Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Auf der Diplomatentribüne haben die Herren Außenminister der Republik der Philippinen, der Republik Singapur, von Malaysia und des Königreichs Thailand Platz genommen. Ich begrüße die Herren Außenminister dieser Länder auf das herzlichste.
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Sie befinden sich im Rahmen von Konsultationen der Bundesregierung mit. den ASEAN-Staaten zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist uns eine besondere Freude, unsere südostasiatischen Gäste und Freunde im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. Ich wünsche den Herren Außenministern, daß die Begegnungen und Gespräche während ihres Aufenthaltes hier in Bonn und auch anschließend bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel nützlich sein werden und ihnen die Bestätigung einer guten und freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen ihren Ländern und der Bundesrepublik Deutschland vermitteln werden.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze ({3}) - Drucksache 8/2300 -.
Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Die Drucksache liegt zur Zeit noch nicht vor. Es ist interfraktionell vereinbart worden, daß wir die Debatte zu Punkt 11 der Tagesordnung, die gleich beginnen wird, unterbrechen werden, sobald die Drucksache vorliegt, und dann den Punkt behandeln werden, dessen Aufnahme in die Tagesordnung wir soeben beschlossen haben. Ist das Haus auch damit einverstanden? - Dann ist auch das so beschlossen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat für den am 20. November 1978 aus dem Europäischen Parlament ausscheidenden Abgeordneten Zeyer den Abgeordneten Dr. von Bismarck vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist der Abgeordnete Dr. von Bismarck zum 21. November 1978 als Vertreter .der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament gewählt.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand: 14. November 1978 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 ({4}), zuletzt geändert durch Artikel 43 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 ({5}) ({6}) ({7})
zuständig: Innenausschuß ({8}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, Haushaltsausschuß
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 60 04 Tit. 671 02 - Erstattung von Kredit- und Verwaltungskosten und Ausfällen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Zusammenhang mit der Bildung eines Fonds für Direktinvestitionen und dem Erwerb von Auslandsforderungen auf Grund des deutschamerikanischen Devisenausgleichsabkommens vom 8./19. August 1969 ({9})
zuständig: Haushaltsausschuß
Erhebt. sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch das so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages am 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 8. bis 14. November 1978 eingegangene EG-Vorlage an die aus Drucksache 8/2299 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Die in Drucksache 8/2299 aufgeführte EG-Vorlage wird als Drucksache 8/2298 verteilt.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({10}) zum Jahresbericht 1977 des Wehrbeauftragten
- Drucksachen 8/1581, 8/2224 Berichterstatter:
Abgeordneter Ernesti Abgeordneter Horn
Wünscht einer der Herrn Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Präsident Carstens
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ernesti.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Jahresbericht des Wehrbeauftragten, der die Situation in der Bundeswehr aus dem Jahre 1977 widerspiegelt. Es ergibt sich daraus die Tatsache, daß wir manche Tatbestände und Vorkommnissse im letzten Jahr in der Bundeswehr erlebt oder in der Öffentlichkeit diskutiert haben, die noch keinen Niederschlag in diesem Bericht gefunden haben.
Ich begrüße es, Herr Staatssekretär, daß Sie Ihre Generalität mitgebracht haben. Aus den letzten Jahren waren wir das nicht gewohnt. Wir freuen uns darüber, daß nicht nur, wenn es um Waffensysteme, sondern auch, wenn es um Menschen geht, die verantwortlichen Offiziere des Hauses hier im Plenum anwesend sind.
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Meine Damen und Herren, dem Wehrbeauftragten ist zunächst für seinen Jahresbericht zu danken. Anzuerkennen ist auch die verschiedentlich zu erkennende ungeschminkte Stellungnahme, im besonderen zu den ursprünglich vorgesehenen Maßnahmen bezüglich der neuen Wehrstruktur und des Heeresmodells. Er hat damit die vom Verteidigungsausschuß veranlaßte Prüfung, bei der den mit den Modellversuchen aufgetretenen Problemen im Bereich der Inneren Führung nachgegangen werden sollte, voll erfüllt. Seine Aufgabe, als „Frühwarnsystem" zu dienen, ist er durch die freimütige Darstellung der Auswirkungen dieses Modellversuchs auf Menschenführung und Ausbildung in der Truppe gerecht geworden.
Ich darf auch bemerken, daß er mit seinen Feststellungen den von meiner Fraktion von Anbeginn an geäußerten Bedenken in vollem Umfange Rechnung getragen hat.
Bei ,dieser Gelegenheit darf ich auch feststellen, daß der Wehrbeauftragte bezüglich seiner Aufgabe als „Frühwarnsystem" in den letzten Tagen wiederum ein gutes Beispiel gab, indem er verallgemeinernde Behauptungen zurückwies, in der Bundeswehr machten sich gefährliche Rechtstendenzen breit. Er schloß sich auch hier unseren wiederholt geäußerten Feststellungen an, daß es mehr als unredlich ist, aus gelegentlichen Ausnahmevorfällen, die teilweise sogar unbewiesen blieben, den Schluß zu ziehen, die Bundeswehr sei unzuverlässig und stehe nicht auf dem Boden des Grundgesetzes.
Wenn der Vorhalt kommt, in der Bundeswehr seien rechtsextreme Strömungen vorhanden, gibt es zweifellos gewisse Kreise, die offensichtlich Interesse daran haben, daß diese Märchen gelegentlich aufgetischt werden. Bedauerlich dabei ist, daß sie damit im In- und Ausland neuerlich ein Gerede in Bewegung bringen, das der Bundeswehr und damit der Bundesrepublik Deutschland - durch diese Legendenbildung - großen Schaden zufügt.
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Von draußen, so kann man hören und lesen, wird behauptet, daß in unserer Presse verstärkt Meldungen über das Wachsen des Neofaschismus in der Bundeswehr auftauchten. Besonders muß aber erschrecken, daß aus den eigenen Reihen der Bundeswehr auf der Grundlage sogenannter wissenschaftlicher Untersuchungen vernichtende Urteile z. B. über die Studenten der Bundeswehrhochschule Hamburg kommen. Dies ist ein Fall, den der Wehrbeauftragte untersuchen könnte. Hierbei sollte sich auch das Bundesministerium der Verteidigung angesichts der Wirkung, die diese angeblich wissenschaftliche Untersuchung im In- und Ausland verursachte, unmißverständlich zur Sache äußern. Aber, meine Damen und Herren, wie auch auf manchen anderen Gebieten: Man wird die Geister, die man rief, offensichtlich nicht mehr los.
Wer behauptet oder durch Meldungen über angeblich rechtsextreme Strömungen in der Bundeswehr den Eindruck erwecken will, die deutschen Streitkräfte seien politisch unzuverlässig, der sagt meines Erachtens bewußt die Unwahrheit und verfolgt offenbar das Ziel, das Ansehen der Bundeswehr und damit unseres Staates in der Welt herabzusetzen.
So genügt es auch nicht, wenn der Verteidigungsminister lediglich seiner Empörung über einen Artikel im „Vorwärts" Ausdruck verleiht. Bekanntlich liest man dort in einem Beitrag „Bundeswehr 78" die Mutmaßung, die Bundeswehr wandere in das gesellschaftspolitische Abseits und werde zu einem Staat im Staate, weil die politische Führung des Ministeriums zunehmend von den Militärs unterlaufen werde. Solche Verlautbarungen des Ministeriums sind so lange wirkungslos, wie sich Minister Apel nicht energisch gegen die Heckenschützen in der eigenen Partei wehrt. Der Herausgeber des „Vorwärts" ist bekanntlich Egon Bahr.
Vorwiegend aus den Reihen seiner eigenen Partei. wird laufend vor angeblichen Gefahren von rechts gewarnt. Dabei dient die Methode doch nur dazu, die tatsächlichen Gefahren, die von links kommen, zu verschleiern. Der Wehrbeauftragte sagt in seinem Bericht zu diesem Komplex:
Solche gegen die Bundeswehr und die Wehrbereitschaft gerichteten Umtriebe, zu etwa 5 % rechtsextremistischen und zu etwa 82 % linksextremistischen Ursprungs, verzeichnen im Berichtsjahr einen deutlichen Anstieg.
Besondere Bedeutung messe ich den Ausführungen des Wehrbeauftragten bezüglich einer nicht nur theoretisch geforderten, sondern tatsächlich auch praktizierten menschenfreundlichen Truppenführung zu. Ich meine, es wird zuviel vom Menschen in den Streitkräften gesprochen, der im Mittelpunkt der Bemühungen stehen sollte, aber von vielen Verantwortlichen zuwenig in der Praxis getan.
Es wird ständig vom Staatsbürger in Uniform gesprochen. Der Wehrbeauftragte führt in seinem Bericht einzelne Fälle falscher Menschenführung auf. Sie sind zwar nicht symptomatisch, dennoch müssen wir, wenn wir ehrlich sind, zugeben, daß .es gelegentlich an praktischer Fürsorge und menschlicher Nähe fehlt.
Auch die späte Behandlung des Jahresberichts des Wehrbeauftragten ist kein gutes Beispiel. Zur Verdeutlichung will ich folgendes feststellen: Der Wehrbeauftragte legte seinen Jahresbericht vom 6. März am 13. April, also pünktlich, der (Öffentlichkeit vor. Der Bericht wurde erst in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. Juni an den Verteidigungsausschuß überwiesen. Dieser behandelte den Jahresbericht in seiner Sitzung am 4. Oktober 1978. Die Zeitverzögerung - ich mache kein Hehl daraus - entstand zunächst durch die erst am 28. Juli fertiggestellte Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung sowie die inzwischen begonnene Sommerpause. Nach der am 4. Oktober erfolgten Berichterstattung im Verteidigungsausschuß steht er heute am 17. November zur Beratung in diesem Hohen Hause an.
Meine Damen und Herren, aber nicht allein die zeitliche Verzögerung durch verspätete Fertigstellung des Berichts durch das Bundesministerium der Verteidigung ist zu beklagen. Es drängt sich auch der Eindruck auf, daß die Feststellungen, Einwände, Anregungen des Wehrbeauftragten, die er in seinem Bericht getroffen hat, nicht die verdiente Beachtung durch das Bundesministerium der Verteidigung gefunden haben. Bei der Durchsicht der Gegenüberstellung der Ausführungen des Wehrbeauftragten im Jahresbericht mit der Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung fällt z. B. auf, daß die Behandlung einer großen Anzahl von aufgeworfenen Fragen lediglich mit der Bemerkung „es wird geprüft" in die Zukunft verschoben wird. Diese Übung läßt sich über Jahre verfolgen.
Auf diesem Gebiet ergibt sich die Frage an den Herrn Wehrbeauftragten: Wie überprüft der Wehrbeauftragte die Durchführung und Vorlage dieser vom Bundesministerium der Verteidigung in Aussicht gestellten Überprüfungen? Weiterhin ergibt sich die Aufforderung an den Herrn Wehrbeauftragten, im nächsten Bericht eine Aufstellung der vom Bundesministerium der Verteidigung in Aussicht gestellten Überprüfungen der letzten Jahre mit den hierbei erzielten Ergebnissen vorzulegen. Ich glaube, daß wir dadurch einen Überblick bekämen, wie weit es bei den gegenwärtigen Problemen, die auf der Tagesordnung sind, um die Beachtung durch das Ministerium steht.
Ich wiederhole daher die von mir schon anläßlich der Behandlung des Jahresberichts im vergangenen Jahr getroffene Feststellung, daß der Jahresbericht des Wehrbeauftragten vom Bundesministerium der Verteidigung nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandelt wird.
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An Hand der dargestellten Beispiele muß auch in diesem Jahr erneut festgestellt werden, daß diesem parlamentarischen Kontrollorgan nicht die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die ihm auf Grund der verfassungsrechtlichen Legitimation gebührt.
Meine Damen und Herren, wie im vorigen Jahr hat der Herr Wehrbeauftragte den Grundsätzen der Inneren Führung auch in diesem Bericht einen breiten Raum gegeben. Das von ihm in Aussicht gestellte Leitbild der Verfassung „ein freier mündiger Bürger, der an der politischen Gestaltung unseres Staates aktiv mitarbeitet" sowie der „Leitgedanke und Anspruch der Inneren Führung: der Staatsbürger in Uniform" sind unbestritten. Doch, meine Damen und Herren, was ist Theorie, und was ist Wirklichkeit? Nach wie vor gilt, daß die Verwirklichung dieses Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform den Staatsbürger in Zivil voraussetzt. Es ist zu begrüßen, wenn der Herr Wehrbeauftragte hier auf die erheblichen Lücken hinweist, die in die Kasernen mitgebracht werden. Aber worauf gehen diese Lükken denn zurück? Sicherlich in erster Linie auf die verfehlte Bildungspolitik und den mangelhaften Unterricht in vielen Schulen.
Die Ursachen aber liegen tiefer. Wie sieht es denn darüber hinaus in unserem Staat aus? Hier herrscht weitgehend Unsicherheit in den Dingen unserer Gemeinschaftsordnung. Man braucht nur einen Blick auf die Universitäten zu werfen, um zu erfahren, was viele junge Menschen von unserem Staat denken. Hier muß der Hebel angesetzt werden. Die Soldaten sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, nicht eine herausgestellte Gruppe. Es geht nicht an, auf der einen Seite diese Entwicklung laufen zu lassen und sich darauf einzustellen und auf der anderen Seite mangelndes Staatsbewußtsein zu beklagen. Ich sage ganz deutlich, meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist auch nicht dazu da, dem sogenannten mündigen Bürger Nachhilfeunterricht in Staatsbürgerkunde zu erteilen.
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In seinem Beitrag zur politischen Bildung stellt der Wehrbeauftragte mit Recht heraus, daß es sich in der Tat um ein herausragendes Gebiet der Inneren Führung handelt, das größte Aufmerksamheit verdient. Alle Erfahrungen haben, wie schon gesagt, bisher gezeigt, daß der junge Wehrpflichtige, der in die Kaserne kommt, weder vom Elternhaus noch von der Schule das nötige Rüstzeug mitbekommt. Die CDU/CSU hat sich seit jeher für ein Optimum an politischer Bildungsarbeit in der Truppe eingesetzt und auch für eine bessere Ausbildung der Ausbilder gekämpft, auch für besseres methodisch-didaktisches Unterrichtsmaterial.
Allerdings kann es damit nicht getan sein. Wir fordern daher eine rasche Beseitigung des vom Wehrbeauftragten gerügten sogenannten „Frontalunterrichts" . Hier muß etwas geschehen, wenn die politische Bildung kein lästiger Fremdkörper im Dienstbetrieb der Bundeswehr werden soll. Wenn die politische Bildung ihren Zweck erfüllen soll, muß sie für die jungen Dienstpflichtigen hautnah sein. Dazu ist die offene Diskussionsform zu fördern. Dies bedarf natürlich eines besonders geschulten und kundigen militärischen Ausbilders und Führers.
Die politische Bildung in der Bundeswehr hat zuerst und vor allem jene freiheitlich-demokratischen Werte darzustellen und zu erläutern, die der Soldat notfalls mit der Waffe verteidigen soll. Natürlich ist die Bundeswehr bei all ihren Aufgaben insgesamt immer überfordert, besonders dann, wenn frühere Versäumnisse innerhalb kurzer Zeit erfolgreich
nachgeholt werden sollen. Denn erste Aufgabe ist eine gute militärische Ausbildung, um unser Prinzip der Abschreckung glaubhaft zu machen. Die Armee kann und darf sich nicht als die politische Hilfsschule der Nation verstehen.
Dennoch sollte mit größter Wahrscheinlichkeit in Zukunft diesem Ausbildungsteil in der praktischen Durchführung größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es darf nicht zu einer Pflichtübung kommen. Ich möchte nur einige Beispiele aus einer Studie anführen. Ich könnte sie beliebig ergänzen. Ein Wehrpflichtiger sagt z. B.: „Politische Bildung, das heißt bei uns immer Putz- und Flickstunde." Oder ein anderer Wehrpflichtiger: „Politische Bildung, das sieht bei uns so aus: Der Hauptmann kommt, liest drei Themen vor und sagt, das hätte uns geblüht, wenn er sich vorbereitet hätte. Und dann bespricht er mit uns die Diensteinteilung für die nächste Woche."
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- Kollege Wörner, ich habe ja angeführt, daß das Aussagen eines Wehrpflichtigen sind. Ich könnte das beliebig fortsetzen. Ich bin auch gerne bereit, Herr Kollege Wörner, Ihnen diese Studie über die Befragung einmal zur Verfügung zu stellen. Mich hat sie erschreckt.
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- Ich habe das gerade hier ausgeführt. Wenn Sie rechtzeitig dagewesen wären, hätten Sie das such mitbekommen.
Ein Oberleutnant erklärt: „Politische Bildung, das macht bei uns am besten der Standortpfarrer!" Ich will aufhören. Ich habe genug solcher Zitate, meine Damen und Herren, um Ihnen die Situation zu schildern.
Wir müssen verhindern, daß dieser wichtige Bestandteil der politischen Bildung und der Ausbildung in der Bundeswehr am Freitag abgehandelt wird, wenn alle geistig schon auf der Autobahn sind.
Natürlich gilt auch für die Bundeswehr, daß die politische Bildung auf die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft zu gründen ist. Hier stellt sich von selbst die Frage: Warum sind im Führungsstab der Streitkräfte die zwei Referate aufgelöst worden, die gerade mit diesen Aufgaben betraut waren, also mit Geschichtswissenschaft und politischer Bildung? Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Wehrbeauftragter, wenn Sie die Hintergründe im nächsten Bericht erläutern, sich darum kümmern, aber nicht nur organisatorische Gründe anführen; denn irgendwo ist das Gebiet ja bei einem Hilfsreferenten untergebracht. Gehen Sie bitte auch darauf ein, was eigentlich in Zukunft beabsichtigt ist oder was notwendig wäre, um diesen Auftrag sicherzustellen! Wer soll die Aufgaben wahrnehmen? Und vor allem, wie sieht es mit dem Inhalt aus? Kommen hier ganz neue Aspekte zum Zuge, wie sie sich in einigen Schriften des Sozialwissenschaftlichen Instituts bereits andeuten? Soll auch auf diesem Gebiet die kritischdialektische Auffassung die bisherigen als zu konservativ betrachteten Unterrichtshilfen ablösen?
Meine Damen und Herren, ich darf positiv hervorheben, daß sich der Herr Wehrbeauftragte der Schule der Bundeswehr für Innere Führung zugewandt hat; und ihr einen sehr breiten Raum eingeräumt hat; denn wie wir aus manchen Publikationen und Aussagen wissen, war sie auf dem besten Wege, zur Bedeutungslosigkeit abzusinken.
Auch wir sind der Ansicht, daß diese Schule, die ein absolutes Novum in der deutschen Militärgeschichte darstellt, die ihr vorgegebenen Zielvorstellungen nicht erreicht hat. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einige davon haben Sie, Herr Wehrbeauftragter, aufgezählt: Personalmangel in der Truppe, daher keine Kommandierungsmöglichkeit; keine Verbindlichkeiten in den Ausbildungsplänen; mangelnde Harmonie in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Militär; Verlagerung der Lehrinhalte in den Bereich der Teilstreitkräfte; fehlende räumliche Kapazität. Das alles ist sicherlich richtig. Aber liegen die wirklichen Gründe nicht doch tiefer?
Sicherlich war die Herbeiführung einer Übereinstimmung zwischen wissenschaftlichen und militärischen Auffassungen oft schwierig. Sie wird es auch in Zukunft bleiben; denn zu unterschiedlich sind in vielen Bereichen die Arbeitsweise, die Methodik und die Zielsetzung. Trotzdem können und müssen beide Richtungen miteinander in Einklang gebracht werden, will man Innere Führung sachgerecht praktizieren, d. h. im Angebot von Lehrstoffen fundiertes Wissen vermitteln, in der Menschenführung die Kenntnisse der Anthropologie und Verhaltenslehre pädagogisch richtig verwerten.
Es soll und muß aber so bleiben, daß der militärische Führer gegenüber den von ihm geführten Soldaten die Rolle des Vermittlers der Werte behält, die es zu verteidigen gilt; denn Menschenführung ist nicht trennbar in äußere und innere Führung. Derjenige, der die taktischen und organisatorischen Anweisungen gibt, muß gleichermaßen Sinn und Wert der militärischen Aufgabe vermitteln als auch die zeitgemäßen Methoden der Führung von Menschen anwenden können. Deshalb stimmen wir zu, wenn Sie in Ihrem Bericht den Bundesminister der Verteidigung zitieren: „Wir müssen dafür sorgen, daß diese Schule entsprechend der Herausforderung der nächsten Jahre eine zentrale Stellung für die Innere Führung erhält." Diese Position muß darin bestehen, wieder ein Zentrum für Entwicklung und Weitergabe der geistigen Grundlagen der Inneren Führung an die Multiplikatoren in der Truppe, die militärischen Führer, zu werden.
Es ist nicht Schuld der Schule, daß sie dieser Aufgabe nicht in vollem Umfang gerecht werden konnte. Die von Ihnen dafür aufgeführten Gründe sind unzureichend, Herr Wehrbeauftragter, die gesamte Problematik aufzuzeigen. Sie sparen vor allen Dingen aus, was die jüngste Vergangenheit betrifft und was allein die sozialliberale Koalition zu verantworten hat. Mit Übernahme der Regierungsverantwortung und der Konzipierung der Neuordnung der AusErnesti
bildung wurde der bestehende wissenschaftliche Arbeitsstab, mit dem die Schule der Bundeswehr für Innere Führung auf Zusammenarbeit angewiesen war, von heute auf morgen aufgelöst. Statt dessen wurde weit entfernt in München ein neues sozialwissenschaftliches Institut gegründet, das bis heute nach meiner Einschätzung nur sehr angreifbare Arbeiten geliefert hat.
Die Hochschulen der Bundeswehr wurden gegründet, auf die ein wesentlicher Teil der Aufgaben der Schule für Innere Führung in Form des gesellschaftlichen Anleitstudiums verlagert werden sollte. Nichts ist in dieser Richtung bis heute verwirklicht worden. Durch die Auseinandersetzung um die Grundlagen der militärischen Führung, vor allem an der Führungsakademie in Anbetracht der berühmten Mitbestimmungsfrage, ist eine allgemeine Unsicherheit eingetreten. Das Alte wurde in Frage gestellt, das Konservative verteufelt. Das Neue, als progressiv und fortschrittlich gepriesen, war aber in den meisten Fällen so unausgewogen, wenig sachbezogen und ideologisch überlagert, daß es auf den entschiedenen Widerstand selbst bei denen stößt, die aus den Reihen der SPD die Neuordnung der Ausbildung mitgetragen haben.
Systemverändernde Tendenzen, selbst wenn sie mit einem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ausgestattet sein sollten, haben meines Erachtens in der Bundeswehr keinen Platz. Es wäre eine Aufgabe des Herrn Wehrbeauftragten, rechtzeitig zu erkennen, wo sich solche Entwicklungen anbahnen, und diesen mit aller ihm zu Gebote stehenden Schärfe entgegenzutreten. Wenn und solange diese grundlegende Ansicht gemeinsame Auffassung bleibt - wir haben nach Kenntnis Ihrer Person, Herr Wehrbeauftragter, und nach den bisher von Ihnen vertretenen Meinungen keinen Zweifel daran, daß Sie im Kern auch so denken -, so lange wird man sich auch über die Methoden einig werden können.
Es fragt sich aber, ob die Schule für Innere Führung nicht auf einen falschen Weg gewiesen wird, wenn man ihr aufträgt, moderne Unterrichtstechnologien zu entwickeln, wie sie im technischen Bereich bereits mit Erfolg angewandt werden. In der Inneren Führung kommt es in erster Linie darauf an, den militärischen Führer innerlich zu überzeugen und damit in die Lage zu versetzen, aus dieser seiner Überzeugung zu handeln, im rein fachlich-militärischen Bereich, in der Menschenführung, in der Darstellung der verfassungsmäßigen Aufgabe, in der überzeugenden Weitergabe der Verteidigungswürdigkeit unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Hierzu kann die Technologie nur ein Hilfsmittel sein. Die Schule für Innere Führung muß Stätte der Begegnung bleiben.
Mit Recht weist der Wehrbeauftragte auf die enge Beziehung zwischen politischer Bildung und Tradition hin. Seiner Feststellung, daß Traditionspflege ein wichtiger Ausbildungsgegenstand der Inneren Führung sei, kann voll zugestimmt werden. Wir begrüßen es daher, daß Sie sich eingehend zur Frage der Tradition geäußert haben. Ich freue mich, auch feststellen zu können, daß wir offensichtlich gemeinsam der Überzeugung sind, daß die von Ihnen genannten drei Grundvoraussetzungen in der Traditionspflege richtungweisend für die Bundeswehr sein sollen. Leider haben Sie in Ihrem Bericht die wichtigsten Fragen aber nur unvollkommen angeführt, welche Grundlinien aus der Geschichte unseres Volkes unseren Soldaten heute als Richtlinie für ihre Aufgabe dienen sollen und welche eigene Tradition der neugeschaffenen Bundeswehr schon jetzt nach 20 Jahren die Weichen stellt für die zukünftigen Aufgaben.
Wir bedauern, feststellen zu müssen, daß Sie zu den Kontroversen um die Generäle Krupinski und Franke - und in einem anderen Zusammenhang auch um Dr. Wagemann - trotz unserer Aufforderung kein Wort gesagt haben. Dabei stünde es, so meine ich, dem obersten Kontrollorgan des Parlaments wohl an, in diesen grundlegenden Fragen, die die Öffentlichkeit erregt haben, die aus seiner Institution erforderliche Stellungnahme abzugeben.
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Hierbei lasse ich den Brief des Wehrbeauftragten, der uns leider erst am 14. November 1978 erreicht hat, unberücksichtigt, weil wir diese Punkte, die in diesem Brief angeschnitten sind, im Verteidigungsausschuß noch nicht besprechen konnten. Am Ende meiner Rede werde ich auf diesen Brief noch einmal zurückkommen.
Wir hatten aber eine Stellungnahme zu den Vorfällen, die ich vorhin nannte, um so mehr erwartet, als der Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht 1976 im Zusammenhang mit dem Fall der Generäle Krupinski und Franke in Aussicht stellte, „die Frage der Tradition zu einem späteren Zeitpunkt unter übergreifenden Aspekten zu behandeln".
Meine Damen und Herren, dies ist aber offensichtlich ein heißes Eisen, da Teile in der SPD keinen Hehl aus ihrer Ablehnung einer aus dem deutschen Soldatentum gewachsenen Tradition machen.
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Der Philosoph Jaspers sagte nach dem Krieg zum Soldatentum: „Das Bewußtsein soldatischer Ehre bleibt unbetroffen von allen Schulderörterungen. Wer in Kameradschaftlichkeit treu und in Gefahr unbeirrbar durch Mut und Sachlichkeit sich bewährt hat, der darf Unantastbares in seinem Selbstbewußtsein bewahren.
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Dieses rein Soldatische und zugleich Menschliche ist allen Völkern gemeinsam. Hier ist Bewährung ein Fundament des Lebenssinns."
Ich meine, meine Damen und Herren, daß die Tapferkeit des Soldaten, sofern sie nicht gegen Recht und Sitte verstößt, ihren Wert in sich selber trägt. Sie kann durch politischen Mißbrauch nicht entwertet werden, solange die subjektiven Motive der Kämpfenden sittlich vertretbar sind.
Seit 1945 zieht sich durch gewisse Medien wie ein roter Faden eine gegen den Soldaten eingestellte Meinung, eine Meinung, die gegen Geschichte
und jedes Geschichtsbewußtsein, das als systemstabilisierend verworfen wird, gerichtet ist und die sich gegen jegliche Tradition in der Bundeswehr richtet.
Die Herausstellung des Traditionserlasses durch den Wehrbeauftragten ist daher zu begrüßen. Es ist ihm dafür zu danken, daß er den Mut fand, dieses nicht von allen Seiten der Regierungskoalition so gern gehörte Thema unzweideutig herauszustellen. Ich darf an die Worte des Herrn Bundespräsidenten erinnern, der auf dem Deutschen Historikertag 1976 erklärte: „Wir sind in Gefahr, ein geschichtsloses Volk zu werden. Ich halte die Situation des Geschichtsunterrichts an unseren Schulen für bedenklich: zu wenig, zu einseitig nach Geschichtsbild und Methode. Unsere Jugend wird den Sinn dieses freiheitlichen deutschen Staates nur verstehen, wenn sie die deutsche Geschichte kennt."
Meine Damen und Herren, man sollte auch endlich aufhören mit dem Unfug und den Phrasen, der Soldatenberuf sei ein Beruf wie jeder andere, oder die Bundeswehr sei ein Industriebetrieb, in dem Sicherheit produziert würde, und daher sei lediglich der funktionale Gehorsam zu üben, oder die Bundeswehr sei eine Armee von Arbeitnehmern.
Die Bemerkungen des Bundesministers der Verteidigung zu den Feststellungen des Wehrbeauftragten müssen hierzu als sehr dürftig und halbherzig bezeichnet werden, wenn hier u. a. nur festgestellt wird: „Es muß noch eingehend untersucht werden, welche Bezüge zwischen Tradition und politischer Bildung bestehen. Politische Bildung kann vielleicht mehr als bisher über die Vermittlung geschichtlicher Tatbestände und Zusammenhänge dazu beitragen, daß die Traditionspflege der Bundeswehr unbestrittener und unbefangener Ausdruck soldatischen Selbstverständnisses wird." Hier fehlt meines Erachtens eine überzeugende Aussage, ein klares Bekenntnis.
Diese Bemerkung erinnert auch sehr an den Hinweis des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Bülow, daß mit dem Ausscheiden der Generation des Zweiten Weltkrieges aus der Bundeswehr gegen 1985 sich die Probleme der soldatischen Traditionspflege von allein lösen würden. Ich meine, daß diese Probleme immer in ihrer ganzen Schärfe entbrennen müssen, wenn anders die Offiziere nicht zu Vernichtungstechnikern herabsinken sollen.
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Der Soldat, der bereit sein muß, sein Leben einzusetzen, sucht sich natürlich Rückhalt in tragfähiger Überlieferung. Sie kann ihm Anleitung für rechtes Verhalten und für sittlich vertretbare Haltung in Krisenlagen geben. Guten Gewissens kann er dies nur, wenn er sich für zeitüberlebende Werte und Güter einsetzt, die ihm durch ihre Bewährung in der Geschichte verbürgen, daß sie notfalls auch das Opfer des Lebens wert sind.
Das erzieherische Problem der Bundeswehr - in diesem Zusammenhang ist auch die Traditionspflege zu sehen - liegt unzweifelhaft in der Anstrengung eingebettet, mit der es der Bundeswehr gelingt, über die vordergründigen Phrasen des Zeitgeistes hinaus die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zugrunde liegenden Wertüberschreibungen aus Geschichte und Gegenwart überzeugend und die Staatsbürger in Uniform verpflichtend zu deuten.
Nicht das bloße Wissen allein ist Motivation für den Bürger, sein Leben für die Freiheit einzusetzen. Dazu gehört die ganze Erziehung des Menschen. Traditionspflege ist daher Teil der soldatischen Erziehung. Dieses hat der Traditionserlaß des Verteidigungsministeriums in vollem Umfang erkannt.
In meinen Ausführungen habe ich mich bewußt den Kapiteln Innere Führung, politische Bildung und Tradition zugewandt, die von herausragender Bedeutung sind, und zu diesen ausführlich Stellung bezogen. Andere Gebiete wird mein Kollege Weiskirch noch behandeln. Jedoch erlaubt die erfreuliche Ausführlichkeit des letzten Jahresberichtes es nicht, daß wir alle Punkte, mit denen wir uns im Ausschuß beschäftigt haben, hier im Plenum wiederholen. Wir haben uns im Ausschuß eingehend damit befaßt. Ich erinnere z. B. an Personalangelegenheiten, Fragen der Wehrpflicht, Fürsorgeangelegenheiten, Transparenz der Personalführung; diese Themen wurden alle bei der Berichterstattung im Verteidigungsausschuß ausführlich behandelt.
Zum Schluß sei mir gestattet, dem Amt des Wehrbeauftragten noch einige Worte zu widmen. In den letzten Tagen, am 14. November, legte der Wehrbeauftragte einen Brief vor, den ich schon erwähnte, in dem er sich noch einmal nachträglich zu Fragen der Doppeluntersuchung, der vorbeugenden Tätigkeit, über den Stand der inneren Führung im eigenen Amt und über die Durchführung seiner Truppenbesuche äußert. Im Verteidigungsausschuß bestand leider keine Gelegenheit mehr, hierauf einzugehen. Es wird auch nicht möglich sein, diese Fragen heute hier auszudiskutieren. Dies muß einer späteren Behandlung im Verteidigungsausschuß vorbehalten bleiben.
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In diesem Zusammenhang darf ich auch auf die längst überfällige Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes hinweisen. Ich halte es für dringend erforderlich, daß noch innerhalb dieser Legislaturperiode eine solche Novellierung verabschiedet wird.
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An unserer Mitarbeit soll es jedenfalls nicht fehlen.
Zum Abschluß darf ich Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und allen Ihren Mitarbeitern für die geleistete Arbeit unseren Dank aussprechen. Ich stelle vorsorglich den Antrag, daß Ihnen das Haus Gelegenheit geben wird, selbst auch von dieser Stelle aus sprechen zu können.
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Meine Damen und Herren, die Drucksache 8/2300 ist inzwischen verteilt worden. Wie zu Beginn dieser Sitzung beschlossen, unterbreche ich daher die Beratung zu Tagesordnungspunkt 11.
Präsident Carstens
Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze ({1})
- Drucksache 8/2300 Berichterstatter:
Abgeordneter Vogel ({2})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 16./17. November 1978 über das Anrufungsbegehren der Bundesregierung vom 10. November 1978 zum Steueränderungsgesetz 1979 beraten.
Als Ergebnis seiner Beratungen schlägt der Vermittlungsausschuß vor:
Erstens. Regelungen zur finanziellen Besserstellung von Familien mit Kindern.
a) Im Einkommensteuergesetz werden ab 1. Januar 1980 Aufwendungen für Dienstleistungen zur Beaufsichtigung oder Betreuung eines Kindes, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, als außergewöhnliche Belastung bis zu einem Höchstbetrag von 600 DM pro Kind und Elternteil berücksichtigt.
Hiermit wird neu ein zusätzlicher Weg für die Berücksichtigung von Aufwendungen für Kinder im Einkommen- und Lohnsteuerrecht beschritten.
b) Die in dem gerade verabschiedeten Gesetz zur Änderung des Kindergeldgesetzes vorgesehenen Erhöhungen des Kindergeldes werden wie folgt geändert:
Die Erhöhung des Zweitkindergeldes um 20 DM auf 100 DM tritt nicht erst zum 1. Januar 1980, sondern bereits zum 1. Juli 1979 in Kraft.
Das Kindergeld für das dritte und jedes weitere Kind wird ab 1. Januar 1979 nicht um 45 DM, sondern um 50 DM auf nunmehr 200 DM erhöht.
Zweitens. Regelungen zur steuerlichen Entlastung von Gewerbebetrieben.
a) Das Steueränderungsgesetz 1979 regelt nunmehr endgültig und abschließend den Wegfall der Lohnsummensteuer ab 1. Januar 1980. Damit entfällt der in Art. 14 Abs. 4 des Gesetzesbeschlusses des Bundestages vom 20. Oktober 1978 enthaltene Gesetzesvorbehalt.
b) Der Freibetrag bei der Gewerbeertragsteuer wird ebenfalls mit Wirkung ab 1. Januar 1980 von bisher 24 000 DM auf künftig 36 000 DM erhöht. Insoweit bedarf es nunmehr entgegen dem Gesetzesbeschluß des Bundestages vom 20. Oktober 1978 keines besonderen Gesetzes mehr.
c) Bei der Gewerbekapitalsteuer wird der Freibetrag ab 1. Januar 1981 von zur Zeit 60 000 DM auf künftig 120 000 DM erhöht. Weiter werden ab 1. Januar 1981 Dauerschulden dem Gewerbekapital nur noch insoweit hinzugerechnet, als sie den Betrag von 50 000 DM übersteigen. Insoweit erfahren Gewerbetriebe über den Gesetzesbeschluß des Bundestages vom 20. Oktober 1978 hinaus zusätzliche Entlastungen im Bereich der Gewerbekapitalsteuer.
d) Als weitere Maßnahme im Bereich der Gewerbesteuer schlägt der Vermittlungsausschuß eine Regelung vor, die der Nr. 7 des Anrufungsbegehrens des Bundesrates vom 27. Oktober 1978 Rechnung trägt.
Drittens. Regelungen zum Ausgleich der Einnahmeausfälle bei den Gemeinden infolge der Entlastungen im Bereich der Gewerbesteuer.
a) Der Anteil der Gemeinden am Aufkommen der Lohn- und Einkommensteuer wird ab 1. Januar 1980 von bisher 14 % auf künftig 15 % erhöht.
b) Der Umlagesatz der von den Gemeinden an Bund und Länder zu entrichtenden Gewerbesteuerumlage wird ab 1. Januar 1980 von 120 v. H. auf 80 v. H. gesenkt.
c) Bei der vorgesehenen Ausgleichsregelung wird davon ausgegangen, daß diejenigen Gemeinden, in denen die Lohnsummensteuer bisher erhoben worden ist, ihre Hebesätze bei der Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital in angemessenem Umfang erhöhen. Der Ausgleich des verbleibenden Restausfalls soll im kommunalen Finanzausgleich der Länder erfolgen. Es wird erwartet, daß diejenigen Gemeinden, in denen die Lohnsummensteuer nicht erhoben wird, die Hebesätze bei der Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital zur Entlastung der Gewerbebetriebe angemessen senken.
Viertens. Eine Berücksichtigung der Auswirkungen der Gesetzesbeschlüsse im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 1979 auf die Steuereinnahmen von Bund und Ländern bleibt demnächstigen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Neuverteilung der Umsatzsteuer vorbehalten.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich um Annahme der Änderungsempfehlungen.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Gemäß § 10 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses können vor der Abstimmung Erklärungen zu dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses abgegeben werden.
Das Wort zu einer solchen Erklärung hat zunächst der Herr Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU stimmt dem Er9190
gebnis des Vermittlungsverfahrens zu. Dies ist zwar ein Steuerpaket, das nicht so ausgefallen wäre, wenn die CDU/CSU in diesem Hohen Hause die Mehrheit hätte, aber es ist ein Steuerpaket, das Bestandteile enthält, die auf der finanzpolitischen Linie der CDU/CSU liegen und die es uns insgesamt ermöglichen, dem Ergebnis zuzustimmen. Vor allem begrüßen wir es, daß durch den neuen Einkommen- und Lohnsteuertarif zum 1. Januar 1979 Steuererleichterungen möglich werden - ein altes Ziel der CDU/CSU ({0})
und daß in dem Paket auch andere alte steuerpolitische Vorschläge der CDU/CSU enthalten sind.
Wir freuen uns, daß es uns gelungen ist, in einem mühsamen Verfahren im Vermittlungsausschuß darüber hinaus noch Verbesserungen für die Familie und für mittelständische Betriebe und damit für die Arbeitsplätze zu erzielen.
({1})
Besonders erfreulich ist es, daß nunmehr sicher ist, daß durch den neuen Einkommen- und Lohnsteuertarif zum 1. Januar 1979 der Abbau der heimlichen Steuererhöhungen wenigstens teilweise vorgenommen und daß vor allem der leistungshemmende Tarifsprung beseitigt wird. Damit hat die Bundesregierung ihre eigene Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 verlassen, worin der Bundeskanzler vor noch nicht ganz zwei Jahren erklärt hat, daß ein Abbau der Steuerlast in der gesamten Legislaturperiode nicht in Betracht komme. Sie hat auch das Vorhaben aufgegeben, was sie noch in einer Kampfabstimmung am 21. Juni dieses Jahres hier in diesem Hohen Hause gegen uns durchgesetzt hat, nämlich 1979 keinen Tarif zu machen.
({2})
Diesen Kurswechsel begrüßen wir; das ist unser altes Anliegen.
({3})
Damit ist nach den Schritten der letzten Jahre, die wir durchgesetzt haben, ein weiterer Schritt in Richtung Abwehr der heimlichen Steuererhöhungen getan worden. Dies ist ja ein Anliegen, das im Mittelpunkt unserer finanzpolitischen Bestrebungen der letzten Jahre stand. Natürlich, meine Damen und Herren, kann auch dies kein endgültiger Einkommen- und Lohnsteuertarif sein. Der Anfangssteuersatz mit 22 % ist nach wie vor zu hoch. Die Progression für Angehörige aufsteigender Mittelschichten ist zu steil. Hier müssen in den kommenden Jahren noch weitere Verbesserungen erreicht werden. Am Ende muß nach der Vorstellung der CDU/CSU ein durchgehender, gleichmäßig ansteigender Progressionstarif stehen.
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Wir freuen uns auch, daß eine Forderung von uns, nämlich die Beseitigung der Lohnsummensteuer, welche inzwischen zu einer Antiarbeitsplatzsteuer geworden ist, endgültig gesichert ist.
({5})
Damit ist auch die SPD erfreulicherweise in einen anderen Weg gewiesen worden, als sie noch auf ihrem Mannheimer Parteitag 1975 beschlossen hat, nämlich die Lohnsummensteuer auf alle Gemeinden auszuweiten.
({6})
Wir freuen uns auch, daß entgegen der ursprünglichen Absicht der Koalition diese Lohnsummensteuer nicht vom Paket abgekoppelt worden ist, sondern daß dies jetzt zusammen mit dem Ausgleich für die Gemeinden verbindlich beschlossen wird.
Auch bei den Gemeinden begrüßen wir es sehr, daß entgegen dem ursprünglichen Antrag der Bundesregierung und den Beschlüssen der Koalition nicht nur allgemeine Finanzzuweisungen über die Länder an die Kommunen fließen sollen, sondern daß, wie wir es vorgeschlagen haben, konkret die Selbstverwaltungskraft der Gemeinden durch eine Anhebung des Anteils der Gemeinden an der Einkommen- und Lohnsteuer und durch eine Herabsetzung der Gewerbesteuerumlage gestärkt werden muß.
({7})
- Herr Huonker, als wir hier dieses Gesetz in zweiter' und dritter Lesung verabschiedet haben, stand das noch nicht drin, weil Sie es anders beschließen wollten.
Wir begrüßen es besonders, daß es im Vermittlungsausschuß gelungen ist, zugunsten der Familien weitere Verbesserungen durchzusetzen, daß das Drittkindergeld nicht mehr den unebenen Betrag von 195 DM ausmacht, sondern wenigstens auf die runde Zahl von 200 DM angehoben wird, und daß vor allem die Anhebung des Zweitkindergeldes von 80 auf 100 DM auf den 1. Juli 1979 vorgezogen und nicht erst zum 1. Januar 1980 wirksam wird.
Für ganz besonders wichtig halten wir, daß im praktischen Ergebnis - es ist eine konkrete Ausformung der außergewöhnlichen Belastung - ein sogenannter Kinderbetreuungsfreibetrag ins Gesetzbuch hineingeschrieben wird. Damit wird anerkannt, daß im Steuerrecht auch ein Kind aus intakter Ehe berücksichtigt werden muß, und es wird anerkannt, daß die Besteuerung, auch was das Kind anbelangt, nach dem Leistungsprinzip vorgenommen werden muß. Durch diesen Freibetrag wird progressionsmildernd entlastet.
Natürlich haben wir uns hier nicht völlig durchgesetzt. Wir wollten einen einfachen, unbürokratischen Kinderfreibetrag ohne Nachweis für alle, vor allem auch für die normalen Familien, die ja immerhin noch die wichtigsten sein sollten. Hier wird der Nachweis gefordert, was eine zusätzliche Verwaltungserschwernis mit sich bringt. Das ist ein Nachteil. Wir hoffen und werden alles dafür tun, daß die Verwaltungspraxis hier so großzügig verfahren wird, daß wirklich den meisten Familien geholfen werden kann.
({8})
Die CDU/CSU erklärt, daß sie, sobald sie hier in diesem Hohen Haus die Mehrheit haben wird,
({9})
die Nachweispflicht abschaffen wird und daß damit der Kinderfreibetrag vor allem auch für die normale Familie ins Steuerrecht eingeführt wird;
({10})
denn wir sind der Meinung, Herr Wehner, die wichtigste Betreuungsperson, die es gibt, ist die Mutter. Wenn sie Hausfrau ist und das Kind betreut, soll sie diesen Freibetrag auch erhalten.
({11})
Sie werden noch erleben, welchen Unmut Sie mit bürokratischen Schwierigkeiten draußen im Lande ernten werden, so daß am Schluß nichts anderes übrigbleiben wird, als diesen Nachweis zu beseitigen.
({12})
Das Ziel der CDU/CSU besteht darin, die intakte Familie gegenüber der nicht intakten nicht zu benachteiligen, auch die Mutter, die zugleich Hausfrau ist, nicht zu benachteiligen, und Familienpflicht vor Steuerpflicht zu setzen, was neben dem Kindergeld einen Kinderfreibetrag voraussetzt.
Einen Teilerfolg haben wir auf dem Felde der Substanzbesteuerung, der ertragsunabhängigen Besteuerung erzielt. Wir waren für die völlige Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, weil sie inzwischen ein Investitionshemmnis, ein Innovationshemmnis geworden ist und weil durch ihre Abschaffung dauerhaft die Rahmenbedingungen für die Investitions- und Innovationsbereitschaft der Betriebe hätten verbessert und damit auch die Arbeitsplätze gesichert werden können. Leider haben wir uns damit nicht durchgesetzt. Wir sind leider auch nicht mit der Herabsetzung der Meßzahlen, die wir angeboten haben, durchgedrungen. Aber wir haben wenigstens eine Verdoppelung des Freibetrages bei der Gewerbekapitalsteuer von 60 000 auf 120 000 DM erzielt. Zusammen mit der Einführung eines neuen Gewerbekapitalsteuer-Freibetrages bei den Dauerschulden bedeutet das, daß über die Hälfte der Betriebe, die bisher Gewerbekapitalsteuer gezahlt haben, künftig keine Gewerbekapitalsteuer mehr zahlen müssen. Dies ist, vor allem auch in Verbindung mit der Anhebung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer von 24 000 auf 36 000 DM, eine ausgesprochen mittelstandsfreundliche Maßnahme. Es ist dies auch von großer Bedeutung für ein wichtiges Problem, das uns in den kommenden Jahren immer mehr beschäftigen wird: Wir haben Interesse an möglichst vielen neuen selbständigen Existenzen, und gerade der schwierige Zeitabschnitt der Existenzgründung wird durch die Substanzbesteuerung vielfach besonders belastet, so daß die jetzige Maßnahme durchaus auch Existenzgründungen fördern kann.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber im klaren sein: Wenn die Politik des Abbaus der Steuerlast von Dauer sein soll - und wir alle wollen das heute hoffentlich -, ist nichts anderes möglich, als daß die Ausgabenzuwächse in der mittelfristigen Finanzplanung künftig beschnitten werden. Nur dann können dauerhaft die Freiräume zur Entfaltung der privaten Leistungsbereitschaft und der Investitionsbereitschaft und -fähigkeit der Betriebe entstehen. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei der Vorlage der nächsten mittelfristigen Finanzplanung diesem Gedanken Rechnung zu tragen und durch Beschränkung der Ausgabenzuwachsraten mittelfristig dieses Wuchern des Staatsanteils und auch das Wuchern der Staatsverschuldung von der Wurzel her anzupacken. Denn beides zusam. men geht nicht: Wir können nicht auf die Dauer Haushaltssteigerungsquoten von 8, 9 oder 10 % haben und zugleich den Versuch machen wollen, die Abgabenlast der Bürger und der Betriebe zu mildern. Das ist ein Weg, der mit Sicherheit scheitern wird.
({13})
Meine Damen und Herren, wir haben wieder einmal ein Beispiel einer unerfreulichen Steuergesetzgebung erlebt,
({14})
einer Steuergesetzgebung des Hin und Her und der Hektik. Die Regierung und die Koalition scheinen aus ihren Fehlern der letzten Jahre nichts gelernt zu haben. Warum sind diese Gesetze nicht, wie es die CDU/CSU beim Tarif schon im Frühjahr beantragt hatte, so. rechtzeitig vorgelegt worden, daß sie gründlich und solide hätten beraten werden können?
({15})
Warum hat die Koalition nicht schon im Finanzausschuß, wo wir ihr in verschiedenen wichtigen Punkten entgegengekommen sind, Kompromißbereitschaft gezeigt? Dieses tage- und nächtelange Hin und Her im Vermittlungsausschuß hätte uns allen erspart werden können, und wir hätten rechtzeitig in Ruhe etwas vorbereiten können.
({16})
- Herr Wehner, ich bin sehr dafür dankbar, daß Sie mir das bestätigen. Auf jeden Fall ist es so: Wenn wir in der Steuerpolitik nicht zu einer längerfristigen Betrachtungsweise, zu einer Vorhersehbarkeit, zu einer Mittelfristigkeit finden, wird die Steuergesetzgebung immer schlimmer werden. Sie werden erleben, wie sich dies auswirken wird, so daß am Schluß der Staat insgesamt allmählich in Mißkredit gerät.
Alles in allem sagt die CDU ja zu diesem Vermittlungsergebnis.
({17})
Wir freuen uns darüber, daß die Steuerentlastungen überhaupt durchgesetzt werden konnten und daß der Weg der wiederholten Ausgabenprogramme - wie der Konjunkturprogramme in den letzten Jahren - verlassen wurde. Wir freuen uns darüber, daß wir darüber hinaus zusätzliche Verbesserungen für die Familien und für die mittelständischen Betriebe haben erreichen können.
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Die CDU/CSU, Herr Wehner, hat nicht die Macht, alle Fehler zu verhindern. Wir haben auch nicht die Macht, unsere Vorstellungen vollständig durchzusetzen.
({19})
Wir haben leider nicht die Macht;
({20})
wenn wir sie nur hätten! Aber die CDU/CSU wird auch künftig alles dafür tun, daß die Abgabenlast der arbeitenden Bürger und der Betriebe begrenzt bleibt und daß dadurch eine solide Finanzpolitik erzwungen wird, um der Staatsaufblähung und den Staatsausgabenprogrammen ein Ende zu bereiten.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Im Wissen um die Tatsache, daß die Teile des umfassenden Gipfelpakets, die im Bereich der Steuergesetzgebung von der sozialliberalen Koalition verwirklicht werden, insgesamt im Bereich der zustimmungspflichtigen Gesetze liegen und daß deshalb ein gemeinsames Ergebnis mit dem Bundesrat erreicht werden muß, und ausgehend von der festen Absicht, dem Steuerbürger die vorgesehenen weitreichenden steuerlichen Entlastungen durch Beseitigung des Tarifsprungs in der Progressionszone des Lohn- und Einkommensteuerrechts mit gleichzeitiger erneuter Anhebung des Grundfreibetrages für alle Steuerzahler bereits zum 1. Januar 1979 zugute kommen zu lassen, sind die Sozialdemokraten zusammen mit ihrem Koalitionspartner mit der Bereitschaft in das Vermittlungsverfahren gegangen, ihren Teil zu einer notwendigen Einigung beizutragen.
Dabei gab es allerdings zwei feste Grundpositionen, die aus unserer Sicht nicht vermittelbar waren.
Erstens. Wir wollten und konnten nicht zurück hinter die Lösungen eines gerechten Familienlastenausgleichs von 1975,
({0})
die damals ein einheitliches Kindergeld unabhängig vom Einkommen der Eltern brachten. Eine Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen in der Einkommensteuer mit ihren schichtenspezifischen Wirkungen konnte für uns nicht in Frage kommen.
({1})
Zweitens. Die Abschaffung oder die Halbierung der Gewerbekapitalsteuer, wie sie von der Mehrheit des Bundesrats gefordert wurde, war für uns nicht akzeptabel.
({2})
Das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens, das nach langen schwierigen Verhandlungen erreicht wurde, zeigt, daß wir diese Positionen nicht verlassen haben. Die Beschlüsse, die der Vermittlungsausschuß gefaßt hat, um den Kompromiß zu ermöglichen, reichern unser Gesetz an.
({3})
Sie liegen auf anderen Gebieten und erhalten, was im Interesse der Gemeinden und der Erhaltung ihrer Finanzautonomie von äußerster Wichtigkeit ist, den Realsteuercharakter der Gewerbesteuer.
({4})
Für den Bürger ist das Ergebnis insgesamt positiv und erfreulich. Auch der für die Staatsfinanzen mitverantwortliche Abgeordnete kann sagen: Wenn die zusätzlichen Kosten nicht rund 6 Milliarden DM; wie es die Bundesratsmehrheit forderte, sondern nur etwa ein Zehntel davon betragen, dann ist das auch für diesen Abgeordneten annehmbar.
Erstens. Wir stimmen der zusätzlichen Verbesserung des Kindergelds über die beschlossenen Regelungen hinaus gern zu. Sie bringen nun für Familien mit drei Kindern ein monatliches Kindergeld ab 1. Januar 1979 von 50 DM für das erste Kind, 80 DM für das zweite Kind, 200 DM für das dritte Kind - das sind 330 DM - und für jedes weitere Kind monatlich 200 DM zusätzlich. Die Erhöhung für dritte und weitere Kinder beträgt nunmehr 50 DM statt der bereits vorgesehenen 45 DM. Für zweite Kinder soll die bereits vorgesehene Erhöhung um 20 DM nicht erst am 1. Januar 1980, sondern ein halbes Jahr früher eintreten, also den eben von mir genannten Betrag für die Drei-Kinder-Familien in der Mitte des Jahres 1979 von 330 auf 350 DM erhöhen. Diese vorgezogene Erhöhung des Zweitkindergelds wird damit zeitlich in einem Zusammenhang mit der nun im Vermittlungsausschuß akzeptierten Anhebung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt bzw. einen halben Prozentpunkt gebracht, so daß dieser für die Finanzierung des Gesamtpakets erforderliche Teilausgleich leichter - ich möchte sagen: noch leichter - verkraftet werden kann.
Zweitens. Die Neuschaffung einer Regelung des steuerlichen Ausgleichs für die Betreuungskosten von Kindern bis zum 18. Lebensjahr ab 1. Januar 1980 gegen Vorlage von Kostennachweisen durch entsprechende Änderung des bisher bestehenden Hausgehilfinnenfreibetrags bis zur Höhe von 600 DM bzw. bei Ehegatten 1 200 DM für jedes Kind, löst gleichzeitig ein uns allen vom Bundesverfassungsgericht aufgegebenes Problem in einer den heutigen Lebensverhältnissen wesentlich gerechter werdenden Form. Herr Häfele, dies ist kein neuer Freibetrag, dies ist die Umwandlung - und sinnvolle Neugestaltung für die heutigen Verhältnisse - eines seit langen Jahren oder Jahrzehnten vorhandenen Freibetrags in einem ganz anderen Bereich.
Drittens. Auch wenn Bedenken nicht zu verhehlen sind, kann anerkannt werden, daß in einer noch relativ entfernt liegenden Zeit, am 1. Januar 1981,
a) der Freibetrag bei der Gewerbekapitalsteuer nochmals angehoben wird, und zwar auf 120 000 DM, und
b) eine Hinzurechnung von Schulden bei der GeWestphal
werbesteuer nur noch bei Beträgen über 50 000 DM erfolgen wird. Beide Lösungen sind mittelstandsfreundlich, und sie sind in Größenordnungen gestaltet, die wohl bei den Gebietskörperschaften verkraftet werden können.
Viertens. Der von der Koalition mit Länder- und Gemeindevertretern erarbeitete und von der Bundesregierung offiziell eingebrachte Vorschlag eines Ausgleichs für die Verluste der Gemeinden aus der Abschaffung der Lohnsummensteuer ab 1. Januar 1980 und der erneuten Anhebung des Freibetrags in der Gewerbesteuer von 24 000 DM auf 36 000 DM zum gleichen Datum ist schließlich im Vermittlungsausschuß angenommen worden. Die mühevolle Arbeit zur Überwindung eines schwierigen Problems kann in einer Weise zum Abschluß gebracht werden, die einerseits die gewollte Wirtschaftsentlastung sicherstellt und andererseits einen eindeutig gemeindefreundlichen Charakter hat.
Das Ringen mit denjenigen, die diese Lösung des Ausgleichs als zu weitgehend ansahen, war schwierig. Man kann sagen: Es war ebenso schwierig wie das Ringen mit denjenigen, die mit Recht auf einem ausreichenden Ausgleich bestanden haben. Wir stehen in dieser Sache, wohlwissend, welch schwieriges Problem es zu lösen gilt, auf der Seite der Gemeinden.
({5})
Die Gemeinden werden künftig 1 °/o mehr Anteil am Aufkommen der auch weiterhin dynamisch wachsenden Einkommensteuer erhalten. Sie werden ein Drittel weniger Umlage aus der Gewerbesteuer an Länder und Bund abzuführen haben. Während in Gemeinden, die keine Lohnsummensteuer erhoben haben oder erheben, eine Senkung der Hebesätze möglich - ich möchte sagen: erforderlich - ist, werden die Gemeinden, in denen die Einnahmen aus der Lohnsummensteuer entfallen, selbst bei der Anhebung der Hebesätze maßvoll vorgehen können, zumal ein Spitzenausgleich über den kommunalen Finanzausgleich hinzukommt, der in der Verantwortung der Länder zu gestalten ist. Die Zusage des Landes Nordrhein-Westfalen an seine betroffenen Gemeinden kann - lassen Sie mich das so sagen - insbesondere für Niedersachsen und Schleswig-Holstein, um das einmal herauszuheben, ein gutes Beispiel sein.
Fünftens. Es ist für uns selbstverständlich, daß in diesem Vermittlungsverfahren die Absicht, auch noch die Ausgleichsverhandlungen über die künftigen Anteile von Bund und Ländern an dem Aufkommen aus der Umsatzsteuer zu führen und gar dazu Gesetze zu machen, nicht Gegenstand des Verhandelns und Vermittelns sein konnte. Wir nehmen zur Kenntnis, daß es Länder geben wird, die mit einem verengten Blick auf den Steuerteil des Gipfelpaketes bei anstehenden Verhandlungen Forderungen stellen werden.
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Wir müssen aber den Bundesfinanzminister bitten,
die Interessen des Bundes zu wahren, der neben anderen Risiken und Belastungen und neben dem von
ihm zu tragenden Teil der Steuerentlastungen aus diesem Steuergesetz alle Kosten des Gipfelpakets aus den Teilen Kindergeld, Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte und verlängerter Mutterschaftsurlaub allein tragen muß.
Meine Damen und Herren, durch das vorgelegte Ergebnis wird der Weg frei zur vollen Erfüllung der Gipfelzusage des Bundeskanzlers, mit dem Ziel der wirtschaftlichen Belebung durch investitions-, konsumtions- und arbeitsmarktpolitisch orientierte Maßnahmen, wird der Weg frei für die rechtzeitige Inkraftsetzung der Steuerentlastungen für Lohn- und Einkommensteuerzahler ab 1. Januar 1979, werden Festlegungen getroffen für erneute Entlastungen der Wirtschaft in aufeinander folgenden abgestimmten Schritten, von denen wir erwarten können, daß sie Vertrauen schaffen und Mut zum wirtschaftlichen Engagement erzeugen, weil jeder Unternehmer sicher weiß, wann welche Vergünstigungen für ihn wirksam werden, und schließlich werden vor allem Hilfen, die in ihrer Größenordnung beachtlich sind, für die Familien gewährt.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden dem Vermittlungsergebnis zustimmen.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion begrüßt, daß mit dem heutigen Vermittlungsergebnis endlich das Steuerpaket der Bundesregierung und der Koalition wirksam werden kann, nachdem dieses Paket zwar im Bundestag bereits vor vier Wochen beschlossen, aber vom Bundesrat bisher abgelehnt worden ist.
Es bleibt nunmehr bei den vorgesehenen Entlastungen des Steuerzahlers durch Senkung des Einkommensteuertarifs, Erhöhung des Vorwegabzuges, Einführung des Realsplittings, es bleibt bei der Entlastung der Wirtschaft über den Wegfall der Lohnsummensteuer und Teile der Kapitalertragsteuer, und es bleibt bei einer spürbaren Verbesserung des Kindergeldes für die Mehrkinderfamilien - im Grundsatz so wie es von Anfang an vorgesehen war. Das sind Entlastungen in einer Gesamthöhe - per Saldo - von 9 Milliarden DM im Jahre 1979 und 11 bis 12 Milliarden DM im Jahre 1980.
Die FDP trägt auch die Entscheidungen des Vermittlungsausschusses. Doch hätten diese Änderungen in ihren entscheidenden Teilen auch außerhalb des Vermittlungsverfahrens und damit im normalen Gesetzgebungsverfahren beraten und beschlossen werden können.
({0})
Ich meine in diesem Zusammenhang die steuerliche Berücksichtigung der Kosten für die Betreuung von Kindern; denn das hätte wegen eines Verfassungsgerichtsurteils auf Grund einer Regelung, die vor mehr als zehn Jahren beschlossen wurde, sowieso auf die Tagesordnung des Finanzausschusses und des Hauses gesetzt werden müssen. Ich meine damit aber auch die Entlastungen bei der Gewerbekapital9194
steuer, die zum 1. Januar 1981 wirksam werden sollen.
Die CDU/CSU hat die Abschaffung oder wesentliche Senkung der Gewerbekapitalsteuer gefordert. Das wäre, wie uns der Städtetag sehr nachdrücklich dargelegt hat, für die kommunalen Finanzen untragbar gewesen. So notwendig eine Entlastung der Wirtschaft von ertragsunabhängigen Lasten ist, sosehr müssen bei einseitigen Eingriffen in die Struktur der Gemeindesteuern die Auswirkungen genau bedacht werden. Würde die Gewerbekapitalsteuer gestrichen und das noch gleichzeitig mit der Lohnsummensteuer, so würden zwangsläufig die Hebesätze bei der Gewerbeertragsteuer erheblich angehoben werden müssen: Das hieße: die Großwirtschaft wird entlastet und das mittelständische Gewerbe zahlt die Zeche. Das haben wir abgelehnt.
({1})
Demgegenüber ist die Lösung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen mittelstandsfreundlich, nämlich die Anhebung des Freibetrages bei der Gewerbekapitalsteuer von 60 000 auf 120 000 DM, die Einführung eines besonderen Freibetrages bei der Zurechnung von Dauerschulden. Dazu kommt die bereits vorher von der Koalition vorgesehene Anhebung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer von 24 000 auf 36 000 DM und die Beseitigung der Lohnsummensteuer, die ja bekanntlich bisher besonders die arbeitsintensiven Betriebe belastet.
Die FDP sieht in diesem Gesamtergebnis die Erfüllung ihrer Mittelstandsforderungen in diesem Bereich.
Die Bundesregierung hat mit Zustimmung der FDP einen Vorschlag zum Ausgleich der Lohnsummensteuer in das Vermittlungsverfahren eingeführt und auch durchgesetzt. Er wurde von der FDP mitentwickelt und wird von ihr voll getragen. Alle Gemeinden erhalten ab 1980 1 % mehr aus dem Aufkommen an Lohn- und Einkommensteuer und brauchen von ihren Gewerbeeinnahmen ein Drittel weniger an Bund und Länder abzuführen. Das erleichtert all den Gemeinden, die bisher Lohnsummensteuer erhoben haben, den Ausfall dieser Steuer und setzt zugleich die übrigen Gemeinden in die Lage, ihre Gewerbesteuerhebesätze zu senken. Die FDP vertraut auf die Einsicht der Gemeindevertreter, daß sie den gewonnenen Spielraum zur Senkung ihrer Hebesätze verwenden und damit auch in Gemeinden ohne Lohnsummensteuer das produzierende Gewerbe von zu hohen Gewerbesteuern entlasten.
Die FDP begrüßt es, daß im Bereich der Kinderbetreuung eine Regelung gefunden wurde, die die alleinsorgenden Mütter nicht benachteiligt. Es lag eine Reihe von Vorschlägen vor - wir hörten davon -, um Kinder in der Steuer zu berücksichtigen. Sie alle hätten jedoch den allein-erziehenden Elternteil benachteiligt. Deshalb hat sich die FDP nachdrücklich dagegen verwahrt. Was statt dessen jetzt vorgesehen ist, nämlich die steuerliche Berücksichtigung tatsächlich gezahlter Betreuungskosten, kommt der Erziehungswirklichkeit nahe, weil diese Erleichterungen für tatsächlich entstandene Belastungen vorgesehen sind und allein erziehenden Elternteilen ebenfalls voll zustehen.
Meine Damen und Herren, die jetzige Lösung erhöht den vorgesehenen Kreditbedarf in den Jahren 1979 bis 1981 zwar nur in begrenztem Umfange, doch bleibt die FDP besorgt, daß damit der vertretbare Kreditrahmen nicht nur ausgeschöpft, sondern überschritten werden könnte. In wachsendem Maße fragen uns verantwortungsbewußte Bürger, ob nicht mit dem wachsenden Schuldenberg aller öffentlichen Haushalte die Last künftiger Generationen und die Anspannung des Kapitalmarkts zu groß werden würden. Die Folgen könnten Zinssteigerungen zu Lasten aller sein.
Wir teilen seitens der FDP diese Sorge und stimmen daher einer Ausweitung des Steuerpakets nur deshalb zu, weil wir bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat das Steuerpaket nicht scheitern lassen wollen. Aber, meine Damen und Herren, das heißt: die Verantwortung für eine weitere Erhöhung der Staatsschulden und für eventuelle Zinssteigerungen zu Lasten der Wirtschaft liegt eindeutig und einseitig bei der CDU/CSU.
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Die FDP-Fraktion stimmt dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß §:10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf, Drucksache 8/2300 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses einstimmig angenommen.
Wir fahren dann in der Beratung des Tagesordnungspunktes 11 - Jahresbericht 1977 des Wehrbeauftragten - fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, bevor ich unmittelbar zu dem Bericht des Wehrbeauftragten Stellung nehme, noch zwei Hinweise zu den Darstellungen des Herrn Kollegen Ernesti.
Herr Kollege Ernesti, wir wollen uns nicht mißverstehen. Interessant waren natürlich Ihre Ausführungen zu der Frage „Berufsbild des Soldaten". Wir stimmen überein, daß die meisten Berufe unvergleichbar sind. Aber es ist wohl auch übereinstimmende Auffassung im ganzen Hause - und in diesem Sinne äußerte sich der Kollege Rommerskirchen in früheren Jahren dazu -, daß wir nicht mehr zu einem Berufsbild des Soldaten „sui generis" zurück wollen.
Ein weiterer Punkt. Sie haben sich hier in dankenswerter Weise für ein besseres GeschichtsverHorn
ständnis ausgesprochen. Das brauchen Sie dem, der einmal Geschichtslehrer war, kaum zu sagen. Der hört das mit Freude.
In diesem Zusammenhang machten Sie auf traditionelle Vorbehalte der Sozialdemokratischen Partei gegen die bewaffnete Streitmacht aufmerksam. Ich möchte hier allerdings im geschichtlichen Verständnis etwas korrigieren. Es ist bekannt, daß die Sozialdemokratische Partei seit Bebel die erste demokratische Partei war, die sich programmatisch für die allgemeine Wehrpflicht gerade gegen vorherrschendes Stände- und Elitedenken eingesetzt hat.
({0})
Sie wissen, Herr Kollege Würzbach - dankenswerterweise nehmen wir das auf -, daß das immerhin einer Verfassungsänderung bedurfte. Sie wissen - damit hier einmal alte Mythen zerschlagen werden -, daß zu dieser Verfassungsänderung die Zustimmung der Sozialdemokratischen Partei notwendig war, weil dies nur mit Zweidrittelmehrheit möglich ist. Sie wissen, daß die Sozialdemokratische Partei in der Opposition, aber konstruktive Voraussetzungen für die Errichtung der Bundeswehr mit geschaffen hat. Das muß auch einmal gesagt werden.
({1})
Natürlich standen für uns damals die politischen Inhalte im Vordergrund, weil wir zu Beginn der 50er Jahre - das wissen Sie ganz genau - um die Wiedervereinigung gerungen haben. Ich glaube, diese Form der Auseinandersetzung, die die parlamentarische Opposition damals geführt hat, war nicht nur legitim, sondern auch notwendig.
({2})
Nach der Definition von Fritz Erler ist der Wehrbeauftragte Auge und Ohr des Parlamentes in der Truppe. Dementsprechend steht im Mittelpunkt des Berichtes des Wehrbeauftragten der Mensch, der Soldat, in seinen vielfältigen Beziehungen als Untergebener, Vorgesetzter und Kamerad, im Zusammenhang mit den Fragen der häufigen Versetzungen und der daraus resultierenden Probleme im familiären Bereich, der Auswirkungen auf die schulischen Leistungen der Kinder, bei der Wohnungssuche. Die Palette der Probleme reicht von der Wehrstruktur über Ausbildungsfragen, Beförderungsstau, Mitflugerlaubnis bis hin zur Berufsförderung und der Eingliederung ehemaliger Zeitsoldaten in den öffentlichen Dienst.
Das Parlament berät den Bericht des Wehrbeauftragten einmal im Jahr. Es genügt damit seiner Pflicht. Ich habe sehr wohl die etwas kritischen Ausführungen des Kollegen Ernesti dazu gehört. Ich stimme in dieser Hinsicht mit ihm völlig überein. Ich bin dankbar, daß der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, im vergangenen Jahr anläßlich einer wehrpolitischen Tagung eine Aufarbeitung all der Probleme unserer Soldaten im Zusammenhang mit der Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten forderte. Ich bedaure zugleich, daß trotz mehrfacher Hinweise von seiner Seite die Zeit zur Behandlung dieses Themas im Parlament wiederum sehr kurz bemessen wurde, so daß dieser Umstand und die übliche Präzens im Parlament die Redner aller im Bundestag vertretenen Parteien veranlassen sollten, mit kritischen Anmerkungen nach draußen sparsam umzugehen. Die Redlichkeit gebietet uns das.
Die drei im Bundestag vertretenen Parteien veranstalten wehrpolitische Tagungen und Kongresse, auf denen die hier anstehenden Fragen eine große Rolle spielen. Es ist bedauerlich, daß die Diskussionen über diese Themen zu sehr nach draußen verlagert werden und im Vergleich dazu nur noch unzulänglich im Parlament stattfinden.
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Zweifellos liegt der Grund auch darin, daß die Zeit der Debatten über Grundentscheidung, Herr Kollege Würzbach, längst vorbei ist, d. h. daß wir Gott sei Dank in einer Phase der Normalität sind.
Die Bundeswehr ist ein selbstverständlicher Bestandteil des Staates. Bürger in Uniform und Bürger in Zivil begegnen sich unvoreingenommen. Die sachliche und oft beschwerliche Alltagsarbeit vollzieht sich nicht dramatisch, aber sie darf deshalb auch nicht zur Gleichgültigkeit führen. Der Verteidigungsausschuß wird darauf drängen - ich denke, darin stimmen wir alle überein -, daß die vielfältigen Probleme der Bundeswehr, unserer Soldaten, die sich in den Berichten des Wehrbeauftragten niederschlagen - etwa im Sozialbereich, etwa im Zusammenhang mit den Überstunden, der Wohnungsfürsorge und dem Beförderungsstau -, nicht nur eine interne Angelegenheit des Fachausschusses bleiben, sondern vom Parlament selbst in verstärkter Weise behandelt werden.
Zur Vorlage des Berichtes des Wehrbeauftragten für das Jahr 1977 ist festzustellen, daß die Stellungnahmen zu den Problembereichen in der Bundeswehr, Herr Wehrbeauftragter, pointierter und klarer sind als' im vorjährigen Bericht. Es ist zu begrüßen, daß der Wehrbeauftragte nicht nur allgemeine Normen aufgestellt hat, sondern konkrete Strukturelemente wie das Heeresmodell 4 unter dem Aspekt „Wo bleibt der Mensch?" zum Gegenstand seiner Ausführungen macht. Der Vorwurf, daß in der Erprobungsphase fast ausschließlich die technischen Gegebenheiten und Abläufe überprüft wurden, führt zu der Frage, ob der Mensch, der Soldat den Leistungsanforderungen des Heeresmodells 4 gerecht werden kann. Neben dem Personalmangel wird hier die zentrale Frage der Menschenführung angesprochen. Die quartalweise Zuführung macht die Einheiten zu heterogenen Gebilden, in denen sich Kameradschafts- und Gemeinschaftsgeist durch die ständigen Umsetzungen nur schwerlich entwickeln kann. Die Durchsetzung des ursprünglichen Heeresmodells 4 hätte somit zu zwei negativen Ergebnissen führen müssen.
9196 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 118. Sitzung. Bonn, Freitag; den 17. November 1978
Erstens. Die Funktionsfähigkeit der Truppe selbst wäre für lange Zeit in Frage gestellt worden.
Zweitens. Sowohl in den dienstlichen Anforderungen als auch durch eine große Umzugswelle hätten sich unzumutbare Belastungen und Erschwernisse für den einzelnen Soldaten ergeben.
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Die kritische Stellungnahme des Wehrbeauftragten hat in entscheidendem Maße dazu beigetragen, das neue Heeresmodell 4/III a zu konzipieren, das im Grundsatz von allen Fraktionen des Bundestages getragen wird.
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- Herr Kollege, ich will den Wert und die Initiative der Opposition überhaupt nicht in Frage stellen. Bleiben Sie immer in dem Bereich, wo Sie sind, und sind Sie uns hilfreich! Das nehmen wir dankbar an.
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Aus gutem Grund hat der frühere Verteidigungsminister Georg Leber die Durchführung eines Erprobungsmodells angeordnet. Es ist eben der Sinn eines solchen Erprobungsmodells, aus der positiven wie aus der negativen Erfahrung sachgerechte Schlüsse zu ziehen. Dies hat Hans Apel getan. Er steht damit in der Kontinuität seines Vorgängers. Die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers verdient unseren Respekt, da ihr drei unerläßliche Gesichtspunkte zugrunde lagen,
({7})
die jeder verantwortliche und verantwortungsbewußte Politiker berücksichtigen muß. - Herr Biehle, ich kann das wirklich nicht alles aufnehmen. Ich bin ja gern bereit, auf Hinweise einzugehen, nur bitte ich um Verständnis - ich habe es schon dreimal getan -, daß ich auch wegen der Zeitbegrenzung, die ich vorhin schon beklagt habe, meine Ausführungen zu Ende führen möchte.
({8})
- Ich glaube, in der CDU/CSU gibt es doch manchmal Menschen, die leiden an großer Vergeßlichkeit. Anscheinend gehören Sie auch dazu. Das hat der Verteidigungsminister Leber nie gesagt.
({9})
Es ist keine Frage, daß das neue Modell entsprechend der langjährigen Vorarbeit des Inspekteurs des Heeres den Grundsatz der Vorneverteidigung erfüllen muß. Die Bundeswehr ist keine Angriffsarmee; das möchte ich noch einmal bewußt nach außen darstellen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die strategischen Planungen des Bündnisses und die Auslegung unserer Streitkräfte mit ihren besonderen Waffensystemen beweisen eindeutig den Charakter der Bundeswehr als eines reinen Verteidigungsinstruments. Ausbildung, Ausrüstung und Struktur unserer Bundeswehr müssen auch in Zukunft so angelegt sein, daß uns kein
potentieller Gegner risikolos angreifen kann. Dem Zweck der Auftragserfüllung, nämlich im Rahmen des Bündnisses zur Abschreckung beizutragen, soll auch das neue Heeresmodell entsprechen.
Zweitens. Der Soldat: Das neue Modell ist so abgestellt, daß es dem Soldaten, dem Menschen, der den Auftrag ausführen soll, Rechnung trägt. Dem Soldaten werden keine untragbaren Belastungen aufgebürdet.
Drittens. Finanzielle Rahmenbedingungen: Das neue Modell wird den finanziellen Bedingungen gerecht. Sicherheitspolitik ist zwar keine Funktion der Finanzpolitik, aber jeder verantwortungsbewußte Politiker muß die Rahmenbedingungen seines besonderen Bereichs im Verhältnis zu den Möglichkeiten im gesamten Staat erkennen und auch einhalten.
Der Verteidigungsausschuß kann erwarten, daß die vom Wehrbeauftragten dargestellten Mängel sich in der neuen Struktur nicht als Fehler in anderer Form wiederfinden. Deshalb sollte der Wehrbeauftragte auch das neue Modell weiterhin kritisch überprüfen, damit möglichst frühzeitig Fehlerquellen erkannt und beseitigt werden.
({10})
Es ist erfreulich, festzustellen, daß die Diskussion über die Innere Führung in der letzten Zeit erneut belebt wurde. Dies ist um so notwendiger, als es nicht mehr vorwiegend um die alte Frontstellung zwischen Traditionalisten .und Reformern geht - um das auf das bekannte Klischee zu bringen -; das ist zweifellos in einem gewissen Maße auch noch der Fall. Vielmehr stehen wir auf diesem Gebiet vor einer neuen Herausforderung. Schlagworte wie „Bürokratisierung" oder „verwaltete Armee" kennzeichnen die Themen der Diskussion. Moderne Streitkräfte sind in der Ausrüstung, dementsprechend auch in der Ausbildung Spiegelbild der modernen technologischen Entwicklung. Niemand sollte glauben, daß dadurch die Wertvorstellungen des Menschen - und hier des Soldaten - unberührt blieben. Was Karl Jaspers Mitte der 50er Jahre voraussagte, nämlich die Wandlung des Offiziers vom Soldaten zum Berufstechniker, hat sich weithin vollzogen. Aber dies darf nur ein Aspekt im Berufsbild des Soldaten sein.
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- Ich gestehe, wir liegen wirklich nicht auseinander, Herr Kollege Berger.
Wo die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte den wichtigsten Maßstab bildet, werden Ausbildung und Erziehung auf dieses Ziel ausgerichtet und ihm andere Werte untergeordnet. Die Soldaten in allen Führungsebenen und Verantwortungsbereichen spüren diese Gefahr. Der Bundesminister der Verteidigung hat mit der Einsetzung einer Kommission unter General a. D. de Maizière einen vernünftigen Schritt in die richtige Richtung getan. Dabei geht es auch - aber nicht nur - um die ständige Überfütterung der Soldaten mit bürokratischen Anordnungen.
Der Inspekteur des Heeres, General Hildebrandt, hat in einem meiner Auffassung nach bemerkenswerten Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die ausschlaggebende Bedeutung der wechselseitigen Abhängigkeit von militärischer Auftragserfüllung und politischer Bewußtheit der Soldaten unterstrichen. Ich stimme dem Inspekteur des Heeres zu, wenn er feststellt, daß die technische Entwicklung im Bereich der Streitkräfte nicht mehr Gängelung und Bevormundung erfordert, sondern gerade umgekehrt: In Anbetracht der wachsenden Kompliziertheit und Vielfalt der Waffensysteme erhöht sich fortgesetzt das Angewiesensein der militärischen Führer auf die Bereitschaft und die Fähigkeit zu selbständiger Entscheidung ihrer Untergebenen. Folglich mindert sich in gleichem Maße die Tauglichkeit reglementierenden Befehlens.
Innere Führung ist durch Auftragstaktik zu verwirklichen. Das heißt, eine der Hauptaufgaben des militärischen Vorgesetzten wird in Zukunft zwangsläufig mehr als in der Vergangenheit darin bestehen müssen, seine Soldaten zu informieren, ihnen differenzierten Einblick in politische Abläufe zu geben und das Warum und Wofür des Auftrages auch zu erklären. Die politische Führung muß beachten, daß die Bürokratisierung im Sinne der „organisierten Verantwortungslosigkeit" genau jene Freiräume verengt oder zuschüttet, die für eine verantwortungsbewußte Erfüllung des Auftrages unerläßlich sind. Zu erstreben ist eine innere Führung, die nur das verlangt, was notwendig ist, dies aber vollständig. Wo die Befehlsforderungen nach Ausmaß und Vielfalt so groß sind, daß sie nicht mehr vollzogen werden können, ist der Soldat, ist der Untergebene zum selektiven Gehorsam gezwungen. Das heißt aber zugleich auch: zum selektiven Ungehorsam.
Die Bedeutung des Wortes von der Inneren Führung erweist sich daran, ob dem Soldaten über Auftragstaktik fünf entscheidende Erkenntnisse einsichtig gemacht werden können. Er muß wissen, welche Bedeutung für seinen Auftrag 1. die Sicherheitspolitik unseres Staates hat, 2. die Bundespolitik, 3. das innenpolitische Spannungsfeld von Gewaltpotential und Sicherung des Friedens, 4. die Bundeswehr als eine der größten und differenziertesten Einrichtungen unseres Staates, 5. die gesellschaftspolitische Bedeutung des Vorganges, daß 250 000 Wehrpflichtige jedes Jahr zum erstenmal in dieser Form den Staat erleben.
Eine besondere Bedeutung für Vorbereitung und Durchführung dieser Arbeit hat dabei die Schule für Innere Führung der Bundeswehr. Der Herr Bundesminister der Verteidigung spricht in seiner Stellungnahme davon, daß die Schule der Bundeswehr für Innere Führung nach Verwirklichung des neuen Auftrags das geistige Zentrum der Bundeswehr sei. Das ist wahrhaft ein hoher, ja, ein, wie ich meine, unerfüllbarer Anspruch. Im übrigen bin ich immer noch der Auffassung, daß das geistige Zentrum der Bundeswehr - dies beinhaltet ja auch die Führungskomponente - beim Bundesminister der Verteidigung selbst zu finden ist.
Die Schule in Koblenz kann - einschränkend gesagt - nur ein ganz wesentliches Zentrum für die Innere Führung werden. Vom Auftrag der Schule bzw. des Zentrums her sowie unter Berücksichtigung. des Verbundes mit anderen Einrichtungen der Streitkräfte - Hochschulen der Bundeswehr, Führungsakademie der Bundeswehr, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Streitkräfteamt usw. - bleibt noch viel zu tun, um ein Zentrum im gewünschten Sinne zu schaffen.
Ich kann und werde nicht über die neuerliche Entwicklung der Schule schon jetzt ein Urteil abgeben, denn der neue Auftrag der Schule ist für mich Grund genug, dem neuen Konzept des Bundesministers der Verteidigung die Möglichkeit der Bewährung zu lassen und die kommende Entwicklung zu beobachten.
In diesem Sommer sollte nach Beendigung der Versuchsphase die Entscheidung für die neue Arbeitsgliederung der Schule getroffen werden. In bezug auf Personalveränderungen sollte bereits seit 1. April 1978 der neue Auftrag berücksichtigt werden. Für die Zukunft dieser wichtigen Institution, die für die theoretische Fortschreibung und praxisbezogene Aufarbeitung der Inneren Führung eine zentrale Rolle übernehmen soll, scheinen mir neben der Formulierung des Arbeitsauftrages und der Gliederung unter anderem noch folgende Gesichtspunkte von Bedeutung zu sein.
Zum einem das Junktim zwischen Verwirklichung des fachlichen Auftrages mit der personellen Ausstattung. Eine Kernfrage hierzu ist auch die Dotierung der Stellen. Denkt der Verteidigungsminister z. B. auch daran, die Stellen so zu dotieren, daß bei dem Personal der Schule ein Zugzwang zur Rotation und zur Mobilität in dem Sinne hergestellt wird, daß die Stellen keine Auslaufstellen werden, sondern daß dem gut qualifizierten Stelleninhaber beim Weggang von der Schule eine Förderung in Aussicht steht? Für den Auftrag bei der Ausgestaltung der Inneren Führung halte ich es für meine Pflicht, auch darauf hinzuweisen, daß im Sinne der ständigen Fortschreibung und des Innovationsbedürfnisses der Inneren Führung ein hohes Maß an Mobilität und an fachlichen Qualifikationsmöglichkeiten als Bedingung für die personelle Rotation auch von den zivilen Mitarbeitern gefordert werden sollte.
Zum anderen muß die Stellung der Schule der Bundeswehr für Innere Führung bzw. des Zentrums der Bundeswehr für Innere Führung im Verbund mit anderen Institutionen wie den Hochschulen der Bundeswehr, der Führungsakademie der Bundeswehr, dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt und den Streitkräften geklärt werden. Dies ist an der Zeit. Dies ist unsere Anforderung an das Bundesverteidigungsministerium.
Nicht unwesentlich scheint mir in diesem Zusammenhang die Frage, ob die jetzige räumliche Unterbringung sowohl hinsichtlich des Standortes
wie auch der Ausstattung dem Auftrag und der Funktion eines wie auch immer zugeschnittenen Zentrums der Streitkräfte entspricht. Der Verteidigungsminister sollte seine aus den Erfahrungen der Versuchsphase entwickelte Konzeption der Schule der Bundeswehr für Innere Führung bzw. des Zentrums der Bundeswehr für Innere Führung im Ausschuß erläutern und zu den angesprochenen Fragen Stellung nehmen.
Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht den Spannungsbogen zwischen den Sachzwängen der Technisierung und Arbeitsteilung einerseits und andererseits der Rolle des Soldaten als politisch denkendem und handelndem Staatsbürger, d. h. der politischen Dimension des Dienstes, aufzuzeigen versucht. Kooperation in den Streitkräften weckt von sich aus noch kein Verständnis für demokratische Verfahren. Sie erstreckt sich meist nur auf die technische Bewältigung des militärischen Auftrags. Die Steigerung der Zahl der Soldaten, die sich parteipolitisch binden oder für Parlamente, Kreistage und Gemeinderäte kandidieren, ist zwar erfreulich hoch, doch kein Hinweis darauf, daß sich die Soldaten in ihren Einheiten bzw. Verbänden als politisch denkende und handelnde Staatsbürger fühlen und auch immer so behandelt werden. Das Problem liegt vielmehr darin, daß dem Soldaten - gleich welchen Dienstgrades - bewußt gemacht werden muß, daß er auch im Kasernenalltag der politisch denkende und handelnde Staatsbürger ist und daß er im Sinne der Auftragstaktik und im Rahmen der Inneren Führung einen Freiraum hat, um sich als solcher zu erweisen. Hier bedarf es noch vielfacher Anstrengungen, die wesentlich im Bereich der politischen Bildung liegen.
({12})
Damit komme ich zu diesem Kapitel. Die Neuordnung von Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr im Jahre 1971 war eine der wichtigsten Reformen der Bundesregierung. Die seinerzeit von der Bildungskommission entwickelten Grundsätze und Ziele der Neuordnung haben unverändert Gültigkeit. Danach sollte durch das Ausbildungssystem der Bundeswehr als Teil des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland und bei Berücksichtigung der gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen erstens die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte verbessert, zweitens die Attraktivität des Dienstes erhöht und drittens die Integration der Soldaten in die Gesellschaft gefördert werden.
Diese Ziele konnten inzwischen weithin erreicht werden. Die Leistungen der Soldaten werden im In-und Ausland anerkannt. Die erfreuliche Entwicklung der Nachwuchslage ist wesentlich durch das neue Bildungsangebot bestimmt worden. Die neugeschaffenen Bildungseinrichtungen, vor allem Hochschulen und Fachschulen der Bundeswehr mit im . Zivilleben anerkannten Abschlüssen, sind sichtbarer und überzeugender Beweis für den Erfolg der Reform. Durch das neue Bildungssystem der Bundeswehr mit seinen Fortbildungsstufen A bis D, wobei die Stufe D noch aussteht, konnten die Berufs- und Laufbahnchancen der Soldaten verbessert werden.
Durchlässigkeit und zivile Anerkennung vieler Abschlüsse ermöglichen es, die Soldaten entsprechend ihren Fähigkeiten zu fördern und die Verbindung zum sozialen Umfeld der Streitkräfte enger zu gestalten. Die Förderung der Soldaten durch Aus- und Weiterbildung hat unverändert Vorrang vor der Nutzung von Prüfungen und Lehrgängen. In allen Fortbildungsstufen ist über die Vermittlung von militärfachlichem Wissen hinaus sicherzustellen, daß die Soldaten mit den gesellschaftlichen und politischen Bezügen ihres Berufes vertraut gemacht werden. Der Erfolg der Bildungsreform als Auswahlmittel schließt nicht aus, daß bei unveränderter Gültigkeit der Grundsätze und Ziele einzelne Änderungen oder Verbesserungen jetzt notwendig sind. Die Kollegen, die damals, Anfang der 70er Jahre, über dieses Problem diskutiert haben, wissen, daß ich mich immer dagegen gewandt habe, die Ausbildungskonzeption als eine dogmatisch starre Angelegenheit zu betrachten. Vielmehr habe ich den Standpunkt vertreten, daß wir aus gewonnenen Erfahrungen auch neue Folgerungen ziehen sollten.
Die Bildungskonzeption der Bundesregierung für die Laufbahn der Unteroffiziere und Offiziere des militärfachlichen Dienstes sieht vor, daß diese Soldaten in Verbindung mit und in Ergänzung zu ihrer militärischen Ausbildung entweder eine Berufsausbildung mit anerkanntem Abschluß oder einen allgemeinen Bildungsabschluß erhalten. Durch diese Förderungsmaßnahmen sollen die Soldaten auf ihre schwierigen Aufgaben als Führer, Ausbilder oder technischer Spezialist besser vorbereitet und soll ihr Bildungsstand angehoben werden. Dieses Ziel konnte noch nicht in allen Bereichen vollständig erreicht werden. Besonders Soldaten mit sehr langer und spezialisierter militärischer Ausbildung konnten an den beruflichen oder allgemeinbildenden Förderungsmaßnahmen nicht in vollem Umfang teilhaben. Die militärische Ausbildung dieser Soldaten ist daher mit dem Ziel zu überprüfen, ob durch Änderung des Inhalts oder durch geringe Ergänzung ein zivilberuflicher Abschluß erreicht werden kann.
Die zivilberufliche Ausbildung sollte so gestaltet werden, daß sie für die Verwendung der Soldaten in der Truppe optimal genutzt werden kann. Das war eines unserer Anliegen. Der Anspruch auf Berufsförderung nach dem Soldatenversorgungsgesetz darf auf keinen Fall durch die genannten Förderungsmaßnahmen gekürzt werden. Bestimmungen, die diesem Ziel entgegenstehen, wie z. B. das Haushaltsstrukturgesetz sollten überprüft und gegebenenfalls verändert werden.
Auch die Ausbildung zum Offizier wurde durch das neue Bildungskonzept grundlegend verändert. Erstmalig in der deutschen Militärgeschichte erhalten alle Offiziere ein Studium an einer Hochschule der Bundeswehr. Inzwischen haben die ersten Absolventen der Hochschule der Bundeswehr ihre Diplome erhalten und dienen als junge Offiziere erfolgreich in der Truppe. Die nach kurzer Aufbauzeit erbrachten Leistungen auf dem Gebiet der Lehre und Forschung sowie die Anerkennung der Diplome beweisen, daß mit Gründung der Hochschule der Bundeswehr die Bildungsreform auch in diesem BeHorn
reich erfolgreich war. Das Fachstudium konnte inzwischen auch durch erziehungs- und gesellschaftswissenschaftliche Anteile ergänzt werden, um den jungen Offizier auf seine Aufgabe als Führer, Ausbilder und Erzieher vorzubereiten und um die politischen und gesellschaftlichen Bezüge seines Berufes zu berücksichtigen.
Die Hochschulen der Bundeswehr sollen im Sinne des Bildungskonzepts weiterentwickelt werden. Das Promotions- und Habilitationsrecht ist ihnen zu gewähren. Die Studieninhalte sollen mehr als bisher den Bezug zum Beruf des Offiziers berücksichtigen. Auch zivile Studenten sollten nach meiner Auffassung an diesen Hochschulen, wo wir noch viele Kapazitäten frei haben, studieren können,
({13}) sobald die bisherige .Aufbausituation beendet ist.
({14})
Ich möchte allerdings sehr deutlich sagen: erst unter dieser Bedingung. Denn wir können uns nicht politische Problempunkte schaffen, solange die Aufbauphase - die beträgt bei der Neugründung einer Hochschule zirka zehn Jahre - nicht beendet ist.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Grundsätze und Ziele dieses Bildungskonzepts gelten auch hier unverändert. Besonders der Förderungscharakter der Fortbildungsstufe C darf nicht hinter der Notwendigkeit der Prüfung und Auswahl für höherwertige Verwendungen zurücktreten. Die Auswahlmethoden und -kriterien müssen objektiviert und, soweit zulässig, den Betroffenen offen dargelegt werden. Die Lehre im Rahmen der Fortbildungsstufe C sollte nach den Grundsätzen zeitgemäßer Erwachsenenbildung gestaltet werden. Die eigenverantwortliche Gestaltung durch Lehrende und Lernende ist soweit wie möglich darzustellen.
Neben der Vermittlung von Grundlagenwissen und Fachkenntnissen in den Führungsgrundgebieten sollte die Kenntnis von den Methoden und der Systematik wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens vertieft werden. Die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Politik, Gesellschaft und Streitkräften und deren gegenseitiger Abhängigkeit soll gleichberechtigt neben der Vermittlung von Fachwissen für bestimmte Aufgaben in der Bundeswehr stehen.
Für die Aus- und Weiterbildung von Offizieren für Spitzenverwendungen im Rahmen der Fortbildungsstufe D sind die noch fehlenden Voraussetzungen sobald wie möglich zu schaffen. Ziel dieser Fortbildungsmaßnahme muß es sein, den Spitzenkräften der Bundeswehr, die nach mehr als 20 Jahren Dienstzeit erfahrungsgemäß über ein ausreichendes Fachwissen verfügen, einen Überblick über die politische und gesellschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland zu geben. Der Schwerpunkt der Lehre sollte daher Gesamtpolitik sein. Zusammen mit Spitzenkräften aus anderen Ressorts und aus dem Ausland sollten die Teilnehmer auf ihre künftige Verwendung vorbereitet werden. Die organisatorischen Maßnahmen hierzu sind sobald wie möglich zu treffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum letzten Kapitel, nämlich „Bundeswehr in der Gesellschaft", komme ich auf Grund der vorhandenen Zeitbegrenzung nicht mehr. Ich möchte allerdings noch eines hier zum Schluß sagen. Wenn wir davon ausgehen, daß die Bundeswehr Spiegelbild dieser Gesellschaft ist, können wir nicht ständig über den angeblich zu geringen Bildungsstand in der Bundeswehr selbst und über die geringen Möglichkeiten im Bereich der politischen Bildung lamentieren und uns resigniert verhalten. In anderen Gesellschaftsbereichen wird sehr häufig die Aufgabe der Schulen genannt. Ich stimme dem Kollegen Möllemann völlig zu, wenn er sagt, es ist fast ein Skandal, daß die KMK - ich habe sie kürzlich im Ausschuß etwas bissig als Teich voll schnatternder Enten charakterisiert - in dieser Hinsicht, gerade was die Lehrplangestaltung betrifft, noch zu keinen Ergebnissen gekommen ist. Ich muß allerdings sagen, daß dies nicht nur in diesem Bereich der Fall ist. Beispielsweise wird bedauerlicherweise die Lehrplangestaltung in der Frage der Entwicklungshilfe und der Beziehungen zur Dritten Welt, also ein Thema, das für uns geradezu von vitalem Interesse ist und immer lebenswichtiger wird,- genauso unter Wert gehandelt, wie es in diesem speziellen Bereich auch hier der Fall ist.
Auch im Bereich der Schule gibt es nach den Umfragen, von denen wir gehört haben, sehr gute Voraussetzungen. Nach repräsentativen Befragungen sollen beispielsweise fast 80 % der Lehrer eine ausgesprochen positive Einstellung zur Notwendigkeit bewaffneter Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland zu Verteidigungszwecken haben. Das heißt, eine völlig einseitige Betrachtung, wie sie oft erfolgt, ist nicht am Platz; denn dies ist - das muß man dabei auch einmal sehen - fast ein höherer Anteil als in der Gesamtbevölkerung.
Zu diesem gesellschaftspolitischen Aspekt zählen selbstverständlich auch die öffentlichen Medien und zählen auch Verbände wie beispielsweise die Gewerkschaften. Ich freue mich - das will ich zum Schluß sagen - darüber, daß der Gewerkschaftsvorsitzende Heinz-Oskar Vetter, nachdem er auf der Kommandeurstagung gesprochen hat, in diesem Augenblick in den Vereinigten Staaten von Amerika einen Truppenbesuch macht. Dies ist für mich ein hervorragendes Zeichen dafür, in welcher Weise zwischen der Bundeswehr und der Breite unserer Arbeiterschaft, die ja auch ihre historischen Erfahrungen hat, ein Konsens geschaffen wird und in welcher Weise wir beiderseits im Sinne einer guten Zusammenarbeit wirken.
({16})
Ich möchte dem Herrn Wehrbeauftragten für seinen Bericht sehr herzlich danken. Auch ich bitte um Stellungnahme des Wehrbeauftragten hier und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
9200 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 118. Sitzung: Bonn, Freitag, den 17. November 1978
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst meinen beiden Kollegen Ernesti und Horn für ihre Arbeit als Berichterstatter danken. Wir stimmen dem Ihnen schriftlich vorliegenden Bericht zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten zu.
Meine beiden Vorredner haben sehr intensiv auf die Problematik der Inneren Führung abgehoben, die naturgemäß im Mittelpunkt der Betrachtungen gerade des Jahresberichts des Wehrbeauftragten steht, und ich möchte mich deshalb zu Beginn meiner Ausführungen auch darauf konzentrieren.
Ich glaube, wenn man seine Meinung zu diesem Komplex darlegt, ist es notwendig, daß man zunächst einmal definiert, von welcher Ausgangslage man selbst ausgeht. Innere Führung will unseres Er- achtens als politisch-moralisches, geistiges Konzept der Streitkräfte durchsetzen, daß diese sich sowohl in den Staat einordnen wie auch in die Gesellschaft integrieren. Hierzu bedarf es einer inneren Ordnung der Streitkräfte, in der sich unsere freiheitlich-demokratische Lebensordnung widerspiegelt und die den Soldaten bereit und fähig macht, seinen Auftrag zu erfüllen. Innere Führung muß von daher auch die Spannung zwischen Inpflichtnahme und Freiheitsanspruch des Soldaten ausgleichen. Sie muß das Ziel hoher Einsatzbereitschaft stets im Auge behalten. Und dies alles muß über den Menschen in der Bundeswehr erreicht werden.
Leitbild der Inneren Führung ist von daher der Staatsbürger in Uniform. Für diesen sind unumstößliche Wertmaßstäbe: die Grundnormen der persönlichen Freiheit, die Achtung der Menschenwürde und die Achtung des Rechts. All dies praktiziert sich in den Teilgebieten der Inneren Führung, nämlich denen der zeitgemäßen Menschenführung, der soldatischen Ordnung, der politischen Bildung, der Fürsorge und Betreuung und der Einweisung in die Bestimmungen des Völkerrechts. Alle diese Gebiete hängen eng miteinander zusammen und wirken aufeinander ein. Die Abhängigkeiten beziehen sich vor allen Dingen darauf, daß politische Bildung als Führungsaufgabe begriffen werden muß, da sie nicht ausschließlich durch Unterricht vermittelt wird, sondern in starkem Maß im militärischen Alltag erfahren wird.
Wir meinen nun - und hier liegt der Schwerpunkt unserer Überlegungen und Forderungen -, daß derjenige Soldat seinen Dienst zur Verteidigung der Freiheit am motiviertesten und engagiertesten versehen wird, der diese Freiheit so weit wie nur eben möglich im Dienst auch erfährt. Dies entspricht nicht nur liberaler Vorstellung, sondern auch den Notwendigkeiten moderner Menschenführung und im übrigen - ich nenne hier nur das Stichwort „Auftragstaktik" - besten und bewährtesten deutschen soldatischen Traditionen. Auch ist in guten Einheiten ein gewisses Maß an Partizipation aller Dienstgrade schon längst eine Selbstverständlichkeit.
Sicher kann die Gewährung von Freiheitsräumen nicht Mittel zum Zweck einer Effektivierung der Einsatzbereitschaft sein. Sie ist uns vom Grundgesetz aufgegeben und daher im Rahmen des notwendigen, aber nicht zu eng auszulegenden Prinzips von Befehl und Gehorsam zu verwirklichen. Daß dennoch eine Einheit, in der der einzelne so weit wie nur möglich mitgestalten kann, sehr viel besser von ihren Soldaten getragen wird und damit auch effektiver ist, hat sich häufig genug bewiesen. Ich halte es hier mit General von Kielmannsegg, der vor vielen Jahren einmal sinngemäß gesagt hat, daß auch in den Streitkräften beim Konflikt zwischen Inpflichtnahme und Freiheitsanspruch des Soldaten im Zweifel für dessen Freiheit entschieden werden sollte.
Ich habe diese Darlegung von Grundsätzen an den Anfang meiner Ausführungen gestellt, weil meine Gespräche und die meiner Kollegen - ich denke, auch aus den anderen Fraktionen - mit Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr mir in letzter Zeit zunehmend zeigen, daß sich Innere Führung in der Vorstellung vieler Verantwortlicher auf ein bloßes Führungsinstrumentarium reduziert, das, auf reine Effektivität ausgerichtet, nicht mehr will, als der Maschine Bundeswehr das nötige Ö1 zu geben.
Bei diesem beschränkten Verständnis von Innerer Führung kommt aber nur allzu leicht der politische Bezug abhanden, wird allzu schnell das Ziel aus den Augen verloren, das der Wehrbeauftragte in voller Übereinstimmung mit unserer Position wie folgt beschreibt - ich zitiere -:
Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland hat zum Leitbild einen freien, mündigen Bürger, der an der politischen Gestaltung seines Staates aktiv mitarbeitet, dessen Zuverlässigkeit und Einsicht die Verwirklichung der demokratischen Prinzipien garantiert. Unsere streitbare Demokratie braucht den Bürger, der sich der in ihr geltenden Verhaltensnormen bewußt und aus Überzeugung bereit ist, sich entsprechend zu verhalten.
({0})
Wir Freien Demokraten legen Wert darauf, daß folgende von der Bundesregierung wie vom Parlament bereits 1968 festgelegten Ziele der politischen Bildung beachtet werden: Möglichst objektive Informationen über Faktoren und Funktionszusammenhänge politischer Prozesse zu geben; das politische Problembewußtsein, die politische. Urteilsfähigkeit und Urteilsbereitschaft zu entwickeln; die Erkenntnis des eigenen Standorts im Rahmen der Gesamtgesellschaft zu fördern; zur Bejahung der Grundwerte der. freiheitlichen Demokratie zu führen; die Fähigkeit zu politischem Handeln zu entwickeln und das Wesen demokratischer Spielregeln bewußt zu
machen und demokratische Verfahrensweisen einzuüben.
Halten wir uns einmal die Entwicklung dessen vor Augen, was wir heute politische Bildung in der Bundeswehr nennen, so zeigen schon die ursprünglichen für diesen Bereich gebräuchlichen Bezeichnungen „psychologische Rüstung" und „geistige Rüstung" die Entwicklungstendenzen, die zur politischen Bildung von heute geführt haben. In der Phase des Kalten Kriegs war die politisch-weltanschauliche KomMöllemann
ponente für den staatsbürgerlichen Unterricht bestimmend. Grundorientierung sollte den Soldaten gegen die Herausforderungen der psychologisch-ideologischen Auseinandersetzung wappnen. Der Soldat war mehr oder weniger passiver Empfänger einer wesentlich auf seine Gefühle zielenden Ansprache. Der im Jahre 1966 herausgegebene Erlaß „Geistige Rüstung" beschrieb deren Aufgabe wie folgt: „die Vermittlung klarer Vorstellungen über die staatsbürgerlichen Pflichten und Rechte der Soldaten in Krieg und Frieden, über das Wesen der demokratischen Grundordnung wie ihrer Werte, über den Charakter totalitärer Lebensformen, ferner über die geistig-seelischen Belastungen des Soldaten in Kriegssituationen".
Vor dem Hintergrund des Umdenkens in der Gesellschaft wurde Anfang der siebziger Jahre offensichtlich, daß eine so bundeswehrspezifische Aufgabenstellung nicht mehr zeitgemäß war. Die im Jahre 1973 herausgegebene Vorschrift betonte daher auch, daß Gleichklang zwischen den Zielen politischer Bildung in der Bundeswehr und den Zielen politischer Bildung in anderen Bereichen der Gesellschaft notwendig sei. Im Unterschied zu den vorangegangenen Vorschriften gibt die zentrale Dienstvorschrift zur politischen Bildung 12/1 dem Gedanken weiten Raum, Demokratie, demokratische Gepflogenheiten und Verfahren bei Beachtung des Prinzips von Befehl und Gehorsam in den Streitkräften zu praktizieren. Damit zeigte sich eindeutig der Wille, in politischer Bildung weit mehr als nur die politische Unterrichtung oder gar die passive Rezeption von Wissensinhalten zu sehen. Dieser Wille wurde in den Jahren nach Erlaß der Vorschrift mehrfach bekräftigt. Im Rahmen von Befehl und Gehorsam sollten sich die Truppenführer bemühen, die aus der demokratischen Umwelt entlehnten Inhalte und Zielvorstellungen im Truppenalltag auch Realität werden zu lassen.
Im gleichen Sinne begegnete der Verteidigungsminister bei seiner Ansprache zum 20. Gründungstag der Schule für Innere Führung der Kritik, die Inhalte der geltenden Vorschrift, z. B. freiheitlichdemokratische Grundordnung, Grundrechte, seien zu abstrakt und könnten nicht erfolgreich vermittelt werden. Ich zitiere den von uns nach wie vor sehr geschätzten Georg Leber:
Wenn sich diese Themen mit dem Leben und dem alltäglichen Dienst des Soldaten verknüpfen, dann sind sie eben nicht blasse Theorie, dann sind sie konkret, und dann wird auch Interesse wach.
Für eine intensivere Praktizierung dieses Prinzips der Teilhabe zu sorgen muß unser wesentliches Anliegen sein. Für sehr wesentlich halten wir daher die Durchsetzung auch folgender Bestimmungen der Vorschrift politische Bildung:
Politische Bildung prägt den Dienst des Soldaten und wirkt in alle Ausbildungsbereiche. Sie fördert, insbesondere durch dialogische Formen, Partnerschaft und kooperativen Führungsstil; sie stärkt das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit in der Kampf- und Dienstgemeinschaft; sachliche Argumentation erleichtert die Einsicht in die Notwendigkeit der besonderen Strukturen militärischer Organisation; Miteinander-Sprechen fördert gegenseitiges Verständnis und Rücksichtnahme.
Was diese Vorschrift befiehlt, wird aber noch von zu wenigen Einheiten und Verbänden vollzogen. Warum z. B., so frage ich mich, ist es immer noch die Ausnahme, daß auch Mannschaftsdienstgrade in Fragen der Fürsorge, der Betreuung, aber auch der Organisation regelmäßig und institutionalisiert zu Rate gezogen werden? Warum wird das Vertrauensmännergesetz immer noch nicht in allen Einheiten und Verbänden mit allen seinen Möglichkeiten ausgeschöpft?
({1})
Warum ist die vom Generalinspekteur befohlene regelmäßige Zusammenkunft der Vertrauensleute auf Bataillons- und anderen Ebenen immer noch nicht Teil des Vertrauensmännergesetzes?
({2})
Hier muß der Schwerpunkt zukünftiger Bemühungen liegen, wenn die unterrichtete staatsbürgerliche Bildung glaubwürdigeren Hintergrund bekommen soll, wenn die Motivation, vor allem der Wehrpflichtigen, stärker werden soll, wenn wir dem Leitbild des mündigen, aktiv mitwirkenden Staatsbürgers näherkommen wollen.
Freilich ist auch in den Bereichen der unterrichteten politischen Bildung, der zeitgemäßen Menschenführung, der Fürsorge und Betreuung und des Personalwesens noch vieles verbesserungsbedürftig. Die schönsten Worte im staatsbürgerlichen Unterricht werden so lange nicht helfen, wie der Soldat belastet und verärgert sein wird über mangelnde Wohnungsfürsorge, übermäßige Dienstzeitbelastung, unzureichende Möglichkeiten der Familienheimfahrt, Kommandierung zu Lehrgängen in weit entfernte Standorte trotz gleicher Lehrgangsmöglichkeiten in nahegelegenen Orten, unterschiedliche Beförderungszeiten trotz gleicher Leistung usw. Zu diesem Problembereich wird im zweiten Durchgang mein Kollege Walther Ludewig Stellung beziehen.
Ich will im folgenden noch zu den Bereichen der politischen Bildung und zur zeitgemäßen Menschenführung sprechen, auch im Zusammenhang mit der endgültigen Konzeption zur Heeresstruktur, zur Offiziersausbildung, zur Schule der Bundeswehr für Innere Führung und zu den Hochschulen der Bundeswehr.
Schon vor zwei Jahren - ich möchte dies aus gutem Grund zitieren - haben wir zum Themenkomplex Innere Führung folgendes festgestellt:
Die politische Bildung in der Truppe muß qualifizierter werden. Entgegen den Auffassungen des Wehrbeauftragten
- das war vor zwei Jahren weist die Innere Führung in Theorie und Praxis
noch erhebliche Mißstände auf. Menschenführung und Fürsorge leiden unter einem immer
stärker um sich greifenden Spezialisten- und Funktionärstum. Der Mensch wird Mittel zum Zweck. Verbessert werden muß der Führungsstil durch mehr Delegation, um Entscheidungsfreude, Verantwortungsbereitschaft und geistige Mobilität zu erhöhen. Jede Möglichkeit der Mitgestaltung der Soldaten aller Ebenen muß genutzt werden. Das Betriebsklima muß verbessert werden durch stärkeres Hervorheben der Menschenführung. Dies erfordert eine Führungswahl, welche die Fähigkeiten und Kenntnisse in Fürsorge, Menschenführung und politischer Bildung stärker berücksichtigt. Dies muß auch für die Beurteilungen der Führer gelten. Einführung partnerschaftlicher Unterrichtsmethoden und Verwirklichung der in der zentralen Dienstvorschrift 12/7 geforderten zeitgemäßen Lernziele und Lehrinhalte. Diese müssen die Notwendigkeit des Verteidigungsauftrages zwar in den Mittelpunkt stellen, aber auch die Notwendigkeit der Fortsetzung der Entspannungspolitik betonen. Dies kann nur verwirklicht werden, wenn die Schule für Innere Führung moralisch, personell und organisatorisch stärker unterstützt wird. Die Besuche von Lehrgängen für Innere Führung und politische Bildung für Kommandeure und Einheitsführer müssen obligatorisch werden. Der Anteil der politischen Bildung am Gesamtausbildungsplan ist zu erhöhen.
({3})
Gelingt eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der Inneren Führung nicht, ist zu befürchten, daß die Bundeswehr den geistigen Anschluß an die Umwelt verliert. Die Durchführung ihres Auftrages wäre dann in Frage gestellt.
Dies sind Aussagen aus unserem Arbeitsprogramm, das wir vor zwei Jahren niedergelegt haben. Ich denke, sie haben ihre Aktualität nicht nur damals gehabt, sondern sie auch heute behalten. Wir freuen uns über die Übereinstimmung mit dem Wehrbeauftragten in diesem Bereich, jedenfalls in vielen Punkten.
Wie der Wehrbeauftragte haben wir selbst auch bis ins einzelne gehende Vorschläge unterbreitet, vor allem zur Ausbildung der Ausbilder im Bereich der politischen Bildung auf Kompanieebene. Wir haben uns an die Ständige Konferenz der Kultusminister, deren Arbeitsschwierigkeiten Sie, Herr Kollege Horn, einigermaßen klar und präzise umschrieben haben, mit der Bitte gewandt, die politische Bildung auch im Themenbereich der Friedenserziehung und Sicherheitspolitik zu verbessern. Wir haben das aus der Erkenntnis heraus getan, daß die Bundeswehr auch dort, wo sie dem Soldaten ihren Auftrag deutlich machen muß, auf gesamtgesellschaftliche Anstrengungen angewiesen ist.
Wir begrüßen, daß zahlreiche dieser Anregungen inzwischen durch den Bundesminister der Verteidigung in die Tat umgesetzt worden sind. Ich nenne hier die Herausgabe der Aufklärungsschrift über den Nationalsozialismus, die Herausgabe didaktischer Materialien, die Intensivierung der Informationstagungen und der pädagogischen Ausbildung der
Ausbilder, die Anfänge bei der Erschließung moderner Ausbildungstechnologien, die Weisung, auch Leistungen auf dem Gebiet der Inneren Führung in der Beurteilung zu berücksichtigen, die neue Aufgabenstellung der Schule für Innere Führung sowie den Beschluß, die 15monatige Offiziersanwärterzeit besser auf die Belange des zukünftigen Vorgesetzten zuzuschneiden.
Als Frage stellt sich, ob die endgültige vom Bundesminister der Verteidigung vorgestellte Konzeption der neuen Heeresstruktur tatsächlich mit den Schwierigkeiten der Menschenführung aufgeräumt hat, welche der Wehrbeauftragte in seinem Bericht bezüglich der ursprünglich angestrebten Strukturreform geschildert hat. Auch wir meinen, daß der Wehrbeauftragte weiterhin sein kritisches Auge auf diese Frage richten sollte.
Zu fragen ist auch, ob und mit welchem Erfolg das Bundesministerium der Verteidigung, wie in seiner Stellungnahme zum Bericht des Wehrbeauftragten versprochen, Kontakt zur Kultusministerkonferenz aufgenommen hat. Sollten noch keine Kontakte aufgenommen oder Absprachen getroffen worden sein, bleibt zu hoffen, daß die Bemühungen des Verteidigungsministeriums und vielleicht auch der Fraktionen gegenüber ihren Pendants in den Ländern in dieser Sache intensiv und erfolgreich sein werden. Bisher jedenfalls scheint der Erfolg noch nicht sehr groß und die Kooperation Schule-Bundeswehr auch im kurrikularen Bereich wesentlich den Jugendoffizieren vor Ort überlassen zu sein.
Auch nicht einverstanden sind wir mit der Tatsache, daß sich der Bundesminister der Verteidigung nicht zur Anregung des Wehrbeauftragten geäußert hat, den Traditionserlaß in eine Sprache zu setzen, die von jungen Menschen überhaupt erst einmal verstanden wird. Wir regen zusätzlich an, den Traditionserlaß auch inhaltlich stärker auf die Traditionen zuzuschneiden, die aus Handlungs- und Opferbereitschaft für Freiheit und Recht in unserer Geschichte und unserer Gegenwart erwachsen sind. Wir meinen nämlich, Herr Kollege Ernesti - und hier habe ich Bedenken gegenüber Ihrer Darstellung -, daß Opferbereitschaft und Handlungsbereitschaft eben nicht losgelöst von dem gesehen werden dürfen, wofür sie erbracht worden sind.
({4})
Wir meinen, sie können nur dann Gegenstand der Tradition sein, wenn sie für Freiheit und Recht eingesetzt wurden.
({5})
- Wenn das so gemeint war, nehme ich das hier zur Kenntnis. Dies war mehr eine Frage. Wir wollten unsere Position so verdeutlichen.
Auch im Bereich soldatischer Tradition gibt es genügend Anknüpfungspunkte. Die Reformer um Scharnhorst und Gneisenau, ihr politisches Wollen und Handeln sind immer noch zu wenig Bezugspunkt im Denken der Bundeswehrangehörigen. Wir sind dem Wehrbeauftragten dankbar dafür, daß er
Scharnhorst in seinem Bericht mit den Worten zitiert hat:
Das neue Militär wird in einem anderen Geist sich seiner Bestimmung nähern und mit den Bürgern des Staates in ein inniges Bündnis treten. Alle Anforderungen müssen zu diesem allgemeinen Zweck sich die Hand bieten, um soldatischen Geist von neuem zu beleben.
Soweit das Zitat von Scharnhorst.
Heute, 171 Jahre später, befürchtet ein hoher Offizier der Bundeswehr einen „geistigen Einbruch in das junge Offizierscorps der Bundeswehr, wenn die Hochschulen der Bundeswehr für zivile Studenten geöffnet werden". Auch die politische Leitung scheint nicht sonderlich entschlossen, die Hochschule auch für zivile Studenten nutzbar zu machen.
Ich darf von hier aus feststellen: Die Freien Demokraten treten weiterhin nachdrücklich für die beschleunigte, in Hamburg auch staatsvertraglich festgelegte Öffnung der Hochschule ein. Dies ist eine Zielsetzung, über die wir uns mit Georg Leber einig waren.
Lassen Sie mich allerdings einige Fragen anschließen: Wie glaubt die Bundeswehrführung die Überkapazitäten an der Hochschule der Bundeswehr vor dem Hintergrund des Numerus clausus und der Überlastquote an zivilen Hochschulen länger vertreten zu können? Traut die Bundeswehrführung ihren jungen Offizieren nicht so viel geistig-politische Eigenständigkeit zu, daß ein gemeinschaftliches Studium mit zivilen Studenten ohne Gefahr für sie möglich ist? Ich darf sagen, wir jedenfalls halten die jungen Offiziere für demokratisch so gefestigt, daß für sie eine geistige Auseinandersetzung mit Andersdenkenden nicht Gefahr, sondern Chance bedeutet, eine Chance auch insofern, als diese Offiziere vor allem die wehrpflichtigen Soldaten, für die sie einmal verantwortlich sein werden, sehr viel besser verstehen und damit auch besser führen werden.
In diesem Zusammenhang weise ich auch noch einmal auf die Notwendigkeit hin, das Anleitstudium zu intensivieren und Formen der Vertretung für die Hochschulstudenten zu finden, die ein Höchstmaß an Mitgestaltung im derzeitigen Rahmen von Befehl und Gehorsam erlauben. Dabei müssen die hochschulspezifischen Gegebenheiten eines akademischen Studiums berücksichtigt werden, die es nicht gestatten, den Rahmen von Befehl und Gehorsam so eng zu ziehen wie in der Truppe. Es ist vielmehr nötig, ihn so weit wie möglich zu stekken, ja, ich meine sogar, zu überprüfen. Nur wer schon als junger Offizier gelernt hat mitzugestalten, wird später dem von der Vorschrift befohlenen Grundsatz der kooperativen Führung gerecht werden.
Nun wird immer wieder die sogenannte Baustellensituation an der Hochschule der Bundeswehr zur Begründung dafür genommen, daß die Aufnahme ziviler Studenten noch nicht möglich sei. Wir könnten für diese Situation Verständnis aufbringen, wenn sie nicht dazu benützt würde, die Baustelle Hochschule der Bundeswehr zu einer militärischen Bastion auszubauen, die dann ein kooperatives Verhältnis und ein konstruktives Verhältnis von zivilen und militärischen Studenten an der Hochschule der Bundeswehr unmöglich machen würde. Dies geschieht aber, wenn sich die in Erwägung gezogenen Maßnahmen der Einzäunung, der Dienstaufsicht, in der so weit gegangen werden soll, daß ältere Studenten jüngere beaufsichtigen, und andere gleichgerichtete Vorhaben durchsetzen. Bei dergleichen - dies muß ich Ihnen klar und eindeutig sagen - können Sie von uns keine Unterstützung erwarten.
Hingegen unterstützen wir jede Maßnahme, die den Studenten der Hochschule der Bundeswehr ihr Studium und das erfolgreiche Ablegen der Prüfungen ermöglicht. Wir begrüßen daher, daß die Einführung eines Regietrimesters erwogen wird, das geeignet sein kann, die gedrängte Zeit des eigentlichen Studiums zeitlich ein wenig zu strecken und so den studierenden Offizier zu entlasten.
Meine Damen und Herren, alles, was ich versucht habe zur Problematik „Hochschule der Bundeswehr" darzulegen, berührt auch die Problematik der Inneren Führung in ihrem Kern und läßt sich auf die Feststellung reduzieren, daß den Forderungen nach Integration und nach dem Staatsbürger in Uniform, der geistig-politisch seiner Führungsverantwortung entsprechend ausgestattet ist, noch nicht Genüge getan worden ist.
Nun einige Bemerkungen zur Schule der Bundeswehr für Innere Führung. Wir werden sehr genau beachten, wie der neue Auftrag dieser Schule durchgeführt werden wird. Wir werden dabei zunächst darauf achten, daß die Schule hierfür die notwendigen personellen und materiellen Ausstattungen überhaupt und so rechtzeitig erhält, daß sie die ihr gesetzte Frist noch einhalten kann. Ich bin Ihnen, Herr Kollege Horn, sehr dankbar, daß Sie dies gemeinsam mit uns tun wollen. Ich denke, hier werden wir die Vertreter des Ministeriums noch ein wenig ermuntern müssen.
Wir begrüßen, daß nach und nach solche Offiziere in die Schlüsselstellung der Inneren Führung einrücken, die auch in anderen Bereichen ihres Berufes Beispielgebendes geleistet haben. Nur solche Offiziere sind nämlich geeignet, die Innere Führung auch mit Erfolg innerhalb der Bundeswehr zu vertreten.
Wir begrüßen, daß unsere Forderung nach Kommandeurlehrgängen an der Schule für Innere Führung nun doch berücksichtigt worden ist. Bei allem Verständnis dafür, daß dort die Probleme der Inneren Führung konkret angegangen werden müssen, halten wir es für dringend erforderlich, daß in erster Linie die politischen Dimensionen der Inneren Führung deutlich gemacht werden. Nur der politische Ansatz, meine Damen und Herren, erlaubt eine Lösung der derzeitigen Probleme. Das wird wohl am Beispiel dessen, was ich zur Schule der Inneren Führung sagte, besonders deutlich.
Liebe Kollegen, lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema parteipolitische Werbung in den Kasernen und zur notwendigen Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes sagen.
Zum Thema „parteipolitische Werbung durch Parteiaufkleber" hat der Wehrbeauftragte das Bundesverfassungsgericht zur Bestätigung seiner Rechtsansicht zitiert. Wir schließen uns der Auffassung an, daß die Bundeswehr wegen der Besonderheiten ihres Auftrages nicht Schlachtfeld parteipolitischer Auseinandersetzungen werden darf. Wir sehen auch ein, daß ein Soldat in seiner dienstfreien Zeit nicht gegen seinen Willen in eine politische Auseinandersetzung gedrängt werden darf, zumal der Soldat in der Kaserne seine Privatsphäre nur unter wesentlich erschwerten Bedingungen schützen kann. Wir meinen aber andererseits auch, daß das Mitführen eines parteipolitischen Aufklebers eigentlich niemanden parteipolitisch besonders bedrängen kann, der sich nicht unbedingt bedrängt fühlen will.
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Hier geht man unseres Erachtens zu weit in der Einschränkung der parteipolitischen Betätigung und gefährdet damit de facto die Einsicht in wirklich notwendige Beschränkungen, die wir nicht bestreiten wollen.
Mir erscheint es daher angebracht, § 15 des Soldatengesetzes der von uns gewünschten weniger rigiden Situation anzupassen, so wie dies für die Zivilbediensteten ja ganz zweifelsfrei ohnehin schon gilt.
({7})
Ein Beispiel hierfür könnte für uns das Betriebsverfassungsgesetz sein.
Zum Wehrbeauftragtengesetz. Wir schließen uns der Meinung des Wehrbeauftragten an, daß eine Novellierung dieses Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode erfolgen muß. Schwerpunkte der Novellierung sollten sein: eine eindeutige Fassung von § 2, die verhindern muß, daß Doppeluntersuchungen möglich bleiben und daß das Hilfsorgan Wehrbeauftragter so wider Willen zum Schiedsrichter zwischen Verteidigungsausschuß und Verteidigungsminister oder zwischen wechselnden Mehrheiten des Verteidigungsausschusses werden könnte. § 16 des Wehrbeauftragtengesetzes sollte so gefaßt werden, daß der Wehrbeauftragte als Hilfsorgan des Parlaments so in den Bundestag eingebunden ist, daß die volle Effektivität dieser Einrichtung gewährleistet ist. Zudem sollte tatsächlich auch die Möglichkeit eines Anhörungsrechts geprüft werden.
Ich fasse zusammen. Der Bundesminister der Verteidigung sagt auf Seite 83 in seiner Erwiderung auf den Bericht des Wehrbeauftragten - ich zitiere -:
Die durch Technisierung und Arbeitsteilung bedingte Kooperation in den Streitkräften fördert die Eigenständigkeit und Mitverantwortung der Soldaten im Sinne des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform. Sie weckt Verständnis für demokratische Verfahren ... Das Bundesministerium der Verteidigung sieht deshalb insgesamt auch nicht die Gefahr, daß der Soldat „als politisch denkender und handelnder Staatsbürger ... immer mehr an den Rand des Geschehens zu geraten droht". Nach den Beobachtungen des Bundesministeriums der Verteidigung engagieren sich immer mehr Soldaten für politische Parteien und Verbände. In Stadt- und Gemeinderäten wie in Kreistagen wirken viele aktive, in Landesparlamenten und im Bundestag mehrere beurlaubte Soldaten mit ...
Diese Kernaussage in der Stellungnahme des Verteidigungsministers trifft genau - und zwar daneben. Das hat auch der Kollege Horn bereits gesagt.
Zunächst einmal ist allein schon die Beweisführung abwegig. Eine angemessene Zahl von Soldaten in den Parlamenten ist zwar gut und notwendig - das möchte ich auch unterstreichen -, aber .darüber, ob der politisch denkende Staatsbürger von Technisierung, Organisation und Bürokratie in der Bundeswehr an den Rand gedrängt wird, sagt die Zahl der Soldaten als Mandatsträger überhaupt nichts aus. Im übrigen zeugt die zitierte Aussage auch von genau der verkürzten Sicht der Dinge, die ich mehrfach beschrieben habe. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu absurd, daß das Referat im Bundesministerium der Verteidigung, ,das für politische Bildung zuständig war, aufgelöst worden ist und diese Aufgaben einem Hilfsreferenten übertragen wurden.
Wir sehen die Dinge anders und meinen: Der Wehrbeauftragte hat recht, wenn er zur Lage der Inneren Führung feststellt, daß der Soldat als technisch ausgebildeter und führender Spezialist zunehmend Kooperation und Teamgeist erlebt, als politisch denkender und handelnder Staatsbürger - und ich füge hinzu: als Mensch überhaupt - jedoch immer mehr an den Rand des Geschehens zu geraten droht. Der Wehrbeauftragte trifft die Situation genau, wenn er sagt, daß Menschenführung und politische Bildung vernachlässigt werden, weil bei Planung und Durchführung Kriterien der Technik und der Organisation, nicht aber der Mensch im Mittelpunkt stehen.
Was hinter diesen Worten im Truppenalltag an Belastungen und Unmut steht, ist mit Worten nur sehr schwer zu beschreiben. Wir haben dieses Problem erkannt und, wie ich sagte, eine Reihe von Vorschlägen zur Abhilfe gemacht. Wenn ich freilich daran denke, daß der sehr geschätzte Kollege Wörner noch vor wenigen Monaten auf dem sicherheitspolitischen Kongreß seiner Partei kundgetan hat, nach seiner Meinung lägen die wahren Probleme - was immer das sein mag - nicht im Bereich der Inneren Führung und der politischen Bildung, dann habe ich doch meine Zweifel, ob der Grundsatz, der sich in der Debatte an sich als gemeinsam vertreten herausgestellt hat, wirklich von allen geteilt wird.
Herr Kollege Wörner, Sie haben mir einmal geraten, ich solle doch erst einmal die Truppe besuchen. Ich gebe Ihnen diesen Rat mit aller Freundlichkeit und Herzlichkeit zurück.
({8})
Vielleicht interessiert es Sie, daß ein gesamtes
Korps der Bundeswehr eine Bestandsaufnahme zur
Inneren Führung gemacht hat. Diese BestandsaufMöllemann
nahme eines gesamten Korps hat alles das, was
der Wehrbeauftragte, was wir, was andere mahnend
dargelegt haben, völlig bestätigt.
Wir sind alle gemeinsam verpflichtet, im Interesse der Bundeswehr und der Menschen in ihr alles zu unternehmen, was Abhilfe schaffen kann. In diesem Sinne danke ich dem Wehrbeauftragten für seinen Bericht.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Weiskirch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die grundsätzlichen Ausführungen meines Kollegen Ernesti durch einige Anmerkungen zu Details aus dem Jahresbericht des Wehrbeauftragten ergänzen. Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat am 26. August dieses Jahres in seiner ersten - auch in der Öffentlichkeit als programmatisch empfundenen - Rede im neuen Amt vor dem Sicherheitspolitischen Forum der SPD in Kassel die Auffassung der Bundesregierung zu den verschiedenen verteidigungspolitischen Problemen vorgetragen: auf insgesamt 40 Schreibmaschinenseiten. Entspannungspolitik, NATO-Strategie, Beschaffungsprogramme, Waffensysteme - das alles wurde angesprochen und behandelt. Beeindruckende Zahlen wurden dabei bekannt, beispielsweise daß die Ausmusterung und die Neueinführung von Waffen bis Ende der 80er Jahre rund 40 Milliarden DM verschlingen werden.
Ich erinnere Sie, meine Damen und Herren, an diese Rede, weil Herr Minister Apel zur Situation der Menschen, die mit alledem zu tun haben, also vor allem der Menschen in der Bundeswehr, genau elf Zeilen in seinem Manuskript hatte - etwa so: daß „über allem Materiellen, was zur Verteidigungsfähigkeit nötig ist, der Mensch nicht vergessen werden" dürfe.
Nun sollte sich das Verteidigungsministerium eigentlich der besonderen Fürsorgepflicht für Menschen, für viele Menschen immer bewußt sein; schließlich steht es für eine halbe Million da: Soldaten und Zivilbedienstete. Aber wenn man den Bericht des Wehrbeauftragten zusammen mit den Anmerkungen oder auch den fehlenden Anmerkungen des Ministeriums liest, kommen einem begründete Zweifel. Ich brauche nur an die Ausführungen der Kollegin Frau Matthäus-Maier hier vor einer Woche zu erinnern.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen, das zum Bereich des Wehrbeauftragten und zu seinem Jahresbericht zurückführt. Bereits in seinem Bericht von 1975 hatte der Wehrbeauftragte darauf hingewiesen, daß es beträchtliche Unklarheiten und rechtliche Unsicherheiten gebe, wenn die Teilnahme von Soldaten in Uniform an Veranstaltungen von Berufsorganisationen beurteilt werden müsse. In seinem neuen Bericht hat der Wehrbeauftragte wiederum auf diesen Mißstand hinweisen müssen.
Der Hintergrund ist denkbar einfach. Es nehmen offenbar in wachsendem Maße Soldaten in Uniform an Veranstaltungen von Vereinigungen und Parteien teil, die von Soldaten in Uniform eigentlich nicht besucht werden dürften. Wie nun äußert sich das Ministerium dazu? Das Ministerium gibt die lapidare - aber wie sich in der seitherigen Praxis zeigt: auch nichtssagende - Auskunft: „... die Anregung ... wird aufgegriffen. Es wird geprüft, ob und in welcher Form der Erlaß geändert werden kann."
Ich möchte mir dazu zwei Bemerkungen erlauben.
Erstens. Spätestens seit dem Bericht des Wehrbeauftragten von 1975 weiß also das Verteidigungsministerium, daß es hier Unklarheiten und Schwierigkeiten gibt, Schwierigkeiten, die letztlich die Disziplinarvorgesetzten vor Ort ausbaden müssen. Die aber werden - nun seit mindestens drei Jahren - in dieser Frage im Regen stehengelassen.
({0})
Zweitens. Es ist unbegreiflich, ja paradox, wenn der Verteidigungsminister auf der einen Seite eine „Entbürokratisierungskommission" berufen zu müssen glaubt, auf der anderen Seite aber offenbar nur geprüft und in den Problemen herumgestochert wird.
({1})
Als einem, der in den 50er Jahren die deutsche Wiederbewaffnung mit sehr viel kritischen Artikeln begleitet und dabei in der - damals noch sehr frischen - Erinnerung an den „Kommiß" des Dritten Reiches vor allem die unveräußerlichen Grundrechte eines jeden Soldaten großgeschrieben hat, ist mir - ich muß schon sagen: außerordentlich peinlich - aufgefallen, daß dem Ministerium zum Kapitel „Grundrecht der Würde des Menschen" nicht ein einziges kommentierendes Wort eingefallen ist, obwohl der Wehrbeauftragte Beispiele für eklatante Verletzungen dieses Grundrechts in seinem Bericht anführt. Herr Kollege Ernesti hat heute morgen darauf hingewiesen.
Sie wissen so gut wie ich, daß solche Verstöße oft größte Publizität nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland finden und am Bild der gesamten Bundeswehr ihre Kratzer hinterlassen.
({2})
Man hat sich dazu die gängig gewordene Erklärung einfallen lassen, daß gerade jüngere Ausbilder halt überfordert seien und nicht immer gleichzeitig Fachmann und Führer sein könnten. Wenn das aber so ist, meine Damen und Herren, warum wird dann nicht energisch auf Abhilfe gesonnen?
({3})
Meine Fraktion, aber auch die Kollegen der Koalitionsparteien haben doch oft genug darauf hingewiesen, daß hier etwas passieren müsse. Wie oft ist das im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages gesagt worden! Wenn es gilt, daß - ich zitiere hier Herrn Minister Apel aus seiner Kasseler Rede noch einmal - der Mensch nicht vergessen werden darf, „der Soldat, der allein und im Zusam9206
Weiskirch ({4})
menspiel mit Kameraden und innerhalb der Kommandohierarchie erst die Fähigkeiten, die in Waffen stecken, realisiert und dabei verantwortlich, gewissenhaft und loyal handeln muß" - wenn das gilt, meine Damen und Herren, dann müssen aber auch Konsequenzen gezogen und dann dürfen zu diesem Kapitel vom Verteidigungsministerium keine leeren Blätter angeboten werden.
„Prüfen"? Natürlich hat das Ministerium zu prüfen - aber es hat auch zu handeln!
Der Wehrbeauftragte greift sodann eine Frage auf, die in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit eine bemerkenswerte Rolle gespielt hat: die Familienheimfahrten für Wehrpflichtige. Diese kostenlosen Familienheimfahrten werden nur von 38 % der Wehrpflichtigen, genutzt, und zwar deshalb, weil es, wie Sie wissen, eine Erstattung nur für öffentliche Verkehrsmittel gibt. Weil 62 % der Wehrpflichtigen zur Heimfahrt das eigene oder das Auto von Kameraden benutzten, die vorgesehenen Haushaltsmittel also nur knapp zur Hälfte ausgeschöpft werden, ist es dem Verteidigungsminister natürlich überhaupt nicht schwergefallen, ab 1. Januar 1979 eine zweite Gratis-Heimfahrt im Monat für die Wehrpflichtigen anzukündigen. Aber - so frage ich Sie - was hat das nach mit Gerechtigkeit und mit gleichen Chancen zu tun, wenn man nach der Devise „Wer nicht will, der hat schon" die Mehrheit der wehrpflichtigen Soldaten erst gar nicht bedient?
({5})
Sie wissen, daß sich meine Fraktion dafür ausgesprochen hat, den Wehrpflichtigen die vorgesehenen Familienheimfahrten wahlweise als Freifahrt zweiter Klasse Bundesbahn zwischen Standort und Wohnort zu erstatten oder ihnen den Betrag, den diese Fahrkarte kostet, bar auszuzahlen. Dieser Vorschlag ist bei den Kollegen von der SPD, auch im Bundesministerium der Verteidigung und - warum sollte ich das leugnen - auch in der Öffentlichkeit auf Kritik gestoßen. Wichtigstes Motiv für diese Kritik: die sich massierenden Autounfälle gerade an den Wochenenden. Dabei wird mehr oder minder pauschal unterstellt, daß gerade junge Soldaten mit besonders hohen Quoten an diesen Unfällen beteiligt seien, schon weil sie - auch das wird unterstellt - nicht gerade die fahrtüchtigsten Autos benutzen.
Natürlich hat es bedauerlicherweise immer wieder Kraftfahrzeugunfälle gegeben, bei denen auch Wehrpflichtige getötet worden sind. Auf eine gezielte Anfrage des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, meines Kollegen Manfred Wörner, hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung am 9. Februar 1978 aber folgendes mitgeteilt - ich zitiere -:
Die Zahl der bei außerdienstlichen Kraftfahrzeugunfällen tödlich verunglückten Soldaten lag mit 343, davon 180 Wehrpflichtige ({6}), gleichbleibend hoch. Die Mehrzahl der außerdienstlichen tödlichen Kraftfahrzeugunfälle ereignet sich nicht bei der Durchführung von Familienheimfahrten, sondern während der Freizeit und des Nachturlaubs im Standort.
Der Kollege Möllemann von der SPD-FDP, Entschuldigung - ({7})
- Entschuldigen Sie, nach Ihrem letzten Parteitag kann man da nicht mehr so genau differenzieren, Herr Möllemann. - Der Kollege Möllemann von der FDP vertritt hier offenbar die gleiche Ansicht wie "wir. Ja, er hat uns vor kurzem sogar beschuldigt, wir hätten mit unserem Antrag Wort für Wort bei ihm abgeschrieben. - Er sollte mal nachlesen, was Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion schon vor Jahr und Tag zu diesem Thema gesagt haben. Aber er denkt offenbar wie wir, wenn ich lese, was er zu dem Thema in der Zeitschrift „Loyal" vom Oktober dieses Jahres geschrieben hat - ich darf zitieren -:
Niemand kommt auf die Idee, - schreibt Möllemann Bundestagsabgeordneten, die die Bundesbahn kostenlos benutzen können, nahezulegen, auf Fahrten mit dem eigenen Pkw zu verzichten. Deshalb sollte man künftig auch von einer Bevormundung der jungen Bundeswehrsoldaten absehen.
Das ist auch unsere Meinung. Wer will denn eigentlich die Wehrpflichtigen ernsthaft daran hindern, das Auto zu benutzen? Ein großer Teil von ihnen macht Dienst in abgelegenen Standorten ohne Bahnstation. Ein weiterer Teil muß vom abgelegenen Standort auch noch einen abgelegenen Wohnort erreichen. Gerade im betroffenen ländlichen Bereich hat man zu allem Überfluß in den letzten Jahren auch noch die letzten Bundesbahnstrecken stillgelegt. Hat der Bundesverteidigungsminister etwa die Absicht, seinen Kollegen Gscheidle aufzufordern, diese stillgelegten Strecken wieder flottzumachen? Wenn ich - um es einmal ganz konkret zu sagen - an das in meinem Wahlkreis stationierte 1. FlaRak Bataillon 22 in Lennestadt-Oedingen denke, würde eine Aufforderung an die Soldaten, fortan nur noch die Bundesbahn zu benutzen, geradezu grotesk anmuten. Und es ist graue Theorie, meine Damen und Herren, wenn davon gesprochen wird, man sollte durch Bundeswehrkraftfahrzeuge einen Zu- und Abtransport zum nächsten zentralen Bahnhof organisieren. Wer befördert sie dann vom Zielbahnhof nach Hause? Wer vergütet dem Fahrer und dem Beifahrer den Zusatzdienst? Wer regelt die Versicherungsprobleme und die möglichen Regreßansprüche, die entstehen, wenn solche Zubringerfahrzeuge verunglücken sollten?
Wir haben unseren Antrag gestellt. Wir hoffen, daß er - im Interesse der Soldaten - die nötige Mehrheit findet und daß sich auch das Ministerium unseren guten Argumenten letztendlich anschließt.
Im Zusammenhang mit dieser Frage der Familienheimfahrten hat der Wehrbeauftragte aber eine Sorge geäußert, die - wie so vieles andere - vom Bundesministerium der Verteidigung mit Stillschweigen übergangen wird, die Sorge nämlich, daß eine zu starke Anhebung der Zahl der FamilienheimWeiskirch ({8})
fahrten zwangsläufig zu einer verringerten Präsenz der Soldaten an Wochenenden führen könnte. Ich finde, der Wehrbeauftragte hat recht, wenn er schreibt:
Mehr zu gewähren, hieße zu verkennen, daß die Verteidigungsbereitschaft grundsätzlich die Präsenz der Soldaten in den Kasernen auch an Wochenenden bedingt.
Deshalb regt der Wehrbeauftragte an, die Familienheimfahrten lediglich um sechs pro Jahr zu erhöhen. Es ist eigentlich unbegreiflich, warum das Ministerium diese Anregung in seinen Darlegungen zum Bericht des Wehrbeauftragten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat.
Lassen Sie mich aber noch zwei Problembereiche ansprechen, die im Jahresbericht eine Rolle spielen: die bessere Transparenz der Personalführung und die immer wieder geforderte Versetzung Wehrpflichtiger in die Nähe ihrer Heimatorte.
Ohne eine bessere Transparenz der Personalführung wird man bestimmte Schwierigkeiten, die zum Teil psychologisch begründet sind, schwerlich ausmerzen können. Deshalb wiederhole ich für meine Fraktion die Forderung, die wir bereits im Januar 1978 im Verteidigungsausschuß erhoben haben:
Es muß erstens für eine rechtzeitige und vollständige Information der Truppe über Maßnahmen auf dem Gebiet der Personalstruktur und -führung gesorgt und, mehr noch, danach gehandelt werden. Es sollte zweitens die Möglichkeit des Personalgesprächs mit den Betroffenen in Zukunft häufiger als bisher genutzt werden. Gerade das Personalgespräch gehört zu den vornehmsten Pflichten des Dienstherrn.
Ich bin mit dem Wehrbeauftragten der Meinung, daß Offenheit nicht nur die Position des Bundesministers der Verteidigung gegenüber den betroffenen Soldaten stärken, sondern auch ihre Befürchtung zerstreuen würde, undurchschaubaren Vorgängen hilflos ausgeliefert zu sein. Und ich freue mich, wenigstens hier anmerken zu können, daß im Hause ein Maßnahmenkatalog formuliert worden ist, mit dem sich einiges machen lassen dürfte.
Zum Thema „Wehrpflichtige". Der Wehrbeauftragte schreibt dazu, daß der Schwerpunkt der Eingaben Wehrpflichtiger - meine Damen und Herren, Sie selber wissen ja auch ein Lied davon zu singen - der Wunsch war, in die Nähe ihres Heimatortes versetzt zu werden. Das ist zunächst einmal eine sehr erfreuliche Sache, denn sie widerlegt sehr plastisch, was man heute so oft über die Entfremdung zwischen der Jungend und den Familien und Gemeinschaften, aus denen sie kommt, lesen und hören kann. Die jungen Wehrpflichtigen möchten den Kontakt behalten. Wenn sich im Bericht des Wehrbeauftragten der Wunsch nach heimatnaher Stationierung als Hauptanliegen der Wehrpflichtigen darstellt, dann kann man dem sicherlich nicht mit Teillösungen in den Bereichen von Fürsorge und Betreuung gerecht werden. Wir meinen also, daß sich der Bundesminister der Verteidigung, wenn er schon etwas für die Soldaten tun will, der Aufgabe der heimatnahen Stationierung mit allem Nachdruck
widmen müßte. Ich finde es völlig unpassend, wenn der Minister, wie es im Bericht des Wehrbeauftragten zu lesen steht, eine Stationierung selbst noch bei größeren Entfernungen als 120 Kilometer .grundsätzlich als heimatnah - betrachtet. Der Wehrbeauftragte hat sich von dieser Auffassung deutlich abgesetzt und das Ministerium aufgefordert, bei der Prüfung der Heimatnähe immer auch die Verkehrsverhältnisse und die aufzuwendende Zeit für die Familienheimfahrten zu berücksichtigen.
Wenn man bedenkt, welche Anstrengungen die Bundesregierung unternimmt und wohl auch noch in Zukunft, wie ich annehme, unternehmen wird, um eine ausreichende Zahl von Zivildienstplätzen - koste es, was es wolle - sozusagen aus dem Boden zu stampfen, und welcher Ideenreichtum, welche Einfallsgabe und welche Energien sie darauf verwendet, dann müßte es doch möglich sein, den wehrpflichtigen Soldaten mit dem gleichen Tatendrang zu helfen und dieses Problem - wenn es denn nicht völlig aus der Welt zu schaffen ist - beträchtlich zu mildern. Bei all dem, was den Wehrpflichtigen ohnehin an spürbaren und fühlbaren Ungerechtigkeiten zugemutet wird, dürfen sie nicht auch noch mit dieser vergleichsweise einfach zu behebenden Schwierigkeit allein gelassen werden.
Die CDU/CSU-Fraktion hat den Bericht des Wehrbeauftragten trotz dieser oder jener Mängel gewürdigt. Ich möchte zum Schluß den eigentlichen Adressaten dieses Berichts, nämlich den Bundesminister der Verteidigung, mit Nachdruck auffordern, die Lektüre dieses Berichts nicht als eine lästige, alle Jahre neu geforderte Pflichtübung aufzufassen. Es geht in diesem Bericht um die Menschen, die in der Bundeswehr - sei es in Uniform, sei es in Zivil - Dienst tun.
({9})
Es geht insonderheit um die jungen Wehrpflichtigen. Es ist dem Wehrbeauftragten zu danken, daß er sich nicht auf Zustandsbeschreibungen beschränkt, sondern eine ganze Fülle von Lösungsvorschlägen und Anregungen mitgegeben hat. Die Antwort dts Bundesministers der Verteidigung kann nicht heißen: Wir werden mal prüfen, wir werden mal sehen, wir werden mal herumfragen. Die Antwort muß lauten: Wir werden handeln, und zwar rasch und unmißverständlich.
({10})
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben nur eine knapp bemessene Zeit zur Verfügung, um den Bericht des Wehrbeauftragten zu debattieren. Wir können Ihnen daher, Herr Wehrbeauftragter, nur hier und da unsere Lichter aufsetzen. Mein Kollege Ernesti hat Ihnen bereits den Dank für Ihre Arbeit ausgesprochen. Ich möchte es im Namen der CDU/CSU-Fraktion ebenfalls tun.
({11})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Wehner. Herr Abgeordneter Wehner, ich bitte zu entschuldigen, daß ich Ihnen um einen Redner zu spät das Wort zur Geschäftsordnung erteilt habe. Das war keine böse Absicht.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte dem Herrn Präsidenten mitgeteilt, daß es meine Absicht sei, die Beschlußfähigkeit des Bundestages feststellen zu lassen.
({0})
- Es ist, sehr verehrter Herr ehemaliger Vizepräsident, ja keine gewöhnliche Sache, mit der wir uns heute hier befassen. Es ist der Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, der zur Debatte steht.
({1})
- Ich bitte Sie, das Beifallklatschen zu unterlassen, weil die meisten von Ihnen nicht da waren, als die Debatte über diesen Bericht begann.
({2})
- Das ist eine Höflichkeit von mir, die gibt es ja wohl auch. Sie sollten sich bitte nicht selbst heiligen wollen; wir sind so, wie wir sind.
Ich erwarte, daß die Beschlußfähigkeit des Hauses, die nach § 49 unserer Geschäftsordnung festzustellen ist, festgestellt wird. Der Präsident hat mir, als ich ihm das vor geraumer Zeit mitteilte, zu Recht geantwortet: Ja, aber das kann ja wohl erst vor der Abstimmung erfolgen. Einverstanden, habe ich gesagt. So dumm in Sachen Geschäftsordnung bin ich ja auch nicht. Nur bitte ich, daß der Wehrbeauftragte hier nicht in eine Lage gebracht wird, in der er sozusagen vor beinahe leerem Haus
- dieses Haus war nicht einmal soviel besetzt wie ein Ausschuß - zu sprechen hat. Das ist doch nicht irgendein Bericht. Das war meine Meinung.
Wenn Sie in Ihren Geschäftsordnungsexemplaren nachschlagen werden, dann werden Sie auf der Seite 111 in § 6 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages finden:
Der Bundestag und der Bundestagsausschuß für Verteidigung können jederzeit die Anwesenheit des Wehrbeauftragten verlangen.
Wenn das so ist, dann muß ja wohl der Wehrbeauftragte so bedeutsam sein, daß er eigentlich, wenn ich es einmal ad absurdum führen will, auch umgekehrt erwarten und verlangen können müßte, daß der Bundestag hier versammelt ist. Der Bundestag ist die Gesamtheit der Abgeordneten. Das ist nicht irgendeine Hülse.
Ich wiederhole mein Begehren, daß bei diesem Anlaß zur gegebenen Zeit die Beschlußfähigkeit des Bundestages festgestellt wird.
({3})
Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Wehner, da Sie gerade dabei sind, das Ansehen
dieses Hauses in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen
({0})
und Sie es sich mit dem Hinweis, wir seien ja nicht da gewesen, verbeten haben, von uns Applaus entgegenzunehmen, darf ich Ihnen mitteilen: Wir haben im Haushaltsausschuß gesessen und dort mit Genehmigung des Herrn Präsidenten unsere Pflicht getan, genau wie die Kollegen hier im Plenum. Nur damit die Öffentlichkeit sieht, daß es hier kein Parlament von Faulenzern ist, die sich in Absenz üben!
({1})
Gibt es noch eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung betreffend den Schluß der Debatte? - Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Antrag auf Feststellung der Beschlußfähigkeit des Hauses wird mit der nächsten Abstimmung Rechnung getragen.
({0})
Mir wurde gesagt, es sei noch eine Geschäftsordnungsdebatte betreffend den Schluß der Debatte gewünscht. Das muß dann auch eigens hier vorgetragen werden. - Bitte, Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nachdem der Fraktionsvorsitzende der SPD diesen Antrag gestellt hat, halte ich es für sinnvoll, daß sich alle Fraktionen darin einig sind, daß wir unsere übrige Rednerliste zurückziehen; denn ich bin in der Tat mit ihm der Meinung, daß es dem Wehrbeauftragten nicht zugemutet werden kann, vor leerem Hause zu sprechen.
({0})
Das war ein Antrag, der in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen ist, nämlich eine Aufforderung an die Fraktionen, ihre gemeldeten Redner zurückzuziehen.
({0})
Darf ich fragen: Die SPD zieht Herrn Dr. Geßner zurück. Die FDP zieht Herrn Ludewig zurück. Nun liegt noch von zwei Abgeordneten des Hauses der Antrag vor, daß der Wehrbeauftragte hier sprechen solle.
({1})
- Einen Moment. Der vorgetragene Wunsch der beiden Abgeordneten wird ja erst wirksam, wenn hinter diesen Abgeordneten mindestens eine Fraktion steht. Das heißt, wenn also die Fraktionen das nicht decken, was zwei Abgeordnete vorgetragen haben, dann ist es ohnedies hinfällig, und der Wehrbeauftragte kann nicht sprechen. Steht also eine Fraktion hinter dieser Aufforderung von Abgeordneten, daß der Wehrbeauftragte das Wort ergreifen solle? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Damit ist diese Aufforderung hinfällig.
Vizepräsident Stücklen
Jetzt liegt noch eine Wortmeldung des Parlamentarischen Staatssekretärs vor.
({2})
- Er zieht auch zurück. Dann liegt keine Wortmeldung mehr vor.
Wird jetzt noch das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Dann bitte, Herr Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es gehört zu den Bräuchen unserer Geschäftsordnung, daß ein Vorschlag, wie ihn der Herr Kollege Wehner gemacht hat, schriftlich von mindestens fünf Kollegen des Hauses unterstützt wird. Ich möchte den Herrn Präsidenten bitten, darüber nicht eher abstimmen zu lassen, bis dieser Antrag korrekt vorliegt.
Herr Abgeordneter Reddemann, dieser Antrag braucht nicht von fünf Mitgliedern unterstützt zu sein,
({0})
sondern er wird bei der nächsten Abstimmung exekutiert.
({1})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat jetzt Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Präsident, ich bitte, die heutige Sitzung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu vertagen.
({0})
Es ist ein Vertagungsantrag gestellt. Ich darf das Haus davon informieren, daß § 31 der Geschäftsordnung - Vertagung der Sitzung - lautet:
Vor Erledigung der Tagungsordnung kann die Sitzung nur vertagt werden, wenn es der Bundestag auf Vorschlag des Präsidenten oder auf Antrag von mindestens soviel anwesenden Mitgliedern des Bundestages beschließt, wie einer Fraktionsstärke entspricht.
Darf ich unterstellen, daß dieser Geschäftsordnungsantrag von der Fraktion der SPD unterstützt wird? - Damit ist dieser Antrag zulässig. Ich lasse über ihn abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Ich vertage die Sitzung und berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 29. November 1978, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.