Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/8/1979

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Am 31. Januar hat der Abgeordnete Katzer seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich spreche ihm noch nachträglich die herzlichen Glückwünsche des Hauses aus. ({0}) Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Strauß hat die Fraktion der CDU/CSU das bisher stellvertretende Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß, den Abgeordneten Röhner, als ordentliches Mitglied vorgeschlagen. Als stellvertretendes Mitglied ist von ihr der Abgeordnete Dr. Althammer benannt worden. Ist das Haus einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Röhner als ordentliches, Mitglied und der Abgeordnete Dr. Althammer als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt worden. Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU sollen der Abgeordnete Dr. Lenz ({1}) als Stellvertreter des Abgeordneten Russe und der Abgeordnete Müller ({2}) als Stellvertreter des Abgeordneten Vogel ({3}) im Vermittlungsausschuß bestellt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. . Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: a) Beratung des Jahresgutachtens 1978/79 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 8/2313 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Haushaltsausschuß b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1979 der Bundesregierung - Drucksache 8/2502 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({5}) Haushaltsausschuß Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundes-. minister für Wirtschaft.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Präsdent! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat am 23. Januar den Jahreswirtschaftsbericht 1979 verabschiedet und dem Parlament zugeleitet. Ich begrüße es, daß schon so kurz danach die Gelegenheit besteht, hier über den Bericht zu diskutieren. Wie in den vergangenen Jahren erläutert die Regierung im Jahreswirtschaftsbericht die Ausgangslage, die für das Jahr 1979 angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele und die für diesen Zeitraum geplante Wirtschafts-, Finanz- und Strukturpolitik. Ebenso wird zum Sachverständigenratsgutachten Stellung genommen. Wie im Vorjahr möchte ich auch hier sagen, daß der Jahreswirtschaftsbericht jedesmal unter erheblidiem Zeitdruck, mit Tag- und Nachtarbeit zustande kommt. Erlauben Sie mir bitte deswegen, daß ich den daran beteiligten Beamten meines Ressorts und der anderen Häuser meinen Dank sage. ({0}) Bei der Analyse der Ausgangslage und der Einschätzung der absehbaren Entwicklung sowie des wirtschaftspolitischen Handlungsbedarfs und Aktionsspielraums stimmt die Bundesregierung weitgehend mit dem Sachverständigenrat überein. Sie nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß der Rat jetzt klarstellt, daß Angebots- und Nachfragepolitik nicht etwa unvereinbare Gegensätze sind. Wir waren schon früher dieser Meinung. Die steuer- und haushaltspolitischen Maßnahmen vom Herbst 1977 und 1978 zielten deshalb darauf ab, bei immer noch. unterausgelasteten Kapazitäten sowohl die Nachfrage anzuregen als auch die wirtschaftseigenen Auftriebskräfte durch eine nachhaltige Verbesserung der Angebotsbedingungen zu stärken. Auch in wesentlichen wirtschaftspolitischen Einzelfragen besteht weitgehend Einigkeit zwischen Bundesregierung und Sachverständigenrat. Ich erwähne hier nur: In der Steuerpolitik die mittelfristig notwendige weitere Steuervereinfachung; die Beurteilung der wettbewerbspolitischen Lage und die daraus abzuleitenden wirtschaftspolitischen Folgerungen und schließlich die große wettbewerbs- und wachstumspolitische Bedeutung der Förderung von Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Unternehmensneugründungen und von Forschung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen. Für die Bundesregierung danke ich dem Sachverständigenrat ausdrücklich für sein Engagement. Die Kritiker des Sachverständigenrates erinnere ich daran, daß Kritik dann glaubhaft und nutzbringend ist, wenn sie fundierte und beweiskräftige Argumente bringt. Die Gutachten des Sachverständigenrates sind eine bislang unübertroffene Denkhilfe - nicht mehr, aber das ist wichtig - für Wirtschaft und Gewerkschaften ebenso wie für Regierung und Opposition. Der Jahreswirtschaftsbericht 1979 basiert auf dem Informationsstand von Ende Januar, d. h. auf dem statistischen Datenbild von Dezember und November des vergangenen Jahres. Die in den letzten Tagen mit den Ergebnissen von Dezember fortgesdiriebene Statistik über Auftragseingang und Produktion sowie die Zahlen vom Arbeitsmarkt für den Monat Januar bestätigen die positiven konjunkturellen Tendenzen der letzten Monate. Ich will Sie hier nicht mit Zahlen überschütten und fasse deshalb nur noch einmal kurz die gesamtwirtschaftlichen Eckwerte für 1979 zusammen. Die Bundesregierung hält 1979 eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung für erreichbar, bei der im Jahresdurchschnitt das Bruttosozialprodukt real um 4 % zunimmt, die Arbeitslosenquote auf knapp 4 % zurückgeht und damit die Arbeitslosenzahl deutlich unter eine Million sinkt, der Anstieg der Verbraucherpreise auf rund 3 % begrenzt wird und der Außenbeitrag real weiter zurückgeht und sich auch nominal verringert. Ich habe schon in der Haushaltsdebatte darauf hingewiesen, daß dies ein Bericht mit realistischer und fundierter wirtschaftlicher Zuversicht, mit einer Projektion erreichbarer Ziele, die das Mögliche kalkuliert, aber keine Wunder verspricht, und mit der. nach heutiger Erkenntnis gesicherten Erwartung stabiler ökonomischer Verhältnisse in der Bundesrepublik ist. Obwohl das von mir skizzierte Bild der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage Anlaß zu Optimismus gibt, sollten wir aber auch die zweifellos vorhandenen Risiken nicht auf die leichte Schulter nehmen. Für den außenwirtschaftlichen Bereich nenne ich dabei nur folgende Stichworte: verhaltene Konjunkturentwicklung in den westeurpäischen Ländern, Wechselkursentwicklung, protektionistische Tendenzen und politische Umbrüche mit denkbaren Folgen für unsere Rohstoff- und Energieversorgung sowie für unsere Exporte. Wir sehen ebenso die Notwendigkeit, Kostensteigerungen im Inland zu begrenzen. Dabei vertrauen wir auf das gesamtwirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein der unternehmerischen Preispolitik und der Tarifpolitik von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Sie haben 1978 verantwortungsvoll gehandelt und zu den guten Ergebnissen des vorigen Jahres beigetragen. ({1}) Auch die jüngsten Tarifabschlüsse in der Metallindustrie sind situationsgerecht. Ich weiß, daß sich die Arbeitnehmerseite bei den Tarifverhandlungen, deren Ergebnisse bis in das Jahr 1980 hineinreichen, darauf verlassen hat, daß die im Jahreswirtschaftsbericht angenommene Preissteigerungsrate von durchschnittlich rund 3 % auch tatsächlich nicht überschritten wird. Ich halte diese Gesdiäftsgrundlage für verständlich. Um so mehr sind alle wirtschaftspolitisch Verantwortlichen verpflichtet, ihre stabilitätspolitischen Anstrengungen mit aller Kraft fortzusetzen und jeden Beschluß, jede Entscheidung auch immer unter dem Aspekt der Preisstabilität zu prüfen. Sie werden gemerkt haben, daß in diesem Jahreswirtschaftsbericht das Thema Vermögenspolitik - im Gegensatz zu den Jahreswirtschaftsberichten 1977 und 1978 - nicht erwähnt ist. Die Bundesregierung wollte keine Ankündigung wiederholen, der in den beiden vergangenen Jahren keine Taten folgen konnten. Ich bedaure dies, wie wohl jedermann weiß. Wir werden uns weiter um ein Ergebnis bemühen. Vielleicht klappt es ohne vorherige amtliche Annonce besser. ({2}) - Wir hoffen das alle miteinander, Herr Kollege. Unsere guten Erwartungen im Jahreswirtschaftsbericht 1979 basieren nicht zuletzt auf den Ergebnissen des abgelaufenen Jahres, das ein Jahr des wirtschaftlichen Aufstiegs war - vergleiche dazu auch das Biedenkopf-Memorandum. Wir haben unser Wachstumsziel von 3,5 % erreicht. Die Arbeitslosenzahl lag im Jahresdurchschnitt erstmals seit 1974 wieder unter der Millionengrenze. Diese Zahl ist noch zu hoch. Entscheidend scheint mir jedoch zu sein: Der Trend hat sich gedreht, die Kurve zeigt nach unten. Der Verbraucherpreisanstieg war mit 2,6 % deutlich geringer, als wir alle dies vor zwölf Monaten für möglich gehalten haben. Das ist ein außergewöhnlich günstiges Ergebnis, wenn wir an die zurückliegenden Jahre denken und uns die Entwicklung bei unseren wichtigsten Handelspartnern ansehen. Wir werden die bisher realisierten Stabilisierungsfortschritte verteidigen müssen - cc war schwer genug, so weit voranzukommen d uns bemühen, noch bessere Ergebnisse zu erreichen. Wir sind in diesem Ziel mit den anderen großen Industrieländern einig. Es ist vor allem, meine Damen und Herren, das Verdienst des Bundeskanzlers, daß die Staats- und Regierungschefs beim Londoner Wirtschaftsgipfel ausdrücklich der Inflation den Kampf angesagt haben. ({3}) Erstmals steht im Kommuniqué einer internationalen Konferenz der Satz: Inflation verringert die Arbeitslosigkeit nicht. Im Gegenteil, sie ist eine ihrer Hauptursachen. ({4}) Beim Bonner Wirtschaftsgipfel im Juli des vergangenen Jahres haben die Staats- und Regierungschefs diese Übereinstimmung noch einmal ausdrücklich lich bekräftigt. Die erreichten Stabilisierungserfolge waren mit entscheidend für die Stimmungsverbesserung in der Wirtschaft. Nicht zuletzt deshalb haben sich die Chancen für mehr Investitionen und damit für mehr Arbeitsplätze verbessert. Die niedrige Teuerungsrate in der Bundesrepublik hat nach. den Worten von Bundesbankpräsident Emminger wesentlich dazu beigetragen, daß zum Jahresende diesmal 60% der Bevölkerung - das ist der höchste Prozentsatz seit vielen Jahren - dem neuen Jahr mit Zuversicht und Hoffnung entgegensehen. ({5}) Wegen der deutlichen Verlangsamung des Verbraucherpreisanstiegs und der steuerlichen Erleichterungen stiegen die Nettoreallöhne 1978 in der Bundesrepublik mit 31/2 % stärker als erwartet - meine Damen und Herren, im Durchschnitt plus 31/2 % Anstieg der Kaufkraft der Arbeitnehmer dieses Landes! Ich wiederhole, was ich schon in der Haushaltsdebatte gesagt habe. Nur die Höflichkeit im Umgang mit unseren westlichen Partnern verbietet es mir, Vergleichszahlen zu nennen, die deutlich machen, wie hervorragend unsere Arbeitnehmer in diesem Bereich abgeschnitten haben. ({6}) Wir rechnen für 1979 mit einem ähnlichen Ergebnis, das in anderen Ländern weiterhin seinesgleichen suchen wird und das deutlich macht - darauf legt die Bundesregierung großen Wert -: Mit tarifpolitischer Vernunft und konsequenter Stabilitätspolitik holen wir gerade für die Arbeitnehmer am meisten heraus. Der Jahreswirtschaftsbericht bezieht sich nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz in seinen Aussagen im wesentlichen auf das laufende Jahr. Die wirtschaftlichen Probleme und die wirtschaftspolitischen Aufgaben können aber nicht nur auf diesen Zeithorizont begrenzt werden. Deshalb versteht die Bundesregierung ihre Aufgaben und bezieht sie ihre Politik immer auch auf mittlere und längere Sicht. Dies gilt besonders für die Lösung der beschäftigungs- und strukturpolitischen Probleme. Die heutige Debatte sehe ich deshalb vor allem als Gelegenheit zu einer Diskussion über die Grundsatzfragen und die Rahmenbedingungen der Wirtschaftspolitik. Ich beginne mit einem Blick über unsere Grenzen, denn die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben uns deutlich vor Augen geführt, wie eng die verschiedenen Volkswirtschaften inzwischen miteinander verflochten sind. Schon aus diesem Grunde werden wir in den bereits 1978 so erfolgreichen Anstrengungen fortfahren, die internationale Abstimmung der Wirtschaftspolitik so dicht und nahtlos wie nur irgend möglich zu machen, Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den meisten Industrieländern ist der konjunkturelle Erholungsprozeß im zurückliegenden Halbjahr vorangekommen. Dabei übersehe ich nicht, daß die Konjunktur in den USA jetzt gedämpfter verläuft. Mit der Verlagerung der konjunkturellen Dynamik nach Westeuropa und Japan hat sich das internationale Konjunkturklima aber insgesamt etwas gebessert. Erfreulich ist dabei, daß sich in einer Reihe früherer Defizit-Länder - Frankreich, Großbritannien, Italien, Osterreich, Norwegen, Schweden - die Zahlungsbilanzsituation deutlich entspannt hat. Von dieser Seite her ist der konjunkturpolitische Handlungsspielraum wieder größer geworden. Noch immer sind allerdings in vielen westlichen Ländern die Inflationsraten so hoch, daß konjunkturstimulierenden Maßnahmen enge Grenzen gesetzt sind. Zudem können kaum abschätzbare Risiken für das künftige internationale Konjunkturgeschehen nach wie vor in der Entwicklung der Devisenmärkte liegen. Politische Umbrüche, die niemand vorhersagen oder ausschließen kann, erweitern diese Risikoskala. Die Ereignisse im Iran machen das für jedermann deutlich. Uns ist sehr daran gelegen, die in vielen Jahren mühsam aufgebauten guten wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran nicht abreißen zu lassen. Die Verhältnisse sind dort nach wie vor undurchsichtig. Wir hoffen, daß sich die Situation bald wieder normalisiert und die Produktionsunterbrechungen, vor allem auch in der Erdölindustrie, nicht lange anhalten. Ich glaube, meine Damen und Herren, die Bundesregierung muß am heutigen Tage beim Bericht über die wirtschaftliche Lage einige Wort zur aktuellen Situation in der Erdölversorgung sagen; denn dies ist ein Thema, das die Öffentlichkeit bewegt. Der Iran hat uns bisher mit etwa 17 % unserer Gesamtbezüge an Rohöl versorgt. Diese Menge fällt aus, da nicht produziert wird. Wir wissen nicht, wann die Produktion wiederaufgenommen wird. Wenn sie wiederaufgenommen wird, wird eine längere Anlaufzeit nötig sein. Sicherlich gibt es eine längere Unterbrechung bei den iranischen Öllieferungen. Saudi-Arabien wird einspringen. Die normale Fördermenge in Saudi-Arabien beträgt 8,5 Millionen Barrel pro Tag. Die Ende 1978 erreichte höchste Fördermenge belief sich auf 10,5 Millionen Barrel. Zur Zeit werden täglich etwa 9 bis 9,5 Millionen Barrel gefördert. Der saudiarabische Finanzminister hat mir in der vorigen Woche zugesagt, daß sein Land sich darum bemühen werde, so gut wie irgend möglich den iranischen Ausfall auszugleichen. ({7}) Aber er hat auch darum gebeten - und ich halte das für verständlich angesichts der grundsätzlichen Ölpolitik Saudi-Arabiens -, daß sich die anderen OPEC-Länder am Ersatz des iranischen Ausfalls beteiligen mögen. Die deutsche Bevorratung war zu Beginn dieses Winters so hoch wie zu keinem Winter je zuvor, nämlich 116 Tage Industriebevorratung einschließlich der Bundesrohölreserve. Wir schätzen, daß die privaten Haushalte zur Zeit noch für ca. 100 Tage Vorräte in ihren Heizöltanks unterhalten. Die Preisentwicklung, die aus Verknappungssituationen am Markt folgt, wird zur Zeit deutlich sichtbar beim leichten Heizöl. Sie ist auch witte10642 rungsbedingt, nicht nur wegen der Kältegrade, sondern auch wegen zugefrorener Transportwege. Aber auch beim Rohöl gehen die Produzenten dazu über, schon jetzt Preiserhöhungen vorwegzunehmen, die nach dem OPEC-Beschluß, im Jahre 1979 die Preise staffelnd heraufzusetzen, ohnehin im Gesamtverlauf des Jahres 1979 geschehen sollten. Es werden also Preiserhöhungen vorgezogen. Der Ölpreis liegt am freien Markt zur Zeit pro Barrel bis etwa 8 Dollar über dem OPEC-Preis. Die Konsequenzen, nämlich Preiserhöhungen für Öl und Öllprodukte, sind weltweit nicht auszuschließen. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß dies ohnehin - wir haben es alle gewußt - 1979 der Fall gewesen wäre, weil die OPEC grundsätzlich Preiserhöhungen beschlossen hat. Verknappungserscheinungen erwarten wir auf absehbare Zeit nicht. Wir gehen auch davon aus, daß, wenn sich die iranischen Ausfälle im Frühsommer oder im Sommer mengenmäßig auswirken könnten, bis dahin Ersatzlieferungen und Ersatzregelungen gefunden sind. Auch die Internationale Energieagentur befaßt sich am 1. März in ihrem Governing Board mit diesem Thema. , . Zur Rationierung, meine Damen und Herren, besteht in Deutschland kein Anlaß, erst recht nicht zu Sonntagsfahrverboten, Geschwindigkeitsbegrenzungen und ähnlichen Einschränkungen. Daß es in den Vereinigten Staaten andere Absichten gibt, sollte uns nicht irritieren, weil die dortige Lage mit der unseren nicht vergleichbar ist. Es sind in den USA in erster Linie interne Verteilungsprobleme, die dort zu Eingriffen in das Marktgeschehen zwingen. Wir haben das '1974 in den Vereinigten Staaten mit aller Deutlichkeit gesehen. Das Fazit: Es besteht - ich wiederhole es - keinerlei Grund zur Panik. Preiserhöhungen kann man nicht ausschließen. Wir werden auch interntional die Energiepolitik eng mit unseren Partnern abstimmen. Wir fordern auch hier noch einmal dazu auf - ich werde dazu noch etwas sagen -, den Gesichtspunkt des Energieeinsparens vorrangig zu behandeln und nicht aus den Augen zu verlieren. ({8}) Denn gerade die Entwicklung im Iran hat erneut die Notwendigkeit unterstrichen, Energie einzusparen. Die Bundesregierung hat in der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms dem Energiesparen eindeutigen Vorrang eingeräumt. Ich höre gelegentlich: Was nutzt denn das alles? Die Mengen, die wir einsparen können, helfen uns doch nicht! - Gewiß, sie können nicht unsere Unabhängigkeit beseitigen. Aber wir finden, daß wir selber mindestens das tun müssen, was in unseren eigenen Kräften und in unserer eigenen Macht steht. Das sollten wir allerdings wirklich dazu beitragen. ({9}) - Entschuldigung, Abhängigkeit. - Deshalb bemühen wir uns darum, durch gezielte Informationen die Bereitschaft zum sparsamen Umgang mit Energie zu starken. 1978 sind die dafür notwendigen Mittel - ich danke dem Parlament und insbesondere dem Haushaltsausschuß dafür - erheblich aufgestockt worden. Wir müssen jedem Bürger immer wieder sagen, wann, wie und in welchem Ausmaß er Energie verbraucht und wieviel Energie er sparen kann. Die Aufklärungsaktion hat erfreulicherweise eine außerordentlich positive Resonanz in der Bevölkerung gefunden. Insgesamt sind allein im Bundeswirtschaftsministerium in. den letzten fünf Monaten rund 4 Millionen Broschüren zu diesem Thema angefordert worden. In diesem Jahr werden wir die Aufklärungsaktion fortsetzen und vertiefen. ({10}) - Die liegen nirgendwo im Keller, verehrter Herr Unland, sondern die werden stückweise, einzeln auf Grund der Coupon-Werbung in den Zeitungen angefordert und versandt. Das einzige, was mir Kummer bereitet, sind meine Erwartung und Befürchtung, daß mich der Bundespostminister eines Tages für die Mehrarbeiten in dem für das Bundeswirtschaftsministerium zuständigen Postamt zur Verantwortung ziehen wird.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Gerne, bitte sehr.

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister, könnten Sie vielleicht darlegen, ob der Bund außer durch Broschüren vielleicht auch mit gutem Beispiel bei seinen Alt- und Neubauten bei der Energieeinsparung vorangeht? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Aber selbstverständlich wird sich der Bund an die gesetzlichen Vorschriften, die wir im Energieeinsparungsgesetz, gerade für Neubauten, erlassen haben, in demselben Umfang halten, wie er es für alle anderen Bürger vorgeschrieben hat. ({0}) Es werden keine Neubauten errichtet werden, die diesen Vorschriften nicht genügen. Allerdings will ich auch Rückschläge - Rückschläge jedenfalls aus meiner Sicht - nicht verschweigen. Mit Recht hatten sowohl SPD als auch FDP auf ihren Parteitagen im Jahre 1977 eine Änderung der Stromtarifstruktur, insbesondere die Abschaffung des Tarifs II, gefordert, der den höheren Stromverbrauch stärker als Tarif I begünstigt. Die Bundesregierung hat die Abschaffung des Tarifs II vorgeschlagen; der Bundesrat hat sie abgelehnt. Ein Kompromißvorschlag, der den Bedenken des Bundesrates Rechnung trug, nämlich die Einführung einer linearen KompoBundesminister Dr. Graf Lambsdorff nente zur Begrenzung der Degression des Tarifs II, stieß erst kürzlich bei den Ländern ebenfalls auf Widerstand. Daß diese negative Haltung beidesmal von Ländern - das sage ich an die Koalitionsfraktionen und an uns selbst - mit sozial-liberaler Regierung mitgetragen wurde, verrät nicht allzuviel Konsequenz. ({1}) Es reicht eben nicht, auf Parteitagen energiesparende Beschlüsse zu fassen und sie in der Gesetzgebungsarbeit zu vergessen. ({2}) Unter den außenwirtschaftlichen Risiken beruhigt uns der zunehmende Protektionismus ganz besonders. ({3}) - Beunruhigt. ({4}) - Nein, er beruhigt uns nicht. Verehrter Herr Unland, entweder hören Sie nicht gut oder ich verspreche mich dauernd, oder es ist noch Ihre alte Textilmentalität, die Sie bei zuviel Protektionismus beruhigt. Wenn die handelspolitischen Entartungen nicht gebremst werden, droht die Welt - so stellt auch die OECD in ihrem neuesten Economic Outlook heraus - in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückzufallen. Die Bundesregierung ist den protektionistischen Tendenzen zu Hause und weltweit stets energisch entgegengetreten. Sie hat darüber hinaus positiv auf die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geantwortet, d. h. die vom Markt ausgehenden Anpassungs- und Innovationsprozesse unterstützt und damit die Bereitschaft zum Strukturwandel gestärkt. Nichts kann die Richtigkeit unserer Grundorientierung überzeugender beweisen als die ungebrochene Dynamik unseres Außenhandels. Sicher sind in letzter Zeit die Zuwachsraten unseres Exports wie auch die Expansion des Welthandelsvolumens etwas geringer ausgefallen. Aber wir haben unser Ausfuhrvolumen immer weiter steigern können. Statistisch stehen wir damit sogar an der Spitze aller westlichen Industrieländer. Und das Einfuhrvolumen ist noch rascher gestiegen. Einen besseren und offenkundigeren Beweis für unsere weltoffene Haltung gibt es nicht. Es gibt auch keinen stärkeren Beweis dafür, daß wir unsere internationale wirtschaftspolitische Haltung gegenüber unseren Partnern ernst nehmen, als er darin zum Ausdruck kommt, daß die Importe bei uns stärker steigen als die Exporte, daß wir also damit Anregungen für die Wirtschaft unserer Partnerländer geben. Zweifellos bringt das verstärkte Engagement unserer ausländischen Handelspartner auf den heimischen Märkten für die eine oder andere Branche ernste Probleme mit sich, noch dazu bei einer bis vor wenigen Monaten gedrückten Konjunktur. Aber protektionistische Praktiken und ein Abschotten unserer Märkte wären das schlechteste und am wenigsten geeignete Mittel, dem zu begegnen. Die Folgen wären nämlich geringere Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, weniger Wettbewerbsfähigkeit, weniger monetäre Stabilität, ausländische Vergeltungsmaßnahmen, geringere Wachstumsraten und letztlich mehr Arbeitslosigkeit. Daher muß auch in Zukunft unsere Politik auf die Offenheit der Märkte ausgerichtet sein. Um den freien Welthandel geht es auch in der noch laufenden GATT-Runde, die leider nicht wie vorgesehen Mitte Dezember abgeschlossen werden konnte. Es hat an Anstrengungen - gerade deutschen Anstrengungen - nicht gefehlt, die GATT-Runde rechtzeitig und mit Erfolg zu beenden. Ich erinnere nur an die langwierigen Verhandlungen in Brüssel bei der Konzipierung eines gemeinsamen, substantiellen Angebots der Gemeinschaft. Aber die vielseitigen Vorteile einer reibungslosen internationalen Arbeitsteilung werden noch immer nicht überall erkannt. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren: Es hat in den letzten Tagen heftige Angriffe auf den für die Außenbeziehungen der EG zuständigen Kommissar Wilhelm Haferkamp gegeben. Es kann nicht Sache der Bundesregierung sein, sich zu Einzelheiten der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu äußern. Ich möchte aber ganz entschieden die Verdienste anerkennen, die sich Herr Haferkamp als Vertreter der Europäischen Gemeinschaft insbesondere bei den GATT-Verhandlungen sowie mit seinem engagierten Eintreten für die Sache Europas und einen freien Welthandel erworben hat. ({5}) Ich frage mich, ob der Pfeil nicht vielleicht aus dem Arsenal der unbelehrbaren Protektionisten und Interventionisten in Europa kam. Nach meinen Eindrücken ist es bei vorsichtigem Optimismus durchaus denkbar, daß es noch vor der UNCTAD-Konferenz im Mai zu einem materiellen Abschluß der GATT-Runde kommt. Das wäre wichtig. Auch wenn sich in dem einen oder anderen Bereich der anvisierte Erfolg nicht voll einstellen wird, wäre doch schon viel erreicht, wenn die verstärkten protektionistischen Strömungen im Welthandel aufgehalten werden könnten. Für außerordentlich wichtig halte ich die Verabschiedung eines sogenannten Subventionskodex. Wir müssen uns mehr Klarheit darüber verschaffen, was im. internationalen Handel als wettbewerbsverfälschende Begünstigung anzusehen ist und was nicht, und wir müssen den internationalen Subventionswettlauf zu stoppen versuchen. Der vorgesehenen Kontrolle eventueller selektiver Schutzmaßnahmen kommt besondere Bedeutung zu, weil die Entwicklungsländer in der Selektivität ein vor allem gegen sie gerichtetes Instrument sehen - und nach meiner Auffassung zu Recht. Würde ein leichter Zugriff zu solchen Beschränkungen, wie sie in der Wunschliste mancher Länder stehen, erlaubt, so würde die Glaubwürdigkeit unseres Bemühens, die Dritte Welt stärker und enger in den Welthandel einzubinden, ernsthaft erschüttert. Daran könnte auch eine noch so verbesserte präferenzielle Ausgestaltung bei den Zöllen nichts ändern. Im übrigen: Was international notwendig und sinnvoll ist, braucht auch für das eigene Land nicht falsch zu sein. Wir sollten uns meines Erachtens Gedanken über einen nationalen Kodex machen, der für die Subventionen aller öffentlichen Hände gilt. Subventionswettlauf zwischen Bundesländern ist nicht besser als Subventionswettlauf zwischen Staaten. ({6}) Das Schwergewicht unserer Antworten auf die Probleme im Nord-Süd-Dialog sollte eindeutig in der verbesserten Integration der Entwicklungsländer in den Welthandel liegen. Wir müssen aber auch prüfen, ob wir den Umfang unserer Leistungen für die Dritte Welt nicht verstärken können. Dies wäre eine effizientere Lösung als die vielen seit Jahren diskutierten und zum Teil recht unvollkommenen Mechanismen zur Realisierung eines Ressourcentransfers. In der internationalen Diskussion über eine „Neue Weltwirtschaftsordnung" bleibt es unser Standpunkt, daß die weltwirtschaftlichen Beziehungen auf der Grundlage größtmöglicher Freizügigkeit und verläßlicher Regeln fortentwickelt werden sollten. In unseren Gesprächen mit den Entwicklungsländern wollen wir diesen Kurs in praktischer und realistischer Weise verfolgen. Er wird übrigens zunehmend von mehr Ländern der Dritten Welt unterstützt. Sie haben in den Jahren der Rezession gesehen und anerkannt, daß ihr vorrangiges Interesse der Zugang zu den Märkten der Industrieländer ist und daß die Bundesrepublik Deutschland dabei einer ihrer verläßlichsten Partner ist. Ich hoffe, daß uns die kommende UNCTAD-Konferenz im Mai in Manila auf diesem Weg weiterbringt. Aber wir sollten von ihr auch keine schnellen spektakulären Erfolge erwarten. Auch diese Konferenz ist nur ein Glied in der Kette eines sehr breit angelegten und langen Dialogs, der nüchtern und sachgerecht geführt werden muß. Der Fortgang der Verhandlungen über den gemeinsamen Fonds bestätigt das. Immerhin besteht kein Zweifel daran, daß die sich abzeichnenden Lösungen bei allen berechtigten Fragen nach ihrer tatsächlichen Wirksamkeit sich heute zumindest an realistischeren Zielen orientieren als das vor Jahren vorgelegte Konzept. Dies beweist, daß trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte Annäherung möglich ist. Wir haben auch hier die Chance, einer Lösung der spezifischen Probleme der Entwicklungsländer mit sinnvollen, marktkonformen Maßnahmen näherzukommen. Das Stichwort „marktkonform" ist gefallen. Mir scheint, das uns das Jahr 1979, in dem wir aller Voraussicht nach wenig wachstumspolitische Sorgen haben werden, wichtige ordnungspolitische Grundsatzentscheidungen abverlangen wird. Das soeben vom Wissenschaftlichen Beirat beim Wirtschaftsministerium vorgelegte Gutachten über staatliche Interventionen in einer Marktwirtschaft kann uns dabei für die richtige Weichenstellung wertvolle Hilfen geben. Ich will keinen „ordnungspolitischen Rauch", wie es neulich ein Kollege bezeichnet hat, in die Landschaft blasen. ({7}) - Ich nenne schon noch Roß und Reiter, keine Sorge, Herr Waigel. Daran hat es bei mir wohl selten gefehlt. ({8}) Aber ich halte es für an der Zeit, hier ein paar Dinge in puncto Marktwirtschaft klarzustellen. Wahrscheinlich können wir in diesem Hause zwei Grundübereinstimmungen feststellen: Erstens. Die ökonomische und Freiheit stiftende Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Ordnung gegenüber allen anderen Wirtschaftssystemen ist unbestritten. Zweitens. Der Markt kann viel, kann erheblich mehr als manche Kritiker ihm zubilligen wollen, aber er kann nicht alles. ({9}) Er löst nicht sämtliche Probleme einer modernen Industriegesellschaft. ({10}) Deshalb kommt keine verantwortliche Regierung daran vorbei, Marktergebnisse zu korrigieren, wenn dies gesellschaftspolitisch geboten ist. ({11}) Wenn insoweit Übereinstimmung besteht, kann ernsthaft allein die Frage diskutiert werden, wo solche Korrekturen anzubringen sind und wie weit sie gehen können. ({12}) Ich nenne dafür ein Beispiel: Es steht völlig außer Frage, daß die Verteilungsergebnisse des Marktes z. B. sozialpolitisch verändert werden müssen. Aber dieses richtige Prinzip kann auch ad absurdum geführt werden, wenn die Ansprüche an das Netz der sozialen Sicherung so hochgeschraubt werden, daß sie von den Ergebnissen des Marktes nicht finanziert werden können, daß sie den Leistungswillen wegen der damit verbundenen Belastungen lähmen und damit die Kräfte des Marktes entscheidend schwächen. ({13}) Wenn die an sich notwendige Korrektur zu einer Verfälschung der Marktergebnisse führt, dann allerdings sollten wir nicht mehr von Marktwirtschaft, auch nicht von Sozialer Marktwirtschaft sprechen. Ich will hier sagen, daß Soziale Marktwirtschaft für mich kein, politisches Schlagwort ist, sondern das unerhört erfolgreiche Prinzip, nach dem wir seit nunmehr fast 30 Jahren die Wirtschaftspolitik in unserem Land gestalten, soziale Sicherheit garantieren und den ökonomischen Unterbau einer freiheitlichen Gesellschaft sichern. ({14}) Für mich, meine Damen und Herren, steht außer Frage, daß diese marktwirtschaftliche Ordnung vielleicht nicht das allein denkbare, aber in jedem Fall das optimale Korrelat zu einer demokratischen politischen Verfassung ist, die diesen Namen verdient. ({15}) Deshalb geht unsere Wirtschaftspolitik vom Primat des Marktes aus, nicht aus ordnungspolitischem Starrsinn, sondern weil sich diese Institution Markt - mit den erforderlichen Korrekturen - als das humanste ökonomische Gestaltungsprinzip erweist. ({16}) Die grundsätzlich gegebene Freiheit in der marktwirtschaftlichen Ordnung erhält jedoch erst dadurch ihren realen Gehalt, daß für jeden Unternehmer, Verbraucher, Arbeitnehmer möglichst viele konkurrierende ökonomische Alternativen bestehen. Nur so können wir das Diktat des wirtschaftlich Starken vermeiden, zumindest wesentlich .einschränken. Deshalb das Kartellverbot und die marktwirtschaftliche Ächtung der Monopole, deshalb der hohe Rang der Wettbewerbspolitik, deshalb die Fusionskontrolle und deshalb unser Kampf gegen Konzentration. Das vor allem verstehe ich unter „Befreiung des Menschen von ökonomischen Zwängen" . Und deshalb das Betriebsverfassungsgesetz, deshalb die Mitbestimmung in den Unternehmen! ({17}) Die Vielzahl unabhängig und in Konkurrenz zueinander wirtschaftlich Handelnder sichert den individuellen Freiheitsspielraum für alle und für jeden einzelnen. Deshalb unterstützen wir diejenigen, die sich selbständig machen wollen, erleichtern ihnen den beruflichen Start, deshalb tun wir jetzt mit neuen Programmen noch mehr, um gerade kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Forschung und Entwicklung zu öffnen. ({18}) Nun wird gesagt, der Wettbewerb beschränke sich in unserer Marktwirtschaft auf eben diese kleinen und mittleren Unternehmen; Großunternehmen setzten demgegenüber keine Wettbewerbspreise, sondern strategische Preise; Machtprozesse spielten dabei eine wesentliche Rolle. Ich will gerne einräumen, daß der Wettbewerb zwischen Großunternehmen von anderer Art, von eigener Qualität ist. Aber auch Großunternehmen konkurrieren um nationale Marktanteile, auch sie stehen unter internationalem Konkurrenzdruck. Deshalb trifft auch die Vorstellung nicht zu, daß sich der Staat -dort, wo mittlere und kleinere Unternehmen konkurrieren, darauf beschränken könne, strukturelle Anpassungsprozesse indirekt durch Veränderung von Rahmenbedingungen zu unterstützen, dagegen im sogenannten vermachteten Bereich unmittelbare Staatseingriffe angezeigt seien. Ich halte das nicht für schlüssig. ({19}) Die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Bürger kann durch Summierung vieler indirekter Staatseingriffe mindestens ebenso nachhaltig beschnitten werden wie durch unmittelbares dirigistisches Handeln des Staates. Die Unterscheidung in Machtbereich und Wettbewerbsbereich hilft nicht weiter. ({20}) Auch dem vermeintlichen Vorrang von Staatseingriffen im sogenannten Machtbereich der Wirtschaft liegt ein Mißverständnis von der Marktwirtschaft zugrunde. ({21}) Es gibt genug weltweite Fehlentwicklungen, die durch die staatliche Wirtschaftspolitik selbst entstanden sind. ({22}) Nur wollen das viele nicht gern zur Kenntnis nehmen. Meine Damen und Herren, ich erinnere an das überlange Festhalten an festen Wechselkursen in den 60er Jahren und an den inzwischen wohl aufgegebenen Irrglauben, durch Inflation ließen sich Arbeitsplätze sichern. ({23}) - Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, beiden Bemerkungen Beifall zu zollen, ({24}) würde das Ihre Position ehrlicher machen. ({25}) - Lesen Sie einmal nach, was Rüdiger Altmann in der vorigen Woche in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu diesem Thema geschrieben hat! ({26}) - Mir ist ein Weltökonom immer noch lieber als viele Provinzhaushalter! ({27}) Meine Damen und Herren, in diesen Monaten geht es insbesondere um die Problematik der Sanierung strukturschwacher Branchen. Schauen wir uns die sogenannten Sorgenkinder unserer Wirtschaft doch bitte einmal an! Warum haben in nicht wenigen Fällen die gewährten direkten Staatshilfen nicht so angeschlagen, wie es erwartet wurde? Die Antwort ist nicht schwer zu geben: Staatliche Subventionierung, insbesondere wenn sie im Übermaß und auf Dauer gewährt wird, lähmt den Willen zur privaten Selbsthilfe. Der Wille zur Anpassung an veränderte Marktbedingungen wird bei staatlich geschützten Unternehmen geschwächt. ({28}) Allzu leicht geraten sie in die Versuchung, ihre Energie mehr auf weitere Hilfen und Schutzmaßnahmen als auf die Wiedergewinnung ihrer Ertragskraft zu richten. ({29}) Weitere Staatshilfen erscheinen unausweislich, wenn Wahltermine und eine sehr, wahrscheinliche Solidarisierung von Landesregierungen, Unternehmerverbänden; Betriebsräten und Gewerkschaften einen Zugzwang entstehen lassen. ({30}) Staatseingriffe und Unternehmensentscheidungen verquicken sich schließlich immer mehr. Letztlich ist nicht mehr unterscheidbar, wer für Fehlentscheidungen tatsächlich die letzte Verantwortung trägt. Die Folgen der staatlichen Interventionen können dann nicht mehr ' eindeutig einem klar identifizierbaren politischen Entscheidungsträger zugeordnet werden. Die Marktwirtschaft droht unter solchen Verhältnissen ihre Effizienz, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu verlieren. Der oft zu hörende Vorwurf, es bestehe eine Defacto-Überlebensgarantie allein wegen der Größe eines Unternehmens, scheint durch manche Erfahrungen belegt zu werden. Wer das jedoch vor allem dem Marktsystem anlastet, verkennt, daß derartige Überlebenshilfen der marktwirtschaftlichen Ordnung grundsätzlich widersprechen. ({31}) Ich halte es allerdings - um dies klar zu sagen - für unrealistisch, zum Rückzug aus der Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der Wirtschaft zu blasen. ({32}) Die Verflechtung zwischen diesen beiden Bereichen ist nicht mehr aufhebbar, sondern nur noch gestaltbar. Um so mehr kommt es auf die Art und Weise an, wie diese Zusammenarbeit gestaltet wird. Was ist dabei zu berücksichtigen? Erstens. Der Staat, d. h. das Parlament und die Regierung, und die Unternehmen haben ganz unterschiedliche Zielsetzungen. Zweitens. Der Staat ist für die Unternehmerrolle denkbar wenig geeignet, vor allem dann, wenn im Einzelfall besonderes Sanierungsgeschick erforderlich ist. Drittens. Gegen weltweite Markttrends helfen auf Dauer keine staatlichen Subventionsgelder, sofern sie überwiegend zur Erhaltung überholter Strukturen statt zur Anpassung an neue wirtschaftliche Notwendigkeiten verwendet werden. ({33}) In der Marktwirtschaft muß sich der Wirtschaftspolitiker daher zuerst die Frage vorlegen, ob überhaupt der Einsatz staatlicher Hilfen zu verantworten ist. Stellt der Wirtschaftspolitiker ein vermeintliches Versagen des Marktes fest, so darf das noch lange nicht als grünes Licht für Staatseingriffe angesehen werden. Zuerst ist nämlich zu versuchen, durch Verbesserung der Rahmenbedingungen den Markt funktionsfähig zu machen. Erst wenn dies nicht gelingt, können direkte Hilfen erwogen werden. Die Wirtschaftswissenschaft hat festgestellt, daß das marktwirtschaftliche Gütesiegel „Ordnungskonformität" nicht bestimmten Typen von Staatseingriffen generell zugeschrieben werden kann. Die Beurteilung hängt vielmehr davon ab, wie die Instrumente im konkreten Fall eingesetzt werden. Die Generalvermutung, daß indirekte Eingriffe in den Marktprozeß direkten, globale den isolierten und weniger spezifische den spezifischen Interventionen vorzuziehen sind, muß deshalb für jeden konkreten Einzelfall überprüft werden. Fällt die Entscheidung, um drohenden bruchartigen Entwicklungen rasch begegnen zu können, zugunsten direkter staatlicher Interventionen aus, dann ist erneut abzuwägen, ob marktwirtschaftliche Konformitätskriterien zurückgestellt werden müssen. Nicht selten wird nach der Parole „Wer zahlt, soll auch bestimmen, was mit dem Geld geschieht" zugleich eine weitgehende Mitentscheidungsbefugnis für den Staat in der aktuellen Unternehmenspolitik gefordert. ({34}) Ich halte das weder. für systemkonform noch für zweckmäßig. ({35}) Solche Eingriffe verwischen nur die Grenzen zwischen staatlichem Handeln und dem Handeln der Privaten, vor allem der privaten wirtschaftlichen Autonomie- und Interessensphäre. Die staatliche Verantwortung muß prinzipiell immer klar von dem eigentlichen unternehmerischen Verhalten geschieden werden. Aber diese reinliche Trennung darf nicht dazu führen, daß der Staat nur zahlt oder Bürgschaften leistet, die Eigentümer und Inhaber solcherart gestützter Unternehmen aber nur kassieren, um sich bequem zurückzulehnen, wenn sie mit Hilfe des Steuerzahlers die Gefahrenstrecke überwinden. ({36}) Denn zuallererst ist der Eigentümer gefragt und nicht der Steuerzahler, und wenn dieser antritt, dann wird das nicht ohne Auswirkung auf die Eigentümerverhältnisse des betroffenen Unternehmens bleiben können. ({37}) Der Staat sollte seine unverzichtbaren Auflagen in einem klar definierten Konditionenkatalog festschreiben und offenlegen, der vor allem den notwendigen Strukturwandel unterstützt. Das vermeidet die Schwächung der Anreize zur privaten Selbsthilfe. Dauerhaft subventionierte Arbeitsplätze sind unsichere Arbeitsplätze. ({38}) Deswegen sollte sich der Staat so rasch wie möglich zurückziehen können. Das würde erleichtert, wenn die Instrumente für staatliche Hilfen im Grundsatz immer degressiv, zeitlich befristet und automatisch auslaufend gestaltet werden. ({39}) Nach dieser Maxime haben wir versucht, das Werfthilfeprogramm zu konzipieren. Staatliche Hilfen werden zeitlich und im Umfang begrenzt und die Anpassungsbereitschaft der Unternehmen an veränderte Marktdaten gefördert. An den hier gezeigten Kriterien muß sich auch die Mittelstandspolitik orientieren. Es ist uns allen nur zu sehr bekannt, daß sich immer argumentieren läßt, es sei zwar Gutes getan worden, aber nicht genug. In diesem konkreten Fall teile ich mehr die Auffassung des Kollegen Roth, der in der Haushaltsdebatte offenbart hat, daß auch sein Herz für den Mittelstand schlägt. ({40}) Ich bin über diese Tatsache ebenso erfreut ({41}) wie über seine Einschätzung, daß die Bemühungen der Bundesregierung, die wirtschaftlichen Bedingungungen für die kleinen und die mittleren Unternehmen zu verbessern, in den letzten Jahren außerordentlich positiv waren. Ich teile diese Beurteilung. ({42}) - Da fehlt schon wieder Ihr Beifall. - Ich hoffe, daß diese günstige Stimmung anhält und uns weitere Schritte in diese Richtung erleichtert. Ich muß hier aber eines klarstellen. Politik für die kleinen und mittleren Unternehmen darf nicht etwa - auch nicht insgeheim - als Politik gegen die großen Unternehmen verstanden werden. Was unsere Volkswirtschaft im Sinne eines leistungsfördernden Wettbewerbs im nationalen und internationalen Rahmen braucht, ist eine ausgewogene Vielfalt von Unternehmensgrößen. Wir brauchen für jeden Markt eine möglichst optimale Kombination von kleinen, mittleren und großen Unternehmen. ({43}) Die staatliche Wirtschaftspolitik kann dafür günstige Voraussetzungen schaffen. Mehr kann sie aber nicht. Durch zahlreiche steuerliche Erleichterungen haben wir in den letzten Jahren die größenbedingten Nachteile kleiner und mittlerer Unternehmen verringert und auf Chancengleichheit im Wettbewerb hingewirkt. Ich erinnere nur an die Einführung des Verlustrücktrages, Abschreibungsverbesserungen, Erleichterungen bei Gewerbe- und Vermögensteuer, Einführung des Anrechnungsverfahrens, Erleichterung bei der Buchführungspflicht und nicht zuletzt die Ende 1978 beschlossenen Erleichterungen bei der Einkommen- und Gewerbesteuer. Wir haben insbesondere die Lohnsummensteuer ab 1. Januar 1980 abgeschafft und in diesem Zusammenhang eine Ausgleichsregelung für die Gemeinden beschlossen. Die Bundesregierung erwartet, daß die Gemeinden, die derzeit keine Lohnsummensteuer erheben und auf Grund der beschlossenen Ausgleichsregelung erhöhte Steuereinnahmen erhalten, in diesem Jahr die notwendigen Vorkehrungen treffen werden, in entsprechendem Umfang ab 1980 die Hebesätze bei der Gewerbesteuer zu senken. ({44}) Außerdem wurde der Mittelstand 1978 durch Haushaltsmittel des Bundes in Höhe von 300 Millionen DM, ERP-Kredite - knapp 1 Milliarde - und Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Lastenausgleichsbank gefördert, zusammen gut 3,75 Milliarden DM. Zur Erleichterung der Anpasung an den strukturellen Wandel und zum Ausgleich größenbedingter Nachteile mittelständischer Unternehmen im Innovationsprozeß hat die Bundesregierung schon vor knapp einem Jahr das „Forschungs- und technologiepolitische Gesamtkonzept für kleine und mittlere Unternehmen" verabschiedet. Es soll angesichts der fortschreitenden Arbeitsteilung und der zunehmenden Differenzierung der Nachfrage dazu beitragen, daß sich die angesprochenen Unternehmen den veränderten Produktionsbedingungen flexibel anpassen und neue Marktsituationen erfolgreich nützen können. Die positiven Ergebnisse für 1978 bedeuten aber keineswegs, daß wir die Hände in den Schoß legen können. Die Bundesregierung wird sich vielmehr verstärkt darum bemühen, die Gründung von gewerblichen Unternehmungen und von Existenzen in freien Berufen zu erleichtern. Unser neues Eigenkapitalhilfeprogramm, das am 14. Februar im Kabinett verabschiedet werden soll, wird den Mangel an Risikokapital verringern, der sich oft als unübersteigbare Hürde bei der Existenzgründung erweist. Die Bundesregierung wird hier besonders darauf achten, daß die gewählten Lösungen zu einer möglichst unbürokratischen und einfachen Abwicklung führen. ({45}) Um das beträchtliche Innovationspotential der kleinen und mittleren Unternehmen volkswirtschaftlich besser nutzbar zu machen, wird die Bundesregierung 1979 durch ein 300-Millionen-DM-Programm erstmals die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit dieses Unternehmenskreises durch Zuschüsse zu den Personalaufwendungen fördern. Ich fand es fair vom Kollegen Roth, in der Haushaltsdebatte anzuerkennen, das dies nicht zuletzt auf die drängende Initiative und das ständige Bohren unseres Kollegen Hausmann mit zurückzuführen ist. ({46}) Durch diese indirekte Forschungsförderung, die sehr unbürokratisch sein wird, wird eine Lücke im System der Technologieförderung geschlossen und die Bevorzugung der Großunternehmen, die bei dem System der direkten Forschungsförderung fest eingebaut ist, etwas ausgeglichen. ({47}) - Selbstverständlich, etwas. Nur, Herr Kollege: wir haben ja auch hier schon erklärt, falls diese 300 Millionen wirklich abfließen und in Anspruch genommen werden - das wird abzuwarten sein -, wird die Bundesregierung hoffentlich in der Lage sein, je nach Haushaltslage - ich kann dem Finanzminister nicht vorgreifen, aber der politische Wille besteht - diese Beträge auch aufzustocken. ({48}) Eine besondere mittelstandspolitische Komponente enthält auch die neue Investitionszulagenregelung im Bereich der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen. Während bisher generell eine jährliche Zulage von 7,5 % gewährt wurde, haben wir nunmehr den Satz für die ersten 500 000 DM der begünstigten Ansdiaffungs- und Herstellungskosten im Wirtschaftsjahr auf 20 % erhöht. ({49}) Für den darüber hinausgehenden Investitionsbetrag bleibt es bei der bisherigen Höhe der Investitionszulage. -Wenn die Bemerkung „Dank dem Bundesrat" bedeuten sollte, daß der es auch bezahlt, Herr Kollege Warnke, wäre es ja angenehm. Tut er aber nicht. ({50}) Diese Neuregelung führt wie jede Höchstbetragsregelung dazu, daß kleine und mittlere Unternehmen verhältnismäßig stärker als Großunternehmen begünstigt werden. Dies ist als gezielter Nachteilsausgleich für mittelständische Unternehmen so gewollt. Als weitere Verbesserung ist vorgesehen, daß die Zulage künftig auch für die erworbenen, aktivierten immateriellen Wirtschaftsgüter gewährt werden soll, deren Wert jedoch 500 000 DM nicht übersteigen darf. Die Verbesserung der Marktchancen der mittelständischen Unternehmen ist auch vorrangiges Ziel der Kartellgesetznovelle. Das Wettbewerbsrecht muß so ausgebaut werden, daß in Zukunft Großunternehmen nicht mehr ohne weiteres mittelständische Unternehmen schlucken können, die für die Bewahrung eines funktionierenden Wettbewerbs notwendig sind. ({51}) Es geht nicht an, daß die Phantasielosigkeit und Innovationsunlust mancher Großen zum Verschwinden von kleineren Unternehmen führt, nur weil die Großen lieber kaufen, statt selbst etwas Neues auf die Beine zu stellen. ({52}) - Verehrter Herr Kollege Pieroth, über den Begriff Staatsbetriebe sollten Sie sich vielleicht etwas Klarheit verschaffen. Die Tatsache, daß der Staat Anteile hält, macht aus einem Unternehmen noch längst keinen Staatsbetrieb. Jedenfalls sollte das nach Ihrer Sicht nicht so sein! ({53}) Strukturhilfen, direkte und indirekte Forschungsförderung, Steuerentlastungen, all dies kostet Geld und wirft damit Probleme für die Verschuldung auf. Verständlicherweise hat das Thema Verschuldung auch in der Haushaltsdebatte einen großen Raum eingenommen. Lassen Sie mich deshalb hier mit aller Deutlichkeit feststellen: Die hohe Neuverschuldung der öffentlichen Hand in den letzten Jahren war erforderlich, um der privaten Nachfrageschwäche besonders im Investitionsbereich durch staatliche Anregungsmaßnahmen zur Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und zur Verbesserung der Wachstumsbedingungen entgegenzuwirken und damit die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu mildern. Dabei sind wir keineswegs nach der Devise verfahren, wie uns manche Kritiker anhängen wollen: Nach uns die Sintflut! Es gab zu dieser Politik keine andere Alternative, ({54}) es sei denn, man wollte zunehmende Arbeitslosigkeit und sich verschärfende soziale Konflikte in Kauf nehmen. ({55}) - Sie haben völlig recht: Was richtig ist, werde ich immer sagen; ich kann es nicht deswegen ändern, weil Sie es zu häufig gehört haben und es immer noch nicht verstehen. ({56}) Der Staat mußte zusätzliche Nachfrage entfalten, um die Lücke bei der privaten Nachfrage wenigstens teilweise auszugleichen. Das gebietet das Stabilitätsgesetz und entspricht rationaler Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig. mußte er sich um eine Verbesserung der Angebotsbedingungen bemühen, um die eigenen Antriebskräfte der Wirtschaft zu beleben. Bei der hohen privaten Ersparnisbildung und der geringen Kreditnachfrage Privater war die Gefahr einer Verdrängung privater Investitionen und der privaten Kreditnachfrage vom Kapitalmarkt - das nennt man den Crowding-out-Effekt - nicht zu erwarten, und das ist auch nicht eingetreten. Die Finanzpolitik muß diese stützende Linie 1979 zunächst so lange fortsetzen, wie wir nicht sicher sein können, daß die zweifellos vorhandenen Auftriebskräfte genügend Eigendynamik entwickeln. Daß die Bundesregierung das konjunkturpolitisch Notwendige 1977 und 1978 getan hat, wird ihr vom Sachverständigenrat ausdrücklich bescheinigt. Er schätzt die zusätzlichen Nachfrageeffekte für 1979 auf rund 26 Milliarden DM, und das sind immerhin rund 2 % des erwarteten Bruttosozialprodukts. Ohne dieBundesminister Dr. Graf Lambsdorff se Anstöße wäre unser Wachstumsziel nicht zu erreichen. Die Bundesrepublik Deutschland ist damit 1978 auch ihren internationalen Verpflichtungen nachgekommen, wie sie auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Bonn im vergangenen Jahr vereinbart wurden. Wer die zugegebenermaßen hohe öffentliche Verschuldung kritisiert, der stellt damit zugleich die Beschlüsse in Frage, die in Bonn und Bremen gefaßt worden sind. Es wäre interessant zu erfahren, meine Damen und Herren von der Opposition, ob Sie dies wirklich wollen. ({57}) Gegenwärtig spricht alles dafür, daß die Deckung des öffentlichen Kreditbedarfs trotz zunehmender privater Nachfrage bei der weiterhin hohen Ersparnisbildung und der hohen Liquidität auch 1979 keine größeren Probleme mit sich bringen wird. ({58}) -. Jedenfalls nicht wegen übertriebener Nachfrage am Markt, Herr Kollege. - Selbstverständlich müssen wir mit zunehmender konjunktureller Belebung konsolidieren. Die Bundesregierung hat daran nie einen Zweifel gelassen. Sie hat dies auch bei der Aufstellung des Finanzplans 1978 bis 1982 zum Ausdruck gebracht und die Konsolidierung keineswegs auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Wir werden die Konsolidierung nicht aus dem Auge verlieren ({59}) und um so eher damit beginnen können, je rascher der Aufschwung trägt. Dies ist aber die Voraussetzung dafür. Schon die Belastung künftiger Haushalte mit Zinszahlungen wie die Ergiebigkeit der Kapitalmärkte werden uns dazu zwingen. Ganz unsinnig ist aber - lassen Sie midi das so deutlich sagen -, was uns die Opposition dazu bietet. Man kann nicht immer neue Forderungen an den Bundeshaushalt stellen, weitere Steuersenkungen verlangen und gleichzeitig nach verstärkter Konsolidierung rufen. ({60}) Wer das tut - und die CDU/CSU ist darin Meister -, ({61}) verliert jede Glaubwürdigkeit, wenn er sich über den Zustand der Staatsfinanzen ereifert. ({62}) Meine Damen und Herren, Sie haben sich dieses Lieblingsthema in letzter Zeit ausgewählt, weil alle Ihre kürzerfristig nachprüfbaren, düsteren Prognosen samt und sonders nichts geworden sind und sich nicht bewahrheitet haben. ({63}) Jetzt wird mit einem Thema operiert, das erst in der nächsten Generation überprüft werden kann; an dem werden Sie sich lange wärmen und festhalten. ({64}) Nicht die Höhe der öffentlichen Verschuldung ist beunruhigend; das Tempo muß uns nachdenklich machen und macht uns auch nachdenklich, ({65}) mit dem die staatlichen Defizite in den vergangenen Jahren gestiegen sind. Daß wir dieses Tempo so bald wie möglich drosseln müssen, steht völlig außer Frage und niemand hat das je bestritten. ({66}) Für 1979 - meine Damen und Herren von der Opposition, ich sage es noch einmal, da Sie es in der Haushaltsdebatte hier verlangt haben - war das aus den eben dargelegten Gründen ohne schweren Schaden für Wachstum und Beschäftigung nicht möglich. ({67}) Ich hoffe sehr, daß wir im Bundeshaushalt 1980 damit beginnen können. ({68}) In der Tat zeigt die konjunkturelle Entwicklung, daß dies mehr als eine leere Hoffnung ist. Aber noch einmal: es hängt ganz entscheidend von der konjunkturellen Entwicklung ab. ({69}) Ich teile durchaus die Auffassung meines Freundes Hoppe über die Rolle, die dem Parlament bei der Begrenzung der öffentlichen Ausgaben und der Rückführung der öffentlichen Verschuldung zufällt. ({70}) Ich muß allerdings auch daran erinnern, daß wir den Kreditbedarf der öffentlichen Haushalte fast immer höher einschätzen, als er im Jahresverlauf tatsächlich ist. ({71}) Dadurch ergibt sich gegenüber dem ursprünglich veranschlagten Kreditbedarf zwar ein Konsolidierungseffekt, kapitalmarktpolitisch ist diese Überschätzung des öffentlichen Kreditbedarfs jedoch nicht unbedenklich, weil sie Zinssteigerungstendenzen begünstigen kann. ({72}) Auch der Vorwurf, mit der hohen Staatsverschuldung würden wir zukünftigen Generationen die Gestaltungsmöglichkeiten von der finanziellen Seite her begrenzen, kann so generell und abstrakt nicht akzeptiert werden. Abgesehen von den Schwierigkeiten der Abgrenzung und Bewertung - wer wird denn eigentlich belastet, wer wird denn eigentlich begünstigt und in welchem Umfang? -, hat die Bundesregierung Ausgaben für die Zukunftsvorsorge Priorität eingeräumt, d. h. solchen Ausgaben, die auch künftigen Generationen zugute kommen. Diesem Ziel diente vor allem auch das Programm für Zukunftsinvestitionen, und die Finanzplanung setzt ähnliche Schwerpunkte. Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff . Es geht der Bundesregierung mit ihrem Konzept der Wachstumspolitik und seiner Finanzierung nicht um kurzfristige Erfolge in diesem oder im nächsten Jahr, sondern darum, durch vielfältige Maßnahmen des Staates in der Gegenwart die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung in der Zukunft auch auf längere Sicht zu schaffen. ({73}) Deshalb ist es einseitig und irreführend, wenn die Belastungen künftiger Haushalte für den Schuldendienst überdimensional herausgestellt werden und wenn Oppositionssprecher so tun, als ob wir heute schon das Brot unserer Enkel verspeisten. Es ist unsere Aufgabe, mit den Entscheidungen von heute auch den Wohlstand unserer Kinder und Enkelkinder zu sichern. ({74}) Es wäre sträflich, wenn wir aus falsch verstandener Sparsamkeit des Staates das dafür notwendige Potential unserer Wirtschaft nicht schaffen und entwikkeln würden. ({75}) Meine Damen und Herren, ohne den deutlichen Beitrag der wachstumspolitischen Maßnahmen wäre es im letzten Jahr nicht möglich gewesen, die Zahl der Arbeitslosen. im Jahresdurchschnitt unter die Millionengrenze zu senken. Im Jahreswirtschaftsbericht haben wir zur Frage der Arbeitslosigkeit eine günstigere Entwicklung in Aussicht stellen können als in den drei vorangegangenen Jahren, und dies, obwohl 1979 sogar mit einer besonders hohen Zunahme der Zahl der Erwerbspersonen zu rechnen ist. Die Millionengrenze wird auch 1979 - deutlicher als 1978 - unterschritten werden. Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist freilich immer weniger ein konjunkturelles, sondern zunehmend ein arbeitsmarktstrukturelles Problem. So haben wir in einzelnen Regionen und Sektoren fast schon wieder Vollbeschäftigung; in einzelnen Bereichen sogar erheblich mehr offene Stellen als Arbeitslose. Gleichzeitig gibt es Regionen, in denen die Arbeitslosenquote unverändert hoch ist. Ferner müssen wir bei der Analyse der Arbeitsmarktstrukturen sehen, daß ältere Arbeitslose, solche, die nicht ganz gesund oder bereits längere Zeit arbeitslos sind, nur schwer zu vermitteln sind. Das waren aber nach der Arbeitsmarktanalyse der Bundesanstalt für Arbeit von den 911 000 Arbeitslosen im September 1978 40 %, d. h. 364 000. ({76}) Weiter muß man sich vor Augen halten, daß, während der Facharbeitermangel zunimmt, der Anteil der Ungelernten 55 % der Arbeitslosen beträgt. 55% der Arbeitslosen sind Ungelernte! Schließlich entwickeln sich die Arbeitsmärkte für Männer und Frauen unterschiedlich. Die Zahl der weiblichen Arbeitslosen geht langsamer zurück ah die der männlichen Arbeitslosen, und zwar offen sichtlich deshalb, weil fast nur Frauen eine Teilzeitbeschäftigung suchen, Teilzeitarbeitsplätze in diesem Umfang aber noch nicht angeboten werden. Welche Therapie können wir aus dieser Diagnose ableiten? Wir müssen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung konsequent weiter verbessern. ({77}) Ich unterstreiche aber auch den Nutzen unserer dualen Ausbildung. Nicht zufällig ist bei uns die eigentliche Jugendarbeitslosigkeit niedrig im Vergleich etwa zu Frankreich, das fast eine doppelt so hohe Quote hat. Die andererseits relativ hohe Arbeitslosigkeit der 20- bis 25jährigen ist freilich nicht einfach darauf zurückzuführen, daß hier Schulabgänger Berufseinstiegsprobleme haben - das auch. Sie ist auch Reflex unserer Schutzrechte z. B. für ältere und solche Arbeitnehmer, die eine längere Betriebszugehörigkeit aufzuweisen haben. Aber, meine Damen und Herren, ich kann nur wiederholen: Wenn wir dieses Problem für die jüngere, für die nächste Generation lösen wollen, dann liegt der Schlüssel bei der Ausbildung. Jeder, der von übertriebenem Ausbildungsangebot und zu hohem Bildungsstand in der Bundesrepublik redet, versündigt sich an den Arbeitsmarktproblemen der nach uns kommenden Generation. ({78}) Mit der erwünschten besser werdenden Ausbildung junger Frauen steigt auch die Notwendigkeit, Arbeitsangebote zu machen, die es Frauen ermöglichen, der Doppelrolle als Berufstätige und Hausfrau und Mutter gerecht zu werden. Das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen ist - auch im öffentlichen Dienst - nach wie vor unbefriedigend. ({79}) Natürlich können nicht alle Frauen am Vormittag beschäftigt werden; aber es haben auch nicht alle teilzeitarbeitsuchenden Frauen schulpflichtige Kinder. Eine sachgerechte Aufteilung der Arbeitszeit sollte sich aber im Betrieb mit gutem Willen aller Beteiligten und vielleicht auch mit ein bißchen mehr Einfallsreichtum finden lassen. Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit in der Wirtschaft und bei den Arbeitnehmern haben schließlich auch etwas mit dem Lohn bzw. dem preis für Arbeit zu tun. Die Bereitschaft zu Mobilität, Umschulung und Weiterbildung hängt auch von finanziellen Anreizen ab. Ebenso wird die Bereitschaft zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen von Kosten und Erträgen abhängig sein. Ohne eine Unterstützung von der Lohnstruktur her kann ich mir eine nachhaltige Tendenz zu mehr Gleichgewicht. am Arbeitsmarkt kaum vorstellen. Das gilt für Ungelernte ebenso wie für Akademiker, für regionale wie für branchenmäßige Ungleichgewichte. Wir dürfen Lohndifferenzierung nicht als Diskriminierung verketzern, sondern müssen sie als Chance für einen ausgeglicheneren Arbeitsmarkt begreifen; denn wir können nicht damit rechnen, daß sich strukturelle Unterschiede am Arbeitsmarkt auf mittlere Sicht quasi demographisch auflösen werden. Meine Damen und Herren, ich habe in den vergangenen Tagen Vorwürfe des IG-Metall-VorsitzenBundesminister Dr. Graf Lambsdorff den, Eugen Loderer, und des Kollegen Roth gelesen, die Bundesregierung und vor allem der Bundeswirtschaftsminister seien in der Arbeitsmarkt- und, damit zusammenhängend, in der Strukturpolitik untätig und passiv. Ich weiß nicht, woher diese Einsichten stammen. Ich halte es aber für eine schlimme Sache, wenn der Vorsitzende der IG-Metall erklärt, die politisch Verantwortlichen hätten sich daran gewöhnt - nun zitiere ich wörtlich -, „ohne schlechtes Gewissen dauerhaft mit einer Million Arbeitslosen zu leben". ({80}) Wie kommt Herr Loderer darauf? Hat er die wirtschafts- und konjunkturpolitischen Maßnahmen der vergangenen zwei Jahre nicht zur Kenntnis genommen? Er kann doch nicht übersehen haben, daß die Zahl der Arbeitslosen 1978 zurückgegangen ist und dies aller Voraussicht nach auch 1979 der Fall sein wird? Ich bin bereit, jede sachliche Kritik entgegenzunehmen und mich jedem Gespräch zu stellen - wie sicherlich auch jedes andere Mitglied der Bundesregierung. Unqualifizierte Vorwürfe bringen aber keinen einzigen Arbeitslosen. wieder in den Beruf. ({81}) Und wenn der Kollege Roth meint, die Regierung sei offenbar bereit, sich mit einer Arbeitslosenquote von knapp 4 % abzufinden, dann macht das die Sache nicht besser. Sie wissen, daß wir uns damit nicht abfinden wollen, und Sie kennen unsere wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen und die - zugegebenermaßen begrenzten - Fortschritte. ({82}) Auch mit Ihren Vorstellungen zur Novellierung der Arbeitszeitordnung wird die Lage am Arbeitsmarkt nicht verbessert. Wenn wir an die Ende der 80er Jahre einsetzende Arbeitskräfteknappheit denken, wird deutlich, daß damit andere Probleme auf uns zukommen. ({83}) - Leben Sie von dieser Hoffnung ruhig noch eine ganze Weile! Bei Ihrem Zustand kann das noch eine ganze Weile dauern. ({84}) - Verehrter Herr Kohl, Ihnen Freude zu machen, Trost und Erleichterung zu spenden ist mir in Ihrer Situation stets ein Bedürfnis. ({85}) Wir sind ab 1990 angesichts der sich öffnenden Schere zwischen der Nachfrage nach Arbeitsplätzen und Arbeitssuchenden darauf angewiesen, noch mehr Frauen als heute zu beschäftigen. Gesellschaftspolitisch sinnvoll kann das nur mit einer erheblich höheren Teilzeitarbeit als bisher geschehen. Dazu müssen wir wahrscheinlich stärker aus dem alten Schema der Industriearbeit, das eigentlich nur den Vollzeitarbeiter kennt, heraus. Das Denken und das Umschalten können doch aber nicht erst 1988 beginnen. Die Konzentration von Anpassungsprozessen' in bestimmten Sektoren bringt für einige Regionen besondere Beschäftigungsprobleme mit sich. Dies ist derzeit zweifellos in den Küsten- und Montangebieten der Fall. Die Bundesregierung hat deswegen die zuständigen Ressorts beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Küstenländern Vorschläge zur Verbesserung der Industrie- und Beschäftigungsstruktur der Küstenregionen unter Berücksichtigung der Anpassungserfordernisse der Werftindustrie zu erarbeiten. Außerdem wurden das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesfinanzministerium beauftragt, zu prüfen, ob - unter Berücksichtigung der verfassungsmäßigen Aufgaben der Länder - auch in anderen Regionen die aus sektoralen Anpassungsprozessen resultierenden Beschäftigungsprobleme durch regionale investitions- und wachstumsfördernde Maßnahmen erleichtert werden können. ({86}) Ich möchte diesen Prüfungen, die wir begonnen haben, nicht vorgreifen. Für mich steht aber fest, daß es hier nicht darum gehen kann, ohne gründliche Analyse und Überlegungen ein paar zusätzliche Milliarden auszustreuen. Wir müssen uns wohl auch fragen: Was nützen wirklich weitere 700 oder 800 Millionen DM für ein bestimmtes Gebiet der Bundesrepublik, wenn in derselben Gegend allein zwei Investitionsvorhaben mit einem Volumen von zusammen über 5 Milliarden DM durch Gerichtsbeschluß oder Verwaltungsverfahren gestoppt sind? ({87}) Zur Debatte steht gegebenenfalls, einen rationalen, beschäftigungspolitisch verläßlichen Weg zur Überwindung regional konzentrierter Strukturprobleme zu suchen, ohne einfach an die regionale Wirtschaftsförderung weitere Gebiete auf Dauer anzugliedern, verkrustete Strukturen aufzulockern und bei der Entstehung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten zu helfen, statt unhaltbare Arbeitsplätze auf Dauer zu subventionieren. Die Haltung der Länder, insbesondere hinsichtlich der Frage, wie eine zureichend begründete wirtschaftsgerechte Konzeption zustande gebracht werden kann, wird für das Prüfungsergebnis wichtig sein. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht Hinweise darauf gegeben, wie die in den letzten Monaten erreichte konjunkturelle Erholung in einen sich selbst tragenden und nachhaltigen Wachstumsprozeß einmünden kann. Mit der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre und besonders auch mit dem Maßnahmenpaket aus dem vergangenen Jahr sind die Weichen in Richtung auf mehr Wachstum in Stabilität und damit für eine weitere Verbesserung der Beschäftigungssituation gestellt. Gleichwohl stellen die vor uns liegenden wirtschaftspolitischen Probleme an uns alle - Regierung und Parlament, Unternehmer und Arbeitnehmer - weiterhin hohe Anforderungen. Diesen können und müssen wir in doppelter Weise gerecht werden: Auf der einen Seite bedarf es der Standfestigkeit und des Festhaltens an den bewährten ordnungspolitischen Prinzipien, denen wir einen Großteil des wirtschaftlichen Erfolges in 30 Jahren Bundesrepublik Deutschland verdanken. Andererseits müssen wir auf veränderte Datenkonstellationen und neue Herausforderungen flexibel reagieren können. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Entwicklung der Weltwirtschaft als auch im Hinblick auf die vor uns liegenden strukturpolitischen Probleme, die gegenüber früheren Jahren ein größeres Gewicht gewonnen haben. Ich bin zuversichtlich, daß wir dann, wenn wir diese Prinzipien beachten, in zwölf Monaten auf ein erfolgreiches Jahr 1979 zurückschauen können. ({88})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Biedenkopf.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohl selten haben die Fraktionen der Regierungskoalition grundsätzlichen Ausführungen ihres Wirtschaftsministers mit so viel Spannung und Zustimmung gelauscht wie heute. Die ordnungspolitischen Ausführungen, die Sie, Graf Lambsdorff, gemacht haben, haben sich für uns stellenweise wie ein Kündigungsschreiben an die Koalition angehört. ({0}) Denn für die ordnungspolitischen Feststellungen und die ordnungspolitischen Zielsetzungen, die Sie dem Hohen Hause in Ergänzung ,des Jahreswirtschaftsberichts vorgetragen haben, gibt es in der Koalition keine Mehrheit. ({1}) Dies läßt sich nicht nur der Rede selbst, sondern vor allen Dingen auch einer ganzen Reihe von Begleiterscheinungen der Politik der letzten Jahre entnehmen. Es läßt sich insbesondere auch den Feststellungen des Wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministers entnehmen. Herr Kollege Roth hat soeben von politischem Rauch gesprochen: Der Minister hat für sich in Anspruch genommen, keinen ordnungspolitischen Rauch zu verbreiten. Das hat er zwar für seine Person auch sicher nicht getan, aber er hat eine Art Rauchschleier entwickelt ({2}) - Herr Kollege Wehner, ich würde hinsichtlich solcher Fragen niemals wagen, mit Ihrem Sachverstand zu konkurrieren -, ({3}) der die unüberbrückbaren politischen Gegensätze in der Koalition selbst verdeckt. Zunächst hat der Minister in seiner Rede auf eine Reihe dieser Gegensätze ausdrücklich Bezug genommen. Er hat den auf der Europaliste kandidierenden Sozialdemokraten Loderer wegen seiner Feststellungen über die Arbeitslosigkeit in ungewöhnlicher Weise angenommen. Es hat völlig eindeutig festgestellt, daß er mit der vom Herrn Kollegen Roth in der Haushaltsdebatte entwickelten Vorstellung über den gespaltenen Markt und der unterschiedlichen ordnungspolitischen Behandlung der Märkte kleinerer und mittlerer Unternehmen und der Märkte von Großunternehmen auf keinen Fall einverstanden ist. Diese Auffassung ist aber keinesweg nur die Auffassung des Herrn Kollegen Roth, sondern es ist die Auffassung des linken Flügels in der SPD. Er hat deutlich gemacht, daß er die Sorge des Herrn Kollegen Hoppe bezüglich der Neuverschuldung teilt. Aber wir haben in der dritten Lesung des Haushaltsgesetzes miterlebt, wie der Finanzminister den vom Herrn Kollegen Hoppe geäußerten Sorgen auf das entschiedenste entgegengetreten ist. Der Wirtschaftsminister hat auf den letzten Bericht seines Wissenschaftlichen Beirats Bezug genommen. Ich stimme ihm zu, daß dieser Bericht in der Tat eine sehr wichtige Entscheidungshilfe für die zukünftige Politik sein muß. Aber, meine Damen und Herren, der Bericht hat sich nicht nur mit der zukünftigen Politik, sondern mit einer Fülle von Feststellungen über den gegenwärtigen Zustand beschäftigt. So heißt es in den Zusammenfassungen des Berichts unter Ziffer 3 unter anderem: Manche Probleme - Strukturveränderungen, Arbeitslosigkeit, Schwierigkeiten der Anpassung etc. haben sich nämlich nur deshalb zugespitzt, weil konsequent marktwirtschaftliche Lösungen verhindert und dadurch Fehlanpassungen und Verzögerungen hervorgerufen wurden. Meine Damen und Herren, ich nehme nicht an, daß sich der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministers hier mit der CDU beschäftigt. Ich nehme auch nicht an, daß er sich mit irgendwelchen marxistischen Randgruppen an den Universitäten beschäftigt, sondern er beschäftigt sich mit den Folgen der Politik der Bundesregierung in den letzten Jahren. ({4}) Der Wissenschaftliche Beirat stellt fest, daß sich die gegenüber der Marktwirtschaft teils skeptischen, teils feindlichen Einstellungen, die er in seinem Bericht feststellt, nicht nur unmittelbar auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte auswirken, sondern auch den Tendenzen der Wirtschaftspolitik Vorschub leisten, Lösungen der vorstehend genannten Probleme in eiligen Ad-hoc-Maßnahmen zu suchen, ohne die ordnungspolitischen Folgen zu beachten. Auch das ist eine völlig zutreffende Zustandsbeschreibung der gegenwärtigen tatsächlichen Politik, im nachhaltigen Unterschied zu den ordnungspolitiDr. Biedenkopf I schen Zielvorstellungen, die uns der Wirtschaftsminister inhaltlich zutreffend vorgetragen hat. Es heißt weiter: Solche Einstellungen mit derartigen Folgen beruhen insbesondere darauf, daß man die innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung erreichten Vorteile als selbstverständlich ansieht. Man schreibt sie gar nicht mehr der Marktwirtschaft zu. - Die Bundesregierung schreibt sie sich zunehmend selbst zu. Dagegen empfindet man Anforderungen, welche in der Marktwirtschaft an das Verhalten der einzelnen und Gruppen gestellt werden, als immer lästiger. Daß Vorteile nicht ohne Inkaufnahme von Risiken zu erlangen sind, wird als ein Dilemma der Marktwirtschaft angesehen, dem man durch Systemänderung entgehen zu können glaubt. ({5}) Dieser Feststellung über die Politik der vergangenen Jahre ist kaum etwas hinzuzufügen. Wichtig ist auch die Feststellung des Wissenschaftlichen Beirats, daß alle Anstrengungen oder alle Vorschläge, die marktwirtschaftlichen Strukturen zu stärken und auszubauen, vor allen Dingen auch in Bereiche auszudehnen, die nicht mehr in der direkten staatlichen Obhut bleiben müßten, „bisher kaum politische Unterstützung gefunden haben". Es heißt: Sie ersetzen auch nicht das systematische Bemühen um eine stetige Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung als Ganzes. Ich kann dem Bericht des Wissenschaftlichen Beirats, der sich dann auf den weiteren 60 Seiten ausführlich mit der Notwendigkeit einer Ausweitung der marktwirtschaftlichen Ordnung beschäftigt, nichts hinzufügen. Ich stimme völlig mit dem überein,. was dort steht. ({6}) - Ich habe ja gesagt, Herr Kollege Wehner, daß ich mit weiten Strecken dessen, was der Herr Minister gesagt hat, übereinstimme. ({7}) - Auch ich finde das gut. Was ich nicht gut finde, ist, daß der Minister keine Mehrheit hat. ({8}) - Er hat eine Mehrheit der Einsichtigen, aber er hat keine politische Mehrheit in der Koalition. Daß diese Spaltung in Fragen der ordnungspolitischen Grundsätze vor allem in der Sozialdemokratischen Partei besteht, kann im übrigen von niemandem bestritten werden, der sich mit der Literatur der Sozialdemokratischen Partei selbst beschäftigt. ({9}) - Ich beschäftige mich z. B. mit der Politik, wie Sie sie niederschreiben. Ich nehme an, daß Sie das tun, um sich auszudrücken. ({10}) - Sie lesen sie ja sehr sorgfältig; das stelle ich die ganze Zeit fest. ({11}) - Das glaube ich! Hier ist offenbar auch eine gewisse Meinungsverschiedenheit in der Koalition; denn andere Mitglieder der Koalition zitieren Sie ja ständig. ({12}) - Sehr gut. Jetzt kommen wir zu den grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten. Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten sind ja gerade die, auf die ich mich beziehe, nämlich die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über ordnungspolitische Fragen. Herr Kollege Friedrich hat in einem Aufsatz in der „Neuen Gesellschaft", Februar-Ausgabe, auf einen Beitrag Bezug genommen, den ich 1973 unter dem Titel „Die Volksfront in der SPD" geschrieben habe, ({13}) - Herr Friedrich hat ihn aber immerhin für wertvoll genug gehalten, um ihn noch sechs Jahre später in einer ausführlichen Stellungnahme zu begutachten. ({14}) - Wissen Sie, Herr Friedrich ist, glaube ich, von einem Niveau, daß er sich nicht mit miesen, sondern mit wichtigen Sachen beschäftigt. ({15}) Jedenfalls haben wir damals festgestellt, daß es in der Sozialdemokratischen Partei keinen Konsens über die Frage gibt, ob die Zukunftsprobleme unserer Gesellschaft noch mit marktwirtschaftlichen Mitteln gelöst werden können oder nicht. Sowohl der Orientierungsrahmen 85 der Sozialdemokratischen Partei wie andere theoretische Diskussionsbeiträge aus wichtigen Teilen Ihrer Partei bis in die jüngste Zeit - ich erinnere an die Äußerungen des Hamburger Bürgermeisters und anderer - gehen davon aus, daß die wesentlichen Zukunftsprobleme unseres Landes nicht mehr mit marktwirtschaftlichen Mitteln gelöst werden könnten, sondern andere Methoden der Problemlösung erforderlich seien.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine solche Zwischenfrage ist für mich immer eine Auszeichnung. ({0})

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, ist es nicht gerade für Sie nachdenkenswert, daß die Politik der Regierung, über die der Bundesminister für Wirtschaft heute seine Darlegungen gemacht hat, darum ringt und dazu beiträgt, daß Markt wirklich Markt ist, weil die Kräfte, die sich auf Marktwirtschaft in einem ideogolischen Sinne berufen, leider gar nicht ausreichen, den 'Markt voll marktfähig zu halten? ({0})

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, die Kräfte, die sich um eine Marktwirtschaft bemühen, insbesondere die rund 1,8 Millionen mittleren und kleinen Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland, die etwa 60 % der Arbeitnehmer beschäftigen und die in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht mehr als zehn Arbeitnehmer haben - also keine anonymen Großgebilde sind -, können die Soziale Marktwirtschaft in der Tat alleine nicht mehr durchsetzen und verwirklichen, weil, wie der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums ausführlich dargelegt hat, die Politik ihnen diese Chance eben nur in unzureichendem Umfang bietet. Über diese Politik zu reden ist gerade jetzt meine Aufgabe. ({0}) Die Unsicherheit über die Haltung der größeren der beiden Regierungsparteien zur marktwirtschaftlichen Ordnung betrifft unmittelbar die Konstanz, Zuverlässigkeit und die Tragfähigkeit der Rahmenbedingungen, von denen der Minister gesprochen hat. Ich begrüße es ausdrücklich, daß der Minister seine Einführung zum Jahreswirtschaftsbericht und zum Sachverständigengutachten neben der Darstellung des wesentlichen Inhalts insbesondere des Jahreswirtschaftsberichts zum Anlaß genommen hat, auf diese allgemeinen und grundsätzlichen Fragen zu sprechen zu kommen; denn ich bin in der Tat der Meinung, daß die Diskussion in diesem Hohen Hause über solche grundsätzlichen Fragen, wie sie auch der Minister behandelt hat, dringend erforderlich ist. Solange jedenfalls kein überzeugender Nachweis dafür geführt wird, daß .das, was der Minister vorgetragen hat - unter Einschluß der kritischen Bemerkungen gegenüber anderen ordnungspolitischen Vorstellungen -, in der Regierung und vor allem in der Regierungskoalition wirklich mehrheitsfähig ist ({1}) - wir können auf Einzelheiten noch zu sprechen kommen, Herr Wolfram -, solange ist die erste Feststellung gerechtfertigt, daß es für die Politik, die der Minister vorgetragen hat, in der Koalition keine Mehrheit gibt. ({2}) Der Wirtschaftsminister hat über die Risiken gesprochen: die Konjunkturentwicklung in den westlichen Ländern, politische Umbrüche, Währungsrisiken, Protektionismus. In der Tat scheint mir bei der abwägenden Bewertung des Jahreswirtschaftsberichts die Beurteilung der Risiken zu optimistisch zu sein. Dies gilt insbesondere für die energiepolitischen Risiken, aber nicht nur. Die wirtschaftliche und konjunkturelle Entwicklung in anderen westlichen Ländern, bei der sich die Regierung angewöhnt hat, sie mit der Formel zu übergehen, diplomatische Höflichkeit gestatte ihr nicht, darauf einzugehen, muß natürlich diskutiert werden, auch in diesem Hohen Hause, vor allem dann, wenn wir im Begriff stehen, uns über ein Europäisches Währungssystem auf Gedeih und Verderben mit der konjunkturellen, wirtschaftspolitischen und allgemeinpolitischen Entwicklung in diesen Ländern wirtschaftspolitisch zu verbinden. ({3}) Es wird über das Europäische Währungssystem im Laufe der Diskussion noch zu sprechen sein. Festgestellt werden muß jedenfalls, wie Herr Barbier es z. B. in der „Süddeutschen Zeitung" zum Jahreswechsel zum Ausdruck gebracht hat, daß die Einführung des Europäischen Währungssystems, sollte sie tatsächlich gelingen, einen größeren Eingriff in die wirtschaftspolitische, konjunkturelle Entwicklung unseres Landes darstellen wird als jede Gesetzgebung, die dieses Hohe Haus in diesem Jahr oder in den kommenden Jahren verabschieden kann. ({4}) Es ist gar keine Frage, daß das, was hier in formaler Hinsicht über die Notenbanken vereinbart wird, aber in Wirklichkeit - auch schon vom Herkunftsort her - höchstens europäischen Verfassungsrang hat, eine Fortentwicklung mit Risiken bedeutet, auf deren Gestaltung dieses Hohe Haus gar keinen Einfluß mehr haben wird. ({5}) Ich möchte hier nicht die Diskussion der Frage vertiefen, ob der Verfassungsvorbehalt im Grundgesetz, der der Regierung die Übertragung von Teilsouveränitäten auf Europa erlaubt, so weit interpretiert werden kann, wie das möglicherweise im Zusammenhang mit einem Europäischen Währungssystem erfolgen müßte, welches sich verselbständigt, und zwar einfach deshalb, weil mir dafür die empirischen Voraussetzungen noch nicht gegeben zu sein scheinen, Daß aber gerade dieses Parlament auf die weitere Entwicklung ein Auge haben muß, scheint mir unbestreitbar. Wichtiger, kurzfristig gesehen, als außenwirtschaftliche Risiken sind die politischen Umbrüche, von denen der Minister gesprochen hat. Der Minister hat aus gutem Grund eine Stellungnahme zur aktuellen energiepolitischen Situation in seinen Vortrag aufgenommen. Er hat festgestellt, daß unbeachtet der bedeutsamen Anteile der iranischen ErdDr. Biedenkopf ölproduktion an der deutschen Versorgung, eine akute Versorgungsgefahr nicht bestehe. ({6}) Das ist wahrscheinlich richtig; nur, meine Damen und Herren, für die Frage des Investitionsverhaltens etwa der deutschen Wirtschaft ist nicht das Problem der akuten Versorgungsgefahr das Problem, welches wir im Mittelpunkt sehen müssen, sondern die Breurteilung der langfristigen Sicherheit der Energieversorgung. Kein Unternehmen wird Neuinvestitionen in den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland vornehmen, die einen nennenswerten Beitrag etwa zur Vollbeschäftigung oder zum Strukturwandel leisten können, wenn es sich nicht davon überzeugen kann, daß dieser Industriestandort Bundesrepublik Deutschland unter anderem auch eine gesicherte Energieversorgung hat. ({7}) ({8}) : Eine späte Erkenntnis!) Die Energieversorgung mit Rohöl kann aber schlechterdings im Augenblick nicht als gesichert angesehen werden, jedenfalls längerfristig gesehen. Ich möchte hier, ohne daß ich das vertiefen will, auf einen, wie ich glaube, ungewöhnlich bemerkenswerten Aufsatz von Günther Gillessen, in der „Frankfurter Allgemeinen" verweisen. Günther Gillessen hat in der Frankfurter Allgemeinen die Frage nach den Ursachen für die gegenwärtigen Unruhen und Verwerfungen in den sogenannten Entwicklungsländern aufgeworfen, wie sie z. B. im Iran auftreten. Er hat die nach meiner Auffassung vollkommen berechtigte Feststellung getroffen, daß hier Prozesse zum Ausdruck kommen, die nicht allein durch Irgendwelche kurzfristigen oder langfristigen Veränderungen der politischen Verfassung ausgelöst sind, sondern durch das unmittelbare Zusammentreffen der westlichen, industriestaatlichen Kultur und Zivilisation mit anderen Kulturen, anderen Normensystemen, mit der Folge, daß sich die anderen Kulturen und Normensysteme gegen diese Einflüsse zur Wehr setzen, weil sie die Veränderungen ihrer Wertordnung, ihrer kulturellen und ihrer religiösen Ordnung, die durch das Eindringen westlichen Denkens, westlicher Industrialisierung, westlicher Expansionsüberlegungen bedingt sind, nicht verkraften können. Wenn dies aber als allgemeineres Prinzip richtig unterstellt wird, dann bedeutet das, daß die Gefahren, die sich heute im Iran darstellen, von uns keineswegs als ein singuläres Ereignis angesehen werden dürfen, das nur im Iran auftreten kann. ({9}) - Darauf komme ich gleich noch zurück. - Genauso ist es denkbar, daß in anderen islamischen Ländern aus religiösen Gründen plötzlich die Auffassung vertreten werden könnte, der Verkauf von Rohstoffen, insbesondere von Erdöl, an westliche Industrienationen dürfe nur in dem Umfang stattfinden, den die unmittelbaren nationalen Interessen dieser Länder, und zwar im Takt einer geordneten Weiterentwicklung, rechtfertigen. ({10}) - Ich habe jetzt nur diesen Gesichtspunkt erwähnt, weil er mir in den letzten Jahren in diesen Ländern in immer stärkerem Maße in den Vordergrund zu treten scheint und weil die Auseinandersetzungen im Iran vor allem aus diesen Quellen gespeist werden. Wir müssen uns also nachhaltig, und zwar gerade in einer Zeit der relativen Stabilität in unserem Lande, mit der Frage der Vorsorge für solche Entwicklungen befassen. In diesem Zusammenhang spielt neben der Kohle vor allen Dingen die Kernenergie eine zentrale Rolle. ({11}) Hier ist nun festzustellen, daß die Sozialdemokratische Partei, wenn man die Jungsozialisten als einen Teil der Sozialdemokratischen Partei betrachten darf, was ja wohl gerechtfertigt ist ({12}) - ein schmeichelhafter Vergleich, Herr Kollege Wehner -, gerade jetzt wieder durch einen Beschluß der Landesverbände der Jungsozialisten im norddeutschen Raum erklärt hat, man werde alles tun - bis zur Grenze der Gewalt, wobei der Gewaltbegriff in der Sozialdemokratischen Partei ja durchaus umstritten ist- -, um die Einrichtung des Entsorgungszentrums in Gorleben zu verhindern.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Biedenkopf, teilen Sie meine Auffassung, daß Kernenergie sicherlich für die Stromversorgung von Bedeutung ist, aber nicht Rohöl substituieren kann? ({0})

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wolfram, ich teile Ihre Auffassung, wenn Sie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt etwa auf die Frage beziehen, ob man mit Kernenergie Automobile betreiben kann, aber ich teile Ihre Auffassung nicht in dieser allgemeinen Form, was ich auch - das ist ganz offensichtlich - nicht kann. Denn wir setzen Rohöl bereits heute zu einem nicht unerheblichen Teil zur Erzeugung von Energie, auch elektrischer Energie, ein. Wir werden das zurücknehmen müssen. Wir werden die Kernenergie aber auch für die Kohlevergasung brauchen. Wir werden die Kernenergie brauchen, um Rohöl als Energiequelle auch im industriellen Bereich zu ersetzen. Und es ist völlig unverzichtbar - gerade angesichts der wachsenden Stromverbrauchszahlen, auf die ja auch der Herr Minister in seinem Bericht hingewiesen hat -, die Belieferung mit Strom auszubauen. Es ist in Ihrer Frage jedenfalls kein prinzipieller Einwand gegen meine Feststellung enthalten gewesen, daß die offensive Behinderung der Einrichtung eines Entsorgungszentrums und die offensive Behinderung der Einrichtung eines Zwischenlagers in Ahaus durch SPD und FDP etwa in den Lokalparlamenten eine Gefährdung der Vorsorge für unsere zukünftigen Energiebedürfnisse darstellen. Die Bundesregierung stellt fest, daß außenwirtschaftliche Risiken bestehen, aber die Bundesregierung ist nicht in der Lage, in ihren eigenen Reihen eine Mehrheit, und zwar eine ausreichende, nämlich parlamentarische Mehrheit, dafür zu sichern, daß die zur Risikoabdeckung notwendigen Alternativen so schnell und so zügig wie möglich geschaffen werden. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie bei der Debatte, auf die ich anspielen will, anwesend sein konnten, aber hier ist von den Koalitionsfraktionen ein Entschließungstext vorgelegt und beschlossen worden, den z. B. die SPD-Fraktion einstimmig behandelt hat. Meinen Sie denn, daß mit Ihrem Problem Gruhl . - es ist nicht Ihr persönliches, aber Ihr CDU-Problem Gruhl - für Sie die Frage erledigt wäre und Sie sie uns anhängen könnten? ({0})

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das letztere meine ich in der Tat nicht, und das würde auch der Bedeutung des Problems nicht gerecht. ({0}) Ich möchte allerdings feststellen, daß Entschließungen und politische Handlungen bzw. Maßnahmen zwei verschiedene Dinge sind. Entschließen kann man sich zu einer ganzen Menge, ({1}) aber etwas anderes wäre es z. B., heute durch den Bundeskanzler die politische Erklärung zu hören, daß der Beschluß der Jungsozialisten, sich an den Demonstrationen gegen Gorleben zu beteiligen und dort die Fortführung der Arbeiten, die der Ministerpräsident unter der Drohung aktiver Störungen in Angriff nehmen muß ({2}) - Herr Kollege Wehner, wir haben offenbar unterschiedliche Vorstellungen von der Bedeutung von Teilen Ihrer Partei. ({3}) - Klärt man sie dadurch, daß man Demonstrationen von Kommunen gegen gesetzlich beschlossene Maßnahmen unterstützt? ({4}) - Aber das haben Sie doch gerade beschlossen! ({5})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Präsident, aber es sollte dann die letzte sein; ich verbrauche sonst meine ganze Zeit für die Beantwortung von Zwischenfragen. - Bitte, Herr Kollege Reuschenbach.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Biedenkopf, Sie sagten, es komme aufs Handeln und nicht auf Erklärungen an. Haben Sie denn an der Handlung, die in diesem Punkte vorgenommen worden ist, nämlich an der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung, irgend etwas Bemerkenswertes, irgend etwas Wichtiges auszusetzen? .

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Kollege Reuschenbach, ({0}) aber das ist ja gerade das Problem. ({1}) - Sie bestätigen nur das, was ich die ganze Zeit zu sagen versuche: Die Bundesregierung trifft eine solche Vereinbarung, und wichtige Teile Ihrer Partei beschließen, die Durchführung dieser 'Vereinbarung mit allen Mitteln zu verhindern. Das ist doch der Tatbestand! ({2}) Lassen Sie uns doch darum nicht herumreden! Der Beschluß ist doch gefaßt worden! ({3})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es soll meine letzte Frage sein, Herr Kollege: Ist Ihnen entgangen, daß diese Vereinbarung im Haushaltsausschuß und hier im Plenum bei der Debatte über den entsprechenden Titel des Haushaltsplanes von .den Koalitionsfraktionen ausdrücklich einmütig unterstützt worden ist? Ist Ihnen das entgangen? ({0})

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege Wehner, aber mir ist auch nicht entgangen, daß der Begriff der Doppelstrategie zuerst in Ihrer Partei entwickelt worden ist. ({0}) Der Minister hat sich in seinem Bericht an das Parlament sehr ausführlich mit der Rolle der Finanzpolitik bei der Stützung der Konjunktur und der weiteren Entwicklung unserer Wirtschaft befaßt. In seiner Rede sowie im Jahreswirtschaftsbericht wird festgestellt, die Neuverschuldung des Bundes sei notwendig gewesen, um ein angemessenes Wachstum zu sichern. Es wird festgestellt, daß der Staat fehlende private Nachfrage habe ausgleichen müssen, um eine angemessene Wachstumsrate zu erzielen. „Er mußte", wie der Minister es formuliert, „zusätzliche Nachfrage entfalten". Ich möchte hier zunächst eine allgemeine kritische Bemerkung machen. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung sich hier von der Auffassung leiten läßt, es müsse eine gewisse Wachstumszahl erreicht werden. Wenn diese Wachstumszahl, diese Wachstumsrate durch die private Nachfrage, d. h. durch das, was die Leute brauchen und deshalb nachfragen, nicht zustande komme, müsse das Wachstum durch zusätzliche staatliche Aktivitäten herbeigeführt werden. Ich halte das für eine gefährliche Auffassung. ({1}) Ich halte es weiterhin für ein gefährliche Auffassung, festzustellen und davon auszugehen - auch dies steht im Jahreswirtschaftsbericht und in der Rede des Wirtschaftsministers -, daß man ohne diese Wachstumsrate und damit die für diese Wachstumsrate notwendige Neuverschuldung der öffentlichen Kassen das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen könne. Dies ist nichts anderes als die verdeckte Feststellung, der Staat müsse jedes Beschäftigungsdefizit durch Neuverschuldung und damit verbundene Wachstumssteigerung ausgleichen, das möglicherweise ganz andere Ursachen hat, ({2}) etwa Strukturveränderungen oder die Lohnpolitik. Wenn die Ursache in der Lohnpolitik liegt, bedeutet diese Formulierung die De-facto-Übernahme des Vollbeschäftigungsrisikos der Tarifparteien durch den Staat. Wenn sich dies als eine generelle politische Linie durchsetzen sollte, dann ist schon aus diesem Grund eine Beendigung der Stützung der Konjunktur durch staatliche Ausgaben, die nur zu diesem Zweck erfolgen - und so heißt es ja hier - 1 gar nicht möglich. Denn wenn die Regierung durch Ausgaben, die nur zu diesem Zweck erfolgen, die Wachstumsrate erhöht - ich will jetzt überhaupt nicht die Frage stellen, ob die Ausgaben unter anderen Kriterien als angemessen oder dringlich gewürdigt werden können -, erzeugt sie Erwartungen. Sie erzeugt insbesondere Einkommenserwartungen. Selbstverständlich bedeutet eine Wachstumsrate von real 4 % im Rahmen der nächsten Tarifrunde eine bestimmte Erwartung, nämlich die Erwartung, daß aus diesen Wachstumsraten entsprechende Verbesserungen der Einkommen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entstehen können. Diese Verbesserung der Einkommen wiederum belastet aber die Angebotsseite. Die Schwäche der Angebotsseite ist schon heute in den Augen des Sachverständigenrats eine der Hauptursachen dafür, daß die Konjunktur sich nicht so entfaltet, wie sie sich entfalten sollte. Die Schwächung der Angebotsseite müßte dann, folgt man dem Gedanken weiter, durch öffentliche Anstrengungen ausgeglichen werden, um auf diese Weise wieder die Wachstumsraten zu erzielen, von denen man glaubt, daß sie unverzichtbar sind. Und so geht der Kreislauf weiter. Der Fehler liegt nach meiner Überzeugung in der vorweggenommenen Annahme, daß nur bei bestimmten Wachstumsraten, die gewissermaßen vorher festgesetzt werden, sozialpolitische, allgemeinpolitische, insbesondere verteilungspolitische Probleme lösbar seien. Ich werde auf diesen Punkt zurückkommen. Ich bin der Meinung, daß hier Ursache und Wirkung gegeneinander ausgetauscht wurden. Das Wachstum ist nicht das Ziel, sondern das Ergebnis politischen Handelns. Das Wachstum ist der Indikator dafür, ob die Ordnungspolitik und die Wirtschaftspolitik der Regierung erfolgreich sind. Wenn die Regierung jetzt sagt, da unsere Interventionen in der Vergangenheit - siehe den Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums - ständig überall wachstumshemmende Wirkungen ausgelöst haben und deshalb keine ausreichende Wachstumsrate entsteht, wir aber 4 % Wachstum brauchen und wir deshalb jetzt öffentliche Verschuldung durch die Notwendigkeit höherer Wachstumsraten rechtfertigen können, benutzt sie gewissermaßen das Wachstum nicht mehr als einen Indikator des Erfolgs ihrer Politik, sondern sie manipuliert diesen Indikator, und zwar indem sie das Wachstum durch öffentliche Verschuldung finanziert. ({3}) - Ich komme darauf gleich am Ende zurück, Herr Kollege Reuschenbach; bitte, haben Sie so lange Geduld. Aber wenn ich das zwischendurch sagen darf: im Stabilitätsgesetz, Herr Kollege, ({4}) - § 1 - lautet die Formulierung „bei angemessenem Wachstum", d. h., das angemessene Wachstum ist gewissermaßen die Kondition, unter der die StaDr. Biedenkopf bilitätsziele zu verfolgen sind. Das ist eine Formulierung, die sehr sorgfältig bedacht werden muß. Sie ist auch sehr sorgfältig bedacht worden. Aber ich komme auf die Wachstumsfrage am Ende zurück. Der Minister hat in völliger Übereinstimmung mit unserer in der Haushaltsdebatte vertretenen Auffassung festgestellt, daß ihn das Tempo der Verschuldung beunruhige. Das ist auch das, was uns beunruhigt. Deshalb haben wir auch darauf hingewiesen, daß in einem Jahr eine höhere Verschuldung eingetreten ist - Sie können ein beliebiges der letzten fünf Jahre nehmen - als in den 20 Jahren bis 1969. Wir wollten das Tempo der Verschuldung als die eigentliche Gefahr beschreiben. Und das ist auch die eigentliche Gefahr. Schließlich muß festgestellt werden, daß die öffentlichen Ausgaben nur in beschränktem Umfang geeignet sind, überhaupt dauerhafte, sich selber tragende Konjunktur zu gewährleisten. Denn erstens ist folgendes zu berücksichtigen. Wenn sich die investierenden Unternehmer daran gewöhnen, daß der Staat einen wesentlichen Teil der Nachfrage abdeckt, dann investieren sie nur in dem Umfang, in dem sie damit rechnen können, daß diese Nachfrage dauerhaft ist. ({5}) Sie investieren dann nämlich in Richtung auf die staatliche Nachfrage. Diese staatliche Nachfrage ist nicht ohne weiteres durch private Nachfrage substituierbar. Mit anderen Worten: die durch die staatliche Nachfrage ausgelösten Investitionsimpulse werden sich immer sorgfältig in dem Korridor bewegen, von dem die investierende Wirtschaft als dauerhaften Korridor staatlicher Ausgaben ausgehen darf. Wenn der Minister jetzt im Jahreswirtschaftsbericht die Konsolidation der öffentlichen Haushalte und das Zurückführen der Defizite und damit das Abnehmen des Ausgabenvolumens des Staates in Aussicht stellt, verhält er sich in diesem Bereich, wo auf Grund und in Erwartung öffentlicher Ausgaben investiert wird, gerade investitionshemmend. Denn die Wirtschaft wird sagen: wenn der Staat gegen Ende des Jahres seine Verschuldung und auch seine Nachfrage zurückdreht, weil er glaubt, die Konjunktur trage sich selbst, ist es nicht sinnvoll, auf zukünftige öffentliche Nachfrage hin zu investieren. ({6}) Zweitens. Öffentliche Investitionen sind fast immer mit Folgekosten verbunden. Die Folgekosten öffentlicher Investitionen sind inzwischen so hoch, daß sie selbst schon zur Verschuldung der öffentlichen Haushalte führen. ({7}) Das Land Bremen hat kürzlich in der Haushaltsdebatte feststellen müssen, daß von dem gesamten Etat des Landes Bremen noch 20 Millionen DM zur freien Disposition des Gesetzgebers standen. Alles andere war entweder durch gesetzliche oder durch betriebswirtschaftliche oder sonstwie bedingte Folgekosten bzw. allgemeine Kosten festgeschrieben. ({8}) - Das ist in fast allen Bundesländern so. Ich habe das nur erwähnt, weil es mir als jüngster Beispielsfall in Erinnerung war. Es war keine Diskriminierung gegenüber Bremen beabsichtigt. Das Hauptproblem liegt darin, daß durch die Mischfinanzierung, durch die angetriebene öffentliche Nachfrage, durch den Versuch, bestimmte Wachstumsraten zu erzielen, die man mit der sozialen Marktwirtschaft nicht erzielen kann, weil man sie ständig hemmt, ein Circulus vitiosus in Gang gesetzt wird, den wir nicht auf die Weise durchbrechen können, wie der Minister das in Aussicht stellt. Die Konjunktur, die wir haben, ist nicht stabil. ({9}) - Wir können uns im Wirtschaftsausschuß über diese Dinge noch weiter unterhalten. ({10}) Jedenfalls vertrete ich hier durchaus die Auffassung, die auch der Sachverständigenrat vertritt, was Sie bitte zur Kenntnis nehmen! ({11}) Der Minister hat in diesem Zusammenhang erklärt, die Behauptung der Opposition, daß die Verschuldenspolitik zu einer Belastung zukünftiger Generationen führen werde, sei nur eine neu e Form von Krisenbehauptung.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, der Herr Abgeordnete Reuschenbach möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte darum bitten, Herr Präsident, daß ich meine Ausführungen jetzt zu Ende bringen kann; ich hatte das vorhin schon angekündigt. Er hat gesagt, es sei eine neue Form von Krisenbehauptung. In seiner Rede hat er dann gesagt, es sei unsere Aufgabe, mit den Entscheidungen von heute auch den Wohlstand unserer Kinder und Enkelkinder zu sichern. Niemand bezweifelt das. Das ist eine vollkommen zutreffende Feststellung. Der folgende Satz ist gefährlich: „Es wäre sträflich, wenn wir aus falsch verstandener Sparsamkeit des Staates das dafür notwendige Potential unserer Wirtschaft nicht schaffen und entwickeln würden." ({0}) Das heißt nichts anderes, als daß man die fehlende Neigung privater Investoren, in die Zukunft zu investieren, durch staatliche Investitionsanreize bzw. durch staatliche Nachfrage zu ersetzen versucht. ({1}) - Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wolfram, ich bin dabei, den Text zu interpretieren, den ich gerade vorgelesen habe. Es heißt: „Es wäre sträflich, wenn wir aus falsch verstandener Sparsamkeit des Staates das dafür notwendige Potential unserer Wirtschaft nicht schaffen und entwickeln würden." Es ist wohl ganz offenbar vom Staat die Rede. Diese Vorstellung ist aber insofern - ich habe schon versucht, das zu begründen - falsch oder gefährlich, weil die auf diese Weise durch staatliche Nachfrage erzeugten Investitionen nur rentabel sind, wenn die staatliche Nachfrage ständig erhalten bleibt. Die Verschuldung, die wir eingegangen sind, ist zum erheblichen Teil keine Verschuldung für zukünftige Investitionen. Das stimmt einfach nicht! ({2}) Es ist vielmehr Verschuldung zur Finanzierung konsumtiver Nachfrage heute. ({3}) - Wir haben keine Milliardenanmeldung im Landtag, sondern ein wohlabgewogenes, weit unter einer Milliarde liegendes Programm für das Ruhrgebiet. Dieses Programm hat im übrigen die wohlwollende Zustimmung der Gewerkschaften gefunden. Es ist ein Programm, das allerdings im Widerspruch zu der Feststellung des Bundeskanzlers steht, im Ruhrgebiet würde jetzt nichts Derartiges mehr passieren können, sondern es müßte jetzt die Initiative der Unternehmen usw. Platz greifen. ({4}) - Eine Sekunde!

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rüge den Zwischenruf „Lüge", Herr Abgeordneter Reuschenbach. ({0}) - Herr Abgeordneter Reuschenbach, ich rufe Sie zur Ordnung, weil Sie mehrfach den Ausdruck „Lüge" gebraucht haben. ({1})

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Bundeskanzler hat laut Presseberichten - ich habe mich um den Text der Rede bemüht, ihn aber nicht erhalten können - ({0}) - Nein, er ist noch nicht abgeschrieben. ({1}) - Ihnen ist das Thema offenbar so unangenehm, .daß Sie den Redner am Reden hindern wollen. Anders kann ich mir Ihre Zwischenrufe nicht erklären. ({2}) Denn die Überschriften mußten Ihnen natürlich sehr peinlich sein, daß der Bundeskanzler bei der Ruhrgebietskonferenz in Essen kühl empfangen worden ist und daß er Dinge gesagt hat, die Ihnen außerordentlich unangenehm sein mußten. Auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in diesem Teil seiner Rede, wenn auch in etwas verschlüsselter Form, auf die Notwendigkeit hingewiesen, Verkrustungen zu überwinden, und über die Verkrustungen im Ruhrgebiet haben wir uns schon öfters kontrovers unterhalten. ({3}) Ich habe dafür jetzt nicht nur den Bundeskanzler, sondern auch den Wirtschaftsminister als Zeugen. ({4}) - Herr Kollege Wehner, die Verkrustungen kommen durch dauerhafte Verfilzungen zustande. ({5}) Neben der Finanzpolitik - das ist der letzte Punkt, den ich hier behandeln möchte; ich bin mir bewußt, daß dadurch eine ganze Reihe von Punkten nicht zur Sprache kommen - möchte ich der Aufforderung des Wirtschaftsministers zur grundsätzlichen und ordnungspolitischen Betrachtung auch noch in zwei Punkten Rechnung tragen. Zunächst sind die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen - das ist das erste - nur dann wirklich stabil, wenn sich der Staat selbst danach richtet. Zu den ordnungspolitischen Rahmenbedingungen gehören, wie der Minister dargelegt hat - wiederum unter Bezugnahme auf das Gutachten seines Wissenschaftlichen Beirates -, die Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung und der Verzicht auf Interventionen in dieser Ordnung - direkt oder indirekt -, wo sie nicht unerläßlich sind. Herr Minister, der Staat straft sich selbst Lügen, ({6}) wenn er in den Bereichen, in denen er selbst Kontrolle ausübt, sich nicht an diese Prinzipien hält. Ich möchte als Beispiel dafür das Verhalten der Bundespost erwähnen. Die Bundespost hat in den letzten Jahren ihr bestehendes und gesetzlich gesichertes Monopol auf immer neue Gebiete ausgedehnt. Die Bundespost hat dies nicht nur im Bereich des sogenannten Tele10660 fax, d. h. der Textübertragung über Fernleitungen, oder der Modulen getan, der Eingangs- und Ausgangsgeräte für die Datenübertragung durch das Telefonnetz, sondern sie tut das seit neuestem auch in einem Bereich, der bisher vorwiegend der mittelständischen Industrie vorbehalten war, nämlich dem Gemeinschaftsantennenbau. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die Bundespost ihr gesetzlich begründetes Monopol plötzlich in Bereiche ausdehnen soll, die bisher in hervorragender Weise durch privatwirtschaftliche Aktivitäten bedient worden sind. ({7}) Der Wirtschaftsminister hat es sich, das weiß ich, nicht leicht gemacht mit- seiner Zustimmung. Er hat sie an bestimmte Bedingungen geknüpft. Diese Bedingungen halte ich zwar für interessant, aber nicht für relevant, weil sie die Bundespost nicht einhalten wird und von ihrer Strategie her auch gar nicht einhalten kann. Wir haben den auch rechtsstaatlich höchst problematischen Tatbestand, daß eine öffentliche Institution, die ein gesetzliches Monopol und die Befugnis hat, den Umfang dieses gesetzlichen Monopols zu bestimmen, die außerdem die Befugnis hat, andere, die sich an ihrem gesetzlichen Monopol in direkter oder indirekter Weise beteiligen, mit Genehmigungsverfahren zu überziehen, sich jetzt selbst im wirtschaftlichen Bereich engagiert. Nichts ist für die mittelständische Wirtschaft entmutigender, als wenn sie sieht, daß sie in wichtigen Bereichen, in denen sie bisher erfolgreich und leistungsfähig und innovatorisch tätig war, jetzt das staatliche Monopol mit dem ausschließenden Zweck ausdehnt, einen Beschäftigungsbesitzstand zu erhalten und damit strukturellen Änderungen zu entgehen. ({8}) Wie kann ich Großunternehmen in der Privatwirtschaft zumuten, daß sie schmerzhafte Einschränkungen ihrer Beschäftigung als Folge strukturellen Wandels hinnehmen, wenn der Staat in dem Bereich, wo er selbst unternehmerisch tätig sein kann, das genaue Gegenteil tut! ({9}) Wir haben letztlich nur dann - und damit möchte ich zum Schluß kommen - die Möglichkeit ordnungspolitischer und langfristiger Prognosen für die Wirtschaftspolitik, wenn wir uns - und ich komme auf einen Gegenstand zurück, deh ich vorhin erwähnt habe - ernsthaft mit der Frage befassen, ob das Wachstum per se und als solche wirklich das primäre wirtschaftspolitische Ziel sein kann. Daß Wachstum notwendig und sinnvoll ist, wird von niemandem bestritten. Es gibt im Kreise der CDU niemanden, der sagen würde, Nullwachstum muß angestrebt werden. Dies wäre falsch, wäre verhängnisvoll, wäre eine Selbstblockade einer dynamischen Wirtschaft. Eine solche Forderung steht nicht zur Debatte. Was zur Debatte steht, ist die Funktion des Wirtschaftswachstums und sein Stellenwert in der Wirtschaftspolitik. Ich habe den Eindruck - und ich sage das hier im Sinne eines Diskussionsbeitrages, denn diese Probleme sind, glaube ich, noch in keiner Partei abschließend diskutiert -, ({10}) daß wir zunehmend zu einer Politik des Wirtschaftswachstums als des primären Ziels der Wirtschaftspolitik übergehen, weil viele von uns der Auffassung sind, daß ohne ein angemessenes Wachstum die Regierbarkeit unseres Landes gefährdet wäre. Jedenfalls enthält das Kommuniqué des Bonner Gipfels im Sommer vergangenen Jahres solche Feststellungen als die Meinung der dort versammelten Regierungschefs. ({11}) Der Grund für diese Auffassung liegt nach meiner Meinung unter anderem darin, daß gesellschaftliche Verteilungskonflikte ohne Wahrung des Besitzstandes kaum zu lösen sind, wenn sie ' politisch gelöst werden müssen. Oder anders formuliert: Die Parlamente fühlen sich überfordert, wenn sie Verteilungsprobleme lösen sollen und die Lösung nur möglich ist, wenn gleichzeitig in bestehende, aber überholte Besitzstände eingegriffen wird. Nun kann man Verteilungsprobleme lösen und Besitzstände schonen, wenn man dauerhaftes Wachstum hat. ({12}) Man kann das Problem aber auch anders lösen. Man kann es lösen, indem man die Verteilungskonflikte so weit wie möglich nicht durch direkte politische Entscheidungen löst, sondern indem man sie durch marktwirtschaftliche Prozesse löst. Die eigentliche Bedeutung des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums zur Frage der Struktur- und Interventionspolitik liegt nach meiner Auffassung in seiner Feststellung: Verteilungsprobleme - und fast alle ökonomischen Konflikte sind auch Verteilungsprobleme - lassen sich über marktwirtschaftliche Prozesse besser lösen; denn der Markt ist in der Lage, in Besitzstände einzugreifen. Er fürchtet keine Sanktionen. Der Markt ist in der Lage, einem Unternehmer mitzuteilen, daß sein Unternehmen nicht mehr rentabel ist. Die Politik tut sich furchtbar schwer, dem Unternehmer die gleiche Entscheidung mitzuteilen und die daraus notwendige Konsequenz zu ziehen. Aus diesem Grunde flüchten immer mehr Besitzstände unter das Dach politischer Entscheidungen, weil man die Erfahrung gemacht hat, daß eine Verstaatlichung von Verteilungskonflikten die Wahrung von Besitzständen erleichtert. ({13}) Das Parlament muß sich darüber im klaren sein, daß es sich, wenn es diesen Prozeß der Verstaatlichung von Verteilungskonflikten fördert, gleichzeitig in die Zwangslage begibt, entweder in überholte Besitzstände einzugreifen ({14}) oder diese Besitzstände zu schonen und die Verteilungsprobleme durch Verschuldung zu finanzieren. ({15}) Für midi besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Tempo des Versdiuldungswachstums auf der einen Seite und der wachsenden Tendenz, Verteilungsprobleme zu verstaatlichen, auf der anderen Seite. Wenn wir diese Entwicklung nicht genau analysieren und ihr so weit wie möglich entgegentreten, indem wir die Soziale Marktwirtschaft energisch verteidigen und ihre Ausweitung in alle Bereiche, in denen sie jetzt Platz greifen kann, fördern, dann werden wir den Teufelskreis zwischen einer immer größeren Belastung des Parlaments mit verteilungspolitischen Problemen und einer immer weiteren Zunahme der Verschuldung nicht durchbrechen können. ({16}) Dies ist nach meiner Auffassung neben den zahlreichen Detailproblemen, die im Laufe der Debatte nodi erörtert werden müssen, eine der grundsätzlichen ordnungspolitischen Herausforderungen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Biedenkopf, der Herr Abgeordneter Gruhl bittet Sie, ihm eine Zwischenfrage zu gestatten.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich hatte gebeten, jetzt zu Ende sprechen zu dürfen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Dann fahren Sie bitte fort.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies ist nach meiner Auffassung eine der entscheidenden ordnungspolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wenn diese Herausforderung nicht im Sinne einer marktwirtschaftlichen Entscheidung gemeistert werden kann, dann wird es uns nadi meiner festen Überzeugung nicht gelingen, das Tempo der Verschuldung zu verringern, den Teufelskreis weiterer Verschuldung - auch im Bezug auf zukünftige Generationen - zu durchbrechen und damit genau das tun zu können, was wir tun müssen: eine Politik zu betreiben, die auch nachkommende Generationen zur Grundlage ihrer Politik machen können. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenders.

Helmut Lenders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird interessant sein, Herr Biedenkopf, an Hand des Protokolls - meinetwegen auch im Wirtschaftsausschuß - die ordnungspolitischen und die wirtschaftspolitischen Haken, die Sie während Ihrer Rede geschlagen haben, nachzuverfolgen. ({0}) Nachdem Ihnen, der Opposition, in bezug auf die aktuelle konjunkturpolitische Situation, die ja nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von der Wirtschaft, von den Instituten positiv eingeschätzt wird, die Felle weggeschwommen waren, war zu erwarten, daß Sie, Herr Biedenkopf, sich mit besonderer Aufmerksamkeit zwei Themen zuwenden. Ich habe erstens erwartet, daß Sie herauszufieseln versuchen, wo möglicherweise Meinungsverschiedenheiten in der Koalition oder in den Koalitionsparteien vorhanden sind. ({1}) Zweitens habe ich natürlich erwartet, daß Sie sich mit Begeisterung auf das Gutachten des Wissenschaftlidien Beirates des Bundesministeriums für Wirtschaft, das in dieser Woche erschienen ist, stürzen. Sie haben auf dieses Gutaditen mehrfach zurückgegriffen. Was den ersten Punkt angeht, so möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Koalition mit ihren Anstrengungen und mit der Mehrheit, die hinter diesen Anstrengungen steht, dazu beigetragen hat, daß wir die wirtschaftspolitisdien Gefährdungen, die auf Grund der weltwirtschaftlichen Strukturbrüche in den letzten Jahren auf uns zugekommen sind, in der Weise überstanden haben, wie es die Bilanz des vorliegenden Jahreswirtschaftsberichtes ausweisen kann. ({2}) Dies ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist dieser. Herr Biedenkopf, die ordnungspolitische Diskussion, die Sie uns immer aufzwingen wollen ({3}) - ja, das war auch sehr gut; er hat sie aber mit Ihnen, nicht mit uns angefangen -, ({4}) scheuen wir keineswegs, ({5}) und zwar aus zwei Gründen nicht. Ich bin ja nun schon einige Jahre in diesem Parlament und habe mehrere Novellierungen etwa des Wettbewerbsrechts begleitet. Ich habe dabei immer feststellen können, eine wie große Kluft zwischen Theorie und Praxis bei der Opposition herrscht, wenn es um die Sicherung des Wettbewerbs in dieser Wirtschaftsordnung geht. ({6}) Da habe ich sehr konkrete Erfahrungen. Dies ist der erste Punkt. Ich habe zweitens mehrere Jahre die Pflicht gehabt, während der Fragestunden hier zu sitzen und mir anzuhören, was von Ihrer Fraktion an Anforderungen in bezug auf Interventionen und Subventionen an die Regierung gestellt worden ist. Audi dabei habe ich erlebt, welch großer Widerspruch zwischen Theorie und Praxis bei Ihnen herrscht. ({7}) Deshalb habe ich manchmal den Eindruck, Herr Biedenkopf, daß Sie mit Ihren ordnungspolitischen Auslassungen und, wie ich besser noch sagen muß, Ansprüchen in Ihrer Fraktion eigentlich ziemlich allein stehen. ({8}) Es ist wirklich interessant: Sie haben in vielen Fragen die Angewohnheit, auf den Olymp zu klettern, ein paar Blicktafeln oder, besser gesagt, Sichtblenden aufzustellen, die die Probleme mehr verdecken als Orientierung geben, und dann wieder herunterzuklettern und die Leute mit den praktischen Problemen alleinzulassen. Eines der konkretesten Beispiele dafür ist doch das Thema der Werfthilfe. Sie sagen: keine Subventionen, keine Interventionen, keine Erhaltungssubventionen, Flexibilität. ({9}) - Entschuldigung, das haben Sie in der Haushaltsdebatte in der Vergangenheit gesagt. Aber Sie haben sich noch nie konkret dazu geäußert, wie Sie sich jetzt in dieser Situation zur Fortsetzung der Werfthilfe stellen, ({10}) einer Hilfe, deren Fortsetzung ja auch von Ihrer Fraktion mitgetragen und gefordert wird. Ich denke da z. B. an Herrn Narjes im Wirtschaftsausschuß, dem das alles zuwenig war. Den vormaligen Wirtschaftsminister, Herrn Friderichs, haben Sie mit Ihren ordnungspolitischen Prinzipien ja geradezu auf die Palme gebracht. Er hat Sie im Zusammenhang mit der energiepolitischen Diskussion einmal gefragt: Wie wollen Sie denn das praktisch etwa jetzt in der Energiepolitik umsetzen, in einem Bereich, in dem der Markt nicht funktioniert, in einem Bereich, in dem der Markt bestimmte Signale, etwa Knappheitssignale, nicht rechtzeitig aufnimmt? Auch der Sachverständigenrat hat z. B. darauf hingewiesen. Insofern also scheuen wir diese Auseinandersetzung mit Ihnen nicht. Wenn Sie es wünschen - der Zeit wegen will ich es aber unterlassen -, bin ich gern bereit, Ihnen auch einiges aus dem Gutachten zu zitieren. Mit den Grundsätzen, die die Wissenschaftler hinsichtlich einer marktwirtschaftlichen Strukturpolitik aufstellen, kann ich mich einverstanden erklären. Aber auch hier kommt es naturlich auf die Praxis im Einzelfall und auf das einzelne Problem an.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Biedenkopf?

Helmut Lenders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß meine Ausführungen in der Debatte über die 4. Kartellrechtsnovelle zu § 103 GWB konkrete Vorschläge zur Änderung im energiepolitischen Bereich waren?

Helmut Lenders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Biedenkopf, den Dialog, den Sie mit der Einbringungsrede begonnen und später im Ausschuß fortgesetzt haben, fand ich sehr interessant, sehr positiv. Aber das hob sich von der Haltung Ihrer Partei vorher ab. Das müssen Sie doch zugeben. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Sie haben die Möglichkeit.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke. - Sie haben meine Frage nicht ganz beantwortet, und deshalb frage ich noch einmal: Würden Sie mir zustimmen, daß dies ein konkreter Vorschlag war? Ich beziehe die Frage, wie Sie sich denken können, ausdrücklich auf die Ausführungen, die Sie vorhin gemacht haben.

Helmut Lenders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war ein konkreter Vorschlag von Ihnen. ({0}) - Bitte schön! - Über den werden wir uns noch zu unterhalten haben. Das, was Sie im Zusammenhang mit der Kernenergie gesagt haben, Herr Biedenkopf, war ausgesprochen primitiv. Die Neigung, das ganze Problem der Kernenergie wieder einmal auf die Jungsozialisten zu reduzieren, ist doch eine Haltung, eine Einstellung, die der gesamten Problemlage um die Kernenergie herum in keiner Weise gerecht wird. ({1}) Ich habe gestern im Fernsehen einen Film über Gorleben gesehen. Ich habe da keine Jungsozialisten, sondern Bauern mit Traktoren ({2}) und Bürger gesehen, die bei ähnlichen Initiativen gegen Kernenergie auch aus Ihren Wählerschichten kommen. Das müssen Sie doch nun auch einmal zur Kenntnis nehmen! ({3}) Ich bin der Meinung, daß wir mit der Bereitschaft zum Dialog diese Probleme eher bewältigen werden als Sie, die Sie immer wieder nur die Muskeln spielen lassen. So ist das doch! ({4}) - Ich rede nicht an der Sache vorbei. Das ist genau der Punkt. ({5}) Ich finde Ihre Ausführungen zur Wachstumsproblematik - darauf werde ich sowieso noch eingehen - sehr interessant. Ich bin fleißiger Leser des „manager magazins" . Insofern weiß ich, was Sie in Fragen des Wachstums, des Wachstumsfetischismus und hinsichtlich ähnlicher Dinge von sich gegeben haben. Sie sagen heute, Wachstum sei nicht das Ziel, sondern Wachstum müsse das Ergebnis einer bestimmten Politik sein. Ich würde Ihnen einmal empfehlen, zu lesen, was die Regierung in Ziffer 3 des Jahreswirtschaftsberichts zum Wachstum gesagt hat. Sie trägt nämlich genau den Intentionen, die Sie genannt haben, Rechnung. Aber jetzt kommt doch der große Widerspruch: Auf der einen Seite sagen Sie, Wachstum sei nicht das Ziel, es komme gar nicht auf zahlenmäßiges Wachstum an. Auf der anderen Seite beginnen Sie in dieser Frage eine Wertediskussion: Was sind denn die Werte, die wir mit Wachstum verfolgen wollen? Mittendrin haben Sie dann Ihre ordnungspolitischen Ansprüche. Das paßt nicht zueinander! Im letzten Aufsatz im „manager magazin" - das haben Sie ja soeben in etwa wiederholt - sagen Sie ganz einfach: Was an Wachstum herauskommt, ist eine Sache der marktwirtschaftlichen Ordnung mit den Entscheidungen, Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Wenn das Wachstum den Verteilungsansprüchen, den Ansprüchen an das Sozialprodukt nicht genügt, dann müssen eben die Sanktionen des Marktes einsetzen. In der letzten Nummer des „manager magazins" haben Sie das deutlich auf die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften hin orientiert. Sie haben gesagt: Diese Sanktion ist Arbeitslosigkeit, und wenn das nicht funktioniert, dann müssen wir im Grunde ein Gewerkschaftsgesetz machen. Das ist knapp zusammengefaßt das, was Sie in der letzten Nummer des „manager magazins" gesagt haben. ({6}) Ich komme auf andere Punkte noch zurück. Ich möchte nun noch etwas zum Jahreswirtschaftsbericht sagen. Ich bin der Meinung, daß der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung eine realistische Einschätzung der Chancen und Risiken der wirtschaftlichen Entwicklung für 1979 bietet. Aber natürlich reicht die zeitliche Dimension der Wirtschafts- und Finanzpolitik über das Jahr 1979 hinaus. Insofern kann ich mich sowohl auf den Bundeswirtschaftsminister als auch auf Sie, Herr Biedenkopf, beziehen. Wir diskutieren natürlich auch über die Wirkungen dieser Politik auf zukünftige Entwicklungen. Das heißt also, die Zukunft wird mitbestimmt durch die ökonomischen Entscheidungen von heute. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung meiner Meinung nach nicht versäumt, die zentralen Herausforderungen, vor denen wir heute angesichts des weltweiten und nationalen Strukturwandels stehen, deutlich anzusprechen. ({7}) Nun noch einmal zur Ausgangslage 1979. Wir haben die Chance - so sagt es der Jahreswirtschaftsbericht, und so sagen es andere auch -, daß sich der 1978 begonnene Prozeß des Wirtschaftswachstums auch in 1979 fortsetzt. Ich will diese Zahlen nicht wiederholen. Mir geht es nur darum, auch für meine Fraktion noch einmal deutlich festzuhalten, daß die Grundlagen für diesen Tatbestand wesentlich auch von der Bundesregierung mit ihren wirtschafts- und steuerpolitischen Maßnahmen 1977 und 1978 gelegt worden sind. ({8}) . Ich schreibe das gar nicht allein der Bundesregierung zu. Die Tarifvertragsparteien, die Bundesbank, die Verbraucher, die Investoren, eine leichte Erholung des Welthandels - alles das hat dabei sicher eine Rolle gespielt. Aber ohne die beschlossenen Steuersenkungen für Verbraucher und Investoren, ohne die Erhöhung der staatlichen Ausgaben - begonnen mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm 1977 und fortgesetzt mit den Beschlüssen der Bundesregierung zur Stärkung der Nachfrage und zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums nach dem Weltwirtschaftsgipfel - könnten wir heute nicht von dieser positiven Ausgangslage für 1979 sprechen. Das ist einfach ein nicht wegzudiskutierender Tatbestand. . ({9}) Meine Damen und Herren, die Opposition bestreitet ja auch nicht, daß die Ziele der Jahresprojektion erreichbar sind, daß eine Kräftigung der konjunkturellen Entwicklung stattgefunden hat, daß die Wirtschaft wieder zu investieren beginnt; sie kann es nicht bestreiten. Aber nun - jedenfalls war es in der Haushaltsdebatte so - überholt sich die Opposition selbst in ihrem Optimismus. und erklärt - so etwa Herr Häfele -: 4 % Wachstum sind eine phantastische Sache, aber jetzt müssen wir mit der Konsolidierung beginnen, wenn wir schon 4 % Wachstum erreichen. Sie selber, Herr Biedenkopf - damit komme ich auf einen Widerspruch zu sprechen -, haben damals gesagt: Ein Wachstum von 4 %, wie es die Projektion ausweist, bedeutet, daß wir die Chance nutzen müssen, die Verschuldung abzubauen; deshalb dürfen wir nicht noch die Nettokreditaufnahme für 1979 steigern. So haben Sie das erklärt. Dazu muß ich zunächst einmal folgendes sagen. Ich frage mich wirklich, wie es um den wirtschaftspolitischen Sachverstand der Opposition bestellt ist, wenn so etwas gesagt wird, oder ob das Herumreiten auf diesem Verschuldungsthema in die Polemik über die zerrütteten Staatsfinanzen hineingehört. Ich frage mich, ob Sie tatsächlich nicht begriffen haben - der Bundeswirtschaftsminister hat das noch einmal klargemacht -, daß die Annahmen der Bundesregierung in der Jahresprojektion für 1979 - also z. B. 4 % Wachstum - und auch die positiven Einschätzungen, die wir heute aus der Wirtschaft hören, die von mir eben genannten Maßnahmen der Bundesregierung einschließlich der Nettoneuverschuldung für 1979 zur Voraussetzung haben. Das ist doch der Punkt. ({10}) Nein, Sie haben in der Haushaltsdebatte erklärt - ich habe das noch einmal nachgelesen -: Wenn ein Wachstum von 4 % erreicht werde, sei das doch eine phantastische Sache; dann müßte man aber eigentlich jetzt mit dem Abbau der Verschuldung beginnen. Herr Häfele hat sich ebenfalls so geäußert. Ich kann nur noch einmal betonen - das sagt ja auch der Jahreswirtschaftsbericht -: Eine zu früh einsetzende Konsolidierung oder Rückführung der Nettoneuverschuldung müßte die für 1979 anvisierten Ziele ganz einfach gefährden. Darüber sind wir uns doch alle, auch innerhalb der Koalition, einig. Insofern wundere ich mich, daß Sie in Ihrem jetzigen Beitrag nunmehr wieder die Risiken stärker herausgestellt haben, etwa die außenwirtschaftlichen Risiken. Das widerspricht ja geradezu Ihrer These, die Sie in der Haushaltsdebatte vertreten haben. Sicherlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Grenzen der Verschuldung der öffentlichen Haushalte oder des Bundes erreicht sind. Das ist ein sehr diskussionswürdiges. Thema. Aber noch einmal: Unterschiedliche Meinungen darüber - jetzt meine ich Bundesbank, Institute, Sachverständigenrat -, daß die Mitte 1978 in Gang gekommene positivere wirtschaftliche Entwicklung die Entscheidungen und die Maßnahmen der Bundesregierung einschließlich der Neuverschuldung zur Grundlage hat, bestehen ja gar nicht. Das müssen Sie nun wirklich einmal zur Kenntnis nehmen. Was vielmehr zur Debatte steht - das sagt die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht, das ist auch in der Haushaltsdebatte gesagt worden -, ist angesichts auch der Risiken natürlich die Frage einer gewissen Verstetigung der öffentlichen Investitionen. Das gilt vor allem auch für den Bereich des Baumarktes, wo ich diese Frage für besonders wichtig halte. Sie haben in der Haushaltsdebatte und, ich glaube, auch heute in Ihrem Beitrag im Zusammenhang mit dem Thema Verschuldung auch den Zukunftsaspekt angesprochen. Ihre These lautet, die Kreditaufnahme durch den Bund oder meinetwegen auch durch die öffentlichen Hände - dann beträfe das ja auch die CDU/CSU-geführten Länder -, um Investitionen zu finanzieren, sei Politik zu Lasten der Zukunft; sei Ausbeutung der kommenden Generationen. So lautete jedenfalls Ihre These. Ich muß Sie fragen: Was glauben Sie, interessiert, bewegt oder bedrückt eigentlich junge Menschen heute mehr, oder was können uns unsere Enkel - auf die haben Sie ja auch abgehoben - eines Tages vorhalten: eine Nettoneuverschuldung, eine Kreditfinanzierung von öffentlichen Aufgaben, die in Zeiten unzureichender Wirtschaftstätigkeit, brachliegender Kapazitäten und Finanzierungsmittel sowie vorhandener Arbeitslosigkeit vertretbar, notwendig, wirtschafts- und gesellsdiaftspolitisth geradezu vernünftig und im internationalen Vergleich auch immer noch bescheiden ist, oder wird diese Generation nicht viel mehr interessieren, was wir für ihre zukünftigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse getan oder nicht getan haben? ({11}) - Genau. Was wir getan haben, um etwa der Zerstörung der Umwelt zu begegnen, was wir investiert haben, um neue Energieversorgungssysteme und rationelle Energienutzung zu realisieren, was wir aufgegriffen haben, um Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verbessern, das sind Investitionen. Wenn Sie das unter Anspruchsdenken subsumieren wollen, sollten Sie nicht mit uns das Thema Zukunft diskutieren. Wenn wir Ihnen folgten, würden unsere Enkel mit Sicherheit ({12}) den Respekt vor uns verlieren. Die Frage der Kreditfinanzierung ist ohne Zweifel auch eine finanzwirtschaftliche Frage. Man kann nur die Ressourcen einsetzen, die man letztlich hat. In der gegenwärtigen Situation ist die Frage aber auch die einer ökonomischen und gesellschaftspolitischen Entscheidung unter Bezugnahme auf die gegenwärtige Beschäftigungslage und die zukünftige Lebensqualität. Ich bin sicher, daß die von Ihnen so viel zitierten Enkel mehr ökonomische Vernuft aufbringen werden, als Sie sie in dieser Diskussion hier beweisen. ({13}) Nun möchte ich zum Thema Beschäftigung und Wachstum im Strukturwandel ein paar Bemerkungen machen. Strukturwandel hat immer stattgefunden - darüber sind wir uns völlig im klaren -, nur unter anderen Voraussetzungen. ({14}) - Wir haben heute andere Voraussetzungen. ({15}) - Herr Biedenkopf, ich kann das ja verstehen. Ich höre das auch in den Haushaltsdebatten immer von Herrn Zimmermann, die 50er Jahre seien glorreiche Zeiten gewesen, die CDU habe regiert, es habe keine Arbeitslosen gegeben. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn man in einer Zeit nach dem Kriege bei einem unendlichen Nachholbedarf, wo es im Grunde zunächst überhaupt nicht darauf ankam, was man produzierte, Wachstumsraten erzielt und laufend Menschen in die Beschäftigung eingliedert - am Anfang bis zum Ende der 50er Jahre haben wir ja auch noch hohe Arbeitslosigkeit gehabt; vergleichen Sie einmal die Zahlen -, so ist das wirklich keine Frage der Wirtschaftspolitik, sondern beruht auf einer völlig anderen Situation, als wir sie heute haben. Auf den wirtschaftlichen Strukturwandel wirken heute gleichzeitig die verschiedensten Faktoren ein, die sich gegenseitig verstärken oder überlagern, und daraus kommen die Schwierigkeiten. ({16}) Ich werde Ihnen, um das deutlich zu machen, diese Faktoren noch einmal nennen, um klarzumachen, daß das mit der Situation der 50er Jahre in keiner Weise vergleichbar ist. ({17}) - Herr Pieroth, ich habe im Augenblick die Absicht, zunächst bei dieser Sache zu bleiben. Was meine ich mit diesem Strukturwandel? Da ist zunächst die Veränderung der internationalen Arbeitsteilung. Der Jahreswirtschaftsbericht weist darauf hin, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Entwicklungsländer, die die Schwelle der Industrialisierung überschritten haben, ständig zunimmt. Das spüren wir auch bei unseren Importen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag sagt, die Exportchancen der Bundesrepublik für Standardprodukte nähmen weiter ab. Ich skizziere dies nur. Es ist eine Entwicklung, die wir bejahen, weil wir für die Eingliederung der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft sind und weil das auf lange Sicht für alle positive Wirkungen hat, aber natürlich während des Übergangs Probleme aufwirft - auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hat darauf hingewiesen -, zumal dieser Prozeß von einem langsamen Wachstum des Welthandels begleitet wird, von Verschiebungen im Wechselkursgefüge und auch von zunehmenden protektionistischen Maßnahmen anderer Länder möglicherweise gegen uns. Der zweite Punkt im Strukturwandel - darauf weist der Jahreswirtschaftsbericht hin - sind die Veränderungen der Verbrauchergewohnheiten, eine größere Flexibilität der Nachfrage, was für die Angebotsseite immer schwieriger ist. Die Verbraucher haben andere Präferenzen entwickelt. Das wird im Jahreswirtschaftsbericht nicht weiter vertieft. Ich möchte an dieser Stelle, nach der Darlegung der beiden ersten Punkte des Strukturwandels : Veränderung der internationalen Arbeitsteilung und Veränderung der Verbrauchergewohnheiten, die Gelegenheit nehmen, der Bundesregierung dafür zu danken, daß sie das Thema Strukturberichterstattung aufgegriffen hat und daß daran intensiv gearbeitet wird. Wir erwarten bald verwertbare Ergebnisse. Um von vornherein klarzumachen, worum es geht: Strukturberichterstattung ist notwendig, um die Transparenz der strukturellen Veränderungen, der strukturellen Entwicklung für Staat und Wirtschaft zu verbessern, also um Orientierung zu geben und nicht um vorzuschreiben. ({18}) Ich sage das, damit uns nicht immer wieder ordnungspolitische Mißgriffe oder was auch immer vorgehalten werden. Der dritte Aspekt in diesem Bündel der Einwirkung auf den Strukturwandel sind natürlich die ökologischen Grenzen, vor denen wir heute stehen, alles das, was mit Umweltschutz, Energieeinsatz und Rohstoffverwendung zusammenhängt und was sich natürlich auf Kosten, Preise, Investitionen usw. auswirkt. Hier gibt es aber natürlich auch Chancen. Wenn wir durch Zukunftsinvestitionen diese Grenzen erweitern, kann sich das positiv auf Lebensqualität, auf Wachstum und Beschäftigung auswirken. Das muß man doch einmal mit aller Deutlichkeit sehen. Der vierte wesentliche Punkt im Strukturwandel ist die rasche Entwicklung neuer arbeitssparender, produktivitätssteigernder Technologien. Ich nenne hier insbesondere das Thema Mikroelektronik. Das sind allein schon vier wesentliche Faktoren - man könnte wahrscheinlich noch weitere hinzufügen - für gravierende Veränderungen, die auf unsere Volkswirtschaft einwirken und mit denen sich Investoren und natürlich auch die Arbeitnehmer auseinandersetzen müssen. Das ist doch alles nicht vergleichbar mit der Entwicklung in den 50er Jahren. Deswegen können Sie uns die damaligen Verhältnisse überhaupt nicht vorhalten. Das zentrale Problem in diesem Zusammenhang ist die Beschäftigung. Die Bundesregierung sagt im Jahreswirtschaftsbericht mit Bezug auf die Problematik' des Wachstums mit Recht, daß in ausreichendem Maße neue, dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten für derzeit Arbeitslose, für die wachsende Zahl der ins Arbeitsleben tretenden Jugendlichen und für die vom Strukturwandel und von der Rationalisierung betroffenen Arbeitnehmer geschaffen werden müssen. So steht es im Jahreswirtschaftsbericht, und das kann ich nur voll unterstreichen. Es geht also um Beseitigung und um Verhinderung von Arbeitslosigkeit, weil Arbeitslosigkeit ein ökonomisches, ein soziales und ein menschliches Problem ist. Darüber dürften ja wohl keine Meinungsverschiedenheiten herrschen. Nun ist die Arbeitslosigkeit rückläufig. Sie wird auch im Jahre 1979, wenn die Projektion einzuhalten ist, weiterhin rückläufig sein. Aber sie bleibt natürlich mit knapp 4 % für unsere Ansprüche dennoch relativ hoch, zumal bei einer Steigerung des Sozialprodukts um 4 % und einer Steigerung der unternehmerischen Anlageinvestitionen um 7 bis 8 %. Das sind ja in bezug auf die Vergangenheit schon ganz schöne, stolze Zahlen. Außerdem ist diese Arbeitslosigkeit natürlich regional sehr differenziert; darauf werden meine Kollegen später noch eingehen. Wir müssen bei der Arbeitslosigkeit auch mittelfristig denken. Wir müssen die demographische Entwicklung beachten. Die geburtenstarken Jahrgänge kommen mehr und mehr auf den' Arbeitsmarkt zu, und wir verlieren im Prozeß der internationalen Arbeitsteilung zur Zeit offensichtlich weitere gewerbliche Arbeitsplätze. Der Dienstleistungsbereich seinerseits nimmt zur Zeit nicht entsprechend auf. Wie der technologische Schub der Mikroelektronik sich letztlich auswirkt, wird ja - auch von den wissenschaftlichen Instituten - unter10666 schiedlich beurteilt. Da sind Rationalisierung, Steigerung der Arbeitsproduktivität und Verlust von Arbeitsplätzen auf der einen Seite, und da sind natürlich auf der anderen Seite neue Produkte, neues Angebot, neue Nachfrage und neue Arbeitsplätze. Wie mittelfristig der Saldo aussieht, ist im Augenblick - das lese ich auch aus den unterschiedlichen Stellungnahmen der Institute ab - furchtbar schwer zu beurteilen. Im übrigen, meine Damen und Herren, halte ich vor diesem Hintergrund das Angebot des Bundesforschungsministers zu einem Dialog der gesellschaftlichen Gruppen über die Probleme des technischen Fortschritts für einen unbedingt positiven Beitrag. ({19}) Es kommt doch wohl sehr darauf an, daß einerseits auf Ankündigungen und Erfahrungen zurückführende angstbedingte antitechnologische Kurzschlußhandlungen nicht zustande kommen, andererseits aber auch dem Fehlen einer sozialen Steuerung dieses technischen Fortschritts rechtzeitig im Dialog aller Beteiligten begegnet wird. Beides bedingt einander. Das Forum „Arbeit und Technik" meiner Partei in der vergangenen Woche in Essen zeigt, daß es die Erwartung gibt, daß dieser Dialog zustande kommt, und daß die Aussicht besteht, daß die Beteiligten bereit sind, ihn zu realisieren. Ich reklamiere das nicht nur für meine Partei; ich bin der Meinung, alle Parteien sollten sich bemühen, diesen Dialog in Gang zu bringen. Nun muß man den Arbeitsmarkt heute sicher sehr differenziert betrachten. Es gibt Nachfrage nach Arbeitsplätzen, die nicht befriedigt werden kann, es gibt aber auch eine Art Sickereffekt, d. h., bei insgesamt unzureichender Nachfrage nach Arbeitskräften, wie wir sie in den letzten Jahren gehabt haben, bleiben letztlich diejenigen übrig, die es schwer haben, den Anforderungen des Arbeitsmarktes oder der jeweiligen Arbeitgeber gerecht zu werden. Das ist doch das Problem des sich jetzt verfestigenden und schwer vermittelbaren Sockels der Arbeitslosigkeit, und das muß man doch sehen. Meine Damen und Herren, diese Problembereiche sind natürlich eine hervorragende Aufgabe einer Politik der beruflichen Bildung und einer gezielten Arbeitsmarktpolitik. Das ist völlig klar. Darüber wird derzeit diskutiert; das will ich nicht vertiefen. Es geht aber nicht nur , um Fragen der Bildungs- bzw. Ausbildungspolitik und der Arbeitsmarktpolitik; Arbeitsmarktpolitik kann eine beschäftigungs- und wachstumsorientierte Konjunktur- und Strukturpolitik nicht ersetzen. Ich glaube, darüber muß man sich im klaren sein.. Ich will .ein weiteres hinzufügen: Eine Politik - oder, wie man heute sagt, eine Strategie - zur Beseitigung und zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit muß eben viele Elemente enthalten, konjunkturelle, strukturelle, bildungspolitische, arbeitsmarktpolitische, und sie muß meiner Meinung nach auch - sicher flexibel - dem Gesichtspunkt der Arbeitszeitverkürzung Rechnung tragen. ({20}) Man muß das alles einfach zusammennehmen; nur so werden wir die Beschäftigungsprobleme in dem von mir skizzierten Strukturwandel im Griff behalten. Eine weitere, die letzte Anmerkung: In der Diskussion um eine Politik von Wachstum und Beschäftigung wird meiner Meinung nach zu oft, zu sehr und zu einseitig auf Kosten- und Risikominimierung für Unternehmen als die letztlich einzige Voraussetzung für Investitionen und Arbeitsplätze abgehoben. Ich meine, das ist zu einseitig. Natürlich brauchen Unternehmen Erlöse, sie brauchen Risikokapital. Entscheidend sind im übrigen Erlöse, die sie am Markt erzielen, und dazu gehört natürlich auch Nachfrage. Ich muß mich einfach dagegen wenden, daß etwa die Opposition oder der Sachverständigenrat - auch heute klang das bei Ihnen, Herr Biedenkopf, wieder an, und auch Herr Pieroth hat sich in diesen Tagen dazu geäußert - vornehmlich und in erster Linie die Löhne und die Gewerkschaften im Visier haben, deren Zurückhaltung als Voraussetzung für die Überwindung all dieser Strukturprobleme bezeichnet wird. Nebenbei gesagt sind Löhne natürlich auch Nachfrage; und wir wissen ja, daß die Konsumnachfrage im Prozeß der konjunkturellen Aufwärtsbewegung jetzt eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Wenn man hinzunimmt, daß wir eine ganze Reihe von Steuerentlastungen durchgeführt haben und die Gewerkschaften - ich zitiere das Sachverständigengutachten und den Jahreswirtschaftsbericht - sich situationsgerecht verhalten haben und die Finanzierungssituation der Unternehmen sich verbessert hat - ich entnehme das auch einem Bericht der Bundesbank; ich will. das nicht vertiefen -, dann meine ich: Es muß auch andere Faktoren geben, die heute dazu führen, daß das an zusätzlichen Investitionen nicht zustande kommt, was wir an qualitativem Wachstum auch unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten mittelfristig brauchen. Dazu möchte ich auf einen Punkt abheben, der nach meiner Meinung immer vernachlässigt wird, den man aber durchaus herauslesen und heraushören kann, wenn man in Wirtschaftsberichten der Banken, Institute usw. auch mal ein bißchen zwischen den Zeilen liest oder wenn man sich mit Leuten der Wirtschaft unterhält und ein bißchen tiefer bohrt, nämlich die Unsicherheit der Investoren, die aus dem von mir geschilderten Strukturwandel, seinen Dimensionen und seinen verschiedenen sich überlagernden Ursachen kommt. Das scheint mir ein Punkt zu sein, der vielfach übersehen wird. Es lohnt sich, hierzu eine Reihe von Veröffentlichungen des Ifo-Instituts zu lesen. Ich will eine vom Mai 1977 herausgreifen, wo gesagt wird: Die Ungewißheit über das Ausmaß des Strukturwandels und die Anpassungsanforderungen, die an die Unternehmen gestellt werden, sind eine entscheidende Komponente für die Unsicherheit der Unternehmen und für ihre Zurückhaltung bei Investitionen. Das muß man doch einmal zur Kenntnis nehmen. Das kann man nicht nur mit Steuersenkungen und Lohnzurückhaltung bekämpfen. Das ist doch der entscheidende Punkt. ({21}) Selbst der Sachverständigenrat sagt in seinem diesjährigen Gutachten im Zusammenhang mit der Aufwertung der D-Mark: Unsicherheit der Investoren ist da, welche Erzeugnisse sich in der Bundesrepublik auf mittlere und längere Sicht wettbewerbsfähig herstellen lassen. Das ist eins der Probleme der Unsicherheit der Investoren. Das Ifo-Institut hat im Juni 1978 einen interessanten Schnelldienst zum Thema „Überwindung der Arbeitslosigkeit" veröffentlicht. Da wird auch angeführt, welche Rolle der Staat übernehmen kann, um Innovationen, also - um das mal zu übersetzen - Neuerungen, die Investitionsanreize und Investitionschancen bieten, anzustoßen. Das ist ein lesenswerter Schnelldienst. Zusammengefaßt: In einer Zeit, in der wir wegen des tiefgreifenden Strukturwandels und der dadurch gehemmten und nicht ausreichenden Investitionsbereitschaft bei Unternehmen hinter wichtigen wirtschaftspolitischen Zielen, z. B. dem Ziel eines hohen Beschäftigungsstands oder eines Wachstums, aus dem wir die sozialen und internationalen Verpflichtungen finanzieren können, möglicherweise .zurückbleiben, kommt es mir darauf an, durch Erschließung nicht ausgeschöpfter binnenwirtschaftlicher Bedarfs- und Nachfragefelder nicht nur Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen, sondern gleichzeitig Zukunftsinvestitionen zu tätigen, die der kommenden Generation zugute kommen und dem veränderten Wohlstandsbegriff Rechnung tragen. Diese vielfach zitierten Bedarfsfelder reichen vom Umweltschutz über das Energiesparen bis zur Verbesserung der Wohnsituation. Ich komme zum Schluß. Das ist keine Entscheidung gegen Marktwirtschaft. Mit dem, was ich hier gesagt habe, bin ich nach meiner Meinung auch in Übereinstimmung mit dem, was der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums zur marktwirtschaftlichen Strukturpolitik gesagt hat. Man sollte auch bei der Erschließung solcher neuer Bedarfsfelder die Marktmechanismen weitgehend nutzen. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel. Ich will auch keine privaten Investitionen verdrängen, sondern sie anregen. Nur, bei dem Charakter dieser Bedarfsfelder und dieses Bedarfs an Infrastruktur im weitesten Sinn muß die öffentliche Hand Pionierfunktionen übernehmen, Schneisen schlagen, Marktöffnung betreiben, selber als Auftraggeber auftreten, Nachfrage und interessante Betätigungsfelder für private Investoren sichtbar machen, also eine aktive Investitionsstrategie betreiben, wie wir sie etwa mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm begonnen haben. Das hat nichts mit konjunkturpolitischen Anregungen zu tun, sondern ist eine mittel-langfristige Politik zur Stabilisierung, damit wir wichtige wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele nicht verfehlen. Das hat auch nichts mit Intervention und Erhaltungssubvention zu tun, soll sie gerade vermeiden helfen. Das ist der Ansatz, den ich hier sehe. ({22}) Ich komme jetzt zum Schluß. Weil mir die Zeit weggelaufen ist, nur eine Anmerkung in Richtung Bundesfinanzminister. Ich sehe natürlich die Schwierigkeiten, die sich aus der föderalistischen Finanzverfassung, die wir haben, ergeben. Ich bitte Sie, einmal nachzulesen, was Professor Schäfer im Zusammenhang mit der Verfassungsreform-Enquete dazu gesagt hat oder nach der letzten Vermittlungsrunde „Steuerpaket" dazu geschrieben hat oder was im August 1978 das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Gewerkschaften dazu geschrieben hat. Wir stehen bei diesem Strukturwandel auch vor einer Bewährungsprobe unserer föderalistischen Verfassung. Ich glaube, das sollte man noch betonen. Zum Schluß! Der von der Bundesregierung vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht gibt Zuversicht, ohne die Probleme zu verdrängen. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion für diesen Bericht bedanken und unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Unterstützung bei der Durchführung der wirtschafts- und finanzpolitischen Aufgaben unterstreichen. ({23})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte wie mein Vorgänger ebenfalls wieder zum Thema zurückkommen. Ich habe natürlich mit großem Interesse den ordnungspolitischen Überflug von Herrn Biedenkopf über das Hohe Haus verfolgt. Ich würde mich sehr freuen, mit ihm in eine Diskussion über den Sinn und die Funktion von Wirtschaftswachstum einzutreten. Immerhin ist dies ja eine bedeutende Kehrtwende gegenüber all dem, was wir aus der Grundsatzdiskussion der CDU wissen, ({0}) wo Herr Blüm ja versucht hat, diese Art von Wirtschaftswachstum anders zu sehen. Ich höre heute, daß Herr Biedenkopf hier gesagt hat, daß Wachstum per se nicht das Hauptziel des Wirtschaftens sein könne. Das ist eine sehr interessante Diskussion, die sich hier auftut. ({1}) Der zweite Punkt, der mich an Ihrem Vortrag; Herr Professor Biedenkopf, sehr interessiert hat, war die Frage, die Sie gestellt haben, ob denn dieser Wirtschaftsminister der FDP bei zentralen Fragen der Wirtschaftspolitik überhaupt noch eine Mehrheit habe. Nun ist es natürlich schwierig, hier mit Jugendorganisationen und mit Aussagen ein10668 zelner Parteiführer in der Provinz zu argumentieren. Denn natürlich werden die Mehrheiten hier im Parlament vorgezeigt Deshalb wird es sehr entscheidend sein - wir werden es ja bei der Kartellnovelle sehen, wir werden es bei dem Ruhrprogramm und bei einer Weiterentwicklung der indirekten Forschungsförderung sehen -, ob wir in den Ausschüssen und im Parlament auch mit den Stimmen der CDU bei diesen zentralen wirtschaftspolitischen Fragen rechnen können'. ({2}) Zurück zum Jahreswirtschaftsbericht! Mir war klar, daß heute in Grundsätzliches ausgewichen wird, weil der Jahreswirtschaftsbericht und seine Fakten es der Opposition natürlich enorm schwer machen. Wir sehen das niedrigste Preissteigerungsniveau seit neun Jahren, wir sehen ein hohes verteilungsfähiges Wachstum von 4 °/o, was sicher manchen Konflikt leichter macht, vielleicht auch verschiebt - das würde ich zugeben -, und wir sehen tendenziell eine sinkende Arbeitslosigkeit, die noch nicht befriedigt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, wollen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Biedenkopf zulassen?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

. Herr Kollege Haussmann, würden Sie sagen, daß der Minister in seiner Rede mit der Feststellung, er wolle diese Gelegenheit nutzen, um grundsätzliche ordnungspolitische Fragen zu stellen, dem Thema ebenfalls ausgewichen ist?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, und ich werde mich ebenfalls an die Zweiteilung halten, die der Minister macht, indem ich etwas zur Ordnungspolitik, aber auch etwas zu den praktischen Ergebnissen unserer Politik sage. Ich habe es bedauert, daß Sie den zweiten Teil sehr stiefmütterlich behandelt haben, was allerdings kein Wunder ist, weil die Ergebnisse sehr gut sind. Sie sind, international gesehen, hervorragend, und es ist ein, großer Erfolg des Wirtschaftsministers der FDP, daß es zu diesen Ergebnissen gekommen ist. Ich sage: ein Erfolg dieses Wirtschaftsministers, weil ich weiß, wieviel Konsequenz und wieviel wirtschaftspolitische Feinarbeit dahintersteckt. Diese Ergebnisse lassen sich Dicht allein auf Weltwirtschaftsgipfeln holen, ohne natürlich die Bedeutung solch hoher Ereignisse für die deutsche Politik und für den Kanzler zu schmälern. Die FDP schätzt es und erkennt es auch an, daß ganz wesentliche Beiträge zu diesen Ergebnissen durch eine sehr vernünftige Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften und Unternehmer geleistet wurden ({0}) und ebenso freut sie sich über den Beitrag und über die harte Haltung der autonomen Bundesbank im Bereich der Stabilitätspolitik. Ohne diese Institution wäre es nicht möglich gewesen, zu nur 2,6 % Preissteigerung zu kommen. Was aber nicht befriedigt und nach wie vor eine gewaltige Herausforderung an uns stellt, ist das viel zu langsame Absinken der Arbeitslosigkeit. ({1}) Deshalb möchte ich diesen Punkt vertiefen. Nachdem zu diesem Bereich, der aktiven Beschäftigungspolitik, im Vortrag von Herrn Biedenkopf leider erneut kein praktischer Vorschlag gekommen ist, muß ich mich hier mehr oder weniger auf das beziehen, was aktuell ist, und das stammt nun einmal von meinem verehrten Kollegen Roth aus der Debatte der letzten Woche. ({2}) Nun weiß ich - Herr Pieroth, Sie werden gleich auf Ihre Kosten kommen -, daß Wolfgang Roth in der sitzungsfreien Woche meist als Parteiratsmitglied der SPD und nicht so sehr als durchaus sachkundiges Mitglied des Wirtschaftsausschusses spricht, wie wir ihn aus den Sitzungswochen kennen. ({3}) Dafür habe ich auch Verständnis, weil auch ich beide Funktionen kenne. Auch Sie, Herr Pieroth, habe ich schon in diesem Rahmen erlebt. ({4}) Ich halte es jedoch für bedenklich - das möchte ich hier ganz offen ansprechen, denn dazu ist eine Debatte da -, daß Wolfgang Roth zusammen mit Herrn Loderer von einer Gewöhnung der Regierung an eine hohe Arbeitslosigkeit spricht. Dies ist nicht wahr. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind seit vielen Jahren in der Beschäftigungspolitik in dem Maße aktiv, wie es im Rahmen staatlicher Beschäftigungspolitik möglich ist. Im übrigen - darauf möchte ich verweisen - stellt sich Wolfgang Roth natürlich selbst kein gutes Zeugnis aus, wenn er als maßgebender Wirtschaftspolitiker der größten Regierungsfraktion zu einem solchen Urteil kommt. Er stellt sich vielleicht auch fachlich in diesem Punkt nicht das beste Zeugnis aus, wenn er zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als ersten Vorschlag nennt, endlich die Arbeitszeitordnung zu novellieren. ({5}) Wolfgang Roth sollte wissen - er weiß das auch -, daß gerade in dem Bundesland, aus dem wir beide kommen, nämlich in Baden-Württemberg, die kleinen und mittleren Betriebe bei einer Novelle dieser Arbeitszeitordnung, wie er sie vorhat, kurzfristig keinen neuen Arbeitsplatz schaffen würden. Eher würde das Ergebnis umgekehrt sein. ({6}) Es gibt eine Reihe von anderen Gründen, auf die mein Kollege Cronenberg in seiner Erwiderung hingewiesen hat, deretwegen man diese Veränderung der Arbeitsordnung angehen kann. Aber dieser Zusammenhang, dieser Vorwurf, keine Beschäftigungspolitik zu treiben, und dann nur die Novellierung der Arbeitszeitverordnung vorzuschlagen, scheint mir fachlich nicht in Ordnung zu sein. Schlecht und etwas zu wenig ist es, wenn man sehr allgemein das Schlagwort von einer sogenannten vorausschauenden Strukturpolitik gebraucht. Sicher, vorausschauen ist immer gut, nur muß man natürlich zunächst einmal die Information haben und die Vorgaben nennen. Wie wir wissen, ist die Strukturberichterstattung erst in Vorbereitung. Deshalb gibt es da Schwierigkeiten. Schwierig ist bei einer solchen vorausschauenden Politik natürlich - dazu müßte man mehr Auskunft haben - auch die Frage des Instrumentariums, also Klarheit darüber, wie weit man bei einer gewissen Detailsteuerung gehen möchte, um diese Ziele zu erreichen. Die dritte Frage - und 'das scheint die interessante Frage zu sein - ist die: Wo schaffen wir die Mittel für solche Anpassungssubventionen her, welche Vorschläge machen wir gemeinsam, um Erhaltungssubventionen so weit zurückzudrängen, daß wir Mittel bekommen, um eine aktive Strukturpolitik zu betreiben? Wenn auch die Beschäftigungspolitik die größte Herausforderung bleibt - Graf Lambsdorff hat darauf hingewiesen -, so können wir trotzdem sagen, daß wir im internationalen Vergleich mit einem gewissen Abbau der Arbeitslosigkeit und einer Erhöhung der Zahl von Ausbildungsplätzen ganz beachtliche Erfolge erreicht haben. Diese Erfolge wurden deshalb erzielt, glaube ich, weil unsere Beschäftigungspolitik sowohl angebots- als auch nachfrageorientiert war und ist, also nicht einseitig angebotsorientiert, wie es von der Opposition immer wieder verlangt wurde und wie das auch Herr Professor Biedenkopf heute wieder bewußt falsch verstanden und angesprochen hat. Er behauptet - das ist nicht richtig und ist vom Volumen her auch nicht machbar -, daß der Staat eine Beschäftigungsgarantie für die Fehlentscheidungen der Unternehmen - er meint eher, der Gewerkschaften - übernehmen würde; das wäre finanzpolitisch gar nicht machbar, das können wir nicht tun. Aber was wäre denn strukturpolitisch geschehen, Herr Professor Biedenkopf, wenn wir nicht auch von der Nachfrageseite her gestützt hätten, wenn wir nicht durch eine Senkung der Verbrauchersteuern dafür gesorgt hätten, daß mehr Nachfrage an den Markt kommt? Das ist doch völlig klar, daß sowohl das Infrastrukturprogramm als auch das Energiesparprogramm eine ganz starke mittelstandspolitische Komponente haben, also durchaus Strukturpolitik darstellen. ({7}) Wir hätten diese Erfolge in unserer Beschäftigungspolitik also nicht erreicht, wenn wir nur angebotsorientiert oder - das gebe ich gerne zu - auch überwiegend nachfrageorientiert vorgegangen wären, wie es einige vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut gefordert haben. Inzwischen ist ja auch der Sachverständigenrat - meines Erachtens recht spät - auf diese Linie gleichgewichtiger Stärkung von Nachfrageseite und Angebotsseite eingeschwenkt und hat uns nachdrücklich diesen Kurs auch für die Zukunft empfohlen. Allerdings ist - auch hier -folge ich dem Jahreswirtschaftsbericht und dem Urteil der Sachverständigen - eine gewisse Zurückhaltung bei immer weiteren staatlichen Stützungsprogrammen notwendig, sei es auf der Angebotsseite, sei es auf der Nachfrageseite. Ich teile die Beurteilung des Sachverständigenrats, daß inzwischen durch die staatliche Hilfe sowohl die Investitions- als auch die Nachfragebedingungen so verbessert wurden, daß nun die autonomen Partner, die Unternehmer und die Verbraucher mit ihrer Nachfrage dran sind. Wir müssen, wie es schon mein Kollege Hoppe in der Haushaltsdebatte gefordert hat, dies zur Kenntnis nehmen und den Pfad der Konsolidierung gerade beim Haushalt 1980 noch energischer beschreiten. Die konjunkturpolitische Karte in der Beschäftigungspolitik ist also meines Erachtens weitgehend ausgereizt. Was übriggeblieben ist, sind, meine ich, nicht mehr so sehr Probleme der konjunkturellen Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitsmarktprobleme von mehr struktureller Art, Probleme, die einmal in der Struktur der Arbeitslosigkeit - das wurde ja auch bereits gesagt -, zum anderen aber auch in dem Strukturwandel unserer Wirtschaft liegen. Meines Erachtens sind daher die beiden zentralen Ansatzpunkte einer aktiven Beschäftigungspolitik zum einen eine sehr viel prononciertere Arbeitsmarktpolitik und zum anderen eine Wirtschaftsstrukturpolitik. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist - und da begrüße ich, was Graf Lambsdorff dazu gesagt hat - die verstärkte Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen sehr wichtig. Das wäre eine große Möglichkeit, die über 120 000 Teilzeitarbeitsuchenden in Arbeit zu bringen. Dies würde zu einer klareren Statistik unserer Arbeitslosen führen. Wir sollten hier mehr Phantasie und mehr Unterstützung aufbringen. Der öffentliche Dienst sollte vorangehen. Deshalb sollte auch endlich das Land Baden-Württemberg seinen Widerstand gegen eine große Lösung der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst aufgeben. ({8}) Wir sollten - und da verweise ich auf sehr positive Erfahrungen, die mein Kollege Cronenberg in seinem eigenen Betrieb gemacht hat-sehr viel stärker den Unternehmen empfehlen, endlich einmal Versuche mit Teilzeitbeschäftigten zu machen. Ich wäre bereit, mich dafür einzusetzen - auch im Haushaltsausschuß -, daß die Bundesanstalt für Arbeit im ersten Jahr nach der Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen einen Zuschuß zahlt; denn wir wissen nach einer ersten Phase von einem Jahr, daß die Zufriedenheit über die Teilzeitbeschäftigung in aller Regel auf beiden Seiten sehr hoch ist. Wir sollten in der Arbeitsmarktpolitik nach wie vor und vielleicht noch prononcierter die drei Problemgruppen, Ältere, Jugendliche mit schlechterer Ausbildung und Frauen, in Programme einbeziehen. Wir sollten hier noch mehr Phantasie zeigen. Wir sollten noch mehr für Umschulung, für die Erhöhung der Motivation tun. Es gibt auch schon entsprechende Kurse. Das zu dem ersten wichtigen Punkt. Zweitens ist die Wirtschaftsstrukturpolitik - so möchte ich sie nennen - von Bedeutung. Ich sage etwas kritisch, daß unsere Forderung nach Strukturpolitik immer zu sehr auf regionale und sektorale Gesichtspunkte fixiert ist. Wenn wir dieses Wettrennen - wie es mein Vorredner bezeichnet hat - zwischen internationalem Strukturwandel und Neuschaffung von Arbeitsplätzen gewinnen wollen, dann wird es in der Strukturpolitik sehr viel stärker auf internationale Komponenten, vor allem auf die Außenwirtschaftspolitik ankommen. Ferner wird es sehr viel mehr darauf ankommen, auch etwas im Hinblick auf die Struktur der Kosten der Produktionsfaktoren zu tun. Deshalb halte ich auch den Ansatz, den wir bei der Forschungsförderung für kleine und mittlere Betriebe gewählt haben, für sehr wichtig. Wir setzen damit nicht immer nur bei den Gebäuden und den Maschinen an, sondern bei den Menschen. Wir zahlen Zuschüsse für die hohen Gehälter von Leuten, die in solchen Betrieben in Forschung und Entwicklung tätig sind. Ich glaube, wir haben eine sehr wichtige Komponente unserer Strukturpolitik für die Beschäftigung viel zu spät entdeckt, die Betriebsgrößenstrukturpolitik oder, wenn Sie so wollen, die Mittelstandspolitik. Es ist doch zu fragen, warum gerade ein Land wie Baden-Württemberg kaum mehr Arbeitslose kennt. ({9}) - Auch Bayern, aber es gibt sehr große regionale Unterschiede. ({10}) Die wesentlichen Grundlagen für die Wirtschaftsstruktur wurden in den 50er und 60er Jahren gelegt, wo die Liberalen auch in Baden-Württemberg den Wirtschaftsminister gestellt haben, Herr Waigel. ({11}) - Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß die Grundlagen in Baden-Württemberg bei einer Parteienkonstellation gelegt wurden, bei der als einzige Partei die Christlichen Demokraten in der Opposition waren. Liberale und Sozialdemokraten haben das gemacht. ({12}) - Das war die Aufbauphase in Baden-Württemberg. Wenn man also fragt, woher das kommt, dann ist es, glaube ich, wichtig auch wenn wir über ein Programm wie das . Ruhr-Programm sprechen - darüber nachzudenken, was in Baden-Württemberg vielleicht anders ist. Meines Erachtens ist folgendes anders: Neben einigen wenigen sehr gesunden Großbetrieben gibt es überdurchschnittlich viele kleine und mittlere Betriebe, die all die Jahre hindurch aktiv und aus eigener Kraft den Strukturwandel selbst vollzogen haben. Sie vollziehen ihn ständig durch einen überdurchschnittlichen Einsatz von Fleiß und von technischem Know-how mit. Sie haben Exportmärkte erobert und diese zäh verteidigt. Die haben Elan und Schwung gezeigt, all das, was der Bundeskanzler auf der Ruhrkonferenz auch von anderen Bundesländern fordert. Man hat eben in Baden-Württemberg nicht auf neue regionale oder auch sektorale Strukturprogramme oder irgendwelche pauschalen Investitionsbeihilfen gewartet. ({13}) Man hat in Baden-Württemberg auch weniger als in anderen Regionen auf den Pessimismus konservativer Verbandsführer oder Hauptgeschäftsführer gehört, die geäußert haben, man solle warten, bis ein Regierungswechsel ein neues Vertrauensklima schaffe. Man hat in Baden-Württemberg investiert, man hat den Strukturwandel bewältigt. Es ist, wie ich meine, ja auch die eigentliche Funktion des Unternehmers, sich im Strukturwandel selbst zu behaupten und nicht immer auf staatliche Hilfe zu warten. Wenn wir nach Gesichtspunkten einer engen sektoralen Strukturpolitik vorgingen, so kämen z. B. in meinem Wahlkreis völlig verschiedene Ergebnisse heraus. Der Betrieb, der in meinem Wahlkreis in den letzten drei Jahren die meisten Arbeitsplätze geschaffen hat, ist ein Betrieb, den wir nach den Kriterien der sektoralen Strukturpolitik einer typischen Schrumpfungsbranche zuzurechnen hätten. Es ist ein Betrieb der Bekleidungsindustrie. Die eigentlichen Wachstumsträger in meinem Wahlkreis waren bei der Arbeitsplatzschaffung hingegen längst nicht so erfolgreich. Ich führe dieses Beispiel nur an, um auch die Grenzen von sektoralen Möglichkeiten aufzuzeigen. Ich meine, daß sich Beschäftigungspolitik stärker auf Betriebsgrößenstrukturpolitik, also auf Mittelstandspolitik stützen muß, wie sie mein Kollege Wurbs für meine Fraktion nachher noch einmal sehr nachdrücklich darstellen wird. Herr Professor Biedenkopf, es war nicht richtig, zu sagen, daß die Rahmenbedirigungen sich nicht wesentlich verbessert hätten. Sie haben sich wesentlich verbessert. Für die Mittelständler ist es, wie ich glaube, wichtiger, drei Dinge zu haben - die wir bisher auch schon erreicht haben -, statt immer mehr Mittelstandskongresse zu veranstalten oder sich auf ein bürokratisches Mittelstandsförderungsgesetz zu verlassen. Wir haben drei Dinge getan - und dies wird auch anerkannt -: Wir haben etwas für die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich getan. Wir tun etwas für die Eigenkapitalbildung. Wir werden jetzt zusammen mit Ihrer Hilfe - dies habe ich vorhin dankend vernommen - die Kartellnovelle so ausgestalten, daß sie insbesondere eine weitere Konzentration auf mittelständiDr. Haussmann schen Märkten nicht zuläßt. Für diese Unterstützung bedanke ich mich ausdrücklich bei Ihnen. ({14}) Zum Schluß möchte ich noch kurz umreißen, wie eine falsche Strukturpolitik aussehen würde. Ich möchte über das sprechen, was im Moment unter dem Begriff „Ruhrprogramm" diskutiert wird. Ich möchte offen sagen, daß mir die bisher vorliegenden Vorschläge sowohl der SPD als auch 'der CDU - hier möchte ich auch meinen eigenen Wirtschaftsminister nicht ausschließen - als sehr phantasielos und für die Lösung der dortigen strukturellen Probleme ungeeignet erscheinen. Auch Herr Professor Biedenkopf ist hier einiges schuldig geblieben. Es wäre natürlich eine ordnungspolitische Nagelprobe gewesen, hier ein ordnungspolitisch sauberes Ruhrprogramm zu entwerfen. Ich kenne das, was vorliegt, glaube aber, daß es nicht ausreichen wird. Wir können uns international nicht als ordnungspolitische Saubermänner darstellen, wenn wir in einer der ältesten Industrieregionen mit relativ banalen Subventionsinstrumenten eingreifen. Was sollen dann andere europäische Länder von uns denken, die zweistellige Arbeitslosenquoten haben, wenn uns in einer solchen Region nichts besseres einfällt als etwa eine pauschale Subvention für alle Branchen, für alle Investitionen oder für alle Betriebsgrößen dort. ({15}) Ich möchte darauf hinweisen - auch auf die Gefahr hin, daß ich vielleicht in manchem falsch verstanden werde; das richtet sich auch gegen die Vorschläge, die ich von der CDU kenne -, daß sich die zentralen Probleme dort meines Erachtens mehr im psychologischen Bereich der Ansiedlungs-, Arbeits- und Wohnpolitik abspielen und daß sich diese psychologischen Hemmnisse und Probleme durch Geld nur sehr schwer beseitigen lassen. Man muß untersuchen, warum junge Facharbeiterfamilien immer stärker in den Süden abwandern. Man muß prüfen, ob es nicht sinnvoller wäre, mit dem Geld, das zu Verfügung steht, manche gezielte öffentliche Investition zu tätigen, z. B. im Bereich des Verkehrs, der Freizeit, der Umwandlung von alten Industriegebieten in Erholungsgebiete, der Ansiedlungs- und Umsiedlungspolitik. Man muß prüfen, ob nicht hier zunächst ein Arbeits- und Wohnklima geschaffen werden muß, das erst in der zweiten Phase Investitionen von Unternehmen nach sich zieht. Nur: wenn es richtig ist, daß dies der erste Schritt ist, dann muß ich darauf hinweisen, daß hier die Zuständigkeit natürlich nicht primär beim Bund liegen kann, sondern zunächst bei den betroffenen Gemeinden und der Landesregierung liegt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach zulassen?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedauere außerordentlich, aber ich bin kurz vor Schluß. Ich möchte, daß die Kollegen noch vor der Mittagspause ihre erste Runde beenden. Wir werden die Diskussion fortsetzen. . ({0}) - Nein, es ist nicht exakt das, was die CDU vorschlägt. ({1}) Wenn wir in den Bereich der privaten Investitionen unterstützend eingreifen, so muß dies, meine ich, sehr eng begrenzt geschehen. Man könnte sich vorstellen, daß eine Hilfe bei überdurchschnittlich hohen Umweltschutzinvestitionen ordnungspolitisch akzeptabel ist. Man könnte sich vorstellen, daß eine Unterstützung bei Umsiedlungsproblemen der Industrie angemessen ist. Es ist richtig - das wird auch von Sozialdemokraten gesagt daß eine gezielte Förderung von Forschung, Entwicklung und Eigeninitiative in bestimmten kleineren Betrieben und Branchen wichtig ist. Ich möchte zum Schluß meiner Ausführungen kommen und sie in drei Punkten zusammenfassen. Ich glaube, wir haben mit diesem Jahreswirtschaftsbericht eine sehr gute Ausgangsbasis des Wirtschaftsministers für das Jahr 1979 vor uns, wenn wir erstens unsere internationale Verantwortung, die mein Kollege Angermeyer noch darlegen wird, in der Wirtschaftspolitik verstärkt beachten, zweitens keine falsch verstandene Strukturpolitik betreiben - das soll heißen: wenn wir von Erhaltungssubventionen auf aktive Anpassungshilfen umschichten, wenn wir die Dynamik von unten unterstützen, wenn wir uns gegen weitere Konzentration wenden und wenn wir die Möglichkeit gerade der Kleinen und Mittleren aktiv unterstützen, diesen Strukturwandel zu bestehen -, drittens - ich glaube, das wird der entscheidende Punkt sein - bei allen wirtschaftspolitischen Programmen und bei der Konzeption unserer Finanzpolitik darauf achten, daß wir uns Eingreifreserven finanzieller Art für Risiken bewahren, die vor allem von der Außenwirtschaft sehr schnell auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen werden. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das, Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Debatte ist deutlich geworden, daß Beschäftigungs- und Wachstumspolitik nicht nur. eine Frage richtiger Dosierung von Haushaltsvolumen, Staatsdefiziten und Steuerentlastungen ist. Wirtschaftliche Umstellungsprobleme, Fragen des Strukturwandels, der Mobilität und der wirtschaftlichen Gestaltung rücken in den Vordergrund. Und hier hat die Bundesregierung eine vorzügliche Leistung in der wirtschaftlichen Wirklichkeit aufzuweisen, die so gut ist, daß sich Herr Biedenkopf überhaupt nicht mit einer Analyse der uns beschäftigenden realen Probleme in der Wirklichkeit unseres Landes beschäftigt, ({0}) sondern Vermutungen über mögliche zukünftige ordnungspolitische Verfehlungen des einen oder anderen anstellen muß. Dabei stehen Ihre eigenen ordnungspolitischen Ausführungen im krassen Gegensatz zu dem, was z. B. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Biedenkopf, hier vorgetragen hat. Sie beklagen z. B. eine wachsende Tendenz zur Verstaatlichung von Verteilungskonflikten. Aber Ihr Fraktionsvorsitzender hat dem Bundeskanzler nicht einmal drei Tage Winterurlaub gegönnt, sondern nach seiner Meinung hätte der Bundeskanzler zurückkommen müssen, uni in den Stahlarbeiterkonflikt einzugreifen. Das ist die Realität der CDU: schöne Worte ordnungspolitischer Art, und wenn es konkret wird, hält sich niemand daran. ({1}) Die Finanz- und Haushaltspolitik des Bundes ist in ihren Größenordnungen nach wie vor vor allem durch die fortbestehende Notwendigkeit geprägt, Nachfrage und Beschäftigung zu stützen. Die unbestreitbare Kräftigung der Auftriebskräfte und die Verbesserung der Stimmungslage in der Wirtschaft, die wohl verstärkt nach den Beschlüssen auf dem Bonner Gipfel eingesetzt hat, hängen damit zusammen, daß die Wirtschaft Vertrauen in diese Maßnahmen und in die Politik setzt. Es wird Ihnen mit all Ihren Bemühungen nicht gelingen, dieses Vertrauen zu zerstören und im deutschen Volk Angst zu schüren. Das gilt auch für unsere Europapolitik. Herr Kollege Biedenkopf, wenn Sie sagen, das Europäische Währungssystem bedeute - ich hoffe, ich zitiere richtig eine Verbindung auf Gedeih und Verderb mit der Konjunkturpolitik der anderen Länder, dann muß ich Ihnen sagen: Sie haben keinen blassen Schimmer von dem, was das Europäische Währungssystem ist. Es ist nämlich in der Anlaufphase von zwei Jahren eine Vereinbarung von Zentralbanken. ({2}) - Woher nehmen Sie dann den traurigen Mut, dem deutschen Volk mit solchen Behauptungen über das Europäische Währungssystem Angst zu machen? ({3}) Hier zeigt sich doch auch wieder Ihre abstrakte Europafreudigkeit Aber Sie üben konkrete Kritik an denjenigen, die den mühseligen Weg nach Europa gehen. ({4}) - Keine Zwischenfrage; ich will nur 20 Minuten sprechen. ({5}) Fragen Sie einmal kleine und mittlere Unternehmen, welche Schwierigkeiten sie mit den Wechselkursschwankungen haben, ob es für sie nicht wichtig ist, daß dies geändert wird. Die positiven Veränderungen der Konjunkturindikatoren stellen auch einen Vertrauensvorschuß dar. Es wäre wirtschaftspolitisch nicht angemessen, die Besserung der konjunkturellen Lage, die keineswegs schon als ein sich selbst tragender Aufschwung bezeichnet werden kann, zum Anlaß zu nehmen, den Kurs der Finanz- und Haushaltspolitik vorzeitig zu ändern. Im Jahreswirtschaftsbericht weist die Bundesregierung darauf hin, daß wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft gegenwärtig und auf absehbare Zeit mit schwerwiegenden strukturellen Anpassungsproblemen zu tun haben. Ursachen des Strukturwandels sind sowohl die technologischen Änderungen als auch Verlagerungen in der internationalen Arbeitsteilung, Veränderungen im Wechselkursgefüge, die Spezialisierung der Produktion in Industrieländern, die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit der sogenannten Schwellenländer, verstärkte protektionistische Tendenzen in einzelnen Ländern. Das alles wirkt auf unsere Wirtschaft ein. Natürlich spielen auch die Schwierigkeiten eine Rolle, von denen wir sehen, daß sie sich hier und dort auf dem Gebiet der Rohstoff- und Energieversorgung anbahnen. Hier muß man in der Tat sagen, daß die Bundesregierung durch ihre vorausschauende Politik dafür gesorgt hat, daß eventuelle Schwierigkeiten bei der Ölversorgung nicht auf die Elektrizitätserzeugung durchschlagen werden. Bei solchen Detailbemerkungen zeigt sich nämlich, ob jemand ein Problem in seinen Strukturen und Einzelheiten genau durchdacht hat oder ob er nur mal so dahinredet. Genau 9 % der deutschen Elektrizitätskapazität beruhen noch auf Öl; das betrifft einige Mittel- und Spitzenkraftwerke in Süddeutschland. Es ist bei einiger organisatorischer Phantasie durchaus möglich, etwa entstehende Probleme zu lösen. Das zeigt die Richtigkeit unserer Entscheidung, Kredite aufzunehmen und eine nationale Rohölreserve von 8 Millionen t zu schaffen. Das zeigt gleichzeitig die Unrichtigkeit Ihrer immer wieder vorgetragenen Behauptung, die Nettokreditaufnahme belaste zukünftige Generationen. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich wieder, daß wir mit unserer vorausschauenden zukunftssichernBundesminister Matthöfer den Politik unseren zukünftigen Generationen eine sichere Basis für eine menschliche Zukunft legen. ({6}) Wir brauchen eine konkrete und sachorientierte Debatte über die Rolle und über die Verpflichtungen, die der Staat angesichts wirtschaftsstruktureller Wachstumshemmnisse zu übernehmen hat. Wir denken keineswegs daran, Herr Kollege Biedenkopf - ich weiß nicht, woraus Sie das entnehmen wollen -, die Arbeitslosigkeit nur mit staatlicher Defizitpolitik zu bekämpfen. Worum ging es denn in der jahrelangen ordnungspolitischen Diskussion? Wir haben doch in dieser Diskussion die Notwendigkeit einer vorausschauenden Strukturpolitik betont. Ich freue mich, daß wir nach dieser Diskussion jetzt alle einer Meinung sind. Wichtig für die Entfaltungsmöglichkeiten wirtschaftlicher Dynamik sind auch - ich sage das mit dem Bewußtsein der Verantwortung, die der Finanzminister hier trägt - ein gerechtes, transparentes, einfaches Steuersystem und eine leistungsgerechte und wachstumsfreundliche Gestaltung der Steuer- und Abgabenbelastung. Die Erfahrungen vieler Finanzminister haben allerdings gezeigt, daß es ungeheuer schwierig ist, sich hier durchzusetzen, genauso übrigens wie bei den Subventionen. Auch über Subventionen wird immer allgemein geklagt. Aber wenn es dann darauf ankommt, im Einzelfall zu entscheiden, ist eine vernünftige Entscheidung kaum durchsetzbar; denn im Grunde - wenn man sich die einzelnen Dinge ansieht - steckt ja auch viel Vernunft dahinter. Es ist unrichtig zu behaupten, das seien alles nur Erhaltungssubventionen. Ein wichtiges Problem - gerade für kleine und mittlere Unternehmen - ist zweifellos die Bereitschaft zum aktiven Strukturwandel und die damit verbundenen unternehmerischen Risiken. Der überragenden Rolle, die gerade die mittelständischen Unternehmen für die Erhaltung eines lebendigen Wettbewerbs und für die Sicherung und Stärkung der dynamischen Kräfte unserer Wirtschaft spielen, entspricht es, daß die Bundesregierung für diesen Bereich eine ganze Reihe steuerpolitischer Maßnahmen und finanzieller Hilfen vorgeschlagen hat, die dann auch von der sie tragenden Mehrheit im Bundestag beschlossen wurden: 1974/75 brachte Verbesserungen bei den Sonderausgaben und durch die Erhöhung der Freibeträge bei der Einkommensteuer Entlastungen für den mittelständischen Bereich. Die Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbeertragsteuer, der Wegfall der Ergänzungsabgabe und Verbesserungen der Abschreibungen für den Umweltschutz brachten weitere Entlastungen. Mit der Einführung des Verlustrücktrages ab 1975 ist es kleinen und mittleren Betrieben ermöglicht worden, schwierige Situationen besser zu überstehen. 1977 brachte Erleichterungen bei den ertragsunabhängigen Steuern, insbesondere bei der Vermögensteuer. Die weitere Anhebung der Freibeträge bei der Gewerbeertragsteuer, Gewerbekapital- und Lohnsummensteuer führte zu einer Entlastung bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Etwa die Hälfte der Gewerbebetriebe ist von der Gewerbesteuer ganz entlastet. 1977 wurden die Abschreibungsbedingungen verbessert. Die Abschaffung der Lohnsummensteuer ab 1980, die Erhöhung des Freibetrags bei der Gewerbeertragsteuer ab 1980, die Anhebung des Freibetrags bei der Gewerbekapitalsteuer ab 1981, die Einführung eines Freibetrags für die Hinzurechnung von Dauerschulden bei der Gewerbekapitalsteuer ab 1981 setzt die Reihe der gezielten Steuerentlastungen vorwiegend für den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen fort. Diese Maßnahmen, ergänzt durch die Wettbewerbspolitik, durch die Maßnahmen z. B. zur Förderung der Beratung und Information, durch das erfolgreiche Existenzgründungsprogramm, zeigen, daß unsere Politik sinnvoll und gezielt ansetzt, um das wirtschaftliche Risiko vor allem dort tragbar zu machen, wo kleine und mittlere Betriebe wegen ihrer oft geringen Eigenkapitaldecke und ihrer begrenzten Möglichkeiten zur Diversifizierung ihrer Produktion von notwendigen Umstellungsprozessen besonders hart betroffen sind. Der Erfolg dieser Politik zeigt sich auch in der Zahl der Selbständigen. Während diese Zahl in den ersten 20 Jahren des Bestehens unserer Bundesrepublik ständig zurückgegangen ist, ist dieser Rückgang in den ersten Jahren der sozialliberalen Koalition erst verlangsamt, dann gestoppt worden. Ab 1977 verzeichnen wir zum erstenmal einen deutlichen Anstieg der Zahl der Selbständigen. Die Inanspruchnahme des Existenzgründungsprogramms, für das wir die Mittel beträchtlich erhöht haben, zeigt, daß der Wille zur Selbständigkeit und zur selbstverantwortlichen Bewährung am Markt nicht erlahmt ist, sondern im Gegenteil zunimmt. Durch ein zusätzliches Programm zur Stärkung der Eigenkapitalbasis in der Gründungsphase der Unternehmen werden wir diese struktur- und ordnungspolitisch wichtige Zielsetzung unserer Politik noch weiter verdeutlichen. Ein weiterer wachstumspolitisch entscheidender Bereich ist die finanzielle Förderung des wirtschaftlichen und technologischen Innovationsprozesses auf breiter Front. Langfristige und risikoreiche Entwicklungsprogramme rechtfertigen in besonderem Maße die fördernde Tätigkeit des Staates. Es kommt darauf an, in der Breite und in einer Vielzahl von Unternehmen und Betrieben Innovationsprozesse zu fördern. Im Strukturwandel werden wir immer wieder mit wirtschaftlichen Krisen und Risiken konfrontiert, denen sich der Staat nicht entziehen kann. Große Unternehmen haben zwar im allgemeinen bessere Möglichkeiten als kleine und mittlere Unternehmen, im eigenen Bereich Risiken auszugleichen. Nicht alle verfügen aber über eine ausreichend breite Produktionspalette. Vor allem im Bereich der Grundstoffindustrien kann es daher zu Strukturkrisen kommen, denen aus eigener Kraft nicht begegnet werden kann. Gesamtwirtschaftliche Interessen und soziale Verantwortung, nicht zuletzt für die Aufrechterhaltung der Beschäftigung, kön10674 nen Veranlassung geben, Anpassungs- und Stützungsmaßnahmen zu ergreifen. Vor allem wenn Industrien, die durch Strukturkrisen betroffen sind, in hohem Maße regional konzentriert sind, wird trotz der primären unternehmerischen Verantwortung letztlich auch der Staat verantwortlich gemacht, wenn Lebensstandard und Einkommensniveau ganzer Regionen in Mitleidenschaft gezogen werden. Dieser Verantwortung nachzukommen, ohne einseitig den Weg von Erhaltungssubventionen zu gehen, erfordert oft recht schwierige Entscheidungen. Unsere zusätzlichen Maßnahmen z. B. für die Kohle haben eine starke Komponente der Förderung innovativer Investitionen, die dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit eines der modernsten Bergbaugebiete der Welt auch für die Zukunft zu sichern. Wir legen großes Gewicht auf ergänzende Maßnahmen im Bereich von Forschung .und Entwicklung, rationaler Rohstoffverwendung, neue Kohletechnologien, kostengünstige Energieversorgung z. B. beim Aufbau von Fernwärmenetzen. Die Kohle muß in unserem Lande auch in Zukunft ein wirtschaftlich vernünftig einsetzbarer Energieträger bleiben. Die regionale Konzentration wirtschaftlicher Krisenerscheinungen, wie wir sie z. B. jetzt im Bereich der deutschen Küsten erleben, muß aber auch deutlich machen, daß mit der Subventionierung herkömmlicher Produktionszweige allein eine wirtschaftliche Gesundung solcher Gebiete nicht möglich ist. Eine problemgerechte Lösung erfordert die Entwicklung sinnvoller Zukunftskonzeptionen. Hier sind und bleiben primär die Unternehmen selbst aufgefordert, ihrer Verantwortung nachzukommen. Da muß man auch immer wieder die Länder auffordern, sich ihrer Verantwortung für die regionale Wirtschaftspolitik in ihrem Lande bewußt zu sein. Wenn ich sehe, daß die Gemeinden eine Deckungsquote von rund 98% haben, die Länder von etwa 95% und der Bund von etwa 86%, wenn ich sehe, daß der Bund eine überproportional hohe Last bei der Stützung von Beschäftigung und Konjunktur trägt, dann muß ich einigen Länderregierungen sagen, daß sie selbst verpflichtet sind, Kredite aufzunehmen, um ihre regionalen Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Der Bund wird dann jederzeit bereit sein, seiner gesamtwirtschaftlichen und gesamtstaatlichen Verpflichtung nachzukommen. Er wird auch, wenn verschiedene Länder betroffen sind, eine katalytische Funktion in der Organisation der Zusammenarbeit übernehmen. Der Bund kann und will ergänzen, stützen und helfen, aber er weist eine ihm immer häufiger zugeschobene Verantwortung für jeden im Strukturwandel betroffenen Arbeitsplatz zurück. Zu Recht mehren sich die kritischen Stimmen an einem Übermaß von Hilfen und Subventionen, die ökonomischer Vernunft widersprechen. Wirtschaftliche Vernunft wird oberster Maßstab für die Überlegungen und Maßnahmen dieser Regierung sein. Ich wiederhole: Wir sichern mit unserer Politik die Grundlagen einer menschlichen Zukunft unseres Volkes, und wir bitten Sie dafür um Ihre Unterstützung. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haberl.

Fritz Haberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000767, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich kann mich nicht erinnern, in diesem Hohen Hause schon einmal so viel Szenenbeifall der Opposition für einen Sprecher der Regierung gehört zu haben. Ich muß ehrlich zugeben: als ich den Jahreswirtschaftsbericht gelesen habe, haben mir auch die dort gefundenen Formulierungen über weite Strecken sehr gut gefallen. Sie würden sich nach meiner Meinung hervorragend für ein Ratespiel eignen. Man könnte diese Formulierungen vorlesen - leider verträgt es sich nicht mit der Würde dieses Hohen Hauses, sonst würde ich es sogar hier gern tun - und anschließend raten lassen: Stammen sie aus dem Grundsatzprogramm der CSU oder dem der CDU, oder stammen sie aus der Rede des Herrn Dr: Strauß vor dem Wirtschaftsbeirat der Union? Ich glaube, so mancher würde sich da irren. Ich stimme auch der relativ günstigen Beurteilung der Ausgangslage absolut zu. Das ist nicht angeschönt, nicht übertrieben, nicht euphorisch rosarot gemalt. Die Ausgangslage ist tatsächlich relativ günstig - relativ, weil wir eben im Vorjahr, 1977, 2,6 % Wachstum hatten, während wir jetzt einen Anstieg des Bruttosozialprodukts um 3,4 % bei einer Projektion von 3,5 % haben. Das Klassenziel ist also fast erreicht. Nur, was heißt denn Klassenziel? Wir haben die Projektion erreicht, müssen uns aber eingestehen, daß dieses Wachstum immer noch unzureichend war, um die Probleme zu lösen, die wir zu lösen haben. ({0}) Kein Wort dagegen findet sich im Jahreswirtschaftsbericht darüber, daß die Industrieproduktion bloß um 2 % gegenüber 2,7 % im Jahr davor gestiegen ist. Das ist doch eigentlich nicht ganz so günstig. Kein Wort findet sich darüber, daß die Länderbeteiligung eine große Rolle spielt. Sonst wären die Unterschiede im Wachstum ja nicht so groß. In Bayern und Baden-Württemberg beispielsweise war das Wachstum wesentlich höher als im Bundesdurchschnitt. Bayern hatte ein Plus von 4,3 % Bruttoinlandsprodukt aufzuweisen gegenüber einem Bundesdurchschnitt von nur 3,1 %. Offenbar haben doch die Anstrengungen einiger Länder einen erheblichen Anteil daran, daß wir das Ergebnis von 3,4 % Wachstum überhaupt erreicht haben. ({1}) Was midi aber noch viel mehr stört, ist die Tatsache, daß in dem Bericht überhaupt kein Wort darüber verloren wird, wie wir dieses Wachstum erreicht haben. Womit ist denn dieses, wenn auch noch so erfreuliche, so immer noch unzureichende Wachstum erreicht worden? Mit 13 Konjunkturprogrammen und einer Neuverschuldung von insgesamt 160 Milliarden DM! ({2}) Ich bin der Meinung, daß alle 13 Konjunkturprogramme in Wahrheit ein Strohfeuer waren, daß sie verpufft sind und überhaupt keinen Beitrag dazu geleistet haben; daß vielmehr erst in der Mitte des Jahres 1978 ein Umschwung signalisiert wurde mit den Steuerentlastungsmaßnahmen, die man noch am Anfang des Jahres für nicht finanzierbar gehalten hatte, obwohl sie schon 1977 vom Sachverständigenrat und von der Bundesbank vorgeschlagen worden waren und von der Opposition seit vielen Jahren als einzig richtige Lösung bezeichnet worden sind. Diese Steuerentlastungsmaßnahmen hat man Anfang 1978 für nicht finanzierbar, für nicht machbar, für nicht wirksam gehalten; aber in der Mitte des Jahres ging es dann plötzlich. ({3}) - Sie meinen wahrscheinlich Herrn Kolb. ({4}) - Ich finde es nur merkwürdig, daß die Regierungskoalition erst nach dem Gipfel erkannt hat, was wir auch ohne Gipfel schon Jahre vorher für richtig gehalten haben. ({5}) Ich bin nach wie vor der Meinung, daß die 160 Milliarden DM Neuverschuldung zum großen Teil vermeidbar gewesen wären, hätte man zu einem früheren Zeitpunkt den richtigen Weg eingeschlagen. ({6}) Die Tatsache, daß diese Entscheidung zu spät gefällt wurde, macht sie noch lange nicht zu einer richtigen Entscheidung, weil sie den Erfolg nicht mit absoluter Sicherheit herbeiführt. ({7}) - Ach, ich glaube, da steht vornweg wohl der richtige Buchstabe; denn jeder weiß, daß Sie endlich das getan haben, was wir vorgeschlagen haben. Man steckt sich da nur falsche Federn an den Hut. ({8}) Die Bundesregierung selbst stellt im Jahreswirtschaftsbericht den Erfolg in Frage, und manche Risiken lassen die Erwartung von 4 % Wachstum, die Erwartung eines leichten Rückgangs der Erwerbslosenzahl und eines nur geringfügigen Ansteigens der Verbraucherpreise in diesem Jahr fraglich erscheinen. Was nicht gesagt wurde und in meinen Augen viel bedeutendere Risiken als die im Jahreswirtschaftsbericht genannten enthält, ist, daß es - auf Parteitagen der SPD oder der FDP genauso wie in Aussagen einzelner Abgeordneter dieser beiden Regierungsparteien, die in einem krassen, in einem grotesken Gegensatz zu dem stehen, was im Jahreswirtschaftsbericht formuliert ist - eine permanente und nicht aufhören wollende Diskussion gibt, in der gesagt wird: Man muß Investitionsmeldestellen einrichten, man muß die Investitionen kontrollieren, am besten eigentlich sogar lenken, man braucht Strukturräte, man braucht Zwangsinvestitionsrücklagen, man braucht eine Aktivmindestreserve, und bestimmte Branchen sollten - weil man sich beim Begriff „Verstaatlichung" wegen der wirtschaftlich „großen Erfolge", die Staatsbetriebe aufzuweisen haben, selbst verschluckt ({9}) am besten überhaupt vergesellschaftet werden. Sehr geehrter Herr. Bundeswirtschaftsminister, ich bin der Meinung - wenn ich Ihnen das schnell noch sagen darf -, daß es nicht angebracht ist, daß Sie sich hier darüber mokieren, daß die Union sagt, es wäre notwendig, den Haushalt zu konsolidieren und gleichzeitig auch in der Zukunft steuerliche Entlastungsprogramme zu entwickeln. Sie sagten, das ließe sich nicht miteinander vereinbaren. Herr Lenders ging noch einen Schritt weiter; er zieh diejenigen, die solche Forderungen aufstellen, der wirtschaftlichen Unvernunft und der Polemik. Ich bin darüber, ehrlich gesagt, verwundert. Sie haben ja ausreichende Kenntnisse davon, wie derartige Dinge in privaten Wirtschaftsunternehmen ablaufen. Wenn man da expandieren muß und will, um seine Marktposition zu festigen, gibt es ja auch die Möglichkeit, sich das dafür notwendige Kapital einfach uferlos am Kapitalmarkt zu beschaffen. ({10}) Nur riskiert man dann eben, daß Schuldentilgung und Zinsen einen auffressen und das Wachstum nicht zustande kommt. Dann gibt es andere Unternehmen, die sehr sparsam wirtschaften und diese Finanzierung zu einem beachtlichen Teil aus angespartem Eigenkapital schaffen. Das sind die, die schließlich zu dem wirtschaftlichen Erfolg kommen, den wir uns wünschen, nämlich zu mehr Wirtschaftswachstum, mit dem wir unsere Probleme lösen können. ({11}) ' Ich sehe also keinen Widerspruch, wenn es darum geht, Steuerentlastungsprogramme durchzuführen und trotzdem den Haushalt zu konsolidieren. Das ist durchaus miteinander vereinbar, wenn man einen sparsamen, ordentlichen Haushalt führt ({12}) und nicht ständig unnötig Geld für Subventionen, für staatliche Programme ausgibt, die letztlich 10676 wie in den letzten Jahren bewiesen - den Erfolg überhaupt nicht herbeiführen. ({13}) Da steht im Jahreswirtschaftsbericht der wirklich dünne Satz: „In der Haushaltspolitik kommt es darauf an, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage noch zu stützen, gleichwohl aber das Ziel einer allmählichen , Rückführung der hohen öffentlichen Neuverschuldung nicht außer acht zu lassen." - Und dies angesichts einer Situation, die so bedrohlich ist, ({14}) daß man sich doch wirklich nicht damit hinausstehlen kann, daß man sagt: „Das macht mich nachdenklich." - Es ist doch höchste Alarmstufe! Nun, wenn ich mir das erlauben darf, ein deutlicher Hinweis zu diesen Subventionen: Ich bedanke mich dafür, Graf Lambsdorff, daß Sie sich in diesem speziellen Fall der Stahlindustrie so mutig gegen die Subventionen ausgesprochen haben, bin aber auf der anderen Seite genauso gespannt darauf, wie das Ergebnis später aussehen wird. Ich habe hier gerade den Korrekturabzug einer Handwerkszeitung, die wohl in den nächsten Tagen erscheint. Da hat Herr Dr. Schwindt einen Artikel unter der Überschrift „Der Anfang vom Ende - Keine Investitionszulagen als Wahl- oder Streikgeschenke!" geschrieben. ({15}) Ich zitiere daraus mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident: Angesichts der Tatsache, daß die MilliardenProgramme des Staates zur Ankurbelung der Konjunktur in den letzten Jahren weitgehend erfolglos blieben - im Gegensatz zu der nun erkennbar werdenden Wirkung der Steuersenkung -, muß man sich fragen, warum es immer noch Politiker gibt, die mit Subventionen Arbeitsplätze schaffen wollen. Die Antwort kann nur lauten, daß es eben Abgeordnete gibt, die nichts dazugelernt haben, und andere, die ganz bewußt und zielstrebig das marktwirtschaftliche System zugrunde richten wollen, und schließlich auch solche, die alle Grundsätze fallenlassen, wenn es nur um ihre Wiederwahl geht. ({16}) - Ich habe nicht meine Meinung hier zum besten gegeben, sondern nur zitiert. Und das ist eben Volkes Meinung. ({17}) - Ist das schlecht? Sogar Professoren im Volk!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Haberl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, darf ich Sie darum bitten, daß Sie von diesem Vorabdruck, den Sie besitzen und an den wir noch nicht herankommen können, ein Exemplar an Professor Biedenkopf mit der Bitte geben, es an Herrn Köppler für dessen Antrag auf Subvention im Ruhrgebiet weiterzuleiten? ({0})

Fritz Haberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000767, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme Ihrer Bitte sehr gern nach, Graf Lambsdorff. ({0}) Ich komme auf das Problem der Neuverschuldung zurück. Sie haben versucht, es zu bagatellisieren. Ich bin der Meinung, daß man es nicht ernst genug nehmen kann. Die Vorstellung, daß die für 1982 im Finanzplan ausgewiesene Bruttoneuverschuldung allein des Bundes schon zu vier Fünfteln für den Schuldendienst verplant ist und zur reinen Ausgabenfinanzierung nur noch ein Fünftel verbleibt, will keinem vernünftigen Menschen einleuchten, auch mir nicht. Stellt man zudem in Rechnung, daß sich bei einem Anstieg des Zinsniveaus auch um nur 1 bis 2 % - und daß dieser Anstieg in Kürze kommt, ist ja schon zu erkennen - diese Staatsschuld um 5 bis 10 Milliarden DM verteuert, dann ist der Tag nicht mehr fern, an dem der Schuldenberg kippt. Die Bruttoverschuldung reicht dann nicht einmal mehr aus, den Schuldendienst zu tragen. Auf diesen Tag treibt die Entwicklung zu. Ich bin der Meinung, daß das nicht ernst genug genommen werden kann. Ich habe wirklich kein Verständnis für die Behauptung, daß wir hier etwas dramatisierten. Der Schuldenzuwachs des Bundes war in einem einzigen Jahr mehr als doppelt so hoch wie in den 20 Jahren von 1950 bis 1969. In diesen 20 Jahren waren es 14,3 Milliarden DM. Heute entfällt fast jede fünfte Steuermark auf den Schuldendienst. ({1}) - Ich weiß. Aber heute ist versucht worden, das vom Tisch zu wischen. ({2}) Ich bin der Meinung: Die Bundesregierung starrt nur auf die augenblickliche Situation und auf ihre Probleme in der Konjunkturpolitik. Sie braucht vor den Wahlen einen kurzfristigen Erfolg. Die Dauerwirkungen sind ihr egal. 1978 stieg das Kreditvolumen der Bundesrepublik um 120 Milliarden DM. Das war mehr als 1977 mit 96 Milliarden DM Steigerung. Das Plus betrug 11 %. ({3}) - Warten Sie ab, Herr Professor Schachtschabel, auf was ich kommen will! ({4}) Das Entscheidende ist, daß beim Anstieg dieses Kreditvolumens der Anteil, den der Staat in Anspruch genommen hat, 16,1 % war, der Anstieg des Kreditvolumens im verarbeitenden Gewerbe aber nur 3,3 % betrug. Und das ist das Beschwerliche an der ganzen Situation: Die Kreditaufnahme des Staates hat keine Multiplikatorwirkung - im Gegensatz zu der Kreditaufnahme, die für Investitionen, seien es Erweiterungsinvestitionen oder Rationalisierungsinvestitionen, in der Wirtschaft gebraucht wird. Da kommen ja dann Folgeimpulse. Dagegen wird das andere praktisch stillgelegt. Wie schnell die Zinsbremse greifen kann, haben wir 1977 erlebt. So war der starke Aufschwung beispielsweise des privaten Wohnungsbaues vor allem durch den vorangegangenen Zinsrückgang stimuliert worden. Weil wir gerade zur Baukonjunktur kommen! Ich glaube, das ist eine Paradebeispiel für ordnungspolitisch verwerflichen Aktionismus und Interventionismus. Noch vor wenigen Jahren sollte in der Bauwirtschaft die Kapazitätserweiterung eingeschränkt werden. Die Kapazitäten wurden stark dezimiert. Bald darauf wurde die Bauwirtschaft mit fiskalpolitischen Programmen - Bauprogramm 1975, Programm für Zukunftsinvestitionen, Heizenergie-Einsparungsprogramm - wieder aufgepäppelt. Nun stellen wir Engpässe fest, Preissteigerungen, die weit über den gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt hinausgehen. Und schon beginnt erneut die Diskussion über die Abschaffung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes. Ein ständiger Zickzackkurs! Das ist in Wahrheit die Vertrauenskrise, die sehr viele Unternehmer daran hindert, die vorhandenen Innovationen, die angeblich notwendig sind, überhaupt nicht wirksam werden zu lassen, weil sie vor einem steigenden Risiko, durch nicht genügend geradlinige Politik Angst haben, weil sie Angst haben, für diese Risiken obendrein keine ausreichende Rentabilität erwarten zu können. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß Mitglieder aller Fraktionen die von Herrn Biedenkopf begonnene Diskussion über die Abschaffung des § 7 b zurückgewiesen haben?

Fritz Haberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000767, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja und? ({0}) Ich wollte an diesem Beispiel darstellen: Ich bin ja gar nicht gegen die Abschaffung des § 7 b. Darüber kann man durchaus diskutieren. Ich wollte nur den Zickzackkurs aufweisen. Darum geht es doch. ({1}) Die Staatsquote ist von 37,4 % im Jahr 1970 um 46,4 % im Jahr 1978 gestiegen. Im Klartext dieser Zahlen heißt das, daß wir 1978 120 Milliarden DM mehr über den Staat und seine Kassen verteilen als 1970. 120 Milliarden DM mehr in nur acht Jahren! Diese Zahl steht nicht für Leistung, sondern für Umverteilung, also dafür, daß der Staat überwiegend jene mit staatlichen Transferzahlen beglückt, denen er zuvor das Geld abgenommen hat - natürlich unter Abzug eines entsprechenden Disagios für die Verwaltungsarbeit. ({2}) Allein die echte Staatsquote, also die Staatsausgaben ohne Transferleistungen, stieg von 1970 bis 1978 um 82 Milliarden DM. Damit hat das sogenannte „Regiertwerden" wohl die höchste Preissteigerungsrate unter allen Leistungen. Die Staatsausgabenquote ist von 1970 bis 1978 von 20,2 auf 23,1 gestiegen. Aber darin verbirgt sich ein Ansteigen des Staatsverbrauches von 15,9 auf 19,9 % und ein Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen von 4,3 auf 3,2 %. Das ist die Wahrheit - im Gegensatz zu dem, was als erstrebenswertes Ziel im Jahreswirtschaftsbericht steht.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Vogelsang zu?

Kurt Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wie vereinbaren Sie all das, was Sie gerade beklagt haben, damit, daß wir im Anschluß an diesen Tagesordnungspunkt einen Antrag von Ihnen behandeln werden, in dem die Ausweitung der Staatsquote dadurch gefordert wird, daß man über die Vorschläge der Regierung beim Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes noch hinausgehen will?

Fritz Haberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000767, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie waren anscheinend vorher nicht im Saal. Ich habe sehr genau den Zusammenhang erklärt, wie das möglich ist. ({0}) - Um die Zwischenfragen zu gestatten, habe ich versucht, einige Passagen auszulassen. Sonst würde ich meine Zeit überziehen. Als die Regierungskoalition 1969 die Verantwortung übernahm, flossen 145 Milliarden DM in die öffentlichen Kassen. Bis zum Krisenjahr 1974 war die Steuerbelastung um 95 Milliarden DM auf 240 Milliarden DM angestiegen. Das war die Periode, in der man die. Belastbarkeit der Wirtschaft testete. Sie war durch Entlastungsversprechungen auf der einen und durch ständige Mehrbelastungen infolge stiller und offener Steuererhöhungen auf der anderen Seite gekennzeichnet. Dann kamen die Krisenjahre mit hohen Arbeitslosenzahlen, ({1}) und das hat zur Umkehr gezwungen, die aber offenbar nur sehr halbherzig war. So konnte der Bundesfinanzminister zu seiner Freude kürzlich feststellen, daß er trotz der steuerlichen Entlastungsmaßnahmen, die 1978 wirksam geworden sind, am Jahresende 5,3 Milliarden DM mehr in der Kasse hatte. Ich kann auch das jüngste Steuerpaket anführen: Per saldo wird die Entlastung von rund 7,5 Milliarden DM in etwa ein Drittel dessen ausmachen, was nach der neuesten Steuerschätzung in diesem Jahr zusätzlich in die öffentlichen Kassen fließt. Zieht man einmal die Gesamtbilanz dieser Steuerpolitik, die so laut verkündet und die angeblich seit 1975 zur Überwindung der Wachstums- und Beschäftigungsprobleme inszeniert wurde, dann zeigt sich, daß Steuerentlastungen von 40 Milliarden DM seit 1974 93 Milliarden DM zusätzliche Steuereinnahmen gegenüberstehen. Darum bin ich der Meinung, daß es falsch ist, wie im Jahreswirtschaftsbericht gesagt wird, daß grundsätzlich Steuerentlastungen nicht vorgesehen sind. Wir müssen weiter über steuerliche Maßnahmen sprechen, wenn wir die Ziele erreichen wollen, die gesteckt worden sind. Insbesondere möchte ich auf die Entwicklung des Lohnsteueraufkommens hinweisen. Im Jahre 1973, noch vor der Rezession, erbrachte die Lohnsteuer, damals bei Vollbeschäftigung, nur 61 Milliarden DM. Trotz der zahlreichen steuerlichen Entlastungen, trotz inzwischen einer Million Arbeitsloser haben wir jetzt 95 Milliarden DM Lohnsteuer. Ohne diese Steueränderungen wären es sogar ' 103 Milliarden DM. 12 Milliarden DM Mehreinnahmen ergaben sich allein aus der Lohnsteuer in diesem einen Jahr. In sieben Jahren hat sich das Lohnsteueraufkommen fast verdreifacht. Wir sind der Meinung, daß es deswegen nicht ausreicht, was im vergangenen Jahr im Bereich der Verbesserung des Lohn- und Einkommensteuertarifs gemacht wurde, sondern wir brauchen eine grundsätzliche Reform, die einen durchgehend progressiven Tarifaufbau herstellt. Zusätzlich brauchen wir auch andere steuerliche Entlastungsmaßnahmen. Ich erinnere dabei an die verschiedenen Diskussionen über die Gewerbesteuer, von der Gewerbeertragsteuer bis zur Gewerbekapitalsteuer. Es gibt kein anderes Land, in dem sowohl der Ertrag als auch das Vermögen jeweils zweimal besteuert werden. Es ist vom Herrn Bundesfinanzminister der bemerkenswerte Satz angeführt worden, daß, seit die sozialliberale Koalition hier verantwortlich ist, die Zahl der selbständigen Existenzen wieder gestiegen sei. Es würde mich wirklich interessieren, wenn Sie mir das in irgendeiner Statistik nachweisen könnten. ({2}) - Herzlichen Dank, Graf Lambsdorff. Ich kann Ihnen nur sagen, daß allein von 1970 bis 1978 370 000 handwerkliche Existenzen aufgegeben worden sind. Das waren keine spektakulären Konkurse, sondern sie haben ihr Geschäft still liquidiert. ({3}) Natürlich sind dann die 270 000 Neugründungen erfolgt, und der Saldo drückt sich „nur" in 100 000 Betrieben aus. Auch im letzten Jahr sind es nur 5 000 weniger geworden. Die Zahl der Handwerksbetriebe hat um 1 °/o abgenommen, so ungefähr, als wäre das gar nichts. Was verbirgt sich denn hinter diesem i °/o? Das ist der Saldo 5 000 aus 35 000 Betrieben, die 1978 trotz der nun besseren Atmosphäre aufgegeben haben. Dem steht eben die Existenzgründung von 30 000 neuen Handwerksbetrieben gegenüber. Die Frage ist nur, ob das Problem allein mit neuen Existenzgründungen zu lösen ist, ob es volkswirtschaftlich nicht wesentlich besser wäre, einen Teil der Existenzen vor der Vernichtung zu bewahren. ({4}) Warum geben sie auf? Sicherlich ist es da und dort mal die Frage der Nachfolge, und sicher ist es da und dort mal die Standortfrage wegen innerstädtischer Sanierungsprogramme; aber sehr viele geben eben deswegen auf, weil sie inzwischen begriffen haben, daß sie ohne Risiko, nämlich durch den Erwerb festverzinslicher Wertpapiere, mehr verdienen, als wenn sie ihren Handwerksbetrieb fortsetzen, oder dadurch mehr verdienen, daß sie zu irgendeinem industriellen Großbetrieb mit Altersversorgung, mit ausreichender Zukunftsvorsorge und mit 40 Stunden Arbeitszeit in der Woche - statt ihrer eigenen 60 Stunden - gehen. Das sind die. Ursachen. ({5}) Dazu kommt die bürokratische Überwucherung; ständig werden ihnen Auflagen gemacht, eine Statistik nach der anderen wird gefordert, und von der Lohnpfändung bis zu allen möglichen anderen Dingen werden sie als Büttel des Staates verpflichtet.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Professor Diederich?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Haberl, könnten Sie vielleicht erläutern, woher die Leute das Dr. Diederich ({0}) Geld haben, um sich so spektakulär zur Ruhe zu setzen, wenn es ihnen wirtschaftlich so schlecht geht, wie Sie gesagt haben?

Fritz Haberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000767, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kenne die Fälle nicht, wo sie sich spektakulär zur Ruhe setzen. Wenn Sie mir die mal aufzeigen, können wir uns gern darüber unterhalten? ({0}) - Ich habe es mit Sicherheit nicht gesagt. Aber wenn Sie es so verstanden haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie wiederholen würden, was ich Ihrer Erinnerung nach gesagt haben soll. ({1}) - Nein, das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe gesagt, es gibt genügend Handwerksbetriebe, die deswegen aufgeben, weil sie nicht bereit sind, ihr Geschäft bei dieser Arbeitsbelastung fortzusetzen, wenn Sie bei Fortsetzung des Geschäfts nicht einmal so viel verdienen, wie sie verdient hätten, wenn sie Wertpapiere kaufen würden, die festverzinslich sind und kein Risiko darstellen; so habe ich gesagt. ({2}) - Ich glaube, Sie verstehen wirklich nicht, was ich damit sagen wollte. Es hat keinen Sinn, daß wir die Diskussion fortsetzen. Ich muß auf die Uhr schauen, weil es drei Minuten vor eins ist. ({3}) Es muß doch einen Grund haben, daß der Anteil der Erweiterungsinvestitionen beim Handwerk von 23 auf 19 % zurückgegangen ist, der Anteil der Rationalisierungsinvestitionen von 29 auf 17 %, auf der anderen Seite aber die Ersatzbeschaffungen von 48 auf 64 % gestiegen sind; denn Ersatzbeschaffungen sind ja unvermeidlich. Aber was viel bedrohlicher ist: Fremdfinanzierte Investitionen sind von 28 auf 37,8 % gestiegen, d. h., es wird mehr Kredit aufgenommen, als für Erweiterung und Rationalisierung verwendet wird. Damit sinkt der Eigenkapitalanteil, und der Handwerksbetrieb wird damit einfach zu sehr risikoanfällig. Das ist der Hauptgrund für die Vernichtung so vieler selbständiger Existenzen. Wir können nicht auf der einen Seite für die Soziale Marktwirtschaft kämpfen und auf der anderen Seite zulassen, daß durch das permanente Ausscheiden selbständiger Existenzen der Wettbewerb überhaupt nicht mehr funktioniert. Dann funktioniert auch die Soziale Marktwirtschaft nicht mehr. ({4}) - Ich sorge gern für Ihre Erheiterung. ({5}) Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zum Ausbildungsplatzangebot machen. Der Jahreswirtschaftsbericht anerkennt die hohe Flexibilität der Wirtschaft. Tatsächlich sind ja in den letzten drei Jahre 150 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen worden. Allein im Handwerk gibt es jetzt 570 000 Ausbildungsplätze. Allerdings ist kein Wort darüber zu lesen, wie das mit der Ausbildungsabgabe weitergehen soll.. Nach wie vor will man diesen Knüppel behalten. Das wird draußen gerade von den Handwerksbetrieben als unerträglich empfunden, nachdem mittlerweile bekannt ist, daß mit Sicherheit durch die Ausbildungsabgabe keine zusätzlichen Ausbildungsplätze geschaffen werden, wohl aber durch die Bereitschaft der vielen Handwerksbetriebe, hier einen Beitrag zu leisten. ({6}) Was mich wirklich hat erschrecken lassen, ist ein Satz, den man so kaum bemerkt: Die Ausbildungsordnungen werden entsprechend den wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Anforderungen weiterentwickelt und mit den schulischen Rahmenlehrplänen abgestimmt. Natürlich brauchen wir die Abstimmung zwischen Ausbildungsordnung für die betriebliche Ausbildung und Rahmenlehrplänen für den berufsbegleitenden Unterricht. Aber was soll denn neben der sicherlich richtigen und notwendigen Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technischen Anforderungen die Berücksichtigung der „gesellschaftlichen" Anforderungen bei der Gestaltung der Ausbildungsordnung für die betriebliche Ausbildung? Graf Lambsdorff, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Antwort darauf auch nachreichten. Hier winkt man doch mit Sicherheit wieder einmal mit dem marxistischen Zeigefinger. Ähnlich wirkt natürlich die Arbeitsmarktabgabe nicht gerade motivierend für Existenzneugründungen. Wir begrüßen Ihr Eigenkapitalhilfegesetz. Die Frage ist nur, ob man solche Ansätze nicht wieder kaputtmacht, wenn man auf der anderen Seite, wie man von Herrn Glombig und Herrn Rohde hört, eine Arbeitsmarktabgabe der Selbständigen haben will. Wir sind der Meinung, daß das nicht nur verfassungswidrig wäre, sondern daft das auch alle' anderen Programme auf den Kopf und in Frage stellen würde. ({7}) Aus Zeitgründen kann ich leider auf die 35-Stunden-Woche nicht mehr eingehen. Die Formulierung im Jahreswirtschaftsbericht ist ein ungeheuerlicher Salto. Danach will man das dem größeren Sachverstand der Tarifparteien überlassen; die Regierung enthält sich völlig einer Äußerung dazu, obwohl sie genau weiß, daß es die größte Gefahr für das von uns angestrebte Wachstum wäre, wenn wir gerade jetzt, zum völlig falschen Zeitpunkt, Arbeitszeitverkürzungen in diesem Ausmaß forderten. Natürlich gibt es Probleme, Wachstumsstörungen, demographische Veränderungen usw. Woher kommen denn diese Schwierigkeiten? Sie sind doch nicht durch ein Zuviel an marktwirtschaftlicher Ordnung, sondern durch ein Zuviel an Staat entstanden. Manche Probleme haben sich - ich zitiere jetzt den Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums nur deshalb zugespitzt, weil konsequent marktwirtschaftliche Lösungen verhindert und dadurch Fehlanpassungen und Verzögerungen hervorgerufen wurden. ({8})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen zu den Punkten 2 a und 2 b der Tagesordnung. Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Das Haus tritt um 14 Uhr zur Fragestunde wieder zusammen. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 8/2532 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Kunz ({0}) auf: Treffen Pressemeldungen zu, wonach der Bundeskanzler auf einer SPD-Veranstaltung in Berlin am 29. Januar 1979 gesagt hat, die westlichen Freunde und Verbündeten brauchten eine Bestätigung für die Richtigkeit ihres Engagements in Berlin, ein Sieg der CDU in Berlin würde die westliche Welt irritieren? Zur Beantwortung Herr Staatsminister Wischnewski.

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Herr Kollege Kunz, ich habe auch solche Pressemitteilungen gesehen. Sie waren sehr unterschiedlicher Art. Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen sagen zu können, was der Herr Bundeskanzler in jener Betriebsrätekonferenz am 29. Januar 1979 in Berlin tatsächlich gesagt hat, und zwar ausweislich der Tonbandnachschrift. Der Herr Bundeskanzler sagte wörtlich: Vieles von dem, was die westliche Welt in Sachen Entspannung gegenüber der Sowjetunion und deren Verbündeten betreibt, geschieht im Interesse Berlins, und die westliche Welt würde irritiert werden, wenn sich die Berliner einen Senat oder gar einen Regierenden Bürgermeister wählen würden, von dem sie nicht weiß, ob er nicht in Wirklichkeit eine ganz andere Deutschland- und Berlin- und Außenpolitik zu befolgen gezwungen wäre, da er doch der Partei der Herren Kohl und Strauß - und wie sie alle heißen- angehört. Er hat dann weiter gesagt: Es gibt manchen in der Bonner CDU und in der Münchner CSU - wenn ich mir vorstelle, daß die öffentlich und von Amts wegen für Berlin zu reden hätten, dann würde mir etwas schwummerig werden. Das muß ich ehrlich sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrter Herr Kollege Kunz, ich habe den Worten des Herrn Bundeskanzlers überhaupt nichts hinzuzufügen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da Sie eben bedauerlicherweise der Wahrheit wegen bestätigen mußten, daß der Herr Bundeskanzler die von mir erfragten Äußerungen getan hat, frage ich Sie, ob Sie im Ernst der Meinung sind, daß ausgerechnet die verantwortlichen Staatsmänner der westlichen Welt ihr unbezweifelbares Engagement in Berlin auch nur um eine Handbreite ändern könnten, wenn sich das vollzieht, was in einer Demokratie nichts anderes als der normale und gesunde Wechsel ist. ({0})

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Der Herr Bundeskanzler hat seine Ausführungen in den Gesamtrahmen der Entspannungspolitik gestellt, und er hat auf die besondere Bedeutung dieser Entspannungspolitik für Berlin hingewiesen. ({0}) Diese Entspannungspolitik hat eine ganze Reihe von Faktoren. Da gibt es den Moskauer Vertrag, den Warschauer Vertrag, den Prager Vertrag, den Grundlagenvertrag. All dieses hat zusammen dazu geführt, daß das für Berlin so entscheidende Viermächteabkommen zustande gekommen ist. Herr von Weizsäcker hat sich bei den Abstimmungen über die Verträge wie folgt verhalten. Am 17. Mai 1972 hat der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung über den Moskauer Vertrag abgestimmt. Herr von Weizsäcker hat sich der Stimme enthalten. Am gleichen Tage ist über den Warschauer Vertrag abgestimmt worden. Herr von Weizsäcker hat sich der Stimme enthalten. ({1}) Am 11. Mai 1973 ist über den Grundlagenvertrag mit der DDR abgestimmt worden. Herr von Weizsäcker hat mit Nein gestimmt. Am 11. Mai 1973 hat Herr von Weizsäcker - das kann ich hier erfreulicherweise sagen - für den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die UNO gestimmt. Ein Großteil Ihrer Fraktion hat die Zustimmung nicht gegeben, woraufhin Ihr Fraktionsvorsitzender zurückgetreten ist. Am 10. Juli 1974 hat Herr von Weizsäcker gegen den Vertrag mit der CSSR gestimmt. Am 25. Juli 1975 hat der Deutsche Bundestag über die KSZE-Resolution abgestimmt. Herr von Weizsäcker hat an der Abstimmung, ohne entschuldigt gewesen zu sein, nicht teilgenommen, ({2}) so daß ich nicht sagen kann, welche Haltung er eingenommen hätte. ({3}) Dies war wichtig, und dies wollte der Bundeskanzler auf diese Art und Weise mit Sicherheit zum Ausdruck bringen. Ich sage noch einmal: Alle diese Vertragswerke waren entscheidende Voraussetzung, um das Viermächteabkommen und eine bessere Situation für Berlin zu erreichen. ({4})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich darf Ihnen zunächst, bevor ich meine Frage stelle, ankündigen, daß ich Ihnen in der nächsten Zeit eine Kurzdokumentation zuleiten werde, in der nachzulesen ist, wie oft die Bundesregierung die jeweilige Position von Herrn Weizsäcker befürwortet und auf ihre Weise anerkannt hat, und aus der hervorgeht, daß das jetzt nur deshalb ganz anders ist, weil ein bestimmtes Datum bevorsteht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, bitte, stellen Sie eine Frage.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage, Herr Präsident: Herr Staatsminister, mit welchem Recht können Sie es verantworten, daß die elementaren Grundsätze der Berlin-Politik so in den Dreck gezerrt werden, wie das mit solchen Äußerungen geschehen sollte? ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, ich rüge den Ausdruck „in den Dreck gezerrt". ({0})

Not found (Gast)

Herr Präsident, ich bin über diese Formulierung sehr überrascht. Was ich .hier getan habe, ist nichts anderes, als das wiederzugeben, was in den historischen Dokumenten des Deutschen Bundestages steht. Dies hier zu zitieren muß doch wohl noch möglich sein. ({0}) Und das, was ich zitiert habe, sind entscheidende Grundlagen für die Sicherheit Berlins.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß sich alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien für die Freiheit Berlins gleichermaßen engagieren, wenngleich, was den Entspannungsgehalt angeht, in den Parteien - darüber besteht kein Zweifel - unterschiedliche Auffassungen bestehen, und meinen Sie nicht auch, daß die Äußerungen des Bundeskanzlers insofern einen nahezu verleumderischen Charakter haben? ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine verehrten Kollegen, ich bitte Sie, sich bei der Wortwahl die nötige Zurückhaltung, die dem Ernst der Debatte angemessen ist, aufzuerlegen.

Not found (Gast)

Herr Präsident, ich bestreite überhaupt nicht, daß auch die Opposition an der Freiheit Berlins interessiert ist. Aber der Weg, den die Opposition in dieser Frage gehen wollte, nämlich alles abzulehnen, hätte nicht zu mehr Freiheit und nicht zu mehr Sicherheit für Berlin geführt. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wollen Sie im Analogieschluß zu dem, was Sie soeben ausgeführt haben, behaupten, daß die NATO, da ja die SPD gegen den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO gestimmt hat, seit Ihrem Regierungsantritt erheblich geschwächt worden sei?

Not found (Gast)

Wenn Sie schon historische Überlegungen anstellen, dann darf ich an eine Rede des Fraktionsvorsitzenden der SPD aus dem Jahre 1960 erinnern, in der ganz klar und eindeutig ein Schlußstrich gezogen worden ist. Eine solche Rede aus Ihrer Fraktion zur heutigen politischen Situation fehlt bis jetzt. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist die Aufregung, die die Opposition um diese Frage hier demonstriert, nicht - um es parlamentarisch auszudrücken - unglaubwürdig, wenn man sich vergegenwärtigt, daß dieselbe Opposition immer wieder, wenn es um Lebensfragen deutscher Politik geht, behauptet, daß die Bundesregierung oder die Koalition bei westlichen Verbündeten nicht nur Irritationen hervorrufe - wie die Bezeichnung hier lautet -, sondern daß sie viel schlimmere Wirkungen erziele?

Not found (Gast)

Ich teile Ihre Auffassung.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie bitte diesem Hause Ihre Formulierung in dem Satz interpretieren, mit dem Sie auf die Rede des Kollegen Wehner vom 30. Juni 1960 anspielten: diese Rede sei ein „Schlußstrich" gewesen? War dies eine totale Korrektur Ihrer früheren Haltungen?

Not found (Gast)

Es war die Klarstellung für die Sozialdemakratische Partei und für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, die bestimmte Konsequenzen gezogen hat. Was ich bei Ihnen vermisse, ist das Ziehen von irgendwelchen Konsequenzen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, halten Sie diese Äußerungen des Bundeskanzlers für eine sachgerechte Wahrnehung der nationalen Interessen, wenn er aus Angst, daß er die Wahlen in Berlin verlieren könnte, versucht, die Bevölkerung Berlins mit solchen Bemerkungen einzuschüchtern? .

Not found (Gast)

Erstens. Der Bundeskanzler hat keine Angst. Zweitens. Der Bundeskanzler hat nicht die Absicht, irgend jemanden einzuschüchtern. ({0}) Aber drittens hat der Bundeskanzler doch die Verpflichtung, den Berlinern die Wahrheit zu sagen! ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, würden Sie bitte so freundlich sein, dem Fragesteller, dem Kollegen Marx, gegenüber zu erklären, daß diese Rede ' vom 30. Juni 1960 - abgesehen von dem, was innenpolitisch mahnend und drängend in bezug auf die außenpolitische Lage enthalten war - die Rede war, durch die die sozialdemokratische Bundestagsfraktion das deutlich gemacht hat, was in der Sprache der Diplomaten oder Völkerrechtler der Satz „Pacta sunt servanda" bedeutet? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Wehner, ich kann diese Ihre Auffassung nur in vollem Umfang teilen und unterstreichen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, zur Wahrheit: Haben Sie nicht selbst wiederholt von der realistischen Entspannungspolitik gesprochen und diese detailliert begründet, aber nicht nur mit den von Ihnen aufgezählten Verträgen und Abstimmungen, sondern auch mit allem, was zur Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und zum Wahrungs- und Wiedervereinigungsgebot für ganz Deutschland gehört? Haben Sie das nicht selbst immer so aufgeführt, beispielsweise in Wien?

Not found (Gast)

Ich sehe keinen Widerspruch, und ich erkenne auch die Frage nicht deutlich. Aber die Argumente, die ich hier aufgezählt habe, waren Meilensteine, um das Viermächteabkommen für Berlin erreichbar zu machen. Jeder Berliner weiß, daß dieses Viermächteabkommen den Berlinern viele Fortschritte gebracht hat.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.

Franz Amrehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist der Bundesregierung, Herr Staatsminister, noch nicht bekannt, daß die CDU/ CSU-Fraktion nach den Verträgen alsbald und endgültig erklärt hat, daß auch für sie der Satz ,,Pacta sunt servanda" gelte, und daß es dazu einer WehnerRede vom 30. Juni 1960 überhaupt gar nicht erst bedarf? ({0})

Not found (Gast)

Ich habe von Ihren Kollegen solche Formulierungen gehört, aber ich kann natürlich überhaupt gar nicht sagen, für welche Teile der Fraktion das zutrifft und für welche nicht. ({0}) Nach der Rede, die Herr Professor Abelein für die Fraktion über die Vereinbarungen gehalten hat, die die Bundesregierung mit der DDR getroffen hat, um die Verkehrsverbesserung nach Berlin zu erreichen, kann ich mir nicht vorstellen, daß das, was Sie hier gerade angeführt haben, die allgemeine Auffassung der CDU/CSU ist. Wie unterschiedlich das bei Ihnen ist, möchte ich an noch einem Beispiel anführen. Im Frühjahr 1976 haben wir im Rahmen der Entspannungspolitik eine andere wichtige Entscheidung zu treffen gehabt, nämlich die über vertragliche Regelungen in bestimmten Fragen mit Polen. Damals hatten Sie eine Mannschaft aufgestellt. Zu diesen Verträgen hat sich Ihre Mannschaft - deswegen weiß ich eben nicht, was die offizielle Politik ist - wie folgt verhalten: Herr Dr. Kohl hat im Bundesrat dafür gestimmt; Herr Dr. Strauß nahm an der Abstimmung im Bundestag nicht teil, war aber klar und eindeutig gegen diese vertraglichen Regelungen; Herr Stoltenberg hat im Bundesrat dafür gestimmt; Herr Professor Carstens hat im Bundestag dagegen gestimmt; ({1}) Herr Dr. Barzel hat im Bundestag dafür gestimmt; Herr Dregger nahm an der Abstimmung des Bundestages nicht teil, war aber eindeutig gegen die Verträge; Herr Katzer hat im Bundestag für die Verträge gestimmt; Herr Stücklen hat im Bundestag dagegen gestimmt; Herr von Weizsäcker hat im Bundestag dafür gestimmt; Herr Wörner hat im Bundestag dagegen gestimmt; Herr Maier hat im Bundesrat dafür gestimmt; Frau Wex hat im Bundestag dagegen gestimmt. Das sind die Realitäten, und darauf begründe ich meine Meinung. ({2})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie dann bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich die CDU/CSU als Fraktion und auch beide Parteien stets für den Grundsatz „pacta sunt servanda" ausgesprochen haben und daß das selbstverständlich für die Fraktion gilt, und zwar im allein möglichen und gesetzlich denkbaren Sinne, nämlich auf der Grundlage der Bestimmungen unseres Grundgesetzes, der Weitergeltung des Deutschlandvertrages, im Sinne der gemeinsamen Entschließung dieses Hohen Hauses vom 17. Mai 1972 und der Bestimmungen des Grundvertragsurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973? ({0})

Not found (Gast)

In dem erfreulicherweise steht, daß es der Bundesregierung selbstverständlich nicht verboten ist, auf diesem Gebiet Politik zu treiben; damit keine Mißverständnisse entstehen! ({0}) Ich würde mich freuen, wenn ich sicher sein könnte, daß Sie in dieser Frage für alle Ihre Fraktionskollegen zu sprechen in der Lage sind. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, unabhängig von dem Stimmverhalten zu den einzelnen Verträgen, das Sie vorher angeführt haben: Können Sie ein einziges Mitglied in der CDU/ CSU-Fraktion nennen, das Anlaß zu der Annahme gegeben hat bzw. gibt, daß es nicht zu dem Grundsatz „pacta sunt servanda" steht? ({0}) Können Sie mir einen Namen nennen?

Not found (Gast)

Ich weiß nicht, wie ich über die Frage denken soll. Das gilt sicher nur für ganz wenige. Aber wenn ein Kollege nach dem Abschluß eines so wichtigen Vertragswerks - neue Autobahn für Berlin, Benutzung des Teltowkanals, Ausbau der Wasserstraßen, Regelung der Transitwege bis zum 31. Dezember 1989 - sagt, man sollte das Geld lieber den Chinesen als der DDR geben, dann bitte ich um Verständnis dafür, daß sich auch bei mir Zweifel einstellen müssen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie heftig widersprechen Sie mir, wenn ich Ihnen meinen persönlichen Eindruck mitteile, nach dem es Ihnen bei Ihren Antworten sichtlich unangenehm ist, daß die CDU/CSU den Satz „pacta sunt servanda" in der Öffentlichkeit glaubwürdig und auch energisch genug vertritt? ({0})

Not found (Gast)

Das ist mir gar nicht unangenehm. Ich nehme das zur Kenntnis und hoffe, daß das wirklich für alle Mitglieder Ihrer Fraktion zutrifft.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf: Hält es - bejahendenfalls -der Bundeskanzler gegenüber den Schutzmächten für verantwortbar, sie, die sich in den Berliner Wahlkampf nicht einschalten können und wollen, auf diese Weise mit ihrem unzweifelbaren Engagement für die Stadt ins Gerede zu bringen? Zur Beantwortung Herr Staatsminister Wischnewski.

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Marx, der Herr Bundeskanzler hat in keiner Weise die Schutzmächte in das Gerede gebracht. Deren Engagement für Berlin ({0}) ist in der Tat unbezweifelbar. Das weiß die Bundesregierung, das weiß selbstverständlich der Bundeskanzler am besten, und wir sagen es auch immer wieder öffentlich. Sie können davon ausgehen, daß die vertrauensvolle und Berlin Nutzen bringende Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Drei Mächten, zwischen dem Senat von Berlin und den Schutzmächten auch weiterhin erhalten bleibt. Der Bundeskanzler hat sich kürzlich in Berlin zu dieser Frage geäußert. Ich darf ihn wörtlich zitieren: Die Verkehrsverhandlungen - nämlich die mit der DDR haben die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Drei Schutzmächten erneut sehr deutlich gemacht. Ich möchte den Drei Mächten für ihr unvermindertes Engagement und ihre Anstrengungen zum Schutze Berlins Dank sagen. Berlin und wir alle profitieren von dem politischen Verantwortungsbewußtsein der Drei Mächte, von ihrem Augenmaß, von ihrer Festigkeit. Dieser Aussage des Bundeskanzlers ist nichts hinzuzufügen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie es nicht begreifen, daß das erste Zitat, das Sie auf die Frage des Kollegen Kunz vorgetragen haben, in der Tat unseren Vorwurf rechtfertigt, daß der Bundeskanzler ohne Not die Drei Alliierten in den Berliner Wahlkampf hineingezogen und sie dadurch ins Gerede gebracht hat? ({0})

Not found (Gast)

Der Herr Bundeskanzler, hat - wenn Sie es wünschen, lese ich das Zitat gerne noch einmal vor ({0}) nicht nur von den Dreien gesprochen, sondern er hat von der westlichen Welt gesprochen. Ich muß ganz ehrlich sagen: Aus eigener Kenntnis weiß ich, daß es dann dort solche Irritationen geben würde. Dies ist so.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wären Sie bereit, diese Ihre eigene, offenbar minimale Kenntnis in den nächsten Wochen durch eine bessere Kenntnis in der ganzen westlichen Welt zu korrigieren und dort nicht nur nach parteipolitischer Attitüde zu fragen, sondern den Versuch zu machen, diesem Hause in dieser Frage eine objektive und nicht eine gefärbte Antwort zu geben? ({0})

Not found (Gast)

Sie können bitte davon ausgehen, daß ich in vielen Jahren hier im Hause und in der Bundesregierung und jeden Tag aufs neue die Möglichkeit gehabt habe und habe, die politische Haltung in der westlichen Welt kennenzulernen. ({0}) Es besteht keinerlei Anlaß, irgend etwas an meiner Auffassung zu revidieren.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.

Franz Amrehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie das, was Sie eben über Ihre Kenntnis gesagt haben, durch Nennung von Regierungen oder Namen vor diesem Hause und vor dieser Fraktion klar konkretisieren? ({0})

Not found (Gast)

Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Politikern nennen, ({0}) die Sorgen haben. Ich sehe keinen Anlaß, das hier im Plenum des Deutschen Bundestages zu tun. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß Sie Ihre Antworten zu diesem Punkt völlig unglaubwürdig machen, wenn Sie behaupten, Sie wüßten solche Staatsmänner, sich aber weigern, Roß und Reiter zu nennen? ({0})

Not found (Gast)

Ich sage noch einmal zu den Irritationen in der westlichen Welt, von denen der Bundeskanzler gesprochen hat: Es gibt eine ganze Reihe von Politikern, die Sorge haben, wenn auf diesem für den Frieden in Europa so wichtigen Gebiet auf einmal eine völlig andere Politik gemacht würde. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sehen Sie sich jetzt veranlaßt, diesem Hause gegenüber zuzugeben, daß Sie auf zwei Fragen, wo Sie um Namen gebeten worden sind, nämlich die Frage des Kollegen Graf Stauffenberg und soeben die Frage, die vom Kollegen Amrehn gestellt worden ist, nicht in der Lage waren, hier Namen zu nennen? ({0})

Not found (Gast)

Ich stelle hier noch einmal ausdrücklich fest, daß ich aus politischen Erwägungen, im Interesse der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, nicht bereit bin, hier solche Namen zu nennen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, könnte es möglich sein, daß Sie die Namen verantwortlicher westlicher Regierungschefs, die sich irritiert fühlen könnten, deshalb nicht nennen können, weil Sie noch überlegen, ob Sie vielleicht Herrn Breschnew oder Herrn Bahr unter diesen Begriff subsumiert haben? ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich lasse diese Frage nicht zu; sie steht in keinem Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage. ({0}) Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, von welchen Maßstäben verantwortlicher Außenpolitik läßt sich der Herr Bundeskanzler und lassen Sie sich leiten, wenn Sie, nachdem die Alliierten bereits ins Gerede gebracht werden sollten, dies durch Ihre Äußerungen hier fortzusetzen versuchen?

Not found (Gast)

Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß ich hier die Alliierten. nicht mit dem allerkleinsten Wort ins Gerede gebracht habe und daß auch der Bundeskanzler das nicht getan hat. ({0}) - Wenn Sie Wert darauf legen, lese ich Ihnen das Zitat des Herrn Bundeskanzlers noch einmal vor, ({1}) damit Sie es zur Kenntnis nehmen können.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf: Was hat - bejahendenfalls - den Bundeskanzler veranlaßt, sich durch seine Äußerungen über die Bemühungen von Bundespräsident Scheel, die auf eine gemeinsame Berlin-Politik der demokratischen Parteien abzielen, hinwegzusetzen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Graf Huyn, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Ich erkenne in den von mir zitierten Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers keine einzige Stelle, auf die der Inhalt Ihrer Frage zutreffen könnte. Ich darf vielmehr auch bei dieser Gelegenheit an das ständige Engagement des Herrn Bundeskanzlers für Berlin erinnern. Dies wissen Sie ja selbstverständlich auch; was aber von entscheidender Bedeutung ist: die Berliner wissen es. Was nun den verehrten Herrn Bundespräsidenten, Walter Scheel, angeht, so hat allerdings der Bundeskanzler in eben dieser Berliner Rede zum Ausdruck gebracht, daß der Bundespräsident Walter Scheel auch in den kommenden Jahren seine erfolgreiche Tätigkeit fortsetzen sollte. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sehen Sie nicht, daß sich der Herr Bundeskanzler durch seine Äußerungen selber außerhalb der gebotenen Gemeinsamkeit aller politischen Kräfte dieses Landes in Berlin stellt?

Not found (Gast)

Der Bundeskanzler stellt sich nicht außerhalb, ganz im Gegenteil! Sie wissen sehr genau, daß der Bundeskanzler die Aktivitäten, die es beim Herrn Bundespräsidenten gegeben hat, unterstützt, daß die Bundesregierung dabei ist, dies umzusetzen. Es besteht nicht der geringste Anlaß, etwas Derartiges anzunehmen. Historische Entwicklungen allerdings werden dadurch nicht geändert.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht bereit, zuzugeben, daß der Herr Bundeskanzler hier wissentlich und willentlich Keile in die Gemeinsamkeit der verantwortlichen politischen Kräfte in Berlin und in Deutschland getrieben hat?

Not found (Gast)

Nein. Ich muß das ausdrücklich zurückweisen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Amrehn auf: Ist auch die Bundesregierung noch der Auffassung, daß wegen der besonderen Verantwortung aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, für Berlin jedenfalls, ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit im Interesse der Stadt unverzichtbar ist und auch im Wahlkampf nicht zerstört werden darf, und wie bewertet sie in diesem Zusammenhang die jüngsten Äußerungen des Bundeskanzlers? Zur Beantwortung der Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Amrehn, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben, zuletzt in der Berlin-Kommission beim Herrn Bundespräsidenten, unter Beweis gestellt, zu welchen gemeinsamen Anstrengungen für Berlin sie fähig sind. Ihnen ist bekannt, daß die Bundesregierung dabei ist, die Vorschläge dieser Kommission in die Tat umzusetzen. Es kann jedoch keine Rede davon sein, daß der Bundeskanzler mit der von mir im Wortlaut zitierten Äußerung, die ich, wenn Sie es wollen, noch einmal wiederholen würde, irgendein Mindestmaß an Gemeinsamkeit zerstört hätte. Die von der Bundesregierung gemeinsam mit den alliierten Schutzmächten betriebene Berlin-Politik hat sich als erfolgreich erwiesen; wir werden sie fortsetzen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.

Franz Amrehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Fehlt der Bundesregierung, Herr Staatsminister, das Gefühl dafür, daß sie nicht einerseits auch die Oppositionspartei zu gemeinsamen Aktionen für Berlin einladen kann und daß dann auf der anderen Seite in der Öffentlichkeit die Mitwirkung und die Verläßlichkeit dieser Partei in der Berlin-Politik für die gesamte westliche Welt in Zweifel gezogen wird? ({0})

Not found (Gast)

Der Herr Bundeskanzler - ich habe das hier vorhin zitiert, und ich sage es noch einmal - hat in seiner Rede darauf hingewiesen, daß dann, wenn der Eindruck entsteht, daß hier eine andere Deutschlandpolitik, eine andere Berlin-Politik, eine andere Außenpolitik angestrebt wird, in der Tat Irritationen eintreten können, und dies muß ich bestätigen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.

Franz Amrehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halten Sie es nicht für eine Pflicht des Bundeskanzlers, der in den BerlinFragen doch über den Parteien stehen sollte, ({0}) solche Irritationen überhaupt zu vermeiden und sie draußen zu bekämpfen, weil sie falsch sind ({1}) und weil er hier die Aufgabe hätte, zu integrieren, statt auseinanderzudividieren? ({2})

Not found (Gast)

Der Bundeskanzler wird mit Sicherheit immer bereit sein, seinen Beitrag zu leisten, um in diesen Fragen ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit zu erreichen. Dies kann ihn aber doch nicht davon abhalten, die historische Entwicklung in aller Deutlichkeit aufzuzeigen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie kann überhaupt von einer Gemeinsamkeit, wie Sie sie soeben herausgestellt haben, die Rede sein, wenn man denjenigen, mit dem gemeinsam man Verantwortung übernehmen will, draußen in der Welt als für die Entspannung gefährlich zu diffamieren versucht, wie es das Zitat des Bundeskanzlers erweist? ({0})

Not found (Gast)

Ich muß diese Formulierung scharf zurückweisen. Etwas Derartiges steht in diesem Zitat nicht drin. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie energisch würden Sie mir widersprechen, wenn ich nach Ihren bisherigen Äußerungen davon ausgehe, daß die Erklärung des Bundeskanzlers wegen der sehr. hohen Wahrscheinlichkeit eines CDU-Wahlerfolges in Berlin als Greifen zum letzten Mittel zu verstehen ist? ({0})

Not found (Gast)

Da wundere ich mich eigentlich, daß gerade über die Berliner Verhältnisse so schlecht informiert sind. Dann, wenn Sie die Möglichkeit haben, sich am Berliner Wahlkampf zu beteiligen - ich habe diese Möglichkeit erfreulicherweise schon mehrmals gehabt-, müßte man eigentlich, so kann ich nur sagen, auf dem Mond wohnen, um solche Vorstellungen zu haben. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka:

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben in mehreren Antworten den Begriff „historische Entwicklung" eingebracht. Was verstehen Sie im Blick auf Berlin und die bevorstehende Wahl unter dem Begriff „historische Entwicklung"?

Not found (Gast)

Ich bin ausgegangen von der Formulierung des Herrn Bundeskanzlers, der gesagt hat, daß die westlichen Alliierten diese Entspannungspolitik auch und ganz wesentlich im Interesse Berlins gemacht haben, und dann habe ich genau aufgezählt, was aus der Entwicklung der letzten Jahre alles dazugehört. Dies meine ich damit: all die Dinge, gegen die Sie gestimmt haben und die Sie bekämpft haben. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da hier so viel von der Pflicht des Bundeskanzlers zur Gemeinsamkeit in Berliner Wahlkämpfen die Rede ist: Wie ist denn in diesem Zusammenhang wohl das Verhalten des seinerzeitigen Bundeskanzlers Adenauer im Wahlkampf 1961, kurz nach dem Berliner Mauerbau, gegenüber dem damaligen Regierenden Bürgermeister Brandt zu beurteilen? ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich kann die Frage nicht zulassen; sie steht in keinem Zusammenhang mit der gestellten Frage. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß durch derart geteilte, zumindest geteilt zu verstehende Auslassungen des Herrn Bundeskanzlers das Gesamtgewicht deutscher Außenpolitik im Verhältnis zu unseren westlichen Verbündeten zu leiden beginnt?

Not found (Gast)

Nein. ({0}) Dies kann ich überhaupt nicht akzeptieren, und zwar aus folgendem Grund: ({1})) Wenn wir in allen Fragen Gemeinsamkeit erreichen könnten, wäre es ja gut. Diese Chance sehe ich nicht in allen außenpolitischen Fragen. Wir sollten Differenzen, die bestehen, auch hier nicht vom Tisch fegen. Es gibt doch unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Fragen. Und daß 'es sie in für die Sicherheit und den Frieden Europas ganz entscheidenden Fragen in den vergangenen Jahren gegeben hat, zeigen die namentlichen Abstimmungen in der Vergangenheit. Daran darf nicht gerüttelt werden. ({2})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, indem ich auf die von Ihnen soeben dem Haus in Aussicht gestellten Kenntnisse und Erkenntnisse über die Wahlsituation in Berlin zurückkomme, frage ich: Kann es sein, daß diese Ihre Kenntnisse und Erkenntnisse schlagartig zurückgegangen sind, als die SPD-Fraktion in Berlin Sie nicht als Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters nominiert hat? ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich lasse die Frage nicht zu. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der Ausgangsfrage. ({0}) Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß entgegen Ihren Aussagen die Irration im Westen sich nicht gegen die jetzige Opposition im Deutschen Bundestag, sondern gegen die Politik der Bundesregierung richtet, wie die amerikanischen Äußerungen über die Selbstfinnlandisierung der Bundesrepublik. Deutschland zeigen?

Not found (Gast)

Also solchen Vorstellungen könnte ich nur zustimmen, wenn ich mir die Hose mit der Kneifzange zumachen würde. ({0}) Sie wissen doch - und dies- ist doch unbestritten -, daß die Bundesregierung ihre Politik in all den Jahren in voller Übereinstimmung mit den Drei Mächten gemacht hat. Nur sie, die Sie anders gestimmt haben, waren nicht in Übereinstimmung. Wir immer! Dies stimmt also nicht. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Staatsminister, nach deutschem Parlamentsbrauch kritisiert der Präsident die Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung nicht. Ich möchte Sie. aber doch darauf hinweisen, daß Ihre letzte Bemerkung an der Grenze des parlamentarisch Üblichen liegt. ({0}) Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie Ihre Interpretation der wirklichen Vergangenheit so weit treiben, daß Sie behaupten, unsere Nichtzustimmung zu einer bestimmten Anzahl internationaler Verträge kennzeichne nicht' auch unsere eindeutige, klar und unbezweifelbare Bereitschaft, für unser eigenes Land Freiheit, Sicherheit und Frieden zu erhalten?, ({0})

Not found (Gast)

Ich teile Ihre Auffassung, daß die Opposition für Freiheit, Frieden und Sicherheit eintritt. Die Wege, um dieses Ziel zu erreichen, ({0}) sind in der Vergangenheit in diesem Haus weit auseinandergegangen. Und dies hat der Bundeskanzler in seinen Ausführungen zum Ausdruck gebracht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Die Frage 123 bittet der Fragesteller, der Abgeordnete Hoffmann ({0}), schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und 'des Bundeskanzleramts abgeschlossen. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen. ({1}) Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatsminister br. Hamm-Brücher zur Verfügung. Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Jäger ({2}) auf: Hat Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. von Dohnanyi - wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung vorn 23. Januar 1979 meldet - erklärt, die Bundesregierung sei nicht für die Aufnahme einer operativen Klausel über die Beachtung der Menschenrechte in das Lomé-II-Abkommen, und wie ist gegebenenfalls eine solche Haltung der Bundesregierung mit den Bekenntnissen zu den Menschenrechten vereinbar, die von verschiedenen Regierungsmitgliedern immer wieder abgelegt worden sind?

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Herr Kollege, wie Sie dem Bulletin Nr. 9 vom 25. Januar 1979 auf Seite 76 entnehmen können, hat Staatsminister von Dohnanyi in seiner Rede vor der 2. Internationalen Konferenz über Perspektiven afrikanisch-deutscher Beziehungen am 8. Januar 1979 in Arusha gesagt, daß die Bundesregierung davon ausgeht - und jetzt zitiere ich wörtlich -, daß der europäisch-afrikanischen Zusammenarbeit im Rahmen des Lomé-Abkommens selbstverständlich das gemeinsame Ziel zugrunde liegt, den Menschen unserer Länder ein menschenwürdiges Dasein zu geben und hierfür bessere Voraussetzungen zu schaffen. Die Regierung ist sich darüber mit ihren AKP-Partnern einig. Eine ausdrückliche Aufnahme einer operativen Menschenrechtsklausel müßte angesichts dieser Übereinstimmung von unseren Partnern als diskriminierend verstanden werden, zumal die Europäische Gemeinschaft eine Vielzahl ähnlicher Kooperationsabkommen abgeschlossen hat, ohne eine solche Klausel aufzunehmen. Sie würde also der Erreichung unseres gemeinsamen Ziels eher hinderlich sein. Wohl aber ist denkbar, Herr Kollege, daß beide Seiten als Mitglieder der Vereinten Nationen sich im Abkommen- zu den in der VN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthaltenen Grundsätze über die Achtung der Menschenrechte ausdrücklich bekennen. Die Bundesregierung strebt eine solche Lösung an. Diese Haltung deckt sich mit dem Engagement der Bundesregierung für die weltweite Beachtung der Menschenrechte.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, nachdem Ihr Kollege Herr Dr. von Dohnanyi geschmackvollerweise in einer Leserzuschrift, die gestern in der „Frankfurter Allgemeinen" gestanden hat, die Beantwortung meiner Frage vor Ihrer Äußerung im Parlament vorweggenommen hat, diese Beantwortung aber nicht mit dem übereinstimmt, was Sie hier gesagt haben, möchte ich Sie fragen, wie es sich vereinbaren läßt, daß Sie hier sagen, angesichts der Übereinstimmung in der Haltung zu den Menschenrechten müßte es als eine Diskriminierung angesehen werden, eine operative Menschenrechtsklausel aufzunehmen, während Ihr Kollege von Dohnanyi sagt, wir müßten uns, weil dort so viele Menschenrechte verletzt werden, in den Gremien nur noch mit Menschenrechtsverletzungen befassen?

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Herr Kollege, ich möchte gern noch einmal die Ansicht der Bundesregierung präzisieren. Eine operative Klausel könnte nicht nur als diskriminierend empfunden werden, sondern sie wäre auch nicht praktikabel. Wenn in die Präambel des Lomé-II-Abkommens eine solche Verpflichtung auf die Menschenrechte aufgenommen würde, dann wäre das ausreichend, um bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen die jeweiligen Konsequenzen zu ziehen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, wie kann es die Regierung eines Staates als diskriminierend für irgendeinen Staat dieser Welt empfinden, eine operative Menschenrechtsklausel in irgendwelche Verträge aufzunehmen, wenn dieser Staat, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, sich selber in zwei Pakten und verschiedenen anderen Konventionen völkerrechtlich bindend zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hat? Frau Dr. Hamm-Brücher,. Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, jeder in diesem Hohen Hause weiß, daß es - leider - heute noch sehr zahlreiche Staaten in der Welt gibt, in denen Menschenrechtsverletzungen vorkommen, die wir beklagen. Bei einer operativen Klausel müßten wir diese automatisch entweder sanktionieren oder sie als nicht gravierend genug einstufen, um keine entsprechende Konsequenz ziehen zu müssen. ({0}) Die Gemeinschaft würde sich schließlich nur noch mit Menschenrechtsverletzungen befassen und ständig über Konsequenzen beraten müssen. Herr Kollege, Wirtschaftsabkommen werden nicht mit solchen Klauseln versehen. Das Ziel der Bundesregierung ist ja gerade, die Bedingungen der Menschen zu verbessern und damit Menschenrechtsverletzungen abzubauen und unmöglich zu machen. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine. Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß Großbritannien eine solche operative Klausel unterstützt und verlangt hat? Und ist Ihnen bekannt, daß die Bundesrepublik Deutschland im UN-Menschenrechtspakt über politische Rechte die Rechtsverpflichtung übernommen hat - es heißt so ausdrücklich -, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten, auch gegenüber Dritten, also auch operativ?

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Herr Kollege Czaja, ich glaube, es kommt entscheidend darauf an, die Grundsätze im Lomé-II-Abkommen zu verankern, und zwar sie so zu verankern, daß das Lomé-II-Abkommen nachher praktisch auch operationalisiert werden kann. Wenn bei unseren EG-Partnern über den Ort und die Art der Verankerung unter Umständen unterschiedliche Vorstellungen bestehen sollten, wird es sicher gelingen, diese im Verlaufe der weiteren Beratungen auszuräumen. Im Grundsatz sind sich nach meinen Informationen alle EG-Partner darüber einig, daß eine solche grundsätzliche Verpflichtung aufgenommen werden soll.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler ({0}).

Dr. Volkmar Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001154, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, da Sie, wie ich Ihrer Antwort entnehme, eine wenig oder nicht verpflichtende Verankerung der Menschenrechte in einer Präambel ins Auge fassen, frage ich, ob das nach Ihrer Auffassung nicht zu einer wesentlichen Diskrepanz in der Betonung der Menschenrechte einerseits in der amerikanischen Entwicklungshilfepolitik und andererseits der europäischen Entwicklungshilfepolitik führen würde.

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Herr Kollege Köhler, soweit mir das bekannt ist, sind die Bestimmungen in den entsprechenden amerikanischen Gesetzen auch so gehalten, daß es durchaus möglich ist, bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen keine Entwicklungshilfe zu gewähren, im übrigen aber natürlich den Verpflichtungen der Industriestaaten für die Entwicklungsländer nachzukommen. Darauf kommt es an.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, ist es angesichts der von Ihnen, bereits erwähnten Menschenrechtsverletzungen in über hundert Staaten der Vereinten Nationen nicht richtig, daß hier über eine Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen im sogenannten Kernbereich diskutiert werden könnte und daß die Schwierigkeit darin liegt, zu kodifizieren und zu praktizieren, wo die Abgrenzung zwischen dem Kernbereich und zwischen einer allgemeineren Verletzung der Menschenrechte ist, und daß deshalb eine größere Flexibilität in der Kodifizierung angebracht ist?

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Es geht genau darum, ein solches Abkommen mit dem Ziel praktizieren zu können, Menschenrechtsverletzungen in der Welt, wie sie leider so zahlreich sind, abzubauen und eines Tages zu erreichen, was unser aller Ziel ist, daß die Menschenrechte in aller Welt beachtet werden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch auf: Hat die Bundesregierung ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber Malta bisher nicht eingehalten, wie der Ministerpräsident Maltas, Dom Mintoff, in der Etatdebatte des Parlaments von Malta erklärte? Bitte, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege, die Bundesregierung hat ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber Malta eingehalten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, liegt der Bundesregierung nicht der geringste Anhalt dafür vor, daß es zu einer solchen - wie Sie sagen: falschen - Erklärung des Ministerpräsidenten Maltas kommen konnte?

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Nein, uns liegen solche Anhaltspunkte nicht vor, Herr Kollege. Wir haben alle Verpflichtungen, die wir seit 1975 gegenüber Malta übernommen haben, bis auf einen ganz kleinen Restbetrag erfüllt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat die Bundesregierung Gelegenheit genommen, diese nach Ihrer Meinung offensichtlich falsche Darstellung des Ministerpräsidenten Maltas in geeigneter Form zurückzuweisen?

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Selbstverständlich, Herr Kollege. Die Bundesregierung hat auf dem üblichen diplomatischen Weg ihr äußerstes Befremden über diese Äußerungen des Premierministers Dom Mintoff zum Ausdruck gebracht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Graf Stauffenberg.

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, hat die Bundesregierung irgendwelche Anhaltspunkte über die Größenordnung der laut den Behauptungen des Ministerpräsidenten von Malta nicht eingehaltenen finanziellen Verpflichtungen?

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Nein, wir haben das nicht. Ich habe gesagt, daß die eingegangenen Verpflichtungen erfüllt worden sind, und dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Staatsminister, da Sie mitgeteilt haben, die Bundesregierung habe sich auf diplomatischem Wege gegen diese hier in Rede stehenden Äußerungen gewandt und ihr Befremden ausgedrückt, frage ich: Können Sie uns sagen, ob sich die maltesiche Seite, Herr Dom Mintoff, darauf in einer befriedigenden Weise abschließend erklärt hat?

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Nein, Herr Kollege, das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen zu gegebener Zeit eine Information zukommen zu lassen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 126 der Abgeordneten Frau von Bothmer auf: Welchen Stellenwert mißt die Bundesregierung dem Europarat heute innerhalb der europäischen parlamentarischen Organisationen bei? Zur Beantwortung, Frau Staatsminister.

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Frau Kollegin, der Europarat hat als Zusammenschluß von 21 Staaten - das sind fast alle europäischen Staaten, die sich zur parlamentarischen Demokratie, zum Rechtsstaat und zu den Menschenrechten bekennen - seinen festen Platz in den politischen Strukturen Europas. Er wird nach Ansicht der Bundesregierung auch in Zukunft als - ich zitiere jetzt aus der Rede des Bundeskanzlers im April vorigen Jahres vor der Versammlung des Europarats - „unentbehrliche Klammer zwischen den neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den übrigen Demokratien des Kontinents zunehmend wichtige Funktionen zu erfüllen haben." Die Wertvorstellungen und die politischen Ziele, die vor 30 Jahren zur Gründung des Europarates führten, haben demzufolge für uns in Gegenwart und Zukunft unverminderte Geltung. An hervorragender Stelle ist hier der im Rahmen des Europarates entwickelte und weltweit beispielhafte Schutz der Menschenrechte zu nennen. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die Europäische Menschenrechtskommission und der Europäische Gerichtshof sind nach unserer Überzeugung Einrichtungen von sehr konkreter Bedeutung für alle Teilnehmerstaaten. Zudem mißt die Bundesregierung dem Europarat auch als ein europäisches 'Forum für Begegnung, Austausch und Zusammenarbeit der 21 Mitgliedstaaten allergrößte Bedeutung bei. Dabei setzt sie sich auch für den regelmäßigen politischen Meinungsaustausch unter den 21 Mitgliedstaaten über gemeinsam interessierende Fragen der KSZE, der Vereinten Nationen und jetzt auch der UNESCO ein. Hierzu scheinen die Treffen des Ministerkomitees besonders geeignet, bei denen Bundesminister Genscher wiederholt in dieser Richtung Initiativen ergriffen hat. Schließlich hat der Bundeskanzler selber in seiner viel beachteten Rede am 27. April 1978 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates die politische Bedeutung des Rates für das europäische Zusammengehörigkeitsgefühl und die vielen Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Europarat und seinen Gremien vor allem auch in sozialen und kulturellen Bereichen sehr nachdrücklich unterstrichen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.

Lenelotte Bothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000237, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, das erstaunt mich nicht; es befriedigt mich sehr. Aber dann darf ich doch fragen, wieso es dann nur mit Mühe gelungen ist, die Bundesregierung davon zu überzeugen, daß die Informationspolitik des Europarates nicht nur in den zwei Amtssprachen, sondern wenigstens noch in den zwei Arbeitssprachen erscheinen sollte, ogbleich mit dieser immer noch bestehenden empfindlichen Beschränkung gerade alle neueren Mitglieder des Europarates, auf deren Gewinnung das demokratische Europa so stolz ist, von jeglicher breiteren Anteilnahme an der Arbeit des Europarates ausgeschlossen bleiben.

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Frau Kollegin, die Bundesregierung steht, wie Sie sicher zwischenzeitlich wissen, einer Intensivierung der Informationspolitik des Europarates sehr aufgeschlossen gegenüber. Sie hat einen entsprechenden Beschluß des Komitees der Ministerbeauftragten im Dezember 1978 mit getragen. Dieser Beschluß sieht insbesondere vor, daß in künftigen Haushaltsberatungen Informationsfragen besondere Aufmerksamkeit erhalten sollen. ' Ferner sieht der Beschluß die Einsetzung eines sogenannten „Stimulationsausschusses" für zunächst zwei Jahre vor, in dem sich Vertreter der Regierungen, der Abgeordneten und des Sekretariats gemeinsam Gedanken zur Informationspolitik des Europarates machen sollen. Wir begrüßen diese Maßnahme. Der Haushalt für Informationspolitik wurde dementsprechend um knapp eine Million französischer Franc von 1,9 Millionen FF. auf 2,8 Millionen FF für 1979 erhöht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.

Lenelotte Bothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000237, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch das, Frau Staatsminister, erfreut mich. ({0}) Darf ich doch noch. fragen, ob nicht eine Million französischer Franc ein recht geringer Betrag für die Erhöhung des Ansatzes für die Informationspolitik für insgesamt 21 Staaten ist, und darf ich nicht die Bundesregierung noch einmal auffordern, über diese Frage nachzudenken und bei Gelegenheit detailliertere Vorschläge zu machen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung wird selbstverständlich nicht nur gerne weiter darüber nachdenken, sondern sich auch für eine Erhöhung dieses Ansatzes einsetzen. Wie Sie aber wissen, sind wir 21 Partner, und eine Erhöhung muß in etwa auch immer anteilig von den anderen Mitgliedsländern mitgetragen werden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, gedenkt die Bundesregierung den Europarat noch intensiver zu nutzen, um zu einer stärkeren kulturellen Zusammenarbeit in Europa zu kommen, und, wenn ja, welche Wege bieten sich da an?

Not found (Gast)

Herr Kollege, wie ich vorhin schon sagte, messen wir gerade der Zusammenarbeit im kulturellen Bereich eine besondere Bedeutung bei. Wir unterstützen die Maßnahmen, vor allem die des CCC, der hierfür in der Vergangenheit bestimmte und notwendige Initiativen ergriffen hat. Wie schwierig sich eine Verstärkung der kulturellen Zusammenarbeit in der Praxis gestaltet, weiß jeder, der sich darum bemüht. Ich bin aber mit Ihnen einig, daß hier sowohl die Regierungen als auch die Versammlung nicht müde werden sollten, neue Initiativen zu ergreifen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, sehen Sie eine Möglichkeit, den Stellenwert des Europarats in bezug auf die menschenrechtlichen Fragen noch stärker in das Bewußtsein der Bevölkerung einzuführen und die Kenntnis seiner menschenrechtlichen Tätigkeit überhaupt auch in der Breite der Bevölkerung zu vertiefen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe bereits in meiner ersten Antwort betont, daß die große, die weltweite Bedeutung des Europarates gerade in dem großen Fortschritt liegt, daß es für den Bürger nun in der Frage der Menschenrechte konkrete Beschwerdemöglichkeiten gibt. Von dieser Möglichkeit wird, wie wir an den steigenden Zahlen erkennen können, zunehmend Gebrauch gemacht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Welchen Fortschritt hat die Bundesregierung in ihren Verhandlungen mit der Volksrepublik Polen erzielt, nachdem sie festgestellt hat, daß ,,die polnische Seite gegen eine im Jahr 1970 getroffene deutsch-polnische Absprache verstößt", indem die polnische Botschaft in Köln "die Visierung der Reisepässe verweigert", wenn der Geburtsort für Deutsche, die nach dem 8. Mai 1945 in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße geboren sind, „mit der polnischen Ortsbezeichnung nebst einem Klammerzusatz mit dem deutschen Ortsnamen eingetragen ist"? Zur Beantwortung, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege, die Bundesregierung steht mit der polnischen Regierung im Gespräch über Fragen der Ortsbezeichnungen in Personalpapieren, die zur Vorlage bei Behörden des anderen Landes bestimmt sind. Diese Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Die polnische Seite hat inzwischen bestätigt, daß sie bis zum Abschluß dieser Gespräche weiterhin von der 'Gültigkeit der Paßabsprache von 1970 ausgehen wird. Der Bundesregierung sind in letzter Zeit keine Fälle der von Ihnen angesprochenen Art bekanntgeworden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist es nicht etwas Ungewöhnliches, daß die polnische Seite eine Absprache, die 1970 getroffen worden ist, überhaupt nicht einhält und daß Jahre vergangen sind, ohne daß ein Erfolg in den weiteren Gesprächen erzielt worden ist; denn ein Brief vom Dezember 1978 - das ist noch gar nicht so lange her - signalisiert, daß entgegen dieser Absprache Pässe ausgestellt werden, in denen der Geburtsort dann, wenn das Geburtsdatum nach 1945 liegt, nur polnisch bezeichnet wird?

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Herr Kollege, die polnische Seite hat versichert, daß sie sich an diese Absprache von 1970 halten werde. Wenn Sie konkrete Fälle nennen können, in denen dies nicht der Fall gewesen sein sollte, dann bitte ich Sie, sie uns wissen zu lassen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, vielleicht können Sie sich durch ein Telefongespräch mit dem Bundesinnenministerium davon in Kenntnis setzen, daß bis in die jüngste Zeit wiederholt derartige Fälle vorgekommen sind, wobei das Bundesinnenministerium sogar von einem „Verstoß" gegen die Paßabsprache spricht, weil an diejenigen, deren Pässe die Polen so nicht anerkennen wollen, andere Pässe ausgegeben werden müssen.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich werde das prüfen lassen, und wir werden solche Fälle, wenn dem so ist, in die Gespräche mit der polnischen Seite einführen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf: Wieviel Namen von argentinischen politischen Gefangenen, die für die Aufnahmeaktion in die Bundesrepublik Deutschland vorgesehen sind, hat unsere Botschaft in Buenos Aires bisher detailliert erfaßt und dem Bundesinnenministerium zugeleitet? Zur Beantwortung, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege, die Botschaft in Buenos Aires hat dem Bundesminister des Innern bisher die Namen von 105 Aufnahmebewerbern übermittelt. Die Botschaft übermittelt laufend weitere Namen - täglich bis zu sieben.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, wurden Namen von argentinischen Gefangenen, die von Parlamentariern, von amnesty international oder von Argentinien-Solidaritätsgruppen überreicht wurden, aus den beim Auswärtigen Amt eingereichten Listen gestrichen und, wenn ja, aus welchen Gründen?

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Herr Kollege Thüsing, von einer Streichung von Namen ist mir nichts bekannt. Ich bin aber gerne bereit, Ihrer Frage noch einmal nachzugehen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wurden bei Gefangenen, bei denen die Bundesrepublik einer Aufnahme zugestimmt hat, die Aufnahmegesuche von Argentinien aus negativ beschieden?

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Herr Kollege, das war unseres Wissens bisher nicht der Fall. Die argentinische Regierung hat ja wohl 120 Tage Zeit, darüber zu entscheiden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob sich - hier geht es um argentinische Flüchtlinge - ein Bundesland in ähnlich aktiver Weise für argentinische Flüchtlinge interessiert, wie das in der Vergangenheit bei Flüchtlingen aus anderen Regionen der Welt der Fall war?

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Ja, Herr Kollege. Zahlreiche Bundesländer haben sich bereit erklärt, auch argentinische Flüchtlinge aufzunehmen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gestellt. Ich rufe die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf: Trifft es zu, daß für die Verzögerungen bei der Aufnahme politischer Gefangener aus Argentinien ,einzig Bonn die Ursache sei" ({0}), weil durch lange Befragungsaktionen zur „Aussiebung" von „Terroristen' die argentinischen Behörden verärgert worden seien? Frau Staatsminister !

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Herr Kollege, die Antwort lautet nein. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, worauf die Zeitung diese Behauptung stützt. Der Bundesregierung ist von einer behaupteten Verärgerung der argentinischen Behörden jedenfalls nichts bekannt. Träfe dies zu, so hätte wohl die Botschaft in Buenos Aires mit Sicherheit darüber berichtet.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, trifft es denn zu, daß von den Aufnahmeländern für argentinische politische Gefangene einzig die Bundesrepublik vor Erteilung der Visen auf einer intensiven Sicherheitsüberprüfung besteht und die anderen Länder, die politische Gefangene aus Argentinien aufnehmen, mit Ausnahme von Kanada, Belgien und den USA selbst auf Gefangenenbesuche vor Ausstellung eines Visums verzichten, und könnten die argentinischen Behörden vielleicht dadurch verärgert worden sein?

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Herr Kollege, nach unseren Informationen sind die Aufnahmeverfahren und auch die Besuchspraxis der einzelnen Länder unterschiedlich. Wir wissen, daß außer der Bundesrepublik Deutschland auch die Vereinigten Staaten, Kanada und Belgien solche Gefangenenbesuche zur Voraussetzung der Aufnahme machen. Dies erweist sich oft auch als sehr nützlich, weil durch die persönlichen Gespräche auch unklare, unvollständige oder unrichtige Darstellungen über die einzelnen Fälle korrigiert werden können.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, wenn einiges dafür spricht, daß solche Gefangenenbesuche notwendig sind, welche zusätzlichen Informationsquellen, die unserer Botschaft in Buenos Aires nicht zugänglich sind, hat denn das Auswärtige Amt, um zu erkennen, ob eine zusätzliche Sicherheitsüberprüfung hier in der Bundesrepublik neben an Ort und Stelle durchgeführten Untersuchungen notwendig erscheint?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es ist den Ländern in eigener Zuständigkeit überlassen, eine solche Oberprüfung vorzunehmen. Die Frage, woher sie ihre Informationen oder zusätzlichen Informationen nehmen, kann ich Ihnen hier nicht beantworten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, bemüht sich die Bundesregierung um eine Gleichartigkeit, um eine Gleichmäßigkeit der Überprüfung bzw. Prüfer derartiger politischer Flüchtlinge, oder halten Sie es für akzeptabel, daß unterschiedliche Maßstäbe - je nach dem Land, aus dem die Betroffenen kommen - angelegt werden?

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Natürlich bemüht sich die Bundesregierung um gleiche Maßstäbe bei der Aufnahme von Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist gelegentlich nur so, daß es sich um sehr unterschiedliche vorherige Situationen handelt, aus denen Flüchtlinge zu uns kommen und bei uns aufgenommen werden wollen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, ist die Bundesregierung bereit, zu bestätigen, daß sie im Fall Argentinien -- anders als im Fall Chile - nicht bereit sein wird, des Terrorismus verdächtige Personen als Flüchtlinge aufzunehmen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Huyn, dazu finden die Besuche und Vorprüfungen ja statt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf. . Wird die Bundesregierung im Parlament, in der Öffentlichkeit und im Ausland der These von der angeblichen politischen Wirkungslosigkeit des Deutschlandvertrags und seines Artikels 7 entschieden entgegentreten und immer wieder bekräftigen, daß sie gemäß dem Wahrungs- und Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes die Vertragspartner an ihre Treue zu den Rechtsverpflichtungen für die Wiedervereinigung ganz Deutschlands mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung und an dem Verbot von Grenzfestlegungen für Deutschland vor einem frei vereinbarten Friedensvertrag sowie an der gemeinsamen Vertretung dieser Verpflichtungen vor der Bevölkerung der Vertragsstaaten festhält, oder will sie ohne Gegenwirkung sich mit der These abfinden, daß auch die Völker aller Verbündeten in der Teilung Deutschlands einen „europäischen Grundtatbestand" und ,,eine europäische Friedensfunktion sehen" ({0})? Zur Beantwortung, Frau Staatsminister.

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Herr Kollege Czaja, ich möchte hierzu auf die Antwort der Bundesregierung in der Fragestunde vom 7. Dezember 1978 verweisen, in der ich Ihnen zu demselben Tatbestand sehr ausführlich Antwort gegeben habe. Ich habe dieser Antwort seither nichts Neues hinzuzufügen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Ihnen, Frau Staatsminister, entgangen sein sollte, daß hier im Bundestag am gleichen Tag in entscheidender Form abweichende Aussagen dazu gemacht worden sind, so frage ich Sie: Müssen nicht angesichts der Rechtsverpflichtungen des Deutschlandvertrages und seines Art. 7, die auch für die verbündeten Staaten und ihre Völker bestehen, mit diesen Regierungen gemeinsame Wege überlegt werden, wie es beispielsweise der amerikanische Botschafter öffentlich unterstützt hat, um den Völkern diese Rechtsverpflichtungen für ganz Deutschland noch bewußter zu machen, damit nicht die Behauptung aufgestellt werden kann - im Deutschen Bundestag unwidersprochen -, daß diese Völker die Teilung Deutschlands als einen europäischen Grundtatbestand ansehen?

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Herr Kollege, ich kann Ihnen hier wirklich nur abermals versichern: Das ist das politische Ziel der Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die nationale Frage. Dieses Ziel wird von der Bundesregierung bei jedem sich bietenden Anlaß im In- und Ausland in das Bewußtsein der politischen Öffentlichkeit gerückt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Besteht also, Frau Staatsminister, hinsichtlich aller amtlich geförderten Breitenarbeit auch im Ausland der verfassungsmäßige Auftrag, das Wahrungs- und Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes sowie die Tragweite und den Wortlaut des Art. 7 des Deutschlandvertrages beharrlich, klug, entschieden und eindeutig nach außen zu vertreten und das Bewußtsein gegen die Gegner einer solchen Deutschlandpolitik im Innern wachzuhalten?

Not found (Gast)

Ja. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, teilt denn die Bundesregierung angesichts der auf Grund von umfassenden Meinungsumfragen festgestellten Meinungen unserer westeuropäischen Nachbarvölker, die alle mit großer Mehrheit für die Wiedervereinigung Deutschlands eintreten, überhaupt Auffassungen, wonach die Politik, die auf die Einheit Deutschlands gerichtet ist, unsere europäischen Ziele erschwert oder unmöglich macht?

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Herr Kollege Jäger, ich kann nur noch einmal wiederholen, daß wir in dieser Frage - im Einvernehmen mit unseren westlichen Verbündeten und mit unseren EG-Partnern - die getroffenen Vereinbarungen und die grundgesetzlichen Verpflichtungen einhalten werden und daß dies von unseren Partnern respektiert wird.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Die Frage 131 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Engelsberger ({0}), schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe nun die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf: Stellt die Bundesregierung sogenannten afrikanischen Befreiungsbewegungen finanzielle und andere Mittel zur Verfügung, so daß diese waffenmäßig immer stärker werden und sich in Bürgerkriegen durchsetzen können, und wenn ja, entspricht dies der Politik der Bundesregierung? Zur Beantwortung, Frau Staatsminister.

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Herr Präsident, mir sind heute eine Reihe von Fragen gestellt, die sich auf die Politik der Bundesregierung gegenüber den Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika beziehen. Ich bitte Sie um die Erlaubnis, Herr Präsident, hierzu zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen vorauszuschicken, bevor ich dann die einzelnen Fragen beantworte.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich bin einverstanden, Frau Staatsminister. Bitte schön.

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Herr Präsident! Herr Kollege! Sehr geehrte Damen und Herren! Das wichtigste Ziel der Bundesregierung angesichts der sich zuspitzenden Konflikte und der Gefahr eines Rassenkrieges im südlichen Afrika bleibt die Friedenssicherung. Die Bundesregierung wird sich weiterhin aktiv für die Überwindung der Rassendiskriminierung und für die Gewährung der Menschenrechte an die schwarze Bevölkerung einsetzen, um damit zur Beseitigung der Konfliktursachen 'beizutragen. Wesentlich erscheint uns dabei jedoch, daß der notwendige Wandel mit friedlichen Mitteln herbeigeführt wird. Auch für die Beseitigung des Restkolonialismus in Afrika gilt für uns das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot und das Prinzip der Friedenspolitik. In ihrer Ablehnung von Gewalt als Mittel der Politik ist die Bundesregierung zu keinen Abstrichen bereit. Eine wesentliche Voraussetzung für die Erfolge bei dieser aktiven Friedenspolitik im südlichen Afrika ist ein intensiver und beständiger Dialog mit allen an den Konflikten beteiligten Parteien. Zu diesen zählen in- besonderem Maße die Befreiungs10694 bewegungen. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, diese mit Zusammenschlüssen von Terroristen gleichzusetzen. Niemand leugnet, daß es Gewalttaten gegeben hat und noch gibt, und zwar auf beiden Seiten. Wir dürfen jedoch nicht übersehen, daß sich die Mitglieder der Befreiungsbewegungen als Vertreter unterdrückter Bevölkerungsteile empfinden, die keine andere Möglichkeit mehr sehen, ihre legitimen Rechte durchzusetzen. Wir betreiben im südlichen Afrika eine aktive Politik des Wandels mit friedlichen Mitteln. Wenn wir damit Erfolge erzielen, können wir den Gruppen innerhalb der Befreiungsbewegungen den Boden entziehen, die Gewalt predigen und Gewalt anwenden. Zugleich mindern wir damit die Ansatzmöglichkeiten derjenigen, die unter dem Vorwand brüderlicher Hilfe ihre keineswegs selbstlosen Interessen in Afrika verfolgen. Die Bundesregierung wird in Übereinstimmung mit ihrer Friedenspolitik und ihrem Eintreten für die Menschenrechte in Zukunft prüfen, welche Anliegen der Befreiungsbewegungen sie unterstützen kann. Eine Zusammenarbeit mit den Befreiungsbewegungen auch bei der Verfolgung legitimer Ziele findet ihre Grenzen dort, wo diese zu ihrer Durchsetzung Gewalt anwenden. Wir wissen, daß das südliche Afrika nicht von heute auf morgen befriedet werden kann. In der Zwischenzeit wollen wir aber nach Kräften zur Linderung der Not der von den Kämpfen betroffenen Bevölkerung beitragen. In diesem Sinne gewährt die Bundesregierung ihre humanitäre Hilfe an Flüchtlinge, Verletzte oder sonst durch die Rassenauseinandersetzung Geschädigte ohne Ansehung ihrer jeweiligen politischen Einstellung. Nach dieser Vorbemerkung, Herr Kollege Marx, komme ich nun zur konkreten Beantwortung Ihrer Frage. Ich beantworte sie mit Nein. Die Bundesregierung stellt afrikanischen Befreiungsbewegungen keine finanziellen oder anderen Mittel zur Verfügung. Sie hat dies mit Ausnahme einer einmaligen humanitären Spende von Brillengestellen im Werte von 2 500 DM an die SWAPO im Jahre 1975 auch in der Vergangenheit nicht getan. Die Bundesregierung leistet jedoch humanitäre Hilfe zur Linderung der Not der von den Konflikten im südlichen Afrika betroffenen Bevölkerung durch Gewährung von Beiträgen an internationale Organisationen, an Drittländer, an gesellschaftspolitische Gruppen und an die Kirchen. Mit diesen Beiträgen werden Maßnahmen zur Behebung unmittelbarer Not - Nahrungsmittel und Kleidung -, der Aus- und Fortbildung, der Gesundheitsfürsorge und der Verbesserung der Sozialstruktur des genannten Personenkreises, der insbesondere aus Flüchtlingen besteht, finanziert. Die Bundesregierung stellt ferner Stipendien zu Ausbildungszwekken zur Verfügung.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, darf ich zunächst fragen: Sind diese Antwort, die Sie gegeben haben, und die ausführliche Vorbemerkung alle Mitglieder der Bundesregierung bindende Feststellungen?

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Selbstverständlich, Herr Kollege.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies erlaubt also auch nicht die Interpretation, daß humanitäre oder finanzielle Hilfe gegeben wird, wenn man sich darüber klar ist, man werde damit militärischer Hilfe eine gewisse Entlastung erteilen, und zwar einer militärischen Hilfe, die das Ziel hat, die jeweiligen Ziele jener Bewegungen, die Sie „Befreiungsbewegungen" nennen, durchzusetzen?

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Herr Kollege Marx, angesichts des ungeheuren Flüchtlingselends sowie ganz allgemein des Elends der Bevölkerung im südlichen Afrika kann ich den Zusammenhang nicht akzeptieren, daß die Linderung dieser elementaren Nöte irgendeine Entlastung auf anderen Gebieten herbeiführen könnte. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Focke.

Dr. Katharina Focke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000564, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, halten Sie die Herstellung eines solchen Zusammenhangs nicht ebenso für unzulässig, wenn es z. B. um die Hilfe des Roten Kreuzes geht, und ist die Bundesregierung im übrigen in . der Lage und freundlicherweise bereit, den Mitgliedern des Hohen Hauses eine Auflistung der Beiträge zur Verfügung zu stellen, die sie für die Unterstützung von Befreiungsbewegungen auf dem Wege aufwendet, den Sie soeben dargestellt haben?

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Frau Kollegin Focke, der Vergleich mit unseren Leistungen an das Internationale Rote Kreuz drängt sich ja immer wieder auf; denn es 'ist ja gerade das Prinzip humanitärer Hilfe, Mittel für notleidende Menschen unabhängig von ihren politischen oder weltanschaulichen Ansichten zur Verfügung zu stellen. Man müßte dieses Prinzip in der Tat in Frage stellen, wollte man den Gedankengängen einiger Vertreter der Opposition folgen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Bundesregierung ist natürlich gerne bereit, im zuständigen Ausschuß ganz klare Angaben darüber zu machen, an welche Organisationen - internationale, nationale, gesellschaftliche Gruppen und Kirchen - für welche Zwecke welche Beträge in den letzten Jahren geleistet worden sind. Selbstverständlich.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, nachdem Sie in Ihrer Vorbemerkung gesagt haben, vor dem Hintergrund der Grundsatzerklärung für die Gewährung von Hilfen werde die Bundesregierung künftig prüfen, welche Anliegen der Befreiungsbewegungen sie unterstützen könne: Heißt das, daß bisher ohne eine solche Prüfung Unterstützungen gewährt worden sind?

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Nein. Ich habe in meiner ersten Antwort vielleicht das Wörtchen „auch" nicht hinzugefügt. Die Bundesregierung wird diese Prüfung wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft vornehmen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, nachdem Sie - wie ich meine, zu Recht - die Unterscheidung zwischen Terroristenvereinigungen und sogenannten Befreiungsbewegungen gemacht haben: Sind sie mit mir der Meinung, daß es dem gegenseitigen Verständnis in diesem Hause und in unserem Lande dienen würde, wenn man einmal versuchte, diese Grenze etwas klarer zu definieren, etwa in dem Sinne, daß solche Personen und Organisationen, die z. B. einen Guerillakrieg gegen bestehende politische Systeme führen, zu Befreiungsbewegungen, aber solche, die im wesentlichen undifferenziert gegen unschuldige Kinder, Frauen und Schüler mit Mitteln wie Minen vorgehen, die gar nicht anders wirken können, zu Terroristen zu zählen sind? .

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich darf anläßlich dieser Frage an das Gebot der Kürze erinnern, das für Zusatzfragen gilt.

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Herr Kollege Graf Huyn, Sie wissen genau, welch eine differenzierte Diskussion zu dieser schwierigen Frage in den verschiedensten Gremien und Gruppierungen in der Bundesrepublik, ja in der ganzen Welt geführt wird. Diese Diskussion ist außerordentlich wichtig. Je grobgeschnitzter sie geführt wird, um so schädlicher für das Anliegen, Herr Kollege, das wir doch wohl alle gemeinsam vertreten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer.

Dr. Jürgen Todenhöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002333, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, Sie sprachen von Gewalt und Gegengewalt, und die Regierung spricht häufig vom Widerstandsrecht der Befreiungsbewegungen. Darf ich Sie fragen: Sind Sie der Auffassung, daß die ANC in Südafrika, die SWAPO in Südwestafrika und die Patriotische Front in Rhodesien im konkreten Zeitpunkt ein legitimes Widerstandsrecht gegen die Staatsgewalt haben?

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Herr Kollege Todenhöfer, die Geschichte der Entkolonialisierung in den letzten Jahrzehnten' hat doch gezeigt, daß Befreiungsbewegungen überall dort notwendig waren, wo der Entkolonialisierungsprozeß und damit der Abbau von Rassendiskriminierungen unterblieb. Meistens erfolgte dieser Prozeß unter Druck, meistens ging er nicht ohne Blutvergießen vonstatten. Die Geschichte der Entkolonialisierung hat ebenfalls gezeigt, daß es wohl ein Versäumnis der Kolonialmächte bzw. der weißen Bevölkerung gewesen ist, den legitimen Forderungen der schwarzen Bevölkerung nicht rechtzeitig freiwillig und auf friedlichem Wege Rechnung getragen zu haben. Man darf also nicht immer wieder verwechseln, wo die Ursachen und wo die Wirkungen liegen. Ich fürchte, das haben Sie in Ihrer Frage vorhin auch wieder verwechselt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob ihre Vorbemerkung eine Distanzierung gegenüber den Äußerungen des früheren Entwicklungshilfeministers und jetzigen Bundesgeschäftsführers der SPD auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen darstellt?

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Herr Kollege Waigel, meine Vorbemerkung entspricht der Ansicht der Bundesregierung und ist eine Beschreibung Ihrer Politik und der dahinterstehenden Philosophie.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, kennt die Bundesregierung den Beschluß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über die genaue Spezifizierung von Terroristen, und ist sie bereit, ihre künftige Politik in dieser Richtung an der Entschließung der Parlamentarischen Versammlung auszurichten?

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Herr Kollege, die Bundesregierung kennt diese Entschließung natürlich. Ich habe vorhin wiederholt, sowohl in der Vorbemerkung als auch in der Beantwortung der Einzelfragen, festgestellt, wie die Bundesregierung mit ihrer humanitären Hilfe verfährt und weshalb sie in dieser Frage von der bereits eingeschlagenen Politik nicht abweichen wird.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, hier war die Frage nach Äußerungen von Herrn Bahr gestellt worden. Würden Sie mir bestätigen, daß in Kenntnis dieser Äußerungen von Herrn Bahr die Vertreter der Kirchen, die diesen Kongreß veranstaltet haben, auf dem die Worte gefallen sind, über die hier gesprochen wird, alle Parteien und Organisationen ermahnt haben, die Diskussion über Befreiungsbewegungen differenzierter zu führen, als das bisher in der Öffentlichkeit der Fall war?

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Herr Kollege Roth, ich kann das nur bestätigen und würde mir selber wünschen, daß diese Diskussion differenzierter geführt wird, weil, wie ich vorhin schon einmal betont habe, andernfalls ein ganz falscher Akzent in eine von uns allen gemeinsam zu tragende Politik hineinkäme.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe Frage 133 des Herrn Abgeordneten Stommel auf: Verfügt die Bundesregierung Ober eine detaillierte Analyse der politischen Ziele, Methoden und Vorgehensweisen der einzelnen ,Befreiungsbewegungen'? Frau Staatsminister zur Beantwortung.

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Herr Kollege, die Bundesregierung . hat die Zusammensetzung, die politischen Ziele und die Strategien der einzelnen Befreiungsbewegungen analysiert. Hinsichtlich ihrer Methoden und Vorgehensweisen verfügt sie über die allgemein zugänglichen Informationen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stommel.

Dr. h. c. Wilhelm Peter Stommel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, wissen Sie, daß es zur Methode der, wie Sie es genannt haben, Vertreter unterdrückter Bevölkerungsteile gehört, die vom Volk gewählten Führer wie z. B. den Paramount Chief der Hereros im Rahmen einer Wahlveranstaltung zu erschießen, ({0}) und wenn Sie der Meinung sind, daß dies nicht in die Kategorie von Terroraktionen gehört, wo würden Sie diese Aktion dann einordnen wollen?

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Herr Kollege, dieser abscheuliche Mordanschlag, ist, soweit mir bekannt ist, bisher nicht aufgeklärt worden. Ich kann auf eine hypothetische Frage nicht antworten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, die von ihr erstellten Analysen oder das sonstige ihr zur Verfügung stehende Informationsmaterial dem Deutschen Bundestag zugänglich zu machen?

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Herr Kollege, das ist die Bundesregierung. Ich bitte jedoch um Verständnis, daß zur Wahrung der im außenpolitischen Interesse liegenden Vertraulichkeit eine Vorlage nur im zuständigen Ausschuß möglich ist.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stommel.

Dr. h. c. Wilhelm Peter Stommel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß man die Vertreter unterdrückter Bevölkerungsteile, wie Sie es genannt haben, auch als „vom Ostblock beeinflußte Marionetten" bezeichnen kann, die „nicht Ziele des Volkes nach Verbesserung von Humanität . und sozialer Gerechtigkeit erstreben, sondern die Durchsetzung des Moskauer Diktats mit nackter Gewalt" ?

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Herr Kollege, ich möchte Ihnen wirklich empfehlen, sich einmal darüber zu informieren, daß die Befreiungsbewegungen keine monolithischen Blöcke sind, sondern sich aus Vertretern der verschiedensten Parteirichtungen zusammensetzen, daß sich in den Befreiungsbewegungen Gott sei Dank immer wieder Gruppen befinden - wir hoffen, daß es mehr werden -, die bereit sind, friedliche Lösungen zu akzeptieren und an der Durchsetzung friedlicher Lösungen mitzuarbeiten. Diese einseitigen Behauptungen,. wie Sie sie soeben erhoben haben, kann die Bundesregierung nicht teilen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, würden Sie mir bestätigen, daß die Wertungen, die Herr Stommel soeben in seiner Zusatzfrage ausgesprochen hat, identisch sind mit den propandistischen Wertungen der Republik Südafrika in bezug auf alle Befreiungsbewegungen?

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Ich kann das nicht bestätigen, weil ich das nicht so genau weiß, aber ich bedaure diese Bezeichnungen und die Darlegungen, die hier soeben gemacht wurden. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, sieht die Bundesregierung ihre Politik gegenüber den sogenannten Befreiungsbewegungen voll und ganz durch die Äußerungen des Bundesgeschäftsführers der SPD, Herrn Egon Bahr, auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen unterstützt?

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Herr Kollege, die Bundesregierung pflegt den Ausführungen von mündigen Abgeordneten und Geschäftsführern keine Zensuren zu erteilen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher.

Dr. Walter Becher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000122, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung in der Lage, den eben von Ihnen zitierten friedfertigen Teil der Befreiungsbewegungen zu selektieren, um gegebenenfalls zu erreichen, daß die Unterstützungen nur solchen Gruppen innerhalb der Befreiungsbewegungen gewährt werden, die zu friedfertiger Zusammenarbeit und dazu bereit sind, sich demokratischen Wahlen zu stellen?

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Herr Kollege, die Politik der Bundesregierung ist ausschließlich darauf gerichtet, friedliche Lösungen zu ermöglichen und auf Gewalt ausgehende Kräfte zu isolieren. Bedauerlicherweise ist Gewalt nicht nur auf der einen Seite erfolgt, sondern leider auch auf der anderen Seite. Diesen Teufelskreis gilt es nach Ansicht der Bundesregierung endlich zu durchbrechen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, halten Sie dennoch, selbst wenn man besonders friedliche Wege anstrebt, Situationen für möglich, in denen das Recht auf Anwendung anderer als nur friedlicher Mittel gegen andauerndes, offenkundiges, systematisches und schwerwiegendes Unrecht als letztes Mittel gegeben sein kann?

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Herr Kollege Holtz, ich glaube, wir wissen aus unserer eigenen leidvollen Geschichte und Erfahrung, daß diese Situation sehr wohl eintreten kann. Es obliegt dem Gewissen und der Verantwortung des einzelnen oder der jeweiligen Gruppe, zu entscheiden, ob dieser Zeitpunkt eingetreten ist. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß diese Beurteilung der komplexen Voraussetzungen eines gerechtfertigten Widerstandsrechtes nicht nur der Entscheidung der vom Unrecht Betroffenen überlassen bleiben muß, sondern daß auf dem schon mehrfach erwähnten Kongreß der beiden Kirchen auch deutlich gemacht worden ist, daß die SPD mit den beiden Kirchen darin übereinstimmt, daß der Grundsatz der Gewaltlosigkeit bei der Lösung politischer und gesellschaftlicher Konflikte vorrangig sein muß?

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Ich bestätige das gerne und hoffe, daß sich der erfreuliche Ansatz bei der Suche eines Konsenses in diesen Fragen hier im Hohen Hause fortpflanzen und entwickeln möge, weil andernfalls die Notwendigkeit unserer Politik gegenüber der Dritten Welt und der Bevölkerung nicht nachdrücklich genug vertreten werden könnte. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Die letzte Zusatzfrage und damit die letzte Frage in der Fragestunde, Herr Abgeordneter Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man, wenn man schon - um einen Gedanken des Kollegen Holtz aufzunehmen - Gewaltanwendung als äußerstes, letztes Mittel der Ohnmächtigen billigen will, einen Unterschied zwischen solchen, die Gewalt gegen jedweden Zivilisten, der persönlich unschuldig sein mag, anwenden, und solchen machen muß, die, wie etwa die Widerstandskämpfer im Dritten Reich, Gewalt gegen ganz persönlich schuldige und verantwortliche Verbrecher angewandt haben? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege, es ist wirklich sehr schwierig, hier solche allgemeinen Maximen aufzustellen, und ich möchte wirklich noch einmal darauf verweisen, daß dieser Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt nicht, und zwar in keinem Falle, nur von der einen Seite ausgegangen ist, sondern auch von der anderen Seite verursacht wurde und auch immer wieder aufrechterhalten wird, weshalb man in der eigenen Politik nicht einäugig sein darf, sondern, wie das die Bundesregierung immer getan hat und in Zukunft verstärkt tun wird, versuchen muß, sich für friedliche Lösungen beim gefährlichen Konfliktherd im südlichen Afrika einzusetzen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, bevor ich die Fragestunde abschließe, noch folgende Mitteilung: Von den Fragestellern zurückgezogen worden sind die Fragen 63 des Abgeordneten Peiter, 80 und 81 des Abgeordneten Horstmeier, 84 der Frau Abgeordneten Dr. Riede ({0}), 134 und 135 des Abgeordneten Dr. Waigel sowie 137 bis 146 der Abgeordneten Dr. Todenhöfer, Dr. Hammans, Dr. Hüsch, Graf Huyn, Höffkes und Graf Stauffenberg. Die nicht mehr aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich schließe die Fragestunde und erteile dem Herrn Abgeordneten Kunz ({1}) das Wort zur Geschäftsordnung.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat zu der Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, ein Wahlsieg der CDU in Berlin würde die westliche Welt irritieren, eine Reihe von Fragen eingebracht. Diese Fragen sind von der Bundes10698 Kunz ({0}) regierung entweder gar nicht oder widersprüchlich oder ausweichend beantwortet worden. ({1}) Insbesondere haben wir festgestellt, daß Herr Staatsminister Wischnewski uns bei der Beantwortung unserer Zusatzfragen völlig ausgewichen ist und zu erkennen gegeben hat, wie wichtig die Durchführung einer Aktuellen Stunde ist. ({2}) Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantrage ich nach Ziffer 2 der Richtlinien zur Durchführung von Aktuellen Stunden eine Aktuelle Stunde. ({3})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, gemäß der erwähnten Ziffer 2 unserer Richtlinien zur Aktuellen Stunde ist eine Aktuelle Stunde zu veranstalten, wenn unmittelbar nach Schluß der Fragestunde mindestens so viele Mitglieder des Bundestages es verlangen, wie einer Fraktionsstärke entspricht. Ich stelle fest, daß ein derartiges Verlangen gestellt worden ist und daß wir also eine Aktuelle Stunde veranstalten werden. Für die Aktuelle Stunde selbst gelten - ich darf das in Erinnerung rufen - folgende Regeln: ({0}) Die Dauer der Aussprache ist auf eine Stunde beschränkt. Die von Mitgliedern oder Beauftragten der Bundesregierung oder des Bundesrates in Anspruch genommene Redezeit bleibt unberücksichtigt. Überschreitet ... ({1}) Redezeit dreißig Minnten, so verlängert sich die Dauer der Aussprache ebenfalls um dreißig Minuten. ({2}) Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen. Eine Verlängerung der Redezeit ist nicht zulässig. Wir treten in die Aktuelle Stunde ein. Als erstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Kunz ({3}) das Wort.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat behauptet, die westlichen Freunde und Verbündeten bräuchten eine Bestätigung dafür, daß ihr Engagement in Berlin richtig sei; ein Sieg der CDU in Berlin würde die westliche Welt irritieren. ({0}) Diese Behauptungen, die eine unerhörte Entgleisung sind, . ({1}) sind noch übertroffen worden von einer Zusatzbehauptung von Ihnen, Herr Staatsminister Wischnewski. Sie hatten die Stirn, zu erklären, daß Sie bei Besuchen in westlichen Hauptstädten eine Anzahl von Persönlichkeiten getroffen hätten, die Ihnen diese Irritation bestätigt hätten. ({2}) Nennen Sie Roß und Reiter! ({3}) - Herr Wehner, fünf Minuten sind zu schade, um mich von Ihnen provozieren zu lassen. Aber das Wort „Irritierung" scheint Ihnen so zu gefallen, daß wir uns im Rahmen dieser Aktuellen Stunde unter mehreren Aspekten damit befassen werden. ({4}) Bei den Äußerungen des Bundeskanzlers handelt es sich nicht um eine verbale Entgleisung in der Hitze einer Diskussion. Die Äußerungen sind vielmehr gezielt. ({5}) Ich muß zu der Feststellung kommen: Sie sind ein kalkulierter Schlag unter die Gürtellinie. ({6}) Die Äußerungen des Bundeskanzlers, Herr Kollege Wehner, sind ebenso gezielt wie Äußerungen vor vier Jahren, an die wir uns alle erinnern. Damals sagte der Bundeskanzler, er müsse darauf aufmerksam machen, daß Herr Lorenz in seinem Haus ängstliche Geräusche höre. Sie wissen, was dann kam. ({7}) Ich kann sagen: Es ist derselbe miese Stil. ({8}) Bei seinen Äußerungen ging es dem Kanzler und stellvertretenden SPD-Vorsitzenden ganz einfach um den Versuch, Druck auf die Wähler auszuüben. Lassen Sie es mich noch deutlicher sagen: Er hat einen Versuch unternommen, die Wahl zu erpressen. ({9}) Die CDU und ihr Spitzenkandidat, Richard von Weizsäcker, ein Mann mit untadeligem Namen, sollen als Sicherheitsrisiko abgestempelt werden. Alte Methoden; alte Methoden! ({10}) Dieses Verhalten ist verantwortungslos. Es soll der Eindruck erweckt werden, als würde von den Garantien, die die Schutzmächte für Berlin gegeben haben, auch nur eine Handbreit aufgegeben, wenn sich bei den nächsten Wahlen in Berlin ein normaler und gesunder Wechsel vollzieht. ({11}) Dabei ist der Kanzler so weit gegangen, daß er versucht hat, die Alliierten ins Gerede zu bringen. Ein Vorgang, der ohne Beispiel ist! ({12}) Kunz ({13}) Wir stellen fest, Herr Wehner: Das Engagement der westlichen Alliierten ist unbezweifelbar. Der Versuch des Herrn Bundeskanzlers war untauglich. ({14}) Ich darf hinzufügen: Das Wohl und Wehe der Stadt hängt natürlich, wie auch Sie wissen, glücklicherweise nicht davon ab, ob der Senat sozialdemokratisch geführt wird oder nicht. ({15}) Der Bundeskanzler hat mit seiner Äußerung von der angeblichen Irritation der westlichen Welt die Maßstäbe verantwortlicher Außenpolitik verletzt, da er die Diffamierung des politischen Gegners aus Gründen des Machterhalts in Berlin für notwendig hielt. Er war nicht bereit, das in Berlin stets von allen Parteien geübte Maß an Gemeinsamkeit in der Haltung gegenüber unseren Freunden, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, einzuhalten. Und wie hat der Regierende Bürgermeister von Berlin sich dazu gestellt? Herr Stobbe hatte nicht die Kraft, ({16}) der Aufforderung Richard von Weizsäckers nachzukommen, sich von den Äußerungen des Bundeskanzlers zu distanzieren. ({17}) Leider! Er hat leider nicht bewiesen, daß er begriffen hat, von welcher Statur der Regierende Bürgermeister von Berlin sein muß. Die Position, die der Regierende Bürgermeister hat, ist im besten Sinne national. Sie ist erstrangig. Sie verlangt, daß man sich danach verhält. Sie verlangt, daß man dem Bundeskanzler, wenn er eine Äußerung macht, die Schaden für Berlin anrichtet, auch mal trotzt, auch mal entgegentritt, wie es mancher seiner Vorgänger getan hat. ({18}) Was macht dagegen Herr Stobbe? Leider hat Herr Stobbe sich darauf beschränkt, beifällig Assistenz zu leisten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Schluß, indem ich sage, ({0}) uns geht es nicht darum, Herr Wehner, ({1}) hier etwas in den Wahlkampf zu bringen. Uns geht es darum, jenes Maß an Fairneß zu erzwingen, das der Bundeskanzler nicht zum erstenmal verlassen hat. Wir werden es tun. ({2}) Wir mißbilligen die Äußerungen des Bundeskanzlers entschieden. ({3})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Männing.

Peter Männing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Kunz, wieviel trauriger Mut muß eigentlich dazu gehören, nach den eindeutigen. Klarstellungen des Staatsministers ({0}) in der soeben zu Ende gegangenen Fragestunde, nach seinen überzeugenden Interpretationen ({1}) der in Rede stehenden Berlin-Äußerung des Kanzlers in gewollter Fehlinterpretation, in gewollter Mißdeutung dies noch zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde zu machen! Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann nicht finden, wo dieses Thema aktuell ist, den die Nein-Sagerei der Union ist inzwischen ein Dauerthema. ({2}) Worum es hier vielmehr geht, ist mangels anderer Themen den Berliner Wahlkampf - und dies, Herr Kittelmann, Sie wissen es viel besser als die anderen, innerhalb von 24 Stunden schon zum zweitenmal - auf die Bonner Bühne zu ziehen. Gestern im Wirtschaftsausschuß mußten wir folgendes erleben - und auch dies sollte die Öffentlichkeit wissen -, daß bei der Beratung des Berlinförderungsgesetzes zehn Minuten nach Beginn der Beratung, nicht etwa vorher, der Kollege Kittelmann und der Herr „Senator-in-Erwartung" Dr. Narjes einen Packen von Vorschlägen zur Berlin-Förderung ({3}) hervorziehen wie „Kai aus der Kiste", um die Koalitionsmitglieder in diesem Ausschuß zu nötigen, sofort und an Ort und Stelle diesen Vorschlägen zuzustimmen; wer dies dann nicht tut, ist eben der Berlin-Feind. ({4}) Dies ist Ihre Art, Berlin-Förderung und Berlin-Politik zu betreiben. Dazu sagen wir nein. ({5}) Herr Kittelmann, die Fragen, die Sie und Ihre Kollegen heute in der Fragestunde zu den Berlin-Äußerungen des Kanzlers gestellt haben, ({6}) signalisieren eine steigende ' Nervosität der CDU. Diese ist berechtigt. ({7}) Was in Berlin passiert ist, hat der Staatsminister mit der ihm eigenen Geduld ({8}) und ganz ausführlich erläutert. Da spricht der Bundeskanzler auf Einladung der Berliner Sozialdemokraten in einer Kundgebung der „Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen" vor 1 200 gewählten Vertretern der gewerblichen Wirtschaft. Herr Kittelmann, dies wird Herrn Kohl nie passieren und Herrn Dr. von Weizsäcker auch nicht. ({9}) Da äußert der Kanzler Meinungen zu aktuellen Fragen der Politik, und er gibt Bewertungen, und er formuliert' Urteile, und er äußert Erwartungen auf Grund des Überblicks, den er als deutscher Regierungschef hat, hinsichtlich der Politik eines Regierenden Bürgermeisters von Weizsäcker, falls dieser jemals in die Verlegenheit käme, ({10}) Deutschland-, Friedens-, Ost- und Entspannungspolitik zu treiben. Ich und meine Kollegen der Koalitionsfraktionen können sich nicht erinnern, Ihren CDU-Spitzenkandidaten in Berlin, Herrn Dr. von Weizsäcker, hier jemals als für die Union verantwortlich zum Thema der Deutschland-, Entspannungs- und Ostpolitik sprechen gehört zu haben. ({11}) - Verantwortlich! Oder haben Sie ihn inzwischen zum deutschlandpolitischen Sprecher der Union promoviert? Haben Sie das getan? ({12}) In Erinnerung sind uns die Reden - die sind von Staatsminister Wischnewski erwähnt worden - von Herrn Dr. Abelein und von Herrn Jäger ({13}). Es ist derselbe Dr. Abelein, der zuvor Reisen durch die Ostblockstaaten unternimmt, Plädoyers für die Fortsetzung der Entspannungspolitik hält, um dann hier die sattsam bekannten Reden im Deutschen Bundestag zu halten. ({14}) Da muß man doch, wie der Bundeskanzler in Berlin, um die Handlungsfähigkeit der Union in diesem so wichtigen Bereich der deutschen Politik besorgt sein dürfen. ({15})der CDU/CSU) Und kommen Sie nicht immer mit der Sache „Pacta sunt servanda" ! Das ist doch nur die eine Seite der Medaille. Die Frage ist: Was geschieht in der Zukunft? Darauf bezieht sich die Sorge des Bundeskanzlers und die Sorge der Mehrheit der Berliner Bürger. ({16}) Nun ist man in Ihren Reihen offensichtlich überrascht, daß die Berliner Bürger und Wähler erwarten, daß ihnen endlich auch öffentlich gesagt wird, wer in der Union in diesem Bereich das Wort führt und vor allem wer wann wie handeln darf. ({17})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Peter Männing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine ist klar: Für uns ist es Dr. von Weizsäcker nicht. Er könnte es auch gar nicht sein; denn sein bisheriger Kurs entspricht nicht einer klaren Linie, sondern es ist bestenfalls eine Schlangenlinie. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe. ({0})

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ernsthafte Wille der Freien Demokraten, in Sachen Berlin die Gemeinsamkeit aller Parteien zu erhalten, wird sicher auch nicht durch die Aufgeregtheit der Opposition geschwächt werden, die zu diesem wahrscheinlich rasch verblühenden Wahlkampfableger geführt hat. ({0}) Die CDU ist betroffen, weil sie sich zu einem Faktor der Irritation bei den westlichen Alliierten abgestempelt sieht, und es ist in der Tat immer mißlich, wenn im innenpolitischen Streit oder in Wahlkampfauseinandersetzungen der politische Gegner unter Berufung auf Dritte in ein besonders krasses Licht der Kritik gerückt wird. ({1}) Nur sollte die Opposition im Augenblick nicht nur wehklagen. Sie sollten sich an die eigene Brust schlagen; denn dieses Mittel haben Sie in der Vergangenheit wunderbar kultiviert. ({2}) In Wirklichkeit geht es hier um die Ernsthaftigkeit in der Entspannungspolitik und um die Glaubwürdigkeit, und da hat die Opposition in Sachen Entspannung und Berlin nicht gerade besonders viel Kapital angesammelt. ({3}) Ihr Verhängnis nahm bereits 1962 in Berlin seinen Lauf; denn dort gerieten Sie ins Abseits, als der verehrte Kollege Amrehn, damals Bürgermeister einer SPD/CDU-Koalition, mit der Kündigung der Koalition für den Fall drohte, daß der Regierende Bürgermeister Brandt ein Gesprächsangebot Chruschtschows annehmen würde. Das hat damals niemand verstanden, und so versteht auch heute niemand Ihre Politik. ({4}) Sie haben diese Politik der Nichtverständigung bis heute borniert fortgesetzt. Ihr Verhalten zur Konferenz von Helsinki war ein trauriger Höhepunkt in. der Reihe der Fehlleistungen. ({5}) Sie haben bis heute keine Konsequenzen gezogen. Zwar haben Sie sich nach Berlin einen Bewerber für das Amt des Regierenden Bürgermeisters geholt, der goldene Worte für Berlin findet; aber es ist ein Mann ohne Truppe. ({6}) Das Gros der CDU/CSU tritt rückwärts gewandt auf der Stelle. In Sachen Berlin- und Deutschlandpolitik steht der Kollege von Weizsäcker ziemlich allein. ({7}) Andersherum: Er ist ein falsches Etikett für eine falsche Politik. ({8}) Aber ihm und uns allen wünsche ich, daß er zumindest für die nachfolgende Generation in den Oppositionsparteien zu einem guten Stichwortgeber werden könnte. ({9}) Denn es bleibt für mich eine Hoffnung, die ich deshalb ausspreche, weil gerade Berlin durch solidarisches Handeln aller Parteien auch in Zukunft weiter gestärkt werden könnte. Bundespräsident Walter Scheel hat mit seiner Initiative zur Erarbeitung gemeinsamer Berlin-Grundsätze allen demokratischen Parteien den Weg gewiesen. Wir sollten ihm unseren Dank dafür in der Weise abstatten, daß wir diesen Weg trotz allem und trotz verständlicher Schärfe, die der Wahlkampf so mit sich bringt, zu Ende gehen! ({10})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hoppe, Sie haben gerade von dem solidarischen Verhalten der politischen Parteien gesprochen. Ich wundere mich eigentlich über die Schlußfolgerungen, die Sie daraus ziehen; denn der nächste Satz hätte lauten müssen: Deswegen verurteile ich solche Worte, wie sie der Bundeskanzler in Berlin gebraucht hat. ({0}) - Natürlich nicht. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind ja einiges an Diffamierung von dem Herrn Bundeskanzler gewohnt. ({1}) Jawohl, er hat sich ja einen Kriegsnamen im Laufe der parlamentarischen Jahre erdient. Allerdings gibt es hier, wie ich meine, verschiedene Stufen der politischen Diffamierung. Meine Damen und Herren, die einfachste Stufe haben wir gerade vor wenigen Tagen in diesem Hause erlebt, als der Bundeskanzler von dieser Stelle aus versucht hat, einen Mann zu diffamieren, den die CSU als Kandidaten für das Europäische Parlament aufgestellt hat, und zwar durch Worte, durch Sätze, die aus dem Zusammenhang herausgerissen sind, einen Mann, der sich bereits 1945 um Deutschland verdient gemacht hat, als er sich gegen den Morgenthau-Plan gewandt hat. ({2}) Sie wissen das nicht, meine Herren von der SPD. Sie sollten lieber etwas lernen, statt hier zu lachen. ({3}). Die zweite Stufe der Diffamierung, die wir vom Bundeskanzler kennen, ist etwas, was uns sehr viel mehr angeht; denn das ist die gegenüber dem Ausland. Hier ist nicht nur der Abgeordnete Helmut Schmidt, sondern der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland berührt, wenn er Worte wählt, wie im deutschen Fernsehen vor einiger Zeit geschehen, wo er dann im Ausland Reaktionen erntet wie Überschriften „Schmidt, la Grande Gueule", „Schmidt, the Lip" oder „Le Feldwebel" oder, was noch schlimmer ist, wie in Tholey an der Saar, wo ein Mahnmal zur europäischen Verständigung und des Friedens eingeweiht werden sollte und dann wegen dieser Diffamierungen die Familie de Gaulle die Teilnahme abgesagt hat. ({4}) Aber das dritte - um diese Stufe geht es hier - ist die gezielte politische Diffamierung, und das in einer so sensiblen Situation wie der Berlins. Der Herr Bundeskanzler ist ja schon einmal vom Landgericht Traunstein zu einer Ordnungsstrafe von 5 000 DM verurteilt worden, weil er trotz einer einstweiligen Verfügung immer wieder öffentlich behauptet hat, ein Kollege habe vom Zurückschießen gesprochen. Er hat dann in Fulda und bei verschiedenen Gelegenheiten dies systematisch zu einer Diffamierung der CDU/CSU ausgebaut. Er hat erklärt: Wenn man solche Leute wie Dregger, Carstens und Strauß das Regieren überläßt, schießen die vielleicht wirklich zurück. ({5}) Hier, meine ich, ist die Grenze erreicht. So etwas geht in unserer Situation in Deutschland in der politischen Lage nicht, in der wir uns gegenüber dem Osten befinden und in der es auf Minimalia der Gemeinsamkeit ankommt. Es ist nicht zulässig, im Wahlkampf solche Dinge zu sagen. 10702 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 135. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8: Februar 1979 Deswegen meine ich, der Bundeskanzler sollte die Konsequenzen hieraus ziehen. Ich fordere ihn auf, dieses Wort von der Irritation zurückzunehmen. ({6})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich. ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von der Opposition kritisierte Bemerkung des Bundeskanzlers wäre durchaus wert, hier ernsthaft diskutiert zu werden. Ich möchte sie noch einmal zitieren, weil sie vom Kollegen Kunz eben falsch eingeführt worden ist. Der Bundeskanzler hat gesagt: Und die westliche Welt würde irritiert werden, wenn sich die Berliner einen Senat oder gar einen Regierenden Bürgermeister wählen würden, von dem sie nicht weiß, - nun kommt der entscheidende Halbsatz ob er nicht in Wirklichkeit eine ganz andere Deutschland- und Berlin- und Außenpolitik zu befolgen gezwungen wäre. Das heißt, der Bundeskanzler hat die Berliner aufgefordert, einmal darüber nachzudenken, ob jene, die die Verträge zehn Jahre lang bekämpft haben, nun von sich sagen können, daß sie die besten Hüter der Verträge sein würden. ({0}) Ich bin gerne bereit - und wir hätten doch dafür eine Basis -, hierüber zu diskutieren. Im Berliner Wahlkampf gibt es ein interessantes Plakat, das ich in einer CDU-Zeitung zugesandt bekommen habe. Da beruft sich Richard von Weizsäcker - er sieht darauf gut aus - auf den Sozialdemokraten Ernst Reuter und schreibt, er werde die Verträge achten. Hier möchte ich doch eine Frage stellen: Wenn Sie also dieses Zitat des Bundeskanzlers kritisieren, daß Herr Kohl oder Herr Strauß Herrn von Weizsäcker eine ganz andere Berlin-Politik empfehlen würden, warum hat dann Herr von Weizsäcker nicht auf sein Plakat geschrieben: Mit Kohl, mit Strauß, mit Konrad Adenauer für eine gute Berlin-Politik? Warum hat er das nicht getan? ({1}) Sie haben eben keinen Politiker für ein Plakat, von dem Sie sagen können: Er hat sich mit der westlichen Politik in den letzten zehn Jahren identifiziert. ({2}) Dafür, daß der Bundeskanzler ein Recht hat, die Bewegungsfreiheit eines Regierenden Bürgermeisters mit dem Namen Richard. von Weizsäcker ({3}) anzuzweifeln, will ich Ihnen ein Beispiel geben: Im Oktober 1975 hat in Bonn der CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer Helmut Kohl erklärt, er werde demnächst nach Polen reisen. Wenig später gab es einen Brief des CSU-Vorsitzenden Strauß, in dem dies kritisiert worden ist, und bis heute ist Herr Kohl nicht in Polen gewesen. Wir haben . es gerade gehört: Welche Bewegungsfreiheit hätte ein Richard von Weizsäcker, der mit Gromyko oder einem anderen Politiker sprechen wollte, wenn er eine Anweisung aus München bekäme? Ich bin der Meinung, er hätte weniger Bewegungsfreiheit, als Herr Kohl von Herrn Strauß in diesen Fragen erhalten hat. ({4}) Ich will hier nicht die hervorragende Intelligenz des Kollegen von Weizsäcker bestreiten. Aber ein Berliner Bürgermeister braucht Mut und Standfestigkeit. ({5}) Wer auf seine Plakate schreibt „Ich werde die Verträge achten", hier mit Nein und Enthaltung gestimmt hat - ja, ja, nein - und bei der Abstimmung im Zusammenhang mit der KSZE unentschuldigt gefehlt hat - da weiß ich nicht, für was er gestimmt hätte -, ({6}) wer sich hier in den entscheidenden Fragen Berlins nicht gestellt hat, der wird sich in entscheidenden Fragen in Berlin mit Sicherheit nicht stellen können. Das ist die Frage, die der Herr Bundeskanzler angeschnitten hat. ({7})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.

Walther Ludewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001383, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn es der Berliner CDU denn schon gefällt, ihren Wahlkampf in das Bundeshaus zu tragen, dann müssen wir natürlich deutliche Antworten geben. ({0}) - Sie, auch Sie, Herr Kittelmann, möchten in Berlin den Wechsel herbeiführen. Das ist legitim. Das können wir gar nicht absprechen. ({1}) Aber Sie möchten es nur. Ob Sie es können, das sollten Sie nicht uns beweisen, das sollten Sie den Berlinern beweisen, die Sie wählen sollen. ({2}) Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, sollten dies auch weiterhin in Berlin tun. Wenn überhaupt, liegen Ihre Chancen dort und nicht hier. Ich beurteile sie nicht sehr günstig; aber das ist Ihre Sache. Mein Eindruck von den Antworten, die Herr Staatsminister Wischnewski gegeben hat, war absolut nicht so negativ, wie es Herr Kunz in seiner Begründung des Antrags auf Abhaltung dieser Aktuellen Stunde zum Ausdruck gebracht hat. ({3}) Ich finde, Herr Wischnewski hat Ihnen sehr gute, sehr ausführliche, wenn auch für Sie nicht sehr sympathische Antworten gegeben. ' ({4}) Man muß Sie fragen, sehr geehrte Damen und Herren, ob Sie es denn für richtig halten, unterschiedliche Wahlkampfäußerungen von Spitzenpolitikern im Wahlkampf .in Berlin zum Gegenstand parlamentarischer Initiativen zu machen. ({5}) Man muß Sie fragen, ob Sie nicht auch der Ansicht sind, daß der Wahlkampf dort geführt werden sollte, wo er hingehört. In diesem Falle ist das die Stadt Berlin. ({6}) - Das müssen Sie, wie ich glaube, jedem Bundespolitiker überlassen.. ({7}) - Aber selbstverständlich. Der Kanzler ist und bleibt der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. ({8}) Schon andere Kanzler haben es nicht versäumt, in den Wahlkampf. zu ziehen und im Wahlkampf notfalls auch einmal harte Worte zu sprechen. Ob sie Ihnen angenehm sind oder nicht, ist eine andere Frage. ({9}) Wenn aber der Wahlkampf, Herr Kittelmann, von Ihnen schon in den Bundestag getragen wird, verstehe ich es, daß Herr Wischnewski - ich bin ihm sogar dankbar dafür - Tatsachen genannt hat, auch wenn Ihnen diese nicht passen, und gesagt hat, wie gespalten, wie unterschiedlich, ja, wie gegensätzlich und unverständlich sich die Spitzenpolitiker Ihrer Partei im Wahlkampf in Berlin ausdrücken und wie unterschiedlich sie sich vorher bei grundsätzlichen und für Berlin lebensnotwendigen Entscheidungen verhalten haben. Ich erinnere an das Abstimmungsverhalten von Herrn von Weizsäcker, an das Abstimmungsverhalten von Herrn Barzel und an das Abstimmungsverhalten von Herrn Strauß. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rate Ihnen, lassen Sie uns hier die Politik des Bundes machen. Wenn Sie Wahlkampf führen wollen, so führen Sie ihn in Berlin. Wie gesagt, Ihre Chance ist nicht groß, aber wenn überhaupt, müssen Sie sie dort - nämlich in Berlin - suchen. ({10})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Amrehn.

Franz Amrehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich ist es das Recht des Bundeskanzlers, in Berlin in den Wahlkampf einzugreifen. Er ist der deutsche Bundeskanzler. Er ist auch Bundeskanzler in Berlin. Wenn er aber dort Äußerungen als Bundeskanzler tut, muß er für diese Äußerungen hier vor diesem Parlament Rede und Antwort stehen. ({0}) Es ist das Kennzeichen dieser Debatte, daß die Redner der Koalition immer wieder von etwas anderem sprechen als dem, was wir beklagen. Wir beklagen nicht, daß er anderer Ansicht ist. Wir beklagen nicht seine Einschätzungen und Wertungen, nicht seine Beurteilung. der CDU an sich. Wir beklagen jedoch, daß er sich mit seinen Wertungen - und vorn Herrn Staatsminister ist nicht bestritten worden, daß er sich so geäußert hat - hinter den Alliierten versteckt und sie ins Feld führt. ({1}) Der Herr Staatsminister hat keine Quelle genannt. Er behauptet, diplomatische Rücksichten nötigten ihn dazu. Dazu möchte ich nur sagen: Wenn die westliche Welt irritiert würde, bliebe das doch nicht so geheim, daß nur Herr Wischnewski davon erfährt, sondern dann würden auch Zeitungen darüber berichten, dann würde in Aufsätzen darüber geschrieben. Ich fordere Sie auf, Herr Staatsminister Wischnewski, den Hintergrund und die Quellen zu nennen, die Beweise für das, was Sie behauptet haben, beizubringen. ({2}) Entweder können Sie es belegen; dann ist es wahr und wir haben verloren. Wenn Sie keine Belege beibringen können, ist es unwahr. Das glaube ich jetzt; davon bin ich überzeugt. Dann muß ein Kanzler aber auch einmal sagen können: Ich bin im Wahlkampf entgleist. Das tut mir leid. Ich nehme dies zurück; so war es nicht gemeint. Das nenne ich politischen Anstand, den der Kanzler hier gelegentlich beschwört. ({3}) Die Erklärung ist natürlich auch inhaltlich unhaltbar. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Politik getragen, die es möglich gemacht hat, uns im Westen zu verankern, das Bündnis zu schaffen und die feste Grundlage zu bilden, auf der die Bundesrepublik gebaut worden ist - mit sozialdemokratischer Unterstützung; ich bin da gar nicht kleinlich -, eine Grundlage ohne die die von Ihnen betriebene Politik überhaupt nicht denkbar gewesen wäre, weil Sie gar keinen Spielraum gehabt hätten, wenn diese Grundlage nicht vorhanden gewesen wäre. ({4}) Deswegen glaubt ja die westliche Welt die Behauptung von der Irritierung durch die CDU in gar keiner Weise. Es war eben eine Entgleisung, die der historischen Wahrheit widerspricht. Die westlichen Mächte, insbesondere die Vier, lassen sich nicht in innenpolitische Geplänkel ein. Auch ich führe ja - wie .mancher andere von uns - Gespräche. Ich weiß doch, daß das Vertrauen - früher wie auch heute - zu den Kräften der Christlich Demokratischen und Christlich-Sozialen Union unablässig weiterhin besteht, gleichviel wer in der Bundesrepublik Deutschland oder im Senat von Berlin regiert. Mit solchen Äußerungen, wie sie hier getan worden sind, wird nur Schaden gestiftet. Denn so, wie die CDU Berlin 1975 fast die Mehrheit errungen hat, muß doch die SPD damit rechnen, daß wir die Mehrheit in diesem Jahr ganz schaffen. Will die Bundesregierung mit dem Senat von Berlin dann nicht zusammenarbeiten? - Solche Gedanken kommen doch auf. - Das kann kein Bundeskanzler verantworten. ({5}) Noch ein letztes Wort dazu, meine Damen und Herren. Der Bundeskanzler hat hier in seiner letzten Rede, in der Haushaltsrede, gesagt: Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten kein Bild von der Zukunft, sage ich Ihnen: Das wichtigste Bild von der Zukunft, das ich habe, ist das der Bewahrung des äußeren Friedens und das der Bewahrung des inneren Friedens. Ohne das geht in unserem Lande gar nichts.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das stimmt!) Ich unterstreiche das. Der Bundeskanzler hat tatsächlich eine große geistig-politische Verantwortung für die Führung, auch hinsichtlich seiner Sprache. Das, was er hier gesagt hat, war ein Tiefschlag gegen den inneren Frieden, gegen die Bemühung, Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten und alle Kraft zusammenzunehmen, uns an diesem empfindlichen Ort Berlin nicht ohne Not auseinanderzutreiben. Hier kann der Bundeskanzler nur sagen: Wir wollen das zurücknehmen; das wollen wir in Ordnung bringen. Das, was ich in Berlin gesagt habe, war falsch. Es ist - leider - im Sturm des Wahlkampfes geschehen. Es tut mir leid, das soll in Ordnung gebracht werden. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.

Prof. Egon Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000080, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Amrehn, Sie würden in dem Pathos, ({0}) das wir von Ihnen kennen - niemand kann in Frage stellen, daß Sie es aus Überzeugung an den Tag legen -, für mich sehr viel überzeugender gewesen sein, wenn Sie Ihre Parteifreunde einmal daran erinnert hätten, daß dann, wenn es um den inneren Frieden geht, niemand so tun darf, als seien Sozialdemokraten in die Nähe solcher zu rücken, die nicht für die Freiheit sind. ({1}) Wenn Sie dieses weiterführten, dann müßten Sie sich auch gegen jene wenden, die so tun, als wären Sozialdemokraten für Terror oder für Terroristen. Im übrigen ist nicht vergessen, daß Sie einmal in einer früheren Situation der Berliner Politik die Frage gestellt haben, ob man nicht die „Politik der offenen Wunde" treiben oder überlegen müßte. ({2}) Meine Damen und Herren, von dieser Zeit bis zum heutigen Tage zieht sich eine Haltung der CDU/CSU, die in entscheidenden Situationen der Berlin- und Deutschlandpolitik eben nein gesagt hat. Aus dieser Situation und Erfahrung her können Sie doch heute nicht so tun, als seien Sie plötzlich stolz auf die Errungenschaften der sozialliberalen Berlin-Politik, die Sie immer abgelehnt haben. ({3}) Wir haben in keinem Punkt und zu keiner Situation gesagt, der Herr von Weizsäcker sei ein Sicherheitsrisiko. Dies kann man doch gar nicht sagen, und es sagt auch niemand. Aber der Punkt ist doch, daß Herr von Weizsäcker von Ihren Freunden in Berlin nicht getragen, sondern ertragen wird. ({4}) Es ist doch so, daß die CDU in Berlin der potentiell stärkste Landesverband der Vierten Partei ist. Das ist doch der Punkt! ({5}) Aus diesem Grunde ist es in der Sache berechtigt, ({6}) Sorge zu haben. Wenn Herr von Weizsäcker Regierender Bürgermeister würde und wenn die CDU dort die Verantwortung hätte, dann wüßte man eben nicht, welche Politik gemacht würde. Wenn eine Politik gemacht würde, wie Graf Huyn und andere sie hier vertreten haben, wäre mehr als eine Irritation fällig. Dann hätten wir alle Grund zur Sorge für Berlin. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Narjes. Meine Damen und Herren, ich wäre aber doch dankbar, wenn gerade in den Fünfminutendebatten der Redner fairerweise die Möglichkeit hätte - von allen respektiert -, diese Zeit auch auszunutzen. Er sollte nicht immer unterbrochen werden.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Kollege Bahr seine Rede zum Anlaß genommen hat, hier die Berliner Diffamierungskampagne gegen Richard von Weizsäcker fortzusetzen. ({0}) Ich kann nur eines sagen: Der Landesverband Berlin steht geschlossen hinter Richard von Weizsäkker! ({1}) Der Bundeskanzler, um den es hier in dieser De- batte geht, hat es für richtig gehalten - ich wiederhole es -, einen künftigen CDU-Senat für das Land Berlin als einen Anlaß zur Irritation, d. h. der Verunsicherung und der Beunruhigung, ausgerechnet des Westens zu beschreiben, also den alliierten Schutzmächten und den Berliner Bürgern zu signalisieren, daß die CDU ein Sicherheitsrisiko für diese Stadt sein soll. Diese Anschwärzung, diese Diffamierung ist mehr als eine Wahlkampfentgleisung, sondern offensichtlich wohlüberlegtes Stichwort für die weitere Linie des Wahlkampfs oder des Wahlkampfholzens der SPD in Berlin. Es ist dies ein weiterer geistiger Beitrag des Bundeskanzlers zur Führung in unserem Lande. Daß ausgerechnet ein Bundeskanzler der SPD diesen Vorwurf erhebt, ist geradezu grotesk; in diesen Tagen, in denen die SPD wie nie zuvor in den letzten Jahren Anlaß zur Irritation und Verunsicherung des Westens bietet. ({2}) Irritation, das ist die tägliche Besserwisserei des Bundeskanzlers gegenüber seinen Kollegen in den westlichen Hauptstädten. ({3}) Noch vor wenigen Monaten hat mir der Bundeskanzler an dieser Stelle vehement widersprochen, als ich die Gefahr einer Schaukelpolitik aufgezeigt habe. Inzwischen hat es Herr Wehner für richtig gehalten, ohne Rücksicht auf die Verbündeten eine sogenannte politische Abrüstungsinitiative zu fordern, eine Initiative, mit der das lange Ringen aller Partner des Westens um eine gleichgewichtige Abrüstung im MBFR-Bereich trotz der erdrückenden Panzerübermacht der Sowjetunion unterlaufen werden soll. Das ist Verunsicherung und nichts anderes. ({4}) In der Tat: Es gäbe eine Reaktion des Westens auf einen Wahlsieg der CDU in Berlin, nämlich eine Reaktion der Erleichterung ({5}) darüber, daß in Berlin wieder zuverlässige Politik einzieht, der Erleichterung darüber, daß im Berliner Rathaus fortan wieder Realismus herrschen würde. ({6}) Vor wenigen Monaten noch haben die Vorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien zusammen mit dem Bundespräsidenten in Anwesenheit des Bundeskanzlers eine Erklärung zu Berlin verabschiedet, in der Berlin als eine nationale Aufgabe beschworen wurde. Wir waren der Ansicht, daß diese mühsam zustande gekommene Erklärung als Ausdruck der Solidarität aller Demokraten mit Berlin und als eine Bekundung ihres gemeinsamen Willens verstanden werden sollte, in nationalen Aufgaben und in Notfällen über die Parteien hinweg zusammenzustehen und entschlossen und entschieden zu handeln. Diese Gemeinsamkeit will der Bundeskanzler offenkundig aufkündigen, wenn er mit seiner Diffamierung der größten deutschen Partei und der größten Partei in Berlin die Fähigkeit absprechen will, Regierungsgeschäfte in Berlin und im Bunde verantwortlich zu führen. ({7}) Wie kann der Bundeskanzler erwarten, daß bei einer solchen gegenseitigen Einschätzung noch das notwendige Minimum an gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Achtung erhalten bleibt, von denen der Bürger unseres Staates ohnehin zuwenig und nicht etwa zuviel verspürt? Hat sich der Bundeskanzler, hat sich die SPD eigentlich überlegt, wie sich die von ihm begonnene Auseinandersetzung in Berlin für die Wirtschaft, für die Arbeitnehmer dieser Stadt auswirkt? Ich muß es mir versagen, das im einzelnen nachzuweisen; die Negativliste ist lang. Ich schließe mit der Feststellung: Wir stehen am Beginn der letzten Phase des Wahlkampfes vor einem Scherbenhaufen der gemeinsamen Berlin-Politik. Es liegt jetzt ausschließlich am Bundeskanzler - und nur an ihm -, durch eindeutige und über jeden Zweifel erhabene Erklärungen und Taten das von ihm geschaffene Unheil zu korrigieren. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wer schon ständig den Wahlsieg verteilt, ist doch drauf und dran, aus der Aktuellen Stunde eine Demoskopiestunde zu machen. Das wird hier vorgeführt. Wenn ich mir die Redner der CDU und die Fragesteller in der Fragestunde vor Augen führe, muß ich an den Spruch von Reinhold Maier denken, der einmal gesagt hat: Wenn man mit der Batterie in eine Stellung hineinfährt, soll man sich vorher überlegen, wie man aus dieser Stellung wieder herauskommt. Die CDU ist doch im Moment drauf und dran, sich selbst zu umzingeln. ({0}) Sie sind irritiert über das, was der Bundeskanzler gesagt hat. Sie haben in der Fragestunde und auch jetzt wieder deutlich gemacht; daß wir uns hinsichtlich des Zieles einig sind, nämlich für Freiheit, Frieden und Sicherheit zu sorgen. Sie haben es doch ganz leicht, Ihre Irritation über die Rede des Bundeskanzlers zu überwinden: indem Sie nicht nur dem deutschen Volk, sondern insbesondere den Berlinern deutlich machen, was Sie getan haben, damit für die Freiheit und die Friedenssicherung der Berliner Fortschritte erzielt werden. ({1}) Dann sieht es natürlich ein bißchen mager aus. ({2}) Wenn Sie sagen, Verträge sind zu halten, ist das prima. Nur, ich bin der Meinung, Verträge sind nicht nur zu halten, also sozusagen zu ertragen, zu erdulden, sondern sie sind auch auszufüllen, sie sind zu beleben, damit aus ihnen das Beste gemacht wird. Als wir im Bundestag jedoch von einem Vertragswerk zum anderen schritten, um etwas im Sinne der Friedenssicherung, der Entspannung gemeinsam mit unseren westlichen Verbündeten zu erreichen, hatten wir den starken Beschuß von Ihrer Seite; nicht Beschuß einer Opposition in dem Sinne, daß die Regierung unterstützt werden sollte, vielleicht noch etwas mehr zu erreichen, sondern ein Beschuß, der die Regierung manchmal in allergrößte Schwierigkeiten brachte, weil Sie nämlich frontal gegen diese Politik angegangen sind. ({3}) Meine Damen und Herren, wenn Sie sich beklagen - ich möchte meinen, mit Recht beklagen -, daß Sie den Eindruck haben, daß Sie zum Sicherheitsrisiko abgestempelt werden sollen, dann müssen Sie doch einmal in sich selbst hineinhören: Wie schnell sind Sie dabei, jemanden zum Sicherheitsrisiko stempeln zu wollen, ({4}) und zwar mit ganz anderen Formulierungen als der Berliner Formulierung des Herrn Bundeskanzlers, aus der Sie das herauszulesen versuchen: ({5}) knallhart und unmißverständlich. Meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor: Die Berliner haben als erste gespürt, daß diese Politik der Verständigung mit dem Osten, die Absicherung mit dem Westen fortführend und Freiheit und Frieden für Berlin sichernd, ({6}) den Berlinern Vorteile gebracht hat. ({7}) Die Berliner wissen und haben es als erste gespürt, wer für diese Politik verantwortlich ist, nämlich die sozialliberale Koalition, nicht die Opposition. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulze.

Waldemar Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002110, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wenn ich ein erstes Fazit dieser Aktuellen Stunde ziehen soll, obwohl ich mich eigentlich weigern muß, „aktuell" dazu zu sagen, kann ich nur feststellen: bei der CDU/CSU ist bisher herausgekommen, sie möchte in der Berlin-Politik eigentlich alles anders machen, und zweitens ist herausgekommen, sie möchte alles genauso machen, wie es jetzt ist. ({0}) Nun reden Sie hier über das, was der Kanzler über Sie gesagt hat. Das kann ich verstehen, das ist Ihnen sicher unter die Nägel gegangen, denn Sie sind ja eigentlich irritiert, wenn Sie einmal Ihren eigenen Kandidaten nehmen, der Ihnen über Nacht geboren worden ist, und dies nun für eine . demokratische Partei. Die Kollegen kamen morgens nach Hause und stellten fest, daß in der Zeitung stand, Herr von Weizsäcker sei der neue Spitzenkandidat. Ich kann schon verstehen, daß Sie da irritiert sind. Ich kann auch verstehen, daß Sie irritiert sind über das, was der Herr Staatsminister Wischnewski hier noch einmal zum Abstimmungsverhalten Ihres Berliner Kandidaten in wesentlichen Fragen der Berlin- und Deutschland-Politik gesagt hat. ({1}) Dann müssen Sie sich noch vorstellen: der Herr von Weizsäcker war noch gar nicht ganz in Berlin, da hat sich der Herr Lummer schon geäußert, daß er eigentlich für eine Vierte Partei sei. ({2}) Insofern verstehe ich schon Ihre Irritation. Nehmen Sie dann noch hinzu, wieviel Papiere nun schon in Ihren Reihen grassieren: das eine gegen Weizsäcker, weil er zu lasch ist und sonst was alles, da soll einmal der Lummer her; das nächste Papier - ({3}) - Unter diesen Papieren stehen doch Ihre Kreisverbände. Dazu müssen Sie sich doch einmal Schulze ({4}) äußern. Ich sehe nur, daß Sie so richtig schön irritiert sind. ({5}) Als nächste. Irritation kommt natürlich noch hinzu: Es erscheinen eine Annonce und ein Plakat, und dazu erklärt der Herr Weizsäcker, dies sei für ihn wichtig, daß er sich auf die Politik Ernst Reuters berufe. Der Herr Weizsäcker soll doch einmal sagen, ob er Mitglied der CDU ist oder ob er übertreten möchte. Der soll sich freundlicherweise doch einmal auf das berufen, was Sie hier vertreten. Das wäre doch eigentlich wichtig. ({6}) Natürlich müssen Sie sich entscheiden, wer in Berlin das Sagen haben soll. ({7}) Soll nun Lummer das Sagen haben, der im Moment zum Stillhalten gezwungen wird, oder soll der Herr Weizsäcker das Sagen haben? Im Moment tönt das aus zwei Richtungen. Auch fällt mir da noch eine Äußerung eines lieben Kollegen von mir aus Ihrer Fraktion ein, die er vor zwei Tagen im Flugzeug gemacht hat. Ich hatte ihn gefragt: „Kommen Sie denn nicht endlich mal mit Wahlkampf nach Berlin? Sie müssen doch etwas tun." Darauf sagte er, ich möge keine Sorge haben; ein paar Tage vor der Wahl würden sie noch einige hunderttausend Stobbe-Postkarten verteilen. - Das kann ich verstehen, denn ich sehe: Sie haben gegenüber dem jetzigen Regierenden Bürgermeister Stobbe keinen wirklich ernsthaften Kandidaten anzubieten. ({8}) Ich will Ihnen sagen: Ich finde die Äußerung unseres Bundeskanzlers ein bißchen vorschnell, weil ich nicht sehen kann, daß da irgendwann ein aktueller Bezug sein wird. Sie werden die Wahlen in Berlin mit Sicherheit nicht gewinnen, insofern gibt es da kein Risiko. ({9})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Staatsminister Wischnewski.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich muß in der Tat von dem Zitat des Herrn Bundeskanzlers, das ich hier vorgelesen habe, etwas revidieren. Ich bitte dafür um Verständnis. Ich habe vorhin wie folgt zitiert: ... da er doch der Partei der Herren Kohl und Strauß und wie sie alle heißen angehört .. . Es müßte natürlich heißen: „den Parteien". Dafür bitte ich vielmals um Entschuldigung. ({0}) Ich wollte nur, daß diese Frage korrekterweise in Ordnung gebracht wird. ({1}) Ich möchte zuerst einmal eine Reihe von Vorwürfen, die gegenüber dem Herrn Bundeskanzler erhoben worden sind, in aller Deutlichkeit zurückweisen. ({2}) Wenn ausgerechnet der Kollege Graf Huyn von gezielter Diffamierung spricht, dann ist dies ein Beweis dafür, daß er sich offensichtlich an sein Buch nicht mehr so genau erinnern kann. Dieses Buch ist doch .der typische Beweis für eine gezielte Diffamierung innerhalb der eigenen Partei. Daran sollten Sie immer denken, wenn Sie diesen Begriff brauchen. ({3}) Das zweite: Ich verstehe Ihre Nervosität überhaupt nicht. Um Ihren Wahlkampf in Berlin scheint es ganz schlecht zu stehen, denn sie gebrauchen hier ständig Formulierungen, die der Herr Bundeskanzler überhaupt nicht verwendet hat. ({4}) Der Bundeskanzler hat nicht von einem Sicherheitsrisiko gesprochen, wie es hier behauptet worden ist. ({5}) Der entscheidende Satz bei dem Zitat des Herrn Bundeskanzlers lautet - ich darf das noch einmal in Ihre Erinnerung rufen -: ... ob er nicht in Wirklichkeit eine ganz andere Deutschland-, Berlin- und Außenpolitik zu befolgen gezwungen wäre. Dieses ist die entscheidende Formulierung. Wenn Ihnen die Formulierung des Herrn Bundeskanzlers nicht paßt, dann erklären Sie heute hier vor dem Deutschen Bundestag, daß Sie bereit sind, die Deutschland-, die Berlin- und die Außenpolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Dann ist die Sache in Ordnung. ({6}) Aber in Wirklichkeit machen Sie natürlich eine ganz andere Politik. Wer kann denn bestreiten, daß Sie die Politik, die wir gegenüber dem anderen deutschen Staat betreiben, bis aufs äußerste bekämpfen? Wer von Ihnen kann denn bestreiten, daß Ihr deutschlandpolitischer Sprecher - wie es so schön heißt - aus China zurückgekommen ist und gesagt hat, man solle nicht der DDR 'das Geld geben, sondern lieber den Chinesen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine ganz andere und gefährliche Politik für Berlin. ({7}) Noch etwas möchte ich Ihnen sagen. Sie möchten nun gern die Vergangenheit - Ihr Abstimmungsverhalten - auslöschen und möchten an bestimmte Dinge nicht mehr erinnert werden. Das eine ist untrennbar mit' dem anderen verbunden. Ich habe dafür Verständnis. Aber so ist das nun einmal; dies muß man zur Kenntnis nehmen. Und derjenige, der bereit ist, besondere Verantwortung zu übernehmen, muß sich das, was seine Person betrifft, ganz besonders deutlich sagen lassen. Nun fragen Sie nach Politikern, die irritiert sind. Fragen Sie doch bitte nicht mich, sondern diejenigen CDU-Politiker, die in der Zeit, als über die Verträge entschieden wurde, in der westlichen Welt ausgeschwärmt sind - ich könnte Ihnen sagen, wer wo gewesen ist - und dort versucht haben, Unterstützung für ihr Nein zu bekommen. Und sie haben sie in keiner westlichen Hauptstadt bekommen. Erinnern Sie sich daran! ({8}) Sie können in Ihrer eigenen Fraktion nachfragen; ich könnte Ihnen sehr genau sagen, wer unterwegs gewesen ist und wer in dieser Angelegenheit mit wem gesprochen hat. ({9}) Dies ist ein ganz klarer und eindeutiger Vorgang. ({10}) Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, will ich Ihnen folgendes sagen. Sie haben sich darum bemüht, einen Teil des Berliner Wahlkampfs in den Deutschen Bundestag zu verlegen. Das ist Ihre Sache. Nur eines sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit Für die Bindungen und für die Verbindungen, an denen wir jeden Tag arbeiten, reicht das als Gegengewicht nicht aus. Wir betreiben die Politik, die den Berlinern weiterhilft! ({11})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU ist darüber enttäuscht, daß keiner der Redner der beiden Regierungsfraktionen den Mut und den Mumm gehabt hat, eine unglaubliche, eine ungerechte, eine unwahre, eine diffamierende Behauptung des Bundeskanzlers gegenüber unserem Freund von Weizsäcker und der Politik der CDU zu korrigieren und zurückzunehmen. ({0}) Meine Damen und Herren, der Herr Staatsminister hat sich verschiedentlich Mühe gegeben, in einem Rückgriff auf die Vergangenheit den falschen Eindruck zu erwecken, als ob unsere Politik eine Gefährdung der Politik der Freiheit, der Sicherheit und der Zusammenarbeit mit allen freien westlichen Völkern bedeuten würde. Ich muß an dieser Stelle doch noch einmal daran erinnern, daß Konrad Adenauer in diesem Hause, als er gegen Ihre Meinung und mit der harten Unterstützung der CDU/ CSU seine Politik zu den westlichen Alliierten hin entwickelte, mit dem schmähenden Ruf „Kanzler der Alliierten" begrüßt worden ist. ({1}) - Meine Damen und Herren, weil der Kollege Wehner gerade so eine merkwürdige Korrektur eines jedermann bekannten Tatbestands - an den sich damals sogar ein Beschluß des Präsidiums anschloß, denjenigen, der sich so ausgedrückt hatte, von einigen Sitzungen des Bundestages auszuschließen ({2}) vorzunehmen versucht, da Herr Wehner gerade wieder, wie so oft, die Wahrheit und die Geschichte korrigiert, ({3}) muß ich sagen: ({4}) Nicht durch unsere Politik ist der Westen irritiert, ({5}) sondern, Herr Wehner, durch Ihre Politik, durch das, was Sie in den letzten Tagen und Wochen gemacht haben! ({6}) - Meine Damen und Herren, wer sich so einläßt und versucht, die Darlegung der Wirklichkeit mit verbalem Terror niederzuhalten, ({7}) kann nicht damit rechnen, daß er in seiner Argumentation noch in der entsprechenden und gehörigen Weise ernst genommen wird. ({8}) Ich möchte gern hinzufügen, daß jedermann bei unseren Alliierten weiß, daß die Politik der Christlich-Demokratischen Union ({9}) die entscheidende Grundlage gebildet hat. Auch der Bundeskanzler und die uns hier zugemutete erneute Verlesung dieser inkriminierten Sätze können nicht davon ablenken, ({10}) daß Herr Wischnewski, obwohl er wiederholt aufgefordert worden ist, nicht in der Lage war, die Behauptung, die er aufgestellt hat, zu beweisen und Roß und Reiter zu nennen. ({11}) Im übrigen: Ich finde es auch eine merkwürdige Sache, die Tatsache zu übergehen, daß die Partei, die in Berlin die größte Zahl der Wähler hinter sich hat, die Christlich-Demokratische Union ist. Wenn man einen Eindruck erweckt, wie es durch den Vortrag hier geschehen ist, dann muß ich allerdings sagen: Es muß um die Bundesregierung und ihre beiden Parteien in Berlin und darüber hinaus, in der Tat schlecht bestellt sein. ({12})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Marx sehr dankbar, daß er durch die Art seiner Rede, ({0}) die sich von dem, was Herr Kollege von Weizsäcker in Berlin sagt, völlig unterscheidet, nochmals unterstrichen hat, wie wahr die Feststellung ist: Keiner weiß, welche Politik Sie machen würden, wenn Sie dort drankämen. ({1}) Wenn ich speziell den Kollegen von der Opposition etwas sagen darf: Vielleicht denken Sie doch einmal darüber nach, daß man, wenn man sich in der Außen-, Deutschland- und Berlinpolitik so verrannt hat, den Mut aufbringen muß, den Herbert Wehner in einer ähnlichen Situation für uns aufgebracht hat. Das wäre eine Befreiung für Sie und auch für unsere ganze Außen-, Deutschland- und Berlinpolitik. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde. Damit kehren wir zu Punkt 2 der Tagesordnung zurück: Beratung des Jahresgutachtens 1978/1979 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1979 der Bundesregierung. Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Dr. Schachtschabel.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich richtig erinnere, ist zur Einleitung der soeben abgeschlossenen Aktuellen Stunde von der Opposition gesagt worden, man wolle gewisse Themen, gewisse Dinge - wie Herr Kunz sagte - nicht in den Berliner Wahlkampf einbeziehen. Da muß ich die Vertreter der Opposition allerdings daran erinnern, daß laut Angaben im Nachrichtenwesen am vorigen Wochenende die CDU/ CSU bei der Bundeskonferenz ihrer Mittelstandsvereinigung in Berlin eine Neuauflage ihrer Kampagne „Freiheit 'statt Sozialismus" versucht, vor der Gefahr einer Sozialisierung mittelständischer Selbständiger gewarnt und zugleich lautstark beklagt hat, der gewerbliche Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland werde sträflich vernachlässigt. ({0}) - Ich lasse es Ihnen anheimgestellt, meine Damen und Herren von der Opposition, inwieweit Sie das dazurechnen, was man hier mit. Recht - wie es Herr Kollgege Bahr getan hat - als eine Diffamierung zu bezeichnen pflegt. ({1}) Denn offenbar fehlt es der Opposition an mittelstandspolitischen Konzeptionen und Ideen, oder aber sie greift in ihrer Hilflosigkeit bewußt zu unwahren und unzutreffenden Behauptungen. Das von der „Sozialisierung" der mittelständischen Selbständigen klang ja, auch in den Ausführungen der übrigen Redner der Opposition heute morgen durch. Ebenfalls bei Herrn Kollegen Biedenkopf war davon die Rede, wenn auch in einer etwas anderen Art, vielleicht nicht so primitiv wie in Berlin vor der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, vielleicht etwas höher, vielleicht etwas philisophischer. vielleicht auch etwas unverständlicher angelegt. Beängstigend ist dabei, daß sich die Opposition nicht einmal die Mühe gemacht hat, diejenigen Grundsatzprogramme und Aussagen zu studieren, die für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ebenso wie für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sowie für die sozialliberale Bundesregierung, ich betone, verbindliche Handlungsgrundlage ihrer Politik für Selbständige sind. Es hätte leicht festgestellt werden können, daß die Sozialdemokratische Partei schon immer der Konzentration im Wirtschaftsleben und der Vermachtung der Märkte entschieden entgegengetreten ist und sich gezielt für leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen eingesetzt hat. Ich verweise auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt vom 16. Dezember 1976, in der ausdrücklich betont wird, daß die kleinen und mittleren Selbständigen als unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung angesehen werden. Aber auch das müssen wir der Opposition entgegenhalten: Es war nicht die CDU/CSU, sondern diese Koalition, die erstmals überhaupt verbindliche Grundsätze einer Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen entwickelt hat. Ferner ist unbestreitbar, daß sich das auf der Grundlage dieser Grundsätze aufgebaute Aktionsprogramm - übrigens nach übereinstimmender Auffassung von Sachverständigen und fachkundigen Verbänden - als außerordentlich wirkungsvoll erwiesen hat. Die Behauptung, die auch heute morgen mehrfach anklang, der gewerbliche Mittelstand werde von der Bundesregierung vernachlässigt, spottet daher jeder Beschreibung. Gerade der Jahreswirtschaftsbericht 1979 verdeutlicht erneut, daß die sozialliberale Bundesregierung in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik den kleinen und mittleren Unternehmen einen hohen Stellenwert einräumt. ({2}) Wir brauchen von der Opposition nicht darüber belehrt zu werden, daß wirtschaftliches Wachstum und die Sicherung von Arbeitsplätzen in entscheidendem Umfang von der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft gerade des gewerblichen Mittelstandes abhängen. Die jüngsten Zahlen der Kreditanstalt für Wiederaufbau über Rekordzusagen im Kreditgeschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen zeigen zur. Genüge, daß der gewerbliche Mittelstand zu den Motoren unserer Wirtschaftsentwicklung zählt. Dies wird auch vom Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1978/1979 - ich verweise auf Ziffer 67 - bestätigt. Denn der Sachverständigenrat stellt verstärkte Investitionen vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen fest. Deren Investitionsquote ist sogar über diejenige der großen Unternehmen hinausgewachsen. Eine ganz besondere Rolle kommt nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion den kleinen und mittleren Unternehmen auch bei der Bewältigung des noch, vor uns liegenden und bei weitem noch nicht abgeschlossenen Strukturwandlungsprozesses zu. Die spezifische Stärke kleiner und mittlerer Unternehmen, insbesondere ihre Anpassungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft, insgesamt ihre größere Flexibilität, ermöglichen ein schnelles Reagieren auf die sich ständig verändernde Marktsituation. Dies macht sie zusammen mit ihrer Marktnähe und ihrer starken Investitionsbereitschaft zu besonders befähigten Trägern des strukturellen Wandlungsprozesses. Sie haben heute bereits in anderen Ausführungen von den Vertretern der Koalition gehört, wie stark hier Maßnahmen ergriffen worden sind, so daß ich darauf verzichten kann, diese zu wiederholen. Aber ich glaube, es ist wichtig und ratsam, neben all diesen Programmen und Maßnahmen, die getroffen worden sind, noch einen Punkt zu erwähnen. Abgesehen davon, daß neben Beratung und weiterer Information für kleine und mittlere Unternehmen sehr viel getan wird und noch mehr getan werden wird, verweisen wir vor allen Dingen auf die mit Existenzgründungen verbundenen Problemstellungen. Die Bundesregierung wird, wie wir wissen, schwergewichtig ein Eigenkapitalhilfeprogramm verabschieden, das den häufig anzutreffenden Mangel an Risikokapital verringern und den kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zur Beschaffung der notwendigen Fremdmittel erleichtern soll. So heißt es im Jahreswirtschaftsbericht - ich verweise auf Ziffer 36 -, daß „... langfristige Darlehen mit Eigenkapitalfunktion für Existenzgründungen zur Verfügung" gestellt werden. Die Bundesregierung sieht sich in diesen ihren Absichten vom Sachverständigenrat bestätigt, der in einer ausreichenden Eigenkapitalausstattung, der Förderung von Unternehmensneugründungen, der Unterstützung der Forschungstätigkeit in kleinen und mittleren Unternehmen und dem Ausbau des Beratungswesens ebenfalls maßgebliche Bedeutung zumißt Mit diesen neuen Initiativen ergänzt die sozialliberale Bundesregierung ihre bereits zuvor praktizierte Förderpolitik sinnvoll. Denn schon in der Vergangenheit hat die Bundesregierung in den erwähnten Bereichen umfangreiche Hilfestellungen angeboten. Dies gilt, insbesondere für die Förderung von Existenzgründungen. Die hierfür zur Verfügung gestellten Mittel sind mittlerweile auf über 500 Millionen DM angewachsen. Der zügige Abfluß dieser Existenzgründungskredite spricht im Gegensatz zu den Behauptungen der Opposition durchaus dafür, daß der Mut zur Gründung selbständiger Existenzen ungebrochen ist. Wenn man der Panikmache der CDU/CSU Glauben schenken würde, so müßte durch die angeblich völlig verfehlte Wirtschaftspolitik der sozialliberalen Bundesregierung geradezu eine Flucht aus der Selbständigkeit eingesetzt haben. Für diese abstruse Behauptung greift sich die CDU/CSU willkürlich kurzfristige Zahlenreihen aus der Statistik heraus, um zu zeigen, daß etwa von 1970 bis 1977 die Zahl der Selbständigen gesunken sei. Wir haben auch darüber heute morgen einige Ausführungen gehört, und deswegen erlaube ich mir, dieses Beispiel herauszugreifen. Denn hier ist es dringend erforderlich, diese Angaben ins rechte Licht zu rücken und sie sachbezogen zu korrigieren. Ein Blick in die Statistik zeigt nämlich, daß sich die Zahl der Selbständigen zwar seit .1960 beträchtlich verringert hat, nämlich um 274 000, wenn ich von der Landwirtschaft absehe. Allerdings ist es nicht uninteressant - das verschweigt die Opposition -, daß sich, wie sich aus der Statistik ergibt, die Zahl der Selbständigen, was ich zu beachten bitte, von 1960 bis 1970, also unter den CDU/CSU-Bundeskanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger, weitaus stärker als im Zeitraum von 1970 bis 1977 unter den sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen verringerte. ({3}) So verminderte sich die Zahl der Selbständigen unter den CDU/CSU-Regierungen von 1960 bis 1970 immerhin um 202 000, während sie sich im Zeitraum von 1970 bis 1977, seit Amtsantritt der sozialliberalen Koalition, lediglich um 72 000 verringerte. Für 1977 konnte sogar ein Anstieg der Selbständigenzahl um 16 000 festgestellt werden. Dies bedeutet erstmalig seit 1960 - ich betone: seit 1960 - eine Umkehr des bisherigen Trends. Ich meine, daß diese wenigen Hinweise genügen, die Unredlichkeit - ich sage schon: die Unredlichkeit - der von der CDU/CSU systematisch betriebenen Verunsicherungskampagne im Bereich der Selbständigenpolitik zu verdeutlichen. Natürlich ist die aufgezeigte Entwicklung vielschichtig. Sie spiegelt vor allem einen Umstrukturierungsprozeß unserer Volkswirtschaft wider, in dessen Folge einerseits traditionelle Tätigkeitsbereiche für Selbständige entfallen, andererseits aber auch neue entstanden sind. Darauf ist mehrfach auch von seiten der Bundesregierung aufmerksam gemacht worden. So stand etwa einem starken Rückgang der Selbständigenzahlen im Handel und einem etwas weniger starken Rückgang im produzierenden Gewerbe ein relativ konstanter Anstieg im Dienstleistungsbereich gegenüber. Zur Versachlichung der Diskussion - der Opposition sei es nachdrücklich zum Lesen. empfohlen - mag eine ausführliche Untersuchung des „Instituts für Mittelstandsforschung" beitragen, aus der sich ergibt, daß nicht, wie von der CDU/CSU behauptet, die angeblich unerträgliche Abgabenbelastung, nicht die angeblich überbordende Bürokratisierung und schon gar nicht eine verfehlte Wirtschaftspolitik Hauptursachen für Insolvenzen im mittelständischen Bereich sind. Vielmehr weist das „Institut für Mittelstandsforschung" nach - ich zitiere -, „daß Insolvenzen überwiegend durch innerbetriebliches Fehlverhalten zustande kommen", d. h., daß Mängel in der Betriebsführung wichtige Entstehungsquellen für Insolvenzen sind. Hier also gilt es unter anderem anzusetzen. Die Bundesregierung hat dies bisher schon getan und wird es erfolgreich fortsetzen, um damit kontinuierlich die Förderungsmaßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit qualitativ und quantitativ intensiv zu verbessern. Die hierfür zur Verfügung gestellten Mittel - das muß auch einmal wieder gesagt werden - haben sich von 1970 bis 1978 mehr als vervierfacht. Neben diesen vom „Institut für Mittelstandsforschung" als ausschlaggebend genannten Ursachen für den Zusammenbruch von Unternehmen führen ohne Frage eine Reihe von weiteren Faktoren. dazu, daß insbesondere kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Dazu gehören die Veränderung der volks- und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, spezifische Finanzierungsprobleme, veränderte Verbrauchergewohnheiten und damit verbundene Änderungen in der Wirtschaftsstruktur ebenso wie vielfältige Gründe, die im persönlichen Bereich zu suchen sind. Ich denke etwa an familiäre Gründe und insbesondere an ungelöste Nachfolgeprobleme in zahlreichen Klein- und Mittelbetrieben. Welches Gewicht diesen persönlichen Gründen z. B. in einem typisch mittelständischen Wirtschaftsbereich zukommt - hier würde ich gerne meine Ausführungen an den offenbar nicht anwesenden Herrn Haberl richten -, zeigt eine Ubersicht der Handwerkskammer Braunschweig, die in ihrem Vierteljahresbericht im vierten Quartal 1978 enthalten ist. Von den 123 dort registrierten Gewerbeabmeldungen erfolgten allein 97 aus Anlässen wie Tod, Alter, Krankheit, familiären Gründen, Übergabe des Geschäfts und dergleichen mehr. Nur. eine einzige Gewerbeabmeldung erfolgte wegen Auftragsmangels, ebenfalls nur eine einzige wegen Kapitalmangels. Fürwahr, meine Damen und Herren, eindrucksvolle Belege für die angebliche Mittelstandsfeindlichkeit der sozialliberalen Koalition Im übrigen - das sei am Rande bemerkt - will ich nur noch hinzufügen, daß selbstverständlich neben den abgemeldeten Handwerksbetrieben auch eine ganze Reihe wieder dazugekommen sind. Ganz besonders gefährdet ist die Existenz kleiner und, mittlerer Unternehmen jedoch durch den spürbaren Konzentrationsprozeß. Auch hier war es die Bundesregierung, nicht die CDU/CSU, die richtungweisende Initiativen zur Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs und damit zur Bändigung konzentrativer Prozesse eingeleitet hat. Dies war bereits mit der zweiten Kartellgesetznovelle 1973 der Fall und ist auch jetzt in der vierten Kartellgesetznovelle, die die Bundesregierung vorgelegt hat, zentrales Anliegen sozialliberaler Wettbewerbspolitik. Die Opposition wird Gelegenheit erhalten, klarzustellen, ob sie ihren Einsatz für kleine und mittlere Unternehmen auf die deklamatorischen Bekundungen in Sonntagsreden bei Mittelstandsvereinigungen beschränken will; denn in Berlin wurde deutlich gesagt, man wolle den Entwurf zur vierten Kartellgesetznovelle ablehnen. Wir werden sehen, meine Damen und Herren, was daraus wird und wie sich die Opposition, die immer lauthals von Marktwirtschaft und Wettbewerb redet, zu konkreten Fällen stellt, und ob sie denn wirklich Marktwirtschaft und wirklich Wettbewerb meint. Das wird erst einmal zu beweisen sein. ({4}) Ich glaube, am konkreten Verhalten der Opposition vor allen Dingen bei den Beratungen dieses für die Existenzfähigkeit des gewerblichen Mittelstandes so wichtigen Gesetzentwurfs wird sich zeigen, ob sie es mit ihren lautstarken Bekenntnissen zu Wettbewerb und Mittelstand ernst meint oder ob sich diese erneut als bloße Lippenbekenntnisse entpuppen. Dies, meine Damen und Herren, waren die Bemerkungen, die dazu zu machen waren, daß heute morgen hier und auch anderswo gerade die Mittelstandspolitik und die Selbständigenpolitik von der Opposition kritisiert worden ist. Zsuaminenfassend können wir sagen, daß die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik der sozialliberalen Bundesregierung erfolgreich war. Das hört die Opposition natürlich nicht gerne. Aber diese Politik war eben erfolgreich. Daran können Sie nun nichts machen. ({5}) Selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die nun nicht gerade sehr sozialdemokratenfreundlich ist - ich will da kein härteres Wort gebrauchen -, hat jüngst bestätigt, daß diese Wirtschaftspolitik Respekt abnötige. Ein Lob in dieser verhaltenen Weise, meine ich, kann man, wenn es von einer solchen Zeitung kommt, als ein ganz großes Lob ansehen. , ({6}) Zum Schluß verweise ich Sie noch auf ein paar Zitate; denn es ist manchmal notwendig, daß wir Sie ein bißchen zum Studium veranlassen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Sie während Ihrer Personaldebatten gar nicht mehr richtig zur Aufnahme der aktuellen Vorgänge und des dazu erforderlichen Studiums kommen. ({7}) Sie erschöpfen sich da offenbar. Deswegen also zum Schluß noch ein paar kurze Zitate. Ich verweise auf das „Deutsche Wirtschaftsblatt - Zeitung für Handwerk, Handel und Gewerbe", Jahrgang 31, Nr. 2, vom 25. Januar 1979, wo nach einem Umfrageergebnis der Handwerkskammer Ulm festgestellt wird, daß die Selbständigkeit wieder mehr gefragt sei. Dann erwähne ich noch den Bericht der Pfälzischen Handwerkskammer in Kaiserslautern, in dem gesagt wird, daß auch das pfälzische Handwerk nicht mehr auf - ich zitiere - wackligem, sondern wieder auf goldenem Boden stehe. Kann man eigentlich mehr erreichen? Diese Angaben, die sich noch vervollständigen ließen, beweisen, daß die im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik durchgeführte Selbständigenpolitik der sozialliberalen Bundesregierung greift und sichtbare Erfolge bringt. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pieroth.

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, mein Vorredner hätte diese Rede vor einer Versammlung des gewerblichen Mittelstands draußen im Land gehalten. ({0}) Deren Realität ist nicht der Jahreswirtschaftsbericht, deren Realität ist nicht die angebliche Verunsicherung durch die Opposition, deren Realität ist die steigende Abgabenbelastung, ist die wachsende Reglementierung und Bürokratisierung, ist die Konkursspringflut; ist die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas nicht zuletzt durch Ihre Aktion „Gelber Punkt" . Akademische Mittelstandsreden helfen dem Mittelstand draußen überhaupt nicht, Herr Schachtschabel. ({1}) Graf Lambsdorff, Sie haben heute morgen 70 Minuten geredet. 40 Minuten davon haben Sie nicht für die Regierung, noch nicht einmal gegen die Opposition, wohl aber gegen die SPD gesprochen. Der Beifall von links war entsprechend. Sie werden es gemerkt haben. Um Konsens für die Soziale Marktwirtschaft müssen Sie offensichtlich um so mehr werben, je sicherer sich die Koalition zeitweilig wähnt. Wir sehen es doch alle: Der politische Dissens zwischen Ihnen und Ihrem Koalitionspartner wird halt immer größer. Graf Lambsdorff, Sie gleichen einem General, der ständig befürchten muß, daß ihm große Teile der eigenen Truppe davonlaufen, ja, daß rote Fahnenflüchtige die Waffen gegen ihn selbst kehren. Das ist doch Ihr koalitionspolitisches Schicksal. Sie haben nur noch Spielraum zu taktischen Scharmützeln, aber nicht mehr zur strategischen Gestaltung. Allerdings braucht uns das nicht zu verwundern, wenn man sieht, wie es politisch hinter Ihren Rücken aussieht. Der Wirtschaftsminister muß erleben, daß ihm auf dem Parteitag in Mainz die eigene Partei in den Rücken fällt. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Herr Roth - er ist zur Zeit gar nicht da -, ({2}) fällt ihm in den Rücken. Über Herrn Klose brauchen wir hier nichts weiter auszuführen. Angesichts der Beschlüsse des Europaparteitags der SPD hat es Ihnen, Graf Lambsdorff, offensichtlich vollends die Sprache verschlagen, zumindest hier im Parlament - und hier kommt es ja darauf an. Was sollen Sie auch dazu sagen, wein der Koalitionspartner unter Zustimmung des Bundeskanzlers für Europa Investitionsmeldestellen, für Europa Investitionskontrollen fordert und sich für die 35-Stunden-Woche ausspricht, obwohl der Wirtschaftsminister sich hier in Deutschland genau auf das Gegenteil festgelegt hat - und Deutschland liegt doch nicht irgendwo, sondern ist wesentlicher Bestandteil dieses Europa? ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schachtschabel?

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von Herrn Schachtschabel immer mit Vergnügen. Bitte schön!

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pieroth, ist Ihnen bekannt, daß im Europaprogramm der SPD in Abschnitt III.7 unter dem Titel „Förderung von Klein- und Mittelbetrieben" ein breiter Raum dafür eingeräumt worden ist, daß alle die unternehmerischen Initiativen, für die wir in der Bundesrepublik Deutschland eintreten, auch auf die europäische Ebene übertragen werden?

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schachtschabel, ich weiß nicht, was unter III.7 Ihres Programms steht. Ich weiß nur, daß Sie auf Ihrem Europaparteitag die 35-Stunden-Woche gefordert haben, womit Sie den Tarifpartnern, also auch den Gewerkschaften in der Stahlindustrie zu jenem Zeitpunkt das Geschäft zusätzlich erschwert haben. Darüber habe ich gesprochen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Schachtschabel?

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Pieroth, stimmen Sie mir zu, daß Sie von unseren Unterlagen immer nur die Hälfte lesen?

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schicken Sie mir dieses Blatt zu. Sie brauchen es mir nicht gleich nach hier oben zu bringen. Sie können es bei mir in Zimmer 1026 im Hochhaus abgeben. Dann werde ich auch diese Seite lesen. ({0}) Auf die Mittelstandspolitik komme ich nachher noch zu sprechen. Keine Sorge! Dann können Sie noch einmal dazu Stellung nehmen. Die SPD darf nicht etwas über Europa einführen, was Sie, Graf Lambsdorff, hier ablehnen. Deshalb sollten Sie hier im Plenum des Deutschen Bundestages Ihre Sprache wiederfinden und heute - Sie haben Gelegenheit dazu - diesen SPD-Parteitagsbeschlüssen noch einmal eindeutig widersprechen. Ich komme nun auf den Jahreswirtschaftsbericht zu sprechen. ({1}) Er ist eine recht nüchterne Arbeit. Für Sie war er vielleicht ein bißchen ernüchternd. Weniger nüchtern klingt, was Graf Lambsdorff am 27. Januar 1979 im Westdeutschen Rundfunk gesagt hat. Auf die Frage „Sind Sie selbst mit diesen Aussichten zufrieden?" haben Sie geantwortet, Herr Bundeswirtschaftsminister: Wir sind rundum zufrieden, wenngleich wir selbstverständlich einen schnelleren Abbau der Arbeitslosenquote für wünschenswert halten. Herr Kollege Haussmann hat sich heute ähnlich superoptimistisch geäußert. Er hat gesagt, die Fakten seien sehr gut. Hinsichtlich Ihres „Wir sind zufrieden" : Wir sind auch zufrieden, daß die wirtschaftlichen Daten endlich etwas besser sind, daß das Wachstum nicht mehr ganz so kärglich ist und die Stimmung bei vielen Investoren etwas optimistischer geworden ist. Aber kann man wirklich rundum zufrieden sein oder von sehr guten Fakten sprechen: bei fast 1,2 Millionen Arbeitslosen, bei 1 Million Arbeitslosen bereits im fünften Jahr, bei einer, Herr Bundeskanzler Schmidt, immer gefährlicher werdenden Facharbeiterlücke, bei einer Staatsverschuldung, die langsam unheimlich wird, bei einer Geldentwertung, die wieder erschreckend auf. Touren kommt - von November bis Januar, auf Jahresrate hochgerechnet, 6 %, Graf Lambsdorff -, bei einem Unternehmenssterben, vor allem im gewerblichen Bereich, und gleichzeitig zunehmender Konzentration und fortschreitender Bürokratisierung? Wir wollen diese Schwachstellen der jetzigen Entwicklung zwar nicht dramatisieren, aber auch nicht verschweigen. Denn wer die Lage falsch analysiert, muß ja falsch handeln. Das haben wir bei dieser Bundesregierung oft genug erlebt. Wir können mit dem hier vorliegenden Jahreswirtschaftsbericht jedenfalls nicht rundum zufrieden sein. Der Jahreswirtschaftsbericht spricht von einem 3 %igen Anstieg der Verbraucherpreise; die Institute nennen 3,5 %. Ich begrüße es zwar, wenn die Bundesregierung hier eine ehrgeizigere Projektion hat, aber wie verträgt sich eine solche Projektion mit der realen Lage? Schon jetzt haben wir im Jahresvergleich 2,8 % gegenüber 2,4 % im Dezember. Im Monatsvergleich haben wir sogar die kolossale Steigerung von 1 % allein im Januar. Der Terms-of-trade-Effekt im Jahre 1979 ist bei weitem nicht so günstig wie 1978 - nicht nur wegen steigender Ölpreise. Wie verträgt sich die Zielprojektion der Bundesregierung mit deren eigenem Verhalten? Wie vertragen sich ihre 3 % mit dem Querschuß von Staatssekretär Lahnstein gegenüber der stabilitätswilligen Bundesbank, wie mit der Mehrwertsteuererhöhung Mitte dieses Jahres, wie mit der zinstreibenden Wirkung von 50 Milliarden DM gesamtstaatlicher Neuverschuldung, wie mit dem kräftigen Anstieg der administrierten Preise, z. B. bei Bahn und Post? Angesichts dieser preistreibenden Faktoren müßte die Bundesregierung klar sagen, wie sie ihre Zielprojektion erreichen will. Doch Sie enttäuschen uns da. Es gibt keine Handlungsvorgaben, nur vage Hoffnungen. Solche Beruhigungsfloskeln sind kein Ersatz für Politik! ({2}) Seltsam still ist der Jahreswirtschaftsbericht, wenn es um das Europäische Währungssystem geht, ganz im Gegensatz zum Kanzler Schmidt, der sich schon am 7. Dezember hier vor dem Hohen Hause gewissermaßen als europäischer Dirigent feiern ließ, obwohl die Uraufführung am 1. Januar mangels Orchester ausgefallen ist. Warum gab der Bundeskanzler auf die klaren Fragen von Oppositionsführer Dr. Kohl und sechs weiteren Oppositionsrednern in der Haushaltsdebatte keine Antwort? Warum durften Sie, Graf Lambsdorff, heute morgen kein Wort zum EWS sagen, so daß der Finanzminister die berechtigten Sorgen, die Kollege Biedenkopf vorgetragen hat, in sehr rüder Form attackiert hat? Wenn sich der Kanzler auch bei der Debatte des Jahreswirtschaftsberichts um eine Antwort herumdrückt, dann müssen Sie heute noch einmal antworten, Graf Lambsdorff. Hinsichtlich des Verhaltens des Bundeskanzlers gibt es nur drei Möglichkeiten: entweder hat sich der Bundeskanzler in der Komplexität der Sache getäuscht, oder er hat sich von seinen Verhandlungspartnern täuschen lassen, oder er wußte um die Unvollständigkeit des Verhandlungsergebnisses und hat das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit getäuscht; eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Erklären Sie uns auch, warum Sie in Ziffer 61 des Jahreswirtschaftsberichts die stabilitätspolitischen Bedenken des Sachverständigenrates mit der Vertuschungsformulierung abtun, inzwischen sei bei allen Partnern in Europa die Bereitschaft zu stabilitätsgerechtem Verhalten deutlich gewachsen, obwohl doch fast in allen Nachbarländern die Inflationsrate nicht zurückgeht, sondern steigt: in Frankreich, Graf Lambsdorff, von 9 % im zweiten Quartal auf 9,7 % im Dezember. Im Januar rechnet man mit 10 %. Eine schöne Konvergenz! So einfach, wie Sie es sich hier machen, ist es wirklich nicht. Am meisten stört uns aber, daß der Jahreswirtschaftsbericht ohne Inspriration und Perspektive, ohne Engagement für die Zukunft ist, ohne den leidenschaftlichen politischen Willen zur Problemlösung, zum Abbau von Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Bürokratisierung und Konzentration. Die politisch Verantwortlichen dieses Berichts gehen gewissermaßen durch die wirtschaftlichen Räume die10714 ser Bundesrepublik Deutschland, als hätten sie damit überhaupt nichts zu tun, als seien sie nur zu Besuch da, ziemlich genau all die Probleme registrierend, aber ohne die Erkenntnis, daß sie doch selbst ein Großteil dieser Probleme lösen könnten und daß sie selbst einen Großteil dieser Probleme doch erst selbst geschaffen haben. Dieser Jahreswirtschaftsbericht hat in vielen Passagen lediglich die Qualität eines Telefonbuches: sachlich richtig, mit zutreffenden Angaben, jedoch ohne richtungweisende Aussage und ohne politische Perspektive. Die Chance wird nicht genutzt. Das ist insofern sehr bedauerlich, als jetzt doch wieder eine Chance zur politischen Gestaltung vorhanden ist, als jetzt endlich die Voraussetzungen und Möglichkeiten. vorhanden sind, eine dauerhafte Besserung in die Wege zu leiten. Die jetzige Situation erinnert an das Jahr 1976 mit seinen 5,6 % Wachstum. Damals regte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten ein Programm zur wachstumspolitischen Vorsorge an. Eine angebotsorientierte Politik sollte Innovationen und Investitionen erleichtern; eine breite Palette vor allem steuerlicher Maßnahmen sollte die dynamischen Kräfte am Markt unterstützen, um einen sich selbst tragenden dauerhaften Aufschwung abzusichern. Doch was haben Sie damals getan? Die Bundesregierung übernahm nur die Überschrift und verkaufte unter diesem Etikett ein siebtes Ausgabenprogramm - damals immer noch von der Illusion befangen, der Staat könne die Nachfrage nachhaltig garantieren. So wurde damals die durchgreifende Verbesserung der Angebotsbedingungen versäumt. Die Chance wurde vertan. Eine ähnliche Chance haben wie heute wieder. Aber auch jetzt können Sie offensichtlich, wie der Jahreswirtschaftsbericht ausweist, die ideologischen Bremsklötze nicht beiseite schaffen. Auch jetzt finden Sie nicht die Kraft, die Rahmenbedingungen für Wachstum und Preisstabilität so zu verbessern, daß ein selbsttragender Aufschwung erreicht wird. Die Rahmenbedingungen zu verbessern, das bedeutet, die schöpferischen Kräfte in unserem Volk zur Entfaltung zu bringen, den Fleiß unseres Volkes zu nutzen, die Leistungsfähigkeit unserer Betriebe zu stärken. ({3}) Die Politik hat diese Aktivposten verunsichert, zum Teil durch Steuern, Abgaben und Regelmentierungen abgeschnürt oder gar zerstört. Ich denke nur an die Springflut von Konkursen und Unternehmensaufgaben, Herr Schachtschabel, die diese Bundesregierung durch eine Politik, die Belastbarkeit der Wirtschaft einmal zu testen, zumindest mit verursacht hat. ({4}) Genau das Gegenteil ist jetzt notwendig. - Herr Jens, ich habe nur Jochen Steffen zitiert. Dessen Politik ist ja auch praktiziert worden. ({5}) Diese Aktivposten müssen gesichert, gestärkt und gefördert werden. Herr Haussmann, Sie waren heute morgen etwas überrascht. Sie haben dem Kollegen Biedenkopf gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß es für Sie neu sei, wenn er das Wachstum als ein Ergebnis und nicht als ein Ziel politischen Handelns bezeichnete. Ich wundere mich, daß ein sehr belesener Mann wie Sie darüber überrascht sein kann. Das ist doch nichts anderes als die alte Wachstumsgrundlagenpolitik von Ludwig Erhard, der nie die . sozialdemokratische Wachstumsratenpolitik mitgemacht hat, die in hohem Maße östlicher Tonnenideologie entspricht. ({6}) Von dieser Wachstumsgrundlagenpolitik brauchen wir wieder eine zeitgemäße Variante. ({7}) Vertrauen schaffen heißt - und darum geht es - erstens Abbau von Hindernissen, wo der. Staat die Dynamik unnötig behindert; zweitens Anreize für Problemlösungen dort, wo der Staat am Erfolg der Problemlösungen partizipiert; und drittens Mut zur Selbstbeschränkung dort, wo der Staat weniger leistungsfähig ist als die private Wirtschaft. Ich möchte jetzt an Hand von sechs Elementen eine solche Wachstumsgrundlagenpolitik präzisieren. Auf ein siebtes Element, auf eine wachstumsorientierte Außenwirtschaftspolitik, brauche ich entgegen dem, was ich ursprünglich vorhatte - wirklich nicht einzugehen. Was Sie, Graf Lambsdorff, zur Abwehr sich verstärkender protektionistischer Maßnahmen, was Sie zur Notwendigkeit eines internationalen Subventionskodex, was Sie zu einer marktkonformen Entwicklungspolitik heute morgen ausgeführt haben, kann nur unsere volle Unterstützung finden. Es war auch umfassend. Ich komme zu meinen sechs Elementen. Erstens. Ein stufenweiser Abbau der Staatsquote: Karl Schiller hat Ihnen in der „Zeit" vom 22. Dezember 1978 ins Stammbuch geschrieben - ich zitiere -, bei einer Staatsquote von rund 48 % wird „das marktwirtschaftliche System so geschwächt, daß es nicht mehr in der Lage ist, seine Funktion voll zu erfüllen". Audi Kollege Hoppe hat in den Haushaltsberatungen für die FDP eine Tendenzwende bei der Verschuldungspolitik verlangt. Wir unterstützen diesen Appell. Die Herren Ihres Hauses übrigens auch. 1977 heißt es im Jahreswirtschaftsbericht in Punkt 14: Aufgabe der Haushaltspolitik ist es 1977, die ... eingeleitete Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzuführen. 1978 an der gleichen Stelle: Der finanzpolitisch eingeleitete Konsolidierungsprozeß wird damit nicht aufgegeben, sondern lediglich zeitlich ... angepaßt. Und 1939: In mittelfristiger Sicht soll der Konsolidierungsprozeß der öffentlichen Haushalte fortgeführt werden, ... . Das ist mir eine schöne Fortführung der Konsolidierung, wenn die Schulden ständig steigen! Was sich im Jahreswirtschaftsbericht an Konzeption findet, ist mehr als dünn, ist sozusagen kaum sichtbar: wenn nicht des Kaisers, so doch des Grafen unsichtbare Kleider der Haushaltskonsolidierung. Graf Lambsdorff, zeigen Sie etwas Sichtbares vor, sagen Sie, wie Sie sich die Konsolidierung des Haushalts konkret vorstellen! Sagen Sie dem Kollegen Matthöfer, daß das nicht Aufgabe der Opposition, sondern nur der Regierung sein kann! Wir als sparsame Opposition werden. Sie dabei unterstützen. ({8}) Nur mit einer wirklichen Konsolidierung ist ein dauerhafter Aufschwung möglich. Nur dann kommt es nicht zu weiteren Zinssteigerungen, nicht zu dem von Ihnen heute morgen leicht angedeuteten crowding out. Sie haben zwar gesagt, dem Staat mache die Kreditaufnahme kein größeres Problem. Nun, der Staat kann Zinssteigerungen verkraften. Aber wir wollen doch keinen Verdrängungseffekt auf dem Kapitalmarkt, der besonders die weniger zinsrobusten, kleinen und mittleren Unternehmen treffen wird. Über die fiskalische Notwendigkeit der Konsolidierung hinaus gehört zum Abbau der Staatsquote auch Mut zur Überprüfung von Staatsaufgaben, zu einer sinnvolleren Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt. Der Staat soll da handeln, wo nur er etwas leisten kann, aber er soll den privaten Betrieben nicht ins Handwerk pfuschen, wo diese mehr leisten können. Das ist nun einmal überall da der Fall, wo es Märkte gibt. Graf Lambsdorff, zeigen Sie, was Sie können! Legen Sie ein Konzept zum stufenweisen Abbau der Staatsquote auf unsere früheren 38 % vor! Zweites Element: Schmieden Sie jetzt einen Stabilitätspakt! Voraussetzung dafür ist zum einen, daß sich die Bundesregierung wieder um mehr sozialen Grundkonsens bemüht und daß es Ihnen dann vielleicht doch gelingt, wieder eine Konzertierte Aktion zustande zu bringen. Es ist höchste Zeit, sich darüber zu unterhalten, wie zeitgemäße Spielregeln des Arbeitskampfes, zeitgemäße Aufgaben der Tarifpartner aussehen könnten und wo der Staat flankierend zur Seite stehen kann. Ich denke nur an die steuerlichen Voraussetzungen für eine breit gestreute Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, wo wir ja auch übereinstimmen. Darüber hinaus muß die Politik aber alles vermeiden, was die Preise hochtreibt: deshalb Maßhalten bei den Ausgaben, insbesondere den staatlichen administrierten Preisen, und vor allem keine permissive Geldpolitik, sondern Unterstützung des Stabilitätskurs es der Deutschen Bundesbank. Drittes Element: Zur Wachstumsgrundlagenpolitik gehört auch eine problemgerechte Arbeitsmarktpolitik. Eine Million Arbeitslose sind in aller Regel schwere persönliche Schicksale und für uns eine soziale Herausforderung. ({9}) Sie sind aber auch ein eminent wirtschaftliches Problem. Hier gibt es ein Wachstumspotential an Arbeitskräften und Verbrauchern, das nicht weiterhin ungenutzt bleiben darf. Der Facharbeitermangel nimmt zu und zugleich die Zahl der Arbeitslosen in Problemgruppen. Für sie brauchen wir gezielte Maßnahmen für die Dauerarbeitslosen, die älteren Arbeitnehmer, die gesundheitlich Beeinträchtigten. Wir brauchen Erleichterungen für Teilzeitarbeit. Hier könnten nicht zuletzt die Tarifpartner angeregt werden, in ihre Tarifverträge nicht mehr so eindeutig Sperrklauseln einzubauen. Auch im Steuer- und Abgabenrecht läßt sich einiges ändern. Kollege Haussmann, Sie haben völlig recht, die Bundesregierung muß dieses Problem endlich erkennen, mehr Phantasie entwickeln, und darf nicht weiterhin steigende Millionenbeträge offensichtlich wirkungslos verpulvern. Darüber hinaus müssen wir der weithin unterschätzten, aber in Wirklichkeit dramatischen Gefahr begegnen, daß die Facharbeiterlücke zur Wachstumsbremse wird. Der DIHT hat letzte Woche festgestellt, daß Facharbeiter jetzt in allen Arbeitsamtsbezirken fehlen. Hier bedarf es neuer Wege einer verstärkten Förderung der innerbetrieblichen Weiterbildung und Feinqualifikation gerade für Ungelernte. Hierüber sollte auch Minister Ehrenberg nachdenken und nicht über eine Arbeitsmarkabgabe für Selbständige. Hierüber sollte Minister Ehrenberg nachdenken und nicht die Betriebe mit dem Damoklesschwert der Ausbildungsabgabe verunsichern. ({10}) Hierüber sollte Minister Ehrenberg nachdenken und nicht über die Milchmädchenrechnung, 5 % Arbeitslosigkeit wären durch 5 % Arbeitszeitverkürzung zu beseitigen. ({11}) Unternehmer, Betriebsräte und Arbeitnehmer fragen sich, welche weltfremden Menschen in Bonn Überstunden einschränken wollen, wenn Betriebe durch Facharbeitermangel in Liefer- und Terminschwierigkeiten kommen. Kein Ungelernter bekommt einen Arbeitsplatz, wenn die Arbeitszeit der Facharbeiter verkürzt wird. Herr Ehrenberg - sagen Sie es ihm bitte weiter-, werfen Sie Ihre Überstundenverordnung dahin, wohin sie gehört, in den Papierkorb, damit wir damit nicht mehr geplagt werden. ({12})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es kurz wird - bitte schön!

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Bitte schön, Herr Abgeordneter Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Ich wollte Sie nur fragen, ob auch nur ein Unternehmer daran gehindert ist, einen Arbeitslosen ein10716 Wolfram ({0}) zustellen und ihm die Chance zu geben, sich zum Facharbeiter ausbilden zu lassen.

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das wird von den Unternehmen zum Glück erfolgreich getan. Wenn aber der Auftrag nächsten Dienstag fertig sein muß, dann müssen Überstunden gemacht werden können. Wenn Sie hier zusätzlich reglementieren, schaffen Sie zusätzliche Arbeitslosigkeit. ({0}) Wir brauchen viertens eine erhebliche Verbesserung der Risikotragfähigkeit unserer Unternehmen. Die Risiken der Unternehmen sind nicht zuletzt durch politische Maßnahmen gestiegen. Ihre Fähigkeit, Risiken zu tragen, ist gesunken, wie die geringe Eigenkapitalquote ausweist. Ein Grund dafür ist, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland als einziges Land neben dem Großherzogtum Luxemburg noch die doppelte Vermögensteuer bei Kapitalgesellschaften haben. Deshalb weg mit dieser Diskriminierung des Eigenkapitals, und zwar schnellstens ! Mehr Eigenkapital wird auch gebildet, wenn endlich die Hemmnisse beseitigt werden, die der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand entgegenstehen. Trotz der Ankündigungen in den Regierungserklärungen von Oktober 1969 bis zum 16. Dezember letzten Jahres hat die Bundesregierung keine Initiative hierzu vorgelegt. Ich kann mich deshalb nur dem Urteil ihres Staatssekretärs, Graf Lambsdorff, des Herrn Grüner, anschließen, der erklärt hat, die Regierung mache hier keine gute Figur. Graf Lambsdorff, Sie machten heute morgen eine bessere Figur, indem Sie von vornherein bedauert haben, daß der Jahreswirtschaftsbericht diesmal nicht mehr auf die Vermögensbildung aufmerksam mache. Ich habe hierfür volles Verständnis. Sie wissen, meine Damen und Herren, wir haben hier mit der Figur überhaupt keine Schwierigkeiten. Unser Gesetzentwurf zum Abbau der steuerlichen und förderungsrechtlichen Hemmnisse einer Arbeitnehmerbeteiligung ist in den Ausschüssen. Erstmalig hat die SPD gestern im Finanzausschuß nicht mit einem sturen Nein reagiert - mit der Folge, daß über dieses Einlenken der SPD auf unsere Vorstellungen heute zum Teil fünfspaltige Meldungen erschienen sind, wenn auch der Fonds so, wie ihn die Frankfurter Rundschau beschreibt, überhaupt nicht behandelt worden ist. Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, machen Sie jetzt Schluß mit Ihren Lippenbekenntnissen, arbeiten Sie im Gesetzgebungsverfahren mit und stimmen Sie unserer Initiative zu! Dann können schon in wenigen Jahren viele Millionen deutsche Arbeitnehmer pro Kopf Tausende von Mark Kapital ihrer Unternehmen besitzen. Dann wird der Weg vom früheren Feudalkapitalismus zum schleichenden Staatskapitalismus nicht weitergehen, dann schaffen wir Bürgerkapital, Eigentum für alle. Sie sind da gefordert. ({1}) Wegen der vorgerückten Zeit muß ich auf die Darstellung des fünften Elements, einer breitete Wettbewerbspolitik, leider verzichten. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam: Nehmen Sie das, was über das wettbewerbswidrige Verhalten der Bundespost geschrieben wird, sehr ernst und schieben Sie endlich der Politik einiger einschlägig bekannter Staatsbetriebe, kleine und mittlere Unternehmen aufzukaufen, einen Riegel vor! Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Der Wettbewerb von der Basis her braucht wieder neue Impulse. Es reicht eben nicht, wie der Kanzler meinte, daß wir einige Kühe haben, die wir gut melken können. Man braucht auch genügend junge Kälbchen, damit der Bestand erhalten bleibt. Es steht nicht so im Bereich der Selbständigen, wie Sie es heute ausgemalt haben. Globalzahlen nutzen hier nichts, wenn Sie Rechtsanwälte mit einrechnen, die beim Staat zur Zeit nicht unterkommen. Sie haben jetzt ein Programm mit vier großen Nachteilen vorgelegt. Darüber wird in der nächsten Woche, wenn Sie es verabschiedet haben, zu reden sein. Wir dagegen schlagen vor, analog zur staatlichen Begünstigung des Bausparens ein Ansparen von Existenzgründungskapital steuerlich dadurch zu begünstigen, daß Ansparbeträge bis zu 5 000 DM im Jahr fünf Jahre hintereinander, also insgesamt 25 000 DM, als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgesetzt werden können. Dadurch wird bei weitgehender Ähnlichkeit mit dem Bausparen kein neues Programm aufgelegt, dadurch wird zweitens Breitenwirkung erzielt, dadurch werden drittens schon fünf Jahre vor der möglichen Existenzgründung der Realisierungswille, die Eigeninitiative und die Selbsthilfe gefördert, und dadurch wird viertens Eigenkapital gebildet und nicht Fremdkapital subventioniert. Das ist unsere Alternative. Ich komme zum Schluß. Graf Lambsdorff, Sie haben heute morgen Rüdiger Altmann zitieren müssen in der Hommage für Helmut Schmidt, wie wir sie am Samstag lesen konnten, um den „Weltökonom„ zu retten. Sie haben aber offensichtlich nur die Sonnenseite gelesen. Sonst hätten Sie auch gelesen, daß sich nicht bestreiten läßt, daß die Atmosphäre in der Bundesrepublik Deutschland während der letzten zehn Jahre bedeuerlich viel an Liberalität verloren hat und daß jetzt versucht werden sollte, gegen Ende dieses mißglückten Jahrzehnts einen neuen Anfang ins Auge zu fassen. ({2}) Fassen Sie diesen neuen Anfang auch von der Wirtschaftspolitik her ins Auge! Wir können diesen Beitrag für das nächste Jahrzehnt nur leisten mit einem tieferen Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft und den sie tragenden Werten in innen- und außenpolitischen Voraussetzungen. Wir dürfen nicht die Legende zulassen, als wäre die Mehrzahl der heutigen Probleme Schuld marktwirtschaftlicher Organisation. Wir dürfen erst recht nicht die Legende zulassen, als wäre die soziale Marktwirtschaft eine Ordnung, die blind gegenüber der Zukunft wäre. Die scheinbaren SchwäPieroth chen der Marktwirtschaft sind meistens Schwächen derer, die ihre Vorteile nicht kennen oder sie nicht zu nutzen wissen oder sie nicht nutzen dürfen. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Böhme. Dr. Böhme, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte auf einen Punkt eingehen, den der Kollege Pieroth eben abgehandelt hat, nämlich auf das Thema „Vermögensbildung". Ich möchte isoliert zu diesem Punkt einige Ausführungen machen, weil das Thema so wichtig ist, daß das, was Sie gesagt haben, hier nicht so stehenbleiben soll. Herr Kollege, die Bundesregierung hat immer wieder deutlich gemacht, daß sie die Förderung der Vermögensbildung eine hohe und besondere politische Bedeutung zumißt. ({0}) - Ja, deswegen meine Worte: Sie hat dies in der Vergangenheit vor allem durch Zahlen sehr deutlich bewiesen. So wurden allein vom Bund 1977 etwa 7 Milliarden DM und 1978 fast 6 Milliarden DM für die Förderung der Vermögensbildung ausgegeben. Vor allem das 624-DM-Gesetz hat sich als echter Erfolg erwiesen. Heute sparen etwa 15 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik nach diesem Gesetz durchschnittlich 600 DM. Rückblickend kann man - dies ist allerdings wichtig - feststellen, daß die Möglichkeiten des 624-DM-Gesetzes erst zum Durchbruch gekommen sind, als es gelang, diese Lösung tariffähig zu machen. Dies war erst nach der Neufassung des 624-DM-Gesetzes durch die sozialliberale Koalition im Jahre .1970 der Fall. ({1}) Es bleibt aber - da sind wir uns sehr einig - richtig, daß das Problem der Verteilungsgerechtigkeit hinsichtlich des Produktivvermögens noch nicht gelöst ist. Hier, Herr Kollege Pieroth, sollten wir eigentlich nicht nur von Versäumnissen reden und uns gegenseitig Vorwürfe machen. Wir hatten gestern im Finanzausschuß zu diesem Thema eine - wie ich glaube und wie mir auch Kollegen bestätigt haben - sehr offene und fruchtbare Diskussion. Ich weiß, daß es in allen Fraktionen sehr engagierte Vertreter der Vermögensbildung beim Produktivvermögen gibt. Ich meine, daß wir dieses Engagement gemeinsam aufnehmen sollten. Aber, Herr Kollege Pieroth - lassen Sie mich dies ganz deutlich sagen -, diese Probleme sind nicht ohne die Tarifparteien und schon gar nicht gegen deren Willen zu lösen. ({2}) Das sind unsere Erfahrungen, die wir gerade beim Durchbruch des 624-DM-Gesetzes gemacht haben. Wenn die Opposition in ihr Vorwort zum Entwurf eines Gesetzes zum Abbau steuerlicher Hemmnisse für die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer hineinschreibt, daß es den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben soll, auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmte Beteiligungsmodelle zu vereinbaren, ist dies - lassen Sie mich das sagen - leeres Gerede, wenn man gleichzeitig gegen den Willen der Tarifparteien nur die innerbetriebliche Vermögensbildung durchsetzen will. Ich will hier jetzt nicht im einzelnen auf ablehnende Argumente eingehen. Ich habe gesagt, daß es mir darauf ankommt, das Engagement für die Ver- mögensbildung in allen Fraktionen zu nutzen und dadurch bei diesem wichtigen gesellschaftlichen Problem weiterzukommen. Aber, Herr Kollege Pieroth, Sie wissen, man braucht Zeit und Geduld, um tragfähige Lösungen vorlegen zu können. „Tragfähige Lösungen" heißt, daß auch Lösungen gefunden werden, die die allseits bekannten Nachteile der rein innerbetrieblichen Vermögensbildung vermeiden, z. B. - um die Stichworte zu nennen - die Kumulation von Arbeitsplatz- und Kapitalrisiko, die Wettbewerbsverzerrungen zwischen kleinen und großen, zwischen reichen und armen, zwischen arbeits- und kapitalintensiven Unternehmen. Es geht eben nicht an, daß nur große Unternehmen ihre Arbeitnehmer über Belegschaftsaktien besserstellen können und damit auch verzerrend auf den Arbeitsmarkt einwirken könnten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth? Dr. Böhme, Pad. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ja, bitte sehr.

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie mir bestätigen, daß es zur Zeit so ist, daß nur Großunternehmen ihre Arbeitnehmer beteiligen, daß aber unser Gesetzentwurf gerade diesen Zustand ändern und dafür sorgen soll, daß auch kleine und mittlere Unternehmen ihre Arbeitnehmer beteiligen können?

Dr. Rolf Böhme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000221

Dies ist in einem Punkt richtig, Herr Kollege. Aber Sie machen meines Erachtens auf dem halben Weg halt, weil alle Lösungen, die über das, was sie soeben speziell angesprochen haben, hinausgehen, bei der betrieblichen Vermögensbildung stehenbleiben. Dies ist, glaube ich, keine Lösung, die angenommen wird. Darum ging es gestern in der Diskussion im Finanzausschuß. Dies darzustellen, ist der Anlaß meiner Rede vor dem Deutschen Bundestag. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?

Dr. Rolf Böhme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000221

Bitte.

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie der Ansicht, daß Arbeitnehmer Beteiligungen an ihrem Unternehmen nicht annehmen?

Dr. Rolf Böhme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000221

Das ist hier nicht die Frage. Worum es geht, liegt tiefer. Es ist nämlich die gesellschaftspolitische Frage, daß wir uns viel Zeit und Geduld nehmen und viel Arbeit machen sollten, um zu erreichen, daß die Lösung nicht auf die innerbetriebliche Vermögensbildung beschränkt bleibt, sondern die Option auf eine Form der überbetrieblichen Vermögensbildung eröffnet wird, so daß die Tarifparteien eine solche Lösung annehmen und ihr vielleicht genauso zum Durchbruch verhelfen, wie es beim 624-DM-Gesetz, bei der Geldvermögensbildung, geschehen ist. Genau dies ist der Punkt. ({0}) Wir könnten z. B. unterstützen, daß - wie es die Tarifparteien z. B. auf der Basis von Modellen im Bereich der IG Chemie und der IG Nahrung, Genuß, Gaststätten diskutieren - Tariffonds als gemeinsame Einrichtungen zur überbetrieblichen Vermögensbildung tarifvertraglich vereinbart und steuerlich entsprechend präferiert werden. Hier ist die einzige Rolle des Staates, die ich in diesem Zusammenhang als sinnvoll erachte, daß die Frage, wie attraktiv für Arbeitnehmer die Beteiligung an einem solchen Fonds ist, geprüft wird und entsprechende gesetzliche Maßnahmen getroffen werden. Soll sich der Kauf eines solchen Anteils für den Arbeitnehmer lohnen, dann muß er für ihn attraktiv sein. Hier könnte die Rolle des Staates einsetzen. Wie er heute durch das Sparprämiengesetz oder durch die von Ihnen erwähnte Regelung in § 8 des Kapitalerhöhungssteuergesetzes andere Anlagenformen fördert - nämlich das reine Geldsparen, das Bausparen, das Wertpapiersparen und besonders den Erwerb von Aktien des eigenen Unternehmens -, so könnte der Staat auch den Kauf eines Anteils an einem solchen Tariffonds fördern. Für den Staat, der überhaupt kein Interesse daran haben kann, den Tarifpartnern in ihre Vereinbarungen hineinzureden, und der sich folglich aus der Organisation dieser gemeinsamen Einrichtung heraushalten würde, kann es sich nur um Gleichstellung dieses Fonds mit anderen Anlageformen handeln. Konkret bedeutet dies die Aufnahme der Aufwendungen in Geld für den Erwerb eines Anteils am Tariffonds in den Anlagekatalog des Sparprämiengesetzes oder z. B. die Ausweitung der Steuervergünstigung, wie sie zur Zeit in §8 Kapitalerhöhungssteuergesetz gewährt wird, auch auf diese Beteiligungen. Ob damit der Fonds die notwendige Attraktivität erreicht, wird neben dieser Förderung von einer vernünftigen Vermögensverwaltung und Anlagepolitik des Fonds abhängen. Sie soll in Eigenverantwortung der Tarifparteien, die diesen Fonds bilden werden, durchgeführt werden. Von dieser Anlagepolitik würde der Erfolg des Fonds abhängen, weil die Fonds ja voll im Wettbewerb mit anderen Anlageformen stehen sollen, also an der Wahlfreiheit der Anlageform nicht gerüttelt werden soll und die Arbeitnehmer weiterhin selber sollen bestimmen können, wo und wie sie ihr Geld anlegen. Wenn dies gelänge, könnte, glaube ich, von einem gesellschaftlichen Durchbruch gesprochen werden. Die Vermögenspolitik würde damit eine neue oder, wenn man so will, alte Perspektive erhalten. Sie würde verstärkt zu einem gesellschaftspolitischen Instrument der Tarifvertragsparteien werden, die, wie es in der Vergangenheit häufig geschehen ist, neue Wege beschreiten könnten. Es lohnt sich, Herr Kollege Pieroth, auch von Ihrer Seite, gemeinsam daran zu arbeiten und auch in den nächsten Wochen Fleiß und Geduld aufzubringen, um hier vielleicht zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß die beiden ersten Redner der Opposition von heute morgen, Herr Professor Biedenkopf und Herr Kollege Haberl, hier nicht im Saale sind. Denn es wäre natürlich ganz reizvoll gewesen, sich mit einigen der gestellten Fragen und der aufgestellten Behauptungen konkret auseinanderzusetzen. ({0}) Zu einem späteren Zeitpunkt wird sicher der Bundeswirtschaftsminister die Gelegenheit nicht versäumen, einiges von dem zu beantworten, was hier gefragt worden ist. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Feststellung treffen. Die Besorgnis des Professors Biedenkopf, daß für die ordnungspolitischen Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministers in der Koalition keine Mehrheit zu finden sei, fand ich höchst rührend. Ich kann versichern, diese Besorgnis ist überflüssig. Denn für vernünftige Politik auf der Grundlage vernünftiger ordnungspolitischer Vorstellungen ist in der Koalition selbstverständlich eine Mehrheit zu finden. Das hat ja auch die Politik, die der Bundeswirtschaftsminister mit dieser Mehrheit gemacht hat, und das haben auch die Erfolge dieser Politik bewiesen. ({1}) Nichtsdestotrotz freuen wir uns natürlich, wenn die Opposition darüber hinaus und zusätzlich diese ordnungspolitischen Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministers bejaht. Wir nehmen dies, wenn Sie so wollen, dankbar zur Kenntnis. Herr Pieroth hat sich hier unter anderem mit der Frage der Situation des Mittelstandes auseinandergesetzt. Lassen Sie mich dies weniger theoretisch tun, sondern als praktizierender Mittelständler hier mal eine Feststellung treffen. Richtig ist, daß die Stimmung im Mittelstand nicht in jedem Falle unseren Wünschen entspricht. Aber ebenso richtig ist, daß z. B. im Handwerk überdurchschnittliche UmsatzCronenberg steigerungen zu verzeichnen sind, überdurchschnittliche zusätzliche Beschäftigung zur Verfügung gestellt worden ist. Unsere Beschäftigungsprobleme sind in den Jahren, in denen es nicht sonderlich gutgegangen ist, um einiges besser gewesen, weil eben jenes Handwerk so viele zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt hat. Dies trifft ebenso für den Ausbildungssektor zu. Wir haben natürlich mit Freude zur Kenntnis genommen, daß das Handwerk nicht etwa über Bedarf ausbildet, sondern endlich den Bedarf an Lehrlingen und Auszubildenden decken kann, daß also genügend Interessenten da sind. Man sollte hier nicht durch zusätzliche Verunsicherung eine Situation heraufbeschwören, die niemand wünscht. Sie können versichert sein, dieser „General ohne Truppe", wie Sie ihn genannt haben, ist ganz sicher jemand, der die Truppen hinter sich hat und außerdem nicht nur in der Lage ist, taktische Scharmützel zu schlagen, sondern auch yon der strategischen Anlage eine Politik eben für diesen Mittelstand zu betreiben, so daß wir also ganz beruhigt der Zukunft entgegensehen können. ({2}) Was haben Sie nun an Beispielen hier aufgeführt, Herr Kollege Pieroth, womit Sie den Beweis erbringen wollten, daß der Bundeswirtschaftsminister keine Mehrheit in der Koalition habe? Sie haben den Kollegen Roth bezüglich der Frage der Arbeitszeitordnung zitiert. Zugegeben, die Koalition setzt sich über diesen Punkt - bedauerlicherweise gelegentlich sogar öffentlich - auseinander. Ich bin ganz sicher, daß wir zu einer ordnungspolitisch sauberen, Beschäftigung nicht verhindernden Novellierung der AZO kommen, wenn wir überhaupt zu dem Ergebnis kommen, daß sie zu novellieren ist. Sie haben von Herrn Klose gesprochen, von Äußerungen, die ich sicher nicht billige. Sie haben von Köln gesprochen. Nur darf ich Sie fragen: ist denn das, was dort in Köln gesagt worden ist, oder das, was von Herrn Klose geäußert worden ist, die Politik dieser Bundesregierung, ist das die Politik dieser Koalition? ({3}) Sie schlagen doch die Schlacht im falschen Saale. Setzen Sie sich doch hier konkret mit der Politik auseinander, die diese Regierung durch ihren Bundeswirtschaftsminister vertreten hat, und die Dinge werden um einiges einfacher. ({4}) - Nein, gleiches trifft auf Mainz zu. Hier ist bemängelt worden, Sie hätten sich die Parteitagsbeschlüsse von Köln nur zur Hälfte durchgelesen. Das kann ich nicht beurteilen. Ich gebe gerne zu, daß ich auch sie nicht ganz gelesen habe. Aber die Mainzer Parteitagsbeschlüsse sind offensichtlich voll an Ihrer Kenntnis vorbeigegangen. Sie haben sie überhaupt nicht gelesen. Denn zu den inhaltlichen Positionen der Energiepolitik und der Wirtschaftspolitik - das kann hier nur immer wiederholt werden - ist nichts anderes als in Kiel gesagt worden, und dies hat nach meiner Kenntnis weitgehend Ihre Zustimmung gefunden. ({5}) - Entschuldigung, das ist die Frage des Abstimmungsverhaltens einiger Kollegen, und diese internen Auseinandersetzungen sind nicht Fragen inhaltlicher Positionen, die hier anstehen. Sie wissen ganz genau, daß in diesem Hause für den Weiterbau in Kalkar eine ungewöhnlich große Mehrheit vorhanden und daß das andere keine Fragen der inhaltlichen Politik gewesen ist. Uns geht es darum, daß in diesem Zusammenhang auf eine Verunsicherungskampagne verzichtet wird, daß Schritt für Schritt das durchgeführt wird, was zumindest vom Inhalt her zeitweise auch Ihre Zustimmung gefunden hat. Lassen Sie mich noch kurz auf Ihre sechs Punkte eingehen. Sie haben gesagt: Die Staatsquote ist überdurchschnittlich gestiegen. Dies ist nicht zu leugnen; aber schauen wir uns einige der Faktoren an, die uns Kummer machen! Die Steuerlastquote - dies ist oft genug wiederholt worden - ist seit 1969 de facto nicht gestiegen, sondern bei richtiger Betrachtungsweise gesunken. Die Sozialabgaben, die Versicherungsbeiträge für Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sind in der Tat zum Teil gestiegen. Wenn Sie sagen, daß Sie in diesen Bereichen die Staatsquote senken wollen, dann möchte ich Sie bitten, das zu konkretisieren. Wollen Sie hier Leistungseinschränkungen vornehmen und, wenn ja, welche? (Pieroth [CDU/CSU] : Da muß die Regierung einen Anfang machen! Das ist der Punkt, über den wir uns zu unterhalten haben. Wenn Sie in Punkt 2 den Bundeswirtschaftsminister auffordern, wieder einen Stabilitätspakt zu gründen, die Konzertierte Aktion wieder zu beleben, dann ist dies zu begrüßen und findet unsere Unterstützung. Wir können diesen Ihren Beitrag. im Grunde genommen nur als einen Beweis dafür betrachten, daß Sie die Bemühungen dieses Bundeswirtschaftsministers in diesem Punkt voll und ganz unterstützen. Hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik hat mein Kollege Haussmann heute morgen schon einige der Punkte klargelegt, zu denen Sie sich geäußert haben. Lassen Sie mich einen Punkt noch einmal besonders wiederholen: Unsere Statistik ist so, wie sie jetzt läuft, im Grunde genommen falsch. Wir haben hier eine reine Kopfstatistik, die die Frau, die eine Teilzeitarbeit sucht, in der Statistik genauso wie den arbeitslosen Buchhalter mit drei Kindern bewertet. Dies ist natürlich falsch. Insoweit wäre ich sehr glücklich, wenn wir gelegentlich gemeinsam diese Statistik in diesem Punkt ändern würden. Ihre Unterstützung der Bemühungen des Kollegen Haussmann findet unsere volle Billigung, was die Teilzeitarbeit anlangt. Ich möchte dies wegen der Kürze der Zeit hier nicht im Detail wiederholen. Wichtig ist mir die Feststellung, daß wir uns natür10720 lich bemühen müssen - und dies machen wir auch im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung -, die Qualifikation für jene, die sie nicht haben, zu ermöglichen. Vielleicht haben wir beim Haushaltsstrukturgesetz die Umschulungsmöglichkeiten seinerzeit zu starr eingeschränkt, vielleicht ist hier einiges zu korrigieren. Die Analyse unserer Arbeitslosen ergibt, daß wir überproportional viele Arbeitslose haben, die unqualifiziert oder schlecht qualifiziert sind. Insofern besteht ein Konsens. Konsens besteht auch mit Ihrem Bemühen um mehr Eigenkapitalbildung. Das ist überhaupt keine Frage. Ich meine, es wäre fair, die Feststellung zu treffen, daß die Sitzung des Finanzausschusses mit der Diskussion um die Vermögensbildung uns gestern einen kräftigen Schritt weitergebracht hat. ({6}) Der. Kollege Müller hat mich in der Haushaltsdebatte hier gefragt: Wann kommt denn die Geschichte nun endlich weiter? Ich habe damals gesagt: Ich bin nicht für den Terminkalender dieser Regierung verantwortlich; aber ich werde mich mit bemühen, daß die Sache nicht verzögert wird. Ich meine, wir haben dafür kurzfristig den Beweis angetreten, und zwar mit einer guten Debatte im Finanzausschuß, mit einem hervorragenden Beitrag auch des Staatssekretärs Böhme, der das hier heute noch einmal wiederholt hat, der eine gemeinsame Grundlage für diese Problematik mindestens nicht ausschließt. ({7}) - In der Sache werden wir hoffentlich gemeinsam weiterkommen. ({8}) . Zum Schluß komme ich noch einmal zum „General ohne Truppe". Ich bin sicher, daß die Truppen hier in diesem Saal ihn genügend unterstützen werden und daß für eine vernünftige Politik auch eine anständige Mehrheit vorhanden ist und sich finden wird. Wenn Sie uns ein Land mit all diesen Nöten und Sorgen schildern, dann - es ist schon oft genug gesagt worden - hat man das Gefühl, Sie reden von einem anderen Land. Sicher ist manches verbesserungswürdig. Wir bemühen uns darum. Aber es ist auch nicht so, daß wir uns echte Sorge über die Entwicklung in unserem Land machen müssen. Die Zustimmung für diese Wirtschaftspolitik ist wünschenswert. Sie haben die Gelegenheit, dies zu tun. Kritik, wie Sie sie in einigen Punkten hier geäußert haben, ohne Alternative ist, um Ihre Worte aufzunehmen, keine Alternative für Politik. ({9})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir liegt daran, zu einem ganz speziellen Punkt des Jahreswirtschaftsberichts Stellung zu nehmen. Ich meine den Entschluß der Bundesregierung, zu prüfen, wie in Werft- und anderen Problemregionen die Industrie- und Beschäftigungsstruktur verbessert werden kann. Dieser Entschluß findet unsere lebhafte Zustimmung. Die Koalitionsfraktionen hatten ja schon in der dritten Lesung des Haushalts mit einem Entschließungsantrag zum Ausdruck gebracht, daß sie wachstums- und investitionsfördernde Maßnahmen in Regionen, die von der Werft- und Montanindustrie geprägt sind, für nötig halten. Wir sind auch sehr dankbar für die Klarheit, mit der der Bundeskanzler seine Unterstützung für die Neuorientierung und Modernisierung der Wirtschaft an der Ruhr in den letzten Tagen in Essen und auch hier in Bonn zum Ausdruck gebracht hat. Auch seine These, daß Hilfe zur Selbsthilfe die Überschrift und die Generallinie sein müsse, wird von uns unterstrichen. Genau darum geht es uns. Im Revier gibt es schließlich keine Kostgängermentalität und wahrscheinlich weniger Schielen nach der Staatskasse als manchen anderen Ortes. Gerade wer Erhaltungssubventionen nicht zur Dauereinrichtung machen will, muß in Regionen mit strukturellen und sektoralen Anpassungsprozessen ein Bündel von Maßnahmen prüfen, um den Wandel und die Anpassung zu fördern und zu beschleunigen. Nur Ignoranten können leugnen, daß es in Regionen, die von der Werft- und von der Montanindustrie geprägt sind, wirklich schwere ökonomische Probleme und Arbeitsplatzsorgen gibt. Es ist ja nicht zu übersehen, daß in den Städten des Reviers Arbeitslosigkeit zwischen 6 und 9 % schon seit Jahren herrscht. Daß diese Städte und Regionen keine Investitionsförderung gezielt und zeitlich befristet erfahren, dagegen Städte, die ausweislich der Statistik 1,8 und 2 % Arbeitslosigkeit haben, Fördergebiete sind, ist Grund, Wert darauf zu legen, daß künftig Schlußfolgerungen aus der Feststellung im Vorwort zum 8. Rahmenplan „Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" gezogen werden. Dort heißt es nämlich, daß „Gebiete mit zumeist relativ hohem Industriebesatz, aber wenig diversifizierter Industriestruktur, die von strukturellen Anpassungsprozessen der vorherrschenden Wirtschaftszweige besonders betroffen oder bedroht sind", ein Aufgabenbereich der regionalen Strukturpolitik seien. ({0}) Mit diesem Zitat ist exakt die Lage im Revier beschrieben und dargestellt, warum es dort hohe Arbeitslosigkeit gibt. Die Ursache dafür ist eine immer noch ausgeprägte Abhängigkeit vom Montansektor. Zwar haben die Bemühungen, dies aufzulockern, beachtliche Erfolge gehabt. So sank der Anteil der in den Montanindustrien Beschäftigten von 63 % vor zehn Jahren auf 42 % im Jahr 1976. Aber immer noch sind Kohle und Stahl die vorherrschenden Basisindustrien im Revier. Schwächen in diesen Bereichen ziehen eine große Zahl von Zulieferern sowie den teritiären Sektor stark in Mitleidenschaft und verstärkten sich dadurch. Ich muß schon sagen, daß es von einem erheblichen Maß an Arroganz und Ignoranz zeugt, wenn der Kollege Biedenkopf hier am 23. Januar in der Haushaltsdebatte und am 23. November bei irgendeiner Konferenz seiner Partei in Dortmund sinngemäß sagte, es sei das kommunale Leben an der Ruhr, das jede Innovation und Initiative erdrücke; dieses kommunale Leben trage Schuld an der nach wie vor bestehenden Monostruktur dieser Region. ({1}) Wenn man sich einmal vor Augen führt, wie sehr es dem Ideenreichtum, dem Einsatz und der Entschlossenheit der Kommunalpolitiker an der Ruhr zu verdanken war - ganz wesentlich zu verdanken war -, daß die schwerste Krise der Nachkriegszeit, das von der Union durch einen beinahe tödlichen Kampf mit dem Öl gegen die Kohle heraufbeschworene Zechensterben, einigermaßen und ohne schwerwiegende soziale Erdbeben überstanden wurde, dann ist diese Charakterisierung des kommunalen Lebens an der Ruhr wirklich alles andere als zutreffend; sie ist diffamierend. ({2}) - Auch bei den CDU-Kommunalpolitikern an der Ruhr trifft dieser Vorwurf des Herrn Biedenkopf auf Kopfschütteln und Ablehnung; denn die CDU-Kommunalpolitiker an der Ruhr haben sich genauso engagiert. Diese wachstums- und investitionsfördernden Maßnahmen, die wir für wünschenswert halten, müssen auch nach unserer Meinung aus einem ganzen Bündel von Maßnahmen bestehen. Es handelt sich dabei nicht nur tim die in Rede stehende Investitionszulage, obwohl eine gezielte und befristete Investitionszulage einen bestehenden Nachteil beseitigen und Starthilfen zur Umstrukturierung geben könnte. Wir meinen „Umstrukturierung" und nicht „Erhaltung". Ich bitte alle, die sich damit befassen, das auch ganz ernst zu nehmen. Wir wollen nicht neue Investitionszulagen für Kohle oder für den direkt von den Anpassungsprozessen betroffenen Stahlbereich, sondern wir wollen Hilfen zur Umstrukturierung, zur Verbesserung, zur Innovation in anderen Branchen. ({3}) Zu diesem Katalog denkbarer Maßnahmen könnten aus meiner Sicht ferner gehören: Entwicklungsanreize für die Stahlindustrie im Bereich der Verarbeitung und Veredelung, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen, die den Umstrukturierungsprozeß begleiten, ein Kraftwerksbauprogramm, in dem der Ersatzbau für „alte Mühlen" seinen wichtigen Platz hat, ({4}) vor allem Verbesserungen der Hilfen für den Erwerb und die Aufbereitung ehemaligen Zechengeländes zum Zwecke der Neuansiedlung und Umsiedlung von Betrieben, aber auch zur Entwicklung von Freizeit- und Erholungslandschaften auf solchen Trümmergrundstücken, Vergünstigungen für hohe Umweltschutzaufwendungen, die für Betriebsansiedlungen und -erweiterungen in diesen Ballungsgebieten unerläßlich sind, und auch städtebauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität in den betroffenen Städten. Der Bundeskanzler hatte recht, als er jüngst in Essen sagte, daß die Attraktivität des Reviers als Lebensregion weiter erhöht werden müsse, um die Bereitschaft, sich an der Ruhr niederzulassen, zu steigern. Dieses ist zweifellos richtig; richtig ist' aber auch, daß sich das, was in den letzten Jahren zwischen Dortmund und Duisburg auf dem Felde der Freizeit- und der Sportstätten, der Grünanlagen und Parks, der Verkehrsberuhigung und Modernisierung von Stadtteilen geleistet wurde, wirklich sehen lassen kann. Gelegentlich kann man sich nur wundern, daß solches eine sehr mangelhafte Würdigung durch die Medien erfährt. Bei dieser Gelegenheit muß ich wohl auch einmal die objektiv falsche Interpretation der Smog-Warnung vor einigen Wochen im Revier korrigieren. Das war schließlich kein Zeichen von wachsender Luftverunreinigung, sondern das war ein Beweis dafür, daß dort schon bei niedrigem Level der Luftverunreinigung Vorsorge und Vorbeugung stattfinden. ({5}) Ich bin ganz sicher: Wenn diese Kriterien für die Auslösung einer Warnung im Revier in allen Teilen der Bundesrepublik gelten würden, würden wir alle paar Wochen irgendwo in der Bundesrepublik Deutschland eine Smog-Warnung erleben. Die erwähnten Vorschläge, die geprüft werden müssen, sind natürlich kein abschließender Katalog. Wir laden alle ein, die guten Willens sind, sich an der Vervollständigung und Ausgestaltung dieses Pakets zu beteiligen - natürlich auch die Union. Nur muß ich sagen: Bis heute geht sie, ja sogar die rheinisch-westfälische Union, mit dem Thema Ruhrgebiet auf reichlich leichtsinnige oder sogar skandalöse Weise um. Auf der einen Seite geht Herr Köppler im Revier mit einer Milliardenforderung für die Region auf Stimmenfang, auf der anderen Seite redet zur gleichen Zeit sein Kollege Biedenkopf von diesem Pult und in diversen Papieren davon, daß man nur den Wettbewerb an der Ruhr beleben müsse und die Marktkräfte es dann schon schaffen würden. Nichts sei mehr vom Teufel als öffentliche Hilfen und öffentliche Investitionshilfen. Der Kollege Breidbach sagt in der „Wirtschaftswoche", das, was von den Sozialdemokraten im Zusammenhang mit der Ruhr an Überlegungen angestellt werde, sei alles kalter Kaffee. Sprecher der CSU haben in diesem Hause ja schon in schöner Offenheit erklärt, daß sie Hilfen für das Revier schlicht und einfach ablehnen. Das kann ich nur Doppelzüngigkeit nennen. Viele in meiner Heimat empfinden dies genauso. Mich wundert eigentlich nicht, daß Herr Professor Biedenkopf entrückt und stramm zugleich elementare Opfer anderer - er nennt es: Bestrafung durch den Markt - zum Prinzip erhebt. Mich wundert nur, daß er solches unter dem Beifall seiner Fraktionskollegen tun kann, denn diesen Beifall müßten sie ihm versagen, wenn sie ihr jüngst verabschiedetes Grundsatzprogramm ernst nähmen. Dort steht im Gegensatz zu der Auffassung des erwähnten Kollegen, daß - ich zitiere - „Vollbeschäftigung ein wichtiges wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Ziel ist, für das der Staat mit seinen konjunktur-, wachstums- und strukturpolitischen Instrumenten wesentliche Verantwortung trägt." ({6}) Dieser Widerspruch ist Ihnen nicht zu ersparen. Mit ihm müssen Sie leben, so wie Sie mit Herrn Biedenkopf leben müssen. Daß dies eine andere Interpretation der Aufgabe des Staates ist als die von Ihrem Kollegen, ist eklatant. Ich halte es auch für einen miserablen Stil, wenn dieser Kollege Wirtschaftsförderung und Modernisierungsförderung für das Revier in Zusammenhang bringt und als nachträglichen Preis für den Arbeitskampf in der Stahlindustrie diffamieren möchte. Oder ist etwa eine Formulierung aus seiner Feder - sie ist im Organ der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände von Anfang dieses Jahres nachzulesen - wie diese: Es ist dem Parlamentarier nicht zumutbar, Steuern für die Allgemeinheit zu beschließen und einen Teil dieser Steuergelder zur Subvention von Sondervorteilen zur Verfügung zu stellen, die sich eine Minderheit durch Tarifverträge gesichert hat. nichts anderes als der Versuch, solche investitions- und wachstumsfördernden Maßnahmen als nachträgliche Bezahlung von Tarifvertragsabschlüssen zu diffamieren? Nun ist es ja schon zu einer Zwangsvorstellung dieses Herrn geworden, jedes, aber auch jedes Thema als Schlagstock gegen Arbeitnehmer zu verwenden. Damit muß die Union auch im Revier und gegenüber ihren gewerkschaftlichen Mitgliedern und Anhängern selbst fertig werden. Lassen Sie sich sagen, daß sich die Probleme solcher Regionen nur bewältigen lassen, wenn alle an einem Strick ziehen: die Wirtschaft und die Städte, die Regierungen und die Gewerkschaften. Wer aber so wie er die Gewerkschaften in das politische, demokratische und soziale Abseits drängen will, enthüllt nicht nur eine einseitige Parteinahme für die ganz Großen dieser Welt, sondern im Grunde drückt er auch seine Bereitschaft aus, wegen vermeintlicher wahltaktischer Vorteile die Bewältigung wichtiger Zukunftsaufgaben in Frage zu stellen oder zu erschweren. ({7}) Nun wollen wir nicht übersehen, daß die Probleme der Werft- und der Montanregionen nicht von der Bundesregierung allein gelöst werden können. Deshalb appellieren wir an die betroffenen und beteiligten Landesregierungen, nicht nur am Ende zähneknirschend ihren finanziellen Anteil zu leisten, sondern von Anfang an mit Engagement und Phantasie - vor allem mit eigenen Vorschlägen - das Zusammenwirken mit der Bundesregierung aufzunehmen. Auch die Koalitionsfraktionen fordern nicht nur andere auf, sondern werden sich an der Erarbeitung der Maßnahmen konkret beteiligen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe ist gebildet worden. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich auch dies noch sagen. Diese unsere realistische Beschreibung von Aufgaben und Problemen ist kein Pessimismus. Im Gegenteil! Wir sind davon überzeugt, auch die neuen Aufgaben bewältigen zu können. Diese Koalition und die Regierungen in Düsseldorf und Bonn haben in der Vergangenheit gezeigt, daß sie die Ärmel aufkrempeln, wenn es um die Menschen und ihre Zukunft - auch an der Ruhr - geht. Man kann sich ganz gewiß darauf verlassen, daß dies auch angesichts der neuen Lage so bleiben wird. ({8})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

-Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was und wie der Herr Bundesfinanzminister heute morgen in Erwiderung auf Herrn Biedenkopf -zum Europäischen Währungssystem geantwortet hat, läßt erkennen, wie äußerst unwohl sich die Bundesregierung inzwischen in ihrer Haut fühlt. Das Europäische Währungssystem hat Europa in der zweiten Hälfte des letzten Jahres im wahrsten Sinne des Wortes in Atem gehalten: Eine Konferenz jagte die andere, auf höchster und auf weniger hoher Ebene. In einer Serie von bilateralen Gespächen wurden - mit mehr oder weniger Erfolg - Bedenken des einen oder anderen Landes ausgeräumt. Alle Welt sah gespannt auf den 5. Dezember. Was dann und danach passierte, wissen wir alle: Zunächst machte Großbritannien nicht mit, und dann erklärte Frankreich, daß das Europäische Währungssystem erst dann in Kraft treten könne, wenn zuvor eine Einigung über den Abbau des Grenzausgleichs erzielt worden sei. Ober die Bedeutung eines funktionierenden Europäischen Währungssystems für die weitere europäische Integration gibt es keine Meinungsverschiedenheiten hier in diesem Hause. Anders sah und sieht es dagegen bezüglich der Chancen und Risiken aus, die für das Europäische Währungssystem gesehen werden. Unsere Meinung, meine Damen und Herren, ist bekannt. Wir haben bei grundsätzlicher Zustimmung mehrmals, auch von dieser Stelle aus, auf unsere Bedenken hingewiesen, die auch der Bundeswirtschaftsminister ähnlich geäußert hat oder hat äußern lassen. Sieht man sich nun den Jahreswirtschaftsbericht daraufhin an, was er über das Europäische Währungssystem sagt, so fällt - ganz im Gegensatz zu der Bedeutung, die der Bundeskanzler dem System beimißt, und zu der Ausführlichkeit, mit der sich der Sachverständigenrat des Themas annimmt - die außerordentliche Dürftigkeit auf. Nur eine einzige Seite von 62 Seiten maschinenschriftlichen Textes ist dem Europäischen Währungssystem gewidmet. Auch heute morgen hat der Bundeswirtschaftsminister - Herr Pieroth hat schon darauf hingewiesen - kein einziges Wort zum Europäischen Währungssystem gesagt. ({0}) Darauf komme ich gleich noch. - Wie verträgt sich das, so muß man fragen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der epochalen Bedeutung, die der Bundeskanzler dem Europäischen Währungssystem beimißt oder zumindest, Herr Spöri, so lange beigemessen hat, solange er glaubte, daß der Fahrplan eingehalten werden könnte, d. h. das Europäische Währungssystem am 1. Januar in Kraft treten würde? Inzwischen hat man den Eindruck - man wird ihn nicht mehr los -, daß man über die Angelegenheit Europäisches Währungssystem am liebsten hinweggehen würde, wenn man es könnte. Meine Damen und Herren, auch der Bundeskanzler hat sich in der Haushaltsdebatte vor 14 Tagen - auch das ist heute schon mehrfach erwähnt worden - nur auf wiederholtes Drängen hin bereit gefunden, auf unsere Fragen, auf die Fragen der Opposition zu antworten. Was hat er gesagt? Erstaunliches hat er gesagt. ({1}) - Ich bringe es Ihnen noch einmal. Es ist sehr gut, sich das einmal anzuhören. - Er hat gesagt, daß der Europäische Rat - sprich: die Regierungschefs - davon ausgegangen sei, daß das Europäische Währungssystem am 1. Januar in Kraft treten werde. Niemand - jetzt kommt's - habe angenommen, daß die damals textlich bereits ausgearbeitete Direktive der Europäischen Kommission ein paar Tage später in einem Ministerrat nicht angenommen werde. Dies ist mehr als mysteriös. Da gibt es nämlich die Entschließung der Regierungschefs vom 5. Dezember, in deren Ziffer 6 das Thema Landwirtschaft und Grenzausgleich ausdrücklich angesprochen wird, und dazu noch eindeutig widersprüchlich. Meine Damen und Herren, es lohnt sich, diese beiden Absätze einmal zu hören. Da heißt es im ersten Absatz: Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß die Einführung des EWS als solches nicht zu Änderungen der vor dem 1. Januar bestehenden Situation führen muß, bei der Agrarpreise, Währungsausgleichsbeträge und alle anderen für die Zwecke der gemeinsamen Agrarpolitik festgesetzten Beträge in Landeswährungen ausgedrückt sind. Und - völlig anders - im zweiten Absatz heißt es: Der Europäische Rat betont, daß es im Interesse einer Wiederherstellung der Preiseinheit in der gemeinsamen Agrarpolitik - -unter gebührender Berücksichtigung der Preispolitik - wichtig ist, daß die Schaffung dauerhafter Währungsausgleichsbeträge künftig verhindert wird und die bestehenden Währungsausgleichsbeträge schrittweise verringert werden. Niemand hat auf deutscher Seite, so Staatssekretär Lahnstein auf entsprechende Befragung im Ausschuß, während dieser Verhandlungen die Frage gestellt, welche Bedeutung diese Ziffer 6 für das Europäische Währungssystem habe.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rapp?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Rapp, bitte.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Bitte schön.

Heinz Rapp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001774, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Sprung, sollte Ihnen entgangen sein, daß sich der von Ihnen zitierte erste Satz auf den Währungsausgleich bezieht, der bei Inkrafttreten des EWS bereits vorhanden war, daß sich aber der zweite Satz auf etwa im Zuge von künftigen Aufwertungen hinzukommende Währungsausgleiche bezieht?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Rapp, das ändert doch an dem Problem überhaupt nichts. Beides steht doch auch jetzt zur Diskussion, und beides stand auch damals schon zur Diskussion. Der Bundeskanzler hat vor 14 Tagen weiter bemerkt, die Grenzausgleichsfrage sei ja nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich zu regeln, da spielten auch noch England und andere Staaten eine Rolle. Das ist richtig; niemand bestreitet das. Doch das ist nicht das Problem, denn die Forderung, erst die Grenzausgleichsfrage zu regeln, bevor das Europäische Währungssystem in Kraft tritt, kam allein von der französischen Seite. Frankreichs Präsident hat ebenfalls nicht angenommen - so der Bundeskanzler; lesen Sie sich diesen Satz genau durch -, daß die bereits ausgearbeitete Direktive der Europäischen Kommission ein paar Tage später von seinem eigenen Land, also von Frankreich, nicht akzeptiert werden würde. Meine Damen und. Herren, das ist höchst seltsam, höchst ungewöhnlich. Es bleiben daher die drei Fragen im Raum, die wir schon vor 14 Tagen gestellt haben und die wir heute wieder gestellt haben. Herr Pieroth hat das getan. Ich will sie jetzt einmal kurz vorlesen. ({0}) - Herr Spöri, gleich bin ich gern bereit, Ihre Frage entgegenzunehmen. Die Fragen lauten folgendermaßen: Erstens. Hat der Bundeskanzler sich mit dem französischen Staatspräsidenten im stillen auf einen Kompromiß in der Agrarfrage geeinigt, der jedoch vor Parlament und Öffentlichkeit verschwiegen wurde? Zweitens. Oder hat der Bundeskanzler, weil ihn scheinbar technische Details nicht interessieren, das Problem des Grenzausgleichs nicht gesehen? Drittens. Haben der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident sich am 5. Dezember auf einen Beschlußtext geeinigt, den beide unterschiedlich auslegen und auch, Herr Spöri, unterschiedlich auslegen konnten, nach dem Text, den wir vorliegen haben? ({1}) In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers über die Beschlüsse des EG-Ministerrats zum Europäischen Währungssystem vom 6. Dezember hier in diesem Hause findet sich jedenfalls kein einziges Wort zu eventuell noch nicht gelösten Problemen im Agrarbereich als Voraussetzung für das Inkrafttreten des Europäischen Währungssystems.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Wenn die Herren Kollegen Zwischenfragen stellen wollen, müssen sie sich schon die Mühe machen, so lange am Mikrophon stehenzubleiben, bis der Redner die Zwischenfrage gestattet hat. Wenn sie sich wieder setzen, schließe ich daraus, daß sie die Zwischenfrage nicht stellen wollen. Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Spöri.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Bitte schön.

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme die Information, Herr Präsident, dankbar zur Kenntnis. Herr Dr. Sprung, ich beziehe mich auf die Ausschußsitzung, die Sie gerade angesprochen haben. Ich möchte Sie daran anschließend fragen, wie Sie dazu kommen können, die englische Position im Zusammenhang mit der Diskussion über den Grenzausgleich beim EWS als vernachlässigbar, als unbedeutend zu bezeichnen, da Ihnen doch aus der Ausschußsitzung geläufig sein müßte, daß die englische Regierung, an die französischen Forderungen anschließend, Forderungen formuliert hat, die das gesamte EG-Agrarsubventionierungssystem in Frage stellen.

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Spöri, wenn die französische Regierung die Direktive der Kommission nach dem 6. Dezember, wie es der Bundeskanzler dargestellt hat, angenommen und kein Veto eingelegt hätte, dann hätten wir heute das Problem nicht auf dem Tisch.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich tue das sehr gern, Herr Präsident, aber es wird meine Zeit sehr in Anspruch nehmen. Ich habe meine Rede auf 15 Minuten Dauer angelegt. Herr Rapp, ich möchte deshalb doch fortfahren. Der jetzige Krach zeigt, wohin Verhandlungen führen, bei denen man sich selbst unter Zeitdruck und politischen Erfolgszwang setzt ({0}) und die man möglichst wählerwirksam zu einem lange vorher festgelegten Datum zu einem Ende bringen will. Es ist eine seltsame Sache, wenn angesichts der außerordentlichen Bedeutung, die der Bundeskanzler dem Europäischen Währungssystem beimißt oder beigemessen hat, und angesichts der Tatsache, daß das Inkrafttreten des Europäischen Währungssystems noch auf sich warten läßt - möglicherweise noch sehr lange -, im Jahreswirtschaftsbericht, Herr Bundeswirtschaftsminister, darüber nicht ein einziges Wort zu finden ist. ({1}) Ist es Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister - so muß man Sie doch fragen -, peinlich, daß man deutscherseits in den Verhandlungen zumindest geschlafen hat? Ist es Ihnen peinlich, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß der Bundeskanzler das Interesse am Europäischen Währungssystem plötzlich verloren zu haben scheint, oder wollten Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Sie persönlich die Bedeutung des Europäischen Währungssystems geringer einschätzen, als es der Bundeskanzler tut? Wie immer dem auch sei, der Grenzausgleich ist zu einer entscheidenden Hürde für das Europäische Währungssystem geworden, eine Hürde, die erst noch weggeräumt werden muß, Herr Spöri. Zur Lösung dieser Probleme liegen derzeit offiziell nur die Vorschläge der Europäischen Kommission auf dem Tisch.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, darf ich Ihnen sagen - nur um die Antwort schnell zu geben -, daß ich Ihre drei Fragen alle mit Nein beantworte?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Graf Lambsdorff, Sie sind also der Meinung, daß die Bundesregierung nicht geschlafen hat. Dann sind Sie vielleicht auch so liebenswürdig, uns nachher zu erklären, wieso es gleichwohl zu diesem Verhandlungsergebnis kommen konnte. Die Fragen, die ich vorhin gestellt hatte, die vorher auch schon angeschnitten worden sind, bleiben im Raum.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, werden Sie Verständnis dafür haben, daß ich das Maß meiner Liebenswürdigkeit davon abhängig machen will, daß wenigstens Sie noch hier bleiben, um die Antworten abzuwarten, während alle Ihre anderen Kollegen entschwunden sind?

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde bleiben, Graf Lambsdorff, um zu hören, was Sie dazu sagen. Es interessiert uns sehr. Ich glaube aber, ich sollte jetzt keine weiteren Zwischenfragen mehr zulassen; denn ich werde meine Zeit ohnehin überschreiten. Zur Lösung dieser Probleme liegen derzeit offiziell nur die Vorschläge der Europäischen Kommission auf dem Tisch. Vorschläge, die der Vorsitzen- de des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, unser verehrter Kollege Schmidt ({0}), wie folgt beurteilt hat - ich finde, es ist sehr schön, was er über sie gesagt hat -: für das Europäische Währungssystem unerträglich, für die Landwirtschaft eine Zumutung, für einen Kompromiß untauglich. ({1}) Dem ist, meine ich, nichts hinzuzufügen. ({2}) Ich brauche daher auch nicht auf die Einzelheiten näher einzugehen, ganz abgesehen davon, daß es ganz sicherlich nicht die letzten Vorschläge sein werden, mit denen wir konfrontiert werden. Im übrigen wird unsere Fraktion zu diesen oder anderen Vorschlägen - das werden wir sehen - in der Debatte über den Agrarbericht noch Stellung nehmen. ({3}) Eins steht jedoch nach allem, was wir in den letzten Tagen aus Brüssel gehört haben, fest: Der Bundeskanzler wird außerordentliche Schwierigkeiten haben, sein Versprechen einzulösen, daß mit dem Europäischen Währungssystem keine Einkommenseinbußen für die deutsche Landwirtschaft verbunden sein werden. Das ist bitter, wenn man weiß, daß der vollständige Abbau des Grenzausgleichs ,die deutsche Landwirtschaft rund 4 Milliarden DM kosten würde. Mit Spannung beobachten wir auch die Haltung des Bundesernährungsministers, Herrn Ertls. Wir wünschen, daß er in den kommenden Wochen das nötige Rückgrat bewahrt. Berechtigte Interessen der deutschen Landwirtschaft dürfen jedenfalls nicht auf dem Altar des Europäischen Währungssystems geopfert werden. ({4}) - Die Kehrseite der Medaille kommt gleich. Auf der anderen Seite darf das Europäische Währungssystem aber auch nicht zum Gefangenen der Agrarpolitik werden. ({5}) Wie sieht es aus, wenn künftig Leitkursänderungen erforderlich werden? ({6}) - Wenn es so einfach wäre, hätten wir die Diskussionen in Brüssel nicht. Wir hätten längst zu einem Ende kommen müssen. ({7}) Wie sieht es also aus, wenn künftig Leitkursänderungen erforderlich werden, wenn z. B. die D-Mark aufgewertet werden muß? Dann muß zunächst wieder ein Grenzausgleich eingeführt werden. Dann wird aber auch ganz sicher, da ja im Europäischen Währungssystem Konsultationen ausdrücklich vorgesehen sind, vorher hart und lange gerungen werden, wie hoch dieser neue Grenzausgleich sein soll, in welchem Maß nach seinem Abbau als Ausgleich dafür die Preise für Marktordnungsprodukte erhöht werden sollen. Das wird ein langes und .mühevolles Tauziehen werden. Wir erleben es ja im Augenblick. Was in der Zwischenzeit an den Devisenmärkten passiert, kann man sich ausmalen. Die Bundesbank muß intervenieren und sich mit Devisen der Länder des. Europäischen Währungssystems bis an die Halskrause vollpumpen. Dabei geht die Geldmengenpolitik vor die Hunde, und die Bundesbank kann nichts 'dagegen machen. ({8}) Das wäre ein unerträglicher Zustand. ({9}) Die Währungspolitik muß von der Bewältigung der Probleme der europäischen Agrarpolitik frei bleiben. Um so mehr ist und bleibt es ein Rätsel, Herr Spöri, warum diese wichtigen Probleme nicht bereits in den Verhandlungen über das Europäische Währungssystem im vergangenen Jahr gelöst worden sind. Sie lagen doch auf der Hand, und von allen Seiten ist doch auf diese Probleme hingewiesen worden. Aber für den Bundeskanzler war das offensichtlich ein technisches Problem, eine Aufgabe für Buchhalter und nicht für Staatsmänner. Jetzt holen die Buchhalter die Staatsmänner ein. ({10}) - Herr Wehner, das ist aber ein seltsames Eingeständnis. Sie wollen damit sagen, daß es die anderen in den Verhandlungen offensichtlich besser verstanden haben. ({11}) - Ja, eben, das haben wir ja festgestellt. Das ist eine Feststellung, die die Bundesregierung treffen mußte. Genauso ist es. ({12}) - Wenn sich hier ein Bundeskanzler hinstellt und einen großen Erfolg feiern möchte und dann feststellen muß, daß ihm im letzten Augenblick die Felle davonschwimmen - so ist es doch gewesen -, dann darf das doch hier angesprochen werden. ({13}) Meine Damen und Herren, wie berechtigt im übrigen die Bedenken sind, die wir zum Europäischen Währungssystem vorgebracht haben, zeigt die Geldmengenentwicklung im vergangenen Jahr. Die erheblich über das gesetzte Ziel von 8 % hinausgegangene Geldmengenexpansion, Graf Lambsdorff, hatte - so meinen auch die Sachverständigen, so meint der Sachverständigenrat - im wesentlichen außenwirtschaftliche Gründe. Sie ist zurückzuführen auf Dollar-Interventionen der Bundesbank und vor allem auf die Hereinnahme von Währungen von Ländern der kleinen Schlange in erheblichem Umfange. Warum? Weil die Länder der Minischlange zu spät auf- bzw. abgewertet haben. ({14}) Was eigentlich, Herr Spöri, berechtigt zu der Annahme, zu der Hoffnung, daß im künftigen Europäischen Währungssystem, das ja letztlich nichts anderes als eine vergrößerte Schlange ist, die Dinge anders laufen werden? Was berechtigt zu dieser Hoffnung? Das ist das eine. Das andere ist: Wie wird die Bundesbank mit den Problemen des zu großen .Geldmantels fertig, wie kann sie damit fertig werden? Es wäre schlimm, wenn ihr gerade die Bundesregierung Knüppel zwischen die Beine stecken würde. Genau dies hat sie bereits versucht. ({15}) Nach der Sitzung des Zentralbankrats am 18. Januar hielt es Staatssekretär Lahnstein im Auftrag seines Ministers für angebracht, die geldpolitischen Entscheidungen des Zentralbankrats zu rügen. Schlimmer noch. als diese Tatsache ist die Begründung, die er für diese Rüge anführte. ({16}) Die bisher schon nicht auszuschließenden Risiken von Zinserhöhungen würden weiter verstärkt, internationale Reaktionen würden nicht ausbleiben und die Schuldenaufnahme des Bundes würde erschwert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese letzte Begründung ist geradezu abenteuerlich. Wenn die Bundesbank gemäß ihrem Auftrag die gefährliche Geldvermehrung bekämpft, so tut sie damit nur ihre Pflicht. Wenn die Bundesregierung nun fürchtet, ihre riesigen Defizite nicht mehr finanzieren zu können, so ist die Lösung einfach: Sie muß weniger Schulden machen. Meine Damen und Herren, das ganze Haus sollte sich gegen diese oder künftige ähnliche Pressionen wenden. Wir alle sollten die Unabhängigkeit der Bundesbank mit allem Nachdruck auch und vor allem gegen die Regierung verteidigen. ({17}) Wir sind bisher mit der Unabhängigkeit unserer Notenbank ausgezeichnet gefahren. Andere Länder beneiden uns um diese Unabhängigkeit. Tun wir alles, um sie zu erhalten! ({18})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Abgeordnete Angermeyer.

Joachim Angermeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000039, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu dem Kollegen Pieroth ist schon einiges gesagt worden. Es würde natürlich reizen, weiteres hinzuzufügen, wenn Sie versuchen, den General ohne Truppen von seiner Truppe zu entfernen oder beide auseinanderzudividieren. ({0}) Herr Kollege Pieroth, wir haben ja nicht nur eitel Sonnenschein,- wenn wir uns mit den Kollegen von der Koalition unterhalten. Auch in unserer eigenen Partei läuft das nicht immer so. ({1}) Das heißt doch aber nicht, daß wir uns, wenn es um die Grundlagen 'dieser Wirtschaftspolitik geht, nicht einig wären. Oder haben Sie irgendwo schon einmal erlebt, daß dieser Wirtschaftsminister von der Koalition im Stich gelassen wurde? ({2}) Natürlich habe ich von ihm gelesen. Ich schätze den Genossen Roth. Ich werde Ihnen sogar noch eines sagen, Herr Pieroth: Bevor ich den Genossen Roth hier im Bundestag kennengelernt habe, hatte ich von dem eine ganz andere Meinung. ({3}) Ich stelle fest, er ist viel sachlicher, als manch einer glaubt. ({4}) Daß er gelegentlich auch einmal etwas zum besten gibt, was nicht meine Zustimmung findet und auch nicht die des Bundeswirtschaftsministers und auch nicht die ungeteilte Zustimmung seiner eigenen Freunde, das hat doch nichts mit meiner Wertschätzung zu tun. ({5}) Nein, Herr Kollege Pieroth, so kriegen Sie uns nicht auseinander. Herr Kohl versucht ja immer wieder mit Vorliebe, dem Bundeskanzler zu sagen: „Herr Bundeskanzler, Sie haben keine Mehrheit", und der gute Herbert Wehner sagt dann stets: „Sie tun .mir leid, Herr Kohl". Daran erinnert mich das. Aber Sie tun mir nicht leid, Herr Pieroth, denn Sie wissen es ja viel besser: daß dieser WirtschaftsmiAngermeyer nister seine Mannschaft und seine Koalition hinter sich hat. Und im übrigen haben wir ja auch noch den Vorteil: Wenn es gar nicht mehr geht, könnten wir uns auf unsere Latifundien zurückziehen. Aber das tun wir nicht, weil wir es nicht nötig haben. ({6}) - Das in Mainz war ein Betriebsunfall; da haben - und das soll ja auch einmal geschehen - obere Parteiführer die Lage vielleicht nicht so ganz. richtig beurteilt. ({7}) - Jawohl, so ist das gewesen. Und wir alle haben es bedauert, daß man dort taktisch falsch gehandelt hat. Vielleicht wäre auch jener Graf besser beraten gewesen, wenn er nicht gegen einen kleinen Landesvorsitzenden angetreten wäre, um ins Präsidium zu kommen. Sein Gewicht ist, auch ohne Präsidiumsmitglied zu sein, so groß, daß er dort nicht auch noch Sitz und Stimme haben muß. Einen Sitz hat er dort ohnehin. ({8}) - Nein, hinterher hat er doch seine Truppe wieder dabei gehabt, als es um seine Politik ging. ({9}) - Nein, als es um seine Politik ging, standen alle wieder hinter ihm. ({10}) - Nein, lieber Freund Kittelmann, so habe ich das nun wieder nicht gemeint. Lassen Sie mich nun aber etwas zum Jahreswirtschaftsbericht, insbesondere unter außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten, sagen. Nachdem über Jahre die Bewältigung der Schwierigkeiten auf dem Sektor der Außenwirtschaft viel Kraft verbraucht hat, können wir im weltwirtschaftlidien Erholungsprozeß im Jahre 1978 leichte Fortschritte verzeichnen. Dies gilt insbesondere für die Erfolge im Kampf gegen die Inflation, wobei wir einmal mehr mit Genugtuung feststellen können, daß die Bundesrepublik auf Grund der erfolgreichen Wirtschaftspolitik einen der niedrigsten Inflationsstände sämtlicher vergleichbarer Industrieländer hat. Alle Industrieländer sind aufgefordert, darauf hinzuwirken, daß ein Gleichgewicht ihrer Zahlungsbilanz erreicht wird, um so bei gleichzeitigem Wachstum die Inflation zu mindern, den Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu verhindern, ja, was noch wichtiger ist, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Wir hatten im letzten Jahr in der Bundesrepublik zwei Ereignisse von Weltbedeutung, zum einen den Europäischen Rat, der in Bremen getagt hat, zum anderen den Wirtschaftsgipfel, der dann wenige Tage später in Bonn zusammentrat. Sie wissen alle, welche Ziele hier festgelegt worden sind, und die Bundesrepublik ist den selbst gesetzten Zielen bereits sehr nahe gekommen und hat mit ihrem Beitrag zur Abwehr weltweiter Störungen des wirtschaftlichen Gleichgewichts ihre Möglichkeiten nahezu ausgeschöpft. Wir können an dieser Stelle die Maßnahmen nur begrüßen, die die meisten anderen beteiligten Länder im Anschluß an den Bonner Gipfel auf wirtschaftspolitischem Sektor eingeleitet haben. Die zukünftige Entwicklung des Außenhandels wird durch die starken Wechselkursveränderungen des letzten Jahres erheblich beeinflußt. Auch wir sehen darin ein Risiko. Hier sind große Anstrengungen aller Beteiligten notwendig, um zu stabileren Währungen zu kommen. Wir begrüßen es daher, daß die Inflationsgefahr heute überall erkannt wird und daß man in der Inflation nicht etwa einen Motor zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit sieht. Wir wissen auch, daß große Anstrengungen gemacht werden, um die Inflationsraten zu senken und um diese Gefahr in den Griff zu bekommen. Erste Erfolge sind sichtbar. Denken Sie aber auch an etwas, was uns jetzt besonders interessiert: die Energieversorgung aus dem Nahen Osten. Obwohl Öllieferungen aus dem Iran, durch die dortigen Unruhen bedingt, ausgeblieben sind, ist mit einer Verknappung der Vorräte vorerst nicht zu rechnen. Aber es scheint nicht gerade sehr sinnvoll zu sein, durch unterschiedliche Beurteilungen vor der Öffentlichkeit zusätzliche Unruhe zu wecken. Schwarzmalereien, soweit es um die Rohölversorgung geht, sind durch sachliche Tatbestände kaum zu rechtfertigen. Wir haben aber Anlaß dazu, uns Sorgen zu machen, daß der Iran Aufträge an die Industrie storniert oder ihre Erfüllung in Frage stellt. Sie alle wissen auch, in welch hohem Maße die frühere Regierung des Iran auf die deutsche Industrie gesetzt hatte und mit welch großen Aufträgen eine hohe Auslastung bestimmter Industriezweige in unserem Lande dadurch gesichert war. Weil ich glaube, daß man ein bestimmtes Industrieunternehmen - ich spreche von der DIAG - in der heutigen Debatte noch ansprechen wird, möchte ich nur eines sagen: Natürlich wird dieses Unternehmen nicht im Stich gelassen, wenn durch die jetzt veränderte Situation im Iran eine schwierigere Lage entstanden ist, und ich weiß, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister diese meine Auffassung teilt. Es ist ebenfalls richtig, im Bereich der Rohölversorgung ein wachsames Auge auf die Beschlüsse der OPEC-Staaten zu haben, vornehmlich dann, wenn sie laut darüber nachdenken, den Rohölpreis weiter kräftig anzuheben. Andererseits ist es sehr vernünftig, die Lage realistisch zu betrachten und sich nicht durch Hektik beeinflussen zu lassen, dá diese Hektik von anderer Seite vielleicht nur als billiger Vorwand für vorweggenommene Preiserhöhungen benutzt wird. Wir wissen, daß die Bundesregierung darauf vorbereitet ist, mit ähnlichen Versorgungsproblemen, wie sie jetzt wegen der Entwicklung im Iran gegeben sind, fertig zu werden und unmittelbare Versorgungsschwierigkeiten abzuwehren. Um so mehr muß an dieser Stelle gesagt werden, welch hohen wirtschaftlichen Rang die Energieeinsparung hat und wie wichtig die Suche nach neuen Technologien auf dem Energiesektor ist. Denn einseitige Abhängigkeiten von Lieferanten oder von Rohstoffen könnten für uns verhängnisvolle Folgen haben. Hier hat die Bundesregierung mit der zweiten Fortschreibung ihres Energieprogramms die Lage richtig erkannt und eingeschätzt. Sie verdient unsere Unterstützung. Insbesondere muß die Suche nach Alternativen zu den fossilen Energieträgern intensiviert werden. Neben den rein wissenschaftlichen Versuchen muß aber auch ohne Emotionen die Arbeit an der Aufklärung über die Gefahren, die in der Verwendung jedes Energieträgers - das möchte ich ausdrücklich betonen -, sei er fossil, sei er nuklear, enthalten sind, fortgesetzt werden. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß diese Maßnahmen in unserer Bevölkerung zunehmend ein positives Echo finden. Zum Thema Kernenergie kann ich nur den Wissenschaftlern beipflichten, die vor einigen Tagen einen offenen Brief geschrieben haben, in dem sie davor gewarnt haben, sachliche und wissenschaftlich fundierte Argumente durch Emotionen und Vogel-Strauß-Politik zu ersetzen. Trotz der bisherigen - wie ich zugebe, nicht in jedem Punkt optimistischen - Ausführungen bin ich der Meinung, daß wir mit einer gewissen Ruhe in die Zukunft blicken können, da die Talfahrt unserer Wirtschaft durch die Maßnahmen der Bundesregierung, die durch die sie tragende Koalition und durch die Wirtschaft selbst gestützt wurden, beendet scheint. Dies wird von maßgeblichen Kreisen der Wirtschaft ausdrücklich bestätigt. Wir freuen uns über diese Bestätigung, gibt sie doch der Politik der Bundesregierung recht. Die Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik hat zwei Hauptfaktoren, von denen der reibungslose Lauf abhängt. Da sind zum ersten die Rohstoffarmut unseres Landes und die damit verbundene Notwendigkeit, Rohstoffe aus dem Ausland in genügendem Umfang zu erträglichen Kosten einzuführen. Zum zweiten ist die Exportwirtschaft für uns als rohstoffarmes Land die notwendige Kompensation, da unser Binnenmarkt in der Bundesrepublik nicht im entferntesten in der Lage ist, ein befriedigendes Wachstum für unsere Industrie zu garantieren. Diese Gleichgewichtigkeit müssen wir ständig zu sichern suchen. Die in unserem Lande erfolgreichen wirtschaftlichen Bemühungen sind jahrelang dadurch gestützt worden, daß die Bundesrepublik als Insel des sozialen Friedens gelten konnte. Gleichzeitig können wir mit Genugtuung feststellen, daß wir zur Zeit, gemessen an den vergleichbaren Industrieländern, eine der geringsten Arbeitslosenquoten und, ebenfalls im internationalen Vergleich, eine erhebliche reale Wachstumsquote aufweisen können. ({11}) Bezüglich des Wachstums können wir unsere Freunde nur auffordern nachzuziehen, und bezüglich der Arbeitslosenquote ist es müßig, auf die durch die Wetterlage bedingte Zahl der Arbeitslosen einzugehen, da sich mit Sicherheit das Wetter und damit auch die Lage am Arbeitsmarkt positiv ändern werden. Dennoch ist es die wichtigste Aufgabe, der Arbeitslosenzahl - auch und besonders in unserer exportierenden Wirtschaft - größte Aufmerksamkeit zu widmen. Desgleichen ist es vielleicht erforderlich, gelegentlich die Zahl der bei der Bundesanstalt für Arbeit gemeldeten Arbeitslosen zu bereinigen. Mein Kollege Cronenberg wies bereits darauf hin. Dadurch ergibt sich möglicherweise ein etwas anderes Bild. Dies hätte dann auch nichts mit Manipulationen zu tun, sondern würde die zu treffenden Maßnahmen in ihrer Richtung und in ihrer Wirksamkeit nur erleichtern. Lassen Sie mich auch noch sagen, daß die Tarifparteien natürlich dazu aufgerufen sind, das Mögliche zu tun, um größere Ausfälle in der Produktion und eine stetige Teilnahme von Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Wachstum zu ermöglichen und vor allem. Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Bei allen Verteilungskämpfen sollten die an ihnen Beteiligten immer auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Auge behalten, sowohl im Inland als auch auf den Exportmärkten. ({12}) Wir müssen darauf achten, daß niemand die Schraube bei der Verteilung überdreht. Ohne ausreichende Erträge schaffen wir auch nicht die notwendigen neuen Arbeitsplätze, für die nun einmal Investitionen erforderlich sind. Jede verdiente Mark kann immer nur einmal ausgegeben werden. Wir stehen in einem richtungweisenden Jahr der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments. In diesem Jahr werden Entwicklungen für die Zukunft sehr deutlich festgelegt. Es muß uns allen darum gehen, ein Europa aufzubauen, das für die Bürger ein großes Maß an wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit bieten kann. Diese Absicherung ist aber nur möglich, wenn es in Europa Arbeit für alle gibt, und Arbeit für alle ist nur zu erreichen, wenn die Prinzipien der Marktwirtschaft in allen Ländern beachtet werden. Koordinierungsmaßnahmen auf dem Sektor der Wirtschaftspolitik hat, wie ich vorhin schon angedeutet habe, der Europäische Rat in Bremen im Juli des vergangenen Jahres beschlossen. Eine Koordinierung auf der Ebene aller Industrieländer muß weiter gesucht und vertieft werden. Dabei spielt der ständige Dialog zwischen den Welthandelsnationen und den internationalen, Organisationen eine große Rolle. Nur mit einem stabilen Europa, das auf wirtschaftlich gesunden Beinen steht, können wir - und da steht die Bundesrepublik in vorderster Linie - die Rolle als Industrieland spielen, die die Entwicklungsländer zu Recht von uns erwarten. Aber nur wo Geld verdient wird, kann Geld ausgegeben werden. Dies gilt besonders für die Entwicklungspolitik. Ich verschweige nicht, daß die Bundesrepublik hier mehr zu leisten in der Lage ist als ärmere Nationen. Die Tatsache, daß die Bundesregierung dies weiß, zeigt der Ansatz des Haushalts des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der freilich sicher noch nicht alle Erwartungen erfüllt. Hier ist allerdings eine größere und tiefergehende Aufklärung der betroffenen Industrie- und Wirtschaftskreise erforderlich, damit das aus dem Haushalt zur Verfügung stehende Geld tatsächlich ausgegeben werden kann. Wir werden die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, die Arbeiten internationaler Gremien, besonders der OECD und der UNCTAD auf ihrer nächsten, der 5. Konferenz im Juni dieses Jahres in Manila, zu fördern. Gerade diese 5. Welthandels- und Entwicklungskonferenz wird ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zu einer vernünftigen weltweiten Wirtschaftspolitik sein können. Sicher werden auf dieser Konferenz die Entwicklungsländer wieder die Verwirklichung einer neuen Weltwirtschaftsordnung fordern. Es muß aber an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die Industrieländer ihre Aufgaben nur dann wahrnehmen können, wenn sie in einem vernünftigen Maß an der Gestaltung der neuen Weltwirtschaftsordnung teilhaben können. Das geht sicher nicht dadurch, daß in zunehmendem Maß durch die Entwicklungsländer die Etablierung von Weltoberbehörden zur Steuerung marktpolitischer Mechanismen gefordert wird. Bürokratisierung, gleichgültig auf welcher Ebene, hat die Durchlässigkeit der Märkte und die Versorgung mit Waren und Rohstoffen noch nie erleichtert, sondern im Zweifelsfall nur sehr viel Geld gekostet. Das können wir durch einen Blick über die Grenzen leicht feststellen. Ein bedauerliches Beispiel für dieses Problem der Bürokratisierung auf weltweiter Ebene bieten die Verhandlungen der UNO-Seerechtskonferenz. Letztlich hat das Beharren vieler Entwicklungsländer auf Übertragung der Kompetenzen auf eine Behörde auf UNO-Niveau dazu geführt, daß eine für alle an der Konferenz beteiligten Länder tragbare Konvention zum Seerecht und allen damit verbundenen Komplexen noch nicht hat verabschiedet werden können. Vielmehr hat dieses starrsinnige Beharren den positiven Ausgang der Seerechtskonferenz mehr als gefährdet. Es bleibt zu hoffen, daß auf den nächsten Sessionen ein größeres Ausmaß an Kooperationsbereitschaft sichtbar wird. Die störungsfreie Entwicklung von Weltwirtschaft und Welthandel wird nur dann eintreten, wenn wir es als eine der wichtigsten Aufgaben unseres Landes auch in Zukunft ansehen, bestimmten Tendenzen im Hinblick auf die Gefahren, die sich für die Freizügigkeit des internationalen Handels, des Wirtschaftswachstums und des Beschäftigungsniveaus weltweit ergeben, entgegenzutreten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Joachim Angermeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000039, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende. Besondere Beachtung findet in diesem Zusammenhang die GATT-Runde. Wir hoffen mit dem Bundeswirtschaftsminister, daß noch im Frühjahr die Verhandlungen erfolgreich beendet werden können. Lassen Sie mich zum Schluß - vielleicht mit Ihrer freundlichen Unterstützung - noch einmal darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik als stark exportorientiertes Land in allererster Linie darauf angewiesen ist, einen freien Warenaustausch in dieser Welt zu ermöglichen. Dabei darf es keine Einbahnstraßen geben. Auch unsere Hilfestellung für Entwicklungsländer hat damit nichts zu tun, denn die beste Hilfe für die Entwicklungsländer besteht darin, sie am freien Welthandel zu beteiligen. Wenn wir unsere Hilfen unter diesen Voraussetzungen geben, sind sie, glaube ich, von größtem Nutzen für alle Beteiligten. Der Jahreswirtschaftsbericht ist in seiner Tendenz, auch was die Außenwirtschaft betrifft, positiv; dies nicht ohne Grund. Allen am Wirtschaftsleben in unserem Land Beteiligten haben wir dafür zu danken, daß durch ihre Anstrengungen und Leistungen die Zukunft in einem günstigeren Licht erscheint. Den Jahreswirtschaftsbericht nehmen wir zustimmend zur Kenntnis. Die Politik der Bundesregierung findet die volle Unterstützung der FDP. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir. zum Schluß zu dieser späten Stunde noch einige wenige zusammenfassende Bemerkungen aus der Sicht meiner Fraktion. Ich hatte eben so den Eindruck, einige Redner der Opposition wissen nicht so ganz genau, was im Jahreswirtschaftsbericht zu stehen hat. Er hat für das laufende Jahr 1979 die Ziele und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen dieser Regierung darzulegen. Wenn keine großen Maßnahmen angekündigt werden, dann liegt das daran, daß die wirtschaftspolitische Situation in diesem Lande verhältnismäßig gut ist. ({0}) - Jawohl, verhältnismäßig gut ist. Außerdem liegt es daran, daß die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die diese Regierung ergriffen hat, jetzt erst einmal wirken müssen, was sie hoffentlich auch tun. Die Probleme, mit denen wir in diesem Jahr zu kämpfen haben, sind ja nicht hausgemacht, kommen ja nicht aus unserer Volkswirtschaft, sondern kommen ganz zweifellos aus der Weltwirtschaft zu uns herein. In Abwandlung eines Wortes von Walther Rathenau würde ich sagen: Die Weltwirtschaft ist unser Schicksal. Noch immer haben wir - auch jetzt in diesem Jahr - mit den Folgen der Energiepreisexplosion zu kämpfen. Wir wissen nicht genau, wie sich die Energiepreise auf dem Weltmarkt weiterentwickeln werden. Noch immer haben wir mit dem Zusammenbruch des Weltwährungssystems und mit den Folgen des Vietnam-Krieges zu kämpfen. Noch immer haben wir mit dem Dollarverfall zu kämpfen, und noch immer haben wir unter den weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen zu leiden, die alle Länder der westlichen Welt hart treffen. Aber, meine Damen und Herren, die nationale Expansionspolitik, die wir in diesem Lande betrieben haben, hat entscheidend dazu beigetragen, daß diese weltwirtschaftlichen Probleme abgeschwächt und abgemildert wurden. ({1}) Weitere Erfolge auf diesem vernünftigen Weg können wir nur erzielen, wenn wir von schwerwiegenden außenwirtschaftlichen Störungen verschont bleiben. Das ist die große Frage dieses Jahres. Diese Frage kann zur Zeit keiner exakt beantworten. Das Europäische Währungssystem, Herr Dr. Sprung, scheint mir eine Erweiterung der bisher vorhandenen Schlange zu sein. Aber ich darf Ihnen sagen: Es wird kommen, und das ist meines Erachtens auch gut so. Zweifellos können Gefahren für die Preisentwicklung aus diesem Währungssystem auf unser Land zukommen. Das ist gar keine Frage. Aber dieses Währungssystem enthält auch positive Seiten. Es könnte dazu beitragen, daß die Beschäftigungssituation gerade in diesem Lande erheblich verbessert wird. Ich meine, das muß einmal herausgestellt werden. Wichtig finde ich auch, was die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht zu diesem Problem gesagt hat, daß nämlich Wechselkursanpassungen, wenn sie einmal notwendig werden sollten, geräuschlos und rechtzeitig vorgenommen werden müssen. Notwendig ist es sicherlich auch, daß sich die anderen Länder in der Europäischen Gemeinschaft etwas mehr um Stabilität bemühen. Wichtig ist ferner, was diese Regierung auf den Gipfeltreffen in Bremen und in Bonn praktiziert hat. Das war der erste Versuch, der meines Erachtens auch sehr effektiv war, eine Konvergenz der Wirtschaftspolitik herbeizuführen. Aber trotz dieser positiven Aspekte besteht zweifellos die Gefahr, daß weitere währungspolitische Probleme auf unsere Volkswirtschaft zukommen, unter denen schon viele Wirtschaftszweige und auch Unternehmen in. der letzten Zeit zu leiden hatten. Das ungelöste Problem des Eurodollarmarktes liegt mir sehr am Herzen, und ich weiß noch nicht, was man hier machen soll. Es ist ein schweres Damoklesschwert, das gewissermaßen über unserer wirtschaftlichen Entwicklung hängt. Wichtig ist auf alle Fälle, daß die USA ihre Antiinflationspolitik systematisch weiter betreiben- und daß sie auch an das herangehen, was sie hier in Bonn versprochen haben, nämlich verstärkt Energie einzusparen. Ich glaube, wir stehen vor der Alternative: Entweder gelingt es den USA, diese herumvagabundierenden Dollars aufzusaugen, oder wir kommen in die Gefahr einer Devisenzwangswirtschaft, um Aktivitäten der ausländischen Anleger zu begrenzen, was wir wohl alle nicht wollen. Wer aber für das Aufsaugen dieser 500 Milliarden Eurodollar ist, der muß auch Verständnis für eine Dollarabwertung und für die Antiinflationspolitik in den Vereinigten Staaten aufbringen, wie mir scheint. ({2}) Ich habe mit großer Genugtuung gehört, was Graf Lambsdorff hier über den Protektionismus, über .die Ausweitung und über die Gefahren des Protektionismus gesagt hat. ({3}) Wir wissen alle noch - wenigstens diejenigen, die hier noch sitzen -, wie es in den 30er Jahren aussah. Auch damals war Protektionismus die Ursache für die weltweite Wirtschaftskrise, Es war die berühmt-berüchtigte Beggar-my-neighbour-policy, die wir auf keinen Fall wieder bekommen dürfen. Deshalb gilt es in der Tat - das ist unsere feste Überzeugung -, alles zu tun, um gegen den Protektionismus zu kämpfen. Aber ich möchte hier auch mal ein kritisches Wort sagen, was wohl erlaubt sein muß. Gerade in der Wirtschaft gibt es viele, die in der Öffentlichkeit lautstark über Protektionismus schimpfen, die ihn aber sofort verlangen, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. ({4}) Auch folgendes möchte ich noch anmerken. Mächtige Anbieter auf bestimmten Märkten bekommen in Brüssel ohne weiteres Antidumpingzölle oder sogenannte Selbstbeschränkungsabkommen genehmigt, alles Maßnahmen des Protektionismus. Aber kleine und mittlere Unternehmen haben es natürlich viel, viel schwerer, auf diese Weise ihren Markt abzuschirmen. Wir alle sehen die große Gefahr des sich ausweitenden Bürokratismus. Das Stahlkartell sollte eigentlich eine Warnung sein; denn hier haben wir zunächst mit Basispreisen, mit Mindestpreisen, mit Orientierungspreisen versucht, den Markt abzuschirmen. Dann funktionierte es immer noch nicht, und nun mußte Herr Davignon Bürokraten quasi in die Betriebe hineinsetzen, um sein Konzept zu verwirklichen. Manchmal hat man ja das Gefühl, daß an der Ölfleck-Theorie eines Hayek doch wenigstens ein wenig daran ist. Ich möchte hier noch einen Aspekt vortragen, den auch der Wissenschaftliche Beirat in dem schon viel zitierten Gutachten vorgetragen hat. Bei all diesen Marktordnungsmaßnahmen mag es so sein, daß kurzfristig Produzenten und auch die betroffenen Arbeitnehmer davon profitieren. Aber mittelfristig leiden darunter auch dritte Gruppen und vor allem die Öffentlichkeit, die sich eben nicht artikulieren kann. Deren Interessen haben wir hier vor allem zu vertreten, wie mir scheint. Wir hoffen, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gelingt der Bundesregierung bei den GATT-Verhandlungen, auch die nichttarifären Handelshemmnisse, die ja überall sprudeln, zu beseitigen. Es ist gut, daß dies auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel von der Bundesregierung noch einmal sehr deutlich vorgetragen wurde. Erlauben Sie mir noch einige weitere Bemerkungen zu den weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen, unter denen ja unsere Wirtschaft verstärkt zu leiden hat. Gestern war es die Textilindustrie, heute ist es die Stahlindustrie, und morgen sind es andere Industriebereiche, die Massengüter produzieren, die dann dem Wettbewerb aus den Entwicklungsländern, aus den Ländern der Dritten Welt, nicht mehr gewachsen sind. Diese Entwicklung ist unaufhaltsam, und ich sage sogar, sie ist richtig. Es hat keinen Zweck, sich dagegen zu wenden. Aber ich möchte hier außerdem sagen: Es ist nicht korrekt, wenn immer wieder behauptet wird, daß etwa die hohen Löhne_ in unserem Land schuld an dieser weltwirtschaftlichen Veränderung hätten. Das ist nicht richtig. ({5}) Die Löhne waren in diesem Lande schon immer hoch, und die Relation zwischen den Löhnen bei uns und den Löhnen in den Entwicklungslandern ist nicht größer geworden, sondern sie ist eher etwas kleiner geworden. Lesen Sie noch einmal die Tabelle IV des Sachverständigengutachtens. Dort ist nachzulesen, daß sich die Lohnkosten in unserer Volkswirtschaft von 1971 bis heute bei weitem am geringstens im Vergleich zu allen anderen westlichen Industrienationen erhöht haben. ({6}) Ich gebe zu, daß die Wechselkurse der Wirtschaft - das hatte ich ja schon gesagt - zum Teil Probleme beschert haben, aber doch nur jenen Unternehmen, die auch im weltwirtschaftlichen Wettbewerb stehen. Es ist einfach falsch, Herr Sprung, den Löhnen nun die Schuld an dieser Entwicklung zuzuschieben. Das wollte ich zurückgewiesen haben. ({7}) Den Unternehmen kann man doch nur sagen, sie müßten diese Entwicklung, die ja auf verschiedene andere Wirtschaftszweige noch zukommt, stärker als bisher antizipieren und entsprechend handeln. ({8}) Ich habe auf Grund dieser Entwicklung Sorge, daß unsere strukturpolitischen Instrumente - erlauben Sie mir dieses Wort noch zum Thema Strukturpolitik .- nicht mehr recht greifen. Die strukturpolitischen Instrumente sind seinerzeit unter anderen Konstellationen konzipiert worden. Diese Entwicklung wurde damals nicht vorausgesehen. Heute ist es so, daß wir zum Teil in strukturschwachen Gebieten Arbeitsplätze schaffen und sie gleichzeitig in anderen Gebieten vernichtet werden. Der Planungsausschuß, der ja weitgehend die Federführung für diese strukturpolitischen Instrumente hat, ist leider ein wenig rigide und nicht in der Lage, sich entsprechend flexibel auf diese neueren Entwicklungen einzustellen. V ({9}) Ich rege deshalb an, daß wir einmal verstärkt überlegen, ob auf Grund dieser Entwicklung nicht doch ein neues strukturpolitisches Instrumentarium aufgebaut werden müßte. ({10}) - Ich werde mit Herrn Haussmann noch darüber reden. Noch ein vorletztes Wort zu dem Thema Ordnungspolitik, das hier ja so breit angesprochen worden ist. Ich sage: Es wäre ganz verhängnisvoll, wenn wir nicht mehr. offen und ehrlich über ordnungspolitische Fragen miteinander diskutieren könnten. Diese Ordnung hat sich in der letzten Zeit fortentwickelt, und sie wird sich auch weiterhin fortentwickeln. Das ist auch gut so. ({11}) Wir Sozialdemokraten haben durch Handlungen bewiesen, daß wir zu den Grundprinzipien dieser Ordnung stehen. Wir wollen Wettbewerb und lassen uns auf dem Gebiete des Wettbewerbs und der Wettbewerbspolitik von keinem übertreffen. Wir wollen auch Privateigentum an den Produktionsmitteln und werden auch dafür einstehen, seien Sie gewiß. Wir wollen ferner die dezentrale Entscheidung über die wichtigen ökonomischen Fragen in den Betrieben und werden auch dafür streiten. ({12}) Aber wir lassen es nicht zu, wenn diese Ordnung zu einer heiligen Kuh gemacht werden soll. Das darf nicht sein, sondern man muß über Mängel offen und ehrlich miteinander reden können. ({13}) Auf diesem Gebiet ist leider das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats ein wenig unterentwikkelt. Hier werden plakativ Forderungen erhoben, aber es wird nicht gesagt, was denn eigentlich schlecht in dieser Ordnung ist. Es wäre doch lächerlich, wenn wir etwa behaupteten, es gebe nichts Schlechtes in dieser Ordnung. Ford hat einmal gesagt: Es gibt nichts im Betrieb, was nicht noch verbessert werden kann. Das gleiche gilt auch für die Ordnung. Es gibt hier sehr viel, was noch verbessert werden kann. ({14}) Nein, meine Damen und Herren, in dieser Ordnung ist nicht alles in Ordnung. Es ist z. B. etwas nicht in Ordnung, wenn kurzfristige Beschäftigungsschwankungen zum Anlaß für Protektionismus genommen werden oder wenn an die Stelle von Wettbewerbsmärkten mit flexiblen Preis-Mengen-Bewegungen oligopolistische Machtstarre tritt oder wenn der dynamische Unternehmer durch Risikoabwälzung und Subsidiensucht quasi zum schlechten Beamten wird. Ich habe manchmal das Gefühl, daß es einigen Herren in den Konzernetagen der Unternehmen nur darum geht, ihre Macht zu kumulieren und auszuweiten, und nicht mehr darum, nach Schumpeterscher Manier den technischen Fortschritt voranzutreiben. ({15}) Ich komme zum Schluß: Wir nehmen das Problem der Arbeitslosigkeit sehr ernst. Ich sage sogar: Wir nehmen es ernster 41s Herr Biedenkopf, der in seinem berühmt-berüchtigten Memorandum gemeint hat, daß dieses Problem keine singuläre Bedeutung habe. Für uns hat es eine ganz große Bedeutung. Wir haben auf diesem Gebiet manches getan. ({16}) Wir stehen im Verhältnis zu allen vergleichbaren Industrienationen der westlichen Welt wesentlich besser da. Wir haben im Vergleich zu diesen Industrienationen die geringste Arbeitslosenquote. Worum uns andere Länder beneiden. ({17})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich reizt es mich, Herr Dr, Jens, auf die von Ihnen für die Sozialdemokratische Partei vorgetragenen Abschlußthesen etwas einzugehen. Sie fingen damit an, daß in dem Jahreswirtschaftsbericht nicht viel drinstehe, weil die Wirtschaft an sich doch in Ordnung sei. Dann nannten Sie vier, fünf Kernpunkte, die doch dazu Anlaß gäben, darüber nachzudenken. Sie haben aber, dialektisch, wie Sie nun einmal denken, in ihren Schlußbemerkungen leise Herrn Klose mithusten lassen; denn wenn Sie hier sagen, daß die Soziale Marktwirtschaft und die Ordnungspolitik für Sie keine heilige Kuh seien, danach aber ausführen, daß Sie sich hinsichtlich des Wettbewerbs von niemandem übertreffen ließen, wobei Sie nicht klarlegen, wo Sie Ihre kritischen Ansätze sehen, kann man nur davon ausgehen, daß Sie hier entweder eine kleine Pflichtübung gemacht haben oder das, was Sie wirklich meinen, zurückgehalten haben. ({0}) Meine Damen und Herren, auch wenn die sozialdemokratische Wochenzeitschrift „Vorwärts" Berlin für ein „Abstellgleis" hält, darf ich für die CDU/ CSU-Fraktion zu dem Problem Berlin einige Worte sagen. Wir alle wissen, daß die Berliner Wirtschaft sensibler und reizbarer als die in anderen Förderungsgebieten in anderen Bundesländern ist. Die besondere psychologische Situation. erfordert von uns allen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland politische Verantwortung tragen, weit vorausschauende wirtschaftspolitische Entscheidungen. Wer in dieser Stadt arbeitet und investiert oder am besten beides tut, macht dies bewußter, als es anderswo geschieht. ({1}) Die gemeinsame Erkenntnis der von mir eben dargestellten Probleme führte zu der Notwendigkeit der Berlinrunde beim Bundespräsidenten. Die CDU/ CSU hat sich aus nationaler Verantwortung - obwohl es für eine Opposition immer schwieriger ist, weil die Erfolge in der Regel hinterher von der Regierung als ihre Erfolge verkauft werden - dieser Runde angeschlossen. Dafür werden wir aber auch dafür sorgen, daß die Ergebnisse dann in die Praxis umgesetzt werden. ({2}) - Sie sagen: als Opposition. Wie ist dieser Zwischenruf zu verstehen? Meinen Sie: Wir brauchen die Opposition nicht? ({3}) Wer die besonderen Anstrengungen der Bundesregierung in dieser Frage als in den letzten Tagen sehr deutlich hervortretend bezeichnet, scheint unter dem Wort „Anstrengungen" mehr kleine Kniebeugen und nicht tatkräftiges Handeln zu verstehen. Wer sich den Jahreswirtschaftsbericht ansieht und daraus schlußfolgern will, welche Gewichtigkeit Berlin für die Bundesregierung hat, stellt fest: Pflichtübungen beherrschen die Szene. ({4}) Welches sind die vorrangigen Probleme in Berlin? In Berlin ist eine dramatische Verringerung der Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe zu verzeichnen. Gab es 1966 noch rund 280 000 Beschäftigte in diesem Gewerbe, so waren es 1978 nut noch 173 000. Vergegenwärtigen Sie sich bitte auch die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit in Berlin. Die Arbeitslosenquote betrug in Berlin im Jahre 1978 rund 4,6 %. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Berlin weit höher ist, daß dort der Anteil der öffentlichen Bediensteten sehr hoch ist und daß die Abwanderung eine gute Voraussetzung für eine statistisch geringere Arbeitslosenquote als im Bund liefert. Das. heißt: wenn man diese statistischen Merkmale mit berücksichtigt, könnte noch eine sehr viel höhere Quote als 4,6 % errechnet werden. Dies alles vollzieht sich angesichts einer in dramatischer Weise negativen Bevölkerungsentwicklung. 1950 hatten wir in Berlin noch 2 100 000 Einwohner. 1978 waren es unter voller Einberechnung der Gastarbeiter noch 1 920 000 Einwohner. Nach der Prognose des DIW werden es 1990 nur noch 1 700 000 Einwohner sein. Nach der Prognose der Enquete-Kommission werden es im Jahr 2000 sogar nur noch 1 480 000 sein. Ich wiederhole: 1 480 000 Einwohner! Jede Abnahme der Berliner Bevölkerung vertieft deren Probleme. Die Bundesregierung - wie leider auch der Senat von Berlin - vermittelt angesichts fehlender Taten den Eindruck einer fatalistischen Sekte, die auf ein Wunder von oben wartet. ({5}) Handeln heißt, daß man auch bereit ist, spektakulär erscheinende Maßnahmen zu diskutieren und später umzusetzen. Das zusätzliche Kindergeld für Berlin, das der SPD von der CDU/CSU gemeinsam mit der FDP abgerungen werden mußte, ist ein negativer Kompromiß und kann nur ein erster Anfang sein. Die überdurchschnittliche Negativskala von Berlin erfordert, daß überdurchschnittliche positive Anstrengungen gemacht werden. Wir wissen alle, daß die Anzahl der Betriebe in Berlin, die schließen müssen, sehr hoch ist. Jede Schließung eines Betriebes wirkt in Berlin psychologisch tiefer als die Schließung eines Betriebes anderswo. Loewe-Opta mag dafür nur ein Beispiel sein. Der Herr Kollege Angermeyer sagte, daß wir die DIAG natürlich nicht im Stich lassen. Mit Sorge haben wir heute die Überschrift in einer Tageszeitung registriert, daß bei der DIAG 5 500 Arbeitsplätze in Gefahr seien. Es ist zu bedauern, daß das fragwürdige Sanierungskonzept durch Indiskretion in die Öffentlichkeit gebracht worden ist. Die Lösung des Problems wird dadurch nicht leichter gemacht. Es ist zwar nicht zu übersehen, daß die Entwicklung im Iran die DIAG besonders hart trifft, aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß Ursache und Folge der Entwicklung bei der DIAG die unverantwortliche Schlamperei hinsichtlich der Aufsicht des Bundes in den zurückliegenden zehn Jahren war. Dies ist dem Gutachten des Bundesrechnungshofes eindeutig zu entnehmen. ({6}) Alle Finanzierungsprobleme haben nachweisbar und nachgewiesen in der leichtfertigen Geschäftspolitik seit 1969 gelegen. Wir zollen der Leistung der Belegschaft dieser Betriebe, des neuen Aufsichtsrates und des Vorstandes unseren Respekt und hoffen, daß es diesem gelingt, das Boot wieder an das sichere Ufer zurückzuführen. Die Bundesregierung muß heute auch daran erinnert werden, daß es wichtig und notwendig ist, einen Beitrag für Berlin zu leisten, mit dem endlich das wirtschaftliche Engagement von Bundesunternehmen in Berlin gestärkt wird. Es ist billig und einfach, von anderen zu fordern, sie sollten in Berlin investieren, wenn der Bund mit seinen Investitionen in Berlin seit Jahren keinen großen Eindruck mehr machen kann. In dieser wirtschaftspolitisch brisanten Situation entsendet die SPD ihre Kriegshäuptlinge Schmidt, Bahr und Stobbe in den Berliner Wahlkampf, die erklären und erklären lassen, ein Wahlsieg der CDU werde bei unseren westlichen Verbündeten zu Irritationen führen. ({7}) - Ja, Herr Wehner, das ist so hart und brutal, daß wir es gar nicht oft genug sagen können. ({8}) - Ihre Reaktion zeigt mir, daß es Ihnen nicht schmeckt; ich darf also fortfahren. ({9}) Diese ungeheuerliche Brunnenvergiftung der- SPD hat den gemeinsamen Grundkonsens in Berlin-Fragen in Gefahr gebracht. ({10}) Irritiert wären, wenn die CDU in Berlin siegt, nicht die Westmächte. ({11}) - Was haben Sie soeben netterweise gesagt? Wiederholen Sie es doch! ({12}) Irritiert wäre vielmehr die Öffentlichkeit, wenn nach vielen Jahren der Skandale und Verfilzung der SPD/FDP-Regierung in Berlin diese nicht abgewählt werden würde. ({13}) Ich darf Ihnen abschließend eine Ermutigung geben. Wir haben gestern im Wirtschaftsausschuß über das Berlinförderungsgesetz gesprochen. Alle einschlägigen Anträge der CDU/CSU sind abgelehnt worden. ({14}) Wir haben die Hoffnung geäußert - wir äußern sie heute wieder -, daß Sie in der nächsten Woche im Finanzausschuß die Gelegenheit wahrnehmen, dieses Fehlverhalten der SPD/FDP zu reparieren. Denn es würde die Berliner Wirtschaft irritieren, wenn es nicht möglich ist, der Herabsetzung der Wertschöpfungsgrenzen für erhöhte Umsatzsteuerpräferenzen zuzustimmen. Es würde den Mittelstand irritieren, wenn die Einführung einer steuerfreien Ansparrücklage für Berliner Unternehmer verweigert wird. Es würde viele in Berlin irritieren, wenn die Abschreibungsvergünstigung beim Erwerb von Berliner Mehrfamilienhäusern, die vor 1917 errichtet worden sind, verweigert wird. Wir haben fünf weitere Anträge gestellt, über die Sie sich Gedanken machen können, Anträge mit Themen, die seit Jahren in der Diskussion sind, und wo wir, als wie sie gestern in die Diskussion im Wirtschaftsausschuß einführten, mit Verblüffung hörten, daß sich SPD und FDP damit überhaupt noch nicht befaßt hätten, so daß sie gestern keine Stellung nehmen konnten. ({15})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die wirtschaftspolitischen Realitäten in Berlin verlangen eine echte Hilfe und keine fortlaufenden Versprechungen. Gemeinsam sind wir gefordert. Und, Herr Wirtschaftsminister: Sorgen auch Sie dafür, daß das Versagen der SPD/ FDP im Wirtschaftsausschuß in der nächsten Woche im Finanzausschuß repariert wird! Häufig heißt es in Bonn, die Koalitionsfraktionen seien verstört darüber, wie wenig von der Bundeshilfe für Berlin positiv umgesetzt werde. Machen Sie dies mit Ihren Parteien ab! Berlin darf nicht unter der Mißwirtschaft, die andere dort verschuldet haben, lei10734 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 135. Sitzung., Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1979 den. Sie können außerdem die Hoffnung haben, daß die jetzt beschlossenen Gesetze in Berlin von anderen umgesetzt werden können. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich darf mich zunächst einmal zum Abschluß einer ganztägigen Debatte über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung für viele kritische und damit hilfreiche, auch unterstützende Beiträge in dieser Diskussion sehr herzlich bedanken. ({0}) Die kritischen Fragen kamen erfreulicherweise aus allen Fraktionen und von allen Seiten des Hauses. Wir sind an einer Debatte, die von einer Seite nur kritiklose Zustimmung und von der anderen Seite nur nicht' zustimmende Kritik bringt, gar nicht interessiert. Also: nochmals vielen Dank. Meine Damen und Herren, daß man Debatten im Deutschen Bundestag führen muß, die immer irgendwie, irgendwo und irgendwann unter dem Schatten einer bevorstehenden Landtagswahl stehen, ist unvermeidlich; das wissen wir. ({1}) - Nein, es ist für die FDP besonders wichtig. Das hat mit „peinlich" überhaupt nichts zu tun. Ich vertrete meine Positionen hier, so es irgend geht, möglichst unbeeinflußt von den Urnen bei den Landtagswahlen. Ich sage „möglichst", denn auch ich bin, wie wir alle, Politiker. Aber das, was wir eben ganz zum Schluß und hoffentlich nach Redaktionsschluß von Herrn Kittelmann gehört haben, war, abgesehen von Landtagswahlen, eine Rede, Herr Kittelmann, die uns Schweiß und Anstrengung kosten wird, um den Schaden wiedergutzumachen, der durch solche Reden für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins angerichtet wird. ({2}) Wenn Sie das Jammerlied über die Berliner Entwicklung in diesen Zahlen, die wir alle kennen und die jedermann Sorge bereiten, anstimmen, dann halte ich es für verantwortungslos, nicht hinzuzufügen, was wir alle in diesem Hause gemeinsam zusammen mit der Bundesregierung und dem Senat von Berlin tun, um einer solchen Entwicklung Einhalt zu gebieten. ({3}) Herr Kittelmann, wie wollen Sie denn einen Menschen motivieren, nach Berlin zu gehen, wenn Sie ihm solche Schauerlieder hier vorsingen? ({4}) - Ich habe ja nicht gesagt, daß es falsch war, aber man stellt in einer solchen zentralen Frage nicht nur die negative Seite dar, selbst wenn man im Wahlkampf ist! ({5}) Ich sage dies, weil ich mich wie bisher für Berlin engagieren werde. Ich bin zwar nicht geborener, aber aufgewachsener, gelernter und persönlich engagierter Berliner. Richten Sie bitte in diesen Fragen nicht solchen Schaden an! ({6}) - Ich habe dazu Gelegenheit und werde diese Gelegenheit schon margen in Berlin wieder wahrnehmen. Ich sage Ihnen: Ich werde mich auch weiterhin mit allem, was mir möglich ist, für diese Aufgaben einsetzen. Das wissen meine Freunde und im übrigen auch meine politischen Gegner in Berlin. ({7}) Ich werde allerdings auch eines tun: Ich werde auch die Berliner Wirtschaft und die Berliner Politik darauf hinweisen - das tue ich auch hier -, daß man in Berlin keine Mentalität erzeugen darf, die ausschließlich auf Subventionserhaltung und öffentliche Förderung ausgerichtet ist. ({8}) - Sie! - Auch die Berliner Wirtschaft muß natürlich wissen, daß es Wettbewerb gibt und daß sie sich dem Wettbewerb stellen muß. Wir wollen ihr die standortbedingten, politisch begründeten Nachteile nehmen, wir alle hier in diesem Hause. Aber man muß die feine Grenze herausfinden, wo es nicht weitergehen kann und darf, ab der man Wünschen gegenüber nicht nur nein sagen darf, sondern muß. ({9}) Zu den von Ihnen aufgezählten Punkten nur folgendes. Die unter der Tarnkappe „Ansparrücklage" verborgene steuerfreie Investitionsrücklage wird mit meiner Zustimmung nicht erfolgen, auch nicht in Berlin. Dieses Faß wird nicht aufgemacht. ({10}) Dieses- Faß ist systemwidrig und bringt die Unternehmen in demselben Augenblick in Liquiditätsschwierigkeiten, in dem sie den Investitionszeitraum verlassen haben und dann Steuern zahlen müssen. Dies alles sollten Sie sich in der deutschen Wirtschaftsgeschichte im Zusammenhang mit dem Investitionshilfegesetz der Nachkriegsjahre ansehen, Herr Kittelmann. ({11}) - Den Eindruck habe ich allerdings leider auch, Herr Kollege. ({12}) - Ich bin ziemlich sicher, Herr Kollege Waigel. Von Ihnen könnte ich eigentlich annehmen: Wenn Sie als Bayer einmal den Berlinern helfen wollen, dann geben Sie dem Herrn Kittelmann ein bißchen Nachhilfeunterricht. In der Sache DIAG möchte ich noch einmal sagen, daß der Bund die DIAG über das ERP-Vermögen - ({13}) - Unter meiner Oberaufsicht hat der Bund den neuen Aufsichtsrat eingesetzt. Das ist richtig. Ich habe mitgeholfen, daß der neue Vorstand bestellt wird, und ich habe dafür gesorgt, Herr Kittelmann, daß ein Sanierungskonzept auf die Beine gestellt wird. Im Interesse der Belegschaft verbitte ich mir die Bezeichnung „fragwürdig" dafür. Sparen Sie sich Ihre Krokodilstränen, wenn Sie gleichzeitig Reden halten, die dem Unternehmen Schaden zufügen. ({14}) - Ich kann Ihnen gar nichts verbieten. Das weiß ich. Ich kann es mir aber verbitten, daß ich mir das anhören muß. Es schadet dem Unternehmen, und es schadet der Belegschaft. Ich sage das deutlich mit allem Nachdruck. So kann man mit den Berlinern und mit dem Berliner Unternehmen nicht umgehen. ({15}) Die Leistung der Belegschaft, die Leistung des Vorstandes und die Leistung des Aufsichtsrates besteht darin, daß wir besser abgeschnitten hätten, als es in den Vorstellungen des Sanierungskonzeptes enthalten war, daß die Verluste geringer gewesen wären, als dort noch geplant, wenn nicht das der Geschäftsleitung nun wirklich nicht zurechenbare Ereignis Iran hinzugetreten wäre. Ich kann Vorstand und Aufsichtsrat nicht dafür verantwortlich machen, daß der Ayatollah Khomeini in Teheran dabei ist, die Macht zu übernehmen. Das vorauszusehen kann man nicht verlangen und kann man nicht erwarten. Das ist ungerecht. Ich bin auch nicht bereit, auf Grund dieser Entwicklung Personen in der Leitung des Unternehmens und im Aufsichtsrat des Unternehmens irgendwelche Vorwürfe zu machen. ({16}) Ich sage noch einmal: Irgendwelche Meldungen und irgendwelche Behauptungen, dieses Unternehmen sei gefährdet oder werde im Stich gelassen, sind nicht zutreffend. Sie haben, Herr Kittelmann, auf die heutige Zeitungsmeldung hingewiesen. Ich stimme Ihnen insoweit zu. Herr Angermeyer hat das schon gesagt. ({17}) - Ich kann doch gelegentlich einmal teilweise zustimmen. Ich werde mir erlauben, zuzustimmen, und ich werde mir auch erlauben, nicht zuzustimmen, wenn ich das für richtig halte, und zwar nicht nur gegenüber der Opposition. Ich tue das gelegentlich sogar bei meinen eigenen Freunden. ({18}) - Ja, wir wissen, daß Sie das machen. Das ist uns wohlbekannt. Verehrter Herr Waigel, der Kollege Biedenkopf hat heute morgen gemeint, meine Ausführungen seien wie ein Kündigungsschreiben an die Koalition. Da möchte ich wissen, was sein Memorandum an seinen Parteivorsitzenden bedeutet. Den Hinauswurf. ({19}) Ich habe in der heutigen Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht gelegentlich - keineswegs bei allen Kollegen - den Eindruck gehabt, daß man ihn doch wohl nicht sehr sorgfältig gelesen hat. Der Kollege Pieroth hat davon gesprochen, er sei ein Telefonbuch. Er hat ihn offensichtlich auch so behandelt wie ein Telefonbuch, das man regelmäßig ja nicht liest. ({20}) Wir haben uns darum bemüht - und werden uns auch zukünftig darum bemühen -, diesen Bericht in einer nüchternen Sprache und mit einem nüchternen Inhalt vorzulegen. Wir werden ihn nicht mit Rankenwerk und blumigen Formulierungen versehen. Wenn Sie die feststellen sollten, Herr Waigel, meine Damen und Herren - die anderen Partner der Opposition haben ja leider die Arena schon sehr frühzeitig verlassen -, dann empfehle ich Ihnen Mißtrauen und höchste Aufmerksamkeit. Dann besteht nämlich die Gefahr, daß wir dahinter etwas verbergen wollen. Aber ich werde mich bemühen, daß das nicht passieren muß. ({21}) In der Debatte ist zweimal - Herr Biedenkopf und Herr Pieroth haben es erwähnt; ich muß jetzt ein paar Einzelpunkte behandeln - die Abgrenzung zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Bundespost und den Erfordernissen des Marktes angeklungen. Ich sage Ihnen ganz klar: Hierüber werde ich mit dem Bundespostminister noch manchen Streit ausfechten. Nur müssen Sie dann nicht gleich sagen, das brächte die Koalition in Gefahr. Es ergibt sich völlig aus der Sache, daß man über so etwas diskutiert und sich streitet. Das wird auch in Zukunft passieren, und wir werden uns auch in Zukunft zu einigen haben. Ich sehe die Bedenken und die Gefahren, die in einer solchen Entwicklung liegen könnten, wie jedermann hier; denn wenn Herr Jens z. B. davon spricht, daß wir mehr Wettbewerb wollen, mehr Wettbewerb brauchen und den Wettbewerb sichern wollen, insbesondere für kleine und mittlere Betriebe, muß man aufpassen, wohin sich die großen Monopole und damit natürlich auch die Staatsmonopole - denn die sind in ihrer Art kein bißchen besser als die privaten Monopole - im Markt entwickeln. ({22}) Ich habe mit Interesse gehört, daß der Kollege Pieroth uns empfiehlt, gegen die Bürokratisierung vor10736 zugehen. Das ist ja kein neues Problem. Ich möchte deshalb sehr gerne acht oder zehn Zeilen vorlesen, die zeigen, wie man sich früher in der Bundesrepublik mit dem Thema beschäftigt hat. Es heißt da: Also, wir wollen auch mal versuchen zu rationalisieren. Wir haben es verdammt nötig. Ich gebe das ganz offen zu, meine Herren. Wir haben uns viel zu sehr verfeinert bei der Bürokratie. Wir sollten, meine verehrten Herren, einfacher denken. Das sage ich ganz offen und ehrlich. Einfacher denken ist oft eine wertvolle Gabe Gottes. Und diejenigen, die so verdreht denken, das sind nicht immer die Klügsten, meine Herren, wobei ich natürlich hinzusetze: Ich habe niemanden damit gemeint. Ich könnte mir vorstellen, daß nur der Kollege Wehner noch aus dem Stil heraushören kann, wer das war: ({23}) am 23. Mai 1956 zum Thema Bürokratie der Bundeskanzler Adenauer. So neu ist das Thema nämlich nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch .schon zu der Zeit machte dies einige Sorgen und Probleme. ({24}) - Dat war eine hervorragende Idee; isch hab ja auch jarnichts dajejen. ({25}) Meine Damen und Herren, Herr Sprung hat das Thema EWS und Geldmenge angeschnitten, und ich will dazu ein paar Worte sagen: In der Geldmengenpolitik der Bundesbank ist in der Tat im vorigen Jahr eine Explosion eingetreten. Jeder weiß das. Die Bundesregierung begrüßt den Beschluß des Zentralbankrats, der, wie Sie wissen, in meiner Gegenwart gefaßt worden ist, auch für dieses Jahr ein Geldmengenziel festzusetzen. Ich möchte dies hier einmal klarstellen, weil mir die Momente der Diskussion durcheinanderzugehen beginnen. Ich halte den Beschluß des Zentralbankrates über kreditpolitische Maßnahmen - ich habe das hier schon einmal gesagt - im, Hinblick auf die Mindestreserve für vernünftig und hatte ihn im übrigen erwartet - wir wußten das -; im Hinblick auf den Lombardsatz ist es kein Drama, ob man das bei dieser Gelegenheit macht oder vier Monate später. Insofern ist eine sachliche Kritik an diesen Maßnahmen nicht unbedingt erforderlich. Ich habe das hier schon einmal gesagt. ({26}) - Wir haben uns längst darüber geeinigt. Nur, Herr Sprung, die Diskussion darf nun bitte auch nicht so' laufen, daß die Autonomie der Bundesbank - Sie werden mir nicht unterstellen, daß ich die verletzen möchte - dazu führt, daß man sachliche Entscheidungen der Bundesbank wie sakrosankt behandelt. ({27}) Natürlich dürfen die Entscheidungen der Bundesbank sachlich kritisiert werden. Das wird auch in Zukunft so sein. ({28}) - Ja, hoffentlich, Herr Schäfer. - Das ändert überhaupt nichts daran, daß der Status einer autonomen Notenbank in der Bundesrepublik von den Koalitionsfraktionen und von der Bundesregierung vollinhaltlich verteidigt wird. ({29}) Europäisches Währungssystem: Über die Technik haben wir hier genug gesprochen. Es geht um die politische Frage, die Sie gestellt haben: Warum ist das nicht am 1. Januar in Kraft gesetzt worden? Es geht ferner um die Spekulation, wann es soweit sein kann. Ich darf versuchen, Ihnen mit einer aus meiner Sicht, wie ich zugebe, auch etwas spekulativen Überlegung zu den Hintergründen zu antworten: Ich glaube, daß keiner von uns, die im Europäischen Rat dabeigewesen sind, die das Kommuniqué gelesen haben, das jetzt so weitherzig von denen interpretiert wird, die das interpretieren möchten, die in den Ratssitzungen in Brüssel bei den abschließenden Behandlungen des Europäischen Währungssystems dabeigewesen sind, auch nur entfernt auf den Gedanken gekommen ist - ich jedenfalls nicht, und ich will behaupten: auch nicht zu kommen brauchte -, daß ein zeitlich punktuell konstruierter Zusammenhang zwischen Inkrafttreten des EWS und den Agrarregelungen gefordert wurde. Wenn wir uns den Hintergrund überlegen, warum dies so sein könnte, so sind wir natürlich auf Mutmaßungen angewiesen, die man auch hier nur sehr vorsichtig überdenken und aussprechen kann. Aber angesichts der Schwierigkeiten im Vorfeld der europäischen Wahlen für die französische Regierung und für die dortigen Mehrheiten muß man doch einmal die Frage stellen, ob es eigentlich aus dieser Sicht für jedwede französische Regierung opportun sein kann, ohne eine sehr versüßende Maßnahme jetzt eine weitere europäische Einrichtung in Gang zu setzen. ({30}) Für uns stellt sich die Gegenfrage, ob wir diese versüßende Maßnahme bieten können. - Es ist manches schlimm, Herr Sprung. Ich will das hier am Pult des Bundestages nicht erörtern, was in Reden und Deklamationen dieser Tage in Frankreich auch über die Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem Europawahlkampf zu hören ist. Das kann uns nicht erfreuen. Deswegen meine ich aber: Rücksichtnahme auf Frankreichs Position, Warten und Geduld, ohne daß wir eigene Positionen im Bereich der Agrarpolitik, die wir halten müssen, aufgeben, sind gar kein Anlaß zu großer Aufregung. Für uns, für mich jedenfalls geht die Welt nicht unter, ob das Europäische Währungssystem am 1. März oder nach den europäischen Wahlen in Kraft tritt. ({31}) Der Kollege Biedenkopf - ich will es kurz machen und Sie heute abend auch nicht mehr länger aufhalten - hat sich mit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beschäftigt. Herr Jens hat das auch getan. Ich glaube, daß Sie ihm nicht ganz Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn Sie meinen, es fehle darin an kritischen Betrachtungen. ({32}) - Das Ganze oder nur die Zusammenfassung? ({33}) - Das ist la immer eine Ausnahme, wie Sie wissen. ({34}) - Ich meinte ja nicht: eine Ausnahme für Herrn Jens; das will ich gern erklären, Herr Wolfram. Ich will nur folgendes sagen. Man sollte bitte - und das sage ich auch an die Adresse von Herrn Biedenkopf - die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats selbstkritisch lesen. Der Beirat hat sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sich seine ordnungspolitische Sorge nicht nur auf die bekennenden Marktwirtschaftsgegner richtet, sondern beinahe noch mehr auf diejenigen, die Marktwirtschaft im Munde führen, aber keine wirtschaftspolitischen Konzeptionen für aktuelle Probleme vorweisen können und sich deswegen immer weniger um die Funktionsbedingungen der Marktwirtschaft unter gegebenen Verhältnissen kümmern. ({35}) Dies bitte ich zu bedenken. Ich möchte noch ein Zitat zu dem Thema Subventionen in der Marktwirtschaft vorlesen. Es heißt da: Subventionen haben in den letzten beiden Jahrzehnten - darf ich das unterstreichen: in den letzten beiden Jahrzehnten für die staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik und damit für Wirtschaft und Gesellschaft immer größere Bedeutung erlangt. Diese Entwicklung gefährdet das marktwirtschaftliche System, auf dem die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik beruht. Die unternehmerischen Freiheitsrechte verlieren ihre Legitimation, soweit das ihnen zugeordnete Risiko durch Subventionen auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Die Wirkung der Subventionen auf das System der Marktwirtschaft wird nicht nur durch deren Zahl und Umfang, sondern auch durch deren Konstruktionen sowie den Kreis der Subventionsempfänger bestimmt. Da wird also - ich wies vorhin darauf hin - über die letzten beiden Jahrzehnte geklagt, und es handelt sich um das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft vom 28. Februar 1967. Der Tatbestand, der hier heute diskutiert worden ist, ist also kein Tatbestand, der, wie das mancher von Ihnen gern wahrhaben möchte, nur im Zeichen der sozialliberalen Koalition kritisiert werden könnte. ({36}) - Die Formulierungen, die im Jahre 1967 zu Papier gebracht worden sind, als es die sozialliberale Koalition noch nicht gab, waren doch eindeutig. Dies also ist ein Tatbestand, mit dem sich jede marktwirtschaftliche Ordnung zu jeder Zeit auseinandersetzen muß. Deswegen ging es mir darum, diese Problematik hier heute einmal zur Diskussion zu stellen. Es ging mir aber auch darum, Sie, meine Damen und Herren; zu bitten, mit uns nicht nur die ordnungspolitischen theoretischen Grundlagen zu entwickeln und zu proklamieren, die ich wahrlich für wichtig halte, vielleicht für wichtiger als der eine oder andere aUch in den Koalitionsfraktionen - ich will das gar nicht bestreiten; ich vereinnahme Sie, Herr Jens, sofort für meine Seite, wenn Sie mich bei dieser einschränkenden Berner-kung kritisch angucken; vielen Dank -, sondern mit uns auch die aktuellen Probleme der Stahlindustrie zu diskutieren, der Kohleindustrie an der Saar, Herr Zeyer, die Probleme des Ruhrgebiets, mit denen sich Herr Biedenkopf beschäftigt, die Probleme der Küste, für die Herr Narjes gewaltig die Fahne des Werfthilfeprogramms geschwungen hat. Das möchte ich dann hier gern offen und ehrlich mitdiskutiert haben, damit wir uns hier über die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaftsordnung auf einer sauberen theoretischen Grundlage, aber auch mit für praktische Fälle verfügbaren und verwertbaren Antworten miteinander unterhalten. ({37}) Es hätte mich gereizt, mit Herrn Biedenkopf noch über das Thema Verschuldung zu diskutieren. Ich will es lassen; er ist nicht mehr da. Ich will nur noch eine Agenturmeldung von heute abend 17.30 Uhr zitieren. Da heißt es: Der konjunkturelle Aufschwung hat nach Auffassung des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Otmar Emminger, auf breiter Front nun auch den Bereich der Investitionen erfaßt. Darauf wiesen die neuesten Daten, meinte. Emminger auf dem Börsenforum 1979 der „Wirtschaftswoche" am Donnerstag in Düsseldorf, hin. ({38}) Meine Damen und Herren, dann, wenn das so ist, nehme ich für mich in Anspruch, daß die Bezeichnung, die ich in dem von Herrn Pieroth zitierten Rundfunkinterview gebraucht habe, nämlich „rundum zufrieden" - wenngleich wir die Risiken nicht verkennen; und über diese Risiken habe ich anschließend gesprochen -, in dieser Situation, bei diesem Vergleich mit allen Ländern um uns herum nicht überzogen und kein hohler Optimismus ist, sondern eine zutreffende Schilderung der Lage, einer Lage der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn des Jahres 1979, die sich in wirtschaftspolitischer Hinsicht, bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung und der Aussichten,' trotz aller Probleme, zu denen natürlich in erster Linie das Arbeitsmarktproblem gehört, wahrlich und in Ehren sehen lassen kann. ({39})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Jahresgutachtens 1978/79 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf Drucksache 8/2313 und des Jahreswirtschaftsberichts 1979 der Bundesregierung auf Drucksache 8/2502 an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, möchte ich das Haus davon in Kenntnis setzen, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat die heutige Tagesordnung um folgenden Punkt ergänzt werden soll: um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betreffend Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Ist das Haus damit einverstanden? - Auch hier sehe und höre ich keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ist das Haus damit einverstanden, daß ich diesen Zusatzpunkt sofort aufrufe? - Auch da sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann rufe ich den Zusatzpunkt auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 8/2546 Berichterstatter: Abgeordneter Schmidt ({1}) Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 8/2546 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses einstimmig angenommen worden ist. Nunmehr rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Mai 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Algerien über den Luftverkehr - Drucksache 8/1979 - Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({2}) - Drucksache 8/2474 Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann ({3}) Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen damit zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, 2, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 5 des Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. April 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait über den Fluglinienverkehr - Drucksache 8/1980 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({4}) - Drucksache 8/2475 Berichterstatter: Abgeordneter Schmidt ({5}) ({6}) Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen damit zur Einzelberatung in zweiter Lesung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, 2, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({7}). - Drucksache 8/2467 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({8}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Interfraktionell sind drei Kurzbeiträge für jede Fraktion vereinbart worden. Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Engholm hat das Wort zur Einbringung.

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist, wie Sie wissen, seit 1971 in Kraft und steht seit acht Jahren jetzt zum drittenmal zur Beratung über die Anhebung der Förderwerte an. Ich will es ganz offen sagen: Im Vergleich zu den früheren Anpassungen ist hier nichts Sensationelles, weder was die Höhe noch was den Termin der Anpassung angeht. Ich meine aber, daß es dennoch grundfalsch wäre, wenn wir die Vorlage des 6. Änderungsgesetzes als einen Routinevorgang behandeln würden. Denn es ist weder für die Fraktionen im Parlament noch für die Bundesregierung ein Routinevorgang, wenn mehr als 600 000 junge Menschen, die im Studium oder in Schulen befindlich sind, und ihre Eltern von uns verlangen, daß ihre wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse der Entwicklung angepaßt werden. Und es ist mit Sicherheit kein Routinevorgang, wenn wir in diesem Jahr die Steuerzahler wiederum bitten müssen, rund 3 Milliarden DM für die Förderungsleistungen nach BAföG zur Verfügung zu stellen: eine ganz erkleckliche Summe, wenn Sie bedenken, daß vor einigen Jahren bei Inkrafttreten dieses Gesetzes die Fördersumme noch bei insgesamt 1,5 Milliarden DM gelegen hat. Ich will einige der wichtigsten Grundsätze dieses Gesetzes in wenigen Punkten darstellen. Erstens. Der Bedarfssatz der auswärts wohnenden Studenten soll von 580 auf 620 DM angehoben werden. Damit liegt der Anhebungssatz erstmals voraussichtlich über dem Anstieg der Lebenshaltungskosten. Hinzu kommen, wie in den vergangenen Jahren, Zusatzleistungen für Krankenversicherung, für Fahrtkosten, für höhere Miete, für Lern- und Arbeitsmittel. Zweitens. Der Bedarfssatz für Schüler wird von 235 auf 260 DM steigen, vorausgesetzt, das Parlament stimmt zu. Das ist eine Steigerung um 11 %. Drittens. Der absolute Freibetrag für ein Elternpaar soll von 1 130 auf 1 220 DM steigen. Rechnet man den Freibetrag des Geförderten, der von 70 DM auf 80 DM steigt, hinzu, so kommt zum erstenmal ein absoluter Freibetrag von 1 300 DM statt bisher 1 200 DM zustande. Das ist eine Steigerung um immerhin 8,3 %. Viertens. Die Freibeträge und die Pauschalabzüge für Leistungen zur sozialen Sicherung, also zwei der drei wesentlichen Meßwerte, werden im Herbst 1980 erneut angehoben. Die Bundesregierung zieht damit die Konsequenzen aus der Klage der Geförderten und ihrer Eltern in den vergangenen Jahren, daß durch die langen Anpassungszeiträume in der Zwischenzeit die Förderungssätze schwankten und damit manche vor ein erhebliches Problem stellten. Wir leisten hier einen Beitrag zur Verstetigung des Förderungssystems, Fünftens. Die Voraussetzungen für die elternunabhängige Förderung werden erheblich verbessert. In einer nicht zu unterschätzenden Zahl von Förderfällen wird dies künftig zur völligen Freistellung von Eltern führen, deren Kinder sich erst nach einer Ausbildung und nach beruflicher Tätigkeit für ein Studium entscheiden. . Sechstens. Mit der zu Recht umstrittenen und kritisch diskutierten Senkung der Altersgrenze von 35 auf 30 Jahre werden - dies will ich ganz deutlich sagen - nicht, wie in der Öffentlichkeit behauptet, die Studierenden des zweiten Bildungswegs benachteiligt. Denn wenn jemand nach dem Erreichen des 30. Lebensjahres die Hochschulreife erwirbt und unverzüglich ein Studium aufnimmt, wird es für ihn bei der Förderung überhaupt keine Altersgrenze mehr geben. ({0}) Mit anderen Worten: Jene, die über den zweiten Bildungsweg studieren, sind künftig bessergestellt als vorher. Dies ist, glaube ich, in der Öffentlichkeit nicht hinreichend begriffen worden. Siebtens. Künftig soll der Studienfachwechsel aus wichtigem Grund nicht nur in den ersten zwei, sondern in den ersten vier Semestern möglich sein, ohne daß damit Nachteile bei der Förderung für den Studierenden verbunden sind. Ich ziehe aus dem bisher Gesagten eine erste Schlußfolgerung. Der Regierungsentwurf enthält in den vorgesehenen Anpassungsregelungen und darüber hinaus wesentliche Verbesserungen und einige neue Entwicklungstendenzen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich halte es darüber hinaus auch für ebenso erwähnenswert, darauf hinzuweisen, was trotz mannigfacher Forderungen aus dem politischen und anderen Bereichen nicht in dieses Gesetz aufgenommen worden ist. Die Regierung hat sich jedem Wunsch widersetzt, das System von BAföG auf eines der Reprivatisierung der Ausbildungs- und Hochschulkosten etwa durch die Einführung einer totalen Darlehensschuld oder einer pauschalen Akademikerabgabe zurückzuführen. Die Regierung hat nicht dem Wunsche der Anbindung der Förderung an besonders überdurchschnittliche Leistungen oder neue Prüfungen entsprochen, die unseres Erachtens das ohnehin nicht leichte Studentendasein auf den heutigen Universitäten weiter erschweren würden. ({2}) Die Regierung hat nicht der Forderung nachgegeben, aus dem BAföG-System etwa eine Art neuen Ordnungsrechts zu machen. Sie hat also allen Forderungen, aus dem BAföG ein Hochleistungs-, ein Privilegierten- oder gar ein neues ordnungsrechtliches Instrument zu machen, widerstanden. ({3}) Wer die Vorschläge, die gestern von der Union in der Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt worden sind, nachliest, fühlt sich in der Haltung der Bundesregierung nachdrücklich bestätigt. ({4}) Ich will es ganz offen sagen: Formeln, die in dieser Unionspressekonferenz geprägt wurden, wie die „Einführung einer Chaoten-Klausel", üben in der ge10740 samten deutschen Studentenschaft eine verheerende psychologische Wirkung aus. ({5}) Ich meine, daß jeder, der hier kein Spiel mit dem BAföG und den Studenten treibt, eigentlich begreifen müßte, daß durch die Unionsvorschläge die Skepsis der heute Studierenden weiter vertieft wird. Ich meine, unser Haus hätte Grund genug, darüber nachzudenken, wie man diese Skepsis umgekehrt wieder mal ein wenig aufhellt und auflockert. ({6}) Ich habe den Eindruck, daß Sie versuchen, mit dem BAföG ein wenig in Shakespeare zu spielen und „Der Widerspenstigen Zähmung" einzuüben. Aber ich will es noch einmal ganz deutlich sagen: BAföG ist für die Bundesregierung - ich bin sicher: auch für die sozialliberalen Fraktionen - kein Instrument zur sozialen, zur ökonomischen und zur administrativen Disziplinierung von ungeliebten Studenten. ({7}) Ich ziehe daraus eine zweite Schlußfolgerung. Der Regierungsentwurf dokumentiert erneut, daß die Bundesregierung im BAföG ein Gesetz zum sozialen Ausgleich und nichts anderes sieht. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die in diesen Punkten zwischen den Oppositionsparteien, Regierungsparteien und Bundesregierung bestehen mögen, will ich nicht verschweigen, daß es einen breiten Grundkonsens über die Grundstruktur von BAföG weit über das Parlament hinaus bis in die Bereiche der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und sogar bis hin zur VDS gibt. ({8}) Das heißt, wir sind uns im wesentlichen mit allen politischen und sozialen Kräften und Verbänden in der Gesellschaft einig, daß das BAföG weiterhin auf dem Prinzip einer subsidiären Ausbildungsförderung mit Hilfe von allgemeinen Steuermitteln basieren soll. Dieser Grundkonsens umschließt auch die Einigkeit darüber, daß wir in keiner Weise mit dem BAföG etwa zu einer elternunabhängigen oder einkommensunabhängigen Förderung von jedermann kommen werden. Wir werden vielmehr weiterhin daran festhalten, daß die Eltern entsprechend ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit, also ihrer Einkommen, einen Teil zu den Ausbildungskosten ihrer Kinder beitragen müssen. Ich will mit großem Nachdruck sagen, daß es zahllosen Eltern in der Bundesrepublik zu danken ist, daß diese nicht zuerst an ihre berechtigten Wünsche und Nöte, sondern zuerst daran gedacht haben, ihre Kinder im Bildungssystem besser zu fördern. Wir wissen, daß dies ein großes Opfer der Eltern ist, und wir sind als Bundesregierung bereit, das Opfer dieser Eltern zu einem guten Stück durch öffentliche Beiträge zu vermindern. ({9}) Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch folgendes sagen. Die Ausbildungsförderung kann und soll die materielle Voraussetzung für den Abbau von Chancenungleichheit bewirken, die es in vielfältiger Form bei uns gibt. Sie hat, glaube ich, in der Vergangenheit unbestritten zahllose Erfolge gehabt. Hunderttausende von Menschen im Studium und auch in den Schulen sind durch das System des BAföG erheblich weitergekommen, als dies noch vor 1971 der Fall gewesen ist, d. h., das Gesetz hat sicherlich in weiten Bereichen positive Wirkungen gehabt. Die finanzielle Förderung - darauf kommt es mir an - kann aber nicht das ersetzen, was Bildungspolitik und Bildungsreform leisten müssen. Einfach gesagt: Die BAföG-Regelungen können nicht die Schaffung eines offenen und eines Bildungssystems ersetzen, bei dem die verfrühte Auslese abgeschafft wird. ({10}) Einfach ausgedrückt: Ein soziales Fördersystem ist nur dann wirklich wirksam, wenn auch das Bildungssystem soziale Strukturen hat, d. h. für jedermann, unabhängig von Herkunft und Geldbeutel, offensteht und durchlässig ist. ({11}) In diesem Sinne legt Ihnen die Bundesregierung die sechste BAföG-Novelle vor. Ich lege Wert auf den Hinweis, daß damit kein Endpunkt in der Förderung von Schülern, Studenten und Eltern erzielt wird, daß damit auch keine paradiesischen Zustände eintreten. Aber ich meine, insgesamt sagen zu dürfen, daß die Novelle besser als der Ruf ist, der in den letzten Tagen und Wochen über sie verbreitet worden ist. ({12})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Ich bitte den Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, mir mitzuteilen, wie die Fraktion über die ihr zusätzlich zufallende Redezeit verfügen will. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hornhues.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Herr Staatssekretär, ich möchte Sie daran erinnern, daß wir am 24. März 1977 im Deutschen Bundestag einstimmig den Beschluß gefaßt haben, daß die Bundesregierung über die Strukturprobleme des Ausbildungsförderungswesens, speziell des BAföG und der dazugehörigen Alternativen, die diskutiert wurden, zum Herbst 1977 Vorschläge und einen Bericht vorlegen wollte. Ich bin Ihnen dafür dankbar, daß Sie wenigstens jetzt in Ihren Ausführungen einiges davon angesprochen haben, nachdem weder im letzten Bericht nach § 35 des BAföG noch im Vorblatt des Gesetzentwurfes wesentlich von den Strukturproblemen die Rede war. Trotzdem wird es uns sicherlich interessieren, noch ausführlicher zu hören, warum Sie die vielen alternativen Modelle letztlich nicht für diskutabel halten und meinen, das BAföG habe sich letztlich bewährt. Vielleicht sind wir darin sogar einer Meinung. Ich komme zu einer zweiten Vorbemerkung. Sie haben gesagt - und im Informationsdienst Ihres . Hauses vom November 1978 stand es ebenfalls so zu lesen -, diese sechste Novelle werde Leistungsverbesserungen bringen. Ich glaube, wir täten alle miteinander gut daran - insbesondere da Sie so- eben in einem anderen Zusammenhang gesagt haben, daß es sinnvoll und gut sei, die Skepsis der Studenten mit zu berücksichtigen -, wenn wir nicht etwas Verbesserung nennen würden, was in der Sache nur eine Nichtverschlechterung ist. Denn was würde passieren, wenn wir hier nicht anpaßten und vielleicht nicht demnächst regelmäßiger anpaßten? Dann würden, wie das bisher in den Zwischenjahren geschehen ist, Jahr für Jahr Zehn- tausende kein BAföG mehr bekommen, und Hunderttausende bei über 60 % Teilgeförderten von 600 000 kommen einige Hunderttausend, zusammen - würden dann wieder geringere Förderung bekommen. Ich glaube, wir sollten, wenn wir hier über Anpassungen sprechen, so redlich sein zu sagen: Es handelt sich hier nicht um Verbesserungen, sondern wir verhindern, daß dieses Gesetz ausläuft, daß soziale Demontage statt Förderung Platz greift. ({0}) Nun komme ich zum Gesetzentwurf im einzelnen. Seit Jahren wird von vielen Organisationen, von vielen Verbänden manches zum BAföG gesagt. Es gibt manchen Widerstreit. Nur in einem einzigen Punkt ist man sich in der Regel im wesentlichen einig. Das ist die Frage der Freibeträge, speziell der Freibeträge beim Elterneinkommen. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, daß gerade diese Freibeträge zu schmalbrüstig angepaßt worden sind, daß vielen Eltern damit Belastungen zugemutet worden sind, wo wir meinen, da müßte mehr Luft hinein, da müßte mehr Hilfe gegeben werden. Deswegen können wir uns nach zwei Jahren jetzt mit einer Anpassung von 8,3 %, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, nicht zufrieden geben. Wir plädieren dafür, daß dieser Freibetrag auf 1 300 plus 80 DM für das erste Kind erhöht wird. Sie werden sicherlich jetzt gleich einwenden, der Bundesrat habe aber schon gesagt, die Länder wollten nicht mitmachen oder waren ganz froh, daß die Bundesregierung nicht mehr vorgeschlagen hat. Ich habe dafür ein gewisses Verständnis; denn, meine Damen und Herren, wenn man betrachtet, wieviel Gesetze in den letzten Jahren den Ländern mit starken Finanzwirkungen .für die Länder aufs Auge gedrückt worden sind, dann verstehe ich ein wenig, daß sie sich nicht noch besonders zum Fenster heraushängen. Aber hier sind wir ja in den nächsten Wochen gefordert. Ich glaube, es wird nötig und sinnvoll sein, daß wir miteinander herauszufinden versuchen, ob wir denn dies nicht gemeinsam tatsächlich machen können. Ich glaube, wir sind schnell einer Meinung, daß bei genauerer Betrachtung hier eines der Kernprobleme beim BAföG liegt. Gerade in diesem Bereich - das sind nicht Bereiche von Millionärseinkommen oder Großeinkommen, sondern es sind Einkommensgrößen von Facharbeitern - bedeutet eben jede Mark, die nicht. aus BAföG gezahlt wird oder wo teilgefördert wird, daß sie vom Elternhaus selber gezahlt werden muß. Wir haben ja mit BAföG auch einen Anspruch geschaffen. Mit der Höhe der Bedarfssätze haben wir den Anspruch formuliert, den der Teilgeförderte oder Nichtgeförderte gegen sein Elternhaus geltend machen kann. Ich meine, gerade von daher sollten wir diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit schenken. Wir werden entsprechende Anträge stellen. Ein zweiter Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Problem der Unstetigkeit der Förderung, daß also immer, wenn es gut geht, alle zwei Jahre angepaßt wird. In der Vergangenheit haben wir auch einmal größere Pausen gemacht - Haushaltsstrukturgesetz. In den Zwischenphasen läuft es so: Kaum hat man sein. Haushaltsbudget gemacht und berechnet, daß es klappe und daß der Sohn oder die Tochter studieren könne, da das und das an, BAföG komme, schon kommt die nächste Bescheinigung nach einem Jahr mit dem Herausfallen, mit der Reduzierung. Ich glaube daß es richtig und sinnvoll ist - und ich begrüße es, wenn die Regie- rung sagt, daß sie dieses Problem anerkenne -, daß wir darangehen. Ich glaube allerdings, daß das, was vorgeschlagen ist, nicht ausreichend ist. Im Informationsdienst Ihres eigenen Hauses haben Sie bereits für 1980 - trotz des Einstiegs in die Verstetigung - ausgewiesen, wieviel Zigtausende wieder aus der Förderung herausfallen werden. Das Problem einer stetigen Förderung, die wir im Interesse aller Geförderten und der Elternhäuser .anstreben sollten, ist damit nicht zufriedenstellend gelöst. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen uns für eine Reihe weiterer Verbesserungen in diesem Gesetz ein, von denen wir glauben, daß es sich dabei tatsächlich auch um qualitative Verbesserungen, nicht nur um Anpassungen handelt: Erleichterung für das Auslandsstudium, Erleichterung des Fachrichtungswechsels, wie wir es früher schon einmal gehabt haben, und eine Reihe weiterer Punkte. Herr Kollege Dr. Rose wird gleich noch näher darauf eingehen. Das sind zum Teil vielleicht bescheidene, aber insgesamt eine ganze Reihe qualitativer Verbesserungen für die Studenten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man bei all den Problemen, die es im Zusammenhang mit BAföG gibt, hergeht und sagt, daß wir trotz alledem für diese Verbesserungen eintreten, dann, glaube ich, haben wir auch die Verpflichtung, uns der Frage ernsthaft zu stellen, wie es denn eigentlich mit denen ist, von denen überall geredet wird, von denen Ihnen jeder Universitätspräsident erzählt, die zwar BAföG bekommen, aber dann nicht studieren: die Karteistudenten. Wer immer eine Universität besucht, kann von jedem Präsidenten darüber entsprechende Zahlenangaben bekommen. Ich glaube, wir haben gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber unseren Mitbürgern die Pflicht, deutlich zu machen, daß wir da etwas tun wollen, daß wir denen, die das BAföG mißbrauchen, einen Riegel vorzuschieben versuchen. Nicht um normal studierende Studenten zu malträtieren oder wie Sie das zu formulieren belieben, sondern um diejenigen, die BAföG mißbrauchen, herauszukriegen, fordern wir den zweiten Leistungsnachweis. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, etwas Ähnliches gilt für das Problem des Boykotts. Wir sind der Auffassung, daß Studenten oder auch Schüler, die boykottieren - das sage ich im weitesten Sinne des Wortes -, eben nicht studieren und dementsprechend nach § 9 des bestehenden BAföG - das möchte ich auf den Punkt hin deutlich festgeschrieben wissen, weil es da wohl Mißverständnisse gibt eben nicht BAföG bekommen sollen oder, wenn sie es bekommen haben, zurückzahlen sollen. Die Presseerklärungen, die Sie dazu in den letzten Tagen mit Blick auf unsere Vorstellungen herausgegeben haben, waren nicht gerade von besonders schmeichelhaften Vokabeln gekennzeichnet. Da lese ich beispielsweise, daß Herr Kollege Vogelsang von „Disziplinierungsmaßnahmen" gesprochen hat. Frau Schuchardt hat natürlich noch schlagkräftigere Begriffe gebraucht. Sie sagte, die CDU-Leute und die CSU-Leute hätten ein Feindbild gegenüber den Studenten. Dann ist davon die Rede - und da wird es schon ein bißchen ernster -, das es unerträglich sei, wenn das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt werden solle. Liebe Frau Kollegin Schuchardt, hier machen Sie den ganz fiesen Versuch, einen Pappkameraden aufzubauen - um das noch halbwegs vornehm zu formulieren. ({2}) Es geht uns wahrlich nicht darum, die Meinungsfreiheit von Studenten einzuschränken. Wir möchten allerdings klarstellen, daß diejenigen, die in das Recht anderer zu studieren, eingreifen, nicht auch noch mit BAföG honoriert werden sollten. ({3}) Wenn Sie, Herr Vogelsang, in der Presseerklärung erklärt haben, daß Sie von der SPD das niemals mitmachen würden, dann möchte ich Sie gern einmal in einer Diskussion mit Arbeitern erleben - sofern die noch in Ihre Versammlungen zu diesem Thema kommen. Wie wollen Sie denen klarmachen, daß solchen Studenten weiterhin staatliche Unterstützung zufließen soll? Angesichts der Tatsache, daß wir in diesem Hause in wenigen Tagen ein anderes Gesetz beraten werden, wonach eine Herabstufung des Arbeitslosengeldes z. B. für einen 53jährigen arbeitslosen Buchhalter oder Ingenieur oder auch einen 53jährigen Arbeiter möglich sein soll, frage ich mich, warum Sie nicht bereit sind, warum Sie - ich will es deutlicher sagen - zu feige sind, den Versuch zu machen, zu erreichen, daß den Studenten, die nicht studieren, nicht mehr etwas zufließt, was ihnen nicht zusteht. ({4}) - Das ist kein neues Ordnungsrecht mit BAföG. Herr Kollege Thüsing, wenn Sie den Gesetzentwurf durchlesen, werden Sie sehen - das sagt auch Herr Vogelsang -, daß da schon drinsteht, daß das an sich nicht sein sollte. Es ist nicht gesetzmäßig, wenn die „Karteistudenten" Geld bekommen. Das steht schon im Gesetz. Nur gucken Sie sich die Hochschulen an, dann werden Sie erkennen, daß das, wenn es so stehenbleibt, nicht realisierbar ist, wenn nicht eine weitere Kontrolle eingeführt wird. Das ist doch das Problem an unseren Hochschulen. ({5}) Eine letzte Bemerkung. Die Förderung nach dem BAföG hat vielen jungen Menschen erst die Chance gegeben, studieren zu können. Das BAföG hat vielen Eltern den Mut gegeben, auch heute noch ihre Kinder auf den schweren Weg einer Langzeitausbildung zu schicken; denn es wird doch so manches Fragezeichen hinter den Sinn eines Studiums gesetzt und auch danach gefragt, welche Zukunftschancen bestünden und ähnliches mehr. Dies ist - und ich will das sagen, bevor irgend jemand von Ihnen nachher anfängt, jemand anderem aus der Koalition, oder der Regierung Orden umzuhängen - das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung aller Parteien dieses Hauses gewesen. Insoweit hat das BAföG - und dies leugnen zu wollen wäre Torheit - Wichtiges gebracht. ({6}) Wir dürfen aber auch nicht übersehen, daß das BAföG einige Probleme gebracht hat. Das sind Probleme für Eltern, Kinder und die Familien, vor allen Dingen aber für die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Da ist zunächst einmal die mangelnde Transparenz des Gesetzes. Mit jeder Novelle und jeder Rechtsverordnung wird der Komplex komplizierter und immer weniger durchschaubar. .Da hilft eine Broschüre des Ministeriums, in der dann noch ein paar Tage vor der Novellierung falsche Zahlen drinstehen, wenig. Bezüglich dieser Broschüre müßte man dann doch wohl sagen: Was soll's? Einstampfen, neu drucken! Aber so eine Broschüre ist immerhin ein Fortschritt. Weiter betrifft dies das von mir angeschnittene Problem der Freibeträge, das Problem des Herausfallens aus der Förderung. Ein anderes Problem ist die Normierung der Ansprüche von Kindern gegen ihr Elternhaus. Es sagt sich so leicht: Auch die Eltern sollen denen künftig 620 DM zahlen. Wer sich umguckt, weiß, was dies für viele Eltern heißt, wenn sie gerade ihr Häuschen gebaut haben und Schulden zurückzahlen müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Problem ist auch, daß es so unendlich leichtgemacht werden soll, Ansprüche überzuleiten. Das gilt für die Fälle, in denen die Eltern sagen: „Du bekommst nicht mehr als das, was wir dir geben", nach dem BAföG aber ein höherer Anspruch besteht. Im Falle einer solchen Überleitung klagt dann das Land gegen die Eltern. Wir sollten uns deshalb bewußt sein, wieviel Leid, Streit und Zerwürfnis wir durch solche und ähnliche Bestimmungen verursacht haben. Wir sollten das nicht einfach als Lappalien beiseite wischen. ({7}) Wir sollten auch nicht aus dem Auge verlieren, daß es viele verheiratete junge Leute gibt, wo er eine Förderung nach dem BAföG bekommt und wo sie ebenfalls eine solche Förderung bezieht. Sie studieren auf dem Graduiertenförderungsweg über Darlehen dann auch noch in Richtung Promotion. Am Ende wartet ein erheblicher Schuldenberg auf diese jungen Menschen. Wir meinen deswegen, daß auch an diesem Punkt - vor allen Dingen dann, wenn die Betroffenen Kinder haben, die auch unterhalten und erzogen werden müssen und auf die aufgepaßt werden muß - ein Einstieg gewagt werden muß. Alle diese von mir angesprochenen Punkte finden wir im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zufriedenstellend geregelt. Wir meinen, daß hier noch entscheidende Verbesserungen notwendig sind. Ein letztes Wort. Hier war - wie auch oft in der Vergangenheit - vom Segen von BAföG die Rede. Dies sei unbestritten. Ich meine aber, wir sollten an dieser Stelle zuvörderst einmal all den Millionen von Eltern danken, die - ob sie nun Kinder haben, die mit BAföG gefördert werden, oder nicht - ihrerseits gewaltige Anstrengungen unternehmen und über viele Jahre auf manches verzichten müssen, worauf andere nicht zu verzichten brauchen, nur um ihren Kindern eine Ausbildung zu geben. Dies ist eine Leistung, die auch zu unser aller Nutzen ist. Ich meine, deshalb sollte man hier nicht schließen, ohne entsprechend Dank und Anerkennung auszusprechen. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang - selbst wenn ich mir damit vielleicht wieder den Vorwurf einhandle, gegenüber Schülern und Studenten doch ein wenig ,skeptisch oder wie auch immer zu sein - abschließend noch die Anmerkung, daß es vielleicht nicht vermessen ist, auch die Kinder, d. h. die Schüler und Studenten einmal zu bitten, nicht immer nur ihren Rechtsanspruch zu sehen und zu formulieren, sondern vielleicht auch einmal ganz bescheiden danke zu sagen, nicht für das, was wir hier tun, aber vielleicht gegenüber ihren Eltern für das, was diese für sie tun, danke zu sagen, wenn sich der emanzipierte Student oder die emanzipierte Studentin doch nicht fein genug ist, die Wäsche am Wochenende von den Eltern waschen zu lassen. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.

Volkmar Kretkowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden dritten Bericht zum Bundesausbildungsförderungsgesetz macht die Bundesregierung zum erstenmal den Versuch, nicht nur ihre Erfahrungen im Berichtszeitraum vorzulegen, sondern auch Überlegungen über den Zeitraum bis zur voraussichtlichen nächsten Überprüfung darzustellen. ({0}) - Herr Daweke, dies ist, wie ich meine, ein sehr lobenswerter und auch von Ihrer Seite anzuerkennender Versuch der Bundesregierung mit dem Ziel einer kontinuierlichen Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge an die wirtschaftliche Entwicklung. Dieser Versuch, vorauszublicken, rechtfertigt, wie ich meine, auf der anderen Seite auch, bevor man in die Einzeldiskussion eintritt, bevor man über die Einzelvorschläge der Opposition, die durch die Presse ja heute schon über uns gekommen sind, diskutiert ({1}) - das haben wir getan; das tun wir immer -, einen kritischen Rückblick auf die siebenjährige Geschichte, die durch eine rasche und stetige Weiterentwicklung des 1971 beschlossenen Bundesausbildungsförderungsgesetzes charakterisiert ist. So wurde neben dreimaligen Anpassungen der Bedarfssätze und Freibeträge entsprechend § 35 der Kreis der Begünstigten zunächst auf die Berufsschulklasse 11, auf die Klasse 10 aller Schulen, sofern eine auswärtige Unterbringung notwendig ist, und schließlich durch die Fünfte Novelle im November des vergangenen Jahres auf die Schulen des Berufsgrundbildungsjahres sowie die Klasse 10 der Berufsfachschulen ausgeweitet. In die Förderung wurden Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen sowie auch die Ausbildung im außereuropäischen Ausland einbezogen. Diese Regelungen haben unter anderem bewirkt, daß im Jahre 1978 zirka 690 000 Schüler und Studenten nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert wurden, während es im Jahre 1972 rund 493 000 waren. Der finanzielle Aufwand von Bund und Ländern im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes wurde von 1,7 Milliarden DM im Jahre 1972 auf mehr als 3 Milliarden DM im Jahre 1979 gesteigert. Meine Damen und Herren, die Eckdaten zur Entwicklung der Ausbildungsförderung lassen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Förderungsmaßnahmen und der Verringerung sozialer Ungleichheiten in der Wahrnehmung der Bildungsmöglichkeiten erkennen. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD- und der FDP-Fraktionen zur Bildungspolitik weist die Bundesregierung mit Recht darauf hin, daß die Förderung nicht nur eine schrittweise Verbesserung der sozialen Zusammensetzung bei insgesamt steigenden Studentenzahlen bewirkt hätte, sondern daß auch viele Schüler überhaupt erst durch die Förderung die Möglichkeit erhalten haben, eine Berufsfachschule, eine Fachoberschule oder die Oberstufe eines Gymnasiums zu besuchen. Wenn ich den Herrn Vorredner richtig verstanden habe, gibt es ja wohl zumindest in dieser Frage einen Konsens. Die eigentliche Bedeutung dieses Gesetzes liegt unserer Meinung nach darin, daß neben der unmittelbaren Entlastung der Familien von den Kosten der weiterführenden Ausbildung die soziale Mobili10744 tät in hohem Maße gefördert wird. Die einkommensabhängige Förderung der Ausbildung bedeutet in einer großen Zahl von Fällen die Förderung auf einen Bildungsabschluß hin, der anspruchsvoller ist und höher bewertet wird als der, den die Eltern selbst erreicht haben. Damit, meine Damen und Herren, ist sicherlich noch nicht die Gleichheit der Chancen im Bildungswesen gesichert, wohl aber sind die materiellen Voraussetzungen für diese Chancengleichheit verbessert. Die generelle Kritik am Bundesausbildungsförderungsgesetz, nämlich an der Höhe der Förderungsbeträge und der Elternfreibeträge, ist uns allen bekannt. ({2}) Die sozialdemokratische Fraktion nimmt diese Kritik ({3}) sehr ernst. ({4}) Der vorliegende Bericht beweist, daß auch die Bundesregierung bereit ist, hier zu handeln. Wer mehr fordert, muß jedoch auch wissen, daß den Auszubildenden oder ihren Eltern neben Ausbildungsförderung nach dem BAföG eine Reihe weiterer Leistungen aus öffentlichen Mitteln in sehr unterschiedlicher Form zukommen, z. B. das Kindergeld, die Zuschüsse zur Krankenversicherung, der Versicherungsschutz bei Unfällen und so weiter und so fort. Ich will dies im einzelnen gar nicht aufzählen. ({5}) - Sie irren, Herr Daweke. Sie müßten sich da besser informieren. ({6}) Die Bundesregierung und die SPD-Fraktion sind bereit, zusätzlichen, finanziell gerechtfertigten Ansprüchen der betroffenen Gruppen Rechnung zu tragen. ({7}) Dabei dürfen wir jedoch auch andere gesellschaftliche Gruppen nicht aus den Augen verlieren. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß die durchschnittlichen Renten im Jahre 1977 bei 1 008 DM im Monat lagen. Das heißt: Bei einem Zweipersonenhaushalt wären dies 500 DM pro Person. Ich erinnere auch daran, daß das monatliche Durchschnittseinkommen eines Facharbeiters im Jahre 1978. - zuzüglich des Kinderzuschlags für ein Kind - bei 1 915 DM netto lag. Deshalb bitten wir Schüler und Studenten um Verständnis, daß Sozialdemokraten auch die berechtigten Forderungen anderer gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigen müssen. ({8}) Der Parlamentarische Staatssekretär hat die zusätzlichen Leistungen vorhin dargelegt. Mein Kollege Vogelsang wird dazu in seiner Rede noch Stellung nehmen. Er wird sicherlich auch auf Ihr gestriges Pressegerassel und auf Ihre Drohgebärden gegenüber den Studenten eingehen. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch einen letzten Punkt ansprechen: Die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hält durchaus auch internationalem Vergleich stand. ({9}) Nach einer Untersuchung der OECD aus dem Jahre 1974/75 - das sollten Sie einmal lesen, Herr Daweke, statt hier Zwischenrufe über Dinge zu machen, die Sie nicht verstehen ({10}) nimmt die Bundesrepublik im Hinblick auf die Gefördertenquote mit 45 % eine Spitzenstellung im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern ein. ({11}) Auch in der vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebenen Untersuchung - auch die empfehle ich Ihnen zur Lektüre - zur Darstellung der Ausbildungsförderung in ausgewählten Ländern im Jahre 1974 wird der Bundesrepublik eindeutig eine Spitzenstellung eingeräumt. Um geplanten Mißverständnissen von Ihrer Seite, meine Kollegen von der Opposition, vorzubeugen, lassen Sie mich eines sagen: Nach unserer Meinung sind weitere Verbesserungen nicht nur möglich, sondern im Hinblick auf die veränderten Bedingungen in der Gesellschaft und insbesondere auch im Hinblick auf die veränderten Bedingungen im Bildungssystem sogar notwendig. Die Ausbildungsförderung soll die materiellen Voraussetzungen für den Abbau von Chancenungleichheit schaffen. Ich stimme mit dem Parlamentarischen Staatssekretär überein, der darauf hingewiesen hat, daß durch die finanzielle Förderung nicht das ersetzt werden kann, was Bildungspolitik und Bildungsreform leisten müssen. Soziale Förderung kann nur dort wirksam werden, wo ein soziales Bildungssystem vorhanden ist. Um dies zu verwirklichen, sollten wir weiter arbeiten. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001414, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die 1971 eingeführte Bundesausbildungsförderung stellt, wie ich meine, einen gewichtigen Beitrag zur Chancengleichheit in unserem Sozialstaat dar, auf den diese sozialliberale Koalition stolz ist. Bei der heute anstehenden ersten Lesung des Sechsten Änderungsgesetzes geht es deshalb nach der grundsätzlichen Bewährung dieser Regelungen nur um zeitgemäße Anpassungen auf der einen Seite und wünschenswerte Verbesserungen dieses so erfolgreich praktizierten Modells auf der anderen Seite, wozu - das sage ich gleich eingangs - nicht nur der Gesetzentwurf der Regierung, sondern auch der der Opposition eine Reihe von begrüßenswerten, jedenfalls prüfungswürdigen Vorschlägen enthält. Daraus greife ich angesichts der Ausführungen meines Vorredners und auch der Zeitbeschränkung nur einige der aus unserer Sicht bedeutsamen Vorschläge heraus. Erstens. Die von der Regierung vorgeschlagene Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge zum Ausgleich für die seit 1977 eingetretenen Entwicklungen bedarf - insbesondere, wie wir meinen, im Hinblick auf die wünschenswerte Anhebung der Freibeträge - noch sorgfältiger Prüfung. ({0}) Dabei werden wir die vom Deutschen Studentenwerk vorgelegten Modellrechnungen eingehend zu würdigen haben. Schon jetzt aber kann ich für unsere Fraktion feststellen, daß es uns hierbei vorrangig um eine verstärkte Anhebung der Elternfreibeträge gehen wird, da nur so einem zunehmenden Herausfallen der mittleren Einkommensschichten aus der Ausbildungsförderung entgegengewirkt werden kann, mit all den unguten Folgen für Eltern, Schüler und Studenten gerade in diesem besonders auch politisch kritischen Bereich. ({1}) Bei einer solchen zeitgerechten Anpassung von Bedarfssätzen und Freibeträgen - das sage ich mit aller Deutlichkeit - werden wir zwar den Rahmen der Haushaltsansätze nicht überschreiten können, aber wir werden ihn anders als bisher wirklich ausschöpfen müssen. ({2}) Es geht nicht an, daß der BAföG-Titel, bei dem es in den vergangenen Jahren notorisch Haushaltsüberschüsse bis zu 200 Millionen DM gegeben hat, als eine Art stille Finanzreserve innerhalb des Gesamthaushalts verbraucht wird. ({3}) Wir müssen verlangen, daß mit den notwendigen Anhebungen der Bedarfssätze und der Freibeträge, aber auch mit den nachstehend zu besprechenden Verbesserungen bis an die äußerste Grenze des haushaltsmäßig Möglichen gegangen wird. Dafür sind die Mittel angesetzt, dafür sind sie auch zu verbrauchen und für nichts sonst. ({4}) Zweitens. Im Zusammenhang mit dem Sechsten Änderungsgesetz stehen auch eine ganze Reihe von strukturellen Verbesserungen.auf der Tagesordnung. Die FDP-Fraktion begrüßt grundsätzlich vor allem die im Regierungsentwurf vorgesehene Erweiterung der elternunabhängigen Förderung, da so die zutage liegenden Konflikte zwischen bildungsfähigen Kindern und unterhaltspflichtigen Eltern jedenfalls gemildert werden können. Die FDP begrüßt auch die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Neuregelung des Fachrichtungswechsels. Dennoch erscheint uns eine Wiederherstellung der ursprünglichen Regelung von 1975, die eine Zuschußförderung im Rahmen der Gesamtförderungsdauer unabhängig vom Fachrichtungswechsel vorsah, ernsthaft erwägenswert. Die FDP-Fraktion begrüßt auch die im Regierungsentwurf enthaltenen Vorschläge zur Eleichterung des Auslandsstudiums, wobei allerdings zweifelhaft bleibt, ob diese zur Abstellung des offenkundigen Übelstandes, daß heute ein immer kleinerer Prozentsatz unserer Studenten im Ausland studiert, schon voll ausreichen. Hier werden wir gemeinsam, Regierung und Opposition, nachdenken müssen, damit dies wirklich ein Ende hat. Fraglich. erscheint der FDP-Fraktion dagegen die im Regierungsentwurf vorgesehene Herabsetzung der Altersgrenze von 35 auf 30 Jahre, die, so fürchten wir, jedenfalls die Frauen unverhältnismäßig benachteiligen könnte. ({5}) Sie, Herr Staatssekretär Engholm, haben ja von Ihrer Seite dazu selbst schon einige skeptische Anmerkungen gemacht. ({6}) Darin kann ich Sie nur bestärken. Unbefriedigend erscheint es unserer Fraktion auch, daß eine der nach unserer Überzeugung wichtigsten strukturellen Verbesserungen, nämlich die Wiederherstellung des sogenannten Widerspruchsdarlehens, im Entwurf nicht enthalten ist. Hier sind wir mit der Opposition der Auffassung, daß auch aus allgemein familienpolitischen Gründen die ursprüngliche Regelung wiederhergestellt werden muß, die es vermeidet, die Kinder von Staats wegen in einen Prozeß gegen ihre Eltern zu treiben. ({7}) Drittens. Die Bundesregierung hat zur erwünschten Verstetigung der Förderung eine Zwischenanpassung der Freibeträge um 3 % für 1980 vorgeschlagen. Denkbar erschiene uns aber auch, die Bewilligungsbescheide nicht mehr jährlich, sondern zweijährlich zu erneuern - das bedeutet auch weniger Bürokratie -, um damit das unerwünschte Herausfallen von Geförderten bei gleichem Realeinkommen der Eltern zu vermeiden. ({8}) Demgegenüber bedeutet der Vorschlag der Opposition zur Verstetigung, der in einer Überprüfung der Freibeträge auch in den Zwischenjahren liegt, eine zusätzliche bürokratische Maßnahme. Sie haben doch selber etwas gegen zusätzliche Bürokratie. Aber wir sollten auch und gerade in dieser wichtigen Frage alle vorgeschlagenen Lösungen im Ausschuß unvoreingenommen miteinander erörtern. Viertens und letztens. Auch in der Frage der Grunddarlehen sollten wir die bisherigen Erfahrungen und den vorliegenden Bericht des Bundesrechnungshofs in Hinsicht auf Kosten und Nutzen dieser durch das Haushaltsstrukturgesetz eingeführten Regelung vorbehaltlos auswerten. Sollte hier tatsächlich der Verwaltungsaufwand größer sein als die zu erwartenden Rückflüsse, so müßten schon aus finanzwirtschaftlichen Gründen die gegenwärtigen Grunddarlehen abgeschafft werden. Damit erledigten sich auch die sonst überlegenswerten Zusatzvorschläge der Opposition zu der schon geltenden Erlaßregelung, dem Erlaß nämlich von je 2 000 DM pro Semester bei Beendigung der Ausbildung vor der Höchstförderungsdauer. Sehen wir somit in fast allen noch strittigen Fragen die Möglichkeiten zu konstruktiven Kompromissen, auch unter Heranziehung der sachlichen Vorschläge der Opposition, so kann es gegenüber den Absichten der Opposition - die ich für außerordentlich bedauerlich halte -, das Bundesausbildungsförderungsgesetz zu einem Instrument einer weiteren Bürokratisierung der Universitäten und einer besseren Disziplinierung der Studenten umzufunktionieren, für uns Liberale nur ein klares und hartes Nein geben. ({9}) Dazu werde ich Ihnen in der Sache meine Gründe nennen. Natürlich gibt es vereinzelt Studenten, die nicht ernsthaft studieren. Wer wollte das bestreiten. Aber das ist doch primär eine Frage unverzeihlichen Schlendrians in der jeweiligen Studienorganisation. Wenn die wirklich geordnet ist, dann kann es gar nicht geschehen, daß sich ein Student ohne aufzufallen durch die Semester hindurchmogelt. Um die Förderungswürdigkeit der BAföG-Berwerber festzustellen, reichen bereits, wie wir meinen, die in § 48 enthaltenen Handhaben aus, wenn sie nur voll ausgeschöpft werden. Der jetzt von seiten der Opposition erneut aufgewärmte zweite Eignungsnachweis nach dem sechsten Semester führte nur zu einer weiteren Bürokratisierung durch massenhafte und damit unverhältnismäßige Zusatzbelastungen der Hochschulen mit weiteren Prüfungen ({10}) oder sonstigen Leistungsnachweisen. Wir sind der Meinung, daß der Bundesrat recht daran getan hat, angesichts des Bürokratisierungsproblems zu fordern, daß auf die zweiten Eignungsnachweise nach dem sechsten Semester verzichtet wird. Nun ein allerletztes Wort. Die Opposition hält es offenbar für populär und opportun - sonst könnte ich mir ihr Verhalten nicht erklären -, das Ausbildungsförderungsgesetz als ein Disziplinierungsinstrument gegenüber rebellierenden Studenten zu gebrauchen. Auch wenn man, wie ich, einen Vorlesungsstreik nicht wie sonstige Streiks im Arbeitsleben für eine sinnvolle Kampfmaßnahme, sondern für eine unsinnige Selbstschädigung hält, wird man den von Ihnen gemachten Vorschlag, etwa den Aufruf zu einem Vorlesungsstreik mit einer Rückforderung der Ausbildungsförderungsmittel zu beantworten, für eine sachlich unverhältnismäßige rechtsstaatlich gefährliche Maßnahme halten müssen, ({11}) die für einen Liberalen indiskutabel ist. Sie ist nicht nur juristisch, sie ist auch politisch hochbedenklich. Mich bekümmert am allermeisten, daß Sie dies nicht spüren, bevor Sie mit einem solch abenteuerlichen Vorschlag in die Öfefntlichkeit gehen. Ich muß die Union doch daran erinnern, daß das BAföG kein Disziplinargesetz, sondern ein Sozialgesetz ist, das auch nicht mittelbar zu einem Disziplinierungsinstrument verkehrt werden darf. Wenn hier die juristischen Grenzen strafbaren oder ordnungswidrigen Verhaltens überschritten werden, dann ist die Frage, welche Rechtsfolge dies haben soll, ausschließliche Sache der hierfür innerhalb und außerhalb der Universität zuständigen Instanzen, nicht aber mittelbar einer Pseudoinstanz via Bundesausbildungsförderungsgesetz. ({12}) Ich halte aber nicht nur aus juristischen, sondern vielmehr noch auch aus politischen Erwägungen nichts davon, mit dem Knüppel des Geldes Studenten zur Raison bringen zu wollen. Da gibt es wahrlich vernünftigere Mittel. Wir sollten uns mit diesem Exempel, um es nun ganz scharf zu sagen, nicht selbst als eine Gesellschaft ad absurdum demonstrieren, die politische Auseinandersetzungen nicht mit rationalen Gründen, sondern mit materiellen Zwängen zu führen sucht; denn darum geht es doch hier. Wir könnten wohl manchem unserer rebellierenden Studenten - das sage ich Ihnen hier ins Gesicht - keinen schöneren Beweis liefern und keinen größeren Gefallen tun, als daß wir so zeigten, daß wir eine durch und durch materialistisch denkende Gesellschaft sind. Das würde uns gerade noch fehlen! Damit würden wir zugleich der überwältigenden Mehrheit unserer demokratischen Jugendlichen in ihrer politischen Auseinandersetzung mit extremistischen Gruppen einen Bärendienst leisten. Stellen Sie sich nur die Verheerung des politischen Klimas an unseren Hochschulen durch einen solchen Vorschlag vor! ({13}) - Aber doch nicht so, wie Sie das wollen. Meine Fraktion stimmt im übrigen - denn wir stehen ja auch den Vorschlägen der Opposition durchaus gemischt, positiv wie negativ, gegenüber - für die Überweisung des Gesetzentwurfs zur sachlichen Beratung an den zuständigen Ausschuß. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten drei Damen! Meine Herren! Der Sprecher der SPD, Herr Kollege Kretkowski, hat den vorliegenden Gesetzentwurf als bedeutenden Fortschritt in der Geschichte der Bundesausbildungsförderung geadelt. Der Parlamentarische Staatssekretär hat den Entwurf mehr vorsichtig als enthusiastisch gelobt. Ich glaube, daß er eher recht hat als Herr Kretkowski. Schon allein die Art des Umgangs der Bundesregierung mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz kann den Ärger mit Regierung und Bürokratie, den wir als modische Erscheinung empfinden, nur vertiefen. Es wird laufend herumgebastelt, und eine klare Linie ist nicht in Sicht. Schon bei der ersten Beratung des Fünften Änderungsgesetzes hatte Minister Schmude von den Vorbereitungen der Bundesregierung zum Sechsten Änderungsgesetz berichtet. Er hat damals große Erwartungen in eine Strukturreform geweckt. Kleinlaut steht jetzt im Gesetzentwurf vom 15. Januar 1979, die Strukturen seien bestätigt worden, die Bundesregierung wolle deshalb nur eine Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge. Heute hat zwar Herr Engholm noch mehr als Fortschritt bezeichnet, aber ich frage mich: Was soll der ganze Aufwand, für die sowieso fällige Anpassung an die Einkommensentwicklung eine neues Änderungsgesetz zu machen? Der Berechtigungsnachweis für ein eigenes Bundesbildungsministerium zerflattert immer mehr. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU ist von dem neuen Gesetzentwurf enttäuscht. Weil wir aber nicht .nur kritisieren, sondern auch Wege aufzeigen wollen, und weil wir überzeugt sind, daß es durchaus sinnvolle Verbesserungen geben kann, haben wir für die bevorstehenden Ausschußberatungen Änderungswünsche vorgelegt. Unser Elf-Punkte-Katalog weist sicher einen richtigen Weg. Herr Kollege Maihofer hat uns das bereits bestätigt. Ich hoffe nur, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft unsere Anregungen ernsthaft aufnimmt und nicht ähnlich wie im Bundesrat verfährt. Von dessen mehr als 40 Änderungs- und Ergänzungswünschen hat sich der hohe Herr Minister leider nicht beeindrucken lassen, obwohl man ihm raten müßte - nicht im Interesse eines Abbaus der Konfrontation, sondern um eine echte Verbesserung zugunsten der studierwilligen und studierfähigen Studenten zu erzielen -, die Wünsche des Bundesrates und der Opposition ernsthaft zu verarbeiten. Ich möchte einige Punkte unserer Vorschläge noch einmal kurz erwähnen. Wir legen besonderen Wert auf eine wirksame Förderung und Ausweitung des Auslandsstudiums. Die hausbackene Art, heutzutage möglichst schnell ein verschultes Studium vor der eigenen Haustür zu absolvieren und die rauhe, aber nützliche Luft des Auslands zu verpassen, weil man finanziell schwach gestellt ist, trägt nicht zu einer vertieften geistigen Leistung bei. Deshalb sollen nach unserer Meinung die Auslandssemester nicht mehr auf die Förderungsdauer angerechnet werden, solange sie in dem vorgegebenen Zeitraum liegen. Für falsch halten wir die Absicht der Bundesregierung, auch ausländischen EG-Angehörigen Ausbildungsförderung zu geben, wenn sie ihre Ausbildung im Ausland durchführen und nicht im Bundesgebiet oder in Berlin. Dadurch gäbe es vermehrte Ausgaben. Noch schlimmer ist aber, daß mit der Förderung des Besuchs von Ausbildungsstätten im jeweiligen Heimatland in die dortigen innerstaatlichen Verhältnisse eingegriffen würde. Das aber kann nicht Aufgabe unserer Politik sein. Wir wollen zweitens die Beibehaltung der Altersgrenze von 35 Jahren. Die Herabsetzung auf 30 Jahre, die die Bundesregierung plant, würde eine Benachteiligung für leistungswillige Studierende, z. B. für Bundeswehrzeitsoldaten und, wie vorhin schon . erwähnt, für ausbildungsuchende Frauen zur Folge haben. Mit der derzeit geltenden Regelung, daß eine nach dem 35. Lebensjahr begonnene Ausbildung nur ausnahmsweise gefördert wird, wurde ein sachgerechter Ausgleich der Interessen - sparsame Mittelverwendung einerseits, Ausbildungswünsche andererseits - vollzogen. Eine Sonderregelung für die Auszubildenden des zweiten Bildungsweges - dadurch, daß es für sie keine Altersgrenze gibt - erscheint uns aus Gleichheitsgründen etwas fragwürdig. Nur eine einheitliche Anwendung des § 10 Abs. 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf alle Auszubildenden stellt eine sachgerechte Lösung dar. ({0}) Drittens. Wir wollen die Erhöhung der Einkommensfreibeträge. Wir sind der Meinung, daß gerade die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen studierwillige Kinder haben. Der Freibetrag muß sich den gestiegenen Lebenshaltungskosten anpassen. Deshalb meinen wir, daß der Vorschlag der Bundesregierung, auf 1 220 DM zu gehen, nicht ausreichend ist. Ursprünglich wollte sie ja auch die geforderten 1 300 DM, durfte dann aber nicht. Damit diese Einkommensgruppe ihre Kinder wie bisher studieren lassen können, brauchen wir den Freibetrag von 1 300 DM. Wenn jemand sagt, der Haushalt bringe das nicht, kann ich als neues Mitglied des Haushaltsausschusses eigentlich nur sagen: Da wird soviel an Neuem aufgebaut, da werden ein Frauenstab und ein Arbeitnehmerstab und was sonst alles gemacht, was viel Geld kostet, wo eigentlich das Geld für die leistungswilligen Studierenden dringender nötig wäre. ({1}) Wir wollen viertens die jährliche Festsetzung der. Freibeträge. Dadurch soll das Herausfallen aus der Förderung wegen gestiegener Elterneinkommen vermieden werden. Außerdem gab es bisher die unsinnige Konsequenz - ich darf noch einmal auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Maihofer kommen -, daß bewilligte Geldmittel nicht ausgegeben werden konnten, daß also Haushaltsmittel irgendwo anders hin zurückgeflossen sind. Wir wollen ferner die Stärkung der Leistungsbereitschaft, indem wir einen zweiten Leistungsnachweis nach dem Ende des sechsten Fachsemesters anstreben. Andererseits wollen wir einen Darlehenserlaß bei Studienabschluß innerhalb der Förderungshöchstdauer um 1 000 DM und, wenn ein vorgezogener Abschluß stattfindet, um 2 000 DM pro Semester. Ich könnte noch einige weitere Punkte unseres Katalogs von elf Punkten anführen. Meine Damen und Herren, ich meine, Sie sollten an unseren Vorschlägen erkennen, daß wir durchaus Alternativen haben. Wir wollen zum Nutzen der Studierenden konstruktiv mitarbeiten. Dann, wenn sich unsere Auffassungen mit den Ihren in Einklang bringen lassen, ist uns die Jugend bestimmt dankbar. ({2}) Nun habe ich natürlich auch bereits einiges auf den Tisch bekommen, was an Presseäußerungen von Kollegen der SPD und der FDP hinausgegeben wurde. Vielleicht darf ich im Vorgriff auf Frau Kollegin Schuchardt hier gleich von vornherein sagen: Sie hat unrecht, wenn sie uns vorwirft, wir hätten von den Studenten ein Feindbild. ({3}) Wir haben nicht nur kein Feindbild, sondern versuchen alles, um die Lage der Studenten zu verbessern. Allerdings haben wir - übrigens genauso wie der Bürger draußen im Lande - kein Verständnis, wenn von einem kleinen Teil der Studenten - und leider an gewissen Universitäten begünstigt - Steuergelder für die Revolutionserprobung mißbraucht werden. ({4}) Hier müssen auch SPD und FDP endlich Mut zu klaren Worten und, wie ich meine, auch zu Taten bekommen. Ich erinnere mich noch an' das Beispiel eines Besuchs von Kollegen der CDU/CSU an der Hamburger Universität, wo wir mit Tomaten beworfen wurden und uns alles Mögliche angetan wurde und wo wir auch in einem Raum waren, dessen Tür Studierende eingetreten hatten. Man hatte genau gesehen, wer es war, und es ist angekündigt worden, daß den Betreffenden die entsprechende Rechnung zugesandt wird. ({5}) Man hat später gehört, daß überhaupt nichts passiert ist. Ich habe hier einen Zeitungsausschnitt der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 26. April 1978, aus dem ich zitieren darf, daß Hamburg nach einem Senatsbeschluß vom Dienstag auf die Rückzahlung anteiliger Stipendienbeiträge durch BAföG-Empfänger wegen ihrer Teilnahme am Vorlesungsboykott des vergangenen Wintersemesters nun doch verzichtet. - Ursprünglich hatte man anderes vorgehabt, ({6}) und dann kam der Druck. Ich weiß nicht, woher; ich möchte keine Mutmaßungen aussprechen. Da steht auch noch: Biallas - damals noch in Amt und Würden - zeigte sich verbittert, daß das zuständige Bonner Ministerium keine klaren Weisungen an die Landesausbildungsämter hinsichtlich jener Unterbrechungsvorschrift gebe, die hach Ansicht von Biallas so nicht praktikabel ist und daher abgeändert werden sollte. ({7}) Da weiß man doch, daß nicht alles zum besten bestellt ist und daß es nicht unser Feindbild gegenüber Studenten ist, wenn wir anderer Meinung sind. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Thüsing?

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Klaus Thüsing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002322, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, können Sie nicht zugeben, daß natürlich auch die SPD und die FDP gegen Störer an Universitäten und für einen ordnungsgemäßen Studienbetrieb sind, aber wir uns dagegen wehren müssen, daß an Universitäten ein neues Zwei-Klassen-Recht dadurch geschaffen wird, daß man auf jene Studenten, die BAföG bekommen, ein zusätzliches Zugriffsrecht zu haben glaubt?

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Thüsing, ich glaube nicht, daß wir ein Zwei-Klassen-Recht einführen. Ich glaube eher: Sie sollen nicht immer Ja sagen und dann ein großes Aber anfügen. Sie sollen sich klar äußern. ({0}) Der Herr Kollege Vogelsang hat in seiner Paesseerklärung geschrieben, wir strebten die „Einschüchterung unliebsamer Studenten" an. Was sind denn unliebsame Studenten? Sagen Sie etwa, das seien Ihnen liebsame Studenten? Sind das etwa Leute, denen wir nachlaufen und denen wir liebedienerisch sagen müssen: Jawohl, Ihr macht es richtig? Leute, die Gewalt gegen Sachen und Personen anwenden! Ich glaube, da hat es mit uns einfach eine andere Bewandtnis. Wir sind der Meinung, daß wir Studenten, die nicht studieren wollen, aber trotzdem öffentliche Förderung haben wollen, entsprechend begegnen müssen. Herr Staatssekretär Engholm hat in einem literarischen Anflug Shakespeare zitiert: „Der WiderDr. Rose spenstigen Zähmung". Ich glaube, wir haben auch irgendwann einmal Shakespeare gelesen. Früher war es nämlich noch üblich, daß man sich mit Shakespeare befaßt hat, vielleicht wie in meinem Fall, der ich Anglistik studiert habe, sogar in der Originalsprache. ({1}) - Nicht mehr in Bayern? Ich würde sagen, verehrte Frau Kollegin Schuchardt: es wäre gut, wenn Sie nicht nur auf der Mönkebergstraße in Hamburg gingen, sondern sich ab und zu in Bayern die Tatsachen ansähen. , ({2}) Nur: „Der Widerspenstigen Zähmung" hat zu Shakespeares Zeiten ja nicht geheißen, daß Studenten schon so widerspenstig gewesen seien, daß sie nicht mehr hätten studieren wollen. Im Gegenteil. Damals war es noch eine Ehre, zu studieren. Studenten hatten den Wunsch nach Studium, sogar nach Studium generale, nicht bloß nach irgendeinem - wie ich einmal an anderer Stelle gesagt habe - „Leberkäsingenieurstudium". Und sie hatten damals nicht die Lust nach Zerstörung der Einrichtungen, wo sie studieren wollten. Ich glaube, auch hier zeigt sich etwas, was wir in den letzten Monaten immer stärker merken: Das Problem wird verharmlost. Es wird hier von „Der Widerspenstigen Zähmung" gesprochen, und es wird so getan, als seien es nur arme Widerspenstige, wie halt die Jugendlichen so sind. ({3}) Ich meine: Es sind ganz harte Gewalttäter, und gegen die müssen wir entsprechend vorgehen. ({4}) Es wird nur ein Popanz aufgebaut, wenn man sagt, damit werde nur eine neue Bürokratie mit mehr Arbeitsstellen - und was sonst immer - gewollt. Ich glaube nicht, daß es auch darum geht. Meine verehrten Damen und Herren von der Koalition, es ist vorhin schon wieder in einem Zwischenruf - ganz typisch aus dieser Ecke - der Herr von Habsburg zitiert worden. ({5}) Der muß anscheinend zur Zeit für alles herhalten. Ich will darauf gar nicht mehr eingehen. ({6}) - Der hat auch kein BAföG mehr nötig. Der ist bereits gebildet genug. Wenn die Studenten, die nach Ihrer Vorstellung ausgebildet werden, so viele Kenntnisse haben und so viele Sprachen und vieles andere lernen, können wir eigentlich nur dankbar sein. Zum Schluß möchte ich nur noch darauf hinweisen: Der Kurs, der in der ersten Beratung von Herrn Staatssekretär Engholm, der sich durchaus kooperationsbereit gezeigt hat, und vor allem vom Herrn Kollegen Maihofer eingeschlagen wurde, sollte im Bildungsausschuß von uns - genau gesagt: von Ihnen; denn ich gehöre ihm leider nicht mehr an - fortgesetzt werden. Wir werden damit die Verbesserungen bekommen, die wir gemeinsam zum Nutzen der Studenten haben wollen. Und dazu kann man eigentlich heute nur aufrufen. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogelsang.

Kurt Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Herren von der Opposition, Sie müssen sich hinsichtlich der Bewertung dieses Gesetzes, über das wir reden, ein bißchen einigen. Wenn ich Herrn Hornhues richtig verstanden habe, hat er die Grundzüge dieses Gesetzes sehr gelobt. Herr Rose hat gerade gesagt, er sei über die Verbesserungen enttäuscht. Wollen Sie denn erreichen, daß wir wieder ein schlechteres Gesetz machen? Ich bitte doch, daß Sie sich über diese Sprachregelung ein bißchen verständigen! ({0}) - Ich war immer im Saal. Ich räume ja durchaus ein, daß es ein Gesetz ist, daß zwischen den Fraktionen immer konsensfähig ist und vermutlich auch immer konsensfähig sein wird. Es gibt sicherlich einige Punkte - über die ist schon wiederholt gesprochen worden -, über die wir uns nicht verständigen können. Ich möchte einmal zu vier Ihrer Anliegen besonders Stellung nehmen. Erstens wissen Sie wie ich, daß wir ein Hochschulrahmengesetz mit einem Ordnungsrecht haben. Nach unserer Beurteilung wollen Sie ein weiteres Ordnungsrecht in das Bundesausbildungsförderungsgesetz hineinschreiben. ({1}) - Sie können das ja gleich erklären. Ich frage mich nur: Wie wollen Sie angesichts des Wortes „Familienfreundlichkeit", das wiederholt in Ihrer Presseerklärung von gestern erschienen ist, den Familien deutlich machen, die auf Grund ihrer Einkommenslage Anspruch auf Förderung ihrer Kinder haben, daß für sie ein doppeltes Ordnungsrecht wirksam wird und daß Sie diejenigen, die es auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse nicht notwendig haben, BAföG in Anspruch zu nehmen, nur mit dem Ordnungsrecht des HRG belangen? Das müssen Sie einmal mit Ihrer ,,Familienfreundlichkeit" in Einklang bringen. ({2}) - Herr Daweke, flapsige Bemerkungen helfen da nicht weiter; sie stellen eigentlich nur ein bißchen Sprachlosigkeit zu einem Thema dar. ({3}) Ein weiterer Punkt, die Frage des Leistungsnachweises. Ich will nicht das wiederholen, was Herr Professor Maihofer bereits gesagt hat. Wir sind der Auffassung: wenn schon nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ein Leistungsnachweis notwendig ist, können nicht weitere Leistungsnachweise hinzukommen. ({4}) Nun zu Ihrem Begehren, die Freibeträge über die Vorschläge der Regierungsvorlage hinaus zu erhöhen. Richtig ist ja wohl, daß die in Betracht kommende Entwicklung der Nettoeinkommen von 1975 zu 1977 eine Erhöhung von 10,3 % aufweist. Richtig ist auch, daß die Regierungsvorlage eine Erhöhung der Freibeträge von rund 8 % vorsieht. Richtig ist - ich hoffe jedenfalls, daß ich richtig gerechnet habe -, daß Sie einen Vorschlag machen, der in bezug auf den Elternfreibetrag eine Erhöhung von 15 % vorsieht. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wir können ja über alle diese Fragen reden. Nur, die Konsensfähigkeit in diesem Parlament wird doch von Ihnen in dem Augenblick in Frage gestellt, wenn - wie vor drei Stunden - hier von Ihren Rednern gesagt wird, daß wir die Partei seien, die die Staatsquote erhöhen will und Sie die Partei, die Freiräume für die Familie schaffen wolle. ({5}) Denn Sie wollen doch eine Erhöhung der Staatsquote über die Erhöhung der Nettoeinkommen hinaus. Das ist jedenfalls die Wirkung, die daraus entsteht. ({6}) - Ich habe ja nichts dagegen, ich spreche ja nicht gegen Ihren Antrag. Aber ich spreche gegen Ihre Doppelzüngigkeit, die Sie an einem Debattentag hier in diesem Parlament gezeigt haben. ({7}) - Ich habe doch auf Ihren Einwurf bezüglich der Haushaltsreste gewartet. Er kam ja wie programmiert, Herr Rühe. Aber wie darf ich denn die Worte des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses vom vorletzten Debattentag, nämlich vom 26. Januar, verstehen? Er hat gesagt - ich will vorsichtshalber zitieren-: Wir, meine Damen und Herren, haben immer wieder unsere Bereitschaft erklärt, als Opposition Verantwortung auch für schwierige und für unpopuläre Entscheidungen mitzutragen. Sie bestehen darauf, daß nicht in Anspruch genommene Haushaltsreste verwendet werden. Wie verträgt sich das aber damit, daß Sie uns in gleichem Atemzug über Herrn Windelen anrufen und dazu anhalten wollen, eine größere Konsolidierung des Haushalts herbeizuführen? ({8}) Nun werden Sie antworten: aber nicht gerade beim BAföG. Dann muß ich Sie aber fragen: Wo wollen Sie es, wenn Sie es hier nicht wollen? ({9}) Sehen Sie, das sind die Schwierigkeiten in die ser Diskussion. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ihren Antrag hinsichtlich der besonderen Erhöhung dieser Freibeträge halte ich deshalb in der Tat für ausgesprochen opportunistisch. Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, daß Sie ernsthaft bereit waren, einen Beitrag zu leisten. Es kann höchstens sein, daß Sie glauben, das Recht zu haben, eine doppelzüngige Politik zu machen, indem Sie bei den Haushaltsberatungen der Regierung vorwerfen, daß sie nicht genug für die Konsolidierung des Haushaltes tue, und in dem Augenblick, wo es um ,Haushaltsausgaben geht, sagen: Jede Mark, die im Haushalt steht, muß auch ausgegeben werden. Darauf müßten Sie eine Antwort geben. ({10}) Nun komme ich zu einem vierten Punkt, zum Studium im Ausland. Wir sind gar nicht unterschiedlicher Meinung. Es ist von Ihnen ein Theaterdonner inszeniert worden. Es ist eine Pressekonferenz gewesen, es ist eine Kleine Anfrage gekommen, und es ist ein Antrag an das Plenum gerichtet worden. Der Antrag gipfelt darin: Verdammt noch mal, die Regierung soll sich endlich etwas einfallen lassen! Jetzt liegt auch Ihrerseits ein Antrag VOL ({11}) - Ja, Herr Dr. Hornhues, Sie haben sich auch etwas einfallen lassen; aber ich kann zur Zeit nicht mehr darauf antworten. Sie wissen nicht, was Sie wollen; aber das wissen Sie mit ganzer Kraft. ({12}) Es ist nicht der Sinn meines Diskussionsbeitrages, die Konsensfähigkeit hinsichtlich dieses Gesetzes in Frage zu stellen. Im Gegenteil, wir sind gern bereit, eine ganze Reihe Ihrer Anträge mit Ihnen zu beraten. So hoffe ich, daß auch Sie bereit sind, über unsere Vorstellungen zu beraten. Es ist gar nicht mein Anliegen, das zu zerstören. Es geht nur um folgendes: Da hier auch von der Jugend die Rede ist, dürfen wir diese. Jugend nicht dadurch vergraulen, daß wir als Politiker mit zwei Zungen reden, wir sollten vielmehr Aufrichtigkeit in die Politik bringen. Das kann nicht einmal so und das nächste Mal anders sein. Das war mein Anliegen. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einige der Bemerkungen reagieren, die hier gemacht worden sind. Ich möchte gern mit Ihren Ausführungen, Herr Vogelsang, zur Sprachregelung bei der Opposition beginnen. Ich weiß nicht, wo Sie Unterschiede gehört haben; aber darüber können wir uns noch -einmal unterhalten. Ich möchte nur auf folgendes hinweisen. Offensichtlich war das die Strategie, die beispielsweise durch den Beitrag von Herrn Kretkowski hier verfolgt werden sollte. Sie haben eine große historische Darstellung gegeben. Wir sind uns völlig einig darüber, daß keiner das BAföG abschaffen will und daß wir nicht irgendwelche Änderungen einführen wollen, die dieses sozial- und bildungspolitisch notwendige Gesetz grundsätzlich ändern. Nur haben Sie mit uns gemeinsam erkannt und es auch gesagt, daß es in diesem BAföG strukturelle Mängel gibt. Dazu haben wir in großer Ausdauer ein eintägiges Hearing veranstaltet. Wir haben uns angehört, was die Verbände und die Studentenvertreter gesagt haben, und wir waren uns darüber einig, daß es eine Menge zu regeln gibt. Die Regierung - das war noch Herr Rohde - hat gesagt: Das kommt mit der nächsten Novelle, das können wir noch nicht sofort machen, weil wir so gravierende Änderungen wollen, daß wir noch Zeit brauchen, und das muß sorgfältig vorbereitet werden. Sie haben bei uns sehr viele Erwartungen geweckt, und nun sehen wir das, was vorliegt: Sie haben überhaupt nichts gemacht. Deshalb gibt es hier wirklich kein Problem der Sprachregelung bei uns, sondern offensichtlich dient Ihre Vernebelungsaktion dazu, diesen Punkt zu verschleiern. Wir werden Sie aber auch heute noch einmal daran erinnern müssen. Nun zu dem, was Herr Maihofer gesagt hat. Herr Maihofer, ich habe mich über das gefreut, was Sie hier auch positiv über unsere Vorschläge gesagt haben. Ich glaube, wir werden das im Ausschuß jetzt gemeinsam, festzurren können: Auslandsstudium, Fachwechsler, Altersbegrenzung, Widerspruchsverfahren, Uberleitung, Verstetigung. Das sind ganz wichtige Punkte, bei denen wir gemeinsam dafür sorgen müssen, daß das nicht wieder so geht wie beim letzten Mal. Da waren Sie noch nicht im Ausschuß. Da war auch vorher gesagt worden, das kriegten wir hin, da seien wir uns in der Sache einig. Nur hinterher war von der FDP nichts mehr zu sehen. ({0}) Da sind Sie so aus der Koalition heraus unter Druck gekommen, daß daran nicht mehr gedacht wurde. Offensichtlich gibt es jetzt auch zwischen den Koalitionsparteien einen großen Dissens, was die Freibetragsregelung angeht, wo Sie ja angedeutet haben, daß wir uns auch dort näher stünden als die FDP und die SPD nach der Stellungnahme, die sie jetzt abgegeben hat. Nun möchte ich zunächst einmal auf das eingehen, was Herr Maihofer ja auch schon begründet hat: Weshalb ist es so wichtig, daß wir die Freibetragsgrenze ändern? Wir haben 1972 44% der Studenten gefördert. 1973 blieben das 44%. 1974 sackte es auf 42% ab. Dann gab es 43%; da war wieder eine Anpassung gekommen. Dann gab es wieder ein Jahr Inflation und Veränderung der no- minalen Löhne: 38% durchschnittliche Förderung. Dann weiteres Absacken auf 36%, dann wurden wieder 1978 nach der Anpassung von 1977 durchschnittlich 38% gefördert. Sie sehen hier, daß' es ein Herausrutschen gibt, wie es Herr Dr. Hornhues gesagt hat. Wenn man das im sozialen Wohnungsbau ähnlich machte, dann würde das bedeuten, daß die Leute ständig ausziehen müßten, wenn sie eine Lohnerhöhung bekommen hätten, und daß sie, nachdem eine Änderung gekommen wäre, wieder einziehen könnten. Das kann nicht richtig sein. Deshalb fordern wird a) die Verstetigung - darüber müssen wir auch reden, Herr Maihofer; darüber sind wir uns einig - und b) eine Freibetragsgrenze, die auch dieses System korrigiert.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Meinecke?

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Dr. Rolf Meinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Daweke, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie nur die eine Hälfte der Wahrheit hier dargestellt haben? Wenn sich nämlich der Anteil der Geförderten an der Gesamtzahl vermindert, ist wohl auch ein Grund darin zu sehen, daß sich die Einkommen der Familien und damit das Volkseinkommen insgesamt gesteigert haben. Sie können doch nicht einfach die Gesetzessystematik hier außer acht Dr. Meinecke ({0}) lassen. Das tun Sie schlicht. Es steht nicht im Gesetz, daß die Hälfte aller Studierenden gefördert werden muß. Es müssen die gefördert werden, bei denen die Familien ein gewisses Einkommen nicht erreichen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Kollege Meinecke, es wäre natürlich schön gewesen, wenn Sie den letzten Halbsatz noch mit einer Frage abgeschlossen hätten.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich verstehe das so: Sie wollen fragen, ob ich das nicht auch so sehe. - Nein, überhaupt nicht, ({0}) und zwar schon deshalb nicht, weil ich mich da auf den Sachverstand der Herren Ministerialräte und der sonstigen Herren und Damen aus dem Bundesbildungsministerium verlasse. In dem Bericht der Bundesregierung, den sie jetzt vorgelegt hat, steht zu lesen, daß - ich darf einen Teil weglassen -, es zu einem Absinken der Quote kommen müßte, weil nämlich jeweils innerhalb des allgemeinen Absinkens wieder eine leichte Erhöhung erfolgte. Und: Es folgt zwangsläufig daraus, daß die Anpassungen im wesentlichen nur den Anstieg der Lebenshaltungskosten ausgleichen, während die Einkommen auch real steigen. Das heißt, daß immer Leute heraussinken - das habe ich darstellen wollen -, weil sich das Einkommensniveau verändert. Jetzt zu dem Punkt von Herrn Vogelsang. Es ist ja eine beliebte Sache; das machen Sie jedesmal. Wenn wir über die Freibeträge reden, weisen Sie jedesmal darauf hin, daß das nur möglich sei, wenn der Haushalt expandieren würde. Das glauben Sie doch ernsthaft selbst nicht mehr. Wie wollen Sie denn sonst erklären, daß wir Jahr für Jahr 150 Millionen DM, 180 Millionen DM, 215 Millionen DM, im letzten Jahr 214 Millionen DM in der Kasse übrig haben? Die Regierung sagt am Anfang des Jahres: Wir können gerade so viele fördern; das brauchen wir. Zum Schluß stellt sie fest: Es bleiben 214,3 Millionen DM am Ende des Jahres übrig, weil eben Zehntausende in der Förderung absinken oder herausfallen. Herr Vogelsang, wir brauchen hier also überhaupt nichts auszuweiten, wir müssen nur den zur Verfügung stehenden Betrag tatsächlich ausschöpfen. Ich verweise hier noch einmal auf das, was Herr Maihofer gesagt hat. ({1}) - Ich komme jetzt mit der Zeit in Schwierigkeiten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit müssen Sie einhalten.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb bitte ich um Nachsicht, wenn ich zu den wichtigen Punkten Ihrer Ausführungen nur noch einige Klarstellungen bringe. Zweiter Eignungsnachweis: Sie haben gesagt, es seien nur Vereinzelte, die nicht studieren wollten. Das ist unbestritten. Wenn wir Universitätsbesuche machen, treffen wir Leute wie den Präsidenten Lemmert. Der sagt - und der sagt das nicht, damit die CDU Argumente bekommt -, daß beispielsweise in Berlin 20 bis 25% derjenigen, die eingeschrieben sind, überhaupt nicht studieren. Nun haben wir in Berlin eine besondere Situation, zugegeben. Nehmen wir also einmal an, daß es bundesweit nicht 25 %, sondern nur 10 % sind. Angesichts dessen sollte es doch möglich sein, ein Verfahren ohne Bürokratisierung, Herr Maihofer, einzuführen, bei dem - genau wie beim ersten Leistungsnachweis - beispielsweise durch das Beibringen von Scheinen - das haben wir auch in den Entwurf hineingeschrieben -, durch die Meldung zum Examen, durch den Besuch eines Oberseminars - das können die Universitäten frei regeln - dokumentiert werden kann, daß der Student ein normales Studium absolviert. Das soll doch keine Hochbegabtenprüfung sein, sondern es soll nur nachgewiesen werden, daß ein normales Studium absolviert wird. ({0}) Wenn Sie, Herr Maihofer, sagen, das sei eine Bürokratisierung, dann ist das so ein bißchen pyroman; denn Sie - nicht Sie selbst, aber einige Ihrer Leute - haben doch die Universitäten bürokratisch in Brand gesteckt. Ich denke da an die Gruppenuniversität. Sehen Sie sich doch einmal an, daß ein ordentlicher deutscher Professor heute in Gremien sitzt, in denen es um so etwas wie die Verteilung von 3,18 DM geht. Das ist Bürokratie, wirklich schlimme Bürokratie. Es ist aber doch keine Bürokratie, wenn jemand einen Schein vorlegen soll, um damit zu zeigen: Sehen Sie, es läuft ganz normal; ich studiere weiter, und das Studium geht bald zu Ende. Ich sage das deshalb, damit Sie, wenn Sie mit den Arbeitern in Bielefeld ein Bierchen trinken gehen, ein Argument haben und sagen können: Ihr braucht keine Sorge zu haben, daß wir von euch das Geld einkassieren, um solchen Leuten daraus dann Transfer-Leistungen zu gewähren, ihnen BAföG zu zahlen. Sie können dann sagen: Ihr Geld wird dafür verwendet, daß die Leute sozial abgesichert studieren können, die auch studieren wollen. Nur so können wir das doch verteidigen. ({1}) Das kann doch alles auch nicht so falsch sein. Ich habe hier ein Zitat von der SPD. Da fehlt leider das Datum; das ist bei der SPD-Fraktion so ein bißchen verschlampt worden. Die Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft der SPD-Bundestagsfraktion hat da - das ist etwa zwei Jahre alt - verkündet: Eine verstärkte Überprüfung eines kontinuierlichen Studiums von BAföG-Empfängern ist hingegen zu gewährleisten, um Mißbrauch auszuschließen. Das ist es. Genau das wollen wir - dann im Ausschuß hoffentlich mit Ihnen zusammen. Eine letzte Bemerkung zu dem Problem Vorlesungsboykott und Aufruf zum Streik: Übrigens ist die Frage, ob im Zusammenhang mit den Studenten das Wort „Streik" überhaupt angebracht ist. Die verweigern die Ausbildung und hindern Studierwillige - das haben wir gesehen - mit Gewalt daran, zu studieren. Sie tun so, als ob das nicht schon im geltenden Recht drinstünde. Es steht drin. Lesen Sie einmal den letzten Absatz des § 20 des BAföG. Da steht, daß jemand, der seine Ausbildung nicht vollzieht und das zu vertreten hat, die Ausbildungsförderung zurückzahlen muß. Hierzu hat man uns gesagt, z. B. in Hamburg, das sei nicht praktikabel. Deshalb konkretisieren wir das hier. Sie können doch dann aber nicht durch die Lande gehen und sagen, daß sich diese vielen hunderttausend Studenten, die alle ordentlich studieren und denen auch keiner etwas will, dadurch irgendwie in eine Repressionslage versetzt fühlen müßten, daß wir sagen: Diejenigen, die sich da vor die Tür stellen und euch nicht studieren lassen, bekommen kein Geld. Die können denken, was sie wollen. Die können meinetwegen auch fordern, was sie wollen. Nur, dafür gibt es keine Patte. Diese Leute müssen ihren Lebensunterhalt dann eben aus finanziellen Zuwendungen ihrer Eltern bestreiten. Daraufhin sagen Sie, daß das ein Zwei-KlassenRecht sei, der eine dürfe etwas, wofür der andere Druck bekäme. Herr Vogelsang, da müssen Sie bei sich zu Hause doch einmal mit dem Bäckermeister von der Ecke sprechen, der seinen Sohn an der Universität studieren läßt und keinen Pfennig BAföG erhält. Der wird Ihnen sagen: Ich sorge schon dafür, daß der anständig studiert. Es ist doch ein Witz, wenn Sie hier erzählen, daß jeder monatlich 600 DM überwiesen bekommt und so lange studieren kann, wie er will. Der Druck der Umgebung ist doch viel größer als der Druck für denjenigen, der die volle Förderung des Staates bekommt, jetzt ist, wenn nicht geprüft werden kann, ob das eingehalten wird, was der Staat verlangt. Ich meine also - dies möchte ich abschließend feststellen -, wir werden uns in vielen Punkten einig. Ich möchte Sie herzlich bitten, die Argumente, die wir bei den zwei strittigen Punkten vorgetragen haben, nochmals zu überdenken. Ich habe den Eindruck, daß wir auch dort vielleicht noch zusammenkommen können. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch auf einige Punkte eingehen, die möglicherweise offengeblieben oder vielleicht unklar geblieben sind. Es ist in der Tat so, daß sich der Ausschuß sehr ausführlich mit den strukturellen Mängeln des Bundesausbildungsförderungsgesetzes beschäftigt hat. Es war ein Vorschlag eingebracht worden, der im wesentlichen vorsah, Kindergeld, Ausbildungsfreibetrag und BAföG zu koppeln und das Geld unmittelbar an die Studenten und Schüler auszuzahlen. Dieses hätte erstens zur Folge gehabt, daß sicherlich eine große Diskussion darüber begonnen hätte, ob es denn eigentlich andemessen ist, daß das Kindergeld direkt in die Hände der Kinder und nicht in die der Eltern fließt. Zweitens ist uns jener Ausbildungsfreibetrag - also eine Begünstigung der Großverdiener für die Unterstützung ihrer Kinder - von seiten der Union im Bundesrat auch schön untergejubelt worden. Dies war eine Diskussion, die stattgefunden hat. Die Koalition mußte sich darüber klar sein, daß sie natürlich auch in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat hier zu einem Kompromiß kommen muß. Es besteht wohl überhaupt kein Zweifel, daß die Vorstellungen, die vorwiegend von den Studentenorganisationen - übrigens auch vom RCDS - vorgetragen worden sind, auch im Bundesrat keine Mehrheit gefunden hätten. Insofern ist es, glaube ich, angemessen, zu sagen, daß sich das Bundesausbildungsförderungsgesetz insgesamt bewährt hat und daß es insofern auch gar nicht nötig erscheint, unbedingt das große Reformgesetz zu fordern. Die CDU-Vorschläge machen ja auch ziemlich deutlich, daß eigentlich nur kleine Änderungen im Gesetz gewünscht werden, die sich voll im Rahmen der Struktur dieses Gesetzes halten. Was soll dann eigentlich die Kritik an der Vorlage, wenn Sie selber nur Änderungen vornehmen wollen, über die im Einzelfall ja gut diskutiert werden kann? ({0}) Ich finde, wir sollten als Bundesrepublik unser Licht überhaupt nicht unter den Scheffel stellen. In der Bundesrepublik werden 3 Milliarden DM für die Studenten- und Schillerförderung ausgegeben. Damit liegen wir im internationalen Vergleich absolut an der Spitze. Ich meine, wir sollten darüber hier nicht jammern, sondern dies positiv würdigen. ({1}) Ganz ohne Frage ist das, was zu Anfang der Debatten über das Bundesausbildungsförderungsgesetz im Mittelpunkt stand, nicht erreicht worden, nämlich die Familienunabhängigkeit der Förderung. ({2}) Wir sollten hier auch zugestehen, daß eine solche Forderung - auch aus finanziellen Gründen - sicherlich nicht in dieser Form aufrechterhalten werden kann. Ich meine, man muß darüber hinaus aber auch zugestehen, daß - natürlich auch aus Haushaltsgründen - Bedarfssätze und Freibeträge ohne Frage nicht in hinlänglicher Weise erhöht werden konnten und deshalb, wie uns das Studentenwerk hat vorrechnen können, die Eigenleistungen von Eltern und Studenten in dieser Zeit gestiegen sind. Das Entscheidende ist aber, wie ich glaube, daß - hier wird ein Unterschied zwischen Opposition und Regierungskoalition deutlich - eine die Regierung tragende Koalitionsfraktion immer einen gesunden Kompromiß zwischen dem Wünschbaren und dem finanziell Machbaren finden muß. Dies braucht die Opposition ganz ohne Frage nicht zu tun. Wir aber müssen es tun. Das, was Herr Maihofer hier gesagt hat, widerspricht überhaupt nicht dem, was Herr Vogelsang gesagt hat. Es hieß, wir müßten uns an den vorgegebenen Finanzrahmen halten. Vor zwei Jahren haben wir an dieser Stelle im Blick auf die Haushaltsreste aus der Zeit davor ebenfalls Kritik geübt. Man hat uns dann gesagt, die Mittel seien nun voll ausgeschöpft. Wir sind nun aber wiederum bei dem gleichen Haushaltsrest gelandet. ({3}) - Wenn Sie meine Rede damals aufmerksam verfolgt haben, wissen Sie ganz genau, daß auch ich hier meine Skepsis sehr wohl angemerkt habe. ({4}) - Das ist richtig, ich bin ja in einer Regierungskoalition. Das, was wir damals gemacht haben, war Kaffeesatz lesen, verehrter Herr Pfeifer, nichts anderes. ({5}) Und auf Kaffeesatz kann ich mich nicht verlassen. Entscheidend ist wohl - dies muß hier festgestellt werden -, daß wir diesmal alle gemeinsam sehr gründlich prüfen sollten, ({6}) ob man nicht das gleiche wieder erreichen wird. Dann sollten wir zu entsprechenden Änderungen bereit sein. Im übrigen sind die ganz kleinen Änderungen, die hier angesprochen worden sind, ja auch finanzwirksam. Machen wir uns doch nichts vor! Wir können doch nicht schon hier alles verfrühstücken, so daß wir dann in den anderen Bereichen möglicherweise nichts mehr übrig haben. Ich darf an dieser Stelle einmal daran erinnern, daß die Union ja immer argumentiert, dadurch, daß die Freibeträge nicht angemessen erhöht würden, treffe man besonders die Bezieher mittlerer Einkommen. Meine Damen und Herren, durch die Tat der Union im Bundesrat, die Ausbildungsfreibeträge wieder einzuführen, haben wir in der Tat die perverse Situation geschaffen, daß Bezieher kleiner und großer Einkommen, leider aber nicht Bezieher mittlerer Einkommen von dieser Gesetzgebung insgesamt profitieren. Seien Sie mit uns gemeinsam bereit, die Ausbildungsfreibeträge abzuschaffen und die so freigesetzten Mittel in die Bundesausbildungsförderung einzustellen. Das wäre sozial sicherlich gerechter als die unsoziale Gesetzgebung, die Sie mit der Änderung bewirkt haben. ({7}) - So ist es, Herr Pfeifer. Das wissen Sie auch ganz genau. ({8}) - Also, Herr Pfeifer, ich bitte Sie: Wenn Liberale von Förderung reden, dann tun sie das unter dem Gesichtspunkt der Sozialbedürftigkeit. Die Auffassung, daß die Bezieher hoher Einkommem bedürftig sind, werden Sie bei Liberalen nun wirklich nicht antreffen. Zur Frage der Verstetigung nur so viel - hier lag ja in der Tat der eigentliche strukturelle Kritikpunkt, der Ansatzpunkt, den wir alle sehr bedauert haben -: Ich meine, wir sollten uns hier gemeinsam bemühen, einen Weg zu finden, wie man den Bruch nach einem Jahr, den Bruch, daß eine ganze Reihe von Geförderten auf Grund der zweijährigen Anpassungsfristen aus der Förderung herausfallen, am besten und ohne viel Aufwand vermeiden kann. Herr Maihofer hat hier drei Vorschläge vorgetragen. Ich meine, wir sollten sie gegeneinander abwägen. Ich möchte zum Schluß noch auf die Kritikpunkte eingehen, die wohl den großen Dissens zwischen Koalition und Opposition ausmachen. Das sind der zweite Eignungsnachweis und die sogenannte Chaoten-Klausel. Hinsichtlich beider Punkte kann man wohl sagen, daß sie das Mißtrauen gegen Studenten total widerspiegeln. Entscheidend ist aber nicht, daß Sie das gefordert haben, sondern entscheidend ist der Kontext, in den das gestellt werden muß. Wir wissen, daß die BAföG-Empfänger kürzere Studienzeiten vorweisen können als die anderen. Davon ist heute bei keinem Unionspolitiker die Rede gewesen, sondern es ist nur davon die Rede gewesen, daß es einzelne gibt, die ein solches Gesetz unterlaufen, ausnutzen usw. ({9}) Das gibt es auch hinsichtlich anderer Gesetze, z. B. hinsichtlich der Steuergesetze, daß böswillige Menschen diese - leider - unterlaufen. Und das ist das, was ich mit Feindbild meine: daß Sie auch in der Öffentlichkeit ganz eindeutig darauf hinweisen, daß unter den Studenten unheimlich viele Tomatenschmeißer sind. Wahrscheinlich erzählen Sie auch noch, daß diese Tomaten aus BAföG-Mitteln geFrau Schuchardt kauft worden seien. Damit, mit diesem Klima, das Sie schaffen, erzeugen Sie Überschriften in der „Welt" wie: „Kein Geld für Krawallstudenten". ({10}). Damit schüren Sie Feindbilder! Das können Sie sich von Ihrer Weste nicht abstreichen. Wenn Sie wirklich verstünden, was an den Universitäten an geistiger Auseinandersetzung los ist, dann würden Sie das nicht auf diese Weise vergiften. Wir sollten hier wohlwollend zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesausbildungsförderungsempfänger in der Regel, zum weit überwiegenden Prozentsatz ({11}) sehr viel schneller und sehr viel intensiver studieren als alle die Jugendlichen der Eltern, die auf die Bundesausbildungsförderung nicht angewiesen sind. Wenn dieser Gedanke heute im Mittelpunkt gestanden hätte, dann hätten Sie mehr Verständnis für die Studenten gezeigt, als Sie es heute getan haben. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/2467 an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - federführend -, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Rechtsausschuß zur Mitberatung sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes - Drucksache 8/2468 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Interfraktionell ist eine Kurzdebatte vereinbart. Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seuchen waren zu allen Zeiten gefürchtet, und bis in die heutige Zeit hinein sind gesetzliche Maßnahmen erforderlich, um Seuchen möglichst zu verhindern oder gegebenenfalls wirksam bekämpfen zu können. Je nach Art und Intensität der Bedrohung durch Seuchen und je nach den vorhandenen Mitteln, sie zu bekämpfen, sind die entsprechenden Gesetze von Zeit zu Zeit angepaßt worden. Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen ist seit nunmehr 17 Jahren in Kraft. In dieser Zeit sind in der Bundesrepublik Deutschland keine großen Seuchen mehr aufgetreten. Das ist ganz sicher zum großen Teil den neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auf diesem Gebiet zu verdanken. Aber es ist nicht zuletzt auch eine Folge der Vorschriften des Bundesseuchengesetzes, insbesondere der Regelung zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Wir können also insgesamt feststellen, daß sich das Bundesseuchengesetz bewährt hat. Dennoch gibt es in jüngster Zeit eine Reihe von Gesichtspunkten, die die Bundesregierung veranlaßt haben, Ihnen heute eine Neufassung zur Beratung vorzulegen. Bei diesem vierten Änderungsgesetz handelt es sich um eine Gesamtnovelle, d. h., sämtliche Vorschriften sind auf ihre Änderungsbedürftigkeit hin überprüft worden. Die bisherigen Änderungen des Bundesseuchengesetzes betrafen Teile des Gesetzes, die sich aus aktuellem Anlaß als änderungsbedürftig erwiesen haben. In dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf werden einerseits neuere wissenschaftliche Erkenntnisse der Seuchenbekämpfung ausgewertet, andererseits werden die praktischen Erfahrungen berücksichtigt, die bei der Gesetzesanwendung gemacht wurden. Dieser Entwurf ist in ständigem Kontakt und in Beratungen mit den Bundesländern erarbeitet worden. Die Änderungsvorschläge, die der Bundesrat im ersten Durchgang- gemacht hat, konnten in der ganz überwiegenden Zahl von der Bundesregierung akzeptiert wurden. Als ein Beispiel für die Änderungen möchte ich die Überwachung des Personals in den Lebensmittelbetrieben nennen, die in den §§ 17 und 18 des Gesetzes vorgesehen ist. Hier hat sich insbesondere die Regelung als änderungsbedürftig erwiesen, nach der sich das Personal in festgelegten Zeitabständen Wiederholungsuntersuchungen zu unterziehen hatte unabhängig davon, ob zu dem jeweiligen Zeitpunkt der Untersuchung eine besondere Gefährdung vorlag oder nicht. Die Untersuchungsergebnisse waren recht unergiebig und damit auch zu kostenaufwendig. Diese Regelung für die Wiederholungsuntersuchungen soll nunmehr flexibler gestaltet werden. Das Personal in Lebensmittelbetrieben wird lediglich - wie bisher - bei Aufnahme seiner Tätigkeit eingehend untersucht. Wiederholungsuntersuchungen sollen künftig durch eine Rechtsverordnung vorgeschrieben werden können, und zwar in den Fällen, in denen eine besondere Gefährdung besteht. Künftig sollen solche Mitar10756 beiter von Lebensmittelbetrieben erneut untersucht werden, die im allgemeinen einer erhöhten Anstekkungsgefahr ausgesetzt sind oder vorübergehend ausgesetzt waren, z. B. in Epidemiegebieten. Die Vorschriften sollen die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten effizienter machen, knappes Fachpersonal. für wichtigere Untersuchungen entlasten und schließlich auch helfen, überflüssige Kosten zu vermeiden. Meine Damen und Herren, in den vor uns liegenden Ausschußberatungen wird ganz sicher eine sorgfältige Detailarbeit nötig sein. Ich jedenfalls hoffe und wünsche, daß die Beratungen des Gesetzentwurfs zu einem Ergebnis führen, das die Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einerseits erleichtert und andererseits noch wirksamer macht als bisher. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reimers.

Dr. Stephan Reimers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001807, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt den Entwurf der Bundesregierung eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes; denn wir teilen die Auffassung, daß bei der Verhütung und Bekämpfung ansteckender Krankheiten die Wachsamkeit nicht geringer werden darf, auch wenn unser Land in den letzten Jahren von spektakulären Katastrophen verschont blieb. Das Ziel des Gesetzentwurfes, neuere Erkenntnisse der Wissenschaft zu berücksichtigen und praktische Erfahrungen aus der bisherigen Anwendung des Bundes-Seuchengesetzes zu verwerten, ist politisch unumstritten. Insbesondere stimmen wir der Absicht zu, den Katalog meldepflichtiger Erkrankungen um bestimmte angeborene Krankheiten zu erweitern; denn das kann ein wichtiger Beitrag sein, die immer noch erschreckend hohe Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu verringern. In dieselbe Richtung zielt auch § 8 des Gesetzes, in dem die Pflicht zur Meldung von Krankenhausinfektionen auf Säuglingsheime und Gemeinschaftseinrichtungen für Säuglinge erweitert wird. Auch das ist ein Fortschritt, den wir begrüßen. Um die Wirkung vor Ort sicherzustellen, ist es notwendig, den zuständigen Behörden erweiterte Ermittlungs- und Kontrollrechte einzuräumen. Im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit ist die in § 10 vorgesehene Einschränkung der Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit der Person unumgänglich; denn anderenfalls wären im Ernstfall die zuständigen Gesundheitsämter von der Zustimmung und Kooperationsbereitschaft der Erkrankten oder vermutlich Erkrankten abhängig. In der Ausschußberatung gilt es Unklarkeiten und offene Fragen auszuräumen. Ich darf ein Beispiel nennen. In § 11 Abs. 2 heißt es, daß die Anforderungen für die Qualität des Trinkwassers, des in . Lebensmittelbetrieben verarbeiteten Wassers und die Wasserqualität in Schwimmbädern von einer Rechtsverordnung abhängig sein soll, die vom zuständigen Ministerium zu erlassen ist. Dieses Gesetz hat also erst dann konkrete Wirkungen, wenn die entsprechende Verordnung vorliegt. Deshalb halten wir es für notwendig, daß parallel zur Gesetzesberatung auch die Vorarbeiten zu dieser entsprechenden Verordnung abgeschlossen werden, damit eine derart wichtige Frage unserer Umweltqualität ohne Zeitverzug geregelt werden kann. Es ist erfreulich, daß die- Bundesregierung weitgehend bereit war, die Anregungen des Bundesrates zu übernehmen. Eine Ausnahme bildet das Thema der Verordnungsermächtigungen, die teilweise zur Änderung des Gesetzes ermächtigen. Auch hier wird es eine Aufgabe der Ausschußberatungen sein, zu klären, inwieweit eine Notwendigkeit zu diesen Ermächtigungen, und zwar für jede einzelne, besteht. Die Union ist an einer zügigen Verabschiedung dieses Gesetzes interessiert, das dem Schutz von Leben und Gesundheit aller Bürger dient. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann ({0}).

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mir, wo ich zum erstenmal hier spreche, gewünscht, daß mehr als zwölf Kollegen anwesend sind. Aber eine Seuche, die zur Präsenz führt, ist offensichtlich nicht ausgebrochen, oder wir haben schon frühzeitig Maßnahmen getroffen, die verhindern, daß eine solche Seuche überhaupt erst ausbrechen kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, bei dem Wort Seuche haben die Abgeordneten, die sich gefährdet fühlten, sofort den Saal verlassen. ({0})

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber das Thema ist ernst. ({0}) - Beide Themen sind ernst. ({1}) - Das erste. Neumann ({2}) Meine Damen und Herren, Seuchenhygiene war seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gesundheitspolitik. Gerade dabei galt der Grundsatz: „Vorbeugen ist besser als heilen." Die Zeiten der großen Infektionskrankheiten wie Pest, . Cholera, Typhus sind vorbei, aber Tuberkulose in Elendsvierteln gibt es in einigen Teilen der Welt noch, bei uns Gott sei Dank nicht mehr. Einer der Gründe dafür sind die Gesetze und das Bundes-Seuchengesetz, das 1961 geschaffen worden ist. Das stimmt, obwohl man weiß, daß dieses Bundes-Seuchengesetz dreimal geändert worden ist und jetzt in der vierten Änderung ist. Das wechselnde Krankheitspanorama und die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten erfordern einfach eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen an den neuesten Stand. Die drei Änderungen und jetzt die vierte Änderung zeigen aber auch, daß der Gesetzgeber in der Lage ist, flexibel zu reagieren. Der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung - so kann ich für die sozialdemokratische Fraktion sagen - wird von uns ausdrücklich begrüßt, weil wir meinen, daß mit dieser Änderung die vier Ziele der Bundesregierung erreicht werden, die mit diesem Gesetz erreicht werden sollen: erstens die Anpassung an die neueren Erkenntnisse der Wissenschaft, zweitens Berücksichtigung der Mängel und Erfahrungen, die sich bisher aus der praktischen Anwendung des Gesetzes ergeben haben, drittens bessere Zuordnungsmöglichkeiten seuchenhygienischer Maßnahmen auf die Bereiche der Verhütung und der Bekämpfung und viertens Anwendung einheitlicher Definitionen und Begriffe im Verhältnis zu anderen, dem Sachgebiet benachbarten Rechtsgebieten. Ich will hier bei der ersten Lesung nicht auf Einzelheiten des Gesetzentwurfes eingehen. Die Kollegen haben bereits einige Schwerpunkte genannt. Lassen Sie mich nur noch zwei Schwerpunkte nennen, die nicht genannt worden sind: Erstens: Neueinführung der Meldepflicht für bestimmte angeborene Krankheiten. Das gab es bisher nicht, das ist eine Ausweitung des Rechts. Von dieser Neuregelung wird von uns erwartet, daß sie auch Aufschluß über bestimmte Krankheiten gibt und damit dazu beiträgt, die Säuglingssterblichkeitsquote, die in unserem Land so hoch ist, zu senken. Dies ist ein weiterer Beitrag, von dem wir hoffen, daß ihm auch in den Ländern noch weitere folgen werden. Der zweite Punkt, der hier angeschnitten worden ist, ist die Wasserqualität in Badeanstalten und in Schwimmbecken von Gewerbebetrieben, also in Hotelbädern. Hier wird demnächst durch eine Rechtsverordnung festzulegen sein, welche Qualität dieses Wasser haben muß. Es wird beim Füllen zumindest Trinkwasserqualität haben müssen. Für den privaten Bereich hat man noch keine Regelung getroffen, aber die Maßstäbe, die durch diese Rechtsverordnung gesetzt werden, dürften dazu führen, daß man sich auch im privaten Bereich danach richtet. Zwei weitere Punkte möchte ich noch nennen. Die Entschädigungsregelung wird auf die Impfschäden ausgedehnt, die außerhalb des Bundesgebietes entstanden sind. Der zweite Punkt betrifft eine Frage, die in der Rechtsprechung bisher sehr umstritten war und zu unterschiedlichen Entscheidungen geführt hat: ob bei der Rötelnschutzimpfung während der Schwangerschaft die Entschädigungspflicht auch für das Kind gilt, das noch nicht geboren war. Wir haben immer die Auffassung vertreten, daß die Impfentschädigung auch dann gewährt werden müsse. Dies wird nunmehr gesetzlich geregelt; dies führt also zu Rechtsklarheit. Wir beantragen die Überweisung dieses Gesetzentwurfes an den zuständigen Ausschuß. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir leben in einer schnellebigen Zeit. Die medizinische Wissenschaft und Technik machen immer schnellere Fortschritte, aber auch die verschiedenartigsten Gefährdungen der Volksgesundheit unterliegen einem. immer schnelleren Wechsel. So können auch die Gesetze zur Sicherung der Gesundheit unserer Bevölkerung vor solchen Gefahren keine Jahrhundertgesetze sein. Wir sollten es daher nicht zu tragisch nehmen, daß uns die Bundesregierung bereits eine Gesamtnovellierung des Bundes-Seuchengesetzes vorschlägt, das erst seit 1962 in Kraft ist und nicht zum viertenmal geändert wird, sondern zum elftenmal, weil es durch Artikelgesetze siebenmal geändert worden ist. Wir leben aber auch in einer hellhörigen Zeit. Der deutsche Bürger hat ein geschärftes Gehör für die immer vielfältigeren Gefährdungen seiner Gesundheit durch schädliche Umwelteinflüsse aller Art bekommen. In der Luft, die wir atmen, dem Wasser, das wir trinken, in den Lebensmitteln, die wir essen, überall lauern Gefahren, die heute auf ein sensibleres Gefährdungsbewußtsein treffen als früher. Hellhörig sind unsere Bürger aber auch noch für etwas anderes geworden - gottlob, wie ich für die Freien Demokraten anmerken möchte -, hellhörig für Gefährdungen unserer Freiheit, für die wachsende Bürokratisierung unseres Lebens, für die Gefahr, die uns von immer mehr und immer perfekteren Gesetzen drohen kann. Ich war ein wenig erschrocken, als ich kürzlich den Bericht über die Gesamtreform unseres Lebensmittelrechts las, die wir vor wenigen Jahren hier verabschiedet haben. Auf mehreren Seiten wird da über die lange Folge von Verordnungen berichtet, die auf Grund des Lebensmittelgesetzes erlassen worden sind: 38 an der Zahl - und es stehen immer noch welche aus ! Ein Gesetz im Gesundheits- und Verbraucherschutz gleicht heutzutage einem polypenartigen Ungeheuer mit Dutzenden von Fangarmen. Da kann einen schon die Angst davor beschleichen, daß man in seiner individuellen Freiheit davon erdrückt wird. Hellhörigkeit gegenüber solchen Gefahren gehört zu den Bürgertugenden, die wir heute nötig haben. Auf dem Hintergrund dieser gewandelten Bewußtseinslage müssen wir auch die vorliegende Novelle zum Bundes-Seuchengesetz sehen. Sie scheint mir von beiden Gefährdungen geprägt zu sein, von denen ich sprach, von den wachsenden oder gewachsenen Gefahren für unsere Gesundheit, die durch besseren Seuchenschutz bekämpft werden sollen, aber auch von bedrohlichem Verwaltungsaufwand, der zur Gefahr für unsere Freiheit werden könnte. Lassen Sie mich auf vier Punkte dieses Entwurfs kommen. Der Entwurf ist voller Einschränkungen von Grundrechten. Glücklicherweise verlangt das Grundgesetz eine solche Offenlegung. Dadurch wird das Ausmaß der Eingriffsmöglichkeiten transparent. Nehmen wir etwa § 11, der die beim Auftreten einer übertragbaren Krankheit notwendigen Maßnahmen beschreibt: Auskunftserteilung, Vorladungen, Durchsuchungen aller Art, Probeentnahmen, Blutentnahmen. Nach § 32, wo es um die Untersuchung von Personen geht, ist die Entnahme von Mageninhalt, Galle, Rückenmarks- und Gehirnflüssigkeit zulässig. Dann folgt jeweils ein Katalog von Grundrechtseinschränkungen, z. B. in § 10 des Grundrechts der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung - eine lange Reihe von Warnleuchten, die hier von Verfassungs wegen angebracht sind. Lassen wir uns diese bei unseren Ausschußberatungen zur Warnung und als Anlaß zu genauester Prüfung dienen, inwieweit diese Eingriffe wirklich erforderlich sind! Ein weiterer neuralgischer Punkt unter dem Aspekt der Freiheit sind die Strafvorschriften dieses Entwurfs. Es ist keine Frage - um dies vorab zu betonen -, daß angesichts der im Seuchenbereich oft unabsehbaren Gefahren auf die Androhung von hohen Geldbußen nicht verzichtet werden kann. Aber brauchen wir neben dem allgemeinen Strafrecht wirklich die Androhung echter Kriminalstrafen? Das werden wir im Ausschuß zu prüfen haben. Sorge macht uns Freien Demokraten auch die bisherige Regelung der Entschädigung für Impfschäden. Wir wissen, daß zahlreiche Geschädigte trotz der Bestimmung, daß eine bloße Wahrscheinlichkeit für die Verursachung eines Gesundheitsschadens durch die Impfung im Prozeß ausreicht, eindeutig die Unterlegenen sind und eben auch tatsächlich unterliegen. Können wir hier nicht einen Schritt weiter zugunsten des geschädigten Bürgers gehen und seine Stellung im Gerichtsverfahren verbessern? Schließlich nimmt der Bürger mit der gesetzlich angeordneten Impfung die nie auszuschließende Gefahr eines Gesundheitsschadens im Interesse des Gemeinwohls auf sich. Die §§ 51 und 52 darf ich allen Kollegen ans Herz legen. Schließlich beschleicht uns bei einigen Ermächtigungen des Entwurfs als Parlamentarier wie als Bürger - und dies nicht zum erstenmal - ernste Sorge vor einer Aushöhlung der Gesetzgebungszuständigkeit, die wir als Parlament wahrzunehmen haben. Der Bundesrat hat hier ebenfalls Bedenken angemeldet. So wird etwa in § 7 und in § 17 der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit zu Rechtsverordnungen ermächtigt, die das Gesetz bezüglich der daraus folgenden Gebote und Verbote gegenüber dem Bürger nicht nur zu dessen Gunsten einschränken, sondern auch zu dessen Lasten ohne Parlament erweitern. Doch mit diesen kritischen Anmerkungen genug! Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die FDP die Intentionen des Regierungsentwurfs voll mitträgt. Nur erschien es mir angebracht, rechtzeitig vor Beginn der Ausschußberatungen auf die Punkte hinzuweisen, bei denen wir als Parlamentarier und speziell als Liberale zu kritischer Prüfung aufgefordert sind. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 8/2468 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung der Sammelübersicht 39 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 8/2512 Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/2512, die in der Sammelübersicht 39 enthaltenen Anträge des Petitionsausschusses anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses erledigt. Vizepräsident Stückten Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Standortübungsplatzes Bad Vilbel an die Stadt Frankfurt - Drucksache 8/2478 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Pas Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 8/2478 an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe den Punkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Übereinkommen Nr. 142 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschließung des Arbeitskräftepotentials Übereinkommen Nr. 143 der Internationalen Arbeitsorganisation über Mißbräuche bei Wanderungen und die Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer Empfehlung 150 der Internationalen Arbeitsorganisation betreffend die Berufsberatung und die Berufsausbildung im Rahmen der Erschließung des Arbeitskräftepotentials Empfehlung 151 der Intenationalen Arbeitsorganisation betreffend Wanderarbeitnehmer in Beschäftigungsländern - Drucksachen 8/88, 8/2483 - Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({2}) Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ausschuß schlägt auf Drucksache 8/2483 vor, die Übereinkommen und Empfehlungen auf Drucksache 8/88 zur Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Februar 1979, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.