Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Aufhebbare verkündete Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({0}) ({1})
Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts dem Plenum am 31. Mai 1979
Der Präsident des Deutscher Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 24. Januar bis 6. Februar 1979 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/2559 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 6. Februar 1979 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachtsehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für einen Beschluß des Rates ({2}) zur Festlegung einer konzertierten Aktion der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet der Analyse organischer Mikroverunreinigungen im Wasser ({3})
Beschluß des Rates zur Festlegung einer konzertierten Aktion der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet „Physikalisch-Chemisches Verhalten atmosphärischer Schadstoffe" ({4})
Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Abänderung des Ratsbeschlusses 74/642 zur Festlegung eines Forschungs- und Ausbildungsprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft betreffend die Rückführung von Plutonium in Leichtwasserreaktoren ({5})
Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vorn 26. Januar 1979 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({6}) Nr. 3084/78 des Rates vom 21. Dezember 1978 zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften sowie der Berichtigungskoeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge anwendbar sind ({7})
Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 7. Februar 1979 mitgeteilt, daß der Ausschuß von der nachstehenden, bereits verkündeten Vorlage Kenntnis genommen hat:
Vorschlag einer Verordnung ({8}) des Rates zur fünften Änderung der Verordnung ({9}) Nr. 1876/74 über den Zusatz von Alkohol zu Erzeugnissen des Weinsektors ({10})
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Burger, Geisenhofer, Braun, Frau Hürland, Franke, Frau Dr. Neumeister, Müller ({11}), Frau Berger ({12}), Vogel ({13}), Dr. Reimers, Dr. George, Kroll-Schlüter, Hasinger, Dr. Hammans, Bühler ({14}), Frau Geier, Frau Schleicher, Müller ({15}), Dr. Becker ({16}), Regenspurger, Biehle, Dr. Möller, Dr. Stark ({17}), Wimmer ({18}), Dr. Jenninger, Köster und der Fraktion der CDU/CSU
Lage der Behinderten und Weiterentwicklung der Rehabilitation
- Drucksachen 8/1541, 8/2190 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 4 Millionen Mitbürger sind behindert. Über 360 000 Kinder mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen leben unter uns.
Behindert sein aber heißt, mit extremen Einschränkungen leben zu müssen. Die Behinderten sollen einen Platz finden, der es ihnen ermöglicht, am Leben teilzuhaben und Glück und Befriedigung zu finden.
({0})
Wir-wollen ihre Eingliederung; wir wollen ihre Rehabilitation. Diese Aufgabe aber braucht immer neue Impulse.
({1})
Deshalb hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Große Anfrage vorgelegt. Bei voller Anerkennung des Geleisteten: Die Anstrengungen müssen weitergehen. Es ist richtig: Staat und Gesellschaft kümmern sich um die Probleme der Behinderten.
({2})
Bund, Länder und Gemeinden, die Sozialversicherung, Kirchen und freie Träger, Verbände, Vereinigungen und viele Mitbürger unternehmen große Anstrengungen.
Wir danken der Bundesregierung für die Beantwortung der Großen Anfrage. Wir bedauern aber, daß der Schwerpunkt der Antwort auf einem Rückblick liegt, während für die Probleme von heute
({3})
und morgen kaum oder unbefriedigende Lösungen angeboten werden.
({4})
Wir anerkennen die Fortschritte. Aber wenn die Regierung sich anschickt, auf vermeintlichen Lorbeeren auszuruhen, müssen wir auf Tatsachen hinweisen. Ich möchte noch einmal klar herausstellen, daß wir nie gezögert haben, das Geleistete zu würdigen und zu werten. Ich darf das auch in Gegenwart von Herrn Minister Arendt sagen, der ja in seiner Regierungszeit zahlreiche Gesetzentwürfe vorgelegt hat, die wir bei der Beratung voll unterstützt haben. Wir bedauern aber, daß sein Nachfolger, Minister Ehrenberg, im „Bundesarbeitsblatt" unter der Überschrift „Schwerpunkte künftiger Sozialpolitik" keine Aussage zur Weiterentwicklung der Rehabilitation gemacht hat.
({5})
Die Situation wird aus der Praxis nicht ganz so rosig geschildert, wie die Antwort der Bundesregierung sie sieht. So hat Tom Mutters, der Bundesgeschäftsführer der „Lebenshilfe", bei seiner Festrede zum 20jährigen Jubiläum von wachsender Sorge darüber gesprochen, daß das bisher mühselig Erreichte immer mehr durch einen Trend zur Verfachlichung und Bürokratisierung bedroht werde. Auch auf dem Rehabilitationskongreß in Heidelberg warnten die Redner vor Stagnationstendenzen und forderten eine Weiterentwicklung der Rehabilitation. Auch bei einer Tagung der Vertrauensleute der Schwerbehinderten schilderten die Teilnehmer die fast unlösbaren Schwierigkeiten bei der Eingliederung der psychisch Behinderten in Arbeit und Beruf. Das sind Meinungen, meine Damen und Herren, die wir einfach ernst nehmen müssen.
Enttäuschend ist auch die Stellungnahme der Bundesregierung zur Psychiatrie-Enquete. Wir vermissen hier ein deutliches Engagement. Die Regierung erklärt sich für nicht zuständig. Das ist doch ein Rückzug hinter früher gemachte Zusagen. Damit können wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nicht einverstanden sein.
({6})
Die Probleme der Behinderten haben eine neue Qualität erhalten. Es sind Mängel und Schwachstellen sichtbar geworden. Das Aktionsprogramm der Bundesregierung ist verbraucht. Die Rezession und die Dauerarbeitslosigkeit wirken sich aus. Die Schwerbehinderten sind - das wissen wir alle - überdurchschnittlich betroffen. Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit wird der Ausleseprozeß verschärft. Trotz Behindertengesetz und Stützungsprogrammen gibt es im Monat Januar über 60 000 arbeitslose Schwerbehinderte. Sie gehören zur Problemgruppe schwer vermittelbarer Arbeitsloser. Oft droht auch nach einer geglückten beruflichen Rehabilitation Arbeitslosigkeit. Es gibt viele verbitterte Einzelschicksale draußen. Ein junger Behinderter, Klaus Müller aus Freiburg, hat mich unlängst angerufen und hat sich bitterlich beklagt. Er sei 35 Jahre alt, beruflich voll rehabilitiert, aber, so meinte er, „keiner will mich haben".
Auch Ausbildungsplätze für Behinderte zählen zu den Raritäten. Für viele Behinderte bedeutet Schulentlassung oft Endstation. Auch gab es noch niemals so viel Zugangsbeschränkungen zu Ausbildungsplätzen und zu Ausbildungsgängen. Es ist schwer geworden, Neigungen, Behinderungen und Arbeitsmarkt auf einen Nenner zu bringen.
Trotz großer Anstrengungen sind vor allem die Geburtsbehinderten bei der beruflichen Bildung benachteiligt. Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit sind für diese Gruppe noch lange nicht erreicht. Wenn das Jahr des Kindes nicht zu einem Jahr der frommen Sprüche kommen soll, dann müssen für diese Kinder und Jugendlichen die Bemühungen verstärkt werden. Zu schnell werden sie auch oft in Sondereinrichtungen abgeschoben. Diese werden häufig zu Inseln ohne soziale Integration. Ich bin mir darüber im klaren, daß es nicht ohne Sonderförderung gehen kann. Aber wo immer es möglich ist, sollten Behinderte und Nichtbehinderte zusammenkommen. Nur so lernen sie sich verstehen.
Experten warnen vor einer neuen Problematik. 40 000 Jugendliche werden als Lernbehinderte jährlich aus den Sonderschulen entlassen. Sie bilden eine Gruppe, die von der derzeitigen Entwicklung besonders betroffen ist und denen bisher nur unzulänglich geholfen wird. Viele dieser Jugendlichen haben die Merkmale einer Behinderung. Vielleicht sind es 50 %, vielleicht auch nur 30 %. Wir müssen uns fragen: Wo bleiben diese Jugendlichen? Sie sind labil, manchmal debil und deshalb besonders gefährdet. Wir brauchen für diese Gruppe gezielte Förderungsprogramme. Das Berufsvorbereitungsjahr allein genügt nicht. Es ist unzulänglich. Es ist auch zuwenig vorbereitet, Es fehlt an Lehrern, es fehlt an Lehrplänen und an Einrichtungen. Wir müssen uns hier für diese Gruppe mehr anstrengen, wir müssen uns hier etwas einfallen lassen. Es gibt ja gute Beispiele: Die Arbeit der christlichen Jugenddörfer und manches andere. Für diese Jugendlichen müssen größere Anstrengungen unternommen werden.
({7})
Auch in den Verwaltungen und Betrieben gibt es da und dort Spannungen. Die gab es früher nicht. Die nicht behinderten Mitarbeiter akzeptieren die behinderten nicht immer. Der Vertrauensmann für Schwerbehinderte ist oft überfordert. Er steht vielfach vor schwierigsten Problemen, und diese werden in der Zukunft zunehmen. Er ist für diese auf ihn zukommenden verantwortungsvollen Aufgaben zuwenig geschult.
Wir stimmen auch Direktor Boll von der Stiftung Rehabilitation in Heidelberg zu, wenn er erklärt, daß im Vergleich zwischen privater Wirtschaft und dem öffentlichen Bereich der Erkenntnisstand über Fragen der Beschäftigung Schwerbehinderter bei der privaten Wirtschaft höher sei als beim öffentlichen Dienst. Viele Vorschriften sind dort behindertenfeindlich, sie sind verkrustet, und sie müssen durchforstet werden. Der einfache Dienst sollte endlich auch für Sonderschüler geöffnet werden. Die Personalchefs der Bonner Ministerien sollten sich einmal von Rehabilitationsexperten beraten lassen. Bei größerer Bereitschaft und mit gutem Willen könnte im
öffentlichen Bereich sehr viel mehr für die Beschäftigung Behinderter getan werden.
({8})
Ich möchte diesen Vorschlag machen. Ich möchte anregen, daß dieser Versuch einmal unternommen wird; denn die Behörden wissen gar nicht, welche Möglichkeiten für den Einsatz von Behinderten gegeben sind.
Herr Kollege Kuhlwein, Sie sagten: überall. Wir haben in Baden-Württemberg diesen Versuch unternommen. Ministerpräsident Lothar Späth und Frau Griesinger haben die Behörden mit den Experten zusammengebracht, und heute sagt man mir, daß es dort besser klappt. Es gibt mehr Verständnis. Die Chefs rufen bei den Arbeitsämtern an und sagen: Hier ist eine Stelle frei. Haben Sie ein Angebot? Wir müssen mit diesen kleinen Schritten versuchen, in Einzelfällen zu helfen. Hier ist noch ein großes Reservoir, das wir nutzen sollten.
({9})
- Herr Professor Schäfer, wir hatten vor wenigen Tagen ein Gespräch mit Direktor Boll. Natürlich nennen Sie das Wunschvorstellungen; aber ich würde es mir nicht zu leicht machen. Ich würde die Realität sehen. Es gibt heute Behinderte, die so ausgebildet sind, daß sie ihren Arbeitsplatz voll ausfüllen können. Sie haben nicht die Möglichkeit, eingesetzt zu werden, weil es vielfach noch an Verständnis fehlt.
Auch die Umwelt hat meines Erachtens noch viel zu viele Barrieren. Mein Kollege Braun wird noch näher darauf eingehen. Ich möchte nur sagen: Bei Bahn und Post, bei anderen Beförderungsmitteln, auf öffentlichen Toiletten und in Telefonzellen, bei Straßenbordkanten, in Theatern und Bibliotheken, überall haben wir Barrieren. Der Gelähmte im Rollstuhl fährt immer noch im Packwagen. Auch Städteplaner und Gemeinderäte zeigen meist zu wenig Verständnis. Oberbürgermeister Zundel aus Heidelberg wies unlängst in einer Fernsehdiskussion darauf hin, daß man nur mit äußerster Kraft Verbesserungen in den zuständigen Gremien durchsetzen könne. Wann endlich - das muß ich fragen -wird man verstehen? Der resignierende Satz spricht eigentlich Bände: Wenn doch die kleine Kneipe an der Ecke einen Eingang ohne Stufe hätte!
Es fehlen auch behindertengerechte Wohnungen. Die wenigen neu erstellten liegen meist abseits, weitab vom urbanen Leben, und sie bringen die Gefahr der Isolierung.
In den Rehabilitationsverfahren gibt es noch Leerlauf. Das Reha-Angleichungsgesetz hat sein Ziel nicht erreicht. Es gibt Unklarheiten zwischen den Kostenträgern, Vereinbarungen stehen noch aus, und es ist auch eine klare Vorleistungspflicht festgelegt.
Was kann nun verbessert werden?
Erstens. Zur Rehabilitation gehört die Prävention; vorbeugen ist besser als heilen. Jährlich werden etwa 45 000 Kinder mit Behinderungen geboren. Untersuchungsangebote genügen offensichtlich nicht. Die Franzosen sind hier weiter. Frauen, die ihre Schwangerschaft gemeldet und die sich drei Pflichtuntersuchungen unterzogen haben, erhalten im dritten, sechsten und neunten Monat eine finanzielle Zuwendung. Für Säuglinge und Kleinkinder werden dort Beihilfen gewährt, wenn die Voruntersuchungen durchgeführt worden sind. Warum ist so etwas bei uns nicht möglich? In der Bundesrepublik kommt jeder 20. Säugling behindert auf die Welt. Dies teilt die hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitserziehung mit, und wir müssen diesem Problem größere Aufmerksamkeit schenken.
Zweitens. Für viele Kleinkinder klafft auch eine große Lücke zwischen der Feststellung einer Behinderung und der Anbahnung gezielter Maßnahmen. Die Frühförderung muß verbessert werden. Ärzte und Krankenkassen müssen sich verstärkt der Frühförderung zuwenden.
Drittens. Ratlosigkeit, ja Resignation, herrschen heute allgemein im Bereich der Gesundheitsvorsorge. Die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen werden kritisch diskutiert, und diese Diskussion macht eine Antwort auf die Frage schwerer, ob auch Voruntersuchungen für Herz- und Kreislauferkrankungen eingeführt werden sollen. Rund 75 °/o der Bevölkerung leben gesundheitsriskant, sagen uns die Fachleute. Der Effekt der Gesundheitserziehung sei, aufs Ganze gesehen, gleich null. Hier müssen gemeinsame Überlegungen angestellt werden.
Viertens. Der deutsche Arzt weiß von der Rehabilitationsmedizin im allgemeinen noch zuwenig. Der niedergelassene Arzt besitzt eine Schlüsselposition. Er soll die entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig einleiten. Rund 20 % der Patienten verlassen mit bleibenden Schäden das Krankenhaus. Oft werden dann die Weichen für eine notwendige Rehabilitation nicht richtig gestellt. Es muß möglich sein, dem mit Verwaltungskram belasteten Arzt dabei zu helfen, Rehabilitationsmaßnahmen rechtzeitig einzuleiten.
Fünftens. Auch die Verzahnung der medizinischen, der beruflichen und der sozialen Maßnahmen ist oft nicht gut. Es gibt immer noch Wartezeiten. Wir sagen ja zum gegliederten System. Es werden große Leistungen erbracht. So haben allein die Rentenversicherungen im letzten Jahr 4 Milliarden DM ausgegeben. Auch die Unfallversicherungen arbeiten gut. Die Bundesanstalt für Arbeit hat sich für die beruflichen Maßnahmen stark eingesetzt. Die Krankenkassen als neue Rehabilitationsträger haben zwar Lücken gefüllt, es gibt jedoch Zuständigkeitsdifferenzen, die durch eine baldige Novellierung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes beseitigt werden müssen.
Sechstens. Die Nachsorge am Arbeitsplatz ist ungenügend. Dort ist der Behinderte oft allein gelassen. Nach der Umschulung, wenn der Schirm der Betreuung wegfällt, gibt es Schwierigkeiten. Die Vor10766
gesetzten, die Mitarbeiter und die Vertrauensleute müssen durch die Hauptfürsorgestellen besser auf diese Probleme vorbereitet werden.
Heute vor 60 Jahren - man hat mich darauf aufmerksam gemacht - sind die Hauptfürsorgestellen geschaffen worden. Sie feiern heute Geburtstag. Sie haben in den zurückliegenden Jahrzehnten insbesondere für die Kriegsbeschädigten zweier Weltkriege Hervorragendes bewirkt. Jetzt arbeiten sie für alle Behinderten. Wir kennen diese Arbeit, und wir danken für das Geleistete.
({10})
Siebentens. Die psychisch Behinderten gehören zu einer Gruppe von Behinderten, die eindeutig benachteiligt ist. Die besondere Betroffenheit dieser Gruppe mit ihren phasenhaft schwankenden Leistungseinbußen erfordert mehr Einfühlungsvermögen und mehr flankierende Hilfen. Die psychisch Behinderten und andere Behindertengruppen sind Schwerpunktgruppen, die künftig intensiver zu fördern sind. Es muß z. B. jemand da sein, der am Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Ein besonderer Betreuungsaufwand ist notwendig; denn die allgemeinen Vorbehalte gegenüber diesen Behinderten sind größer. Während bei Körperbehinderten die möglichen Ausfälle klar erkennbar sind, gibt es bei diesen Betroffenen schwer kalkulierbare Belastungsgrenzen.
Achtens. Die Kostendämpfung hat sich nachteilig auf die Rehabilitation ausgewirkt. Hier wird eindeutig am falschen Ort gespart.
({11})
Die Zahl der Kinderheilverfahren ging drastisch zurück. Die Folgen werden bald spürbar werden. Auch die Einsparungen bei den Rentengesetzen in diesem Bereich betreffen vor allen Dingen nicht erwerbstätige Hausfrauen und Mütter. Das trifft genau die Falschen. Untersuchungen des Müttergenesungswerkes haben gezeigt, daß es mit dem Gesundheitszustand dieser Frauen nicht zum besten steht. Hier klaffen Lücken im System der Rehabilitation. Langfristig wird sich die Kostendämpfung bei diesem Personenkreis ins Gegenteil verkehren.
Neuntens. Die Behinderten in unserer Gesellschaft brauchen noch mehr Verständnis. Sie brauchen mehr Brüderlichkeit der Nichtbehinderten. Noch immer weiß der nicht behinderte oder nicht betroffene Bürger zuwenig über die Behinderten. Viele Menschen haben gegen diejenigen, die mit einem Leiden behaftet sind, eine ablehnende Einstellung. Besonders bei schweren, bei geistigen und bei seelischen Behinderungen rufen die Schäden Ablehnungen hervor. Unsicherheit und Unwissenheit gegenüber den Behinderten bestimmen vielfach das Verhalten. Die Distanz ist bei erworbenen körperlichen Behinderungen am geringsten, sie nimmt zu bei angeborenen, vor allem bei geistigen und bei psychischen Behinderungen. Unkenntnis aber fördert Vorurteile. Die soziale und gesellschaftliche Integration ist vor allem ein mitmenschliches Problem. Hier versagen Paragraphen. Die Medien - besonders das Fernsehen - haben viel dazu beigetragen, Vorbehalte abzubauen. Wir bitten sie, ihre Möglichkeiten auch in der Zukunft zu nutzen.
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Unser Entschließungsantrag, um dessen Überweisung an die Ausschüsse für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - sowie an den Sportausschuß wir bitten, enthält Vorschläge zur Weiterentwicklung der Rehabilitation und zur Beseitigung von Schwachstellen. Wir, die Fraktion der CDU/CSU, sind bereit, bei allen sinnvollen Initiativen mitzuwirken. Es liegt noch eine lange Wegstrecke vor uns. Stärker als bisher - das halte ich für besonders wichtig sollten auch die Behinderten selbst in die Diskussion um die Lösung ihrer Problem einbezogen werden. Der Behinderte braucht die Gesellschaft, aber die Gesellschaft braucht, wie ich meine, auch die Behinderten. Unser sozialer Rechtsstaat beweist seinen Rang und seine Qualität vor allem dadurch, wie er seinen schwächsten Gliedern beisteht.
Ich komme zum Schluß. Wir wissen wohl, daß es nicht nur darum geht, neue Gesetze zu schaffen. Auch das Schwerbehindertengesetz ist ein Gesetz des guten Willens. Das heißt: die Mitmenschen müssen bereit sein, im Geiste der Gesetze zu handeln. Entscheidend ist, daß vor allem die Schwerstbehinderten von der Gesellschaft, von den Mitmenschen angenommen werden. Wir sehen hier Fortschritte. Viele Mitbürger engagieren sich heute, vor allem auch die Jugendlichen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit dieser Großen Anfrage einen Beitrag zur Verbesserung der Lage der Behinderten leisten. Sie bietet ihre Mitarbeit im Sinne eines Wettbewerbs des guten Willens an.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen mit der Drucksache 8/2190 ihre Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt. Gestatten Sie mir hier ergänzende Ausführungen dazu.
Zunächst eine Vorbemerkung zum Kollegen Burger. Herr Kollege Burger, wenn Sie Ihr Bedauern darüber ausdrücken, daß das Schwergewicht unserer Antwort auf dem Rückblick liegt, so kann ich Sie nur auf folgendes hinweisen. Wir haben Ihre Fragen korrekt beantwortet. Von den 17 Fragen, die Sie gestellt haben, bezogen sich 12 Fragen auf eine Bestandsaufnahme und 5 Fragen auf die Zukunft. Entsprechend ist in der Quantität die Antwort ausgefallen, was ich uns nachzusehen bitte. Wir haben Ihre Fragen ernst genommen und entsprechend ausführlich beantwortet.
Die Bemühungen um Eingliederung unserer behinderten Mitbürger in Arbeit, Beruf und GesellBundesminister Dr. Ehrenberg
schaft waren noch nie so intensiv wie in den Jahren seit 1970, und sie haben entsprechend vielfältige Früchte getragen.
({0})
Wir wissen aber - auch die Intensität der Fragestellungen der Opposition beweist das -, daß wir trotzdem immer noch am Anfang stehen. Es bedarf vielfältiger weiterer Anstrengungen, um die volle Chancengleichheit unserer behinderten Mitbürger verwirklichen zu können. Entsprechend Ihren Fragestellungen kann diese Antwort kein umfassendes Bild ergeben. Sie macht aber, wie ich glaube, deutlich erkennbar, wie vielschichtig die Aufgabe der Rehabilitation ist und wie verschiedenartige umfangreiche Aufgaben gelöst worden sind, aber auch in Zukunft noch zu lösen bleiben.
Wir müssen uns alle miteinander bewußt sein, daß auf dem Gebiet der Rehabilitation staatliches Handeln allein nicht helfen kann und nicht alles leisten kann. Rehabilitation ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur im Zusammenwirken aller verantwortlichen Kräfte gelöst werden kann. Die Bundesregierung ist sich dieses Tatbestands stets bewußt gewesen. Auch deshalb hat sie bei der Durchführung des Aktionsprogramms Rehabilitation stets die Partnerschaft der Länder und Gemeinden, der Rehabilitationsträger, der Behindertenorganisationen sowie der freien Wohlfahrtsverbände, insbesondere der Kirchen und kirchlichen Hilfsorganisationen gesucht. Ich möchte auch von dieser Stelle aus allen Beteiligten für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit Dank sagen, die allein in diesem Bereich zum Erfolg führen kann.
({1})
Ein Schwerpunkt unseres Aktionsprogramms, meine Damen und Herren, war die berufliche Rehabilitation. Wir haben uns dabei von dem Gedanken leiten lassen, daß die berufliche Eingliederung der Behinderten für ihre volle Integration in die Gesellschaft unverzichtbar ist. Um so mehr ist - da kann ich dem Kollegen Burger nur zustimmen - die hohe Zahl schwerbehinderter Arbeitsloser heute zu bedauern. Dies liegt zwar natürlich auch an der steigenden Zahl der Anträge auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft, aber diese Tatsache kann für uns kein Grund sein, das Problem deshalb geringer einzuschätzen. Sie muß, im Gegenteil, Ansporn sein, alles zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Situation dieser Menschen zu verbessern.
({2})
Trotz der so schwierigen Arbeitsmarktsituation hat das Schwerbehindertengesetz bei der Lösung der Aufgabe, Schwerbehinderten einen Arbeitsplatz zu vermitteln, wertvolle Dienste geleistet. Mit Hilfe dieses Gesetzes, insbesondere durch Beschäftigungspflicht und Kündigungsschutz, konnte eine Verdrängungswettbewerb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu Lasten der Behinderten weitgehend verhindert werden. Seit Inkrafttreten des Schwerbehindertengesetzes hat sich die Zahl der im Erwerbsleben stehenden Schwerbehinderten fast verdoppelt. Ein Teil davon ist erst nach Einsetzen der Arbeitslosigkeit als Schwerbehinderter anerkannt worden.
Das Gesetz hat Möglichkeiten geschaffen, der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter mit gezielten Maßnahmen zu begegnen. Ich weise hier vor allem auf die Sonderprogramme des Bundes und der Länder hin. Inzwischen liegen uns auch die Ergebnisse des Zweiten Sonderprogramms vor. Mit seiner Hilfe wurden vom 1. Januar bis 31. Dezember 1978 9 629 Schwerbehinderte - darunter 2 455 Frauen - in Arbeit und Beruf eingegliedert. In 8 470 Fällen machten private, in 1 159 Fällen öffentliche Arbeitgeber von den Möglichkeiten des Sonderprogramms Gebrauch. 1 808 Jugendliche konnten mit Hilfe dieser Maßnahmen auf einen Ausbildungsplatz vermittelt werden. Und - diese Tatsache möchte ich besonders hervorheben - in 6 821 Fällen wurden diese Möglichkeiten von Arbeitgebern wahrgenommen, die die Beschäftigungspflicht nach dem Schwerbehindertengesetz bereits erfüllt hatten, ein Tatbestand, der dort, wo die Quote nicht erfüllt wird
- vor allen Dingen bei Bundesländern und Kommunen -, ernsthaft zum Nachdenken anregen sollte.
({3})
Meine Damen und Herren, dies zeigt aber auch
- wir sollten uns alle gemeinsam bemühen, diesen Erfahrungswert zu verbreitern -, daß Arbeitgeber gute Erfahrungen mit der Beschäftigung Schwerbehinderter gemacht haben. Ich bin überzeugt, daß andere Arbeitgeber, wenn sie sich erst einmal durchgerungen haben, Schwerbehinderte zu beschäftigen, genauso gute Erfahrungen machen werden. Im übrigen haben wir - in voller Übereinstimmung mit den Bundesländern - das Sonderprogramm bis zum 31. März 1979 verlängert. Wir haben im Beirat für Rehabilitation Beratungen aufgenommen und werden den Ländern vorschlagen, nach dem 1. April gemeinsam ein Drittes Sonderprogramm in Gang zu setzen.
({4})
Die Tatsache, daß wir bis Dezember 1978 mit Hilfe dieser Programme insgesamt 18 343 Schwerbehinderte auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz vermitteln konnten, ermutigt uns dazu, ein drittes Programm in Angriff zu nehmen.
({5})
Aber wir sind uns auch bewußt, daß die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter nicht allein mit Sonderprogrammen und finanziellen Leistungen bekämpft werden kann. Hier gilt das, was ich eingangs schon von den Grenzen staatlicher Maßnahmen sagte: Gesetze und Verordnungen können zwar den Bürger zu einem gewissen Tun oder Unterlassen verpflichten, sie werden aber ihre Wirkung verfehlen, wenn die Bürger nicht bereit sind, sich auch voll dafür einzusetzen.
Förderungsmaßnahmen können nur Ansporn sein und nur mittelbar helfen. In einer freiheitlichen Gesellschaft, die an sozialstaatlichen Grundsätzen ausgerichtet ist, kommt es entscheidend darauf an, daß diejenigen, die Verantwortung tragen und über die
Möglichkeiten von Arbeitsplätzen verfügen, sich auch dieser Verpflichtung voll bewußt sind.
({6})
Es ist die Pflicht öffentlicher wie privater Arbeitgeber, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und auch den Problemgruppen in unserer Gesellschaft eine gute Chance zu geben, damit diese ihr Recht auf Arbeit verwirklichen können. Das Recht auf Arbeit ist unteilbar; es gilt auch für die Behinderten.
({7})
Herr Kollege Burger, gestatten Sie mir noch folgenden Hinweis, weil Sie mit Recht auch die öffentlichen Arbeitgeber angesprochen haben. Ich möchte die hier im Hause anwesenden Abgeordneten sehr darum bitten, in ihren Wahlkreisen auf die Kommunen und in ihren Bundesländern auf die Landesregierungen entsprechenden Einfluß zu nehmen. Im Bereich des Bundes ist eine Beschäftigtenquote bezüglich der Schwerbehinderten von 7 % realisiert. Der Arbeitsminister als gutes Vorbild hat 12 % Schwerbeschäftigte - Verzeihung, ich meine natürlich Schwerbehinderte - beschäftigt.
({8})
Ich gebe gern zu: Der Arbeitsminister hat auch viele Schwerbeschäftigte. Unsere Aufgaben führen ständig dazu, daß in diesem Ministerium hart gearbeitet wird. Das mag dem einen oder anderen schwerfallen; ich halte es bei der gegebenen Aufgabenstellung für unerläßlich.
Im Durchschnitt haben die Länderregierungen eine entsprechende Beschäftigungsquote von lediglich 4,3 %.
({9})
Auch das Land Baden-Württemberg, Herr Burger, zahlt die Ausgleichsabgabe, was ich für einen sehr unguten Zustand halte.
({10})
Ich hoffe sehr, daß es uns gemeinsam gelingen wird, hier mehr Bereitschaft zu finden, denn schwieriger sind die Beschäftigungsverhältnisse bei den Ländern mit Sicherheit nicht als in den Bundesministerien, so daß dort bei gleich gutem Willen auch gleich gute Ergebnisse erzielt werden könnten.
({11})
- Im Lehrerberuf sind Schwerbehinderte weiß Gott einsetzbar; es muß sich ja nicht gerade um Sportlehrer handeln. Aber bei allen anderen müßte es doch wohl gehen.
({12})
Meine Damen und Herren, die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte gewinnt in diesem Zusammenhang naturgemäß erhebliche Bedeutung.
({13})
Wir haben diese Grenze in zwei Stufen herabgesetzt. Wenn sich Parlament und Regierung hierbei
auch in erster Linie vom humanitären und sozialen Überlegungen leiten lassen: Positive Auswirkungen auf die Beschäftigungslage sind hier ebenfalls zu erwarten. Es werden ungefähr 70 000 schwerbehinderte Arbeitnehmer von diesem Recht Gebrauch machen können. Wenn es den Behördenchefs, Arbeitgebern, Betriebsräten und Personalräten gelingt, diese 70 000 in den nächsten Jahren frei werdenden Plätze mit heute arbeitslosen Behinderten zu besetzen, dann wird in wenigen Jahren kein Schwerbehinderter mehr arbeitslos sein.
({14})
Ich möchte an alle, die hier Verantwortung tragen, noch einmal den eindringlichen Appell richten, jeden durch die flexible Altersgrenze frei werdenden Arbeitsplatz neu mit einem Schwerbehinderten zu besetzen und nicht im Zuge von organisatorischen Maßnahmen wegfallen zu lassen.
({15})
Im übrigen gilt hier ganz besonders, was für den ganzen Arbeitsmarkt gilt: daß eine qualifizierte Ausbildung der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist. Da ist es auch wichtig, daß wir beim Aufbau unserer Berufsförderungs- und Berufsbildungswerke von dem Grundsatz ausgegangen sind, daß eine gediegene zukunftsorientierte Ausbildung die beste Garantie für einen dauerhaften Arbeitsplatz ist. Deshalb haben sich die hohen Investitionen in diese Ausbildungsstätten gerade aus der heutigen Arbeitsmarktsicht gelohnt.
Es ist uns gelungen, den Bedarf an Umschulungsplätzen für Erwachsene inzwischen voll zu decken. 12 000 Plätze stehen hier in Berufsförderungswerken zur Verfügung. Für die Erstausbildung jugendlicher Behinderter werden in der ersten Ausbaustufe 7 000 Plätze in 24 Berufsbildungswerken errichtet. In einer zweiten Ausbaustufe sind weitere 12 Berufsbildungswerke mit 3 000 Plätzen vorgesehen. Von acht geplanten besonderen Zentren für medizinische und berufliche Rehabilitation, in denen bereits am Krankenbett Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung durchgeführt, die Patienten auf die Rückkehr an den Arbeitsplatz oder eine berufliche Ausbildung vorbereitet werden, sind bereits fünf ganz oder teilweise in Betrieb.
Besonders wichtig ist dabei, daß das Ausbildungsplatzangebot stets den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes angepaßt wird. Eine enge Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger mit der Bundesanstalt für Arbeit ist dabei unverzichtbare Voraussetzung.
Aber ich halte auch Kontakte mit der Wirtschaft für ebenso unerläßlich. Es muß uns gelingen, noch deutlicher zu machen, daß Behinderte, die in einem Reha-Zentrum umgeschult oder ausgebildet worden sind, auf Grund ihrer qualifizierten Ausbildung ein Gewinn für jeden Betrieb sind und keine Belastung.
({16})
Wir sollten bei der beruflichen Rehabilitation jedoch nicht nur das überbetriebliche Ausbildungsplatzangebot sehen, sondern auch die MöglichkeiBundesminister Dr. Ehrenberg
ten, die die Betriebe selbst bieten. Behinderte, die einer besonderen Ausbildung in Reha-Einrichtungen nicht bedürfen, müssen Zugang zu den üblichen Ausbildungsangeboten der Wirtschaft erhalten. Das gilt insbesondere für die jugendlichen Behinderten. Aber auch für diejenigen, die bereits im Berufsleben stehen, sollen durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen die Berufschancen gesichert und verbessert werden.
Wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen, werden unsere Rehabilitationsbemühungen auch in der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation erfolgreich sein. Das Schwerbehindertengesetz mit seinen zahlreichen Hilfen ist dabei ein wirkungsvolles Instrument. Das gilt insbesondere auch für die Verwendung der Ausgleichsabgabemittel. Auf ihren nützlichen Einsatz im Rahmen der Sonderprogramme habe ich bereits hingewiesen. Die Ausgleichsabgabeverordnung zeigt die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten als unterstützende Maßnahme für die Wiedereingliederung in Beruf und Arbeit.
Die Bundesregierung ist sich mit den Fragestellern dieser Anfrage darin einig, daß auch die Maßnahmen der Nachsorge für Behinderte zur beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung dringend erforderlich sind. Mit dem Schwerbehindertengesetz ist eine entsprechende umfassende Sicherung auch deutlich ins Auge gefaßt worden.
Eine Arbeitsplatzsicherung nur unter dem Gesichtspunkt des Kündigungsschutzes wäre zu eng. Oft sind es gerade die zahlreichen nachgehenden Hilfen, die es dem Schwerbehinderten erst möglich machen, eine Arbeit aufzunehmen und den Arbeitsplatz zu erhalten. Durch die subsidiäre Gewährung solcher Hilfen ermöglicht die Ausgleichsabgabeverordnung echte Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, die nicht nur im Interesse des Behinderten selbst, sondern ebenso im Interesse des Arbeitgebers liegen.
Auch die Förderung der Werkstätten für Behinderte steht in einem klaren Zusammenhang mit der Solidarverpflichtung der Arbeitgeber. Wir betrachten diese Werkstätten als Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation. Sie haben eine wichtige Entlastungsfunktion für den übrigen Arbeitsmarkt, da sie doch in großem Ausmaß solche Schwerbehinderten beschäftigen, die in einem durchschnittlichen Betrieb kaum Aufnahme fänden. Hier werden die Mittel der Ausgleichsabgabe sinnvoll und zweckmäßig verwendet. Das ist auch ein Grund, an diesem Instrument des Schwerbehindertengesetzes nicht rütteln zu lassen. Es wäre ganz unangebracht, heute an eine Herabsetzung der Beschäftigungspflichtquote des Schwerbehindertengesetzes zu denken, auch wenn das immer wieder gefordert wird.
({17})
Die Beschäftigungspflicht dient dazu, daß die Gesamtsituation der Schwerbehinderten im Arbeitsleben verbessert wird und dort, wo die Pflichtquote nicht erfüllt wird, durch die Verpflichtung zur Ausgleichsabgabe Mittel für weitere Maßnahmen bereitgestellt werden.
Ebenso wichtig sind der Kündigungsschutz, der Zusatzurlaub, die nachgehende Hilfe im Arbeitsleben sowie die Stärkung der Position des Vertrauensmannes. Alle diese Regelungen können noch wirksamer eingesetzt werden, und darauf müssen wir gemeinsam hinarbeiten.
Dabei ist uns auch bewußt, daß vollständige Wirksamkeit nur schrittweise zu erreichen ist. Ich kann Ihnen zum Werkstattproblem heute mitteilen, daß die Verordnung über die fachliche Anforderung der Werkstatt für Behinderte und über das Verfahren zur Anerkennung in diesen Tagen im Entwurf fertiggestellt worden ist. Gerade bei der Erarbeitung dieser Durchführungsverordnung hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, die Erfahrungen der Praxis mitzuverwerten und vor Erlaß der Verordnung die Beteiligten zu hören und ihr Verständnis für die Neuregelungen zu finden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr. Wir haben diesen Entwurf in der ersten Lesung vor zwei Wochen hier im Parlament behandelt. Ich hoffe sehr, daß es gelingen wird, trotz der im Bundesrat deutlich gewordenen Schwierigkeiten diesen Gesetzentwurf noch in der ersten Hälfte dieses Jahres zu verabschieden
({18})
und damit eine weitere Grundsatzforderung des Schwerbehindertengesetzes, zu verwirklichen, nämlich die Vergünstigungen allen Schwerbehinderten unter den gleichen Voraussetzungen und unabhängig von der Ursache der Behinderung einzuräumen.
Diese Hinweise zeigen, daß Rehabilitation für unsere Gesellschaft eine ständige Aufgabe ist, die immer wieder neuer Impulse bedarf. Es gibt kein Verharren, kein Ausruhen auf dem Erreichten, auch wenn wir stolz auf das sein können, was wir erreicht haben.
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Allerdings kann das auch nicht bedeuten, daß wir ständig danach streben, etwas Neues zu schaffen. Nach dem gewaltigen Aufschwung, den die Rehabilitation genommen hat, ist jetzt eine Phase der praktischen Bewährung, der praktischen Durchsetzung des gesetzlich Vorgegebenen in erster Linie in Angriff zu nehmen. Was wir geschaffen haben, ist eine hervorragende Grundlage für die Weiterentwicklung dieses wichtigen Gebietes der Sozialpolitik.
Denn Gesetze sind, das wissen wir alle, nicht schon mit ihrer Verkündung Wirklichkeit, sondern erst dann, wenn sie voll umgesetzt worden sind. Das liegt beim Schwerbehindertengesetz noch ein ganz großes Stück des Weges vor uns. Vor allen Dingen hat sich die volle Angleichung der Rehabilitationsleistungen als besonders schwierig erwiesen. Wir haben bewußt Wert darauf gelegt, hierbei möglich wenig mit Verordnungen zu arbeiten und den vielen freien Trägern einen möglichst großen Spielraum zu lassen.
Das hat aber auch dazu geführt, daß die Einrichtung der Gesamtvereinbarungen, die sich zur Angleichung als notwendig erwiesen hat, auf Grund
der Vielzahl der Beteiligten lange Zeit gebraucht hat. Am 1. April 1977 ist die Gesamtvereinbarung über die Beteiligung der Bundesanstalt für Arbeit in Kraft getreten. Seit dem 1. Juli 1977 gibt es eine Gesamtvereinbarung über die Auskunft und Beratung Behinderter. Seit dem 1. Januar 1978 ist in einer Gesamtvereinbarung festgelegt, in welchen Fällen von welchen Rehabilitationsträgern vorläufige Leistungen zu gewähren sind. Schließlich ist am 1. Juli 1978 eine Gesamtvereinbarung abgeschlossen worden, die sicherstellen soll, daß in allen geeigneten Fällen, insbesondere wenn das Verfahren mehrere Maßnahmen umfaßt oder andere Träger und Stellen beteiligt sind, der zuständige Träger einen Gesamtplan aufzustellen hat. Gesamtvereinbarungen zur Vereinheitlichung der Leistungen liegen bisher nur im Entwurf zur einheitlichen Gewährung von Kraftfahrzeughilfen und zur einheitlichen Förderung des Behindertensports vor.
Meine Damen und Herren, wir beobachten diese Entwicklung sehr sorgfältig, und es ist kein Geheimnis, daß es sicher mit dem Erlaß von Verordnungen schneller gegangen wäre als mit dem Abschluß von Gesamtvereinbarungen. Trotzdem halte ich es für richtig, daß wir an dieser Einrichtung der Gesamtvereinbarungen festhalten. Wir müssen dann aber auch in Kauf nehmen, daß es länger dauert, als wenn es lediglich von der Exekutive verordnet wird.
Sie mögen aus all dem erkennen, daß es auf dem Gebiete der Rehabilitation keinen Stillstand gibt. Wir werden das Aktionsprogramm Rehabilitation kontinuierlich in allen Bereichen durchführen, und wir werden es fortschreiben. Diese Fortschreibung soll ebenso wie das Aktionsprogramm der Bundesregierung aus dem Jahre 1970 Ansporn und Aufforderung an alle sein, den Behinderten und den von einer Behinderung Bedrohten so weit wie möglich zu helfen.
Bei der Fortschreibung werden wir - um nur einige der Punkte anzusprechen - besonders das Problem der medizinischen Rehabilitation beachten und dabei die Erfahrungen verwerten, die wir bisher gewinnen konnten. Dabei werden wir insbesondere die Verbesserung des Verfahrens zur Meldung von Behinderungen und die Verbesserungen des Systems der Auskunft und Beratung anstreben. Im beruflichen Bereich müssen wir die Möglichkeiten für eine qualifizierte berufliche Bildung der Behinderten sichern und weiterentwickeln und insbesondere die betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten für behinderte Jugendliche vergrößern.
Wir müssen auch dafür sorgen, daß behinderte Kinder so weit wie möglich in den vorschulischen und den schulischen Bereich der nicht Behinderten integriert werden. Soweit dies jedoch nicht möglich ist, sollte ein bedarfsdeckendes Netz von vorschulischen und schulischen Einrichtungen für behinderte Kinder zur Verfügung gestellt werden. Die Teilnahme am Leben der Gemeinschaft durch Einrichtungen der Freizeitgestaltung, behindertengerechten Städtebau und allgemeine Bauplanung soll weiterhin intensiv gefördert und vorangebracht werden. Gerade für die Integration der Behinderten ist dies unbedingt notwendig.
Rehabilitation ist eine Herausforderung an die Gesellschaft insgesamt, die an der Glaubwürdigkeit ihrer sozialen Ziele gemessen wird. Wir sind allen dankbar, die in diesem Sinne mitgewirkt haben.
({20})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich gern den zahlreichen Arbeitgebern danken, die loyal ihrer Beschäftigungspflicht nachkommen, ja, oft ein Übersoll leisten. Mit diesem Dank verbinde ich nochmals den Appell an die anderen, die noch nicht so weit sind, sich hier mit anzuschließen.
({21})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat den Problemen der Eingliederung unserer behinderten Mitbürger in Beruf und Gesellschaft einen hohen politischen Stellenwert eingeräumt. Hierfür sprechen die zahlreichen gesetzlichen Maßnahmen, mit denen die Situation unserer behinderten Mitbürger verbessert worden ist: das Schwerbehindertengesetz, das Rehabilitationsangleichungsgesetz, das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter, die Leistungsverbesserungen für Behinderte in der Sozialhilfe, die Fortschritte bei der flexiblen Altersgrenze - bis hin zur Weiterentwicklung des gesamten sozialen Entschädigungsrechts.
Hierfür spricht auch die Leistung des Bundes in der Kriegsopferversorgung. Insgesamt haben sich die Aufwendungen für diesen Personenkreis trotz seines zahlenmäßigen Rückgangs um fast ein Viertel seit 1970 nahezu verdoppelt. Rund 12 Milliarden DM jährlich gibt der Bund in diesem Bereich aus.
Auf dem Gebiet der Rehabilitation - und zwar der beruflichen und der medizinischen - kann ich Ihnen heute auch die neuesten Zahlen nennen. Hier hat der Bund zur Förderung von Modell- und überregionalen Einrichtungen seit dem Jahre 1970 allein 491,5 Millionen DM aufgewandt, während in der Zeit von 1962 bis 1969 lediglich 51,4 Millionen DM aufgewendet wurden. Das, meine Damen und Herren, ist eine deutliche Dokumentation des Willens der Bundesregierung, sich dieses Problems bevorzugt anzunehmen.
({22})
Natürlich denken wir nicht daran, uns mit dem Geleisteten zufriedenzugeben. Wir werden uns weiterhin intensiv um die Verbesserung der Situation der Behinderten in Beruf und Gesellschaft bemühen.
Lassen Sie mich allen hieran Beteiligten ein ausdrückliches Wort des Dankes sagen, des Dankes für das Bemühen um diese Mitbürger in besonders schwierigen Lagen. Dabei darf ich den Dank an meinen Freund und Vorgänger, Walter Arendt, hervorheben, der auf diesem Gebiet Pionierarbeiten geleistet hat.
({23})
Walter, du kannst sicher sein: Wir werden das so fortsetzen.
({24})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich dem Hause
Präsident Carstens
mitteilen, daß der Anteil der Schwerbehinderten in der Bundestagsverwaltung 8,4% beträgt.
({0}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Braun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst einmal möchte ich feststellen, daß man, wenn man sich die Besetzung der Regierungsbank während dieser Debatte ansieht, den Eindruck gewinnen könnte, die Anliegen der Behinderten beträfen die Aufgaben nur eines Ressorts. Vor allen Dingen bedauern wir, daß bei dem heute morgen zur Diskussion stehenden Thema, wo es um Fragen der Gesundheit, der Familie und auch der Jugend geht, die zuständige Ministerin, Frau Huber, nicht anwesend ist.
({0})
Meine Damen und Herren, Behindertenprobleme kann man nicht in Form eines Kästchendenkens lösen, sondern dabei handelt es sich um eine Frage, die alle angeht, nicht nur das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, sondern die gesamte Bundesregierung.
({1})
Wenn man sich die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ansieht, dann fällt ein Kernsatz auf, der aussagt, daß der beruflichen Rehabilitation besondere Bedeutung zukomme, weil Arbeit und Beruf Grundlage der wirtschaftlichen Existenz seien, die Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl der Behinderten prägten und die Eingliederung ins Berufsleben wichtiger Bestandteil der sozialen Rehabilitation sei.
Herr Minister Ehrenberg, deswegen billigen auch wir von der CDU/CSU-Fraktion der Besetzung der Schwerbehindertenplätze eine so große Bedeutung zu. Nur bin ich der Meinung, es bringt uns nicht weiter, wenn wir heute darangehen, den Schwarzen Peter von der Bundesverwaltung an die Kommunal- und an die Länderverwaltungen weiterzugeben. Ich schließe mich Ihrem an alle gerichteten Appell an. Allerding sollten wir dabei auch berücksichtigen, daß gerade bei Bahn und Post einige zehntausend Stellen auf Grund der besonderen Struktur dieser beiden Unternehmen nicht besetzt werden können. Genauso ist es bei den Ländern, die auf Grund ihrer Struktur - etwa bei der Polizei - ihre Pflichtplätze zum Teil nicht besetzen können. Das liegt nicht daran, daß sie es nicht wollten, sondern - genauso wie bei Bahn und Post - an der besonderen Struktur.
Um den Grundsatz der sozialen Rehabilitation zu verwirklichen, müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. Daher ist die Aussage wesentlich, die beinhaltet, daß die Schaffung von Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten, die Förderung des Behindertensports, die Förderung von Maßnahmen zur Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse sowie die Förderung des behindertengerechten Wohnungsbaus von besonderer Wichtigkeit sind.
Wir müssen allerdings zugeben, daß es noch nicht erreicht wurde, den Behinderten die Möglichkeiten zu bieten, trotz ihrer Beeinträchtigungen möglichst wie Nichtbehinderte am Gemeinschaftsleben teilzunehmen. Jedoch möchte ich dankbar anerkennen, daß in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Selbsthilfe der Behindertenverbände und durch die Verbände der Wohlfahrtspflege manches erreicht worden ist. Hier gebührt meines Erachtens ein herzliches Dankeswort den vielen freiwilligen Helfern, die durch ihren unermüdlichen Einsatz die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß Behinderte am Gemeinschaftsleben teilnehmen können.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, gerade in technischer und baulicher Hinsicht ist noch manches zu tun. Lassen Sie mich daher einige Punkte kurz ansprechen, die unseres Erachtens noch einer Verbesserung bedürfen.
In einer ausführlichen Stellungnahme hat mir der Bundesverkehrsminister mitgeteilt, welche Autobahnraststätten bereits über eine Rollstuhlzufahrt für Behinderte verfügen. Bei den Neubaumaßnahmen für Raststätten, Tankstellen usw. sind Behinderten-WCs grundsätzlich vorgesehen. Es ist aber auch notwendig, daß die vorhandenen Raststätten entsprechend behindertengerecht umgebaut werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang den Verkehrsminister nochmals daran erinnern, daß er mir die Zusage gab, meine Anregungen aufzunehmen und in die alljährlich erscheinende Ferienbroschüre auch Hinweise auf behindertengerechte Raststätten zu geben.
Besondere Schwierigkeiten gibt es nach wie vor bei den Gebäuden, ob alt oder neu, in denen öffentliche Ämter einschließlich Bahn und Post untergebracht sind. Ich möchte hier meine Anregung wiederholen, daß in den Bundesbauverwaltungen jemand dafür verantwortlich zeichnet, daß jedes Bauvorhaben des Bundes dahin gehend überprüft wird, ob es von Behinderten und auch älteren Menschen genutzt werden kann.
({3})
In diese Überprüfungen sollten auch die Fahrkartenautomaten auf Bahnhöfen einbezogen werden.
({4})
Diese Prüfung ist nicht mit einer Stellenvermehrung verbunden. Es kommt nur darauf an, daß in jeder Verwaltung jemand verantwortlich zeichnet.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß in einer Reihe von Städten Behindertenbeiräte gebildet worden sind, die die Anliegen der behinderten Bürger vertreten.
({5})
Aus meiner engeren Heimat kenne ich die Tätigkeit des Behindertenbeirats der Stadt Solingen, der zu allen Bauvorhaben - Neubauten und Umbauten, Straßenbau usw. - Stellung nehmen kann und der es erreicht hat, daß im Rahmen einer verwaltungs10772
internen Anordnung ausgesagt wird, daß bei all diesen Bauvorhaben der Behindertenbeirat zu hören ist. Das ist ein Beispiel, das zum Glück Schule macht und das ich anderen Städten und Kreisen zur Nachahmung empfehlen möchte.
({6})
In den Städten, meine Damen und Herren, in denen die Behinderten selbst beteiligt werden, ihre Welt, in der sie leben müssen, mit zu gestalten, hört man keine Klagen über fehlende Parkplätze für Behinderte oder über fehlende Fernsprechzellen für Rollstuhlfahrer.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Bundesbaugesetz hinweisen, in dem der § 1 ausdrücklich bestimmt, daß bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Belange von Personen, die nach ihren persönlichen Lebensumständen besonderer Hilfen und Einrichtungen bedürfen, insbesondere die Belange geistig und körperlich behinderter sowie alter Menschen zu berücksichtigen sind. Trotzdem mußte die Bundesregierung in ihrem Städtebaubericht noch darauf hinweisen, daß körperlich behinderte Menschen vielen Unzulänglichkeiten der baulichen Umwelt nach wie vor gegenüberstehen, obwohl die Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder Muster für Durchführungsverordnungen zu den Landesbauordnungen verabschiedete, in denen die Belange der Behinderten besonders berücksichtigt wurden. Hier müßte allerdings auch einmal überprüft werden, ob die festgelegten und heute gültigen Wohnflächengrößen noch ausreichend sind und der heutigen Zeit entsprechen.
({7})
Meine Damen und Herren, besonders die Eltern schwerbehinderter Kinder stehen vor der Schwierigkeit, behindertengerechte Wohnungen zu finden, so daß oft unter größten finanziellen Opfern und Schwierigkeiten ein Eigenheim gebaut oder erworben werden muß. Aber hier ergibt sich gleich eine weitere Schwierigkeit, wenn nämlich Pflegegeld für Schwerbehinderte Familienangehörige nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch genommen wird. Aus den Unterlagen, die mir betroffene Eltern zur Verfügung gestellt haben, geht hervor, daß ein Haus, welches im Verkehrswert, nicht Einheitswert, teurer als ca. 135 000 DM ist, als verwertbares Vermögen angesehen wird.
({8})
Das heißt im Klartext, daß entweder die Hilfe eingestellt oder nur als Darlehen gegen entsprechende Eintragung im Grundbuch weitergewährt wird. Hier sollten wir uns darauf verständigen, daß bei der demnächst anstehenden Änderung des Bundessozialhilfegesetzes in § 88 die Formulierung gefunden wird, die auch im Bundesversorgungsgesetz gefunden wurde, indem man das 2. Wohnungsbaugesetz zugrunde legte. Wir würden damit auch dem Geist des Schwerbehindertengesetzes entsprechen, das in § 45 ausdrücklich den Willen zum Ausdruck bringt, die
Vorschriften über Vergünstigungen für Behinderte so zu gestalten, daß die Vergünstigungen der Art und Schwere der Behinderung Rechnung tragen, und zwar unabhängig von der Ursache der Behinderung.
({9})
Zur Teilnahme am normalen Tagesleben gehört auch das Reisen mit der Bahn. In der hier zur Diskussion stehenden Antwort ist der Hinweis auf den eisenbahngerechten Rollstuhl enthalten. Dieser Rollstuhl wurde in den letzten Monaten in 20 Städten des Bundesgebiets getestet. Ich hatte Gelegenheit, mit Rollstuhlfahrern aus meinem Wahlkreis an einer Bahnfahrt teilzunehmen. Mein erster Eindruck: Ich betrachte diesen eisenbahngerechten Rollstuhl als einen ersten Schritt, von der unwürdigen und unmöglichen Regelung fortzukommen, daß Rollstuhlfahrer im Gepäckwagen befördert werden.
({10})
Es muß aber darüber hinaus möglichst auf europäischer Ebene ein behindertengerechter Eisenbahnwagen entwickelt werden, der nicht nur den Behinderten und Rollstuhlfahrern zugute kommen würde, sondern sicher auch vielen älteren Mitbürgern und besonders den Müttern mit Kinderwagen.
({11})
Der Kreis der Betroffenen ist überhaupt viel größer als die Gruppe der Rollstuhlfahrer. Das gilt beispielsweise auch für das Absenken von Bordsteinkanten. Hier wird oft fälschlicherweise gefragt: Wie viele Rollstuhlfahrer gibt es denn in unserer Stadt? Lohnen sich die Ausgaben? Viele Gehbehinderte und ältere Mitbürger haben ebenfalls ihre Schwierigkeiten mit den hohen Bordsteinkanten.
({12})
Abschließend eine Bemerkung zum Behindertensport. Hier ist eine Umwandlung im Gang: vom Versehrtensport, ursprünglich nur für die Kriegsversehrten, zum Sport für alle Behinderten, die allerdings leider noch recht zögernd in die bestehenden bisherigen Versehrtensportgemeinschaften kommen. Das liegt meines Erachtens nicht an Desinteresse, Herr Minister, sondern daran, daß die Bezuschussung bzw. Finanzierung des Behindertensports nach wie vor völlig unbefriedigend und völlig uneinheitlich ist. Das geschieht einmal nach dem Bundesversorgungsgesetz, dann nach der Unfallversicherung, in anderen Fällen auf Grund der Rentenversicherung, in weiteren Fällen nach der Krankenversicherung und schließlich auch nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Die Antwort der Bundesregierung zu diesem Fragenkomplex ist unsicher und unbefriedigend. Wir vermissen eine klare Vorstellung der Regierung, wie hier eine Lösung angestrebt wird. Eine klare Lösung ist notwendig, und zwar bald.
Deswegen haben wir in unserem Entschließungsantrag besonders darauf hingewiesen - und wir müssen das im Ausschuß eingehend beraten -, daß die Schaffung einheitlicher Richtlinien dringend erforderlich ist. Gerade für den Behinderten sind der Sport, die Bewegung und auch die Pflege der Gemeinschaft von besonderer Bedeutung.
Zu dem Hinweis in der Antwort, daß der Bundesminister des Innern im Bereich des Behindertensports zentrale Maßnahmen der Behindertensportverbände fördert, möchte ich nur bemerken, daß wir hier darauf achten werden, daß tatsächlich, wie in der Antwort auf die Große Anfrage ausgeführt, eine Förderung dieser Maßnahmen nach den gleichen Kriterien erfolgt, die bei der Förderung der übrigen Bundessportfachverbände angewendet werden.
1980 findet nicht nur die Olympiade in Moskau statt, sondern auch die Behinderten-Olympiade in Arnheim in den Niederlanden. Wir erwarten, daß die behinderten Sportler, die an dieser Olympiade in Arnheim teilnehmen, in dem gleichen Umfange und in dem gleichen Maße gefördert werden wie die Sportler, die an den Olympischen Spielen in Moskau teilnehmen.
({13})
In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir auch eine Bitte an die Presse, die diese Debatte sicher an den Lautsprechern verfolgt: Berichten Sie auch über die Sportler und über die Leistungen der Behinderten-Olympiade in Arnheim in gleichem Maße wie über die Olympischen Spiele in Moskau.
({14})
Die behinderten Sportler haben es verdient, daß ihre Leistungen auch von der Öffentlichkeit anerkannt werden.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zur Beschäftigungsquote von Behinderten im Bereich der Ministerien eine Vorbemerkung. Hier ist besonders positiv der Berliner Sozialsenator, unser ehemaliger Kollege Olaf Sund zu erwähnen, der in seinem Verantwortungsbereich 25 % Schwerbehinderte beschäftigt.
({0})
Vielleicht könnte dies für andere Bundesländer ein Ansporn sein, ihre Beschäftigungsquote zu überprüfen, auch nachdem der Herr Bundestagspräsident erwähnt hat, wie hoch die Beschäftigungsquote im Bereich der Bundestagsverwaltung ist. Ich denke hier auch besonders an die Landesregierung von Baden-Württemberg, die, wie wir vom Bundesarbeitsminister erfahren haben, wegen Nichterfüllung der Quote Abgaben zu leisten hat. Ich meine, dies ist sicherlich kein besonders rühmliches Zeichen, auch nicht für Frau Griesinger.
({1})
Meine Damen und Herren, die Sozialpolitik für Behinderte hat mit Beginn der sozialliberalen Koalition ihren Anfang und Aufschwung genommen. Seit 1969 sind schrittweise ganz erhebliche Fortschritte für die Behinderten verwirklicht worden. Deshalb gilt auch ein ganz besonderer Dank Walter Arendt für seine in diesem Bereich erworbenen unschätzbaren Verdienste.
({2})
Wir freuen uns aber auch, daß die Opposition einmal mehr die Gelegenheit sucht, sich selbst an den Erfolgen der sozialliberalen Koalition zu wärmen,
({3})
und uns damit die Möglichkeit gibt, darzustellen, was alles für die Eingliederung der Behinderten in Arbeit, Beruf, Gesellschaft, in die Berufs-, Wohn- und Freizeitwelt bisher geleistet worden ist.
({4})
Sozialpolitik für Behinderte ist aber nicht nur ein Festtagsthema und schon gar nicht ein Thema, bei dem man sich mit der Bilanz des Erreichten zufriedengeben könnte. Wir haben dafür gesorgt, daß für die Behinderten nicht nur die Brotreste vom Tisch unserer Gesellschaft abfallen, sondern daß durch eine gesellschaftspolitisch verstandene Sozialpolitik, die in der historischen Verpflichtung des Humanismus und der deutschen Arbeiterbewegung steht, eine neue Qualität in der Sozialpolitik für Behinderte sich in sichtbaren Ergebnissen niedergeschlagen hat. Der schlagkräftige Beweis dafür ist die weitgehende Durchsetzung des Prinzips der Finalität.
Der Behindertensport ist einer jener Bereiche in der Sozialpolitik für Behinderte, wo es bisher noch nicht gelungen ist, dieses Prinzip der Finalität voll zu verwirklichen. Das Rehabilitationsangleichungsgesetz von 1974 hat den Behindertensport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung als eine ergänzende Leistung der Rehabilitation genannt, die erbracht werden soll. Dies geschieht bisher nicht, nur unvollständig bzw. nur unkoordiniert. Der Gesetzesauftrag ist also auch nach mehr als vier Jahren, in denen das Reha-Angleichungsgesetz in Kraft ist, noch immer nicht erfüllt. Die ergänzende Leistung Behindertensport, ist um so wichtiger für alle Rehabilitanten, als es dabei nicht nur um begleitende oder nachsorgende medizinische Maßnahmen geht, sondern Behindertensport eine ganz wichtige Bedeutung für die soziale Wiedereingliederung in die Gesellschaft hat. Der Behinderte kann durch gemeinschaftliche sportliche Betätigung mehr als nur seine Behinderung überwinden, obwohl dies allein schon ein ausreichender Grund ist, auf die Erfüllung des Gesetzesauftrages von 1974 zu drängen.
In Ihrem 4. Sportbericht hat die Bundesregierung Zahlen darüber aufgeführt, wie viele Behinderte von 1970 bis 1977 das Versehrtensportabzeichen des Deutschen Sportbundes erworben haben. Die beachtlichen Zahlen zeigen: Der Behindertensport findet großes Interesse. Sport nicht als Hochleistungssport, sondern als Körperertüchtigung und Sport als Lebenshilfe finden großen Anklang. Der Versehrtensportverband könnte von sich aus für eine größere Verbreitung des Behindertensports mehr als bisher durch differenzierte Angebote und Werbung tun. Der Deutsche Sportbund ist aufgerufen, seinerseits
dazu aktiv zu werden. Die Attraktivität des Behindertensports ist nicht nur eine Frage der Kostenträgerschaft durch die Rehabilitationsträger, sondern es ist auch eine Frage der Sportorganisation.
Zu Recht hat daher Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Rede auf der Arbeitstagung Sport, Gesundheit, Bildung der SPD am 20. November 1978 ausgeführt - ich zitiere, Herr Präsident -:
Aber an die Vereine auch eine Bitte: Vergessen Sie die Minderheiten und die Randgruppen nicht! Ich denke an geistig und körperlich Behinderte, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, denen durch Sport und Bewegung sehr viel geholfen werden kann.
Am weitesten sind die Regelungen zur Durchführung des Behindertensportes nach dem Bundesversorgungsgesetz fortgeschritten. Für den Behindertensport von Kriegsopfern wurden allein in den Jahren von 1975 bis 1977 mehr als insgesamt 18 Millionen DM ausgegeben. 1978 waren es noch einmal mehr als 10 Millionen DM. Ob ähnlich hohe Aufwendungen, vergleichbarer Standard und ähnlicher Umfang des Behindertensports auch durch andere Rehabilitationsträger ermöglicht werden können und ob sie in dieser Weise erforderlich sind, muß sehr sorgfältig geprüft werden. Für Rehabilitanten der gesetzlichen Unfallversicherung sind allerdings die Maßstäbe ,des Behindertensports anzustreben, wie er für die Kriegsopfer angeboten wird. Die Selbstverwaltungen der Rehabilitationsträger haben bisher noch keine Gesamtvereinbarung über den Behindertensport zustande gebracht. Die Schwierigkeiten liegen zweifellos darin, daß hier eine Angleichung des materiellen Leistungsrechts erforderlich ist, wozu das Reha-Angleichungsgesetz keine ausreichende, zumindest keine ausreichend verpflichtende, Rechtsgrundlage bildet. Ob Rechtsanspruch oder Ermessensleistung, ob ohne oder nur mit ärztlicher Verordnung, ob zeitlich unbeschränkt oder zeitlich beschränkt, ob ambulant oder nur im Rahmen stationärer Behandlungsmaßnahmen, wie Kuren, diese Fragen müssen, wenn sie schon auf ,dem Wege der Vereinbarung zwischen den Rehabilitationsträgern bisher nicht gelöst werden konnten, vordringlich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung in Angriff genommen werden.
Sport von Behinderten ist mehr als nur organisierter und aus öffentlichen Geldern finanzierter Behindertensport. Aber was macht ein Schwerbehinderter, der schwer gehbehindert ist, wenn er aus eigener Initiative die Möglichkeit nutzen will, wie jeder andere Bürger im öffentlichen Hallenbad zu schwimmen? Bis er ins Schwimmbecken kommt, muß er in den meisten Bädern einen Hindernislauf hinter sich bringen: Zu hohe Eingangstreppen, zu enge Umkleidekabinen, kein rutschfester Bodenbelag und vieles andere mehr können ihm dann deutlich machen, daß es mit der Beseitigung von baulichen und architektonischen Hindernissen für Behinderte noch nicht weit her ist.
Gemeinden, Länder und Bund müssen hier mit Initiativen vorangehen. Behörden, Theater, Konzertsäle und Museen, Sportstätten und Schulen müssen durch Auffahrtrampen oder Aufzüge alle Räume im Gebäudeinnern erreichbar machen. Auffahrtrampen und hydraulische Hebebühnen müssen den Zugang zu allen Fahrzeugen, die der Personenbeförderung dienen, also bei Straßenbahnen, Omnibussen, aber auch bei der Eisenbahn, für Behinderte ermöglichen. Die öffentliche Hand ist hier in einer besonderen Verantwortung. Die von ihr oder in ihrem Auftrag angebotenen Dienstleistungen müssen für alle Bürger und damit auch für den Behinderten erreichbar sein.
Es darf allerdings auch nicht verschwiegen werden, daß es gute Beispiele gibt. Am Essener Hauptbahnhof kann der Rollstuhlfahrer über einen besonderen Ruf einen Gepäckträger oder andere Hilfe für sich bestellen.
Die Beseitigung bereits vorhandener baulicher und technischer Hindernisse ist sicherlich nur in sehr begrenztem Umfang und auch nur allmählich möglich. Es kommt aber zumindest darauf an, bei der Bauplanung sicherzustellen, daß nicht neue, nicht weitere bauliche und architektonische Hindernisse für behinderte Mitbürger aufgebaut werden.
({5})
Die Gedankenlosigkeit von Baubehörden, Architekten und Bauherren gegenüber den Behinderten läßt sich allerdings nicht durch Gesetzgebung allein überwinden. Der Politik und den Behörden auf allen drei Ebenen unseres föderalistischen Staates in Gemeinden, Ländern und Bund ist es in sehr kurzer Frist gelungen, unsere Städte, unsere Landschaft in einem schon erschreckenden Maße autofreundlich und verkehrsgerecht zu gestalten. Da sollte es auch möglich sein, daß dieselben Behörden, dieselben Verantwortlichen endlich auch in der Lage sind, unsere Städte, unsere Wohngebiete, den Straßenverkehr behindertenfreundlicher und behindertengerechter zu planen und zu gestalten.
({6})
Wenn Hindernisse für Autos kostenträchtig beseitigt werden, dann darf die Erfüllung der Forderung nach Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse für Behinderte nicht am Geld scheitern. Ich rechne daher fest darauf, daß die Bundesregierung bei nächster Gelegenheit auch solche Maßnahmen im Interesse der Behinderten in ihren Förderkatalog aufnehmen wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Bitte.
Herr Kollege Kirschner, teilen Sie meine Auffassung, daß es gerade unter den von Ihnen angesprochenen Gesichtspunkten eine besondere und zusätzliche Belastung für unsere behinderten Rollstuhlfahrer ist, wenn z. B., wie jetzt vorgesehen, der Personenverkehr auf Bundesbahnstrecken, die zu Heilbädern führen, eingestellt und statt dessen Omnibusverkehre eingeJäger ({0})
richtet werden sollen, weil es ihnen dadurch schwieriger wird, diese Kur- und Erholungseinrichtungen zu erreichen?
Herr Kollege Jäger, ich habe, glaube ich, klar erklärt, daß es Aufgabe aller öffentlichen Verkehrsträger sein muß, dafür zu sorgen, daß der Behinderte tatsächlich in der Lage ist, die öffentlichen Verkehrsmittel behindertengerecht zu benutzen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiterfahren. Niemand, so meine ich, sollte sich hinter der vermeintlichen Kompetenz des jeweils anderen zu verstecken versuchen. Wenn immer wieder über zuviel Bürokratie in unserem Land gesprochen wird: Die für unsere behinderten Mitbürger oftmals noch so unfreundlich gestaltete Umwelt beweist, daß das, was wir in den Behörden brauchen, nicht deren Verunsicherung ist, sondern Ermutigung zu mehr Initiative und Aktivität.
({1})
Seit 1969 sind mit Bundesmitteln weit über 13 000 Wohnungen bzw. Wohnplätze für Schwerbehinderte im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gefördert worden. Modellwohnungen mit unterschiedlichen Wohnformen für Behinderte je nach der Art ihrer Behinderung gibt es z. B. in Bonn, Berlin und Hamburg. Was an diesen Wohnungen modellhaft ist, muß aber noch mehr als bisher öffentlichkeitswirksam gemacht werden.
Architekten und Bauherren müssen wissen, daß die Eingänge zu Gebäuden grundsätzlich stufenlos erreichbar sein müssen, sowohl für Behinderte als auch für Eltern, die ihr Kleinkind noch im Kinderwagen fahren. Haustüren müssen eine Mindestdurchgangsbreite von 95 cm aufweisen. Haustürklingeln und Briefkästen müssen im Bewegungsbereich des Behinderten liegen. Wohnungs-, Zimmer- und Außentüren, auch die zum Balkon oder zur Terrasse, müssen breit genug und dürfen nicht mit Schwellen versehen sein. Wohnungen für Schwerbehinderte erfordern eine besondere Ausstattung, die dem Leiden und den besonderen Lebensbedürfnissen angepaßt ist. Dies gilt besonders für die sanitären Einrichtungen. Da muß es eine Umsteigemöglichkeit von einem Zimmerrollstuhl in einen Duschrollstuhl geben. Da muß der Rollstuhl neben der Toilette Platz haben. Im Bad muß es wegen der erhöhten Unfallgefahr für den Behinderten eine Rufanlage geben.
Lassen Sie mich mit folgendem Kernsatz abschließen:
Die Behinderten dürfen im täglichen Leben nicht Umweltbedingungen vorfinden, die sie ständig und schmerzlich an die Tatsache ihrer Behinderung erinnern und sie von der Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ausschließen.
Dies ist der Kernsatz bezüglich der Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse aus dem Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Förderung der
Rehabilitation von Behinderten von 1970. In diesem ganz wichtigen Punkt ist der Appell bei den Adressaten noch nicht richtig angekommen. Der Nachholbedarf bei der Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse ist immens.
Die auf Veranlassung und unter Mitwirkung der Bundesregierung erstellten DIN-Normen haben als Planungsgrundlagen die Erwartungen bisher nicht erfüllen können. Es muß daher nach Auffassung der SPD geprüft werden, ob in Zukunft auf gesetzlicher Grundlage eine zwischen Bund, Ländern und Gemeinden koordinierte Regelung getroffen werden sollte, die alle öffentlichen und privaten Bauträger zur Einhaltung bestimmter Mindestvorschriften im Hinblick auf Erleichterungen für Behinderte verpflichtet.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich der Opposition für die Große Anfrage danken, gab sie doch der Regierung und den sie tragenden Parteien Gelegenheit, in einer, wie ich meine, eindrucksvollen Leistungsbilanz alles das aufzuzählen, was auf dem Gebiet der Behindertenpolitik und der Rehabilitation bisher getan wurde. Ich meine, auch dem Arbeitsminister und seinem Vorgänger muß hier für die geleistete Arbeit Dank gesagt werden.
({0})
Den Vorwurf von Herrn Burger, daß die Antwort auf die Große Anfrage nicht in die Zukunft hinein weise, möchte ich zurückweisen. Herr Burger, Ihre Fragen waren in erster Linie auf eine Bestandsaufnahme und auf die Vergangenheit gerichtet. Ein Teil der Vorwürfe - das haben Sie allerdings deutlich gemacht - geht auch an die Adresse der Länder, Kommunen und Selbstverwaltung. Die Anregungen, die Sie uns geben, wollen wir gerne prüfen und gemeinsam mit Ihnen versuchen, diesen Anregungen zum Nutzen der Behinderten Rechnung zu tragen.
Die Politik dieser Regierung und der sie tragenden Parteien steht in bezug auf Behinderte unter drei Gesichtspunkten. Erstens ist die Verhinderung von Behinderungen zu nennen, zweitens die Gewährung von - sowohl materieller als auch rechtlicher - Hilfe und drittens das Problem der Eingliederung von Behinderten in Beruf und Gesellschaft.
Was den ersten Punkt, die Verhinderung von Behinderungen, angeht, so will ich Sie an die Haushaltsdebatte erinnern. Dort sprach ich - allerdings unter anderen Voraussetzungen - die Vorsorgeuntersuchung bei Schwangeren an.
Herr Kollege Burger, Sie haben dieses Thema dankenswerterweise auch angesprochen. Im Zusammenhang mit den Früherkennungsuntersuchungen für Kinder in den ersten vier Lebensjahren sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß
Eimer ({1})
durch rechtzeitige Maßnahmen Behinderungen nicht entstehen oder Behinderungen so rechtzeitig entdeckt werden, daß Maßnahmen zur Behebung oder Linderung erfolgreich angewandt werden können bzw. könnten. Was uns nicht befriedigt, ist die Tatsache, daß diese Untersuchungen nicht in dem Umfang angenommen werden, wie es nötig ist und wir es uns alle wünschten. Hier muß uns noch einiges einfallen. Herr Burger, ich wäre Ihnen sehr dankbar gewesen, wenn meine Vorschläge, die ich z. B. in der Haushaltsdebatte unterbreitet habe - Koppelung der Vorsorgeuntersuchungen an eventuelle Zahlungen; Sie können dies nachlesen -, damals Ihre Unterstützung gefunden hätten.
In Frage 7 der Opposition, die sich darauf bezieht, wird in der Formulierung zu stark auf die statistische Erfassung abgestellt. Letztere ist zwar wichtig, reicht aber, wie ich glaube, nicht aus. Wir müssen uns vor allem darüber Gedanken machen, wie mir mit dieser Erfassung auch gleichzeitig die Schäden verhindern können.
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Es ist eine Quelle ständigen Ärgernisses für Behinderte - das haben meine Vorredner schon angesprochen -, wenn sie in Städten, Häusern, Behörden feststellen müssen, daß an sie nicht gedacht wurde, daß sie ohne fremde Hilfe nicht weiterkommen. In unserer bebauten Umwelt müssen gerade für Behinderte bessere Bedingungen geschaffen werden. Das Bundesbaugesetz ist in dieser Hinsicht sehr eindeutig. Wir wissen aber, daß unsere Städte nicht erst seit 1969 stehen. Bei zukünftigen Bauten werden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen. Alles beansprucht nun einmal eine gewisse Zeit, ob uns dies paßt oder nicht.
Ich will ein Beispiel anführen. Die herkömmlichen Telefonzellen sind für Behinderte im Rollstuhl nicht geeignet. Es gibt eine Norm für Telefonzellen für Rollstuhlfahrer.
Solche Zellen werden in zunehmendem Maße eingerichtet. Wir können aber natürlich nicht in einer Aktion sämtliche Telefonzellen ändern.
Mein Kollege Braun sprach in seiner Rede von der Überprüfung der Fahrkartenautomaten auf Bahnhöfen. Sie sollten seiner Meinung nach behindertengerecht gestaltet werden. Herr Kollege, ich meine, wenn es dazu kommt, daß Behinderte in Zukunft kostenlos mit der Bundesbahn fahren können, erübrigt sich diese Überprüfung. Dies ist, wie ich glaube, die bessere Maßnahme für Behinderte.
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- Ja, gut, aber was den Fernverkehr angeht, so wissen Sie, daß Behinderte normalerweise eine Begleitperson haben. Im übrigen können Sie für den Fernverkehr keine Fahrkarten aus dem Automaten besorgen, so daß sich eine Überprüfung der Automaten erübrigen würde.
Es gilt jedoch, eine Reihe von Maßnahmen in Angriff zu nehmen, die den Bereich Werkstätten/Ausbildung betreffen. Ich meine hier zwar nicht so sehr die Frage nach einer Rechtsverordnung für Werkstätten - die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 14 zeigt überzeugend, daß die bisherigen Grundsätze zur Konzeption der Werkstatt für Behinderte gut anwendbar sind -; gleichwohl freuen wir uns, daß diese Rechtsverordnung, wie heute angekündigt worden ist, noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll.
Bei Besichtigungen von Behindertenwerkstätten konnte ich feststellen, daß die Werkstätten zur Zeit nicht über einen Auftragsmangel klagen konnten. Es wurden aber Befürchtungen geäußert, daß sich Betriebe durch die Vergabe von Arbeiten an die Werkstätten von der Quote bzw. von der Ausgleichsabgabe freikaufen könnten.
Ich meine aber, daß die Beschäftigung von Behinderten in diesen Werkstätten nur die zweitbeste Lösung ist. Besser ist es, wir beschäftigen Behinderte in Betrieben, wir integrieren sie, soweit das möglich ist, beruflich und gesellschaftlich. Wir sollten uns deshalb Gedanken darüber machen, wie wir das Freikaufen von der Quote bzw. von der Ausgleichsabgabe verhindern können. Die Werkstätten sind zwar wichtig, aber ich meine, daß es, wie gesagt, für die Behinderten besser ist, in Betrieben arbeiten zu können.
Bei der Beschäftigung von Behinderten in Werkstätten sollten wir, meine Damen und Herren, allerdings darauf achten, daß die Ansprüche an die Leistung der Behinderten nicht zu hoch angesetzt werden, weil wir sonst eine Gruppe von Behinderten bekommen, für die Beschäftigung auch als Therapiemaßnahme in Werkstätten nicht mehr möglich ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Überlegung anstellen, ob es nicht zweckmäßig ist, eine Mindestentlohnung für Behinderte in Werkstätten sicherzustellen. Die Träger der Sozialhilfe zahlen pro Platz einen Pauschalbetrag von zirka 8 000 bis 12 000 DM jährlich. Sie lassen sich zur Verminderung dieses Aufwandes 20 bis 40 % des durch die Arbeit Eingenommenen wieder auszahlen mit der Folge, daß für Lohnzahlungen kaum Geld übrigbleibt. Ich meine, wir sollten uns hier Gedanken machen, damit eine entsprechende Entlohnung für Behinderte möglich ist.
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Wir haben auf dem Gebiet der Rehabilitation Behinderter aber noch einige andere Schwachstellen. Eine dieser Schwachstellen betrifft lernschwache und lernbehinderte Jugendliche. Ich möchte der Bundesregierung in diesem Zusammenhang für die Unterstützung der Modellversuche ausdrücklich danken, die zur Zeit bei einigen Handwerkskammern durchgeführt werden, die sich für die Förderung dieses Kreises junger Menschen in hervorragender Weise einsetzen. Ich möchte hier an dieser Stelle meinen Dank wiederholen, den ich den Kammern bereits bei der Diskussion über die Zukunftschancen der jungen Generation ausgesprochen habe.
Gleichzeitig richte ich hiermit die Bitte an die Bildungspolitiker, und zwar hauptsächlich an die in
Eimer ({5})
den Ländern, die Konzepte für Lernbehinderte in Schulen zu überdenken und die bestehenden Konzepte zu verbessern. Es geht darum, daß wir diese Jugendlichen nicht in Sonderschulen isolieren, sondern darum, daß wir sie fördern, damit sie wieder in die „normalen" Schulen eingegliedert werden können.
Lassen Sie mich zum Schluß auf einen Punkt zu sprechen kommen, auf den wir alle stolz sind. Ich meine den Kündigungsschutz. In Gesprächen mit Behinderten - das werden mir meine Kollegen, die auf diesem Gebiet arbeiten, sicher bestätigen können - war gerade der Kündigungsschutz immer wieder Gegenstand von Angriffen gegen uns. Gerade der Kündigungsschutz war immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt. Es wurde von den Behinderten behauptet, daß dieser Kündigungsschutz vor allem ein Schutz für diejenigen ist, die einen Arbeitsplatz haben, daß er aber eine Barriere für diejenigen aufbaut, die noch keinen Arbeitsplatz haben, die sich also einen Arbeitsplatz suchen. Sie behaupten - ich kann das eigentlich nur bestätigen, daß viele Unternehmen Angst haben, Behinderte einzustellen, weil sie glauben, sie könnten dann auf Grund des verstärkten Kündigungsschutzes diese Behinderten, wenn sie nicht geeignet sind, nicht mehr loswerden.
Das ist ein Punkt, über den nachzudenken sich lohnt, nämlich wie wir den Kündigungsschutz erhalten, aber die negativen Auswirkungen für diejenigen Behinderten, die zur Zeit noch keinen Arbeitsplatz haben, beseitigen.
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Der bisherige Stil der Auseinandersetzung gibt mir die Hoffnung, daß wir alle Punkte, die wir, glaube ich, gemeinsam erkennen, im Ausschuß gründlich beraten und in Zukunft zu guten Ergebnissen für die Behinderten bei den Punkten kommen können, die heute noch offen sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meinen Ausführungen nehme ich zur Antwort der Bundesregie rung auf die Fragen 12 und 14 der Großen Anfrage der CDU/CSU Stellung.
Zunächst zur Frage 14. Hier hat die CDU/CSU die kritische Frage gestellt, warum die Bundesregierung die Rechtsverordnung nach § 55 über die endgültige Anerkennung von Behindertenwerkstätten vier Jahre nach Inkrafttreten des Behindertengesetzes immer noch nicht erlassen hat.
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Das vorläufige Anerkennungsverfahren, wie es gehandhabt wird, beseitigt die entstandene Rechtsunsicherheit bei den Werkstätten nicht. Aus der Antwort der Bundesregierung vom 16. Oktober 1978 geht hervor, daß der Bundesminister für Arbeit die Rechtsverordnung noch 1978 vorlegen wird. Meine Damen und Herren, jetzt befinden wir uns im Februar 1979, und das Versprechen ist immer noch nicht eingelöst.
Herr Bundesminister Ehrenberg sagte soeben, daß der Entwurf der Rechtsverordnung fertiggestellt sei und daß das Ministerium vor Erlaß der Verordnung die Beteiligten noch anhören werde, um ihr Verständnis zu finden. Ich frage den Bundesminister, der jetzt nicht anwesend ist: Wäre es nicht besser, das Einverständnis der Verbände zu suchen, statt um ihr Verständnis zu ringen?
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Herr Kollege Burger hat mit Recht gesagt, die Antwort der Bundesregierung weise in den meisten Bereichen in die Vergangenheit zurück, sie sei vergangenheitsbezogen. Das trifft gerade bezüglich der Rechtsverordnung zu; denn die Behindertenverbände und die Werkstätten warten auf diese Rechtsverordnung, die ja das Schicksal der Werkstätten für die Zukunft bestimmt.
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Herr Kollege Kirschner, das sind Versäumnisse der Bundesregierung. Ich weise mit Nachdruck Ihre Vorwürfe gegenüber der Union zurück.
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Ich habe soeben mit Herrn Vizepräsident Stücklen gesprochen. Er könnte ein trauriges Lied über die unglaubliche Bürokratie singen, die bei der vorläufigen Anerkennung einer Behindertenwerkstätte in Weißenburg zutage getreten ist, wo man dem Träger unmögliche Auflagen gemacht hat.
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Wir von der Union können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß die Bundesregierung die Vorlage der Rechtsverordnung bewußt solange hinausgezögert hat, bis die Debatte der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Plenum gelaufen ist. Die Bundesregierung erweckt in ihrer Antwort den Eindruck, als sei die Rechtsverordnung von ihr optimal vorbereitet und nur deshalb noch nicht erlassen worden, weil sie sich angeblich kluge sachdienliche Zurückhaltung auferlegt habe. Die Bundesregierung tut so, als wäre alles in bester Ordnung und praxisgerecht für die 35 000 Behinderten in den Werkstätten geregelt. Dem aber ist nicht so.
Es ist höchst unbefriedigend, heute über die Rechtsverordnung zu sprechen, bevor sie vorliegt und bevor Klarheit darüber besteht, wer eigentlich die Zeche zu bezahlen hat. Zu dieser Klarheit gehört auch, daß sich die Bundesanstalt für Arbeit endlich in dem Maße an den Werkstattkosten beteiligt, wie es entsprechend ihrem tatsächlichen Gewicht und Einfluß nach § 55 des Schwerbehindertengesetzes sein sollte.
In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion weist die Bundesregierung mit Stolz darauf hin, daß von 289 antragstellenden Werkstätten bereits 258 anerkannt wurden. So begrüßenswert diese Zahl ist, so kann uns das Schicksal der Tausenden Behinderten in den 31 nicht anerkannten Werkstätten nicht gleichgültig sein.
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Es ist unbefriedigend, wenn ausgerechnet die Gruppe der Schwerstbehinderten an den Errungenschaften des Schwerbehindertengesetzes nicht oder nicht voll teilnehmen kann. Das ist der Fall, wenn die vorgenannte Rechtsverordnung der Bundesregierung und die neuesten Durchführungsanweisungen der Bundesanstalt für Arbeit so, wie sie geplant und uns bekanntgeworden sind, tatsächlich angewandt werden.
Es muß befürchtet werden, daß Werkstätten für Behinderte, die sich der Schwerstbehinderten mit erhöhtem Pflege- und Betreuungsaufwand annehmen, die Anerkennung nach § 55 des Schwerbehindertengesetzes nicht erreichen werden. Darüber hinaus muß befürchtet werden, daß diese Werkstätten dann auch auf die Mittel der Ausgleichsabgabe sowie auf die Aufträge der Industrie und der öffentlichen Hand verzichten müssen. Schließlich muß befürchtet werden, daß keinem Behinderten innerhalb dieser Werkstatt zum Anrecht auf die Sozialversicherung verholfen werden. kann.
Diese für die Schwerbehinderten rückschrittliche Entwicklung muß von den am schwersten Betroffenen unbedingt abgewendet werden. Ein anderes Verhalten stünde im Widerspruch zu der begrüßenswerten Erklärung der Bundesregierung in der Antwort zur Frage 6, wonach sich die Bundesregierung bei der Verbesserung der Situation der Behinderten von humanitären sowie sozialen und gesellschaftspolitischen Erwägungen leiten läßt, denen gegenüber wirtschaftliche Überlegungen zurücktreten müssen. Was die praktische Anwendung dieser richtigen Aussage im Zusammenhang mit der zu erwartenden Rechtsverordnung betrifft, werden wir die Bundesregierung beim Wort nehmen.
Bezüglich des Begriffs einheitliche Werkstatt genügt es nicht, darunter nur die räumliche Unterbringung der Behinderten unter einem Dach zu verstehen, sondern es muß die Eingliederung aller gemeinschaftsfähigen Behinderten ermöglicht werden. Auf diese Weise sollen unnötige Kosten für Extraeinrichtungen vermieden werden. Diese Auslegung steht nicht im Widerspruch zu § 52 des Schwerbehindertengesetzes. Im Gegenteil: Sie deckt sich voll mit dem Willen des Gesetzgebers. Die CDU/CSU- Fraktion legt Wert darauf, daß im Einvernehmen mit den Behindertenverbänden und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Werkstätten eine zufriedenstellende Lösung gefunden wird, die deren Konzeption vom September 1978 berücksichtigt.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, auch auf das Schicksal der sonstigen Werkstätten für Behinderte zu achten. So beklagt sich eine Werktstatt mit 50 Behinderten, daß sie die Anerkennungsauflage der Bundesanstalt für Arbeit bis zum Ablauf der Übergangsperiode am 30. April 1979 nicht mehr erfüllen könne, zumal ein von der Arbeitsverwaltung dem Betrieb nahegelegter Verbund einfach nicht realisierbar sei. Eine Hilfe für diese und andere Einrichtungen wäre es, wenn in der neuen Rechtsverordnung verankert wird, daß bisher gleichbehandelten Einrichtungen, die die Auflage der Bundesanstalt noch nicht erfüllt haben, eine vorläufige Anerkennung bis zum Ablauf des Jahres 1982 gewährt wird.
Ein schwerwiegendes Problem kommt auch darin zum Ausdruck, daß bei der Arbeitsverwaltung ca. 60 000 Schwerbehinderte als arbeitslos gemeldet sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat dieses Problem ebenfalls angesprochen. Von diesem Personenkreis ist eine Vielzahl wegen Art und Schwere der Behinderung und wegen der verschärften Arbeitsanforderungen noch nicht in der Lage, eine baldige Eingliederung in den Betrieb bzw. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen.
Was den letztgenannten Personenkreis betrifft, ersuchen wir die Bundesregierung, in Verbindung mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Werkstätten zu prüfen, ob diese Behinderten in die Werkstätten aufgenommen werden können, ohne eine Verdrängungsgefahr für die jetzt in den Werkstätten befindlichen Behinderten auszulösen. Wir haben dieses Anliegen auch in Ziffer 7 der Entschließung angesprochen.
Eine sachgerechte und sichere Aufbringung der Mittel für die Werkstätten setzt voraus, daß die Bundesanstalt für Arbeit ihre bisherige negative Haltung aufgibt, den § 9 Abs. 2 der Anordnung über die Rehabilitation abschafft und endlich neben den Trägern der Sozialhilfe einen angemessenen Teil der ungedeckten Kosten der Werkstätten übernimmt, mindestens die Kosten des Trainingsbereichs und solche, die nach Abschluß des Trainingsbereichs entstehen.
Bisher beschränkt die Bundesanstalt für Arbeit ihre Leistungen noch immer auf die relativ wenigen Behinderten in Werkstätten mit mindestens einem Drittel der Leistungsfähigkeit eines Nichtbehinderten. Diese Förderungen erhalten kaum 10 % der Werkstattinsassen. Die gesamten übrigen ungedeckten Kosten für die zirka 90 % weniger leistungsfähigen Behinderten müssen derzeit fast ausnahmslos die Sozialhilfeträger übernehmen. Dieses wichtige Anliegen sprechen wir in Ziffer 7 des Entschließungsantrages an.
Von einem Teil der Verbände werden Beschwerden geführt, die einer Prüfung bedürfen. Kritisiert wird, daß der Hauptkostenträger, nämlich die Sozialhilfe, im Rehabilitations-Ausgleichsgesetz nicht als Rehabilitationsträger genannt ist, daß zweitens die Frage noch ungelöst ist, wer durch die Behinderung bedingte Mehraufwendungen im Produktionsbereich für die Behinderten übernimmt. Drittens. Von einigen Behindertenverbänden wird die Forderung erhoben, auch für die Behinderten in den Werkstätten eine dreijährige berufliche Ausbildungszeit zu verlangen und einheitliche Berufsbilder zu schaffen. Viertens. Während sich die Regelung nach der Verrechnung von Industrieaufträgen auf die Ausgleichsabgabe bewährt hat, kommt die öffentliche Hand ihren Verpflichtungen kaum nach.
Bezüglich der Frage 12 stimmen wir mit der Antwort der Bundesregierung überein, daß sich die Sozialversicherung für Behinderte positiv auswirkt. Offen bleiben einige wesentliche Mängel des Gesetzes, vor allem der gewaltige VerwaltungsaufGeisenhofer
wand der Träger, die sich beschweren, daß sie zum Teil bis zu 50 verschiedene Krankenkassen bei der Abrechnung berücksichtigen müssen. Hier wird die Bundesregierung zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung ersucht, zu prüfen, ob auf Landesebene ein Pool eingerichtet werden kann, aus dem die Kassen einerseits und die Werkstätten andererseits einfacher bedient werden können. Offen bleibt auch die Geschicklichkeit mancher Sozialhilfeträger, Gruppen von Behinderten von der Regelung des Gesetzes auszunehmen. Offen bleibt ferner die Lage der psychisch Kranken und der Behinderten, die in nicht anerkannten Werkstätten arbeiten, vor allem in therapeutischen Werkstätten der Landeskrankenhäuser. Die Träger dieser Häuser haben kein Interesse, ihre Werkstätten anerkennen zu lassen, weil sie die großen Kosten der Sozialversicherung fürchten.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die kritischen Bemerkungen der CDU/CSU-Fraktion bei der Rechtsverordnung zu berücksichtigen. Die CDU/ CSU-Fraktion sagt allen Frauen und Männern, die sich in den Werkstätten und auf allen Ebenen der Behindertenfürsorge verdient gemacht haben und die tagtäglich eine Unsumme von Opfern und Mühen auf sich nehmen, Dank und Anerkennung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Nehm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein wesentliches Instrument zur Eingliederung Behinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft ist das Schwerbehindertengesetz. Alle Behinderten haben seit dem 1. Mai 1974 ein Sonderrecht auf Beschäftigung und Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Die Arbeitsmarktsituation für diesen Personenkreis hat sich mit dem Schwerbehindertengesetz entscheidend verbessert. Sie ist keineswegs befriedigend, aber sie wäre ohne das Schwerbehindertengesetz bei weitem nicht so, wie sie heute tatsächlich ist.
Der Kündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz muß strenger gehandhabt werden. Die Hauptfürsorgestellen müssen bei der Praxis der Genehmigung von Arbeitgeberkündigungen einen strengen Maßstab anlegen. Bei Überbrückungshilfen nach ausgehandelten Sozialplänen wird für den Behinderten eine allzu oft kurzsichtige Rechnung aufgemacht, weil der Behinderte es ja sehr viel schwerer hat, später wieder einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden.
Das System der Beschäftigungspflicht nach dem Schwerbehindertengesetz hat sich hervorragend bewährt. Leider wird die Beschäftigungspflichtquote immer noch nicht von allen Arbeitgebern erfüllt, auch nicht von der öffentlichen Hand. Positiv zu werten ist, daß die Zahl der besetzten Pflichtplätze kontinuierlich gestiegen ist. Bei rund 16,4 Millionen zu zählenden Arbeitsplätzen gibt es rund 980 000 Pflichtplätze, also 6 %. Im Oktober 1975 waren 623 000 Plätze besetzt, also 3,8 %. Im Oktober 1976 waren es 671 000 Plätze, also 4,1 %. Bis Ende 1977 stieg die Zahl der besetzten Plätze auf 737 000, also 4,5%. Es wird geschätzt, daß Ende letzten Jahres die Quote auf 4,8 % gestiegen ist, und Ende dieses Jahres dürften 5 % erreicht werden.
Die Pflichtquote zur Beschäftigung Schwerbehinderter ist nicht, wie von seiten der Opposition behauptet wird, zu hoch bemessen. Ein Überhang, eine Vermittlungsreserve an Pflichtplätzen ist notwendig, um den Bedarf an Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte zu decken.
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Voll- und teilzeitarbeitslose Schwerbehinderte sind unterzubringen. Die schwerbehinderten Schulabgänger sowie die Absolventen außerbetrieblicher beruflicher Bildungs- und Rehabilitationseinrichtungen müssen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhalten können. Wenn es richtig ist, daß die sogenannte Erfüllungsquote im nächsten Jahr auf 5,2 % steigt, muß man sich im Gegenteil fragen, ob die Pflichtquote mit 6 % noch richtig bemesen ist.
Die Ausgleichsabgabe, die für jeden nicht besetzten Pflichtplatz zu zahlen ist, beträgt seit 1974 unverändert 100 DM je Monat. Ich halte die Frage für berechtigt, ob die Ausgleichsabgabe, die 1974 richtig bemessen war, auch fast fünf Jahre später noch als angemessen erscheinen kann.
Die Verbessrung der Arbeitsmarktsituation ist eine allgemeine Notwendigkeit. Der Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter aber ist dabei eine vordringliche Aufgabe. Der Deutsche Bundestag hat die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte stufenweise herabgesetzt. Mit dem ersten und dem zweiten Sonderprogramm zur verstärkten Bereitstellung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte wurden die Vermittlungsbemühungen der Bundesanstalt für Arbeit und deren Vermittlungsoffensive unter Einsatz von mehr Vermittlern sinnvoll ergänzt. Im letzten Jahr konnten mit diesen Hilfen rund 9 600 Schwerbehinderte in Arbeit und Beruf eingegliedert werden, darunter 1 800 Jugendliche, die auf betriebliche Ausbildungsplätze vermittelt werden konnten.
Die Laufzeit des zweiten Sonderprogramms sollte um ein Jahr verlängert werden. Förderungsmittel sollten jedoch künftig nur noch an die Arbeitgeber vergeben werden, die ihre Beschäftigungspflicht nach dem Schwerbehindertengesetz bereits erfüllt haben und zusätzlich Schwerbehinderte einstellen oder wegen der geringen Zahl der Beschäftigten gar nicht beschäftigungspflichtig sind.
Mit Interesse stelle ich fest, daß auch die Opposition den Problemen derjenigen unserer behinderten Mitbürger, die auf Werkstätten für Behinderte angewiesen sind, ihre Aufmerksamkeit schenkt. Die Werkstatt für Behinderte ist aus verschiedenen Gründen unter allen Einrichtungsarten der beruflichen Rehabilitation diejenige, die die meisten Probleme aufwirft. Wir wären in dem Bemühen, die berufliche und soziale Integration dieser besonders betroffenen Behinderten voranzutreiben, übrigens ein gutes Stück weiter, wenn die sozialliberale Koalition nicht erst 1969 mit einer planmäßigen und zielgerichteten Politik für Behinderte hätte beginnen müssen.
CDU-Regierungen hatten bis dahin so gut wie nichts vorzuweisen.
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Im Schwerbehindertengesetz von 1974 sind erstmals die Grundzüge einer einheitlichen Werkstattkonzeption entwickelt worden. Die Werkstätten sind danach primär Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, die es einem großen Kreis von Schwerbehinderten erst ermöglicht, die ihnen verbliebenen Fähigkeiten zu entwickeln, einer Beschäftigung nachzugehen und einen angemessenen, leistungsorientierten Lohn zu verdienen, einen Lohn, der es ihnen ermöglicht, die Lebensgrundlage wenigstens zum Teil aus eigener Kraft sicherzustellen.
Die erreichten Fortschritte sind unverkennbar. Wir haben schon heute ca. 270 anerkannte Werkstätten mit ungefähr 36 000 Plätzen. Nach der absehbaren Bedarfslage muß das Angebot an Werkstättenplätzen aber auf 60 000 aufgestockt werden. Die Länder und Rehabilitationsträger sollten übrigens zur Finanzierung dieser wichtigen Aufgabe ihren Beitrag leisten. Wir erwarten, daß die Werkstättenverordnung Näheres über die fachlichen Anforderungen an die Werkstatt für Behinderte bestimmen wird.
Die Bundesregierung hat angeführt, weshalb es zweckmäßig war, die Verordnung nicht vorschnell zu erlassen. Wir wissen, daß der Bundesarbeitsminister bei der Vorbereitung der Rechtsverordnung jedenfalls mehr Gespür für partnerschaftliche Zusammenarbeit bewiesen hat als z. B. der niedersächsische Sozialminister, der die Behinderten und ihre Verbände mit einem Runderlaß vom 20. Oktober 1978 über sozialhilferechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Werkstatt für Behinderte vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Trotzdem: Die Zeit ist jetzt reif; die Werkstättenverordnung muß alsbald erlassen werden.
Die im Schwerbehindertengesetz festgelegte, mit dem Begriff „Mindestmaß an Leistungsvermögen" umschriebene Untergrenze für die Aufnahme in eine Werkstatt stellt sicher, daß die Werkstätten für alle Behinderten offenstehen, mit dem Ziel der Eingliederung in das Arbeitsleben gefördert werden können und wenigstens ein Minimum an Arbeitsleistung erreichen können.
Die Schwerbehinderten, die extrem pflegebedürftig, bettlägerig oder nicht gemeinschaftsfähig sind, dürfen nicht im Stich gelassen werden. Schwerbehinderte, die ausschließlich der Therapie, der Pflege und der Betreuung bedürfen, können nach unserer Vorstellung in Einrichtungen Aufnahme finden, die der Werkstatt räumlich und tatsächlich angegliedert sind, sofern Sondereinrichtungen - etwa auf dem flachen Land - mangels ausreichenden Bedarfs, nicht zur Verfügung stehen.
Die Werkstättenverordnung kann nicht alle Probleme im Werkstattbereich lösen. Unbefriedigend ist die Anordnung der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter, die eine Leistungsfähigkeit von mindestens einem Drittel derjenigen eines Nichtbehinderten in vergleichbarer Funktion zur Voraussetzung für ihre Förderung macht. Außerdem ist die Rechtsstellung der Behinderten in den Werkstätten zu verbessern und das derzeit noch bescheidene Lohnniveau zu heben. Das Recht der Sozialhilfe sollte so geändert werden, daß insbesondere die im Arbeitsbereich der Werkstatt tätigen Behinderten stärker am Ertrag ihrer Arbeit beteiligt werden.
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Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion versteht sich seit jeher als Anwalt der Behinderten im Kampf um die Durchsetzung deren berechtigter Interessen.
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Die Leistungsbilanz, die wir und die von uns getragene Bundesregierung vorzeigen können, kann sich, gemessen auch an internationalen Maßstäben, sehen lassen. Wir Sozialdemokraten werden im Interesse der Behinderten unsere erfolgreiche Sozialpolitik für Behinderte energisch fortsetzen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab möchte ich sagen, daß ich die Große Anfrage der Opposition begrüße, weil sie uns Gelegenheit gibt, nicht nur Bilanz zu ziehen, sondern auch sachlich und kritisch einmal an Hand der Erfahrungen, die wir mit einigen Gesetzen inzwischen machen konnten, zu überprüfen, wo Mängel beseitigt werden müssen, wo Defizite abgebaut werden müssen. Deshalb ist dieses Thema auch nicht geeignet, parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen.
({0})
- Nur, meine Damen und Herren von der Opposition, ware gerade in Ihren Wortbeiträgen dieser Versuch zu erkennen.
({1})
- Ja, Herr Kollege Burger, Sie sagen z. B., das Aktionsprogramm 70 sei verbraucht. Ich würde sagen: Das Aktionsprogramm 70 ist erfüllt. Hier ist etwas Positives anzumerken: ein Aktionsprogramm, das in der Umsetzung dazu geführt hat, daß wir uns im internationalen Maßstab mit unserer Behinderdengesetzgebung wirklich nicht nur sehen lassen können, sondern Beispiele gesetzt haben. In keinem Zeitraum bundesrepublikanischer Sozialpolitik wurde für die Behinderten soviel getan wie gerade in den letzten acht Jahren.
({2})
Dies haben wir gemeinsam getan. Dies ist im Ausschuß, wie wir uns als Sozialpolitiker alle erinnern können, auch in der letzten Legislaturperiode in großem Einvernehmen erfolgt. Ich denke, auch wenn wir öffentlich debattieren, sollte dies nicht verschwiegen werden.
({3})
Ich möchte in diesem Zusammenhang dem ehemaligen Arbeitsminister Walter Arendt einen Dank abstatten, der gerade in diesem Bereich mit sehr großem persönlichen Engagement für die Lösung der anstehenden Probleme gesorgt hat.
({4})
Dies ist sicherlich keine Schmälerung der Verdienste des amtierenden Arbeitsministers.
Meine Damen und Herren, wenn wir auf die Sozialpolitik der letzten vier Jahre im Behindertenbereich zurückschauen, dann ragen hier zweifellos zwei Gesetze heraus. Es ist einmal das Schwerbehindertengesetz, und es ist zum anderen das Rehabilitationsangleichungsgesetz. Diese waren zweifellos die wichtigsten Gesetze, die der Bundestag im Rahmen des Aktionsprogramms zur Rehabilitation verabschiedet hat; denn beide Gesetze stellen sicher, daß gleiche Leistungen unabhängig von der Ursache der Behinderung erbracht werden. Vor allem durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz wurde sichergestellt, daß unabhängig von der Ursache der Behinderung und unabhängig von Zuständigkeitsfragen weitgehend einheitliche Leistungen gewährt werden und ein möglichst nahtloses und zügiges Rehabilitationsverfahren stattfindet. Nun sind diese Gesetze vier Jahre in Kraft, und - ich sagte es schon - jetzt ist ein geeigneter Zeitpunkt, einmal Bilanz zu ziehen und auch einige kritische Anmerkungen zu machen.
Allgemein und für diese Gesetze im besonderen gilt, daß es wohl weniger gesetzlicher Korrekturen bedarf, sondern daß es vielmehr darum geht, Mängel in der praktischen Anwendung abzustellen,
({5})
Lücken zu schließen, insbesondere auch im institutionellen Bereich. Die Produktion von Gesetzen alleine bringt keinen Fortschritt für die Behinderten.
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Lassen Sie mich hierzu einige Anmerkungen machen.
In die Erfolgsbilanz gehört selbstverständlich hinein, daß z. B. bei der Eingliederung der Behinderten in den Beruf erhebliche Mittel, erhebliche Investitionskostenzuschüsse, Lohnkostenzuschüsse aufgewendet wurden, um arbeitslose Schwerbehinderte wieder in den Beruf zu bringen.
Auch die Herabsetzung der Altersgrenze, die wir kürzlich beschlossen haben - in zwei Stufen: von 62 auf 61 und von 61 auf 60 Jahre -, gehört hierzu; nicht zuletzt der Gesetzentwurf zur unentgeltlichen Beförderung von Behinderten im Nahverkehr und die Regelung für Begleitpersonen im Fernverkehr.
Herr Kollege Braun, um das nochmals anzusprechen: Auch mir wäre es lieber, wenn wir gemeinsam mit Ihren Freunden im Bundesrat - denn da hängt's fest - schnellstens dafür sorgen würden, daß wir diesen Gesetzentwurf verabschieden können. Dann brauchen wir uns nicht über behindertengerechte Fahrkartenautomaten an Bahnhöfen der
Bundesbahn zu unterhalten. Die brauchen die Behinderten dann nicht. Denn für eine Fernfahrt müssen sie sowieso zum Schalter. Die kriegen sie nicht über den Fahrkartenautomaten.
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- Ich weiß. Ich meine das sachlich. Ich wollte in diesem Zusammenhang nur einmal auf die Notwendigkeit der Verabschiedung dieses Gesetzes hinweisen, das ja nun seit Jahren unerledigt dort liegt, nachdem es 1974 am Widerstand des Bundesrates
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- auch sozialliberal regierter Länder, Herr Kollege Hasinger; ich biete Ihnen kleine Blöße - gescheitert ist.
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- Ja; gut. Ich spreche mit dem Finanzminister Matthöfer, der 1974 sehr global gesagt hat, man solle die Ausgaben auf das Lebensnotwendige beschränken. Nur bin ich der Meinung: Auch 1974 war es etwas Lebensnotwendiges, den Zivilgeschädigten die Rechte zuzugestehen, die für die Kriegsversehrten selbstverständlich waren. Finanzminister Matthöfer hat nicht gesagt, daß dieses Gesetz nicht verabschiedet werden soll.
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Ich hoffe, wir schaffen es in den nächsten zwei, drei Monaten.
({11})
- Sie wissen selber aus den Ausschußberatungen in dieser Woche - und dort haben wir ja sachlich diskutiert; wir sollten das auch hier tun, Herr Kollege Hasinger -, daß es nicht in der Entscheidung des Bundestages liegt, wieweit der Bundesrat bereit ist, die ihm gesetzlich übertragenen Pflichten zur Finanzierung zu übernehmen.
({12})
Ich begrüße es, daß in der Antwort auf Ihre Große Anfrage, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht nur eine Zwischenbilanz und nicht nur eine Rechtfertigung dessen, was geschehen ist, abgegeben wurden, sondern auch ein Blick in die Zukunft getan wurde. Ich begrüße besonders, daß hier der Schwerpunkt in Bereichen gesetzt wird, in denen zweifellos noch mehr getan werden muß, z. B. bei der Förderung der Vorsorgeuntersuchungen, bei der Verwirklichung von behindertengerechten vorschulischen und schulischen Einrichtungen, bei der Vereinheitlichung der Ausbildungsregelung, bei der Verbesserung der Wohnsituation. Ich will nicht den ganzen Katalog hier wiedergeben; dies ist nachzulesen. Vor allem ist es ein zentraler Punkt, dafür zu sorgen, daß wir ein geschlossenes System von zeitgemäßen Rehabilitationseinrichtungen für alle Bereiche der Rehabilitation bekommen.
Dennoch sind einige kritische Anmerkungen zu machen, z. B. zum Schwerbehindertenrecht. In der Antwort der Bundesregierung heißt es:
Ein Verdrängungswettbewerb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu Lasten der Behinderten konnte mit Hilfe des Schwerbehindertengesetzes, insbesondere durch Beschäftigungspflicht und Kündigungsschutz verhindert werden.
Dies ist zweifellos richtig. Beschäftigungspflicht und Kündigungsschutz bieten den im Erwerbsleben stehenden Schwerbehinderten einen Schutz, der sich qualitativ erheblich von dem unterscheidet, den ein anderer Arbeitnehmer hat. Aber - der Kollege Eimer hat es angesprochen, und weil es für uns von Bedeutung ist, möchte ich es wiederholen - für jene, die aus dem Erwerbsleben heraus sind - aus welchen Gründen auch immer -, wirkt dieser Kündigungsschutz - der kein absoluter ist; dies wird in der Antwort mit Recht festgestellt - als eine so große Hemmschwelle, daß arbeitslose Schwerbehinderte - hier beziehe ich mich auf Meinungen, die sie im persönlichen Gespräch geäußert haben - doch recht leidenschaftlich bitten: Sucht nach Regelungen, durch die unsere Startchancen, wieder in den Beruf zu kommen, verbessert werden! Wir sollten gemeinsam überprüfen, wie dies zu bewerkstelligen wäre: etwa durch Verlängerung der Probezeit, durch ein System von Werkverträgen oder wie auch immer. Ich denke, wir sollten uns hiermit befassen.
Dies ist keine soziale Demontage, es ist vordergründig, formal gesehen, vielleicht eine Auflockerung des Kündigungsschutzes, dient aber letzten Endes dem sozialen Schutz der Schwerbehinderten. Denn was nützt ihnen ein Kündigungsschutz, der - auch aus psychologischen Gründen - dazu führt, daß sie in vielen Fällen gar nicht erst unter das Dach dieses Kündigungsschutzes kommen können?
Ausbildungsplätze für Schwerbehinderte: Wir haben einen Gesetzentwurf der Opposition, der noch zur Beratung ansteht. Ich habe aber in der Vergangenheit nicht gehört, daß Sie besonderen Wert darauf legen, daß er zügig beraten wird, denn so, wie Sie sich die Begünstigung von schwerbehinderten Jugendlichen vorstellen, damit diese einen Ausbildungsplatz bekommen, geht es nicht, etwa daß Sie die schwerbehinderten Jugendlichen nicht nur bei der Zählung der Arbeitsplätze aus dem Gesetz herausnehmen wollen, sondern im Grunde auch auf der positiven Seite herausnehmen wollen, wenn es um den Schutz für diese schwerbehinderten Jugendlichen im Betrieb geht.
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Ich habe damals in der ersten Lesung dazu gesprochen. Ich halte eine andere Regelung für besser.
({14})
Wenn das Schwerbehindertengesetz für kleine und mittlere Unternehmungen überhaupt eine Hürde darstellt, Schwerbehinderte und jugendliche Schwerbehinderte einzustellen, dann wäre der einfachere Weg nicht eine Gesetzesnovelle, sondern eine Rechtsverordnung, in der die Grenze der Beschäftigtenzahl von heute 15 auf 30 angehoben wird. In
der Antwort der Bundesregierung wird hierzu ja auch eine positive Aussage gemacht. Ich hoffe, daß dies bald realisiert werden kann.
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In diesem Zusammenhang ist auch ein kritisches Wort zum öffentlichen Dienst zu sagen. Ich bedaure außerordentlich, daß bestimmte Bereiche des öffentlichen Dienstes bisher nicht in der Lage waren, 6% ihrer Beschäftigungsstellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Ich möchte hier negativ beispielhaft die Bundespost nennen. In einem Gespräch mit dem Vertreter einer OPD ist mir kürzlich gesagt worden, dies sei so schwierig, weil die Stellenbeschreibungen für bestimmte Funktionen bei der Bundespost die Einstellung von Schwerbehinderten nicht ermöglichten. Meine Damen und Herren, dann muß man diese Stellenbeschreibungen eben ändern! Denn dies ist kein Argument. Diese Schwierigkeiten gibt es in der Wirtschaft auch.
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Der öffentliche Dienst muß hier beispielhaft vorangehen. Wir können nicht von der Wirtschaft mehr verlangen, als der öffentliche Dienst zu tun bereit ist.
In dem Zusammenhang eine Frage an den Bundesrechnungshof, der sich sonst mit großem Fleiß bis ins letzte Detail mit der Verwendung öffentlicher Mittel beschäftigt. Mich wundert es ein bißchen, daß der Bundesrechnungshof noch keine Kritik daran geübt hat, daß hier Steuermittel umgeleitet werden, daß hier, anstatt daß Schwerbehinderte eingestellt werden, Ausgleichsabgaben gezahlt werden, auch wenn diese wieder einem guten Zweck zugeführt werden. Sinn des Gesetzes war es aber nie - das haben wir in allen drei Fraktionen gesagt -, daß Ausgleichsabgabe gezahlt wird, sondern Ziel des Gesetzes war es, daß Schwerbehinderte beschäftigt werden. Mein Vorschlag an den Bundesrechnungshof ist - ich sage dies hier in aller Öffentlichkeit -, sich dieses Themas doch einmal anzunehmen. Vielleicht bekommen wir dann ein bißchen Druck auf bestimmte Behörden, ihre Pflichten zu erfüllen.
Ich halte es auch nicht für so ganz überzeugend und so ganz sauber, wenn in einigen Behörden - ich meine jetzt nicht die Bundespost - Fragebögen durch die Amtsstuben gehen, in denen nachgeforscht wird: Wer könnte eigentlich Schwerbehinderter sein? Man will damit möglichst viele neue Schwerbehinderte sammeln, entdecken, um die Pflichtquote zu erfüllen. Es wäre besser, solche Aktionen zu unterlassen und es der Entscheidung des einzelnen zu überlassen, ob er einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter stellen will. In erster Linie sollte dafür gesorgt werden, daß z. B. aus dem Kreis der arbeitslosen Schwerbehinderten Einstellungen für den öffentlichen Dienst erfolgen.
Ich möchte nicht viel zum Rehabilitationsangleichungsgesetz sagen, nur auch hier wieder feststellen, daß gesetzliche Korrekturen, wenn wir einmal von der Einbeziehung des Bundessozialhilfegesetzes in das Reha-Angleichungsgesetz absehen, ein notwendiger Schritt sind, der vollzogen werden muß, wobei es hier auch nicht so sehr darauf anHölscher
kommt, was der Bundestag will, sondern was der Bundesrat dazu sagt. Dies ist ja mit Kosten verbunden. Abgesehen von dieser notwendigen Abrundung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes, auch unter Einbeziehung des Rechts des öffentlichen Dienstes, geht es hier mehr darum, im institutionellen Bereich in der Anwendung des Gesetzes Lükken zu schließen. Ich muß hier kritisch feststellen: Obwohl ich selbst bei der ersten, zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes 1974 darauf hingewiesen habe, wie notwendig es ist, daß die Selbstverwaltung ihre im Rahmen dieses Gesetzes übertragenen Aufgaben erfüllt, gibt es bis heute keine flächendeckenden Beratungsstellen. Die Selbstverwaltung wird irgendwann keine Selbstverwaltung mehr sein, wenn sie diese und andere Pflichten nicht erfüllt. Der Gesetzgeber muß dann zwangsläufig reagieren, die Sachen an sich ziehen. Das wollen wir eigentlich wohl alle nicht.
Lassen Sie mich abschließend noch einige allgemeine Fragen ansprechen. Ich denke, wir tun sehr viel für die Behinderten, wenn es um ihre Eingliederung in den Beruf geht. Hier wird zweifellos sehr viel getan. Aber tun wir auch genug für die Menschen, bei denen nicht zu erwarten ist, daß sie für diese Gesellschaft wieder eine Leistung abwerfen, um dies einmal ganz grob so zu formulieren? Das ist eine Frage in den Teilen der Sozialpolitik, die sehr stark leistungsbezogen orientiert sind.
Ich hatte eine Besuchergruppe mit Multiple-Sklerose-Kranken in Bonn. Erst einmal haben mir die Leute nach den Gesprächen, die sie z. B. im Arbeitsministerium führen konnten, gesagt: Das ist alles sehr gut, was dort gemacht worden ist, aber im Grunde genommen gilt kein Gesetz für uns. Das sind alles Gesetze, die für diejenigen gelten, von denen man glaubt, daß sie durch Umschulung und durch medizinisch-soziale Rehabilitation wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können, nicht aber für uns. Hier ist vielleicht sogar die ganz entscheidende Lücke zu sehen, denn wir dürfen die Leistungsgesellschaft nicht so vordergründig verstehen, daß nur nach dem materiellen Wert eines Menschen für den Arbeitsprozeß gefragt wird und daß allein als Konsequenz daraus dann politische Entscheidungen getroffen werden. Wir brauchen z. B. mehr Schonarbeitsplätze für ehemals psychisch Kranke, um sie wieder einzugliedern. Ich wünsche mir, daß wir hier auch den Arbeitgebern Anreize geben können, die es dann ermöglichen, so etwas zu vollziehen. Deshalb sollten wir uns gemeinsam weiterhin um eine erfolgreiche praktische Fortsetzung dieser Politik bemühen und vielleicht weniger unsere Aufgaben in der Produktion von Gesetzen sehen. Wir sollten dafür sorgen - wir alle -, daß draußen nicht nur mehr Verständnis für die behinderten Mitbürger erweckt wird, sondern daß auch diejenigen, die für die Umsetzung unserer Gesetze verantwortlich sind, uns und unsere Gesetze ernst nehmen.
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Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hasinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Herrn Hölscher bin ich nicht der Auffassung, daß die Antwort der Bundesregierung mehr auf die Zukunft und weniger auf die Vergangenheit eingeht. Ich glaube, die Antwort zeigt, daß die Bundesregierung zu einer konzeptionellen Weiterentwicklung der Rehabilitation zur Zeit nicht in der Lage ist. Wie auf vielen anderen sozialpolitischen Feldern hat die Regierung eben doch den Blick zurück gerichtet. Charakteristisch dafür sind die stereotyp wiederholten ermüdenden Aufzählungen aller und jeder Maßnahme aus den letzten Jahren.
Ich glaube, dieser Regierung sind, wie auf anderen Gebieten, so auch hier die Ideen ausgegangen.
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- Dabei wäre es kaum, Herr Wehner, anderswo notwendiger als auf dem Gebiet der Rehabilitation,
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den Blick in die Zukunft zu richten. - Weil Sie „Objektivität" sagen, - ({2})
- Herr Wehner, Sie werfen mir durch Ihre Zwischenrufe, wenn ich sie akustisch richtig aufnehme, vor, daß ich ein subjektives Bild zeichne. Deswegen möchte ich Ihnen einmal eine andere Stimme nennen, die bestimmt nicht dem Oppositionslager zuzurechnen ist. Die Stiftung Rehabilitation in Heidelberg, von der Bundesregierung selbst gefördert, sagt:
Um sicherstellen zu können, daß der erreichte Stand der Bemühungen um die Eingliederung Behinderter erhalten bleibt, muß die Rehabilitation weiterentwickelt werden. Ohne Weiterentwicklung kommt es zunehmend zur Verwaltung der Behinderten.
Das ist ein wörtliches Zitat. Und noch etwas.
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- Weil Sie mir vorwerfen, ich würde hier die Dinge subjektiv falsch darstellen.
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- Ich stehe hier am Pult und rede. Ich möchte Ihnen noch ein weiteres Zitat nennen.
Herr Kollege, nach altem parlamentarischem Brauch sind Zwischenrufe doch selbstverständlich.
Selbstverständlich, deswegen gehe ich ja darauf ein.
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Ich möchte diese meine Feststellung mit einem weiteren Zitat belegen. Darüber reden wir jetzt. Auf dem Heidelberger Rehabilitationskongreß 1978 ist von einem anerkannten Fachmann der Rehabilitation - und diejenigen, die auf der Regierungsbank sitzen, kennen ihn - wörtlich von „Stagnation" auf diesem Gebiet gesprochen worden,
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die mit Sicherheit zu einem allmählichen Abbau beruflicher Rehabilitationsleistungen führen werde.
Die Bundesregierung hätte längst das inzwischen veraltete Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation fortschreiben müssen. Ich meine, Herr Hölscher, es führt gar nicht weiter, wenn wir uns darüber streiten, ob dieses Aktionsprogramm inzwischen erfüllt ist oder ob es überholt ist. Tatsache ist jedenfalls, daß aus diesem Aktionsprogramm aus dem Jahre 1970 für die Zukunft nichts mehr hergeleitet werden kann.
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- Dieser Zwischenruf ist mir zu billig, als daß ich darauf eingehe.
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Deswegen ist es notwendig, daß wir ein neues Rehabilitationsprogramm bekommen. Ein solches Programm müßte auch zu Zielsetzungen Auskunft geben, beispielsweise zu dem Ziel, das die Stiftung in Heidelberg aufgestellt hat, eine Eingliederungsquote von 80 % zu erreichen. Dieses Ziel ist hoch gesteckt. Ohne eine Stellungnahme zu einer solchen Zielsetzung werden sich die Aktivitäten verzetteln und letztlich versanden.
Wo sollten die Schwerpunkte der Förderung der Rehabilitation in den kommenden Jahren liegen?
Erstens. Alle Rehabilitationsbemühungen müssen versagen, wenn nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Weichen richtig gestellt werden. Die Erfahrung zeigt, daß zur Aufstellung eines erfolgversprechenden Rehabilitationsplans, der für jeden Einzelfall unabdingbar ist, am besten ein Team von Fachleuten verschiedener Gebiete in der Lage ist; denn nur in einem Zusammenwirken von Ärzten, Psychologen, Therapeuten, Arbeitsberatern usw. kann der richtige Rehabilitationsweg vorgeschlagen werden.
Es ist ein Mißstand, daß niedergelassene Ärzte, die Ärzte der Krankenhäuser und die Rehabilitationsberater der Krankenkassen nicht wissen, wohin sie die Patienten zur notwendigen Rehabilitationsabklärung überweisen können. Weil Einrichtungen zur Rehabilitationsabklärung in der Bundesrepublik fehlen, nützt auch das eingeführte Modellverfahren praktisch wenig. Wir brauchen ein bundesweites Netz von Einrichtungen dieser Rehabilitationsabklärung, die in der Lage wären, mit einem Zeitaufwand von etwa drei bis fünf Tagen, während dessen eine stationäre Aufnahme erforderlich ist, einen verantwortlichen Rehabilitationsplan aufzustellen.
Es handelt sich bei der Rehabilitation - und in diesem Punkt kann ich meinem Vorredner von der FDP zustimmen - keineswegs nur um ein Problem von Arbeitnehmern. Die frühzeitig richtige Rehabilitationseinweisung muß für alle Behinderten verwirklicht werden, vom Neugeborenen bis zum Älteren, vom Arbeitnehmer bis zur Hausfrau.
Rehabilitation, wie wir sie verstehen, ist nicht nur berufliche Rehabilitation, sondern Wiedereingliederung in ein sinnvolles Leben auch außerhalb des Berufes. Ich glaube, daß Sie da zustimmen können, Herr Kollege Hölscher.
Was übrigens die Hausfrauen anbelangt, so sind wir der Meinung, daß sie 'eine vollwertige Berufstätigkeit ausüben. Ihnen dürfen deshalb Rehabilitationsmaßnahmen nicht vorenthalten werden.
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Ständig reden wir über die erschreckend hohen Unfallquoten im Haushalt. Aber welche Konsequenzen werden daraus gezogen? Dabei gibt es Arbeiten und praktische Entwicklungen auf diesem Gebiet, bis hin zu Modellküchen, Modellwohnungen usw., die es einer schwerbehinderten Frau ermöglichen, trotz ihrer Behinderung vollwertig für die Familie da zu sein. Nach meiner Auffassung hat die Bundesregierung die Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese Modellentwicklungen nicht irgendwo verstauben, sondern daß sie von diesen schwerbehinderten Frauen auch praktisch in Anspruch genommen werden können.
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Ein Zweites. In der Bundesrepublik gibt es bisher nur ein Rehabilitationskrankenhaus. Die Erfahrungen mit diesem Krankenhaus sind so positiv, daß die Schaffung weiterer derartiger Einrichtungen nachdrücklich gefördert werden sollte.
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- Wenn Sie so etwas als Witz bezeichnen, Herr Kollege Glombig, muß ich mich doch sehr, sehr wundern.
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- Ich meine eine neue Form von Rehabilitationseinrichtungen.
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- Ich spreche über eine Einrichtung, die bisher nur einmal im Südwesten unser Bundesrepublik verwirklicht worden ist. Die zweite Einrichtung dieser Art wird jetzt in Ulm eröffnet.
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Eine solche neue Form von Rehabilitationseinrichtungen ist vor allem für solche Behinderten bestimmt, die neben medizinischen und sozialen Hilfen nur kurzfristige Hilfen der Arbeitsplatzbeschaffung oder einer beruflichen Anpassung benötigen. Für einen guten Teil dieser Personengruppe bedarf es
neben der medizinischen Behandlung eines vielseitigen ergänzenden Therapieprogramms, das gerade das Charakteristikum eines solchen Rehabilitationskrankenhauses ist.
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- Dann können Sie sie ja einmal aufzählen. Schikken Sie mir die Liste; dann können wir einmal darüber reden!
Derartige Rehabilitationskrankenhäuser brauchen auch nicht neu gebaut zu werden. Die Bundesregierung sollte ihre Phantasie spielen lassen, wie einzelne Krankenhäuser ohne allzu großen Kostenaufwand zu einem solchen Rehabilitationskrankenhaus umgewandelt werden können. Dies wäre ein sinnvoller Beitrag zum Abbau des angeblich vorhandenen Bettenberges.
Ein Drittes. Für viele Gruppen von Behinderten ist in der Vergangenheit Wesentliches geleistet worden. Um so deutlicher fällt auf, daß andere Gruppen immer noch im Schatten der Bemühungen stehen. Auf diese Gruppen müssen sich künftig die Rehabilitationsanstrengungen der Bundesregierung schwerpunktmäßig konzentrieren. Ich will hier nur eine herausgreifen und konkrete Vorschläge machen. Ich meine die psychisch Behinderten. Die psychisch Behinderten sind die Gruppe, die heute am schlechtesten versorgt ist. Die vorhandenen Eingliederungsmöglichkeiten sind völlig unzureichend. Das hat unter anderem auch die Psychiatrie-Enquete gezeigt. Es ist hier schon darauf hingewiesen worden, daß die Bundesregierung viel zu lange damit gezögert hat, eine Stellungnahme zu dieser Enquete vorzulegen.
Was wir neben vielem anderen in diesem Feld brauchen, ist ein Netz von Trainings- und Therapiezentren für psychisch Behinderte. Aufgabe dieser Zentren sollte eine Kombination psychotherapeutischer und berufseingliedernder Maßnahmen sein. Die Werkstätten für Behinderte sind von ihrer Konzeption her in vielen Fällen nicht auf diese Aufgabe zugeschnitten. Die von uns vorgeschlagenen Trainings- und Therapiezentren könnten zur unmittelbaren Eingliederung in das Berufsleben führen oder auch der Vorbereitung einer Schulung in einem Berufsförderungswerk oder Berufsbildungswerk dienen.
Nach unserer Auffassung ist ferner eine gezielte Förderung von Übergangswohnheimen für diesen Kreis schwer geprüfter Menschen -nötig. Derartige Wohnheime könnten eine Stätte der Geborgenheit für psychisch Behinderte und Belastete sein, also ein Stützpunkt für eine Übergangsphase bis zur Erreichung oder Wiedererreichung der Selbständigkeit.
Die Bundesregierung sollte sich nach unserer Auffassung auch stärker darum kümmern, inwieweit sich aus den Auswirkungen der Automation im Arbeitsleben und anderer maschinenhafter Arbeitsabläufe eine Zunahme von psychischen Belastungen ergibt und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind. Es sollte die Bundesregierung nachdenklich stimmen, wenn man hört, daß ein großes Chemieunternehmen für die Belegschaft einen
Psychotherapeuten einstellt. Wenn ,die Zahl der Bewilligungen von Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten auf Grund psychischer Belastungen durch den Arbeitsplatz steigt, so liegt hier ein menschliches und wirtschaftliches Problem. Der ständige Verweis der Bundesregierung auf umfangreiche Forschungsprogramme zur Humanisierung der Arbeitswelt hilft in der Praxis nicht weiter.
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Eine weitere Gruppe, auf die ich hier angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur kurz hinweisen kann, sind die Geburtsbehinderten. Auch sie gehören zu der Gruppe, für die bisher zuwenig getan worden ist. Dabei möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich einen Dank an eine Organisation abstatten, die sich gerade hier besonders verdient gemacht hat. Ich meine die „Aktion Sorgenkind".
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Ohne deren verdienstvolles Wirken und ohne deren Mittel wäre die Lage dieser Jugendlichen noch sehr viel schlechter.
Ein Letztes: Die Bedeutung des tragenden Grundsatzes „Rehabilitation geht vor Rente", wie er nicht erst 1969, Herr Glombig, sondern 1957 im Zuge der Rentenreform eingeführt worden ist, geht in der Praxis dieser Bundesregierung ständig zurück. Der Prozentsatz derjenigen Antragsteller, die statt einer Rehabilitationsmaßnahme eine Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente bewilligt bekommen, steigt. Natürlich ist dies zwar eine Konsequenz der Arbeitsmarktsituation, aber wir dürfen diese Konsequenz nicht hinnehmen. Ich habe die Befürchtung, daß es der Bundesregierung darum geht, die Zahlen der Arbeitslosenstatistik, in der sicherlich viele Männer und Frauen geführt werden, deren Leistungsfähigkeit gemindert ist, durch Einschleusung dieser Männer und Frauen in die Rente geräuschlos zu senken.
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- Wenn Sie etwas beizutragen haben, dann würde ich Ihnen doch vorschlagen, Herr Kollege, daß Sie hier ans Mikrophon treten und eine Zwischenfrage stellen. Ich werde sie Ihnen dann gern beantworten. - Daß die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Berufsunfähigkeitsrente in der Praxis ebenfalls in diese Richtung weist, sei der Gerechtigkeit halber festgestellt. Aber dies ist keine Entschuldigung für die Regierung.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Schwerfälligkeit und ein bei der Regierung inzwischen eingekehrter Dogmatismus
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stehen der Weiterentwicklung der Rehabilitation im Wege.
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Die Regierung verbaut damit die Lösung eines wichtigen Teils der Neuen Sozialen Frage. Sie sollte die von mir unterbreiteten konkreten Vorschläge im Interesse ,der behinderten Menschen akzeptieren, die vielfach voll am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und dies auch wollen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Notizen, die ich mir im Verlaufe dieser - zum Teil außerordentlich sachlichen - Debatte gemacht habe, ist auch eine Notiz, die mir in Erinnerung rufen sollte, dem Herrn Kollegen Burger für seine sachlichen Ausführungen herzlichen Dank zu sagen.
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Ich finde, das war eine wohltuende Art der Begründung einer Großen Anfrage.
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- Sie haben mir da etwas vorweggenommen. Hoffentlich fällt mir dazu noch etwas ein. Aber viel muß man dazu ja nicht mehr sagen. ({2})
Es ist in der Tat eine sehr merkwürdige Sache, daß immer dann, wenn wir über diese Probleme sprechen, gerade von Herrn Hasinger eine Unsachlichkeit
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in die sonst notwendigerweise sachlich geführte Auseinandersetzung hineingetragen und damit das verkleistert wird, was uns hier an Problemen gegenübersteht, die wir gemeinsam lösen müssen.
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Diese Probleme vertragen eine Auseinandersetzung aus parteipolitischer Sicht, wie sie hier von Herrn Hasinger geführt worden ist, nicht. Es ist bisher in den zuständigen Ausschüssen, in denen wir darüber reden und in denen die Entscheidungen fallen, so auch nicht üblich gewesen. Ich hoffe, daß das so bleibt.
Es muß hier natürlich klargestellt werden, daß die Feststellung des Kollegen Hasinger, uns seien die Ideen ausgegangen, wirklich ein Märchen ist. Ich muß vorsichtig sein, Herr Hasinger, damit ich jetzt nicht in eine unnötige Polemik abgleite. Das ist immer die Gefahr dabei.
Wenn wir ehrlich miteinander wären, müßten Sie eigentlich auch feststellen, daß diese Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion doch nichts anderes wollte, als zu fragen: Was ist inzwischen geschehen? Was können wir weiterhin tun? Was ist im Rahmen dessen, was uns an Möglichkeiten offensteht, für eine absehbare Zeit gemeinsam zu tun? Das ist doch wohl die Ausgangsposition der Großen Anfrage der Opposition gewesen. Wenn ich sie lese, kann ich sie nur so verstehen.
Wenn ich allerdings den Entschließungsantrag der Opposition lese, kann ich mir gar nicht vorstellen, daß Autor dieses Entschließungsantrags der Kollege Burger gewesen ist. Das könnten Sie gewesen sein, Herr Hasinger. Dieser Entschließungsantrag ist so dünn, so lieblos und in einzelnen Punkten so wenig von Sachverstand getragen,
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daß es für mich eine helle Freude wäre, mich mit ihm im einzelnen auseinanderzusetzen. Ich habe natürlich auch einen gewissen Hang zur Polemik; ich will das gar nicht abstreiten. Aber ich möchte es mir heute wirklich verkneifen.
Ich kündige Ihnen bereits jetzt an: Wir werden der Überweisung dieses Entschließungsantrags an den zuständigen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zustimmen. Es wird dort nicht etwa ein anderer Entschließungsantrag herauskommen, den wir auch vorher hätten stellen können, nur um Ihnen das Wasser abzugraben. Daran liegt uns nicht. Aber ich bin überzeugt, daß zum Schluß etwas herauskommen wird, was wirklich eine Perspektive für die berufliche, die medizinische und die soziale Rehabilitation der Behinderten in unserem Lande bietet.
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Ich glaube, daß mit der Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage nicht zuletzt einem Kollegen wie dem Kollegen Hasinger gezeigt werden mußte, was getan wurde. Er scheint es vergessen zu haben. Anders sind sowohl manche Fragen in der Großen Anfrage als auch manche Aufforderungen und Feststellungen in dem Entschließungsantrag, der uns heute hier vorliegt, überhaupt nicht zu verstehen.
Ich will versuchen, das an zwei Beispielen zu verdeutlichen. Ich will mich anschließend der Sache zuwenden, und ich meine, wir sollten dann bald zum Schluß kommen. In Punkt 1 des Entschließungsantrags heißt es:
Vorlage eines Konzepts zur frühestmöglichen Abklärung von Rehabilitationsmaßnahmen, damit im Einvernehmen mit den Behinderten von Anfang an die Durchführung der Maßnahmen unter Einbeziehung aller zuständigen Träger und unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte geklärt wird.
Ich hätte mir wenigstens ein Wort der Erklärung für diesen - entschuldigen Sie, aber so stellt es sich mir dar - Unsinn gewünscht. Ich würde gern heute darauf eingehen, aber ich kann es nicht. Ich will Ihnen nur sagen: Man kann der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation die schleppende Art der Erledigung von Aufträgen, die ihr nach dem Reha-Angleichungsgesetz übertragen wurden und die auf das gegliederte System zurückzuführen sind - darüber müssen wir auch ein Wort reden, wenn von „Koordinierung" die Rede ist -, nicht vorwerfen. Aber darüber gehen Sie geflissentlich hinweg. Sie
glauben der Bundesregierung die Schuld für solche schleppenden Entscheidungen zuschieben zu dürfen.
Der Grund liegt ganz woanders, Herr Hasinger. Über diesen Grund sollten wir uns hier unterhalten.
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Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation hat zumindest in einem Punkt etwas ganz Entscheidendes getan, und dafür sollten wir heute danken.
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Ich meine die Gesamtvereinbarung über die Aufstellung des Eingliederungsplans. Da ist alles das enthalten, was Sie in Nr. 1 des Entschließungsantrags fordern - wenn ich das richtig verstanden habe, was Sie fordern.
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Herr Hasinger, das zweite Beispiel betrifft die „Vervollständigung der Eingliederungshilfen im Hinblick auf die berufliche Rehabilitation durch entsprechende Ergänzungen im Wohnbereich". Ich frage mich: Was heißt das eigentlich? Was wollen Sie damit? Wer ist an diesem Entschließungsentwurf beteiligt gewesen? Es muß doch für Sie schwer gewesen sein, all diese honorigen Unterschriften für diesen Entschließungsantrag zu bekommen.
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Was heißt das überhaupt? Das ist mir ein völliges Rätsel. Wir haben gerade im Wohnbereich, was die berufliche Rehabilitation angeht, für die Schwerbehinderten zur Überwindung architektonischer und technischer Hindernisse ein Überangebot von behindertengerechten Wohnungen. Überall dort, wo solche gebaut worden sind, haben wir mehr, als wir brauchen. Das ist eher ein Beispiel dafür, daß man auch zuviel tun kann. Das kostet nämlich viel Geld.
So könnte ich das fortsetzen. Ich meine, daß das Bild, daß Sie gezeichnet haben, in der Tat ein subjektives Bild ist.
Was nun Heidelberg angeht, habe ich mir das Vergnügen gemacht, noch einmal das herauszusuchen, worauf Sie Bezug nehmen. Da gibt es einen Informationsdienst für Fachkräfte der Rehabilitation, herausgegeben von der Stiftung Rehabilitation. Übrigens auch ein Mammutgebilde in der Rehabilitation. Das kann ich sagen, ohne die Leute zu beleidigen; sie haben Enormes geleistet. Aber überall besteht natürlich die Gefahr, auf Grund von Mammutgebilden die Übersicht zu verlieren. Diese Gefahr droht uns als auch denjenigen, die im Dienst am behinderten Menschen stehen.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kühbacher zu?
Ja, bitte.
Herr Kollege Glombig, können Sie sich vorstellen, daß dieser Entschließungsantrag, der ja wohl hingebatzt worden ist, auf die neue Struktur der CDU/CSU-Fraktion zurückzuführen ist und daß unbedingt etwas gebracht werden mußte, um Herrn Kohl zufriedenzustellen?
Das kann sein. Auf ihm finden sich, wie gesagt, sehr honorige Namen. Dr. Kohl und Dr. Zimmermann stehen da einträchtig nebeneinander. Ich nehme an, daß sie sich einige Sorgen, einige Mühe gemacht haben bei der Aufstellung dieses Entschließungsantrages. Das ist möglich, aber das ist die Sorge der CDU/CSU. Ich wollte anläßlich der Sache, um die es geht, darauf nur hinweisen.
Noch einmal zurück zu Heidelberg: Da gibt es, wie gesagt, diesen Informationsdienst. Er trägt die Überschrift: „Die Rehabilitation Behinderter verträgt keinen Stillstand". Da kann ich mit Heidelberg nur voll übereinstimmen: verträgt keinen Stillstand. Und es hat da auch keinen Stillstand gegeben. Daß die Gefahr eines Stillstands immer gegeben ist, gebe ich zu. Wir werden dafür sorgen, daß es zu keinem Stillstand kommt, und wir haben dafür gesorgt, daß es dazu nicht kommt.
Wir haben nämlich - das müssen Sie sich dann sagen lassen - im vorigen Jahr die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte herabgesetzt. Nun können Sie nicht sagen, das sei eine Sache, die im Aktionsprogramm 1970 stehe. Das haben wir im vorigen Jahr gemacht. Das ist der erste Punkt.
Punkt 2: Im August 197,8, im vorigen Jahr, haben wir die Ausgleichsabgabeverordnung zum Schwerbehindertengesetz in Kraft gesetzt; eine sehr wichtige Verordnung, die nämlich regelt, in welcher Weise die Ausgleichsabgabemittel für die Schwerbehinderten sowohl im individuellen Bereich als auch im institutionellen Bereich zur Verfügung gestellt werden. Das ist sehr wichtig.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hasinger zu?
Ja, bitte.
Herr Kollege Glombig, weil Sie wie auch andere Redner erneut auf die Senkung der Altersgrenze für Schwerbehinderte eingegangen sind - eine Maßnahme, die wir begrüßen und die wir in einem eigenen Gesetzentwurf gefordert haben -,
({0})
frage ich Sie: Ist das denn wirklich eine Maßnahme der Rehabilitation, also der Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft, oder ist es nicht eine notwendige sozialpolitische Maßnahme, die beruflichen Erschwernissen dadurch Rechnung trägt, daß der Schwerbehinderte vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden kann?
Herr Kollege Hasinger, Rehabilitation heißt erst einmal - da wir nicht jedesmal
Habilitation sagen - Ein- oder Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und die Gesellschaft. Könnten Sie sich nicht vorstellen, jemandem, der schwerbehindert ist und einen Arbeitsplatz ausfüllen muß, den er eigentlich nicht mehr ausfüllen kann, weil er sich dem, was ihm täglich zugemutet wird, nicht mehr gewachsen fühlt, er aber nach den medizinischen Kriterien unserer Gesetzgebung trotzdem nicht die Möglichkeit hat, wegen vorzeitiger Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit auszuscheiden, mit der flexiblen Altersgrenze jetzt die Möglichkeit zu geben, als Schwerbehinderter in seinen wohlverdienten Ruhestand zu gehen, ohne nun bis ins letzte hinein medizinisch nachweisen zu müssen, daß er mit seiner Kraft am Ende ist?
({0})
Wenn Sie das nicht tun, dann gliedern Sie die Schwerbehinderten aus, statt sie einzugliedern. Das ist doch immer eine notwendige Ergänzung all der anderen Maßnahmen auf dem Gebiete der Rehabilitation. Da können Sie nicht sagen, daß das nicht dazu gehört.
Als nächstes ist festzustellen, daß wir den Entwurf eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im Personenverkehr gegenwärtig parlamentarisch beraten. Wir haben das in dieser Woche im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung getan. Um jeder Legendenbildung vorzubeugen, möchte ich sagen: wenn dieses Gesetz scheitern sollte mit Ihrer Hilfe - ich sage das einmal ganz wertfrei, weil wir bereits 1974 etwas Ähnliches erlebt haben, und ich stehe nicht an zu erklären, daß an dieser Entscheidung auch die sozialdemokratisch geführten Landesregierungen beteiligt gewesen sind -, wenn mit diesem Gesetz etwas schief geht, dann muß es zwangsläufig auf das Verhalten des Bundesrates und der Länder zurückzuführen sein. Wir sind verfassungsrechtlich korrekt vorgegangen. Diese verfassungsrechtliche Korrektheit, auch in der Finanzierung des Gesetzes, wollen wir einhalten. Ich finde, das kann man dem Deutschen Bundestag nicht vorwerfen. Sie sollten sich daran beteiligen, daß wir hier im Bundestag zu einer vernünftigen Regelung der Frage kommen.
({1})
- Schönen Dank, daß ich die Erklärung auch hier jetzt noch einmal entgegennehmen darf.
Die Werkstättenverordnung nach § 55 Abs. 3 des Schwerbehindertengesetzes soll, wie der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung heute angekündigt hat, endlich vorgelegt werden. Ich gebe zu: auch für meinen Geschmack hat das alles ein bißchen lange gedauert. Aber wie unglaublich schwierig es ist, in diesen Fragen eine Abgrenzung, eine Definition bei den Werkstätten für Behinderte zu bekommen, mag Ihnen ein Hinweis zeigen. Diesen Hinweis gebe ich sehr oft. Er bringt mir auch immer wieder große Kritik ein. Wir haben mit dem Schwerbehindertengesetz die gleiche Behandlung aller körperlich, geistig und seelisch Behinderten gewollt. Wir wollten die Kausalität überwinden und zu einer Finalität kommen. Dazu stehen wir. Da halte ich es für völlig unangebracht, uns zu beschimpfen, wir würden damit ein Volk der Behinderten entwickeln helfen. So ungefähr höre ich das immer wieder. Das muß man gemeinsam zurückweisen.
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- Das war nicht an Ihre Adresse gerichtet, sondern an all jene, die das draußen machen.
Aber das kann ja nicht heißen, daß nun für alle Behindertenarten irgendwo eine Einrichtung geschaffen wird und daß geistig und körperlich Behinderte nun in einer einzigen Einrichtung die Chance der Eingliederung in das Arbeitsleben erhalten. Ich warne davor, und zwar deswegen, weil die gleichzeitige Betreuung von körperlich und geistig Behinderten, die in solchen Einrichtungen ein Leben lang vor sich geht, unweigerlich zu zusätzlichen schweren psychischen Schäden bei den körperlich Behinderten führen muß,
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die geistig intakt sind. Und davon haben wir ja Gott sei Dank noch einige. Wenn man aber glaubt, aus einer gewissen Finanzarmut heraus, die ich kenne und die ich auch akzeptiere, eine Konzeption entwickeln zu müssen, auch draußen in den Ländern, die gegen das elementare Recht der Förderung auch der körperlich Behinderten verstoßen könnte, dann muß ich warnend meinen Finger erheben; denn das halte ich nicht für gut. Ich bin überzeugt, daß auch viele andere das nicht für gut halten. Das müssen wir noch einmal gemeinsam überlegen.
Ein letztes Wort dazu. Das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Förderung der Rehabilitation der Behinderten wird fortgeschrieben und aktualisiert. Das hat Bundesarbeitsminister Ehrenberg im Herbst bereits angekündigt. Daran wird zur Zeit gearbeitet. Darin lassen wir uns wirklich von niemandem übertreffen.
Ich will ganz kurz aufzählen, welche Punkte wir weiter entwickeln müssen. Dank dem jetzigen Bundesarbeitsminister für die Weiterentwicklung, Dank auch seinem Vorgänger, aber auch Willy Brandt, der zum erstenmal in seiner Regierungserklärung 1969 überhaupt die Problematik der Behinderten in die öffentliche Diskussion, in das öffentliche Bewußtsein gebracht hat. Das ist so.
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Denken wir zugleich an den Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der eine Weihnachtsansprache fast nur unter den Gedanken der Eingliederung und der Wiedereingliederung der Behinderten in unsere Gesellschaft gestellt hat, und zwar mit hohen ethischen Vorstellungen davon, wie man mit den Alten, den Behinderten, den Kranken und den Schwachen in unserer Gesellschaft umgehen sollte. Und es ist doch kein Zufall, daß wir zum erstenmal 1970 ein gesellschaftspolitisches Programm für diesen Personenkreis von seiten einer Bundesregierung vorgelegt bekommen haben. Dafür danken wir,
({5})
weil wir das vorher versucht hatten und weil es uns vorher nicht gelungen ist.
Nun noch einmal ganz kurz zu Heidelberg. In dem, was Sie zitiert haben, Herr Kollege Hasinger, heißt es:
In keinem Land wurde in den vergangenen 15 Jahren mehr für die Eingliederung Behinderter entwickelt als in der Bundesrepublik Deutschland.
Das steht in der Auslassung, die Sie hier eben zitiert haben. Das haben Sie aber nicht mit vorgelesen.
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-- Ja, in den letzten 15 Jahren.
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- Ja, ich will davon doch überhaupt nichts abbeißen. Wir haben auch in den 60er Jahren miteinander einiges getan. Das will ich doch überhaupt gar nicht bestreiten.
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Es heißt hier weiter:
Diese Feststellung muß aus folgenden Gründen an den Anfang einer kritischen Betrachtung gesetzt werden: Sie soll jeden Zweifel daran ausschließen, daß die wohlverstandene Forderung nach Weiterentwicklung der Rehabilitation das schon Geleistete und die Leistungsgrenzen zu berücksichtigen hat.
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Wir werden doch von Ihren Freunden, Herr Hasinger, auf diese Leistungsgrenzen immer wieder hingewiesen. Ob es Herr von Weizsäcker ist, ob es Herr Barzel ist, ob es Herr Kohl oder - vor allem - Herr Biedenkopf ist: Man weist uns immer wieder auf die Grenzen der Leistungsfähigkeit und des Wohlfahrtsstaates hin, und das ist doch auch eine Art von diskriminierender Behandlung dessen, was an sozialstaatlichen Ideen - hoffentlich gemeinsam - durchzusetzen versuchen.
({10})
Nur so kann ich das verstehen, und so ist es auch zu verstehen, wenn man nachliest, was dort geschrieben und gesagt worden ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt ganz kurz etwas zu unseren Zielen für den Rest dieser Legislaturperiode und sehr wahrscheinlich auch für die kommende Legislaturperiode sagen.
Die erste Überlegung: Mit der vierten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz wollen wir die Eingliederungshilfen für Behinderte nach dem Bundessozialhilfegesetz in das Rehabilitations-Angleichungsgesetz einbeziehen. Diese Novelle liegt dem Bundestag vor; hier kommt die Nagelprobe bereits in den nächsten Wochen auf uns zu. Dieses Vorhaben ist ein altes Anliegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. 1976 hat die Bundesregierung dazu in einem Bericht ihre grundsätzliche Auffassung dargelegt; hieran kann angeknüpft werden.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren: Die Beamten müssen ebenfalls einen Rechtsanspruch auf nach Umfang und Art vergleichbare Rehabilitationsmaßnahmen erhalten. Deswegen müssen auch sie in das Rehabilitations-Angleichungsgesetz eingebaut werden. Auch hier erwarten wir Ihre Unterstützung, weil es dann ja, was die kommenden Maßnahmen angeht, wirklich konkret wird.
Zweitens. Art und Umfang der Rehabilitationsleistungen müssen im Rehabilitations-Angleichungsgesetz für alle Rehabilitationsträger verbindlich geregelt werden; es dürfen nicht nur unverbindliche Richtwerte gegeben werden. Dies ist gegenwärtig noch nicht der Fall. Zwar belebt Konkurrenz das Geschäft, aber dieses Sprichwort hat dort keine Gültigkeit, wo sich Konkurrenz auf dem Rücken und zu Lasten der Behinderten auswirken könnte. Dies war übrigens auch nicht die Absicht des Gesetzgebers, der das Rehabilitations-Angleichungsgesetz verabschiedet hat.
Art und Umfang der Rehabilitationsleistungen dürfen nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengeführt werden, und die Bundesregierung muß prüfen, ob und inwieweit die Durchführung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes offenkundig macht, daß die bestehenden gesetzlichen Vorschriften - insbesondere die den Selbstverwaltungen eingeräumten Möglichkeiten, durch Vereinbarungen untereinander eigene Regelungen zu treffen - unbefriedigend sind. Ich glaube, diese Frage muß man - leider - bejahen. Da eine Gesamtvereinbarung nach bald fünf Jahren seit Inkrafttreten des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes noch immer nicht getroffen ist, noch immer nicht in Kraft getreten ist, gilt die Feststellung, daß das Rehabilitations-Angleichungsgesetz in diesem Punkt sein Klassenziel noch nicht ganz erreicht hat. Es ist also höchste Zeit, daß das Bundesarbeitsministerium endlich von seiner Möglichkeit Gebrauch macht, an Stelle fehlender Gesamtvereinbarungen die materiellen und Verfahrensregelungen durch Rechtsverordnungen vorzunehmen.
Drittens. Die Rehabilitationsgesetzgebung ist schrittweise fortzuentwickeln, zu vereinheitlichen und als ein eigenes Buch „Rehabilitation" in das Sozialgesetzbuch einzufügen. Die Einordnung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr in das Schwerbehindertengesetz ist ein richtiger und wichtiger Schritt in diese Richtung.
Ein wichtiger und unerläßlicher Zwischenschritt auf dem Wege zu einem gemeinsamen Behindertenrecht muß das Bemühen um mehr Koordinierung der Rehabilitationsleistungen zwischen den verschiedenen Trägern sein. Hier sind nicht gering zu achtende Teilerfolge durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation erzielt worden. Eine echte Koordinierung aber scheiterte bisher an der fehlenden Rechtsgrundlage. Das Rehabilitations-Angleichungsgesetz reicht dazu nicht aus. Hier müssen, wenn eine Harmonisierung des Leistungsrechts nicht so schnell,
wie es erforderlich wäre, erfolgen kann, Alternativen gesucht werden, um eine Koordinierung erreichen zu können.
Viertens. Die Rehabilitationsstätten wie Berufsförderungswerke, Berufsbildungswerke und Werkstätten für Behinderte müssen in ihrer Aufgabenstellung gesetzlich definiert werden. Zum Teil geschieht das bereits durch die Werkstättenverordnung. Aber bei den Berufsförderungswerken und Berufsbildungswerken ist hier noch eine Lücke.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Verbesserung der rechtlichen Stellung und der Mitwirkungsmöglichkeiten der Rehabilitanden in den Rehabilitationsstätten. Außerdem wollen wir mit der vierten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz künftig sicherstellen, daß die überörtlichen Träger der Sozialhilfe das wirtschaftliche Ergebnis einer Werkstatt für Behinderte nicht zum Anlaß nehmen, ihre Pflegesatzleistung zu reduzieren, sondern daß dieses wirtschaftliche Ergebnis zur Steigerung des Entgelts der beschäftigten 'Schwerbehinderten verwendet wird. Dazu hat Herr Kollege Nehm hier bereits einiges gesagt.
Fünftens. Bei den Werkstätten für Behinderte geht es darum, den Personenkreis der aufzunehmenden Behinderten nicht zu weit auszudehnen, damit den förderungsfähigen Behinderten dadurch keine Nachteile entstehen. Wir wollen hier zwar so weit wie möglich liberalisieren, aber nicht zu Lasten der Förderungsfähigen. Dazu müssen wir uns andere institutionelle Möglichkeiten einfallen lassen.
Zum Schluß möchte ich zum Ausdruck bringen, daß wir im Sinne dieser Vorstellungen, die wir im Laufe der Beratungen weiter ausbauen werden, ganz klar machen werden, wohin die Reise bei der Weiterentwicklung des Rehabilitationsrechts - auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Aktionsprogramms der Bundesregierung - gehen sollte. Wir kommen hierauf im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zurück. Wir hoffen, daß im Interesse der Behinderten eine gute Zusammenarbeit möglich ist. An uns soll es nicht fehlen. Nach meiner Überzeugung wissen die Behinderten, daß es im Bereich der Sozialpolitik für sie keinen Stillstand geben kann, weil in der Tat noch eine große Zahl von Problemen gemeinsam von uns gelöst werden muß.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mein Beitrag soll einige medizinische Aspekte in die Debatte einführen.
In der Gesetzgebung seien wir Deutsche, so sagt man, wahre Meister der Perfektion. Unsere Gesetzgebung der Rehabilitation gilt in der Welt auch allgemein als vorbildlich. Aber Gesetze allein, und mögen sie noch so ausgefeilt sein, genügen nicht.
Auf den Umgang und die Anwendung kommt es an.
Nicht mehr Bürokratie, mehr Handeln ist die Devise.
({0})
Seit 1974 ist das Rehabilitations-Angleichungsgesetz in Kraft. Hier sind Maßnahmen und Leistungen, Zuständigkeiten und Durchführungen geregelt. Dieses Gesetz ist aber leider bis heute viel zuwenig allgemein bekannt. Dies liegt einmal an dem langsamen Anlaufen der notwendigen Verfahrensordnungen. So trat die Gesamtvereinbarung zum Gesamtplan erst am 1. Juli 1978 in Kraft. Die Mehrzahl meiner ärztlichen Kollegen kennt die Möglichkeiten dieses Gesetzes bisher noch nicht. So konnten sich von über 400 befragten Kassenärzten 1978 nur 5 °/o daran erinnern, je dieses Einleitungsformular für den Gesamtplan gesehen zu haben. Hier ist, meine Damen und Herren, eine Aufklärung unbedingt erforderlich, eine Aufklärung von seiten der Ärzteverbände, der Rehabilitationsträger, aber auch der Krankenkassen; denn auch die Krankenkassen sollten die Behinderten viel mehr und stärker als bisher auf die Möglichkeiten hinweisen, die dieses Gesetz gibt. Aber dieser Hinweis sollte in einer verständlichen Art und Weise gegeben werden, nicht in einem solchen Deutsch, daß es der Bürger draußen kaum versteht.
({1})
Bei den Ärzten spielt ihre naturwissenschaftlich orientierte Ausbildung sicher eine Rolle, daß ihnen oft die rehabilitationsmedizinischen Fragestellungen noch fremd sind. Das Interesse an der sozialen Dimension der Medizin beginnt erst allmählich zu wachsen. Hier hat die ärztliche Fortbildung eine große Aufgabe. Aber auch der Staat muß bei der Ausbildung der Medizinstudenten mit der Einrichtung von Lehrstühlen, Ausbildungsstellen und Lehrplänen für Rehabilitationsmedizin das Seine dazu beitragen.
({2})
Auch das bisherige Leistungssystem der Krankenkassen entsprach der kurativ-medizinischen Konzeption. Hier müßten die Rehabilitationsaspekte in der Leistungsbewertung mehr in den Vordergrund geschoben werden.
({3})
Niedergelassene Ärzte, aber auch Krankenhausärzte
müssen viel stärker ihre Aufgabe als Weichensteller
in der Rehabilitation erkennen und danach handeln.
Nach einer Studie des Europarates verlassen heute, 20 bis 25 % der Klinikpatienten die Akutkrankenhäuser mit bleibenden Defekten. Hier müssen durch rechtzeitige Einleitung von Maßnahmen schon in der Klinik die Weichen richtig gestellt werden. Durch die ambulante Fortführung dieser Maßnahmen, aber auch durch flexiblere Handhabung der Möglichkeiten im finanziellen und arbeitsmarktpolitischen Bereich kann für viele Behinderte das Schicksal einer Dauerfrühinvalidisierung abgewendet werden. Zu nennen sind etwa ein Genesendengeld, das die Technikerkrankenkasse zunächst als eine Leistung ihrer Art einführt, auch eine flexiblere Handhabung der Teilberentung, auch die Einrichtung von TeilzeitarDr. Becker ({4})
beitsplätzen für diesen Kreis der Behinderten, die nach schwerer Krankheit ihre volle Leistungsfähigkeit einfach noch nicht erreicht haben. Herr Hölscher hat schon darauf hingewiesen, daß hier vieles zu tun ist.
In den Kliniken fehlen oft noch qualifizierte Einrichtungen, die auch in entsprechenden ambulanten Behandlungszentren geschaffen werden sollten; ebenso muß die Bildung von eingespielten Behandlungsteams gefördert werden.
Am nahtlosen Übergang der Rehabilitationsmaßnahmen ist noch vieles zu verbessern, wie auch die Koordinierung der Maßnahmen noch reichlich zu wünschen übrigläßt.
Im ambulanten Bereich sind z. B. mehr Einrichtungen zu schaffen, wo die Behinderten in dem ihnen angestammten Lebenskreis weiter bleiben können. Ich nenne nur als ein ausgezeichnetes Beispiel das Gustav-Heinemann-Haus hier in Bonn. Auch die Sozialstationen können hier gute Dienste leisten.
Eine besondere Betreuung auf dem Gebiet der Nachsorge ist bei den Krebskranken notwendig. Hier hat die Einrichtung in Bad Trissl richtungsweisende Wege aufgezeigt - Herr Arendt weiß es -, was alles bei dieser unheimlichen Erkrankung an besonderen Hilfsmöglichkeiten für die Betroffenen getan werden kann.
Hinweisen möchte ich auch auf die notwendige Verlängerung der Übergangszeit des Reha-Angleichungsgesetzes für Heilverfahren durch Rentenversicherungsträger. Denn viele Krankenkassen haben schon gesagt, daß sie nach dem 31. Dezember 1980 die Leistungen noch nicht erbringen können.
In einigen Versorgungsbereichen sind noch große Lücken, so bei den Hirnverletzten, bei den Querschnittsgelähmten und den Unfallschwerverletzten, vor allem aber im Bereich der Psychiatrie. Hier war von großem Nachteil, daß die Stellungnahme der Bundesregierung zur Psychiatrie-Enquete erst seit zwei Tagen vorliegt.
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Sie hat enorme Bedeutung für 350 000 geistig Behinderte in unserem Land. Aber der erste Eindruck von dieser Stellungnahme ist nicht gerade befriedigend.
Von besonderer Bedeutung für das persönliche Schicksal ist die Früherkennung von Zuständen, die zur Behinderung führen. Hier kann mit geringem finanziellem Aufwand, mit dem richtigen Engagement und entsprechender Beratung nach der alten Lebensweisheit „Vorbeugen ist besser als heilen" Entscheidendes erreicht werden.
Wir müssen damit rechnen, daß heute 5 % eines jeden Geburtenjahrgangs mit einer Behinderung zur Welt kommen. Viele dieser Behinderungen können durch geeignete Frühbehandlung - es kommt nicht nur auf die Erkennung an, sondern auch darauf, daß die Behandlung konsequent durchgeführt wird und daß die Familien die Möglichkeiten bewußt in Anspruch nehmen - so kuriert werden, daß sie später nicht oder nur noch kaum spürbar sind.
Aber ohne die aktive Mitwirkung und Mitarbeit der Behinderten selbst kann jede Rehabilitationsmaßnahme nur einen begrenzten Erfolg haben. Daher müssen wir den Behinderten mehr über seine Krankheit aufklären und ihn über die Wege und Möglichkeiten der Behandlung beraten.
Genauso wichtig ist zur Vorbeugung die Aufklärung der Menschen über die Folgen einer unvernünftigen Lebensweise, die bei vielen Krankheiten entscheidend den Verlauf und damit auch eine spätere Behinderung bestimmt.
Aber auch Regierung und Gesetzgeber haben noch viel zu tun. Im Rehabilitationsangleichungsgesetz ist vorgesehen, die Sozialhilfe und auch den öffentlichen Dienst in die Verfahren einzubeziehen, um eine Harmonisierung zu erreichen. Hier ist der Gesetzgeber noch in Verzug.
Eine weitere Schwierigkeit sehe ich darin, daß die notwendigen durchgehenden Definitionen für einzelne Maßnahmen noch nicht geschaffen wurden. So umfaßt der Begriff „Heilbehandlung" nach Art und Leistungsumfang bei der Rentenversicherung etwas anderes als bei der Unfallversicherung oder bei den Krankenkassen.
Als 1974 die Krankenkassen als Rehabilitationsträger in das Gesetz aufgenommen wurden, gab es große Erwartungen. Diese haben sich aber bisher noch nicht erfüllt. Dies liegt vornehmlich daran, daß Regierung und Gesetzgeber die Zielsetzung für die Krankenkassen im Rehabilitationsverfahren noch nicht genau benannt haben. Während sie bei der Unfallversicherung oder der Rentenversicherung vorliegen, ist sie für die Krankenkassen mit der Umschreibung „Allgemeine Behandlung" noch viel zu schwammig. Wegen der unklaren Definition kommen dann auch die sozialen Leistungen in den Krankenkassen zu kurz.
Von den Reha-Einrichtungen gibt es eine Definition bisher nur für die „Werkstätten", während sie im Gesundheitswesen, für andere berufliche Einrichtungen und bei der Kinderrehabilitation noch fehlt. Was ist z. B. ein „Übergangsheim für psychisch Behinderte" genau? Was ist die Definition einer Spezialeinrichtung nach § 184 a RVO? Was hat ein Krankenhaus auf dem Gebiet der Rehabilitation zu tun? Dies fehlt in der Definition.
Die Regierung darf sich nicht auf den Lorbeeren der Verkündung eines Gesetzes ausruhen. Sie muß bald - und nicht erst nach Jahren - dafür Sorge tragen, daß die Folgerungen daraus gezogen werden.
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- Wir können nachher bei unserem Entschließungsantrag darüber reden.
In der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Rehabilitation optimal geregelt, nicht aber im Bereich der privaten Unfälle im Haus, auf der Straße oder im Urlaub. Hier ist ein erhebliches Defizit in
Dr. Becker ({7})
der nahtlosen Behandlung, in der Wiederherstellung und der Eingliederung festzustellen. Darum sollte geprüft werden, ob nicht das bewährte Durchgangsarztverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung auch für diese anderen Unfälle eingeführt werden sollte auf der Basis der Kostenerstattung durch die Krankenkassen, in denen sowieso nahezu 95 % der Bevölkerung versichert sind.
Das ambulante Meldeverfahren zur Anregung der Rehabilitation nach § 368 s RVO klappt bisher noch nicht. Ich habe es vorhin erwähnt. Kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern haben die Situation erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Im stationären Bereich fehlt aber ein solches Pendant zum Meldeverfahren bisher völlig. Hier sollte Abhilfe geschaffen werden, um ein nahtloses Verfahren zu sichern.
Ich habe beklagt, daß die Gesamtvereinbarungen erst zu spät abgeschlossen werden, mit mir Herr Glombig, andere Vorredner auch. Bisher liegen überhaupt erst vier vor. Andere müssen noch nachfolgen. Zur Zeit sind die Gesamtvereinbarungen über die Kraftfahrzeughilfen und über den Behindertensport in Bearbeitung. Ich bin den Ursachen dieser Verzögerung einmal nachgegangen und habe festgestellt, daß meines Erachtens das Verfahren zu umständlich ist, denn bei den Gesamtvereinbarungen müssen alle Träger zustimmen: Bund, Länder, Rentenversicherung, Unfallversicherung bis hin zu den Krankenkassen und den Verbänden. Bei den Krankenkassen muß aber jede einzelne Krankenkasse zustimmen. Was das bei 1 400 Krankenkassen heißt, kann sich jeder ausrechnen, daß das eben sehr, sehr lange Zeit in Anspruch nimmt. Hier sollte in dem Sinne vereinfacht werden, daß es genügt, wenn die Verbände zustimmen. In dieser Richtung sollten wir arbeiten. Auch sollte geprüft werden, ob man bei dem Prinzip der Einstimmigkeit bleiben oder eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung einführen soll.
Meine Damen und Herren, wir haben zwar in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Rehabilitation schon viel geleistet. Dank sei allen, die dabei mitgewirkt haben. Das Anliegen der Behinderten ist aber viel zu ernst, als daß man es parteipolitisch ausschlachtet und sich gegenseitig die Verdienste oder die Nichtverdienste vorrechnet. Meine Damen und Herren, hier gibt es noch viel zuviel zu tun. Daher fordere ich Sie, die Regierung, uns alle dazu auf, hier mit anzupacken und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten bei der Verbesserung der Lage der Behinderten in unserem Land zu helfen. In diesem Sinne bringen wir unseren Entschließungsantrag ein, der bereits in den Reden begründet worden ist. Wenn einige von Ihnen ihn heute morgen noch nicht so voll gelesen und verstanden haben: bei Gesetzen soll dies ja auch der Fall sein. Wenn wir alle aber dabei für die Behinderten mehr herausholen, als in dem Antrag steht, so soll es uns freuen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir heute ausnahmsweise die rhetorische Formel versagen, daß ich die Äußerungen meines Vorredners mit Entschiedenheit zurückweisen müsse; denn Erhebliches von dem, was er gesagt hat, kann man durchaus unterstreichen.
Ich will noch auf eine Bemerkung eingehen, die der Kollege Hasinger gemacht hat, als er behauptete, es gebe in der Bundesrepublik bisher erst ein einziges Rehabilitationskrankenhaus.
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- Dann habe ich ihn vielleicht mißverstanden. Ich darf Ihnen dennoch empfehlen, auch die sehr informative Broschüre zum Behindertenrecht aus dem Bundesarbeitsministerium zu bestellen. Einige Ihrer Kollegen, die sich mit der Sache beschäftigen, haben dies bereits getan. Es würde Ihnen sicherlich ebenfalls gut anstehen, sich die Broschüre zu beschaffen, nachzulesen und dann in solchen Fragen sachkundig mitzudiskutieren.
Herr Kollege Dr. Becker, ich hatte mir einiges zum Problem der Nahtlosigkeit aufgeschrieben. Sie haben alles gesagt und haben es sehr gut gesagt. Das wird sicher ein ganz zentrales Thema sein, nicht nur für die Ausschußberatungen über Ihre etwas zu dünn geratene Resolution, auch für die Beratungen über das, was insbesondere der Kollege Glombig als die Position der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zum Thema dargestellt hat.
Wir haben - und das haben wir in dieser Debatte übereinstimmend festgestellt - in den letzten Jahren zweifellos erhebliche Fortschritte bei der Rehabilitation Behinderter in unserer Gesellschaft gemacht. Wir haben die rechtliche Lage verbessert, wir haben auch einen Teil der Barrieren im Bewußtsein der Bevölkerung abbauen können. Dennoch bleibt noch ungeheuer viel zu tun, um die Behinderten auch im Bewußtsein der Menschen zu gleichberechtigten Bürgern unserer Gesellschaft zu machen.
Ich will jetzt hier nicht gelegentlich auftauchende Bürgerinitiativen, überwiegend in bestimmten Teilen unseres Landes, ansprechen, die immer noch Sturm laufen, wenn Einrichtungen für psychisch Kranke und geistig Behinderte ausgerechnet in ihrer Gemeinde oder vor ihrer Haustür geschaffen werden sollen. Ich will nur wiedergeben, was die nationale Kommission der Bundesrepublik zum internationalen Jahr des Kindes zu diesem Thema festgestellt hat. Danach werden Behinderte in unserer Gesellschaft noch immer offen abgelehnt, ihre Probleme werden ignoriert oder verdrängt, sie werden vorschnell abgeschoben, und sie werden in ihren sozialen Lebensbereichen isoliert. Wenn man dann - das betrifft die Gutwilligen - etwas für sie tun will, bringt man ihnen Mitleid entgegen oder versucht, irrationale Schuldgefühle durch wohltätiges Verhalten zu kompensieren. - Soweit die sehr pluralistisch zusammengesetzte Kommission zum internationalen Jahr des Kindes über die Situation Behinderter, speziell der Kinder, in der Bundesrepublik.
Wir Politiker können solches Verhalten kurzfristig sicherlich nicht verändern. Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Gesellschaft Behinderte als Selbstverständlichkeit akzeptiert. Wir können Hilfen und Betreuung für Behinderte ortsnäher organisieren, um sie nicht ins Ghetto abzuschieben, und wir können diskriminierende Rechtsvorschriften ändern. In ihrer Stellungnahme zur Psychiatrie-Enquete, die wir in diesem Hause - das sollte unser gemeinsamer Wille sein - sicherlich noch sehr viel eingehender diskutieren werden, hat die Bundesregierung in diesen Tagen in einem besonders wichtigen Bereich der Rehabilitation die politischen Ziele formuliert, nämlich Ausbau eines Netzes der ortsnahen ambulanten Versorgung und Abbau diskriminierender Vorschriften für psychisch Kranke im Krankenkassenrecht. Sie hat hier eine politische Linie dafür angegeben, was wir in dem besonderen Bereich der Rehabilitation psychisch Kranker tun könnten und sollten. Wir brauchen aber auch die engagierte Unterstützung von Medien, Verbänden und Selbsthilfeorganisationen, wenn neben den Hilfen, die wir für die medizinische und für die berufliche Rehabilitation entwickelt haben, auch die soziale Eingliederung erfolgreich sein soll.
Besonders schwer haben es immer noch die behinderten Kinder, und im Jahr des Kindes sollte diese Debatte - einige haben das auch schon angesprochen - nicht an diesen Fragen vorbeigehen. Da gibt es immer noch viele Fragen, von der Lage der humangenetischen Beratung über die Früherkennung und Erfassung bis hin zu Betreuung und Therapie in den ersten Lebensjahren.
Nach Schätzungen neuropädiatrisch tätiger Fachärzte gehören 20 % aller Kinder unmittelbar nach der Geburt zu den Risikokindern, bei denen verschiedene Einflüsse vor, während oder nach der Geburt zu körperlichen oder zentralnervösen Belastungen geführt haben. Die Hälfte davon, also 10 % eines Jahrgangs, müßte im Säuglingsalter regelmäßig überwacht werden. 5 % eines Geburtsjahrgangs sind derart behindert, daß spezielle Einrichtungen für die Behandlung erforderlich sind. Bei rund 600 000 Geburten im Jahr müssen wir also mit 120 000 Risikokindern und mit ungefähr 30 000 behinderten Kindern rechnen.
Die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung angebotenen acht Früherkennungsuntersuchungen für Kinder bis zum vierten Lebensjahr - das war zweifellos ein großer Fortschritt - könnten eine solche rechtzeitige Behandlung erleichtern. Aber sie werden viel zu wenig in Anspruch genommen - auch darauf ist heute schon Bezug genommen worden -, und sie führen auch nicht immer zu der erforderlichen Therapie. Zu den Zahlen der Inanspruchnahme füge ich einen Hinweis an. Die ersten beiden, die in der Regel in der Klinik stattfinden, werden zu 100 % in Anspruch genommen. Für die dritte bis achte Untersuchung gibt es einen Durchschnitt von nur noch 35 %. Dabei wird die achte Untersuchung nur noch von 18 % in Anspruch genommen.
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Hier bedarf es sicherlich noch einer sehr viel eingehenderen Aufklärung; aber die Aufklärung allein genügt nicht, wenn die Ärzte nicht wissen, was sie mit dem, was sie bei den Untersuchungen erfahren oder auch nicht in Erfahrung bringen, weiter machen sollen. Herr Kollege Becker, Sie haben das hier deutlich klargemacht.
§ 368 s der Reichsversicherungsordnung verpflichtet die Ärzte, den Krankenkassen Mitteilung zu machen, damit Rehabilitationsmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden können. Es gibt eine Erhebung des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, nach der im vierten Quartal 1977 nur 19 Mitteilungen über Behinderungen in der Altersgruppe bis zu fünf Jahren von Ärzten eingegangen sind.
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- Es ist mir klar, daß da Anlaufschwierigkeiten sind. Aber da wir nach den Zahlen, die ich vorhin vorgetragen habe, damit rechnen müssen, daß es pro Quartal zusätzlich ungefähr 7 500 behinderte Kinder in der Bundesrepublik gibt, kann man sich vorstellen, wie verschwindend gering der Prozentsatz derjenigen ist, die bisher nach dem vorgeschlagenen Verfahren auch wirklich einer Rehabilitation zugeführt werden.
Diese Differenz kann nur dadurch erklärt werden, daß entweder die niedergelassenen Ärzte zuwenig Erfahrung haben, um frühkindliche Entwicklungsstörungen und Behinderungen zu erkennen, oder daß sie sich selbst zuviel zutrauen. Wenn die Selbstverwaltung von Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung keine wirksameren Instrumente entwickelt, vielleicht Checklisten, die man den niedergelassenen Ärzten an die Hand geben könnte, damit sie wissen, wonach sie forschen müssen, wenn sie nach Behinderungen bei kleinen Kindern suchen, müßten vielleicht Bundesregierung oder Bundestag tätig werden.
Die Früherkennung ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn auch ein ausreichendes Angebot an Beratung und Förderung zur Verfügung steht. Herr Kollege Hasinger, wenn Sie die Diskussionen verfolgt haben, dann wissen Sie, daß auch da die Ideen noch nicht ausgegangen sind; denn im Juni 1977 gab es eine 39. Gesundheitsministerkonferenz, die die Bildung von sozialpädiatrischen Abteilungen empfohlen hat, die bereits vorhandene Einrichtungen in Kinderkliniken und Kinderkrankenhäusern einbeziehen sollen. Das wäre eine ortsnähere Organisationsform, durch die man einen möglichst kurzen stationären Aufenthalt, die Beobachtung der Kinder, die Einleitung von Therapiemaßnahmen und die Einweisung der Eltern in die Therapie sicherstellen könnte. Sie könnten gleichzeitig - und das macht auch nach dem geltenden Kassenarztrecht keine großen Schwierigkeiten - vorstationär diagnostizieren und nachstationär behandeln. Dabei würde der Hausarzt durchaus seine Aufgabe als Mittler zum häuslichen Milieu beibehalten können.
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren eine Reihe von Projekten auf diesem Gebiet als Modellmaßnahmen gefördert, so z. B. in Maulbronn, in
Regensburg, in Bremen, in Augsburg, in Osnabrück und in Landshut. Dabei kann man sogar - und das ist für die Diskussion über den Bettenabbau interessant - über das Krankenhausfinanzierungsgesetz Akutkrankenhäuser umwidmen oder teilweise umwidmen.
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Neben den sozialpädiatrischen Abteilungen haben natürlich auch große Zentren ihre Aufgabe. Zum Teil sind sie bereits vorhanden oder im Aufbau, wie in Mainz, München, Bonn, Köln, Stuttgart, Frankfurt oder Hamburg. Für die Zukunft wird deren Aufgabe jedoch bei den schwierigen diagnostischen Fällen oder bei der Zusatzausbildung der Fachkräfte liegen müssen; denn gerade für behinderte Kinder ist die Nähe zu Eltern, Geschwistern und sozialem Umfeld für die psychische Stabilisierung unerläßlich. Darauf werden Bund und Länder beim weiteren Ausbau der sozialpädiatrischen Versorgung zu achten haben.
Deshalb ist auch für ländlich strukturierte Gebiete und für größere Einzugsbereiche zusätzlich die Einrichtung von therapeutisch-pädagogisch orientierten ambulanten Abteilungen oder von mobilen therapeutischen Teams sinnvoll, um für die Kinder längeren Krankenhausaufenthalt oder lange Transportwege zu vermeiden. Was für psychisch Kranke gelten soll - Netz der ortsnahen Versorgung -, gilt mindestens mit denselben guten Gründen für behinderte Kinder.
Experten gehen davon aus, daß in der Bundesrepublik ein Netz von 300 Abteilungen für Sozialpädiatrie geschaffen werden müßte. Eine solche Abteilung käme dann auf je 200 000 Einwohner. Jede dieser Abteilungen würde gemeinsam mit Hausärzten und/oder ambulanten bzw. mobilen Diensten etwa 500 Risikokinder und 100 behinderte Kinder laufend betreuen.
Wir können nur hoffen, daß es bei diesem Programm in keinem unserer Bundesländer ideologische Verklemmungen gibt, daß nun noch einmal zusätzliche - -({4})
- Ich sage das nur. Die finanziellen kennen wir alle. Die haben wir alle gemeinsam. Aber in manchen Bereichen, z. B. in der Jugendhilfe, hatte ich in letzter Zeit den Eindruck, daß es auch ideologische Verklemmungen geben könnte. Vielleicht können wir uns einigen, daß das in diesem Bereich nicht so sein wird, auch wenn es um zusätzliche Betreuung durch staatliche und nichtstaatliche Einrichtungen und Verbände geht.
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Soweit der Bund dabei gefordert ist, soll es an unserer Hilfe nicht fehlen.
Zum Abschluß noch eine Bemerkung zum Personalmangel bei Rehabilitationseinrichtungen. Vor allem im Bereich der Medizinerausbildung ist die Rehabilitation häufig noch ein Fremdwort. Wenn es richtig ist, daß wir einem Überangebot an ausgebildeten Medizinern entgegengehen - und dafür spricht eine ganze Menge -, dann möchte ich an dieser Stelle an die Universitäten und an die Studenten und natürlich auch an die Bundesländer appellieren - nur die Bundesländer können dort zusätzliche Kapazitäten schaffen -, sich mehr als bisher um dieses Arbeitsfeld zu bemühen.
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Den angehenden Medizinern sei gesagt, daß damit zwar keine Villen im Tessin und keine Nummernkonten in Liechtenstein zu verdienen sind, aber eine wichtige Rolle in der Gesellschaft von morgen und der Dank von Tausenden von behinderten Menschen, die Hilfe brauchen, um sich in unserer Gesellschaft zurechtfinden zu können.
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Wir stehen am Ende der Aussprache. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über die Große Anfrage betreffend Lage der Behinderten und Weiterentwicklung der Rehabilitation.
Wir haben nun noch über den Entschließungsantrag Drucksache 8/2560 der Abgeordneten Burger, Geisenhofer sowie anderer und der Fraktion der CDU/CSU zu befinden. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beantragt worden.
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- Des weiteren wird Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - beantragt. Sind damit alle Überweisungswünsche vorgebracht?
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- Sportausschuß - gutachtlich; das ist nach der Geschäftsordnung ohnehin möglich.
Ich stelle fest, daß die Überweisungsvorschläge allgemeine Zustimmung finden. Dann ist es so beschlossen.
Damit stehen wir am Ende der Plenarsitzung. Ich berufe den Deutschen Bundestag zu seiner nächsten Sitzung auf Mittwoch, den 14. Februar 1979, 13 Uhr ein. Einziger Tagesordnungspunkt in dieser Sitzung ist die Fragestunde.
Die Sitzung ist geschlossen.