Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/16/1979

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Die Unterrichtung durch die Bundesregierung betreffend die verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken - Drucksache 8/2558 - soll gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Präsident 'des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 7. bis 13. Februar 1979 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/2583 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen. Die in Drucksache 8/2238 unter Nr. 33 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag einer Verordnung ({0}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 729/70 über die Dotierung des EAGFL, Abteilung Ausrichtung wird als Drucksache 8/2585 verteilt. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 14. Februar 1979 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Entwurf eines Beschlusses des Gemischten Ausschusses zur Ersetzung der Rechnungseinheit durch die Europäische Rechnungseinheit in Artikel 8 des Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder ,,Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen Entwurf einer Erklärung des Gemischten Ausschusses zu der Begriffsbestimmung der Europäischen Rechnungseinheit und der künftigen Überprüfung der in Europäischen Rechnungseinheiten ausgedrückten Beträge Vorschlag für eine Verordnung ({2}) des Rates zur Durchführung des Beschlusses des Gemischten Ausschusses ({3}) ({4}) zur Ersetzung der Rechnungseinheit durch die Europäische Rechnungseinheit in Artikel 8 des Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs ,,Erzeugnisse mit Ursprung in" oder ,,Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen - Drucksache 8/2337 Nr. 2 Vorschlag einer Verordnung ({5}) des Rates zur Verwendung der Europäischen Rechnungseinheit ({6}) in den den Zollbereich betreffenden Rechtsakten - Drucksache 8/2337 Nr. 7 Vorschlag einer Verordnung ({7}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 222/77 über das gemeinschaftliche Versandverfahren - Drucksache 8/2466 Nr. 9 Ich rufe nunmehr Punkt 25 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege und den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers ({9}) - Drucksache 8/2471 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({10}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Das Wort zur Einbringung hat die Frau Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit.

Antje Huber (Minister:in)

Politiker ID: 11000968

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit -dem vorliegenden Entwurf eines Krankenpflege- und Hebammengesetzes will die Bundesregierung die Ausbildung zu den Berufen in der Krankenpflege und Geburtshilfe neu ordnen. Eine solche Neuordnung ist notwendig, um diese Ausbildung an den heutigen Erkenntnisstand von Wissenschaft und Praxis anzupassen und, die für die Zukunft zu erwartenden Entwicklungen entsprechend zu berücksichtigen. Eine Neuordnung in diesem Sinne - das möchte ich einmal eindeutig klarstellen - bedeutet nicht eine grundlegende Änderung gewachsener und bewährter Strukturen. Bestehende Ausbildungseinrichtungen und bislang qualifizierte Unterrichtskräfte sollen auch in Zukunft ihre Ausbildungsaufgaben weiterführen, und die bisherigen Träger der Ausbildungsstätten, insbesondere auch die Kirchen und Wohlfahrtseinrichtungen, sollen selbstverständlich weiterhin Träger bleiben können. Ich möchte dies gerade im Interesse all jener betonen, die im Dienste der Gesundheit für jeden von uns täglich da und sich ihrer verantwortungsvollen Aufgabe bewußt sind, die sich dieser Aufgabe mit viel Idealismus und Aufopferung widmen. Ich bedaure sehr, daß es gerade in diesem Bereich durch Fehlinformationen und Fehlinterpretationen der Vorstellungen und Absichten des Regierungsentwurfs zu einer gewissen Verunsicherung gekommen ist. Damit soll jetzt Schluß sein. Meine Damen und Herren, es geht der Bundesregierung in der Sache um eine Lösung folgender grundsätzlicher Probleme: eine Erweiterung und Verbesserung der Ausbildung, die Umsetzung der EG-Richtlinien für die Krankenpflege in nationales Recht, die Anpassung an das Europäische Übereinkommen über die theoretischè und praktische Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern von 1967, eine Klärung der Ausbildungsstruk11016 tur und dabei auch des Status der Ausbildungsstätten hinsichtlich der zukünftigen Finanzierung der Ausbildung. Herr Kollege Hasinger hat anläßlich der Einbringung des Entwurfs eines Hebammengesetzes der CDU/CSU-Fraktion im Dezember vergangenen Jahres gesagt, daß die Opposition in den Regelungen ihres Entwurfs bewußt den Wortlaut des Regierungsentwurfs übernommen habe und hoffe, die Gespräche zwischen den Parteien im Interesse einer sachlichen Regelung dadurch zu-erleichtern. Ich habe mich jetzt gefragt, warum Sie nicht auch den Wortlaut des Regierungsentwurfs zugrunde legen, wenn es um die von uns vorgeschlagene einheitliche - nicht gemeinsame - Grundbildung geht, deren Einführung als Hauptkriterium gegen eine zusammenfassende gesetzliche Regelung für die Berufe in der Krankenpflege und .der Geburtshilfe hier ins Feld geführt wird. Herr Kollege Jaunich hat in der erwähnten Debatte im Dezember bereits deutlich gemacht, welches Mißverständnis hier zugrunde liegt. Das Vorhaben einer Zusammenfassung der berufsrechtlichen Regelung für mehrere Gesundheitsberufe in einem Gesetz ist zunächst unabhängig von der Konzeption einheitlicher Grundbildungen bei Ausbildungsgängen verwandter Berufsgruppen zu sehen. Wir waren uns doch vor gar nicht langer Zeit quer durch alle Fraktionen einig, den Versuch zu machen, die zunehmende Gesetzesflut einzudämmen. Verwandte Materien sollten in einem Gesetz zusammengefaßt und nicht in mehreren getrennten Einzelregelungen untergebracht werden. Im Bereich der nichtärztlichen Heilberufe gibt es heute über 15 einschlägige Berufsgesetze und -verordnungen. Hier erscheint eine Zusammenfassung doch nun wirklich sinnvoll. Ein Vorbild gibt es ja auch bereits: So sind die Berufe des Masseurs, des medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten bereits seit 1958 zusammen in einem Gesetz geregelt. Das hat sich bewährt. Unbestritten. Inzwischen ist von den verschiedenen Berufsverbänden und Institutionen aus dem Bereich der nichtärztlichen Heilberufe eine Zusammenfassung der berufsrechtlichen Regelungen für dieses gesamte Berufsfeld gefordert worden. Im Dezember vergangenen Jahres hat sich auch der Bundesgesundheitsrat dafür eingesetzt und als Berufsgruppe, die für ein solches Vorhaben in Betracht kommt, ausdrücklich vorgeschlagen: Krankenschwestern, Pfleger, Kinderkrankenschwestern, Krankenpfleger und Hebammen. Bei einer derartigen Zusammenfassung geht es aber nicht nur um Ubersichtlichkeit und Systematik von Gesetzesmaterien. Hier geht es auch um den begreiflichen Wunsch der betroffenen Berufsangehörigen mit vergleichbaren Ausbildungen im Sekundarbereich II nach materiell korrespondierenden Ausbilduns- und Anstellungsbedingungen. Dieses Anliegen ist berechtigt, und wir sollten es deshalb auch respektieren. In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates hat die 'Bundesregierung darauf hingewiesen, daß die angeführten Unterschiede in der Frage der Berufszulassungen so geringfügig sind, daß eine Abkopplung des Hebammenrechtes nicht gerechtfertigt erscheint. Für eine Zusammenfassung sprechen dagegen viele Gemeinsamkeiten dieser Berufsgruppe. Das kommt u. a. in der im Regierungsentwurf vorgeschlagenen und von niemandem in Zweifel gezogenen Anrechnungsvorschrift zum Ausdruck, wonach bei den dreijährigen Berufsausbildungen jeweils die Hälfte der Ausbildungszeit gegenseitig angerechnet werden kann. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich appelliere deshalb an Sie, der Verwirklichung der Gesamtkonzeption im Bereich der nichtärztlichen Heilberufe nicht im Wege zu stehen und keine Einzelgesetze losgelöst von dem Ziel vorzuschlagen, die Vorschriften für alle Berufe auf diesem Feld nach und nach in einem Gesamtwerk unterzubringen. Bei der Zusammenfassung berufsrechtlicher Regelungen empfiehlt es sich, vorhandene Gemeinsamkeiten gleichartig auszugestalten. Nicht mehr und nicht weniger soll mit der von uns vorgeschlagenen einheitlichen Grundbildung erreicht werden. Ich betone: einheitliche Grundbildung. Ich muß nämlich noch einmal auf das Mißverständnis zurückkommen, das wir schon im Dezember anläßlich der Diskussion über den Entwurf der CDU/CSU erörtert haben. Auf dem Vorblatt dieses Entwurfs heißt es unter „Alternativen" : Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine gemeinsame gesetzliche Regelung der Ausbildung von Krankenpflegekräften und Hebammen vor. Das trifft aber nicht zu. Wir beabsichtigen keine gemeinsame Ausbildung, sondern nur eine einheitliche Grundbildung, d. h. eine Zusammenfassung berufsrechtlicher Regelungen. Warum, habe ich gerade erläutert. Es heißt dann weiter, daß eine - auch nur teilweise - gemeinsame Ausbildung den spezifischen Anforderungen der Berufe der Hebammen und Krankenpfleger nicht gerecht würde. Aber ich betone ausdrücklich noch einmal: Über gemeinsame Ausbildung steht in unserem Entwurf nichts, an keiner einzigen Stelle. Die Opposition verwechselt eben die einheitliche Grundbildung mit 'dem schulischen sogenannten Berufsgrundbildungsjahr, wie es jetzt in zunehmendem Maße bei Berúfen mit klassischem dualen Ausbildungssystem zur Anwendung kommt. Die zeitliche Dauer der von uns angestrebten einheitlichen Grundbildung - also dessen, was von Krankenschwestern, Kinderkrankenschwestern und Hebammen gleichermaßen zu beherrschen ist - wird im Gesetzentwurf nicht festgelegt. Es heißt dort lediglich: im ersten Ausbildungsjahr. Ich werde Ihnen für .die jetzt beginnenden Ausschußberatungen den vorläufigen Entwurf einer Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege und den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers zuleiten. Die Ausbildungsinhalte sind mit mehreren Gruppen unabhänBundesminister Frau Huber giger Sachverständiger, Wissenschaftlern und Praktikern erstellt worden. Auch diese Sachverständigen schlagen eine einheitliche Grundbildung vor. Sie soll 560 Stunden von insgesamt 720 Stunden an theoretischem und praktischem Unterricht umfassen und im ersten Ausbildungsjahr stattfinden. Ich bin gespannt, was Sie diesen Fachleuten entgegenhalten wollen. Es handelt sich bei der Einführung einheitlicher Grundbildung nicht um bildungspolitische Denkspiele, sondern um praktische Maßnahmen für die berufliche Zukunft und die späteren Entfaltungsmöglichkeiten der Betroffenen. Meine Damen und 'Herren von der Opposition, verbauen Sie bitte nicht diesen Auszubildenden den Weg auch in andere Berufsgruppen, wie es anderswo bereits zur Selbstverständlichkeit geworden ist, sondern ermöglichen Sie eine breit angelegte berufliche Grundbildung, die Beweglichkeit in der späteren Fach- und Weiterbildung und auch im Beruf selbst verschafft. Ich nenne hier das Stichwort „Therapeutisches Team". Bei der Berufsgruppe, über die wir heute sprechen, handelt es sich um eine große Gruppe mit etwa 240 000 staatlich geprüften Beschäftigten, die rund die Hälfte aller im Gesundheitswesen Tätigen ausmacht und etwa 76 500 Auszubildende hat. Inzwischen liegen zwei von meinem Haus in Auftrag gegebene Untersuchungen zur Situation und Entwicklung im Bereich der nichtärztlichen Teilberufe vor. Es handelt sich um eine umfassende Bestandanalyse für den Gesamtbereich und um eine Untersuchung speziell über den gegenwärtigen und künftigen Bedarf an Krankenpflegepersonal in der Bundesrepublik Deutschland. Die Ergebnisse, die wir hier bekommen haben, unterstreichen unsere Erfahrung, daß in bestimmten Zeiträumen unter den Berufszweigen aus den unterschiedlichsten Gründen Verschiebungen des jeweiligen Gruppenanteils stattfinden, z. B. zwischen Krankenschwestern und Kinderkrankenschwestern. Auch im Hinblick darauf wird eine breit angelegte und, soweit möglich, einheitliche Grundbildung dazu beitragen, auf solche Entwicklungen im allgemeinen Interesse möglichst rasch und elastisch reagieren zu können. Mit der Einführung einer breiten beruflichen Grundbildung wollen wir den hohen Ansprüchen an eine qualifizierte Ausbildung gerecht werden. Eine Qualitätsverbesserung soll dadurch erreicht werden, daß die Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung in der Geburtshilfe auf dem mittleren Bildungsabschluß - bisher Hauptschulabschluß - angehoben werden und die Ausbildungsdauer von bisher zwei auf drei Jahre verlängert wird. Die Mindeststundenzahl für die dreijährige Ausbildung in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Geburtshilfe wird auf 4 600 Stunden angehoben, die der einjährigen Ausbildung in der Krankenpflegehilfe auf 1 600 Stunden. Ganz wesentlich erscheint mir, daß sich in Zukunft die Ausbildung in der allgemeinen Krankenpflege, in der Kinderkrankenpflege und in der Krankenpflegehilfe auch auf die entsprechenden Tätigkeitsbereiche in der Psychiatrie erstrecken soll. Dies muß heute ganz einfach bereits zum Rüstzeug der Grundausbildung gehören. Natürlich sind auch alle anderen Ausbildungsinhalte den heutigen Anforderungen angepaßt worden. Sie werden in den Ausschußberatungen bei Durchsicht der neuen Ausbildungsordnung feststellen können, daß neue Akzente gesetzt worden sind, z. B. beim Komplex des Umgangs mit Patienten und ihrer Betreuung unter Berücksichtigung auch der psychosozialen Bedürfnisse, z. B. beim Grundlagenwissen der Psychologie, der Soziologie und der Pädagogik, um die spätere Beratungsfunktion entsprechend zu untermauern. Diese Neukonzeption der Ausbildungsinhalte wurde von der allgemeinen Forderung nach praxisnaher Ausbildung geprägt. Und hiermit bin ich bei einer weiteren zentralen Frage der beabsichtigten Neuordnung, nämlich der bestmöglichen Ausbildungsstruktur. Diese Frage ist in den letzten Monaten. besonders eingehend mit den betroffenen Berufsverbänden und Institutionen diskutiert worden, aber auch in der Öffentlichkeit. Natürlich habe ich zahlreiche Eingaben erhalten, die - wie die Mehrheit des Bundesrates - eine sogenannte berufsfachschulische Lösung vorschlagen. Aber ich habe noch mehr Zuschriften erhalten, die mich auffordern, an der vom Regierungsentwurf vorgeschlagenen praxisnahen Ausbildungsform betrieblicher Art festzuhalten. Dieses Ziel der Bundesregierung der vorrangigen Praxisorientiertheit kann - darauf habe ich schon wiederholt hingewiesen - durch eine Berufsfachschule, wie sie auch Ihr Entwurf zum Hebammengesetz vorsieht, nicht erreicht werden, weil es bei ihr eine grundsätzliche Tendenz zur Verschulung gibt, jedenfalls auf die Dauer. Die Bundesregierung hat sich davon leiten lassen, daß den besonderen an die Krankenpflege zu stellenden Anforderungen am ehesten in einer möglichst weitgehend im Krankenhaus durchgeführten Ausbildung entsprochen werden kann. Sie geht deshalb auch von der Einheit bzw. ganz engen Verzahnung der Lernorte zur Vermittlung des theoretischen und praktischen Unterrichts aus. Es wird daher auch künftig das Krankenbett der Lernort sein, und es wird nicht eine Aufsplitterung in einen „Betrieb Krankenhaus" einerseits und Berufsschule andererseits geben, wie fälschlicherweise hin und wieder den Absichten des Regierungsentwurfs unterstellt worden ist. ({0}) Wir müssen auch die sozialen Interessen der Auszubildenden berücksichtigen. Sie sollen neben sozialen Schutzrechten auch. weiterhin Ausbildungsvergütungen erhalten, weil sie während der Ausbildung durch learning by doing auch effektive Arbeitsleistungen erbringen. Daher wird die Ausbildungsvergütung auch in Tarifverträgen vereinbart und gewährt. Bei Schülern würde nur ein Teil, und zwar höchstens 40 % der Schüler, Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz erhalten, es würde überhaupt kein versicherungsrechtlicher Schutz, kein Mutterschutz usw. bestehen. Auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden im Bereich der Krankenpflege Ausbildungsverträge vereinbart, die arbeitsrechtlichen Charakter haben. Gerade deshalb hat auch das Bundesarbeitsgericht die Anwendbarkeit der Berufsbildungsgesetze auf solche Ausbildungsverhältnisse bei geltendem Krankenpflegerecht bejaht. Die Anwendbarkeit von Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes ist in diesem Bereich eigentlich nichts Neues. Zweifler sollten beruhigt nach Norden schauen: In den Bundesländern Hamburg und Bremen wird die, Krankenpflegeausbildung mit gutem Erfolg in betrieblichen Ausbildungsformen durchgeführt. Wir werden in den Ausschußberatungen im einzelnen begründen, warum wir eine teilweise Anwendung von Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes für unabdingbar halten. Ob diese Vorschriften im Gesetz selbst verankert werden sollen, muß sachlich diskutiert werden. Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf die große Bedeutung zurückkommen, die die Angehörigen der Berufe in der Krankenpflege und Geburtshilfe im Rahmen der Sicherstellung der gesundheitlichen Vor- und Fürsorge haben. Die Krankenpflegeberufe sind schwere Berufe. Die anstehende Neuordnung hat das Ziel, die Berufsbewerber für ihre zukünftige Tätigkeit am kranken Menschen zu motivieren und auch zu qualifizieren. Ich denke, das kommt allen zugute. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hasinger.

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident!" Meine Damen und Herren! Bei jeder Regelung der Krankenpflegeausbildung muß man sich die Frage nach dem Ziel der Ausbildung stellen. Krankenpflege ist kein Beruf wie jeder andere. Krankenpflege ist persönliche Hilfeleistung aus Sorge um den kranken Nächsten. Schwestern und Pfleger haben es nicht mit medizinischen Fällen, sondern mit kranken Menschen zu tun. ({0}) Mit Recht sagt Kienle: „Jeder Krankenhauspatient hat es erlebt, daß es primär nicht die Pflegetechniken waren, die ihm im Heilungsprozeß halfen, sondern die Ausstrahlungskraft der Persönlichkeit eines gesunden Menschen, der für eine extreme Strecke Lebensweg Schicksalsbegleiter wurde." Auch die große Mehrheit derjenigen, die heute in der Krankenpflegeausbildung stehen, tut dies, weil sie dem Mitmenschen helfen und damit etwas Sinnvolles leisten will. ({1}) Ich sage dies mit großem Respekt vor den jungen Menschen, die einen oft schweren Dienst leisten, zu dem nicht jeder bereit ist. In unserer Zeit ständig fortschreitender Technisierung und Spezialisierung im Krankenhaus sind Fachkenntnisse unerläßlich. Im Mittelpunkt des Krankenhauses stehen aber nicht Apparate, sondern der Mensch, und dementsprechend muß gegenüber Technik und Organisation das Pflegerische wieder stärker in den Vordergrund rücken. ({2}) Tatkraft, Fachkenntnisse und menschliche Anteilnahme sind die drei Hauptmerkmale der Krankenpflegeberufe, und an diesem Berufsbild hat sich die Ausbildung auszurichten. Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung ist das gegenwärtige Ausbildungssystem dazu durchaus in der Lage. Denn die Krankenpflegeschulen bilden nicht nur in der Theorie, sondern vor allem auch in der Praxis des Krankenhauses aus. Sie sind Teil des Krankenhauses, und wir haben daher das Glück, daß in einer Institution eine einheitliche Ausbildung in Theorie und Praxis stattfindet. Diese historisch gewachsene Struktur der deutschen Krankenpflegeausbildung ist sicher in mehreren Punkten verbesserungsfähig - ich werde dazu noch im einzelnen Ausführungen machen -, aber sie ist im Prinzip in Ordnung. ({3}) Demgegenüber will die Regierung nicht die Verbesserung des bestehenden Systems, sondern eine Systemveränderung. Wesentliches Kernstück des Regierungsentwurfs ist die fast vollständige Anwendung des Berufsbildungsgesetzes. Wer sich die Mühe macht, die einzelnen Verweisungen durchzuprüfen, stellt fest, daß künftig fast alle Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes auf die Krankenpflegeausbildung angewendet werden sollen, und hieran hält die Bundesregierung auch in der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates fest. Die Regierung stellt damit die Weichen in die falsche Richtung. Das Berufsbildungsgesetz ist das Ausbildungsgesetz für den Bereich der Wirtschaft. Dort paßt es und hat sich im großen und ganzen bewährt. Seine Kennzeichen sind die beiden unterschiedlichen Lernorte Betrieb und Berufsschule; dabei steht die Berufsschule in der Regel in staatlicher Trägerschaft. Dementsprechend gehör t zu den immerwährenden Problemen des dualen Systems -wem sage ich das, Herr Kollege Lampersbach? - die laufende Koordinierung zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung. Dieses Kardinalproblem der dualen Bildung wird durch den Regierungsentwurf völlig unnötigerweise in die Krankenpflegeausbildung hineingetragen. ({4}) Auch wenn der Entwurf davon spricht, daß die Ausbildungsstätten mit einem Krankenhaus verbunden sein müssen, wäre auf die Dauer eine Auseinanderentwicklung von Krankenhäusern und künftigen Krankenpflegerberufsschulen unvermeidlich. ({5}) Für uns sind dagegen die Einheit des Lernorts, die Einheit der Ausbildungsverantwortung und die Einheit der Trägerschaft unverzichtbar. ({6}) Die Anwendung des hier sachfremden Berufsbildungsgesetzes würde eine unerträgliche Bürokratisierung in die Krankenpflegeausbildung hineintragen, die nach meiner Auffassung über kurz oder lang den Ausbildungswillen hemmen müßte. Dafür einige Beispiele: Nach dem Entwurf der Bundesregierung müßten Landesausschüsse für die Krankenpflegeausbildung eingerichtet werden. ({7}) Diese Ausschüsse wären zu je einem Drittel mit Vertretern der Krankenhäuser als der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und des Staates zu besetzen. Als Vertreter der Arbeitnehmer wären nur Gewerkschaften und ähnliche Organisationen zugelassen, nicht aber Schwesternschaften, Orden usw. ({8}) Damit aber nicht genug. ({9}) Neben diesen Landesausschüssen müßten auch sogenannte Berufsbildungsausschüsse der zuständigen Stellen gebildet werden. Ihnen hätten wiederum je sechs Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie sechs Berufsschullehrer mit beratender Stimme anzugehören. Ich frage Sie: Wozu all diese Einrichtungen, die auf diesem Gebiet so überflüssig sind wie ein Kropf? ({10}) Auch auf den Stationen der Krankenhäuser würden sich erhebliche praktische Schwierigkeiten ergeben, weil sich die Befugnis zur Ausbildung künftig nach der Ausbildereignungsverordnung richten würde. ({11}) Danach müßten die Krankenhäuser auf jeder Station mindestens eine besonders geprüfte Ausbildungskraft beschäftigen. Diese besonders geprüften Ausbildungskräfte gibt es heute nicht. Fällt eine derartige Ausbildungsschwester - wenn wir sie einmal hätten - durch Krankheit oder aus anderen Gründen aus, müßten die Schülerinnen und Schüler sofort von der Station abgezogen werden. Tut das Krankenhaus dies nicht, machen sich die Verantwörtlichen strafbar. Meine Damen und Herren, diese wenigen Beispiele zeigen, daß die Krankenhäuser eben keine Betriebe sind. Der Umgang mit kranken Menschen, ihre Heilung und ihre Pflege sind eine Aufgabe, die eigenen Regeln folgt. ({12})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hasinger, ich habe ja Ihre jetzigen Ausführungen schon Ihrem Aufsatz in der „Deutschen Krankenhauszeitschrift" entnommen. ({0}) Was sagen Sie eigentlich bei Ihrem Verdikt des Berufsbildungsgesetzes im Krankenpflegebereich dazu, daß z. B. auch in Baden-Württemberg nach der Feststellung des Finanzministers für alle Ausbildungsverträge mit öffentlichen Trägern gemäß § 3 dieser Feststellung das Berufsbildungsgesetz voll Anwendung findet? ({1})

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau .Kollegin, wir reden hier über eine Neufassung des Gesetzes. Mir ist völlig klar, daß nach der gegenwärtigen lückenhaften gesetzlichen Regelung entsprechend einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts möglicherweise das Berufsbildungsgesetz angewendet werden kann. Ich führe aber gerade aus, daß dies sachfremd ist und deshalb geändert werden muß. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. DäublerGmelin?

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese möchte ich noch zulassen. Ich bitte aber um Verständnis, wenn ich danach fortfahre.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hasinger, ich darf also davon ausgehen, daß all das Schlechte, das Sie dem Berufsbildungsgesetz zuschreiben, und alles das, was Sie als hervorragend am bisherigen System hervorheben, jetzt in Baden-Württemberg zugleich gilt, oder wie darf ich das verstehen?

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich glaube, Sie sind über die Praxis im einzelnen nicht informiert. ({0}) Der Entwurf würde das Ende der heute bewährten Krankenpflegeschulen bedeuten. Künftig würde der theoretische Unterricht in Berufsschulen stattfinden. Es ist daher nur konsequent, daß der Entwurf im Gegensatz zum geltenden Krankenpflegegesetz von 1965 nicht mehr von „Krankenpflegeschulen" spricht, sondern den neutralen Ausdruck „Ausbildungsstätten" verwendet. Den Vorschlag des Bundesrates, den guten Namen „Krankenpflegeschulen" wiederaufzunehmen, hat die Bundesregierung ausdrücklich abgelehnt. Dies zeigt klar, daß die Regierung nicht daran denkt, die bisherigen Krankenpflegeschulen bestehen zu lassen. Ähnlich habe ich auch Ihre Zwischenfrage, Frau Däubler-Gmelin, verstanden. Wenn die Regierung gleichzeitig beschwichtigend erklärt, sie gehe davon aus, daß die bestehenden Ausbildungseinrichtungen diese Aufgabe weitgehend übernehmen .könnten, so enthüllt auch dies die wahren Absichten. Denn was heißt denn: „Die Regierung geht davon aus ..."? Das ist doch völlig unverbindlich. Was. heißt: „weitgehend"? Welche Krankenpflegeschulen sollen nach dem Willen der Regierung geschlossen werden, welche dürfen als Berufsschulen weiter bestehenbleiben? Was der Regierungsentwurf wirklich will, ist, daß der theoretische Teil der Ausbildung den freien Trägern weggenommen und dem Staat überantwortet wird. Dies ist im Vorfeld der Gesetzesberatungen in einem sozialdemokratisch geführten Landesministerium auch ganz offen ausgesprochen worden. So erweist sich dieser Entwurf als ein Stück konsequenter sozialdemokratischer ({1}) Gesundheitspolitik, der freie Träger ein Dorn im Auge sind und die statt dessen ein integriertes und geplantes System der medizinischen Versorgung will. Diese wahre Zielsetzung des Entwurfs erklärt auch, warum die Regierung in unbegreiflicher Weise gegen die Einwände fast aller Betroffenen an ihren Plänen festgehalten hat. Bei der Anhörung im Ministerium waren alle Organisationen bis auf wenige gegen die Grundlinie des Entwurfs. Kein einziger dieser Einwände wurde berücksichtigt. Der Entwurf ist eine gewollte Brüskierung wichtigster Träger des Gesundheitswesens, meine Damen und Herren. Auch die Änderungsvorschläge des Bundesrates hat die Regierung bis auf zwei Ausnahmen abgebürstet.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese eine Zwischenfrage lasse ich noch zu.

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hasinger, wären Sie so freundlich, einmal die Stellen aus dem Gesetzentwurf zu zitieren, aus denen Sie diese finstere Verschwörungsstrategie ablesen? ({0})

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bis auf solche Vorschriften, die für spezielle Berufszweige anderer Art als gerade der Krankenpflegeausbildung gelten, werden im wesentlichen - Ausnahme: Prüfungswesen - alle Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes für anwendbar erklärt. ({0}) Vielleicht haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, Herr Kollege Hölscher, diese Verweisungen alle durdizuprüfen. Wenn Sie dies tun, werden Sie feststellen, daß in Zukunft vom. individuellen Vertragsrecht bis zu den Gremien und Institutionen das Berufsbildungsrecht angewendet werden soll.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hölscher?

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte jetzt in meinen Ausführungen fortfahren, so, wie ich das eben angekündigt habe. Es läßt die Regierung völlig kalt, daß die Präsidenten des Diakonischen Werkes und des Deutschen Caritasverbandes - wörtlich - von einer „gegen die Ratschläge der Experten erdachten Reform" sprechen ({0}) und darum bitten - wieder wörtlich -, „Unglück zu verhüten und eine später kaum wiedergutzumachende Fehlentscheidung noch in letzter Stunde zu verhindern". Für Sie ist es offenbar gleichgültig, daß diese beiden Verantwortlichen sagen: Alle Forderungen nach mehr Humanität im Krankenhaus erweisen sich als leeres Gerede, wenn die Politiker sich den Rat der Fachleute zwar anhören, ihn aber dann doch vom Tisch wischen. Im gleichen Sinne haben sich die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände, der Deutsche Berufsverband für Krankenpflege und die Deutsche Krankenhausgesellschaft geäußert. Es paßt zu der beabsichtigten Umwandlung der Krankenpflegeschulen in Berufsschulen, daß der Entwurf keine Vorschriften über die Leitung der Schulen und die Unterrichtskräfte enthält. Während bisher die Leitung der Krankenpflegeschulen in der Hand von Ärzten oder leitenden Schwestern und Pflegern liegt, könnten in Zukunft auch Berufsfremde eine solche Schule leiten. Dies müßte eine katastrophale Qualitätsminderung zur Folge haben. Die Krankenpflegeschulen dürfen nicht zu Zufluchtsstätten arbeitsloser Lehrer allgemeinbildender Schulen werden. ({1}) Die klare Absage an die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes bedeutet keineswegs, wie dies Frau Minister Huber gerade eben wieder unterstellt hat, daß wir uns für die Verschulung aussprechen würden. Im Gegenteil, bei einer auf den Patienten bezogenen Ausbildung muß die praktische Ausbildung im Vordergrund stehen. Wir brauchen keine Soziologen oder , Politologen am Krankenbett. Deshalb sollten werdende Krankenschwestern und Krankenpfleger von Anfang an mit den Aufgaben und Problemen der praktischen Krankenpflege konfrontiert und auf den Stationen der Krankenhäuser eingesetzt werden. Bei einer Ausbildung, die nur zu einem Drittel aus Unterricht besteht, kann man auch nicht sagen, die praktische Ausbildung sei nur ein Anhängsel des Unterrichts, und daraus die Anwendung von Schulrecht ableiten. Es ist eben nicht so, daß nur die 'Alternativen Berufsbildungsgesetz oder Verschulung zur Verfügung stünden. Die Ausbildung in der Krankenpflege ist heute eine Ausbildung eigener Alt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht mit Recht von einem dritten Weg an der Nahtstelle zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung. Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese sondergesetzliche Regelung nicht beibehalten werden sollte. Wir wollen eine in sich geschlossene gesetzliche Regelung, die eine Verweisung auf das Berufsbildungsgesetz oder andere Gesetze entbehrlich macht. Dabei sind Verbesserungen möglich und nötig. Erstens. Die EG-Vorschriften müssen in das deutsche Recht eingearbeitet werden. Dies bedeutet, daß mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit aus theoretischem und praktischem Unterricht. besteht. Die praktische Ausbildung auf den Stationen kann daher höchstens zwei Drittel der Zeit in Anspruch nehmen. Zweitens. Gelegentlich wird darüber geklagt, daß Schülerinnen und Schüler auf den . Stationen über Gebühr beansprucht werden und darüber die Ausbildung zu kurz kommt, zumal die Stationskräfte selbst stark belastet sind. Hier zeigen sich nach meiner Auffassung deutliche Grenzen der Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Alle Maßnahmen der Kostendämpfung finden ihre Grenze, ({2}) wenn eine menschliche Pflege der Kranken nicht mehr gewährleistet ist. Diesem Gesichtspunkt muß durch eine geringere oder gar keine Anrechnung der Auszubildenden auf den Stellenplan Rechnung getragen werden. Es wäre hilfreich, wenn wir im Krankenhausfinanzierungsgesetz durch eine entsprechende Formulierung deutlich machten, daß die praktische Ausbildung auf den Stationen nicht durch ein zu enges Finanzdenken beeinträchtigt werden darf. ({3}) Die Finanzierung der laufenden Kosten der Ausbildung einschließlich der Vergütung muß weiterhin, und zwar unbefristet, über den Pflegesatz erfolgen. Drittens. Die praktische Tätigkeit der Schülerinnen und Schüler ist auch in Zukunft angemessen zu vergüten. Es wäre kurzsichtig, die Vergütung angesichts der gegenwärtigen starken Jahrgänge drastisch zu senken. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wird die Situation zunehmend durch einen Mangel an ausbildungsfähigen Jugendlichen gekennzeichnet sein. Die Krankenpflegeausbildung sollte auch bei der Vergütung Kontinuität bewahren. Die Anwendung des BAföG kann nicht in Betracht kommen, weil dann ein großer Teil der Schüler wegen des Einkommens der Eltern von jeder Vergütung ausgeschlossen wäre. Außerdem liegen die Sätze zu niedrig im Verhältnis zu dem, was Mädchen und Jungen auf den Stationen leisten. Viertens. Die Leistungsfähigkeit unseres Ausbildungssystems sollte sich darin erweisen, daß es in der Lage ist, die gegenwärtigen starken Schulentlassungsjahrgänge aufzunehmen. Sicher ist schon durch die Zahl der Betten und der Patienten eine Grenze gezogen. Aber jedem befähigten Jugendlichen, der heute abgewiesen wird, werden wir in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nachtrauern, meine Damen und Herren. Auch von den Krankenpflegeschulen kann eine Überlastquote erwartet werden. Fünftens. Ständige Aufgabe muß die pädagogische Aus- und Weiterbildung der Unterrichtskräfte sein, und wir freuen uns, daß die Träger hier Verbesserungen ins Werk setzen wollen. Dabei sei zugleich an dieser Stelle ein Dank an alle Ausbildenden und Unterrichtenden gesagt, die in der Regel mit großer Hingabe tätig sind. ({4}) Sechstens. Eine gesetzliche Regelung darf nicht zú engmaschig sein. Sie muß Raum für neue Entwicklungen lassen. Siebtens. Erhebliche zusätzliche Bedeutung wird für die Zukunft die ambulante Pflege haben. Deshalb müssen Grundzüge der Gemeindepflege bereits in der Ausbildung gelehrt werden. Daneben wird die Entwicklung eines Weiterbildungsgangs nötig sein. Dies ist allerdings Ländersache. Achtens. Eintrittsalter sollte wegen der psychischen Belastung der Schüler das 17. Lebensjahr sein. Dies hat der Deutsche Bundestag in der 6. Legislaturperiode, Herr Kollege Hauck, unter Ihrem Vorsitz nach gründlicher Beratung eindeutig klargestellt. Wenn der Entwurf demgegenüber auf die individuelle Reife abstellt, so ist zu fragen, wer das eigentlich beurteilen soll. Streitigkeiten wären Tür und Tor geöffnet. Neuntens. Wir halten es für richtig, daß die Ausbildungszeit von drei Jahren eingehalten wird, auch wenn im Einzelfall die Prüfung schon vorher abgelegt wird. Ein letzter wichtiger Punkt: Nach dem Regierungsentwurf soll in der Krankenpflege und bei den Hebammen eine einheitliche Grundausbildung im ersten. Jahr vorgeschrieben werden. Nach allen Gesprächen mit den Betroffenen,. die wir geführt haben, zeigt sich, daß dies undurchführbar ist. Es gibt fast keine Unterrichtsfächer, die für beide Berufe gemeinsam genau gleich gelehrt werden könnten. Für die praktische Ausbildung - auch sie wäre nach dem Wortlaut betroffen - ist die Vereinheitlichung völlig unmöglich. Auch die immer wieder angeführte Möglichkeit, nach einem Jahr noch wechseln zu können, ist Theorie und in der Praxis nicht zu verwirklichen. In Übereinstimmung mit dem Bundesrat sind wir der Meinung, daß Krankenpflegerecht und Hebammenrecht wie bisher in zwei getrennten eigenständigen Gesetzen geregelt sein sollten. Dabei ist die Neuregelung des Hebammenrechts vordringlich. Wenn die Regierung meint, bei einer Abkoppelung des Hebammenrechts ergebe sich eine erhebliche zeitliche Verzögerung, weil dafür ein neuer Gesetzentwurf eingebracht werden müßte, so fällt dieses Argument ins Leere; denn die CDU/CSU-Fraktion hat im Bundestag den Entwurf eines modernen ' Hebammengesetzes bereits vorgelegt. Wegen des Inhalts darf ich auf die Debatte vom Dezember verweisen. Meine Kollegin Frau Schleicher wird dazu noch besondere Ausführungen machen. In Wahrheit gehen die Absichten der Bundesregierung weiter. Sie will eine Art Rahmengesetz für alle nichtärztlichen Heilberufe. Diese Vereinheitlichung widerspricht den völlig unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Berufe des Gesundheitswesens. Hier sind, meine Damen und Herren, Gesundheitsingenieure am Werk. Lassen Sie mich zusammenfassen. Der Regierungsentwurf ist keine Sachlösung, sondern eine Systemänderung zu Lasten der bestehenden Ausbildungsträger und -organisationen. ({5}) Er würde die Ausbildung der Krankenschwestern und Krankenpfleger qualitativ verschlechtern. Auf längere Sicht würde damit die pflegerische Versorgung der Kranken gemindert. Die Neuregelungen könnten zudem den Beginn einer tiefgreifenden Veränderung der Krankenhäuser durch den Einbruch bisher krankenhausfremder Strukturen bedeuten. Die Pluralität der Krankenpflege, die immerhin auf einer jahrhundertelangen karitativen Tradition beruht, würde abgebaut. Damit würde auch ein Stück Menschlichkeit aus den Krankenhäusern verschwinden. Der Entwurf ist daher in der vorliegenden Form für uns unannehmbar. ({6})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Hasinger hat eingangs seiner Bemerkungen eine Beschreibung der Ziele pflegerisicher Tätigkeit vorgenommen, die ich für meine Fraktion voll unterstreichen kann und die ich deswegen nicht wiederholen muß. Nur, Herr Kollege Hasinger, zeigt die heutige Praxis, daß wir von einer Realisierung dieser Ziele noch ein bißchen entfernt sind. Mitmenschliche Hinwendung als primäres pflegerisches Element muß erst noch in dem nötigen Umfang überall Realität werden, ({0}) dies trotz der Ausbildung in Krankenpflegeschulen. Diese Entwicklung, die es gilt in die richtige Richtung noch weiter fortzusetzen, ist also unabhängig von der Frage des Schulstatus, wie Sie mir hier zugestehen werden müssen. Sie haben dann noch in besonderer Weise die Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes angegriffen. Dazu werde ich gleich noch kommen. Wenn wir also einmal Ihren pflichtschuldigst zu erbringenden Theaterdonner beiseite lassen - ({1}) - Ja, eben, ich habe mich gefragt, was das soll. - Lassen wir das einmal beiseite; denn was sollen so Vokabeln wie „Soziologen und Politologen gehören nicht ans Krankenhaus"? Wer will das denn? Durch was für eine gesetzliche Bestimmung in dem Vorschlag -der Bundesregierung soll das denn gedeckt sein? Was soll denn also ein solcher Theaterdonner? ({2}) .Lassen wir den also getrost beiseite. Wenn sich der Rauch verzogen hat, können wir bei nüchterner Analyse dessen, was der Herr Kollege Hasinger in seiner Schlußbemerkung zusammengefaßt hat, feststellen, daß wir so weit wahrscheinlich gar nicht auseinander sind. Er hat ja ein paar Positionen genannt, die erfüllt sein müßten. Lassen sie uns dann den Versuch machen, an Hand des Protokolls der heutigen Sitzung die Positionen noch einmal zu vergleichen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Krankenpflege- und Hebammengesetzes, der schon als Referentenentwurf starke Beachtung in der Öffentlichkeit, insbesondere bei den Beteiligten und Betroffenen, gefunden hat, liegt nunmehr dem Parlament vor. Wir als Parlamentarier stehen damit am Anfang eines intensiven Dialoges mit allen, die sich zu diesem Thema äußern wollen und werden. Der Gesetzentwurf hat folgende Schwerpunkte: Erstens. Die durch das Europäische Übereinkommen über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern geforderte Mindestausbildungszeit von 4 600 Stunden in der allgemeinen Krankenpflege, von denen mindestens die Hälfte der praktischen Ausbildung gewidmet sein müssen, wird durch den vorliegenden Entwurf erfüllt. Zweitens. Im Rahmen der dreijährigen Ausbildung wird eine einheitliche Grundbildung im ersten Ausbildungsjahr vorgesehen. Drittens. Zur Ausbildung soll insbesondere das Erlernen pflegerischer, medizinischer und technischer Kenntnisse und Fähigkeiten gehören. Ich möchte sagen: in dieser Reihenfolge. Der Entwurf der Bundesregierung wählt eine andere Reihenfolge. Ich will hier aber erklären, daß wir bei den Beratungen Wert darauf legen, daß an die erste Stelle dieses Kataloges das Erlernen pflegerischer Fähigkeiten und Kenntnisse zu treten hat. ({3}) Die praktische Unterweisung sowie die Vermittlung klinischer Erfahrungen sollen also neben den eben genannten Punkten im Vordergrund stehen. Diesen Anforderungen wird nach Auffassung der Bundesregierung am ehesten eine weitgehend im Krankenhaus durchgeführte Ausbildung gerecht. Eine schulbezogene Ausbildungsstruktur kann nicht die unabdingbaren praktischen Erfahrungen vermitteln. Viertens. Die praxisbezogene betriebliche Ausbildung wird durch theoretischen und praktischen Unterricht ergänzt. Zwischen beiden Ausbildungsteilen muß eine enge Koordination hergestellt werJaunich den. Auch hier mache ich einen kleinen Unterschied. Die Bundesregierung sagt an der entsprechenden, Stelle: „... soll eine enge Koordination hergestellt werden." Ich sage: Hier muß eine enge Koordination hergestellt werden. ({4}) Fünftens. Aus der Entscheidung über eine praxisorientierte Ausbildung folgt: a) Die Ausbildungskosten können auch über die nach heutigem Recht geltende Frist - 31. Dezember 1981 - hinaus Eingang in die Pflegesätze finden. Im Zusammenhang mit den Regelungen im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes ist damit auch die Finanzierung der Ausbildungsstätten gesichert. Ich möchte hier nur noch einmal anmerken, daß das, was heute hier von Herrn Kollegen Hasinger gesagt worden ist, nicht ganz in Einklang mit dem steht, was im Bundesrat diskutiert wird, z. B. bei der Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz. Dort hat doch die Bundesregierung im Entwurf stehen, daß die Kosten von Ausbildungsstätten gefördert werden können, Es war der Bundesrat, der Wert darauf legte, dies auf die Investitionskosten zu begrenzen. Hier muß man also fragen: Was ist denn gemeint?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Präsident.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Bitte!

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Jaunich, könnte es nicht sein, daß Sie hier einem Irrtum unterliegen und daß es so ist, daß die Bundesregierung im Entwurf des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Investitionskosten der Schulen so behandeln will wie alle Investitionskosten von Krankenhäusern, während der Bundesrat zutreffend darüber hinaus gefordert hat, daß die laufenden Aufwendungen der Schulen wie bisher über den Pflegesatz abgewickelt werden?

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hasinger, dies ist nicht zutreffend. Bitte, lesen Sie die entsprechenden Passagen hierüber im Gesetzentwurf, nämlich die Äußerung des Bundesrates. ({0}) b) Die dem Schutz der Lernenden dienenden Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes finden weiterhin Anwendung. Die von uns für dringend erachtete Neuordnung des Hebammenrechts, insbesondere die dreijährige Ausbildung für diesen Beruf, ist ebenfalls Gegenstand des Gesetzentwurfs, der der erforderlichen Übersichtlichkeit wegen mehrere Berufsbilder, nämlich die der Krankenschwester und des Krankenpflegers, der Kinderkrankenschwester und des Kinderkrankenpflegers, der Hebammen und Entbindungshelfer - im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, die Sie mit Ihrem eigenständigen Entwurf dem männlichen Bewerber, der sich für eine Tätigkeit als Hebamme ausbilden lassen möchte, zumuten wollen, unter der Bezeichnung „Hebamme" arbeiten zu sollen -, ({1}) der Krankenpflegerinnen und der Krankenpflegehelfer, in einem Gesetz zusammenfaßt, weil es sich im wesentlichen um gemeinsam regelbare Ausbildungstatbestände handelt. Mit diesem Gesetz wird somit ein erster Schritt in Richtung auf zusammenfassende gesetzliche Regelungen der Zulassungsvoraussetzungen für Gesundheitsberufe getan, für die außerhalb des Hochschulbereichs ausgebildet wird. Nun zu diesen Schwerpunkten im einzelnen: Am 25. Oktober 1967 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland das Europäische Übereinkommen über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenpflegern und Krankenschwestern, in dem eine Mindestausbildungszeit von 4 600 Stunden, davon die Hälfte, 2 300 Stunden, praktische Ausbildung und mindestens ein Drittel - gleich 1 533 Stunden - Unterricht, gefordert wird. Das heute geltende Recht schreibt 1 200 Stunden für den Unterricht vor. Allerdings wird er in einer Vielzahl von Schulen heute bereits in einem größeren Umfang erteilt. Die Bundesrepublik Deutschland hat von der Möglichkeit, bei der Unterzeichnung Vorbehalte anzumelden, Gebrauch gemacht, so daß man sagen könnte: Alles das, was von dem Übereinkommen gefordert und von .unserem jetzigen Recht nicht erfüllt wird, ist durch die angemeldeten Vorbehalte abgedeckt mit der Folge, daß für uns keine große Notwendigkeit bestünde, etwas zu tun. Dem ist nicht so. Unser politischer Wille - ich glaube, da stimmen wir überein - ist der, die Regelungen, die im Europäischen Übereinkommen festgelegt worden sind, in nationales Recht zu übertragen. Wir sind nunmehr dabei, dies zu tun. Ein weiterer Komplex ist die einheitliche Grundbildung im ersten Ausbildungsjahr, wie sie in § 6 des Entwurfs enthalten ist. Ich muß hier wiederholen, was ich bereits in der Dezember-Sitzung hinsichtlich des Mißverständnisses „einheitlich" bzw. „gemeinsam" gesagt habe. Der Entwurf geht von der einheitlichen Grundbildung aus. Dies ist eine Position, von der ich bisher den Eindruck haben mußte, daß es eine gemeinsame Position des Hauses ist. Nun, wenn sich Ihre Auffassung zwischenzeitlich gewandelt hat, dann ist das Ihre Sache, nicht die unsere. Wenn die Bundesregierung ihre Zusage realisiert und uns im Ausschuß die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen vorlegt, dann werden wir anhand der Stoffkataloge und der vorgesehenen Stunden - Frau Minister Huber hat ja soeben erwähnt, daß dies auf den Arbeiten von unabhängigen Wissenschaftlern basiert - sehen, in welchen Bereichen sich Ausbildungsinhalte decken. Es ist nicht einzusehen, warum man sie dann in diesem Umfang nicht vereinheitlichen sollte. Dabei wird zwar kein Jahr herauskommen, aber das steht ja im Gesetz auch nicht drin, wenngleich ich einräume, daß man bei flüchtigem Lesen den Eindruck gewinnen kann, als wenn das erste Jahr als einheitliches Grundbildungsjahr zu verstehen sei. Wir werden sehen, welcher Anteil dabei herauskommt, und in diesem Umfang, so meine ich, sollte dies gemeinsam bzw. einheitlich für alle geregelt werden. ({2}) - Entschuldigen Sie, auch bei Ihnen ist einmal ein Versprecher drin. ({3}) - Das ist keine Freudsche Fehlleistung. Freudsche Fehlleistung ist für mich folgendes: Man kann doch in Fachdiskussionen - wir alle führen sie - nicht einerseits immer wieder erklären, daß im gesamten medizinischen Bereich die Notwendigkeit zur Teamarbeit verstärkt gegeben ist, weil alle am Heilungsprozeß Beteiligten gut und eng miteinander zusammenarbeiten sollen und müssen, wenn der angestrebte Zweck erreicht werden soll, andererseits aber bei entsprechenden berufsgesetzlichen Regelungen nach Möglichkeit alles in einen eigenen Schubkasten packen und schön voneinander abschotten. Das halte ich schlechterdings für unmöglich. ({4}) Befähigung zur Teamarbeit sollte verbindlicher Ausbildungsinhalt aller Gesundheitsberufe sein. Nun zu dem Thema betriebliche Ausbildung: Auf Initiative des Landes Bayern brachte der Bundesrat im Jahre 1970 den Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Krankenpflegegesetz in den Bundestag ein, in dem vorgesehen war, die Altersbegrenzung auf das 16. Lebensjahr herabzusetzen. Es sollte ein möglichst nahtloser Übergang vom Schulabgang zur Krankenpflegeausbildung geschaffen werden. Diese geplante Gesetzesänderung löste heftige Kritik aus. Der Gesetzentwurf wurde demzufolge auch nicht verabschiedet. Jedoch erteilte der Deutsche Bundestag der Bundesregierung im Mai 1972 den Auftrag, die Krankenpflegeausbildung möglichst bald neu zu regeln. Die Regelung sollte so gestaltet sein, daß Sechszehnjährige. zur Ausbildung zugelassen werden können, ohne durch psychische und physische Überlastung und Überforderung gefährdet zu sein. Wir wissen heute, daß dies nicht möglich ist, daß dieser Weg nicht gangbar ist. - Seinerzeit wurde erwogen, einen gewissen theoretischen Teil als Block vorne anzusetzen, um damit die Gefahr auszuschließen, daß relativ junge Menschen mit recht schwierigen Situationen am Krankenbett konfrontiert werden. - Wir wissen heute also, daß dieser Weg nicht gangbar ist. Dies erklärt aber gleichzeitig auch, warum sich die Bundesregierung wohl recht schwer getan hat damit, das Lebensalter im Entwurf auf 17 Jahre festzusetzen; in den ersten Fassungen war das ja nicht der Fall. Nun, sie hatte schließlich einen Auftrag des Deutschen Bundestages. Das dürfen wir hierbei nicht übersehen, und das sollte auch die Fachöffentlichkeit nicht übersehen. Wir sind souverän, unsere Beschlüsse zu korrigieren. Ich sage Ihnen: wir sind für das Mindestalter 17, obwohl die Problematik, wie sie seinerzeit auf Grund des Antrages Bayern gesehen wurde, natürlich fortbesteht. Aber hier hat man abzuwägen. Ich bin der Auffassung, wir müssen die Lebensaltersgrenze von 17 Jahren im Gesetz- belassen. Im Zusammenhang mit der Diskussion, die ja - noch einmal: es handelte sich um eine Initiative des Landes Bayern über den Bundesrat - auf eine Verschulung hinauslief, haben sich dann Fachkreise dazu geäußert. Ich will hier an eine Stellungnahme aus dem Jahr 1974 - der Arbeitsgemeinschaft deutscher Schwesternverbände - erinnern, die forderte: Integration der Lernenden in den Pflegedienst, da nur so die Möglichkeit gegeben ist, diagnostische, therapeutische und pflegerische Maßnahmen im Zusammenhang zu erleben, praktische Erfahrungen und Fertigkeiten zu erwerben sowie die Übernahme von Verantwortung zu erlernen. - Wir stimmen dem zu. Genau das ist der Punkt: Integration der Lernenden in den Pflegedienst. Dem entspricht die Konstruktion. des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Dies war eine klare Aussage gegen die Verschulung. Wir schließen uns auch dieser Auffassung an. Doch wie sieht das nun heute bei Ihnen aus, meine Damen und Herren von der Union? Am 1. März 1972 hat die damalige Kollegin Frau Schroeder bei der zweiten und dritten Lesung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes gesagt: Es geht auch nicht an - wir haben das ja eben sehr deutlich gehört -, die Kosten einfach auf die Länder abzuwälzen oder zu sagen, sie könnten durch Mittel aus dem Bildungssektor gedeckt werden. - Es geht hier um die Kosten der Ausbildungseinrichtungen. Es hat ja wohl von uns keiner mehr den Eindruck, daß der Bildungssektor an einem Überangebot an finanziellen Mitteln leiden würde. Daran hat sich auch heute noch nichts geändert. Wir denken in diesem Falle nicht daran, die Kosten auf die Länder abzuwälzen, sondern wir leisten unseren Beitrag, damit das Gesamtvorhaben „Krankenpflegeausbildung" vernünftig finanziert werden kann. Welche Konsequenz ergibt sich denn aus einer schulisch orientierten Ausbildung, wie sie von Ihnen bevorzugt wird? Keine Ausbildungsvergütung; das ist eben schon einmal. klargestellt worden. Aber andererseits sagen Sie in Ihrer Zusammenfassung, Herr Kollege Hasinger: natürlich, dies muß weiterhin gewährleistet sein. - Eben weil Ihnen doch wohl bekannt ist, daß nur ein Prozentteil, nämlich nach Schätzungen der Bundesregierung maximal 40 °/o, in den Genuß von BAföG kommen können. Wenn wir also den schulischen Weg gehen, dann hat das auch Konsequenzen für die soziale Absicherung: ein späteres Eintreten in die Renten- und die Krankenversicherung und alles, was damit zusammenhängt. Wir können einen solchen Weg nicht gehen. Wir wollen uns auch einmal vor Augen führen, wie die Ausbildungsvergütung überhaupt zustande gekommen ist. Da muß man den Blick ein wenig zurück in die Geschichte der Krankenpflege richten. Am Anfang mußte derjenige, der diesen Beruf ergreifen wollte, noch eine Kaution stellen. Das wurde dann abgeschafft; er brauchte keine Kaution mehr zu erbringen. Er bekam freie Verpflegung und freie Station. In einem dritten Akt kam noch ein Taschengeld dazu. Noch 1905 hatte die auf dem Sektor des Krankenpflegewesens bedeutende Frau Agnes Karll gefordert, man müsse eine Besoldung einführen, die vom Beginn der Ausbildung an gewährt werde. Dies ist dann mit dem Tarifvertrag vom 1. Januar 1967 geschehen, der sich auch als ein Beitrag zur Behebung des Schwesternmangels verstand. Jetzt frage ich Sie, meine Damen und meine Herren, wenn Sie heute so leichtfertig über das Thema hinweggehen, ob das denn überhaupt sein muß, ob wir nicht eines Tages, damit wir den nötigen Nachwuchs für die Krankenpflegeberufe bekommen, dazu übergehen müßten, zum Tarifvertrag als Steuerungsinstrument zurückzukehren, falls wir ihn überhaupt verlassen wollen, wie Sie es tun zu wollen scheinen. Nein, wir meinen, ein solcher Weg ist nicht gangbar. Aus dieser Gesamtkonstruktion folgt natürlich von Gesetzes wegen die Berücksichtigung der entsprechenden Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes. Aber hier handelt es sich doch nicht um Neuland. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist im Rahmen dieser Debatte bereits zitiert worden. Lassen Sie mich daraus nur ein paar Sätze verlesen: Zu Unrecht meint die Revision, die Krankenpflegeausbildung sei deshalb als rein schulisch anzusehen, weil die Auszubildenden nach § 2 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung in der praktischen Ausbildung nur zu Tätigkeiten herangezogen werden sollen, die im Zusammenhang mit dem zu erlernenden Beruf stehen und die Erreichung des Ausbildungsziels fördern. Eine in etwa entsprechende Regelung findet sich für die sonstige betriebliche Berufsausbildung - ich füge jetzt hinzu: auch in § 6 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes. An einer anderen Stelle heißt es: Nach den bundesgesetzlichen Regelungen kann die Krankenpflegeausbildung deswegen herkömmlicherweise als im wesentlichen arbeitsrechtlich-betrieblich ausgestaltet werden. Das Urteil kommt zu der Auffassung: Die bestehende Krankenpflegeausbildung ist überwiegend betrieblich und arbeitsrechtlich ausgestaltet, und demzufolge ist auch die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes vorgeschrieben. Die Frau Minister aus dem Land Baden-Württemberg, die eben noch hier war, müßte das eigentlich wissen, auch wenn sie in öffentlichen Diskussionen und auch in ihrem eigenen Parlament zuweilen den Eindruck erweckt, als wüßte sie es nicht. ({5}) Am 11. März 1977 hat der Finanzminister des Landes Baden-Württemberg in einem Rundschreiben über Musterberufsausbildungsverträge für Lernschwestern, Lernpfleger usw. eindeutig und ausdrücklich festgehalten, daß Verträge abzuschließen sind, bei denen auf Grund der Rechtsprechung zu dieser Frage das Berufsbildungsgesetz auf diesen Personenkreis anzuwenden ist. ({6}) - Jetzt habe ich Sie an dem Punkt, Herr Kollege. ({7}) Sie sagen also: Dies ist nur eine leidige Pflicht auf Grund des Gesetzes daher machen wir das Gesetz künftig so, daß dies nicht mehr die Folge ist. Nun gut, das ist eine Position. Ich bin sehr dankbar dafür, daß sie so deutlich wird. Aber das ist nicht unsere Position. ({8}) Das Berufsbildungsgesetz ist doch nicht vom Teufel eingeführt worden. Es ist von der Großen Koalition geschaffen worden. Der damalige Bundesarbeitsminister Hans Katzer - heute morgen ist er nicht hier - war seinerzeit sehr stolz darauf und konnte es auch sein. Wir haben dort den Bereich der Krankenpflegeausbildung nicht ausgeschlossen, und zwar, wie ich meine, mit gutem Recht. Ich darf noch einmal an meinen Beitrag hier in der Debatte am 15. Dezember erinnern. Ich bin nicht ganz glücklich darüber, daß die Bundesregierung die Übernahme der entsprechenden Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes durch Verweisung auf dieses Gesetz anstrebt. ({9}) Ich habe damals für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklärt und tue es heute hier erneut: Wir werden die im Interesse der Auszubildenden gedachten Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes wörtlich in das neue Krankenpflegegesetz hineinschreiben. ({10})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ihre Redezeit ist bald abgelaufen, es sei denn, Ihre Fraktion beantragt eine Verlängerung.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich käme sonst in Schwierigkeiten, Herr Präsident. Ich muß mich noch dem Bereich des Hebammenwesens zuwenden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Wenn Ihre Fraktion die Verlängerung beantragt, genehmige ich sie. - Sie haben weitere fünf Minuten Redezeit.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muß mich noch dem Hebammenwesen zuwenden, weil anderenfalls von dem betroffenen Personenkreis mit Recht gesagt werden könnte: Wenn dies schon ein Gesetz ist, das auch unsere Belange regelt, muß in der ersten Lesung zumindest auch dazu einiges gesagt werden. Zunächst möchte ich, an die Adresse der Hebammen gerichtet, sagen: Wir werden nicht zulassen, daß die dringend notwendige Verbesserung, die wir im' Auge haben, insbesondere die Einführung der dreijährigen Ausbildung, Not und Schaden dadurch erleidet, daß es zwischen Bundestagsmehrheit und Bundesratsmehrheit eventuell zu einem Gerangel kommt. Das werden wir nicht zulassen. Daran wird es nicht scheitern, daß die berechtigten Forderungen der Hebammen auch gesetzlich abgesichert werden. Die Zugangsvoraussetzungen, die wir für diesen Beruf für notwendig halten, haben in den Gesetzentwurf der Bundesregierung Eingang gefunden. Was den Katalog der vorbehaltenen Tätigkeiten anlangt, so gibt es noch Auffassungsunterschiede zwischen dem Berufsverband der Hebammen und der Bundesregierung, wie der Entwurf beweist. Meine Fraktion, die sich für eine Anhörung zu dem gesamten Gesetzentwurf im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit einsetzen wird, wird in ganz besonderer Weise diese Frage aus dem Hebammenbereich, inwieweit der Katalog der vorbehaltenen Tätigkeiten ausgeweitet werden soll, zum Gegenstand der Erörterungen machen. Was den Widerruf der Zulassung nach zwei Jahren, wenn innerhalb dieser Zeit weniger als zehn Geburtshilfen vorgenommen wurden, anlangt, so sehen auch wir die Problematik: Entweder muß nach unserer Auffassung die Übergangsbestimmung entsprechend verlängert werden, oder wir müßten diese Passage streichen, weil in der Tat die frühere Zuweisung von Bezirken eine Sache war, die die einzelne Hebamme nicht selbst in der Hand hatte. Ich kann hier in dieser ersten Lesung nicht alle Dinge, die das Hebammenwesen berühren, umfänglich darstellen. Ich möchte aber noch einmal betonen: Wir sind an einer zügigen Regelung dieses Fragenkomplexes dringend interessiert. ({0}) Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich noch ein paar Worte auf die Darstellung dessen verwenden, was dieser Gesetzentwurf nicht bedeutet. Dieser Gesetzentwurf bedeutet nicht, daß wir eine Verschulung der Ausbildung bekommen; er bedeutet aber auch nicht, wie von anderen befürchtet und öffentlich in die Welt gesetzt wird, daß eine Ausbeutung der Lernenden als Arbeitskraft erfolgen kann. Dieser Entwurf sieht nicht die Einführung einer Berufsschulpflicht vor. Dies will ich hier ausdrücklich klarstellen. Sollte der Entwurf dies nicht ausdrücklich genug klarstellen, wird es unsere Aufgabe im Gesetzgebungsverfahren sein, zu sagen, daß theoretische Ausbildung nicht im Sinne einer allgemeinen Berufsschulpflicht zu verstehen ist. Dieser Gesetzentwurf sieht auch nicht vor, daß Schulen gebildet werden können, die nicht mit einem Krankenhaus verbunden sind. Ich weiß nicht, was es da hineinzugeheimnissen gibt. Der Gesetzentwurf enthält auch keinen Schlüssel für die Anrechnung von Auszubildenden auf den Stellenplan. Eine solche Regelung wird in dem Gesetz wohl auch nicht möglich sein. Gleichwohl finde ich es gut und hilfreich, daß der Gesundheitssenator von Bremen, der Kollege Brückner, bei den Beratungen im Bundesrat dieses Thema aufgegriffen und gesagt hat, daß es die Aufgabe der Gesundheitssenatoren und -minister ist, untereinander darüber zu reden, daß es nicht bei einem so uneinheitlichen Spektrum wie heute bleibt, daß in dem einen Krankenhaus sieben Auszubildende auf einen Stellenplanplatz angerechnet werden, in einem anderen Krankenhaus aber vielleicht nur zwei. In der Republik gibt es diesbezüglich große Unterschiede. Hier sollte eine Vereinheitlichung erfolgen, und zwar auf einem Level, nach dem nur eine minimale Anrechnung auf den Stellenplan insgesamt erfolgt. Bei dieser gewissen Anrechnung auf den Stellenplan wird man nicht umhinkönnen, zu berücksichtigen, daß eben auch geldwerte Leistungen innerhalb der praktischen Ausbildung verrichtet werden. Nur werden wir das als Bundesgesetzgeber nicht in das Gesetz hineinschreiben; aber wir werden uns dazu im Gesetzgebungsverfahren'zweifelsohne äußern. Dieser Gesetzentwurf bedeutet auch nicht das Ende christlicher Krankenpflege. Ich weiß nicht, durch was ein solcher Vorwurf begründet sein sollte. ({1}) Der Gesetzentwurf bedeutet auch keine Begründung eines Machtanspruchs der Gewerkschaften. Auch das muß mit allem Nachdruck klargestellt werden. Ein entsprechender Vorwurf muß massiv zurüdcgewiesen werden. Ich komme zum Schluß. Sachgerechte Einwände gegen' den Entwurf, die von denjenigen, die an der Krankenhausversorgung, besonders aber -an der Ausbildung für die Krankenpflegeberufe beteiligt sind, kommen, werden von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ernst genommen. Wir stehen aber-um das noch einmal zu betonen - nicht am Ende, sondern am Anfang der Beratungen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist bereit, in einen kritischen Dialog über den Entwurf einzutreten. Wir werden dabei unser Ziel einer patientenorientierten Krankenpflegerausbildung genausowenig aus den Augen verlieren wie die legitimen Interessen jener jungen Menschen, die diesen Beruf ergreifen wollen. ({2})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat Herr Abgeordneter Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die öffentliche Debatte um die Novellierung des Krankenpflegegesetzes von 1965 dauert mit kurzen Unterbrechungen bereits seit 1974 an, als das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit den ersten Referentenentwurf eines Änderungsgesetzes vorlegte. 1975 folgte ein zweiter Entwurf; dieser Ansatz blieb allerdings in der letzten Wahlperiode stecken. In der jetzigen, 1976 begonnenen Wahlperiode wurde die öffentliche Diskussion mit einem Referentenentwurf vom Dezember 1977 neu eröffnet. Sie hält seitdem an. Eimer ({0}) Ich habe aus zwei Gründen mit diesem kleinen Rückblick begonnen. Erstens will ich deutlich machen, daß wir Parlamentarier erst jetzt, mit Beginn der Beratungen im Deutschen Bundestag mit der Novelle unmittelbar befaßt sind. Bisher konnten wir uns nur zu Entwürfen des Ministeriums oder der Bundesregierung äußern. Das war daher auch die richtige Adresse für Eingaben und Kritik an den Entwürfen. Von jetzt an können wir Abgeordnete den Gesetzgebungsprozeß selbst politisch gestalten, und das haben wir auch vor. Das Gesetz wird vom Bundestag anders verabschiedet werden, als es heute als Entwurf eingebracht wird. Zweitens folgt aus der langen Zeit der Erörterung mehrerer Entwürfe dies: Die Verbände der beteiligten Krankenpflegeberufe, die Vertreter der Krankenpflegeausbildung und die Träger der Krankenpflegeschulen hatten ausreichend Zeit, sich auf die anlaufende Novellierung einzustellen. Sie wurden von Anfang an beteiligt. Leider haben wir auf Grund' zahlreicher Diskussionsbeiträge in dieser Sache den Eindruck gewonnen, daß der Argumentation die Information nicht immer in ausreichendem Maße vorangegangen ist. Ich komme darauf noch einmal im einzelnen zurück. Da die Kritik an dem Regierungsentwurf vor allem von seiten kirchlicher Pflegeschulen - insbesondere vom Diakonischen Werk Baden-Württemberg - kommt, möchte ich zunächst einmal die Haltung der FDP zur Rolle der freien Träger in der Krankenpflegeausbildung ins Gedächtnis rufen. Lassen Sie mich einmal aus dem viel geschmähten, aber meist auch mißverstandenen Kirchenpapier unserer Partei aus dem Jahr 1974 zitieren: Im caritativen Bereich - so heißt es dort in der Präambel haben die christlichen Kirchen wegweisende Arbeit geleistet. Das Bekenntnis zur persönlichen Glaubens- und Gewissensfreiheit schließt daher untrennbar ein, daß das Wirken der Kirchen nicht nur im innerkirchlichen Bereich, sondern auch in der Gesellschaft gesichert sein muß. In Ziffer 9 wird festgestellt, daß u. a. die Krankenpflege eine öffentliche Aufgabe sei. Weiter heißt es: Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, muß gewahrt werden - allerdings ohne Vorrangstellung. Das bedeutet ein klares Ja zur grundsätzlichen Eigenständigkeit der kirchlichen Krankenpflegeschulen und ihrer besonderen christlichen und sozialen Aufgabe. Dies haben wir erst vor einer Woche nach einem fruchtbaren Gespräch mit dem Bevollmächtigten des Rates der EKD übereinstimmend erklärt. Unsere Programmaussage bedeutet aber auch ein Ja zur Verpflichtung des Staates, die Krankenpflegeausbildung rechtlich zu regeln und ihre Durchführung unter Achtung der kirchlichen Autonomie zu kontrollieren. . Nicht anders als im Krankenhausbereich überhaupt treten wir in diesem Rahmen auch bezüglich der Krankenpflege für pluralistische Vielfalt der Träger ein. Wir wollen keine Gleichmacherei; wir wollen Freiheit. ({1}) Dieser Standpunkt ist übrigens nicht nur der von uns Freien Demokraten, sondern auch der der sozialliberalen Koalition. So legte die Regierungserklärung von 1973 ein Bekenntnis zu der sozialen Aufgabe der Kirche ab.„Die sozialen Einrichtungen der karitativen Organisationen und der freien Wohlfahrtspflege sollen vom Staat nicht angetastet werden; die Gemeinschaft braucht sie", hieß es. Ermutigung und Dank spricht auch die Regierungserklärung von 1976 den kirchlichen Verbänden, Trägern und Helfern aus, wobei Caritas und Diakonisches Werk ausdrücklich erwähnt werden. Der Krankenpflegegesetzentwurf dieser Regierung achtet auch die jahrzehntelang gewachsene Rolle der Kirchen in der modernen Krankenpflege. Die Kritik an dem Gesetzentwurf von seiten der Opposition geht nicht vom Text des Gesetzentwurfs aus. Zu solcher Kritik geben, Herr Kollege Hasinger, weder Text noch Begründung Veranlassung. Die Kritik gründet sich auf ideologische Vorurteile. Das Wort „Systemveränderung", das Sie gebraucht haben, macht das, glaube ich, recht deutlich. Die Kritik gründet sich auf Mißtrauen, das bewußt gepflegt und geschürt wird. Ich will nur ein Beispiel anführen. Wir sind wie wahrscheinlich auch Sie der Meinung daß die Führung von Krankenpflegeschulen natürlich von Ärzten wahrgenommen werden soll - und nicht von irgendwelchen arbeitslosen Lehrern, wie Sie gesagt haben. Wir sind gern bereit, im Verlauf der Beratungen all das klarzustellen, was zu Mißtrauen geführt hat oder nicht eindeutig formuliert ist. Es wird klar werden, daß Krankenpflegeschulen keine Berufsschulen werden sollen, z. B. dadurch, daß der Inhalt der in § 13 des Gesetzentwurfs aufgeführten Paragraphen des Berufsbildungsgesetzes im Gesetz wörtlich wiedergegeben wird, also nicht nur darauf verwiesen wird. Ich glaube, das ist ein entscheidender Beitrag zur Klarstellung auf diesem Gebiet. ({2}) - Herr Kollege, ich habe bereits am Anfang gesagt: Das Gesetz wird, wenn es den Bundestag verläßt, sicher anders aussehen als der Gesetzentwurf bei der Einbringung. ({3}) Wenn irgendwo Mißverständnisse auftreten, sind . wir alle gern bereit, sie zu beseitigen. Ich habe nach den Worten meines Vorredners den Eindruck, daß wir auch in diesem Punkt zumindest in der Grundposition nicht so weit auseinander sind, wie es vielleicht am Anfang ausgesehen hat. ({4}) Eimer ({5}) - Herr Kollege Wehner, ich gebe allerdings zu, daß ich hinsichtlich der Einigkeit im Ausschuß etwas Mißtrauen habe, wenn ich z. B. an die Beratungen über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Redits der elterlichen Sorge denke, wo wir uns schon sehr nahegekommen waren und dann, wahrscheinlich aus wahltaktischen Gründen, nein gesagt wurde. ({6}) Das selbstverständliche- Hauptziel des Entwurfs ist es, die Krankenpflegeausbildung im Interesse einer noch besseren Pflege und Versorgung kranker Menschen weiterzuentwickeln. Daher steht für uns der Ausbildungszweck in der Krankenpflegeausbildung vor jedem anderen Zweck, insbesondere vor dem Beschäftigungszweck. Zwar kann die Krankenpflegeschülerin eine praxisbezogene Ausbildung auf der Station des Krankenhauses, also am Krankenbett, nicht ohne Eingliederung in den täglichen Arbeitsablauf und nur durch wachsende Zusammenarbeit mit den Stationsschwestern erhalten. Insofern gilt also gewiß der Grundsatz des Lernens durch Arbeiten. Aber in jeder Phase der dreijährigen Ausbildung muß der Ausbildungszweck eindeutig das Maß der zuzuweisenden Arbeit rechtfertigen und begrenzen. Wir wissen, daß diese Forderungen heute zum Schaden der auszubildenden jungen Leute, die vor allem etwas lernen sollen, leider noch nicht immer erfüllt werden. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt sicher in dem beträchtlichen Druck, den zum Teil überhöhte Personalanrechnungsschlüssel auf die Krankenhäuser ausüben. Wenn etwa drei Schwesternschülerinnen ein Vollkraft ersetzen sollen, können weder die Schwesternschülerinnen genügend lernen nodi kann sich die Ausbildungsschwester genügend um die Ausbildung kümmern. Ein Schlüssel von etwa 1 : 5 oder 1 : 6 wäre deswegen nach meiner Überzeugung vertretbar. Heute ist die Lage so, daß in Hamburg und Bremen gar keine Anrechnung von Schwesternschülerinnen auf Planstellen für Schwestern vorgesehen ist. Hessen, Berlin und Baden-Württemberg haben den Schlüssel 1 : 6; Baden-Württemberg will auf 1 :7 übergehen. Nordrhein-Westfalen hat den Schlüssel 1 : 5. Nur Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen - also alles von der Union regierte Länder - halten noch an dem ungünstigen Schlüssel von 1 : 3 fest. Soweit ich informiert bin, gibt es auch keinen Stellenschlüssel für das Verhältnis zwischen Lehr- und Lernschwestern. Ich meine, hier Sollte ein Verhältnis von 1 : 15 angestrebt werden. Dieser Bereich ist, wie gesagt, zur Zeit nodi nirgends geregelt. ({7}) - Ich meine aber, wir können es zumindest anregen. Dem hier aufgezeigten Mißstand können wir durch eine Reihe von Maßnahmen begegnen. Wir sollten z. B. eine Vorschrift wie die in § 6 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes übernehmen, die übrigens ähnlich für auszubildende Mediziner und Apotheker gilt. Sie lautet: Dem Auszubildenden dürfen nur Verrichtungen übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und seinen körperlichen Kräften angemessen sind. Bei der gerade anstehenden Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sieht der Regierungsentwurf vor, daß die laufenden Kosten der Krankenpflegeausbildung auch weiterhin in den Pflegesatz eingerechnet werden dürfen. Wir müssen klarstellen, daß dies auch für die Investitionsförderung gilt und jeweils die vollen Selbstkosten der Ausbildung erfaßt werden. Bei der KHG-Novelle gilt es ebenfalls klarzumachen, daß für die Personal-und Sachkosten im Krankenhaus vertretbare Anrechnungsschlüssel vorzusehen sind. Dann wird audi Aussicht darauf bestehen, den einseitig am Prinzip der Kostendämpfung orientierten Personalschlüssel endlich abzuschaffen. Dies muß vor allem zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen geregelt werden. Aber wir können und sollten auch die genannten Voraussetzungen dafür schaffen. ({8}) Steht genügend Personal dafür zur Verfügung, ist ohne Zweifel die Krankenpflegeausbildung am Krankenbett, also die praxisorientierte Ausbildung, die einzig sachgemäße. Der theoretische und praktische Unterricht hat diese Praxis vorzubereiten und zu vertiefen. ({9}) Er muß außerdem inhaltlich, räumlich und organisatorisch irr engem Zusammenhang damit stehen. Der Entwurf sichert diese Forderungen im Wortlaut und in der Begründung. ({10}) Trotzdem wurde und wird in Hunderten von Briefen und Flugblättern - etwa des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Baden-Württemberg - das Gegenteil verbreitet. Ich zitiere daher § 4 Abs. 2 des Entwurfes: Ausbildungsstätten sind für die Ausbildung nach diesem Gesetz geeignet, wenn sie über die zur Vermittlung des theoretischen und praktischen Unterrichts erforderlichen Einrichtungen und Fachkräfte verfügen und mit einem Krankenhaus verbunden sind, bei dem die Durchführung der praktischen Ausbildung gewährleistet ist. Ähnlich fordert übrigens § 7 des geltenden Krankenpflegegesetzes, daß die Krankenpflegeschulen mit einem Krankenhaus verbunden sind. In der Begründung zu § 4 Abs. 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs heißt es wörtlich: Die Lernorte für den theoretischen und praktischen Unterricht und die praktische Ausbildung sollen identisch, zumindest jedoch soweit wie möglich miteinander verzahnt sein . . . Um die erforderliche Abstimmung zwischen den Ausbildungsstätten für den theoretischen und Eimer ({11}) praktischen Unterricht und dem Krankenhaus sicherzustellen, stellt das Gesetz die funktionelle Verbindung zum Krankenhaus ausdrücklich dar. ({12}) - Herr Kollege, ich habe den Eindruck, daß das mittlerweile .schon zur Kenntnis genommen worden ist. Ich glaube, das Gesetz und seine Begründung können diesen Gedanken der Einheit von Krankenpflegeschulen und Krankenhaus nicht deutlicher zum Ausdruck bringen. Wenn irgendwo noch Zweifel bestehen sollten - ich wiederhole das Angebot -, sind wir gern bereit, die Formulierungen eindeutiger und klarer zu machen. Ein ohne Zweifel neuralgischer Punkt des Entwurfs ist die Frage, inwieweit das Berufsbildungsgesetz Anwendung auf die Krankenpflegeausbildung finden soll. Auch hier muß ich gegenüber vielen, die an der öffentlichen Debatte teilnahmen, ein Mißverständnis ausräumen. Die Anwendung dieses Gesetzes auf die Krankenpflege ist nichts völlig Neues, sondern gilt nach dessen § 107 Abs. 1 bereits heute bedingt. Dort heißt es nämlich, daß bundesgesetzliche Regelungen über die Berufsbildung in Heil- und Heilhilfsberufen unberührt bleiben. Das bedeutet, das Krankenpflegegesetz geht dem Berufsbildungsgesetz vor, aber soweit dieses ergänzende Vorschriften erhält, gelten diese auch in der Krankenpflege. Das ist keine klare Lösung, und daher hat der Regierungsentwurf allein deshalb einen Fortschritt gebracht, weil er klipp und klar die anwendbaren Paragraphen aufzählt. Es ist auch nicht etwa so, daß der Bundesrat für eine völlige Nichtanwendung wäre; er zählt nur umgekehrt die nicht anwendbaren Paragraphen des Berufsbildungsgesetzes auf; die übrigen sollen grundsätzlich gelten. Unsere Krankenhäuser und deren Krankenpflegeschulen sind zwar nicht ohne weiteres mit gewerblichen Betrieben, in denen ausgebildet wird, vergleichbar, aber dieser Bereich ist doch gegenüber dem weiten Feld der beruflichen Ausbildung kein abgezäunter Naturschutzpark. Hier wie dort sollen schließlich Auszubildende etwas lernen und Ausbilder etwas lehren, und das bedingt nun einmal eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Eine davon - den Vorrang des Ausbildungszwecks - nannte ich schon. Erst vor wenigen Tagen haben wir einen ausführlichen Brief einer in der Krankenpflege erfahrenen Oberin erhalten. Dieses Schreiben ist eine einzige Klage über den Mangel bei der Finanzierung, den Mangel an Qualität und den Mangel in der Organisation der heutigen Krankenpflegeausbildung. So müßten sich mancherorts Unterrichtsschwestern mühsam selbst darum kümmern, Ärzte und andere Lehrkräfte für den Unterricht zu bekommen; um die Aus- und Fortbildung der. Unterrichtsschwestern sei es schlecht bestellt; die Qualität der Krankenpflegeschulen halte oft den Vergleich mit der der beruflichen Bildung in der Industrie nicht aus. Deswegen, meine Damen und Herren, sollten wir uns dringend Gedanken darüber machen, wie die Qualität der Krankenpflegeschulen und ihrer Lehrkräfte garantiert werden kann. Das Berufsbildungsgesetz enthält gerade auch Vorschriften über die persönliche und fachliche Eignung des Ausbildungspersonals. Diese Bestimmungen sollten wir unvoreingenommen daraufhin prüfen, inwieweit sie sich für eine Anwendung auf die Krankenpflege eignen. Auch die Vorschriften über die Rechte und über die Pflichten des Auszubildenden dürften zum Teil in Frage kommen, denn es ist z. B. nicht einzusehen, warum ein Krankenpflegeschüler in seinem Ausbildungsverhältnis geringere Rechte als etwa ein angehender Mechaniker haben soll. Übrigens sind wir uns - ich habe es bereits angedeutet - mit unserem Koalitionspartner weitgehend darin einig, die nach all dem anwendbaren Vorschriften des Berufsausbildungsgesetzes in der für die Krankenpflege passenden Formulierung ins Krankenpflegegesetz aufzunehmen, statt auf diese Vorschriften im Berufsbildungsgesetz zu verweisen. ({13}) Damit würden sonst unvermeidliche Auslegungsschwierigkeiten von vornherein ausgeschlossen und ein aus sich heraus verständliches Gesetz zustande kommen. Zum Schluß noch ein Wort zu dem, so finden wir, lobenswerten Versuch der Regierung, mit diesem Entwurf die Ausbildung in den Krankenpflegeberufen mit der für die Hebammen in einem gemeinsamen Gesetz zusammenzufassen. Diese Zusammenfassung soll auch erlauben, auf gemeinsamen Stoffgebieten eine einheitliche Grundbildung für die Krankenpflege- und die Hebammenausbildung vorzusehen. Wir erhoffen uns davon eine größere Durchlässigkeit dieser Ausbildungsgänge und mehr berufliche Flexibilität der Absolventen. Schließlich stehen gerade im Bereich der stationären und der ambulanten Krankenpflege große Umstrukturierungen vor uns. Im einzelnen hat sich mein Kollege Spitzmüller bereits am 15. Dezember des vergangenen Jahres bei der ersten Beratung des Hebammengesetzes zu diesem Thema geäußert. Unsere Fraktion erhofft sich eine unvoreingenommene und zügige Beratung im Ausschuß und eine etwas objektivere Beurteilung des Gesetzentwurfes durch die Opposition. ({14})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schleicher.

Ursula Schleicher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001980, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wird es die Krankenschwester von heute auch morgen noch geben, wenn das vorliegende Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege, das sogenannte Krankenpflege- und Hebammengesetz, in der vorliegenden Form verabschiedet wird? A ({0}) Bis auf wenige Ausnahmen ist die Stimmung in den Fachkreisen nahezu eindeutig: Das vorliegende Gesetz bringt eine einschneidende Veränderung des heute bestehenden Berufsbildes der Krankenschwester mit sich. ({1}) Dies veranlaßt mich, einen kurzen Rückblick auf jene Entwicklung zu werfen, die stets die Sorge um den kranken Menschen zum Mittelpunkt machte und die fast immer Sache der Frauen war. Nicht umsonst bezeichnete schon Homer in seiner Ilias Agamede als die Heilkundige, die sich der Verwundeten annahm. Erfahrung und Wissen wurde von den Frauen als Tradition gepflegt, Ordnungsgemeinschaften bildeten sich, die weibliche Diakonie und bedeutende Klöster wurden zu Ausbildungsstätten und Trägern jener Einrichtungen, die auch heute noch in der Krankenpflege ausschlaggebend sind. Florence Nightingale nutzte ihre traurigen Erfahrungen aus dem Krim-Krieg und begründete die freiberufliche Arbeit der Krankenschwester. Als logische Folgerung aus dem Abschluß der Genfer Konvention zum Schutze der Verwundeten im Felde wurden in Deutschland auch die Schwesternschaften des Roten Kreuzes gegründet. Seit mehr als hundert Jahren widmen sich auch in Deutschland Frauen ganz gezielt der Aufgabe einer hervorragenden Pflege von Kranken und Hilfsbedürftigen. Der Staat nahm sich erst nach 1907 der Ausbildungsvorschriften für diesen besonderen Bereich an. Seit 1924, gibt es die staatlich geregelte und anerkannte Krankenpflegeausbildung. Ausschlaggebend war stets das Vorbild der Einsatzleistung der Stationsschwester und deren direkte Unterweisung. Der Arzt ist auf die Mitarbeit der Krankenschwester stark angewiesen, in der Pflege, aber auch in der Ausführung von Verordnungen und in der persönlichen Betreuung der Patienten. Durdi die ungeheure Entwicklung in der Medizin. sind natürlich auch die Anforderungen an das Wissen der Krankenschwestern gestiegen - auch die Belastung auf Grund der Durchführung von Verordnungen. Die nahezu eine Viertelmillion Krankenschwestern, Krankenpfleger, Helferinnen und Helfer, eingeschlossen die Kinderkrankenschwestern, wurden alle sorgfältig in den Krankenpflegeschulen der freien Träger ausgebildet und leisten Hervorragendes. ({2}) Sicher gibt es heute auf den Krankenstationen auch viele neue Techniken, Apparate lind andere technische Hilfsmittel. Sie alle müssen sorgfältig bedient werden, denn nur dann können sie auch nutzbar gemacht werden. Es gehören zu diesem Beruf viel Einfühlungsvermögen und eine große Bereitschaft zum Lernen; eine gediegene Schulausbildung, eine gute Beobachtungsgabe und das Ja zur Gemeinschaft. Für den Unterricht brauchen wir deshalb erfahrene Ärzte und Krankenschwestern. Die Bindung der Lehrkräfte an die Klinik ist ein unabdingbares Erfordernis, um durch Unterrichtung stets auf dem neuesten Stand sein zu können. Warum trage ich das so vor? Sicher, nicht, um Sie hier zu langweilen, sondern um darzulegen, wie dringend notwendig die Verbundenheit von Ausbildung und Praxis für diesen besonderen Beruf des Gesundheitswesens ist. ({3}). Was bringt aber das neue Gesetz? Zunächst erfolgt im Rahmen des Berufsgrundausbildungsjahres - auch Herr Jaunich hat eben den § 6 zitiert - eine Vollzeitschulbildung, die die notwendige Patientennähe in der Ausbildung unmöglich macht. Dazu kommt, daß die jungen Menschen, die sich für diesen Ausbildungsweg entscheiden, aus der allgemeinbildenden Schule in die Praxis und nicht wieder in eine verschulte Ausbildung wollen. ({4}) Nach dem neuen Gesetz wird die Krankenhauspflegeausbildung entsprechend dem Berufsbildungsgesetz an zwei Lernorten vorgenommen, nämlich in Berufsschule und Krankenhaus. Was für das Handwerk einleuchtend ist - Herr Kollege Hasinger hat es schon angedeutet -, das sogenannte duale System, ist für diesen Gesundheitsberuf nahezu tödlich. ({5}) Hierfür werden schließlich eigene Lehrkräfte benötigt, die nur Angestellte der Schule und nicht des Krankenhauses sein können. Wenn auch die Notwendigkeit dieses Schrittes momentan bestritten wird, so bedingt dieser Entwurf auf jeden Fall, daß langfristig die in der Praxis Tätigen für die Unterrichtung ausfallen werden. Gleichzeitig werden die freien Träger ihrer Aufgaben beraubt, da nach den schulischen Bestimmungen auch die Schulleiter hauptamtlich in der Schule tätig sein müssen. Die Bundesregierung scheint bei ihren Überlegungen selbst davon auszugehen, daß nicht alle bestehenden Ausbildungseinrichtungen werden weiterarbeiten können. ({6}) Daß diejenigen Ausbildungseinrichtungen, die davon zuerst betroffen sein werden, vorwiegend in privater, konfessioneller bzw. frei-gemeinnütziger Trägerschaft stehen, wird in dem Gesetzentwurf schamhaft verschwiegen, ist aber gerade einer der Kernpunkte in der Auseinandersetzung. Wenn wir uns, wie Bundeskanzler Schmidt dies propagiert hat, die Frage stellen: ist das Gesetz notwendig?, dann ist ganz klar zu antworten: nein, so nicht. Der Bundesrat hat dies ebenso festgestellt wie auch die davon betroffenen Kreise. Zu regeln wäre die Anpassung an die EG-Richtlinie betr. Anzahl der Unterrichtsstunden. Zwischen Frau Däubler-Gmelin und Herrn Hasinger ist vielleicht, was das Rundschreiben des Finanzministers von Baden-Württemberg angeht, ein Mißverständnis entstanden. Das hat sich nämlich einzig auf die Lernmittelvergütung bezogen, die in dem Gesetz verbesserungswürdig ist.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin?

Ursula Schleicher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001980, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da die Zeit schon ziemlich weit vorgeschritten ist und mit Rücksicht auf die Kollegen, die anschließend auch noch zu anderen Tagesordnungspunkten sprechen möchten, möchte ich keine Frage zulassen. ({0}) Die totale Verquickung des Gesetzes mit der Ausbildung der_ Hebamme bzw. des Entbindungshelfers ist nach unserer Ansicht unseriös. Diese Regelung ist eilbedürftig und hat mit der Krankenpflegeausbildung überhaupt nichts zu tun. Die Regelung der Ausbildung der Hebamme stammt noch aus dem Jahre 1938 und ist tatsächlich zu erneuern. Da die Bundesregierung schon seit 1969 und die SPD seit 1967 den Sektor Gesundheit zu verantworten haben, ist der Vorwurf zu erheben, daß sie diesen Berufszweig bisher immer vor der Türe stehen ließen. ({1}) Den Hebammen ist keineswegs damit gedient, nun mit den Krankenschwestern unter einen Hut gebracht zu werden. Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb einen eigenen Gesetzentwurf hierzu im Deutschen Bundestag eingebracht. Wir hoffen, daß diesem der Vorzug gegeben wird. Das Krankenpflegegesetz sollte aber in der Versenkung verschwinden, um von uns allen Unheil abzuhalten. Es ist halt ein Unterschied, ob man gesund ist oder im Krankenhaus liegen muß. Spätestens dort wird man merken, daß für. den Beruf der Krankenschwester nach wie vor jener Ausspruch Gültigkeit hat, der bereits vor 50 Jahren ausschlaggebend für die Ausbildung der Krankenschwester war: Anders als die im Handel oder im Gewerbe Berufstätigen hat die Krankenpflegerin es nicht mit leblosen Gegenständen, sondern mit fühlenden Menschen zu tun, die nicht nur körperlich zu betreuen, sondern auch seelisch zu beeinflussen, zu erhalten und zu unterstützen sind. ({2}) Die Vorlage dieses Gesetzes ist wiederum ein Beweis für ein Stück Veränderung im Gesundheitswesen. ({3}) Die Vorschläge der Gewerkschaft ÖTV mit ihren Perspektiven zur Gesundheitspolitik kommen hier zweifelsfrei zum Ausdruck. Nur aus diesem Kreis ist übrigens das positive Echo zu hören. Wer die Hintergründe erkennt, weiß, daß damit die Forderung nach einem kooperativen Gesundheitswesen zusammenhängt, wie z. B. nach Zentralapotheken im Krankenhaus, die kürzlich bei uns im Plenum schon behandelt wurde. Durch die Forderung nach Abbau hierarchischer Strukturen im Krankenhaus und nach Mitbestimmung im Krankenhaus bekommen wir vielleicht Zustände wie in England, nämlich Streiks, und alles, was damit zusammenhängt, wie der Wegfall des Tendenzschutzes für Krankenanstalten usw. In diesem Zusammenhang steht dann auch die Forderung: möglichst weitreichende gemeinsame Grundausbildung in allen Gesundheitsberufen. Hierbei wird völlig verkannt, daß die Gesundheitsberufe Lochspezialisiert sind und daß der Vorschlag der Vereinheitlichung der Ausbildung letztlich einen Schritt in die falsche Richtung bedeutet. Die Hereinnahme der Ausbildung zur Krankenpflege in das Berufsbildungsgesetz zeigt, wie gering das Verständnis für diesen Berufszweig ist. Das Problem ist nur zu lösen, wenn man erkennt, daß dieser Gesundheitsberuf - wie übrigens fast alle anderen auch - nicht in ein bestimmtes Schema zu pressen ist, sondern immer entsprechend seiner Eigenart behandelt werden muß. ({4}) Deshalb muß die Ausbildung besonderer Art für die Krankenpflege, wie sie heute existiert, erhalten bleiben und darf keineswegs verändert werden. ({5}) Der Kollege Hasinger hat für uns, für die CDU/ CSU, die Details vorgetragen, die wir beanstanden. Ich wollte nur noch einmal die Zusammenhänge aufzeigen, die es uns unmöglich machen, dem Gesetz so unsere Zustimmung zu geben. ({6})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Frau Kollegin Schleicher gesagt hat, kann so nicht im Raume stehenbleiben. Frau Kollegin Schleicher, wenn Sie schon von Homer sprechen, dann könnten wir nach Ihren Ausführungen eigentlich nur noch ein homerisches Gelächter anstimmen. ({0}) Wie können Sie sich denn so bildungsfeindlich äußern, wie Sie das hier getan haben? Haben die jungen Menschen in der Ausbildung nicht das Recht und einen Anspruch darauf, eine bestmögliche Ausbildung nach neuesten medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu bekommen? Wenn Sie im Vorblatt einmal nachschauen, werden Sie feststellen, daß auch vermehrte Kosten auf die Länder zukommen, wenn es um mehr Ausbildungsstätten geht. Wie können Sie da im Interesse der jungen Menschen in der Krankenpflegeausbildung nein sagen?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten, Hasinger?

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fiebig, trifft es zu, daß im Vorblatt zu dem Regierungsentwurf zu den staatlichen Mehrkosten nur zusätzliche Kosten im Bereich der Hebammenausbildung durch die Verlängerung von zwei auf drei Jahre gezählt werden, nicht jedoch Kosten im Bereich der Krankenpflegeausbildung?

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich zitiere: Den Trägern von Ausbildungsstätten in der Krankenpflege und in der Krankenpflegehilfe werden Mehrkosten durch die Anhebung der Stundenzahlen für den theoretischen und praktischen Unterricht erwachsen; sie werden für die Krankenpflege auf 6,1 Millionen DM und für die Krankenpflegehilfe auf 5,1 Millionen DM jährlich geschätzt. Ich halte es für eine gute Sache, daß hier nun auch in der Krankenpflegeausbildung mehr finanzielle Mittel aufgewendet werden sollen. ({0}) Zweitens. Versetzen wir uns doch bitte einmal in die Lage eines Patienten, der sich im Krankenhaus einer Krankenschwester anvertraut. Hat er nicht auch ein Recht darauf, daß eine Krankenschwester eine bestmögliche Ausbildung erhalten hat? Wir betonen noch einmal: Wir wollen die Verzahnung von praktischer und theoretischer Ausbildung. Das ist unser Ansatzpunkt. An dem halten wir fest. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß diese Rede der Frau Kollegin Schleicher noch notwendig war, ({0}) nachdem mein Kollege Eimer und auch Herr Jaunich in aller Deutlichkeit gesagt haben, in welchen Teilen eine Korrektur des Gesetzes vorgenommen werden soll. Frau Kollegin Schleicher, trotz aller Höflichkeit Damen gegenüber muß ich Ihnen sagen: Machen Sie bitte kein Geschäft mit der Angst der Menschen draußen, indem Sie ({1}) - wie leider auch manche Verbandsvertreter draußen - diesem Gesetz unterstellen, daß die christliche Krankenpflege am Krankenbett nicht mehr stattfinden kann. Dann hat allerdings die Auseinandersetzung eine Form angenommen, wo man sich fragen muß, ob es im parlamentarischen Raum überhaupt noch möglich ist, zu einem sachlichen Konsens zu kommen. ({2}) Deshalb möchte ich an die Kollegen der Opposition appellieren, sich gemeinsam mit uns darum zu bemühen, daß der Gesetzentwurf eine Form bekommt, die das sicherstellt, was in der Vergangenheit christliche Pflege am Krankenbett war und auch in der Zukunft sein soll. ({3})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/2471 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit -federführend -, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens - Drucksache 8/1567 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ' - Drucksache 8/2547 - Berichterstatter: Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) - Drucksache 8/2535 - dazu: Berichtigung zur Beschlußempfehlung - Drucksache 8/2568 - Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({2}) ({3}) b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes - Drucksache 8/465 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) - Drucksache 8/2535 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({5}) ({6}) Präsident Carstens Wünscht einer der Herren Berichterstatter als Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Ich höre, Herr Abgeordneter Müller, Sie wollen erst zur dritten Lesung sprechen? - Dann hat der Herr Abgeordnete Sieler das Wort.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich namens der SPD-Bundestagsfraktion zunächst einige allgemeine Bemerkungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bereinigung und Beschleunigung arbeitsgerichtlicher Verfahren machen. Wir stimmen voll mit dem Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfes der Bundesregierung überein und halten dies auch für den richtigen Ansatz; denn gerade im Arbeitsgerichtsverfahren müssen wir wieder zu einer kürzeren Verfahrensdauer kommen. Der in § 9 des Arbeitsgerichtsgesetzes festgelegte Grundsatz: „Das Verfahren ist in allen Rechtszügen zu beschleunigen", muß wieder entscheidendes Merkmal arbeitsgerichtlicher Verfahren werden. Meine Damen und Herren, der Arbeitnehmer erlebt und beurteilt die soziale Wirklichkeit vor allem an seinem Arbeitsplatz. Am Arbeitsplatz im Betrieb verbringt er täglich mindestens acht Stunden. Wenn es nun gerade hier zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommt, vor allen Dingen mit dem Arbeitgeber, dann müssen die anstehenden Fragen im Interesse der Rechtssicherheit schnell und überzeugend geklärt werden. Sich jahrelang hinziehende Prozesse sind für beide Parteien nicht tragbar. und für den Arbeitnehmer aus Gründen auch seiner eigenen Existenz nicht zuzumuten. Ein besonders deutliches Beispiel für die Notwendigkeit eines beschleunigten Verfahrens sind die Kündigungsschutzprozesse, in denen der Arbeitnehmer buchstäblich um seinen Arbeitsplatz kämpfen muß. Es ist einfach unerträglich, wenn ein Arbeitnehmer, noch dazu in der derzeitig schwierigen Arbeitsmarktlage, über drei oder mehrere Jahre hinweg warten muß, bis die Frage geklärt ist, ob sein Arbeitsverhältnis fortbesteht und ob er wieder in den Betrieb eingegliedert werden kann. Über die Schwierigkeiten, die im Falle eines obsiegenden Urteils für den Arbeitnehmer im. Kündigungsschutzprozeß bei der Wiedereingliederung in den Betrieb entstehen, brauche ich an dieser Stelle sicher nichts Näheres auszuführen. Die Schwierigkeiten sind es aber, die dazu führen, daß ein großer Teil der Kündigungsschutzprozesse vergleichsweise unter Zahlung einer Abfindung beendet wird und damit der im gesetzlichen Kündigungsschutz bezweckte Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses in sein Gegenteil verkehrt wird. ({0}) Wir sind uns darüber im klaren, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Problematik des Kündigungsschutzes schlechthin nicht zu lösen war. Wir meinen aber, daß mit der vom Ausschuß beschlossenen Prozeßförderung beim Kündigungsschutzverfahren eine schnellere Erledigung erreicht werden kann. Die derzeit lange Prozeßdauer bei den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht zuletzt die Folge einer ständigen Überlastung aller drei Instanzen. Wir wissen natürlich, daß im Interesse einer ordnungsgemäßen Rechtsfindung einer verfahrensmäßigen Entlastung Grenzen gesetzt sind. Der Verfahrensverlauf und die abschließende gerichtliche Würdigung und Entscheidung müssen bei aller erforderlichen Beschleunigung auch in Zukunft einer gründlichen Arbeit der Gerichte den notwendigen Raum geben. Es gab daher für uns keinen Anlaß, die bewährte Konzeption des arbeitsgerichtlichen Verfahrens in seiner grundsätzlichen Regelung zu ändern. Die Güteverhandlung hat nach wie vor entscheidende Bedeutung. Mit ergänzenden Regelungen haben wir versucht, den besonderen Charakter der Güteverhandlung mit den Möglichkeiten zur gütlichen Einigung noch stärker herauszustellen. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat das im arbeitsgerichtlichen Verfahren bewährte ehrenamtliche Richterelement einen so hohen Stellenwert, daß wir selbst vorsichtigen Änderungsvorschlägen der Bundesregierung im Gesetzentwurf nicht Folge leisten konnten. ({1}) Lassen Sie mich nun zum Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs einige Ausführungen machen. Wir haben uns bemüht, die besonderen Elemente des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des Arbeitsrechts zu wahren. Damit sich das Bundesarbeitsgericht stärker als das bisher der Fall war, mit den Aufgaben der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung beschäftigen kann, war das Revisionsrecht neu zu ordnen. Dieses neue Revisionsrecht wird das Bundesarbeitsgericht zukünftig von einer großen Zahl rein formaler Revisionsverfahren entlasten. Das Schwergewicht wird also künftig darauf liegen, ob die . Landesarbeitsgerichte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejahen und die Revision zulassen werden. Bei der Sachverständigenanhörung ist zum Teil gefordert worden, auch bei solchen Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte das Rechtsmittel zuzulassen, in denen die grundsätzliche Bedeutung der Sache verneint worden ist. Wir haben diese Frage eingehend geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der von der Bundesregierung vorgeschlagene Kompromiß, die Nichtzulassungsbeschwerde nur in einigen für das Arbeitsleben besonders wichtigen Bereichen zuzulassen, eine angemessene Lösung ist. Die unbeschränkt mögliche Nichtzulassungsbeschwerde würde nach unserer Auffassung den angestrebten Entlastungseffekt weitgehend wieder aufheben. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Beratungen war die beabsichtigte Entlastung der Landesarbeitsgerichte durch die Heraufsetzung der für die Zulässigkeit eines Berufungsverfahrens erforderlichen Streitwertgrenze. Nach einer langen Diskussion über die Problematik, die die Streitwertgrenzen in sich ber11034 gen, haben wir uns entschlossen - abweichend vom Regierungsentwurf -, die Zulässigkeit der Berufung an einen Beschwerdewert von 800 DM zu knüpfen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält darüber hinaus zahlreiche weitere Änderungen,. die einerseits das Verfahren beschleunigen, andererseits aber auch die Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Verfahren selbst verbessern helfen. Ich nenne hier die Erweiterung der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auf eine Reihe im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehender Angelegenheiten, so z. B. die Ausdehnung der Rechtsmittelbelehrungsverpflichtung, die Beseitigung der Zweitschuldnerhaftung - ein ganz wichtiges Problem für Arbeitnehmer, die ja oft klagen müssen, wohlwissend, daß es da nichts mehr zu holen gibt, und dann letztendlich auf ihren nicht erfüllten Forderungen sitzenbleiben. Auch der Übernahme der Dolmetscherkosten auf den Staat bei ausländischen Arbeitnehmern, diesem - ich will es einmal so nennen - sozialpolitisch motivierten Teil der Arbeitsgerichtsnovelle, werden wir zustimmen. Erlauben Sie mir einige Bemerkungen zu den vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorgeschlagenen Entscheidungen. Ich habe bereits gesagt, daß "für mich und meine Freunde das ehrenamtliche Element im arbeitsgerichtlichen Verfahren unverzichtbar ist. Die Bundesregierung sollte daher prüfen - wir haben dies in Entschließungen zum Ausdruck gebracht - und uns innerhalb von drei Jahren berichten, ob hier nicht noch weitere Verbesserungen möglich sind. Wir denken dabei insbesondere an die Vorbereitung des Kammertermins durch eine bessere vorherige Information der ehrenamtlichen Richter. Zweitens. Wir haben den Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen, daß künftig bei Prozessen ausländischer Arbeitnehmer der Staat die Kosten für die Übersetzungen zu tragen hat. Dies scheint uns im Interesse der Chancengleichheit auch ausländischer Arbeitnehmer vor den Gerichten zweckmäßig und notwendig. Die Arbeitsgerichtsbarkeit hat im Hinblick auf die ausländischen Arbeitnehmer eine Sonderstellung, so daß die Gefahr einer Präjudizierung für die übrigen Gerichtsbarkeiten nicht besteht. Wir haben die Freistellung von den Dolmetscherkosten und den Übersetzerkosten allerdings an die Bedingung geknüpft, daß mit den jeweiligen Heimatstaaten der ausländischen Arbeitnehmer. ein Gegenseitigkeitsabkommen besteht. Im Interesse dieser Arbeitnehmer bitten wir deshalb die Bundesregierung, baldmöglichst mit diesen Staaten solche Abkommen zu schließen. Drittens. Wir wissen, daß eine angemessene Verfahrensdauer eine ausreichende personelle Ausstattung der Arbeitsgerichte voraussetzt. Wir appellieren daher an die Länder, die entsprechenden personellen und sachlichen Maßnahmen zu veranlassen, damit der mit dem Gesetzentwurf ermöglichte Beschleunigungseffekt voll genutzt werden und den Betroffenen zugute kommen kann. Dabei erkennen wir selbstverständlich an, daß von den Ländern in den vergangenen Jahren bereits viel getan worden ist. Die SPD-Fraktion wird dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und den Entschließungen zustimmen. Gleichzeitig lehnen wir den Entwurf des Bundesrates ab, mit dem der Gedanke eines Rechtspflegeministeriums gesetzlich verankert werden soll. Da sich nach Auffassung, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Richterschaft in der Arbeitsgerichtsbarkeit die Zuständigkeit der Arbeitsminister für die Gerichte für Arbeitssachen bewährt hat, sehen wir keine Veranlassung, an diesem Zustand etwas zu ändern. ({2})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, ich kann Sie dadurch erfreuen, daß ich mich befleißige, die Sache so kurz wie eben möglich zu machen. Die Dauer arbeitsgerichtlicher Verfahren ist unbestritten zu lang. Eine zu lange Prozeßdauer kann im Einzelfall im Ergebnis Rechtsverweigerung. bedeuten. Die Stellungnahme der am Hearing Beteiligten - wie auch unsere eigene Erfahrung - hat uns wohl alle überzeugt, daß' die Beschleunigung der arbeitsgerichtlichen Verfahren notwendig war. Die Lösungsvorschläge finden in allen wesentlichen Punkten unsere Zustimmung. Wir wissen allerdings, daß die Anhebung der Berufungssumme nicht unproblematisch ist. Die zweitinstanzliche Überprüfung wird durch die Festsetzung eines Beschwerdewerts von 800 DM eingeschränkt. Dies kann im Einzelfall bedauerliche Konsequenzen haben. Trotz einiger Bedenken sind wir aber im Ausschuß gemeinsam zu der Überzeugung gekommen, ' daß ein Beschwerdewert von 800 DM ein vernünftiger Kompromiß zwischen dem einen Ziel, schnell und endgültig zu entscheiden, und dem anderen Ziel, Rechtssicherheit zu garantieren, darstellt. Der Kollege Sieler hat hier ausführlich die 'Detaillösungen begründet. Ich möchte dem uneingeschränkt zustimmen. Insbesondere seine Ausführungen zu dem Punkt Förderung der Güteverhandlung und zu der Aufforderung an die Bundesregierung, Dolmetscherkosten zu übernehmen und dafür zu sorgen, daß möglichst schnell Abkommen auf Gegenseitigkeit abgeschlossen werden, finden unsere Zustimmung. Wir können nunmehr eigentlich nur noch hoffen, daß die in das Gesetz gesetzten Erwartungen erfüllt werden, nämlich daß die Prozeßdauer geringer wird. Nur der guten Ordnung halber möchte ich noch eine Feststellung treffen, die für uns Liberale sehr bedeutend ist. Unser uralter Wunsch betreffend die Einrichtung eines Rechtspflegeministeriums wird durch die Zustimmung zu diesem Gesetz und durch unsere Haltung gegenüber der Drucksache des BunCronenberg desrates 8/465 nicht berührt. Wir sehen nach wie vor in einem Rechtspflegeministerium einen sinnvollen Weg zur Vereinfachung der Rechtspflege und zur Erhöhung der Rechtssicherheit. Sicher ist die Diskussion dieser Frage hier nicht sinnvoll. Nützlich kann aber für Ihre Überlegungen in diesem Zusammenhang folgende Information sein. Laut Statistischem Jahrbuch 1978 haben wir in der Bundesrepublik Deutschland 538 Arbeitsrichter und 956 Sozialrichter. Die erstaunliche und vielleicht auch bedauerlich geringe Zahl an Arbeitsrichtern und die relativ geringe Zahl an Sozialrichtern ist sicher keine hinreichende Begründung für die Einrichtung eines Rechtspflegeministeriums. Sie verdeutlicht aber, daß das Ganze mindestens kein quantitatives Problem ist. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Wortmeldungen zur zweiten Beratung liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zur zweiten Beratung. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Ich rufe auf: Art. 1 Nrn. 1 bis 50 in der Ausschußfassung. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimungen sind einstimmig angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 51 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2584 der interfraktionelle Änderungsantrag Ziffer_ 1 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem interfraktionellen Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen. Wer nunmehr Art. 1 Nr. 51 in der .Ausschußfassung mit dér soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 51 ist einstimmig angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 52 bis 67 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimmungen sind einstimmig angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 68 auf. Hierzu liegt der interfraktionelle Änderungsantrag Drucksache 8/2584 Ziffer 2 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem interfraktionellen Änderungsantrag Drucksache 8/2584 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.' Wer Art. 1 Nr. 68 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 68 ist einstimmig angenommen. Ich rufe Art. 1 Nrn. 69 bis 74, Art. 2 bis 5 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Adolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der jetzt anstehenden Verabschiedung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens unternimmt der Gesetzgeber den Versuch, der in den letzten Jahren kontinuierlich angeschwollenen Prozeßflut vor den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit mit prozeßrechtlichen Instrumenten Herr zu werden. Besonders drastisch war der Anstieg der Kündigungsschutzprozesse vor den Arbeitsgerichten. Hierin spiegeln sich die seit mehreren Jahren kontinuierlich zunehmenden arbeitsrechtlichen Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wider, die ganz maßgeblich auf die sich verschärfenden Beschäftigungsprobleme in der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen sind. Angesichts der bitteren Erkenntnis, daß die sich abzeichnende leichte konjunkturelle Besserung nur sehr geringe positive Auswirkungen -auf den deutschen Arbeitsmarkt haben wird - die jüngste Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit vom September 1978 signalisiert sogar eine weitere Verhärtung der strukturellen Arbeitslosigkeit mit einem spürbaren Anstieg der Angehörigen der Problemgruppen unter den Arbeitslosen -, läßt sich unschwer voraussagen, daß die Gründe, die zur Einbringung dieser Beschleunigungsnovelle geführt haben, auf absehbare Zeitunverändert fortbestehen werden. Die heute zu beschließenden gesetzgeberischen Maßnahmen können daher nur als Notlösung angesehen werden; denn sie beschränken sich darauf, eine von zahllosen bedenklichen Begleiterscheinungen der schlechten Arbeitsmarktsituation, nämlich die Prozeßlawine vor den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit, durch technische Verbesserung des Prozeßrechts in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält die vorliegende Beschleunigungsnovelle für eine zwar notwendige, doch keineswegs ausreichende Reaktion des Gesetzgebers auf die bestehende unerträgliche Situation bei den deutschen Arbeitsgerichten. Diese ist gegenwärtig dadurch gekennzeichnet, daß Arbeitnehmer in existentiellen Fragen Monate, nicht Müller ({0}) selten sogar Jahre auf eine Klärung und den Rechtsfrieden wiederherstellende Entscheidung der Arbeitsgerichtsbarkeit warten müssen. Wir sind uns darüber im klaren, daß eine Änderung des Prozeßrechts vordergründig an den Symptomen herumkuriert, die eigentliche Wurzel des Übels, nämlich die kritische Beschäftigungslage als Folge des Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Versagens dieser Bundesregierung, aber unberührt läßt. ({1}) Hinzu tritt folgende ernst zu nehmende Befürchtung: Jede notwendige Beschleunigung eines Verfahrens birgt die Gefahr in sich, daß die Schnelligkeit eines Verfahrens zu Lasten der materiellen Gerechtigkeit geht. Im Interesse des rechtsuchenden Bürgers und auch zur Wahrung des hohen Ansehens der Gerichte der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit benötigen wir schnelle u n d richtige Entscheidungen. Wir werden daher sehr sorgfältig beobachten und zu gegebener Zeit vom zuständigen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung einen mit Zahlen untermauerten Bericht fordern, ,der darüber Aufschluß gibt, ob sich die in die Beschleunigungsnovelle gesetzten Hoffnungen realisiert haben oder ob etwa die Straffung des Verfahrens in der ersten Instanz zu einem Anreiz für die Parteien geführt hat, in stärkerem Maße als bisher Rechtsmittel einzulegen. Die Beschleunigungsnovelle erwiese sich als eine Maßnahme von zweifelhaftem Wert, wenn sie nicht durch flankierende Maßnahmen der Exekutive in Bund und Ländern ergänzt würde. Konkret bedeutet dies: Wir benötigen dringend eine Aufstockung des Persortaletats für die Arbeitsgerichte und die Landesarbeitsgerichte sowie für das Bundesarbeitsgericht. Aus diesem Grunde mißt die CDU/CSU dem zum Gesetzentwurf vorliegenden Entschließungsantrag eine gleichrangige rechts- und sozialpolitische Bedeutung zu. Zugleich mit der Beschleunigungsnovelle hat der Deutsche Bundestag heute über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes zu entscheiden. Dieser Gesetzentwurf zielt darauf ab, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rechtspflegeministerien zu schaffen. Nach eingehender Beratung dieses Entwurfs, insbesondere nach einer sorgfältigen Auswertung der vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung durchgeführten Anhörung von Sachverständigen, die sich mit überwältigender Mehrheit und - was hier eigentlich noch schwerer wiegt - mit überzeugenden Argumenten für die Beibehaltung des gegenwärtigen Rechtszustands ausgesprochen haben, können wir uns die Argumente des Gesetzentwurfs des Bundesrats nicht zu eigen machen. Wir vertreten hierzu die Auffassung, daß sich die verwaltungs- und dienstaufsichtsmäßige Zuordnung der Arbeitsgerichtsbarkeit zu den Arbeitsministerien von Bund und Ländern eindeutig bewährt hat. Getreu unserem Grundsatz, nur einer Gesetzesänderung das Wort zu reden, deren Notwendigkeit sich erwiesen hat, hat die CDU/CSU den Gesetzentwurf des Bundesrats abgelehnt. Wir halten diese Entscheidung, Herr Kollege Cronenberg, für sachgerecht, obwohl in jüngster Zeit in den Beziehungen zwischen dem Bundesarbeitsgericht und dem lediglich dienstaufsichtführenden Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine Entwicklung zu beobachten ist, die geeignet ist, die schwierige und verantwortungsvolle Arbeit dieses höchsten Arbeitsgerichts der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu belasten. Ich meine die unerhörte politische Pression des Bundesministers Ehrenberg auf das Bundesarbeitsgericht. ({2}) Anläßlich des Festakts zum 25jährigen Jubiläum des Bundesarbeitsgerichts in Kassel hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung den höchsten Arbeitsrichtern unseres Landes anmaßende Belehrungen zuteil werden lassen, ({3}) wie sie nach seiner Ansicht die gerade schwebenden Verfahren zur rechtlichen Qualität von Aussperrungen im Lichte einer fortschrittlichen Rechtsprechung demnächst abschließend zu entscheiden hätten. Man konnte zunächst geneigt sein, diesen Vorfall als eine einmalige Entgleisung eines Ministers abzutun, der in Stilfragen bisher selten eine glückliche Hand gehabt hat. Leider beweisen uns jedoch Vorfälle der jüngsten Vergangenheit, das Pressionen und Beeinflussungsversuche gegenüber der Gerichtsbarkeit unseres Landes keine seltenen Ausnahmefälle sind. ({4}) Mal hält es der Bundeskanzler für „geschmackvoll", wie sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts sarkastisch untertreibend ausdrückte, in einer öffentlichen, von den Medien übertragenen Diskussion in Tutzing dem obersten Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland Verhaltensregeln anzudienen; mal ergeht sich der nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister Farthmann in dunklen Andeutungen über die katastrophalen Folgen einer demnächst anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes. ({5}) Um einer Fehlinterpretation meiner Kritik an diesem Verhalten von vornherein vorzubeugen, stelle ich klar: Ich halte kein Plädoyer für oder gegen den Inhalt einer, künftigen höchstrichterlichen Entscheidung zur Frage der Rechtsmäßigkeit der Aussperrung oder der Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes. Aber ich protestiere energisch gegen eine politische Praxis, die sich nicht scheut, auf Müller ({6}) laufende Gerichtsverfahren massive Pressionen auszuüben. ({7}) Diese Art des Umgangs der Exekutive mit der dritten, der reditsprechenden Gewalt - sei es die Arbeitsgerichtsbarkeit, sei es die Verfassungsgerichtsbarkeit - offenbart eine zutiefst gestörte Beziehung zur rechtsprechenden ,Gewalt und offensichtlich auch eine pervertierte Auffassung von Rang und Rolle der einzelnen Gewalten in unserem gewaltenteilenden Rechtsstaat. ({8}) Die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland sind keine Erfüllungsgehilfen der Exekutive, ({9}) wie das das untrügliche Kennzeichen von Gerichten in sozialistischen Staaten im Rahmen des sogenannten demokratischen Zentralismus ist. Mit ihren Pressionsversuchen gehen der Bundeskanzler, Minister Farthmann und Ehrenberg in Bund und Ländern einen gefährlichen Weg. Vor den hieraus resultierenden Gefahren für unsere Rechtsprechung nehmen sich die aktuellen Mängel, die Anlaß zu der zu beratenden Beschleunigungsnovelle geben, vergleichsweise unbedeutend und harmlos aus. Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie die Gerichte durch vorsätzliche Beeinträchtigung ihrer Arbeit in ihrer Funktion - sei es als eines Hüters unserer Verfassung oder eines Bewahrers unserer Rechtsordnung - nicht wiedergutzumachende Einbußen erleiden. ({10}) Wir fordern Sie daher auf: Unterlassen Sie derartige Pressionen, und befleißigen Sie sich künftig derjenigen Zurückhaltung, die Sie von der rechtsprechenden Gewalt auch zu Recht verlangen können. Sie würden unserem Gemeinwesen damit einen guten Dienst erweisen. ({11}) Zurück zum vorliegenden Entwurf, der mir Veranlassung zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen über das Verhältnis von Exekutive und rechtsprechender Gewalt gegeben hat. Wir hatten im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mehrere Änderungsanträge gestellt, die dem erklärten Beschleunigungszweck der Novelle sehr dienlich gewesen wären. Leider sind diese Anträge ausnahmslos von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Wir haben heute darauf verzichtet, diese Anträge erneut zu stellen. Allerdings werden wir die künftige Entwicklung und Prozeßpraxis vor den Gerichten der Arbeitsgeriditsbarkeit sehr aufmerksam beobachten, um gegebenenfalls erneut initiativ zu werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird daher dem Gesetzentwurf zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zustimmen. ({12})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Buschfort.

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege. Müller, ich will auf den polemischen Teil Ihrer Rede nur ganz kurz eingehen und sagen: Natürlich respektieren wir voll die Unabhängigkeit der Gerichte. Aber genauso natürlich ist es, daß wir zu bestimmten Rechtsgebieten und hier und da auch zu Urteilen unsere eigene Meinung haben, die wir äußern. Wenn wir glauben, daß der Weg falsch ist, muß man das zum Ausdruck bringen, muß man sich bemühen, daß gesetzliche Veränderungen eintreten. Das hat nichts mit Erpressen oder mit einem Gängeln der Gerichte zu tun, sondern das ist eine selbstverständliche politische Sache.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pinger?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Bitte.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie mir zu, daß die Gerichtsbarkeit, wenn politische Gremien zu Urteilen Stellung nehmen, damit notwendigerweise in die politische Auseinandersetzung hineingerät - oder zumindest der jeweilige Urteilsspruch -, daß man damit eine politische Stellungnahme der Gerichtsbarkeit provoziert - die ihr nicht zusteht, die wir alle nicht wollen - und daß aus diesen Gründen eine Zurückhaltung aller politischen Gremien angebracht ist?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege, natürlich muß man sich abgewogen äußern, ({0}) insbesondere dann, wenn man zu Urteilen Stellung nimmt. Aber Sie müssen auch wissen, daß der Alltag in der Sozialpolitik z. B. so aussieht, daß wir ständig Veränderungen herbeiführen, weil wir Entwicklungen - sozialrechtliche, arbeitsrechtliche -, die zwischenzeitlich eingetreten sind, wieder einzufangen haben. Warum geschieht denn heute die Beratung dieses Gesetzentwurfes? ({1}) Doch wohl deshalb, weil wir erkannt haben, daß bisherige Entwicklungen nicht voll befriedigend waren. ({2}) Daher kann ich nicht davon abgehen, daß wir auch künftig kritisch sein wollen. ({3}) Die Bestimmungen des Gesetzes zur Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens werden dazu beitragen, daß in Zukunft arbeitsgerichtliche Prozesse wieder in angemessener Zeit erledigt werden können. Die starke Zunahme der arbeitsgerichtlichen Verfahren in den vergangenen Jahren hat zu einer untragbar langen Prozeßdauer geführt. Arbeitsgerichtsprozesse, die sich über mehr als drei Jahre hinziehen, 'sind heute leider keine Seltenheit mehr. Auf die Gründe für die zunehmende Zahl der Verfahren willich hier nicht im einzelnen eingehen. Soweit der Grund im wachsenden Rechtsbewußtsein der Arbeitnehmer zu finden ist, sollten wir dies durchaus begrüßen. Zum Teil ist aber auch die konjunkturelle Entwicklung die Ursache für die zahlreichen Kündigungsschutzprozesse gewesen. Schnelle - dabei natürlich richtige - Entscheidungen der Arbeitsgerichte haben einen hohen sozialpolitischen Rang. Hier verwirklicht sich für die Arbeitnehmer ganz konkret ein wichtiges Stück unseres sozialen Rechtsstaats. Ein noch so gutes Arbeitsrecht und noch so fortschrittliche tarifliche Regelungen verlieren an Wert, wenn Gerichtsentscheidungen erst nach Jahren ergehen. Und wir wissen, daß viele Arbeitnehmer heute von vornherein auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichten, weil sie einen zu langen Prozeß und eine entsprechend zu lange Belastung ihres Verhältnisses zum Arbeitgeber befürchten. Ich freue mich, daß alle Fraktionen bei den Ausschußberatungen unseren Vorschlägen bis auf wenige Ausnahmen zugestimmt haben. Für die überaus gründlichen Beratungen bedanke ich mich. Insbesondere hat sich positiv ausgewirkt, daß dem Gesetzentwurf sorgfältige Abstimmungen mit den Gewerkschaften, mit den Verbänden der Arbeitgeber, der Richter und der Anwälte und mit den für die Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte zuständigen Ländern vorausgegangen sind. Natürlich konnten nicht alle Vorschläge der Verbände, die zum Teil auch einander widersprachen, verwirklicht werden. Lassen Sie mich kurz auf einige Schwerpunkte des Gesetzentwurfs eingehen. Erstens. Die Dringlichkeit der Prozeßbeschleunigung ist besonders beim Bundesarbeitsgericht und bei den Landesarbeitsgerichten groß. Unser gesetzliches Arbeitsrecht ist seit jeher lükkenhaft. Auch die das Arbeitsleben prägenden Tarifverträge regeln nicht alle in Betracht kommenden Fragen und erfassen zudem nicht alle Arbeitsverhältnisse. Hier ist besonders das Bundesarbeitsgericht aufgerufen, das gesetzte Recht zu ergänzen und fortzubilden. Durch die Neuordnung des Revisionsverfahrens wird das Bundesarbeitsgericht in die Lage versetzt, künftig in angemessener Zeit über grundsätzliche Fragen zu entscheiden. Bisher war die Anrufung des Bundesarbeitsgerichts stets zulässig, wenn der Streitwert 6 000 DM überstieg. Diese Streitwertrevision, die die Arbeitskraft des Bundesarbeitsgerichts bis zu 50 % in Anspruch nahm, ist beseitigt worden. Denn der Streitwert ist kein sachgerechtes Kriterium dafür, ob der Weg zum Bundesarbeitsgericht eröffnet wird oder nicht. Für die ebenfalls stark belasteten Landesarbeitsgerichte wird die Berufungsgrenze von zur Zeit 300 DM auf 800 DM heraufgesetzt. Hiervon ist ebenfalls eine spürbare Entlastung zu erwarten, die dazu führen wird, daß die übrigen Verfahren mit höheren Streitwerten durch die Landesarbeitsgerichte schneller erledigt werden können. Zweitens. Ich begrüße es, daß in den Ausschüssen der Vorschlag der Bundesregierung zur besonderen Beschleunigung von Kündigungsschutzprozessen gebilligt worden ist. .Diese Prozesse sind für den Arbeitnehmer von besonderer Bedeutung. Heute kann ein Kündigungsschutzprozeß bis zur endgültigen Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht mehrere Jahre dauern. Auch wenn der Arbeitnehmer gewinnt, ist der Arbeitsplatz dann meist verloren und damit der Zweck des gesetzlichen Kündigungsschutzes verfehlt. Hier muß daher möglichst rasch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ergehen. Allerdings bin ich davon überzeugt, daß auch die Beschleunigung der Kündigungsschutzprozesse die Diskussion über eine Verbesserung des Kündigungsschutzes noch nicht beenden wird. ({4}) Drittens. In den vergangenen 26 Jahren seit Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgesetzes 1953 haben sich eine Reihe von Mängeln gezeigt, die in dem vorliegenden Entwurf ausgeräumt worden sind. Zum Teil handelt es sich dabei um Vereinfachungen des Verfahrens, die zugleich zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen, zum Teil handelt es sich auch um soziale Verbesserungen. So wird die Zuständigkeit bei Streitigkeiten über die Herausgabe, Ergänzung und Berichtigung von Arbeitspapieren künftig bei den Arbeitsgerichten konzentriert. Bisher mußte der Arbeitnehmer bei solchen Streitigkeiten häufig drei Gerichte in Anspruch nehmen, nämlich das Arbeitsgericht, das Sozialgericht und das Finanzgericht. Das wurde von den Betroffenen mit Recht als bürokratischer Wirrwarr bezeichnet. Ferner wird eine als grob ungerecht empfundene Vorschrift über die Haftung für die Gerichtskosten beseitigt. Bisher mußte die klagende Partei, ganz überwiegend also der Arbeitnehmer, auch wenn sie den Prozeß gewann, die Gerichtskosten bezahlen, falls der Arbeitgeber zahlungsunfähig war. Einen weiteren Schwerpunkt des Gesetzentwurfes möchte ich hier nennen: die Neuordnung und effektivere Gestaltung des in den letzten Jahren immer wichtiger gewordenen Beschlußverfahrens, das u. a. bei Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zur Anwendung kommt. Die Betriebsräte und Arbeitgeber können ihre Streitigkeiten künftig schneller austragen; denn durch die Novelle werden erstmals wichtige Grundsätze gesetzlich festgelegt. Außerdem wird der Ablauf der Verfahren künftig mehr in die Hände der Beteiligten gelegt. Ich füge noch einige Bemerkungen zu der vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorgeschlagenen Entschließung an. Die Bundesregierung nimmt gern den Prüfungsauftrag an, der auf eine noch stärkere Beteiligung der ehrenamtlichen Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit abzielt. Ich habe immer darauf hingewiesen, daß eine Beschleunigung der arbeitsgerichtlichen Prozesse keinesfalls auf Kosten des ehrenamtlichen Elements in der Arbeitsgerichtsbarkeit erreicht werden darf. Die ehrenamtlichen Richter, die von den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gestellt werden, sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeitsgerichtsbarkeit. ({5}) Nicht zuletzt der Mitwirkung dieser Richter ist es zu verdanken, daß die Arbeitsgerichtsbarkeit bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern so großes Vertrauen genießt. ({6}) Ebenso begrüßt die Bundesregierung den in der Entschließung vorgesehenen Appell, die Arbeitsgerichtsbarkeit personell weiter zu verstärken. Der Beschleunigung der Gerichtsverfahren durch die Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes sind jedoch auch Grenzen gesetzt; denn ein ausreichender Rechtsschutz des einzelnen muß in jedem Fall gewährleistet bleiben. Deshalb muß ein Schwergewicht der Maßnahmen zur Beschleunigung der Arbeitsgerichtsprozesse weiterhin beim personellen Ausbau der Arbeitsgerichtsbarkeit liegen. Der Bund ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen und hat in den letzten Jahren das Bundesarbeitsgericht kontinuierlich verstärkt. Wir im Deutschen Bundestag haben auch gerade weitere personelle Verstärkungen des Bundesarbeitsgerichts beschlossen. Die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen werden zusammen mit dem personellen Ausbau der Arbeitsgerichtsbarkeit die Verfahrensdauer deutlich verkürzen. Ich bitte Sie deshalb, der Vorlage zuzustimmen. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Damit ist das Gesetz in dritter Beratung einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir haben nun noch über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses in Drucksache 8/2535 zu entscheiden, zunächst über Ziffer 2, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes - Drucksache 8/465 hinsichtlich Artikel 1 Nr. 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 ... abzulehnen und im übrigen für erledigt zu erklären. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Es ist einstimmig so beschlossen. Kann ich davon ausgehen, daß ich über die Entschließungen, die der Herr Staatssekretär eben noch einmal erwähnt hat, gemeinsam abstimmen lassen kann? - Das ist der Fall. Dann bitte ich diejenigen, die der Beschlußempfehlung in Ziffer 3, die Entschließungen I, II und III anzunehmen, zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Ich stelle einstimmige Annahme fest. Schließlich bitte ich noch um Ihre Zustimmung zu Ziffer 4 der Beschlußempfehlung, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hasinger, Frau Hürland, Müller ({0}), Dr. Hornhues, Dr. George, Neuhaus, Löher, Müller ({1}), Landré, Daweke, Braun, Kroll-Schlüter, Dr. Meyer zu Bentrup, Krey, Frau Verhülsdonk, Zink, Breidbach, Höpfinger, Dr. Laufs, Sauer ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU Arbeitserlaubnis für die Kinder ausländischer Arbeitnehmer - Drucksache 8/2369 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Arbeitserlaubnis für Ehegatten und Kinder ausländischer Arbeitnehmer - Drucksache 8/2538 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Zur Begründung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Braun das Wort.

Gerhard Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute über zwei Anträge zu beraten, die dasselbe Thema behandeln und dasselbe Ziel haben, nämlich die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für Kinder ausländischer Arbeitnehmer, die nach dem 31. Dezember 1976 das ist der noch heute gültige Stichtag - im Rahmen der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Am 8. Dezember 1978 brachte die CDU/CSU-Fraktion den Antrag zum Thema „Arbeitserlaubnis für Kinder ausländischer Arbeitnehmer" ein; am 7. Februar, also in der vergangenen Woche, brachten die Fraktionen der SPD und der FDP ebenfalls einen Antrag zum Thema „Arbeitserlaubnis für Ehegatten und Kinder ausländischer Arbeitnehmer" ein. Meine Damen und Herren, es ist schade, daß über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion erst heute beraten wird. Wir hätten dieses sozialpolitische Ärgernis der Stichtagsregelung sicherlich schon früher beseitigen können, wenn die Koalitionsfraktionen nicht auch noch ihren Antrag hätten nachschieben müssen, ({0}) obwohl auf Grund des Antrages der CDU/CSU eine Beratung bereits möglich gewesen wäre. Ergänzungen - wie beispielsweise die Aufhebung der Stichtagsregelung auch für Ehegatten - hätten ohne weiteres in den Ausschußberatungen angesprochen und geregelt werden können, denn wir hatten bei der Begründung unseres Antrages ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine flexiblere Regelung des für Ehepartner geltenden Stichtages im Verlauf des. weiteren Beratungsverfahrens geprüft werden sollte. Ich hätte mir im Interesse der betroffenen Jugendlichen etwas mehr Gemeinsamkeit gewünscht, aber mit der hier angewandten Methode praktizieren die Koalitionsfraktionen der SPD und der FDP meines Erachtens einen recht unguten Stil, der nicht im Sinne der Betroffenen und der Sache ist. ({1}) Ähnliches mußten wir ja u. a. auch bei der Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte erleben. Als wir von der CDU/CSU den Antrag auf Herabsetzung des Rentenalters einbrachten, wurde er abgelehnt; wenig später wurde ein in der Sache gleicher Antrag von SPD und FDP gestellt. Meine Damen und Herren, einige Tausend Jugendliche leben legal, mit Aufenthaltsgenehmigung, in der Bundesrepublik Deutschland, aber da sie nach dem 31. Dezember 1976 eingereist sind, wird ihnen das Recht auf Arbeit und Ausbildung bei uns verwehrt. ({2}) Das ist unmenschlich für die Betroffenen, und es ist in vielen Fällen eine Zumutung für die Familien, denn die arbeitsfähigen und ausbildungswilligen, aber zum Nichtstun verurteilten Jugendlichen belasten ihre eigenen Familien. ({3}) Nicht selten fallen sie kriminellen sogenannten Subunternehmern in die Finger, die . sie in die Schwarzarbeit vermitteln, ({4}) so daß sie ohne jeglichen arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Schutz dastehen. Darüber hinaus sollten wir nicht verkennen, daß ein Teil dieser Jugendlichen Gefahr läuft, in die Kriminalität abgedrängt zu werden. Auf Grund des Ärgernisses mit der Stichtagsregelung haben sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur Initiativkreise zur Abschaffung des Stichtags gebildet, sondern Jugendbetreuer, Sozialarbeiter, freie Wohlfahrtsverbände und Kirchen haben zu diesem Problem in der Öffentlichkeit Stellung genommen und die Politiker dringend gebeten, hier für Abhilfe zu sorgen. ({5}) So hat der Präsident des Diakonischen Werkes auf der letzten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Nachdruck auf dieses Problem hingewiesen. Ich zitiere Herrn Präsidenten Dr. Schober, der in Bethel sagte: Weil sie die eigentlichen Opfer einer Politik sind, an der wir alle partizipieren, müssen wir für eine endgültige Abschaffung dieser inhumanen Stichtagsregelung mit Nachdruck eintreten. ({6}) Der Europa-Gedanke wird zur Poesie, wenn er sich im harten Alltag menschlicher Probleme nicht verwirklichen kann. ({7}) Unter dem Aspekt der Menschlichkeit ist allerdings auch eine sogenannte Wartefrist von der Einreise bis zur Erteilung der Arbeitserlaubnis weniger als nur eine halbherzige Regelung. Die im Gespräch befindliche Wartefrist von zwei Jahren ist meines Erachtens rein willkürlich bemessen. Wenn wir den. Jugendlichen und ihren Familien helfen wollen und wenn wir selbst glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen wir uns zur Abschaffung des Stichtags entschließen - ohne Wenn und Aber. ({8}) Gleichzeitig müssen wir aber dafür eintreten, daß in unseren Städten und Gemeinden Hilfen, insbesondere für den Sprachunterricht und für andere berufsvorbereitende Maßnahmen, eingeleitet und verstärkt werden. ({9}) Wir müssen mithelfen und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diese Jugendlichen einen Schulabschluß bekommen, der sie befähigt, auch einen Ausbildungsplatz einzunehmen. ({10}) In diesem Zusammenhang sollten wir auch einmal daran denken, wieviel freiwillige und unauffällige Hilfe in den letzten Jahren bereits viele deutsche Eltern und deutsche Lehrer den Kindern ausländischer Arbeitnehmer haben zuteil werden lassen. ({11}) Ihnen sei von dieser Stelle aus einmal herzlich gedankt, meine Damen und Herren. ({12}) Mit der vorgeschlagenen Aufhebung des Stichtages ist keine Aufhebung des Anwerbestopps für ausländische Arbeitnehmer verbunden. ({13}) Hier geht es um eine familienpolitische und jugendpolitische Maßnahme, die ein vorhandenes ÄrBraun gernis beseitigen soll, welches dem Geist der europäischen Zusammenarbeit nicht entspricht. ({14}) Meine Damen und Herren, wenn auch zwei verschiedene Anträge heute vorliegen, sollten wir dennoch gemeinsam handeln, und zwar bald. Ich beantrage die Überweisung unseres Antrages an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und bitte um zügige Beratung. Es geht nicht um einen Sachgegenstand, es geht um das Schicksal von ca. 6 000 jungen Menschen in unserem Land. ({15})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier heute zur Beratung vorliegenden Anträge der Koalition und der Opposition beschäftigen sich mit der Lage der Kinder und der Ehegatten ausländischer Arbeitnehmer. Wir kennen die Stichtagsregelungen, die am 30. November 1974 eingeführt werden mußten, und die Aktivitäten, die wir als Koalition zur Änderung der Stichtagsregelung gerade für jugendliche Ausländer - als Stichtag wurde seinerzeit der 31. Dezember 1976 festgesetzt betrieben haben. Wir haben uns daher immer diese Frage gestellt. Bei den Anträgen gibt es aber selbstverständlich Unterschiede, denn wir beziehen unsere Vorstellungen nicht nur auf die ausländischen Arbeitnehmerkinder, sondern auch auf Ehegatten, während Sie sich ausschließlich auf die Jugendlichen beziehen. Wir haben also in der Fortentwicklung einer sinnvollen Politik auf diesem Felde weitergehende Vorstellungen, die unmittelbar den Familien der ausländischen Arbeitnehmer zugute kommen werden. Wir möchten daher, um dieses Problem sinnvoll zu lösen, eine Wartefrist von der Sie ja auch gesprochen haben. Diese kann von den Jugendlichen abgegolten werden, indem sie an sechsmonatigen sprach- und berufsorientierten Kursen teilnehmen. Diese Kurse müssen in den Ländern und Gemeinden natürlich sichergestellt werden. Wir meinen, daß die Jugendlichen, wenn sie zu ihren Eltern hierher in eine andere Welt kommen, gleich eine sinnvolle Beschäftigung und Betreuung bekommen müssen, um sich sowohl sprachlich wie auch berufsorientiert auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Dies ist ein Stück Integrationspolitik, das wir für unbedingt wichtig halten und auch durchführen müssen. Hier ist nur mit der Aufhebung des Stichtages, meine Damen und Herren von der Opposition, überhaupt nichts erreicht. Diese jungen Leute müssen auf das vorbereitet werden, was sie in der Arbeitswelt erwartet. Dies ist ganz wichtig. ({0}) Wir haben in den vergangenen Jahren das Problem der ausländischen Arbeitnehmer immer sehr gründlich erörtert, und wir haben mit großer Intensität dafür gesorgt, daß die Ministerpräsidenten dem Bund-Länder-Programm schließlich zugestimmt haben. Das war ja nicht so einfach. Wir haben mit diesem Programm einen Handlungsspielraum vom aufenthaltsrechtlichen Status der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik bis zu den notwendigen Integrationsmaßnahmen geschaffen, die sich vor allen Dingen auf die zweite Generation beziehen. Zur Zeit laufen Gott sei Dank Maßnahmen zur Verbesserung der außerschulischen Betreuung, der sozialen und beruflichen Eingliederung ausländischer junger Arbeitnehmer und der Förderung des Sprachunterrichts bis hin zu den Sozial- und Beratungsdiensten. Die Bundesregierung hat die dafür erforderlichen Mittel immer wieder bereitgestellt. Sie stellen die Notwendigkeit der Aufhebung der Stichtagsregelung überzeugend dar und lehnen die Wartefrist ab. Wir hätten sehr gern gesehen, daß die Länder den Vorstellungen, die der Bundesarbeitsminister dazu entwickelt hat, beigetreten wären. Aber gerade Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben sich ja bis heute gesträubt, die Stichtagsregelung, wie auch immer, zu ändern. Sie möchten bei der alten Regelung bleiben. Sorgen Sie bitte bei Ihren Länderministern dafür, daß wir für diese Menschen eine Politik aus einem Guß betreiben können! Die beiden Vertreter haben es auf jeden Fall nicht getan. ({1}) - Es trifft zu, Herr Kollege Hasinger. Ich habe mich nach den Voten vorn 14. Dezember 1978 erkundigt, und mir ist ein Brief der Kollegin Griesinger bekanntgeworden, die das ebenfalls ablehnt. ({2}) Sie können sich da nicht herausmogeln. Sie können sich hier nicht hinstellen und sagen, es werde schon alles geregelt. ({3}) Zwei potente Länder Ihrer Couleur stimmen dagegen. Ich beklage das. Das muß auch ganz offen gesagt werden, meine Damen und Herren. Sorgen Sie also dafür, daß diese Dinge dort in Ordnung gehen. ({4}) - In Nordrhein-Westfalen stimmt das Votum, in den anderen Ländern ebenfalls. Sie sind sicherlich gut informiert. Lesen Sie das bitte nach. Wir brauchen darüber auch nicht zu streiten. Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben dagegen gestimmt. Diese Fakten seien hier noch einmal vermerkt. ({5}) Lassen Sie mich aber das Thema dieser Stunde nutzen, um noch zwei grundsätzliche Bemerkungen zur Situation der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland zu machen, Anmerkungen, hinter denen die SPD-Bundestagsfraktion geschlossen steht. Die Sozialdemokraten in diesem Hause danken den vielen freiwilligen und hauptberuflichen Helfern insbesondere in den Wohlfahrtsverbänden, den Betriebsräten und den Gewerkschaften, den Kirchen, die in schwieriger täglicher Kleinarbeit das Einleben der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in unsere soziale Wirklichkeit erleichtern. ({6}) Wir Sozialdemokraten bekräftigen unsere Entschlossenheit, den seit 1973 geltenden Anwerbestopp ohne Wenn und Aber aufrechtzuerhalten. Da kennen Sie sicherlich auch die Vorstellungen, die branchenbezogen von verschiedenen Verbänden an uns herangetragen werden, oder aber das, was die Länderwirtschaftsminister vor 14 Tagen beschlossen haben. Wir können dem nicht folgen, meine Damen und Herren. Ich wiederhole unseren Standpunkt: Eine Lockerung des Anwerbestopps würde die soziale Integration der hier bereits befindlichen ausländischen Arbeitnehmer nur erschweren und dürfte auch wohl kaum im wohlverstandenen Sinne der in der Bundesrepublik Deutschland registrierten arbeitslosen Ausländer liegen. Darum kann es hier keinen Kompromiß geben. Wir freuen uns sehr darüber, daß es der Gewerkschaft NGG mit der Dehoga gelungen ist, eine Vereinbarung zu schließen, 10 000 Ausbildungsplätze bereitzustellen. Hier werden sehr viele ausländische Jungen und Mädchen untergebracht werden können. Sie werden ausgebildet, sie werden eine Facharbeit erlernen, die sicherlich auch sinnvoll in ihrem eigenen Heimatland ausgeübt werden kann. Von daher kommen diese 10 000 Ausbildungsplätze unserer Politik sehr entgegen. Wir dürfen beiden Organisationen recht herzlich danken. Meine Damen und Herren, die Wartefrist, um das sehr klarzumachen, ist ein Stück Integration, die wir für notwendig halten. Die jungen ausländischen Arbeitnehmer werden auf das Stück Arbeitswelt vorbereitet sein, das sie ergreifen werden und mit dem sie fertig werden müssen. Daher sehen wir in den Kursen und in der Berufsorientierung einen sehr sinnvollen Weg, diese Entwicklung positiv zu beeinflussen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates zu und wird sich auch bei der Beratung in den Ausschüssen weiter konstruktiv verhalten, damit die Dinge so schnell wie möglich vorangebracht und verabschiedet werden können. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anwerbestopp 1973 für ausländische Arbeitnehmer aus Staaten, die nicht der EG angehören, war zweifellos notwendig. Ohne diese im Einvernehmen mit den Bundesländern getroffene Entscheidung wären unlösbare beschäftigungspolitische Probleme entstanden. Wir hätten vielleicht heute Millionen arbeitslose ausländische Arbeitnehmer, auch weil es sich hierbei weitgehend um ungelernte Arbeitskräfte handelt. Der Anwerbestopp diente daher nicht nur der Sicherung von Arbeitsplätzen für einheimische Arbeitnehmer, sondern verhinderte auch das Schicksal der Arbeitslosigkeit für viele tausend Ausländer und ihre Familien. Meine Damen und Herren, die Gründe für diesen Anwerbestopp gelten auch heute noch. Deshalb kann es auch keine generelle Aufhebung des Anwerbestopps geben. Völlig anders muß aber die Situation der engsten Familienangehörigen ausländischer Arbeitnehmer gesehen werden, die nach dem Anwerbestopp im Rahmen der Familienzusammenführung in unser Land gekommen sind. Zwar habe ich auch heute noch Verständnis für die damaligen Befürchtungen der Arbeits- und Sozialminister von Bund und Ländern, der Anwerbestopp könne durch einen verstärkten Familienzuzug unterlaufen werden und daß man deshalb die Stichtagsregelungen eingeführt hat, doch sind die inhumanen und unsozialen Folgen dieser Regelung nicht mehr zu übersehen. ({0}) Da erlauben wir Kindern, zu ihren Eltern in die Bundesrepublik zu ziehen, was ja selbstverständlich ist, geben ihnen Hilfen zur Eingliederung in das deutsche Schulwesen, und dann verschwinden sie plötzlich aus unseren öffentlichen Statistiken, weil sie weder eine Ausbildung beginnen noch eine Stelle annehmen dürfen, und nur darum, weil sie erst nach dem 30. November 1974 zu ihren Eltern gekommen sind. Diese jungen Leute dürfen sogar auch dann keinen Arbeitsplatz annehmen, wenn sich dafür überhaupt kein deutscher Arbeitnehmer findet. Noch nicht einmal ein Sprachkurs darf von ihnen belegt werden, wenn nicht die Arbeitserlaubnis vorliegt. Meine Damen und Herren, da steht Chancengleichheit nicht einmal mehr auf dem Papier. ({1}) Noch so berechtigte arbeitsmarktpolitische Argumente dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir nicht nur für unsere eigenen Kinder, sondern auch für die Familien unserer ausländischen Mitbürger Verantwortung tragen. Wir dürfen sie nicht in die Illegalität und in die Kriminalität abgleiten lassen, denn wir waren es ja, die ihre Väter und Mütter aus der Türkei, aus Jugoslawien und Griechenland geholt haben, weil wir Arbeitskräfte brauchten. Meine Damen und Herren, ich möchte in aller Offenheit sagen, wir machen uns letzten Endes auch international unglaubwürdig, wenn wir einerseits sehr viel Mittel und Ideen in unserer Familienpolitik aufbringen, andererseits aber kein VerDeutscher Bundestag 8. Wahlperiode Hölscher ständnis oder nicht ausreichend Verständnis dafür zeigen, daß auch Ausländer ein Bedürfnis haben, mit ihrer Familie zusammenzuleben und die Zukunft ihrer Kinder zu sichern. Wenn sich viele wunderten - das Schlagwort möchte ich noch einmal aufgreifen -, daß an Stelle von Arbeitskräften Menschen gekommen sind, dann dürfen wir uns heute nicht wundern, daß diese Menschen auch Familienväter sind. Hier geht es aber nicht allein um die Kinder von ausländischen Arbeitnehmern. Im Gegensatz zum Antrag der Opposition wollen wir auch nach dem 30. November 1974 eingereisten Ehegatten Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen. ({2}) - Ich meinte, ein formaler Gegensatz besteht. Es steht in Ihrem Antrag nicht drin. Ich bin aber optimistisch, weil ich aus Gesprächen mit Kollegen der Oppositionsfraktion, z. B. dem Kollegen Dr. George, weiß, daß auch dort arbeitsmarktpolitische Notwendigkeiten gesehen werden, die es vielleicht erleichtern, für Ehegatten den Zugang zum Arbeitsmarkt gemeinsam zu ermöglichen. Wir sollten hier gemeinsam eine Regelung suchen. ({3}) Nach der Änderung der Bestimmungen über die Arbeitserlaubnis vom 1. Oktober 1978 ist es nämlich leider so, daß für ausländische Ehegatten heute überhaupt keine Chance mehr besteht, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, auch dann nicht, wenn sie sich viele Jahre hier aufhalten. Auch hier ist die Gefahr der illegalen Aufnahme einer Beschäftigung sehr groß, weil .vor allem in einigen Branchen und Regionen ausländische Arbeitskräfte gesucht werden, Arbeitskräfte für Arbeitsplätze, für die unsere Arbeitsämter keine geeigneten deutschen Bewerber vermitteln können. Unser Entschließungsantrag macht deutlich, daß wir nichts von einer nochmaligen Verschiebung des Stichtags halten; auch das war einmal in der Diskussion. Herr Kollege Urbaniak, ich darf das, damit es kein Mißverständnis gibt, korrigieren: Wir machen mit der Stichtagsregelung Schluß. ({4}) Wenn wir damit nicht Schluß machten, würden wir ja die Lösung des Problems nur ({5}) um den entsprechenden Zeitraum verschieben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak gestatten?

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hölscher, darf ich Sie fragen, ob Sie mich richtig verstanden haben? Ich habe lediglich ausgeführt, daß wir einmal den. Stichtag für jugendliche Ausländer verlängert hätten, aber nicht daran dächten, dieses Instrument wieder einzusetzen.

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Klärung, Herr Kollege Urbaniak. Wir sind uns also einig, daß der Stichtag fallen sollte. Da dies aber in Ihren Ausführungen auf eine entsprechende Frage möglicherweise - unbeabsichtigt - nicht so klar zum Ausdruck gekommen ist, wollte ich dies für die Koalition noch einmal sagen. Allerdings, um einem möglichen Sog hinsichtlich der Einreise von Familienangehörigen und damit neuen beschäftigungspolitischen Problemen entgegenzuwirken, halten wir es im Augenblick für richtig, wenn die Erteilung der Arbeitserlaubnis von einer Mindestaufenthaltsdauer im Bundesgebiet abhängig gemacht wird. ({0}) Denkbar ist ein Zeitraum von zwei Jahren für Jugendliche und von vier Jahren für Ehegatten. Im Grunde genommen geht es hierbei ja auch darum, daß diese Zeit von den zugereisten Familienangehörigen dazu benutzt wird, sich dem Leben bei uns anzupassen. Natürlich, Herr Kollege Hasinger, wenn dies so einfach wäre, würde ich persönlich sagen, wir schaffen keine Wartezeit für Jugendliche. Aber ich meine, daß wir die Probleme von allen Blickwinkeln her durchleuchten müssen. Man darf uns nicht unterstellen, daß dies nun eine schlechtere Regelung sei, weil wir, hier Wartezeiten angesprochen haben. ({1}) Wir möchten, daß vor allem die Kinder ausländischer Arbeitnehmer - das ist das Entscheidende - einen Anreiz bekommen, sich durch Sprachkurse und andere berufsbildende Maßnahmen auf den Beruf, auf das Leben bei uns vorzubereiten. Wir haben deutlich gesagt, daß die Teilnahme an solchen berufsbildenden, sprachbildenden Maßnahmen die Wartezeit verkürzen soll, so daß es dann nicht sehr lange dauert, bis ein jetzt zugereister jugendlicher Ausländer einen Ausbildungsplatz annehmen kann. Denn wer sich selbst um eine schnellere Integration bemüht, muß eben auch früher. einen Ausbildungsplatz erhalten, muß eben auch früher in den Beruf eingegliedert werden können. Auch wenn unser Antrag eine derartige Regelung für Ehegatten nicht vorsieht, so möchte ich persönlich anregen, auf jeden Fall sicherzustellen, daß wenigstens ein öffentlich geförderter Sprachkurs auch von einem ausländischen Ehegatten besucht werden kann. ({2}) Denn es darf uns nicht noch einmal der Vorwurf gemacht werden, daß wir einerseits große Integrationsprogramme verkündeten, andererseits aber Eingliederungshilfen, etwa einen Sprachkurs, immer dann verweigerten, wenn keine Arbeitserlaubnis vorliege. ({3}) Meine Damen und Herren, im übrigen sollte die Bundesanstalt für Arbeit die Wartefrist für Ehegatten von vier Jahren auch dann abkürzen können - ich möchte es wiederholen -, wenn der regionale Arbeitsmarkt dies zuläßt. ({4}) Es ist nicht einzusehen, daß die Frau eines ausländischen Arbeitnehmers aus einem Staat, der nicht der EG angehört, nicht arbeiten darf, obwohl der Arbeitskräftebedarf in einer bestimmten Branche, in einer bestimmten Region durch deutsche Arbeitnehmer nicht befriedigt werden kann. Vielleicht reicht manchmal - aus saisonalen Gründen - auch eine zeitweilige Arbeitserlaubnis; darüber sollten wir uns unterhalten. Im übrigen: Den Kassen der Arbeitslosenversicherung kann das ja nur gut tun. Denn durch die Aufnahme einer legalen Beschäftigung werden ja Versicherungsbeiträge fällig. Durch die illegale Beschäftigung hingegen werden nicht nur Sozialabgaben und Steuern entzogen, sondern Arbeitgeber und Arbeitnehmer - beide - geraten durch die illegale Beschäftigung oft auch in die Kriminalität. Wir bitten die Bundesregierung, im Einvernehmen mit den Ländern schnellstens für eine Aufhebung der Stichtagsregelung zu sorgen. ({5}) - Im Einvernehmen mit dem Parlament. Darauf lege ich großen Wert. Deshalb hin ich etwas überrascht, Herr Hasinger, daß Sie kritisieren, wenn wir in der ersten Lesung beim Krankenpflegegesetz sagen: das und das möchten wir noch geändert haben. Das kritisieren Sie aber. Ich freue mich, daß Sie jetzt sagen, das Parlament sollte auch bei Regierungsvorlagen mitwirken. Ich glaube, wir sind uns einig. Wir sind weniger regierungsfromm , als Sie. ({6}) Wie man hört - jetzt muß ich dies mal ansprechen, und ich tue dies in aller Sachlichkeit -, sperrt sich das Land Baden-Württemberg gegen die Aufhebung der Stichtagsregelung. Ich bedaure, daß die verehrte Ministerin des Landes Baden-Württemberg nicht mehr hier ist. Ich hätte mir gewünscht, sie hätte bei diesem Tagesordnungspunkt noch hier sein können. Ich habe auch gehört, daß sie einen Brief geschrieben hat, in dem sie sagt, die Stichtagsregelung solle bleiben, keine Änderung, denn man solle zunächst einmal die Probleme der zweiten Generation lösen. Nur die Probleme der zweiten Generation sind ja auch durch die Stichtagsregelung entstanden. Kann denn eine 16jährige Griechin einen Sprachkurs besuchen, wenn sie nicht die Arbeitserlaubnis hat? Ich darf als Stuttgarter Abgeordneter sagen, es hat Prozesse vor dem Sozialgericht in Stuttgart und vor anderen Sozialgerichten gegeben, in denen festgestellt wurde, daß es höchst problematisch ist, auch rechtlich höchst problematisch ist, die Erlaubnis für einen Sprachkurs an das Vorliegen einer Arbeitserlaubnis zu binden. Deshalb verstehe ich Frau Griesinger nicht, wie sie sagen kann, wir müssen die Probleme der zweiten Generation von ausländischen Arbeitnehmern zunächst regeln, und sich dann gleichzeitig gegen die Aufhebung der Stichtagsregelung wendet. Aber ich hoffe auch hier, da bin ich optimistisch, das Land Baden-Württemberg wird einsehen, Frau Griesinger wird einsehen, daß wir um die Aufhebung des Stichtages einfach nicht herumkommen. Wir alle - das möchte ich abschließend sagen - sollten uns nämlich folgendes vor Augen halten: Betroffen von der jetzigen Regelung sind nicht nur einige Branchen und Regionen, wo keine geeigne- ten Arbeitskräfte mehr vorhanden sind. Leidtragende sind vor allem Tausende von Familienangehörige ausländischer Arbeitnehmer, die, wenn nichts geschieht, entweder in . die illegale Beschäftigung getrieben werden oder ihrem Schicksal im Getto von Familie und Umwelt überlassen bleiben. Damit sollten wir gemeinsam Schluß machen. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort.

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Braun, ich bin ganz sicher, daß wir uns über die hier anstehenden Fragen verständigen werden. Ich bin auch ganz sicher, daß es nicht zu Schwierigkeiten im Ausschuß kommt. Ich bin aber nicht so ganz sicher, ob das alles, was Sie sagten, in der Formulierung - ohne Wenn und Aber - auch mit den Vorstellungen der Länder zu vereinbaren ist. Es gibt Anlaß, zum derzeitigen Zeitpunkt da noch Zweifel zu haben. Die von uns heute diskutierten Anträge stehen im Spannungsverhältnis zwischen der dringlichen Integration der Ausländer in unsere Gesellschaft und der erforderlichen Konsolidierungspolitik im Bereich der Ausländerbeschäftigung. Einerseits können wir auf die Konsolidierung nicht verzichten, andererseits tritt, insbesondere bei den Jugendlichen, die Integrationsproblematik immer deutlicher hervor. Wir können es uns nicht leisten, hier bereits rechtmäßig lebenden Mitbürgern Berufschancen auf Dauer zu verschließen. Alle Fraktionen im Bundestag stimmen damit überein. Ich darf folgendes deutlich hervorheben. Es geht hei den Anträgen nicht um Angehörige von EG-Staaten und auch nicht um jene Kinder ausländischer Arbeitnehmer aus Drittstaaten mit fünfjährigem eigenem Aufenthalt und fünfjährigem Arbeitsaufenthalt eines Elternteils. Diese Jugendlichen haben unbeschränkten Zugang zu Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Problemgruppen sind hingegen die nach dem 30. November 1974 eingereisten Ehegatten sowie die Kinder, die als Minderjährige nach dein 31. Dezember 1976 zu ihren Eltern in die Bundesrepublik gezogen sind. Ihnen ist der Arbeitsmarkt derzeit noch versperrt. Die im Einvernehmen mit den Ländern getroffenen Stichtagsregelungen sind vor dem Hintergrund der allgemeinen Beschäftigungssituation zu würdigen. Bis Mitte der achtziger Jahre wird die deutsche Erwerbsbevölkerung um rund 650 000 zunehmen. Darüber hinaus werden über 200 000 prinzipiell arbeitserlaubnisberechtigte Ausländerkinder in das Erwerbsleben hineinwachsen. Wir dürfen dies nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir müssen dabei auch sehen, daß gegenwärtig noch rund 750 000 Kinder ausländischer Arbeitnehmer in den Heimatländern leben. Trotzdem können wir uns auf Dauer gesellschaftspolitisch keine arbeitserlaubnisrechtlichen Bestimmungen leisten, die einem Teil der ausländischen Jugendlichen die berufliche Eingliederung versperren. Mit der erklärten Schwerpunktaufgabe unserer Ausländerpolitik - Integration der zweiten und dritten Ausländergeneration - wäre dies ganz und gar nicht zu vereinbaren. Die zur Diskussion stehenden Anträge decken sich insofern mit den Absichten der Bundesregierung. Unsere Überlegungen gehen dahin, die Stichtagsregelungen durch individuelle Wartezeitenregelungen abzulösen. Wir hoffen, bald folgende Lösungen verabschieden zu können: Kinder ausländischer Arbeitnehmer aus Drittstaaten, die als Minderjährige hierher zu ihren Eltern gekommen sind, sollen nach zweijährigem Aufenthalt im. Bundesgebiet vorbehaltlich des Vorrangs Deutscher und anderer EG-Staatsangehöriger Arbeitsmarktzugang erhalten. Für 'Jugendliche, die in der Bundesrepublik an sprachlichen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen teilgenommen haben, soll sich die Wartefrist verkürzen. Die Motivation zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten durch eigene Integrationsbemühungen würde hierdurch gestärkt. Bei Ehegatten ausländischer Arbeitnehmer aus Drittstaaten erwägen wir, für den Arbeitsmarktzugang vorbehaltlich des Vorrangs Deutscher und anderer EG-Staatsangehöriger einen vierjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet vorauszusetzen. Diese deutlich längere Wartezeit ist wegen der erheblich größeren Beschäftigungsauswirkungen einer derartigen Maßnahme notwendig. Hier, Herr Kollege George, darf ich auch einmal auf die bisher vorhandene Möglichkeit eingehen, auf Grund einer Härteregelung zu handeln. Diese Regelung bestand in der Vergangenheit und wurde in vielen Fällen auch angewandt. Wir gehen davon aus, daß das so bleiben muß. Die Vorteile einer Wartezeitenregelung liegen auf der Hand. Jeder Betroffene hat die Möglichkeit, die Voraussetzungen zu erfüllen. Andererseits wird damit durch die Arbeitsmarktpolitik kein Anreiz zu verstärktem Familiennachzug ausgelöst. Das durch die Stichtagsregelungen aufgestaute Arbeitskräfteangebot kann über einen längeren Zeitraum hinweg vom Arbeitsmarkt absorbiert werden. Bereiche mit besonderen personellen Engpässen erhalten die Möglichkeit, zusätzliche Arbeitnehmer aus dem Kreis der Familienangehörigen zu gewinnen. Nach unseren Schätzungen dürften 1979 ungefähr 105 000 Familienangehörige, davon 20 000 Kinder ausländischer Arbeitnehmer, die Wartezeiten erfüllen. Davon werden ungefähr 56 000, darunter rund 13 000 Kinder pro Jahr, an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit interessiert sein. Meine Zahl, Herr Kollege Braun, weicht von der Ihrigen beachtlich ab. Aber ich muß hinzufügen: Auch wir verlassen uns nur auf Schätzungen. Es mag sein, daß die eine oder die andere Zahl oder ein dazwischenliegender Mittelwert richtig ist. Wir gehen mit der Ablösung der Stichtagsregelung also an die Grenze des beschäftigungspolitisch Vertretbaren. Ein Spielraum - auch das will ich noch einmal deutlich hinzufügen - für Lockerungen des Anwerbestopps, wie sie von verschiedenen Seiten gefordert werden, ist nicht gegeben. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Anträge an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführenden Ausschuß sowie an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als mitberatende Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Ende der heutigen Plenarsitzung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. März, 13 Uhr ein. Einziger Punkt der Tagesordnung: Fragestunde. Die Sitzung ist geschlossen.