Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf vorab eine amtliche Mitteilung verlesen. - Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand: 6. März 1979 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den Zweiten Teil der 24. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 20. bis 23. November 1978 in Paris ({0})
zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({1}), Verteidigungsausschuß
Bericht über die Auswirkungen des Verkaufs von frischem
Geflügelfleisch auf Wochenmärkten ({2})
zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({3}), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, daß so beschlossen worden ist.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 27. Februar 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dregger, Ehard ({4}), Spranger, Dr. Langguth, Dr. Marx, Biechele, Dr. Laufs und der Fraktion der CDU/CSU betr. Conföderation Iranischer Studenten - National Union - Drucksache 8/2368 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/2618 verteilt.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit von 14. Februar bis 6. März 1979 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/2636 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Die in Drucksache 8/2466 unter Nr. 37 aufgeführte EG-Vorlage
Vorschlag einer Verordnung ({5}) des Rates zur Änderungder
Verordnung ({6}) Nr. 3164/76 über das Gemeinsdiaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
ist als Drucksache 8/2609 verteilt.
Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat am 12. Februar 1979 `gemäß den §§ 6 und 9 des Gesetzes über das Branntweinmonopol den
Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie die Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1977/78 ({7})
übersandt. Der Bericht wird als Drucksache 8/2591 verteilt.
Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 20. Februar 1979 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den
Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1979 nebst Anlagenband sowie den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1979
mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Archiv zur Einsicht aus.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 5. Februar 1979 unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 5 Postverwaltungsgesetz den
Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1979
übersandt. Der Voranschlag liegt im Archiv zur Einsicht aus.
Wir fahren in der Debatte zu Punkt 2 der Tagesordnung fort:
a) Große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP
zur Politik der Friedenssicherung durch Verteidigung und Entspannung und zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle
- Drucksachen 8/2195, 8/2587 -
b) Große Anfrage der Fraktion der CDU/ CDU
Erhaltung und Festigung des Friedens
durch Sicherheit, Rüstungskontrolle, Abrüstung und den Abbau der politischen
Spannungsursachen
- Drucksachen 8/2312, 8/2587 - Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich zu den sicherheitspolitischen Themen komme; möchte ich auf eine Berner-kung des Herrn Abgeordneten Kohl zurückkommen, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hatte, die mir gleichwohl eine Antwort zu erheischen scheint.
Der Abgeordnete Kohl hat erneut gestern hier seine Behauptung wiederholt, ich hätte einzelne Personen der CDU, insbesondere in Koblenz, in einer unzulässigen Weise angegriffen, hätte sie als rechtsradikal
({0})
- jawohl - diffamiert.
({1})
- Gucken Sie sich das Protokoll an, Herr Kohl.
({2})
- Ich habe meinen Wortlaut vor mir liegen. Ich könnte ihn vorlesen. Jedenfalls haben Sie sich auf Äußerungen bezogen, die ich über den Ihrer Partei zugehörigen Kollegen Herrn Professor Carstens gemacht habe. Ich bin ganz dankbar, daß Sie mir auf diese Weise Gelegenheit geben, einiges klarzustellen, was offenbar Ihrer Aufmerksamkeit bisher entgangen ist.
Ich habe - die Rede in Koblenz war am 9. Februar - im Januar einen Brief von Herrn Professor Carstens empfangen, der mich veranlaßt hat, ein Gespräch mit dem Kollegen Carstens zu führen, bei dem ich ihm gesagt habe, daß ich den von ihm angestrengten Rechtsstreit gegen den früheren Bundestagskollegen Metzger nicht für glücklich halte.
Ich habe - und ich zitiere hier auf Grund der Aufzeichnungen, die während des Gesprächs gemacht worden sind, natürlich nur meine Seite des' Gesprächs, Herr Kohl - bei der Gelegenheit Herrn Kollegen Professor Carstens gesagt, daß ich nicht der Meinung sei, daß er vor dem Ausschuß eine absichtliche Falschaussage gemacht habe, sondern - sowohl Staatssekretär Schüler als einer seiner Amtsnachfolger im Kanzleramt wie auch ich seien der Ansicht, daß er subjektiv bona fide ausgesagt habe. Jedoch hätte Herr Professor Carstens, nachdem er nach seiner Aussage Einsicht in die amtlichen Akten gehabt habe, seine Aussage besser ergänzen oder aber den von ihm angestrengten Rechtsstreit beenden sollen.
Ich habe bei dem Gespräch auch ausgeführt, daß ich keinen Anlaß sähe, an der korrekten Amtsführung von Professor Carstens während seiner Zeit als Staatssekretär im Bundeskanzleramt zu zweifeln.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung habe ich skizziert: Wenn es dazu kommen sollte, daß der Bundeskanzler quasi von Amts wegen öffentlich zu dem ganzen Komplex wurde Stellung nehmen müssen, dann könnte ich mir vorstellen, mich wie folgt zu äußern - ich zitiere jetzt und äußere mich damit in dem Sinn, der schon damals, am 25. Januar, skizziert worden ist
Der Bundeskanzler könne und wolle sich nicht zu der Frage äußern, ob der BND Waffenhandel betrieben habe oder ob er am Waffenhandel beteiligt worden sei.
- Es liegt eine gewisse semantische Bedeutung in diesen beiden Ausdrücken „betrieben" und „beteiligt" Ich wolle mich nicht darauf einlassen. Für mich sei aber offensichtlich, daß der BND in früheren Zeiten mit Waffenhändlern zu tun gehabt habe und möglicherweise auch einmal eine oder zwei Personen zu einem solchen Waffengeschäft abgestellt habe. Schon in seiner Amtszeit als Bundesminister der Verteidigung sei dem Bundeskanzler klargeworden, daß solche Waffengeschäfte höchst zweifelhaft seien. Er habe damals strikte Order gegeben, daß das Bundesministerium der Verteidigung sich an solchen Geschäften in keiner Form beteilige. Aus Erkenntnissen von Amts wegen wisse er in dieser Beziehung von keinerlei Verstößen gegen Gesetz und Ordnung seitens des damaligen Chefs des Bundeskanzleramts, des damaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, des damaligen Staatssekretärs im Bundesministerium der Verteidigung, Prof. Carstens. Der Bundeskanzler habe Verständnis dafür, daß Prof. Carstens bei der Befragung im Untersuchungsausschuß nicht alle Tatsachen aus seiner ehemaligen Amtszeit im Gedächtnis präsent gehabt habe. Aber er sei überzeugt, daß Herr Carstens jetzt, nach späterer Akteneinsicht, über ein präziseres Wissen über Vorgänge der damaligen Zeit verfüge als zur Zeit seiner Aussage vor dem Ausschuß. Er sei der Meinung, daß Prof. Carstens vor dem Ausschuß keine absichtliche Falschaussage getan habe. Er halte die lange Dauer des Rechtsstreits Carstens .1. Metzger wegen der Bewerbung von Prof. Carstens um das Amt des Bundespräsidenten für unglücklich. Es sei nicht für Prof. Carstens, sondern für den Staat insgesamt schädlich, wenn bei der Wahl des Bundespräsidenten möglicherweise ein anstehender ziviler Rechtsstreit noch nicht geklärt und noch nicht beendet sei. Auf das Beispiel des Reichspräsidenten Ebert in der Weimarer Republik sei mahnend hinzuweisen. Er
- also der Bundeskanzler werde seine ganze politische Autorität einsetzen, um im Fall einer Wahl von Prof. Carstens den Rechtsstreit zu beenden.
Eine der Folgen jenes Gesprächs war, daß ich es übernommen habe, mit dem Kontrahenten in dem Rechtsstreit Verbindung aufzunehmen mit dem ich nicht in anderem Sinn gesprochen habe, als hier soeben zitiert - und ihn um Gesprächsbereitschaft und Vergleichsbereitschaft zu bitten. Es ist zu einem solchen Vergleich nicht gekommen. Ich habe Herrn Prof. Carstens später gesagt, wie sich sein Kontrahent eingelassen hat. Den weiteren Gang der Geschichte kennen Sie aus den Zeitungen der letzten Tage.
Ich lege das heute hier vor, damit die Legende bitte nicht weitererzählt wird, ich hätte mich an einer „schmutzigen Kampagne" beteiligt. Im Gegenteil. Ich habe dafür sorgen wollen, daß eine Sache, die sich in zukünftigen Jahren höchst negativ auswirken kann, rechtzeitig aus der Welt komme, die in sehr unglücklicher Weise entstanden ist.
Ich habe mir allerdings vorbehalten, Herr Abgeordneter Kohl - und das behalte ich mir auch für die Zukunft vor, und das müssen wohl auch Sie sich vorbehalten -, politische Werturteile nicht nur über Sachen, sondern auch über Personen zu fällen.
Wenn Sie das lesen wollen, was ich in Koblenz gesagt habe, steht es Ihnen hier zur Verfügung.
Es gibt keinen Anlaß, das zu beanstanden. Herr Prof. Carstens weiß im übrigen ebenfalls, daß ich meine Werturteile nicht geändert habe.
({3})
-Lieber Herr Kohl, ich hätte dies alles vielleicht schon etwas früher ausbreiten sollen. Aber ich wollte nicht Anlaß zu Ihrem Vorwurf geben, daß ich mich in den noch anhängigen Rechtsstreit durch öffentliche Äußerungen vom Amts wegen einmische. Jetzt ist er beendet, und jetzt kann ich darüber reden.
({4})
Ich möchte jetzt auf die sicherheitspolitischen Themata zu sprechen kommen. Ich werde das in einer, wie ich hoffe, überaus sachlichen Weise tun und auf die Polemik des gestrigen Tages nicht eingehen.
Mir ist gestern deutlich geworden, daß - abgesehen davon, daß z. B. der Abgeordnete Kohl ausdrücklich die USA angeredet hat, ausdrücklich die Sowjetunion angeredet hat - auch an anderer Stelle in Wirklichkeit an die Adresse in Washington und in Moskau gesprochen worden ist, wenngleich das aus der äußeren Form der Anrede in den meisten Fällen nicht deutlich ersichtlich war. Vielfach hat man sich an die Adresse der Bundesregierung gewandt, wenn man die beiden Weltmächte oder eine der beiden Weltmächte gemeint hat. Das ist nicht zu beanstanden. Allerdings muß ich es hier einmal feststellen. Wenn man auf einzelne Punkte kommt, wird man sehen, daß es vielleicht eine angemessene Takterwägung war, an einigen Stellen den Adressaten nicht selbst zu nennen. Ich komme darauf zurück.
Der Abgeordnete Kohl hat viele Male den früheren amerikanischen Außenminister Kissinger zitiert, der ja den republikanischen Präsidenten Nixon und Ford gedient hat. Kissinger wurde zitiert, um damit die heutige amerikanische Administration kritisch anzureden. Auch das ist legitim. Allerdings müssen wir den Zweck dieser vielen Kissinger-Zitate Dr. Kohls hier einmal wirklich deutlich machen. Manche der Zitate, die von Ihnen ausgegangen sind, sind einem Buch entnommen, das zu studieren ich Ihnen vor 14 Tagen empfohlen hatte.
({5})
- Es wäre ja gut, wenn Sie noch mehr von dem täten, was wir Ihnen empfehlen.
({6})
Das Pronomen „wir" am Beginn Ihres Zwischenrufes läßt mich erkennen, daß Sie nicht selbst gelesen haben, sondern daß Sie haben lesen lassen. Aber auch damit bin ich zufrieden.
({7})
Ich will Ihnen zu diesen Zitaten eines sagen. Ich habe mir alle Ihre Zitate, soweit sie mich betreffen, gestern abend noch einmal angeguckt. Ihre Pressestelle hat den Text Ihrer Rede ja liebenswürdigerweise gleich verbreitet.
({8})
- Nein, ich habe sie mir selbst angeguckt. Ich will dem Herrn Abgeordneten Kohl sagen, daß, soweit er aus diesem Buch zitiert hat, alle diese Zitate nicht nur damals nach meiner Überzeugung richtig waren, sondern auch heute noch richtig sind und sie mir alle auch heute, zehn Jahre später, zugerechnet werden könnten. Sie sind alle auch für die gegenwärtige Situation voll brauchbar, voll in Ordnung.
Allerdings sind andere Zitate dann recht einseitig ausgewählt worden. Einige dieser einseitig ausgewählten Zitate bedürfen nachher noch des Kommentars oder der Korrektur.
Herr Abgeordneter Kohl hat von einem Dissens über Grundfragen der Sicherheit in der Bundesregierung geredet. Diese Bemerkung, diese Behauptung, Herr Kohl, ist abwegig und in jeder Weise unbegründet. Sie und mehrere Ihre Redner haben auch so getan, als ob die Sicherheit in Europa in den letzten Jahren abgenommen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Europa ist heute derjenige Kontinent, der trotz Anhäufung des größten militärischen Potentials der sicherste Kontinent auf der ganzen Welt ist, wenn ich von Australien einmal absehen darf.
({9})
Das ist keineswegs selbstverständlich, wenn man sich an die Berlin-Krise zu Ende der 50er Jahre und zu Beginn des vorigen Jahrzehnts und an das Jahr 1961 erinnert, wenn man sich an die Raketenkrise um Kuba im Jahre 1962 erinnert, wenn man sich an die Tschechenkrise und all die Ereignisse im Laufe des vorigen Jahrzehnts erinnert. Während dieses vorigen Jahrzehnts sind aber gleichzeitig die ersten Fühler der Entspannungspolitik zwischen den beiden damaligen nuklearen Großmächten ausgestreckt worden. Es ist bereits 1963 zum Teststoppabkommen gekommen. Diese ersten Fühlungsnahmen sind durch den Einmarsch in die CSSR unterbrochen worden. Aber dann folgte schon ab 1968 die Verhandlung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion über den SALT-Vertrag. Außerdem liegt 1968 schon der Nonproliferationsvertrag unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert vor.
Das sind alles Entspannungsentwicklungen, die im Laufe der 60er Jahre entstanden sind, zuerst auf einem ganz schmalen Felde: Teststopp, das heißt Verbot von nuklearen Versuchen in der Atmosphä11238
re, oberhalb der Erdoberfläche, und dann weitet sich das langsam auf ein breiteres Feld aus. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich dann ab Ende der 60er Jahre mit gutem Erfolg an diesem Prozeß beteiligt.
Dieser Prozeß ist der Grund für die relativ größere Sicherheit, die alle Völker Europas heute genießen, etwa im Vergleiche zum vorigen Jahrzehnt und zum Ende des vorvorigen Jahrzehnts. Er hat auch zu einem neuen Bewußtsein der Verantwortung für den Frieden in Europa geführt, zu einem neuen Sicherheitsverständnis und zu der Erkenntnis, daß bestehende Spannungen gemeinsam eingedämmt oder abgebaut werden müssen.
Daran ist dann die Bundesrepublik Deutschland, aufbauend auf ersten Ansätzen, die der Kollege Schröder noch als Außenminister Mitte der 60er Jahre gemacht hatte, wesentlich beteiligt durch die Ostverträge, durch die KSZE, durch die Beteiligung an den MBFR-Verhandlungen. Insgesamt hatte dieser Fortschritt seinen Erfolg, obgleich die militärischen Potentiale in Europa in dieser Zeit nicht kleiner wurden, sondern, insbesondere im Warschauer Pakt, sowohl qualitativ als auch quantitativ erheblich gewachsen sind. Übrigens ist auch das westliche Potential größer und moderner geworden.
({10})
- Ich komme noch ausführlich darauf zurück, Herr Wörner. Ich bin ja auch ein Fachmann genau wie Sie .und verstehe die Zahlen ganz genauso wie Sie und werde sie nicht unterdrücken.
Aber das allgemeine Sicherheitsgefühl in Europa oder - fangen wir bei uns selber an - in Berlin, in Deutschland, in Europa insgesamt ist gestiegen.
({11})
Es ist zu Recht gestiegen, und Europa befindet sich tatsächlich im berechtigten Bewußtsein einer sehr stark gewachsenen allgemeinen, gegenseitigen Sicherheit.
Diese Entwicklung der beiden letzten Jahrzehnte, des 60er und 70er Jahrzehnts, hat gezeigt, daß es Sicherheit nicht gibt, wenn nicht auch der andere sich sicher fühlt, oder anders und in Abwandlung eines berühmten Wortes gesagt: Sicherheit ist auch immer die Sicherheit des anderen.
({12})
Von dieser Einsicht ausgehend, habe ich vor einem Jahr vor den Vereinten Nationen den Gedanken einer beide Seiten umfassenden Sicherheitspartnerschaft entwickelt und habe dazu vier Elemente vorgetragen: erstens eine Politik des politischen, des strategischen, auch des militärischen Gleichgewichts; zweitens eine Politik der Entspannung, der Konflikteindämmung und des Interessenausgleichs; drittens die Fähigkeit zu wirksamer Krisenbeherrschung, weil ja bei aller Vorsicht immer doch wieder Krisen auftreten können, sowohl in der Außenpolitik wie selbstverständlich in der Innen- oder in
der Wirtschafts- oder Finanzpolitik; viertens eine Politik, welche die Vorhersehbarkeit, die Berechenbarkeit des eigenen Verhaltens - des eigenen politischen* und militärischen und auch des eigenen wirtschaftlichen Verhaltens - zu einem wesentlichen Element der Politik macht, die sich selber berechenbar und kalkulierbar macht.
Wenn ich zu diesen vier Elementen noch je ein Wort hinzufügen darf, so will ich zum Gleichgewicht sagen, daß dies keine einmalige Sache ist, die man einmal herstellen und dann behalten kann, sondern eine ständige, stetige Aufgabe, zumal ja auch wirtschaftliche, soziale Einflüsse und Veränderungen Instabilität bewirken und neue Gefahren auslösen können. Auch militärisches Gleichgewicht ist keine einmalige, sondern eine stetige Aufgabe.
Militärisches Gleichgewicht ist nicht notwendigerweise totale arithmetische, mathematische Identität bei allen Arten von Streitkräften oder Waffen. Militärisches Gleichgewicht muß vielmehr insgesamt in umfassendem Sinne hergestellt sein, es muß so auch empfunden und akzeptiert werden-können. Wir selber haben dazu Gutes beigetragen: durch die Bundeswehr, durch Beiträge zur gemeinsamen Verteidigungskonzeption des Westens und zur Rüstungskontrollpolitik, durch unsere außenpolitischen Verträge. Ich sage es noch einmal: Gleichgewichtspolitik ist keineswegs auf den militärischen Bereich beschränkbar, wenn sie den Erfolg der Sicherung des Friedens mit sich bringen soll.
Ein Wort zur Entspannung und zur Konflikteindämmung: Politik der Entspannung setzt ein sehr hohes Maß an militärischem Gleichgewicht voraus, wenn sie erfolgreich sein soll. Der Entspannungsprozeß der 60er und der 70er Jahre wäre ohne dieses relativ hohe Maß an Gleichgewicht nicht möglich gewesen; die Vereinigten Staaten von Amerika hätten sich nicht darauf einlassen können. Dabei ist das Wort „einlassen" irreführend; eigentlich haben ja sie ihn begonnen. Sie . hätten ihn nicht beginnen können, ohne sich auf ein sehr hohes Maß an militärischem Gleichgewicht verlassen zu können.
Die ganze Allianz hat zur Zeit der Regierung der Großen Koalition im Harmel-Bericht im letzten Drittel der 60er Jahre die politischen Ziele von Verteidigung u n d Entspannung formuliert, und seitdem sind bedeutsame und ermutigende Ergebnisse erzielt worden, noch keineswegs wirkliche Durchbrüche in eine andere Welt - die sehe ich auch so bald nicht kommen -, aber doch eine wesentliche qualitative Veränderung gegenüber der Welt der 50er Jahre, gegenüber der Welt des Kalten Krieges in Europa.
Die beiderseitige Furcht, die eine so große Rolle gespielt hat, die jeweils andere Seite wolle die Rüstungsbegrenzung nutzen, um für sich selbst politische Vorteile zu erstreben, ist nur durch lange Vertrauensbildungsentwicklungen und -prozesse zu überwinden. Diese Prozesse bedürfen der Fortsetzung.
Ich möchte auch ein Wort zum Krisenmanagement sagen. Natürlich können auch in einer Ara der Entspannung akute, unvorhergesehene Konflikte eintreten. Deswegen ist die Krisenbeherrschung nötig,
die Fähigkeit, mit Krisen fertig zu werden. Eine der Voraussetzungen dafür ist, daß die etwaigen Konfliktparteien miteinander in Verbindung bleiben, daß die Kommunikation aufrechterhalten wird. Es ist wichtig, daß die Staatsmänner der Welt miteinander reden, ehe die Krise eintritt, daß sie einander kennen, damit sie wissen, was sie voneinander halten können, falls eine Krise eintritt.
Ich darf hier sagen, auch zu diesem dritten Element, zur Fähigkeit und zum Willen zur Krisenbeherrschung, haben wir vieles beigetragen. Wir haben viel dazu beigetragen, daß sich die führenden verantwortlichen Personen gegenseitig kennen. Ich darf, ohne unbescheiden wirken zu wollen, auf die laufenden Kontakte hinweisen, in die die Bundeskanzler dieses Staates in diesen letzten zehn Jahren mit allen führenden Staatsmännern auf beiden Seiten eingetreten sind und die sie aufrechterhalten haben, nicht nur im Westen, sondern auch auf der östlichen Seite Europas. Ich muß Ihnen sagen, ich hoffe sehr darauf, daß es nun endlich, zu einer Begegnung und einer persönlichen Bekanntschaft zwischen Herrn Carter und Herrn Breschnew kommt; ich halte es für einen Fehler, daß diese beiden Führungspersonen einander nicht kennen.
({13})
Krisenbeherrschung erfordert den politischen Willen, Provokationen der anderen Seite zu vermeiden, erfordert den Willen und die Fähigkeit, die eigenen Optionen, die eigenen Handlungsmöglichkeiten für den anderen unmißverständlich zu machen, erfordert den Willen, gefährliche Situationen durch Kompromißbereitschaft zu entschärfen, erfordert den Willen, den Beteiligten die Wahrung ihres Gesichts zu ermöglichen.
Alles dies spricht dich leichter aus, als es sich tut, „Wahrung des Gesichts ermöglichen" zum Beispiel. Aber es gibt in den 60er Jahren gelungene Beispiele solscher Krisenbeherrschung: Beendigung der Berlin-Krise, der Kuba-Krise 1962. Es gibt heute Beispiele in Südostasien, in Afrika, wo 'das nicht oder noch nicht der Pall ist. Das sind Krisen, von 'denen 'wir hier in Europa mittelbar mit betroffen werden, an denen und an deren Bewältigung dieser Staat 'aber nicht direkt beteiligt ist. Aber wenn wir eines Tages beteiligt oder betroffen sein sollten, so müssen wir diese Regeln beherzigen, vor allen Dingen die Regel der Vorhersehbarkeit eigener Politik, der Berechenbarkeit für die anderen, die mit uns am 'geschichtlichen Prozeß wirken.
Je größer die Berechenbarkeit des politischen, übrigens auch des militärischen Verhaltens der Beteiligten ist, desto geringer ist die Gefahr akuter Krisen. Voraussetzung für die Berechenbarkeit ist Durchsichtigkeit der eigenen Politik, Plausibilität dessen, was man erstrebt. Zum Beispiel erstreben wir mehr Transparenz der militärischen Machtmittel, auch der rüstungswirtschaftlichen Machtmittel, weil nur dies den Fortschritt 'in der Bildung gegenseitigen Vertrauens ermöglicht. Das gilt für SALT, das gilt für MBFR.
Wir möchten 'aber' auch die Einhaltung bereits geschlossener Abkommen durchsichtig machen. Alle Beteiligten müssen sich auf die Innehaltung der Grundlinien der Politik beim jeweils anderen und durch den anderen verlassen können. Zum Beispiel muß jeder im Westen wie im Osten wissen, daß wir auch in Zukunft unsere Bündnistreue, unsere Bündniskooperation kontinuierlich aufrechterhalten werden. Alle unsere Mitspieler im Westen müssen insbesondere wissen, daß wir - so wie bisher - auch in Zukunft innerhalb des Bündnisses unsere Interessen wahren werden, ob es sich um Stationierungskostenanteile oder um Offset oder um was immer handelt.
({14})
Sie müssen wissen, daß sie sich darauf verlassen können, daß wir z. B. keinen Rüstungsexport betreiben in Gegenden, wo unsere Waffen nicht hingehören. Es war eine alte Politik früherer Bundesregierungen, nicht in Krisengebiete zu exportieren. Wir haben etwa seit Beginn dieses Jahrzehnts die Einschränkungen noch etwas schärfer gezogen.
Es war übrigens - das sage ich in diesem Zusammenhang ganz deutlich - der Brief des sowjetischen Generalsekretärs an die Bundesregierung insoweit überflüssig. Denn dort war unsere Politik bekannt und vorhersehbar. Wir haben sie nicht geändert.
({15})
Das haben wir ihm natürlich auch in der Antwort mitgeteilt.
({16})
Ja.
Es muß für die östliche wie für die westliche Seite auch unsere Polen-Politik, unsere innerdeutsche Politik vorhersehbar bleiben. Die muß kontinuierlich bleiben. Es muß auch sogar für die östliche Seite unsere EG-Politik vorhersehbar bleiben. Alles das !sind Wichtige Elemente, damit in Europa keine Verwicklungen und Spannungen eintreten, die man nicht vorhergesehen hat.
Durchsichtigkeit, Vorhersehbarkeit der eigenen Politik! Ich würde dankbar sein, wenn wir die Politiken aller übrigen Mitspieler in Europa auch als von dem Willen zur Transparenz, zur Durchsichtigkeit der dortigen Regierungen gekennzeichnet erkennen könnten.
In einer solchen Debatte können die Ernsthaftigkeit, die Offenheit, die Sachlichkeit, die zum Teil gestern vormittag und nachmittag hier zum Ausdruck gekommen sind, sehr wohl die kontinuierliche zukünftige Entwicklung der deutschen Sicherheitspolitik und der deutschen Beiträge dazu verdeutlichen. Die Beiträge können durchaus sehr nützlich sein für andere, die unserer Debatte zuhören; können sein, nicht: müssen sein. Es kommt sehr darauf an - und nicht alle Beiträge in der Debatte waren ,gleichermaßen dazu angetan -, die vorhersehbare Stetigkeit der 'deutschen Sicherheitspolitik zu unterstreichen. Das gilt insbesondere nicht für
alle Beiträge zum Stichwort „Entspannung". Ich bin nicht sicher, ob Sie auf die Dauer damit glücklich werden, daß Sie in Ihren Definitionen die Entspannung der Sicherheit untergeordnet haben.
({17})
Man kann dies vielleicht etwas besser begrifflich auch so ordnen, daß man sagt: Sicherheit ist der übergeordnete Begriff; denn darum geht es: um Sicherheit und Frieden geht es. Aber Sicherheit wird auf vielerlei Wegen erreicht, und dazu gehört ganz gewiß die Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, gemeinsam mit anderen, aber es gehören eben gewiß auch alle Notwendigkeiten dazu, die ich vorhin in Form von vier Elementen aufgezählt habe. Dazu gehört eben auch Konflikteindämmung, Entspannung, Kompromiß, Interessenausgleich - alles dies zusammen mit der Fähigkeit, wenn man angegriffen wird, sich notfalls zu verteidigen, macht zusammen die Sicherheit aus.
({18})
Der Kollege Zimmermann hat gestern morgen eine erstaunliche Behauptung aufgestellt - sie war nur formal an die Bundesregierung adressiert; in Wirklichkeit war sie adressiert an unsere Verbündeten in Washington, Paris und London -, die Behauptung, die Entspannungspolitik sei gescheitert. Er hat noch hinzugefügt: weil sie einseitig angelegt war. Das erzählen Sie mal Präsident Jimmy Carter oder Präsident Giscard d'Estaing oder Jim Callaghan! Fahren Sie mal hin nach Guadeloupe, und sehen Sie zu, wie schnell Sie allein am Strand spazierengehen, Herr Zimmermann!
({19})
Ich respektiere, daß sich die CSU insoweit kontinuierlich verhalten hat. Sie hat damit ja auch ihr zukünftiges Verhalten vorhersehbar gemacht. Sie war immer gegen die Entspannung. Nach dem die soeben von mir genannten Führungspersonen der drei größten Westmächte und auch der deutsche Bundeskanzler zum Problem der Entspannung gemeinsam festgestellt haben: „Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir wollen unbedingt an ihm festhalten", sagt die CSU: Nein, nein, das ist alles gescheitert, es war ja auch ganz falsch angelegt! - Wir werden eines Tages dann von der Vierten Partei hören, wie die Weltpolitik wirklich richtig angelegt werden muß.
Ich wollte eigentlich nicht polemisch werden bei dieser Gelegenheit.
({20})
- Es war soeben nur ironisch; Polemik klingt noch anders.
({21})
Ich sage das deswegen, weil dies einer der Töne war, die ich nicht so gern gehört habe, weil ich ja weiß, daß die Debatte in den Hauptstädten der Welt, in Ost wie in West, sehr sorgfältig verfolgt und analysiert werden wird. Jedes Wort wird untersucht werden. Es wird viel sorgfältiger untersucht werden, als es ausgesprochen worden ist. Dies war ein unvorsichtiges Wort, das lieber nicht hätte ausgesprochen werden sollen.
({22})
Eine Reihe von Kissinger-Zitaten habe ich in Ihrer Rede noch einmal nachgelesen; ich glaube, es waren sieben. Man muß sich die richtigen Zitate heraussuchen, das ist wahr. Sie haben die herausgesucht, die für Ihren Redetenor richtig waren. Andere aus dem langen „Economist"-Interview haben Sie weggelassen. Es steht dort ein hochinteressantes Zitat zu Herrn Wörners Thema der Mittelstreckenraketen. Dieses Zitat hat keiner von Ihnen vorgetragen.
({23})
Aber gut. Jeder sucht sich auch aus der Bibel das heraus, was für den jeweiligen Sonntag gerade paßt.
({24})
Sie haben sich das herausgesucht, was in Ihren Kohl paßte. Jetzt muß ich einmal ein paar wenige Sätze desselben Mannes dagegensetzen, damit hier nicht der Eindruck entsteht, daß Herr Kohl und Herr Kissinger sich einig seien gegen Herrn Carter und gegen Herrn Giscard und Herrn Callaghan, auch gegen die deutsche Bundesregierung.
Vor drei Monaten hat Herr Kissinger in Berlin gesagt - das ist veröffentlicht -:
Kein politischer Führer kann heute einen Konflikt riskieren, wenn er nicht seine Öffentlichkeit davon überzeugt hat, daß er alle Möglichkeiten des Friedens ausgeschöpft hat.
Zur Entspannungspolitik - im selben Zusammenhang -:
Wenn die Furcht - ({25})
- Natürlich kann man das unterschreiben. Nur, es wird von Herrn Kohl nicht zitiert. Wenn Sie schon 15 Zitate bringen, könnten Sie ja auch einmal eins bringen, Herr Kohl, das genau das zum Ausdruck bringt, was der Kern der Meinung derjenigen ist, die sich gefallen lassen müssen, von Ihnen zitiert zu werden, ohne sich wehren zu können.
({26})
Die Schlußfolgerung der Rede des Herrn Kissinger in Berlin war:
Wir sind zur Entspannung verpfliditet.
({27}),
- Hören Sie zu; Herr Kohl, das ist der Mann, den Sie dauernd zitieren. Bundeskanzler Schmidt Und doch
- jetzt kommt er Ihnen näher, und auch das unterschreibe ich so, wie er es sagt dürfen wir nicht zulassen, daß Entspannung mißbraucht wird für die moralische Abrüstung der Freien.
Ein guter Satz. Aber beides ist drin. Ihre ganze Polemik gegen die Entspannung hätten Sie nicht vortragen können, wenn Sie Herrn Kissinger immer vollständig zitiert. hätten.
({28})
Entspannung mußte dort beginnen, wo die Bedrohung der Menschheit am größten war. Sie mußte im Verhältnis der beiden Großmächte zueinander beginnen. Es ist ja nicht so, daß die Bundesrepublik Deutschland die Entspannungspolitik begonnen hätte. Wir haben ja nicht angefangen, über den Teststoppvertrag zu verhandeln, auch nicht über den Nonproliferationsvertrag, auch nicht über SALT. Der Entspannungsprozeß ist zwischen den beiden nuklearen Großmächten begonnen worden. Er mußte dort anfangen, weil dort die tödliche Gefahr für die ganze Menschheit am größten war.
({29})
Aber diese von den Großmächten begonnene Entspannung lag im vitalen Interesse vieler Völker, auch des deutschen Volkes. Und wir sind gerade noch rechtzeitig, nach einem Regierungswechsel in Bonn, in dieses Konzert, in diesen Prozeß eingestiegen.
({30})
Nun muß man sehen, daß sich dieser Prozeß, angefangen auf einem ganz kleinen Teilausschnitt -Atomtestverbot -, auf immer mehr Sachgebiete - zunächst der nuklearen Politik, dann auch auf weitere geographische Gebiete -, ausgedehnt hat. Jetzt kommt es darauf an, aufzupassen, daß dieser Prozeß nicht versandet, daß er nicht durch Mißverständnisse oder Krisen beendet wird, sondern im Gegenteil: Er muß nicht nur in Gang gehalten werden, es muß auch versucht werden, ihn auf andere Sachgebiete, auf andere Bereiche der Politik und auf andere geographische Bereiche auszuweiten. Er ist im Verhältnis der beiden Supermächte entstanden, hat sich zunächst im wesentlichen auf Europa ausgewirkt - siehe KSZE, siehe die deutschen Verträge, siehe Viermächteabkommen -, und er muß auf andere Teil der Welt ausgeweitet werden.
Man kann nicht glauben, daß Entspannung in Europa auf die Dauer unbeeinflußt bleibt von Spannungen, Krisen und Kriegen in anderen Teilen der Welt. Man kann nicht auf die Dauer zwar in Europa für Entspannung plädieren, aber zur Lösung der Probleme in anderen Teilen der Welt in erster Linie nur den Export politischer Ideologien oder den Export von Waffen anbieten..
({31})
Wir bieten eine Einstellung, eine innere Haltung der Sicherheitspartnerschaft an, die global, weltweit werden soll und in der alle Staaten der Welt zusammenarbeiten können.
In dem Zusammenhang habe ich eine Frage von Ihnen, Herr Kollege Kohl, nicht verstanden. Sie haben gestern gefragt: Wo war denn eigentlich der deutsche Beitrag, insbesondere in der Neujahrsansprache, zur Krise im Iran? Mir ist diese Frage sehr schwer verständlich, weil ich mir nicht habe vorstellen können, wie die Deutschen im Laufe dieser innenpolitischen Krisenkette im Iran durch Äußerungen hier oder durch Handlungen, ausgehend von hier gar zu Neujahr -, zu einer Lösung hätten beitragen sollen.
Herausgefordert durch Ihre Bemerkung, will ich aber eines an die Adresse derjenigen sagen, die im Iran mitreden. Es ist ja für uns nicht durchsichtig, wer eines Tages dort die staatliche und wirtschaftliche Organisation wieder funktionstüchtig machen wird. Aber wer auch immer es sein wird, er muß wissen, daß diese schwierige Übergangsphase nicht nur im Interesse der ölverbrauchenden Industriestaaten des Westens, sondern im eigenen Interesse des persischen Volkes politisch und wirtschaftlich schnell stabilisiert werden muß. Der Iran war bereits vor den jetzigen Umstürzen ein Einfuhrüberschußland, ein Defizitland geworden. Die enorme Ölausfuhr jenes Landes mit den großen Erträgen hat schon zu Schah Reza Pahlewis Zeiten nicht mehr ausgereicht, um den Importbedarf jenes Landes zu finanzieren. Gegenwärtig kann er überhaupt nicht finanziert werden; die Importe werden deshalb versiegen. Es ist ein Irrtum, zu meinen, es läge nur im Interesse der westlichen Industriestaaten, daß das 01 wieder fließt. Es liegt im dringenden wirtschaftlichen und sozialen Interesse der Perser selbst, daß sie ihre Wirtschaft so schnell wie möglich wieder funktionstüchtig machen.
({32})
Ich will in diesem Zusammenhang sagen: Der ungehinderte Fluß von Erdöl, sei es aus dem Iran, sei es sonstwo aus dem Golf, wird am besten dadurch gesichert, daß Spannungen in jener Region abgebaut werden, daß Stabilität in jener Region hergestellt wird. Deswegen möchte ich - ich nehme an, mit der Zustimmung des Hauses - von dieser Stelle meinen Wunsch um guten Ausgang wiederholen, den ich vor ein paar Tagen, ehe er abreiste, dem amerikanischen Präsidenten ausgesprochen habe, der mit großem persönlichem Engagement und außerordentlichem Mut eine Operation auf sich nimmt, die, wenn sie Erfolg hätte, für uns alle ein großer Erfolg wäre und die, wenn sie ein Mißerfolg würde, für uns alle ein großer Mißerfolg wäre.
({33})
Nötig ist in jener Region ein Gesamtmosaik von Lösungen. Das kann nicht nur durch bilaterale Abmachungen allein gemacht werden. Ich stimme den
Worten, die der Abgeordnete Kohl zu den arabischen Völkern gesagt hat, in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu, auch den Bemerkungen zu Israel, möchte insbesondere diese Bemerkungen noch in Richtung auf die konstruktive, weise Haltung Saudi-Arabiens unterstreichen. Mir schien in der Tat, daß hier gestern keinerlei Meinungsverschiedenheiten erkennbar waren.
Abgeordneter Wörner hat auf ein anderes Land in jener Region hingewiesen, nämlich auf die Gefahren, die für das Bündnis durch die gegenwärtige Situation der Türkei entstanden sind. Wir sind uns einig, wie Sie wissen, Herr Abgeordneter. Sie wissen auch, daß die Bundesregierung eine aktive Rolle bei den Bemühungen übernommen hat, obwohl wir weiß Gott nicht die Stärksten und die Größten auf dem Felde sind. Zu gegebener Zeit wird der deutsche Beitrag zu diesen gemeinsamen Bemühungen, der Türkei zu helfen, auch dieses Haus beschäftigen müssen. Das geht ja nicht ohne Geld, aber es geht nicht nur, nicht ausschließlich mit Geld. Ich habe aus Ihrem Hinweis geschlossen, daß wir dann a uf die Hilfe der Opposition rechnen können.
({34})
Nun kann das langsam wachsende Vertrauen in Entspannung natürlich insbesondere gegenwärtig erschüttert werden durch die Entwicklung in Südostasien. Wir haben mit Erleichterung die Bereitschaft der chinesischen und der vietnamesischen Seiten zur Kenntnis genommen, den Konflikt nun durch Verhandlung zu lösen. Die Deeskalation, die damit angefangen hat, die Herabstufung der Spannungen muß fortgesetzt werden. Mir scheint dafür sehr wichtig, daß die Sowjetunion dazu ihre bisherige, begrüßenswerte Zurückhaltung beibehält. Das völkerrechtliche Gebot der Unabhängigkeit, der Wahrung der territorialen Integrität, muß von allen Staaten überall befolgt werden.
({35})
- Ich stimme Ihnen zu und komme darauf zu sprechen, Herr Wörner.
Ich sehe den Kollegen Schröder dort sitzen. Er wird sich an eine Kontroverse zwischen uns beiden heute vor sieben Jahren, im Frühjahr 1972, erinnern. Damals wurde - ihm wahrscheinlich unerwünscht - von einigen aus dem Hause der Gedanke in seine Debattenführung hineingetragen, als ob wir Europäer gewinnen könnten, wenn dahinten in Asien Konflikte entstünden. Ich habe dem damals widersprochen; ich habe das jetzt noch einmal im Protokoll nachgelesen. Ich denke auch heute noch, daß aus krisenhaften Entwicklungen in Asien weder unser Bündnis noch unser Land irgendwelche Vorteile ziehen könnten.
({36})
Ich denke, daß niemand auf der ganzen Welt ein Interesse daran haben könnte, daß zwei Weltmächte im Kriege aufeinanderprallen, und seien es zwei kommunistische Weltmächte.
({37})
Aber um nun auf den Zwischenruf von Herrn Wörner zu kommen. Wenn man sich die Kette der jüngsten Ereignisse in Vietnam anschaut - das ist ja ein Krieg, der sich über 30 Jahre hinzieht, mit wechselnden Kriegsparteien -, wenn man dieses grauenhafte Pol-Pot-Regime anschaut, von dem man nicht weiß, ob es 1 Million oder 2 Millionen Menschen des eigenen Volkes umgebracht hat, wenn man den Einmarsch aus Vietnam in dieses Land sieht - sicherlich nicht aus humanitären Gründen, nur um jenes Regime zu beseitigen, sondern aus imperialistischen Gründen -, wenn man den Einmarsch nach Laos sieht - beinahe ein Stellvertreterkrieg, wo die beiden kommunistischen Hauptmächte zwei kommunistische Stellvertreter gegeneinander kämpfen lassen; ich wiederhole: beinahe ein Stellvertreterkrieg - und dann den Krieg zwischen China und Vietnam, den man verharmlosend eine „Strafaktion" genannt hat, dann legt das auch einige philosophische Schlußfolgerungen nahe, nicht nur politische.
Ich lese in einem vor vier Jahren erschienenen „Marxistisch-leninistischen Wörterbuch der Philosophie" unter dem Stichwort: „Frieden" - und das folgende ist sicher eine kennzeichnende und repräsentative Formulierung -, Frieden sei dem Kommunismus und sei dessen erster Phase, dem Sozialismus immanent - das heißt, Frieden wohne dem Kommunismus und dem Sozialismus inné -, er sei die. notwendige Folge des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmitteln. Etwas später heißt es dann: „Krieg ist demgegenüber eine gesetzmäßige Erscheinung der Klassengesellschaft."
({38})
Ich denke, daß die kriegerischen Entwicklungen in Südostasien, die ich eben auf den Zwischenruf von Herrn Wörner noch einmal Revue passieren ließ, diese Ideologie endgültig für die ganze Welt zum Einsturz gebracht haben.
({39})
Ich male mir aus, welch abgrundtiefe Enttäuschung in den Hirnen und in den Seelen
({40})
vieler junger begeisterter Marxisten und Kommunisten auf der ganzen Welt jetzt eintreten muß. Gott sei Dank, daß dieser Unsinn, diese Selbsttäuschung aus der Welt geschafft wird.
Die Invasion Vietnams, die Invasion von Kambodscha und Laos vorher, der Einmarsch zehn Jahre vorher in die Tschechoslowakei, alles dies führt, wie ich hoffe, zu einem endgültigen Verlust der Glaubwürdigkeit dieser marxistisch-leninistischen Friedensideologie. Es sind nunmehr Kriege zwischen kommunistischen Staaten an der Tagesordnung der Welt. Da gibt es kein Vertun mehr, kein Daran-vorbei-Sehen. Und wer diese Kriege dann, um sie nicht zugeben zu müssen, mit irreführenden Oblaten beklebt - das haben wir auch schon ein paarmal erlebt -,
({41})
der kann damit in Wirklichkeit doch die öffentliche Meinung der Welt nicht irreführen.
Umgekehrt: Die Kehrseite jener Ideologie, daß die angeblich kapitalistischen, die angeblich imperialistischen Staaten zwangsläufig Kriege gegeneinander führen müßten, ist ja auch nicht wahr. Im Gegenteil, diese angeblich imperialistischen Staaten sind tatsächlich miteinander verbündet. Sie arbeiten auf vielen Feldern zusammen. Sie verfolgen gleiche Grundwerte. Sie sind sogar weitgehend miteinander versöhnt, obwohl sie vor 40, vor 60, 70 Jahren in der Tat schwere Kriege miteinander geführt haben. Die Ideologie stimmt also auf beiden Seiten nicht. Ich habe das hier einfügen wollen, weil es mir zur weltpolitischen Betrachtung durch uns Deutsche dringend dazugehörig erscheint.
Ich hoffe daß der gegenwärtige Konflikt -in Südostasien - nun wende ich mich wieder an die Opposition - auch in anderer Hinsicht Illusionen ausräumt, auch bei einigen der Ihren einen Prozeß der Ernüchterung ausgelöst hat, die doch noch vor kurzem - mündlich wie schriftlich - der NATO, der wir angehören, eine strategische Kooperation mit Peking dringend angeraten haben. Auch das hat sich, wie ich hoffe, nun in Ihren Augen als ein wenig zu leichtfüßig herausgestellt.
({42})
Unsere Interessen, Herr Kollege Wörner, werden nicht am Mekong und auch nicht am Ussuri verteidigt, sondern die werden hier in Europa gesichert.
({43})
Herr Genscher hat in dem gestern mehrfach zitierten Aufsatz geschrieben, was unser aller Meinung ist: daß das Nordatlantische Bündnis die Grundlage unserer Sicherheit ist, daß wir nicht nur durch das gemeinsame Sicherheitsinteresse, sondern auch durch die gemeinsamen Wertvorstellungen, durch das gemeinsame Streben nach Verwirklichung der großen Ideen von Freiheit und Würde des Menschen zusammengehalten werden. Das ist es ja in der Tat, was ,dieses Bündnis zusammenhält. Das alles finden Sie in dieser Form, in der wir - Sie auch, wir gemeinsam - es meinen, nicht in Südostasien, auch nicht im Fernen Osten. Dies sind ganz andere Wertkomplexe. Herr Genscher hat - natürlich - ausgeführt, daß das ebenso für die Europäische Gemeinschaft gilt, von der ich hinzufügen möchte, daß sie inzwischen wohl schon als dine Schicksalsgemeinschaft aufgefaßt werden muß.
Die Zitate, die im übrigen der Abgeordnete Kohl aus dem Munde oder aus der, Feder des Kollegen Genscher vorgetragen hat ,sind ebenso wie diejenigen aus meinem Buch alle richtig und alle in Ordnung. Sie werden von mir alle unterschrieben und quergeschrieben, Herr Kohl.
({44})
- Nein, nein! Nur: Da Sie 'am Anfang und am
Ende so viel von Gemeinsamkeit geredet haben ich tue das ja nicht, weil ich es hasse, so zu tun, als ob; in Wirklichkeit ist ja so viel Gemeinsamkeit von Ihnen wirklich nicht gewollt -, wollte ich doch wenigstens feststellen, daß die Zitate, die Sie gebracht haben, nicht nur korrekt wiedergegeben worden sind, sondern auch dem Sinne nach offenbar
({45})
sowohl das treffen, was Sie meinen, als auch natürlich das aussagen, was !d'ef Urheber der Zitate gemeint hat. Da ist mehr Gemeinsamkeit drin, als der Ton Ihrer Rede erkennen ließ, Herr Kohl.
({46})
Herr Genscher hat - wie viele von uns und wie einige gestern auch in der Debatte - auf den möglichen Unterschied zwischen dem, was einer kann, und dem, was einer möglicherweise will oder später einmal wollen wird oder wollen könnte, hingewiesen.
({47})
Er hat in dem Zusammenhang gesagt: Militärische Überlegenheit erzeugt auf der Gegenseite ein Gefühl der Bedrohung; das wirkt destabilisierend. Deswegen kann die Ansammlung militärischer Macht selbst dann psychologisch-politische Wirkungen auslösen, wenn gar nicht beabsichtigt ist, sie als Mittel der Politik einzusetzen. - Alles Genscher.
Ich halte das alles für richtig und für wichtig, weil Bedrohungsempfinden zwar eine subjektive Größe, aber eine sehr wichtige, in der Politik sehr wichtige subjektive Größe ist. Ein Abbau des Bedrohungsempfindens ist nur dann möglich, wenn das Vertrauen in die Gegenseite wächst und wenn in die eigenen Sicherheitsüberlegungen - ich wiederhole das - eben auch die Sicherheitsbedürfnisse des anderen, des Gegenüber eingeschlossen werden. Hier liegen vor uns Europäern sicherlich noch weite Wege, bei manchen der Redner von gestern im Westen, aber auch bei manchen der Politikmacher im Osten.
Herr Genscher, der gestern nicht hier sein konnte, hat zu der Debatte im Vorwege auf zwei Maximen hingewiesen. Nämlich in diesem Hause sollte niemandem bestritten werden, das Beste für den Frieden zu wollen, auch wenn er Unbequemes sagt. Ich unterschreibe das.
({48})
-- Ich hoffe. - Und: Hier dürften keine Unsicherheiten über die Grundziele der Außenpolitik unseres Landes aufkommen. Ich hoffe, daß es beim Lesen und Analysieren der Debatten von gestern und heute vermieden wird, daß da falsche Eindrücke entstehen. Genscher sagt, es dürften weder über unseren Willen zur europäischen Einigung noch über unsere Entschlossenheit, im Bündnis unseren vollen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit zu leisten, noch über unsere Entschlossenheit, unsere Politik des
Gleichgewichts, der Entspannung und des Friedens weiterzuführen, falsche Eindrücke entstehen. Das ist auch meine Meinung. Das steht übrigens alles in Übereinstimmung mit den etwas zu ausführlich geratenen Antworten auf die beiden etwas zu ausführlich fragenden Großen Anfragen.
({49})
Was ich eben aus Genschers Feder vorgelesen habe, finden Sie übrigens genauso in dem von Ihnen gestern freundlicherweise vielfach zitierten Buch. Sie finden es auch schon zehn Jahre früher, 1959, und Sie finden es unverändert in den heutigen Grundlinien der Politik der Bundesregierung.
Nun darf man bei all diesem wachsenden Vertrauen, bei dem wachsenden Sicherheitsgefühl in Europa nicht übersehen,' daß wir hier hochgerüstet einander gegenüberstehen. Es kann nicht davon geredet werden, daß hier schon Rüstungsabbau stattgefunden hätte. Keineswegs! Die Fortschritte im Bereich der Rüstungsbegrenzung sind in Europa einstweilen noch sehr bescheiden. Vertrauen hat sich auf manchen Feldern gebildet. Verträge sind geschlossen worden. Aber von Rüstungsabbau kann überhaupt noch nicht die Rede sein.
Zum Beispiel nimmt der Warschauer Pakt nicht nur qualitative Verbeserungen und Modernisierungen vor - das wäre in aller Regel normal -, sondern insgesamt auch quantitative Verstärkungen. Ich will ein paar Beispiele nennen. Sie haben gestern über die Raketen SS 20 und die Backfire-Flugzeuge gesprochen. Man muß auch die Vermehrung der Kampfpanzer, der gepanzerten Gefechtsfahrzeuge insgesamt nennen.
({50})
- Ja, richtig. - Man muß die Steigerung der Lufttransportkapazitäten nennen, und man muß insbesondere den enormen Ausbau einer modernen Hochseekriegsflotte nennen.
({51})
Diese meine Aufzählung, die nicht vollständig ist, hat nicht den Zweck, Furcht vor der Sowjetunion zu vertiefen, aber doch den Zweck, jedermann zum Realismus zu bitten.
({52})
Auf unserer Seite ist die feste Überzeugung vorhanden, daß die amtierende Führung in Moskau eine verantwortungsvolle Politik betreibt und keinen Angriff in Europa zu führen beabsichtigt. Diese Überzeugung für mich zu gewinnen war nur möglich, weil durch viele Verhandlungen, durch zahlreiche persönliche Gespräche, durch Verträge während der letzten zehn Jahre sehr viel Berührung und auch sehr viel persönliches Vertrauen entstanden ist. Man darf dieses Vertrauen nicht dadurch gefährden, daß militärische Ungleichgewichte weiter ausgebaut werden. Militärische Überlegenheit kann von gewissen Stufen an politsch oder persönlich gewonnens Vertrauen stören oder gar zerstören.
({53})
Wir im Westen haben der Sowjetunion und ihren Verbündeten deutlich gemacht, daß wir im Nordatlantischen Bündnis mit unseren Verteidigungsanstrengungen nachziehen müssen, wann immer das notwendig wird, und daß wir uns nicht unter Druck setzen lassen werden, darauf zu verzichten
({54})
- man muß sich nicht bedrohen lassen; es gehören immer zwei dazu, Herr Mertes -, daß der militärische Auftrag der alliierten Streitkräfte im Falle eines Angriffs auf einen der verbündeten Staaten lautet: „to preserve or restore the integrity and security of the NATO-area", also auf deutsch: die Integrität und die Sicherheit des geographischen Bündnisgebietes zu. erhalten oder wiederherzustellen.
Nach Zielsetzung, nach Ausrüstung und Planung ist dies ein Defensivbündnis, das die Fähigkeit zu raumgreifender Landoperation nicht besitzt. Die hinter dieser Gesamtkonzeption stehende politische Selbstmäßigung, Selbstbeschränkung unserer Allianz ist nun in der Tat für unser Selbstverständnis notwendig, unser Selbstverständnis als Angehörige eines Defensivbündnisses - und daraus schöpfen wir die Kraft zum solidarischen Handeln innerhalb dieser Allianz.
Zugleich ist diese Selbstmäßigung eine dauernde Ermutigung für die Staaten des Warschauer Pakts, sich entsprechende Mäßigung aufzuerlegen.
Entspannungsbereitschaft, erstens, und die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich selbst zu verteidigen, wenn nötig, zweitens, das sind keine Alternativen oder einander über- oder untergeordnete Faktoren, Herr Abgeordneter Kohl, sondern das sind sich gegenseitig ergänzende und verstärkende politische Größen, die insgesamt, die zusammen Sicherheit ergeben.
({55})
Die Allianz; die in diesem Frühjahr 30 Jahre alt wird, hat für die verbündeten Völker in Europa, auch für andere Völker in Europa, entscheidend dazu beigetragen, den Frieden zu erhalten, und es ihnen ermöglicht, wirtschaftliche, soziale, auch politische Fortschritte zu erzielen.
Mit einer gewissen Befriedigung darf man heute sagen - und wir haben ein bißchen indirekt Hilfe dazu leisten können daß dieses Bündnis heute nur Demokratien umfaßt, nur demokratisch verfaßte Staaten. Das war nicht immer so. Dieser Wan- del ist nicht genügend ins Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit getreten.
Auch wir Deutschen verdanken dem Bündnis sehr viel. Wir verdanken insgesamt zu einem wesentlichen Teil dem Bündnis unsere stabile Nachkriegssituation.
Ich habe das alles betonen wollen, weil ich kleinmütige Unkenrufe über einen angeblich unzureiBundeskanzler Schmidt
chenden oder angeblich verfallenden Zustand dieses Verteidigungsbündnisses für genauso unangebracht halten darf und halten muß wie jene Unterstellungen, die Allianz sei ein Hort reaktionärer oder militaristischer Kräfte und was es dergleichen Unfug alles gibt.
Gelassenes, selbstverständliches, in die Zukunft extrapolierbares, vorhersehbares Zugehörigkeitsbewußtsein zu diesem gemeinsamen Defensivbündnis, das durch gemeinsame Wertvorstellungen gekennzeichnet ist, das von lauter demokratischen Staaten getragen wird, das ist es, was ich statt dessen eigentlich lieber wünschen würde,
({56}) egal auf welcher der Bänke man hier sitzt.
Das Bündnis hat an den bilateralen, an den multilateralen Entspannungsprozessen und Rüstungskontrollverhandlungen bei innerer enger und wirksamer Abstimmung mitgewirkt. Es hat auf der anderen Seite bewiesen, daß es willens und bereit ist, auch auf verteidigungspolitische Herausforderungen gelassen zu reagieren, überlegt, mit Augenmaß, mit der nötigen Entschlossenheit, gemeinsam zu handeln.
Wir sind mit unseren Streitkräften voll in dieses Bündnis integriert. Wir werden uns aber auch innerhalb dieses Bündnisses, in das wir uns mit dem Willen aller Beteiligten hier in diesem Haus voll integriert haben, nicht - ich wiederhole meine Worte - in eine einzigartige, von den übrigen Bündnismitgliedern verschiedenartige Rolle drängen lassen.
({57})
Das sage ich für diesen Staat, das sage ich für unsere Streitkräfte und für unser Territorium.
({58})
Es gibt innerhalb des Bündnisses verschiedene Rollen. Die nukleare Weltmacht USA spielt im Bündnis durchaus eine singuläre Rolle - und das soll sie auch; das tut sie nicht nur mit unserer Zustimmung, sondern wir möchten, daß es so bleibt. Die nicht der NATO, wohl aber dem Bündnis zugehörige nukleare Macht Frankreich spielt innerhalb dieses Bündnisses auf eine ganz andere Art ebenfalls eine einzigartige Rolle. Auch die nukleare Macht England, sowohl dem Bündnis als auch der NATO angehörig, spielt - auf eine wieder andere Art - eine besondere Rolle, nämlich als einziges europäisches Gastgeberland für amerikanische nuklearstrategische Waffen - Mittelstreckenwaffen in diesem Fall; Flugzeuge -.
Alle diese Besonderheiten und singulären, einzigartigen Rollen möchten wir für die Bundesrepublik vermeiden. Wir sind Gastgeberland, was die Zahl der Soldaten, die' Zahl der Waffen, auch der nuklearen Waffen, angeht, sogar größtes Gastgeberland in der Allianz, vor allem für amerikanische Truppen, für britische, kanadische, holländische, belgische, französische, zeitweilig auch dänische und luxemburgische Truppen und für Nuklearwaffen kurzer taktischer Reichweite - nicht, jedenfalls bisher nicht, strategischer Reichweite -. Wir
möchten diese Anhäufung von nicht zu leugnenden
Besonderheiten nicht noch kategorisch vergrößern.
(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Was
heißt das?
- Ich komme darauf zurück.
Ich möchte zunächst hier ein Wort zu den Vereinigten Staaten und zur Rolle dieses unseres wichtigsten Verbündeten einfügen. Unsere bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika sind eine Seite der Sache. Unsere Gemeinsamkeiten innerhalb dieses Bündnisses und die Zusammenarbeit als Partner des großen Bündnisses sind eine andere Sache. Eine dritte Sache ist die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft, der wir angehören und den Vereinigten Staaten. Alle drei Sachen ergänzen sich gegenseitig.
Vielleicht darf man an dieser Stelle sagen, daß es eine der ganz großen Taten der amerikanischen Außenpolitik nach dem Krieg war, daß sie von Anfang an bis auf ;den heutigen Tag ein vereinigtes, ein starkes Europa gefordert und gefördert und sich nicht auf die für sie viel bequemere Lösung einer Vielzahl kleinerer Partner festgelegt hat. Das muß man in diesem Zusammenhang einmal sagen.
({59})
Nun haben die Bindungen und die Verbindungen zwischen unis Deutschen und den Amerikanern wirklich zu enger Partnerschaft und zu vertrauensvoller Freundschaft geführt, auch wenn man sich gelegentlich streiten muß; das letztere geschieht auf 'dem Feld der Ölpreise oder auf dem Feld der zivilen Nutzung nuklearer Energie, und es kann auch einmal innerhalb des Bündnisses auf militärischem Feld der Fall sein. Gerade weil man miteinander so gut auskommt, kann man sich gegenseitig offen seine Interessenverschiedenheiten sagen und dann zum Ausgleich kommen. Die Beziehungen werden von beiden Seiten mit großer Sorgfalt gepflegt. Jedes Jahr und jeden Monat, zum Beispiel seit Guadeloupe, ist der intensive und vertrauensvolle Meinungsaustausch fortgeführt worden, auch persönlich, auch durch die Ressortminister - Herr Apel war jüngst längere Zeit zu vielen Gesprächen drüben, ebenso Graf Lambsdorff -.
Es gibt für die sozialliberale Koalition und für die Bundesregierung keinen Zweifel an der Bedeutung unserer Beziehungen zu ,den Vereinigten Staaten. Wir vertrauen - ich wiederhole in anderer Form Worte, die, wenn ich ihn richtig verstanden habe, Herr Kohl in diesem Sinn gesagt hat - auf die Schutzfunktion und 'die Führungsrolle der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir vertrauen darauf.
({60})
Präsident Carter hat die Bereitschaft des amerikanischen Volkes, dieses Vertrauen zu erwidern, vor wenigen Tagen sehr eindrucksvoll in einer Rede in Atlanta unterstrichen. Da heißt es:
Die Entschlossenheit und die Willensstärke des amerikanischen Volkes sind wesentlich für die Stabilität in einer turbulenten-Welt. Wenn wir zusammenhalten, um einen steten Kurs zu steuern, dann kann Amerika seine Prinzipien, seine Interessen wahren und eine Kraft des Friedens sein. Die Herausforderung einer solchen Führungsrolle haben die Amerikaner immer angenommen und ich bin sicher, daß wir es auch diesmal tun werden.
Soweit Jimmy Carter vor wenigen Tagen. Deutsche und Amerikaner wissen, daß sie einander vertrauen können. Deshalb geht der Vorwurf, wir überforderten die Führungsrolle der USA, in die Irre, Herr Abgeordneter Wörner.
({61})
Genauso geht der Vorwurf, der ganz woanders und ganz sicher nicht von einem Ihrer Kollegen erhoben worden ist, in die Irre,
({62})
die Bundesregierung stehe - so wörtlich - wegen der Dislozierung von Mittelstreckenwaffen unter dem Druck des Pentagon.
({63})
- Ja. Das sind alles zum Teil untaugliche Versuche, zum Teil unbeabsichtigte Beeinträchtigungen, die das Verhältnis zwischen Bonn und Washington zu stören geeignet sind und die, wie Sie gehört haben, der amerikanische Präsident und, wie Sie von mir hören, auch die deutsche Bundesregierung eindeutig und klar zurückweisen müssen.
Die Führungsrolle der Vereinigten Staaten ist auch im Wirtschafts- und Währungsbereich und im handelspolitischen Bereich erwünscht. Die USA haben sich an die Verpflichtungen gehalten, die sie hier auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel übernommen haben. Ich möchte ausdrücklich die Anstrengungen unterstreichen und begrüßen, die der Präsident und seine Regierung unternommen haben, um den Binnenwert und den Außenwert des amerikanischen Dollars zu stabilisieren. Die Weltwirtschaft braucht einen starken amerikanischen Dollar, und deswegen haben Bundesregierung und Bundesbank die 'amerikanische Wirtschafts- und Währungspolitik tatkräftig unterstützt. Deshalb bemühen wir uns im Rahmen der GATT-Verhandlungen ùm die Aufrechterhaltung, um die Stärkung des freien Welthandels gemeinsam mit ihnen. Ich will in diesem Zusammenhang nach dem Bericht, den wir von Graf Lambsdorff bekommen haben, ausdrücklich die positive Rolle eines einzelnen Amerikaners, nämlich des dortigen Sonderbotschafters Strauss, herausheben. Dies alles gehört auch zur Strategie. Die Verengung des Blicks auf das Militärische beeinträchtigt die Urteilskraft. Das wirtschaftliche Gleichgewicht ist für diese Welt dringend notwendig, wenn insgesamt Frieden gewahrt werden soll.
({64})
Dies gilt ebenso für Nord und Süd und nicht nur für West und Ost.
({65})
Herr Kohl hat mich nach meiner Bewertung der Rede des Herrn Breschnew vom 2. März gefragt. Mir scheinen einige Punkte daraus bedeutsam zu sein. Zum ersten ist bedeutsam, daß Herr Breschnew öffentlich die Entschlossenheit der Sowjetunion bekräftigt, die Verhandlungen über SALT II erfolg- reich abzuschließen. Ich verstehe es so, daß er durch diese Rede Zeitdruck hinter die Sache gesetzt hat.
Zweitens halte ich für bedeutsam, daß der Generalsekretär erneut - diesmal öffentlich - die Bereitschaft gegenüber jedermann erklärt hat, über die Begrenzung der nuklearen Mittelstreckensysteme zu verhandeln, und damit Ausführungen bestätigt hat, die seinerzeit hier in Bonn gemacht worden waren.
Drittens. Daß die Behauptung, das amerikanische Verteidigungsministerium übe Druck auf die Bundesregierung aus, unzutreffend ist, habe ich eben schon erwähnt. Ich sage es hier an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber noch einmal. Eine solche Behauptung verkennt die gemeinsame und solidarische Willensbildung in unserer Allianz.
Viertens. Der Generalsekretär hat in seiner Rede vorgeschlagen, einen Nichtangriffspakt zwischen den Helsinki-Teilnehmern - das sind alle Europäerabzuschließen. Er hat damit das bisherige unzureichende Angebot ausgeweitet, nämlich einen Vertrag zu schließen, der beinhaltet, gegenseitig auf den Ersteinsatz atomarer Waffen zu verzichten. Das war unzureichend. Weswegen? Weil man sich bei der konventionellen Überlegenheit der Streitkräfte des Warschauer Pakts für den Fall, daß es wirklich zu einem Krieg käme - gedanklich muß man das alles ja durchspielen -, natürlich auf einen solchen Verzicht nicht einlassen kann angesichts der konventionellen Überlegenheit der Streitkräfte des Warschauer Paktes.
Nun sagen einige in den westlichen Kommentaren: Was sollen wir mit einem neuen Gewaltverzichtsangebot der Sowjetunion? Wir haben doch schon einen Gewaltverzichtsvertrag. - Allerdings. Sie übersehen aber, daß dieses Angebot nicht nur an die Deutschen, sondern an alle Teilnehmer der Helsinki-Konferenz, also an über 30 Staaten, gemacht worden ist.
({66})
Ich bin dafür, daß alle Adressaten dieses Vorschlages -
({67})
- Richtig! Ich sage ja: alle europäischen Staaten, nicht nur die im Westen. Ich habe gehofft, Herr Dr. Marx, daß wir in der Notwendigkeit übereinstimmen, daß dieser Vorschlag nun allerdings etwas länger und etwas 'sorgfältiger von allen Adressaten geprüft werden muß, ehe ebenso schnell eine Antwort gegeben wird wie auf den vorigen Vorschlag der
Sowjetunion, der nach meiner Meinung zwar voreilig, aber in der Sache richtigerweise durch den NATO-Rat als so nicht akzeptabel bezeichnet worden ist.
({68})
- Die Schlußakte ist ja noch kein völkerrechtlich bindendes Vertragswerk, Herr Mertes. Ich bin ja hier auch nicht dazu da, die Sowjetunion in allen Punkten zu vertreten, auch nicht die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, meine Damen und Herren.
({69})
Der fünfte Punkt in der Rede von Herrn Breschnew ist die darin ausgedrückte Bereitschaft, Maßnahmen zur Festigung des gegenseitigen Vertrauens auszubauen und zu erweitern. Das ist ein Bereich, dem die Bundesregierung im Rahmen der MBFRVerhandlungen besondere Bedeutung beimißt. Ich will noch ein Wort dazu sagen. Aber vielleicht sollte man zunächst auf die SALT-Bemerkungen zurückkommen, weil SALT II sicher der Hauptanlaß der Rede Breschnews war, die ein außergewöhnlicher Schritt war und die sicherlich nicht wegen des Wahlkampfes in seinem Wahlkreis gehalten worden ist. Mir hat es leid getan, Herr Kollege Kohl, daß Sie als Oppositionsführer gestern in der Redezeit beschränkt waren. Ich bitte um Verständnis, daß ich ein bißchen ausführlich zu einigen Punkten spreche; aber Sie sehen ja, daß ich mich bemühe, keinen Streit zu entfachen. Ich habe es nach dieser Debatte nötig, in bezug auf die Adressaten in anderen Hauptstädten hier einiges zu sagen. Ich bitte, mir das zu gestatten.
({70})
Deswegen gebe ich mir ja Mühe, nicht zu polemisieren.
({71})
Wir haben es auch nötig, in bezug auf die Adressaten in unserem eigenen Lande von Amts wegen einiges hier klarzustellen.
({72})
Der Abschluß bei SALT II ist nur als Kompromiß machbar, d. h. nur machbar, wenn alle Beteiligten etwas in Kauf nehmen, was nicht ganz ihren eigenen Interessen entspricht. Deshalb ist es bei der Kritik, die hier gestern an dem Protokoll zu SALT II insbesondere von Ihrem Kollegen Wörner geübt worden ist, notwendig, daß wir unterscheiden zwischen kritischen Bemerkungen zu einzelnen Aspekten dieses Vertragspakets und der Bedeutung des ganzen Vertragswerkes.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Wörner.
Schmidt, Bundeskanzler; Eine Sekunde! Ich werde sofort Herrn Wörner das Wort zukommen lassen. Ich möchte den Gedanken gerne ausführen dürfen. Wenn Herr Wörner noch einen Augenblick warten möchte!
Es ist notwendig, zu unterscheiden zwischen Kritik im einzelnen und der großen weltpolitischen Bedeutung des Vertragswerkes im Ganzen. Ich denke, SALT II muß zum Erfolg kommen, weil sonst für die ganze Welt eine schwerstwiegende Vertrauenskrise
die Folge sein könnte.
({0})
Deshalb haben sich die Regierungschefs Frankreichs, Englands und Deutschlands öffentlich für einen baldigen Abschluß und eine baldige beiderseitige Ratifikation ausgesprochen. In seiner Rede am 2. März hat Breschnew von einer Begegnung mit Carter aus diesem Anlaß gesprochen. Ich weiß von Carter, daß auch er Sorge um einen baldigen Abschluß und eine schnelle Ratifikation' hat. Ich weiß aus den deutsch-französischen Konsultationen der vorvergangenen Woche, aus einem Telefongespräch mit Callaghan vor ein paar Tagen, aus einem Telefongespräch mit Carter diese Woche, daß auch sie alle unverändert - genau wie wir - an dieser Position festhalten. Ich möchte Sie - und damit gebe ich Ihnen dann das Wort, Herr Wörner ({1})
bitten, daß wir uns nicht in negative Argumente liefernder Weise hier in diesem Hause in eine Ratifikationsdebatte einmischen, die im amerikanischen Senat geführt werden muß und dort eine Zweidrittelmehrheit verlangt.
({2})
Bitte, Herr Abgeordneter Wörner.
Herr Bundeskanzler, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich in meinem Beitrag gestern abend genau davor gewarnt habe, sich für oder gegen diese SALT-Vereinbarung auszusprechen und sich damit in die Ratifikationsdebatte einzumischen, und daß ich kritisiert habe, daß gerade Sie das ja tun und es eben wiederholt haben, und sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es Ihre Rolle gewesen wäre, das, was ich gestern an europäischen Forderungen an die Vereinigten Staaten vorgetragen habe, ebenfalls zu verlautbaren, da Sie genauso wie ich wissen, daß das Punkte sind, die jeder Europäer, insbesondere jeder Deutsche, vertreten müßte?
Das waren zwei verschiedene Punkte in einer Frage; lassen Sie mich zunächst auf den ersten kommen. Natürlich habe ich zur Kenntnis genommen, was Sie gestern gesagt haben, aber ich bleibe anderer Meinung. Ich bin nicht der Meinung, Herr Wörner, daß sich die Verbündeten der Vereinigten Staaten von Amerika, die, was die Sicherheit angeht, mit den Vereinigten
Staaten von Amerika auf Gedeih und Verderb verbündet sind, neutral zurückzuhalten haben,
({0})
wenn ein Vertrag über nukleare strategische Waffen über Leben und Tod auf dem Spiel steht. Es ist unsere Sache, unserem Verbündeten zu helfen, diese Sache in Ordnung und Anstand in die Gesetzesbücher der Welt zu bringen.
({1})
- Ich weiche gar nicht aus; ich komme auf alle Ihre Punkte. Zwei Sachen lasse ich mir nicht gerne vorwerfen, und die wollen Sie mir sicher auch nicht vorwerfen: Faulheit und Feigheit. Da bin ich empfindlich. Alles andere können Sie meinetwegen sagen. Daß ich manchmal ein bißchen zu frei formuliere, Herr Wörner, will ich Ihnen gerne zugestehen, aber daß ich ihnen auswiche, das haben Sie noch nicht erlebt, und das werden Sie auch heute morgen nicht erleben. Das ist doch lächerlich!
({2})
Ich komme auf Ihre Punkte.
Ich habe eben, ehe Sie sich zu Wort meldeten, sorgfältig formulierend gesagt, daß man kritische Aspekte bezüglich . einzelner Teile dieses Vertragspakets - oder, da es ja noch nicht ganz fertig ist, dieses Verhandlungspakets, zu dem ich vorweg gesagt hatte, daß da nicht alles so ist, daß jeder damit glücklich sein kann, denn Verträge sind Kompromisse - von der Notwendigkeit unterscheiden muß, daß das Gesamtpaket zustandekommt. Diesen Unterschied wollen Sie nicht machen, und da bleibe ich anderer Meinung als Sie.
Ich meine im Ernst, daß es im französischen Sicherheitsinteresse, im englischen Sicherheitsinteresse, im luxemburgischen, im holländischen, im polnischen, im ungarischen Sicherheitsinteresse - wen immer Sie nehmen wollen -, daß es im deutschen Sicherheitsinteresse, daß es auch im russischen und im amerikanischen Sicherheitsinteresse liegt, daß dieser Vertrag zustande kommt. Und da er von unserem Bündnispartner Amerika so ausgehandelt worden ist, müssen Sie sich wirklich überlegen, ob Sie das deutsche Parlament zur Bühne einer Auseinandersetzung machen wollen, in der Sie sich neutral halten.
({3})
gegenüber einer strategischen Grundlinie westlicher Entspannungspolitik.
({4})
Ich hatte Ihnen zugesagt, auf ein anderes Thema zurückzukommen, auf das Mittelstrecken-Thema.
({5})
- Lieber Herr Wörner, zu den übrigen Punkten,
die Sie genannt haben: Da ich sie nicht kritisiere,
sollten Sie eigentlich zufrieden sein. Sie müßten
sich allerdings auch vorstellen können, daß es für eine verbündete Regierung unmöglich ist, manches von dem öffentlich zu sagen, was in den Beratungsgremien des Bündnisses tatsächlich gesagt wird Das sollten Sie sich vorstellen können. Es ist nicht alles so, wie Sie es formuliert haben, manches aber in der Substanz doch.
Ich möchte auf den anderen Punkt zurückkommen, den ich Ihnen zugesagt hatte, auf die Mittel. streckenraketen. Herr Kohl hat gestern so getan als wäre das ein neues Problem. Herr Kohl, Sie haben gesagt, die Zeit drängt.
({6})
- „Natürlich drängt die Zeit", sagt er jetzt. Wollen wir uns darüber einmal einen Augenblick unterhalten!
({7})
- Lieber Herr Kohl, ich bin ja für Zwischenrufe
Wenn sie prägnant sind, gibt es auch prägnante
Antworten. Dieser Zwischenruf ist ganz schwer zu
beantworten, denn er war nur der Ausdruck Ihres
Zorns darüber, daß Sie im Begriff sind, bei einem
Fehler ertappt zu werden.
({8})
Sie haben gesagt, die Zeit drängt, und eben haben Sie das wiederholt. Ich will Ihnen einmal sagen, daß dieses Problem nicht erst seit gestern aua dem Tisch liegt, nicht erst, seit Sie oder die SPD und die FDP die Großen Anfragen eingebracht haben. Wenn Sie das Buch, aus dem Sie gestern so viele Male zitiert haben, selbst läsen, würden Sie feststellen, daß das Problem von mir im Jahre 1969 als zukünftig zwangsläufig auf uns zukommend beschrieben worden ist.
({9})
Wir alle, die wir von der Sache etwas wissen, kennen dieses Problem seit mehr als zehn Jahren. Das ist nicht gestern entstanden.
({10})
Da kommt einer daher aus Rheinland-Pfalz und sagt: „Hier ist ein dickes Problem, und Ihr habt die Schuld, und jetzt muß es gelöst werden!" Lieber Herr Kohl, das hat mit - ({11})
- Wie bitte?
({12})
- Ich werde ja wohl nach Ihren Zwischenrufen ebenfalls ein bißchen mein Temperament walten lassen dürfen.
({13})
- Lieber Herr Kohl, ich korrigiere mich und sage statt dessen: was Sie da bieten, auf diesem einen Punkte, das ist nicht weltstrategische Debatte, das ist Provinzialismus, egal wo er herkommt.
({14})
Im Jahre 1963 sind die letzten amerikanischen - ({15})
- Lieber Herr Kohl, Sie können hier anschließend reden.
({16})
- Dann tun Sie das bitte.
({17})
Im Jahre 1963 sind die letzten amerikanischen Mittelstreckenraketen hier in Europa abgebaut worden. - Hören Sie doch mal einen Augenblick zu, Sie müssen doch nachher darauf antworten!
({18})
Das war 1963. Bis dahin waren amerkanische Mittelstreckenraketen in Europa. Dann sind sie abgebaut worden. Gestern war davon die Rede. Sie konnten infolgedessen in der Zwischenzeit auch nicht modernisiert werden, sondern sie sind abgebaut worden. Seitdem war das Problem erkennbar, das eines Tages entstehen würde. Die sowjetischen Raketen sind nicht abgebaut worden. Sie konnten infolgedessen auch modernisiert werden. Sie werden jetzt in tiefgreifender Weise modernisiert. Dadurch ist das Problem zunächst entstanden.
Dann spielt ein Teilaspekt des SALT-II-Pakets, den Herr Wörner andeutungsweise kritisiert hat, hier hinein, weil das Gleichgewicht einer anderen, höheren Ebene festgeschrieben wird. Diese nicht so hohe Ebene wird in einer Weise berührt, die die seit 1963 erkennbaren Besorgnisse nicht vermindert; so drücke ich mich mal vorsichtigerweise aus. Dann hat es in den ersten 60er Jahren einen Versuch gegeben mit der sogenannten Multilateral Force.
({19})
- Ja, ich weiß nicht, wie das auf deutsch heißt.
({20})
Es wurde versucht, eine von mehreren NATO-Staaten zusammengesetzte U-Boot-Flotte mit Mittelstrekkenraketen zu errichten; ursprünglich eine amerikanische Idee. Die damalige deutsche Bundesregierung hat lange gezögert, darauf einzugehen. Schließlich und endlich hat sich die deutsche Bundesregierung damals öffentlich darauf eingelassen, nur um zu erleben, daß ganz kurze Zeit darauf die Amerikaner die Idee fallenließen, und dann zu erleben, daß die deutsche Bundesregierung die einzige in ganz Europa war, die das Projekt gewollt hat, um auf das schwerste angeklagt zu werden vom damaligen französischen Präsidenten de Gaulle - de Gaulle hat sich da vergriffen, hat übertrieben - wegen der von ihm darin erblickten Bestrebung der Deutschen, Zugang zu nuklearen Waffen zu bekommen. Das alles ist ja erst anderthalb Jahrzehnte her.
Deswegen würde ich sehr bitten, nicht zu sagen, die Zeit dränge. Das Problem ist anderthalb Jahrzehnte alt. Man hat auf diesem Feld schon Erfahrungen gemacht. Man drängt sich nicht als erster auf der Weltbühne. Andere haben sich überhaupt noch nicht dazu gedrängt, Herr Kohl.
({21})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?
Herr Bundeskanzler, jetzt verstehe ich Sie nicht mehr. Ich darf Sie also fragen, warum Sie in der Aktuellen Stunde den Ausführungen Georg Lebers in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ausdrücklich zugestimmt haben, in denen ein leidenschaftlicher Appell enthalten ist, jetzt zu handeln und nicht zuzuwarten, und warum Sie hier Herrn Kissinger zitieren, der in seinem Interview, das Sie vorher ebenfalls zitiert haben, ausdrücklich gesagt hat: „Der Westen hat keine Zeit mehr, er muß jetzt entscheiden, sonst ist es zu spät"?
({0})
Ich habe mir nicht zur Gänze zu eigen gemacht und kann mir nicht alles zu eigen machen, was in dem drei Spalten langen Aufsatz von Herrn Leber stand. Das habe ich auch damals nicht getan.
({0})
Da Sie noch einmal Kissinger ins Spiel bringen: Ich bitte, sich zu überzeugen - Sie haben es vor sich liegen -, daß Herr Kissinger in diesem langen Interview an einer einzigen Stelle nach dem Problem der Mittelstreckenwaffen gefragt wird und daß er dort folgendes antwortet - ich muß aus dem Gedächtnis zitieren; aber Sie haben das Original vor sich liegen -: Keineswegs ist es notwendigerweise so, daß man auf Mittelstreckenwaffen mit Mittelstreckenwaffen antworten muß.
({1})
- Nein, so, wie ich es sage. Herr Damm, der hinter Ihnen sitzt, bestätigt es. - Da gibt es auch noch anderes, sagt Herr Kissinger. Das führt er dann aber nicht aus. Ich finde es ganz klug, daß er es nicht ausführt, und ich will es hier auch nicht ausführen: Man kann nicht alles, was man untereinander bedenkt und berät, auf den offenen Markt tragen.
Kissinger redet zu diesem Thema ganze drei Zeilen. Sie haben gestern mehrere Stunden darüber geredet.
({2})
- Ich gebe es ja zu. Ich habe um Verständnis dafür gebeten, daß ich so lange spreche. Sie werden nicht bezweifeln, daß das nach der Verfassung nun einmal so eingerichtet ist. Wenn Sie Regierung und Sie, Herr Kollege, Bundeskanzler sein werden, können Sie auch so lange reden.
({3})
Ich bitte eines deutlich zu sehen: daß sich diese sowjetischen Mittelstreckenwaffen - das hat Herr Wehner neulich in der öffentlichen Debatte sichtbar gemacht - nicht alle auf ein einziges Land richten, sondern es sind kontinentalstrategische Waffen, die den ganzen fernöstlichen Raum, den mittelasiatischen Raum, das mittlere Südostasien, wesentliche Teile Afrikas, des Mittelmeers, Europas - und das schließt die Bundesrepublik ein - abdecken.
({4})
- Gut. Wenn das von Ihnen so gesehen wird, Herr Mertes, wollen wir auch nicht so tun, als ob das eine Bedrohung ist, die sich ausschließlich auf einen Punkt in Europa richtet und von diesem einen Punkt aus ins Gleichgewicht gebracht werden müßte.
({5})
- Sehr gut. Es ist ja wohl nicht erwünscht, Herr Mertes, daß man nur über das redet, worüber man verschiedener Meinung ist. Wenn ich den Appell Ihres Fraktionsvorsitzenden an die Gemeinsamkeit richtig verstanden habe, soll man ja nicht nur über das reden, worüber man verschiedener Meinung ist.
({6})
Man muß in dem Zusammenhang auch sehen, daß, wenn in diesen Waffen eine Bedrohung liegt, sie sich gegen das gesamte europäische Gebiet der Allianz richtet, daß die Allianz eine politisch-strategische Einheit ist, eine Risikogemeinschaft, in der jedes Mitglied bei Nutzung der eigenen Vorteile bereit sein muß, die Risiken der ganzen Verteidigung solidarisch mitzutragen. Die Bundesregierung darf daher nicht - und sie wird auch nicht - allein Erklärungen zu Fragen abgeben, die das Bündnis als Ganzes betreffen. Es sind hier gemeinsame Entscheidungen im Bündnis notwendig, die unter Wahrung der Interessen aller Betroffenen herbeigeführt werden müssen.
Notabene: Wenn Herr Kohl und vor ihm Herr Weinstein behaupten, das sei nun alles eilig und dringlich, muß ich Ihnen sagen, daß der ganze Komplex im Rat der Nordatlantischen Allianz bisher ein einziges Mal kursorisch zur Beratung gestanden hat, und zwar mit einem Vortrag über vielerlei Möglichkeiten, die es nebeneinander gibt, oder, wie man es amerikanisch ausdrückt: über Optionen; ein einziges Mal.
Darüber hinaus ist die militärische Seite dabei, ihre Analysen voranzutreiben. Vielleicht darf ich für die Fachleute einmal den Ausdruck „High-levelgroup" hier benutzen, damit sie verstehen, was ich meine.
Daß das gleichzeitig auch einen sehr starken rüstungskontrollpolitischen, abrüstungspolitischen Aspekt hat, ist allen Beteiligten deutlich. Deswegen haben wir Deutschen darum gebeten, daß neben diese militärische Gruppe, die das Militärische untersucht, nun auch eine Gruppe von Diplomaten, von politischen Menschen tritt, die den abrüstungspolitischen Aspekt der Sache untersuchen. Das fängt gerade erst an; es hat noch nicht eine einzige Sitzung dieses Gremiums stattgefunden. Wenn die beide zu Ende sind, dann fängt erst die Beratung im Nordatlantischen Rat an.
Das alles zu der Behauptung, die Zeit dränge, wir müßten jetzt Entscheidungen treffen. Wenn Sie zum holländischen Ministerpräsidenten oder zum englischen oder zum dänischen oder italienischen gehen - zu Ihrem Freunde Andreotti - und sagen, wir müssen doch eine Entscheidung treffen, die Zeit drängt, dann werden sie Ihnen das gleiche antworten: daß das noch gar nicht auf der Tagesordnung steht, Herr Kollege Kohl. Es bedarf euch sorgfältigerer Abstimmung, als wir sie bisher zustande gebracht haben.
({7})
Wir wollen keine eigenen Angebote abgeben. Wir wollen keinen nationalen Alleingang. Wir haben nicht die Absicht, eine nukleare Macht zu werden. Wir wollen auch nicht den Anschein zulassen, als ob wir das wollten.
({8})
Wir haben nicht die Absicht, auf Feldern Initiativen zu ergreifen, die in der Verantwortung der Nuklearstaaten liegen. Wir werden auf der anderen Seite weiterhin darauf dringen, daß bestehende Ungleichgewichte innerhalb des Bündnisses in den Entscheidungsprozeß und in die Verhandlungen zwischen West und Ost einbezogen werden, damit sie abgebaut werden können.
Ich wiederhole: Niemand in der Welt bezweifelt, daß dieser Staat seine aus dem Bündnis resultierenden Verpflichtungen bisher einwandfrei erfüllt hat. Es liegt überhaupt kein Grund vor, zu bezweifeln, wir würden das in Zukunft nicht tun. Es liegt auch kein Grund vor, daß die Opposition den Eindruck erweckt, als ob sie daran zweifele. Niemand sollte Zweifel säen. Wir werden uns im übrigen von niemandem weder im Westen noch von den Nachbarn und Vertragspartner im Osten noch von KräfBundeskanzler Schmidt
ten im eigenen Lande -- in eine Lage im Bündnis hineindrängen oder treiben lassen, die uns von der Lage unserer Partner unterscheidet. Das bezieht sich auf unseren eigenen Verteidigungsbeitrag, unseren eigenen Beitrag zur Entspannung, unseren eigenen Beitrag zur Rüstungsbegrenzungspolitik, vor allen Dingen zu MBFR.
Zum letzteren Thema haben die Herren Dr. Apel und Graf Lambsdorff - nach Beratung mit Herrn Genscher und mit mir - vieles Richtige gesagt. Ich beziehe mich darauf. Aus Gründen der Zeitökonomie will ich meinerseits dazu nicht noch einmal Ausführungen machen.
Eine Bemerkung muß ich jedoch zu den französischen Vorschlägen machen, die parallel zu MBFR gemacht worden sind. Es ist ja eine der zahlreichen Schwierigkeiten bei den Wiener MBFR-Verhandlungen, daß Frankreich nicht teilnimmt, obwohl französische Truppen auf dem Boden des Reduktionsraumes stehen. Wir verstehen die Gründe für das französische Verhalten. Wir teilen nicht die dahinterstehenden französischen Bedenken gegen MBFR.
({9})
Und nun wird es kompliziert: Wir begrüßen gleichwohl die französischen Abrüstungsvorschläge von Anfang des vorigen Jahres, deren Bedeutung erstens darin liegt, daß Frankreich damit seine langjährige Zurückhaltung gegenüber den Abrüstungsbemühungen auf der ganzen Welt aufgegeben hat und sich wieder beteiligt
({10})
- ich freue mich, daß Sie zustimmen -, zweitens darin liegt, daß sich Frankreich auf diese Weise bei voller Wahrung seiner vorhin besprochenen besonderen Rolle im Bündniss doch selber in die Entwicklung des übergreifenden strategischen Denkens des Westens einbezieht - zwangsläufig einbeziehen muß bei Verfolgung seines Vorschlags und drittens darin liegt, daß Frankreich mit seinen Vorschlägen die Notwendigkeit klarmacht, später ganz Europa in das einzubeziehen, was als MBFR heute vielleicht in einem begrenzten Raum beginnt.
Mir liegt am Herzen, zur Datendiskussion noch eines zu sagen. Es ist schwierig zu wissen, wie viele Soldaten der andere auf seinem Gebiet hat, wo man bisher selber nicht hingehen und nachzählen kann, weil bisher noch keine gegenseitigen Kontrollen und Inspektionen verabredet sind.
({11})
- Ob die Mittel, um das festzustellen, ganz verläßlich sind, ist mir im Augenblick nicht so wichtig, sondern wichtig ist, daß man sich zwar einig ist, daß man hinterher auf beiden Seiten, West wie Ost, 700 000 Soldaten haben will, aber nicht darüber einig ist, wie viele im Augenblick im Osten stehen. Diese Frage muß gelöst werden.
Ich sehe keine Veranlassung, zu glauben, daß die Differenz darauf beruht, daß der eine versucht,
den anderen zu täuschen. Ich glaube, daß sie überwunden werden kann, ja, überwunden werden muß; denn ein so großer Unterschied - rund 150 000 Soldaten -, dessen Existenz von den einen behauptet, von den anderen geleugnet wird, ist möglicherweise fast schon der Umfang, um den es sich bei der ganzen Reduktion überhaupt nur handelt. Dann könnte hinterher die Gefahr entstehen, daß jemand sagt: Die vereinbarte Truppenreduzierung hat gar nicht zum Gleichgewicht geführt, sondern erneut zu einseitiger Überlegenheit. Es muß deshalb möglich gemacht werden, Maßstäbe zu finden, mit denen die Truppenstärke gemessen wird.
Ich habe in dem Zusammenhang Verständnis für die von der Opposition gestellte Frage nach dem Stand der begleitenden Maßnahmen. Auch hier ist es für mich schwierig, die Frage zu beantworten, Herr Wörner, und gleichzeitig die Vertraulichkeit der bündnisinternen, noch nicht abgeschlossenen Beratungen zu wahren. Gerade die Bedeutung dieser Verhandlungsmaterie „vertrauenschaffende, begleitende Maßnahmen in Mitteleuropa" kann eigentlich nur verstanden werden, wenn man weiß, worum es sich handelt, aber ich muß mich hier darauf beschränken zu sagen: Die Bundesregierung setzt sich im Bündnis für ein Paket von Maßnahmen ein, zu dem nach unserer Erwägung unter anderem gehören: Vorausinformationen über bestimmte militärische Tätigkeiten, Austausch von' Beobachtern bei bestimmten militärischen Tätigkeiten, Maßnahmen zur Überprüfbarkeit, zur Verifikation und Inspektion von MBFR-Vereinbarungen. Auf diese Weise könnte das Hauptziel von MBFR, Vertrauensbildung, erheblich gestärkt werden. Gleichzeitig würde das Instrumentarium zur Krisenbeherrschung oder zur Konfliktverhinderung erweitert werden. Wir hoffen, daß die darüber in Brüssel gepflogenen Unterhaltungen bald zu einem Ergebnis führen, damit man gemeinsam in Wien die Vorschläge auf den Tisch legen kann.
Ein letztes Wort zu diesem Komplex. Die NATO hat in Wien von Anfang an darauf bestanden, daß MBFR-Regelungen nur so vereinbart werden können, daß innerhalb festzulegender Gesamtobergrenzen im übrigen der Westen autonom bleibt, selbstbestimmend bleibt in der Organisation seiner Verteidigung unterhalb der Gesamtobergrenze. Das heißt auch, daß es im Rahmen dieser Gesamtobergrenze nicht zur Aussonderung einzelner Bündnispartner, die zu dieser kollektiven Summe beitragen, kommen darf.
Der Warschauer Pakt hat nun verständlicherweise die Klarstellung gefordert, daß gleichwohl alle Teilnehmerstaaten ihre Truppen verringern. Das ist eine verständliche und akzeptable Forderung. Wir - die NATO - haben im Dezember letzten Jahres darauf geantwortet, daß sich alle Staaten mit einem bedeutsamen Anteil - significant share - an dieser Verringerung der Truppen beteiligen werden. Wir haben damit in dieser sicherlich schwierigen Frage unseren Kompromißwillen signalisiert.
Ich will in dem Zusammenhang hinzufügen: Die Bundesrepublik Deutschland hat ein außenpolitisches Interesse daran, daß sich auch innerhalb der NATO
die Balance nicht verschiebt. Dies ist auch von großer politischer Bedeutung im West-West-Verhältnis. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in vorhersehbarer Zukunft irgendeine Bundesregierung bereit sein könnte, das deutsche Kontingent an den Landstreitkräften in Mitteleuropa wesentlich zu verstärken.
Mir persönlich - wenn ich einmal laut denken darf - ist durchaus vorstellbar, daß kein Teilnehmerstaat mehr als die Hälfte der Truppen des Bündnisses in Mitteleuropa unterhält oder stellt. Das . kann ich mir vorstellen. Ich deute eine der Lösungsmöglichkeiten für dieses schwierige Problem an, den Gedanken der Kollektivität, den wir aufrechterhalten wollen und müssen, zu vereinbaren mit dem anderen legitimen Interesse, nämlich zu sichern, daß alle nicht nur am ersten Schritt beteiligt sind, sondern auch noch nach zehn Jahren alle beteiligt bleiben.
({12})
Ich betone in dem Zusammenhang nochmals: Allein unser Bündnis hat dann innerhalb der Kollektivität darüber zu entscheiden; denn uns kommt es darauf an, daß alle Bündnispartner ihren Beitrag gemeinsam und solidarisch leisten.
Ich denke, daß der Warschauer Pakt die von uns vorgebrachten Prinzipien inzwischen ganz gut verstanden und aufgenommen hat. Es gibt einen beachtlichen Annäherungsprozeß bei MBFR; auch die NATO hat gezeigt, daß sie keine fixen Ideen durchsetzen will. Wenn sich dieser Fortschritt im Laufe des Jahres weiter abzeichnet, sind wir gerne zu einer Verhandlung auf Ministerebene bereit, was MBFR angeht; es gibt im Bündnis eine diesbezügliche Übereinstimmung. Die Bundesregierung wird nicht zögern, auch dieses Instrument zu nutzen, wenn der richtige Augenblick gekommen ist. Ich glaube, daß der Augenblick der, Unterzeichnung von SALT II einen wesentlichen Fortschritt bei MBFR auslösen kann. Wir werden diesen Zeitpunkt nutzen.
Es ist hier gestern im Zusammenhang mit MBFR auch über die eigene Armee gesprochen worden. Ich muß sagen, Herr Dregger, weil Sie so besonders um unsere Sicherheit besorgt sind: Die Bundeswehr ist in den letzten Jahren sehr stark modernisiert worden. Sie ist in bezug auf ihre Ausrüstung ganz hervorragend ausgestattet; sie ist im Vergleich zu anderen Armeen ausgezeichnet ausgebildet; sie kann sich im Vergleich mit westlichen Partnerarmeen und östlichen Armeen sehr gut sehen lassen. Das sage ich mit einem gewissen Stolz, weil ich daran mitgewirkt habe, seit ich vor 20 Jahren das erste Mal die Uniform dieser Armee angezogen habe.
({13})
Wenn Sie immer betonen, daß die anderen ein Übergewicht bei Panzern hätten, dann muß ich sagen: Wir haben ein Übergewicht bei Panzerabwehr, und zwar ein sehr schönes Übergewicht, bei Raketen, bei Panzerabwehr-Hubschrauber - ({14})
- Wir sind dabei, sie uns zu beschaffen; so ist es.
({15})
- Ich korrigiere: Wir sind im Begriff, uns dieses Übergewicht zu verschaffen. Aber auf dem Abwehrsektor! Man soll die Modernisierung nicht verschweigen.
({16})
Man soll auch die Modernisierung unserer eigenen Panzer nicht verschweigen. Wenn von Modernisierung die Rede ist, soll man Leo II und das neue Flugzeug - früher MRCA; heute Tornado genannt - nicht verschweigen.
({17})
Ich bin Herrn Kohl im Zusammenhang mit seiner Bemerkung zur Modernisierung noch eine Antwort schuldig. Er hat eine Bemerkung über die sogenannte Neutronenwaffe gemacht. Es ist ja in der ganzen Welt eine sehr irreführende Debatte darüber geführt worden. Die Debatte hat im amerikanischen Senat begonnen.
({18})
- Nein, im amerikanischen Senat. Ich war dort zufällig dabei, als der Vizepräsident von einem Abendessen weggehen mußte, um mit seiner Stimme eine Senatsdebatte über die Neutronenwaffe zu entscheiden, bei Parität der Stimmabgaben im übrigen. Das war schon zur Zeit der Carter-Regierung im Frühsommer 1977. Von dieser Debatte sind vielerlei Emotionen ausgegangen. Auf allen Seiten wird der Sache zu viel und falsches Gewicht beigemessen - auch von militärischer Seite.
Aber ich muß auf Ihre Passage zurückkommen.
(({19})
- Ich bin dabei, Fragen zu beantworten, Herr Dregger. Wenn Herr Kohl zu dieser Sache eine Frage stellt - für die ich dankbar bin -, dann muß ich darauf antworten dürfen. Das tue ich jetzt. Wenn Sie das ärgert, verstehe ich das, kann Ihnen aber nicht helfen, Herr Dregger; Sie müssen es ertragen. Sie haben gestern versucht, im deutschen Volk den Eindruck zu erwecken, als ob unsere Sicherheit auf dem Spiele stehe. Ich muß Ihnen sagen: Noch niemals waren wir so sicher wie im Jahre 1979. Das muß ich hier ausführen dürfen.
({20})
Deswegen muß ich das Recht haben, mir die scheinbar fachmännischen Argumente einzeln vorzunehmen.
Dazu gehörte das, was der Herr Kohl über die Neutronenwaffen vorgetragen hat.
({21})
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß es dem Bündnis und dem Verhältnis zur Sowjetunion nicht dienlich ist, hier alle Details offenzulegen. Auch die frühere öffentliche emotionale Debatte hat ja zum Teil höchst undienliche Konsequenzen gezeitigt. Aber eins muß ich doch sagen: Sie sollten wissen, daß in dieser Sache eine zwischen den Außenministern voll wörtlich abgestimmte Haltung vereinbart war, die dann als Ergebnis einer NATO-Ratserörterung gemeinsam erstrebt werden sollte. Es lag nicht an deutscher Veranlassung, daß dies nicht zustande gekommen ist. Wahrscheinlich erschließt sich der Sinn dieser Worte erst beim Lesen im Protokoll; sie sind vorsichtig formuliert. Ich würde Sie bitten, daß Sie, wenn Sie sich sorgfältig angesehen haben, was ich soeben gesagt habe, solche Formulierungen, wie sie gestern gebraucht worden sind, nicht wiederholen.
Ich möchte den Ring schließen, meine Damen und Herren, und am Schluß sagen: In jeder Hauptstadt im Westen und auch in den Hauptstädten des Ostens kann man wissen, woran man bei uns ist. Wir haben ausführlich und sachbezogen vorgetragen - Herr Apel, Graf Lambsdorff und ich -, damit wir meine Forderung nach Vorhersehbarkeit, nach Berechenbarkeit unseres eigenen politischen und militärischen Verhaltens selbst erfüllen. Ich blicke mit großem Vertrauen in die Zukunft unserer Sicherheit. Wir sichern unseren Frieden und den der anderen. Denn: Wir sorgen für Konflikteindämmung. Wir sorgen für Interessenausgleich. Wir sorgen durch eigene Verteidigungsfähigkeit für Gleichgewicht. Wir sorgen durch Rüstungskontrolle für Gleichgewicht. Wir reden intensiv mit unseren Bündnisgenossen ebenso wie mit unseren östlichen Vertragspartnern; wir kennen einander. Wir versuchen, mit aller Intensität dafür zu sorgen, daß man sich gegenseitig nicht mißverstehen kann. Deswegen muß man die Schlußbemerkungen zurückweisen, die gestern mittag gemacht worden sind, als ob die Bundesregierung mit der Sowjetunion zweiseitig Rüstungskontrollpolitik betriebe, Herr Kohl. Daß das der Fall sei, können Sie im Ernst nicht meinen. Ich würde Sie bitten, solche Entstellungen nicht auf derselben Seite auszusprechen, auf der Sie dann anschließend die Forderung nach Gemeinsamkeit an uns richten.
({22})
Ich würde Sie auch bitten, in Zukunft solche Bemerkungen wegzulassen wie: die Regierung versuche, die Bindungen an die Vereinigten Staaten von Amerika zu lockern und ein Sonderverhältnis mit der Sowjetunion zu schaffen. Das sind alles erfundene Gefahren.
({23})
Der Appell an die Gemeinsamkeit, der dann wenige
Zeilen später kommt, Herr Kohl, ist bei Ihnen mit
dem Zusatz verbunden, Sie würden keine harte Auseinandersetzung scheuen. Verlassen Sie sich darauf: Wir auch nicht!
({24})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, die Wähler in Rheinland-Pfalz werden Ihre Abqualifikation unseres Landes mit 'großem Interesse und mit Verärgerung vermerkt haben.
({0})
Auf der Bundesratsbank sitzen drei Mitglieder des rheinland-pfälzischen Kabinetts. Ich selbst bin einmal Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz gewesen und finde es schäbig, zu sagen „Da kommt einer aus Rheinland-Pfalz" und das dann pseudozu-korrigieren, indem Sie sagen: Nun ja, dann sage ich lieber: Da kommt einer, der provinziell ist. Wir Rheinland-Pfälzer sind nicht provinziell.
Ich sage das auch aus einem ganz anderen Grund - und damit komme ich zu Ihren ersten Bemerkungen und zu dem, was Sie in Koblenz gesagt haben -: Sie haben da - es ging gar nicht um die Frage Metzger-Carstens, sondern um etwas ganz anderes, worauf unser Fraktionsvorsitzender hingewiesen hat
({1})
gesagt: „Man kann doch z. B. nicht jemanden zum Bundespräsidenten machen, der gegen alle wesentlichen Stücke der von Frankreich, England und dem Westen gemeinsam betriebenen Entspannungspolitik ist; es ist in meinen Augen auch abwegig, jemanden vom äußersten rechten Rand - sicher einen Demokraten - zum Staatsoberhaupt zu machen."
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, ,Platz zu nehmen und dem Redner Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Sie haben in all den letzten Jahren in einer höchst problematischen und von mir manchmal als gemein empfundenen Weise versucht, die CDU in die Nähe der Deutschnationalen der Harzburger Front zu drängen und damit Empfindungen zu wecken, die an die Jahre 1932/33 erinnern.
({0})
Diese Tendenz, Herr Bundeskanzler, ist es, die wir auch bei Ihren Äußerungen über unseren Bundestagspräsidenten beklagt haben.
Dr. Mertes ({1})
Lassen Sie sich bitte einmal die Wahlergebnisse aus den Wahlkreisen des Landes Rheinland-Pfalz aus den Jahren 1931 bis 1933 vorlegen!
({2})
Dann werden Sie sehen, daß in allen Wahlkreisen, in denen heute eine CDU-Mehrheit besteht, damals eine NS-Minderheit gewesen ist.
({3})
Ich empfinde es immer wieder als beleidigend, daß wir als CDU/CSU auf eine ganz gemeine Weise in eine bräunliche Nähe gedrängt werden.
({4})
Lesen Sie bitte einmal nach, was Sebastian Haffner über die Tatsache gesagt hat, daß es christliche und konservative Kräfte gewesen sind, vor denen Adolf Hitler wirklich Angst gehabt hat! Lesen Sie bitte seine Aussage nach, daß die Stabilität dieses Landes darauf beruht, daß hier von links bis rechts ein sehr breiter Konsens ist. Alle, die man konservativ oder fortschrittlich nennt, stehen auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie, nachdem wir diese harte Lektion der Geschichte selber durchgemacht haben. Auf allen Seiten dieses Hauses haben wir doch aus der Erfahrung gelernt. Es ist einfach eine Vergiftung der politischen Atmosphäre in diesem Land, wenn man einen Teil und einzelne Persönlichkeiten dieses Hauses so in die Vorvornähe zu Adolf Hitler drängt. Damit muß endlich einmal Schluß sein.
({5})
Das zweite, Herr Bundeskanzler, bezieht sich auf die Tatsache, daß Sie heute morgen, an diesem Freitagmorgen, hier zwei Stunden gesprochen haben. Ich habe den Eindruck, Sie haben zwei Stunden lang filibustert,
({6})
um auf Herrn Wehner nicht eingehen zu müssen. Denn zu diesem wirklich entscheidenden Punkt haben Sie, Herr Bundeskanzler, nichts gesagt.
Wir hatten doch bisher in Fragen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung einen Konsens. Kollege. Pawelczyk wird Ihnen bestätigen, wie harmonisch wir im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle zusammenarbeiten, wie wir unsere gemeinsame Positionen in Wien und New York vertreten haben. Woher kommt denn die Zerstörung dieses Konsenses? Sie kommt von Herrn Wehner.
({7})
- Der Bundeskanzler hat eben von sich gesagt, er sei nicht feige. Ich lasse das dahingestellt. Er hat es von sich aus dementiert. Er hat gesagt: Es gibt keinen Dissens in der Bundesregierung. Es gibt aber einen Dissens in der Koalition. Denn was die Regierung in ihrer Antwort sagt, wird doch ganz offensichtlich von Herrn Wehner, Herrn Brandt und von anderen in 'der SPD nicht ernsthaft geteilt. Die
Aussage, daß es keinen Dissens in der Regierung gebe, war ein verbaler Trick. Es gibt einen sehr tiefen Dissens in Ihrer Koalition.
Herr Bundeskanzler, da Sie gern die Geschichte befragen, möchte ich einmal, da wir hier über Abrüstung und Rüstungskontrolle sprechen, daran erinnern, daß die Frage der Abrüstung und der Rüstungskontrolle in der russischen Politik schon im 19. Jahrhundert eine große Rolle gespielt hat und daß wir 1898 einen hochinteressanten Abrüstungsvorschlag des damaligen Zaren Nikolaus II. hatten. Da die Sozialdemokratische Partei sehr für Abrüstung war, mußte sie darüber diskutieren, wie sie auf diesen Vorschlag des von ihr politisch bekämpften Zaren eingehen sollte. Wilhelm Liebknecht, der Vater von Karl Liebknecht, nannte das Zarenmanifest zur Abrüstung einen Schwindel, der „Vorwärts" wertete diese Vorschläge als Trick der russischen Diplomatie zur Verwirrung der öffentlichen Meinung.
({8})
Bebel, den. Sie mit Recht als einen bedeutsamen Sozialdemokraten verehren, war dafür, daß man trotz des Mißtrauens gegenüber Rußland positiv reagiert. Es kam dann 1898 zu einem Beschluß, zu einer Resolution der SPD in Stuttgart. Daraus zitiere ich nur zwei Sätze:
Der Parteitag begrüßt den Abrüstungsvorschlag des Kaisers von Rußland. Der Parteitag ist der Meinung, daß, soll der Vorschlag des Kaisers von Rußland ernst genommen werden, es notwendig ist, daß die russische Regierung im eigenen Lande mit gutem Beispiel vorangeht, weitere Rüstungen einstellt, die grausame Verfolgung politisch Andersdenkender aufhebt und dem russischen Volk diejenigen Rechte und Freiheiten gewährt ohne die kein Volk seine Kulturmission erfüllen kann.
Ich lese das hier deshalb vor, weil wir nicht so tun dürfen, als seien die Probleme der russischen Abrüstungsvorschläge und die Probleme des russischen Sicherheitsbewußtseins Probleme von heute. Mit Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, daß es in der Tat ein russisches Sicherheitsgefühl gibt - ich werde nachher noch darauf zurückkommen -, das sich von dem Sicherheitsbewußtsein der übrigen Völker Europas unterscheidet.
Es ist George Kennan gewesen, lange Botschafter in Moskau, der in seinen Memoiren darauf hingewiesen hat, daß die Russen alle Völker, .die sie umgeben, mit großem Mißtrauen sehen. Er schreibt folgendes :
Die auswärtigen Beziehungen
- das berichtete er 1946 von Moskau nach Washington
Rußlands hoben sich völlig anders entwickelt als die der USA. Histbrisch gesehen sind unsere wichtigsten auswärtigen Verbindungen aus friedlichem Überseehandel entstanden. Das hat unsere Vorstellungswelt geprägt. Die Russen
Dr. Mertes ({9})
- und das muß man in der Tat verstehen, und daran muß man denken; aber Verständnis ist eben nicht Einverständnis haben es in ihrer ganzen Geschichte - über tausend Jahre hauptsächlich mit grimmig feindseligen Nachbarn zu tun gehabt. Da ihnen natürliche geographische Grenzen fehlen, haben sie, um sich dieser Nachbarn zu erwehren, eine eigentümliche, inzwischen traditionelle und fast automatisch gewordene Technik der elastischen Vorstöße und Rückzüge, der Verteidigung in der Tiefe, der Geheimhaltung, des Auf-der-HutSeins und der Täuschung entwickeln müssen. Ihre Geschichte hat viele Waffenstillstände zwischen feindlichen Mächten gekannt, aber sie hat kein einziges Beispiel für dauerhafte friedliche Koexistenz zweier Nachbarstaaten
aufzuweisen, deren einmal festgelegte Grenzen von beiden Völkern selbstverständlich hingenommen wurden. Die Russen können sich deshalb ungestörte freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten nicht vorstellen.
({10})
Für sie sind alle Fremden potentielle Feinde. Die russische Diplomatie konzentriert sich auf die im Orient allgemein übliche Taktik, den Gegner mit der furchterregenden russischen Macht zu beeindrucken, ihn aber gleichzeitig über Art und Umfang ihrer Anwendung im Ungewissen zu lassen, um ihn so dazu zu bringen, alle russischen Wünsche und Ansichten mit besonderem Respekt und mit besonderer Rücksicht zu behandeln. Das hat mit der Pflege freundschaftlicher Beziehungen in unserem Sinne nicht zu tun.
Herr Bundeskanzler, ich bedaure es, daß der Abgeordnete Wehner in seiner entsetzlichen Vereinfachung der Motive der russischen Sicherheits- und Abrüstungspolitik dem notwendigen Nachdenken über die Motive der sowjetischen Politik einen Bärendienst erwiesen hat.
({11})
Wir unterscheiden uns von Ihnen nicht durch ein höheres Ausmaß. von Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion oder gar den Russen - das ist keineswegs der Fall -, wir unterscheiden uns von Ihnen durch eine nach unserer Auffassung realistischere und zutreffendere Einschätzung sowohl der sowjetischen Motive wie der sowjetischen Maßstäbe in der Außenpolitik und in der Sicherheitspolitik.
({12})
Wenn Sie sagen, wir müßten für das Sicherheitsbedürfnis der anderen Seite Verständnis haben, dann stimme ich Ihnen zu. Aber Verständnis ist eben nicht Ein-Verständnis. Das Problem besteht darin, daß ganz offensichtlich bis jetzt der sowjetische, der russische Begriff von Sicherheit mit unserem Begriff von. Sicherheit unvereinbar ist, weil er expansiv ist.
({13})
Die sowjetische Politik ist als russische Politik eine Politik, wie jede verantwortliche Staatspolitik natürlich für den Verteidigungsfall gewappnet sein muß. Aber im Gegensatz zum Westen gibt es zur Anwendung militärischer Macht als Verteidigungsmacht in der Sowjetunion noch etwas Zweites und etwas Drittes: die Anwendung militärischer Macht zur Unterdrückung potentiell unbotmäßiger Bevölkerungen. Ich halte es für einen Skandal, Herr Wehner, daß Sie haben erkennen lassen, daß Sie Verständnis für diesen Mißbrauch militärischer Macht zur Unterdrückung von Menschenrechten gezeigt haben.
({14})
Ich muß sagen, der Bundesaußenminister hat Ihnen am 16. Februar in dieser Frage die notwendige Antwort gegeben. Das ist schlechterdings unzulässig, moralisch unzulässig:
Aber weil die Sowjetunion ihrer eigenen Sache in Osteuropa und vor allem in der DDR im politischen Fundament, an der Basis, gar nicht sicher ist und weil sie sieht, daß von dieser Bundesrepublik Deutschland aus, und wäre auch keine Waffe auf dem Boden dieses Landes, eine nach ihrer Auffassung destabilisierende Wirkung in die DDR hineingeht, ist die Bundesrepublik Deutschland - nicht aus russischer Deutschfeindlichkeit, sondern aus dem sowjetischen Sicherheitskomplex heraus -, sind wir in einer zu dieser ganz singulären Lage. Und diese singuläre Lage, Herr Bundeskanzler, gilt es in allen Fragen der Rüstungskontrolle und der Sicherheit zu sehen.
Es gibt ein ganz spezifisches Interesse der Sowjetunion, in wachsendem Maße die außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland zu beeinflussen. Mit einer kleinen Delegation des Deutschen Bundestages waren wir vor zweieinhalb Jahren im Obersten Sowjet in. Moskau. Dort ist uns folgendes gesagt worden: Ihr könnt ja in eurem Bündnis bleiben; das nehmen wir zur Kenntnis. Aber in diesem Bündnis solltet ihr, die Bundesrepublik Deutschland, eine singuläre Position beziehen, nämlich innerhalb des Bündnisses um Verständnis für die sowjetischen Sicherheitsempfindungen und für die sowjetische Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik werben., Wir haben damals erwidert, daß man Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht voneinander trennen kann, sondern daß man diese Bereiche der Politik natürlich mit der Macht leistet, die uns militärische Sicherheit garantiert.
Aber, Herr Kollege Wehner, bitte haben Sie Verständnis dafür, daß wir mit äußerster Aufmerksamkeit und mit größter Skepsis jedem gegenübertreten, der im Ergebnis - ich sage nicht: von der Motivation her; ich maße mir kein Urteil über ihre Motive an - diese Tendenz der sowjetischen Politik in Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle ganz offensichtlich begünstigt.
({15})
Dr. Mertes ({16})
Es gibt im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle in den letzten Jahren keinen wesentlichen sowjetischen Vorschlag, für den Sie in diesem Land nicht geworben haben.
({17})
Ich wäge meine Worte. Bitte, weisen Sie von diesem Pult aus nach, wenn es nicht so ist, daß ich die Unwahrheit gesagt habe!
({18})
Sie haben sogar um Verständnis für einen der gefährlichsten östlichen Vorschläge geworben, nämlich den Vorschlag, daß es zu einem Abkommen zwischen Ost und West über den Nicht-Ersteinsatz von Kernwaffen kommen soll. Der ganze Westen war sich darüber einig, daß hier das Mark der Glaubwürdigkeit der westlichen Abschreckung getroffen werden soll.
({19})
- Der Bundeskanzler hat es - etwas anders - tatsächlich gesagt. - Sie sind es, der bei MBFR in der Frage der Kollektivität, d. h. in der Frage der Nichtbeeinflussung unserer Entscheidungsfreiheit innerhalb des westlichen Bündnisses, und in der Frage der Parität, mit der Ihnen eigenen Häme die mühevolle Arbeit unserer Unterhändler und letzten Endes sogar der Politiker, die ihnen die Weisungen erteilt haben, hämisch kritisiert.
Herr Kollege Wehner, das hat überhaupt nicht mit Denunziation zu tun. Sie haben dieses unglaubliche Wort gestern dem Kollegen Wörner an den Kopf geworfen. Wir nehmen Sie einfach ernst. Sie sind ein mächtiger Mann in dieser Koalition. Sie müssen jetzt einmal erklären, wo Sie mit dieser Regierung nicht übereinstimmen, und zwar ganz konkret.
({20})
Der Bundeskanzler hat soeben auch zu einzelnen Passagen der Rede von Generalsekretär Breschnew kommentierend Stellung genommen. Er hat dabei drei wichtige Stellen nicht kommentiert, auf die ich hinweisen möchte, weil sie Schlüsselstellen dieser Rede sind. Breschnew sagt: „Schließlich ist es eine Tatsache, daß in Europa allgemein ein militärisches Gleichgewicht besteht." Diese außerordentliche Aussage steht in eklatantem Widerspruch zur Realität wie der Westen sie sieht.
({21})
Hier können Sie den wirklich sehr begrenzten Wert von Vokabelübereinstimmungen, von verbalen Übereinstimmungen mit unserem sowjetischen Vertragspartner sehen. Wenn er sagt, schließlich sei es eine Tatsache, daß in Europa allgemein ein militärisches Gleichgewicht bestehe, widerspricht er doch gerade dem Grunde der gegenwärtigen Diskussion, nämlich der offenkundigen Tatsache, daß es dieses Gleichgewicht nicht gibt. Das ist aber
keine akademische Bemerkung bei Leonid Breschnew. Denn er erhebt die Stimme drohend:
In letzter Zeit tauchen immer häufiger Meldungen auf, wonach das Pentagon die BRD unter Druck setzt,
- Sie haben das zu Recht dementiert, Herr Bundeskanzler damit sie ihre Zustimmung dazu gibt, zusätzlich zu den dort bereits befindlichen vorgeschobenen amerikanischen Waffen Mittelstreckenraketen mit Nuklearsprengköpfen zu stationieren, die auf die Sowjetunion zielen. In der BRD werden, so hört man, Proteststimmen dagegen laut. Das ist auch verständlich, würde doch die Verwirklichung dieser Pläne wie auch der Vorhaben der amerikanischen Militärs hinsichtlich der Neutronenwaffe nur zu einem neuerlichen Anwachsen der Spannungen in Europa, zur neuerlichen Verstärkung des Wettrüstens und außerdem
- hören Sie bitte den drohenden Ton dieses Satzes zu einer jähen Verschärfung der Gefahr für die BRD selbst führen.
Wenn das nicht Drohung, wenn das nicht Einschüchterung ist, weiß ich nicht, was sonst es sein soll.
Etwas ganz anderes und in diesem Zusammen- hang sehr Wichtiges steht auch in der Rede von Leonid Breschnew:
Die Unterstützung des Kampfes der Völker für
nationale Befreiung und sozialen Fortschritt
- das ist in der sowjetischen Diktion die Unterstützung der DKP, der Kommunisten in den sogenannten kapitalistischen Ländern ist ein Prinzip unserer Außenpolitik, das jetzt in der Verfassung der UdSSR verankert ist. Es wird konsequent in die Tat umgesetzt. Wir sind stolz auf die uneigennützige Hilfe, die die Sowjetunion und andere Länder der sozialistischen Gemeinschaft beispielsweise den Völkern Angolas und Äthiopiens in ihrem Kampf gegen Aggression und für das Recht, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden, erwiesen haben,
- ich sehe die Tränen der Rührung in den Augen der Menschen in Moskau und die fortschrittlichen Umgestaltungen im revolutionären Afghanistan wecken bei den sowjetischen Menschen Gefühle der Solidarität und der aufrichtigen Sympathie.
Ich lese das deshalb vor, Herr Bundeskanzler, weil Sie die revolutionären Ziele der Sowjetunion, die in der sowjetischen Verfassung verankert sind, nicht aus der Sicherheitsproblematik auslassen dürfen. Sie haben mit Recht gesagt, daß Sicherheit nicht nur ein militärischer Begriff ist. Für die Sowjetunion ist es sogar primär ein politischer Begriff. Die Sowjets sind Clausewitzianer, die ihre politische Macht natürlich ihrer politischen Zielsetzung unterstellen. Es ist die Verteidigung, es ist die Unterdrückung der Deutschen in der DDR, PoDr. Mertes ({22})
lens und der CSSR mit den Mitteln der militärischen Macht, und es ist die Einschüchterung der Bundesrepublik in ihrer singulären Position.
Warum sind wir in einer singulären Position? Weil wir das einzige zwischen Ost und West geteilte Land sind. Unsere Wirtschaftskraft und unser Territorium sind so offenkundig in einer singulären Position, daß ich es nicht verstehe, wenn in der Diskussion über das notwendige Nachrüsten im Bereich der kontinentalstrategischen Waffen diese singuläre Position einfach heruntergespielt wird. Ich teile die Auffassung - dies hat uns Herr Kollege Zimmermann gestern ausdrücklich gesagt -, daß es ideal wäre, wenn die notwendigen Nachrüstungen auf dem gesamten europäischen Territorium des Bündnisses vollzogen werden könnten, übrigens nicht im Sinne der Herstellung einer völligen Parität im Bereich der eurostrategischen Waffen. Er hat weiterhin gesagt, die zweitbeste Lösung wäre es, wenn wenigstens einige Europäer mitmachten. Zu Recht hat er kritisiert, daß hier von vornherein ausdrücklich gesagt wird: Eine singuläre Regelung für die Bundesrepublik Deutschland allein kommt nicht in Frage. Dies ist eine Schließung der diplomatischen und sicherheitspolitischen Optionen der Bundesrepublik Deutschland, die wir in dieser Form für unvertretbar halten, weil sie der singulären politischen Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht wird.
Lassen Sie mich nun noch ein paar Bemerkungen zu SALT II machen, weil Sie die Dinge heute morgen. hier irreführend dargestellt haben. In ihrer Großen Anfrage hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Einzelfragen zu SALT II folgende Grundsatzerklärung vorangestellt:
Die amerikanisch-sowjetischen Gespräche über die Begrenzung interkontinentaler Kernwaffen, der sogenannten strategischen Waffen, mit denen die beiden Kernwaffengroßmächte das Staatsgebiet des jeweiligen anderen verheerend treffen können, sind unter dem Gesichtspunkt... . der Rüstungsbegrenzung, -einschränkung und -minderung, zu begrüßen. Sie werfen allerdings auch schwerwiegende Fragen nach der künftigen Sicherheit Europas, das aber heißt, nach der künftigen Stabilität des Weltfriedens auf.
Die Frage lautet also doch nicht: ja oder nein im Prinzip zu SALT, sondern die Frage lautet: ein guter oder ein schlechter SALT-Vertrag; Wir haben nicht zu schulmeistern, aber wir haben hier unsere Interessen im Vertrauen auf unseren amerikanischen Bündnispartner zu artikulieren.
Die interkontinentalen strategischen Kernwaffen-potentiale der USA, um die es ja bei SALT II geht, sind ein entscheidender und integraler Bestandteil der Abschreckungsstrategie des Atlantischen Bündnisses, dessen Gebiet grundsätzlich - trotz des Atlantik - als sicherheitspolitische Einheit betrachtet werden muß. Eine untereinander nicht abzukoppelnde Einheit ist auch die sogenannte Abschrekkungstriade aus konventionellen Streitkräften, taktischen Kernwaffen und strategischen Waffen. Soll
die friedenerhaltende Abschreckungsfähigkeit des Westens gegenüber der Sowjetunion erhalten bleiben, so kommt es entscheidend darauf an, daß die westliche Kernwaffengroßmacht in die westliche Sicherheitsstruktur glaubwürdig - ich wiederhole: glaubwürdig - integriert bleibt.
An dieser Stelle möchte ich davor warnen, das subjektive Sicherheitsbewußtsein, wie sie es heute und wie es gestern der Kollege Pawelczyk dargelegt haben, zu strapazieren. Wir wissen aus der Geschichte, daß subjektives Sicherheltsbewußtsein unter Umständen der objektiven Unsicherheitswirklichkeit nicht entspricht. Frankreich hat sich 1939 hinter der Maginot-Linie völlig sicher gefühlt; aber die objektiven Voraussetzungen seiner Sicherheit waren einfach nicht gegeben.
Im Sinne dieser glaubwürdigen Sicherheitsstruktur sind wir der Auffassung, daß SALT II dann das internationale Gleichgewicht tatsächlich stabilisieren und den Weltfrieden festigen kann, wenn sein Inhalt ausgewogen, verifizierbar und eindeutig ist. Noch ist ja gar nicht bekannt, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind; denn der endgültige Text des Vertragswerkes steht noch gar nicht fest. Deutsche Politiker - das hat gestern der Kollege Wörner zu Recht hervorgehoben - sollten deshalb Vorschußlorbeeren und Vorschußtadel für SALT II gleichermaßen vermeiden. Herr Bundeskanzler, es ist doch nicht Neutralität gegenüber SALT, das wir grundsätzlich begrüßen, sondern das ist Respekt vor den Amerikanern. Deutsche Politiker sollten Vorschußlorbeeren und Vorschußtadel für SALT II gleichermaßen.vermeiden.
Das gilt auch für die Bundesregierung, insbesondere für Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie die in SALT II steckenden Risiken, so hoffen wir, doch klar sehen. Aus außenpolitischer Verantwortung und aus Respekt vor dem amerikanischen Senat dürfen wir Deutschen nicht zu Kronzeugen der inneramerikanischen Befürworter oder Gegner des jetzigen, konkreten SALT II-Vertrages werden, so wie er bekannt oder, besser gesagt, noch unbekannt ist. Wohl aber sollten wir den USA vertrauensvoll und klar unsere Fragen und Sorgen vortragen, die sich aus unserer singulären Lage ergeben; denn dieser Vertrag zwischen dem geographisch fernen Amerika und der sehr nahen Sowjetunion berührt das Mark unserer gemeinsamen Sicherheit.
Vor allem drei Fragen stellen sich der deutschen Politik in diesem Zusammenhang:
Erstens. Wie wird einwandfrei sichergestellt, daß die sogenannte Nichtumgehungsklausel des acht Jahre laufenden SALT II-Vertrags, die das Verhältnis der beiden Supermächte zu ihren Verbündeten berührt, engste Zusammenarbeit im westlichen Bündnis künftig nicht erschwert? Angesichts der wachsenden sowjetischen Bedrohungspotentiale darf der SALT II-Text Westeuropa nicht mit der Hypothek politischer oder militärischer Zweifel belasten, die sich aus amerikanisch-sowjetischen Gegensätzen über seine richtige Auslegung und Anwendung ergäben.
Dr. Mertes ({23})
Zweitens. Wie wird verbindlich sichergestellt, daß das drei Jahre laufende SALT II-Protokoll keine für die Sicherheit Westeuropas erforderliche Waffenoption rechtlich oder politisch schließt, sondern daß nach Ablauf des Protokolls die Optionen für alle diejenigen Systeme tatsächlich offenbleiben, die für Westeuropa sicherheitspolitisch notwendig sind und die vielleicht als verhandlungsfähige Ausgangslage für Rüstungskontrollverhandlungen einmal unerläßlich sein können? Das Protokoll schließt z. B. auch die Stationierung von land-und seegestützten Marschflugkörpern - „cruise missiles" - mit Reichweiten von mehr als 600 km ein, die für die Abschreckung und als Verhandlungsposition unter Umständen einmal größte Bedeutung gewinnen können.
Drittens. Wie wird im Hinblick auf die multilateralen Auswirkungen der bilateralen amerikanischsowjetischen Rüstungskontrollpolitik auf die Sicherheit Westeuropas noch vor der Ratifizierung verläßlich sichergestellt, daß die von SALT II nicht erfaßte, aber gigantische und ständig wachsende sowjetische Überlegenheit an Kernwaffen mittlerer Reichweite entweder mit dem Ziel der Parität ab- gebaut oder aber durch entsprechende westliche Verteidigungsmaßnahmen nuklearer Art aufgewogen wird?
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Abrüstung und Rüstungskontrolle tragen - das kann nicht oft genug gesagt werden - zur Erhaltung und zur Stabilisierung des Friedens dann bei, wenn sie gleichzeitig der Sicherheit dienen. Das gilt vor allem für die Bundesrepublik Deutschland, die nach ihrem bündnisinternen Atomverzicht von 1954 auf Wunsch der USA im Atomsperrvertrag 1974 auch gegenüber dem sowjetischen Bündnisgegner einen völligen Kernwaffenoptionsverzicht eingegangen ist und daher einfach stärker als Frankreich und England auf glaubwürdige Sicherheitsgarantien der USA angewiesen ist, an denen weder die Deutschen noch die Sowjets ernsthaft zweifeln können.
Wer den Frieden, die europäische Sicherheit und das Vertrauen in den Westen vor irreparablem Schaden bewahren will, muß rechtzeitig dafür sorgen, daß SALT II in Europa nicht eine Atmosphäre prosowjetischer Nachgiebigkeit - Appeasement - bewirkt. Dieses Risiko tritt aber ein, wenn das Bündnis ihm nicht rechtzeitig und konsequent wehrt.
Über die Haltung der Bundesregierung zu diesem folgenschweren Fragenkomplex liegt auch nach dieser Debatte noch sehr viel Nebel, der den Weg einer für Freund und Gegner berechenbaren Außenpolitik behindert. Dieser Nebel ist nicht allein die Folge notwendiger Geheimhaltung und komplizierter Sachfragen, sondern auch der tiefen Widersprüche in der Koalition bei elementaren Themen der Abrüstung und der Sicherheit.
Zu MBFR nur dies: Herr Bundeskanzler, die Positionen, wie sie in der Antwort der Bundesregierung vorgetragen worden sind, werden von der Opposition mitgetragen. Nur bedaure ich, daß gestern der Kollege Pawelczyk in einer persönlichen Anmerkung wiederum einen Hinweis darauf gegeben hat, daß es Kräfte in Ihrer Partei gibt, die die derzeitige westliche Position in Wien in Fragen der Kollektivität schwächen können; ich will mich vorsichtig ausdrücken. Ich bedaure hier ausdrücklich die Auffassung des Kollegen Pawelczyk.
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Lassen Sie mich abschließend noch zu einem Punkt zurückkehren, der in der Diskussion in diesem Lande immer wieder eine so vergiftende Rolle spielt. Es ist die These der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, die CDU sei gegen Entspannung. Ich erinnere mich daran, daß, als wir mit einer interfraktionellen Delegation des Deutschen Bundestages im Juni 1976 in Moskau waren, dort mir, dem CDU-Abgeordneten, von sowjetischer Seite vorgeworfen wurde, unsere Haltung zu den Ostverträgen und zur KSZE-Schlußakte habe bewiesen, daß wir gegen die Entspannung seien. Da waren es eine Kollegin der SPD und ein Kollege der FDP, die fairerweise aufgetreten sind und gesagt haben: Meine Herren aus der Sowjetunion, Sie irren; auch die CDU/CSU will den Frieden und die Entspannung, sie hat nur Skepsis gegenüber der Methode und den Inhalten der Verträge, die wir mit den Staaten des Warschauer Pakts abgeschlossen haben, deren Geltung aber auch die Kollegen der CDU/CSU jetzt nicht mehr bestreiten. - Das war fair, und das sollten Sie einmal in diesem Bundestag und in der deutschen Öffentlichkeit sagen.
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Wohin kämen wir denn, wenn nach einer parlamentarischen Auseinandersetzung über ein Gesetz oder über einen Vertrag hinterher die Minderheit angeklagt würde, sie wolle nicht gesetzestreu oder vertragstreu sein? Die SPD hat mit Argumenten, die ich hier jetzt nicht bewerten will, von 1949 bis 1960 massiv die Westintegration bekämpft. Sie hat noch nach der Ratifikation darauf gedrängt, daß die Verträge revidiert werden. Dann kam die Rede Herbert Wehners von 1960, der gemäß dem Prinzip „Verträge müssen eingehalten werden" sagte: So, nun ist Schluß: auch wir stehen jetzt auf dem Boden dieser Verträge.
Ich würde jedem CDU-Politiker entgegentreten, der heute sagen würde: Die SPD ist gegen die Sicherheit, ist gegen die NATO, weil sie damals in Fragen der Sicherheit oder der Wiedervereinigung aus ihrer Sicht mit respektablen Gründen ihre Auffassungen vertreten hat.
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Genauso war es doch mit den Ostverträgen. Wir haben - das war unsere Pflicht - die Schwächen dieser Verträge hier dargelegt, ihre Mehrdeutigkeit, ihre Unausgewogenheit. Aber wir brauchen keine Wehner-Rede zu halten. Denn' Franz Josef Strauß, Rainer Barzel, Helmut Kohl und die Gremien von CSU und CDU haben doch sofort nach Inkrafttreten der Verträge ganz klar erklärt, daß sie auf dem Boden dieser Verträge stehen: pacta
Dr. Mertes ({28})
sunt servanda. Ich halte es für staatspolitisch schädlich, Herr Wehner, daß Sie darüber - ({29})
- Das ist eine typische Verleumdung durch Herbert Wehner.
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Sie wissen sehr wohl, Herr Wehner, daß das große Problem bei diesen Verträgen war, daß sie vom Osten ganz anders ausgelegt werden als vom Westen. Wäre nicht die Opposition gewesen, hätten nicht Rainer Barzel, Franz Josef Strauß, Karl Theodor zu Guttenberg gefordert, daß es in Zukunft nicht zu einem Auslegungsstreit kommen darf, daß die deutsche Auslegung verbindlich geklärt werden müsse, dann hätten wir nicht die Auslegungstexte, nämlich den Brief zur deutschen Einheit, die Gemeinsame Entschließung und später - zum innerdeutschen Grundvertrag - das Urteil von Karlsruhe.
Ich hoffe, daß Sie diese Klärung - das ist für das Urteil über Ihr Verfassungsverständnis sehr interessant, Herr Wehner -, daß Sie diese Texte bejahen. Nachdem diese Verträge geschlossen waren, haben wir absolut unzweideutig gesagt, daß diese Verträge gelten, und. zwar auf der Basis der Auslegungstexte, die die Bundesregierung den Partnern und dem Deutschen Bundestag vorgelegt hat. Wir müssen Sie natürlich angesichts der Mehrdeutigkeit daran messen, ob Sie sich an die verbindlichen Auslegungstexte halten.
Das zweite Problem bei diesen Verträgen war dies: Wir haben doch diese Verträge nicht mit Mächten geschlossen, deren Interessen mit den unseren identisch sind - wie bei den Westmächten -, sondern wir haben sie mit einem Partner geschlossen, der diese Verträge als einen Durchbruch seiner eigenen politischen Zielvorstellungen ansieht.
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Alles, was er bis jetzt tut, ob es der Moskauer Vertrag oder ob es die KSZE-Schlußakte ist: Wir sehen doch, daß der Osten diese Texte völlig anders instrumentalisiert.
Wir haben im August 1975 hier erklärt: Es ware gut, wenn die KSZE-Schlußakte auch vom Osten so ausgelegt wird wie von uns. Nachdem das Dokument unterschrieben war, ist es auch für uns verbindlich. Wir können uns darauf berufen. Ich finde es einfach vom Demokratieverständnis her, Herr Wehner, absolut unmöglich, daß Sie gegenüber einer kommunistischen Regierung in Prag uns vorwerfen, daß wir uns auf diese Verträge berufen. Hat denn Herr Erler sich nicht auch auf die Westverträge berufen, hat er sich nicht . auf den Deutschlandvertrag berufen - ih einer Eifersucht, die ich als positiv ansehe? Uns machen Sie dieses Wachen über die Ausführung der Verträge zum Vorwurf. Ja, Sie gehen hin und machen diese Auslegungstexte madig.
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- Das weiß ich sehr genau.
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Ja, wir können Zeitung lesen. - Wenn Sie hierherkommen, Herr Wehner, und sagen: „Das habe ich in dieser Form nicht gesagt; ich anerkenne die Vertragstreue der CDU/CSU, ich anerkenne die Tatsache, daß die CDU/CSU jetzt auf der richtigen Ausführung und Anwendung dieser Verträge beharrt", dann ist der Streit aus. Kommen Sie doch hierher und sagen Sie: „Die CDU/CSU steht auf dem Boden der Verträge,
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und die CDU/CSU tut gut daran, daß sie auf die richtige Einhaltung der Verträge und der menschlichen Erleichterungen drängt." Von dieser Solidarität habe ich bei .Ihnen nichts gemerkt.
Heute kann man in den Zeitungen lesen, es gebe eine Achse - das Wort haben Sie ja jetzt wieder eingeführt - Wehner-Kadar-Breschnew. Vielleicht können Sie uns zu dieser Achse mal etwas sagen. Sie sprechen ja so gerne über Achsen. Ich sehe hier tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Ihren Äußerungen über die Verträge, über Abrüstung und Rüstungskontrolle, Ihrer Kritik an Minister Genscher, Ihrer indirekten, aber unüberhörbaren Kritik an Bundeskanzler Schmidt in ganz bestimmten Positionen. Diesem mache ich allerdings den Vorwurf, daß er nicht im Rahmen des von ihm behaupteten Mutes Ihnen offen entgegentritt.
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- Wir, die CDU, werden die Taktik nicht mitmachen, daß es auf der einen Seite den großen Helmut Schmidt gibt, der über seiner Partei thront und der staatspolitisch denkt und von der Opposition mitgetragen wird und Sympathien genießt bei den Wählern und bei der Bevölkerung, und auf der anderen Seite die SPD. Helmut Schmidt ist stellvertretender Vorsitzender Ihrer Partei. Wahlpolitisch gesprochen, heißt das: Wer Helmut Schmidt wählt, wählt Herbert Wehner mit.
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Der Bundeskanzler hat heute morgen wieder die alte Mär vorgetragen, wir seien gegen die Entspannung gewesen. Sie wissen doch sehr genau, Herr Wehner, daß die Sowjetunion einen völlig anderen Entspannungsbegriff hat. Es gibt nicht „die" Entspannung.
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"Auf dem Höhepunkt der Portugal-Krise hat der stellvertretende Außenminister Kusnezow gesagt, es sei
Dr. Mertes ({38})
der „Höhepunkt der Entspannung", wenn die kommunistische Partei in Portugal die Macht ergreift.
Das ist ein ganz anderes Entspannungsverständnis. Ich halte es für intellektuell schlechthin unredlich, wenn man dieses Nebelwerferwort „Entspannung" immer dann in die Debatte einwirft, wenn man konkrete Aussagen nicht mehr machen kann.
Sie haben gefragt: „Stehen Sie auf dem Boden der Verträge?" Darauf antworte ich: Ja, aber leider haben diese Verträge dank der unmöglichen Verhandlungsmethoden von Herrn Bahr und Herrn Brandt einen doppelten Boden. Wir stehen auf dem deutschen Boden der Verträge und nicht auf dem sowjetischen.
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Abschließend noch ein Wort, weil es ja eigentlich der Gegenstand der Debatte war, zur Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage. Wir haben diese Große Anfrage bewußt so breit angelegt, weil über Abrüstung und Rüstungskontrolle alle möglichen gutwilligen Menschen reden, die nicht sachkundig sind, die vor allem übersehen, daß nicht Waffen und Soldaten den Frieden gefährden, sondern daß es Soldaten und Waffen gibt, weil es politische Spannungsursachen gibt, auf Grund deren sich die Staaten ihre militärischen Machtmittel verschaffen.
Wir, eine Delegation des Bundestages bei der Sondergeneralversammlung der . Vereinten Nationen von 1978 über Abrüstung, haben mehrere Regierungsdelegationen aus verschiedenen Staaten gefragt: Was ist wichtiger für Ihren Staat, Abrüstung oder Sicherheit? - Alle, ob aus Ost oder aus West oder aus der Dritten Welt, haben gesagt, wie aus der Pistole geschossen: Sicherheit.
Dann haben wir gefragt: Wer bestimmt, ob Sie sicher sind? - Sie haben alle geantwortet: Nur wir selbst.
Die Nichtobjektivierbarkeit des Sicherheitsbegriffs ist das große Problem bei der Abrüstungsdiskussion. Wir haben in dieser unserer Großen Anfrage darauf hingewiesen, 'daß es einen unlöslichen Zusammenhang gibt zwischen den politischen Spannungs- und Rüstungsursachen und den von uns seit Adenauer für notwendig erachteten Abrüstungsund Rüstungskontrollverhandlungen.
Nun noch dies: Wir haben gestern einen Teil der Antwort der Bundesregierung, 'den wir 'sehr positiv bewerten, nicht besprechen können, aber er soll in dieser Debatte nicht ganz untergehen; ich meine die weltweiten Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Sie sind aus verschiedenen Gründen wichtig, und zwar einmal, weil in einem wachsenden Maße auch in den Staaten der Dritten Welt der Zusammenhang von Friedensstiftung und Abrüstung immer mehr erkannt wird, nur mit der merkwürdigen Vorstellung, daß die Staaten der Dritten Welt ihrerseits aufrüsten dürfen und daß der Norden, d. h. Ost und West, mit besonderem Angriff auf den Westen, nuklear abrüsten soll.
Über alle diese Fragen wird in New York und in
Genf in verschiedenen Gremien verhandelt Es gibt
die Waffenbeschränkungskonferenz mit höchst problematischen Fragen, die den Kern unserer Sicherheit betreffen.
Ich möchte hier nur anmerken, daß alle diejenigen im Lande, die sich mit Abrüstung und Rü's'tungskontrolle befassen, in unserer Großen Anfrage und in den Antworten 'der Bundesregierung gerade zu diesem weltweiten Aspekt sehr gutes Rüstzeug finden zu einer seriösen Diskussion über Abrüstung und Rüstungskontrolle..
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Herr Kollege Mertes, nachdem Sie ebenso wie Herr Kissinger die einfache und meiner Meinung nach vereinfachende Formel benutzen,
({0})
daß Rüstung nur die Folge von Konflikten ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht meine Auffassung teilen, daß der Rüstungswettlauf auch bestimmt wird durch einen technologischen Wettlauf, der sich inzwischen zu einem Teil der politischen Kontrolle zu entziehen droht.
Ich sehe diese Gefahr; ich habe sie neulich in einem Aufsatz angesprochen. Es könnte Eigengesetzlichkeiten in der Rüstungsentwicklung in der Welt geben. Dennoch bleibe ich beim' Primat des politischen Willens, auf dem der Westen nicht immer klar genug steht, wohl aber die Sowjetunion.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Wenn Sie gewisse Eigengesetzlichkeiten dieses Rüstungswettlaufs akzeptieren, ist es dann nicht um so wichtiger, eine politische Vertrauensbildung zwischen Ost und West im Sinne der Sicherheitspartnerschaft, .die Helmut Schmidt erwähnt hat, zu verstärken? Teilen Sie die Auffassung, daß, wenn man dies nicht täte, nicht eine Stabilität der Entspannung bewirkt, sondern eine Kontinuität des Rüstungswettlaufs stabilisiert würde?
Ich bejahe diese Frage. Ich bin der Auffassung, daß es zu vertrauensbildenden Maßnahmen und Abkommen kommen muß. Sie müssen klar sein, und sie müssen mit der objektiven militärischen Machtwirklichkeit auch übereinstimmen. Das tun sie nicht.
({0})
Herr Kollege Voigt, ich will Ihnen im Anschluß an diese Antwort noch folgendes sagen. Bei MBFR 'hat ja der Westen etliche vertrauensbildende Maßnahmen vorgeschlagen. Gegenüber allen westlichen Vorschlägen in Wien für Maßnahmen, die Stabilität und Verifizierung zugute kommen und über Reduzierungspläne hinausgehen, hat der Osten bisher „njet" gesagt.
Dr. Mertes ({1})
Herr Wehner, es wäre wirklich gut, wenn Sie sich auch über die abwehrende und manchmal wirklich destruktive Haltung der sowjetischen Diplomatie einmal öffentlich äußerten. Wir haben - und zwar in Wien wie auf der Belgrader Überprüfungskonferenz - sehr gute Vorschläge gemacht. Wir, der Westen, hören immer nur „njet".
Maßnahmen dieser Art - das muß ich ergänzen, Herr Kollege Voigt, weil die Sowjetunion ja so nahe ist .und weil der geographische Faktor hier eine große Rolle spielt - können allerdings nur dann Vertrauen schaffen, wenn sie sowjetisches Gebiet einschließen. In Wien verhandeln die beiden Bündnisse, bei der KSZE ein viel größerer Kreis. Manchmal habe ich den Eindruck, daß Herr Wehner die Fragen um die Gremien gar nicht genügend studiert; denn manches, von dem, was er vorschlägt, ist so absurd, daß ich mir als Grund für seine Äußerungen nur einen Mangel an Befassung mit dem Sachgegenstand erklären kann.
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Wir, die CDU/CSU, sind der Auffassung, Herr Kollege Voigt, daß der Westen wie in Belgrad 1977/ 78 auch in Madrid 1980 Vorschläge zum Ausbau der vertrauenbildenden Maßnahmen von Helsinki machen sollte. Wir begrüßen - wie die Bundesregierung - in diesem Zusammenhang im übrigen auch die französischen Vorschläge, die den Bereich der Vertrauensbildung geographisch ausweiten.
Ich komme zum Schluß und möchte Konrad Adenauer zitieren, der sich zur Frage der sowjetischen Politik in einem Gespräch einmal wie folgt geäußert hat:
Da gibt es auch das Problem des russischen Elements in der sowjetischen Politik. Kennen Sie das Buch „Das russische Perpetuum mobile" .. Das müssen Sie einmal lesen. Dort ist der immerwährende Expansionsdrang Rußlands ausgezeichnet beschrieben. Dieser russische Drang nach Westen verbindet sich heute mit dem
- weltrevolutionären Kommunismus. Die Sowjetpolitik hat heute vor allem Westeuropa zum Ziel. Nicht, daß die Sowjetunion die Länder Westeuropas zu ihren Satelliten machen will. Aber sie möchte erreichen, daß Westeuropa außenpolitisch in Moskaus Kielwasser schwimmt, daß Westeuropa auf die großen Ziele der russischen Politikständig Rücksicht nimmt. Dafür braucht Westeuropa, dessen Potential die Sowjets klar sehen, keineswegs ein voller Satellit zu werden.
- Für die Sowjets. Als ich
- so fuhr Adenauer fort im September 1955 in Moskau war, sagte mir Chruschtschow einmal folgendes, und zwar in Anwesenheit von Herrn von Brentano: „Sehen Sie . . ., Herr Bundeskanzler, in welch schwieriger Lage ich mich befinde: Im Osten habe ich die Chinesen, im Westen die Amerikaner. Das schafft große Probleme. Wir wollen aber unser Land in Frieden aufbauen und unserem Volk
einen hohen Lebensstandard geben. Deshalb brauche ich Ihr Verständnis, ja Ihre Hilfe."
Dann fuhr Adenauer fort:
Deutschland spielt bei diesem Streben nach der Indirekten Herrschaft über Westeuropa
- manche, wie Ihr Parteifreund Richard Löwenthal oder Reymond Aron, nennen das Finnlandisierung; das ist ein Ausdruck, der in die allgemeine politische Sprache übergegangen ist - und eine bestimmte Zielrichtung der sowjetischen, also nicht der finnischen Politik plastisch charakterisieren soll natürlich eine Schlüsselrolle. Gelingt es den Russen, die feste Verbindung Deutschlands mit dem Westen durch einen neuen, neutralistischen Nationalismus oder Pazifismus zu lösen, dann haben sie gewonnenes Spiel. Darauf aber geht Ihr Sinnen und Trachten. Dazu in erster Linie dient auch die Aufrechterhaltung des Regimes in der Zone; diese ungelöste Frage ist der Köder, den man ständig den Deutschen hinhält, damit sie nachgeben ... Die Lockung der Deutschen ist das wichtigste.
Meine Damen und Herren, uns kommt es auf die Richtung unserer Politik an. Ob wir von der Sowjetunion den Zucker der Werbung bekommen oder die Peitsche der Drohung bekommen, uns interessiert die Richtung, in die sie uns drängen will. Pferde sind glücklich, wenn sie Zucker statt Peitsche bekommen. Wir wollen als verantwortungsbewußte Menschen bei voller Würdigung der subjektiven Motive der Sowjetunion unsere Interessen wahren. Ob wir Zukker oder Peitsche bekommen, ist kein Maßstab für uns. Der Maßstab unserer Politik sind die Interessen Deutschlands in Frieden und in Freiheit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei meinem verehrten Herrn Vorredner muß ich um Verständnis dafür bitten, daß meine ersten Sätze nicht ihm gelten, sondern dem Bundeskanzler, der vor ihm gesprochen hat.
Dem Herrn Bundeskanzler danke ich für seine Rede heute hier vor dem Bundestag.
({0})
Ich will sie weder interpretieren noch gliedern.
({1})
-- Nein, ich will damit sagen, daß ich sie - und ich nehme an, darin stimmt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit mir überein - rundherum für gut halte, für nützlich halte und auch in den Diskussionen zur Auslegung unserer Politik nutzbar machen werde.
({2})
Das heißt: volles Einverständnis, und das heißt: herzlicher Dank für die Klarheit.
({3})
- Ja, Sie müssen natürlich etwas dazwischenstekken, so ein Hölzchen. Das ist ihre Sache. Das hätten Sie ja gleich machen können, Herr Mertes und die, die hinter Ihnen sitzen.
({4})
- Ist ja gut. Vielleicht werden Sie demnächst wieder eine Gelegenheit schaffen, daß der Bundeskanzler Ihnen deutlich macht, wer mehr von diesen Sachen versteht, Sie oder er. Ich habe den Eindruck: er.
({5})
Ich bin ihm auch dankbar dafür, daß er etwas in Erinnerung gebracht hat, nämlich die Darstellung von Schritten zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und den UdSSR in den 60er Jahren und dann anschließend das, was es weiter gegeben hat an Ostverträgen, was es gibt, gegeben hat an Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa einschließlich der Schlußakte, und schließlich das, was in Wien installiert ist, was schwierig ist, aber doch dort behandelt wird: MBFR, wie die Abkürzung heißt. Das ist hier von ihm deutlich gemacht worden.
Es wäre besser gewesen, statt daß Sie uns andere Vorlesungen halten, verehrter Herr Mertes, der Sie die Chance hatten, unmittelbar nach dem Bundeskanzler zu sprechen, wenn Sie entweder das auch so positiv behandelt hätten oder wenn Sie sich mit Begründung einem anderen Thema zugewendet hätten. Das haben Sie aber leider nicht. Es ging wohl über Ihre Kräfte.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Mertes, daß z. B. die Verträge von der Opposition mitgetragen werden, und ich solle das einmal erklären. Sie haben in der Großen Anfrage, die Sie eingebracht haben - und sie ist ja sehr umfänglich -, z. B. ausdrücklich in einer Art Vorwort dazu betont, daß das, was dort behandelt wird, von der CDU/CSU so gesehen wird:
Die CDU/CSU' tritt dafür ein, daß dieser vitale Bereich wie bisher außerhalb des Streites zwischen Regierung und Opposition bleibt.
Was heißt denn „wie bisher", Herr Mertes? Sie bellen fortgesetzt,
({6})
während wir den Wagen zu fahren haben, und sagen dann, wie bisher müsse und solle das aber außerhalb des Streites bleiben. Sie sind neben dem Wagen, der unter Schwierigkeiten durch alle möglichen Engen gelenkt werden muß, bellen und machen andere Sachen
({7})
und sagen dann zum Postillion oder wie immer Sie den nennen wollen, der ihn führt: „Aber der soll anerkennen, daß ..." usw. Die Wirklichkeit ist ganz anders.
({8})
- Ich meine, Sie können mir überlassen, wo ich zu fahren habe. Sie sind mir in dem Job, den Sie neuerdings von Ihrer Funktion her haben, unangenehm genug
({9})
als daß ich möchte, daß Ihre Fraktion auch Sie noch zum Konkurrenten für die ' Herren Mertes, Marx und wie die anderen dieses Faches noch hei-Ben, bestimmen wird. Machen Sie Ihren Kram und mischen Sie sich in anderen nicht hinein.
({10})
Nein, was ist das denn? Entweder täuscht sich die Opposition, wenn sie sagt: Das soll wie bisher außerhalb des Streites zwischen Regierung und Opposition stehen
({11})
oder sie täuscht die anderen. Das sind die beiden Möglichkeiten. Sie müssen sich einmal in Ruhe überlegen, wie Sie aus dieser Bredouille herauskommen wollen.
Ich bin der Überzeugung, daß die Antwort auf die Großen Anfragen, die die beiden Seiten des Bundestages hier eingereicht haben, und die Rede des Bundeskanzlers hilfreich und klärend für die Auseinandersetzungen um die Fragen, derentwegen sie ja eingereicht worden waren, wirken werden. Das ist das, was wir versuchen müssen, weiterzuentwickeln, denn die Großen Anfragen und ihre Antworten selbst sind ja sonst in der Debatte kaum ernsthaft erörtert worden.
Ich danke dem Bundeskanzler ganz am Rande auch dafür, daß er ein paar neckische Worte darüber gesprochen hat, daß die Antwort auf die Großen Anfragen ja hätte - so hat man bei uns gesagt - volkstümlicher sein können. Aber so würde sie mehr befriedigt haben. Ich finde, daß die Kombination - Antwort der Regierung auf die Großen Anfragen u n d die Rede des Bundeskanzlers - hilfreich und klärend sein wird. Das ist es, worum es in Wirklichkeit geht.
({12})
- Für die Klärung von für viele Leute unverständlichen Kürzeln und beinahe chemischen und sonstigen Formeln, mit denen heute der Rüstungsstreit, der Abrüstungsstreit, der Rüstungskontrollstreit von den Experten und solchen, die ja nicht hinter den Experten zurückstehen möchten, geführt wird. Eine solche Antwort wird draußen hilfreich sein.
({13})
Sie werden da vielleicht auch Entdeckungen machen. Man kann die Leute dann deutlicher ins Bild setzen.
Nun hat heute allerdings der Herr Kollege Mertes hier gesagt, der Bundeskanzler habe zwei Stunden lang filibustert. Es ist eine Geschmacksfrage,
wie man das bezeichnet, Herr Mertes. Daß Sie sich ärgern, daß er seine Möglichkeit ausgenutzt hat, verstehe ich. Daß Sie sich insgemein auch ärgern, daß er sie so gut ausgenutzt hat, verstehe ich auch. Aber lassen Sie das nicht an dem Plenum aus.
({14})
- Sie müssen hier noch eine Weile lernen, trotz dem, was Sie sonst können, obwohl Sie so gefärbt sind.
Woher kommen denn die Konfrontationen?, ist hier von dem Herrn Mertes gefragt worden.
({15})
- Sie kommt von Herrn Wehner. Ich mußte gerade einmal für einen Moment nach draußen, was so menschlich war.
Nun muß ich Ihnen, weil Sie dann - drittens - festgestellt haben, die Antwort der Regierung werde doch von den Herren Wehner, Brandt und Bahr gar nicht geteilt, folgendes sagen: Ich teile die Auffassung in der Antwort auf die Großen Anfragen. Das habe ich auch ausdrücklich betont, als ich zur letzten Beratung des Kabinetts zu dieser Frage eingeladen war, obwohl ich dort nicht abstimmungsberechtigt war. Also nehmen Sie das - ({16})
- Ich bin bereit, Ihnen, sehr verehrter Herr Zensor, der Sie sich nur immer auf bestimmte Agenturmeldungen verlassen - es sind ganz eigenartige Agenturen, denen Sie vertrauen -, sämtliche Tex- te, die es von mir anläßlich dieses Besuches gibt
({17})
- auch Sie, Herr Marx mit dem bedeutenden Namen mögen es dann unter Ihre Brille nehmen -,
({18})
d. h. eine ungekürzte Ausgabe aller unkorrigierten Bandaufnahmen dessen, was ich dort gesagt habe, zur Verfügung zu stellen.
({19})
Das können Sie vielleicht während der' Osterfeier- tage dann in Stille lesen und kritisch prüfen, meine Damen und Herren.
({20})
Nun will ich Ihnen nur noch folgendes sagen. Natürlich wird es weiter Streit geben. Aber so leicht kommt man dabei nicht davon, wie Sie, Herr Mertes, meinen, daß man davon komme, wenn Sie von mir erwarten und verlangen, ich solle öffentlich bekunden, daß Sie auf dem Boden der Verträge stehen.
({21})
Für mich war das - das wissen Sie ganz genau, obwohl Sie damals nicht im Bundestag waren; das ist ja kein Vorwurf, Sie werden es nachgelesen oder sonstwo mitverfolgt haben -, was seinerzeit im Zusammenhang mit der Festlegung der Bundesrepublik geschah - bevor es einen Friedensvertrag gab, bevor es, falls es möglich gewesen wäre, in Gang gebrachte Prozeduren einer Aufhebung der Trennung des geteilten Deutschlands gab -, schon problematisch. Und das war es für die ganze damalige sozialdemokratische Bundestagsfraktion.
Ich habe hier von meiner Rede am 30. Juni 1960 gesprochen, die Sie - ich finde das sehr aufmerksam - heute auch einmal erwähnt haben. Das war nicht nur die Übernahme 'einer schweren Aufgabe, sondern das war zugleich auch etwas, darüber nachzudenken, wie nun dieser eine Teil - eingegliedert in dieses Bündnis - und der andere Teil - auf eine andere Weise in ein entgegengesetztes Bündnis eingegliedert - weiter miteinander leben ' können. Das haben wir uns nicht leicht gemacht; wir haben keine Wunder dafür entdecken oder erfinden wollen. Ich habe es einmal so gesagt: Westverträge, militärische Integrationsverträge usw., gut.
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- Moment! - Wir haben uns dann, weil man auf einem Bein bestenfalls stehen, aber nicht gehen kann, bemüht, ein zweites Bein dazu zu finden, nämlich in den Ostverträgen.
({23})
Das hat zwar nicht dieselbe Qualität - und kann es nie haben! - wie militärische und wirtschaftliche Integration im Bündnis. Aber mit diesen beiden Beinen an die Tische gehen zu können, wo diejenigen sitzen, die - bei allen Unterschieden - gleichberechtigt darüber reden und verhandeln, wie der Frieden gesichert werden kann, ist das, wozu wir diese beiden Beine brauchen.
({24})
Das war unsere Politik, und die kann doch wohl niemand als undurchsichtig bezeichnen, obwohl Sie das vorzögen.
({25})
Nein, nein, hier ist noch nie etwas gespielt worden, sondern wir haben für unsere politischen Notwendigkeiten auch die Begründungen offen dargelegt, abseits aller Ihrer inzwischen daraus entwikkelten Verdächtigungen.
Wenn es - man soll den Tag nicht vor dem Abend loben - hier bald zum Ausklang dieser De-. batte gekommen sein wird, dann werden manche von denen, die dabei gewesen sind, und auch andere, die nicht dabei gewesen sind, die Texte der Großen Anfragen doch noch einmal prüfen, die Antwort auf die Großen Anfragen lesen und zu verstehen, zu verdeutlichen versuchen - auch dort, wo sie schwierig -sind, weil natürlich alles andere fachgemäß geschrieben worden ist - und dazu die Reden des Bundeskanzlers nehmen und
fragen: Was ist die Quintessenz? Ich hoffe, daß wir damit doch einen großen Schritt in Fragen - auch im Suchen nach Verständigung - weiterkommen, in denen es immer noch - auch danach - eine ganze Reihe von Gegensätzen geben wird. Das ist es, was ich als Hoffnung in diese Debatte setze.
Nun müssen Sie von mir nicht annehmen, daß ich der Meinung bin, Sie wünschten Krieg. Ich unterstelle das weder jemandem von Ihnen noch Ihren ganzen beiden Parteien, die hier zusammen in einer Fraktion operieren. Aber ich warne Sie davor
- das tun auch meine Kolleginnen und Kollegen
-, das bisher erreichte Maß von - wenn auch relativer - politischer Entspannung mit seinen Folgewirkungen für Handel, Wirtschaft und auch für Verkehr von Menschen hinüber und herüber - wenn auch noch in einem Maße, das uns zu gering erscheint - zu gefährden.
({26})
Das ist der eigentliche Punkt unserer Auseinandersetzung.
Sie, Verehrte, haben die Art, die anderen so in eine Feindlage hineinzuprojizieren.
({27})
-Das tun Sie doch.
({28})
- Daß Sie auch noch glauben, Sie könnten mich durch Zwischenrufe belehren, ehrt mich, Herr Kohl.
({29})
- Ja, ja. Entschuldigen Sie!
Sie haben doch die Verträge abgelehnt. Das werden Sie nicht bestreiten. Das ist Ihr Recht gewesen. Wir haben damals um die Verträge gestritten, weil wir wußten: Das ist die einzige Möglichkeit, das, was vorgegeben ist, so zu ergänzen, daß wir, auch wenn wir nicht ganz Deutschland sind, die Rolle spielen können, die wir uns in unserem Grundgesetz vorgenommen haben und die uns vorgeschrieben ist, die der Rahmen ist, in dem wir tätig sind.
({30}) Das ist das eine.
Sie haben doch versucht, die Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki zu verhindern. Oder nicht?! Das war Ihr gutes Recht. Aber Sie können sich nicht hinterher als die besten Ausleger und die einzigen hinstellen, die uns vorzuschreiben hätten, was mit den Ergebnissen von Helsinki zu geschehen hat.
({31}) Das ist der Unterschied.
Ich mache Ihnen nicht den Vorwurf, daß Sie Verträge ablehnen. Ich mache Ihnen lediglich zum Vorwurf, daß Sie hinterher so tun, als wären Sie
die Väter von Verträgen und hätten sie kompetent auszulegen.
({32})
Ich bin der Meinung: Die Schlußakte von Helsinki ist noch lange nicht ausgeschöpft. Ich bin der Überzeugung, daß man sich Mühe geben sollte, hier weiterzuentwickeln, statt das aufs Spiel zu setzen, was dort bisher - wenn auch nicht zu aller Befriedigung - in Gang gekommen ist:
Ich möchte im Zusammenhang mit dem, was hier zu einer der jüngsten Breschnew-Reden gesagt worden ist, folgendes mit erwähnt haben. Es ist doch nicht die Frage, ob man da auf Buchstaben und Komma genau ja oder nein sagen muß. Für uns ist es doch wichtig und interessant, zu prüfen, daß die Ergebnisse von Helsinki vor allem nicht in Frage gestellt, sondern auch von der anderen Seite als weiterentwicklungsfähig betrachtet werden.
Sie werden sicher wissen wollen, warum es hier zu diesen Auseinandersetzungen gekommen ist, die, soweit es den Bundestag betrifft, in dieser Debatte ihren vorläufigen Abschluß finden werden. Ich habe Mitte Januar den Vorabdruck eines Artikels, den ich für die Zeitschrift „Neue Gesellschaft" geschrieben hatte - nämlich „Deutsche Politik auf dem Prüfstand" -, zur Kenntnis gebracht. Seither ist der Streit nicht nur im Gange, sondern wird mir alles mögliche angehängt. Was will der, so fragt man, eigentlich damit?
({33})
Ich will hier keine Reklame machen. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, was ich da gemacht habe, bezieht sich auf zwei Große Anfragen. Es handelt sich um diejenigen, die heute abschließend behandelt werden, soweit es den parlamentarischen Prozeß betrifft. Hinzu kommt mein Versuch, deutlich zu machen, warum das ein wichtiger Punkt ist. Das hängt nicht mit irgendwelchen konjunkturellen politischen oder sonstigen Gründen zusammen. Nein, ich habe betont: Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in der Regierungserklärung, mit der die 8 Legislaturperiode des Deutschen Bundestages begonnen wurde, sieben Schwerpunkte genannt, in denen er zusammenfaßte, was die Bundesregierung als ihre Verpflichtung versteht. Er sagte - und jetzt zitiere ich ihn -:
Erstens. Wir wollen weiter den Frieden sichern - durch Fortsetzung unserer bisherigen Außenpolitik, durch Fortsetzung unserer bisherigen Politik der guten Nachbarschaft und der Partnerschaft.
Diesem Schwerpunkt Nummer eins galt die Bemühung.
({34})
- Ich gebe Ihnen ja auch nur eine Erklärung für
meine Motive. Ob Sie mir etwas vorwerfen, ist noch
eine andere Frage. Damit haben Sie ja genug PraWehner
xis gelernt und seitdem entwickelt. Das ist auch nichts, was ich Ihnen übelnehme, wenn ich auch kein Dickhäuter bin.
Ich habe dann deutlich gemacht, was die SPD-Fraktion will. Sie hat betont, sie will, daß die Sondergeneralversammlung Abrüstung der Vereinten Nationen endlich ins Bewußtsein derer rückt, die hier Politik nicht nur zu machen, sondern auch mitzugestalten den Auftrag der Wählerinnen und Wähler haben.
Da haben wir in unserer Großen Anfrage sowohl das zitiert, was der Bundeskanzler bei dieser Sondergeneralversammlung gesagt hat und was er heute hier in einer ausgeprägten Art und Weise deutlich gemacht hat - auch mit den Punkten, auf die er sich berief -, als auch aus einer Erklärung des Bundesministers des Auswärtigen vom 8. Juli des vergangenen Jahres zum selben Thema zitiert:
Abrüstung und Sicherheit haben heute eine globale Dimension ... Für die Bundesrepublik Deutschland sind Abrüstung und Rüstungskontrolle integraler Bestandteil ihrer Politik ... Sie hat durch den Bundeskanzler vor dem Forum der Vereinten Nationen die Grundzüge ihrer Sicherheitspolitik dargelegt, die auf der doppelten Bereitschaft zu Verteidigung und Entspannung beruht. Wir sind überzeugt, daß die Teilnehmer die Erkenntnis gewonnen haben, daß es sich dabei nicht um gegensätzliche, sondern um sich ergänzende Ziele handelt ... Wir sind bereit mitzuarbeiten, damit sich die Erwartungen erfüllen, die sich an diese erste AbrüstungsSGV knüpfen.
Soweit der Außenminister, von uns zitiert im Text unserer Großen Anfrage.
Ich habe am Schluß meines damals diesen Streit auslösenden Artikels geschrieben:
Wenn die CDU/CSU ihre Reifeprüfung als parlamentarische Opposition bestehen will, dann möge sie darüber nachdenken, ob sie endlich die Fähigkeit an den Tag legen kann, die von der Bundestagsfraktion der SPD am 30. Juni 1960 unter Beweis gestellt wurde. Deutsche Politik befindet sich auf dem Prüfstand.
Nun, ich habe den Eindruck nicht, daß Sie dies schon gut bestanden haben. Aber für Hoffnung bleiben immer noch Raum und Zeit.
Da Sie auch heute wieder - und ich habe das auch gestern während des ganzen Tages gehört, an dem ich hier dem Plenum beigewohnt habe - etwas ausnutzen, was zu einer Verstimmung geworden war, demzufolge Wehner etwas Despektierliches oder noch schwieriger zu Bewertendes über den Bundesminister des Auswärtigen gesagt habe: Ich habe am 18. Februar dem Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, folgenden Brief geschrieben und auch persönlich übergeben lassen:
Sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr Kollege Genscher! Bitte, entschuldigen Sie, wenn ich Sie mit einem Brief behellige, den ich eigentlich schon gestern hatte schreiben wollen, über dessen Beförderung an Sie ich aber bei der gegenwärtigen Wetterlage unsicher bin. Mir liegt daran, Ihnen den Text in Heft 2 der Zeitschrift „Die neue Gesellschaft" zuzusenden, mit dessen Vorabdruck im Januar die dann zeitweilig heftige Auseinandersetzung begönnen hatte.
Es ist meine Hoffnung, daß auch Sie aus der Anlage des Artikels erkennen werden, worauf es mir von Anfang an angekommen ist; sowohl mit der Berufung auf die Regierungserklärung 1976 als auch auf die Zitate aus den Ausführungen des Bundeskanzlers im Rahmen der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen und aus Ihren eigenen in Ihrer Erklärung. Willy Brandts Begründung und Argumentation, daß die relative politische Entspannung nicht von Bestand werde sein können, wenn sie nicht durch wirksame Vereinbarungen im militärischen Bereich abgesichert und, ergänzt werde, gab mir Anlaß, Herrn Wörners Ausführungen unter die Lupe zu nehmen.
Ich habe schon im Plenum des Bundestages am 15. Februar erklärt - will sagen: im Lärm zu erklären versucht -, daß ich es bedaure, in einem leider mißbrauchten persönlichen ° Gespräch eine Andeutung über methodische Unterschiede zwischen Ihnen und mir gemacht zu haben. Nachdem ich inzwischen die Pressemitteilung Nr. 1013 A/39 vom 16. Februar gründlich gelesen habe, die Ihre Ausführungen zu Sicherheit und Entspannung enthält, bitte ich um Entschuldigung.
Ich habe am Schluß geschrieben:
Es ist meine Hoffnung, daß der in den nächsten Tagen zu erwartende Text der Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der Bundestagsfraktionen im Vorfeld zu der für den 8. März geplanten Debatte im Bundestag dazu beitragen wird, klärend zu wirken. Meinerseits will ich es daran nicht fehlen lassen, zur Vorbereitung und zum Gelingen dieser Debatte mitzuwirken, weil ich überzeugt bin, daß die Thematik Sicherheit und Entspannung des Zusammenwirkens unserer Koalition bedarf.
Ich habe darauf folgende Antwort unter dem 23. Februar 1979 von dem Herrn Kollegen Genscher bekommen:
Für Ihren Brief vom 18. Februar darf ich Ihnen sehr herzlich danken.
Ich bin überzeugt, daß die Aussprache über die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der Fraktionen des Deutschen Bundestages die Position der Regierungskoalition ebenso deutlich machen wird, wie das schon bei der Beratung dieser Antwort im Bundeskabinett der Fall war.
Auch ich werde es jedenfalls nicht an Bemühungen fehlen lassen, zur Vorbereitung und zum Gelingen dieser Debatte beizutragen.
Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne möglichst bald zu einem Gespräch zu Ihnen kommen. Mit herzlichen Grüßen . . .
Ich habe das vorgelesen, damit es nachgelesen
werden kann.
Ich habe Herrn Genscher inzwischen - genau wie alle meine Kollegen herzlich gute Genesung
gewünscht und wünsche das nach wie vor.
({35})
Der Anlaß oder Anlasser war Herr Wörner, jene dpa-Meldung vom 13. Januar 1979 aus Washington, in der erklärt wurde:
Der CDU-Wehrexperte Manfred Wörner hat den Westen am Freitag in Washington davor gewarnt, zu früh mit der Sowjetunion über die
sogenannten Grauzonenwaffen zu verhandeln.
Wer erfolgreich über Waffen der Grauzone mit
Moskau ins Geschäft kommen will, muß selbst
genügend Waffen dieser Art anbieten können. Mehr brauche ich nicht zu zitieren. Das war der Anstoß. Damit habe ich mich auseinandergesetzt und werden wir uns weiter auseinandersetzen.
({36})
Ich habe den Eindruck, daß manches hier doch ein wenig ausgeglichener beurteilt wird.
Mit einem können Sie mich gar nicht identifizieren, verehrte Herren. Ich sehe heute in einem Wochenblatt, dessen mich am meisten interessierender Redakteur der Herr Wenger ist, die Überschrift: „Neutral um welchen Preis? Wehner verfälscht mit seinen Vorwürfen die defensive Grundstruktur der NATO". Ich habe nie erklärt und werde nicht erklären, daß ich dafür sein werde, die Bundesrepublik solle sich einen Neutralitätsstatus zu beschaffen versuchen. Die Zeit ist vorbei. Als es keine Möglichkeit. zu dem gab, was Sie früher hochgestimmt als „Wiedervereinigung" so gut wie gepredigt haben, obwohl nicht alles daran gestimmt hat - - Das kenne ich besser als die, die es damals nicht miterlebt haben.
({37})
Ich weiß das. Ich war 17 Jahre der Vorsitzende des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen. Es ist klar: Dieser Zug, wenn es ihn je einmal gegeben haben sollte, vielleicht im Zusammenhang mit einem Angebot von 1952, auf das es nie eine ernsthafte Antwort gegeben hat, zu einem Friedensvertrag zu kommen - sehr problematisch damals, sehr problematisch - - Wir werden, wenn Sie wollen, Zeit haben, darüber zu diskutieren. Dann können wir uns gegenseitig ein wenig im Geschichtsbewußtsein weiterhelfen. Nur, ein Stoff, der mich oder die sozialdemokratische Bundestagsfraktion oder die sozialdemokratische Politik heute charakterisieren könnte, ist das nicht: „Neutral um welchen Preis?" - sozusagen: um jeden Preis -, und solche Scherze mehr.
Bündnis und Entspannung - das ist das, was unseren Willen zur Erfüllung der Aufgaben charakterisiert, die wir nach dem Grundgesetz und durch die Verträge haben und die nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen wir auch weiter verpflichtet sind.
Hier ist, verehrter Herr Kollege Mertes, wenn auch in einer - na, sagen wir mal - etwas beschwichtigenden Form und in der Umkehrung ein wenig darüber geklagt worden, daß der Begriff „Finnlandisierung" jetzt immer wieder gebraucht wird. Ich habe ihn auch in der bedeutenden Rede gefunden, die der Herr frühere Kollege Franz Josef Strauß in Passau - wo denn sonst - gehalten hat. Da steht:
Ich war der vorletzte europäische Politiker, der die Möglichkeit hatte, mit Mao Tse-tung zu sprechen. Er ist eine der großen revolutionären Gestalten des 20. Jahrhunderts, ein Mann, dessen Name schwer auf der Geschichte seines Volkes und auf der Geschichte Asiens liegt. Aber sein letzter Satz war: „Herr Strauß, sagen Sie Ihren Landsleuten in Europa, ihre größte Gefahr ist die Finnlandisierung!"
Machen Sie das mit Herrn Strauß selber aus. Ich mache mich weder zu seinem Präzeptor noch zu seinem Korrektor. Allerdings bitte ich Sie, darüber nachzudenken, ob es fair ist, einen Begriff, den andere Leute aus anderen Gründen in Erörterungen eingebracht haben, so zu übernehmen und breitzutreten.
({38})
Ich finde es unfair gegenüber dem Volk, das ja zweimal Kriege hat führen müssen.
({39})
- Ich hatte Sie nicht gemeint, verehrter Herr Zwischenquäker. Mir geht es um eine Sache, bei der wir versuchen müssen, in der Abgewöhnung uns gegenseitig beistehen zu helfen. Wenn man von „Finnlandisierung" spricht, so ist das weder gut für Finnland noch ist es gut für das Verhältnis zu anderen und auch zu denen, deren Vertragspartner die Finnen aus Gründen, die man sich einigermaßen erklären kann, geworden sind. Wenn es Ihnen höflich erscheint, dies hier in den letzten Wochen vor dem Besuch des finnländischen Präsidenten so zu betonen, tun Sie mir leid. Für Ihren Takt spricht das nicht.
({40})
Ich verlange ja gar nicht, daß Sie meine Auffassung annehmen. Ich bitte Sie nur, andere nicht zu beleidigen. Mich können Sie beleidigen, aber bitte tun Sie es anderen Völkern nicht an.
({41})
- Das können Sie. Ich würde dann wenigstens mit einer Marke, die Sie mir ankleben, wenn auch nicht durch die Geschichte, so doch durch die Landschaft gehen. Ich würde dann den Stempel daruntersetzen: Patent CDU/CSU - weiter nichts. Sie kriegen mich doch nicht unter. Das wissen Sie doch ganz genau.
({42})
Führen Sie diesen Krieg aber nicht auch noch auf
Kosten unseres Verhältnisses zu anderen und des
Vertrauens im Verhältnis zueinander, das andere zu
uns haben. Ihnen macht das nichts aus; das weiß ich.
({43})
Sie glauben, Sie können sich alles erlauben, weil Sie ein C vorne und ein U hinten haben.
({44})
- Nein! Ich heiße doch nicht wie Sie, und ich weiß doch ganz genau, daß das, was Sie gestern an frenetischem Beifall bekommen haben,.
({45})
vorwiegend ein Demonstrationsbeifall gegen die amtierende Bundestagspräsidentin war, weil sie Sie auf den Ablauf Ihrer Redezeit aufmerksam gemacht hat. Mehr war doch da nicht drin, Herr. Kohl.
({46})
Täuschen Sie sich nicht. Ich habe ja nicht für Sie zu sprechen.
({47})
- Nein, ich wollte Ihnen ja nur sagen, daß ich damit das, was ich für heute habe sagen wollen und wohl auch müssen, gesagt habe. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({48})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Kollegen Mertes gern darin folgen - dies sage ich für meine Fraktion -,
daß auf die Verteufelung des politischen Gegners von uns allen bei dieser und bei jedweder Gelegenheit verzichtet werden sollte.
({0})
Meine Damen und Herren, wir müssen das aber für und gegen alle gelten lassen. Dazu gehört dann, auch, daß Herbert Wehner. nicht mit dem Vorwurf verfolgt wird, er spiele den Kommunisten und Moskau in die Hände.
({1})
In der Sache müssen wir uns offen und kontrovers auseinandersetzen, auch und gerade mit Herbert Wehner. Aber das hat, wie mir scheint, ohne Gemeinheiten zu geschehen.
({2})Ich bin Herbert Wehner außerordentlich dankbar dafür, daß er seinen Schriftwechsel mit dem Außenminister hier der Öffentlichkeit bekanntgemacht, hat. Das hat in der Sache Unklarheiten beseitigt und Mißverständnisse ausgeräumt. Die Fraktion der FDP glaubt, daß das nicht nur den persönlichen
Beziehungen genützt hat, sondern auch der 'Sache und der Debatte zugute kommen kann.
({3})
Mit den Großen Anfragen, mit der Antwort der Bundesregierung und der ausführlichen Diskussion ist das schwierige Feld, das gestern und heute Gegenstand der Beratung war, voll ausgeleuchtet worden. Die Position der Bundesregierung in Sachen Sicherheit und Abrüstung ist so eindeutig,
({4})
und der Bundeskanzler hat die Position heute noch einmal so klar präzisiert, daß Mißdeutungen eigentlich ausgeschlossen sind.
({5})
Kontroversen entstehen doch wohl am ehesten dadurch, daß die Balance durch Gewichtsverlagerungen gestört wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn die einen bevorzugt von Abrüstung reden, während die anderen immer nur das Element der Sicherheit beschwören. Aber die offizielle Politik dieser Bundesregierung hat hier zu Zweifeln niemals Anlaß gegeben; sie hat immer auf klarem Kurs gelegen.
Die Fähigkeit zur Entspannungspolitik haben wir erst durch die unsere Freiheit sichernde militärische Stärke im Atlantischen Bündnis erlangt. Die Chancen für ihre erfolgreiche Durchsetzung sind abhängig von dem Maß der Übereinstimmung in dem Atlanti- schen Bündnis und dem Vertrauenskapital, das bei den Partnern der Europäischen Gemeinschaft angesammelt werden konnte. Die Bundesregierung hat sich dabei von dem vorrangigen Prinzip der Solidargemeinschaft zu keinem Zeitpunkt abbringen lassen. In der militärischen Allianz und in der Europäischen Gemeinschaft hat sie dabei den ihr zukommenden Anteil bereitwillig übernommen. Das aktiv drängende, motorische Element war und ist dabei in der Europäischen Gemeinschaft sicher stärker vorhanden; aber für diese Variante gibt es wahrlich gute Gründe. Wir erleben alle, wie stark die Schatten unserer jüngsten Vergangenheit im Inland und im Ausland das Bild der Gegenwart bestimmen. Es wäre fatal, würden wir einen schwierigen Prozeß zusätzlich belasten.
Es ist deshalb auch wichtig, daß wir immer wieder jene klare Position deutlich machen, die in dem Verzicht auf die ABC-Waffen begründet ist. Das, was wir in Fortsetzung dieser Grundlagenposition in der Zwischenzeit getan haben, ist in der Debatte wiederholt dargestellt und in Erinnerung gebracht worden. Und doch können und wollen wir den Fragen nach der angemessenen Bewaffnung der Streitkräfte nicht ausweichen. Es war eine quälende Diskussion, als diese Entscheidung in den fünfziger Jahren anstand. Es ist bis heute eine bedrückende und jeden belastende Thematik geblieben. Wen kann es deshalb wundern, daß sie im Augenblick der Umrüstung neu wiederaufbricht?
Aber anders als auf dem Feld der Verteidigungspolitik ist es bei dem Ringen um die politische Ein11268
heit Europas sicher verdienstvoll, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland mit den anderen europäischen Partnern in einen edlen Wettbewerb um die Rolle. des Schrittmachers begibt. Die Namen Adenauer, Brandt, Scheel, Schmidt und Genscher haben hier einen verdienstvollen Klang. Sicher schlug auch das deutsche Herz nicht immer unvermindert stark für Europa. Es bleibt aber erfreulich, daß der europäische Gedanke - und das in einem weitgehenden Konsens aller Parteien - immer wieder forciert wurde. Dankbar ist zu vermerken, daß die Bundesregierung dabei gerade wieder in einem neuen Anlauf erfolgreich initiativ gewesen ist.
Bedeutsam sind die Bereitschaft und der praktizierte Wille der Bundesrepublik Deutschland, die eigene Entscheidungskompetenz in die Organe der Europäischen Gemeinschaft eingehen zu lassen. Daran haben Regierung und Koalition selbst dann konsequent festgehalten, wenn die Opposition sie' zu einem Alleingang veranlassen wollte. Die Gründe dafür mögen durchaus achtbar gewesen sein, z. B. bei der Menschenrechtsdiskussion im Zusammenhang mit der KSZE-Folgekonferenz in Belgrad. Dennoch haben wir der Versuchung widerstanden und sind auch dann bei einem in der Gemeinschaft abgestimmten Verhalten geblieben, als es um die nationale Frage ging. Wir ' sind dankbar, den Weg der Völkergemeinschaft gefunden zu haben, und wir wollen diesen Erfolg auch nicht wieder aufs Spiel setzen.
Im übrigen dürfte es sich auch in der Sache als erfolgversprechender erweisen, auf internationalen Konferenzen nicht allein, sondern im Verband aufzutreten. Der Einfluß und die Durchsetzungskraft werden um so stärker sein, je geschlossener die Partner dabei handeln können, und dies gilt letztlich auch für unsere nationalen Anliegen.
Meine Damen und Herren, mit dieser klaren Einstellung zu den frei gewählten Gruppierungen in der NATO und in der Europäischen Gemeinschaft haben wir unseren Anteil an der auf Friedenssicherung und Entspannung gerichteten Politik zu erbringen und haben das auch weiterhin zu leisten. Konkret stellt sich dort die Frage: Muß die Rüstung unverzüglich verstärkt werden, und ist dabei auch eine verbesserte nukleare Bewaffnung in Europa erforderlich, weil der sowjetischen Bedrohung Europas durch Panzer und Mittelstreckenraketen nicht anders begegnet werden kann, oder kann eine sowjetische Abrüstung bei Panzern und Raketen dadurch erreicht werden, daß Verhandlungen demonstrativ mit dem vorübergehenden Verzicht auf eigene Rüstungsbestrebungen gekoppelt werden?
Nun klingt ja der Satz zunächst sehr logisch und ökonomisch überzeugend, es sei unsinnig, aufzurüsten, um abzurüsten. Aber läßt sich dieser Vorgang tatsächlich so isoliert betrachten? Ohne Abhängigkeiten vom Verhalten anderer wäre es dann ja wohl viel konsequenter, einfach einseitig abzurüsten. Das würde uns die die Volkswirtschaft sehr belastenden Ausgaben ersparen und uns in die Lage versetzen, sehr viel mehr für andere, für kulturelle und soziale Zwecke aufzuwenden. Aber so schlicht und so rührend sind die Dinge in dieser Welt nun einmal nicht, und der für militärische Zwecke betriebene Aufwand versteht sich immer nur als Antwort auf eine bestehende oder doch jedenfalls vermeintlich bestehende Bedrohung von außen.
Nun bestreitet niemand die Überlegenheit des sowjetischen Militärpotentials, und niemand kann ernsthaft die darin liegende Bedrohung für Westeuropa leugnen. Andererseits glaubt niemand - auch die Opposition hat das nicht getan -, daß die Sowjetunion für einen Angriffskrieg auf Westeuropa rüstet. Muß also die Frage nach dem Umfang der Gefahr unentschieden bleiben? Wie immer die Antwort ausfällt: Nur der kann die Entspannungspolitik erlebbar, begreifbar und zustimmungsfähig machen, der uns aus dem Teufelskreis der Rüstungen ausbrechen läßt.
Meine Damen und Herren, der vorübergehende Verzicht auf weitere Aufrüstung erscheint aber angesichts dieser Ungewißheit nicht ohne Probleme. Es mag von einer sittlich-moralischen Stärke der eigenen Position zeugen. Aber der Skeptiker wird doch wohl einwenden, daß für Vorleistungen noch zu keiner Zeit etwas nachgeleistet worden ist.
({6})
Indessen kann es gleichwohl von großer Wirkung sein, wenn die Führungsmacht der freien Welt, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten die Produktionsentscheidung über die Neutronenwaffe zurückstellt und der Sowjetunion gleichzeitig ein Abrüstungsangebot macht. Wirksam kann dieses Vorgehen jedenfalls dann sein, wenn es einer Kombination von militärischer Stärke, politischer Einsicht und Rücksicht auf die Interessenlage der Gegenseite entspringt. Erfolglos muß es bleiben, wenn es von Ratlosigkeit, Unentschlossenheit und Schwäche diktiert wird. Die sowjetische Regierung wird sicherlich nicht in den Fehler verfallen, in einem durch das Vietnam-Syndrom geprägten Amerika und in seiner deshalb behutsam reagierenden Führung einen schwächlichen Popanz zu sehen.
Die bislang geübte Zurückhaltung kann Wirkungen aber letztlich nur dann haben, wenn der Wille in seiner Ernsthaftigkeit unzweifelhaft ist, notfalls dann eben doch jene Waffen zu beschaffen, mit denen dem starken sowjetischen Rüstungspotential begegnet werden soll. Dies deutlich zu machen ist Aufgabe des Bündnisses, zuallererst Aufgabe Amerikas und seines Präsidenten, und dann Verpflichtung der europäischen Partner, eine solche Aufgabe durch ihren Beitrag überhaupt lösbar zu machen. Die Bundesregierung hat sich zu diesem Beitrag immer bekannt. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, daß diese Haltung auch heute für ihre Politik allein maßgeblich ist.
Wenn es zu konkreten Abrüstungshandlungen ohne weitere Aufrüstung im Westen kommen soll, ist die sowjetische Regierung am Zuge. Sie muß jene Fakten schaffen, auf denen sich Überzeugung gründen kann. Erst wenn sie anfängt, ihr Militärpotential um jenen Teil zu reduzieren, der auf eine Verteidigungsrüstung draufgesattelt ist, können ihre Entspannungsbeteuerungen auch bei uns glaubhaft werden.
({7})
Dies gilt auch für den jüngsten Vorschlag Breschnews, alle KSZE-Staaten auf einen Nichtangriffspakt zu verpflichten. Wir Freien Demokraten schätzen die Bedeutung dieses Zeichens aus Moskau nicht gering. In der bekundeten Absicht drückt sich eine gewisse Parallelität der Interessen in Ost und West aus. Wir werden alles tun, um das Stadium der reinen Absichtserklärungen zu überwinden. Wir werden jeden ernsthaften Versuch unterstützen, der geeignet ist, dem Entspannungsprozeß neue Impulse zu vermitteln. Dieses Ziel wird jedoch nur dann realistisch und schließlich erreichbar sein, wenn konkrete Abrüstungsschritte der Sowjetunion vorangehen. Im Klartext: der Vorschlag kann nur dann einer Prüfung standhalten, wenn er von Taten flankiert wird.
({8})
Wenn wir von der Sowjetunion verlangen, daß sie uns von ihrem Friedenswillen überzeugt, und wenn wir deshalb darauf bestehen, daß die auf Europa gerichteten Waffen abgebaut werden, dann sollten wir aber auch nicht vergessen, daß wir es waren, die in der Vergangenheit mit einem vom Nationalsozialismus gegründeten Rassenwahn Weltgeschichte machen wollten und Europa in einen blutigen Krieg gestürzt haben. Wir sind inzwischen den Weg der Demokratie gegangen. Wir haben das Recht, die errungenen Freiheiten zu bewahren und militärisch abzusichern. Aber mit dem Vorwurf des Weltmachtstrebens sollten wir selbst dort behutsam umgehen, wo der Kommunismus die Weltrevolution in sein Programm geschrieben hat.
Die sowjetische Regierung aber muß andererseits erkennen, daß sie nun nicht gerade von einem besonderen Vertrauenskapital zehren kann. Was der Schweizer Völkerbund-Delegierte Guiseppe Motta 1934 beim Eintritt der Sowjetunion in den Völkerbund festgestellt hat, kann heute noch in weiten Kreisen gut nachempfunden werden:
Wenn Sowjetrußland plötzlich aufhört, den Völkerbund zu bekämpfen, so kann man sich das mit dem Wetterleuchten im Fernen Osten erklären, aber trauen können wir der Sowjetunion deshalb noch nicht.
So damals die Kennzeichnung aus der Sicht des Vertreters der Schweiz.
Aber wie heute ist auch damals um den richtigen Weg gerungen worden, und es hieß damals:
Der Völkerbund ist nichts anderes als eine neue Form internationaler Zusammenarbeit. Er ist keine moralische Institution, sondern eine politische Vereinigung; ihr vornehmster Zweck ist die Verhinderung von Kriegen und die Erhaltung des Weltfriedens.
Die Schweiz hat dem ihre sittliche Rigorosität entgegengesetzt. Sie blieb ablehnender Meinung. Der Opportunismus - selbst der bestbegründete und von hohen Erwägungen ausgehende Opportunismus - sei der Schweiz ganz einfach verboten. An die Evolution des bolschewistischen Regimes könne sie nun einmal nicht glauben. So wurde damals formuliert.
Hier wurde eine dogmatisch klare Position vertreten, eine achtbare Haltung, die nicht ohne Eindruck bleiben konnte. Allerdings: für die praktische Politik hat sie wenig brauchbare Anleitungen geliefert - damals nicht und für heute nicht.
Für uns bleibt die Frage nach den Aussichten der Entspannungspolitik unvermindert aktuell. Ist sie tatsächlich, wie die FAZ kürzlich leichthin leitartikelte, am Ende? Aus den Hauptstädten der Weltmächte hört man das Gegenteil, zum Glück für uns, die wir auf der Grenzlinie der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme liegen, die sich hochgerüstet gegenüberstehen. Wir brauchen die Politik der Verständigung und der Zusammenarbeit besonders in einer Situation, in der ein sehr martialisch ausgefallener Eintritt Chinas in die Weltpolitik, der Umbruch im Iran und der immer noch ungelöste Nahost-Konflikt starke Beunruhigungen schaffen. Die Sorge um die Erhaltung des Friedens war es denn ja wohl auch, die den englischen Premierminister so nachdrücklich die Fortsetzung der Entspannungspolitik beschwören ließ. Wenn in diesem Augenblick hierzulande verkündet wird, daß es mit der Entspannungspolitik aus sei, wirkt das zwar sehr zackig, aber doch wenig sinnvoll.
Die „FAZ" und wohl auch die Opposition machen es sich wirklich zu einfach, wenn sie eine Äußerung von Herbert Wehner, die aber wahrlich nicht mit der Haltung der Bundesregierung identisch ist, dennoch zum Anlaß nimmt, die offizielle Politik des Westens als Beschwichtigungspolitik zu brandmarken. Nur auf dem Boden so konstruierter Logik ist es möglich, von einer Destabilisierung des Westens als Ergebnis der Entspannungspolitik zu reden. Den Zustand Westeuropas als instabil zu umschreiben heißt doch, die Dinge einfach auf den Kopf zu stellen. Schließlich gibt es wenige Regionen in der Welt, die so gefestigt und politisch, wirtschaftlich und militärisch gleichermaßen intakt sind, wie es Westeuropa nun einmal ist. Das ist das Ergebnis einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit auf allen politischen Ebenen. Dieser stabile Zusammenschluß hat in einem die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme überspannenden Dialog die Fähigkeit bewiesen, über viele Jahre den Frieden zu sichern und Konflikte zu entschärfen.
Richtig ist allerdings auch, daß in diesem Entspannungsdialog der entscheidende Schritt zur militärischen Abrüstung noch nicht getan werden konnte. Aber wenn ausgerechnet wir in diesem Augenblick ungeduldig werden und wenn wir uns von der Entspannungspolitik lossagen wollen, zeugt das bestimmt nicht von politischer Klugheit.
Gewiß haben die Ereignisse unserer Nachkriegsgeschichte von 1953, 1956 und 196B eindringliche Erfahrungswerte dafür geliefert, wie die Sowjetunion angesichts ihrer militärischen Stärke Machtpolitik treibt. Verständlich deshalb auch, daß sich immer wieder kritische Stimmen zu Wort melden und mahnen. Die Politik der Bundesregierung aber muß konsequent auf Ausgleich gerichtet bleiben. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren und jede
Chance nutzen, um eine Stagnation der Entspannungspolitik zu verhindern.
Die für eine solche Politik notwendige Risikobereitschaft darf natürlich niemals zur Gefährdung der eigenen Sicherheit entarten. Die Einschätzung der anderen Seite muß nüchtern und mit besorgter Vorsicht erfolgen. Die Betrachtung durch die rosarote Brille ist fehl am Platz, ja sie schadet, weil sie die eigene Position diskreditiert. Aber von dem ernsthaften Versuch, die Entspannung für die Menschen in unserem geteilten Land, in Europa und in der Welt durch Verringerung der Rüstung wirksam werden zu lassen, werden wir uns nicht abbringen lassen.
({9})
Wir werden jedoch dafür Sorge tragen, daß die Entspannungsbereitschaft nicht mit Anpassung und schon gar nicht mit Unterwerfung gleichgesetzt werden kann. Der Wille und die Bereitschaft zur Behauptung unserer Freiheit sind nicht einzuschläfern.
Für diese auf Ausgleich zielende Politik gibt es noch einen ganz urdeutschen Grund, nämlich die an der Einheit der Nation ausgerichtete Interessenlage. Der Kollege Dr. Gradl wird es mir nachsehen, wenn ich aus einem Referat zitiere, das er am 3. März 1979 auf der Deutschland-Tagung der Exil-CDU gehalten hat. Dort hat er ausgeführt:
Alle, die an Deutschland als Ganzem und den Deutschen insgesamt festhalten und das nationale Ziel erreichen wollen, müssen wissen, daß dazu eine neue Ordnung gefunden werden muß. Das kann nach unseren Vorstellungen nur im soliden Rahmen Europas gelingen.
Er fuhr dann fort:
Dies deutlich zu halten ist auch im. Hinblick auf die Sowjetunion ein Gebot der Vernunft. Eine friedliche Überwindung der deutschen Spaltung ist ohne sowjetische Einsicht nicht möglich.
Und Herr Gradl schloß dann an:
Der Sowjetunion muß erkennbar bleiben, daß unsere Europapolitik friedenspolitisch und deutschlandpolitisch konstruktiv sei und legitime sowjetische Interessen nicht unbeachtet lassen will. Anders ausgedrückt: Spekulation auf sowjetische Kapitulation wäre weder europapolitisch klug noch deutschlandpolitisch realistisch.
Mir scheint, Herr Kollege Gradl hat diese um Verständnis werbenden und auf Verständigung abzielenden Worte leider nur vor dem zu kleinen Kreis der Exil-CDU gesprochen. Schade, schade. Der CDU insgesamt, besonders aber denen, die sich immer wieder als Scharfmacher gebärden wollen, gehören sie ins Stammbuch geschrieben. Für uns alle sollten sie Richtschnur einer konsequenten Entspannungspolitik bleiben.
({10})
Als letzter gemeldeter Redner hat Herr Abgeordneter Dr. Dregger das Wort. .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer nun schon etwa vier Stunden andauernden Debatte ist bisher ein einziger Sprecher der Opposition .zu Wort gekommen; ich bin der zweite.
({0})
In diesem Hause stehen sich die Regierung und zwei Regierungsfraktionen auf der einen Seite und die stärkste Fraktion dieses Hauses auf der anderen Seite gegenüber.
({1})
Ich frage Sie, ob es demokratischem Stil und Ihrem Gefühl für Fairneß entspricht, wenn der Bundeskanzler sein Rederecht, das ihm formal selbstverständlich unbegrenzt zur Verfügung steht, dazu mißbraucht, von den vier Stunden allein zwei Stunden für sich selbst in Anspruch zu nehmen.
({2})
Es wäre eine Unterschätzung Ihrer Qualitäten, Herr Bundeskanzler, wenn man glaubte, Sie seien nicht in der Lage, Ihre Gedanken zusammenzufassen und das, was zu diesem Thema zu sagen ist, in einer Stunde darzulegen. Was Sie gemacht haben, war Filibustern, nichts anderes.
({3})
Es kommt hinzu, daß Sie die anstehenden Fragen des Bündnisses, die Fragen, die wir aufgeworfen haben, insbesondere die Fragen, die der Herr Wehner in Ungarn und anderswo aufgeworfen hat, überhaupt nicht beantwortet haben.
({4})
Sie haben heute ein Seminar über Verteidigungslehre und Entspannungslehre gehalten, das sicherlich in einigen Passagen ganz interessant gewesen ist.
({5})
Ihrer Aufgabe als Kanzler sind Sie in dieser Sicherheits- und Abrüstungsdebatte des Deutschen Bundestages jedoch nicht gerecht geworden.
({6})
Meine Damen und Herren, Sie werden Verständnis haben, wenn ich bei diesem Diskussionsstand und dieser eklatanten Benachteiligung der Opposition in dieser Sache nicht nur an Ihren Heimreisewunsch denke, sondern mich mit dem gebotenen Ernst und der dafür erforderlichen Zeit noch einmal diesem Thema zuwende. Bei diesem Thema geht es ja um die politisch letzten Dinge, um Frieden, um Sicherheit, ja, um das physische Überleben unseres Volkes. Das kann nicht nur Sache von
Experten, von Politikern sein, es muß Sache aller Bürger sein. Auf der anderen Seite berührt dieser Gegenstand viele Sachgebiete, die ungewöhnlich kompliziert sind - militärisch, strategisch, politisch. Das zwingt dazu, zu unterscheiden zwischen dem, was Experten zu klären haben, und dem, was Politiker zu entscheiden haben.
So verdienstvoll es war, daß Herr Kollege Ehmke gestern auf hohem Niveau, wie ich meine, eine Fülle von Tatsachen, Fragestellungen, Problemen, Optionen in diese Debatte eingeführt hat - er hat es auf der Seite der SPD als einziger getan, nicht etwa der Verteidigungsminister, der sich nur durch Provokationen ausgezeichnet hat, wie er sich in Schleswig-Holstein durch Zoten ausgezeichnet
hat
({7})
und so richtig die Feststellung Ehmkes ist, daß die NATO ihre Experten beauftragt hat; die verschiedenen Optionen noch einmal zu prüfen, ehe die Politiker letzte Entscheidungen treffen, so sind zwei Dinge auch richtig: erstens daß die Politiker des Westens ihre Grundsatzentscheidungen so rechtzeitig treffen müssen, daß nicht die wachsende Überlegenheit der Sowjetunion ein Ausmaß erreicht, das es ihnen unmöglich macht, noch zwischen Optionen zu wählen, und zweitens daß es auch bei dem begrenzten Stand unseres Wissens - und unser Wissen wird immer begrenzt sein - möglich ist, bereits heute Grundsatzentscheidungen zu treffen, Maßstäbe zu formulieren, an denen sie zu messen sind, politische Vorgaben zu machen, die die Detailarbeit der Experten erst sinnvoll machen können.
Deshalb, meine ich, war es keine gute Politik, daß der Bundeskanzler in der Diskussion der letz- ten 12 Monate geschwiegen hat, daß er trotz seiner zweistündigen Ausführungen heute wiederum die eigentlichen Fragen nicht beantwortet hat.
({8})
Das ist deshalb so bedauerlich, weil führende Politiker seiner Partei es anders gehalten haben, weil sie in diesen Lebensfragen unseres Volkes in einer Weise öffentlich Stellung genommen haben, die die Sicherheit unseres Landes und auch den Zusammenhalt des Bündnisses bedroht.
Beanstanden müssen wir auch, Herr Bundeskanzler, daß Sie für Schweigen Begründungen gegeben haben - nicht heute, aber vorher -, die in der Sache unhaltbar sind und den Entscheidungsspielraum verringern, den wir uns offenhalten müssen.
Mein Hauptanliegen heute ist aber, den Standpunkt der Opposition noch einmal in zehn Punkten zusammenzufassen, was, mir deshalb notwendig erscheint, weil vor allem die interessanten Beiträge des gestrigen Tages Verwirrungen oder jedenfalls Zweifel ausgelöst haben.
Erstens. Unser erstes Anliegen, unser erstes Ziel in der Sicherheits- und Abrüstungspolitik heißt Frieden.
({9})
Kein Volk in Europa ist so auf den Frieden angewiesen wie das deutsche.
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Sowohl nach der Offensivstrategie des Ostens - das hat auch Graf Lambsdorff gestern ausgeführt; die sowjetische Armee wird auf den Angriff ausgebildet und ausgerüstet - als auch nach der Defensivstrategie des Westens - die NATO plant die Vorne-, nicht die Vorwärtsverteidigung -, also nach den Strategien beider Seiten wäre unser Land Hauptkriegsschauplatz eines europäischen Krieges. Deutsche Politik kann daher auch im nationalen Interesse nur Friedenspolitik sein.
({11})
Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist sie unter jeder Regierung und zu jedem Zeitpunkt Friedenspolitik gewesen.
Unser zweites Ziel in der Sicherheits- und Abrüstungspolitik heißt Freiheit. Das schließt die Freiheit ein, uns ohne Furcht vor äußerem Druck als Glied der westlichen demokratischen Völkerfamilie frei entfalten zu können, ferner das Recht, mit fried- lichen Mitteln auf unser vornehmstes nationales Ziel, das Selbstbestimmungsrecht und damit die Einheit aller Deutschen, hinwirken zu können. Frieden und Freiheit haben für uns den gleichen Rang, einen höheren als die Einheit.
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Es gibt kein nationales Ziel, zu dessen Durchsetzung Gewaltanwendung gerechtfertigt wäre.
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Meine Damen und Herren, wenn eine Seite dieses Hauses mittelbar oder unmittelbar den Eindruck zu erwecken versucht, als gäbe es in dieser Frage in diesem Hause eine Frontstellung, Meinungsverschiedenheiten, Unterschiede, dann ist das nicht nur unrichtig, sondern weckt auch unbegründete Besorgnisse bei unseren Nachbarn im Osten wie im Westen
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und gibt denen Vorwände, die ihrerseits eine aggressive Politik betreiben.
({15})
Deswegen stelle ich fest: In einem Ziel stimmen alle demokratischen Parteien und alle Bürger in diesem Lande - mit Ausnahme einiger verrückter Terroristen - überein, nämlich dem Ziel, daß in Deutschland und Europa nicht mehr geschossen werden darf, daß Frieden sein muß, daß Leben geschützt werden muß und nicht vernichtet werden darf.
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Zweiter Punkt. Frieden und Freiheit verlangen nach Sicherheit. Sicherheit kann nicht allein auf die guten Absichten des Staats- und Parteiführers einer uns gegenüberstehenden Großmacht gestützt werden, so wichtig dieser ist und so sehr wir uns darum bemühen müssen, denn erstens ist eine solche Absicht objektiv nicht erkennbar, zweitens kann sie sich ändern, drittens sind auch Staats- und Partei11272
führer sterblich und. viertens können sie auch aus anderen Gründen aus ihren Ämtern abberufen werden.
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Beurteilungsgrundlage für die Sicherheit können nur die einander gegenüberstehenden Machtpotentiale sein. Hierzu kommt die Staatsideologie. Es ist ein Unterschied, ob sie offensiv - und Weltrevolution ist ein offensives Ziel - oder defensiv ist. Es ist ferner ein Unterschied, ob ein politisches System Macht durch Gegenmacht ausbalanciert wie bei uns - oder ob die Macht in wenigen Händen konzentriert ist. Trotzdem: Übermacht ist immer bedrohlich. Ich stimme Herrn Ehmke darin ,zu, daß die Sowjetunion nicht kritisiert werden kann, wenn sie durch Nachrüstung Parität im Bereich der Interkontinentalwaffen angestrebt hat, allerdings nur dann nicht, wenn die Sowjetunion in den Bereichen, in denen sie Überpariät hat, gleichzeitig abrüstet, damit Parität auf allen Feldern eintritt.
({18}) .
Die Tatsache, daß das nicht geschehen ist, daß man dort, wo man unterlegen war, Parität herbeiführt, aber dort, wo man überlegen ist, darauf besteht, Überparität zu behalten .
({19})
- sie auszuweiten -, ist Grundlage unserer Besorgnis.
Drittens. Meine Damen und Herren, in der Dekade der Entspannung hat die Sowjetunion ein militärisches Potential aufgebaut, dessen Ausmaß gerade für Europa bedrohlich ist. Ich hätte jetzt zwar gern aus der Antwort der Bundesregierung - Graf Lambsdorff hat mit Recht kritisiert, daß sich die Debatte so wenig um die Antwort gedreht habe - zitiert, verweise aber aus Zeitgründen auf die Ziffern 27 bis 31, in denen dieses ungeheure Vernichtungspotential, dieses ungeheure Ungleichgewicht in Europa zahlenmäßig sehr präzise dargestellt wird. Ich will mich darauf beschränken, aus der Ziffer 32 der Antwort der Bundesregierung zu zitieren, die eine Zusammenfassung der Beurteilung des Kräftegleichgewichts gibt. Es heißt dort wörtlich:
Angesichts der nuklear-strategischen Parität zwischen den USA und der Sowjetunion erhalten die Disparitäten im Kräfteverhältnis zwischen NATO und Warschauer Pakt größeres Gewicht für die Strategie: der Aufwuchs des sowjetischen nuklearen Mittelstreckenpotentials, daß die gesamte NATO in Europa zusätzlich bedroht, und das Übergewicht bei den konventionellen Kräften in Europa machen diese Disparitäten aus. Die Fähigkeit der sowjetischen Flotte, die atlantischen Seeverbindungen vorübergehend ernsthaft zu beeinträchtigen, käme im Verteidigungsfall der Offensivkapazität des Warschauer Paktes zugute.
Herr Kollege Ehmke, das haben Sie gestern etwas
vom Tisch zu wischen versucht. Es ist ein Unterschied, ob eine große Landmacht, die sich im wesentlichen selbst versorgen kann, über eine große maritime Rüstung verfügt oder ein Bündnis, das nur existieren kann, wenn die Seeverbindungen offenbleiben,
({20}) .
insbesondere der Atlantik offenbleibt, der Brücke zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika bleiben muß.
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Dieser sehr zurückhaltend formulierten Antwort der Bundesregierung ist im übrigen nur hinzuzufügen, daß die Sowjets dabei sind, Anfang der 80er Jahre - das wurde in der Debatte schon erwähnt - auch auf dem Felde der nuklearen Interkontinentalwaffen eine begrenzte Überlegenheit den USA gegenüber zu gewinnen, falls die erforderlichen Gegenmaßnahmen von seiten der USA nicht rechtzeitig getroffen werden. Das hat Mister Kissinger in seinem schon mehrfach zitierten Interview im „Economist" vom 3. Februar überzeugend dargelegt.
Welche Schlußfolgerungen sind aus den Antworten der Bundesregierung und diesem Zusatz, auf den uns Kissinger zusätzlich aufmerksam gemacht hat, für die Sicherheitslage Europas zu ziehen? Es ist doch für unseren amerikanischen Verbündeten schon jetzt, im Stadium einer ungefähren Parität im Bereich der Interkontinentalwaffen, außerordentlich problematisch, die europäischen Disparitäten auszugleichen. Daraus ergibt sich ferner, daß die Vereinigten Staaten von Amerika dazu überhaupt nicht mehr in der Lage sein werden, wenn die Entwicklung eintreten sollte, vor der Mister Kissinger gewarnt .hat.
Viertens. Sicherlich wäre es nicht nur das für den Westen Bequemste, sondern das für alle Seiten Beste, wenn das verlorengegangene regionale und das bedrohte globale Gleichgewicht durch Abrüstung wiederhergestellt würde, was im wesentlichen Verminderung sowjetischer Überparität bedeuten würde.
Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß keine Verhandlungschance in dieser Richtung ungenutzt bleiben sollte, weil es für uns das Bequemste und vor allem für alle das Beste ist.
Aber dem muß doch die nüchterne Feststellung hinzugefügt werden, daß nach den bisherigen Erfahrungen nicht vorausgesetzt werden kann, daß die Sowjetunion dazu bereit ist.
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In den Wiener MBFR-Verhandlungen weigert sie sich doch nun schon seit Jahren, auf die westliche Forderung nach Parität einzugehen, oder sie bezeichnet ihre eigene Überparität als Parität.
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Das ist die neue Taktik, die auf dasselbe hinausläuft.
({24})
Noch wichtiger ist dies: Es entspricht sowjetischem Denken - darauf hat Herr Kollege Mertes häufig hingewiesen -, einmal errungene Überlegenheiten als unumkehrbare historische Tatsachen zu verstehen und nur noch dort verhandeln zu wollen, wo noch eigene Unterlegenheiten vorhanden sind.
Meine Damen und Herren, die Folgerung daraus ist: Verhandlungsangebote für Rüstungsbegrenzungen und Rüstungskontrolle und Verhandlungen über Abrüstung auf der einen Seite und Nachrüstung auf der anderen Seite sind möglichst gleichzeitig vorzunehmen; jedenfalls müssen sie unabhängig voneinander vorgenommen werden. Man kann Verhandlungen über Abrüstung nicht als Alternative zu Entscheidungen über Nachrüstung begreifen.
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Fünftens. Nachrüstung wie Abrüstung müssen das gleiche Ziel anstreben, nämlich militärisches Gleichgewicht. Dazu ist es notwendig, die vorhandenen Disparitäten abzubauen. Das gilt für den Bereich der Mittelstreckenraketen. Ich will dazu nichts mehr sagen, weil es schon Hauptgegenstand der Debatte gewesen ist. Das gilt auch für den taktisch-nuklearen Bereich, der im Westen ohnehin modernisiert werden muß, und zwar in einer Weise, daß es dem Westen möglich ist, die vierfache Panzerüberlegenheit Herr Bundeskanzler, auch das ist doch ein Faktum, das wirkt, selbst wenn Panzerabwehrwaffen zur Verfügung gestellt werden, mit denen wir noch nicht gleichwertig sind -, dieses Übergewicht auszugleichen. Dazu wäre die Neutronenwaffe ein geeignetes Instrument. Aber wir haben als Politiker nicht zu entscheiden, ob es dieses oder ein anderes Instrument sein wird. Die Hauptsache ist, daß wir die Entscheidung treffen, daß wir ein Instrument brauchen, welches auch im konventionellen Bereich das Gleichgewicht wiederherstellt.
Schließlich haben die Europäer ein essentielles Interesse daran, daß die USA im interkontinentalen Nuklearbereich wenigstens die Parität aufrecht. erhalten und ihre Zweitschlachtkapazität auch für den Anfang der achtziger Jahre sicherstellen, weil davon die Eskalationsfähigkeit und damit die Glaubwürdigkeit der flexiblen Antwort der Strategie der NATO abhängen.
Sechstens. Nachrüstung im nuklearen Bereich kann nicht von uns bewirkt werden, da wir auf Nuklearwaffen verzichtet haben. Wir sind in dieser Hinsicht auf das_ Bündnis - praktisch auf die USA - angewiesen. Der Herr Bundeskanzler hat heute, im Gegensatz zu früheren Ausführungen erfreulicherweise darauf hingewiesen, daß es durchaus singuläre Lagen innerhalb des Bündnisses gibt,
({26})
immer gegeben hat und immer geben wird. Ob daraus auch ein Gefälle in der Sicherheitslage wird, hängt davon ab, ob das militärische Gleichgewicht insgesamt wiederhergestellt werden kann oder verlorengeht.
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Nun komme ich zu einem besonders schwierigen Punkt. Vielleicht ist es denkbar, daß das ganze Haus mit meinen bisherigen Ausführungen übereinstimmt. Bei den meisten jedenfalls, auch bei den anderen Fraktionen, dürfte das der Fall sein. Aber nun ist die Frage: Wie soll denn der singulären Lage der Nichtnuklearmacht Bundesrepublik
Deutschland in unmittelbarer Grenzberührung mit der sowjetischen Vormacht in einer Weise Rechnung getragen werden, die unsere Sicherheit ermöglicht?
Herr Ehmke, im Gegensatz zu Ihnen - Sie haben dazu gestern noch verschiedene Optionen genannt - bin ich der Meinung, daß es dafür nur ein Mittel gibt, die engstmögliche Verflechtung deutscher und amerikanischer Truppen auf deutschem Boden, und zwar nicht nur im konventionellen Bereich, sondern auch im nuklearen Bereich, wie das schon heute bei den taktisch-nuklearen Waffen der Fall ist. Nur durch eine solche Verflechtung kann der Vorstellung begegnet werden, die Automatik der Eskalation, der Zusammenhalt zwischen der amerikanischen Weltmacht und uns könnten einmal aufgelöst werden. Herr Ehmke, das ist nicht nur eine Frage unseres Vertrauens in die Vereinigten Staaten von Amerika. Viel wichtiger ist noch, was ein möglicher Angreifer glaubt; denn wir wollen doch nicht Bündnistreue bis zum gemeinsamen Untergang praktizieren, sondern wir wollen, daß jeder Zweifel an der Bündnistreue ausgeschlossen wird, damit es erst gar nicht dazu kommt, damit die Abschreckungsfähigkeit erhalten bleibt.
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Dafür ist es aber sicher ein ungeheurer Unterschied, ob zwischen der Weltmacht USA und uns auf unserem Boden eine Verflechtung mit unseren Truppen stattfindet oder ob das Abschreckungspotential der USA fern von unserem Land auf den Weltmeeren schwimmt. Das ist ein gravierender Unterschied. Nicht wegen unseres Vertrauens oder Nichtvertrauens auf die Amerikaner, sondern um jeden Zweifel an dem Zusammenhalt auszuschließen muß diese Integration nach meiner Meinung weiterhin auf deutschem Boden stattfinden.
Siebentens. Eine solche Verflechtung setzt die Zustimmung des Bündnisses - das ist richtig - und unmittelbare Vereinbarungen zwischen den USA und dem jeweiligen Stationierungsland voraus, nicht aber ein gleichmäßiges Verhalten aller möglichen Stationierungsländer, nicht aber ein gleichmäßiges Verhalten aller europäischen Nichtnuklearstaaten; nur mit denen können wir uns vergleichen; wir können uns nur mit Luxemburg, mit den Niederlanden, mit Belgien und mit Dänemark vergleichen, nicht mit Großbritannien oder Frankreich, die über eigene Nuklearsysteme verfügen, die nur unter ihrer Verfügungsgewalt stehen.
Meine Damen und Herren, es wäre natürlich dei beste Beweis der Solidarität im Bündnis und der gemeinsamen Interessenlage, wenn wir Dänemark, Holland, Belgien und Luxemburg veranlassen könnten, in dieser Frage mit uns solidarisch zu entscheiden, eine gemeinsame Position zu beziehen. Abel auf der anderen Seite würden wir doch diese Verbündeten, die Parlamente und Regierungen Luxemburgs, der Niederlande, Belgiens und Dänemarks überfordern, wenn wir unsere Sicherheit von ihren Entscheidungen abhängig machen wollten.
Achtens. Jetzt kommt ein ganz wichtiger Punkt:
Die Nuklearverteidigung der ' Bundesrepublik
Deutschland wird von den USA - ich möchte es so einmal sagen - treuhänderisch wahrgenommen. Dieses Treuhandverhältnis wurde vertieft, als wir, nachdem wir schon zehn Jahre vorher einseitig auf die Produktion von Nuklearwaffen verzichtet hatten, den Verzicht auf eine eigene Nuklearbewaffnung durch den Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag völkerrechtlich nach allen Seiten verbindlich gemacht haben.
({29})
Das haben wir auf Wunsch unseres amerikanischen Verbündeten getan.
({30})
Die Geschäftsgrundlage war und ist, daß dieses Treuhandverhältnis der USA und der Bundesrepublik Deutschland fortexistiert.
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Dieses Treuhandverhältnis verbindet uns nur mit den USA, mit keinem anderen westlichen Verbündeten. Kein anderer westlicher Verbündeter ist bereit und in der Lage, diese Verflechtung im nuklearen Bereich mit uns vorzunehmen.
Die Militärdoktrin unseres französischen Nachbarn sagt ausdrücklich, daß die französischen Nuklearwaffen nur dem Sanktuarium Frankreichs zu dienen bestimmt sind. Für Frankreich sind wir insoweit nur militärisches Glacis. Wenn wir Deutschland verteidigen, verteidigen wir Frankreich;
({32})
ob sich Frankreich, in welcher Weise sich Frankreich an der Verteidigung Deutschlands beteiligt, bleibt offen. Deshalb ist Frankreich ja aus der integrierten Struktur der NATO ausgeschieden.
Dieses Treuhandverhältnis besteht nur zwischen den USA und uns. Ich meine, daraus ergeben sich gegenseitige Verpflichtungen beider Partner. Die USA sind verpflichtet, bei ihrer Nuklearverteidigungsplanung auf unsere Interessen Rücksicht zu nehmen. Das können Sie aber nur, wenn die Bundesregierung bereit ist, unsere Interessen zu formulieren und geltend zu machen. Deswegen war die frühere Aussage des Bundeskanzlers - die er heute nicht wiederholt hat -, wir könnten als Nichtnuklearmacht einer Nuklearmacht in Nuklearfragen keinen Rat erteilen, absurd; ich bitte um Entschuldigung. Gerade weil wir eine Nichtnuklearmacht sind, müssen wir unsere Interessen einer anderen Macht - der Treuhandmacht USA - gegenüber formulieren und geltend machen, weil wir diese Aufgabe selber ja überhaupt nicht erfüllen können.
({33})
Wie die USA verpflichtet sind, aus dem Treuhandverhältnis heraus bei ihrer Nuklearplanung unsere Interessen zu beachten, so sind wir verpflichtet, Amerika mit Rat und Tat zu unterstützen, wenn es in Ausübung dieses Treuhandverhältnisses unsere Nuklearverteidigung vorbereitet und plant.
Ich muß mit Bedauern sagen - denn hier geht .es nicht um SPD, CDU oder was weiß ich -, daß die Verpflichtungen aus diesem Treuhandverhältnis in der Diskussion der letzten 12 Monate von deutscher Seite aus in eklatanter Weise verletzt worden sind.
({34})
Sie sind zunächst von Herrn Bahr verletzt worden, als er sich in der sowjetischen Propagandakampagne gegen die Neutronenwaffe, die sich ja personell gegen den amerikanischen Präsidenten richtete, ganz deutlich auf die Seite der Sowjetunion stellte.
({35})
- Ja, es ist wirklich unverschämt, daß der Herr Bahr sich so verhielt.
({36})
Er hat von einer „Perversion des Denkens" gesprochen. Er hat das leider nicht auf sein Denken bezogen, was nahegelegen hätte.
Der zweite, der diese Verpflichtung aus diesem Treuhandverhältnis eklatant verletzt, ist der Herr Wehner, indem er seine Kampagne völlig unabhängig von der Regierung - wie ich annehme und hoffe - gegen die Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts im Mittelstreckenbereich führt. Was besonders unerträglich ist, Herr Wehner,
({37})
- ja; danke! - ist die Tatsache, daß Sie dieses
Treuhandverhältnis zwischen den demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika und der demokratischen Bundesrepublik Deutschland, von dem unsere Sicherheit abhängt, mit der Achse zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien vergleichen. Das ist unerträglich, Herr Wehner.
({38})
Wenn Sie Mitglied der Regierung wären, würden wir Ihren Rücktritt fordern.
({39})
- Na also, bitte: Wenn Sie sich mehrfach äußern, werden ja nicht alle Journalisten immer Unrecht haben!
({40})
Bitte geben Sie Ihre Position mal konkret an! Das haben Sie heute nicht getan.
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Sie haben nur allgemein darüber hinweggeredet.
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- Es kommt nicht darauf an. Das war ja nur die Einleitung des Gedankens, den ich jetzt aussprechen möchte: Weil Sie nicht Mitglied der Regierung sind, können wir Ihren Rücktritt nicht fordern.
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Aber weil Sie im Regierungslager mächtiger als jedes Regierungsmitglied sind
({44}) - das merken wir unaufhörlich, Herr Wehner!
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Sie haben einen unheilsamen Einfluß auf die Politik der Regierung und auf die deutsche Politik - deswegen beschränken wir uns nicht darauf,
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Sie zu kritisieren, sondern sprechen Ihnen wegen dieses Vergleichs unsere uneingeschränkte Mißbilligung aus.
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Aber nicht nur die Herren Bahr und Wehner haben Verpflichtungen verletzt, die sich aus diesem Treuhandverhältnis zwischen den USA und uns ergeben. Das Schweigen des Kanzlers und die Tatsache, daß er während der sowjetischen Kampagne gegen die Neutronenwaffe, die sich praktisch gegen den amerikanischen Präsidenten richtete, schwieg und den amerikanischen Präsidenten, der dieses Angebot doch nicht im Interesse Amerikas in den Raum gestellt hatte - denn die russischen Panzer bedrohen ja nicht Amerika, sondern uns -, im Regen stehen ließ, auch das, Herr Bundeskanzler, war, wie ich meine, eine Verletzung der Pflichten, die sich aus dem besonderen Treuhandverhältnis zwischen den USA und .der Bundesrepublik Deutschland ergeben.
({48})
- Ja, ich will das gern tun.
Neuntens. Ich will nicht untersuchen, welche Motive bei führenden Politikern der SPD in dieser Frage den Ausschlag geben. Ich will nur die Folgen ihrer Politik aufzeigen, die meines Erachtens klar voraussehbar sind. Ohne die Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts hi Europa geraten insbesondere die europäischen Nichtnuklearstaaten, vor. allem die an der Grenze zur Sowjetmacht gelegene Bundesrepublik Deutschland, in die Abhängigkeit von der Sowjetunion. Die Bundesrepublik Deutschland wird auf diese Weise vom westlichen Bündnis zwar nichtrechtlich, aber tatsächlich abgekoppelt, zunächst im militärischen und dann, wenn es so käme, auf Dauer auch im politischen Bereich. Das, was voraussehbar ist, wird nicht morgen eintreten. Aber wenn in diesen Wochen und Monaten die Weichen falsch gestellt werden, wird ein Prozeß in Gang gesetzt, der morgen nicht mehr umkehrbar wäre. Deshalb würden wir unverantwortlich handeln, wenn wir bei unseren heutigen Entscheidungen oder Nichtentscheidungen die mittelfristigen und langfristigen Folgen nicht in die Überlegungen einbeziehen würden. Es ist durchaus richtig, was der Oppositionsführer gestern gesagt hat: Es ist noch Zeit, die erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Wir können sie nicht allein treffen. Wir können nur dazu beitragen. Die letzte Entscheidung liegt bei den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Amerikaner sind aber keine imperiale Großmacht alten Stils. Sie wollen Zustimmung, möglichst sogar noch von ihren Gegnern. Sie sind darauf aus, in dem Bündnis als erster unter gleichen zu handeln und uns nicht ihren Schutz aufzuoktroyieren. Deswegen haben wir eine eigene Verantwortung.
Was wir zur Zeit in der SPD hinsichtlich der Sicherheitspolitik erleben, erinnert, wie ich meine, in fataler Weise an ihren Deutschlandplan vom 18. März 1959. Dieser Plan sah damals ein formelles Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO vor, d. h. ihre völlige, auch völkerrechtlich fixierte Abkoppelung vom westlichen Bündnis. Unser verstorbener Kollege von Guttenberg - einige kennen ihn ja noch aus diesem Hause - kritisierte das damals wie folgt. Er sagte: Was die SPD ein gleichwertiges Auseinanderrücken in Europa nenne, sei in Wahrheit das Ingangsetzen eines geschichtlichen Prozesses, an dessen Ende unweigerlich die Kapitulation Europas vor Sowjetrußland oder, anders ausgedrückt, die Inbesitznahme der westlichen Halbinsel Asiens durch dessen Vormacht stehe.
Wenn das derzeitige militärische Übergewicht der Sowjetunion fixiert wird, wenn dadurch das Sicherheitsgefälle innerhalb des Bündnisses zu Lasten der Schwächsten, der Nichtnuklearmächte, vergrößert wird, kann die Sowjetunion auch ohne formelles Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO das erreichen, was sie damals im Zeitpunkt des Gleichgewichts nur durch ein formelles Ausscheiden hätte erreichen können.
({49})
Darin, meine Damen und Herren, liegt die Vergleichbarkeit der Situation des Jahres 1979 mit der des Jahres 1959, was gleichzeitig erklärt, warum in beiden Fällen Politiker derselben Partei, nämlich der SPD, insbesondere der Herr Kollege Wehner, denselben Fehler machen. Damals, Herr Wehner, als Sie in Ihrer berühmt gewordenen Rede den Deutschlandplan der SPD kurz nach seiner Veröffentlichung zurückzogen, haben verschiedene Kollegen gemeint, das sei eine innenpolitisch motivierte taktische Positionsveränderung, aber keine außenpolitisch motivierte Positionsveränderung, die auf einer veränderten Beurteilung der Lage beruhe, Ich meine, Ihr jetziges Verhalten in diesen Wochen bestätigt die damalige Vermutung.
({50})
11276 Deutscher Bundestag - 8.. Wahlperiode - 142. Sitzung. Bonn, Freitag; den 9. März 1979
- Nur, die Nachwirkungen dessen, Herr Wehner, was wir in Gang setzen und was Sie in Gang setzen, haben auch die noch wahrzunehmen und gegebenenfalls zu erleiden, die es nicht miterlebt haben. Insofern muß man darüber reden können.
({51})
Zehnter Punkt. Wir fordern die Bundesregierung auf, aus den Tatsachen, die sie in ihrer Antwort mitgeteilt hat, die gebotenen Konsequenzen zu ziehen. In Sicherheitsfragen muß der Kanzler auch dann handeln, wenn er nicht auf die begeisterte und einhellige Zustimmung seiner Partei stößt.
({52})
Als Bundeskanzler Adenauer die Entscheidungen zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und zur Lagerung taktisch-nuklearer Waffen der USA auf deutschem Boden, ihre Integration mit deutschen Truppen einleitete, waren diese Entscheidungen höchst unpopulär, auch in der CDU 'höchst unpopulär, meine Damen und Herren. Aber Bundeskanzler Adenauer nahm das - gewiß nicht gern in Kauf. Er nahm es in Kauf, weil es um die Sicherheit und damit um den Frieden und die Freiheit unseres Volkes geht.
({53})
Herr Bundeskanzler, Sie beziehen sich in letzter Zeit im Gegensatz zu früher gern auf diesen wirklich großen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Wir möchten Sie bitten: Verhalten Sie sich in dieser Sicherheitsfrage so, wie sich Konrad Adenauer in Sicherheitsfragen verhalten hat!
({54})
Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Aufrechterhaltung des Friedens und der Freiheit sind wichtiger als die Einheit einer Partei oder die ungeteilte Zustimmung aus der Partei des Bundeskanzlers für den Bundeskanzler. Wir sind bereit, die Regierung in jedem Schritt zu unterstützen - moralisch, politisch -, der der Sicherheit unseres Landes, der Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts dient. Unser Entschließungsbeitrag, den wir heute eingebracht haben, soll dafür eine Entscheidungshilfe sein.
({55})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
({0})
Herr Kollege Dregger, ich war einer der Mitbeteiligten bei der Erarbeitung des Deutschlandplans. Es ist jetzt 20 Jahre her. Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie die außenpolitischen Umstände, unter denen damals gearbeitet wurde, offenbar nicht vor Augen haben. Vielleicht darf ich Sie mit einem Satz darauf hinweisen, daß es die Zeit war, wo sich der erste, durch das Platzen der Pariser Gipfelkonferenz zwischen
Ost und West dann beendete Versuch einer Entspannungspolitik zu entwickeln schien.
Ich halte den Rückgriff auf geschichtlich weit zurückliegende Abschnitte, deren Bedeutung für die Sicherheitsdebatte von heute ich nicht erkennen kann, für einen Mißgriff, den wir eben gehört haben.
({0})
- Ich wäre aber notfalls durchaus bereit, darüber eine Viertelstunde zu reden.; nur, dann werden Sie sich wieder beklagen, daß ich Ihre Zeit verbrauche.
({1})
Ich möchte Ihnen bei einem anderen Punkt Ihrer Thesen ausdrücklich zustimmen: was das Treuhandverhältnis angeht. Ich glaube nicht, daß Sie bei dem, was Herr Genscher oder Herr Apel oder Graf Lambsdorff oder ich oder sonst jemand hier ausgeführt haben, etwas anderes haben herauslesen können.
({2})
- Auch nicht. - Selbstverständlich machen wir innerhalb dieses Treuhandverhältnisses und innerhalb des Bündnisses auch gegenüber der nuklearen Vormacht des Bündnisses, den Vereinigten Staaten gegenüber, unsere Interessen geltend. Wieso eigentlich nicht? Was ist das für eine- abartige Pflege eines Mißverständnisses, dem Sie in Wirklichkeit doch gar nicht unterliegen, Herr Dregger?
({3})
Sie unterliegen diesem Mißverständnis in Wirklichkeit doch gar nicht, sondern wissen sehr wohl, daß wir unsere Interessen, die Interessen unseres Landes, geltend machen.
Aber ich denke nicht, daß wir den Interessen unseres Landes dienen, wenn wir öffentlich nach nuklearen Entscheidungen verlangen - und in dieser Sache hat Ihre Partei einen gewissen historischen Rekord, nicht nur an einer einzigen Station der letzten 20 Jahre -, wenn wir öffentlich nach nuklearen Entscheidungen der Amerikaner zu einem Zeitpunkt verlangen,' in dem sie nicht getroffen werden müssen, in dem auch andere Mitgliedstaaten, deren Interessen auch nicht anders gelagert sind - auch sie sind diesem Treuhandverhältnis anheimgegeben -, ihre Meinung noch nicht geklärt haben und in dem sogar die Amerikaner selber ihre Meinung noch nicht geklärt haben.
Ich hatte das vorhin vorgetragen. Sie haben es vorgezogen, Ihre Rede gleichwohl unverändert so vorzutragen, wie Sie sie wahrscheinlich gestern abend vorbereitet hatten. Sie sind leider in mehreren Punkten auf das, was ich Ihnen heute morgen vortrug, überhaupt nicht eingegangen. Das tut mir leid.
Wenn Sie mit Recht verlangen, daß wir in diesem Bündnisverhältnis, das, was den nuklearen Schutz angeht, ein Treuhandverhältnis besonderer
Art ist, unseren. Verbündeten USA, auf den wir an-. gewiesen sind, mit Rat und Tat unterstützen, so steht das gar nicht im Widerspruch zu dem, was Sie vorher verlangt haben, nämlich unsere Interessen geltend zu machen. Diese beiden Maximen können einander einmal widersprechen, aber es gibt keinen prizipiellen Widerspruch.
Ich stimme Ihrem „mit Rat und Tat" zu. Aber wenn das ernst gemeint ist -- und das wurde ja von Ihnen zur nuklearen Thematik vorgetragen, es wurde vorgetragen zur Thematik des nuklearen Schutzes, dem wir als Nichtnuklearmacht anheimgegeben sind -, wie kann man dann hier in derselben Debatte, Herr Dregger, eines der wichtigsten strategischen Ereignisse auf diesem Felde, nämlich den Abschluß eines Abkommens zwischen den beiden nuklearen Weltmächten zur Begrenzung der nuklearstrategischen Waffen, eines Abkommens, das uns mit schützen wird, von seiten Ihrer Partei gleichzeitig so behandeln, daß gesagt wird: Wir werden hier dem vertragschließenden Bündnispartner weder mit Rat noch mit Tat helfen, sondern wir halten uns einmal ganz fein zurück und kritisieren im übrigen die Einzelheiten?
({4})
- Lieber Herr Dregger, ich gebe Ihnen gerne Raum für eine Zwischenfrage. Man kann ja Zwischenfragen so formulieren, daß sie vom Präsidenten nicht beanstandet werden müssen. Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, ist Ihnen nicht offenkundig geworden, daß meine Fraktion empfiehlt, daß wir auf die Entscheidung im amerikanischen Kongreß keinen unmittelbaren Einfluß nehmen, weil die Entscheidung in der Souveränität der Vereinigten Staaten liegt, daß wir aber unsere Interessen und insofern auch unsere Vorschläge diesem Bündnispartner gegenüber aus dem Treuhandverhältnis heraus geltend machen? Und dafür ist in unserem Entschließungsantrag eine Palette von Punkten genannt worden.
Ich glaube, mit der Souveränität der USA hat das nichts zu tun. Wenn man, wie Sie gesagt haben, einen Rat geben will, spielt die Souveränität des Empfängers keine Rolle. Wir wollen ja nicht jemandem einen Rat durch Drohung oder durch Gewalt aufzwingen; das wäre ja abwegig. Wir wollen einen Rat geben. Sie rufen dazu auf, einen Ratschlag zu geben, und den Ratschlag kann man der souveränen amerikanischen Regierung genauso geben wie dem souveränen amerikanischen Senat. Nein, Herr Dregger, Sie drücken sich um die Konsequenz Ihrer eigenen These. Das ist es!
({0})
Einen Rat kann man geben.
({1})
- Sehr gut, das ist ein Einwand, den ich akzeptiere. Sie könnten sagen: Ich habe die Dokumente noch nicht gesehen. Allerdings wissen Sie, was in ihnen steht. Auch ich habe sie noch nicht gesehen, aber ich weiß auch schon, was darin steht. Sie könnten sagen: Ich will warten, bis die Dokumente vorliegen. Dann hätte sich allerdings Herr Wörner vorhin noch nicht zu einzelnen Teilen der Dokumente äußern dürfen.
Worauf es aber entscheidend ankommt: Wenn Sie sagen „Ich halte mit meinem Rat zurück, bis ich weiß, worüber eigentlich votiert werden soll", dann seien Sie doch bitte so gut, auch hinsichtlich der Mittelstrecken-Problem-Lösung zu warten, bis Sie wissen, was eigentlich entschieden werden soll. Da haben Sie doch auch keine Dokumente gesehen;
({2}) da gibt es ja auch gar keine Dokumente.
({3})
Wenn Sie schon an die späten 50er Jahre erinnern, erinnern Sie sich bitte daran, daß es manchmal auf seiten Ihrer Parteien etwas zu viel Eifer gegeben hat, sich allzu früh mit allzu bestimmten und in den Ohren anderer sehr falsch aufgefaßten Forderungen in bevorstehende nukleare Entscheidungen einzumischen.
Ich bedaure, daß Sie heute morgen meine Ausführungen zur Neutronenwaffe, die sorgfältig formuliert waren, nicht zur Kenntnis zu nehmen geruht haben. Es tut mir sehr leid. Ich muß den Vorwurf der Pflichtverletzung, den Sie in diesem Zusammenhang erhoben haben, ganz eindeutig zurückweisen.
({4})
Ich verstehe, daß es Ihnen nicht mehr bewußt ist - Sie waren damals in der Landespolitik -, aber einigen von Ihnen ist durchaus bewußt - Herrn Marx, Herrn Mertes, Herrn Wörner wohl auch, Herrn Damm, die ich gerade hier sitzen sehe -, wie sehr sich eine deutsche Bundesregierung z. B. in den 60er Jahren außenpolitisch nicht nur gegenüber östlichen, sondern auch gegenüber westlichen Partnern mit der Forderung nach der MLF die Finger verbrannt hat.
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- Sie wurde angeboten, und sie wurde mit zu großem Feldgeschrei nur von den Deutschen dann schließlich angenommen, weil man sich unter Druck gesetzt fühlte. Dann stellte sich heraus, daß man der einzige in ganz Europa war. Es stellte sich auch heraus, daß die Amerikaner den MFL-Vorschlag schneller fallenließen, als es in Deutschland gemerkt wurde. Da haben sich einige damals die Finger verbrannt. Ich bin nicht schadenfroh. Nur finde ich, daß es das gute Recht der gegenwärtigen Bundesregierung ist, daß sie sich nun nicht zum Gerechtigkeitsausgleich nach einer Position drängt wo sie sich dann vielleicht die Finger in ähnliche] Weise verbrennt.
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11278 DeutsCher Bundestag - 8. Wahlperiode Bundeskanzler Schmidt
Sie haben am Anfang einen Satz gesagt, Herr Dregger, den ich begrüße und unterstreiche: Spielraum offenhalten. Bitte, beherzigen Sie dies, halten Sie Spielräume offen! Versuchen Sie nicht, unser Land oder dessen Regierung in Einengungen hineinzutreiben. Ich halte, soweit ich das kann, mit der Bundesregierung den Spielraum offen, außenpolitisch und innenpolitisch.
Damit komme ich zu Ihrer letzten Bemerkung. Sie haben verlangt, daß der Kanzler ohne Rücksicht auf Popularität auf dem Felde der Sicherheit handelt. Dazu sagte ich Ihnen: Das tut der nicht nur in Sicherheitsfragen, sondern der handelt auf allen Gebieten so, wie ihm das seine grundgesetzlichen Pflichten und seine eigenen Gewissensüberzeugungen vorschreiben, die er sich immer erst dann bilden kann, wenn er eine Sache wirklich von allen Seiten studiert und zu betrachten sich Mühe gegeben hat. Ohne eine Sache zu kennen, kann man von ihr keine Gewissensüberzeugung haben. Die Popularität ist dabei überhaupt kein Gesichtspunkt, Herr Dregger, für mich nicht. Aber eine Erfahrung meines politischen Lebens kann ich Ihnen verraten: Wenn man ohne Rücksicht auf vordergründige Popularität entscheidet und handelt, gewinnt man in der Tat Popularität. Das ist der Unterschied zwischen manchen der Personen, die für Sie gestern und heute gesprochen haben, und anderen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, es ist jetzt nicht mehr die Stunde, auf die Art und Weise einzugehen, wie Sie heute diese Debatte über weite Strecken zu führen beliebten. Ich will mich nur ganz kurz zu Ihrer Schlußbemerkung äußern. Ich meine, die Art und Weise, wie Sie dem in der Form wie im Inhalt sehr zurückhaltend vorgetragenen Hinweis des Kollegen Dregger eben begegnet sind, ist unerträglich.
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Der Kollege Dregger, Herr Bundeskanzler, hat Sie - ich sage es noch einmal - in einer ernsten, dem Wesen des Gegenstandes angemessenen Form darauf hingewiesen, daß sich der Bundeskanzler Konrad Adenauer in der Frage der Wiederbewaffnung in einer sehr schwierigen psychologischen Position auch in seiner eigenen Partei, in der eigenen Fraktion der CDU/CSU damals gegen entschiedenen Widerstand durchgesetzt hat. Ich finde, das ist ein für Sie eigentlich doch sehr ehrenvoller Hinweis, in diese Reihe gestellt zu werden. Daß Ihre Reaktion darauf so erfolgt, wie sie erfolgt ist, ist ein Beweis für Ihr schlechtes Gewissen. Das ist der Punkt, warum ich überhaupt hier rede. Denn, Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich das deutlich sagen:
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ich kann nicht erkennen, daß Sie sich würdig in diese
Reihe stellen, wenn ich Ihre Nichtentscheidung zu
den Kernfragen der deutschen Energiepolitik in den
letzten Jahren betrachte, wenn ich mir die Erkenntnisse aus diesem Raum aus den letzten zwei Jahren in der Frage der inneren Sicherheit noch einmal vergegenwärtige und wenn ich Ihre Position betrachte
da Sie jetzt, Ihrer Art entsprechend, anfangen, aus persönlichen Gesprächen zu zitieren; Sie haben heute ein weiteres Beispiel dafür gegeben - in den Gesprächen über die Frage der Neutronenwaffe im April des vergangenen Jahres. Sie haben damals in Gesprächen, bei Ihren Einlassungen in Brüssel und anderswo eine andere Position erkennen lassen, als Sie dann später unter dem Druck der Linken in Ihrer eigenen Partei hier in diesem Hause deutlich gemacht haben.
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Es ist doch nicht wahr, daß Sie damals bei den amtlichen Darstellungen etwa im Bundesverteidigungsrat die gleiche Position vertreten haben, .die Sie hier im Hause oder in der SPD-Fraktion vertreten haben. Es ist schon so, wie Alfred Dregger hier eben gesagt hat: Herr Wehner ist nicht Mitglied der Fraktion - pardon,
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des Kabinetts -, aber Herr Wehner bestimmt letztlich darüber, was Sie zu sagen haben.
Sie haben sich heute über das Wort beschwert - das ist ja die Sache, die wir Ihnen vorwerfen -, Sie setzten sich nicht durch, weil Sie zu feige sind, mit Herrn Wehner die offene Auseinandersetzung zu eröffnen. Deswegen können Sie an diesem Punkt von uns keine Zustimmung erwarten.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Kollege Kohl, Sie sind besonders empfindlich, was politische Werturteile über andere Personen angeht. Ich bitte Sie, mir abzunehmen: Ich habe ein ganz schön dickes Fell.
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Nur sollten Sie sich einmal überlegen, ob es Sache des Oppositionsführers ist, den Regierungschef im Bundestag einen Feigling zu nennen. Das sollten Sie sich wirklich einmal überlegen.
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Ich versichere Sie: Ich habe die Kraft zurückzuschlagen. Dann wollen wir mal sehen, wer dabei Sieger bleibt. .
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Nur: Das kann dem deutsche Volke nicht viel nützen.
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Sie haben den Vorwurf der Feigheit in einem Zusammenhang erhoben, der hier der Klarstellung beBundeskanzler Schmidt
darf. Das kann heute mittag nicht mehr geschehen, aber ich werde Mittel und Wege finden, um Sie in vollständige Kenntnis aller Texte zu setzen, die es darüber gibt. Was Sie hier berichtet haben über eine Haltung des Bundessicherheitsrats - dem Sie nicht angehören ist unwahr. Ich bin gespannt darauf, wie Sie Ihre Behauptungen rechtfertigen wollen, es sei denn, Sie hätten sich geheime Protokolle beschafft, die gefälscht gewesen sein müssen.
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Ich werde Ihnen die tatsächlichen Protokolle zum Einblick geben, und ich wäre dankbar, wenn Sie sich bei nächster Gelegenheit hier im Bundestag berichtigten.
So kann man nicht miteinander umgehen, daß man Dinge erfindet, die es nicht gibt, und jemand anders dann mit dem Vorwurf der Feigheit hier sonnabends nachmittags um halb zwei nach Hause schickt.
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- Gott sei Dank, es ist erst Freitag; das- Wochenende ist noch ein bißchen länger.
Nein, Herr Kohl, dann müssen Sie zur Sache der Neutronenwaffe selber etwas sagen. Das hat ja auch Herr Dregger nicht getan.
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Sie haben sich darauf beschränkt, hier etwas vorzutragen, wovon Sie' etwas läuten gehört haben.' Sie
haben nur gedacht: Da kann man ihm was anhängen,
und dann hängen wir die Feigheit gleich noch hinterher! Das finde ich, offen gesagt, Herr Kohl, schofel.
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Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Es liegen noch zwei Entschließungsanträge zu den Großen Anfragen vor. Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 8/2638 auf. Wird dazu das Wort ge- wünscht? - Das ist nicht der Fall. Es ist- interfraktionell vorgeschlagen, diesen Entschließungsantrag dem Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung dem Verteidigungsausschuß zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Wer ist für diese Überweisung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe dann den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/2639 auf. Hierzu wird das Wort auch nicht gewünscht? - Es wird ebenfalls empfohlen, diesen Enschließungsantrag zur Beratung an dieselben Ausschüsse .zu überweisen. Wer stimmt diesem Vorschlag zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 14. März 1979, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.