt das auch noch für die restlichen drei baden-württembergischen Wahlkreise im Raum Freiburg ({3})
- nein, nein, Herr Schäfer, wenn Sie den Satz zu Ende anhören, werden Sie erkennen, daß er stimmt -, haben wir in unseren Gesetzentwurf noch Vorschläge des Statistischen Bundesamtes eingearbeitet. Diese Vorschläge bewegen sich im Rahmen der Beschlüsse, die wir im Innenausschuß am 19. Oktober 1978 gefaßt haben, so daß es insoweit - was bei vielen Betroffenen Zustimmung, bei einigen aber auch Mißfallen hervorgerufen hat - zwangsläufig in einem größeren Umfang zu Status-quo-Lösungen gekommen ist.
Es entspricht parlamentarischer Praxis, daß neue Vorschläge derjenigen Länder, in denen keine Einigung oder keine vollständige Einigung zwischen den Parteien erzielt worden ist, noch bis zur abschließenden Beratung des Gesetzentwurfes im Deutschen Bundestag eingebracht werden dürfen.
Auf diese Offenheit der Regierungsvorlage bis zum gesetzestechnisch letzten Zeitpunkt möchte ich ausdrücklich hinweisen, gleichzeitig aber auch betonen, daß möglichst am Grundsatz einvernehmlicher Regelungen festgehalten werden sollte. Darauf hin11874
Parl. Staatssekretär von Schoeler
zuweisen war mir an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt der gesetzgeberischen Beratungen wichtig, verbunden mit dem Appell an die Beteiligten, einvernehmlich eine diesen Grundsätzen Rechnung tragende Lösung der Probleme zu finden.
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Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für einen überzeugten Anhänger eines für die parlamentarische Regierungsform unseres Staates weitaus besseren Mehrheitswahlrechts ist es nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, bei dieser ersten Lesung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes auf Ausführungen grundsätzlicher Art zu unserem Wahlsystem 30 Jahre nach der ersten Bundestagswahl zu verzichten. Wenn ich es dennoch tue, geschieht es, weil ich mich mit dem Blick auf die Tageszeit und auf die Situation jetzt in diesem Hause kurzfassen will. Nach meiner Meinung reicht weder die uns zur Beratung dieses Gesetzentwurfs zur Verfügung stehende Zeit aus noch sind vor allem die Chancen zu einer wirklichen Wahlrechtsreform in diesem Bundestag gegeben.
({0})
Das Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen müßte es sein, nicht nur bei der Wahlkreiseinteilung, sondern bei dem Wahlgesetz insgesamt zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
Dennoch glaube ich fest daran, daß die vielen Probleme, die heute in den Parteien und in der Öffentlichkeit diskutiert werden, die Fragen über die Festigkeit unserer Demokratie, ihre Fähigkeit zur Erneuerung, zur Beteiligung der Bürger an der Willensbildung und zur Bejahung unserer Staatsform in entscheidender Weise mit dem Wahlrecht zu tun haben. Wir können und dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, daß viele Bürger - vor allen Dingen junge Bürger - unseres Landes unseren Parteien mit schwindendem Vertrauen gegenüberstehen, weil viele die inneren Gesetzmäßigkeiten der Willens- und Mehrheitsbildung nicht verstehen. Ja, ich bin davon überzeugt, daß sich hier in gefährlicher Weise zeigt, daß jene Art von Doppelstrategie oder Arbeitsteilung, wie wir sie gerade in diesen Tagen vor einer mit Spannung erwarteten Wahl wieder erleben, die Bürger in hohem Maße verunsichert, sie in Resignation oder in die Arme von Gruppierungen treibt, deren Teilerfolge die Stabilität unseres Staates immer weiter aushöhlen. Ich freue mich, daß vor wenigen Tagen eine Meinungsumfrage ergeben hat, daß trotz dieser bedenklichen Entwicklungen mehr Bundesbürger als je zuvor unsere Verfassung, unser Grundgesetz bejahen, ohne freilich alle Artikel im einzelnen - das ist auch sicher nicht notwendig - zu kennen.
Der vorliegende Gesetzentwurf dient in erster Linie der notwendig gewordenen Aktualisierung der Wahlkreiseinteilung zum 9. Deutschen Bundestag. Die jetzige Wahlkreiseinteilung entspricht nicht mehr den Bevölkerungszahlen der Bundesländer untereinander und in zahlreichen Fällen, wie die Wahlkreiskommission entsprechend § 3 des Bundeswahlgesetzes festgestellt hat, nicht mehr den Anforderungen, die an ein ausgewogenes Zahlenverhältnis der einzelnen Wahlkreise untereinander zu stellen sind. Außerdem erfordert die vielerorts - lassen Sie mich das aus leidgeprüfter eigener Erfahrung einfügen - oftmals auch über das zumutbare, vernünftige, vom Bürger akzeptierte Maß hinausgehende kommunale Gebietsreform, ebenfalls Konsequenzen für die Neueinteilung zu ziehen, die Grenzen der Gemeinden und auch der Kreise, wo immer dies nur eben möglich ist, zu berücksichtigen, weil es eben richtig und vernünftig ist, jetzt eine auch auf längere Sicht tragbare Lösung zu finden.
Es kann nicht übersehen werden, daß der vorliegende Gesetzentwurf in zahlreichen Fällen diesen Anforderungen nur unzulänglich entspricht, und das gilt insbesondere für mein Heimatland Nordrhein-Westfalen. Bei den Bemerkungen, die Sie, Herr Staatssekretär, dazu gemacht haben, und da Herr Hirsch nicht mehr da ist, kann ich nur vermuten, daß die Bundesregierung nach dem Motto gehandelt hat: Warum denn Streit vermeiden?, nachdem Sie in diesem Bundesland vernünftige Vorschläge aus dem Hause dieses Ministers, nämlich des Landeswahlleiters, noch nicht mit dem ungeteilten Beifall der SPD haben versehen lassen. Jetzt liest man landauf, landab von Protesten der SPD-Basis, die allemal vermieden worden wären, hätte man sich, wie ursprünglich erkennbar, an die Vorlage des Landeswahlleiters gehalten und danach orientiert.
Wir werden uns bei der weiteren Beratung des Gesetzes von folgenden Grundsätzen leiten lassen:
Erstens. Das Wahlgesetz ist für die Bürger da und nicht für die Parteistrategen. Der Wähler aber will möglichst überschaubare Wahlkreise, nachdem die Gebietsreform so viele Schwierigkeiten bereitet hat. Trotz auch bei ihr bestehender Bedenken wegen der einen oder anderen Lösung ist die CDU der Meinung, daß auch für Nordrhein-Westfalen der Vorschlag des Landeswahlleiters, wie er im Bericht der Bundeswahlkreiskommission enthalten ist, immer noch die beste Grundlage aus der Sicht des Wählers bei den obwaltenden Bedingungen darstellt. Wir sind offen für eine gemeinsame Lösung der Parteien auch in diesem Bundesland, wie sie, soweit ich unterrichtet bin, in dieser Stunde in allen übrigen Bundesländern zustande gekommen ist, erklären allerdings, daß wir auf Grund der Verschiebungen im Bundesgebiet nun gezwungen sind, eine Lösung zu finden. Wenn es in Nordrhein-Westfalen zu einer Einigung, die wir selbstverständlich akzeptieren würden, nicht kommt, dann müßten wir hier gemeinsam handeln.
Zweitens. Die CDU/CSU ist der Meinung, daß das aktive Wahlrecht auch den deutschen Staatsbürgern zur Verfügung stehen soll, die ihren Wohnsitz in den europäischen Gebieten eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft haben.
4 Auch diesen deutschen Staatsbürgern muß nach unserer Auffassung die Teilnahme an den Wahlen zum Deutschen Bundestag ermöglicht werden. Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments laus der Bundesrepublik Deutschland ist diesen Personen die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament ermöglicht worden. Wir wissen aus zahlreichen Reaktionen, wie aufmerksam gerade diese Staatsbürger, die zum großen Teil aus beruflichen Gründen im Ausland leben, die Politik in der Bundesrepublik verfolgen. Diese Betroffenen haben kein Verständnis dafür, daß sie im Verhältnis zu ihren Kollegen anderer Nationalität, die mit Ihnen zum großen Teil in denselben Betrieben und Behörden gemeinsam arbeiten und die selbstverständlich in ihren Heimatländern wählen können, über ein wesentliches Staatsbürgerrecht nicht verfügen. Sie fühlen sich diskrimiert.
({1})
Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf unseren Gesetzentwurf in Drucksache 8/1716, der bereits in erster Lesung hier behandelt worden ist. Es kann doch bei den Betroffenen nur auf Unverständnis stoßen, wenn sie zwar am 10. Juni bei der Europawahl die deutschen Abgeordneten wählen können, bei den Bundestagswahlen aber weiterhin ausgeschlossen bleiben.
Drittens. Wir möchten das Gesetz dahin gehend ergänzen, daß eine mögliche, denkbare Wahlbeeinflussung durch Veröffentlichung sogenannter Wählernachfragen vor Schließung der Wahllokale ausgeschlossen wird. Wenn auch erfreulicherweise anzuerkennen ist, daß sich insbesondere die Rundfunk- und Fernsehanstalten - jetzt auch wieder vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein - verpflichtet haben, auf die Veröffentlichung von Wählernachfrageergebnissen zu verzichten, so sollten dennoch denkbare Gefahren auch für die Zukunft ausgeschlossen werden. Aus diesem Grunde ist es notwendig, das vorliegende Gesetz in diesem Sinne zu ergänzen. Damit würde auch erneut ein Beitrag dazu geleistet, daß die Wähler und Wählerinnen den Wahltag als ihren Tag empfinden, an dem sie frei und unbeeinflußt von ihrem Recht zur Entscheidung Gebrauch machen können.
Schließlich würden wir es begrüßen, wenn die Fristenregelung für die Kandidatenaufstellung gemeinsam so gestaltet werden könnte, daß die erheblichen Belastungen, die alle Parteien durch die Vielzahl sich in rascher Folge wiederholender Prozeduren zur Nominierung von Wahlmännern, zur Wahl von Wahlmännern haben, die dann ihrerseits erst wieder die Wahlmänner zur Aufstellung der Kandidaten selbst zu küren haben, abgebaut bzw. erleichtert werden könnten.
Die CDU wird sich auch an der Verwirklichung der übrigen Ziele des Gesetzentwurfs, auf die ich jetzt nicht mehr eingehen kann, vorurteilsfrei und aufgeschlossen beteiligen und ihrerseits alles in ihren Kräften Stehende tun, damit es zu einer rechtzeitigen Verabschiedung des Gesetzes kommt, da ja in wenigen Monaten die Vorbereitungen für die
Aufstellung der Kandidaten zur nächsten Bundestagswahl in den Parteien beginnt.
Ich wäre froh und dankbar - wir sollten es gemeinsam sein -, wenn es uns gelänge, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, die aber ausschließlich vor der Frage Bestand haben muß: ist diese Lösung für die Wähler plausibel? Ich halte es nicht für gut und möchte das hier nicht unerwähnt lassen, wenn bestimmte, von bestimmten Parteien favorisierte Lösungen unter dem Gesichtspunkt propagiert werden, welchen Nutzen sie für eine bestimmte Partei haben könnten, wie es bei dem Briefwechsel zwischen dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau und seinem Innenminister Hirsch in geradezu peinlicher Weise der Fall gewesen ist.
({2})
Ich hoffe, daß dies nur eine Episode war, denn letztlich dient das jetzt zu beratende und zu beschließende Gesetz dem Wähler und der Möglichkeit, eine aus seiner Sicht richtige und wirksame politische Entscheidung über den künftigen Weg unserer Bundesrepublik Deutschland zu treffen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Vor drei Stunden hatte ich das Glück, einmal vor einem vollen Hause zu sprechen. Nur, da verstand mich niemand wegen der Unruhe im Plenum
({0})
Jetzt habe ich zwar die erforderliche Aufmerksamkeit; doch nun hört mir fast niemand mehr zu.
({1})
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einmal einen Augenblick unterbrechen. Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, daß Ihre Ausführungen in aller Ruhe und mit aller Gewissenhaftigkeit nachgelesen werden.
({0})
Herr Präsident, ich hoffe, daß wir in das zur Beratung anstehende Lärmschutzgesetz nicht einen Paragraphen über die Ruhe oder die Unruhe im Deutschen Bundestag aufnehmen müssen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die
Wittmann ({1})
rechtzeitige Vorlage des Gesetzentwurfs zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Eine Änderung des Gesetzes mußte schon deshalb vorgenommen werden, weil auf Grund der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Bundesländern eine Umverteilung von Wahlkreisen zwischen den Ländern aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten schien. Schon für die Wahl zum 8. Deutschen Bundestag stand die Neuverteilung zur Diskussion. Wir nahmen aber davon Abstand, weil wir die Gebiets- und Verwaltungsreform in allen Ländern abwarten wollten, um dann eine Wahlkreisneueinteilung vorzunehmen, die wieder für mehrere Wahlperioden Bestand haben soll.
Entsprechend der Empfehlung der Wahlkreiskommission hat der Deutsche Bundestag am 19. Oktober 1978 beschlossen, bei der Verteilung der Wahlkreise auf die Länder den Ländern BadenWürttemberg, Bayern und Niedersachsen je einen zusätzlichen Wahlkreis zuzuteilen, dem Land Nordrhein-Westfalen zwei Wahlkreise und der Freien und Hansestadt Hamburg einen Wahlkreis infolge Rückgangs der Bevölkerung wegzunehmen. Diese Wegnahme der Wahlkreise löst nun die Probleme aus, vor denen wir stehen.
({2})
Ich hoffe nur, daß es uns gelingen wird, eine Wahlkreisneueinteilung vorzunehmen, die die durch die Gebietsreform bedingten Änderungen berücksichtigt und - im Interesse der Beziehungen zwischen den Bürgern und den Abgeordneten - von längerem Bestand sein wird; darauf lege ich großen Wert. Ebenso hoffe ich, daß die Wahlkreisneueinteilung zwischen den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien einvernehmlich vorgenommen werden kann. Hier macht mir insbesondere das Land Nordrhein-Westfalen - mein Kollege Krey hat das ja sehr deutlich gemacht - Kopfzerbrechen. Aber ich hoffe, daß man sich auch im Lande Nordrhein-Westfalen noch verständigen wird. Ich habe diesbezüglich das Protokoll einer Landtagssitzung nachgelesen, in der der Herr Ministerpräsident gesagt hat, er werde sich bemühen, eine Übereinkunft herbeizuführen.
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- Wir werden da schon noch mit Druck nachhelfen.
Bei den weiteren von der Bundesregierung vorgeschlagenen Gesetzesänderungen geht es insbesondere darum, das Wahlrecht für geistig Gebrechliche auszuweiten. Vom aktiven Wahlrecht sollen künftig nur solche geistig Gebrechlichen ausgeschlossen werden, die ohne ihre Einwilligung unter Pflegschaft stehen. Wir werden diese Bestimmungen noch einmal sehr genau überprüfen müssen. Der Vorschlag, der jetzt vom Bundesrat in dieser Frage gemacht worden ist, gefällt mir sehr gut. Ich glaube, wir werden hier eine einvernehmliche Lösung finden. Problematisch in diesem Zusammenhang ist der Fall - und dieses Problem müssen wir in den Griff bekommen -, wenn sich jemand
vor einigen Jahren freiwillig unter Pflegschaft gestellt hat, zwischenzeitlich aber in einem körperlichen und geistigen Zustand ist, der normalerweise die gesetzliche Pflegschaft erforderlich macht.
Weiter ist vorgesehen, daß Briefwahlvorstände auf Kreis- und Gemeindebene eingesetzt werden können, um auch auf diesen Ebenen das Briefwahlergebnis feststellen zu können. Diese Regelung wird von uns absolut begrüßt.
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Der Gesetzentwurf sieht auch eine Neufassung der Fristenregelung für die Kandidatenaufstellung vor. Mit der Aufstellung darf nicht früher als 32 Monate nach Beginn der laufenden Wahlperiode begonnen werden. Das heißt konkret: Da der 8. Deutsche Bundestag erstmals am 14. Dezember 1976 zusammengetreten ist, kann demnach am 14. August 1979 mit der Aufstellung der Kandidaten begonnen werden. Diese Frist reicht auf jeden Fall aus.
Herr Krey, Sie haben angeregt, die Wahlen der Delegierten für die Vertreterversammlung zu einem früheren Zeitpunkt vorzunehmen. Hier hat der Bundesrat auf das Parteiengesetz verwiesen. Das würde bedeuten, daß die Delegierten für die Vertreterversammlung zwei Jahre vorher zu wählen sind. Ich glaube, wir werden in den Ausschußberatungen zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen können. Ich halte eine solche Regelung auch für gut.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der Frage des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag von nicht im Bundesgebiet wohnenden Deutschen machen. Dieses Problem beschäftigt uns schon seit Jahren. Es ist ein sehr schwieriges Problem.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt, daß die Bundesregierung keine Ausdehnung über das Bundeswahlgebiet hinaus vorgeschlagen hat und es bei der bisherigen Regelung beläßt. Meine Damen und Herren, genauso wie wir beim Europawahlgesetz das Wahlrecht der Deutschen auf das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft beschränkt haben, soll auch das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag auf das Wahlgebiet beschränkt bleiben.
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Eine Ausdehnung des Wahlrechts würde von dem Grundsatz, daß ein Repräsentationsorgan nur von der in seinem Geltungsbereich lebenden Bevölkerung gewählt werden soll, abweichen. Auch bliebe der verfassungspolitische Grundsatz unbeachtet, daß die Teilnahme an Wahlen grundsätzlich die Teilnahme am Meinungsbildungs- und Willensbildungsprozeß voraussetzt. Das wäre für nicht in der Bundesrepublik lebende Deutsche fast nicht möglich.
Ich halte deshalb die im Bundeswahlgesetz geforderte Seßhaftigkeit im Bundesgebiet für erforderlich und darf daran erinnern, daß diese VorWittmann ({6})
schrift auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt worden ist.
Ich darf auch noch an eine Anzahl von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlprüfungsbeschwerden von im Ausland lebenden Deutschen erinnern. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in allen Fällen die Zulässigkeit der Abgrenzung auf den Wirkungsbereich des Bundestages.
Meine Damen und Herren, würden wir nur eine Ausweitung entsprechend dem CDU/CSU-Gesetzentwurf in Drucksache 8/1716 vornehmen, blieben folgende Gruppen von Deutschen im Ausland unberücksichtigt: deutsche Bedienstete bei über- und zwischenstaatlichen Organisationen, z. B. bei den Vereinten Nationen, deutsche Lehrer an Goethe-Instituten, die in Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft arbeiten, deutsche Entwicklungshelfer, deutsche Staatsangehörige, die sich z. B. im Auftrag einer Firma für längere Zeit im Ausland aufhalten, deutsche Staatsangehörige, die in der Schweiz, in Osterreich, Schweden, Norwegen, Spanien usw. ihren Aufenthalt haben.
Andererseits würden wir durch Ihren Gesetzentwurf auch solchen Deutschen im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft das Wahlrecht einräumen, die seit langem außerhalb des Bundesgebiets leben und auch nicht beabsichtigen, eines Tages zurückzukehren - z. B. Auswanderer -, die sich aber noch im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit befinden.
Meines Erachtens wäre es schwer verständlich, wenn Deutsche in Italien oder Irland das Wahlrecht erhielten, während Deutsche beispielsweise in meiner näheren Heimat, d. h. in Osterreich, nicht wahlberechtigt wären, obwohl sie infolge ihres Wohnsitzes in einem deutschen Sprach- und Kulturgebiet der Bundesrepublik geistig und räumlich vielfach näherstehen und enger verbunden sind. Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Bei einer begrenzten Ausweitung des Wahlgebietes müßten wir auf jeden Fall mit Wahlprüfungsbeschwerden rechnen. Ich bin mir nicht sicher, wie dann die Urteile ausfallen würden. Hinzu kämen die besonderen Probleme der Wahlausübung.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird den vorliegenden Entwurf bei den Beratungen in den Ausschüssen sehr sorgfältig prüfen und hofft, daß zwischen den Parteien ein Einvernehmen erzielt werden kann.
({7})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich stehe durchaus in der Versuchung, mich der Klage des Kollegen Wittmann anzuschließen, der von der Fülle und dem Lärm vorhin und der Leere und der Stille jetzt sprach. Aber bezüglich des Schreckens von vorhin -- mit so etwas muß man ja immer rechnen - nützt mir das auch nichts mehr. Deswegen lasse ich es.
Namens der Fraktion der FDP begrüße ich es, daß es dem Bundesinnenminister gelungen ist, die erwartete Vorlage so rechtzeitig zu erstellen, daß sie noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann. Das ist ja notwendig. Der Deutsche Bundestag hat bereits am 19. Oktober 1978 auf der Grundlage einer Empfehlung des Innenausschusses die Grundsätze für eine neue Wahlkreiseinteilung beschlossen. Der Innenausschuß selbst hat sich in seinen Sitzungen insbesondere mehrmals mit der Strategie des weiteren Gesetzgebungsverfahrens eingehend beschäftigt. Schließlich war den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien auf Landesebene Gelegenheit gegeben, sich über die vorgeschlagene Wahlkreiseinteilung zu verständigen.
Auch wenn in einigen Fällen eine solche Einigung nicht erzielt werden konnte, haben die genannten Gremien die Materie so weit vorbereitet, daß die Beratung im Parlament, wie ich meine, zügig vonstatten gehen kann. Auch ich will mich deswegen heute kurz fassen.
Der Entwurf behandelt zwei verschiedene Komplexe: die Aktualisierung der Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Deutschen Bundestag und die Änderung einiger materiell-rechtlicher Vorschriften des Bundeswahlgesetzes, die sich in der Praxis der zurückliegenden Zeit als verbesserungsbedürftig erwiesen haben. In Verbindung mit diesen Komplexen haben Sie, Herr Krey, einige allgemeine und grundsätzliche Bemerkungen zum Wahlrecht, aber auch zum Verhältnis des Bürgers zu unserer Demokratie gemacht. Sicher müssen sich alle Parteien Gedanken darüber machen, ob ihr Kontakt zu den Bürgern des Landes dicht genug ist und wie er erforderlichenfalls dichter werden kann. Nur gehört das, was Sie mit schwindendem Vertrauen des Bürgers bezeichnet haben - worüber zu diskutieren wäre -, wie ich meine, nicht zu dem Komplex einer Einteilung der Wahlkreise bzw. der anderen Fragen, die wir hier regeln.
({0})
- Ich glaube, dieser Gesetzentwurf ist durchaus zu verstehen.
Die Leitlinien für eine neue Wahlkreiseinteilung, denen der Bundestag, wie ich schon sagte, am 19. Oktober 1978 bereits zugestimmt hat, bestehen im einzelnen in folgendem - ich will sie noch einmal kurz nennen -: Erstens. Neuverteilung der Wahlkreise zwischen den einzelnen Ländern auf Grund der Bevölkerungsanteile nach dem Stand vom 1. April 1978. Das bedeutet die Abgabe eines Wahlkreises durch Hamburg und die Abgabe zweier Wahlkreise durch Nordrhein-Westfalen zugunsten der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen.
Zweitens. Eine Neuordnung derjenigen Wahlkreise, in denen eine Bevölkerungsabweichung von plus/ minus 29 °/o vom Bundesdurchschnitt besteht. Nach einer Entscheidung aus Karlsruhe wäre eine Änderung verfassungsrechtlich allerdings erst bei einer Abweichung von plus/minus 33 1/3 °/o geboten gewesen. Der Inenausschuß und mit ihm schon der Bundestag in seiner Entschließung vom 19. Oktober
1978 haben den Eckwert jedoch auf 29 °/o festgelegt, weil nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamts die von dieser Änderung betroffenen Wahlkreise eine stetig steigende bzw. fallende Tendenz in der Bevölkerungsentwicklung aufzeigen und bald den Wert von 331/3 °/o - nach oben oder nach unten - erreichen könnten. Es sollte aber - und das ist ein Hauptanliegen dieses Gesetzes - dem Gesetzgeber dringend daran gelegen sein, eine Wahlkreiseinteilung vorzusehen, die für mehr als eine Legislaturperiode Bestand hat. Der Eckwert von 29 °/o trägt, wie wir meinen, diesem Bedürfnis Rechnung.
Drittens soll und muß eine Wahlkreiseinteilung gefunden werden, die auf jeden Fall die Grenzen von Gemeinden und gemeindlichen Gebietskörperschaften, nach Möglichkeit auch der Kreise, berücksichtigt. Nachdem die Gebietsreform in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik mehr oder weniger zum Abschluß gekommen ist, ist auch unter diesem Aspekt eine Entscheidung über die Abgrenzung der künftigen Wahlkreise für einen längeren Zeitraum notwendig und möglich.
Inzwischen haben die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien - davon war schon die Rede - sich auf Landesebene bis auf die Länder Bremen, Baden-Württemberg - dort soll die Einigung erfolgt sein; das war mir auch neu -, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg über die Neugliederungsvorschläge geeinigt.
In den Ländern, in denen ein Konsens der Parteien bisher noch nicht erreicht werden konnte, hat die Bundesregierung dieser Vorlage eigene Vorschläge beigefügt. Wenn wir hier Zahlen des Statistischen Bundesamts mit zugrunde gelegt haben, dann sind es solche, Herr Kollege Krey, denen Sie im Innenausschuß selbst mit zugestimmt haben.
({1})
Ich will heute in der ersten Lesung auf die Probleme, die in den fünf genannten Ländern bestehen, nicht näher eingehen, zumal ich hoffe, daß bis zur Beratung im Innenausschuß doch noch in dem einen oder anderen Fall eine Einigung der Landesparteien zustande kommt. Im Fall Baden-Württemberg hat der Bundesrat für den Wahlkreis 185 inzwischen eine andere Wahlkreiseinteilung vorgeschlagen. Sofern darüber eine Einigung der drei Parteien herbeigeführt werden könnte, wie es zu sein scheint, wäre dieser Problemkreis schon gelöst.
Über eines, meine Damen und Herren, müssen wir uns allerdings im Gegensatz zu früheren Neueinteilungen der Wahlkreise im klaren sein - darüber waren wir uns auch im Innenausschuß im klaren -: Ein Konsensprinzip in dem Sinne, daß beim Nichtzustandekommen einer Einigung unter den Landesparteien es bei der alten Regelung verbleibt, ist jetzt nicht mehr realisierbar. Die verschiedenen Voraussetzungen, unter denen eine Neuordnung erfolgen muß, greifen räumlich so sehr ineinander, daß die Aufgabe, die dem Gesetzgeber gestellt ist, nicht gelöst werden kann, bliebe es bei der Nichteinigung der Parteien an der einen oder anderen Stelle beim alten.
Dies bedeutet aber - auch das muß man schon heute wissen -, das letztlich, kommt eine Einigung der Landesparteien nicht zustande, das Parlament in der dritten Lesung nicht nur formell, sondern auch materiell die Wahlkreiseinteilung beschließen muß.
Die anderen Änderungsvorschläge sollen das Bundestagswahlrecht an inzwischen gewonnene Erkenntnisse anpassen. Ich will nur drei Punkte aufführen, die zum Teil auch schon von meinen Kollegen genannt wurden. Die steigende Zahl der Briefwähler kann zu dem Ergebnis führen, daß, wie es bisher der Fall war, ein Briefwahlvorsteher und ein Briefwahlvorstand im Wahlkreis nicht mehr ausreichen. Es sollte daher die Möglichkeit geschaffen werden, Briefwahlvorstände, wenn notwendig, auch auf Kreis- und Ortsebene zuzulassen.
Zweitens. Ein sehr schwieriges Problem ist die Behandlung psychisch Kranker. Schon in den Vorberatungen des Innenausschusses waren wir der Ansicht, daß auch unter Rücksichtnahme auf den hohen verfassungsrechtlichen Rang des Wahlrechts ein Abbau der Diskriminierung psychisch Kranker in einem zumutbaren Rahmen möglich sein muß. Ich habe gleichwohl Verständnis für die Auffassung der Bundesregierung, daß in diesem Bereich bei einer generellen Neuregelung des Entmündigungs- und Pflegschaftsrechts eine umfassende Regelung im Bereich des Wahlrechts noch nicht vorgenommen werden kann.
Allerdings sind wir der Meinung, daß schon für die Bundestagswahl 1980 dieser Komplex nicht völlig ausgeklammert werden darf.
Ich halte deswegen die in der Vorlage enthaltene Teillösung für gut und auch die Lösung des Bundesrats für diskutabel, die im Prinzip vom Wahlrecht nur noch denjenigen ausschließen will, der ohne seine Einwilligung unter Pflegschaft gestellt worden ist. In einem solchen Fall, in dem der unter Pflegschaft Gestellte die richterliche Entscheidung freiwillig mitträgt, scheint uns die Annahme gerechtfertigt, daß der Betroffene trotz seines Gebrechens in Teilgebieten in der Lage ist, aus eigener Verantwortung zu handeln und zu entscheiden.
Eine weitere notwendige Änderung des Bundeswahlrechts ergibt sich daraus, daß durch die Änderung des Art. 39 Abs. 1 des Grundgesetzes der Zeitpunkt für die Neuwahl des Deutschen Bundestages auf frühestens 45 und spätestens 47 Monate nach Beginn der Wahlperiode festgelegt worden ist. Als Folge hiervon muß in § 21 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes auch der Zeitpunkt für den frühesten Termin für den Beginn der parteiinternen Wahlbewerberaufstellung der Neuregelung angepaßt werden.
Nach § 21 Abs. 3 der Regierungsvorlage können die Parteiinternen Wahlen frühestens 32 Monate nach Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages durchgeführt werden. Bei der Beratung des Entwurfs im Innenausschuß sollten wir allerdings auch überlegen, ob mit Rücksicht auf das Parteiengesetz und gewisse praktische Schwierigkeiten insbesondere in größeren Parteiverbänden - nicht
darüber hinaus eine Zweijahresfrist für die Vertreterversammlungen der einzelnen Parteien vorgesehen werden sollte.
({2})
Wir werden gerade diesen Punkt noch besonders zu erörtern haben.
Auf die übrigen notwendigen Änderungen will ich nicht näher eingehen. Sie betreffen insgesamt Regelungen, die sich aus Zweifelsfragen bei der rechtlichen Auslegung des geltenden Bundeswahlrechts ergeben haben. Ich will auch nicht zu den beiden Gesetzesvorlagen sprechen, die die CDU/ CSU eingebracht hat, nämlich einmal zum Wahlrecht der Deutschen in Europa - um das einmal so zu bezeichnen - und zum anderen zur Wählernachfrage vor Wahllokalen. Hier hat schon eine erste Lesung stattgefunden. Wir werden diese beiden Entwürfe in die Beratungen des Innenausschusses mit einbeziehen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluß. Wir Freien Demokraten hoffen, daß mit der Vorlage, die im Detail noch im Innenausschuß beraten wird, eine Regelung gefunden ist, die den aufgekommenen Bedürfnissen besser Rechnung trägt und die, was die Wahlkreiseinteilung angeht, für einen längeren Zeitraum Geltung beanspruchen kann.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 8/2682 zusammen mit der Drucksache 8/2757 federführend an den Innenausschuß und mitberatend an den Rechtsausschuß sowie gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vor. - Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 10 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Althammer, Dr. Bötsch, Dr. Klein ({0}), Dr. Miltner, Dr. Möller, Dr. Riedl ({1}), Spranger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verhinderung des Mißbrauchs von Abhörgeräten und des abgehörten Wortes
- Drucksache 8/2396 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({2})
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verhinderung des Mißbrauchs von Abhörsendeanlagen
- Drucksache 8/2545 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({3})
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Rechtsausschuß
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist der Fall. Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fachleute schätzen, daß in der Bundesrepublik. Deutschland mindestens 20 000 Abhörgeräte von Privatpersonen ohne Erlaubnis zum Abhören verwendet werden.
Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger mittels dieser sogenannten „Minispione" erfolgen nicht nur aus persönlichen Gründen - etwa zur Beschaffung von Belastungsmaterial in privaten Auseinandersetzungen -; auch die Ausspähung der Konkurrenz im Wirtschaftsleben spielt eine große Rolle.
Die Entwicklung dieser Abhörgeräte hat in den letzten Jahren wesentliche technische Verbesserungen erfahren. In vielen Fachzeitschriften werden Abhörgeräte jedem Interessierten angeboten. Ein Berechtigungsnachweis für den Einsatz der Geräte wird beim Kauf nicht gefordert.
Es hat sich gezeigt, daß der in § 201 StGB normierte Straftatbestand der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes zum Schutz der Bürger gegen unerlaubtes Abhören nicht ausreicht.
Aus diesem Grunde brachten die Fraktionen der CDU/CSU und SPD gemeinsam bereits im Jahre 1967 einen entsprechenden Gesetzentwurf ein.
Dieser Entwurf wurde nicht verabschiedet, weil gegen das darin enthaltene Herstellungsverbot in den Ausschußberatungen unüberwindbare Bedenken aufgetreten waren.
Im September 1974 hatte die Ständige Konferenz der Landesinnenminister den Bundesinnenminister gebeten, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Besitz von Abhörgeräten verbietet und unter Strafe stellt.
In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom 22. Juli 1975 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, daß ein Gesetz zur Verhinderung des Mißbrauchs von Abhörgeräten erarbeitet werde. Die Bundesregierung hat aber bis heute dem Parlament keinen Gesetzentwurf vorgelegt.
Dagegen hat der Bundesrat auf Initiative des Freistaates Bayern am 7. Februar 1979 dem Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Die Vorlage steht heute ebenfalls zur ersten Lesung an. Dieser Entwurf will den Erwerb und den Besitz einer sogenannten Abhörsendeanlage von der Betriebslizenz nach dein Fernmeldeanlagengesetz abhängig machen. Es ist deshalb auch nur eine Änderung des Fernmeldeanlagengesetzes vom 17. März 1977 vorgesehen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat sich veranlaßt gesehen, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, weil sie die Beschränkung auf Sendeanlagen nach dem Fernmeldeanlagengesetz für nicht ausreichend hält. Neben den als Sendeanlagen betriebenen Abhörgeräten gibt es auch eine ganze Reihe anderer, nicht auf der Funktechnik basiereñder Anlagen, die den gleichen Zweck erfüllen können.
Dazu gehören Kleinsttonband- und Kassettengeräte mit großer Aufnahme- und Speicherleistung, ebenso Mikrophonverstärkeranlagen, Wandstethoskope und schließlich auch Laserstrahlgeräte. Diese Apparate würden bei einem Verbot allein der Sendeanlagen eine große Bedeutung für das Abhören gewinnen. Das Gesetz soll für einen längeren Zeitraum gelten und deshalb auch alle möglichen Neuentwicklungen einschließen.
Weil der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU in § 1 Abs. 2 eine umfassende Definition aller Abhörgeräte enthält, war es geboten, dem Bundeswirtschaftsminister eine Verordnungsermächtigung zu erteilen, die alle offensichtlich nicht zum Abhören bestimmten Geräte von dem Verbot ausnimmt. Dadurch soll auch für den an solchen Geräten interessierten Bürger Rechtsklarheit geschaffen werden.
Vom Erwerbs- und Besitzverbot ausgenommen sind staatliche Dienststellen, die zum Einsatz von Abhörgeräten berechtigt sind. Allerdings wird vom Parlament die Frage zu erörtern sein, ob die staat- lichen Dienste, für welche diese Ausnahme gilt, eine rechtsstaatlich ausreichende Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Rechte der Bürger haben. Dieser Komplex wird zur Zeit noch vom 1. Untersuchungsausschuß des 8. Deutschen Bundestages behandelt. Es steht zu erwarten, daß sich der Ausschuß in seinem Abschlußbericht zu dieser Frage äußern wird. Das Parlament hätte Anlaß, sich anschließend mit diesem Problemkreis zu befassen.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU hat aus dem Ergebnis der Beratung über den Entwurf von 1967 Folgerungen gezogen. Die Herstellung derartiger technischer Geräte soll nicht unter Verbot oder Lizenzzwang gestellt werden. Da ein berechtigtes Interesse der Industrie an den vielfach verwendbaren Einzelteilen besteht, würden Abgrenzungsprobleme die technologische Entwicklung auf diesem Gebiet zu sehr behindern.
Wer jedoch ohne Befugnis ein Abhörgerät in Besitz hat, dem muß nach Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht mehr nachgewiesen werden, daß er das Gerät auch tatsächlich zur Aufnahme des nicht öffentlich gesprochenen Wortes verwendet hat; schon der Besitz des Gerätes ist strafbar. Dadurch wird der Schutz der Privatsphäre gegen unerlaubtes Abhören ganz wesentlich erweitert.
Wer Abhörgeräte erwerbsmäßig herstellt, vertreibt, instandsetzt, befördert oder lagert, ist von dem Verbot ausgeschlossen. Er muß aber für sichere Lagerung sorgen, über den Verbleib der Geräte Aufzeichnungen machen und den Behörden Auskunft erteilen. Damit ist eine Kontrolle sichergestellt, ohne daß der bürokratische Aufwand einer Einzellizenzierung jedes Gerätes notwendig ist. Außerdem ist der sogenannte Bausatz dem kompletten Abhörgerät gleichgestellt, damit eine Umgehung des Verbotes durch Bastler verhindert wird. Schließlich ist auch die Werbung für Abhörgeräte stark eingeschränkt.
§ 201 StGB bestraft die unerlaubte Aufnahme des nicht öffentlich gesprochenen Wortes durch einen Tonträger mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
Für den unerlaubten Besitz eines Abhörgerätes ist deshalb eine geringere Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorgesehen. Unerlaubte Werbung, mangelnde Verwahrung, Aufzeichnungen und Auskünfte werden als Ordnungswidrigkeiten geahndet.
In Art. 2 enthält der Gesetzentwurf der CDU/CSU ähnlich wie der Gesetzentwurf des Bundesrates eine Ergänzung des § 201 StGB. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Stellungnahme zum Bundesratsentwurf die Meinung, daß eine Erweiterung des § 201 StGB nicht notwendig sei. Aber bereits im Strafgesetzbuchentwurf von 1962 war eine Strafe für die unbefugte Veröffentlichung eines abgehör. ten oder heimlich auf Tonträger aufgenommenen Wortes vorgesehen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilt die Meinung des Bundesrates, daß eine schriftliche Fixierung und Weitergabe des unbefugt aufgenommenen vertraulichen Wortes ebenso strafbar sein muß wie die akustische Verwendung. Die Erfahrung hat inzwischen gezeigt, daß unsere Bürger nicht davor sicher sind, daß vertrauliche Äußerungen, die abgehört worden sind, an Presseorgane weitergegeben und veröffentlicht werden, obwohl die Verantwortlichen wissen, daß es sich um abgehörte vertrauliche Äußerungen handelt. Der Hinweis der Bundesregierung, daß in diesem Fall möglicherweise ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch besteht, reicht für den Schutz der Bürger nicht aus.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU ergänzt den Bundesratsentwurf auch in diesem Punkt, weil er die gleiche Strafandrohung für den Fall des Gebrauches und der Veröffentlichung vorsieht, wenn ein abgehörtes Wort nicht auf Tonträger aufgenommen, sondern auf andere Weise fixiert, z. B. mitgeschrieben wird.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich veranlaßt gesehen, zum Schutz der Privatsphäre des Bürgers tätig zu werden, weil die Bundesregierung trotz` wiederholter Zusagen seit dem Jahre 1974 nichts getan hat. Statt dessen stellen wir fest, daß der Bundesinnenminister keine Gelegenheit aus-läßt, die Sicherheitsorgane unseres Staates selbst in ihrer Arbeit zu verunsichern. Er tut nichts, um die Dienste der Bundesrepublik Deutschland in ihrer schwierigen, aber für den Bestand unserer freiheitlichen Demokratie wichtigen Arbeit zu unterstützen. Bundesinnenminister Baum trägt die Verantwortung dafür, daß durch die Veröffentlichung von Gutachten die Belange der inneren Sicherheit auf das schwerste geschädigt werden. Es wäre seine Pflicht, die schwierige und wichtige Arbeit der Verfassungsschutz- und Sicherheitsorgane zu unterstützen und dort, wo er Mängel und Lücken sieht, sofort die notwendigen Maßnahmen einzuleiten.
({0})
Ein unbefangener Beobachter muß aber den Eindruck gewinnen, daß in einer Art „konzertierter Aktion" der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner die äußere Sicherheit und der FDP-Innenminister Baum die innere Sicherheit unseres Landes demontieren.
({1})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dagegen dokumentiert auch mit dieser Gesetzesvorlage wieder, daß sie sich um den Schutz der Bürger in unserem demokratischen Rechtsstaat kümmert. Wir wissen, daß es sich um eine sehr schwierige Rechtsmaterie handelt. Das kann für uns aber kein Grund zur Resignation sein. Wir erwarten, daß die Vertreter der Bundesregierung bei den Beratungen der beiden Vorlagen in den Ausschüssen des Bundestages zu der Lösung der Probleme ihren Beitrag leisten werden. Die CDU/CSU wird genauso, wie sie für den Schutz der Staatsbürger vor unbefugtem Eindringen anderer in seine Privatsphäre eintritt, auch die äußersten Anstrengungen unternehmen, damit die Sicherheitsorgane unseres demokratischen Rechtsstaates ihren verfassungsmäßigen Auftrag ausführen und die innere Sicherheit unseres Volkes gewährleisten können.
({2})
Vizepäsident Stücklen: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Angriffe auf den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion werden zurückgewiesen. Sie sind ebenso infam wie töricht.
({0})
Wie kaum ein zweiter hat sich Herbert Wehner bewegend und wirkend um die Geschicke des deutschen Volkes, um Deutschland gekümmert. Es ist aber nichts Neues, daß Patrioten in Deutschland mit der Suada jauchiger Verdächtigungen übergossen werden und erst dann, wenn sie es nicht mehr zur Kenntnis nehmen können, eine gerechte Würdigung erfahren. Wir Sozialdemokraten stehen zu Herbert Wehner. Wir danken ihm für sein Wirken.
({1})
Die Angriffe, Herr Kollege Dr. Althammer, auf den Bundesinnenminister gehen fehl. Sie sind fixiert auf ein Bild des Bundesinnenministers, das ausschließlich dem des Polizeiministers entspricht. Herr Baum sieht das offenbar anders. Er ist bemüht, dem Bild des Bundesinnenministers auch den Akzent des Verfassungsministers anzufügen.
({2})
Das ehrt ihn. Die Sozialdemokraten haben andererseits keinen Zweifel daran, daß der Bundesinnenminister weiß, wie sensibel der Bereich der inneren Sicherheit ist und daß dieser Bereich der aufmerksamen politischen Begleitung bedarf.
Herr Kollege Althammer, die Angriffe auf die Bundesregierung, soweit es diesen Gesetzentwurf angeht, sind unberechtigt. Es ist richtig, daß im Jahre 1974 die Innenministerkonferenz die Bundesregierung gebeten hat, entsprechende gesetzliche Vorarbeiten zu leisten. Es ist aber ebenso richtig, daß die Bundesregierung das getan hat. Es sind unendliche, konvolutähnliche Produkte geschaffen worden. Nur hat sich dann herausgestellt, daß sie
aus der Sicht der Fachministerien nicht praktikabel waren. Dieses Ergebnis ist auch der Innenministerkonferenz unterbreitet worden. Sie hat dieses Ergebnis widerspruchslos zur Kenntnis genommen.
Und nun noch etwas Persönliches zu Ihnen, Herr Althammer. Das wollte ich Ihnen eigentlich immer mal sagen. Wer sich im Deutschen Bundestag so wertend äußert, sollte zunächst einmal an die Qualität seiner Verhandlungsführung im 1. Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode denken.
({3})
Zur Sache. Mehr als ein Jahrzehnt dauert bisher das Bemühen, den mißbräuchlichen Umgang mit Abhörgeräten zu unterbinden. Viel Fleiß ist darauf verwendet worden, um die zahlreichen Schwierigkeiten zu überwinden, die der Lösung des Problems entgegenstehen. Eine gemeinsame Gesetzesinitiative von SPD und CDU/CSU aus dem Jahr 1967 hat sie nicht bewältigen können.
Die rasante Entwicklung der Elektronik seit dieser Zeit hat die Probleme eher noch vervielfacht und verschärft, andererseits das Lösungsbedürfnis verstärkt. Die totale Beobachtung und Durchleuchtung des Menschen, für Orwell düstere Vision, wäre technisch heute wahrscheinlich durchaus lösbar. Damit wachsen natürlich Neigung und Bedürfnis, diesen Auswüchsen einer technischen Entwicklung mit generellen Verboten zu begegnen, mit Herstellungs- oder/und Verwertungsverboten. Aber dies ist nur die eine Seite.
Wer wollte bezweifeln, daß gerade die Elektronik und speziell die Sendeanlagen nicht auch und hauptsächlich eine andere eine nützliche Seite haben: für die Medizine genauso wie für die Wirtschaft und Industrie für Straßen- und Luftverkehrebenso wie für polizeiliche Zwecke
Also ist ein generelles Herstellungsverbot nicht ratsam; dies auch deshalb nicht, weil alle einzuziehenden Gerätearten zwar nicht durchweg fürs Abhören bestimmt sind, aber sich alle dafür - freilich nicht nur dafür - eignen. Der „Piepser" in den Krankenhäusern beispielsweise kann so und so verwendet werden; ganz zu schweigen von der immer leichter werdenden Möglichkeit mit im freien Handel erhältlichen Einzelteilen solche Geräte selber zusammenzusetzen. Das ist eine Variante, die ein Herstellungsverbot praktisch ins Leere laufen ließe und konsequenterweise zu der absurden Forderung nach einem Verbot der Herstellung von Einzelteilen führen müßte
Die Schwierigkeiten gehen daher notwendigerweise auch aus den vorliegenden Entwürfen und auch aus der nützlichen Stellungnahme der Bundesregierung hervor, die das rechtspolitische Ziel hervorhebt, zum wirksamen Schutz der Intim- und Geheimsphäre beizutragen. Es sind Probleme, die ersichtlich die Entwicklung der aus Bayern kommenden Initiative begleitet haben. Diese brauchte, Herr Kollege Dr. Althammer, immerhin auch drei Jahre, um zur Vorlage für den Bundesrat zu reifen.
Die Entwürfe können ein neuer Anfang sein. Sie lassen gewisse Konturen eines zukünftigen Gesetzes erkennen. Wenn ein gutes Gesetz daraus werden soll, muß es den gesetzlich gewährleisteten und durch Vollzug verwirklichten Schutz der Privat- und Intimsphäre verbessern. Ein leicht umgeh-bares Gesetz, das nur dem Etikett nach besseren Persönlichkeitsschutz zusichert, sollte gar nicht erst erst verabschiedet werde.
({4})
Es ist allerdings hervorzuheben, daß viele mit dem Schutz der Privatsphäre zusammenhängenden Fragen als gelöst anzusehen sind. Andere müssen noch aufgearbeitet werden. Der Schutz des Bürgers vor den Möglichkeiten neuer Techniken muß auch in anderen Bereichen der Entwicklung angepaßt werden. Geradezu zwangsläufig werden also die Fragen, die heute unter dem Begriff des Datenschutzes behandelt werden, uns weiterhin und immer wieder beschäftigen und bedrängen müssen. Es ist absehbar, daß neue Verfahren gesetzlich begleitet werden müssen, mit denen Informationen durch landläufig werdende Tests sowie durch physiologische und körperliche Untersuchungsmethoden gewonnen werden können.
Es gibt auch noch Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Ehrenschutz. Von diesen Mängeln sind gerade und immer wieder im öffentlichen Leben exponierte Persönlichkeiten nicht nur betroffen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes in gemeiner Weise getroffen.
Das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, ist ein grundsätzliches menschliches und soziales Bedürfnis. Es ist Ausdruck unserer freiheitlichen Rechts-und Verfassungsordnung. Das Privatleben muß vor Eingriffen des Staates und Dritter geschützt sein. Dieser Anspruch wird durch Rechtssatz gekennzeichnet und Rechtsanwendung gewährleistet. Der Angriff auf das Private verletzt nicht nur die Person des direkt Betroffenen, er kann, zumal wenn er vom Staat kommen sollte, den Grundkonsens der Bürger und ihr Vertrauen untereinander und miteinander untergraben.
Der technische Fortschritt, aber nicht nur dieser, hat die Privatsphäre durchschaubarer und leichter einsehbar gemacht. Es geht ja nicht mehr allein um Abhören von Telefongesprächen. Es gibt Mikrofone, die durch kaum vorstellbare Verkleinerungen auf Streichholzkopfgröße gebracht werden können. Sie sind also versteckt verwendbar. Selbst von dikken Mauern umschlossene Räume spiegeln nach den Möglichkeiten der Elektronik nur optisch Schutz vor. Ein Infrarotlichtstrahl erreicht noch aus mehreren Kilometern Entfernung einen angepeilten Raum und wandelt die zurückkommenden Strahlen in akustische Signale um, kann damit Privates entschlüsseln und öffentlich machen.
Solche Entwicklungen fordern den Gesetzgeber heraus: Wie kann gewährleistet werden, daß trotz der technischen Möglichkeiten die Privatsphäre des einzelnen Bürgers unbeschädigt bleibt', aber andererseits nützliche Wirkungen solcher Entwicklungen erhalten werden?
Nach geltendem Recht ist unerlaubtes Abhören von Privatgesprächen strafbar. Auch macht sich strafbar, wer entgegen den Bestimmungen des Fernmeldeanlagengesetzes, insbesondere also ohne Erlaubnis, eine Fernmeldeanlage errichtet oder betreibt. Und die Post erteilt für Abhöranlagen keine Erlaubnis nach diesem Gesetz. Privatpersonen können die Geräte also nicht legal nutzen.
Die Schutzzonen werden ergänzt durch weitere Möglichkeiten des Polizei- und Gewerberechts. Es kann also nicht die Rede davon sein, daß der Umgang mit Abhörgeräten rechts- und gesetzesfrei sei. Aber es gibt Lücken, es gibt Schwächen. Strafrechtliche Sanktionen wirken im Einzelfall und als Reaktion. Und im übrigen: Für Abhörgeräte, die nicht als Fernmeldeanlagen einzuordnen sind, gibt es überhaupt keine gesetzliche Regelung.
Voraussetzung für die Ahndung ist im übrigen die Entdeckung; und dies wird selten genug der Fall sein. Man muß von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Jedes Jahr dürften Zehntausende von Minispionsendern bei Millionenumsätzen verkauft werden.
Damit sind wir im Vorfeld des Abhörens, beim Erwerb und Besitz von Sendeanlagen. Dies ist nach geltendem Recht straffrei, weder von den Vorschriften des allgemeinen Strafrechts noch von den Vorschriften des Fernmeldeanlagengesetzes erfaßt.
Bei allen möglichen Zweifeln gegenüber präventiven Kontrollen ist es schon ein erwägenswerter Gedanke im Entwurf des Bundesrates, auch den Erwerb und Besitz solcher Anlagen und nicht nur die Errichtung und mißbräuchliche Verwendung einer Beschränkung zu unterwerfen. Es muß sichergestellt sein, daß nicht solche Geräte erfaßt werden, die anerkennenswerten Zwecken dienen. Es muß also Ausnahmen von einem Besitz- oder Erwerbsverbot geben. Der Bundesrat schlägt das vor. Die Bundespost soll darüber entscheiden. Aber ist dies die richtige Stelle? Andere Aufgabenstellung der Post und Überlastung mit angestammten Aufgaben lassen daran zweifeln. Wenn aber nicht die Post, wer dann? Und unter welchen Voraussetzungen und an wen sollen die Ausnahmegenehmigungen erteilt werden dürfen? Ist es wirklich sinnvoll, den Bundesminister für Wirtschaft, wie der Oppositionsentwurf es tut, mit der alleinigen Verantwortung für einen sicherheitsempfindlichen Bereich zu belasten?
Die Erweiterung des Strafrechts um ein Verwertungsverbot für mißbräuchlich Abgehörtes erscheint auf den ersten Blick bestechend. Denn das Interesse des einzelnen an der Nichtverbreitung seiner privaten Angelegenheiten ist sicherlich ebenso groß wie beim Nichtabhören. Aber kann man dies angesichts gemeinsamer Bemühungen um Liberalisierung des Geheimschutzparagraphen 353 c StGB überhaupt glaubwürdig vertreten? Und haben sich tatsächlich seit der eingehenden Diskussion der sechziger Jahre und speziell auch in der SPD-Bundestagsfraktion 1975 neben der Lösungsbedürftigkeit neue Lösungsansätze ergeben? Eine neue Regelung sollte immer das Ziel eines besseren
Rechtsschutzes des einzelnen im Auge behalten. Deshalb muß eine solche Regelung auch praktikabel sein. Wenn sich herausstellen sollte, daß nur eine sehr detaillierte Regelung die Probleme einigermaßen umgrenzen kann, sollte vor der Verabschiedung eines solchen Gesetzes sehr genau geprüft werden, ob die politischen Ziele, wenn schon nicht zur Gänze, so doch wenigstens zum Teil damit erreicht werden können.
Wir Sozialdemokraten werden uns auch in dem Bemühen an die Arbeit machen, uns nicht durch technische Entwicklungen vorbestimmen zu lassen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich wollte so gerne, Herr Althammer, jetzt einmal richtig begeistert die Opposition loben, daß sie etwas Vernünftiges vorlegt und hier eine sehr schwierige und uns allen wichtige Frage aufgreift. Das machen Sie mir dadurch so unglaublich schwer, daß Sie zum Schluß in Angelegenheiten Streit suchen, die mit dem Problem, das uns hier gemeinsam interessieren sollte, herzlich wenig zu tun haben. Diese Angelegenheiten werden - wie Herr Penner schon sehr zutreffend ausgeführt hat - auch von Ihnen völlig falsch gesehen - ganz im Gegensatz zu einer Reihe von Ausführungen, die mit dem eigentlichen Gesetzesvorhaben zu tun haben. Warum Sie bei der Gelegenheit auch wieder allen, die sich außer Ihnen schon mehrfach mit der Sache befaßt haben, vorwerfen - wie dargestellt worden ist -, daß sie sich zuwenig gekümmèrt hätten, ist ebensowenig einzusehen.
Ich meine, dieses, was hier angestrebt wird, der Schutz der Privatsphäre vor immer unerträglicher werdenden Gefährdungen - das ist von meinen beiden Herren Vorredner übereinstimmend dargestellt worden - ist etwas so Wichtiges, daß wir, wenn jetzt ein neuer Versuch unternommen werden soll, dieses Problem wenigstens einigermaßen zu lösen, schon von Anfang an darum bemüht sein müßten, die Atmosphäre unserer gemeinsamen Bemühungen so zu gestalten, daß von daher die Erfolgsaussichten möglichst gut sind. Ich hoffe, daß sich so ein Klima wiederherstellen läßt.
Im Innenausschuß ist die dankenswerterweise im Hause angefertigte Übersetzung einer sehr umfangreichen Studie des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu diesem Problem einzusehen. Wenn Sie die einmal durchblättern, dann werden Sie in einem Kapitel, auf etwa 20 Seiten dargestellt, Auskunft darüber erhalten, daß in vielen Ländern der Welt Kommissionen eingesetzt worden sind, weitere Studien angefertigt worden sind, ohne daß man aber - soweit jedenfalls ich das übersehen konnte - in einem einzigen Fall auf Grund all dieser Bemühungen zu einem gesetzgeberischen Ergebnis gekommen ist - eben weil die Probleme, die zum Teil von Ihnen und zum Teil von Herrn Penner dargestellt worden sind, so schwierig zu erfassen sind. Diese Studie zeigt aber zugleich sehr eindrucksvoll, daß wir mit unseren Ansichten über die außerordentliche Bedeutung des Schutzes des privaten und insbesondere des privaten Wortes, das im kleinen Kreis ausgesprochen worden ist, nicht alleinstehen. Wir sollten wirklich äußerste Anstrengungen unternehmen, um diesmal etwas weiterzukommen als bei den vorigen Anläufen.
Herr Althammer, übrigens haben sich auch früher schon andere für das Problem interessiert, so z. B. ich. Ich habe 1977 die Bundesregierung gefragt, ob sie in der Sache nicht tätig werden wolle. Daraufhin hat mir der Bundesinnenminister eine freundliche Antwort zukommen lassen, die auch Ihnen - als Drucksache - zugänglich ist. Er hat in dieser Antwort ausführlich dargelegt, daß die Vorüberlegungen der bayerischen Landesregierung, die inzwischen zur Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundesrat geführt hatten, immerhin so vielversprechend gewesen seien, daß sich die Bundesregierung in den verschiedenen Ressorts mit ihnen befassen und durchaus wohlwollend prüfen werde, ob man auf dieser Basis gemeinsam weiterkommen könne. Das ist also alles die ganze Zeit über gesehen und verfolgt worden, und da war auch der gute Wille der Bundesregierung zur Mitarbeit da. Warum also gleich so giftig?
Ich habe mir - für den Fall, daß der eine oder andere daran interessiert ist - mal die Statistik der Verfahren und Verurteilungen nach der geltenden Bestimmung des § 201 über unbefugtes Aufnehmen oder Abhören besorgt. Danach können Sie davon ausgehen, daß in den Jahren 1975, 1976 und 1977 einmal zwölf, einmal 30 und einmal 24 Fälle im ganzen Bundesgebiet an Verurteilungen vorgekommen sind. Verhältnismäßig hoch ist demgegenüber die Zahl der Einstellungen mit drei, 16 und 15. Diese Zahl der Einstellungen scheint noch erheblicher, wenn man bedenkt, daß 1976 und 1977 auch noch je sieben Freisprüche erfolgt sind. Das Verhältnis der Verurteilungen zu den Einstellungen und Freisprüchen in den wenigen Verfahren, die hier offensichtlich überhaupt nur in Gang gekommen sind, scheint mir ein wichtiger Hinweis darauf, daß mit dem geltenden Recht dem Problem, das Sie vorhin mit der Schätzung von etwa 20 000 solcher Geräte quantifiziert haben, nicht beizukommen ist. Wir müssen also tatsächlich hier nach anderen und besser greifenden Möglichkeiten suchen. Das soll geschehen.
Wie schwierig der Vorgang ist, zeigt sich daran, daß unter maßgeblicher Beteiligung von einflußreichen CSU-Abgeordneten, zu denen ich Sie, Herr Althammer, sicherlich rechnen darf, ein Entwurf, der präzise aus Bayern stammt, auf der Stelle durch einen weiteren Entwurf konterkariert worden ist. Ich sage das gar nicht sonderlich hämisch, sondern ich meine nur, daran sieht man, wie schwierig es ist, sich hier einer Problemlösung zu nähern, von der man sich einigen Erfolg und Griffigkeit versprechen kann.
Herr Penner hat sich schon zu einer Reihe von Einzelheiten geäußert. Ich habe mir zu ganz ähnlichen Punkten einiges überlegt. Auch ich bin der Meinung, daß die Zuständigkeit des Postministeri11884
Kleinert
ums hier vielleicht doch wenig sachangemessen wäre, obwohl das Fernmeldegesetz als Ort einer Regelung diese Zuständigkeit nahelegen würde; das muß man dann noch sehen.
Die Bundesregierung weist im übrigen - wie ich glaube, zu Recht - in ihrer Stellungnahme darauf hin, daß mit der dein Bundeswirtschaftsminister nach Ihrem Entwurf gegebenen Verordnungsermächtigung zur Eingrenzung das Problem an sich nur verschoben wird. Wenn es nicht gelingt, eine saubere gesetzliche Lösung zu finden, soll man sich mit einer solchen Verordnungsermächtigung möglichst nicht ohne weiteres zufrieden geben und dann denken: Damit werden die das schon alles hinkriegen, was wir hier nicht in den Griff bekommen. Deshalb sollten wir mindestens zunächst einmal, bevor wir einen solchen Weg beschreiten, das Äußerste versuchen, die Sache gesetzgeberisch klar zu bekommen.
Was mir an Ihren Ausführungen, Herr Althammer, aufgefallen ist, das ist, daß Sie offenbar davon ausgehen, im. Bereich der inneren Sicherheit und der Tätigkeit aller Sicherungsorgane einen völligen Freiraum zu schaffen. Das scheint mir allerdings den Beobachtungen der letzten Jahre nicht angemessen zu sein. Ich sehe, genauso wie Herr Penner, die Stellung des Bundesinnenministers erheblich weiter als die eines Polizeiministers. Unsere Bürger verlangen von uns - das wird unter den Bedrohungen, denen die Privatsphäre ausgesetzt ist, mit immer leistungsfähiger werdenden Geräten, auch immer dringender bei den Bürgern -, daß wir sie auch vor staatlichen Eingriffen in diese Sphäre schützen. Es ist nicht so, daß ohne Anlaß - übrigens durchaus pfleglich - überlegt wird, was im Bereich der berechtigten Verfolgung der Interessen der inneren Sicherheit in letzter Zeit im einzelnen schiefgelaufen ist. Es hat doch kürzlich erst wieder einen, ich meine, schon recht spektakulären Freispruch vor dem Landgericht Bonn in der Angelegenheit des Herrn Dirnbach dankenswerterweise gegeben, dem man im polizeilichen Untersuchungsverfahren nur durch unerlaubtes Abhören mit einer ungewöhnlichen elastischen, um das wenigste zu sagen, Handhabung gesetzlicher Bestimmungen auf eine vermeintliche Spur kommen konnte. Das Landgericht hat ihn freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat das Herz, in Revision zu gehen. Dafür kann man der Staatsanwaltschaft aber im Grunde nur dankbar sein; denn dann hat der Bundesgerichtshof noch einmal Gelegenheit, seine zu dieser Frage schon vorher bekanntgegebene Meinung zu bestätigen. Etwas anderes dürfte wohl nicht dabei herauskommen.
Wir müssen also derartige elastische Handhabungen - ich will dieses freundliche Wort noch einmal verwenden - ganz akut bei der Tätigkeit unserer Sicherheitsorgane feststellen. Es ist für mich und auch für die FDP-Fraktion dieses Hauses schlechthin unerträglich, Überlegungen über den Schutz der Privatsphäre anzustellen, ohne auch kritisch alles anzusehen, was von seiten des Staates gegenüber dem Bürger geschehen kann. Das werden wir natürlich bei dieser Gelegenheit genauso gründlich zu tun haben, wie das gegenüber den genauso unberechtigten Eingriffen irgendwelcher Privater aus den von Ihnen bereits genannten, in jedem Falle stark zu mißbilligenden Motiven geschieht.
Es waren idyllische Zeiten, als man irgendwann einmal aufstehen, die Tür aufreißen und davor entweder einen Lauscher finden konnte oder nicht.
({0})
Diese Zeiten scheinen leider durch die technischen Entwicklungen, die geschildert worden sind, hinter uns zu liegen. Es nützt auch nichts, lediglich während des Serviervorgangs die Unterhaltung etwas zu unterbrechen. In vielen Fällen sind die Zuhörmöglichkeiten viel subtiler.
Wir müssen uns dem stellen. Ich hoffe, daß uns dazu möglichst viel Gescheites einfällt und wir nach den Anläufen, die ich wiederholen möchte, aller Beteiligten in der Vergangenheit und aller, denen die Sorge für die Privatsphäre unserer Bürger zukommt, zu einem besseren Ergebnis. kommen.
Eine Schlußbemerkung noch. Ich weiß nicht, was den Ältestenrat zu dem Überweisungsvorschlag veranlaßt hat. Ich könnte mir bei dem, was ich mir insgesamt als Zweck der Unternehmung erhoffe, vorstellen, daß die Federführung beim Rechtsausschuß sinnvoller gewesen wäre. Ich bin aber sicher, daß wir in kollegialer Zusammenarbeit so zurecht kommen werden, daß wir, wenn wir das vernünftige Ergebnis nicht erzielen, so uns ihm doch wenigstens annähern.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Das war doch kein Antrag, Herr Kollege Kleinert? ({0})
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/2396 und 8/2545 an den Innenausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen und den Rechtsausschuß - mitberatend - vor. Der Rechtsausschuß wird also auch damit befaßt. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({1}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1979
hier: Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 8/2506, 8/2621 - Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Simonis Dr. Haussmann
Vizepräsident Stücklen
Es ist interfraktionell vereinbart, Kurzdebatte zu führen. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/2506 wird ein Problem aufgegriffen, das uns bereits bei den Haushaltsberatungen der vergangenen Jahre immer wieder beschäftigt hat. An Hand des Abstimmungsverhaltens der SPD/FDP-Koalition sowohl im Haushaltsausschuß als auch bei den bisherigen Abstimmungen im Plenum läßt sich trefflich demonstrieren, welch großer Unterschied zwischen den Forderungen der SPD und FDP draußen im Lande bei den unmittelbar Betroffenen und den Beschlüssen liegt, die dann hier mit Ihrer Mehrheit gefaßt werden.
({0})
Draußen, sehr geehrter Herr Kollege Löffler, treten Sie immer für eine Stärkung der Regionalfördermittel ein, hier im Bundestag, wo die Entscheidung fällt, verhindern Sie diese Verstärkung. Auf Grund der Erfahrungen in meinem Wahlkreis im bayerischen Zonenrandgebiet kann ich ein Lied von dieser praktizierten Doppelstrategie singen. Im Landtag fordert die SPD, die dort nicht in der Verantwortung steht und sich auch dementsprechend benimmt, von der bayerischen Staatsregierung permanent eine Erhöhung der regionalen Fördermittel. Das geschieht ganz im Gegensatz zum Verhalten im Bund, wo man regiert. Statt den bayerischen Genossen zu folgen und die Erhöhung zu verwirklichen, wird das immer wieder abgelehnt.
({1})
Überhaupt gleicht das Verhalten der Koalitionsparteien hier im Bundestag einem Zickzackkurs zur Täuschung der Öffentlichkeit. Man hält sich - man höre und staune - nicht einmal an bereits gefaßte Bundestagsbeschlüsse. Die Verordnung des Rates der EG vom 18. März 1975 über die Errichtung eines „Europäischen Fonds für regionale Entwicklung" enthält den Grundsatz der Komplementarität: Die Mittel aus dem EG-Regionalfonds sollen zur Stärkung und Ergänzung der nationalen Fördermaßnahmen beitragen, nicht aber zu einer Substitution nationaler Mittel durch EG-Mittel führen. Dieser Grundsatz ist in den Leitlinien der EG-Kommission für eine gemeinschaftliche Regionalpolitik nochmals bekräftigt worden. In der 66. Sitzung am 20. Januar 1978 hat der Deutsche Bundestag - ich betone: einstimmig - die Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zu den genannten Leitlinien der Kommission verabschiedet. Ziffer 6 des Beschlusses lautet: „Die der Bundesregierung zufließenden Mittel aus dem Regionalfonds der Europäischen Gemeinschaften sollten den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe zugeschlagen werden." Diesem Vorhaben folgend haben bei den Haushaltsberatungen für 1979 sowohl der Innerdeutsche Ausschuß als auch der Unterausschuß für Zonenrandförderung und der in dieser Angelegenheit federführende Wirtschaftsausschuß einhellig beschlossen, die Rückflüsse aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, die sich für 1979 auf rund 120 Millionen DM belaufen, zusätzlich für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zu verwenden.
Sie haben das für 1979 abgelehnt und wollen dies wie schon im Haushaltsausschuß nunmehr auch für 1980 ablehnen. Es ist zwar in den letzten Jahren hier in diesem Parlament leider üblich geworden, Anträge der Opposition nur deshalb abzulehnen, weil sie von der Opposition gestellt worden sind.
({2})
Hier kommt aber hinzu, daß Sie, wenn Sie den Entschließungsantrag diesmal wieder ablehnen, genau das Gegenteil von dem beschließen, was Sie vor mehr als einem Jahr einstimmig mitgetragen haben. Es ist der so oft beschworenen Glaubwürdigkeit der Politik und hier insbesondere dem Ansehen des Parlamentes nicht sonderlich förderlich, wenn Sie es erneut hinnehmen und heute mit Ihrer Mehrheit decken, daß die Bundesregierung eine Forderung, die die fachlich zuständigen Ausschüsse des Bundesparlaments und der EG gefaßt haben, in der bisherigen Art und Weise mißachtet.
Es klingt auch wie Hohn, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vom 14. Februar 1979 darauf verweist, daß der Grundsatz der Zusätzlichkeit, - also Erhöhung der nationalen Fördermittel mit regionaler Zweckbestimmung - um den Betrag, der einem Mitgliedstaat aus dem Regionalfonds zusteht, in vollkommener Weise bisher von keinem Mitgliedstaat realisiert worden sei. Die Bundesregierung führt dann weiter aus, daß es zwar „formal" entsprechende Beschlüsse gebe, in der Praxis aber kaum eine Kontrollmöglichkeit bestehe, inwieweit diese Zusätzlichkeit insgesamt bei den einzelnen Ländern der EG realisiert worden sei. Bei uns in der Bundesrepublik und für uns als Bundestag bestünde diese Kontrollmöglichkeit.
Bei uns ist, wenn Sie auch diesen Entschließungsantrag wie die vorhergehenden Anträge ablehnen, eindeutig klargestellt, daß es die Zusätzlichkeit nicht gibt. Klarer kann man EG-Empfehlungen nicht konterkarieren. Ich halte dies für einen sehr seltsamen Beitrag zum Europagedanken ausgerechnet im Jahr der Europawahlen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist der größte Nettozahler des EG-Regionalfonds. Daher ist sie besonders verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Mittel einer dem Förderzweck entsprechenden Bestimmung folgend verwendet werden. Die Bundesrepublik hat hier im Interesse ihrer Steuerzahler die Verpflichtung, eine Pilotfunktion zu übernehmen.
Nach unserer Auffassung hat die Bundesregierung dem Grundsatz der Zusätzlichkeit nicht Rechnung getragen, sie hat vielmehr nationale Mittel
durch EG-Mittel ersetzt. Die Erhöhungen des Haushaltsansatzes für die Gemeinschaftsaufgabe trugen allenfalls dem Mehrbedarf Rechnung, der sich aus den permanenten Ausweitungen der Fördergebiete ergibt. Die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe haben sich seit 1972 nur um 10,5 % erhöht, während die Aufwendungen pro gefördertem Arbeitsplatz um 140 % gestiegen sind. Das heißt, die Effektivität der regionalen Wirtschaftsförderung in der Gemeinschaftsaufgabe nimmt leider laufend ab.
Die Mittel aus dem EG-Regionalfonds wurden bisher, im ganzen gesehen, weder zur Verstärkung noch zur Ergänzung der nationalen Förderung eingesetzt. Die in der Vergangenheit praktizierte Bereitstellung von Sonderprogrammen vermag die Zusätzlichkeit schon deshalb nicht sicherzustellen, weil die Mittel aus diesen Programmen - anders als die normalen Mittel der Gemeinschaftsaufgabe - ungleichgewichtig auf die Länder verteilt werden, d. h. ihre Aufteilung nach dem für die Mittel des EG-Regionalfonds bestehenden Länderschlüssel nicht zwingend vorgeschrieben ist.
Die Bundesregierung hat hier - und deswegen greift sie immer wieder zu Sonderprogrammen - die Möglichkeit, ohne Mitsprache der Länder zusätzliche Bonbons zu verteilen, z. B. vor Landtagswahlen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das Konzept der Bundesregierung vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen aussehen wird, und ich bin auch sehr gespannt darauf, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister dann im Kabinett bei seiner im Haushaltsausschuß geäußerten ablehnenden Haltung dazu bleiben wird.
Für die nationale Strukturpolitik sind die aus dem EG-Bereich zurückfließenden Mittel zusätzlich dringend erforderlich, um die Stagnation der regionalen Strukturpolitik, die nicht zuletzt durch die unsinnige Ausweitung der Fördergebiete eingetreten ist, endlich wieder zu überwinden. So sind z. B. die Bewohner des Zonenrand- und Grenzgebiets die Benachteiligten dieser Entwicklung.
Die regionale Strukturpolitik, wie wir sie verstehen, muß dem Ziel dienen, zu einem möglichst ausgewogenen Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei den Arbeitsplätzen zu kommen und damit für die Menschen vor allen Dingen in den strukturschwachen Gebieten ausreichende, dem beruflichen Ausbildungsstand entsprechende, wohnortnahe Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren besonders von der Koalition, appelliere ich noch einmal nachdrücklich an Sie, unserem Antrag zu entsprechen und wenigstens ab 1980 dafür zu sorgen, daß die Rückflußmittel aus dem Europäischen Regionalfonds zusätzlich zu den Beträgen der mittelfristigen Finanzplanung für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" bereitstehen.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zumindest die Haushaltspolitiker haben sich schon wiederholte Male mit dem vorliegenden Entschließungsantrag der CDU/CSU beschäftigen müssen, mit dem Sie ja fordern, daß die Erstattungsbeträge aus dem Europäischen Regionalfonds für die Aufstockung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" verwendet werden. Ich finde auch, Ihre Begründung, Herr Kollege Glos, ist nicht besonders neu, die Begründung nämlich, daß die Ansätze seit 1975 mit 588 Millionen DM unverändert wären, daß sie sowieso unzureichend wären und daß die Bundesrepublik als wichtigster Nettozahler den Nettoempfängerländern ein gutes Beispiel geben sollte.
Was ich so witzig finde, ist, daß sich die Haushaltspolitiker der CDU/CSU an dieser Debatte beteiligen und überhaupt den Antrag mit eingebracht haben. Denn wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht hätten, anstatt Ihre Rede vorzubereiten, in die Bundeshaushaltsordnung oder in den zugegebenermaßen dicken Bundeshaushalt hineinzuschauen, hätten Sie drei Dinge feststellen können. Erstens: sämtliche Beiträge der Bundesrepublik zum EG-Haushalt werden bei Einzelplan 60 veranschlagt. Zweitens: sämtliche Erstattungen aus dem EG-Haushalt erfolgen ebenfalls zentral. Drittens - jetzt kommt der entscheidende Punkt -: durch entsprechende Haushaltsvermerke ist seit 1978 sichergestellt, daß die Rückflüsse für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstrukturverbesserung" zweckgebunden sind. Damit wäre Ihr Antrag eigentlich erledigt.
({0})
Aber ich will es doch ein bißchen länger machen, weil mir ja mindestens genauso viele Minuten zustehen wie Ihnen und weil ich nicht gerne den Eindruck aufkommen lassen möchte, daß wir von der SPD und der FDP reine Erbsenzähler seien, ohne Verständnis für regionalpolitische Notwendigkeiten.
({1})
Ich verstehe eigentlich nicht ganz, warum Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben jetzt aufstocken wollen, obwohl die Ministerpräsidenten, die Ihrer Partei angehören, gerade durch die Lande laufen und sie abschaffen wollen. Es ist ein bißchen unlogisch, die Mittel dafür zuerst erhöhen und sie dann abschaffen zu wollen.
({2}) Wieso das dann leichter sein soll, weiß ich nicht.
({3})
- Ich rechne es Ihnen gleich vor, lieber Kollege Glos; lassen Sie mich einmal zu Ende reden.
Zweitens verstehe ich nicht, wieso Sie hier immer nach einem Subventionsabbau und nach einer Konsolidierung der Haushalte rufen und dann großmütig 60 Millionen DM unters Volk streuen
wollen. Ich kann einfach nicht begreifen, wie Sie es gleichzeitig schaffen wollen, Geld zu sparen und Geld auszugeben.
({4})
Ich kapiere das nicht; das müssen Sie mir irgendwann einmal erklären.
Das nächste, das mir auffällt, ist, daß Sie bei der Berechnung der „Normalansätze" immer vergessen, daß es noch andere Programme gibt, die man eigentlich hinzurechnen müßte. Sie gucken sich immer nur diesen einen Haushaltstitel an.
({5})
- Ja, es verstellt einem manchmal den Blick, wenn man zu stark auf einen Punkt guckt. Sie vergessen die Sonderprogramme, wie das Zukunftsinvestitionsprogramm, Sie vergessen das ERP-Programm, Sie vergessen das Investitionszulagenprogramm. Das sind alles Programme, die auch regionalpolitische und strukturell verbessernde Wirkungen haben.
({6})
Sie können das von mir aus gerne „Töpfchenwirtschaft" nennen. Ich nenne das auch so. Aber Sie dürfen dabei eines nicht vergessen: Sie müssen die Töpfchen schon zusammenzählen, damit das Ganze eine vernünftige Relation bekommt.
Noch etwas in Ihrer Rechnuhg war nicht klar. Sie haben ein bißchen Angst gehabt, das würde nicht „additiv", sondern „anstatt" verwendet werden. In einem Zeitraum, der relativ leicht übersehbar ist, nämlich von 1976 bis 1978, haben sich die Erstattungen aus dem europäischen Regionalfonds nur um 95 Millionen DM erhöht, dagegen die Normalansätze um 180 Millionen DM. Mit Bleistift und Papier könnten Sie nachrechnen,
({7})
daß sich die Gesamtsumme nur deshalb nicht erhöht, weil einige Sonderprogramme, die bis jetzt bei der Gemeinschaftsaufgabe etatisiert waren, abgezogen werden.
Ich finde es besonders ámüsant, daß Sie eine saubere Trennung zwischen Regionalpolitik und Sektoralpolitik schaffen. Das ist seminarreif. Sie müßten eigentlich einmal ein bißchen deutlicher die Kriterien nennen, mit denen Sie das schaffen.
Ich glaube nicht, daß das möglich ist, und zwar schon deshalb nicht, weil nämlich unsere „Sorgenkinder" - das sind alles Sektoren: Wirtschaft, Stahl, Kohle - eine regional einseitige Standortverteilung aufweisen und aus diesem Grunde natürlich regionalpolitisch wirken. Also müßten Sie diese noch mit hinzurechnen. Wenn alle anderen Programme, die teilweise auch von Ihrer Partei gefordert werden, noch dazukommen, glaube ich, daß man sich nicht ohne weiteres nur die Gemeinschaftsaufgabe angucken darf, um zu sehen, was die Bundesregierung regionalpolitisch tut und wieviel Geld sie in der Vergangenheit ausgegeben hat. Nicht nur Programme mit dem Etikett „Regionalpolitik" sind regionalpolitische Strukturhilfen, sondern auch alle anderen Programme, die ich andeutungsweise genannt habe.
Ich glaube, daß gerade die beiden letzten Punkte der „Dollpunkt" Ihres Antrages sind. Ich halte es nicht für sehr sinnvoll, bei dem Nebeneinander einer Vielzahl von strukturell wirksamen Instrumentarien, deren Effizienz in keiner Weise von uns kontrolliert werden kann, weil die Länder das sehr wirkungsvoll verhindern, weil wir nicht wissen, ob sie positiv oder negativ wirken, weil wir keine Wanderungsbilanzen für Arbeitsplätze haben und weil, wie auch Sie gerade schon anklagend festgestellt haben, die Förderkulisse ausgeweitet worden ist - ich möchte Sie nebenbei einmal fragen, wer das denn eigentlich macht; es sind doch die Länder und hier in der Mehrzahl Politiker, die Ihrer Partei angehören, die dafür sorgen, daß die Förderkulisse ausgeweitet wird -, Ihren Antrag zu unterstützen, und ich glaube, daß wir ihm nur wenig Zuneigung entgegenbringen können.
Solange sich die Länder gegenseitig blockieren, weil sie sich gegenseitig die Butter auf dem Brot nicht gönnen und somit alle die Butter ein bißchen dicker auf dem Brot haben wollen, was keineswegs vernünftig ist, solange wir keine Arbeitsplatzgewinne oder Arbeitsplatzverluste bilanziert vorgelegt bekommen, solange uns nicht die Empfänger der Mittel die arbeitsplatzsichernde Wirkung dieser Mittel garantieren können, so lange werden wir darauf verzichten müssen, Ihrem Antrag stattzugeben. Wir werden also, so wie es die Bundeshaushaltsordnung vorschreibt, die Erstattung - mit dem entsprechenden Haushaltsvermerk - weiterhin im Einzelplan 60 verbuchen und sie nicht auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalstruktur" draufschlagen. Wir werden auf gut deutsch Ihren Antrag leider ablehnen müssen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es geht um die Rückflußmittel aus dem EG-Regionalfonds und deren Einbindung in die Gemeinschaftsförderung. Lieber Herr Kollege Glos, wir sind ja, wenn ich mich richtig erinnere, zusammen in Italien gewesen und haben dabei die Auswirkungen der Regionalförderung im Mezzogiorno betrachtet.
({0})
- Richtig, es war der Kollege Carstens, jedenfalls war es ein kompetenter Vertreter der Opposition.
Herr Abgeordneter, Sie sollten sich schon auf einen einigen.
Der Kollege Carstens ist in diesem Bereich ebenso kompetent wie der Kollege Glos.
({0})
Ich würde sagen: Beide sind sie kompetent. Wenn Sie das dem Kollegen Carstens übermitteln, lieber Herr Kollege Glos, dann werden Sie von ihm hören, daß es, wie wir dort beide festgestellt haben, Verteilungsprobleme bei der Regionalfondsförderung gibt, über die ich mich heute nicht intensiv verbreiten will. Wir in Niedersachsen bekommen aus diesem Regionalfonds ja einen nicht ganz unerheblichen Anteil. Wir legen auf diesen Anteil auch in Zukunft Wert.
Aber wir legen keinen Wert auf ihn in der Form, wie Sie, Herr Kollege Glos, hier die Finanzierung vorschlagen. Wir meinen, daß das Stichwort „Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit" auch bei dieser Position gewahrt bleiben soll. Das heißt: zusätzliche Mischfinanzierungen können wir nicht akzeptieren, Mischfinanzierungen, die übrigens auch von der niedersächsischen Landesregierung abgelehnt worden sind. Sowohl Ministerpräsident Albrecht - er hat das wiederholt getan - als auch seine Wirtschaftsministerin, Frau Breuel, lehnen solche Mischfinanzierungen energisch ab. Frau Breuel hat sich nur nach großem Zureden dazu bereit gefunden, bei Förderung weiterer Gemeinschaftsaufgaben Bundesmittel in Anspruch zu nehmen und entsprechende Landesmittel dagegenzustellen.
({1})
Genau: entgegenzunehmen und Landesmittel dagegenzustellen, Herr Kollege Schäfer. Sie haben es präzisiert und klargestellt. - Wenn ein Mitglied der CDU, das vor kurzem in das Präsidium gewählt worden ist, eine solche, nicht ganz unerhebliche Meinung intensiv vertritt, sollten Sie in Ihren Kreisen vielleicht einmal überlegen, ob die Bundestagsfraktion der Opposition für die Zukunft eine solche Position im Bundeshaushalt einnehmen soll.
Mischfinanzierungen haben ihre Probleme, weil die eine Seite die Position vorgibt und die andere Seite vollziehen muß, und zwar, wie wir wissen, mit 50 °/o. Der ehemalige preußische Finanzminister Popitz hat einmal gesagt, daß jede Kommune in der Lage sein müsse, auf Kosten ihrer eigenen Steuerzahler Dummheiten zu beschließen. Wenn wir das in Zusammenhang mit der Mischfinanzierung bringen, dann werden Sie sicher zustimmen, daß das eine Position ist, die die Mischfinanzierung - jedenfalls mit Blick auf diese altpreußische Tradition - nicht in den Vordergrund treten läßt.
Die niedersächsische FDP hat sich jedenfalls schon damals - daran sind wir nicht ganz unbeteiligt gewesen - kritisch zur Mischfinanzierung geäußert. Jedenfalls sind wir nicht bereit, hier Positionen einzunehmen, die die Mischfinanzierung,
wie Sie sie vorschlagen, noch weiter ausdehnen. Wenn davon auszugehen ist, daß hier schließlich Rückflüsse von Rückflüssen gespeist würden, so meinen wir doch, daß die zusätzlichen Kalkulationen, die dabei entstehen - Sie können ja nicht genau feststellen, welchen festen Ansatz Sie hier vorher einplanen wollen; denn die Rückflüsse erfolgen erst nach Abschluß des entsprechenden Verfahrens -, nicht zur Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit beitragen.
Übrigens, Herr Glos, das ist eine Ansicht, die Ihre Kollegen Strauß und Althammer hier in den Haushaltsdebatten immer wieder vertreten haben: keinen Schattenhaushalt aufzustellen
({2})
und den Grundsatz der Haushaltsklarheit und -wahrheit bereits in den Ansätzen zu wahren. Sie können ja nicht wollen, daß jedesmal ein Nachtragshaushalt zur Korrektur der Ansätze aufgestellt wird.
Die FDP will das positiv sehen. Daher stimmen wir der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu, Ihren Antrag abzulehnen.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2621, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2506 abzulehnen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!. - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf :
Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 8/2764 Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/2764, die in der Sammelübersicht 44 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist damit einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.