Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich möchte des verstorbenen Papstes gedenken.
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Vor zwei Wochen gedachte der Deutsche Bundestig des am 6. August verstorbenen Oberhauptes der katholischen Kirche, Pauls VI., und verband damit Glück- und Segenswünsche für seinen Nachfolger. Heute obliegt uns die traurige Pflicht, des nach einem Pontifikat von 33 Tagen am 29. September verstorbenen Papstes Johannes Paul I. zu gedenken.
Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod hat uns alle tief erschüttert. Sein kurzes Pontifikat war mit großen Erwartungen verbunden und wird noch lange in Erinnerung bleiben. Sein in tiefer religiöser Kraft wurzelndes Engagement verband Klugheit und Energie mit natürlicher schlichter Würde, die ihm Respekt in aller Welt erwarb. Mit seiner Ausstrahlung von Güte und Menschlichkeit hatte er die Herzen und das Vertrauen der Gläubigen gewonnen. So war er zum Wegweiser für viele geworden und hatte neue Hoffnungen in vielen Menschen geweckt.
Das Bild des Papstes Johannes Paul I. hat sich allen, die ihn gesehen haben, eingeprägt als das eines zuversichtlichen, tiefe Frömmigkeit, ja Fröhlichkeit - trotz der schweren gesundheitlichen Belastung - ausstrahlenden Menschen. Daß die christliche Botschaft eine frohe Botschaft ist, haben wenige so deutlich gemacht wie er.
Ich habe dem Apostolischen Nuntius in Bonn, Erzbischof del Mestri, und dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner, die tief empfundene Anteilnahme des Deutschen Bundestages zu diesem schweren Verlust für die katholische Kirche und die Welt ausgesprochen.
Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Papstes erhoben. Ich danke Ihnen dafür.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen eine interfraktionelle Vereinbarung bekanntgeben, mit der die Führung der Aussprachen im Bundestag versuchsweise neu geregelt werden
soll. Den Text dieser Vereinbarung finden Sie auf Ihren Tischen. Ich möchte ihn aber doch verlesen, weil ich mir von dieser Neuregelung eine gute und günstige Wirkung auf unsere Debatten verspreche.
In der 39. Sitzung des Ältestenrates am 28. September 1978 wurde folgendes vereinbart - und jetzt zitiere ich wörtlich -:
Für die Dauer von drei Monaten, beginnend am Donnerstag, dem 5. Oktober 1978, soll versuchsweise folgende Regelung über die Führung der Aussprachen eingeführt werden:
1. Regelaussprache: Der Ältestenrat kann vereinbaren, daß eine Debatte als „Regelaussprache" geführt wird. Der Ältestenrat legt die Dauer der Aussprache und die auf die einzelnen Fraktionen entfallenden Redezeiten fest. Im Rahmen der auf sie entfallenden Redezeiten verteilt jede Fraktion die Redezeiten auf ihre einzelnen Redner. Dabei soll die erste Rede in der Regel nicht mehr als 30 Minuten dauern; die übrigen Reden sollen nicht mehr als 15 Minuten dauern.
Wenn in einer Aussprache ein Mitglied der Regierung das Wort nimmt, so steht der Oppositionsfraktion eine gleich lange Redezeit ohne Anrechnung auf die den Fraktionen zustehenden Redezeiten ({1}) zu. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob Mitglieder der Regierung einmal oder mehrmals, ob sie zu Beginn oder während der Debatte das Wort nehmen.
2. Aussprache mit Kurzbeiträgen: Der Ältestenrat kann vereinbaren, daß eine Debatte als „Aussprache mit Kurzbeiträgen" geführt werden soll. Der Ältestenrat legt die Gesamtdauer der Aussprache fest. In der Aussprache darf der einzelne Redner nicht länger als 10 Minuten sprechen. Der Präsident darf die Redezeit nicht verlängern.
Ziffer 1 Abs. 2 gilt auch für die Aussprache mit Kurzbeiträgen.
3. Die von den Mitgliedern des Bundesrates gehaltenen Reden werden von dieser Regelung nicht betroffen. Für sie gilt die in § 33 der Geschäftsordnung aufgestellte Regel, daß der Präsident bei der Festlegung der Reihenfolge der
Präsident Carstens
Redner auf Rede und Gegenrede Rücksicht nehmen soll.
4. Die verfassungsmäßigen Rechte der Bundesregierung und des Bundesrates werden von dieser Regelung nicht berührt.
Soweit der Text der Vereinbarung des Ältestenrats.
Ist das Haus mit der versuchsweisen Einführung dieser Neuregelung für ein Vierteljahr einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 3. Oktober 1978 die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Verletzung von Dienstgeheimnissen - Drucksache 8/2111 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2161 verteilt.
Nunmehr rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Abkommens vom 6. Mai 1978 über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie
- Drucksache 8/2143 Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau fünf Monaten, vom 4. bis 7. Mai dieses Jahres, stattete das Staatsoberhaupt der Sowjetunion, Generalsekretär Breschnew, der Bundesrepublik Deutschland seinen zweiten Besuch ab. Am 11. Mai dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers das Ergebnis und den Verlauf des Besuchs gewürdigt. Erklärungen, die wir im Zusammenhang mit diesem Besuch aus den Reihen der Opposition gehört haben, und auch Erklärungen in der Debatte selbst zeigten, daß Besuche und Begegnungen dieser Art politische Fakten setzen können, die die innerstaatliche Diskussion und die außenpolitische Diskussion in einer positiven Weise beeinflussen.
Der Besuch des sowjetischen Generalsekretärs und seine Ergebnisse, die vor allen Dingen im langfristigen Kooperationsabkommen und in der Gemeinsamen Erklärung ihren Ausdruck fanden, sind in der Tat von erheblicher Bedeutung. Beides, Besuch und Ergebnis, lagen und liegen im Interesse unseres Landes. Die Gespräche, geführt auf der festen Basis der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, nämlich unserer Einbindung in das westliche Bündnis und die Europäische Gemeinschaft, machten es möglich, unter Wahrung unserer vitalen Interessen die Entspannung und den Ausgleich mit dem Osten zu fördern und Voraussetzungen für ihre langfristige Gestaltung zu schaffen.
({0})
Es ist heute nicht nochmals erforderlich, im einzelnen zu entwickeln, was eine realistische Entspannungspolitik leisten kann und leisten muß, wenn sie den Völkern und Menschen dienen soll, und wo angesichts der tiefgreifenden Unterschiede der politischen Wertvorstellungen, Systeme und Interessen die Grenzen einer solchen Politik liegen.
Wir haben darüber einschließlich der Probleme im militärischen Bereich, die in den Gesprächen eine wichtige Rolle spielten, im Mai ausführlich debattiert. Die Gemeinsame Erklärung hat die internationale Abrüstungsdiskussion in einem positiven Sinne beeinflußt und damit auch bessere Voraussetzungen für die MBFR-Verhandlungen geschaffen.
Von erheblichem Gewicht ist aber auch die Verständigung über die Kooperation und hier insbesondere über die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wird sie genutzt, kommt das nicht nur den wirtschaftlichen Interessen beider Seiten, sondern auch der stetigen Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zugute. Aus diesem Grunde mißt die Bundesregierung dem beim Besuch von Generalsekretär Breschnew unterzeichneten Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie erhebliche Bedeutung bei.
In der Regierungserklärung vom 11. Mai sind die langfristigen Aspekte für die wirtschaftliche Zusammenarbeit dieser beiden wichtigen Industrienationen Europas unterstrichen worden. Die Bundesregierung hat angekündigt, das Abkommen dem Bundestag zur Zustimmung vorzulegen. Der Bundeskanzler hat inzwischen den Text des Abkommens dem Präsidenten des Deutschen Bundestages übermittelt und dabei den Wunsch zum Ausdruck gebracht, der Deutsche Bundestag möge diesem Abkommen und seiner politischen Zielsetzung in Form einer Entschließung seine Zustimmung erteilen.
Die Bundesregierung hat beim Abschluß des deutschsowjetischen Abkommens unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen im Auge gehabt. Worin liegt nun die wirtschaftliche Bedeutung dieses Abkommens?
Für unsere Wirtschaft schafft es den vertraglichen Rahmen für langfristige Dispositionen, für die Arbeit an großen in die Zukunft gerichteten Vorhaben. Das Abkommen ist auf 25 Jahre angelegt. Es gilt zunächst für zehn Jahre; es kann danach dreimal jeweils um fünf Jahre verlängert werden.
Das Abkommen regelt die Formen der Zusammenarbeit, insbesondere auch im Energiebereich, beim Import von Rohstoffen und bei der Errichtung von Industrieanlagen. Der schwierige Komplex der Kompensation ist in einer beiden Seiten gerecht werdenden Weise geregelt worden. So heißt es in Art. 4 - ich zitiere -:
Bei großen und langfristigen Projekten kann im Falle beiderseitigen Interesses die Zusammenarbeit mit der Lieferung von Erzeugnissen verbunden werden, die aus dieser Zusammenarbeit hervorgehen.
Zur Finanzierungsfrage enthält das Abkommen eine Formel, die im wesentlichen denjenigen früherer Abkommen entspricht. Es ist klargestellt worden, daß sich die Bemühensklausel in dem entsprechenden Artikel nicht auf Staatskredite, sondern auf Bürgschaften bezieht.
Selbstverständliche Voraussetzung für das Zustandekommen dieses Abkommens war es für die Bundesregierung, daß die volle rechtliche und materielle Einbeziehung der Berliner Wirtschaft gewährleistet ist.
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Das ist geschehen. Wegen der Einbeziehung Berliner Firmen in die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen hat es im übrigen in den letzten Jahren kaum Schwierigkeiten gegeben. Kurz vor Aufnahme der Verhandlungen hatte die Sowjetunion einen Großauftrag an die Berliner Firma Borsig vergeben und damit zugleich ihre Absichten signalisiert.
Selbstverständlich war auch, daß vor der Unterzeichnung des Abkommens die Europäische Gemeinschaft in Brüssel konsultiert wurde. Das deutschsowjetische Abkommen greift nicht in die Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften ein. Es berührt nicht die Handelspolitik der Gemeinschaft, und es beeinträchtigt nicht ihre zukünftige Entwicklung.
Das langfristige deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen ist Ausdruck der Bereitschaft, sich auch auf die Interessenlage des jeweils anderen Partners einzustellen. Die Volkswirtschaften beider Länder können sich in der Tat zum beiderseitigen
) Vorteil ergänzen. Die Sowjetunion ist reich an Bodenschätzen, die unsere Wirtschaft braucht. Die Bundesrepublik Deutschland dagegen ist rohstoffarm, kann dafür aber hochentwickelte Investitionsgüter und Technologien anbieten.
Für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist die Sowjetunion ein interessanter und wichtiger Partner. Die Bedeutung dieser Partnerschaft ist in den 70er Jahren gewachsen. Der beiderseitige Handel hat sich in den Jahren zwischen 1971 und 1977 etwa vervierfacht. Sein Anteil am deutschen Außenhandel liegt bei 2,2 %. Für einige Branchen der deutschen Exportwirtschaft ist der sowjetische Markt besonders interessant. Das gilt insbesondere für Großröhren und Werkzeugmaschinen, aber auch für den deutschen Anlagen- und Maschinenbau.
Ausbaufähig ist auch das Gebiet der Unternehmenskooperation. Von ihr erwarten wir positive Impulse auf die weitere Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen. Die großen sowjetischen Rohstoff- und Energievorkommen und der breite Absatzmarkt in der Sowjetunion bieten gute Voraussetzungen für eine dauerhafte Zusammenarbeit. Einzelne Kooperationsvereinbarungen im Energiebereich haben schon Laufzeiten bis über das Jahr 2000 hinaus. Ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an das Erdgasröhrengeschäft.
Das deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen unterstützt die deutsche Wirtschaft bei ihrem Bemühen, ihre Exporte längerfristig abzusichern und die Rohstoff- und Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland langfristig zu diversifizieren. Wir können dabei auch mit positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungslage bei uns rechnen. Das gleiche gilt für die verstärkte Einbeziehung kleinerer und mittlerer Unternehmen in die Wirtschaftsbeziehungen.
Einer der Hauptvorteile des Abkommens für die sowjetische Seite liegt darin, daß sie das breit gefächerte Angebot unserer Industrie schon im Planungsstadium für ihre Fünfjahrespläne berücksichtigen kann. Für die sowjetische Seite ist eine solche staatliche Flankierung durch das Abkommen gleichzeitig Voraussetzung und Direktive für die Intensivierung der Beziehungen. Für die Verhandlungen unserer Wirtschaft mit sowjetischen Stellen spielt dieser Gesichtspunkt eine wichtige Rolle.
Schon wenige Tage nach dem Besuch des Generalsekretärs Breschnew in Bonn haben die drei höchsten sowjetischen Führungsgremien, das Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU, das Präsidium des Obersten Sowjets und der Ministerrat der UdSSR, die Ergebnisse dieses Besuchs gebilligt, und zwar voll und ganz, wie es im Text der entsprechenden gemeinsamen Erklärung heißt.
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In dieser Erklärung werden die zuständigen sowjetischen Organisationen zugleich angewiesen - ich zitiere hier wieder wörtlich -,
alles von ihnen Abhängige zu tun, dem für beide Seiten vorteilhaften Abkommen konkreten Inhalt zu verleihen, in passender Zeit und mit gebührender Initiative die übernommenen Verpflichtungen wirksam durchzuführen und nach einer beachtlichen Ausweitung des Handelsaustausches und nach Durchführung der gemeinsamen Großprojekte zu streben.
Entscheidend ist, daß das Abkommen den langfristigen Interessen beider Seiten dient.
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Deshalb sehen wir darin eine solide Grundlage für die fruchtbare wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auf Jahrzehnte hinaus.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal die besondere Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß das Abkommen seinerzeit von allen in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien sowie von den daran interessierten Wirtschaftskreisen begrüßt worden ist.
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Welche Bedeutung auch die sowjetische Seite diesem Abkommen beimißt, davon konnte sich im vorigen Monat die deutsche Delegation unter Führung des Bundeswirtschaftsministers bei der 8. Tagung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission in Moskau überzeugen. Während dieser Tagung, die in einer besonders guten Atmosphäre stattfand, ist die ganze Palette der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen behandelt worden. Auf deutscher Seite hat sich der Eindruck bestätigt und
verfestigt, daß auch vom sowjetischen Vertragspartner alles getan werden wird, um dem Abkommen zum Erfolg zu verhelfen.
Die Bundesregierung kann durch die Unterzeichnung eines solchen Abkommens nur den vertraglichen Rahmen für die weitere Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen schaffen und damit der Wirtschaft Impulse geben. Die entscheidenden Schritte zur konkreten Ausfüllung und Ausgestaltung des Abkommens müssen die Unternehmen selbst tun.
Der Abschluß des deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommens entspricht jedoch nicht nur den Geboten nüchterner Interessenpolitik. Er fügt sich ein in unsere langfristig angelegte Friedenspolitik. Die deutschsowjetischen Beziehungen sind dabei von besonderer Bedeutung. Wir sehen nicht nur in unserer Politik der Entspannung gegenüber dem Osten allgemein, sondern auch in dem konkreten Schritt, den der Abschluß des Kooperationsabkommens darstellt, einen deutschen Beitrag zur dauerhaften Sicherung des Friedens in Europa. Diese Bemühungen wiederum stehen in voller Übereinstimmung mit der Politik, die wir zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im westlichen Bündnis formuliert haben. Sie dienen deshalb auch den gemeinsamen Interessen der Zusammenarbeit und der langfristigen Friedenssicherung. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß auf der Grundlage auch dieses Abkommens ein Ausgleich durch Festigung des Vertrauens möglich ist.
Sie sieht sich in dieser Erwartung durch die politische Entwicklung gerade auch im Verhältnis zur Sowjetunion seit Abschluß des Moskauer Vertrages vom 12. August 1970 bestätigt. Das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR hat sich seitdem erheblich zum Positiven gewandelt. Wir wissen, daß die Möglichkeiten der Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen noch längst nicht voll ausgeschöpft sind. Wegen der gro-Ben Bedeutung, die ein geregeltes und konfliktfreies Verhältnis mit der Sowjetunion nicht nur für uns hat, sieht die Bundesregierung daher ein wichtiges Ziel ihrer Politik darin, die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion weiter auszubauen.
Der Staatsbesuch von Generalsekretär Breschnew in der Bundesrepublik Deutschland vom 4. bis 7. Mai 1978 hat die Vertragsgrundlagen der deutsch-sowjetischen Beziehungen gefestigt und neue Impulse für ihre weitere Ausgestaltung gegeben. Eine wichtige Orientierung für die Zukunft gab dabei die gemeinsame Deklaration. Ihr Kernsatz lautet:
Beide Seiten sind fest entschlossen, die Qualität und das Niveau ihrer Beziehungen auf allen Gebieten weiter zu erhöhen.
Diese Deklaration stellt ferner fest, daß beide Seiten keine vernünftige Alternative zur friedlichen Zusammenarbeit der Staaten trotz der Unterschiede in mehreren Grundpositionen und trotz unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und' sozialer Systeme sehen. Auch fünf Monate nach dem Besuch
hält das positive Urteil über den Besuch und seine Ergebnisse einer nüchternen Betrachtung stand. Offensichtlich wird diese Auffassung von der sowjetischen Regierung geteilt. Generalsekretär Breschnew hat bei verschiedenen Gelegenheiten auf den guten Stand der deutschsowjetischen Beziehungen hingewiesen.
Auch meine Begegnung mit Außenminister Gromyko in der letzten Woche in New York hat das deutlich gemacht. Der Meinungsaustausch war konstruktiv. Er zeigte erneut den Nutzen eines laufenden Dialogs mit der Sowjetunion angesichts der ständig wachsenden Bedeutung weltpolitischer Fragen auch für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. In dem Gespräch wurde gerade die Übereinstimmung über die günstigen Perspektiven beim Ausbau der bilateralen Beziehungen besonders auch im wirtschaftlichen Bereich unterstrichen. Der sowjetische Außenminister brachte dabei seine besondere Befriedigung über die Fortschritte auf wirtschaftlichem Gebiet zum Ausdruck. Hier könne man mit Optimismus in die Zukunft blicken.
Wir wiederum, meine Damen und Herren, können mit Genugtuung feststellen, daß in diesen Tagen eine Delegation des Obersten Sowjet der UdSSR auf Einladung des Bundesrates unser Land bereist. Dieser Besuch ist ein bedeutsames Ereignis im Besucheraustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, der eine durchaus eindrucksvolle Bilanz aufzuweisen hat. Auch hierin sehe ich ein Zeichen für die sich vertiefenden Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das langfristige deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen wird dazu beitragen, die beiden Staaten, aber auch die Menschen in beiden Ländern einander näherzubringen. Es wird dazu führen, daß sich die Menschen in beiden Ländern für das gegenseitige Wohlergehen stärker als bisher interessieren. Auch das ist Sinn dieses langfristigen Vertrages. Die Hoffnung ist berechtigt, daß wachsende Zusammenarbeit und eine auf Dauer angelegte friedliche Entwicklung zwischen beiden Seiten zum gesicherten Gut der Menschen beider Länder werden.
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß ein gutnachbarliches Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion nicht nur dem Wohl der Menschen in beiden Ländern dient, sondern daß es auch unmittelbare positive Folgen für den Prozeß der Entspannung in Europa überhaupt hat. Der Vertrag fördert damit das friedliche Nebeneinander und die langfristige Zusammenarbeit in ganz Europa.
Wir sind sicher, die deutsche Wirtschaft, die Unternehmen, Organisationen und Verbände werden das langfristige deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen mit Leben erfüllen. Beide Staaten haben den guten Willen, die sich damit bietenden Chancen wahrzunehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen liegt ein Antrag der Fraktionen von SPD und FDP vor. Er hat zum Ziel, einen Beschluß herbeizuführen, in dem der Bundestag dem Abkommen über die EntBundesminister Genscher
wicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie in Form einer Entschließung zustimmt. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn eine möglichst breite Mehrheit die positive Beurteilung des Abkommens vom 6. Mai 1978 durch das ganze Haus bekräftigen würde.
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Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Interfraktionell ist für die Dauer der Aussprache eine Zeit von etwa eineinhalb Stunden vereinbart worden. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann stelle ich das Einverständnis fest.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir führen heute morgen eine ungewöhnliche Debatte über ein ungewöhnliches Abkommen unter ungewöhnlichen Bedingungen.
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Der Herr Bundesaußenminister hat soeben ein nicht ratifizierungsbedürftiges und auch nicht ratifizierungsfähiges Wirtschaftsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken wie einen ratifizierungsbedürftigen und ratifizierungsfähigen Vertrag hier eingebracht.
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Die Regierungsfraktionen begleiten diesen Vorgang mit dem Entwurf einer Resolution, die in der Formulierung ihres ersten Absatzes offensichtlich der Zustimmung zu einer Ratifizierung gleichkommen soll.
Es ist dies, wenn ich es richtig sehe, das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte, daß eine Bundesregierung ein nicht ratifizierungsfähiges Abkommen wirtschaftlichen Inhalts dem Bundestag in dieser Form vorlegt. Die Absicht, die mit diesem ungewöhnlichen Verfahren verbunden wird, ist allen offenkundig, die die Leidensgeschichte der Koalitionsauseinandersetzungen über dieses Verfahren verfolgt haben. Sie beginnt mit dem Entschluß der ostpolitischen Langzeitstrategen der SPD - an der Spitze diesmal Herr Kollege Wehner -, das über die Jahrhundertwende hinausreichende Wirtschaftsabkommen in einer demonstrativen Weise politisch aufzuwerten, politisch zu überhöhen. Sie fordern zu diesem Zweck die förmliche Ratifikation dieses nach unserer Verfassung nicht ratifizierungsfähigen Abkommens. Diesen Entschluß faßten sie anscheinend erst am 8 Mai dieses Jahres, nachdem die Bundesregierung bis dahin der Sowjetunion und anderen Staaten erklärt zu haben scheint, daß kein ratifizierungsbedürftiger Vertrag vorliege. Herr Wehner und seine Freunde konnten sich indessen nicht voll durchsetzen; sie stießen nicht zuletzt auf den Widerstand der Verfassungsrechtler. Ich erwähne vor allem das bekannte Gutachten des Professors Blumenwitz.
Das Tauziehen endete mit dem ungewöhnlichen Verfahren einer betont politischen Resolution, mit der wir heute hier befaßt sind. Mit Zustimmung der Fraktion der FDP beschränkte man sich aber nicht etwa nur darauf, die zustimmende Kenntnisnahme zu diesem Abkommen vorzuschlagen, sondern fordert die Opposition auf, sich an dieser politischen Demonstration nach Ost und West zu beteiligen.
Das Inkraftreten des Abkommens ist im übrigen nicht von dieser Bundestagsdebatte abhängig. Die Bundesregierung kann jederzeit die in Art. 1Q vorgesehene Mitteilung über das Inkrafttreten des Abkommens an die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken richten.
Von dem wirtschaftlichen Inhalt des vorliegenden Regierungsabkommens her ist dieser politische Aufwand nicht gerechtfertigt. Es ist ein recht abstrakt gehaltenes Rahmenabkommen und enthält einige allgemeine Absichterklärungen, über deren Tragweite in den Ausschüssen des Bundestages noch eingehend gesprochen werden muß. Konkret bringt es, wenn überhaupt, nur wenige Änderungen mit unmittelbaren Wirkungen auf die Geschäftsbeziehungen. Zu irgendwelcher Euphorie über die deutschsowjetischen Handelsentwicklungen gibt es keinen Anlaß.
Insbesondere ist dieses für sich auch kein zureichender Grund, um die in dem gemeinsamen Kommuniqué nach dem Breschnew-Besuch formulierte Hoffnung auf eine Verdoppelung des deutschsowjetischen Handelsvolumens in den laufenden Fünfjahresperioden zu begründen. Andere Gründe, die diese Hoffnung rechtfertigen könnten, gibt es aber auch nicht. Ich darf den Herrn Bundesaußenminister nach seiner Rede darauf hinweisen, daß es seriöse wissenschaftliche Institute gibt, die eine Handelsentwicklung mit der Sowjetunion bis zum Jahre 1985 prognostizieren, aus der sich bis dahin eine Steigerung von maximal 40 % ergibt.
({2})
Entscheidend für uns ist die in Art. 1 enthaltene Bekräftigung des Willens zur Zusammenarbeit auf der Basis des gegenseitigen Nutzens. Diese Aussage ist für uns so wichtig, weil in der Vergangenheit zu Recht häufig besorgte Fragen über die Ausgewogenheit und Gleichwertigkeit des Nutzens in den beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen gestellt worden sind.
({3})
Wir denken dabei nicht nur an den Bereich des Handels in engerem Sinne, sondern an die nicht unbeträchtliche Zahl von Differenzen über fehlende Gegenleistungen etwa im Bereich des Straßenverkehrs, der Seeschiffahrt, der Binnenschiffahrt oder auch des Luftverkehrs. Wir registrieren auch nicht ohne Besorgnis die Einseitigkeit in der Gewährung der Niederlassungsfreiheit und der Möglichkeiten,
sich im Wirtschaftsraum des Partners hinreichend frei zu bewegen.
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Die zahllosen Niederlassungen und Tochterfirmen sowjetischer Institutionen in der Bundesrepublik haben entsprechend unserem offenen und liberalen Wirtschaftssystem weit mehr Handlungsfreiheit und Geschäftsmöglichkeiten hier als die Niederlassungen unserer Unternehmen in der Sowjetunion und in Moskau.
({5})
Unter das Kapitel gegenseitiger Nutzen fällt schließlich auch die ganz allgemeine Frage, ob die mit hohen westlichen Krediten, die inzwischen die 50-Milliarden-Dollar-Grenze überschritten haben dürften, finanzierte historisch einmalige technischindustrielle Ausrüstung der Volkswirtschaften des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe mit modernsten westlichen Anlagen schon eine angemessene politische Gegenleistung gefunden hat. Dabei sollte auch der politische Nutzen berücksichtigt werden, der der Sowjetunion dadurch zufällt, daß sie diese enorme Potentialstärkung auch für andere als ökonomische Zwecke verwenden kann.
({6}) .
Ihre Interessenlage dürfte im übrigen auch weiterhin von der Erkenntnis bestimmt sein, daß ihr altväterliches Wirtschaftssystem ihr den Anschluß an den Innovationsprozeß des Westens verwehrt, daß sie also auf den Technologieimport angewiesen
) bleibt.
Es führt hier zu weit, die Problematik der deutschsowjetischen und der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen im einzelnen zu erörtern. Wir müssen aber davor warnen, daß wir uns durch dieses Abkommen den Blick für die Wirklichkeiten verstellen lassen. Das weitere Wachstum des deutsch-sowjetischen Handels wird in allererster Linie durch das Tempo und den Umfang bestimmt werden, in dem es der sowjetischen Wirtschaft gelingen wird, Produkte in Deutschland und in der Europäischen Gemeinschaft anzubieten, die in Preis und Qualität auf unseren Märkten ohne Dumping wettbewerbsfähig sind.
({7})
Keine noch so ausgeklügelte Kompensationstechnik, die ohnehin nur den Großunternehmen zugute kommt, kann über diesen Mangel des sowjetischen Waren- und Güterangebots hinwegtäuschen.
Auch Kredite können diesen Mangel nicht beheben, bestenfalls ihn für befristete Zeit verschleiern. Um so härter wird die Konsequenz eines früheren Schuldendienstes die Wirtschaftsentwicklung späterer Jahre belasten. Schon heute benötigen einige Mitgliedstaaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe bis zu 10 °/o ihrer Exporterlöse, um ihren Zinsendienst erfüllen zu können.
({8})
Umgekehrt haben auch wir Wünsche an die Zusammensetzung unserer Exporte. Konsumgüter und
Produkte mittlerer und kleinerer Unternehmen sind darin nicht ausreichend vertreten.
Die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den vergangenen Jahren, in den vergangenen acht Jahren vor allen Dingen, stetig entwickelt. Die Zuwachsraten waren überdurchschnittlich. Der Bundesaußenminister hat sie zitiert. Man sollte hinzufügen, daß sie so überdurchschnittlich sind, weil die Ausgangsbasis im Vergleich zu unseren anderen Handelspartnern so unterdurchschnittlich war. Sie haben aber trotz dieser überdurchschnittlichen Steigerung nicht ausgereicht, den Anteil der Sowjetunion an unserem Gesamtexport von weniger als 21/2 °/o - im vergangenen Jahr waren es 2,2 %- auf ein Niveau zu bringen, das der Wirtschaftskraft dieser Region entspricht und das bei arbeitsteiligen und über die Märkte gelenkten Wirtschaftsbeziehungen erreicht werden könnte. Die handelshemmende Wirkung der bekannten schwerwiegenden Systemunterschiede zwischen Ost und West kann kaum überschätzt werden.
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Es ist halt nicht möglich, die begrenzte Leistungsfähigkeit einer sozialistischen Staatswirtschaft auf dem Umweg über den Außenhandel nennenswert zu erhöhen.
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Das Ungewöhnlichste an diesem Abkommen ist vielleicht seine Laufzeit. Das Abkommen ist - wie es mit einem erstmals in der deutschen Vertragssprache benutzten Verbum umschrieben wird - auf 25 Jahre angelegt. Diese Dauer hat für sich selbst schon ausgereicht, daß die westliche Presse dieses Abkommen schlicht als einen 25-Jahres-Pakt beschreibt. Daß bei dieser 25jährigen Vertragsdauer - bis in das nächste Jahrhundert hinein - vertragstechnisch mit dem Mittel einer 10-Jahres-Frist als erster Stufe gearbeitet wird, darf diesen politisch motivierten Langzeitaspekt nicht verschleiern. Konsequenterweise wird dieses Detail in der gemeinsamen Resolution der Koalitionsparteien auch gar nicht mehr erwähnt. Wahrscheinlich hat man diese 10-Jahres-Frist nur aus Rücksicht auf Dritte gewählt,
({11})
bei denen man die Durchsetzung dieses Abkommens durch diese gefälligere Form der Darstellung seiner Laufzeit erleichtern wollte. Ich denke vor allen Dingen an die europäischen Institutionen und an die Partner in den Europäischen Gemeinschaften.
Zum Wirtschaftsabkommen sollte schließlich noch angemerkt werden, daß es naturgemäß nicht alle Probleme des deutsch-sowjetischen Handels, der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen berühren kann. Ich denke z. B. an die politischen Grenzen, die den deutschen Bezügen von Rohstoffen und Primärenergieträgern gesetzt sind, wenn wir Abhängigkeiten vermeiden wollen.
Verdient mithin dieses Abkommen von seinem Inhalt her nicht die politische Bedeutung, die die Bundesregierung, die Koalition ihm beimessen wolDr. Narjes
len, so gilt etwas ganz anderes für die mit ihm verbundenen politischen Absichten. Um sie voll zu ermessen, sollte man sich die Situation vor, während und nach dem Breschnew-Besuch in Bonn noch einmal in Erinnerung rufen - und vor allen Dingen den Vergleich dieses Abkommens mit dem Rückversicherungsvertrag Bismarcks. Es ist bis heute unklar geblieben, für welchen Fall und gegen wen sich die Bundesregierung mit diesem Wirtschaftsabkommen rückversichern will,
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welcher Verbündete ihr so unheimlich ist, daß sie sich gegen die von ihm ausgehenden Gefahren ausgerechnet im Osten rückversichern möchte.
In dieser einfachen Frage kommt bereits die ganze Ungeheuerlichkeit des damals wiederholt benutzten Vergleichs zum Ausdruck. Wenn ihm nicht pure Unkenntnis der Geschichte zugrunde liegt, dann kann er doch nur gewählt worden sein, um damit dem demonstrativen Anfang eines neuen Kapitels und einer neuen Orientierung der deutschen Außenpolitik Ausdruck zu verleihen.
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Diese Vermutung wird durch die in Ziffer VII der gemeinsamen Erklärung benutzte Sprache erhärtet, die am Ende des ersten Absatzes offensichtlich inhaltlich der Erklärung Robert Schumans zur europäischen Einigung vom Mai 1950 nachempfunden worden ist.
Warum sonst hat schließlich der Kollege Wehner am 8. Mai die Forderung nach der Ratifikation des Abkommens erhoben, obwohl er wußte, daß er damit einen ungewöhnlichen Schritt forderte - zumal er zu den Mitgliedern dieses Hohen Hauses gehört, die ihm schon angehörten, als das Bundesverfassungsgericht über ein deutsch-französisches Wirtschaftsabkommen des Jahres 1950 in eindeutigen Sätzen den Art. 59 Abs. 2 unserer Verfassung interpretierte und die Ratifikationsfähigkeit von Verträgen auf solche rein politischen Inhalts beschränkte?
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Es kann endlich nicht übersehen werden, daß diese politische Interpretation der mit dem Wirtschaftsabkommen verbundenen Absichten weitgehend den Kommentaren und publizistischen Erklärungen entsprachen, die damals in Moskau zur Würdigung dieses Abkommens und seiner Tragweite veröffentlicht worden sind.
In dieser demonstrativen politischen Aufwertung und Überhöhung des Wirtschaftsabkommens mit dem Blick auf den Osten liegt natürlich zugleich eine politische Demonstration in Richtung Westen. Die Reaktionen der Besorgnis - von den Vereinigten Staaten bis zur Schweiz - über eine neue Ara deutscher Schaukelpolitik sind bekannt. Ich möchte sie hier nicht wiederholen. Sie sind im Laufe des Sommers durch die Diskussion über die bündnispolitischen Langzeitvorstellungen des Abgeordneten Bahr unterstrichen worden. Die Notwendigkeit
solcher Überlegungen hat sein Parteivorsitzender, der Abgeordnete Brandt, bestätigt.
({15})
Diese besorgten Fragen werden überdies durch Äußerungen aus dem Kreis der Sozialdemokratischen Partei genährt, Herr Kollege Wehner, die Ihre Europapolitik in Frage zu stellen scheinen. Ich denke dabei insbesondere an die Äußerungen des stellvertretenden Parteivorsitzenden, des Bremer Bürgermeisters Koschnick - denen die Bundesregierung, nicht aber die SPD widersprochen hat -, kurz vor dem Europagipfel in diesem Sommer, in denen er Vorbehalte gegen die politische Ausrichtung der Westintegration formuliert hat, Vorbehalte, die an die bekannte und damals nur schwach dementierte Londoner Meldung vom März 1970 erinnerten, wonach der damalige Bundeskanzler Brandt die politische Einigung Europas als eine Angelegenheit der nächsten Generation bezeichnet haben soll.
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Vor diesem Hintergrund und vor im besten Fall unklaren Langzeitabsichten der Sozialdemokratischen Partei ist es für die Fraktion der CDU/CSU oberstes Gebot, hier an dieser Stelle eindeutig folgendes festzustellen.
({17})
Erstens. Wir sind zu einer weiteren konstruktiven Entwicklung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen bereit und begrüßen aus diesem Grunde auch grundsätzlich das vorliegende Regierungsabkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir werden es in den Ausschüssen im einzelnen gründlich diskutieren und werden bei seiner Ausführung auf die Ausgewogenheit und die Wahrung des beiderseitigen Nutzens achten.
Zweitens. Wir sagen aber auch ebenso eindeutig nein zu jedem Versuch einer politischen Aufwertung und Überhöhung dieses Abkommens und zu jeder mit ihm verbundenen politischen Demonstration nach Ost und West.
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Gerade weil diese Demonstration die eigentliche Absicht derjenigen Teile der Koalition war, die ursprünglich die Ratifikation dieses Abkommens angestrebt haben, ziehen wir hier diesen klaren Trennungsstrich. Für die CDU/CSU jedenfalls stehen die wirtschaftliche und auch die politische Einigung des freien Europa so wenig zur Disposition wie das Atlantische Bündnis, schon um einer soliden Ostpolitik willen.
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Wir lehnen jede Geste ab, die mißdeutet werden könnte, und sind nicht bereit, uns an einem Kurs zu beteiligen, der auch nur als der Versuch einer Schaukelpolitik gewertet werden könnte.
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Eine Politik des Friedens und der Verständigung ist auf die Dauer nur auf der Basis einer eindeutigen Position möglich.
Unsere Zustimmung zu diesem Wirtschaftsabkommen ist uns nicht in allen Punkten leichtgefallen. Wir heben insbesondere die Frage nach seiner Vereinbarkeit mit dem Geist und dem Buchstaben der Verpflichtungen hervor, die die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Partnern in den Europäischen Gemeinschaften durch die Römischen Verträge eingegangen ist. Die Tatsache, daß die Partner in der EG und ihre Institutionen im Konsultationsverfahren nicht widersprochen haben, darf für sich selbst noch nicht als eine befriedigende Antwort gewertet werden. Auch die Bestätigung einer restriktiven und die Zuständigkeiten der Gemeinschaft einschränkenden Praxis ist ein Politikum, das beachtet und bewertet werden muß. Es können nämlich in der Tat gute Gründe dafür angeführt werden, daß dieses Abkommen jedenfalls nicht zweifelsfrei mit dem Geiste der einschlägigen Vorschriften des EG-Vertrages, insbesondere seinen Art. 113 und 114, vereinbar ist. Ich verweise insbesondere auf die Notwendigkeit, dieses Abkommen an den Maßstäben zu messen, die sich aus einem Gutachten des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahre 1975 zu diesen Vorschriften ergeben. Ich hebe deshalb besonders hervor, daß unsere Zustimmung zu diesem Abkommen keinesfalls als eine Absage an die Europäische Gemeinschaft gewertet werden darf.
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Auch unsere handelspolitische Interessenlage gebietet es, unsere Wirtschaftsbeziehungen weltweit so wenig wie möglich zu politisieren und Wirtschaft und Politik soweit wie möglich zu trennen.
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Die Koalition muß sich fragen lassen, wie sie sich in Zukunft verhalten will, wenn dritte Staaten sich auf den hier beabsichtigten Präzedenzfall berufen und auch ihrerseits eine Plenardiskussion und eine Resolution der hier von der Koalition vorgelegten Art für sich beanspruchen. Ist die Bundesregierung z. B. bereit, der Volksrepublik China, falls mit ihr ein vergleichbares Abkommen zustande kommt, einen gleichen Rang einzuräumen?
Hat sich die Bundesregierung eigentlich überlegt, wie diese Art der Behandlung eines deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommens gerade in diesem Herbst auf die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wirken muß? Der Bundeswirtschaftsminister hat kürzlich mit gewissem Recht vor einem Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten gewarnt, der sich aus den komplizierten GATT-Verhandlungen dieses Herbstes ergeben könne. Wie will die Bundesregierung diese schwierige Periode mit den Vereinigten Staaten, die auch ihre psychologische Seite hat, überstehen, wenn sie gleichzeitig der Sowjetunion die uns hier vorgeschlagene demonstrative Ovation darbringt?
Ist die Bundesregierung sich darüber klar, daß sie durch ihre Mitwirkung bei der Politisierung des
deutschsowjetischen Wirtschaftsabkommens auch zusätzliche politische Berufungsgründe für die Sowjetunion schafft, etwa für einen privilegierten Zugang zu unseren Kapitalmärkten auf dem Umweg über Bürgschaften, wie man es aus Art. 5 des Abkommens unter Umständen herauslesen kann, oder für einen privilegierten Status der Sowjetunion in ihren Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften?
({23})
Die bisherige Weigerung der Sowjetunion, die Existenz der Institutionen der Europäischen Gemeinschaften in einer normalen Form zur Kenntnis zu nehmen, entspricht jedenfalls nicht unseren Vorstellungen von einem konstruktiven, friedlichen und nachbarschaftlichen Nebeneinander der Völker Europas.
({24})
Dasselbe gilt für die unablässigen Angriffe der Sowjetunion gegen den Status von Berlin, auch in den Europäischen Gemeinschaften, nachdem die Sowjetunion ihn nahezu 20 Jahre kommentarlos hingenommen hat.
({25})
Daß und wie sie diese Frage wieder aufgeworfen
hat, ist ein eindeutiger Akt expansiver Westpolitik.
In dieser Situation ist es um so auffallender, daß die Koalition in Kenntnis dieser Umstände auf eine so demonstrative Sonderbehandlung dieses Wirtschaftsabkommens im Bundestag Wert legt. Denn das Wirtschaftsabkommen mit der Sowjetunion und der Versuch, es politisch herauszustellen, werfen schwerwiegende und vielfältige Fragen auf, die wir in den Ausschüssen nach allen Seiten prüfen sollten und prüfen werden. Wir glauben, daß ein Teil der Koalition mit dieser politischen Akzentuierung des Wirtschaftsabkommens nicht zufrieden sein kann. Sie kann in der Tat den geschäftsmäßig nüchternen Stil der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen, der den Umständen nach allein angebracht ist, eher beeinträchtigen. Dafür aber müssen die Kollegen sich bei Herrn Wehner bedanken, der der Behandlung dieses Abkommens diesen Stil aufgezwungen hat.
({26})
Die Opposition jedenfalls hat keine Veranlassung, Ihnen die Kastanien aus dem Feuer zu holen, wenn Sie meinen, sich um der Machterhaltung willen an solchen faulen Kompromissen beteiligen zu müssen.
({27})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der dem Hause vorliegende Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP macht ebenso wie das Rahmenabkommen selbst deutlich, worum es bei dieser Debatte geht.
({0})
Es handelt sich um einen politischen Vorgang von außerordentlicher Bedeutung.
({1})
Die Sowjetunion und die Bundesrepublik Deutschland verpflichten sich zu einer Zusammenarbeit, die die Zeitspanne einer menschlichen Generation umfaßt. Im Vorfeld der Versuche der Union, sich ein Grundsatzprogramm zu geben, ist, wie Sie sich selbst erinnern, davon die Rede, es mangele der Bundesregierung an Zukunftsperspektiven, insbesondere für die jungen Menschen. Meine Damen und Herren, hier haben wir eine Zukunftsperspektive! Diese heißt auf lange Sicht ({2}) ich würde dies sehr viel ernster nehmen -:
({3})
Frieden, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung in Europa.
({4})
Aus der vorab verbreiteten Stellungnahme der Kollegen Narjes und Mertes - Herrn Kollegen Narjes haben wir ja soeben noch einmal gehört - geht hervor, daß sie diese geschichtliche Perspektive überhaupt nicht begriffen haben.
({5})
Gerade das ist nämlich die Bedeutung des langfristig angelegten Vertrages.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie behaupten, es handle sich bei dem Abkommen um die Fortschreibung des deutschsowjetischen Handelsabkommens von 1958 und damit um eine bloße Fortschreibung gegenseitiger Wirtschaftsinteressen. Ich halte dem für meine Fraktion mit Entschiedenheit dies entgegen: Ohne die Ostverträge, insbesondere ohne den Moskauer Vertrag vom 12. August 1970, hätte es dieses Rahmenabkommen und die darin geschaffene stabile und langfristige Grundlage zur Förderung und Festigung der bilateralen Beziehungen nicht gegeben.
({6})
Der Moskauer Vertrag war die Initialzündung für diese Perspektive, für die neue Dimension der europäischen Politik überhaupt. Im Moskauer Vertrag ist - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten - in das Bestreben,
... zur Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa und in der Welt beizutragen,
der Wunsch der vertragschließenden Parteien eingebettet,
in vertraglicher Form ihrer Entschlossenheit zur Verbesserung und Erweiterung der Zusammenarbeit ... Ausdruck zu verleihen, einschließlich der wirtschaftlichen Beziehungen sowie der wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Verbindungen.
Damit war von Beginn an die Verklammerung der politischen und wirtschaftlichen .Beziehungen als
eine Grundlage der Entspannungspolitik klargestellt. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, leugnen das politische Gewicht des Rahmenabkommens, wie wir soeben gehört haben. Acht Jahre nach Unterzeichnung des Moskauer Vertrages verharren Sie immer noch auf Ihren längst überholten Positionen.
Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch einmal. Sie sagen,
daß die Unionsparteien seit je eine ökonomisch in sich plausible, das heißt nicht politisch verfälschte Entwicklung unserer Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion gewünscht haben.
Damit isolieren Sie offenbar den Ausbau der wirtschaftlichen von den politischen Beziehungen - als ob man das könnte! Damit machen Sie nach meinem Verständnis - trotz Ihres Bekenntnisses, sich auf den Boden der Verträge stellen zu wollen - im Grunde genommen wieder einmal deutlich, daß Sie der Entspannungspolitik ablehnend gegenüberstehen.
({7})
Ihre Zustimmung zum Rahmenabkommen erscheint deshalb recht widersprüchlich und wenig überzeugend. Das eigentliche Konzept in seiner politischen Substanz und Bedeutung tragen Sie nämlich nicht mit. Ihre politischen Bemerkungen zum Rahmenabkommen sind nach meinem Empfinden destruktiv. Entschuldigen Sie, aber ich muß das sagen, gerade deshalb, weil Herr Narjes sie als konstruktiv hingestellt hat. Wieder einmal taucht aus dem vielstrapazierten bekannten Vokabular das Gespenst eines „deutsch-sowjetischen Sonderverhältnisses zu Lasten des westlichen Zusammenhalts" auf: Schaukelpolitik.
({8})
- Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. ({9})
Meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie sich eigentlich, wenn Sie den Begriff „Schaukelpolitik" immer wieder hervorholen, darüber im klaren, daß Sie der gesamten deutschen Politik mit solchen Bemerkungen schaden?
({10})
Sie steigern sich schließlich in die für mich unverständliche Behauptung hinein, daß die „politische und wirtschaftliche Finalität der EG gefährdet werden könne" .
({11}) - Ja, ich habe „könne" gesagt.
Solche und ähnliche Prognosen - das ist doch seit Jahren unsere leidvolle Erfahrung - haben Sie in jeder Phase der Ostpolitik gestellt. Sie nehmen die unverrückbare Grundlage der deutschen Ent8550
Spannungspolitik seit dem Moskauer Vertrag einfach nicht zur Kenntnis.
({12})
Dieser Vertrag hat ausdrücklich die Gültigkeit der zwischen der Bundesrepublik und den westlichen Verbündeten geschlossenen Verträge bestätigt, und zwar auch den Deutschland-Vertrag, die Zugehörigkeit zum NATO-Bündnis und die EG-Verträge.
Am 11. Mai dieses Jahres hat der Bundeskanzler an dieser Stelle seinen Eindruck wiedergegeben, daß gerade durch die Entspannungspolitik die sowjetische Führung die EG als Realität ansieht und als Verhandlungspartner akzeptiert. Der Bundesaußenminister hat heute nochmals betont, daß das Rahmenabkommen nach enger Konsultation mit der EG und den USA getroffen wurde.
Schließlich: Was belegt die Übereinstimmung der deutschen Politik mit den EG-Staaten und unseren Verbündeten in Nordamerika mehr als die Tatsache, daß das Rahmenabkommen die Leitlinien der KSZE, insbesondere zu Korb II, ausfüllt? Die Ergebnisse dieser Konferenz sind doch ohne die politische Zusammenarbeit der Neun in sich und der Neun gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und Kanada nicht denkbar gewesen.
Die dynamische Verwirklichung der KSZE-Vereinbarungen, zu der das Rahmenabkommen ein wichtiger Beitrag ist, entspricht nahtlos dem Willen der westlichen Welt nach Zusammenarbeit in Richtung auf spannungsfreiere Ost-West-Beziehungen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, waren natürlich gegen das Abkommen von Helsinki und stehen auch heute hier wieder außerhalb dieser politischen Konzeption, so wie Herr Narjes es vorgetragen hat.
Sie fragen weiterhin besorgt nach der Einbeziehung von Berlin. Als ob nicht gerade diese Bundesregierung und diese sozialliberale Koalition erst die entscheidenden Voraussetzungen dafür geschaffen hätten, daß Berlin heute eindeutig in das Konzept der europäischen Friedenspolitik eingebettet ist.
({13})
In dem Rahmenabkommen sind die Interessen von Berlin gewahrt; in der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission ist ein Berliner als Sachverständiger vertreten. Ich habe überhaupt keine Sorge, daß dies auch für die auszuführenden Einzelvereinbarungen gelten wird. Im Gegensatz zu Ihren Befürchtungen habe ich sogar die Hoffnung, daß sich Art. 7 des Rahmenabkommens pragmatisch auf die Ausfüllung der übrigen Abkommen im kulturellen und wissenschaftlich-technischen Bereich auswirkt.
Der Bundeskanzler hat am 11. Mai dieses Jahres das Ergebnis des Besuches des Staatspräsidenten Breschnew gewürdigt und das Rahmenabkommen als eine Orientierung für die Entwicklung der politischen Beziehungen überhaupt bezeichnet, nämlich für eine langfristige friedliche Entwicklung, die voraussetzt, daß die Menschen in beiden Staaten ein dauerndes Interesse daran gewinnen, daß es den
Menschen im jeweils anderen Land auch wirtschaftlich gutgehe.
Der Deutsche Bundestag sollte der Initiative der Koalitionsfraktionen entsprechen und wegen der umfassenden Bedeutung dieses Abkommens dem vorgelegten Entschließungsantrag zustimmen. Damit wir uns hier nicht gegenseitig immer wieder mit alten Ladenhütern in der Diskussion über die Außenpolitik, ich möchte schon sagen: langweilen. Vielleicht gelingt es uns sogar einmal mit diesem Abkommen - wenn wir es so ernst nehmen, wie es dies verdient -, auch in der innerdeutschen Diskussion endlich ein neues Kapitel aufzuschlagen, das die ständigen Wiederholungen unfruchtbarer Argumente in der deutschen Außenpolitik beendet. Das wäre ein guter Schritt.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sah nach den Erklärungen, die die Führer der Opposition, Kohl und Strauß, noch ganz unter dem Eindruck des Breschnew-Besuchs in Bonn und in Würdigung der Ergebnisse der hier ausgehandelten Vereinbarungen abgegeben. haben, lange Zeit so aus, als könnten wir heute das selten gewordene Ereignis verzeichnen, daß über einen Debattengegenstand Gemeinsamkeit bei allen Fraktionen zu erzielen sein würde.
({0})
Durch den Diskussionsbeitrag des Kollegen Narjes ist das nicht mehr so sicher. Es schien, als sei die Opposition drauf und dran, sich in der Ostpolitik in die alten Gräben zurückzuziehen.
({1})
Das war ein wahrhaft beängstigender Zickzack-Kurs, den Sie mit dieser Rede hier offenbart haben.
({2})
Die Opposition wagt es in diesem Augenblick, in ihrer Unterstellung gegenüber der Regierung und dem Außenminister von Schaukelpolitik zu reden. Sie sollten endlich von Ihrem hohen Roß herunterkommen, meine Damen und Herren!
({3})
Aber diese Eintrübung wird ja wohl durch den Kalender bestimmt, und ich bin ziemlich sicher, daß sich nach den Wahlsonntagen und damit nach dem 15. Oktober die Opposition wieder ganz aufgeschlossen geben wird.
Was die Form der Behandlung angeht, so wird sie durch die politische Bedeutung des Vorgangs bestimmt. Deshalb war es nur ganz natürlich, daß der Bundeskanzler nach Abschluß des Wirtschaftsabkommens in seiner Regierungserklärung dem Parlament dieses Vorgehen ankündigte. Es besteht deshalb überhaupt kein Anlaß für die Aufgeregtheiten der Opposition.
Mir scheint, daß das zur Beratung anstehende deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen in der Tat den Anfang einer neuen Etappe der Entspannungspolitik markiert. Nach dem politischen Durchbruch in den frühen 70er Jahren folgt stärker denn je die wirtschaftliche Abstützung unserer langfristig angelegten Bemühungen um Verständigung und konkrete Zusammenarbeit über die ideologischen Grenzen in Europa hinweg. Hier wird völlig unpathetisch, aber nüchtern und realistisch der Versuch gemacht, unsere Politik der Friedenssicherung fester zu verankern.
Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Entschließungsantrag wertet und wichtet Art und Absicht des deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommens und drückt die Erwartungen aus, die damit für den Prozeß der Entspannung verbunden sind.
Bei der Erfüllung der aus dem Abkommen erwachsenden Verpflichtungen und bei der Lösung der sich in diesem Zusammenhang stellenden Aufgaben sollte die Bundesregierung ja wohl nicht nur der Unterstützung der Koalitionsfraktionen gewiß sein. Die Opposition hatte hier Gemeinsamkeit zu erkennen gegeben. Der Herr Kollege Narjes hat dieses Bild allerdings heute mit seiner Rede etwas überschattet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jäger?
Ich möchte meinen Beitrag im Zusammenhang vortragen, Herr Präsident.
({0})
Aber letztlich - dessen bin ich gewiß, und das möchte ich der auf die Sache konzentrierten Bemerkung des Kollegen Narjes gleichwohl entnehmen dürfen - wird sich auch die Opposition der Anziehungskraft dieses Unternehmens nicht entziehen können. Eine dann späte Einsicht und ein spätes Einschwenken auf den von der sozialliberalen Koalition vorgezeichneten Kurs könnte dennoch Chancen eröffnen, daß sich auf diesem wichtigen Feld der Politik die innenpolitischen Auseinandersetzungen irgendwann noch versachlichen.
({1})
Der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland in dem Ringen um Frieden und Entspannung kann dadurch nur an Geschlossenheit gewinnen und von irritierenden Alleingängen befreit werden.
Dann kann die Opposition, so glaube ich, auch endlich darauf verzichten, ihre dahin gehenden Ängste zu kultivieren, daß die Verbesserung und Verstetigung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den Ostblockstaaten zu Lasten der Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft geht.
({2})
Schließlich haben wir die Handlungsfreiheit für unsere Politik des Ausgleichs und der Friedenssicherung nur durch die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und durch das unsere Freiheit sichernde Verteidigungsbündnis der NATO gewonnen. Nur ein Tor, meine Damen und Herren, würde diese Garantien aufs Spiel setzen!
({3})
Aber es waren FDP und SPD, die allein den Mut aufgebracht haben, als Ergänzungsstück zur Westintegration die definitive Verständigung mit den Staaten Osteuropas anzustreben und somit der Bundesrepublik Deutschland volle Handlungsfreiheit zu vermitteln.
Meine Damen und Herren, die abseits stehende Opposition konnte mit ihren Vorstellungen für unser Land deshalb nicht weiter tragisch werden, weil die Fehleinschätzungen von CDU und CSU gottlob nicht zum Inhalt der Regierungspolitik geworden sind. Andernfalls stünde die Bundesrepublik Deutschland heute reichlich isoliert da.
({4})
Wenn es doch noch zu einem Gleichklang kommen sollte, so würde diese Gemeinsamkeit der politischen Kräfte im Parlament und in der Bundesrepublik Deutschland so lange auf wackligen Beinen stehen, wie wir in der Ostpolitik nur einen punktuellen und keinen fundamentalen Konsens erreicht haben.
Dabei steht es außer Frage, daß die wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion nur deshalb auf diese langfristige Grundlage gestellt werden konnte, weil eine äußerst konstruktive Phase der politischen Verständigung zwischen den beiden Staaten vorausgegangen war.
({5})
Es wurde eine Atmosphäre der Versachlichung geschaffen, in der überhaupt erst handfeste Fortschritte gedeihen konnten. Sie reichen von der Sicherung Berlins über steigende Zahlen bei den Aussiedlern bis hin zum stetigen Wachstum im deutsch-sowjetischen Warenverkehr.
Meine Damen und Herren, der Anteil der Sowjetunion am deutschen Osthandel liegt immerhin bei rund 40 °/o; umgekehrt nimmt die Bundesrepublik Deutschland im Westhandel der UdSSR mit einem Anteil von rund 17%den ersten Platz ein und liegt damit noch vor Japan.
Auf der Ebene der wirtschaftlichen Kooperation wurden in den letzten Jahren milliardenschwere Aufträge an deutsche Firmen vergeben. Diese Dimension ist in dem nunmehr gesetzten langfristigen Rahmen sicherlich ausbaufähig, erst recht, da nun noch die
mittleren und kleinen Unternehmen und nicht zuletzt der Dienstleistungssektor stärker mit einbezogen werden sollen. Ich bin sicher, daß der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft einen wichtigen Beitrag dazu leisten wird, daß die deutschen Interessen bei der zur Zeit in Vorbereitung befindlichen sowjetischen Planungsperiode ab 1981 sinnvoll berücksichtigt werden.
Was den in Art. 3 vereinbarten umfassenden Austausch von Informationen über Marktvorgänge angeht, so wird er zweifellos gefördert werden können, wenn die Sowjetunion bei der Akkreditierung deutscher Industrieunternehmen in Moskau großzügiger verfahren würde, als es in der Vergangenheit der Fall war. Wenn die jüngste Tagung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission Mitte September in Moskau als Indikator gelten darf, dann allerdings sollten solche und ähnliche Detailfragen künftig in einer aufgeschlossenen Atmosphäre zufriedenstellend geregelt werden können. Es ist jedenfalls unbestritten, daß mit dem ausgehandelten Abkommen insgesamt ein höheres Maß an Flexibilität möglich wird, daß also die jeweiligen Kapazitäten und Fähigkeiten genauer berücksichtigt und gezielter in die Dispositionen eingebracht werden können.
Bedeutsam ist auch die Festlegung der Prinzipien der Zusammenarbeit in Art. 4 des Abkommens. Besonderes Gewicht gewinnen die hier vereinbarten Grundsätze für die mittelständische Industrie. Sie wurde nämlich im Osthandel oft durch das Ansinnen von Kompensationsgeschäften aus dem Markt gedrängt. Insoweit dürfte die hier getroffene Vereinbarung Bedeutung über das bilaterale Verhältnis hinaus gewinnen.
({6})
Diese verbesserten Rahmenbedingungen für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen können aber nicht nur die Wirtschaftspolitiker interessieren; denn sie beziehen ihre elementare Bedeutung aus der geschichtlich belegbaren Tatsache, daß die Vertiefung von Handel und Wandel stets zum stabilisierenden Element der politischen Großwetterlage wurde. Der liberale Staatsmann Walther Rathenau hat das sehr viel grundsätzlicher gesagt. „Tatsächlich und normalerweise" - so sagte er - „gelten neun Zehntel der politischen Tätigkeit den wirtschaftlichen Aufgaben des Augenblicks, der Rest den wirtschaftlichen Aufgaben der Zukunft." Und noch pointierter, vielleicht überzeichnet, ist sein Ausspruch: „Nicht die Politik ist unser Schicksal, sondern die Wirtschaft." So gesehen haben wir es heute mit einer wegweisenden Perspektive in die 80er und 90er Jahre zu tun.
Es ist gut zu wissen, daß Berlin hierbei nicht ausgespart, sondern mit Art. 7 des Abkommens voll einbezogen wurde. Das war in der Vergangenheit leider nicht immer der Fall. Hier hat es mehr als einmal bedenkliche Fehlleistungen gegeben. Eine solche Nachlässigkeit wird sich eine sozialliberale Bundesregierung gegenüber Berlin nicht leisten.
({7})
Berlin bleibt für uns in jeder Phase des Entspannungsprozesses ein ausschlaggebendes Element, genauer gesagt: Berlin hat die Bedeutung eines Katalysators. Seine Beteiligung beschleunigt jede sinnvolle Entwicklung. Der Versuch seiner Ausschaltung aber verhindert oder behindert zumindest jeden vernünftigen Fortschritt, einen Fortschritt, der, wie an diesem deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen beispielhaft vorgeführt wird, beiden Vertragspartnern zugute kommt. Es bleibt unsere Aufgabe, und es bleibt die Hoffnung für die Zukunft, daß sich beide Partner an dieser Interessenlage orientieren.
Meine Damen und Herren, auf diesem Wege gilt es, weiter voranzuschreiten. Unser Wille zur steten Vertiefung der Zusammenarbeit auf allen Ebenen ist unvermindert stark.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Narjes hat u. a. von der gemeinsamen Deklaration gesprochen, die Herr Breschnew und ich vor einem Vierteljahr hier. in Bonn unterzeichnet haben. Der Kernsatz dieser Deklaration ist ein gemeinsames Bekenntnis der beiden Regierungen zu einer Politik der friedlichen Zusammenarbeit.
Generalsekretär Breschnew gehört genauso wie Sie und ich einer Generation an, die von der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges tief und dauerhaft, entscheidend geprägt ist. Ich kenne diesen Mann nun schon viele Jahre', aus vielen Gesprächen, und ich weiß, daß sich für ihn genauso wie für mich und wie wohl für manchen von uns aus dieser Prägung, aus dieser Erfahrung, eine persönliche Verpflichtung ergeben hat.
Nun haben aus solchem Pflichtbewußtsein sich ergebende politische Bekenntnisse, politische Absichten und Deklarationen ein die Zukunft gestaltendes Gewicht nur in dem Maße, in dem auch der Wille vorhanden ist und sich durchsetzt, ins Praktische, ins Konkrete zu übertragen, was man zunächst deklariert hat. Dieses Abkommen, über das wir heute morgen reden, Herr Abgeordneter Narjes, ist allerdings Ausdruck solchen Willens zur Konkretisierung, solcher Entschlossenheit beider Seiten, Ernst zu machen, tatsächlich gute Nachbarschaft und friedliche Zusammenarbeit zu haben.
({0})
- Ich war mir, Herr Kollege Mertes, über Ihr Ja nach der Rede von Herrn Abgeordneten Narjes nicht mehr ganz klar. Diese Rede war überaus ambivalent. Deswegen nehme ich hier das Wort, um nach dieser Rede, die den Eindruck unklar gemacht hat, jedenfalls für die Bundesregierung Klarheit zu schaffen.
({1})
Ich sehe die 'politische Bedeutung dieses Abkommens - wenn man so zusammenfassen darf - in drei Punkten:
Zum einen hat das Abkommen, . Herr Narjes, in der Tat eine Geltungsdauer von 25 Jahren und reicht damit bis in das nächste Jahrhundert hinein. Ich habe nicht die Vorstellung, daß wir nun am laufenden Band mit anderen Staaten Abkommen über 25 Jahre schließen sollen. Die Römischen Verträge mit unseren. westlichen Partnern dauern sehr viel länger; sie gelten unbegrenzt. Ebenso das Nordatlantische Bündnis. Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum wir nun mit Dritten - die Sie nicht genannt haben, aber vielleicht außerdem noch im Blick haben könnten - so langfristige Abkommen schließen sollten. In der Tat, dieses Abkommen ist etwas Besonderes. Falls Sie das gemeint haben, will ich es Ihnen bestätigen. Es ist etwas Besonderes, und das soll es auch sein.
({2})
Es hat eine ungewöhnlich lange voraussichtliche oder angestrebte Geltungsdauer: bis ins nächste Jahrtausend, wenn Sie so wollen, bis ins nächste Jahrhundert, würde ich bescheidener sagen; beides trifft hier zufällig zusammen. Es ist und sollte sein ein Ausdruck des Vertrauens, das die beiden vertragschließenden Seiten, die Sowjetunion und wir, in unsere langfristig orientierte und auf die Dauer angelegte friedliche Zusammenarbeit setzen; Vertrauen auch in die Kontinuität der Politik des jeweiligen Partners in diesem Vertrag.
({3})
Daß man ein solches Vertrauen in die Kontinuität des Partners ausdrücken kann, ist nun weder für die Sowjetunion noch für uns, Herr Abgeordneter Narjes, der Ausfluß von irgendwelchen handelspolitischen Abkommen, die zu irgendeiner Zeit in den 50er Jahren geschlossen worden sind, sondern es ist die Konsequenz dessen, was im Laufe der letzten neun Jahre an zusätzlichem Vertrauen in die Stetigkeit der Politik des Partners zwischen der Sowjetunion und uns sehr zielstrebig, wenn auch mit mancherlei Rückschlägen, geschaffen worden ist.
({4})
Zweitens. Darüber hinaus ist dieses Abkommen auch Ausdruck des Vertrauens in die kommenden Generationen auf beiden Seiten. Die gemeinsame Erklärung spricht davon, daß gute Nachbarschaft und wachsende Zusammenarbeit zum gesicherten Gut auch kommender Generationen werden können. Das ist wörtlich zitiert. Keiner von uns weiß, wie die Welt in 15 oder 20 oder 25 Jahren aussehen wird. Unsere Generation, der Sie und ich angehören, wir können den nachfolgenden Generationen den Weg nur zeigen, den wir für richtig halten, in der Hoffnung, daß sie diesen Weg gehen werden. Ich setze darauf sehr viel Hoffnung, und ich weiß, daß der Frieden davon abhängt.
Drittens. Um auf die wirtschaftlichen Aspekte auch einzugehen, von denen Sie sprachen: In der hinter uns liegenden Phase weit aufgefächerter weltwirtschaftlicher Expansion haben sich die nationalen Volkswirtschaften sehr eng miteinander verflochten, so eng wie niemals vorher. Aber dann haben die Auswirkungen der Weltinflation, der Weltrezession, der Weltwirtschaftsstrukturkrise auch auf die Staatshandelsländer, auf die kommunistischen Volkswirtschaften, erst recht zum Bewußtsein gebracht, daß die Verflechtung vorher so eng geworden war. Kommunistische Staatswirtschaften sind ja zum Teil schlimmer betroffen als manche eher marktwirtschaftlich orientierte westliche Volkswirtschaften. Aber ein ausreichendes öffentliches' Bewußtsein von der gegenseitigen Verflochtenheit ist bisher weder in den osteuropäischen kommunistischen Staaten noch in der westlichen Welt entstanden.
Der Generalsekretär Breschnew hat in einer seiner Reden hier in Bonn wie beiläufig ein sehr schönes Wort gebraucht, nämlich das Wort von der „Einbeziehung des Friedens in das Gewebe des Alltags". Dazu soll das beitragen, was nun auf der Grundlage dieses Abkommens in Gestalt vieler einzelner Akte, einzelner Geschäfte, vieler Begegnungen und Entfaltungen entstehen wird, die wir nur in Umrissen ahnen, denen wir aber den Weg bahnen wollen, ohne sie im Detail schon kennen zu können.
Sie, Herr Abgeordneter, haben das alles einen „faulen Kompromiß" genannt.
({5})
Das ist das Wort, das mich hier auf die Rednertribüne geführt hat, der Ausdruck vom faulen Kompromiß.
({6})
Ich bin nicht ganz sicher, ob das ein sehr wohl überlegter Wortgebrauch gewesen ist.
({7})
Ich möchte Ihnen auch nicht Gewalt antun. Lassen Sie mich einmal zu Ihren Gunsten annehmen, daß Sie diesen Ausdruck nur auf die Ihnen vorliegende Entschließung bezogen wissen wollten.
({8})
- Auf das Zustandekommen der Entschließung. ,Lassen Sie uns das mal so unterstellen. Dann will ich darauf zu sprechen kommen. Aber ehe ich darauf zu sprechen komme - und ich fasse es jetzt so auf, wie Sie es mir zurufen, Herr Narjes -, möchte ich doch noch einmal etwas zu dem Stichwort „Kompromiß" sagen.
Nicht nur die Entstehung der Ihnen vorliegenden Entschließung drückt Kompromisse aus - ich komme darauf zu sprechen -, jeder außenpolitische und außenwirtschaftliche Vertrag drückt Kompromisse aus. Verträge, die nur eine Seite begünstigen, sind schwer denkbar. Die kommen natürlik selbst in Brüssel, wo Sie einen Teil Ihrer Argumentation aufgehängt haben, nicht zustande. Wogegen ich mich wende, ist, daß bei solchen und anderen Gelegenheiten dem deutschen Publikum immer wieder suggeriert wird, als ob das Substantiv Kompromiß und das Adjektiv faul als Epitheton
ornans zusammengehörten. Das Gegenteil ist wahr, Herr Abgeordneter Narjes.
({9})
Ich sage Ihnen aus langer, langer Erfahrung in der Innen- wie in der Außenpolitik: Jemand, der meint, das Wort Kompromiß grundsätzlich mit dem Wort faul verknüpfen zu sollen,
({10})
der ist weder zur friedlichen Innenpolitik noch zur friedlichen Außenpolitik zu gebrauchen.
({11})
- Herr Abgeordneter Narjes wird ja wohl nicht bestreiten, daß er dieses Wort gebraucht hat.
({12})
- Auf den Sachzusammenhang, den er mir durch Zwischenruf eben noch einmal deutlich gemacht hat, hatte ich versprochen zurückkommen zu wollen.
({13})
- Ich darf wohl zwischendurch meine Meinung sagen gegenüber der intransigenten Attitüde, mit der hier geredet worden ist.
({14})
Er hatte das Wort vom faulen Kompromiß, das ihm so flüssig von den Lippen kam, auf das Zustandekommen dieser Entschließung beziehen wollen; so ruft er mir zu, und ich akzeptiere das. Ich will hier gern bestätigen - und das gilt nun nicht nur für den Abgeordneten Wehner, den Sie zweimal zitiert haben, es gilt auch für mich persönlich, es gilt auch für andere Bundesminister 7-, daß es im Kreis der Bundesregierung und der sie tragenden beiden Fraktionen auch die Überlegung gegeben hatte, diesen Vertrag wegen seiner weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen dem Bundestag zur Ratifikation vorzulegen. Ich selbst habe dies erwogen. Ich habe sodann am 11. Mai hier im Bundestag angekündigt, daß die Bundesregierung das Abkommen seiner umfassenden Bedeutung für das deutsch-sowjetische Verhältnis wegen dem Parlament zur Zustimmung vorlegen werde. So habe ich mich damals wörtlich ausgedrückt. Diese Ankündigung ließ mit Fleiß offen, ob die Zustimmung durch Vertragsgesetz
({15}) : Das würde ja der Verfassung widersprechen!)
oder in ander Weise, z. B. durch eine politische Entschließung, wie sie jetzt auf dem Wege ist, herbeigeführt werden solle.
Nun ist es nicht die Besorgnis etwa vor dem Ausgang der von der Opposition angekündigten
Verfassungsklage oder vor den Argumenten des jungen Herrn Verfassungsrechtlers, den Sie zitiert haben - ({16})
- Ja, Blumenwitz, danke schön.
({17}) - Wie bitte?
({18})
- Ja, Professor. Ist das was Besonderes?
({19})
Es ist nicht die Besorgnis vor dem Gewicht, die solche Argumente - ich habe sie gelesen; jedenfalls soweit sein Gutachten in der Zeitung veröffentlicht war, habe ich es gelesen - vor dem Verfassungsgericht haben könnten, die uns davon abgehalten hat, Ihnen ein Ratifikationsgesetz vorzulegen, sondern wir wollten das deutsch-sowjetische Verhältnis nicht mit einem derartigen Streit vor dem Verfassungsgericht belasten. Das ist unser Motiv. Ein solches Verfahren vor dem Gericht hätte, ganz unabhängig von seinem Ausgang, eine erhebliche, sich über Jahre hinausziehende Belastung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses mit sich bringen können. Damit hätte es die Erreichung des Vertragszweckes gefährden können.
({20})
- Des Abkommens.
({21})
- Lieber Herr Jäger, ich gebe Ihnen ja recht, aber Sie müssen doch nicht jedesmal dazwischenrufen. Dies ist kein juristisches Seminar, und ich gebe doch gar nicht vor, ein hochgebildeter Jurist zu sein.
({22})
Ich bin nur ein Politiker, ein ganz schlichter Politiker. Aber was Sie hier heute morgen betreiben, das verstehe ich sehr gut. Sie möchten auf der einen Seite so tun, als ob Sie für dieses langjährige Abkommen oder diesen Vertrag - was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Vertrag und einem Abkommen oder einem Agreement; man kann sogar, Herr Abgeordneter, Verträge mündlich schließen, wie Sie sehr wohl wissen, man braucht sie nicht einmal aufzuschreiben;
({23})
natürlich ist dies ein Vertrag -, als ob Sie für das Abkommen seien, auf der anderen Seite möchten Sie so tun - ({24})
- Sie sind dafür? Herr Mertes, dann wird es notwendig sein, daß nach mir noch einer der Ihren spricht.
({25})
Ich sehe, daß sich der Herr Kollege von Weizsäcker vorbereitet. Wenn ich Ihnen das Stichwort geben darf, Herr Kollege von Weizsäcker, dann sagen Sie doch: Alles, was der Herr Narjes geredet hat, ist eine Sache, wir sind für das von Ihnen ausgehandelte Abkommen, das ist die andere, entscheidende Sache.
({26})
Ich muß zurückkommen auf die Bemerkung, die der Abgeordnete Narjes gemacht hat, die Regierung betrachte dieses Abkommen wie vor fast 100 Jahren Otto von Bismarck den Rückversicherungsvertrag mit dem damaligen zaristischen Rußland. Das war übrigens auch kein ratifizierter Vertrag, Herr Abgeordneter Jäger.
({27})
Das nannte sich Vertrag, war in Wirklichkeit ein
geheimes Abkommen zwischen zwei Regierungen.
({28})
Sie haben geschmackvollerweise erstens der Regierung unterstellt - obwohl es hier im Hause vor einigen Monaten schon eine Debatte darüber gegeben hatte -, daß sie dieses Abkommen genauso ansähe wie den Rückversicherungsvertrag Bismarcks gegenüber dem zaristischen Rußland, und zweitens - und da liegt die andere Geschmacklosigkeit - haben Sie die rhetorische Frage gestellt: Gegen welchen unserer Verbündeten richtet sich eigentlich dieser Rückversicherungsvertrag? Da muß ich nun wirklich sagen, Herr Abgeordneter von Weizsäcker, es wäre gut, wenn Sie diese Bemerkung so zurechtrücken würden, daß sie nicht auf die Dauer Zwietracht zwischen uns und unseren westlichen Verbündeten säen muß.
({29})
Wenn es hier überhaupt eine Parallele zur Bismarckschen Rußlandpolitik gibt, wenn überhaupt,
({30})
dann liegt sie da, daß wir nach zwei Weltkriegen, in denen beide Male wir auf der einen und die Russen auf der anderen Seite gestanden haben, noch sehr viel besser als Otto von Bismarck damals wissen, daß wir, wenn es um die Erhaltung des Friedens in Europa geht, gemeinsame Interessen mit Rußland haben
({31})
- ich sage ja gar nicht, daß Sie dagegen anstreiten, Herr Mertes - und daß wir uns zur Erhaltung des Friedens beide, die Russen, die heutige Sowjetunion, und wir Deutschen, heute die Bundesrepublik Deutschland, gegenseitig entgegenkommen müssen, damit dieser Frieden bewahrt bleibe.
({32})
Das ist die einzige Parallele, aber eine sehr wichtige Parallele.
Sie haben dann eine zweite Bemerkung angeknüpft, die auch nicht mit den Maßstäben des guten Geschmackes zu messen ist. Sie haben uns gewarnt vor einer „Schaukelpolitik". Was meinen Sie eigentlich, Herr Abgeordneter? Was soll das eigentlich heißen? Sind Sie sich eigentlich im klaren - ich glaube nicht, daß Sie sich im klaren sind - über den beleidigenden Gehalt solcher leichtfüßig ausgesprochenen Worte?
({33})
Das war das zweite Wort, das mich - ich gebe es zu - geärgert hat und das mir eine Erwiderung an Ort und Stelle notwendig zu machen schien.
Weder schaukeln wir gegenüber der Sowjetunion noch gegenüber unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und in der Nordatlantischen Allianz.
({34})
Die Sowjetunion und deren Führung wissen ganz genau - und das nicht nur, weil die Sowjets einen eigenen analytischen Verstand besitzen, sondern weil wir bei vielen Gelegenheiten auch miteinander darüber geredet haben -, daß unsere Außenpolitik auch der Sowjet-Union gegenüber in unserer festen Verankerung in der Europäischen Gemeinschaft einerseits und im Nordatlantischen Bündnis andererseits wurzelt. Frau Renger hat darauf hingewiesen - oder war es Herr Hoppe -, daß dies auch ausdrücklich nach außen von der Sowjetunion und uns gemeinsam klargestellt wird und auch bei dieser Gelegenheit wieder klargestellt worden ist. Die Sowjetunion weiß das ganz genau.
({35})
Und unsere westlichen Partner wissen ganz genau, wie sehr wir auf sie angewiesen sind. Sie hören es insbesondere dann von uns, wenn immer mal wieder Schwierigkeiten in und um Berlin eintreten. Sie hören es dann von uns, wenn bei der Erfüllung der militärischen Aufgaben des 'Bündnisses Lagen eintreten, in denen wir nicht in eine Situation gedrängt zu werden wünschen, in der wir isoliert dastehen. Sie verstehen auch, daß wir eine isolierte Position innerhalb des Bündnisses nicht gebrauchen können, weil sie unsere Verbindung und unsere Einbettung in das Bündnis zukünftig irgendwann einmal gefährden könnte.
({36})
- Einverstanden, auch auf dem Felde der Rüstungskontrolle, Herr Mertes. - Dies alles ist den west8556
lichen Bündnispartnern, den Regierungen, den entscheidenden Personen in den Regierungen, aber auch in den Parlamenten, aus jahrelanger sehr vertrauensvoller Zusammenarbeit sehr bewußt.
Ich finde: Wenn es nicht tiefüberlegt und zweckund zielbewußt gesagt worden sein sollte, dann ist es erträglich. Wenn aber das Wort von der „Schaukelpolitik" sozusagen im Namen Ihrer Fraktion gesprochen worden sein sollte, Herr Abgeordneter Narjes, und mit tieferem politischem Zweck und Ziel, dann ist es eine ganz schlimme Sache, eine ganz schlimme Sache.
({37})
Und dann muß das Wort ganz scharf zurückgewiesen werden; und dann führt das zu langen, monatelangen Kontroversen zwischen Ihnen und uns, wenn Ihr Wort ernsthaft und zielgerichtet und zweckbewußt so gemeint gewesen sein sollte.
({38})
Sie müssen das Gewicht der Äußerungen eines Sprechers der Oppositionsparteien in einer solchen Debatte nicht gering veranschlagen. Was der bisher einzige Sprecher der Opposition zu dem deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen und der es begrüßenden Entschließung des Bundestages sagt, hat nicht geringes Gewicht.
({39})
Es hat weder in Moskau geringes Gewicht noch in den westlichen Hauptstädten noch für mich. Die westlichen Hauptstädte würden sich doch fragen: „Was ist eigentlich los mit der Bundesregierung?", wenn die Bundesregierung sich solche Worte wie „Schaukelpolitik" ohne scharfe Zurückweisung gefallen lassen würde.
({40})
Sie haben nebenher die alte Pseudoalternative „Sowjetunion oder China" wieder aufgebracht. Davon hatten wir ja vor 14 Tagen hier schon gehört. Wir sind selbstverständlich an einer Ausweitung unseres Handels mit der Volksrepublik China sehr interessiert. Eine Alternative jedoch - Zusammenarbeit mit dem einen oder dem anderen, oder: Schwergewicht der Zusammenarbeit bei dem einen oder dem anderen der beiden großen kommunistischen Staaten, oder dar eine Formel „China gegen Sowjetunion" - gibt es auf dem Felde der Wirtschaft genausowenig wie auf anderen Feldern der Politik.
({41})
Wir entwickeln unsere auswärtigen Beziehungen nicht im Geiste der Konfrontation, sondern mit dem Ziel der Zusammenarbeit, der Kooperation. Wir bemühen uns, unsere wirtschaftlichen Beziehungen, unsere Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China in einer Form zu intensivieren, die unsere Beziehungen zur Sowjetunion gerade eben nicht stört.
({42})
Es ist ein guter Grund gegeben, von Zeit zu Zeit über die Entfaltung unserer Beziehungen zur Volksrepublik China hier zu sprechen und zu debattieren. Es gibt in diesen Tagen wieder einen Besuch aus Peking; auch das könnte ein Anlaß sein. Ich sehe nicht, warum das deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen ein Anlaß für Sie sein mußte.
Wer die Notwendigkeit nicht erkennt, daß wir durch die von uns begrüßte Öffnung der Volksrepublik China nach dem Tode Mao Tse-tungs für die Weltpolitik und für die Weltwirtschaft - eine Öffnung, die auch uns betrifft und für die wir dank-
bar sind - unsere Beziehungen zur Sowjetunion nicht beeinträchtigen lassen dürfen, der versteht offenkundig nicht die unserer Außenpolitik vorgegebenen geographischen Wirklichkeiten.
({43})
Lassen Sie mich am Schluß das Folgende sagen: Içh würde der Opposition jedenfalls heute nicht mehr vorwerfen wollen - nach alledem, was man im Laufe eines politischen Lebens gelernt hat -, daß sie, die CDU/CSU, zu der Zeit, wo sie und ihre Spitzenmänner verantwortlich die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland zu machen hatte, so stark involviert und beteiligt und engagiert war an dem, was man „Kalten Krieg" genannt hat. Sie haben ihn nicht überwinden können. Sie waren nicht die einzigen, weiß Gott nicht, auf westlicher Seite. Allerdings haben Sie ihn auch nicht überwinden wollen; das wird man sagen dürfen.
({44})
Wir, die Sozialliberalen,
({45})
haben zu denjenigen gehört, die ihn -- gemeinsam mit anderen - in der Welt überwinden wollten und die darin bisher ein erhebliches Stück auch schon geleistet haben.
({46})
Es bleibt darin in der Zukunft noch eine Menge zu leisten.
Ich wäre dankbar, wenn solche Bemerkungen wie heute morgen - z. B. von der „Schaukelpolitik", vom „faulen Kompromiß" - vorher abgewogen würden, ehe sie ausgesprochen werden. Damit sie uns nicht stören bei der Politik, den Kalten Krieg durch Zusammenarbeit zu ersetzen. Damit sie nicht Mißtrauen säen, weder gegenüber unseren westlichen Freunden und Verbündeten noch gegenüber unseren östlichen Vertragspartnern.
({47})
Das Wort hat Herr Abgegeordnete von Weizsäcker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Kompromisse, zu denen wir fähig sein müssen, um zu beweisen, daß wir Demokraten sind, Herr Bundeskanzler, und es gibt Kompromisse, die so faul sind, daß die Lage des Landes dadurch gefährdet wird.
({0})
Gesprochen werden muß heute morgen im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsabkommen von einer bestimmten Gefahr eines faulen Kompromisses, die uns in den letzten Monaten in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder verfolgt hat, nämlich des Kompromisses zwischen einer in ihrer Westbindung, wie ich glaube, eindeutigen Linie der amtierenden Bundesregierung und anderen Tönen aus den Reihen Ihrer Bundestagsfraktion, Herr Bundeskanzler, die in immer neuen Wellen und in immer neuen Einzelheiten Anlaß zu besorgten Rückfragen durch unsere westlichen Bündnispartner gegeben haben.
({1})
Es empfiehlt sich, Herr Bundeskanzler, wenn Sie hier bestimmte Vokabeln benützen, sich doch Ihrerseits sorgfältig zu überlegen, wie diese Vokabeln hier vorgetragen worden sind
({2})
und worauf sie sich beziehen, und nicht einfach die Vokabeln als solche aus dem Topf herauszuholen und sie dann auf den Sachverhalt anzuwenden, der Ihnen in Ihrem parteipolitischen Kontext gerade paßt.
({3})
Das beziehe ich auf das von Ihnen mit Recht immer wieder hervorgehobene Wort der Schaukelpolitik. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wirft der Bundesregierung nicht Schaukelpolitik vor. Was die Fraktion aber tut, ist, der Bundesregierung immer wieder die Frage vorzulegen, wie Sie mit den Stimmen aus Ihrer eigenen Fraktion fertig werden, die im Ausland Anlaß dazu geben, zu fragen, ob das denn hier auf eine Schaukelpolitik hinauslaufe.
({4})
Weil wir, ich ich meine, ein gemeinsames Interesse daran haben müssen find eine gemeinsame Verantwortung haben, den Eindruck oder den Verdacht einer Schaukelpolitik abzuwehren,
({5})
genau deshalb, Herr Bundeskanzler, sollten Sie sich lieber die Fragen sowohl aus dem Ausland wie aus der Opposition zunutze machen, um den Ihnen entgegenstehenden Stimmen in Ihrer Fraktion entgegenzutreten, anstatt uns vorzuwerfen, wir redeten von Schaukelpolitik.
({6})
Ich möchte sagen, daß ich die Aussprache über das deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen, die wir ja heute nicht zum erstenmal, aber als Hauptgegenstand führen, ausdrücklich begrüßen. Wir haben dem Abkommen als einer nützlichen Rahmenabsprache
alsbald grundsätzlich zugestimmt. Die beiden Vorsitzenden der Unionsparteien, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, haben dies explizit getan, und es hat keinen Sinn, Herr Bundeskanzler, daran immer vorbeigehen zu wollen.
({7})
Im übrigen gibt uns die Art und Weise, wie wir darüber diskutieren, eine gute und notwendige Gelegenheit, sowohl im Bündnis wie gegenüber der Sowjetunion ganz klarzumachen, woran wir vital interessiert sind, nämlich an einer möglichst guten und sich normalisierenden Nachbarschaft, die den Menschen und den Völkern auf unserem gemeinsamen Kontinent spürbar werden und zugute kommen soll, an einer Zusammenarbeit dort und in dem Rahmen, in dem sie möglich ist, und an der Fähigkeit, gerade mit den Vertretern der Sowjetunion dort, wo wir unterschiedliche Meinungen und Gegensätze haben, so offen und im Lichte der Verantwortung zu reden, die uns in der Tat durch die verheerenden Erfahrungen des letzten Krieges, die unsere Generation kennzeichnen, und durch die zerstörerische Kraft der modernen Waffenarsenale auferlegt ist.
Die Grundlage sind die Friedensbereitschaft und die Bemühung um Fortschritt im Ost-West-Verhältnis, und zwar auf der Basis des Atlantischen Bündnisses, das nicht nur das Gleichgewicht der Kräfte sichert, sondern zugleich auch die gemeinsame Grundlage unserer, den Menschen gewidmeten freiheitlichen Werte und Ziele und ebenso der Europäischen Gemeinschaft als dem Zusammenschluß des freien Europa ist. In diesem Sinne gilt es, sich im Ost-West-Verhältnis gegenseitig ernst zu nehmen. In diesem Sinne gilt es, Klarheit und Berechenbarkeit im Atlantischen Bündnis als die wichtigste Aufgabe zu erkennen. Deshalb ist es notwendig, von den Mißverständnissen zu sprechen, die es im Laufe der letzten Monate gegeben hat und in die sich beinahe auch dieses deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen eingereiht hätte, dann nämlich, wenn die ursprüngliche Absicht verwirklicht worden wäre - ganz im Gegensatz zur Behandlung derselben Materie gegenüber anderen Ländern -,
({8})
hieraus plötzlich einen Ratifizierungsvorgang zu machen.
({9})
Herr Bundeskanzler, weil Sie nun davon gesprochen haben, inwiefern es sich hier doch nicht um einen üblichen, sondern um einen besonderen Vor- gang handelt, kann ich nicht umhin, im Namen meiner Fraktion noch einmal klarzustellen, daß wir - genau um der korrekten Beziehungen und um der möglichen Verbesserung der Beziehungen zu der Sowjetunion willen - unseren Bündnispartnern gegenüber erklären: Wir behandeln dieses Abkommen seinem inneren Gewicht gemäß, und zwar so, daß keine Zweifel darüber entstehen, ob wir innerhalb der NATO in eine Sonderrolle gegenüber der Sowjetunion eintreten wollen.
({10})
Ich möchte einige der Punkte erwähnen, die Anlaß zu den Mißverständnissen gegeben haben und die Anlaß zu faulen Kompromissen zwischen der Regierung und Teilen der sie tragenden Fraktionen bieten können,
({11})
die offenbar in eine andere Richtung marschieren wollen. Ich möchte einige Beispiele nennen, Herr Ehmke. Dann können Sie sich ja noch einmal überlegen, ob Ihr Zwischenruf richtig war. Es war unmittelbar nachdem Breschnew Bonn wieder verlassen hatte, als sich der Fraktionsvorsitzende Ihrer Fraktion, Herr Bundeskanzler, zu Wort meldete und öffentlich erklärte, er bedauere ausdrücklich, daß der Regierende Bürgermeister Berlins nunmehr dran sei, Bundesratspräsident zu werden.
({12})
Damit hat er die Sowjetunion doch förmlich eingeladen, sich bei bevorstehenden Protesten auf die wichtigste Stütze der Bundesregierung, nämlich auf den SPD-Fraktionsvorsitzenden, zu berufen.
({13})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön!
Herr von Weizsäcker, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit und fähig sein werden, das, was Sie mir hier in den Mund gelegt haben, an Hand dessen, was ich auf eine Frage in Berlin tatsächlich gesagt habe, schließlich, wenn Sie wirklich in den Besitz des Textes und nicht anders gefärbter Ausgaben gekommen sind, richtigzustellen?
Sehr gerne, Herr Kollege Wehner.
({0})
Ich habe hier den Text Ihres Interviews im „Express" vom 9. Mai 1978 vor mir, in dem Sie wörtlich ausführen:
Was den Bundesratspräsidenten betrifft, so kann ich nur sagen, ich bedauere, daß der Turnus so ist, nach welchem Herr Stobbe nun dran ist, ...
({1})
Ich frage mich, meine Damen und Herren, und ich frage Sie, was man in Washington eigentlich dazu sagen sollte, wenn man sich gerade dort ganz besonders darum bemüht, an den Bindungen wie bisher festzuhalten, um dann vom Fraktionsvorsitzenden der SPD zu hören, er bedaure den Turnus. Das war das erste.
Dann kam der stellvertretende Parteivorsitzende Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, der Herr Bürgermeister Koschnick, und erklärte am 7. Juli in Bremen, die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Politischen Union sei nicht mehr erstrebenswert, und zwar wegen der Ost-West-Beziehungen.
({2})
Meine Damen und Herren, wen wundert es denn, wenn uns in den Gesprächen mit amerikanischen Politikern und Diplomaten die Frage vorgelegt wird, was es denn bedeute, daß in der Führung der Sozialdemokratischen Partei nun sowjetischen Warnungen vor einem politischen Zusammenschluß in Europa offenbar mehr Gewicht beigelegt wird, als das Ziel der Stärkung des freien Europa, zu dem wir doch gemeinsam antreten und beitragen wollen.
({3})
Dann kommt der nächste Punkt, das ungeheuer wichtige Thema der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Mit Recht betont die Bundesregierung und mit Recht, Herr Bundeskanzler, betonen auch Sie selbst, wie wichtig es ist, auf die Entwicklung in der sogenannten Grauzone zu achten, also auf diejenigen sowjetischen Waffensysteme, die zwar strategisch wirken und daher nicht Gegenstand der Wiener Verhandlungen sind, aber nicht in die USA hineinwirken und infolgedessen nicht Bestandteil der SALT-Verhandlungen sind. Diese eurostrategische Ebene, von der Sie, wie ich meine, mit Recht, immer wieder mit besonderem Nachdruck sprechen, wird nun von dem dafür zuständigen Sprecher Ihrer Fraktion, nämlich dem Kollegen Pawelczyk, als etwas bezeichnet, von dem man lieber überhaupt nicht sprechen sollte.
({4})
Er sagt, wir sollten lieber nicht von den eurostrategischen Waffen sprechen; auf diese Weise könne ja die Unteilbarkeit des Verteidigungssystems in Gefahr geraten. Wir alle wissen, wie schwer es ist, das Problem der Grauzone zu lösen. Aber wenn unsere Bundesregierung im Gespräch mit unserem wichtigsten Bündnispartner von der Klärungsbedürftigkeit dieser Frage spricht, dann wäre es für unsere Bündnispartner eine Beruhigung, wenn nicht gleichzeitig der für Rüstungskontrollfragen zuständige Kollege der SPD-Fraktion öffentlich erklärt, lieber doch gar nicht von den eurostrategischen Waffen zu reden.
({5})
Dann geht es weiter. Da hat der Staatssekretär im Auswärtigen Amt einen sehr beachtlichen Artikel zum Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle geschrieben. Er hat, ohne irgendwelche Namen und Vorgänge im einzelnen zu spezifizieren, davon gesprochen, dies sei kein Gebiet für Alleingänge von uns
({6})
und hier bestehe keine erfolgreiche Aussicht auf Tempoforcierung durch die Deutschen.
({7})
Diesen Artikel hat die deutsche Öffentlichkeit als eine notwendige und von der Spitze des Hauses autorisierte Klarstellung gegenüber gewissen Bestrebungen - nun wiederum, Herr Bundeskanzler, nicht von Ihnen, aber aus den Reihen Ihrer Fraktion, von Herrn Wehner, Herrn Pawelczyk und anderen - verstanden.
({8})
Neulich hat sich Herr Pawelczyk in einem Interview der Frage gegenübergesehen, ob denn das, was der Staatssekretär van Well hier zu seinen-Pawelczyks - Dingen gesagt hat, denn wirklich Herrn Pawelczyk betreffe. Daraufhin hat Herr Pawelczyk gesagt: Wenn dieser Artikel mich meint, dann hätte diese Darstellung immerhin durch den ersten Beamten im Auswärtigen Amt - ich zitiere wörtlich -„natürlich keine Bedeutung für die Politik meiner Partei und meiner Fraktion".
({9})
Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler, was eigentlich unsere Bündnispartner zu einer Situation bei uns sagen sollen, in der der für Abrüstungsfragen zuständige Kollege der SPD-Fraktion urbi et orbi erklärt, natürlich habe für seine Partei und Fraktion keine Bedeutung, was der erste Beamte des auswärtigen Dienstes mit der Autorisierung seines Chefs hier öffentlich kundtut.
({10})
Dann kommt der nächste Punkt: die NATO-Manöver.
({11})
- Nein. Ich bin bei den NATO-Manövern. Sie brauchen keine Sorge zu haben: Ich finde meine Stichworte selber, auch ohne Ihre Hilfe.
({12})
In einem Moment, wo unsere Alliierten, insonderheit amerikanische Soldaten, mit großem persönlichen Einsatz, übrigens auch mit ziemlich erheblichem Mitteleinsatz, das üben, was wir von ihnen fordern, nämlich Vorne-Verteidigung, stellt der Parlamentarische Staatssekretär unseres Verteidigungsministeriums öffentlich die Frage, ob nicht diese Manöver vielleicht der Entspannung schaden könnten.
({13})
Sofort hat die „Prawda" das aufgegriffen und von einem generellen Mißbehagen der deutschen Bevölkerung an diesen Manövern gesprochen, und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese offenbar doch wohl autorisierte Stimme aus dem deutschen Verteidigungsministerium.
Muß es uns da wundern, Herr Bundeskanzler, wenn dann in. der „Washington Post" vom 23. September - und zwar nicht von den beiden Kolumnisten, sondern von anderen, mit den deutschen Verhältnissen sehr wohl vertrauten Journalisten - eine Frage aufgeworfen wird? Vor einem Jahr wußten amerikanische Journalisten von einer Option zu berichten, wonach im Fall eines sowjetischen Angriffs von einem Rückzug der NATO-Truppen aus einem Drittel des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland gesprochen werden könne. Vor einem Jahr gab es deswegen mit Recht eine große Aufregung in Bonn. Man verlangte mit Recht aus Bonn in Washington eine Klarstellung in bezug auf das Konzept der Vorneverteidigung. Jetzt - so sagt die „Washington Post" weiter - geben die Amerikaner den klarsten Beweis, daß sie zu dieser Vorneverteidigung entschlossen sind, nämlich durch die Manöver, und jetzt wenden sich deutsche Amtspersonen dagegen und fragen, ob das nicht vielleicht der Entspannung schaden könnte. Wie soll denn auf diese Weise in den Vereinigten Staaten ein Vertrauen in die Berechenbarkeit Ihrer Kraft entstehen, Herr Bundeskanzler, mit solchen Stimmen im eigenen Lager fertigzuwerden?
({14})
Es ehrt den Verteidigungsminister, daß er später deutlich gesagt hat, er habe diese ganze Diskussion für so unnötig wie einen Kropf gehalten. Aber zunächst hat sich erst einmal eine - leider ebenfalls amtliche - andere deutsche Stimme im amerikanischen Bewußtsein wieder eine Zeitlang festgesetzt.
Herr Bundeskanzler, es ist die Häufung dieser Fragen, die nun auch noch die Sorge bei unseren Bündnispartnern ausgelöst hat - das beweist eine Reihe von Gesprächen, die mit uns darüber geführt worden sind -, ob denn eine bestimmte Sonderbehandlung des Wirtschaftsabkommens auch irgendwo auf Druck oder auf Vorschlag der von mir zitierten Kräfte Ihrer eigenen Fraktion zustande gekommen sei, also von Kräften, die im Laufe der letzten sechs Monate durch eine ganze Kette von einzelnen Forderungen immer wieder der deutschen Position und insbesondere immer wieder auch der deutschen Bundesregierung besondere Schwierigkeiten bereitet haben.
({15})
Deswegen haben wir ein, wie ich meine, allgemeines deutsches Interesse an einer Klarstellung auch zu diesem Punkt. Die Ratifizierung wäre der falsche Weg gewesen, nicht nur verfassungsrechtlich, sondern vor allem in bezug auf ihre politische Wirkung. Es sollte nicht auf einem Umweg über eine Resolutionsüberladung nun eine Art Ersatzratifizierung auf den Tisch gelegt werden.
({16})
Darum, Herr Bundeskanzler, und nur darum geht es. Dies ist von vornherein von den Sprechern unserer Fraktion so gesagt worden; dies ist auch heute so gesagt worden. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie sich an das hielten, was hier gesagt worden ist, und nicht an das, was Sie gern bekämpfen möchten, obwohl es gar nicht gesagt worden ist.
({17})
Ich meine, dieses Abkommen und unsere Beratung darüber gibt uns erneut Gelegenheit, uns dessen zu erinnern, daß der Besuch von Generalsekre8560
tär Breschnew Anfang Mai hier in Bonn in der Tat ein sehr bedeutsames Ereignis war.
({18})
Es war deshalb ein Ereignis von Bedeutung, Herr Wehner, weil im Gegensatz zu dem, was Sie immer wieder zeigen, daß Sie nämlich die Beziehungen der Deutschen mit den für uns besonders bedeutungsvollen auswärtigen Mächten am liebsten auf Ihre Partei monopolisieren wollen, diesmal auf seiten der Sowjetunion eine sehr viel förderlichere Einsicht vorhanden war, nämlich die Einsicht, daß man sich, wenn man wirklich ernsthaft weiterkommen will, dazu nicht nur mit einer ausgewählten Hälfte, sondern mit dem ganzen politischen Spektrum des Nachbarn zusammensetzen muß. Man muß sich gegenseitig ernst nehmen. Man muß sich in einer Form gegenseitig ernst nehmen, die sich gerade bei dem Besuch von Breschnew deutlich gezeigt hat. Natürlich bedeutete es etwas für den Generalsekretär der KPdSU, nicht daß er mit Ihnen zusammengetroffen ist oder daß er mit unserer Regierung gesprochen hat, sondern daß er mit den Führern der Opposition zusammengetroffen ist, die noch beinahe bis zum Tage vorher in den amtlichen Zeitungen der Sowjetunion als die eigentlichen' Feinde der Menschheit dargestellt wurden. Nein, es ist ein wirklicher Fortschritt, daß hier demonstriert worden ist, nicht nur daß man sich gegenseitig ernst nimmt, sondern daß man sich der Verantwortung bewußt ist, die wir zur Erhaltung des Friedens und eines menschenwürdigen Zusammenlebens in diesem Kontinent miteinander haben.
Weil wir diese Verantwortung miteinander haben, gerade deshalb, Herr Bundeskanzler, ist neben allem anderen, was Sie gesagt haben und über das sich hier demokratisch ja ganz gut diskutieren und das sich auch klarstellen läßt, allerdings ein Wort von Ihnen dergestalt, daß Sie die nächste Gelegenheit wahrnehmen müssen, um das hier wieder auszuräumen. Wenn Sie nämlich gesagt haben, wir - die CDU/CSU - hätten den Kalten Krieg nicht weghaben wollen,
({19})
dann ist das in der Tat nichts anderes als die Unterstellung, uns gehe es in Wahrheit nicht um Frieden, sondern um Krieg.
Herr Bundeskanzler, kein denkender Mensch in Deutschland und kein denkender Mensch in Ost oder in West glaubt eine derartige Äußerung.
({20})
Aber wenn wir hier miteinander in der Lage bleiben sollen und das müssen wir doch auf Grund unserer gemeinsamen Verantwortung für unser Land -, untereinander verschiedene Meinungen im Wege der demokratischen Diskussion auszutauschen, dann dürfen Unterstellungen dieser Art um keinen Preis und mit keinem Rest auf dem Tisch bleiben! Wenn Sie das nicht beseitigen, was Sie hier gesagt haben, Herr Bundeskanzler, dann zerstören Sie eine notwendige Voraussetzung dafür, daß wir
in dem Feld, das Sie selber immer wieder mit Recht beschwören, nämlich im Feld der Friedenssicherung, gemeinsam unsere Pflicht tun können.
Meine Damen und Herren, wir werden dem Wirtschaftsabkommen in seinen verschiedenen Bedeutungen und der Art und Weise einer zustimmenden Kenntnisnahme noch unsere Gedanken und Diskussionen in den Ausschüssen zu widmen haben. Ich beantrage im Namen meiner Fraktion die Überweisung dieses Entschließungsantrags an die Ausschüsse.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Ehmke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege von Weizsäcker, ich muß sagen: Ich fand diesen Auftritt peinlich.
({0})
Ich habe gedacht, Sie gehen als Spitzenkandidat der CDU für Berlin ans Rednerpult
({1})
- Herr Jenninger, halten Sie doch einmal die Luft an; ich weiß doch, daß Ihre Zwischenrufe unintelligent sind -, um zu würdigen, was diese Bundesregierung mit ihrer Ostpolitik einschließlich der Wirtschaftspolitik mit dem Osten für die Sicherheit Berlins getan hat. Davon habe ich von Ihnen nichts gehört.
({2})
Lieber Herr Kollege von Weizsäcker, wer hier ans Rednerpult geht und das Wort von der Schaukelpolitik, das Herr Narjes gegen die Regierung gesagt hat, nicht zurücknimmt, sondern den Trick versucht, das Wort Schaukelpolitik in Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesregierung und der Fraktion umzuinterpretieren, der hat noch nicht begriffen, worum es in Berlin geht. Das kann ich Ihnen nur sagen.
({3})
Ich wünsche Ihnen viel Glück, in Berlin mit dem Wort Schaukelpolitik gegen eine Regierung anzutreten, von der Berlin sehr wohl weiß, was es ihr im Hinblick auf die Situation, die heute in Berlin besteht, zu verdanken hat.
({4})
Bevor Sie vom Bundeskanzler mit großer moralischer Empörung
({5})
die Zurücknahme einer Unterstellung verlangen, sollten Sie sich vielleicht doch bequemen, das Wort von der Schaukelpolitik zurückzunehmen; denn durch das, was Sie hier an Wahlrede gehalten haben, ist dieses Wort ja nicht belegt worden.
({6})
Herr Kollege von Weizsäcker, was von Ihrer Seite heute gesagt worden ist, hatte mit dem Abkommen nichts zu tun. Es hatte nichts mit Berlin zu tun. Was von Ihrer Fraktion heute unter dem Stichwort Schaukelpolitik zu diesem Abkommen gesagt worden ist, ist gegen die Interessen Berlins gerichtet. Trotzdem will ich einmal die einzelnen Punkte durchgehen, an denen Sie sich so künstlich aufgerankt haben.
Vielleicht darf ich zunächst einmal das ganze Zitat von Herbert Wehner aus dem „ Expreß"-Interview mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen. Herr Wehner sagte:
Was die Europa-Wahlen betrifft, so wird es natürlich Einsprüche der anderen Seite geben.
({7})
Das sind regelmäßig sich wiederholende Einsprüche. Wenn aber deutlich ist, daß in Berlin nicht Wahlen wie in der Bundesrepublik stattfinden, sondern daß drei Berliner Abgeordnete ins Europa-Parlament delegiert werden, so ist das nichts, was unwiderruflichen Schaden hervorruft. Was den Bundesratspräsidenten betrifft, so kann ich nur sagen, ich bedaure, daß der Turnus so ist, nach welchem Herr Stobbe nun dran ist, und hoffe nur, daß es mit den unvermeidlichen Protesten glimpflich ausgeht.
({8})
- Es ist überhaupt nicht unerhört, wenn ein Politiker in einer schwierigen Situation erklärt: Es ist der Turnus, der im Augenblick zum Konflikt führt.
({9})
Man kann den Turnus nur bedauern, weil man sich einen günstigeren Zeitpunkt gewünscht hätte. Hier ist diese Aussage doch so hingestellt worden; als ob Herr Wehner dagegen wäre, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin Bundesratspräsident wird. Das ist doch unehrlich.
({10})
Im übrigen sage ich Ihnen: Was den Turnus betrifft, teile ich die Meinung von Herbert Wehner.
({11})
- Jawohl.
Herr
Abgeordneter Ehmke, einen Augenblick.
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu beitragen, daß der Redner verständlich bleibt. Zwischenrufe sind möglich, aber doch bitte so, daß der Redner weiterreden kann.
Ich teile die Meinung des Fraktionsvorsitzenden der SPD. Ich sage nur: Ich wehre mich gegen den Versuch, aus dieser Äußerung über
den Turnus eine Äußerung gegen die Bundesratspräsidentenschaft des Regierenden Bürgermeisters zu machen. Das sind wohl zweierlei Stiefel.
({0})
Dann hat Herr von Weizsäcker als zweiten Punkt eine Äußerung meines Kollegen Koschnick angeführt, die im wesentlichen darauf gezielt war, Herr von Weizsäcker, dem europäischen Zusammenschluß seine frühere, aus dem Kalten Kriege stammende Anti-Ost-Richtung zu nehmen. Wenn wir heute den KSZE-Prozeß betrachten, an dem wir zusammen mit den westeuropäischen Verbündeten mitwirken, so geht es doch gerade darum, diesen Entspannungsprozeß und den europäischen Einigungsprozeß auf lange Sicht möglichst nicht auf Westeuropa zu beschränken.
({1})
Herr
Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Weizsäcker?
Nein. Herr von Weizsäcker, ich bin zeitlich gebunden.
({0})
Bitte verstehen Sie, daß ich zum Ende kommen muß.
({1})
In dem dritten Fall, Herr von Weizsäcker, darf ich Sie vielleicht belehren; Sie sind ja in den Abrüstungsfragen nicht so drin. Das, was Herr Pawelczyk sagt, ist die Meinung nicht nur der Bundesregierung, sondern auch unserer amerikanischen Verbündeten. Es geht darum, Herr von Weizsäcker, daß man nicht durch den Gebrauch des Wortes „eurostrategisch" den Eindruck erweckt, wir könnten das nukleare Abschreckungspotential des Westens in ein „global-strategisches" und ein „eurostrategisches" zerlegen. Das ist keine Erfindung von Herrn Pawelczyk. Man muß das als Einheit sehen, und darum gebraucht er für das, was Sie „eurostrategisch" nennen, wie alle anderen auch den Begriff „Grauzone". Für eine Kritik in der Sache besteht überhaupt kein Grund. Machen Sie sich einmal mit dieser Frage vertraut, dann werden Sie feststellen, daß es allein darum geht, diesen Unterschied' nicht hochzuspielen - bei dem dann auch das törichte Gerede vom „decoupling" auftaucht -, hier in der Bundesrepublik, nicht in den Vereinigten Staaten.
({2})
- Sie sind ja Fachmann auf dem Gebiet. Für laute Zwischenrufe sind Sie Fachmann; sonst habe ich von Ihnen hier im Plenum noch nichts gehört.
({3})
Also, Herr von Weizsäcker, dies ist überhaupt kein Streit in der Sache, weder zwischen uns noch mit den Amerikanern.
Der vierte Punkt: Wir schätzen sehr, was Herr van Well als Staatssekretär über die Außenpolitik der Bundesregierung darlegt. Die Fraktion allerdings -ich nehme an, das gilt auch für Ihre - fühlt sich dadurch nicht gebunden. Wir sind natürlich in der Lage, uns unsere eigene außenpolitische Meinung zu bilden. Die kann mit seiner übereinstimmen oder nicht. Um nichts anderes ging es.
Dann bleibt der letzte Punkt, Herr von Weizsäkker: die Äußerung von Herrn von Bülow. Ich muß ganz offen sagen: Wenn ich Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerum wäre, hätte ich sie nicht gemacht. Aber als Abgeordneter bin ich der Meinung, daß es eine sehr wichtige Diskussion ist - wie in den Vereinigten Staaten übrigens auch -, uns in einer Zeit, wo wir am KSZE-Tisch und in Wien ernsthaft über vertrauensbildende Maßnahmen verhandeln, zu überlegen, ob man nicht Manöver auf beiden Seiten so anlegen sollte, daß sie dem Ziel der Vertrauensbildung nicht schaden. Das halte ich für eine vernünftige außenpolitische, sicherheitspolitische, rüstungskontrollpolitische Diskussion, die Sie hier wirklich nicht zu diffamieren brauchen.
({4})
Herr von Weizsäcker, das zu diesen fünf Äußerungen, die Sie hier zu Wahlkampfzwecken aufpusten, die überhaupt nichts belegen von dem, was Sie uns hier mit der immer noch stehengebliebenen Unterstellung der „Schaukelpolitik" vorgeworfen haben.. In Wirklichkeit machen Sie doch eine zwiespältige Politik. Heute reden Sie hier so, und dann gibt es z. B. ein deutschlandpolitisches Papier der CSU, in dem von den „Reichsteilen außerhalb der Grenzen von 1937" gesprochen wird. Sie werfen dem Bundeskanzler vor, hier gesagt zu haben, Sie hätten den Kalten Krieg nicht überwinden wollen. Ich habe aus vielen Reden Ihrer Kollegen - nicht gerade aus Ihren Reden; das gebe ich Ihnen zu - den Eindruck, daß sogar eine stille Sehnsucht besteht, zum Kalten Krieg wieder zurückzukehren.
({5})
Ich könnte Ihnen endlose Zitate dazu bringen.
Ich sage Ihnen eines, Herr von Weizsäcker: ich finde es peinlich,
({6})
daß die Union mit zwei Zungen redet, nämlich einmal gegenüber der Sowjetunion und zum anderen nach innen, zum Bürger und vor allen Dingen zum Wähler, über Ihr Verhältnis zur Sowjetunion. Wir sind doch nicht so dumm, nicht zu wissen, wie Sie gegenüber der Sowjetunion reden. Da kommt Herr Breschnew - das war übrigens nicht eine große Erleuchtung der Sowjetunion, daß man mit allen reden muß; Sie wissen, daß die Bundesregierung sehr dafür war, daß auch mit der Opposition gesprochen wird; ich halte das für eine vernünftige Handhabung solcher Dinge durch die Bundesregierung; Sie brauchen also nicht zu unterstellen, das sei gegen unseren Willen geschehen -, und dann stellt sich Herr Strauß hier hin mit Elogen gegenüber Generalsekretär Breschnew und erklärt: alles wird eingehalten, und sollten wir an die Regierung kommen, ändert sich an der Politik überhaupt nichts. Das ist das, was Sie nach draußen, zu unseren Vertragspartnern, sagen, weil Sie als regierungsfähig gelten wollen. Aber nach innen wollen Sie immer noch suggerieren, Sie seien an sich gegen diese Politik und könnten sie ändern. Damit wollen Sie Wähler gegen uns mobilisieren. Ich nenne das nicht Schaukelpolitik, aber ich nenne das „mit zwei Zungen reden". Ich bin der Meinung, es wäre viel besser, Sie würden damit aufhören, statt hier die Politik und die Position Berlins mit so unwürdigen Worten zu belasten.
({7})
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Amrehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch ist es keine zwei Wochen her, daß der Kollege Ehmke hier von diesem Pult uns alle ermahnt hat, miteinander pfleglich umzugehen. Er hat an das Jahr 1945 erinnert, um zu fragen, ob wir uns damals hätten vorstellen können, daß Demokraten sich gegenseitig wieder so beschimpfen. Ihr heutiger Beitrag, Herr Dr. Ehmke, war ein Schulbeispiel dafür, wie jemand wie Sie in einer Weise mit der Opposition umgeht, daß entsprechend hart darauf geantwortet werden muß.
({0})
Sie sind einer von denen, die in diesem Hause mit ihrer Wortwahl und in ihren Unterstellungen das Klima verderben.
({1})
Sie dürfen nicht vergessen, daß gerade von dieser Stelle aus auf Ihren Wunsch hin der Versuch unternommen worden ist, uns mit Argumenten zu überzeugen und davon Abstand nehmen, anderen schlechte Motive zu unterstellen.
({2})
Hier ist auf Ihre Worte und die Beschwer, die Sie haben oder zu haben glauben, schon gebührend geantwortet worden. Ich hätte von Ihnen hier heute erwartet, Herr Dr. Ehmke, daß Sie hergegangen wären und gesagt hätten: Über das, was hier „Schaukelpolitik" genannt worden ist, besteht auch in den Reihen der SPD nicht die geringste Ursache zu diskutieren; bei uns sind die Kräfte gar nicht vorhanden, die einen solchen Verdacht rechtfertigen würden. Aber was Sie vorgetragen haben und richtigstellen wollten, ist doch mit den Zitaten gerade erst noch belegt worden.
({3})
Was Sie unternehmen, ist doch nur der Versuch, Ausflüchte für das zu finden, was wirklich gesagt worden ist. Denn wenn Sie die Äußerung von Herrn Wehner in bezug auf den Regierenden Bürgermeister von Berlin als Bundesratspräsidenten jetzt auf den Punkt „Turnus" schieben wollen, was vorsichtigenweise auch nur so gesagt worden ist.
({4})
dann kann ich nur antworten: In der Sache selbst unterscheidet sich das Argument in nichts davon, daß wir sagen, hier habe Herr Wehner überhaupt gemeint, er bedaure, daß der Regierende Bürgermeister ein solches Amt übernimmt.
({5})
Seit dem Viermächteabkommen sind mehr als fünf Jahre vergangen. Ich frage mich, wann denn eigentlich der richtige Zeitpunkt sein soll, daß der Regierende Bürgermeister das Amt übernehmen kann. Muß es nicht eine ungeheure Schwächung unserer Position und eine nachdrückliche Nachgiebigkeit bedeuten,
({6})
wenn der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der maßgebenden Regierungspartei den Vorschlag macht, von einem seit Jahrzehnten vorgegebenen Turnus zum Nachteil der Berliner abzuweichen?
({7})
Das zweite. Der Turnus ist längst im ersten Ablauf der Bundesratsvorsitze festgelegt. An der Reihe ist diesmal der Berliner Regierende Bürgermeister nach einem zweimal durchgespielten Turnus. Wenn jetzt einer sagt, der Turnus sei unglücklich, dann sagt er, die Sache sei bedauerlich.
({8})
Das ist zum Ausdruck gekommen. Davon wird niemand etwas abwaschen.
({9})
Meine Damen und Herren, der zweite Punkt war nun die Unterstellung von Herrn Ehmke, der Kollege von Weizsäcker habe hier als Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters gesprochen, obwohl ja in der ganzen Rede, die er namens der Fraktion und als stellvertretender Fraktionsvorsitzender befugt gehalten hat, davon überhaupt keine Rede war. Wenn Sie in den Äußerungen, die Herr von Weizsäcker gemacht hat, Wahlkampf sehen wollen, so kann ich alles das, wie Sie es, Herr Kollege Ehmke, gesagt haben, im Grunde nur niedriger hängen, weil Sie sich mit diesen Äußerungen selber richten.
({10})
Und wenn Sie wiederholen, wir hätten im Grunde eine stille Sehnsucht nach dem Kalten Krieg
({11})
und redeten mit zwei Zungen, dann möchte ich meinen, Herr Kollege Ehmke: bei vielem, was wir gewohnt sind, ist das sogar unter Ihrem eigenen ( Niveau hier gewesen.
({12})
Lassen Sie mich noch folgendes feststellen. Gerade Herr Kollege Ehmke ist es gewesen, der erklärt hat, wir hätten hier am heutigen Tag würdigen sollen, was die Regierung in den Jahren ihrer Verantwortung für Berlin geleistet hat, gerade im Zusammenhang mit diesem Abkommen. Herr Kollege Ehmke, da dann ich nur feststellen, daß wir ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion seit dem Jahre 1958 haben, daß dieses Handelsabkommen über 20 Jahre voll wirksam gewesen ist und daß in dieses Abkommen die Wirtschaft Berlins tatsächlich immer voll einbezogen gewesen und bis auf den heutigen Tag geblieben ist und daß die Sowjetunion beispielsweise Mercedes-Motoren immer aus Berlin bezogen hat. In diesem Punkt bringt das neue Abkommen - außer dem Wortlaut der Klausel - keinen tatsächlichen Fortschritt.
({13})
Nun möchte ich Ihnen folgendes sagen. Wenn Sie schon 'der Meinung waren, hier sollte ein besonderer Akt der Feierlichkeit oder der Weihe vollzogen werden, dann hätte die Bundesregierung heute hier die Mitteilung auf den Tisch legen müssen, daß sich die Sowjetunion endlich nach fünf Jahren bereitgefunden hat, fertig paraphierte oder fast zur Paraphierung reife Verträge zu unterschreiben, weil sie endlich den bisher verweigerten Berlin-Klauseln zugestimmt hat. Aber davon ist überhaupt keine Rede. Die Verträge, die seit fünf Jahren tausgearbeitet in Moskau liegen, werden weiterhin nicht mit der Berlin-Klausel versehen, obwohl Sie vorhaben, mit einem Akt der Feierlichkeit hier nun der Sowjetunion eine besondere Stellung einzuräumen. Wir haben uns nicht davon überzeugen können, daß es solche Leistungen gäbe, die das rechtfertigten.
Nun ist heute auch noch von Ambivalenz unserer Haltung die Rede gewesen. Ich glaube, das schlägt auf die Bundesregierung zurück. Sie hat selber ein Regierungsabkommen geschlossen, nach ihrem Willen niemals anders geplant und nach dem Wortlaut des Vertrages ein reines Regierungsabkommen. Sie hat doch selber gar nicht an Ratifizierung gedacht. Wenn sie dann hinterher vor das Haus tritt ,und vom Hause eine Zustimmung verlangt, die es sonst für solche Abkommen überhaupt nicht gibt, dann verhält sie sich doch ambivalent. Entgegen ihrem eigenen Verhalten, entgegen ihrem eigenen Entschluß, ein Regierungsabkommen zu machen, trägt sie dem Hause plötzlich an, es zu ratifizieren, sei es in Form des Ratifizierungsgesetzes, sei es in Form der Entschließung, die im ersten Satz den gleichen Wortlaut hat wie ein Ratifizierungsgesetz. Das nenne ich ambivalent.
({14})
Sie macht aus zwei Teilen gar noch drei, indem sie
das Ratifizierungsgesetz hinterher im Keller wieder
verschwinden läßt und nun noch ein drittes Verfah8564
ren einschlägt, indem sie Ihnen anrät, hier eine Entschließung zu verabschieden. Hier weiß doch die Regierung selbst nicht, was sie will. Wir würden diese Diskussion nicht führen, wenn sie das Abkommen geschlossen und in Kraft gesetzt hätte.
Mir wird gesagt, die plötzliche Bearbeitung dieses Vertrages hier im Hause gehe auf besonderes Drängen der Sowjetunion zurück, es dauere ihr zu lange, bis die Sache verabschiedet werde. Da kann ich nur sagen: Am 9. Mai ist unterschrieben worden, Sie konnten dieses Abkommen doch am 15. Mai in Kraft setzen. Wenn die Sowjetunion jetzt schon fünf Monate wartet, wie der Außenminister ausgeführt hat, dann ist es allein die Schuld und die Verantwortung der Bundesregierung, daß sie ihre eigenen Abmachungen nicht einhält.
({15})
Hier ist ausgeführt worden, daß wir zu dem Abkommen früher wie auch heute in seinem Gesamtrahmen ja sagen, daß wir bereit sind, es auszufüllen, daß wir der Überzeugung sind, daß wirtschaftliche Beziehungen und ihre Intensität das politische Klima verbessern können, und daß wir unseren Beitrag dazu leisten wollen. Wenn Sie aber dem ganzen Vertrag einen anderen Charakter geben wollen, wenn Sie aus einem Wirtschaftsabkommen plötzlich einen neuen politischen Vertrag mit dem Hintergrund dessen machen wollen, was der Kollege von Weizsäcker ausgeführt hat, nämlich auf dem Hintergrund der Äußerungen aus Ihren Reihen, auf dem Hintergrund der Debatte, die wir um Herrn Bahr geführt haben, auf dem Hintergrund einer Neuorientierung unserer Politik, die mindestens einige und nicht unmaßgebliche Leute von Ihnen wollen, dann sagen wir: Auf diesem Wege leisten wir jedenfalls keinen eigenen Beitrag, .auch nicht in Form einer Entschließung, zu solchen Mißverständnissen über die deutsche Politik.
({16})
.Das Wort
hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Niemand in diesem Hause wird der Opposition das Recht bestreiten, an einem getroffenen Abkommen Kritik zu üben, es wird ihr auch niemand das Recht bestreiten, ein Abkommen abzulehnen.
({0})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden, Herr Jäger; seien Sie nicht so aufgeregt!
Noch besser in unserem Sinne, im Sinne der Regierung, wäre es natürlich, wenn Sie sich entschließen könnten, meine Damen und Herren, zuzustimmen, aber nicht in einer Weise und mit einer Begleitmelodie, die es für einen auf Selbstachtung Wert legenden Partner eines solchen Abkommens sehr schwer machen müßte, eine solche Zustimmung zu akzeptieren.
({1})
Man kann seine eigene Zustimmung durch die Begleitmusik so sehr in Frage stellen, daß sie dadurch politisch wesentlich entwertet wird.
({2})
Dies ist der Punkt, Herr Kollege Narjes, dessentwegen Bezeichnungen wie „Schaukelpolitik" und „fauler Kompromiß" in der Tat in dieser Diskussion fehl am Platze gewesen sind.
({3})
Herr Narjes, was soll denn die Bemerkung, ihre Zustimmung zu diesem Abkommen sei keine Absage an die Europäische Gemeinschaft?
({4})
Glauben Sie im Ernst, daß unsere Unterzeichnung dieses Abkommens eine Absage an die Europäische Gemeinschaft darstellt? Warum wird dies unterstellt?
({5})
- Ich habe beim Bundeskanzler zugehört, und ich habe auch bei den Verhandlungen über dieses Abkommen mitgemacht. Wir wissen sehr genau, Herr Narjes - das gilt auch für das, was wir bei meinem letzten Besuch in Moskau besprochen haben -, daß wir in die Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaft eingebettet sind, daß wir sie nicht nur aus rechtlichen, sondern aus politischen Gründen halten. Wir weisen die Unterstellung, die in Ihrer Bemerkung und in Ihrer Frage liegt, zurück.
({6})
Herr Narjes, Sie haben formuliert, man solle Wirtschaft und Politik so weit wie möglich voneinander trennen, man solle sie voneinander getrennt halten. Das ist so irreal, als kämen Sie von einem anderen Stern und gäben uns hier Ratschläge.
({7})
Niemand kann heute - und das nicht nur in unseren Beziehungen zur Sowjetunion - die wirtschaftliche Position, die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland von politischen Erwägungen und politischen Zusammenhängen lösen. Glauben Sie ernsthaft, ich könnte in meiner Eigenschaft als Co-Vorsitzender der Deutsch-Sowjetischen Wirtschaftskommission nach Moskau reisen und dort über Wirtschaft reden, als wollte ich ausschließlich Großrohre, Klein- oder Mittelrohre verkaufen, und die politischen Aspekte solcher Gespräche aus den Augen verlieren? Aber ich füge hinzu: Glauben Sie ernsthaft, ich könnte dies in anderen Ländern tun? Das gibt es überhaupt nicht. Das ist bare Theorie und eine falsche obendrein.
({8})
Vom Wirtschaftspolitischen her, so hat es geheißen, bestünde gar kein Anlaß zu diesem Aufwand. Nun, Herr Narjes, meine Damen und Herren von der Opposition, da müssen wir einmal sehen, in welchem Verhältnis Aufwand und Ertrag stehen. Es läßt sich heute nicht abschließend beantworten, wie sich ein auf langfristige Kooperation angelegtes Abkommen einmal - ich darf es ruhig so nennen - auszahlen wird. Aber erste Erfahrungen und gewisse Grundlagen, die uns zu diesen Entschlüssen gebracht haben, liegen doch vor:
Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß die Ausgangsposition für die Handelsentwicklung seit 1970 nahezu Null gewesen ist und daß es sich von daher leicht mit Vervierfachung und hohen prozentualen Steigerungen rechnen läßt. Aber, Herr Narjes, ohne diese Politik, die jetzt hier eine wesentliche Fortsetzung findet, wäre es eben bei Null ge- blieben,
({9})
und ohne diese Politik und ohne diese Handelsbeziehungen hätten wir die Erleichterungen in der Zeit einer schwierigen Rezessionsphase der deutschen Wirtschaft nicht gehabt und darüber zur Sicherung unserer Arbeitsplätze nicht verfügen können.
({10})
Meine Damen und Herren, wir haben uns vorgenommen, den Umfang unserer Handelsbeziehungen zu verdoppeln. Das steht in dem Abkommen. Herr Narjes sagt, bis 1985 werden nur plus 40 % erreichbar sein.
({11})
- Und wenn Sie auch Kapazitäten zitieren, die offenbar über prophetische Gaben verfügen: Plus 40 °/o, ist das eigentlich etwas, was man einfach wegwischen sollte?
({12})
Ich sage Ihnen, daß man sich Ziele setzt und daß man sich bemüht, diese Ziele zu erreichen. Das Ziel heißt Verdoppelung des Handelsaustausches. Wir werden daran arbeiten, daß das erreicht wird. Es ist leichtfertig, sich hier heute herzustellen und zu sagen: Das geht überhaupt nicht.
({13})
- Mit diesem Ansatz und mit den Maßstäben, mit denen Sie messen, Herr Narjes, mit diesem Verzichtsansatz und diesem Kleinmut werden Sie deutsche Wirtschaftspolitik nicht betreiben können. Sie sind ja auch schon von Ihrer eigenen Fraktion etwas aus dieser Linie zurückgezogen worden.
({14})
Ich will aber gern auf die Einzelheiten eingehen, die Sie kritisch angemerkt haben. Sie sagten erstens, es bestünde keine Gegenseitigkeit insbesondere in den Bereichen Schiffahrt, Luft- und Straßenverkehr, Versicherung und Dienstleistung. Meine Damen und Herren, dies ist richtig. Aber Sie wissen ganz genau, Herr Narjes, daß es die auch im Verhältnis
zu zahllosen Ländern im westlichen Teil unserer Welt nicht gibt und daß dies keineswegs ein Problem ist, das Sie nur auf die Sowjetunion gemünzt so darstellen dürfen.
({15})
Zweitens. Das Thema Niederlassungsfreiheit wird uns in der Tat Schwierigkeiten bereiten, weil es nach der dortigen Wirtschaftsauffassung schwierig ist, solche Zugeständnisse zu machen - Zugeständnisse, die wir erbeten haben und an deren Erlangung wir arbeiten.
Hohe westliche Kredite - und da wird es natürlich ganz grundsätzlich interessant - und die Lieferung westlicher Anlagen, die eine Potentialstärkung bedeuten, waren Gegenstand Ihrer dritten Anmerkung.
({16})
- Ja, natürlich, Herr Kollege Mertes, militärisch. Das habe ich wohl verstanden. - Wenn Sie dieses zum Grundsatz handelspolitischer Beziehungen machen, bedeutet das in voller Konsequenz: überhaupt keine handelspolitischen Beziehungen. Es gibt keine Lieferungen, die nicht Potentialstärkung bedeuten könnten. Selbst wenn Sie den allerzivilsten Bereich nehmen, entsteht dieses Problem. Wenn Sie Baumwolltuche zur Herstellung ziviler Anzüge liefern, setzen Sie dadurch Kapazitäten für die Herstellung von Uniformstoffen im Empfängerland frei. Das ist entweder eine endgültige Absage oder ein nicht durchgreifendes Argument.
Die Kompensationstechnik, Herr Narjes, haben Sie erwähnt. Ich kann Ihnen nur sagen: ich bin außerordentlich zufrieden über die Regelung, die in Art. 4 des Abkommens gefunden worden ist. Zum erstenmal wurde dadurch erreicht - das ist für meine Arbeit ein wesentlicher Fortschritt und eine Erleichterung -, daß beiderseitiges Interesse Voraussetzung dafür ist, daß über solche Möglichkeiten überhaupt gesprochen werden kann. Sie wissen, daß dies eine Einschränkung im Hinblick auf die bisher angemeldeten Forderungen der anderen Seite gewesen ist, eine Einschränkung, die den Realitäten näherkommt und deswegen vernünftig ist und die Wirtschaftsbeziehungen erleichtert. Aber hier nun gerade einen Ansatzpunkt zur Kritik zu finden - nachdem das Abkommen in dieser Frage Fortschritte zeigt -, halte ich für verfehlt.
Die mittleren und kleinen Unternehmen werden wir in stärkerem Maße einbeziehen.
Eine Frage, Herr Narjes, die mir völlig unverständlich geblieben ist: wie eigentlich begründen Sie Ihren Hinweis darauf, daß die Wirtschaftsbeziehungen, die mit diesem Abkommen begründet werden, unsere Wirtschaftsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten und die GATT-Verhandlungen in irgendeiner Weise tangieren könnten?
Eine letzte Bemerkung! Der Zugang zu 'den Kapitalmärkten, der nicht über Bürgschaften für Staatskredite geschaffen wird, sollte Ihnen Anlaß auch zu der Feststellung gegeben haben, daß das Kreditstanding und die Kreditfähigkeit unseres Partners
I an den internationalen Kapitalmärkten heute ausgesprochen positiv eingeschätzt wird.
Ich möchte aber, weil mir völlig klar ist, daß es sich keineswegs ausschließlich um einen Bereich handelt, bei dem man sich auf die rein wirtschaftliche Betrachtung beschränken kann, ganz klar machen, daß wir auch den allgemeinpolitischen Hintergrund und Rahmen dieser Bemühungen sehen müssen und gesehen haben. Aber es war für mich eine sehr zufriedenstellende Erkenntnis, daß. die sowjetische Seite während der 8. Sitzung der deutschsowjetischen Wirtschaftskommission mit sehr viel größerem Entgegenkommen, mit sehr viel größerer Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet insbesondere der industriellen Kooperation aufgetreten ist, daß dort über massive Aufträge verhandelt worden ist, die wir brauchen, meine Damen und Herren, die uns dringend not tut. Auch sind im Augenblick erhebliche Projekte im Verhandlungsstadium.
Wir haben zur wirtschaftlichen Seite gesprochen. Das mag dem einen oder anderen nicht so wichtig sein, und die Debatte hat ja auch vom eigentlichen Kern dessen, was wir vorgehabt haben, ein wenig weggeführt. Ich möchte dieses Gebiet aber nicht abschließen, ohne Ihnen auch sehr persönlich zu sagen, daß ich die Frage der Zusammenarbeit für eines der entscheidenden Anliegen in unserer Entspannungs-
und Friedenspolitik halte und daß das eine vom anderen nicht zu trennen ist.
({17})
Lassen Sie mich, Herr Kollege Narjes - weil ich gesagt habe: ganz persönlich - sagen, was ich damit meine. Ich meine eine Erfahrung, die ich beim Besuch des Generalsekretärs Breschnew und seiner Begleitung gemacht habe. Als wir beim Mittagessen in Hamburg zusammensaßen, ergab sich aus der Unterhaltung ein Fragespiel, in dem die einzelnen, insbesondere die sowjetischen Gesprächspartner, gebeten wurden, zu sagen, wo ihr Geburtsort sei. Einer nach dem anderen zählte ihn auf. Mir wurde bei dieser Gelegenheit klar, daß ich alle diese Geburtsorte, alle diese Städtenamen kannte - alle aus Wehrmachtsberichten. Ich glaube, auch diese Politik, auch das Problem, das wir heute behandeln, wird und soll dazu beitragen, daß diese besondere Vergangenheit zwischen unseren beiden Ländern überwunden wird. Dieser Umstand rechtfertigt es, daß wir über eine besondere Form sprechen, dieser Umstand rechtfertigt es, daß wir auf diesen historischen Hintergrund Rücksicht nehmen - bei voller Wahrung berechtigter deutscher Interessen und Standpunkte. Darauf können Sie sich bei dieser Bundesregierung verlassen.
({18})
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen! Meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat auf meine Rede in einer Form geantwortet, die nur verständlich ist, wenn man unterstellt,
daß er Stichworte für Polemik braucht und bereit ist,
sie sich so zurechtzubiegen, wie er sie wohl benötigt.
({0})
Im Gegensatz dazu hat der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht recht zugehört.
Das erste Stichwort war das der Schaukelpolitik. Ich habe gesagt: „Wir lehnen jede Geste ab, die mißdeutet werden könnte, und sind nicht bereit, uns an einem Kurs zu beteiligen, der auch nur als der Versuch einer Schaukelpolitik gewertet werden könnte." Daß diese vorsichtige, eher zu maßvolle Formulierung der Wirklichkeit entspricht, haben Sie doch wohl aus den Darlegungen meines Kollegen von Weizsäcker im Detail entnehmen können.
({1})
Die Gefahr der Bewertung dieser Aktion, um die es hier heute geht, als Schaukelpolitik ist doch von den Koalitionsparteien, und in ihnen von der SPD, durch die Art und Weise ausgelöst worden, wie Sie die politische Erhöhung des Wirtschaftsabkommens hier betrieben haben. Diese Verhältnisse in der SPD sind es ja gerade, die Unklarheiten über ihre politische Linie und diesen Verdacht im Ausland - nicht nur hier - ausgelöst haben. Deshalb müssen wir hier darüber sprechen, und zwar in einer Form, die den Urheber und die Zweifel direkt anspricht und die die Sache nicht nur polemisch anpackt und in falsche Richtungen mißdeutet.
Dasselbe gilt auch für Graf Lambsdorff. Graf Lambsdorff, die „Begleitmusik", von der Sie sprechen, ist nicht von der Regierung, nicht von der Op- ( position, sondern von der Koalition gemacht worden, und sie allein hat das zu verantworten. Es ist bezeichnend, daß kein einziger Redner des heutigen Morgens unsere verfassungsrechtlichen Argumente auch nur angesprochen, geschweige denn widerlegt hat.
({2})
Graf Lambsdorff, Sie haben offensichtlich dem Herrn Bundeskanzler nicht genau zugehört, als er in der Darlegung der Haltung der Bundesregierung zu den Verpflichtungen gegenüber den Europäischen Gemeinschaften den Inhalt der Art. 113 und 114 bewußt heruntergespielt, restriktiv interpretiert hat, sie also nicht so gedeutet und für die Bundesregierung verbindlich akzeptiert hat, wie der EG-Vertrag unterschrieben und von der SPD früher auch einmal mit getragen worden ist.
({3})
Dies ist eine klare Herabsetzung der Verpflichtungen gegenüber den Europäischen Gemeinschaften. Davor habe ich in Worten gewarnt, die ich unter Hinweis auf juristische Gutachten nicht maßvoller wählen konnte, als ich sie gewählt habe.
Es ist dann von Graf Lambsdorff gesagt worden, es sei übertrieben, zu sagen, daß dieser Vertrag keinen Anlaß für den großen politischen Aufwand biete. Graf Lambsdorff, Sie können nicht bestreiten, daß dieser Vertrag auch dieselbe Wirkung gehabt hätte, wenn es diese Debatte heute morgen nicht gegeben hätte, wahrscheinlich sogar eine gröDr. Narjes
Bere und bessere Wirkung. Überdies sind Ihre Zitate der früheren Jahre eher der Beweis des Gegenteils; denn schon ohne dieses Abkommen hatten wir eine Verdreifachung, Vervierfachung oder Verfünffachung des Handelsvolumens mit der Sowjetunion, je nachdem, welche Zeiträume Sie zugrunde legen. Dieses Abkommen wäre insoweit jedenfalls nicht nötig gewesen. Auch die Großgeschäfte, die Gasgeschäfte usw., sind in der Zeit vor dem Abkommen abgeschlossen worden. Das soll gar keine Absage an das Abkommen sein, aber es soll zu seiner richtigen Bewertung beitragen.
Es ist dann von Graf Lambsdorff das Problem der Potentialstärkung aufgegriffen worden. Graf Lambsdorff, so schwarz-weiß mit „alles oder nichts" können Sie dieses Problem nicht lösen. Es gibt da sehr große und wichtige Abstufungen, über die man vielleicht im einzelnen reden kann. Aber das Prinzip, jede Form von Handel zu unterlassen, damit der Vorwurf der Potentialstärkung nicht erhoben werden kann, würde letztlich bedeuten - ich darf das umkehren -, daß Sie - weil Sie jeden Handel zulassen - sogar auf die Mitwirkung an COCOMBeschlüssen verzichten müßten. Das kann doch wohl nicht Ihre Absicht sein.
({4})
Dann zur Kompensationstechnik. Ich habe gesagt, daß das Handelsvolumen letztlich davon abhängt, in welchem Umfang die Sowjetunion in der Lage ist, auf deutschen Märkten wettbewerbsfähige Produkte anzubieten, ohne Dumpingpreise. Dieses Handelsvolumen kann nicht auf die Dauer durch Kredite künstlich aufgebläht werden, denn der Schuldendienst der Kredite würde mittelfristig auf das Volumen zurückschlagen. Ich habe hinzugefügt, daß auch die Kompensationstechnik dieses Volumen auf Dauer nicht hochhalten kann.
Dazu müssen wir - das Wort „Kompensation" beinhaltet zweierlei - zwei Dinge unterscheiden. Zum einen beinhaltet es den ganz alten Tauschhandel: Äpfel gegen Eisen. Diesen Teil habe ich angesprochen, als ich sagte, hier würden in erster Linie Großunternehmen begünstigt. Denn nur diese können sich solche Kompensationsgeschäfte leisten. Die mittleren und kleinen Betriebe sind automatisch ausgeschlossen, weil sie für diese Kompensationsware gar keine Absatzmöglichkeiten haben. Die andere Form von Kompensation, auf die Sie anspielen, ist die Frage, in welchem Umfang die Produkte der von uns gebauten Anlagen später hier abgesetzt werden können, ohne Marktstörungen auszulösen. Es ist gut, daß Sie zu diesem Teil der Kompensationstechnik den Art. 4 abgeschlossen haben. Das haben wir mit keinem Satz, mit keiner Silbe beanstandet. Aber dies sollten wir doch in dieser Deutlichkeit herausstellen.
Zum Schluß, Graf Lambsdorff, haben Sie die Frage gestellt, was das mit den Vereinigten Staaten zu tun habe. Ich habe Sie selbst zitiert, da Sie vor wenigen Tagen vor der Gefahr eines Handelskrieges mit den Vereinigten Staaten gewarnt haben, der sich in diesem Herbst aus den GATT-Verhandlungen ergeben könnte. Ein solcher Handelskrieg
mit den Vereinigten Staaten - ich gebrauche Ihr Wort - hat auch seine psychologischen Rückwirkungen auf das politische Klima in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, auf das gesamte Umfeld auf der deutsch-amerikanischen und europäisch-amerikanischen Beziehungen. Genau auf dieses Umfeld habe ich angespielt, als ich die Frage gestellt habe, warum es gerade in einem Zeitpunkt besonderer wirtschaftlicher Spannungen mit unserem wesentlichsten Partner im Westen angebracht sein solle, dem Osten eine verfassungsmäßig zweifelhafte, politisch nicht notwendige demonstrative Ovation zu bringen. Und dabei bleiben wir!
({5})
Meine
Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu der Vorlage der Bundesregierung liegt auf der Drucksache 8/2158 ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
({0})
- Meine Damen und Herren, hier ist die Frage aufgetaucht, ob der Entschließungsantrag mit überwiesen worden ist. Da ich sowohl die Vorlage der
Bundesregierung als auch den Entschließungsantrag aufgerufen habe, bin ich davon ausgegangen, daß beides gemeinsam überwiesen worden ist.
({1})
Das war kein Mißverständnis, Herr Kollege Porzner.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise und zur Regelung der Meldepflicht in Beherbergungsstätten
- Drucksachen 8/2132, 8/2123 Das Wort hat der Herr Abgeordnete Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einspruch des Bundesrates gegen das Gesetz über Personalausweise und zur Regelung der Meldepflicht in Beherbergungsstätten nötigt den Deutschen Bundestag zu erneuter Beschlußfassung. Die sachliche Notwendigkeit für diese Prozedur ist nicht ersichtlich. Denn die CDU/CSU hat keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die eine Änderung der Gesetzesbeschlüsse des Deutschen Bundestages vom 8. Juni 1978 begründen könnten. Die Bedenken, die die Opposition über den Bundesrat am 7. Juli 1978 zum Vermittlungsbegehren erhoben und schließlich am 22. September 1978 mit dem Einspruch versehen hat, sind im Deutschen Bundestag und in seinen
Fachausschüssen alle eingehend beraten und nach sorgfältiger Prüfung nicht aufgenommen worden.
Die Opposition hat ihr Verhalten in dem wichtigen Bereich der Maßnahmen zur Erhaltung der inneren Sicherheit damit erklären wollen, daß die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte den Erfordernissen nicht entsprächen. Diese Behauptung ist ganz und gar falsch. Sie verstellt den Blick für das kriminalpolitisch Notwendige, nämlich für die konsequente Ausschöpfung der vorhandenen Fahndungsmöglichkeiten und der Anwendung der bestehenden Gesetze.
Die Einschaltung des Bundesrates mit dem Ziel, Beschlüsse des Deutschen Bundestages zu verändern, entspricht dem Wortlaut der Verfassung. Von seinen Mitwirkungsrechten bei der Gesetzgebung hat der Bundesrat über 20 Jahre lang zurückhaltend Gebrauch gemacht. Das entspricht dem Sinn und Zweck des Grundgesetzes. In seiner jetzigen Zusammensetzung hat der Bundesrat jedoch seine Rolle zunehmend überdehnt. Während der sieben Legislaturperioden von 1949 bis 1976 hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß in 370 Fällen angerufen, aber allein in der 7. Legislaturperiode wurde der Vermittlungsausschuß in mehr als einem Viertel aller Fälle, nämlich bei 96 Gesetzen, angerufen. In 13 Fällen hat der Bundesrat gegen Gesetzesbeschlüsse des Bundestages Einspruch eingelegt, davon allein in der 7. Legislaturperiode sechsmal, also fast die Hälfte aller Fälle. Schließlich hat der Bundesrat von 1949 bis 1976 Gesetzesbeschlüssen des Bundestages in insgesamt 65 Fällen - davon 18 in der letzten Wahlperiode - die Zustimmung versagt und so das Inkrafttreten verhindert.
Wie problematisch das ist, zeigt die Tatsache, daß der Parlamentarische Rat den Gesetzesbeschlüssen des Bundestages, die zu ihrem Wirksamwerden der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, einen Ausnahmecharakter zuwies. Heute ist es hingegen so, daß die Hälfte aller Bundesgesetze als zustimmungsbedürftig angesehen und behandelt wird.
Die wenigen Fakten verdeutlichen: Eine Mehrheit des Bundesrates versteht sich weiterhin als die zweite Kammer, die der Bundesrat nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ist und nicht sein darf. Dieses falsche Verständnis beschädigt den in der Verfassung niedergelegten föderativen Ansatz, weil er ihn in Mißkredit bringt.
Der Einspruch des Bundesrates, um den es heute geht, richtet sich gegen Beschlüsse des Deutschen Bundestages über das Personalausweis-Gesetz und melderechtliche Regelungen. Der Bundestag hatte beschlossen, durch eine Eintragung in den Bundespersonalausweis dessen Funktion als Grenzübertrittspapier aufheben zu können und demgemäß die Verpflichtung zu begründen, Paßversagungsgründe auch in den Personalausweis einzutragen. Zum anderen wird durch rahmenrechtliche Regelungen den Landesgesetzgebern aufgegeben, in Beherbergungsstätten handschriftlich auszufüllende und zu unterzeichnende Meldedrucke einzuführen. Die Erfüllung beider Verpflichtungen wird durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand abgesichert.
Nach den Vorstellungen der Opposition und des Bundesrates sollen darüber hinaus Wohnungsgeber und Inhaber von Beherbergungsstätten verpflichtet sein, die Identität von Mietern und Hotelgästen zu überprüfen. Weiterhin erstrebt die Opposition die Begründung der bundesgesetzlichen Nebenmeldepflicht.
Die bundesgesetzliche Regelung ist überflüssig. Die Meldegesetze aller Länder mit Ausnahme von Bayern und Hamburg enthalten Vorschriften über die Meldung durch den Wohnungsgeber. Die Länder Bayern und Hamburg sind nicht daran gehindert, ebenfalls solche Regelungen einzuführen.
Zum anderen erscheint es nicht angebracht, Inhaber von Beherbergungsstätten und Wohnungseigentümer in eine Art polizeiliche Verantwortung zu nehmen. Dagegen wehren sich auch die Hausund Grundeigentümer sowie die Inhaber von Beherbergungsunternehmen zu Recht mit Nachdruck.
Demzufolge ist auch das Begehren der Opposition gegenstandslos, Inhaber von Personalausweisen zu deren Mitführung zu verpflichten, denn diese Mitführungspflicht gewinnt ihren Sinn im wesentlichen nur aus der rechtlichen Verpflichtung zu einer Identifizierung durch Inhaber von Beherbergungsstätten und Vermieter.
Es besteht nach alledem keine Veranlassung, dem von der Opposition vorgeschlagenen Weg zu folgen. Die Fraktion der SPD wird darum den Einspruch des Bundesrates ablehnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Abstimmung gebe ich folgende Erklärung für die CDU/CSU-Fraktion ab.
. Das Gesetz ist am 8. Juni 1978 gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion beschlossen worden. Die damaligen Gründe für die Ablehnung bestehen unverändert auch heute fort. Gegenstand der heutigen Abstimmung -
Herr Kollege, einen Augenblick bitte. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie noch einmal, Platz zu nehmen, damit der Kollege Erhard im Haus voll verständlich ist.
({0})
Danke schön, Herr Präsident! Gegenstand der heutigen Abstimmung ist der nur von den Koalitionsparteien getragene kleine Rest eines ganzen Gesetzesbündels, das von meiner Fraktion im April und im Oktober des vorigen Jahres im Bundestag eingebracht worden war.
Angesichts der seit fast einem Jahrzehnt andauernden Bedrohung durch terroristische Gewaltverbrechen verfolgt die CDU/CSU eine umfassende
Erhard ({0})
Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus. Dazu gehören die Auseinandersetzung auf geistigem, moralischem und politischem Feld und die Schaffung eines gesetzlichen Instrumentariums zur Erleichterung der Fahndung, zur Aufklärung von terroristischen Gewalttaten und zur angemessenen Bestrafung der Täter. Die Sicherung der Bürger vor den Terroristen auch durch deren Sicherungsverwahrung so lange, bis sie für die Gemeinschaft keine Bedrohung mehr sind, ist notwendig.
Nach den schrecklichen Mordtaten der Terroristen im vorigen Jahr schien es zunächst, als wären die SPD- und die FDP-Fraktionen zu gemeinsamem Handeln mit uns bereit. Die Solidarität der ersten Tage brach aber leider nach dem Mord an Hanns Martin Schleyer zusammen. Wir alle wissen, welche Kräfte da am Werk waren. Weniger als 10 °/o der Abgeordneten lähmen die Handlungsfähigkeit der Regierung Schmidt/Genscher/Coppik.
({1})
Es muß festgestellt werden: Damit wurde die Solidarität der Demokraten verspielt.
({2})
Von der von uns vorgeschlagenen Gesetzgebung ist nicht nur quantitativ, sondern - worauf es uns hier allein ankommt - auch qualitativ so wenig übriggeblieben, daß wir uns nicht in der Lage sehen, diesem Rest unsere Zustimmung zu geben.
. ({3})
Die Koalition hat wenig, das Wenige halbherzig und das Halbherzige zu spät beschlossen.
({4})
Wir wollten in dem hier anstehenden Bereich Regelungen auf Zeit und gezielte Regelungen. Die Koalition hat die Entscheidungen im Meldebereich auf die Länder abgeschoben. Wir wollten die Logistik der Terroristen treffen, um beispielsweise die Wohnungen, die als Stützpunkte der Terroristen, als Meldezentralen und als Waffendepots dienen, besser zu erkennen.
Die Koalition hat sich wegen ihrer internen Uneinigkeit auf Ablehnung so gut wie aller Vorschläge festgelegt. In der Ablehnung des Notwendigen hat die Koalition in diesem Haus die Mehrheit und damit die Verantwortung. Daran werden wir Sie und die deutsche Öffentlichkeit ständig erinnern.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Einen
Augenblick, Herr Kollege! Ich bitte die Damen und Herren nochmals, Platz zu nehmen und auf diese Weise dem Redner die schnelle Abgabe der Erklärung zu ermöglichen.
Herr Präsident! Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Hilfe bei dem Versuch, die Aufmerksamkeit des Hauses darauf zu lenken, daß die CDU/CSU hier nicht nur eine lästige Pflichtübung rasch absolvieren muß, um über eine Sache so abzustimmen, wie es nun einmal im Bundesrat gewollt worden ist, und den engen Zusammenhang zwischen Bundesrat und CDU/CSU-Bundestagsfraktion in diesem Wechsel von Mehrheit dort und Minderheit hier darzustellen, sondern daß es sich hier um weit mehr als um technische Fragen des Strafprozeßrechts handelt.
Das, was Aldous Huxley und George Orwell visionär über die Entmenschlichung unseres Lebens, über die Knechtung des einzelnen - möglichst in einer Form, in der er es gar nicht bemerkt - vorhergesehen haben, wird uns nicht in Form einer Revolution ereilen - es wird nicht der große Bruder im Wege des Staatsstreichs solche Zustände herbeiführen -, sondern das wird uns Schritt um Schritt mit ganz kleinen Gesetzen ereilen, von denen man jedes einzelne vernünftig begründen kann, die aber in ihrer Summierung diesen Zustand herbeiführen werden.
({0})
Wenn Sie glauben, hier handle es sich um die Auseinandersetzung über eine technische Frage der polizeirechtlich wirksamen Durchführung des Melderechts, und dabei das aus dem Auge verlieren, was die beiden genannten Schriftsteller und viele andere uns vor langer Zeit visionär vor Augen geführt haben, wenn Sie glauben, die Zeit bis zur Pflichtabstimmung hier durch die Unterhaltung mit dem Nachbarn hinter sich bringen zu können, dann werden Sie zu denjenigen gehören, die erst dann, wenn es zu spät ist, erkennen, was sie mit all diesen scheinbar unbedeutenden kleinen. Schritten angerichtet haben, um das Netz zu knüpfen, um den Bürger schließlich in den Staat, der in „1984" charakterisiert worden ist, hineinzubringen.
({1})
Wir werden keinen Staatsstreich haben, sondern wir werden schlafende Abgeordnete haben, die uns durch Unaufmerksamkeit in diesen Zustand hineinbringen!
Herr Kollege Kleinert, Sie wissen, wie sehr ich Ihre temperamentvollen Beiträge schätze. Aber wir hatten im Ältestenrat vereinbart, uns auf Erklärungen zu beschränken. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sich Ihre Ausführungen im Rahmen einer Erklärung hielten.
({0})
Herr Präsident, ich habe ständig große Schwierigkeiten, diesen formalen Unterschied zu wahren, zumal auch von seiten der verehrlichen Opposition schon sehr beachtliche Debattenbeiträge als ;,Erklärung" bezeichnet worden sind.
({0})
Ich meine, wir sollten uns gerade bei der heutigen Gelegenheit der Tatsache bewußt sein, daß
durch immer mehr kleine Schritte die Freiheit des Bürgers zum Schluß so eingeengt sein wird, daß er sich in dem bedauernswerten Zustand befinden wird, der von den genannten Schriftstellern dargestellt worden ist.
Deshalb haben wir, verehrter Herr Kollege Erhard, sehr sorgfältig nachgedacht, was zur Bekämpfung des Terrorismus unbedingt erforderlich ist und haben eben dies in den Gesetzesvorschlägen belassen. Das ist der von Ihnen bespöttelte kleine Rest. Dieser kleine Rest ist das, was wir schweren Herzens akzeptiert haben, um den Terrorismus wirksam zu bekämpfen. Alles was darüber hinausgeht, ist das, was wir vor unserem Gewissen nicht verantworten können,
({1})
und zwar aus Angst, daß man aus der momentanen Situation der Bekämpfung des Terrorismus heraus zu einem Zustand kommt, den wir so nicht gewollt haben. Wir können nicht, auch wenn es 100 oder 200 Terroristen sein sollten, deshalb jedesmal den Belagerungszustand ausrufen, auch wenn das wahlkampfmäßig sehr spektakulär wäre!
({2})
Deshalb haben wir uns auf das, was hier „Rest" genannt wird, beschränkt. Wir haben uns nämlich auf das Notwendige beschränkt, und mehr lehnen wir ab.
Wir sind sehr dankbar, daß wir bei dieser Gelegenheit zum erstenmal - hoffentlich wird das in Zukunft noch sehr viel öfter so sein - Bundesgenossen gefunden haben, die sonst auf seiten der verehrlichen Opposition gestritten haben. Ich habe das Schreiben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes und - was mich ganz besonders freut - das Schreiben des Zentralverbands der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer von Herrn Dr. Paul vorliegen, in dem wir flehentlich gebeten werden, doch nicht jeden Hauseigentümer und jeden Hotelier zum Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft mit allen damit verbundenen Problemen zu machen.
({3})
Es freut uns sehr, daß diese hochgradig bürgerlichen Vereinigungen nun anfangen, wieder da Schutz zu suchen, wo sie ihn allein finden können, nämlich bei den Liberalen und nicht bei denen, die im hessischen Wahlkampf sagen, sie wären jetzt auch liberal.
({4})
Wenn Herr Dregger vor dem Hintergrund all dessen, was Sie hier sagen, - ({5})
Herr Kollege Kleinert, ich wäre Ihnen im Hinblick auf den Charakter einer Erklärung dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.
({0})
Herr Präsident, ich meine ganz abstrakt und völlig im Sinne einer Erklärung nur das:
({0})
Wenn jemand wissen will, wer in diesem Lande für Liberalität und Schutz der Freiheitsrechte des Bürgers eintritt, soll er sich Ihr Verhalten bei dieser Abstimmung vor Augen halten.
({1})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Nach § 92 unserer Geschäftsordnung erfolgt die Abstimmung über den Einspruch des Bundesrates durch Zählung der Stimmen, soweit nicht namentliche Abstimmung verlangt wird. Um den Einspruch des Bundesrates, den dieser mit der Mehrheit seiner, Stimmen beschlossen hat, zurückzuweisen, bedarf es nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes der Mehrheit der Mitglieder des Hauses; das sind 249 Stimmen. Wer den Einspruch des Bundesrates zurückweisen will, muß mit 4a stimmen.
Ich gehe davon aus, daß namentliche Abstimmung beantragt ist. - Das ist der Fall. Wir treten in die Abstimmung ein. Die namentliche Abstimmung ist eröffnet. - Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben 252 Abgeordnete des Hauses, die uneingeschränkt stimmberechtigt sind, gestimmt, mit Nein 208 Abgeordnete. Je 11 Kollegen aus Berlin haben mit Ja bzw. mit Nein gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 460 und 22 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 252 und 11 Berliner Abgeordnete,
nein: 207 und 11 Berliner Abgeordnete
ungültig: 1
Ja
SPD
Adams Ahlers Dr. Ahrens
Amling Dr. Apel
Arendt Augstein
Baack Bahr
Dr. Bardens
Batz
Dr. Bayerl
Becker ({0}) Biermann
Dr. Böhme ({1}) Frau von Bothmer Brandt
Brandt ({2}) Brück
Buchstaller Büchler ({3}) Büchner ({4})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann Collet
Coppik
Dr. Corterier Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Frau Eilers ({5})
Dr. Emmerlich Dr. Enders
Engholm
Frau Erler
Esters
Ewen
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Franke ({6}) Friedrich ({7}) Gansel
Gerstl ({8})
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Gobrecht
Grobecker
Grunenberg
Gscheidle
Haar
Haase ({9})
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff
Henke Heyenn Höhmann
Hoffmann ({10}) Hofmann ({11})
Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker
Ibrügger
Immer ({12}) Jahn ({13})
Jaunich
Dr. Jens ({14}) Junghans
Jungmann
Junker Kaffka Kirschner
Klein ({15})
Koblitz Konrad Kratz
Kretkowski
Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher
Kuhlwein
Lambinus
Lange Lattmann
Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke Dr. Linde
Lutz
Mahne Marquardt
Marschall
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Dr. Meinecke ({16}) Meinike ({17}) Meininghaus
Menzel Möhring
Müller ({18}) Müller ({19}) Müller ({20}) Müller ({21})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({22})
Neumann ({23})
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Pawelczyk Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn Porzner
Rapp ({24})
Rappe ({25})
Frau Renger Reuschenbach
Rohde
Rosenthal Roth
Sander
Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({26})
Dr. Schäfer ({27}) Scheffler
Scheu
Schirmer Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30}) Schmidt ({31}) Schmidt ({32}) Schmidt ({33})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiber Schulte ({34})
Dr. Schwencke ({35}) Dr. Schwenk ({36}) Seefeld
Sieler
Frau Simonis Simpfendörfer
Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl ({37})
Dr. Steger
Frau Steinhauer Stockleben Stöckl
Sybertz
Frau Dr. Timm
Tönjes
Topmann Frau Traupe
Ueberhorst Urbaniak
Dr. Vogel ({38}) Vogelsang
Voigt ({39}) Waltemathe
Walther
Dr. Weber ({40})
Weisskirchen ({41}) Wendt
Dr. Wernitz Westphal Wiefel
Wilhelm
Wimmer ({42}) Wischnewski
Dr. de With Wittmann ({43})
Wolfram ({44}) Wrede
Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Diederich ({45}) Dr. Dübber
Egert
Löffler
Männing
Frau Schlei Schulze ({46}) Sieglerschmidt
FDP
Angermeyer
Dr. Bangemann
Baum
Cronenberg
Eimer ({47}) Engelhard
Ertl
Frau Funcke
Gärtner Gallus
Genscher Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hölscher
Hoffie
Jung
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Ludewig
Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Merker
Mischnick
Möllemann
Paintner
Peters ({48}) Schäfer ({49}) Schmidt ({50})
von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Vohrer
Dr. Wendig Wolfgramm ({51}) Wurbs
Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Alber
Dr. Althammer Dr. Arnold
Bayha
Dr. Becher ({52})
Dr. Becker ({53})
Frau Benedix Benz
Berger ({54}) Berger ({55})
Biechele
Dr. Biedenkopf Biehle
Dr. von Bismarck
Dr. Blüm
Böhm ({56})
Dr. Bötsch
Braun
Broll
Bühler ({57})
Burger
Carstens ({58})
Carstens ({59})
Conrad ({60})
Damm
Daweke
Dr. Dollinger Dreyer
Erhard ({61}) Ernesti
Dr. Evers
Eymer ({62}) Feinendegen Frau Fischer Franke
Dr. Friedmann Dr. Früh
Frau Geier
Geisenhofer
Dr. von Geldern Dr. George
Gerlach ({63})
Gerstein
Gerster ({64}) Gierenstein Glos
Haase ({65}) Haberl
Dr. Häfele
Dr. Hammans Handlos
Hanz
Hartmann
Hasinger
Hauser ({66})
Hauser ({67}) Helmrich
Dr. Hennig
von der Heydt Freiherr
von Massenbach
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({68})
Dr. Hornhues Horstmeier
Dr. Hubrig
Frau Hürland Dr. Hüsch
Graf Huyn
Dr. Jaeger
Jäger ({69})
Dr. Jahn ({70})
Dr. Jahn ({71})
Dr. Jenninger
Dr. Jentsch ({72})
Dr. Jobst
Josten
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Katzer
Kiechle
Klein ({73})
Klinker
Dr. Köhler ({74}) Köster
Krampe
Dr. Kraske Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kunz ({75}) Lagershausen
Lampersbach
Landré
Dr. Langguth
Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich
Dr. Lenz ({76}) Lenzer
Link
Löher
Dr. Luda
Dr. Marx Dr. Mende
Dr. Mertes ({77}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Dr. Müller Müller ({78})
Müller ({79})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes Neuhaus Niegel
Frau Pack Petersen Pfeffermann Picard
Pieroth
Pohlmann Prangenberg
Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Dr. Reimers
Frau Dr. Riede ({80}) Dr. Riedl ({81})
Dr. Riesenhuber
Dr. Ritz
Röhner
Dr. Rose Rühe
Sauer- ({82})
Sauter ({83})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble
Schartz ({84})
Schedl
Frau Schleicher
Schmidt ({85})
Schmitz ({86})
Dr. Schneider
Dr. Schröder ({87}) Schröder ({88}) Schröder ({89}) Dr. Schulte ({90}) Schwarz Dr. Schwörer
Seiters
Sick
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
Spilker Spranger Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({91})
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Stommel Stücklen Stutzer Susset
de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer
Frau Verhülsdonk
Vogel ({92})
Vogt ({93})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Dr. Warnke
Dr. von Wartenberg Wawrzik
Weber ({94}) Weiskirch ({95})
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer ({96}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann ({97})
Dr. Wörner
Baron von Wrangel Würzbach
Dr. Wulff Dr. Zeitel Zeyer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({98})
Dr. Gradl
Kittelmann Kunz ({99}) Luster
Müller ({100})
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe
Damit ist die nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes erforderliche Mehrheit von 249 Stimmen erreicht und der Einspruch des Bundesrates zurückgewiesen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen
- Drucksache 8/1694 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({101})
- Drucksache 8/1951
Berichterstatter: Abgeordneter Peters ({102})
({103})
Der Berichterstatter hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß in seinem Bericht ein kleiner Mangel enthalten ist. Es muß darin unter Nr. 3 a zu Art. 1 statt Raps- und Rübensamen richtig heißen: Raps-und Rübsensamen. Ich nehme an, daß damit alle Damen und Herren des Hauses wissen, daß es sich um Ölfrüchte handelt - wenn ich das erläuternd sagen darf.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Die Fraktion der CDU/CSU hat getrennte Abstimmung über Art. i Nr. 9 und 16 beantragt. Ich rufe daher zunächst Art. 1 Nr. 1 bis 8 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 9 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?
({104})
- Art. 1 Nr. 9 habe ich aufgerufen. ({105})
- Ich habe nach der Gegenprobe gefragt, Herr Kollege. Ich wiederhole dies, damit Sie die Möglichkeit haben: Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?
({106})
- Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Ihre Fraktion hat mich gebeten, gesondert über Art. 1 Nr. 9 und 16 abstimmen. zu lassen. Ich habe zunächst über Art. 1 Nr. i bis 8 abstimmen lassen. Jetzt waren wir bei Nr. 9, und nun habe ich gefragt, wer zuzustimmen wünscht. Sie haben nicht zugestimmt.
({107})
- Ja, aber das hätten Sie tun müssen. ({108})
- Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß wir noch Grund zur Heiterkeit haben.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Wer dagegen stimmt, den bitte um das Zeichen. - Danke. Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Bestimmung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 10 bis 15 auf. Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Art. 1 Nr. 16 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Damit ist auch diese Bestimmung wie Nr. 9 gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 1 Nr. 17 bis 20, Art. 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - In zweiter Beratung so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes bedarf der vorliegende Gesetzentwurf der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Hauses. Das sind 249 Stimmen. Ich gehe davon aus, daß wir soeben bei der namentlichen Abstimmung die Beschlußfähigkeit des Hauses festgestellt haben, und bitte diejenigen Kollegen, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß das Gesetz ' in dritter Beratung mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages
angenommen ist.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CDU Vertragsverletzungen der DDR
- Drucksache 8/2121 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({109}) Auswärtiger Ausschuß
Zur Begründung des Antrages hat der Herr Abgeordnete Lintner das Wort.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir einen Augenblick warten, bis die Kolleginnen und Kollegen, die im Augenblick nicht an den Beratungen teilnehmen wollen, den Saal verlassen und die anderen sich wieder gesetzt haben.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß diese Beratung auf Grund interfraktioneller Vereinbarung erstmals entsprechend der vorhin beschlossenen Neuregelung als Aussprache mit Kurzbeiträgen mit einer Gesamtdauer von 30 Minuten geführt wird. Der einzelne Redner darf also nicht länger als zehn Minuten sprechen, und die Redezeit kann nicht verlängert werden.
Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat diesen Antrag aus Sorge über die wachsende Zahl von Menschen eingebracht, die von den ständig zunehmenden Vertragsverletzungen und wachsenden Schikanen der DDR betroffen ist, und weil sie mit großer Sorge die Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung auf diesem für uns Deutsche lebenswichtigen Gebiet sieht, schließlich aus Sorge darum, daß alles so weitergehen könnte - wie bisher -, wenn nicht die Opposition ein Wächteramt bezüglich der Beachtung der deutschen. Interessen wahrnähme. Haltung und Handlungen der Bundesregierung machen den Eindruck zwingend, daß die Bundesregierung ihre Deutschlandpolitik von vornherein auf die Interessen und den vermeintlichen Spielraum des SED-Regimes abstellt. Nur so ist es zu erklären, warum hier eine Art Geheimdiplomatie gemacht wird. Nur so ergeben auch die häufigen Feststellungen führender Koalitionspolitiker, daß das SED-Regime nicht destabilisiert werden dürfe, einen logischen Sinn.
Verfolgt man diese Überlegungen weiter, so ist es wiederum nur aus dieser Geisteshaltung heraus zu erklären, warum die Bundesregierung gegen die Fülle von Verletzungen bestehender und auch für die DDR geltender Verträge und die zahlreichen Schikanen bestenfalls verbal, stets aber nur halbherzig protestiert. Diese Proteste sind - man hat diesen Eindruck - wohl mehr zur Täuschung der Bevölkerung in der Bundesrepublik über die wahren Absichten der Bundesregierung bestimmt.
({0})
Zum Protest wären eigentlich genügend Anlässe vorhanden. Ich nenne den vertragswidrigen Ausschluß großer Bevölkerungskreise der DDR von den Besuchsregelungen, die Festnahmen, Durchsuchungen, verzögerlichen Abfertigungen und die sonstigen Schikanen auf den Transitwegen nach Berlin, den immer perfekteren Ausbau der menschenmordenden Grenzanlagen, die beharrliche Verweigerung und Verletzung von Menschenrechten in der DDR, die Situation der Menschen in den Gefängnissen der DDR, wobei hier noch zusätzlich beklagt werden muß, daß die Bundesregierung praktisch stillschweigend hinnimmt, daß sich die DDR unter Mißachtung jedweder Menschenrechte Tausende von politischen Gefangenen jährlich als Handelsobjekte zur Devisenbeschaffung besorgt. Ich nenne ferner die Gängelung, Behinderung und Ausweisung unserer Journalisten, die Agitation der DDR gegen die Bundesrepublik Deutschland in aller Welt und auch die Verunglimpfung des Ansehens der Deutschen in der Welt durch die DDR, weil sie internationale Terror-und marodierende Bewegungen und Staaten aktiv unterstützt.
Selten hat jemand die eigentlichen Absichten der SPD und der Bundesregierung so unverhohlen zugegeben wie etwa der damalige deutschlandpolitische Sprecher der SPD und heutige Bundesbildungsminister Schmude am 23. März 1977 in diesem Hause, als er sagte - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
... die Bundesregierung ({1}) gar nicht erst versucht, mit der Forderung nach Durchsetzung von Menschenrechten in der DDR und in den kommunistischen Staaten Osteuropas dort
bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern.
Eine solche Politik, meine Damen und Herren, hat jede Grundsatztreue aufgegeben, gerät ins Zwielicht und verliert sich in Opportunismus.
({2})
Dabei spielt dann die Bundesregierung den Überlegenen und fragt die Opposition polemisch nach Alternativen. Aber es handelt sich hier nur um den Ausdruck der Rat- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung selbst.
({3})
Sie hätte eine ganze Palette von Reaktionsmöglichkeiten. Die Opposition hat diese Palette auch immer wieder vorgetragen.
Warum geht die Bundesregierung - so ist doch zu fragen - in internationalen Gremien und im Ausland nicht in die Offensive und prangert die ihr bekannten Zustände in der DDR an?
({4})
Die wirtschaftlichen Vorteile der DDR umfassen mehr als 20 Positionen im Umfang von über 1 Milliarde DM allein 1977, zum Teil mit Zweckbindungen versehen, die von der DDR doch schon lange nicht mehr ernst genommen werden, was die Bundesregierung wider besseres Wissen toleriert. Die Bundesregierung hat alle diese Vorteile für die DDR zur reinen Selbstverständlichkeit werden lassen.
({5})
Weil die Bundesregierung dies alles weiß, meine Damen und Herren, flüchtet sie in der gesamten Deutschlandpolitik in eine Geheimdiplomatie, die die DDR einseitig begünstigen muß.
So weigerte sich die Bundesregierung erst vor kurzem, in der vorletzten Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses, die in den Verhandlungen für die Nordautobahn in Rede stehenden Kosten den Mitgliedern überhaupt bekanntzugeben. Der Verdacht, daß die Bundesregierung stark überhöhte Kostenforderungen der DDR zu akzeptieren bereit ist - man spricht von 60 bis 70 %höheren Kosten je Kilometer als in der Bundesrepublik selbst -, drängt sich doch auch bei diesen Verhandlungen wieder auf. Vielleicht will die Bundesregierung sogar auf diesem Wege der DDR wiederum eine verdeckte Subvention zukommen lassen.
Geheimdiplomatie und Zwielicht also, wo man hinblickt. Auch dort zum Beispiel, wo Abgeordnete in Sachen Familien- und Verlobtenzusammenführung tätig werden: die Betroffenen, die sich an uns wenden, bekommen nur nichtssagende, formelhafte Antwortbriefe des innerdeutschen Ministers oder seines Staatssekretärs.
({6})
- Das stimmt doch. Haben Sie schon mal einen erhalten? - Ich kann Ihnen einen zur Verfügung stellen.
({7})
Daß dieser Eindruck der Zurückhaltung und Untätigkeit nicht nur bei der Opposition vorhanden ist, zeigt ein Artikel aus neuester Zeit im „Rheinischen Merkur" vom 29. September dieses Jahres, der mit dem Satz beginnt - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Man kann nicht sagen, daß die Bundesregierung besondere Energien einsetzt, um Menschen, die in der DDR leben, aber in den freien Teil Deutschlands überwechseln wollen, den Weg hierher zu ebnen.
Dabei hätten es doch die Betroffenen verdient, daß die Bundesregierung deutlich mehr als bisher ihr höchstpersönliches Anliegen unterstützt.
Auch die gegenwärtig wieder verkündeten Erfolgsmeldungen über die Verkehrsverhandlungen mit der DDR sind vorschnell und verfrüht. Sie machen unseren Antrag erst recht notwendig. Zu viele Fragen sind nämlich noch offen, sehr wichtige, lebenswichtige Fragen zum Teil, so etwa die Frage, ob denn die neue Nordautobahn den Status einer echten Transitstrecke erhalten wird. Auch danach muß man die Bundesregierung fragen dürfen: Stehen denn eigentlich Kosten und Nutzen dieser Autobahn noch in einem vernünftigen Verhältnis zueinander?
Dann fällt auch noch eine zeitliche Parallele ins Auge, nämlich eine Parallele zur Bundestagswahl 1976. Auch damals ist versucht worden, so wie heute mit Blick auf Hessen und Bayern, das Wahlverhalten unserer Bevölkrung durch vorschnelle Erfolgsmeldungen zu beeinflussen. Die bedauerliche Folge allerdings ist auch . jetzt wieder ein für die Bundesregierung unnötiger, zur Ungenauigkeit und Unvollständigkeit führender Zeit- und Erfolgsdruck. Sie läßt offensichtlich auch Kernthemen des gesamtdeutschen Problems einfach weg, so etwa die Tatsache, daß trotz der Verpflichtungen der DDR in Grundvertrag und Verkehrsvertrag, gutnachbarliche Beziehungen zu uns zu entwickeln, die Zonengrenze ständig mörderischer wird, oder die Tatsache, daß die Besuchsregelungen dadurch unterlaufen werden, daß einer großen Anzahl von Deutschen in der DDR jeglicher Kontakt mit Bundesbürgern aus sogenannten „Sicherheitsgründen" untersagt wird, oder z. B. auch den Wunsch unserer Bevölkerung, Verbesserungen im kleinen Grenzverkehr herbeizuführen. Auch nach der künftigen Entwicklung der Transitgebühren, der Straßenbenutzungsgebühren usw. hätte die Bundesregierung die DDR eigentlich fragen müssen.
Unser Vorwurf lautet daher: diese Art der Politik bringt die Bundesregierung und die Regierungskoalition ins Zwielicht. Die Bundesregierung mißachtet damit nämlich erstens den grundgesetzlichen Auftrag - der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit - durch Gefährdung dieses langfristigen Zieles und zweitens ihre Fürsorgepflicht für alle Deutschen, also auch für die Bewohner der DDR. Schon deshalb war unser Antrag nötig. Ich bitte Sie namens meiner Fraktion, dem Antrag zuzustimmen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, daß es keine sehr gute Idee war, die Frage der innerdeutschen Beziehungen in das Vorfeld dieser Wahlkampfauseinandersetzungen hineinzuziehen. Ich halte es für einen schlechten Stil, die Deutschlandpolitik zu einem Mittel dieser Auseinandersetzungen zu machen. Wenn es schon geschieht, dann muß es vor allem im Bemühen um die Wahrheit geschehen.
({0})
Es stimmt einfach nicht, wie Sie sagen, Herr Kollege Lintner, „daß immer mehr Reisende an den Übergängen nach Mitteldeutschland und Ostdeutschland zurückgewiesen werden". Die wirklichen Zahlen, die noch im Verlaufe dieser Debatte zu hören sein werden, weisen genau das Gegenteil aus. Obwohl uns jede Zurückweisung gegen den Strich geht, wollen wir hier doch einmal deutlich sagen: Diese Zurückweisungen machen genau wie die Kontrollen auf den Transitwegen nur Bruchteile von Prozenten, manchmal sogar noch weniger aus. Das gilt auch für die von Ihnen ständig zitierten Zahlen über angeblich übertriebene Leistungen an die DDR, die noch nicht einmal 1 °/o der Aufwendungen des Bundeshaushalts ausmachen und uns dennoch in die Lage versetzt haben, ein Vielfaches von dem an Begegnungen und Reisen nach Berlin, an Familienzusammenführungen und Häftlingsentlassungen zu erreichen, als das zu Ihrer Regierungszeit möglich war.
({1})
Sie reden dauernd von der Zunahme an willkürlichen Kontrollen, Durchsuchungen, Festnahmen. Sie wollen damit die Erfolge einer Politik verdunkeln, die den Deutschen 33 Jahre nach Kriegsende ein Maß an Kontakten gebracht hat, von dem man in Ihrer Ara nur zu träumen wagte.
({2})
Gerade Ihre Minister und Vorsitzenden sind es ja, die immer wieder auch diese Möglichkeiten der Reisen in die DDR nutzen.
Sie sind uns bis heute die Zahlen für Ihre übertriebenen Behauptungen schuldig geblieben, und Sie werden sie auch schuldig bleiben, weil es diese Zahlen einfach nicht gibt. Sie reden von Verstärkung von Sperranlagen und ähnlichem, so als ob dies alles erst in der Zeit der Regierung der sozialliberalen Koalition entstanden sei. Sie verlangen harte Gegenmaßnahmen, Sanktionen und rigorose Zurechtweisungen für das Regime dort drüben. Wo waren denn diese Maßnahmen, als Sie die Verantwortung getragen haben?
({3})
Sie regen sich heute über Kontrollmaßnahmen auf den Transitwegen und an der Grenze auf. Als Sie in der Verantwortung waren, haben Sie Besucher von drüben auch nicht gerade mit Glacéhandschuhen angefaßt. Wir haben gerade in der gestrigen Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses einen Bericht von Professor Hans Mayer gehört, der darauf hinwies,
wie die Polizei in Bayern in den 50er Jahren eine Zusammenkunft von deutschen Schriftstellern mit Bert Brecht auseinandergejagt hat. Sie meinen aber, sich all dies leisten zu können, weil Sie wissen, wie schwierig es für uns ist, Ihnen das alles mit voller Deutlichkeit zu sagen, ohne damit auf eine Seite gedrängt zu werden, die nicht die unsere ist.
Sie tun in all Ihren Attacken so, als ob es in unserer Hand läge, der DDR befehlen zu können, was sie gefälligst anders und nach Ihren Vorstellungen zu machen hätte.
({4})
Sie tun so, als ob wir die Oberhoheit oder gar die Souveränität über den anderen deutschen Staat ausüben könnten und als ob er unserer Jurisdiktion unterläge. Das ist ein unehrliches Spiel.
({5})
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die Rolle Konrad Adenauers nach der Errichtung der Mauer erinnern und an die Zitate von Franz Josef Strauß, wie sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18. August 1961 zu lesen waren, die damals schrieb:
Bundesminister Strauß mahnte ebenfalls zu äußerster Zurückhaltung. Er wandte sich ebenso wie Lemmer gegen eine Kündigung des Abkommens über den Interzonenhandel, die schwerwiegende Folgen haben könnte. Wer Gegenmaßnahmen drastischer Art ohne Begrenzung verlangt, muß auch sagen, sagte er, ob er den Krieg will oder nicht. Man solle jetzt nicht in einen Heldenfimmel verfallen oder mit Pflastersteinen gegen Panzer in eine großdeutsche Zukunft marschieren wollen.
Uns aber möchten Sie, geistig gesehen, zumuten, daß wir mit Pflastersteinen gegen DDR-Panzer antreten.
({6})
Die DDR ist aber kein Staat auf einer grünen Wiese; sie ist fest verankert in einem Bündnissystem, das ihr den Rücken stärkt und das eher geneigt ist, eine konziliantere Politik uns gegenüber zu tadeln, als sie zu fördern.
Sie wissen daher nur allzu genau, daß eine Politik, die Ihren Ratschlägen folgen würde, die Situation in der Bundesrepublik wieder auf den Stand von 1969 zurückdrehen würde, auf den Stand einer Zeit, in der wir auf dem besten Wege waren, jede Kommunikation in Deutschland einzustellen und die beiden deutschen Staaten voneinander tatsächlich abzumauern.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsache ist es unerträglich, wenn Sie diese Bundesregierung, die den Deutschen wieder ein Mehr an Gemeinsamkeit gegeben hat, denunzieren wollen, sie habe die DDR mit ihrer Politik laufend zum Bruch der Verträge und zu neuen Übergriffen ermutigt, wie es in Ihrem Antrag geschieht. Das ist nicht wahr. Wir haben z. B. zu Beginn des Jahres feststellen können, daß die Proteste der Bundesregierung gegen ein Übermaß an Verdachtskontrollen auf den Transitwegen sehr
bald zu einem Einlenken führten und die Zahl der Kontrollen, die sich auf Verdächte gründen, seitdem ständig zurückgegangen ist.
({7})
Aber wenn Sie dieser Regierung zum Vorwurf machen, daß es ihr nicht gelungen ist, in der DDR die in internationalen Verträgen und Konventionen verbrieften Grund- und Menschenrechte durchzusetzen, dann sei doch einmal die Frage erlaubt, ob es vielleicht einer Weltmacht wie unseren amerikanischen Verbündeten gelungen ist, mit ihrem Versuch, Druck auszuüben, eine Änderung des Verhaltens der Sowjetunion gegenüber den Dissidenten zu erreichen. Das, was eine Macht von der Kraft der USA nicht geschafft hat, soll diese Bundesregierung schaffen, die alle Imponderabilien des deutschen Schicksals mit sich herumschleppen muß.
Wenn man sich die Dekrete des Herrn Kollegen Abelein an die Regierung der DDR vornimmt, muß man sich manchmal fragen, auf welcher Welt er eigentlich lebt. Er kommandiert nicht nur die Bundesregierung, was sie zu tun hat, er verlangt auch von der Regierung der DDR, daß sie sich seinen Befehlen postwendend unterwirft. Nur, wie er das erreichen und durchsetzen will, haben wir von ihm bisher nicht gehört.
({8})
Dafür haben Sie in der CDU/CSU, Herr Jäger, einen anderen Katalog von Rezepten erstellt, einen Katalog von abgestuften Maßnahmen, mit denen Sie der DDR klarmachen wollen, was sie zu tun hat. Ganz abgesehen davon, daß die Wirksamkeit eines solchen Katalogs von Anfang an fragwürdig ist, wenn die andere Seite ihn in allen Einzelheiten kennt und sich darauf einstellen kann, so ist, wie ein bekannter Politiker einmal gesagt hat, mit Forderungen nach Repressalien in Versammlungen zwar tosender Beifall zu ernten, den Menschen helfen sie jedoch gar nichts.
({9})
Wir haben hier in diesem Hause - daran möchte ich noch einmal erinnern - eine Debatte über den Fall Nico Hübner gehabt. Wir haben damals vor dieser Debatte gewarnt. Was haben Sie denn damit erreicht? Letzten Endes doch nichts anderes, als daß sich das Schicksal dieses jungen Mannes wesentlich verschlimmert hat.
({10})
Unter diesem Gesichtspunkt wäre es unverantwortlich,
({11})
Ihnen die Verantwortung für die Deutschlandpolitik zu übertragen. Sie würden keine Besserung der Lage erreichen, so wie die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten in Ihrer Zeit ja immer schlechter geworden sind. Sie fordern die Bundesregierung auf, die innerdeutschen Beziehungen als einheitliches Ganzes zu sehen, und wollen gleichzeitig eine Politik, die im letzten auf eine Verschärfung der Trennung hinausläuft.
Mit der Konstruktion von Phantasiewelten, in denen man Geisterarmeen herumkommandiert, wie es einem einfällt, kommt man in der deutschen Frage nicht weiter. Der innere Zusammenhalt der Menschen im geteilten Land erfordert die Einsicht in eine Kette von harten Realitäten, die wir nicht nach Belieben von uns wegschieben können, erfordert Zähigkeit, Geduld, Ausdauer und den Mut zu ständigen Verhandlungen. Diese Verhandlungen sind deshalb besonders schwierig, weil wir immer auch das Schicksal der Menschen im anderen deutschen Land bedenken müssen. Darüber kann man sich nicht mit markigen Sprüchen hinwegsetzen. Auch für uns wäre es oft leichter, in Wahlversammlungen Beifall einzuheimsen, wenn wir über das Regime dort drüben mit wütenden Angriffen herfielen. Aber damit arbeiten wir doch nur denen in die Hand, die von dem selbstgeschaffenen Feindbild leben und darauf ihre politische Strategie aufbauen.
({12})
Wir haben mit unserer Politik zwar keine Volksseelen zum Kochen gebracht, aber vielen Menschen im geteilten Land geholfen. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß dies die bessere Politik für unser Land ist. Wir brauchen uns ihrer Erfolge auch nicht zu schämen. Für Sie mögen die dabei erreichten Besserungen menschlicher Schicksale Rinnsale sein, Kleinigkeiten. Wer aber einmal mit jungen Menschen zusammengewesen ist, denen man zur Heirat verhelfen konnte oder die Rückkehr zu ihren Eltern ermöglichte, wird das als eine der seltenen Sternstunden unserer politischen Arbeit empfinden.
Sie reden von Menschenrechten. Wir haben in Helsinki dafür gesorgt, daß es ein Mehr an Menschenrechten gegeben hat. Wir sind der Meinung, daß Ihr Antrag diesen Zielen nicht dient. Er will die Auseinandersetzung, er will das harte Gegeneinander.
Wir werden dennoch eine Überweisung an den Ausschuß nicht verhindern, weil wir der Meinung sind, daß wir miteinander über diese Dinge reden müssen. Sie werden uns jedoch um der Wahl willen zu keiner Umkehr in unserer Politik bringen. Wir wissen, daß die besseren Trümpfe in dieser Frage auf unserer Seite sind. Der beste aller Trümpfe aber ist der Dank der Menschen, denen wir mit unserer Politik helfen konnten.
({13})
Als letztem Redner vor dem Eintritt in die Mittagspause erteile ich dem Herrn Abgeordneten Schmöle das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kreutzmann, darf ich Ihnen zunächst sagen, daß Ihr Beitrag vielleicht vor dem Abschluß der Verträge in diese Debatte gehört hätte, nicht aber im jetzigen Zeitpunkt, denn wir diskutieren ja über Vertragsverletzungen durch die DDR, die uns zur Sorge Anlaß geben und nicht darüber, wie wir zu entsprechenden Zielen der Deutschlandpolitik, die Sie jetzt gerade skizziert haben, kommen können. Sie werden nicht bestreiten können, daß wir es in der vergangenen Zeit - gerade in den letzten Monaten - mit einer Reihe beängstigender Vertragsverletzungen durch die DDR zu tun hatten.
({0})
Ihnen werden die Verkehrsbehinderungen anläßlich des Carter-Besuchs am 14. Juli in Erinnerung sein; Ihnen werden eine große Anzahl von Zurückweisungen, immer wieder neue besorgniserregende Fälle von Familientrennungen in Erinnerung sein; es wird Ihnen in Erinnerung sein, daß entgegen etwa Art. 1 des Grundlagenvertrages mit der Verpflichtung zu normalen gutnachbarlichen Beziehungen die Grenze durch Deutschland immer weiter festgeschrieben wird. Das ist doch das, was uns bewegt, heute darüber nachzudenken, wie wir gegen diese Vertragsverletzungen der DDR vorgehen können.
({1})
Meine Damen und Herren, was uns auch bewegt, diese Fragen zu stellen, ist doch die Tatsache, daß wir es nun mit einer neuen Qualität auch der Beobachtung der DDR zu tun haben. Wenn die DDR der Charta der Vereinten Nationen beigetreten ist, wenn sie dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten ist, dann ist es doch unsere Aufgabe, danach zu fragen, ob sie sich denn in ihrer täglichen und praktischen Handlung auch nach der Verpflichtung richtet, die sie mit der Unterzeichnung der Verträge eingegangen ist.
({2})
Wir möchten Sie fragen, warum Sie diese Tatsachen nicht als Chance zu einer offensiven Politik begreifen. Warum begreifen Sie die Vertrags- und, Menschenrechtsverletzungen der DDR nicht als eine Möglichkeit, aktiv zu werden und die Lösung der deutschen Frage zu einer politischen Perspektive für die Völker der freien Welt zu formulieren?
({3})
Denn es geht doch bei den Problemen zwischen uns und der DDR nicht um Randfragen der Politik; es geht vielmehr um elementare Fragen der Politik, um die Verwirklichung von Menschenrechten. Menschenrechte erkämpft man nicht durch feiges Abwarten oder betuliche Beschwichtigung. Wo wären Freiheit und Menschenrechte je verwirklicht worden, wenn man den Ausübenden brutaler Gewalt verständnisvoll Zeit gelassen und abgewartet hätte, daß vielleicht bessere Zeiten und Möglichkeiten kämen?
({4})
- Nein, ich will nicht einmarschieren. Ich will aber, daß Sie die erforderlichen Initiativen ergreifen und die Chancen nutzen. Ich werde Ihnen noch etwas dazu sagen, was Sie tun können und was Sie täglich zu tun versäumen, weil Sie resigniert haben, weil Sie zu müde sind oder die Probleme nicht erkennen, Herr Kollege.,
({5})
Ich verstehe nicht, warum Sie die Aufforderung, offensive Politik für die Durchsetzung der Menschenrechte zu machen, mit solchen Kommentaren versehen. Denn das, was wir als Vertragsverletzung der DDR aufgezeichnet haben, eignet sich vorzüglich dafür, weltweit Verständnis für die Lage der Menschen im anderen Teil unseres Landes zu wecken und zu einer gemeinsamen friedlichen Offensive für die Freiheit aufzurufen.
({6})
Was wir fordern müssen - das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen -, ist doch eine grundlegende Forderung aller Völker. Es wird auch von anderen Völkern leidenschaftlich verlangt. Aber warum kann es denn eigentlich von uns nur eine Initiative vor der UNO für das Selbstbestimmungsrecht in Südwestafrika geben, warum nicht eine Initiative vor der UNO für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen im anderen, unfreien Teil Deutschlands?
({7})
Lassen Sie uns doch einmal über den alten Vorschlag Konrad Adenauers nachdenken, der angeboten hat, der DDR zu sagen, daß wir dann von einer angeblichen „Provokation" der Politik auf Wiedervereinigung ablassen, wenn die Bevölkerung der DDR in freien, geheimen, international - beispielsweise durch die UNO - kontrollierten Wahlen sich dafür entscheidet, ihre Staatsform zu behalten. Für eine solche Initiative müßte sich doch in der UNO eine Mehrheit finden lassen. Dafür müßte doch mit Erfolg geworben werden können! Lachen Sie doch nicht, Herr Mattick! Sie starten doch nicht einmal den Versuch dafür, weil Sie einfach zu bequem geworden sind, diese Fragen zu stellen.
({8})
Ein Volk, das mit Mauer, Stacheldraht, Minenfeldern und Tötungsmaschinen gewaltsam in den vorgezeichneten Demarkationslinien gefangengehalten wird, hat das nicht selbst bestimmt; denn niemand beschließt seine eigene Einkerkerung. Menschen, die Hab und Gut, Leib und Leben wagen, um die gewaltsamen Grenzen zu überwinden, sind ein fürchterlicher, aber unwiderlegbarer Beweis .für unsere Thesen, und wir haben allen Grund, sie tagtäglich der Weltöffentlichkeit deutlich zu machen.
({9}) Wer sollte es denn sonst tun?
Aber wir sollten ruhig eines hinzufügen: daß in Deutschland Familien immer noch brutal getrennt werden; daß - und jeder von uns bekommt so et8578
was täglich auf den Tisch - Verlobte immer noch daran gehindert werden, zusammenzukommen; daß die DDR eine perfekte Form des modernen Sklavenhandels gefunden hat: Tausende von politischen Häftlingen, die Person für Person gegen westliche Devisen umgetauscht werden sollen. Dies sind Tatsachen, die man in internationalen Gremien und auch multilateral ruhig vortragen sollte. Denn sie erzeugen Wirkung, weil sie nachempfindbar und belegbar sind. Aber sie sind draußen kaum noch bekannt, weil man draußen glaubt, die deutsche Frage sei erledigt, abgehakt, mit „ZdA"-Vermerk versehen,
({10})
und das deshalb, weil diese Regierung es als lästig empfindet, darüber zu sprechen; sie steht schließlich unter dem Trauma des Erfolgszwangs.
Herr Bahr hatte doch in bezug auf den Grundlagenvertrag das Bild von einem Haus gemalt, das solide gebaut und durchaus bewohnbar sei; nur die bequeme und luxuriöse Ausstattung müsse hinzukommen. Das war doch ein makabres Bild. Denn als er davon sprach, stand das Wasser bereits bis zur Kellerdecke. Aber wer unvollkommene und unausgereifte Verträge in solcher Weise überzeichnet und überbewertet, mag natürlich keine Mißerfolge zugeben. Das ist das ganze Problem, mit dem Sie sich heute hier herumzuschlagen haben.
({11})
Aber es ist nicht Ihre Aufgabe, frisierte Erfolgsbilanzen vorzuzeigen, sondern im Interesse der Menschen die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Die mag für Sie als Regierungsparteien zwar unbequem sein, aber für die Menschen im anderen Teil unseres Landes ist sie mehr als das: Sie ist bitter und lebensbedrohend. Und ich sage noch einmal:
({12})
Wenn Sie das als unreif empfinden, Herr Kollege, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie eigentlich mal über Ihre eigenen Einlassungen und die Bewertung dieser Einlassungen nachdenken sollten. Dazu hätten Sie allen Grund.
Beginnen Sie eine weltweite Offensive!
({13})
Gewinnen Sie Partner für die Sache der Freiheit und Menschlichkeit!
({14})
- Herr Wehner, das hat sicher mit dieser Frage überhaupt nichts zu tun. Denn sonst müßten Sie Ihrem Freund Holger Börner sicher jedes Denkvermögen absprechen.
({15})
Verstehen Sie die deutsche Frage als gesamteuropäische Aufgabe! Denn sie geht nicht nur uns an, sondern sie ist ein Problem der Freiheit; sie ist ein Problem der Glaubwürdigkeit für uns alle.
({16})
Ich unterbreche die Beratung des Punktes 5. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Fragestunde beginnt um 14 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort mit Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksache 8/2147 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Die Frage 50 des Abgeordneten Dr. van Aerssen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Thüsing auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem Wunsch des Christlichen Gewerkschaftsbunds Deutschlands ({0}) nachzukommen und die soziale Betreuungsorganisation ENAS, die der italienischen Gewerkschaft CISNAL, einem Ableger der neofaschistischen Partei MSI, zugerechnet wird, beim Bundesarbeitsministerium zu akkreditieren ({1}) ?
Herr Kollege Thüsing, der Bundesregierung ist von einem Wunsch der ENAS, unmittelbar oder über den Christlichen Gewerkschaftsbund beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, wie es in dem Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 22. September 1978 ausgedrückt wird, „akkreditiert" zu werden, nichts bekannt. Eine solche Akkreditierung gibt es im übrigen nicht.
Die soziale Betreuung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien im Bundesgebiet erfolgt über die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, für die Italiener vor allem über den Deutschen Caritasverband. Es ist nicht beabsichtigt, dieses bewährte Betreuungssystem zu ändern.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Stimmen Sie der politischen Beurteilung von ENAS, wie sie die „Frankfurter Rundschau" in demselben Artikel vorgenommen hat, als „neofaschistisch" zu?
Herr Kollege, mir ist bekannt, daß die ENAS eine Hilfsorganisation der sozialen italienischen Bewegung „Nationale Rechte" und des ihr nahestehenden Gewerkschaftsbundes CISNAL ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe die Frage 52 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Sind der Bundesregierung die Gründe bekannt, weshalb die meisten gesetzlichen und privaten Krankenkassen die Kostenübernahme für Schutzimpfungen ({0}) bei Reisen ins Ausland ablehnen, bei späteren Erkrankungen nicht geimpfter Personen jedoch die Behandlungskosten tragen?
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 52 und 53 gemeinsam beantworten könnte.
Bitte. Dann rufe ich auch die Frage 53 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß vor allem vor dem Hintergrund des internationalen Massentourismus ein gezielter und vorbeugender Gesundheitsschutz von größter Bedeutung ist und deshalb die erforderlichen Schutzimpfungen und andere Präventivbehandlungen von den Krankenkassen unterstützt werden sollten, und wenn ja, wie kann sie dieser Auffassung Geltung verschaffen?
Frau Kollegin Steinhauer, die Bundesregierung teilt Ihre Auffasfung, daß vor allem vor dem Hintergrund des internationalen Massentourismus ein gezielter und vorbeugender Gesundheitsschutz von großer Bedeutung ist. Hierfür stehen in ausreichendem Umfang auch Ärzte und ärztliche Einrichtungen zur Verfügung.
Im Zusammenhang mit Auslandsreisen stehende Schutzimpfungen und andere vorbeugende Maßnahmen gehören allerdings nicht zum generellen Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handelt sich vielfach um Maßnahmen, die gegen die besonderen Gesundheitsrisiken in den besuchten Ländern gerichtet sind. Sie sollen in der Regel einem reibungslosen Ablauf des Urlaubs dienen und sind deshalb eher der Eigenverantwortung des einzelnen Touristen zuzuordnen.
Ich halte es allerdings für erforderlich, daß die Versicherten von ihren Kassen umfassend über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen aufgeklärt werden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß entsprechend der Auffassung der Bundesregierung, daß die Gesundheitsvorsorge vorrangig sein muß gegenüber der Krankheitsheilung, darauf gezielt werden sollte, daß die Impfkosten übernommen werden, weil das auf lange Sicht kostengünstiger ist, denn. die Kassen tragen ja sonst anschließend die höheren Kosten der Behandlung?
Frau Kollegin Steinhauer, es ist richtig, daß die gesundheitspolitische Diskussion darauf abzielt. Es ist aber auch darauf hinzuweisen, daß wir es hier mit einem beachtlichen Kostenfaktor zu tun haben. Im übrigen werden auch schon heute Impfungen durchgeführt, bei denen auf den einzelnen keine zusätzlichen Kosten zukommen. Ich darf dabei an die Tbc-Impfungen, an Polio-Impfungen, an Röteln-Impfungen erinnern.
Darüber hinaus gibt es auch Krankenkassen, die jetzt schon die Kosten für Impfungen übernehmen, wenn und soweit dies in der Satzung bestimmt ist.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf eine gesetzliche Begrenzung der Überstunden zu verzichten, damit sich die Betriebe auch weiterhin flexibel schwankenden Auftragslagen anpassen können?
Herr Präsident, wenn es gestattet ist, würde ich gern die Fragen 54 und 55 gemeinsam beantworten.
Bitte schön. Dann rufe ich auch die Frage 55 des Abgeordneten Friedmann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Fall einer Begrenzung der Überstunden bei einem Rückgang der Auftragslage in den Betrieben Entlassungen unvermeidlich würden und davon vor allem leistungsschwache und sozial schwache Arbeitnehmer betroffen würden?
Herr Kollege Dr. Friedmann; die Bundesregierung überprüft zur Zeit die aus dem Jahre 1938 stammende Arbeitszeitordnung mit dem Ziel einer Anpassung an die gegenwärtigen Arbeits- und Produktionsbedingungen. Die Vorschriften, die die Überstunden begrenzen, sind ein Teil der Arbeitszeitordnung. Ihr Rahmen - bis zu 60 Stunden in der Woche - ist, nachdem die tarifliche Wochenarbeitszeit für mehr als 92 % aller Arbeitnehmer auf 40 Stunden verkürzt worden ist, zu weit geworden und hat kaum noch praktische Bedeutung. Auf eine Überprüfung dieser Vorschriften kann daher nicht verzichtet werden. Die Bundesregierung bemüht sich jedoch, eine möglichst flexible Lösung zu finden.
Die Bundesregierung teilt die in Ihrer zweiten Frage dargelegte Auffassung nicht. Sie ist vielmehr der Ansicht, daß eine sachgerechte Begrenzung von Überstunden zu Neueinstellungen führen kann. Es ist bekannt, daß Überstunden, die über das betriebswirtschaftlich notwendige Maß hinausgehen, den Arbeitsmarkt dadurch belasten können, daß sie die beschäftigungspolitisch wünschenswerte Einstellung zusätzlicher Arbeitnehmer verhindern oder verzögern. Der Bundesregierung geht es darum, dieses Übermaß an Überstunden abzubauen. Sie hat nicht die Absicht, den Betrieben die Möglichkeit zu nehmen, sich auf kurzfristige Auftragsschwankungen flexibel einzustellen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in ihre Überlegungen den Sachverhalt einzubeziehen, daß angesichts der hohen Besteuerung der Einkommen der Arbeitnehmer bereits heute bei vielen Arbeitnehmern nicht mehr die Bereitschaft vorhanden ist, noch 'Überstunden zu leisten, so daß es eines zusätzlichen Korrektivs überhaupt nicht mehr bedarf?
Herr Kollege, wenn das so wäre, wäre schon jetzt der notwendige
Umfang an Einstellungen festzustellen. Ich kann aber nachweisen, daß in einigen Bereichen auch jetzt noch in einem beachtlichen, ja in einem nicht vertretbaren Umfange Überstunden geleistet werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, auch den Sachverhalt in ihre Überlegungen einzubeziehen, daß unsere Betriebe durch irgendwelche Reglementierungen nicht noch schwerfälliger werden dürfen, wodurch ihnen zumindest im internationalen Wettbewerb Nachteile erwachsen könnten?
Herr Kollege, auch im Ausland gibt es Arbeitszeitregelungen. Es trifft auch nicht zu, daß es derzeit in der Bundesrepublik keine Arbeitszeitregelung gibt, die das Überstundenmaß begrenzt.
Es geht doch darum, das, was sich in der Praxis entwickelt hat, gesetzlich einzufangen. Sie wissen, daß auf Grund der Arbeitszeitordnung und der Gewerbeordnung zur Zeit eine wöchentliche Arbeitszeit von 72 Stunden möglich ist. Das versteht doch niemand mehr in der Bundesrepublik, wenn man berücksichtigt, daß durch Tarifverträge bereits zu über 92 0/o eine 40-Stunden-Woche vereinbart ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß auf tarifvertraglicher oder gar auf freiwilliger Basis eher Lösungen gefunden werden könnten, die den Verhältnissen unserer Betriebe besser gerecht würden, als das durch eine starre gesetzliche Regelung möglich ist?
Hier bin ich Ihrer Auffassung. Wir müssen im Gesetz vorsehen, daß tarifvertragliche Regelungen möglich sind und daß die Betriebsräte eine wirksamere Mitbestimmung bei Arbeitszeitregelungen erhalten.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bis wann glaubt die Bundesregierung mit ihren Überlegungen am Ende zu sein und die entsprechenden Vorschläge unterbreiten zu können?
Die Überlegungen sind sehr weit gediehen. Ich gehe davon aus, daß wir den Gesetzentwurf im ersten Halbjahr 1979 vorlegen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, sind alle diese Fragen - wie Sie schon erwähnt haben - tarifvertraglich nicht irgendwie so weit geregelt - sei es auf Verbandsebene oder Betriebs-, Unternehmensebene -, daß sich eine gesetzliche Regelung überhaupt erübrigt?
Herr Kollege, es wäre natürlich erfreulich, wenn alle Arbeitnehmer tarifgebunden wären. Dann könnten wir möglicherweise all diese Fragen durch Tarifverträge regeln. Da es aber auch tarifvertraglich ungebundene Arbeitnehmer gibt und wir es mit einer Schutzgesetzgebung zu tun haben, werden wir auf eine gesetzliche Regelung nicht verzichten können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Da man alle diese Bestimmungen erstens durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung, zweitens arbeitsvertraglich sowieso zum Inhalt eines Arbeitsvertrages machen kann, frage ich Sie, inwieweit wirklich ein Bedürfnis besteht, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen.
Herr Kollege Müller, Sie wissen, daß der Bundesgesetzgeber die Rahmenbedingungen setzt und dann im Tarifvertrag Regelungen im Detail festgelegt werden. Aber Sie wissen auch, daß es nicht gut wäre, überall dort, wo man unorganisiert ist, auch noch eine Allgemeinverbindlichkeit herbeizuführen. Dann wären die Gewerkschaften in der Bundesrepublik wohl überflüssig. Das will ja wohl niemand hier.
({0})
'
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatssekretär, wer soll nach Meinung der Bundesregierung das von Ihnen vorhin zitierte „betriebswirtschaftliche Maß", über das die Überstunden nicht hinausgehen sollen. festlegen?
Herr Kollege, bei der Festlegung von Überstunden ist es schon jetzt so, daß - entweder nach dem Tarifvertrag oder aber auf Grund des Gesetzes - durch den Betriebsinhaber mit Zustimmung des Betriebsrates eine Abwägung stattfindet. Mit dieser Methode sind wir in der Vergangenheit ganz gut zurecht gekommen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Soll das heißen, Herr Staatssekretär, daß das „betriebswirtschaftliche Maß" künftig vom Betriebsrat festgelegt werden soll?
Herr Kollege, das habe ich nicht zum Ausdruck gebracht. Hier werden wir wohl zunächst mit dem Gesetz die Rahmenbedingungen vorgeben müssen. Der Betriebsinhaber hat
dann einen Freiraum, den er in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ausfüllen kann.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, gehen Sie mit mir darin einig, daß die Frage der Arbeitszeit - hier der Überstunden - einen sehr starken sozialpolitischen und Arbeitsschutzaspekt hat, daß man also, wie aus den Fragen hervorgeht, diese Probleme nicht vorrangig aus betriebswirtschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht sehen kann? Ich denke hier auch daran, wie die geschichtliche Entwicklung der Arbeitszeitregelung gelaufen ist.
Frau Kollegin Steinhauer, deshalb habe ich vorhin so betont herausgestellt, daß es sich um ein Arbeitnehmerschutzgesetz handelt. Wir alle miteinander wissen, daß dieses Gesetz im Jahre 1938 verabschiedet wurde. Ich will gern hinzufügen: Danach ist das Gesetz auch, und es ist höchste Zeit, diese Arbeitszeitordnung durch eine zeitgemäße Arbeitszeitgesetzgebung abzulösen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedmann.
Herr Staatssekretär, darf ich darauf hinweisen, daß es gerade die Betriebsräte sind, die vor einer gesetzlichen Regelung der zulässigen Überstunden warnen?
Herr Kollege Friedmann, ich will Ihnen gern auch diese fünfte Frage beantworten. Aber es sind nicht gerade die Betriebsräte, die vor einer gesetzlichen Regelung warnen. Ich kenne viele Betriebsratsäußerungen und Gewerkschaftsbeschlüsse, die seit langer Zeit eine neue Arbeitszeitgesetzgebung fordern.
Herr Abgeordneter Friedmann, Sie haben es einem Versehen des amtierenden Präsidenten zu verdanken, daß Sie noch zu einer weiteren Zusatzfrage gekommen sind.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ({1}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, aus der Kritik des Bundesbeauftragten für Datenschutz, Professor Dr. Bull, an der Abgabe von Daten aus dem Bereich der Sozialversicherung und inneren Sicherheit an Behörden entsprechende gesetzliche Konsequenzen zu ziehen?
Herr Kollege Dr. Becker, die Äußerungen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz über die Abgabe von Daten aus dem Bereich der Sozialversicherung betreffen wichtige Fragen des Sozialdatenschutzes, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bereits beschäftigen. Die Bundesregierung ist dabei zu
der Auffassung gelangt, daß die Vorschriften über die Weitergabe personenbezogener Daten aus dem Bereich der Sozialversicherung der Ergänzung bedürfen. Der Datenschutz in der Sozialversicherung muß noch effektiver gestaltet werden. Dabei ist den Besonderheiten in der Sozialversicherung Rechnung zu tragen. Einzelheiten werden zur Zeit intensiv geprüft.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wann können wir eine entsprechende Ergänzung des Gesetzes erwarten?
Herr Kollege, wenn ich darauf vertrauen könnte, daß auch die Opposition mitwirkt, würde ich sagen, wir können dies schon bei der nächstmöglichen Gelegenheit herbeiführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, inwieweit Sie berechtigt oder befähigt sind, den zweiten Teil meiner Frage, der den Bereich innere Sicherheit betraf, zu beantworten. Auch hier hat der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Prof. Bull, entsprechende Kritik angebracht.
Herr Kollege Dr. Becker, bei speziellen Angelegenheiten der inneren Sicherheit bin ich überfragt. Ich kann hier nur zum Bereich der Sozialdaten etwas ausführen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes 'auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Langner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob ein Bericht der „Deutschen Tagespost" vom 27. September 1978 zutrifft, wonach der Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig und Vorsitzende des Bundes Sozialdemokratischer Juristen, Rudolf Wassermann, das als „VS - Vertraulich/n. f. D." bezeichnete Arbeitsprogramm der Bundesregierung für die 8. Legislaturperiode erhalten hat?
Herr Präsident, ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantworte.
Einverstanden, Herr Langner? - Ich rufe dann also auch noch die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Langner auf:
In welcher Eigenschaft hat der Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig dieses Programm gegebenenfalls selbst erhalten?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß der in Ihrer ersten Frage an8582
gesprochene Bericht nicht zutrifft. Damit entfällt die Antwort auf die Frage 2.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte!
Welche Ermittlungen hat die Bundesregierung auf Grund dieses Berichts angestellt?
Die Bundesregierung hat zu dem entsprechenden Artikel genaue Prüfungen angestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die dort gemachten Angaben den Tatsachen nicht entsprechen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gilt dies auch für die Angabe, daß zwischen dem betroffenen Richter und einem Verlag ein Beratervertrag, der mit 1 000 DM monatlich dotiert sein soll, besteht?
Zu dieser Frage ist folgendes zu sagen: Sie wissen, daß keinerlei Zuständigkeit des Bundes in dieser Frage vorliegt. Das bringt mich jetzt also in die Situation, etwas zu beantworten, was die Landesregierung in Niedersachsen betrifft. Wenn wir richtig informiert sind, gibt es einen Beratervertrag mit einem Verlag. Dieser Beratervertrag ist vom Justizminister des Landes Niedersachsen als Nebentätigkeit genehmigt worden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. Langner ({0}) Hat die Bundesregierung ihre Ermittlungen auch darauf erstreckt, ob die Verschlußsache vielleicht beim Verlag tatsächlich vorfindlich ist, egal, wer sie dorthin verbracht hat?
Die angeführte Unterlage hat der Betroffene, über den wir hier reden, zu keiner Zeit erhalten.
Eine letzte Zusatzfrage.
Damit war meine Frage nicht beantwortet. Ich möchte daran erinnern, daß ich frug: Hat die Bundesregierung ermittelt, ob bei diesem Verlag diese Verschlußsache, einerlei, wer sie dorthin verbracht hat, vorgefunden wurde?
Nach den mir vorliegenden Kenntnissen gibt es eine solche Verschlußsache auch beim Verlag nicht. Um was es sich in Wirklichkeit handelt, ist ein Planungspapier des Bundesministers der Justiz für die 8. Wahlperiode. Diese Unterlage ist einer Reihe von Organisationen und Institutionen zur Verfügung gestellt worden, z. B. vom Deutschen Richterbund bis zum Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, die um
Stellungnahme gebeten wurden. Nachdem. dies erfolgt ist, hat Herr Wassermann im Rahmen seiner genehmigten Vereinbarung dies auch dem Verlag zugestellt. Aus diesem Grunde stimmt das, was in dem Artikel steht, nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Dann rufe ich die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Glos auf:
Wie hoch waren die Ausgaben für das letzte „Kanzlerfest" in Bonn und wieviel wurde aus „Spenden" von Wirtschaft und Wirtschaftsverbänden aufgebracht?
Herr Kollege Glos, ich wäre dankbar, wenn ich beide Fragen zusammen beantworten dürfte,
Gut.
Ich rufe dann auch die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Glos auf:
Wie hoch sind die Aufwendungen der CMA ({0}) für das diesjährige Kanzlerfest gewesen, handelt es sich bei den aufgewandten Mitteln um Zwangsabgaben, die jeder deutsche Landwirt an die CMA leisten muß, und hält die Bundesregierung die bisherige „Mischfinanzierung" des „Kanzlerfestes" für sinnvoll und dem Ansehen des Amts des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland für zuträglich?
Für das diesjährige Kanzlersommerfest am 2. September wurden bisher 108 693,38 DM ausgegeben.
({0})
Rechnungen bis zur Höhe von etwa 25 000 DM sind noch zu erwarten. Es ist richtig, daß sich an dem Fest Dritte mit Gastbeiträgen beteiligt haben. Über deren Aufwendungen liegen dem Bundeskanzleramt keine Zahlen vor.
Im übrigen hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages inzwischen um einen Bericht über die. Gesamtkosten des Sommerfestes einschließlich des Wertes der unentgeltlichen Leistungen Dritter und der Folgekosten sowie über die Kostenverteilung gebeten.
Die CMA, die Centrale Marketing Gesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft mbH, war am diesjährigen Kanzlerfest nicht beteiligt. Immer wieder bieten Verbände an, beim Sommerfest einem repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt ihre Produkte vorzustellen. In diesem Jahr fand es z. B. das deutsche Handwerk besonders attraktiv, seine Leistungsfähigkeit sowohl einem deutschen als auch einem großen ausländischen Gästekreis bekanntzumachen.
({1})
Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß eine Möglichkeit bestand, dem deutschen Handwerk behilflich zu sein und für seine Interessen einzutreten, und gehen davon aus, daß uns auch in Zukunft niemand daran hindern wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatsminister, können Sie hier angeben, welche Verbände und Organisationen es waren, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, und welche dieser Verbände und Organisationen sich darum beworben bzw. darum gerissen haben, wie Sie es zum Ausdruck gebracht haben, oder ob auch Verbände und Organisationen aufgefordert worden sind, sich zu beteiligen?
Ich bin an den Vorgesprächen nicht beteiligt gewesen und gehe von der Voraussetzung aus, daß alle Beteiligten dies mit großer Freude gemacht haben.
({0})
Sie fragen mich nun, wer daran beteiligt war. Das deutsche Bäckerhandwerk war mit einer Brotauswahl beteiligt,
({1})
das deutsche Fleischerhandwerk mit einem Wurst-und Schinkenbuffet, der deutsche Hotel- und Gaststättenverband mit einer Suppenküche.
({2})
Diese Suppenküche wurde von Jungköchen und Jungkellnern ausgeführt. Es gab damit eine hervorragende Möglichkeit, gleich werbend für diesen Beruf einzutreten.
({3})
Da Sie nach der CMA gefragt haben, sage ich noch einmal: nicht in diesem Jahr, aber im Jahre 1973 war die CMA werbend mit Milchgetränken vertreten, im Jahre 1974 mit einer Salatbar,
({4})
im Jahre 1976 mit einem Beitrag unter dem Motto „Bau nicht ab - bau auf mit Milch".
({5})
Im Jahre 1977 gab es eine Repräsentation deutscher Buttersorten. Auch nach ernsthafter Prüfung haben wir gegen alle diese Vorstellungen keinerlei Einwendungen.
({6})
Keine weiteren Zusatzfragen? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es dem Ansehen des Amtes des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland dienlicher wäre, daß er, wenn er Feste zu seiner Werbung gibt, die Kosten jeweils aus seiner eigenen Tasche bzw. seinem eigenen Haushalt bezahlt und hier nicht Spenden von Verbänden annimmt, die davon selbstverständlich Vorteile für ihre Mitglieder erwarten?
({0})
Erstens finde ich es hervorragend, wenn der Bundeskanzler in diesem Rahmen den vielen Bundesbürgern, aber auch den
vielen Ausländern, die dorthin kommen, die Möglichkeit bietet, die hervorragenden Produkte der deutschen Landwirtschaft und des deutschen Handwerks kennenzulernen. Zweitens muß ich fragen: Wieso soll eigentlich ausgerechnet der Bundeskanzler in dieser Frage eine andere Haltung einnehmen als z. B. die Landesvertretung von Niedersachsen - da gibt es ja umfangreiche Presseerklärungen -, von Bayern oder von anderen Ländern, die sogar eine wichtige Aufgabe ihrer Vertretungen darin sehen, für die Produkte der Länder zu werben?
({0})
Letzte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wie verträgt sich Ihre Aussage mit einer Meldung des Bonner „General-Anzeiger" von heute, die besagt, das Bundeskanzler Helmut Schmidt das Hickhack um Mark und Pfennig seiner Sommerparty leid sei und angekündigt habe: „Im nächsten Jahr mache ich das nicht mehr" ?
Mir ist diese Meldung nicht bekannt. Ich nehme sie gern zur Kenntnis. Wenn Sie noch daran interessiert sind, eine weitere Auskunft von mir zu bekommen, bin ich selbstverständlich gerne dazu bereit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob dies der einzige Zweck des
' Sommerfestes des Herrn Bundeskanzlers ist, die Erzeugnisse der deutschen Landwirtschaft und des deutschen Handwerks vorzuführen bzw. populär zu machen?
Sie wissen sehr genau, daß dieses nicht der einzige Zweck ist, sondern
1 daß z. B. diesmal sehr stark im Vordergrund gestanden hat, viele. Bürger unseres Landes mit denen zusammenzubringen, die zum Internationalen Philosophenkongreß in die Bundesrepublik gekommen waren, oder auch Bürgern aus anderen Regionen unseres Landes die Möglichkeit zu geben, mit vielen Repräsentanten unseres Staates und anderer Länder zusammenzukommen. Außerdem hat der Bundeskanzler auch gern die Möglichkeit wahrgenommen, mit denen zusammenzusein, mit denen er ein ganzes Jahr lang zusammenarbeitet.
Keine weiteren Zusatzfragen? Ich hätte an und für sich noch eine Zusatzfrage erwartet, warum nicht auch noch der Brauer-Bund hier werbend in Erscheinung getreten ist.
({0})
Das ist aber keine Frage an den Herrn Staatsminister; das ist nicht meine Aufgabe.
Herr Präsident, ich bedanke mich für die Anregung.
({0})
Die Zusatzfragen sind bereits abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Frau Staatsminister Hamm-Brücher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung zu erreichen versuchen, daß die Volksrepublik Polen das notwendige Besuchervisum in Notfällen ({0}) an der Grenze erteilt, damit nicht ein dringend gewordener Besuch durch Zeitverzug bei Beschaffung des Besuchervisums verhindert werden kann?
Herr Abgeordneter, nach den bisherigen Erfahrungen hat die polnische Botschaft in dringenden humanitären Fällen das Visum stets unverzüglich erteilt. Diese Praxis hat sich bisher als ausreichend bewährt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, sind der Bundesregierung keine Nachrichten bekannt, daß man am Freitag, wenn ein Todesfall eingetreten ist und man vielleicht nach Gleiwitz oder Allenstein fahren muß, weil dort ein Angehöriger gestorben ist, niemanden mehr erreicht, der ein Visum erteilt?
Herr Kollege, nach unseren Unterlagen konnte bisher noch in jedem Einzelfall ein Weg gefunden werden, um in solchen bedauerlichen Fällen das benötigte Visum rechtzeitig erteilen zu lassen.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, wäre es nicht angesichts eines Sachverhalts, den ich kenne, möglich, die polnische Regierung zu bitten, daß man in die Praxis eintritt, das Visum in derartigen dringenden Fällen unmittelbar beim Überschreiten der Grenze zu erteilen? .
Herr Kollege, die Bundesregierung hat in ähnlichen Fragen Erfahrungen gesammelt und geht davon aus, daß von polnischer Seite wohl kaum die Möglichkeit eines solchen Zugeständnisses besteht, ganz abgesehen davon, daß sich auch die Bundesregierung aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage sähe, die Gegenseitigkeit, die dann wohl hergestellt werden müßte, zu gewährleisten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.
Frau Staatsminister, insbesondere Ihre letzte Bemerkung gibt mir Veranlassung zu der Frage, was die Bundesregierung tut, damit bei dem umgekehrten Fall, den Sie erwähnt haben, einerseits zwar die berechtigten Sicherheitsbelange bei der Prüfung von Visaanträgen gewahrt werden, andererseits aber keine ungebührlichen Verzögerungen eintreten, von denen man von Zeit zu Zeit hört?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung verfährt genauso, wie hier in Bonn die hiesige Botschaft Polens in solchen dringenden Fällen verfährt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker ({0}).
Frau Staatsminister, welche Möglichkeiten sehen Sie, da es ja auch Notfälle gibt, bei denen der betroffene Teil in Polen noch lebt, zu helfen, daß die Erteilung eines Visums in Bonn bzw. im deutschen Raum beschleunigt werden kann?
Herr Kollege Becker, ich habe vorhin ausgeführt, daß bisher, soweit dem Auswärtigen Amt bekannt, keine Fälle vorliegen, wo in dringlichen Fällen nicht rechtzeitig ein Visum erteilt worden wäre.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Thüsing auf:
Ist die von der Bundesregierung angekündigte Aktion zur Aufnahme politischer Gefangener aus Argentinien inzwischen angelaufen, und wann ist mit den ersten Argentiniern in der Bundesrepublik Deutschland zu rechnen?
Herr Abgeordneter, die Aufnahmeaktion für politisch Verfolgte aus Argentinien ist angelaufen. Die Botschaft Buenos Aires ist um einen Beamten des höheren Dienstes verstärkt worden, um die Aktion möglichst zügig abwickeln zu können.
Die Botschaft hat an Hand der bei ihr vorhandenen sowie zusätzlich durch das Auswärtige Amt übermittelten Unterlagen über einzelne aus politischen Gründen inhaftierte Personen bisher 112 Fälle detailliert erfaßt, die für die Aufnahme näher in Betracht kommen. Diese Liste wird laufend erweitert. In einer erheblichen Zahl der genannten Fälle konnte die Botschaft bereits Kontakt mit Angehörigen der Inhaftierten aufnehmen, um mit ihnen Einzelheiten des Aufnahmeverfahrens zu besprechen. Leider hat die argentinische Regierung aber entgegen einer früher mündlich gegebenen Zusage bisher in keinem Fall die Genehmigung zum Besuch durch Botschaftsangehörige bei den Inhaftierten im Gefängnis selbst gegeben. Auswärtiges Amt und Botschaft sind laufend bemüht, bei der argentinischen Regierung die Erteilung der Besuchserlaubnis zu erreichen, da die Aufnahme naturgemäß scheitern muß, solange der Betreffende selbst sich hierzu
nicht einem verantwortlichen Vertreter der Bot- schaft gegenüber äußern konnte. Aus diesem Grund kann auch keine präzise Auskunft erteilt werden, wann die ersten Argentinier hier eintreffen werden. Die Bundesregierung hofft aber, daß dies noch in diesem Jahr sein wird.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Botschaft in den genannten Fällen auch mit dem örtlichen Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und dem Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz positiv zusammenarbeitet.
Andere Länder, die sich ebenfalls zur Aufnahme von politisch Verfolgten aus Argentinien bereit erklärt haben, stehen vor den gleichen Problemen wie wir.
Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatsministerin, da selbst Besuche bei den genannten Personen bisher nicht möglich waren, frage ich Sie: Was gedenken Sie, unter Umständen in Zusammenarbeit mit anderen Regierungen, die vor den gleichen Problemen stehen - wie Sie ausgeführt haben -, zu tun, wenn sich - was zu befürchten ist die argentinische Regierung weigert, die von der Bundesrepublik akzeptierten Argentiner ausreisen zu lassen?
Wie ich schon sagte, Herr Kollege, ist die Bundesregierung laufend darum bemüht, die argentinische Regierung zu einer Änderung ihres bisherigen Verhaltens zu bewegen. Ich gehe davon aus, daß sich die argentinische Regierung auch der Bedeutung dieser Frage im Hinblick auf ihr Ansehen im westlichen Ausland bewußt ist.
Welche Schritte die Bundesregierung im einzelnen diesbezüglich künftig zu unternehmen erwägt, möchte ich hier - dafür bitte ich sehr um Ihr Verständnis - nicht darlegen, da dies auch im Interesse der Sache besser im Rahmen der vertraulichen Diplomatie geschieht und ich im übrigen auch noch keineswegs die Hoffnung aufgeben möchte, daß die argentinische Regierung doch noch die erbetene Besuchserlaubnis erteilt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Kann die Stellungnahme des Staatssekretärs van Well in „Das Parlament" vom 16. September 1978 gegen "Alleingänge" in der Abrüstungspolitik auch als Ablehnung der öffentlichen Erklärungen des Staatssekretärs Dr. Frank zu einer „radikalen Veränderung in der außenpolitischen Grundhaltung", von denen „das Auswärtige Amt erfahren hat, daß er dazu nur in eigenem Namen spreche" ({0}), angesehen werden, insbesondere als Widerspruch gegen Staatssekretär Dr. Franks Standpunkt, daß in Sicherheitsfragen „vertrauensbildende Maßnahmen den Vorrang vor quantitativen Rüstungsbegrenzungen" haben ({1}), die Feststellung van Wells, daß die Sicherheit gleichermaßen der Vertrauensbildung, wie der Rüstungsbegrenzung, wie der Rüstungskontrolle bedarf und das zunehmende Übergewicht der sowjetischen Überlegenheit im Bereich der Panzerwaffe und im nuklearen Mittelstreckenbereich „nicht außer Betracht bleiben darf"?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat bereits am 1. August dieses Jahres eine von Ihnen gestellte Anfrage dahin gehend beantwortet, daß Staatssekretär Frank bei seinem Frankfurter Vortrag vom 24. Mai dieses Jahres nur in' seinem eigenen Namen gesprochen habe und daß sie deshalb keinen Anlaß sehe, zu der Wiedergabe des Vortrags in der Presse im einzelnen inhaltlich Stellung zu nehmen. Sie sieht daher auch keinen Anlaß, einzelne im eigenen. Namen gemachte Ausführungen von Staatssekretär Frank oder anderen mit einzelnen Ausführungen von Staatssekretär van Well inhaltlich zu vergleichen.
({0})
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, halten Sie es für die auswärtige Politik der Bundesregierung in Sicherheitsfragen für gut, wenn der für die außenpolitische Vertretung bei diesen Verhandlungen autorisierte Staatssekretär van Well gleichgewichtig dreierlei, vertrauensbildende Maßnahmen, wirksame Rüstungskontrolle und das Ungleichgewicht im konventionellen Bereich beseitigende Rüstungsbeschränkungen, fordert, während ein anderer Staatssekretär öffentlich für den Vorrang vertrauensbildender Maßnahmen vor quantitativen Rüstungsbegrenzungen eintritt?
Herr Kollege, in Ergänzung meiner ersten Antwort darf ich hinzufügen, daß es unbestritten sein dürfte, daß Maßnahmen der Vertrauensbildung und Maßnahmen der Rüstungskontrolle, insbesondere der quantitativen Rüstungsbegrenzung, in einem sehr engen Zusammenhang stehen. Welche Maßnahmen im komplexen Prozeß der Rüstungskontrollpolitik zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart und verwirklicht werden sollen, wird unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Umstände und des zu wahrenden Gesamtzusammenhangs einer realistischen Rüstungskontrollpolitik zu entscheiden sein. So hat es Staatssekretär van Well dargestellt, und so ist es die erklärte Politik der Bundesregierung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie daher bestätigen, Frau Staatsminister, daß die berechtigte Warnung des Staatssekretärs van Well vor Ungeduld und häufigem Wechsel der Konzepte - das schadet der Vertrauensbasis - auch gegen eine radikale Veränderung der außenpolitischen Grundhaltung und gegen die Zurückstellung quantitativer Rüstungsbegrenzung auf den zweiten Platz, wie sie Staatssekretär Frank am 6. und 7. Juni in öffentlichen Presseerklärungen leider vertreten hat, gerichtet war?
Herr Kollege, ich kann das nicht bestätigen. Herr Staatssekretär van Well hat für den Bereich der Regierung
und der Verantwortlichkeit der Regierung über „Außenpolitik aus einem Guß" geschrieben. Herr Staatssekretär Frank hat Überlegungen im eigenen Namen und für sich allein verantwortlich angestellt. Ich meine, daß wir doch sehr wohl akzeptieren müssen, daß es in verschiedenen Positionen die Möglichkeit gibt, laut zu denken, und in anderen Positionen nur die Möglichkeit, leise zu denken.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Frau Staatsminister, können Sie dem Hause bestätigen, daß die Position des Staatssekretärs beim Bundespräsidenten, dem nach unserer Verfassung die Führung der auswärtigen Geschäfte obliegt, eine ganz besondere Verpflichtung mit sich bringt - um bei Ihren Worten zu bleiben -, statt laut leise zu denken, wenn seine Auffassungen von den offiziellen Auffassungen der Bundesregierung abweichen?
Herr Kollege, ich finde, kluge und tiefschürfende Überlegungen, wie sie hier angestellt worden sind, sind immer ein wertvoller Beitrag zu unseren Überlegungen insgesamt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker ({0}).
Frau Staatsminister, können Sie mir in Anbetracht der Debatte, die wir heute morgen gerade um solche Ausführungen verschiedener Art hatten, bestätigen, daß draußen der Eindruck entstehen kann, daß die eine Seite mal so und die andere Seite mal so sagt, wodurch ein gewisses Schaukelmoment in die Politik hineingerät?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß wir alle wissen, daß in einer pluralistischen Demokratie verschiedene Meinungen zum Ausdruck gebracht werden können und daß das ja gerade die Stärke dieser Staatsform ist.
({0})
- Herr Staatssekretär Frank ist nicht in der Regierung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Frau Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß dies bei der sowieso oft schwierigen Feststellung, was die Meinung der Bundesregierung ist, noch dadurch erschwert wird, daß Sie Ihren Staatssekretären erlauben, abweichende Meinungen der Bundesregierung zu verkünden, ohne daß dies immer erkennbar ist?
Herr Kollege, ich habe meinen bisherigen Ausführungen nichts hinzuzufügen. Herr Frank hat in seinem Namen gesprochen, und Herr Staatssekretär van Well hat einen Aufsatz geschrieben, der natürlich in Übereinstimmung mit dem Bundesminister und der Bundesregierung gewesen ist.
Keine weiteren Wortmeldungen zu Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Staatssekretär Dr. Frank beim Vortrag im Institut für internationale Angelegenheiten der kommunistischen polnischen Arbeiterpartei in Warschau über die „Weitere Entwicklung der Entspannungspolitik vom westdeutschen Standpunkt aus" und in den Gesprächen mit dem Leiter der Auslandsabteilung im Zentralkomitee der polnischen kommunistischen Partei, mit dem amtierenden Außenminister und dem Vizeminister ({0}) nach der autorisierten Forderung von Staatssekretär van Well im „Parlament" die deutsche „Außenpolitik aus einem Guß" in mit dem „ganzen Auswärtigen Amt sowie mit dem Bundesministerium der Verteidigung abgestimmten Positionen" vertreten hat und nicht seine Frankfurter Thesen zur Sicherheit, oder auch die Thesen zur Ungeeignetheit der Menschenrechte als Gegenstand der Politik und zur Relativierung „des Gegensatzpaares Kapitalismus-Sozialismus bis zur Bedeutungslosigkeit" ({1})?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, in den Gesprächen, die Staatssekretär Frank in Polen geführt hat, hat er die Position der Bundesregierung vertreten. Er hat nach seiner Rückkehr Staatssekretär van Well ausführlich über diese Gespräche unterrichtet.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, können Sie also auch bestätigen, daß Staatssekretär Frank in dem öffentlichen Vortrag in der Institution der polnischen kommunistischen Arbeiterpartei - Institut für internationale Beziehungen -, wie es Herr Staatssekretär van Well mit Recht schreibt, die Positionen des ganzen Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums der Verteidigung vertreten hat?
Herr Kollege, ich war bei der Unterrichtung nicht dabei. Aber ich berufe mich auf meine erste Antwort, daß in der Berichterstattung, in der Darstellung seines Standpunktes bei Herrn Staatssekretär van Well die volle Übereinstimmung mit den Positionen der Bundesregierung festgestellt wurde.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Können Sie, Frau Staatsminister, bestätigen, daß gemäß dem noch nicht beantworteten Teil meiner Frage 8 nach der Ratifikation des politischen Menschenrechtspaktes es schlechthin unzulässig ist, die Rechtsverpflichtungen zu den Menschenrechten nicht zum Gegenstand
der Politik zu machen, wie es Herr Staatssekretär Frank am 7. Juni 1978 leider vertreten hat?
Herr Kollege Czaja, ich möchte für die Bundesregierung hier nicht in eine Würdigung dieses Vortrags eintreten. Ich empfehle Ihnen nur persönlich, dies mal nachzulesen, denn das hat er nicht gesagt.
({0})
- Ich bin gern bereit. Ich empfehle Ihnen dazu die „Frankfurter Rundschau" zu lesen; das Datum gebe ich Ihnen nachher bekannt.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Czaja, die Zusatzfragen sind von hier aus genau geregelt. Ich empfehle auch den Vertretern der Bundesregierung, im Plenum auf nicht erlaubte Zusatzfragen nicht noch einzugehen.
Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Schulze ({0}) auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag des Berliner CDU-Vorsitzenden Lorenz, die Westalliierten sollten mit der Sowjetunion ein neues Viermächteabkommen zur Regelung des Luftverkehrs von und nach Berlin aushandeln?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Kollege, die Bundesrepublik Deutschland und die Drei Mächte haben ein gemeinsames Interesse an der Aufrechterhaltung eines leistungsfähigen Luftkorridorverkehrs mit Berlin als einer der elementaren Lebensgrundlagen der Stadt. Vorschläge wie der von Ihnen zitierte, Herr Kollege, die Westalliierten sollten mit der Sowjetunion ein neues Viermächteabkommen zur Regelung des Luftverkehrs von und nach Berlin aushandeln, berühren das Regime der Luftkorridore von und nach Berlin. Hierbei handelt es sich um den empfindlichsten Teil des Vorbehaltsbereichs der Drei Mächte, der unangetastet bleiben muß. Dies ist von deutscher Seite zu berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, würden Sie die Äußerungen des Herrn Lorenz genauso qualifizieren, wie es die Alliierten getan haben, nämlich als verantwortungslos und gefährlich?
Ich möchte mich einer solchen Beurteilung hier im Interesse eines früheren Kollegen nicht so kraß anschließen. Ich meine, daß auch diese Äußerung vielleicht als Vorwahlkampf zu kategorisieren ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin, Herr Lorenz, am 21. September 1978 darauf hingewiesen hat, daß
selbstverständlich die originären Rechte der Westmächte im Berlin-Flugverkehr ohne Einschränkung aufrechterhalten werden müssen, und können Sie uns sagen, wie die Bundesregierung vorankommen will, um die Option aus dem deutsch-sowjetischen Luftverkehrsabkommen mit Flügen von Berlin nach Moskau zu realisieren?
Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon gesagt, in welche Zusammenhänge die Vorbehaltsrechte der Alliierten gehören und daß es nicht angebracht ist, hierüber in der Öffentlichkeit zu sprechen. Ich kann nur hinzufügen, daß die Bundesregierung in dieser Sache keine weiteren Schritte unternehmen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.
Frau Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß die Frage, die von dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Peter Lorenz, aufgeworfen worden ist, zu jenen gehört, die, wenn man sie zur Diskussion stellen und einer. erneuten Verhandlung unterwerfen will, aller Voraussicht nach nur zu einem schlechteren Ergebnis führen können denn zu einem besseren?
Herr Kollege, ich stimme Ihrer Frage vollinhaltlich zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Darf ich Ihrer vorigen Antwort entnehmen, Frau Staatsminister, daß Sie aus der Frage des Kollegen Straßmeir zur Kenntnis genommen haben, daß die Vorschläge, die der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin gemacht hat, keinerlei Antasten der bisherigen originären Rechte der Westalliierten in den Luftkorridoren umfaßt haben?
Herr Kollege, in der Frage wurde die Bundesregierung gefragt, wie sie zu dem Vorschlag des Berliner CDU-Vorsitzenden Lorenz steht, die Westalliierten sollten mit der Sowjetunion ein neues Viermächteabkommen - ein neues Viermächteabkommen - zur Regelung des Luftverkehrs aushandeln. Dazu kann ich nur sagen: Ein solches Viermächteabkommen hat es bisher nicht gegeben. Wie der Bereich geregelt wurde, habe ich bereits in meiner ersten Antwort gesagt. Es kann deshalb kein neues Viermächteabkommen ausgehandelt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Frau Staatsminister, nachdem wir wahrscheinlich darin übereinstimmen, daß Sie bei der Beantwortung davon ausgegangen sind, daß die Formulierung des Fragestellers originär dem entspricht, was der Präsident des Abgeordnetenhau8588
ses gesagt hat - was nicht so ist -, darf ich Sie fragen: Wie stellt sich der jetzige Bundeskanzler auch im Namen der Bundesregierung vor, daß die Vorstellung, West-Berlin solle so schnell wie möglich ein internationales Luftkreuz werden und die Lufthansa solle in Berlin ({0}) landen, verwirklicht werden könnte, ohne daß darüber mit allen vier Alliierten Gespräche geführt werden?
Herr Kollege, aus den vorher genannten Gründen sehe ich mich außerstande, über das bisher Gesagte hinauszugehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bußmann.
Frau Staatsminister, ist es nicht eine gute Übung, daß in der Vergangenheit Berlin-Initiativen grundsätzlich immer nach Absprache erfolgten, und ist es nicht eine schlechte Sache, wenn Alleingänge in einem so heiklen Punkt vorgenommen werden?
({0})
Ich beantworte Ihre Frage mit Ja.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz ({0}).
Frau Staatsminister, ich darf, bitte, zunächst einmal feststellen, daß Peter Lorenz zu keinem Zeitpunkt von einem neuen Viermächteabkommen gesprochen hat, sondern aus der Sorge heraus, daß die Situation des Luftverkehrs in Berlin in gemeinsamen Bemühungen zur Zeit nicht positiv weiterentwickelt wird, die Frage gestellt hat, ob neue Sondierungen möglich seien. Daher möchte ich Sie fragen: Welche Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen oder gedenkt sie in nächster Zeit zu unternehmen, um die Idee des damaligen Regierenden Bürgermeisters Schütz von einem Luftkreuz Berlin Förderung zuteil werden zu lassen und bald zu einer umfassenden Verbesserung der Luftsituation in bezug auf Berlin zu kommen?
Herr Kollege, ich kann Ihnen darauf nur antworten, daß die Bundesregierung keinen Anlaß hat, anzunehmen, daß die Drei Mächte erwägen, diese Frage aufzugreifen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatsekretär Zander zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 59 der Frau Abgeordneten Benedix auf. - Sie, ist nicht im Saal. Die Frage wird
schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 60 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Benutzer des Verhütungsmittels Patentex Oval auf die Notwendigkeit der strikten Einhaltung der Anwendungsvorschriften dieser besonderen Verhütungsmethode hinzuweisen, um der durch die Werbung für dieses Mittel provozierten Bedenkenlosigkeit und Sorglosigkeit der Anwenderinnen entgegenzuwirken?
Frau Kollegin, Fertigarzneimittel müssen nach den Kennzeichnungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes einen Hinweis auf die Art der Anwendung tragen. Dies galt schon nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes von 1961. Darüber hinaus dürfen Fertigarzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz von 1976 nur mit einer Pakkungsbeilage in Verkehr gebracht werden, in der sich unter der Überschrift „Gebrauchsinformation" wichtige Hinweise über die Anwendung des Arzneimittels für den Verbraucher finden.
Die Bundesregierung hat zur Frage der Verhütungsmittel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln beauftragt, eine Aufklärungsschrift zu erarbeiten, die bereits unter dem Titel „Jedes Kind hat ein Recht, erwünscht zu sein" veröffentlicht wurde. Darin wird auch zu den von Ihnen angesprochenen chemischen Verhütungsmitteln und ihrer Anwendung, zu denen auch das von Ihnen genannte Präparat zählt, Stellung genommen.
Diese Broschüre wurde im November 1977 bereits als vierte Auflage in einer Auflagenhöhe von neun Millionen Exemplaren gedruckt und an Gesundheitsämter, Sozialämter und andere Stellen zur Verteilung ausgesandt.
Zusatzfrage, bitte.
Angesichts der Tatsache, Herr Staatssekretär, daß in der Presse verschiedentlich auf die wachsende Zahl von Kindern hingewiesen wurde, die auf Grund dieses offensichtlich doch nicht so einwandfrei funktionierenden Verhütungsmittels geboren wurden - diese Zahlen werden auch von den Beratungsstellen bestätigt -, frage ich: Halten Sie diese Art der Aufklärung durch die Broschüre für ausreichend, oder erwägt die Bundesregierung - möglicherweise in denselben Medien, in denen für Patentex Oval geworben wird, beispielsweise in der Zeitschrift „Bravo" und in anderen Jugendzeitschriften, aber auch im Fernsehen -, eine Art aufklärerischer Gegenwerbung zu starten?
Frau Kollegin, ich habe Ihnen soeben die hohe Auflage dieser Broschüre genannt. Natürlich sind wir für jeden Hinweis dankbar, wie wir an die interessierten Kreise noch besser .herankommen können. Ich werde also auch diese Anregungen prüfen. Wir haben ja auch andere Broschüren, die sich z. B. an Jugendliche
) richten, zusammen mit der Zeitschrift „Bravo" veröffentlicht. Ich sehe keinen Hinderungsgrund, auch in dieser Frage die Aufklärung parallel zu der von Ihnen angesprochenen Werbung zu betreiben. Ich werde mich jedenfalls bemühen, Wege zu öffnen, um diesem Anliegen zu entsprechen, wenn das möglich sein sollte.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe mich mit den Werbemethoden dieser Firma jetzt seit insgesamt drei Jahren, glaube ich, beschäftigt - das gleiche hat der Verbraucherschutzverein getan - und festgestellt, daß diese Firma in jedem nach den §§ 1 und 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb inkriminierten Fall, in dem Aussicht auf Erfolg bestand, in ihren Behauptungen zurückgewichen ist. Es geistern aber immer noch Aussagen herum, die behaupten -
Frau Kollegin, die Frage wäre jetzt interessant.
- - ich komme zu der Frage -, daß man sich bedenkenlos darauf verlassen kann. In welcher Form glaubt die Bundesregierung dem Verbraucherschutzverein beispringen zu können, wenn es zu einer Klage mit sehr hohem Streitwert kommt?
Den letzten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin, kann ich nicht aus dem Handgelenk beantworten. Wir sind selbstverständlich dafür dankbar, daß Verbraucherschutzeinrichtungen und -verbände auf diesem Gebiet tätig sind und manche Auswüchse, die es in der Werbung gibt, zu .verhindern suchen.
Der Komplex, den Sie angesprochen haben, ist im wesentlichen eine Frage des Heilmittelwerbegesetzes. Bei der Durchführung dieses Gesetzes sind in erster Linie die Bundesländer angesprochen. Wenn es Mißbräuche in der Werbung gibt oder die Werbung aber - wie es im Gesetz vorgesehen ist - nicht der Wahrheit entspricht, müßten in erster Linie die Bundesländer tätig werden.
Die Bezeichnung '„Bedenkenlosigkeit" scheint mir in Anbetracht der Tatsache, daß die Anwendung solcher Mittel natürlich einen bestimmungsgemäßen Gebrauch voraussetzen, eine etwas zweifelhafte Floskel zu sein. Ich bin aber gern bereit, das entsprechende Bundesland, das hier in Frage käme, von Ihren weiterbestehenden Bedenken zu informieren. Das ist ja auch meines Wissens in der Vergangenheit bereits einmal in einem Fall durch unser Ministerium geschehen. Ich bin gern bereit, auch diese Fragestunde wieder zum Anlaß zu nehmen, es noch einmal zu tun.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es wichtiger ist, jeweils den Beipackzettel zu lesen, auf dem die entsprechenden Hinweise über Sicherheit oder begrenzte Sicherheit 'einer Anwendung jeglichen Arzneimittels, also auch solcher Verhütungsmittel, stehen?
Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß jemand, der ein Arzneimittel oder in diesem Falle ein derartiges chemisches Präparat benutzt, die entsprechenden Hinweise liest. Dies ist aber nicht das Problem.
Vielmehr muß auch in der Werbung darauf geachtet werden, daß die Aussagen der Wahrheit entsprechen und die potentiellen Verbraucher solcher Mittel nicht irregeführt werden. Dies ist eine Frage des Heilmittelwerbegesetzes, für dessen Durchführung - ich muß es noch einmal sagen - die Bundesländer zuständig sind und nicht die Bundesregierung.
Ich rufe Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, die in einzelnen Regionen der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Krebsregister auch bundesweit zu errichten, um daraus wissenschaftliche Erkenntnisse zu ziehen und die .klinische Nachsorge bei Krebserkrankungen effektiver zu gestalten?
Herr Kollege, in Ihrer Frage sind verschiedene Arten von Krebsregistern angesprochen, deren Aufgaben unterschiedlich sind. Die regionalen Krebsregister dienen hauptsächlich der epidemiologischen Erfassung von Krebserkrankungen mit dem Ziel, Aufschluß über veränderte Häufigkeiten und spezielle Zusammenhänge zu bekommen.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat, einem Auftrag des Deutschen Bundestages folgend, die Frage prüfen lassen, ob und ggf. welche Erweiterungen erforderlich sind. Zu dieser Frage wird in Kürze ein Fachgutachten vorliegen.
Die unerläßliche Sicherung der Krebsnachsorge über klinische Krebsregister wird vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit seit Jahren modellhaft gefördert. Dabei zeichnet sich ab, daß nicht nur Tumorzentren derartige Krebsregister einrichten sollten, sondern darüber hinaus mittelfristig auch die Krankenhäuser, in denen Krebspatienten behandelt werden. Hier kommt es auf die Entwicklung eines Verbundsystems der Zusammenarbeit zwischen niedergelassenem Arzt und Krankenhaus an.
Die wissenschaftliche Nutzung von Krebsregistern ist bei den regionalen Registern und bis zu einem gewissen Grade auch bei den klinischen Registern, die zugleich der Nachsorgeorganisation dienen, gegeben. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit prüft derzeit darüber hinaus, ob und gegebenenfalls welche Krebsregister, die ausschließlich der wissenschaftlichen Forschung dienen, gefördert werden können. Dies ist Bestandteil der Vorhaben des gemeinsamen Forschungsprogramms „Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit".
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da mir bekannt ist, daß es verschiedene Krebsregister gibt, zielt meine Frage darauf ab, diese Dinge zu beschleunigen: Sind Sie, nachdem jetzt schon langjährige Erfahrungen mit solchen Krebsregistern vorliegen - z. B. in Hamburg über 20 Jahre, in Baden-Württemberg 5 Jahre, im Saargebiet auch annähernd so lange -, bereit, die bundesweite Errichtung von Krebsregistern schnell in Angriff zu nehmen?
Zander, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, es liegt -nicht nur daran, die Kooperation dieser Systeme sicherzustellen, sondern entscheidend dafür ist auch - und damit greife ich ein Thema auf, das soeben auch die Fragestunde durch eine von Ihnen eingebrachte Anfrage beschäftigt hat, nämlich das Thema des Datumschutzes -, daß ein den Datenschutz sicherstellendes Dokumentationssystem geschaffen wird. Auch hier sind die Arbeiten noch nicht abgeschlossen. Ich kann ihre Ungeduld gut verstehen. Sie sehen, daß wir uns auch von verschiedenen Seiten bemühen, diese Dinge weiter voranzutreiben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem vorhergehenden Fragesteller zu sagen, daß es nicht „Saargebiet", sondern Saarland heißen muß, auch aus historischen Gründen?
Mir steht eine Korrektur nicht an, aber Sie haben natürlich recht, was die Bezeichnung angeht.
Die Zusatzfrage stand zwar nicht im Sachzusammenhang mit der eingebrachten Frage, aber sie war berechtigt.
Die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Darf ich zur Geschäftslage eine Bemerkung machen? Es kann sein, daß wir mit der Fragestunde vor 15.30 Uhr fertig werden. Die Fraktionsgeschäftsführer haben mir Mitteilung gemacht, daß die Fraktionen in unmittelbarem Anschluß an die Fragestunde die Debatte zu Tagesordnungspunkt 5 fortsetzen wollen. Ist das Parlament damit einverstanden? - Gut.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fermeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Wrede zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Löffler auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird also
schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Hoffie auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Milz sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 der Abgeordneten Frau Benedix auf. - Ich sehe sie nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Dr. Bußmann auf:
Wieviel Brückenbauten im Bundesfernstraßennetz wurden in der Vergangenheit in Spannbetonbauweise erstellt, und wieviel davon wiesen Reparatur oder Erneuerung erfordernde Risse auf?
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 68 und 69 wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Gut. Ich rufe daher auch die Frage 69 des Abgeordneten Dr. Bußmann auf:
Hat die Bundesregierung Untersuchungen aller fertigen oder im Bau befindlichen Brücken in Spannbetonbauweise veranlaßt, und hat sie Forschungsvorhaben zur grundsätzlichen Untersuchung der Probleme des Bauens mit gegossenem und vorgefertigtem Spannbeton vergeben oder beabsichtigt sie, solche Forschungsvorhaben in Zukunft zu fördern?
Herr Kollege Bußmann, bis Ende 1977 betrug der Bestand an Spannbetonbrücken im Zuge von Bundesfernstraßen 6 830 Stück. Bereits am 15. März 1976 vom Bundesminister für Verkehr veranlaßte Erhebungen über Risse in Spannbetonbrücken werden voraussichtlich bis Anfang 1979 durch die Bundesanstalt für Straßenwesen ausgewertet. Seit einem Jahr ist dem Bundesminister für Verkehr auf Grund von Meldungen der für die Prüfung und Überwachung von Brücken an Bundesfernstraßen zuständigen Länder bekannt, daß - bis auf den Schadensfall Heerdter Dreieck Düsseldorf - die Standsicherheit aller Spannbetonbrücken gewährleistet ist. An 15 Brücken wurden Risse festgestellt, die verpreßt werden müssen, um langfristig Korrosionsschäden an den Stahleinlagen zu vermeiden. Zwei dieser Brücken müssen darüber hinaus verstärkt werden.
Inzwischen wurden durch den Bundesminister für Verkehr insgesamt fünf Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben, die sich mit grundsätzlichen Problemen der Berechnung und Herstellung von Spannbetonbrücken aus Ortbeton und Fertigteilen befassen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, werden nach wie vor Brücken in Auftrag gegeben, die in
dieser schädenbehafteten Bauweise errichtet werden?
Herr Kollege Bußmann, ich habe soeben ausgeführt, daß das Problem dieser besonderen Herstellungsart zur Zeit untersucht wird und daß bei einer ganzen Reihe ähnlich gearteter Brücken Schäden nicht festgestellt wurden. Aber das Gesamtproblem wird überprüft.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 70 des Abgeordneten Dr. Bötsch, 71 und 72 des Abgeordneten Sick und 73 des Abgeordneten Dr. van Geldern werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Hoffmann ({0}) auf:
Plant die Bundesregierung den Einsatz von Bundesbahnspezialwaggons, um Erze in größerem Umfang ab Hafen Rotterdam in den deutschen Wirtschaftsraum zu transportieren, und welche Auswirkungen sind von diesen Transportkapazitäten gegebenenfalls auf die Frachtkosten zu erwarten?
Herr Kollege, ich nehme an, daß die Frage auf den Einsatz sechsachsiger Spezialwagen der Deutschen Bundesbahn mit einer Nettolast von 100 t für die Erztransporte an die Saar zielt. Hierüber laufen zur Zeit Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn, die diese kaufmännischen Fragen nach dem Bundesbahngesetz selbständig entscheidet, und den saarländischen Hütten. Im übrigen gelten für den Erzverkehr an die Saar besondere Tarife, die die Vorteile geschlossener Züge und großräumiger Wagen berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es in Ihrem Haus Studien über die Wirkung von Frachtkosten auf Standortentscheidungen der eisenschaffenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege, diese Frage kann ich Ihnen nicht aus dem Stand beantworten. Ich werde das gern prüfen und Sie unterrichten.
Danke schön.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Diederich ({0}) auf:
Trifft der mehrfach in Fachkreisen erhobene Vorwurf zu, daß die zuständigen Behörden die Einhaltung der gesetzlich bestimmten, herstellerbedingten Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern bei Mofas bei der Serienanfertigung so wenig überwachen, daß die Mehrzahl der Fahrzeuge diese Höchstgeschwindigkeit bei heißgelaufenem Zustand auch ohne Manipulationen seitens des Fahrzeughalters nicht unerheblich überschreitet, und auf welche Weise und wann wird die Bundesregierung, gegebenenfalls durch entsprechende Änderung der Prüfungsvorschriften, dafür sorgen, daß die Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften streng und wirksam gehandhabt wird?
Herr Kollege Diede- rich, das Kraftfahrt-Bundesamt kann jederzeit bei Herstellern oder deren Beauftragten oder bei Händlern die Erfüllung der mit der Allgemeinen Betriebserlaubnis verbundenen Pflichten nachprüfen oder nachprüfen lassen. Hiervon macht das Kraftfahrt-Bundesamt laufend Gebrauch, wobei es insbesondere nachprüft, ob die für Mofa 25 geltende bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern eingehalten wird.
Der geäußerte Verdacht, daß diese Fahrzeuge schon ab Werk die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, ist zwar theoretisch nicht völlig auszuschließen, hat aber kaum praktische Bedeutung. Die vorhandenen Vorschriften zur Durchführung von Nachprüfungen bei Mofaherstellern reichen aus und bedürfen keiner Änderung. Wahrscheinlicher ist, daß bei denjenigen Mofas 25, die die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern überschreiten, unzulässige Veränderungen vorgenommen wurden, z. B. am Vergaser, am Motor, am Auspuff, an der Übersetzung oder ähnlichen Teilen.
Die Bundesregierung hat daher die Absicht, mit allen beteiligten Stellen die bisher geltenden Prüfrichtlinien für Mofa 25 zu überarbeiten mit dem Ziel, die Manipulationsmöglichkeiten einzuschränken. Erste Gespräche hierzu haben bereits stattgefunden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich mir erlauben, in diesem Zusammenhang die Richtigkeit Ihrer Antwort in Frage zu stellen, indem ich auf einen Artikel in der „Deutschen Polizei", Nr. 9/78, hinweise, in dem festgestellt wird, daß schon bauartbedingt in großem Umfang die Fahrzeuge schneller fahren, und wären Sie bereit, zu dieser Frage noch einmal schriftlich Stellung zu nehmen, wenn ich Ihnen diesen Artikel zustelle?
Dazu bin ich gern bereit, Herr Kollege. Nur könnte ich Ihnen jetzt auch Zahlen über die Überprüfung bei Herstellern vorlesen mit Ergebnissen, die eigentlich im Widerspruch zu dem von Ihnen genannten Artikel stehen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Bindig auf:
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundesbahn für den Einsatz ihres Personals beim Probebetrieb des Rufbusprojekts in Friedrichshafen rückwirkend einen um 50 v. H. höheren Kostenersatz fordert und daß die Deutsche Bundesbahn es ablehnt, die für den großen Rufbusprobebetrieb zusätzlich benötigten 85 Fahrer einzustellen, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Durchführung des großen Rufbusbetriebs gegebenenfalls dennoch zu gewährleisten?
Herr Kollege, es trifft nicht zu, daß die Bundesbahndirektion Stuttgart es ablehnt, die für den Groß-Rufbusprobebetrieb zusätzlich benötigten 85 Fahrer einzustellen. Richtig ist, daß es unterschiedliche Auffassungen über die Einzelheiten der Kosten und des Personaleinsatzes gibt.
Es trifft weiter nicht zu, daß die Deutsche Bundesbahn für den vertraglich geregelten Zeitraum des kleinen Probebetriebs rückwirkend einen höheren Kostensatz fordert.
Die Bundesregierung verfolgt den Versuch mit Interesse. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat den sogenannten kleinen Probebetrieb mit rund 3,9 Millionen DM gefördert. Er ist auch grundsätzlich bereit, den Groß-Rufbusprobebetrieb finanziell zu unterstützen.
Zusatzfrage, bitte.
Ist die Bundesregierung bereit, der Deutschen Bundesbahn, die ja gehalten- ist, bei Projekten, an denen sie sich beteiligt, kostendeckend zu arbeiten, entweder zusätzliche Mittel für den großen Rufbusbetrieb zukommen zu lassen oder sich wenigstens tatkräftig für eine entsprechende Mittelbereitstellung einzusetzen oder die Deutsche Bundesbahn im Falle des Rufbusprojekts von der Auflage, kostendeckend zu arbeiten, zu entbinden?
Herr Kollege Bindig, die Bundesregierung kann nicht die Bundesbahn in diesem speziellen Fall von der Auflage, die Sie angezogen haben, befreien. Aber selbstverständlich - ich sagte das schon in meiner ersten Antwort - ist die Bundesregierung bemüht, weil sie natürlich auch ein unmittelbares Interesse am Ergebnis dieses Versuches hat, durch Mittelbereitstellung dazu beizutragen, daß auch dieser Großversuch durchgeführt werden kann
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Ist das Verkehrsministerium gegebenenfalls bereit, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß das zusätzlich erforderliche Fahrpersonal für den großen Rufbusbetrieb eventuell über Teilzeitverträge oder notfalls sogar durch eine Art Personalleasing vom privaten Personenbeförderungsgewerbe bereitgestellt werden kann?
Herr Kollege Bindig, ich sehe bei der Bereitstellung des Fahrpersonals für den Großversuch keine Probleme. Ich habe eingangs gesagt, daß die Bereitschaft besteht, die dazu benötigten zusätzlichen 85 Fahrer auch einzusetzen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, wenn es zutreffend ist, wie Sie auf die Frage des Kollegen Bindig sagten, daß eine Heraufsetzung der Forderung nach Ersatz der Kosten für die Beteiligung der Bundesbahn um 50 % und außerdem rückwirkend erfolgen soll: Um wieviel hat denn nach den Kenntnissen der Bundesregierung die Bundesbahn ihre Kostenersatzforderung heraufgesetzt, und von welchem Zeitpunkt an?
Herr Kollege, es gab einen vereinbarten Zeitraum, in dem dieser Vertrag lief, und für diesen Zeitraum sind von der Bundesbahn genau die Kosten in Rechnung gestellt worden, die vereinbart waren. Nun sind Auseinandersetzungen darüber entstanden, wie nach Ablauf dieses vereinbarten Zeitraumes die Kosten aufgeteilt werden. Wegen dieser Frage, so führte ich aus, sind zur Zeit Gespräche im Gange.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Die Fragen 77 und 78 des Abgeordneten Dr. Schneider, 79 und 80 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) und 81 des Abgeordneten Mahne - also alle Fragen aus diesem Geschäftsbereich - sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Die Fragen 84 und 85 des Abgeordneten Immer ({1}) sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Die Fragen 86 und 87 des Abgeordneten Biehle sowie 88 und 89 des Abgeordneten Kolb werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Wir fahren mit der Aussprache über Tagesordnungspunkt 5 fort. Das Wort hat der Bundesminister Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kommen wieder zu dem Thema, das in der Vormittagssitzung behandelt wurde, zu dem Antrag der CDU/CSU im Zusammenhang mit sogenannten Vertragsverletzungen der DDR. Der Antrag fordert die Bundesregierung zum Handeln bzw. zum Veranlassen gegenüber der DDR auf. Warum und zu welchem Zweck die Bundesregierung handeln bzw. veranlassen soll, erfährt man unter 1 des Antrages an Hand einer Aufzählung, deren Generalnenner gleich eingangs lautet, und zwar wörtlich:
Angesichts sich häufender Verletzungen von Verträgen, Vereinbarungen und Zusagen seitens der DDR ...
Auf Grund der dann im einzelnen folgenden Situationsanalyse also soll die Bundesregierung handeln bzw. veranlassen. Darum ist es nötig, die Einzelheiten dieser Situationsanalyse näher zu betrachten.
Zunächst möchte ich aber noch etwas zu dem sagen, was heute vormittag von den Kollegen der Opposition gesagt wurde. Ich fand das sehr eigenartig. Im Zusammenhang mit dem sehr diffizilen Thema der Familienzusammenführung wurde so getan, als wenn sich da gar nichts täte und die Bundesregierung Bittstellern mit nichtssagenden vorgeschriebenen Briefen antworte. Jeder Brief ist auf den einzelnen Fall zugeschnitten. Wer das ernst nimmt
- dazu gehören sehr viele Kollegen der CDU/ J CSU -, wird nicht leugnen können, daß ständig in persönlichen Schreiben meinen Mitarbeitern und mir für die Sorgfalt und Behutsamkeit gedankt wird, mit der wir auch über die Zeitdauer, die so etwas in Anspruch nimmt, diese Dinge behandeln. Wir lassen uns nicht enttäuschen und sind immer bemüht, in den vielen Einzelfällen zu helfen.
Ich muß bei dieser Gelegenheit sagen, damit das deutlich wird: Es ist einfach nicht erträglich, wenn die Erfolge, die gerade in diesem Bereich tatsächlich festzustellen sind, ignoriert werden und so getan wird, als sei gar nichts geschehen. Rund 5 000 Einzelfälle können wir Jahr für Jahr nicht durch irgendein Geschrei, sondern durch unsere sachlichen Bemühungen bei der DDR-Regierung aushandeln. 5 000 einzelne Bürger kommen aus dem Bereich der DDR zu uns. Sie müssen einmal mit diesen Menschen zusammenkommen: wie die uns ermuntern, uns nicht durch Ihre Reden und durch Ihre Manöver irritieren zu lassen; denn dadurch wird gar nichts bewegt, sondern nur das Gegenteil bewirkt.
({0})
Darum will ich jetzt auch in Sachlichkeit auf Ihren Antrag eingehen. Zu diesem Antrag hat von Ihrer Seite ja gar keiner gesprochen. Sie haben mit Ihrer beliebten Methode Deutschlandpolitik betrieben: alles zusammenfassen, alles zu kritisieren. Da können wir uns sehr schnell einig sein. Nur, dadurch wird nichts anders, dadurch werden Sie der Sorgepflicht, wie Sie so schön sagen, für die Deutschen, die in der DDR wohnen, überhaupt nicht gerecht. Sie beschränken sich immer wieder nur darauf, alles zu kritisieren.
Nun lassen Sie mich zu den Einzelheiten dieser Situationsanalyse kommen. Da heißt es zunächst, daß „immer mehr Reisende an den Übergängen nach Mitteldeutschland und Ost-Berlin zurückgewiesen und Einreiseverbote verhängt werden". Es ist richtig: Seit der Jahreswende 1976/77 beobachten wir - das geschah ziemlich sprunghaft - eine Zunahme von Einreiseverweigerungen bzw. Zurückweisungen. Es trifft Westdeutsche wie West-Berliner gleichermaßen. Waren im Jahre 1976 insgesamt 628 Personen von solchen Maßnahmen betroffen, so sprang diese Zahl im Jahre 1977 auf zusammen 2 955 bei insgesamt - bitte hören Sie hin! - 7 700 000 tatsächlichen Einreisen. Um es noch deutlicher zu machen: Auf 10 000 Einreisen kamen also knapp 4 Verweigerungen bzw. Zurückweisungen. Dieses Verhältnis von 10 000 : 4 setzt sich - bis jetzt wenigstens -, soweit wir das beobachten und kontrollieren können, auch im Jahre 1978 fort. Zwischen Januar und August 1978 reisten z. B. 2 200 000 Westdeutsche in die DDR; die Zahl der Zurückweisungen betrug bei Westdeutschen 1 030. Das wiederum bedeutet auf 10 000 Reisen und Besuche ca. 4 Verweigerungen.
Zunächst bedeutet diese annähernd gleichgebliebene Relation: Die Proteste der Bundesregierung, die bei Sichtbarwerden des Steigens der Zurückweisungsrate Anfang 1977 eingelegt wurden, haben die DDR nicht beeindruckt. Das muß man feststellen; warum eigentlich nicht? Aber Sie können nicht sagen, wir hätten nichts getan. Sie müssen mir einmal ein anderes Mittel empfehlen. Sie hatten ja 20 Jahre Zeit; Sie persönlich waren allerdings nicht dabei, Sie haben diese Erfahrung nicht sammeln können. Wie hätten Sie es denn damals bewirkt, solche angeblichen Übergriffe zurückzuweisen?
Die Proteste der Bundesregierung - ich habe es jetzt deutlich gesagt -, die bei Sichtbarwerden der gestiegenen Zurückweisungsrate Anfang 1977 eingelegt wurden, haben die DDR nicht beeindruckt. Das ist eine Tatsache. Das weitere Verhalten der Bundesregierung richtete und richtet sich danach, ob man in den Zurückweisungsmaßnahmen einen Schlag gegen den Besuchsverkehr an sich zu sehen hat oder nicht. Diese Frage aber muß man bei Betrachtung des betroffenen Personenkreises klar verneinen.
Es handelt sich zumeist um Personen, die nach 1972 die DDR legal oder illegal verlassen haben, und um solche Personen, deren Angehörige oder Bezugspersonen in der DDR ihrerseits die Ausreise aus der DDR betreiben. Man kann sich also an den zehn Fingern abzählen: Diese Personen tangieren mit ihrem Erscheinen in der DDR - nicht ohne Grund - Belange der inneren Stabilität der DDR, wie die DDR zu erkennen gibt. Sie können das ignorieren, aber das sind die Tatbestände. Man muß also diese Zurückweisungen entsprechend qualifizieren. Wenn man das weiß - und die Opposition weiß es wie wir -, kann man nicht ernsthaft behaupten, die Einreiseverweigerungen gegenüber solchen Personen, die sozusagen leibhaftig die Ausreise aus der DDR für immer verkörpern, richteten sich gegen den Besucherverkehr und verstießen insofern gegen die Abmachungen.
Es gibt kein Mittel, meine Damen und Herren, auch kein vertragliches Mittel, die DDR zu zwingen, jeden, der will, zu sich einreisen zu lassen. Bei noch so vielen Verhandlungen ist das nicht zu erreichen. Machen Sie sich mit dieser Tatsache vertraut, und versuchen Sie nicht immer den Eindruck zu erwecken, als könnten Sie mit Ihren kraftmeierischen Sprüchen die DDR zum Erzittern bringen! Die lachen sich kaputt, wenn sie so etwas hören. Die Menschen aber, die drüben darauf warten, daß wir mehr Kommunikation zustande bringen, sind die Leidtragenden. Sie können hier schön herumsitzen - das ist völlig klar -, aber kommen Sie einmal mit diesen Leuten zusammen! Dann müssen Sie etwas anderes erkennen.
Ich hoffe, Sie ersehen aus diesen Darlegungen, daß wir die Entwicklung sehr genau beobachten. Um es, abschließend zu diesem Punkt, ganz klar zu sagen: Solange die DDR dem Besucherverkehr als solchem nichts in den Weg legt, halte ich es inhaltlich wie auch taktisch, d. h. in unserem eigenen Interesse, für unverantwortlich, das Geschütz der Vertragsverletzungen aufzufahren.
Für den Transitverkehr gilt das gleiche. Dazu sagt der Antrag:
willkürliche Kontrollen, Durchsuchungen, Festnahmen und sonstige Behinderungen auf den Transitstraßen .. .
Zunächst wieder die Zahlen, damit man das in der richtigen Relation sieht. Diese Zahlen werden ja immer wieder ignoriert. Hier wird so der Eindruck erweckt: Wenn man dort hinfährt, hat man nur mit Schwierigkeiten, Kontrollen und Schikanen zu rechnen. Halten Sie sich doch einmal an die Wirklichkeit und ermuntern Sie die Bürger der Bundesrepublik und West-Berlins, in die DDR zu reisen und in den Ostteil der Stadt Berlin! Stellen Sie das nicht immer als ein Wagnis hin, als ein Abenteuer, bei dem jeder seine Freiheit aufs Spiel setzt! Zwischen Januar und August 1978 haben 11 100 000 Reisende die Transitwege benutzt. Im gleichen Zeitraum zählten wir 451 sogenannte Verdachtskontrollen. Auf 100 000 Transitreisende kamen also vier Verdachtskontrollen, wobei noch zu sagen ist - ({1})
- Ja, auf 100 000 vier, wobei noch zu sagen ist, daß seit April/Mai diese Kontrollen vorwiegend in längeren Überprüfungen der Papiere ohne Fahrzeug-und Gepäckkontrolle bestehen.
Ich will die Zahl 451 nach Monaten aufschlüsseln, um auch das hier klarzustellen. Im Januar 1978 waren es 277 Fälle, im Februar 1978 27, im März 12, im April 6, im Mai 15, im Juni 22, im Juli 62 und im August 30 Fälle. Charakteristisch hieran sind zwei Dinge: der starke Abfall von Januar auf Februar und die folgenden Monate sowie der Anstieg auf 62 im Juli.
Die Bundesregierung hat die abnorme Zunahme der Durchsuchungen im Transitverkehr, die sich um die Jahreswende abzeichnete, als Pression empfunden und durch Staatsminister Wischnewski bei der DDR energisch interveniert, und zwar mit Erfolg, wie man ganz klar an den Zahlen erkennen kann, die sich seit Februar zeigen. Die erhöhte Juli-Zahl hängt zweifellos mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten in Berlin zusammen. Ich sage dazu: eine reichlich kleinkarierte Manier \der DDR, die sich da zeigte - relativ klein, aber doch kariert.
Was die Zahl der Festnahmen im Transitverkehr betrifft, so ist im Verhältnis zur Zunahme des Transitverkehrs - vergleicht man z. B. 1974 mit 1977 -sogar ein relatives Abnehmen zu verzeichnen. Zwischen Januar und August 1978 sind unseres Wissens 80 Personen im Transitverkehr von und nach Berlin festgenommen worden. Die meisten wurden wegen Fluchthilfe festgenommen, wozu die DDR gemäß Transitabkommen berechtigt ist. Es liegt kein Vertragsbruch oder etwas Ähnliches vor.
Der Vollständigkeit halber, obwohl dies im Antrag gar nicht vorkommt, sei noch hinzugefügt, daß nach Angaben der DDR uns gegenüber im vergangenen Jahr 64 Personen vom Transitverkehr zurückgewiesen wurden. Auch dazu hat die DDR in genau bestimmten Fällen das Recht. Es ist doch unrichtig, hier immer darzustellen, daß dort nur willkürlich gehandelt werde, sondern hier sind Anlässe gegeben, die zum Teil leider auch durch undiszipliniertes Verhalten unserer Mitbürger entstehen, wodurch das Ganze in, Gefährdung gebracht und in Mitleidenschaft gezogen ist. Ich glaube, wie sollten diese
Gelegenheit nutzen, an alle zu appellieren, die Möglichkeiten, die sich bieten, zu verwenden, damit die Zahl der Begegnungen größer und nicht geringer wird.
Insgesamt kann ich zum Komplex Transitverkehr von und nach Berlin ebenso wie zum Reiseverkehr in die DDR und nach Berlin ({2}) nur sagen: Sie laufen beide so, daß von zweifelsfreien Vertragsverletzungen der DDR keine Rede sein kann. Das heißt, es herrscht, soweit es zwischen zwei Staaten so unterschiedlicher Rechts- und Gesellschaftsordnung und so verschiedener Interessen überhaupt möglich ist, auf diesen Vereinbarungsgebieten für die Beteiligten Rechtssicherheit. Die Darstellung hingegen, die der Antrag der CDU/CSU zu diesem Punkt gibt, ist überzogen und irreführend und darum geeignet, die Menschen zu verunsichern.
Zum Thema Presse, Korrespondentenbehinderung, Ausweisungen etc. gebe ich den Antragstellern in der Sache weitgehend recht. Die Auflagen, denen unsere Korrespondenten in der DDR unterliegen, passen uns auch nicht. Wenn dann aber ,die Behörden über ihre an sich schon restriktiven Bestimmungen noch hinausgehen, wie im jüngsten Fall des ARD-Korrespondenten Lehmann, dann kann von Rechtssicherheit in der Tat keine Rede mehr sein. Hinzu kommen Einschüchterungsversuche durch Schmähungen der Korrespondenten in der Öffentlichkeit, an denen sich selbst hohe und höchste Repräsentanten der DDR beteiligen.
Meine Damen und Herren, was ist dagegen zu tun? Früher, vor den Verträgen, hatten wir das Problem nicht, das stimmt; denn da gab es keine westdeutschen Korrespondenten in der DDR. Wir sind auch nicht die einzigen, die solche Probleme haben. Franzosen, Engländer und Amerikaner haben einschlägige Erfahrungen mit anderen kommunistischen Ländern. Der Bereich Medien, Kommunikation stößt an ein ganz wesentliches Mittel kommunistischer Machtausübung. Das ist doch nichts Neues für uns. Und daß die DDR kommunistisch regiert wird, ist doch auch nichts Neues für uns.
({3})
- Ich sage es, um auf Ihren Antrag einzugehen und zu erklären, wie die Wirklichkeit ist. - Das Informations- und Meinungsmonopol der regierenden Parteien ist ein Kennzeichen dieser staatlichen Ordnung. Hier kann es am allerwenigsten wasserdichte Vereinbarungen, wie Sie immer so schön fordern, oder eine Einigung zwischen demokratischen und kommunistischen Staaten geben. Ich glaube, das müssen wir uns ganz nüchtern immer wieder klarmachen, damit man nicht in Illusionen verfällt und meint, man könnte hier die Wirklichkeit durch andere Darstellungen umbiegen. Deshalb wird es voraussichtlich immer wieder Zusammenstöße und Kontroversen geben. Die Auffassungen gehen zu weit auseinander, und für die andere Seite steht nach ihrem Selbstverständnis zu viel auf dem Spiel.
Das heißt nicht, daß wir mit unseren Korrespondenten in Ost-Berlin nach Belieben umspringen lassen. Unser Ständiger Vertreter dort ist selber JourBundesminister Franke
nalist gewesen und ein guter dazu. Sie können sich darauf verlassen, daß er Angelegenheiten dieser Art gegenüber seinen DDR-Gesprächspartnern nicht gerade mit der linken Hand behandelt. Ich glaube, davon dürfen wir alle ausgehen.
Um schließlich auch noch dies zu sagen: Gegenmaßnahmen - etwa durch Gegenausweisungen - wären zwecklos; denn für den sogenannten parteilichen Journalismus muß man nicht am Ort des Geschehens sein. Außerdem meine ich, wir würden uns damit etwas vergeben, ganz abgesehen davon, daß dabei Probleme der Verfassung entstünden.
Der nächste Punkt im Antrag der CDU/CSU beschäftigt sich mit der fortlaufenden Perfektionierung der DDR-Grenzbefestigungsanlagen. Meine sehr verehrten Kollegen aus der Opposition, haben Sie wirklich bis in die letzte Konsequenz darüber nachgedacht, was Sie sagen, wenn Sie von „unmenschlicher werden" in Ihrem Antrag sprechen? Ist ein schießender wehrpflichtiger DDR-Grenzsoldat von 20 Jahren menschlicher als ein SM-70-Tötungsgerät? Ich glaube, das war doch eine sehr unbedachte Äußerung. Ich denke, es geht Ihnen genauso wie mir: das Gefühl wehrt sich mit aller Macht dagegen, mit Wertungsfragen solcher Art überhaupt konfrontiert zu werden.
({4})
- Sie mögen darüber lachen oder nicht; dann überlegen Sie sich besser, was Sie schreiben.
({5})
Dieser Gedanke muß sich doch aufdrängen, wenn Sie dieses Thema in dieser Art behandeln.
Soweit unsere Informationen reichen, ist in diesem Jahr Gott sei Dank noch kein Mensch an der Grenze zu Tode gekommen, während in den beiden vergangenen Jahren, 1976 und 1977, dort je zwei Menschen ihr Leben lassen mußten. Jedes einzelne verlorene Leben ist zuviel. Aber andererseits kann ich nicht daran vorbeisehen, daß, gemessen an allen früheren Vierjahresspannen seit 1961, in der jüngsten Vierjahresspanne von 1974 bis einschließlich 1977 die geringste Zahl von Toten an der Grenze zu beklagen war.
Meine Damen und Herren, unter Punkt 2 des Antrages wird der Schluß gezogen, die bisherige Haltung der Bundesregierung habe die DDR zu weiteren Verstößen gegen die Verträge' ermutigt. „Ermutigt" steht da! Soll das etwa heißen, die Bundesregierung habe irgend etwas versäumt, die DDR daran zu hin-dern, die Grenzbefestigungen weiter technisch zu perfektionieren? Wenn das tatsächliçh so gemeint sein sollte, dann weise ich diese Ungeheuerlichkeit mit allem Nachdruck zurück und bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, wann die Mauer gebaut worden ist und was die damalige Bundesregierung dagegen getan hat.
({6})
Wir sind weit davon entfernt, zu sagen, Sie hätten die DDR damals ermutigt; aber wenn Sie jetzt so tun, als versuchten wir nicht alles Mögliche, die Teilung erträglicher zu gestalten, dann setzen Sie damit
den Dingen die Krone auf, und man sieht doch genau, was damit gefordert ist.
Sie wissen genauso gut wie wir, daß Sie damit die Vertragspolitik überfordern. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die DDR die Pressefreiheit einführte, die Sperranlagen an der Grenze abbaute und auch die Menschenrechte in unserem Sinne achtete, um auch noch den letzten Punkt der Situationsbeschreibung des Antrages zu erwähnen. Natürlich, das wäre, wie gesagt, wünschenswert, aber die Durchsetzung dieser Ziele würde die Auflösung der DDR bedeuten, und dazu die Mitwirkung der DDR zu verlangen oder ihre Zustimmung auch nur zu vermuten ist doch geradezu absurd. Die Basis für die jetzigen Verträge ist die Einsicht in die Unmöglichkeit, durch Verträge Gesellschaftsordnungen zu ändern.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?
Ich hatte eigentlich nicht die Absicht. Aber bitte sehr, Herr Kollege Jäger.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß .ein Vorgang wie die Ablehnung der Weiterleitung einer Dokumentation über diese unmenschlichen Sperranlagen an die Vereinten Nationen, die die Opposition vorgeschlagen hatte, mit dazu beiträgt, die Machthaber drüben in ihrer Sicherheit zu bestärken, daß ihr Terrorsystem nicht auf das notwendige Bemühen der Bundesregierung um weltweite Rüge und Beanstandung stößt?
Herr Kollege, wir sind völlig unterschiedlicher Ansicht, wie wir auf die Verwirklichung von Menschenrechten hinwirken können. Das gebe ich gerne zu. Wir bemühen uns um eine Politik, in der wir weltweite Partnerschaft für dieses Anliegen gewinnen können. Erinnern Sie sich bitte an Ihre Rolle, als es darum ging, die Konferenz für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit zu aktivieren und für unsere elementarsten Anliegen nicht nur nationale Sympathie zu gewinnen, sondern zu versuchen, all jene, die in freiheitlicher Gesellschaftsordnung leben, mit zu einem Bekenntnis zu bringen.
({0})
Das war das Großartige in diesem politischen Geschehen, daß auch jene Staaten Europas diesen Formulierungen zustimmten, von denen noch ein langer Weg zurückzulegen ist, bis dort die Menschenrechte so gepflegt und selbstverständlich gehandhabt werden, wie es hier der Fall ist. Dies aber ist mehr wert als das Verteilen von Papieren, die die anderen nicht mehr brauchen, denn sie kennen das, und dies allein, ist auch nicht genügend.
({1})
Ich bin völlig anderer Meinung, und Sie müssen es der Regierung schon überlassen - das ist ja ihre Aufgabe -, ihre Politik zu betreiben.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie können sich auf den Kopf stellen, was wir bewegt haben, tut Ihnen weh, denn Sie haben diese Zahlen nicht aufweisen können. Sie müssen sich daran gewöhnen, daß diese Politik Erfolg gebracht hat und nicht das, was Sie vor Jahren für wichtig hielten, in denen Sie meinten, die „sogenannte DDR" ignorieren zu sollen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Mattick?
Ja, bitte.
({0})
- Ja, nicht gern, denn ich wollte die Zeit einhalten.
Herr Minister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß in diesem Hause vor vier Wochen die IPU getagt hat, daß Herr Kollege Amrehn Leiter der deutschen Delegation war und daß es zwischen den Ostblockländern und unseren Delegierten eine weitgehende Verständigung gegeben hat und daß keiner auf die Idee gekommen ist, auch nicht der Leiter der deutschen Delegation, in ähnlicher Form wie Herr Schmöle heute hier über die deutsche Frage zu sprechen?
({0})
Ich habe das zur Kenntnis genommen; es ist uns bekannt. Wir sind alle dankbar gewesen dafür, daß diese Konferenz bei uns im Deutschen Bundestag stattfand. Das hat auch eine Stärkung des politischen Wollens bedeutet. Das ist praktische Politik, nicht nur verbaler Austausch. Sie sagen uns ja immer, wir bedienten uns nur des Verbalen, um damit weiterzukommen. Was Sie fordern, läuft auf etwas Ähnliches hinaus.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf das zurück, was ich gesagt habe: Wir versuchen, das Mögliche zu erreichen. Wer das nicht einsieht oder nicht einsehen will, setzt sich dem Verdacht aus, die Vertragspolitik einschließlich ihrer Ergebnisse torpedieren zu wollen; das müssen Sie sich schon einmal sagen lassen. Dieser Verdacht erhärtet sich noch, wenn man bedenkt, auf Grund welcher Situationsbeschreibung die Bundesregierung zu sogenanntem Handeln gebracht werden soll. Diese Situationsbeschreibung ist teils irreführend überzogen, teils überfordert sie die Vertragspolitik und macht sie für Dinge verantwortlich, denen durch Verhandeln letztlich nicht beizukommen ist. Mit anderen Worten, der Antrag ist darauf angelegt, die Bundesrepublik Deutschland in eine Konfrontation zur DDR-Regierung zu treiben, die unseren Anliegen und Interessen nur schaden kann.
Wir, die Bundesregierung, sollen die Vertragspolitik als einheitliches Ganzes sehen und betreiben: Das wissen wir, und danach handeln wir längst, übrigens auch gegenwärtig, wo in Verhandlungen wieder versucht wird, ein Kompromißpaket zu schnüren.
Es bleibt dabei: Wenn eine Verhandlungssubstanz gegeben ist und wenn wir dabei - wie gegenwärtig - etwas Wesentliches und Nützliches für Berlin erreichen können, dann sollten wir verhandeln. Wir tun es doch nicht der DDR zuliebe.
Um zum Schluß noch einmal auf den Antrag zu kommen: In der Begründung wird die Sorge der CDU/CSU um die Einhaltung der Verträge ausgedrückt. Wenn Sie diese Sorge wirklich drückte, meine Damen und Herren, dann würden Sie die tatsächliche Lage sorgfältiger und seriöser beschreiben. Darum ist dieser Antrag kein brauchbarer Beitrag zur Deutschlandpolitik. Vielmehr ist es so: Handelte die Bundesregierung so, wie die Opposition denkt, dann wären die Verträge und die Vereinbarungen längst zu Bruch getrieben. Daran denken wir nicht, sondern wir wollen sie weiter ausbauen.
({0})
Entsprechend den Regeln für die Kurzdebatte hat die Opposition jetzt die gleiche Redezeit, wie sie die Bundesregierung gehabt hat.
Das Wort hat nunmehr aber der Abgeordnete Ludewig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mal einen Garten übernommen, der total verwildert war. Als ich gesät und gepflanzt hatte, kam der Vorgänger und zeigte mir das Unkraut, das nun nicht mehr den ganzen Garten überwucherte, sondern nur noch zwischen den Pflanzen wuchs. Er beschimpfte mich dann noch, daß ich Unkraut im Garten dulden würde.
An diesen meinen Vorgänger im Garten denke ich, wenn ich mit der heutigen Opposition, die bis 1969 regiert hat, spreche und höre und sehe, wie sie in diesem Antrag die Bundesregierung anprangern will, was sie alles dulde und was alles passieren könne, nachdem man nun die Tür nach dem Osten aufgestoßen hat.
Wir haben das 1969 mit allen Fasern unseres Herzens gewollt. Ich als Braunschweiger war dabei. Ich -habe diese Koalition und insbesondere diese neue Politik gewollt. Wir haben sie auch eingeführt. Wir arbeiten daran, und wir haben Erfolge.
Die Opposition spielt nun ihre Rolle, die natürlich oppositionstypisch ist. Sie ist Wächter, sie ist Mahner, sie ist Kontrolleur. Aber hier sind Sie über das Ziel hinausgeschossen, insbesondere die beiden Redner heute morgen, die uns, den Fraktionen, die die Regierung tragen, und der Regierung unterstellen wollten, wir würden zu schnell Erfolge melden - der Wahlen wegen.
Weshalb wohl haben Sie diesen Antrag eingebracht? Etwa nicht der Wahlen wegen? Weshalb breiten Sie ihn hier aus? Weshalb schreien Sie so
sehr „Achtung", weshalb geben Sie Alarm? Etwa nicht der Wahlen wegen?
({0})
Als Herr Schmöle gesprochen hat, war ich wirklich schon etwas verängstigt; denn das war, weiß Gott, das Blasen der Fanfare. Da kann mir eigentlich nichts weiter als die Angst kommen, daß Ihnen an der ganzen Richtung einiges nicht paßt.
({1})
Ich vertrete und verteidige diese Richtung, weil ich in meinem täglichen Leben die Zonengrenze vor Augen habe und weil mir die Durchlässigkeit dieser Grenze sehr am Herzen liegt. Journalisten, die, wie Herr Franke eben ganz richtig gesagt hat, früher in der DDR nicht arbeiten durften, konnten früher auch nicht ausgewiesen werden. Bei einem um ein Vielfaches gesteigerten Verkehrsaufkommen sind der absolute und prozentuale Rückgang der Störungen immer noch größer als zu der Zeit, wo der Verkehr nur tröpfelte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, die Tonart war nicht richtig. Das, was hier steht, ist auch in der Sache nicht richtig. Sie sollten es auch nicht so machen, daß Sie von Verstößen reden, daß Sie sagen, unsere Haltung würde zu Verstößen gegen Buchstaben und Geist der Verträge ermutigen. So harte Wort? sollten Sie nicht gebrauchen.
Sie fordern, wir hätten „der SED-Führung klarzumachen", daß ständige Beeinträchtigungen in Teilbereichen nicht ohne Folgen für andere Bereiche der Beziehungen bleiben können. - Alles gut und schön für eine Opposition, aber in dieser Überspitzung müssen Sie sich den Vorwurf zurückgeben lassen, daß Sie sich höchstwahrscheinlich an die Hessen und an die Bayern gewendet haben.
Zum Wortlaut des Antrags! Schon der Einstieg - noch ein Beispiel - „sich häufende Verletzungen von Verträgen, Vereinbarungen und Zusagen seitens der DDR" gibt ein völlig schiefes Bild. Im Jahr 1978 ist meines Wissens zumindest bei dem gravierendsten Vorwurf, nämlich den tödlichen Grenzzwischenfällen, kein Fall bekanntgeworden. Immerhin - es ist zwar banal, aber man muß es sagen - wird auch nicht einfach darauf losgeschossen, es wird vorher angerufen.
({2})
Die Möglichkeiten unserer Vertragspolitik würden durch das, was Sie fordern, weit überschritten. Wir wollen kleine Schritte machen. Wir, alle Fraktionen dieses Hauses, haben am 17. Mai 1972 in bezug auf die gesamte Ostpolitik gemeinsam unseren Friedenswillen bekundet und haben uns behutsame Schritte vorgenommen. Deshalb sage ich: Wenn wir über diesen Antrag sprechen, ist es gut; ihn aber mit Fanfarenstößen in die Öffentlichkeit zu tragen, ist weit überspitzt.
Ich bin dafür - die Fraktion der Freien Demokraten stimmt dem zu -, daß wir im Ausschuß darüber
sprechen. Ich bin überzeugt, wir werden uns dort auf viel sachlicherer Basis wieder treffen, und wir werden dann vielleicht eine Formulierung finden, die wir möglicherweise auch mittragen können.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Kunz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Franke, ich bedauere an Ihren Ausführungen vor allem eines. In Ihrem Beitrag ist insofern Kontinuität geübt worden, als Sie diesen Antrag völlig verfrüht, höchst fälschlich und höchst bedauerlich als keinen Beitrag zur Deutschlandpolitik bezeichnet haben. Ich möchte an Sie appellieren, und ich frage Sie: Wann wird die Regierung der Bundesrepublik Deutschland begreifen - was fast alle anderen Regierungen der Welt überhaupt nicht zu begreifen haben, weil es dort Selbstverständlichkeit ist -, daß eine Regierung, die klug handelt, sich die Hilfe der Opposition nutzbar machen muß?
({0})
Sie haben das noch nie getan. Ich glaube, Sie haben es noch nicht einmal versucht. Ich kann nur sagen: dies ist ein höchst negativer Beitrag von Ihnen zu einer Deutschlandpolitik, die vielfach mutlos, flau und in vielen Bereichen völlig ungenügend verläuft.
({1})
Wie selbstverständlich ist in anderen Staaten ein Zusammenspiel zwischen Regierung und Opposition zur gemeinsamen Erreichung nationaler Ziele - bei durchaus unterschiedlichen Grundauffassungen! Deshalb möchte ich, Herr Minister Franke, die ständige Zurückweisung unserer Bereitschaft, mitzuwirken, als geradezu unpolitisch naiv bezeichnen.
({2})
Ich möchte vor allem nun auf Ihre erneute Bekundung eingehen, daß wir nicht die Instrumentarien hätten, die notwendig sind. Herr Minister Franke, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß man sehr sorgfältig wägen muß, welches Instrument man wo einsetzt. Aber ich kann Ihrer Grundthese, die Sie immer wiederholen und die Sie immer wieder, auch in anderen Bekundungen der Bundesregierung, vertreten, absolut nicht zustimmen. Diese Grundthese möchte ich in dem Satz zusammenfassen, daß wir uns unsere eigene Ohnmacht immer wieder bescheinigen. Mein Freund Olaf von Wrangel hat es so genannt: daß wir uns geradezu in die Ohnmacht hineinreden und zu einem fälschlichen Ohnmachtsbekenntnis kommen.
Wir sind zweifellos nicht im Besitz aller Wunderinstrumentarien. Aber wir sind im Besitz von durchaus vorzüglichen Instrumentarien, die nur genutzt werden müssen. Ich frage mich: warum hat die Bundesregierung bis heute jedes tiefere Nachdenken darüber verweigert, welche großen Möglichkeiten darin bestünden, zu einer effektiven Synchronisa8598
Kunz ({3})
tion von politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu gelangen, um so zum jeweiligen Zeitpunkt in sinnvoller Anbindung der verschiedenen Interessen unseren Interessen Effektivität zu verschaffen?
({4})
Es ist natürlich klar: Wer es schon ablehnt, überhaupt darüber nachzudenken, der wird natürlich dazu kommen, nicht nur zu erklären, wie ohnmächtig man sei, sondern am Ende einer solch perversen politischen Psychoanalyse kommt er dazu, daß er wirklich ohnmächtig ist. Dies ist der größte methodische Fehler, den wir immer wieder feststellen und den anzuprangern wir freilich nicht müde werden.
Ich möchte die Situationsanalyse, die vom Kollegen Lintner heute morgen eingehend begründet wurde und vom Kollegen Schmöle fortgefühtt wurde, insbesondere in einem Punkt noch erhärten. Herr Minister Franke, ich weiß mich mit Ihnen in dem Bemühen durchaus einig, hier Klarheit zu schaffen. Aber mir gefallen wiederum nicht die Bezüge, die Sie setzen. Ich möchte über Einreiseverweigerungen und Zurückweisungen sprechen und, bevor ich das tue, auf Ihr Grundargument eingehen, mit dem Sie immer wieder ausdrücken: was zählen diese Zahlen im Vergleich zu der großen Zahl von Fällen, in denen eingereist und in denen nicht zurückgewiesen wird?
Bevor ich diesen Gedankengang vertiefe, darf ich aber zunächst sagen, daß Quantität schon sehr rasch in Qualität umschlagen kann. Ich werde an einem Beispiel zeigen, wie das hier durchaus der Fall ist. Ich beziehe mich auf Mitteilungen des BMB im „Bulletin" vom 2. Februar 1978; ich habe heute morgen nicht mehr die allerneuesten Zahlen bekommen können. Diese Zahlen sprechen doch über den Einzelfall hinaus eine recht deutliche Sprache. Nach dieser Quelle hat es an Einreiseverweigerungen und Zurückweisungen insgesamt gegeben: 1973 324, 1974 - sogar ein Rückgang - 273, 1975 296, 1976 628, 1977 2 955.
({5})
Dies ist schon von der Quantität her interessant. Aber Quantität ist nicht einmal unser Hauptproblem, obwohl schon sie wiegt. Unser Hauptproblem ist, wie hier Einzelfälle genommen werden, wie hier Diskriminierung erfolgt, ja, wie eine Form spezifisch kommunistischer Apartheidspolitik begründet wird und wie über die Einzelfälle hinaus Gruppen statuiert werden, die nicht mehr dürfen, und wie sozusagen eines Tages über Gruppen Fälle negativer Behandlung auf der Basis der bestehenden Abreden derart geübt werden sollen, daß sich immer größere Vertragsbrüche ereignen und dann durchaus die ganze Geschäftsgrundlage ins Wackeln kommen könnte. Genau dies wollen wir nicht. Obwohl Ihre Vereinbarungen und Verträge höchst wenig wasserdicht und zum Teil sehr brüchig sind, wollen wir sie, weil sie da sind und weil sie weiter da sein werden, ausschöpfen und optimieren im Zusammenwirken von Regierung und Opposition, so gut wir das können. Aber Sie wollen ,ja dieses Zusammenwirken und diese Optimierung nicht.
({6})
Wenn ich mir die Gruppen anschaue, um die es bei Zurückweisungen speziell geht, so stelle ich fest, daß in besonderem Maße betroffen sind: ehemalige Bewohner der DDR sowie Ost-Berlins, die in den letzten Jahren legal in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt oder geflüchtet sind. Es sind weiterhin ehemalige politische Häftlinge, und zwar pauschal, soweit ich das sehe, ohne Differenzierungen; es sind Personen, von denen angenommen wird, sie würden sich um Familienzusammenführung bemühen; es sind Personen, die aus der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Westsektoren Berlins aktiv Familienzusammenführung betreiben. Das ist ein enormer Personenkreis, schon von der Zahl her.
Aber mich interessiert .über die Zahl hinaus der Umstand, daß hier Gruppendiskriminierungen erfolgen, und zwar von Gruppen, die doch wohl niemandem hier im Hause gleichgültig sein dürften.
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Ich hoffe, daß wenigstens dieser Konsens noch besteht.
({8})
Wenn ich diesen Gedanken einmal weiterverfolge, so sehe ich hierin ein zutiefst grundsätzliches Problem, und die Erwiderung muß ebenso grundsätzlich sein. Herr Minister Franke, wir bemängeln zutiefst auch die Methode, mit der reagiert wird: Sie monieren, manchmal wird gesäuselt, manchmal wird die Phonzahl ein bißchen angehoben. Uns umgekehrt geht es nicht um Markigkeit - das wäre ja keine wirkliche Antwort -, uns geht es vielmehr um Klarheit, uns geht es auch, wenn es erforderlich ist, um Förmlichkeiten. Und - ich variiere jetzt das Thema, Herr Minister Franke -: Ich bin betroffen, daß Sie zwar erklärt haben, Sie hätten kein Verständnis dafür, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - als Touristen - nicht nach Potsdam reisen durfte, daß Sie aber von einem förmlichen Protest abgesehen haben. Hier paaren sich Form und Inhalt. Wie groß muß Ihr Unverständnis gewesen sein, wenn Sie sich nicht zu einer deutlichen, klaren Aufforderung und aktiven Gestaltung bereit- gefunden haben, um zu verhindern, daß solche pauschalen Einreiseverweigerungen weiterhin vorkommen, zumal es ja der zweite Fall war!
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Damit im Zusammenhang steht, daß auch der CDU-Fraktion des Landes Schleswig-Holstein die Einreise, nachdem sie ihr zunächst genehmigt worden war, nachträglich wieder verweigert wurde. Dies ist ein gravierender Rückschritt. Denn es gab andere Landtagsfraktionen, die von Baden-Württemberg zum Beispiel, die reisen durften. Herr Minister, wir müssen von der Bundesregierung verlangen, daß diese Dinge mit mehr Nachdruck, mehr Ernst und mit mehr konkreter Zielsetzung behandelt und nicht nur zeitungsmäßig - ich habe diesen Eindruck -, flüchtig, gesprächsweise - ohne jede wirkliche Insistenz - abgehandelt werden.
Ich komme nun auf einige Dinge zu sprechen, die den Transitbereich betreffen. Auch hier geht es mir nicht um eine nur numerische Betrachtung. Vielmehr sehe ich insbesondere, daß die DDR durch
Kunz ({10})
Verdachtskontrollen und ähnliches in den Bereich von politischem Faustrecht zu kommen versucht,
({11})
bei dem sie willkürlich aussucht: dort und dort und dort und dort. Sie dagegen haken Ihrerseits bei den Stellen in den Verträgen, die vielfach, um es einmal positiv zu sagen, höchst deutungsfähig sein können, bei denen es sehr auf die Übung, auf die positive Vervollkommnung, Ausschöpfung und Durchsetzung ankommt, nicht richtig nach. Ja, ich habe das Gefühl, Sie hoffen immer, daß das schon vorbeigehen wird, so wie nach dem Regen die Sonne scheint. Aber bei den politischen Dingen ist es ja nicht immer so. Denn wenn man bei Unterzeichnung all dieser Verträge so ungeheuer große Erwartungen in die Welt gesetzt hat, dann tut man sich schwer, hinterher voll zur Wirklichkeit zurückzufinden. Nur, die Wirklichkeit setzt sich durch, ob Sie es wollen oder nicht wollen. Und zur Wirklichkeit in Deutschland würde gehören, daß wir uns zusammenfinden, um insbesondere hinsichtlich der schwergewichtigen Vertragsbrüche das Notwendige zu tun, damit die DDR nachhaltiger fühlt, daß wir zusammenstehen, uns diese Kontinuität von Vertragsbrüchen nicht gefallen lassen und über das dazugehörige Instrumentarium nachdenken.
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Herr Minister, in diesem Zusammenhang kommt nicht nur den Haupttönen, sondern allen Zwischentönen, die unmittelbar oder mittelbar Berlin betreffen, höchste Bedeutung zu. Ich gehe davon aus, daß wir bei der zu erfolgenden Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zum Präsidenten des Bundesrates, hinter der das ganze Haus steht, und bei der weiteren Einbeziehung Berlins in den EG-Bereich auf der Grundlage der Römischen Verträge alle dieselbe Position tragen. Aber ich gehe auch davon aus, daß sich hier nicht irgendwelche Zwischentöne einschleichen dergestalt: Hier erklärt man's so, in Interviews sagt man's so. Damit würde man - ob man das will oder nicht - die 'anderen natürlich ermuntern, neue Vertragsbrüche zu begehen.
({13})
Es ist nicht immer nur eine Frage dessen, was man dolus directus nennt; es ist auch die Frage, ob man wirklich klar genug denkt. Da die anderen dies natürlich ausnutzen, muß man eben, da die Kommunisten Berlin nach wie vor zwingen wollen, alles tun, um denen eben nicht Gelegenheiten zu geben, weitere Attacken gegen die Stadt zu reiten.
Jetzt ein Wort zu Nico Hübner. Der Kollege Kreutzmann ist nicht hier - er kann vielleicht nicht hier sein -, aber die Bemerkung, die er heute morgen gemacht hat, ist unerhört.
({14})
Wenn ich mich recht erinnere, hat er gesagt, daß wir, die Opposition, Nico Hübner durch unsere Initiative, den Respekt des Deutschen Bundestages' gegenüber Nico Hübner zu bekunden, geschadet hätten. Diese Äußerung ist unerhört, sie ist infam. Ich weise sie nicht nur zurück, sondern ich möchte sagen: Herr Kollege Kreutzmann, Sie haben sich bei diesem Thema schon einmal die Finger sehr verbrannt. Ich erinnere mich sehr genau, daß Peter von Oertzen die Frage gestellt hat,
({15})
ob denn von seiten einer Partei, der ich nicht angehöre, genug getan worden sei, um Bahro zu helfen. Ich finde, das ist eine absolut zutreffende und legitime Fragestellung, die mit einer Parteisicht gar nichts zu tun hat. Es ist doch so, daß Menschen, die in solcher Bedrängnis sind wie Nico Hübner oder wie Bahro - dessen Anschauung wir damit teilen; darum geht es ja gar nicht - und andere, erwarten und erwarten dürfen, daß der Ruf der Öffentlichkeit erschallt, um über den Weg der Öffentlichkeit wenigstens das zugegeben Wenige, was getan werden kann, aus moralischer Kraft zu tun.
({16})
Ich muß auch sagen, ich möchte mich nicht - Herr Minister Franke, wir haben beide das Thema oft diskutiert - in eine Auseinandersetzung darüber treiben lassen, ob nur laut oder nur leise reagiert werden sollte. Aber meine Fraktion ist entschieden der Meinung, ein „nur leise" ist etwas höchst Unpolitisches. Ein „nur leise" dient nicht den Bedrängten und Betroffenen, denen gerade im Hinblick auf die Haftbedingungen täglich Furchtbarstes angetan wird. Hier muß das Weltgewissen erschallen; wenn es um Deutsche geht, dann wohl primär durch Deutsche.
({17})
Ich komme zum Schluß. Ich stelle fest, daß die Vertragsverstöße zahlreich sind. Ich möchte auf die Vertragsgrundlagen nicht juristisch Bezug nehmen. Dafür besteht weder die Zeit noch wäre das die richtige Ausgangslage; ich möchte nur sagen: Betroffen von den Vertragsbrüchen sind der Verkehrsvertrag, das Viermächteabkommen, dessen Signatarmacht die Bundesrepublik Deutschland natürlich nicht ist, aber erst recht auch nicht die DDR, die sich ständig zur fünften Signatarmacht emporschwingen will
({18})
- so ist es - und sozusagen über den Fuß in die Freiheit Berlins hineintolpen will. Weiterhin sind Senatsvereinbarungen betroffen, die der Senat von Berlin beschlossen hat, der Grundlagenvertrag und die moralisch-politische Wirkung der KSZE-Schlußakte.
Dies alles sind eine Fülle von Bestimmungen. Wenn dies analysiert wird - ich möchte das noch einmal sagen -, so sollte eigentlich jede Regierung froh sein, daß die Opposition mithilft, auf der Grundlage des Bestehenden das Mögliche durchzusetzen. Aber Sie verweigern sich konstant.
Wir fordern, Herr Minister Franke, Klarheit der Taten. Mit Klarheit der Taten hat die Klarheit der Worte sehr viel zu tun, auch die Tonlage. Ich verstehe unter Tonlage, um es noch einmal zu sagen, nicht Markigkeit. Ich meine Festigkeit, ich meine Klarheit und ich meine, daß endlich einmal ein Instrumentarium geschaffen werden muß. Dieses In8600
Kunz ({19})
strumentarium kann doch nicht aus so abenteuerlichen Denkmodellen, wie sie einmal im Bundeskanzleramt aufgestellt wurden, bestehen, wo zur Situationsanalyse gesagt wird, die Gefahr der Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Deutschen würde wachsen.
({20})
Das hat ja mit Analyse überhaupt nichts mehr zu tun. Es ist eine kränkliche Nichtbetrachtung, ein negatives Dahinreden. Auf einer solchen Grundlage ideologischer Verblendung kann es natürlich auch nicht zu Aktionen kommen.
Wir bleiben der Meinung: Politisches verbindet sich mit dem Wirtschaftlichen und kann mit ihm eine Einheit bilden. Das muß in den Instrumentarien zum Ausdruck kommen. Wir werden nicht lockerlassen, bei der nächsten Debatte - diese Debatte heute ist Teil einer solchen Kette von solchen Prüfungsvorgängen, die bereits in den Bemerkungen der Kollegen Lintner und Schmöle anklangen -, erneut zu fordern, daß Sie endlich aufhören, sich immer die eigene Ohnmacht einzureden, und daß Sie statt dessen nachdenken, wo unsere Ansatzpunkte sind.
({21})
Das Wort , hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der Kollege Kunz die nächste Debatte angekündigt hat, erlaube ich mir, für deren Vorbereitung wenigstens einige Hinweise zu geben, Herr Kollege Kunz.
Sie sprechen von der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum das nicht funktioniert? Das funktioniert nicht, weil Sie die Zusammenarbeit in der Sache nicht anbieten, sondern darüber ein paar Bemerkungen machen und dann die Regierung immer nur angreifen. Warum funktioniert denn die Zusammenarbeit auf Konferenzen? Sie funktioniert, weil man da nicht öffentlich diskutiert und Sie keine Wahlarbeit machen und die Kollegen zusammen arbeiten. Ich habe vorhin davon gesprochen. In Belgrad war ich Delegationsleiter; in Wien war Herr Hennig Delegationsleiter, in Berlin war Herr Amrehn Delegationsleiter. Da hat es nie Differenzen gegeben. Man hat sich auch mit den Ostblockvertretern und den Herren von der DDR gut verständigt.
Das bedeutet: Sie müssen einmal darüber nachdenken, wie eine Zusammenarbeit zustande kommen kann. Das liegt nämlich bei Ihnen. Bei jeder Auseinandersetzung um diese Probleme sehen Sie Debatten auf ihre Wirkung nach außen und nicht darauf, wie man gemeinsam etwas tun könnte. Ich kann mir denken, daß es gemeinsame Möglichkeiten gibt: Doch dazu gehört nicht, daß die Regierung und die Mehrheit hier im Haus vor Ihnen kapitulieren, wohl aber, daß wir einen gemeinsamen Weg suchen.
Bisher haben Sie dazu keinen Beitrag geleistet.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrags auf der Drucksache 8/2121 an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen - federführend - und an den Auswärtigen Ausschuß - mitberatend - vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Erweiterter Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet
hier: Bericht des Bundesministers für Verkehr
1976 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes
- Drucksachen 8/31, 8/1896 - Berichterstatter:
Abgeordneter Böhm ({1}) Abgeordneter Zebisch
Auch hierfür ist eine Debatte mit Kurzbeiträgen vorgesehen. Wünscht der Berichterstatter das Wort?
({2})
- Nicht als Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Also bitte: Kurzbeiträge von höchstens zehn Minuten. Das Wort hat der Abgeordnete Böhm ({3}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Die Förderung des Zonenrandgebietes in Deutschland ist Deutschlandpolitik und Regionalpolitik zugleich. Die deutschlandpolitische Zielsetzung dabei ist es, im Herzen Deutschlands kein typisches Grenzgebiet entstehen zu lassen, wie wir es in anderen Teilen Deutschlands kennen, die über Jahrhunderte hinweg als Grenzgebiete am Rande der wirtschaftlichen Entwicklung und Erschließung gelegen haben. Das heutige Zonenrandgebiet aber liegt im Herzen Deutschlands. Deshalb sind seine Förderung, seine Stärkung und seine systematische Erschließung eine politische Aufgabe ersten Ranges.
Diese Aufgabe ist im wesentlichen mit denselben Methoden zu verfolgen, die auch in der Regionalpolitik zur Erschließung und Entwicklung strukturschwacher Gebiete angewendet werden. Dennoch ist es wichtig, diesen besonderen Rang der Zonenrandförderung herauszuheben und deutlich zu machen, daß hier mehr zu geschehen hat als bloße Regionalpolitik.
({0})
Um so schwerwiegender ist, daß im Gegensatz zu früheren Regierungserklärungen Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 die Zonenrandförderung mit keinem
Böhm ({1})
Wort erwähnt hat. Daraus wird deutlich, daß der Stellenwert der Zonenrandförderung für die gegenwärtige Bundesregierung leider erheblich gesunken ist.
Wir bedauern das um so mehr, als auf unsere letzte Kleine Anfrage zur Zonenrandförderung der damalige Bundeswirtschaftsminister unter Hinweis auf den Jahreswirtschaftsbericht wissen ließ, daß das Zonenrandgebiet so wie bisher auch in Zukunft bevorzugt gefördert werden solle. Im Gegensatz zu dieser Erklärung hat die Praxis der derzeitigen Bundesregierung dazu geführt, daß unter regionalen Gesichtspunkten die in den Ballungszentren ansässige Wirtschaft wesentlich stärkere öffentliche Förderung erhalten hat als die Wirtschaft im Zonenrandgebiet.
Fast 1 Milliarde DM, für Kohle und Stahl im letzten Nachtragshaushalt beschlossen, ist sicherlich eine notwendige Maßnahme, aber unter dem Gesichtspunkt der Regionalpolitik hat sie die bevorzugte Stellung des Zonenrandgebiets in der staatlichen Wirtschaftsförderung weiter abgebaut, so daß das Förderungsgefälle zuungunsten des Zonenrandgebiets größer geworden ist und damit alle Bemühungen um die Entwicklung des Zonenrandgebiets mit kräftigen Fragezeichen versehen worden sind.
Die Wiederherstellung der Priorität der Zonenrandförderung, die ihren Rang unmittelbar hinter der Förderung Berlins behalten und bewahren muß - das ist sicher unumstritten -, ist regionalpolitisch unbedingt erforderlich und entspricht der politischen Zielsetzung dieser Förderung.
Angesichts der eben aufgezeigten negativen Entwicklung für das Zonenrandgebiet im Rahmen der staatlichen regionalen Strukturförderung ist es um so wichtiger, die Verkehrserschließung des Zonenrandgebiets systematisch voranzutreiben, um die schwerwiegenden Standortnachteile dieses Gebiets abzumildern und zu überwinden. Das ist um so notwendiger, als ein Blick auf den Entwurf des Bundeshaushalts 1979 zeigt, daß die beklagenswerte Unterbewertung der Zonenrandförderung auch im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll. Während die Gesamtausgaben des Bundes um 8,4% steigen sollen, bleiben die die Zonenrandförderung betreffenden Haushaltsansätze - von einigen wenigen unbedeutenden Ausnahmen abgesehen -. unverändert, womit der Beweis dafür erbracht worden ist, daß der Stellenwert der Zonenrandförderung erheblich gesunken ist.
Schließlich sind - auch das muß an dieser Stelle gesagt werden - die nach mühevollen Verhandlungen im Vermittlungsausschuß verabschiedeten Maßnahmen im Rahmen der Novellierung des Investitionszulagengesetzes nach Auffassung der CDU/ CSU-Fraktion völlig unzureichend. Nach Ansicht unserer Fraktion ist angesichts der von mir soeben aufgezeigten Entwicklung eine unverzügliche Anhebung der regionalen Investitionszulage für Vorhaben im Zonenrandgebiet auf 10 % dringend erforderlich. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht.
Damit haben alle Kollegen aus der SPD- und der FDP-Fraktion, die hier in diesem Hause und in den letzten Wochen in Bayern und Hessen die Erhöhung der Investitionszulage auf 10 °/o gefordert haben, obwohl sie diese Erhöhung bis vor kurzem in allen Abstimmungen hier im Hause abgelehnt hatten, nunmehr erneut Gelegenheit, nicht nur für das Zonenrandgebiet zu reden, sondern mit ihrer Stimme für eine Wiederanhebung der Investitionszulage auf 10 % tatsächlich zu sorgen.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die Maßnahmen zur Verkehrserschließung, ähnlich wie die zur Senkung der Energiekosten im Zonenrandgebiet, eine ganz besondere Bedeutung. Deshalb ist der Ihnen vorliegende Bericht auch lange und eingehend im innerdeutschen Ausschuß und im Unterausschuß „Zonenrandförderung." beraten worden. Unserer Fraktion erscheint es unbedingt erforderlich, daß neben dem Nachweis über durchgeführte Maßnahmen auch ,die zukünftigen Planungen in künftigen Berichten dieser Art eine wesentliche Rolle spielen. Nur damit kann sichergestellt werden, daß das Parlament und die zuständigen Ausschüsse mit ihren im Zonenrandgebiet sachkundigen Abgeordneten ihre Wünsche gegenüber der Bundesregierung und der Verwaltung mit Nachdruck vertreten können.
Wir begrüßen es ausdrücklich, daß sich bei der Diskussion dieses Berichts der Bundestagsausschuß für innerdeutsche Beziehungen zum erstenmal dazu hat durchringen können, konkrete Vorhaben im Rahmen des Bundesfernstraßenbaus besonders hervorzuheben, ihnen eine erhöhte Priorität zuzumessen und auf ihre schnellstmögliche Realisierung zu drängen. Die stärkere Einbindung des Zonenrandgebietes in das Autobahnnetz der Bundesrepublik Deutschland ist eine Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Erschließung und Entwicklung dieses Raumes. Dabei ist besonders darauf hinzuweisen, daß das auch durch den Bau von Strecken außerhalb des eigentlichen Zonenrandgebietes geschehen kann, wobei auf der anderen Seite der Bau solcher Strekken nicht zu Lasten des Bundesfernstraßenbaus im Zonenrandgebiet selbst gehen darf.
Der einmütig verabschiedete Bericht des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Beziehungen stellt fest, daß sich der Mitteleinsatz im Zonenrandgebiet im Hinblick auf das Verhältnis zur Fläche noch erheblich steigern muß, wenn nder Auftrag des Zonenrandförderungsgesetzes verwirklicht werden soll, das Zonenrandgebiet bevorzugt zu fördern. Für die ansässige Wirtschaft im Zonenrandgebiet bedeutet der Bundesfernstraßenbau zugleich auch eine Möglichkeit, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Die Bundesregierung soll unter diesem Gesichtspunkt in ihrem nächsten Bericht besonders darauf eingehen, welche Berücksichtigung die Firmen aus dem Zonenrandgebiet selbst bei 'der Vergabe öffentlicher Aufträge in diesem Bereich gehabt haben.
Im Rahmen des Schienenverkehrs ist das Ziel einer Verbesserung der Einbindung des Zonenrandgebietes in die Schnellverbindungen und das Intercity-Netz der Deutschen Bundesbahn noch nicht erreicht. Das nordbayerische Zonenrandgebiet wird durch
Böhm ({2})
den Bahnhof Würzburg ebensowenig ausreichend an den schnellen Fernzugverkehr der Deutschen Bundesbahn angeschlossen wie der Raum Südostniedersachsens mit den Großstädten Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter. Für das hessische Zonenrandgebiet ist es nicht entscheidend, daß schnelle Züge der Deutschen Bundesbahn das Zonenrandgebiet in Nord-Süd- oder Süd-Nord-Richtung durchfahren; sie müssen vielmehr auch Haltepunkte auf dieser Strecke haben und für die Wirtschaft und die Bürger dieses Raumes tatsächlich zugänglich sein.
Die Streckenstillegungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn im Zonenrandgebiet haben sehr viel Unsicherheit und Erschwernisse mit sich gebracht. Solange keine Klarheit über die tatsächlich stillzulegenden Strecken besteht, wirkt sich bereits die Ankündigung oder die Möglichkeit einer solchen Stilllegung als Unsicherheit aus und beeinflußt die Zukunftsplanungen der Wirtschaft dieses Raumes. Wenn eine Bundesbahnstrecke erst einmal in das Gerede und die öffentliche Diskussion gekommen ist, verkümmert sie, und die Kunden der Bundesbahn beginnen, sich schon zu dem Zeitpunkt auf andere Verkehrsmittel umzuorientieren,
({3})
zudem ein offizieller Beschluß über die Stillegung der Strecke überhaupt noch nicht erfolgt ist. Diese Art von Streckenstillegungsstrategie der Deutschen Bundesbahn ist für das Zonenrandgebiet insgesamt schädlich.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mißt der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes besondere Bedeutung bei und wird die künftigen Berichte der Bundesregierung über den Fortgang der Erschließung des Zonenrandgebietes unter diesem Gesichtspunkt ebenso kritisch würdigen, wie es bei diesem Bericht geschehen ist.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zebisch.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich nicht gewußt hätte, daß der Kollege Böhm mit mir Berichterstatter ist, hätte ich gedacht, er habe das verkehrte Konzept dabeigehabt; denn erst im letzten Drittel seiner Ausführungen ist er auf das eingegangen, was wir heute behandeln: den Verkehrswegeplan.
Herr Kollege Böhm, ich nehme für die SPD-Bundestagsfraktion in Anspruch, daß wir uns nicht nur mit dem Zonenrandgebiet, sondern auch mit dem bayerischen Grenzgebiet von Anfang an sehr eng verbunden gefühlt und beiden große Aufmerksamkeit gewidmet haben. Für uns gilt der Ausspruch, den der Kanzler und später auch Herbert Wehner gemacht haben: Die nationale Solidarität mit dem Zonenrandgebiet und dem bayerischen Grenzland ist nicht nur immer wieder beschworen, sondern auch in die Tat umgesetzt worden.
Da ich aus Bayern komme, möchte ich an ge- (C wisse Zeitungsartikel erinnern, die zur Zeit im bayerischen Grenzland über das zu lesen sind, was die bayerische Staatsregierung - Bonn wird verschwiegen - im bayerischen Grenzland alles geleistet habe. Und das kann doch nicht gelogen sein, wenn es ein Minister Jaumann, ein Staatssekretär Sackmann sagen. Ich hoffe, daß das nicht nur Wahlpropaganda ist. Vielmehr stellen sie echt fest, was dort alles über die Zonenrandförderung geleistet wurde.
Wenn man von der Zonenrandförderung spricht, sollte man, glaube ich, einen Mann nicht vergessen: den damaligen Vorsitzenden des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen, unseren Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner, der nach einer sehr langen Reise von Passau bis Lübeck mit SPD-, CDU-, CSU-, und auch mit FDP-Kollegen festgestellt hat, was damals falsch war. Er hat dann auf Grund dieser Feststellungen die Anregung dafür gegeben, daß das Wissenswerte am 5. August 1971 im Zonenrandförderungsgesetz zusammengefaßt und festgelegt worden ist.
({0})
- Lieber Freund, schade daß Ihr Kollege Alex Hösl nicht mehr lebt! Wir haben uns gerade über diesen Punkt mit der Gewerkschaft und mit den Industrieund Handelskammern sehr eingehend unterhalten. Eine solche Maßnahme war aber leider wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten nicht möglich. Das müssen Sie, wenn Sie einen solchen Zwischenruf machen, auch wissen, sehr geehrter Herr Kollege.
({1})
Ich möchte § 4 ansprechen. Das ist der Punkt, an dem wir gefordert werden. § 4 des Zonenrandförderungsgesetzes schreibt vor - ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren -:
Die Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung sind im Zonenrandgebiet im Rahmen des Ausbaues der Bundesverkehrswege bevorzugt zu fördern. Dies gilt auch für die Schaffung von Verkehrsverbünden der dem öffentlichen Verkehr dienenden Verkehrsunternehmen.
Auch Sie werden mir wohl zugeben, daß in der Zwischenzeit vieles erreicht worden ist. Gerade der Bericht des Jahres 1976 über den Fortgang der Verkehrsentschließung im Zonenrandgebiet beweist, daß sich etliches getan hat. Ich traue mir zu, das zu sagen; ich war Berichterstatter 1970, 1973, 1975 und bin es auch heute für 1976.
Die SPD-Bundestagsfraktion dankt dem Bundesverkehrsminister für diesen Bericht, der - daran sollte man sich auch erinnern, Herr Kollege Böhm - im Unterausschuß, im Verkehrsausschuß, im Haushaltsausschuß und zuletzt im innerdeutschen Ausschuß einstimmig verabschiedet worden ist. Der Bericht belegt, daß der Bundesverkehrsminister den Auftrag des Zonenrandförderungsgesetzes ernst nimmt. Es besteht aber auch Veranlassung - hier teile ich Ihre Meinung -, darauf hinzuweisen, daß
gerade auf dem Sektor der Verkehrserschließung der Bundesverkehrsminister das Zonenrand- und -grenzgebiet nur insoweit bevorzugt behandeln kann, als wir, dieses Haus, ihm die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung stellen. Hierauf wird es besonders ankommen, wenn der fünfte Rahmenplan für den Bundesfernstraßenbau in diesem Haus beraten und beschlossen wird. Wir haben uns gestern bereits im Unterausschuß „Zonenrandförderung" über diesen wichtigen Fragenkomplex unterhalten.
Die SPD-Fraktion begrüßt und bejaht die in dem Bericht des innerdeutschen Ausschusses festgehaltenen Anregungen und auch Forderungen. Ich glaube, ich sollte einige der Förderungspunkte noch einmal ansprechen. Hier werden wir wahrscheinlich wieder Gleichklang bekommen.
Sie haben den Bundesfernstraßenbau angesprochen. Es kommt darauf an - wie von mir bereits betont -, den Bundesfernstraßenbau bevorzugt zu fördern, auch im neuen, dem fünften Rahmenplan. Sie alle wissen, daß die extreme Randlage von Teilen des Zonenrandgebiets und des bayerischen Grenzlandes besondere Probleme für die Wirtschaft, aber nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die dort beschäftigten Arbeitnehmer aufwirft. Diese Randlage kann durch die Fortsetzung des Bundesfernstraßen- und Bundesautobahnbaus abgemildert werden. Ich bin mir darüber im klaren, daß wir die Entfernungen als solche nicht verkürzen können, aber ich bin der Meinung, ein guter und großzügiger Ausbau kann die Fahrzeiten - und darauf kommt es der Wirtschaft an - verringern.
Auch bin ich nicht der Meinung, daß der einbahnige Ausbau das Richtige ist. Wir sollten der Anregung der SPD-Bundestagsfraktion folgen, nach Möglichkeit einen Vollausbau der Bundesautobahnen im Zonenrandgebiet und im bayerischen Grenzgebiet vorzunehmen. In den meisten Fällen ist dieser Vollausbau, wie ich mir von Sachverständigen habe mitteilen lassen, nicht teurer, der Erschließungs- und Anbindungseffekt aber ist weitaus größer.
Ich möchte als zweiten Schwerpunkt die Bundesbahn ansprechen. Das Zonenrandgebiet und das bayerische Grenzland brauchen endlich Klarheit über die langfristige Streckenplanung der Bundesbahn. Die Unsicherheit, die die Diskussion über das betriebswirtschaftlich optimale Netz ausgelöst hat, muß überwunden werden. Die sozialdemokratische Fraktion hat mit ihrem Eintreten für die Erhaltung des Güterverkehrsnetzes der Bundesbahn hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Ich möchte aber noch einmal auf meine Berichterstattung 1973 und 1975 - damals noch zusammen mit dem Kollegen Alex Hösl - hinweisen. Ich bitte auch, daß die Anbindung an das sogenannte Intercity-Netz schnellstens verwirklicht wird.
Im Personenverkehr befürworten wir die Umstellung von der Schiene auf die Straße, wenn damit eine Verbesserung der Verkehrsbedienung verbunden ist. Die Umstellung muß aber auch mit dem Ausbau der Straßen koordiniert werden. Jetzt komme ich zu einem wichtigen Punkt, und zwar als Bundestagsabgeordneter, der ein großes Flächengebiet von 1 000 Quadratkilometern zu betreuen hat. Der öffentliche Personennahverkehr bereitet uns im Zonenrandgebiet erhebliche Sorgen. Im Zonenrandgebiet und im bayerischen Grenzland sind viele Ortschaften noch nicht bzw. nicht mehr erschlossen. Die Bedienungsdichte ist in aller Regel sehr unbefriedigend. Das betrifft nicht nur ältere Menschen. Ich habe mir in Gesprächen mit einigen Direktoren der Arbeitsämter erklären lassen, daß gerade die jungen Menschen hier sehr stark betroffen werden, weil sie keine Lehrstelle annehmen können, da keine Möglichkeit gegeben ist, zum Ausbildungsplatz zu gelangen. Mir ist ferner vorgetragen worden, daß gerade in diesem Gebiet auch die größte Arbeitslosigkeit herrsche. Wir sollten nach meiner Meinung diesbezüglich schnellstens ein Konzept entwickeln. Das kann der Bund nicht alleine. Das kann nur in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern geschehen, denn erst einmal sind für diese Situation die Länder zuständig. Ich lasse mich auch hier nicht auseinandermanövrieren. Wir müssen mit Bund und Ländern so schnell wie möglich ein gutes Konzept finden. Das bietet sich an. Wir müssen nur das jetzt geltende Personenbeförderungsrecht beseitigen. Wir haben die Situation, daß in vielen Teilen dieser Flächengebiete der Schulbus fährt, er aber andere Personen als Schüler nicht befördern darf. Hier könnte man ohne großen Geldeinsatz bereits ein Teil dieser Fragen ad acta legen und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrsbedienung im Personennahverkehr gerade in diesen Flächengebieten ermöglichen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat nie das Ziel aus dem Auge verloren, die Randlage des Zonenrand- und -grenzgebietes durch eine Verbesserung der Beziehungen zu unseren Nachbarn im Osten zu überwinden. Die Vertragspolitik der letzten Jahre hat dazu die Voraussetzung geschaffen. Jetzt geht es darum, durch die Wiedereröffnung bzw. die Neueröffnung von Grenzübergängen zur DDR und CSSR den Grenzverkehr zu verbessern. Wir treten dafür ein, daß insbesondere mit der CSSR im Gespräch geblieben wird, um auch den kleineren Grenzverkehr zu ermöglichen. Die Gespräche, die eine Delegation von bayerischen SPD-Abgeordneten kürzlich in Prag führten, bestärken uns in der Auffassung, daß hier die Fortsetzung eines konstruktiven Gespräches zwischen der Bundesregierung und der Regierung der CSSR möglich ist.
Meine Damen und Herren, mit dem Zonenrandförderungsgesetz,. das einstimmig - ich darf daran erinnern - in diesem Hause verabschiedet wurde, haben alle Fraktionen den Auftrag erteilt, das Zonenrandgebiet bevorzugt zu fördern. Dies ist ein dauernder Auftrag, nationale Solidarität zu üben. Es kommt alle Jahre, aber besonders bei den Haushaltsentscheidungen darauf an, diese nationale Solidarität auch in Zahlen und Prioritäten zum Ausdruck zu bringen. Es geht darum, um mit einem Zitat unseres Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner zu schließen, „Menschen zu helfen, die ohne eigene Schuld an den Rand des Geschehens gedrängt worden sind" .
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Meinen Ausführungen zum erweiterten Verkehrswegeplan im Zonenrandgebiet möchte ich für die FDP-Fraktion zwei allgemeine Bemerkungen voranstellen. Die erste ist eine beinahe selbstverständliche Bemerkung; aber gerade die Ausführungen des Herrn Kollegen Böhm geben mir Veranlassung, hier noch ein paar andere Sätze hinzuzufügen. Die Zonenrandförderung ist im Grunde genommen ein einheitlicher Komplex, wenn sie sich auch in zahlreiche Einzelmaßnahmen wie Verkehr, Wirtschaftsstruktur und vieles andere mehr aufgliedert. Das macht eine Gesamtschau manchmal etwas schwierig. Auch der erweiterte Verkehrswegeplan ist in diesem Zusammenhang einer von mehreren Teilaspekten in einem ganz bestimmten Konzept. Verkehrspolitische Maßnahmen in diesen Räumen haben aber - das möchte ich auch für meine Fraktion ausdrücklich unterstreichen - ihr besonderes Gewicht, weil alle anderen Maßnahmen, insbesondere Förderungsmaßnahmen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, ihr Ziel nicht erreichen, -wenn die verkehrliche Infrastruktur im argen liegt. Das ist zwar selbstverständlich; aber ich wollte es hier noch einmal hervorheben.
Nun haben Sie, Herr Kollege Böhm, einen kleinen Ausflug .in das Investitionszulagengesetz gemacht, das im Grunde genommen heute nicht das Thema ist. Aber ich will ein paar Sätze dazu sagen. ,Sie haben einen Antrag betreffend Anhebung der regionalen Investitionszulage für Vorhaben im Zonenrandgebiet eingebracht. Ich darf Ihnen sagen, daß aus den Kreisen der Koalitionsfraktionen ein gleicher Antrag, ein gleicher Gesetzentwurf vorliegt. Ich möchte mir hier nur die Anmerkung erlauben, daß ich mit großem Interesse der künftigen Behandlung dieser Entwürfe entgegensehe, nicht hier im Parlament, wohl aber im Bundesrat, wobei ich mir die Frage stelle, ob dann die Länder wie in der Vergangenheit, und zwar auch CDU/CSU-regierte Länder wie u. a. Bayern, dadurch, daß sie eine Ausdehnung der Gewährung dieser Zulage auf alle Fördergebiete fordern, eine solche Maßnahme praktisch torpedieren. Wir werden das sehen.
({0})
Zweite Vorbemerkung. Der heute zur Debatte stehende Bericht enthält einige beachtliche Fortschritte in der von uns allen angestrebten Richtung. Allerdings sollte Sorge dafür getragen werden - davon war auch schon in den Beiträgen meiner Vorredner die Rede -, daß über bestimmte Planungen sehr bald größere Klarheit für die Öffentlichkeit besteht. Ich denke hierbei vor allem an die Planung der Deutschen Bundesbahn über Streckenstillegungen im Zonenrandgebiet. Ungewißheit über solche Planungen erhöht die Unsicherheit bei all denen, die für wirtschaftliche Investitionen in den fraglichen Be- reichen in Betracht kommen. Unsicherheit ist aber ein Element, das wirtschaftliche Prosperität nicht
fördert, sondern verhindert. Allen in diesem Hause sollte deshalb daran gelegen sein, daß eine solche Situation nicht eintritt.
Ich will im übrigen nur auf zwei wichtige Bereiche des Verkehrswegeplans eingehen, auf die Eisenbahn und die Bundesfernstraßen. Bei der Bundesbahn gibt es vor allem zwei räumliche Bereiche, in denen die Anschlußverbindungen an die großen Schnellverbindungen, insbesondere Intercity-Verbindungen, noch unvollkommen entwickelt sind. Hiervon war schon die Rede. Es ist neben dem nordbayerischen Raum der Raum Südostniedersachsen mit den Großstädten Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter. Ich darf hier einmal als Niedersachse die Bemerkung einfügen, daß wir es begrüßen würden, wenn die Frage einer Intercity-Verbindung nach Braunschweig - eventuell verlängert nach West-Berlin - in bestimmte Gespräche eingeführt werden könnte. Beide Räume, die ich eben genannt habe, Nordbayern und Südniedersachsen, weisen sich im übrigen aber auch als bedeutende Fremdenverkehrsgebiete aus - ich nenne den Harz, ich nenne Oberfranken, das Fichtelgebirge -, die unter diesen noch immer vorhandenen verkehrlichen Mängeln besonders stark zu leiden haben.
Im Fernstraßennetz müssen die Autobahnanschlüsse in den genannten Gebieten sehr bald weiter verbessert werden. Dies darf jedoch den Ausbau anderer Fernstraßen im Zonenrandgebiet nicht lahmlegen. Ich freue mich, daß hier, insbesondere durch die Beratung im Ausschuß, ganz konkrete Maßnahmen bezeichnet und festgelegt werden konnten. Meine Damen und Herren, hier liegt noch ein breites Feld für eine stärkere Förderung dieser Gebiete.
Ich will mit dem Schriftlichen Bericht der beiden Herren Berichterstatter vor allem auf die Auswirkungen hinweisen, die der Ausbau der Bundesfernstraßen für die im Zonenrandgebiet ansässige Wirtschaft mit sich bringt. Den Freien Demokraten liegt sehr daran, daß Firmen aus dem Zonenrandgebiet bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auch im verkehrlichen Bereich und in anderen Bereichen stärker als bisher berücksichtigt werden. Wir würden es daher begrüßen, wenn wir im nächsten Bericht der Bundesregierung hierüber Näheres erfahren könnten.
Noch ein letzter Punkt. Ich möchte schließlich auch für die Fraktion der FDP die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf die Frage richten, ob nicht durch weitere Grenzübergänge oder durch eine Verbesserung der bestehenden Übergänge das Netz der Verbindungen zwischen beiden Teilen Deutschlands dichter geknüpft werden kann. Dies ist nicht nur ein Problem der Wirtschaftsförderung in den betroffenen Räumen, sondern auch eine Förderung der innerdeutschen Beziehungen in einem größeren Rahmen -; sie bringt als Nebenprodukt auch eine Förderung dieser Räume mit sich, die in ihrer Arbeitslage gegenüber anderen Regionen unseres Landes sicherlich immer noch benachteiligt sind.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP nimmt von dem Verkehrswegebericht des Bundesministers für Verkehr zustimmend Kenntnis. Das Zonenrandgebiet ist auch für uns ein Raum, dem
Worte oder verbale Erklärungen nichts nützen, sondern in dem es auf konkrete Maßnahmen ankommt. Diese liegen vor. Es ist ein Gebiet, das mit im Zentrum unserer Bemühungen steht. Wir, die Freien Demokraten, unterstreichen allerdings gleichzeitig die Forderung, bei künftigen Berichten stärker als bisher auf die wirtschaftspolitischen Folgerungen und Auswirkungen der eingeleiteten und geplanten Maßnahmen einzugehen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/31 zur Kenntnis zu nehmen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Eilers ({0}), Frau Dr. Lepsius, Glombig, Hauck, Fiebig, Schmidt ({1}), Frau Schuchardt, Spitzmüller, Frau Matthäus-Maier, Eimer ({2}) und den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen ({3})
- Drucksache 8/1952 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({4}) Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Eilers.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion habe ich den vorliegenden Entwurf eines Unterhaltsvorschußgesetzes der sozialliberalen Koalition zu begründen. Hier handelt es sich um eine schon vor Jahren gestartete familienpolitische Initiative der sozialdemokratischen Parlamentarierinnen. Wenn Sie so wollen, spreche ich als familienpolitische Lobbyistin.
Wir alle wissen um die schwierige Situation der Alleinerziehenden mit Kindern, die noch zusätzlich erschwert wird, wenn sich der außerhalb des Haushalts lebende andere Elternteil den Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern entzieht. Eine aktuelle Analyse der wirtschaftlichen Situation der sogenannten unvollständigen Familien, durchgeführt vom Max-Planck-Institut im Auftrage des Bundesjustizministerìums, belegt wissenschaftlich exakt das, was meine Fraktion und Partei immer als besondere Problematik herausgestellt haben, nämlich daß die Lebenssituation der Familien mit nur einem Elternteil durch besondere Schwierigkeiten gekennzeichnet ist, daß darüber hinaus aber auch die finanzielle Absicherung innerhalb dieser Gruppen stark variiert.
Berücksichtigt man diese neuesten Informationen, dann weiß man, daß die Einkommensverhältnisse der geschiedenen und ledigen Mütter besonders angespannt sind. Um wieviel schwieriger müssen sie sich gestalten, wenn auch noch die Unterhaltsleistungen an die Kinder ausbleiben, weil sich der außerhalb des Haushalts lebende Elternteil seinen Zahlungsverpflichtungen entzieht, entweder gar nicht, nicht regelmäßig oder aber zuwenig zahlt. Jugendämter, Rechtsanwälte und Gerichte wissen, wie schwierig es ist, Unterhaltszahlungen einzutreiben. Die alleinsorgeberechtigten Mütter oder Väter schildern in beredten Worten langwierige und häufig kostenaufwendige Unterhaltsklagen, die nicht immer zu Erfolgen geführt haben. Wie schwierig es ist, den Kindesunterhalt durchzusetzen, die Arbeitsstätte oder den Aufenthaltsort eines unterhaltsverpflichteten Elternteils ausfindig zu machen, können in voller Härte wohl nur Betroffene selbst nachvollziehen. Wir Familienpolitiker sind nicht mehr verwundert, wenn viele resignieren und auf die Eintreibung des Unterhalts verzichten, sehr zum Nachteil ihrer Kinder.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will diese Schwierigkeiten durch Unterhaltsvorschüsse oder Unterhaltsausfalleistungen auffangen und dadurch den Unterhalt von Kindern alleinstehender Mütter und Väter sichern. Im einzelnen ist vorgesehen, daß die öffentliche Hand in Vorlage treten soll, wenn jene Unterhaltszahlungen ausbleiben, die ein unterhaltsverpflichteter Elternteil für ein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahrs zu zahlen hat, dessen sorgeberechtigter Elternteil ledig oder geschieden ist bzw. dauernd von dem anderen Elternteil getrennt lebt. In diese Regelung sollen auch Kinder verwitweter Elternteile einbezogen werden, sofern sie keine Waisenrente oder sonstige Einkommen beziehen.
Bevorschußt werden soll der Mindestunterhalt. Anschließend sollen die bevorschußten Zahlungen von Amts wegen beim säumigen zahlungsverpflichteten Elternteil wieder beigetrieben werden. Der alleinsorgeberechtigte Elternteil wäre damit den vielfältigen Schwierigkeiten entbunden, die mit der gerichtlichen oder außergerichtlichen Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen verbunden sind.
Dieses Verfahren soll rasch und unbürokratisch durchgeführt werden, damit ausbleibende Unterhaltszahlungen eines Elternteils die wirtschaftliche Lage einer Einelternfamilie nicht nachhaltig beeinträchtigen.
Um Mißbrauch auszuschließen, soll der gesetzliche Unterhaltsanspruch grundsätzlich in Form eines Unterhaltstitels nachgewiesen werden. Darauf wird jedoch verzichtet, wenn dieser nicht innerhalb von drei Monaten nach Klageerhebung zu erlangen ist, wie dieses beispielsweise bei Verfahren zur Vaterschaftsfeststellung der Fall ist, oder wenn der Aufenthaltsort des anderen Elternteils nicht feststeht.
Bei nichtehelichen Kindern halten wir diesen Unterhaltstitel für entbehrlich.
Bevorschußt wird der Unterhalt in Höhe des monatlichen Regelunterhalts längstens für die Dauer
Frau Eilers ({0})
I von drei Jahren, und zwar auf Antrag des sorgeberechtigten Elternteils bei der zuständigen Stelle oder Behörde. Die Durchführung obliegt den Bundesländern. Wir stellen uns die Jugendämter als die geeigneten Stellen dafür vor.
Im Gesetzentwurf haben wir bewußt davon abgesehen, diese neue Unterhaltsleistung mit der Einkommenssituation des alleinsorgeberechtigten Elternteils zu verknüpfen. Das politische Ziel meiner Fraktion ist es, den Unterhalt der Kinder sicherzustellen, damit nicht etwa sie die Leidtragenden sind, wenn ihre Unterhaltsansprüche vorübergehend oder über einen längeren Zeitraum hinweg nicht realisiert werden können. Daher halten wir auch eine Begrenzung des Zeitraums, in dem diese Leistungen gewährt werden sollen, auf längstens drei Jahre für gerechtfertigt. Innerhalb dieses Zeitraums wird es nach allgemeinen Erfahrungen möglich sein, offene Unterhaltsfragen abzuklären.
Die Forderungen vieler alleinerziehender Mütter und Väter gehen hier weiter - und wir haben großes Verständnis dafür. Sie möchten die Unterhaltssicherung auch auf ältere Kinder ausgedehnt sehen. Kein Politiker wird annehmen, daß bei den älteren Kindern keine Unterhaltsprobleme anfallen würden. Aber sowohl die altersmäßige Begrenzung als auch die Beschränkung des Zeitraums, in dem die Leistung gewährt werden soll, auf maximal drei Jahre sind allein aus fiskalischen Gründen geboten.
Ausgehend von den vorhandenen Mitteln hat sich meine Fraktion entschieden, dieses Geld der öffentlichen Hand dort einzusetzen, wo es besonders dringend gebraucht wird. Daher kommt dieses Gesetz den kleineren Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr zugute und entlastet damit viele alleinerziehende Väter und Mütter, und zwar vor allem in den entscheidenden Jahren, in denen sie ganz besonders der Erziehungsaufgabe nachkommen müssen.
Die beschriebenen Leistungen des Unterhaltsvorschußgesetzes versteht die SPD-Bundestagsfraktion als sinnvolle Fortentwicklung einer zeitgemäßen Familienpolitik. Wir konnten dabei auf die Erfahrungen eines Anfang 1977 in Hamburg eingeführten Modellversuchs zurückgreifen. Im Interesse der Kinder und ihrer alleinsorgeberechtigten Mütter und Väter setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für eine rasche Behandlung des Gesetzentwurfs in allen gesetzgebenden Körperschaften ein.
Ich appelliere zur gleichen Zeit an den Bundesrat, dieses familienpolitische Vorhaben, das in den meisten Landtagen, zumindest in der Diskussion, schon eine Rolle gespielt hat, aktiv zu unterstützen; denn Familienfreundlichkeit wird nicht allein an Worten und Sonntagsreden gemessen, sondern wir sind alle aufgefordert, Taten folgen zu lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Karwatzki.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Die CDU/ CSU-Fraktion begrüßt grundsätzlich die Einbringung dieses Gesetzentwurfs. Daß er von der SPD und FDP eingebracht worden ist, ist nicht verwunderlich; denn Sie haben eine besondere Verpflichtung, ist und wird doch die Anzahl der betroffenen Personen durch das von Ihnen zu verantwortende Scheidungsrecht anwachsen.
({0})
Damit wird aber insgesamt Initiativen von Abgeordneten aller Parteien, auch der CDU/CSU, in den verschiedenen Landtagen entsprochen, die teilweise schon Jahre zurückliegen. Rheinland-Pfalz und Hamburg haben hier Schrittmacherdienste geleistet, während andere Länder - aus verschiedenen Motiven - auf eine bundeseinheitliche Regelung gewartet haben.
Durch den Gesetzentwurf wird versucht, für einen weiteren Personenkreis - hier den alleinerziehenden Müttern und Vätern - mögliche Notlagen zu mildern oder zu verhindern. Das liegt auf der Linie der programmatischen Aussagen und Forderungen der CDU/CSU, die sich seit langem um die Verbesserung der Lebensbedingungen der unvollständigen Familien bemüht.
Die grundsätzliche Zustimmung schließt jedoch Fragen und Kritik nicht aus. Im Gegenteil. Wie ich der Presse entnommen habe, war diese Initiative in der SPD-Fraktion, insbesondere bei den Finanzexperten, umstritten. Unmut soll es auch .im Finanzministerium gegeben haben. Nach Auskunft des Familienministeriums sollen die Länder zwar Interesse an einer bundeseinheitlichen Regelung bekundet haben, nicht aber an einer finanziellen Beteiligung. So konnte man zum mindesten der Presse entnehmen. Kein Wunder, denn die Finanzlage hat sich ja in den letzten drei Jahren alles andere als gebessert!
Schon im September 1975 antwortete der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herr Zander, auf eine Frage des Abgeordneten Arndt ({1}), daß im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung Mittel für Unterhaltsvorschußkassen nicht zur Verfügung stünden. Angesichts der Finanzlage der Länder und Gemeinden könne auch nicht damit gerechnet werden, daß diese zusätzliche Mittel für diesen Zweck, z. B. im Rahmen verbesserter Sozialhilfeleistungen, aufbringen könnten. Hier wird noch viel Überzeugungskraft zu leisten sein, denn die Länder sollen sich ja zur Hälfte an den Kosten beteiligen. Die Kommunen werden wohl, so denke ich, die Verwaltungskosten zu tragen haben, abgesehen davon, daß auf die Kommunen durch die im Entwurf avisierte Bundessozialhilfegesetznovellierung weitere erhebliche Kosten zukommen werden. Denn nach, ich gebe zu, älteren Schätzungen sollen mindestens 600 000 Kinder um den ihnen zustehenden Unterhalt geprellt werden, von denen wiederum ein Großteil Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß. Dieser Kreis wird von diesem Entwurf nicht profitieren. So ist in Hamburg der Etatansatz deswegen bei weitem nicht in
Anspruch genommen worden, weil die Hälfte der Antragsteller unter die Sozialhilfe fällt.
({2})
So werden die Kosten mal wieder geschickt verteilt, denke ich.Über die sachgerechte Kostenaufteilung insgesamt wird allerdings gemeinsam zu reden sein.
Ein weiteres Problem, das ebenfalls eine Kostenfrage darstellt, ist die altersmäßige Begrenzung auf sechs Jahre bei den Leistungsberechtigten. Das hat eben auch die Kollegin Eilers ausgeführt. Ich denke allerdings, dies ist sachlich nicht begründbar, im Gegenteil, weil eben nicht das Alter der Kinder entscheidend ist, sondern der Eintritt der Notlage überhaupt.
({3})
Angesichts einer finanziellen Notlage bei Scheidung, Trennung oder Tod eines Ehegatten ist das Alter der Kinder - ob nun drei, sechs, neun oder fünfzehn Jahre -, denke ich, nur graduell von Bedeutung.
({4})
Wahrscheinlich hat es - insbesondere bei Frauen - diejenige schwerer, die ältere Kinder hat, weil sie wegen Berufsaufgabe oder wegen mangelnder Berufsausbildung nur schwer einen Arbeitsplatz finden wird. Aber 73 % der geschiedenen und 44 % der verwitweten Mütter müssen arbeiten gehen. Mütter außerehelicher Kinder können sich auf das Ereignis schon besser einstellen und sind somit graduell bevorteilt, während Scheidung, Trennung und Tod meist unvorhersehbare Ereignisse sind. Hinzu kommt, daß fast 80 % der Kinder, die bei einem Elternteil aufwachsen, über sechs Jahre alt sind. So hat sich Rheinland-Pfalz denn auch entschlossen, das Höchstalter auf 16 Jahre festzulegen.
({5})
Es sei aber kurz auch der Hinweis gestattet, daß das Gesetz auf Grund der Intention eigentlich korrekterweise „Unterhaltsersatz- und Unterhaltsvorschußgesetz" heißen müßte.
({6})
Ein weiteres Problem ist die Erstattungsquote. Während im Entwurf mit einem Rücklauf von zirka 23 % gerechnet wird, liegt dieser Ansatz meines Erachtens sehr hoch. Lassen Sie mich das am Beispiel Hamburg verdeutlichen. Auch unter Berücksichtigung dessen, daß es sich um die Anfangsphase handelte und die Unterhaltsvorschußkasse erheblich weniger in Anspruch genommen worden ist als erwartet und daß natürlich auch Unterhaltsersatzleistungen erbracht werden, ist die Einzugsquote ziemlich niedrig. Denn statt erwarteter 25% Einnahmen waren es nur zirka 10 % Es ist anzunehmen, daß sich das verbessern wird, und ich wünsche dies. Aber, Frau Kollegin Eilers, daß Sie von einer verbesserten Zahlungsmoral sprechen, ist mir allerdings ein Rätsel.
({7})
Bei aller Kritik, über die im Ausschuß zu sprechen sein wird, darf nicht vergessen werden, daß mit diesem Gesetz einer großen Zahl von Menschen geholfen wird und werden kann, die sich in einer unverschuldeten Notlage befinden. Diese Notlage ist nicht nur materieller, sondern zumeist seelischer Art, also eine echte Krisensituation.
({8})
Hier kann und muß geholfen werden, wenn auch durch diesen vorliegenden Gesetzentwurf lediglich der materielle Teil Befriedigung finden kann. Familienpolitik darf sich jedoch nicht nur in Einzelmaßnahmen kompensatorischer Art erschöpfen.
({9})
In der Familienpolitik besteht ein Nachholbedarf, und es muß besonders für die intakten Familien mehr getan werden.
({10})
Dieses Gesetz darf nicht dazu führen, daß andere Maßnahmen im Bereich der Familienpolitik blokkiert oder verhindert werden.
Ich darf Ihnen versprechen: Bei der Beratung dieses Entwurfs wird die CDU/CSU-Fraktion konstruktiv mitarbeiten.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einbringung des Gesetzentwurfs zu den Unterhaltsvorschußkassen nähert sich eine Initiative der Freien Demokraten einem glücklichen Ende, eine Initiative, die 1972 mit dem Programm zur Gleichberechtigung auf dem Parteitag in Freiburg begann, die 1976 im Wahlprogramm erneuert wurde und auf Initiative der FDP in Hamburg bereits verwirklicht ist. In anderen Bundesländern hat man sich bei der Schaffung ähnlicher Landesgesetze nur deshalb zurückgehalten, weil dieses Gesetz nicht nur im Arbeitsprogramm der Bundestagsfraktion der FDP enthalten war, sondern auch Bestandteil der Regierungserklärung war.
Der vorliegende Gesetzentwurf soll nun bundesweit und einheitlich den alleinstehenden Müttern und Vätern helfen, deren unterhaltsverpflichtete Ehegatten sich vor dieser Zahlung drücken. Nach diesem Gesetz wird der Staat den Unterhalt den Anspruchsberechtigten in Höhe des Regelunterhalts vorschießen, er wird Inkassohelfer und übernimmt das Ausfallrisiko dann, wenn der zahlungspflichtige Ehepartner nicht auffindbar oder zahlungsunfähig ist. Erste Erfahrungen in Hamburg zeigen, daß zirka 60 % der Vorschüsse wieder eingezogen werden können.
Dieses Gesetz bringt aber nicht nur eine finanzielle Sicherheit für alleinstehende Ehepartner, sondern vor allem eine praktische Hilfe zugunsten der Schwächsten in unserer Gesellschaft. zugunsten der Kinder. Gerade in den ersten drei Jahren brauchen Kinder eine ständige Bezugsperson. Alle Erziehungsschwierigkeiten in späteren Jahren haben häufig ihre Ursache in den Versäumnissen der ersten Le8608
Eimer ({0})
bensjahre. Durch die Abnahme von materieller Not kommen wir dieser Sicherung einen Schritt näher.
Neben diesem familienpolitischen Anliegen sollte es aber auch eine der flankierenden Maßnahmen zum § 218 sein. Es soll sichergestellt werden, daß wenigstens die größte finanzielle Not bei der Geburt unehelicher Kinder gelindert wird, daß fehlender Unterhalt als Ursache für die Abtreibung zurückgedrängt wird. Wir wollen damit auch den Schutz des geborenen und ungeborenen Lebens verbessern.
({1})
Aber wir haben ja nicht nur die Fälle, wo sich Väter bei der Geburt unehelicher Kinder um Zahlungsverpflichtungen drücken, sondern auch Ehen,. die scheitern, wo dann Kinder im Alter von über drei Jahren zu versorgen sind. Der Gesetzentwurf sieht deshalb für drei Jahre einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuß für Kinder vor, die bis zu sechs Jahre alt sind, also auch für Kinder im Kindergartenalter.
War ein Ehepartner bisher .auf Sozialhilfe angewiesen, so wurden alle sonstigen Einkünfte auf die Sozialhilfe angerechnet, auch das Kindergeld. Erst wenn ein Einkommen die Höhe des Sozialhilfesatzes deutlich überstieg, lohnte es sich, zu arbeiten. In solchen Fällen, in denen ein alleinstehender Elternteil mit seinem im Kindergartenalter befindlichen Kind von der Sozialhilfe lebte, war ein Anreiz, sich selbst zu helfen, oft nicht gegeben.
Im vorliegenden Gesetzentwurf werden diese Einkommen auf die Unterhaltsvorschußzahlungen nicht angerechnet. Es lohnt sich also wieder - im Gegensatz zum Status eines Sozialhilfeempfängers -, sich um ein eigenes, auch um ein kleines Einkommen zu bemühen. Die Selbsthilfekräfte werden nicht mehr lahmgelegt. Auch das ist ein Grund dafür, daß dieses Gesetz nötig ist. Es eröffnet für die Betroffenen wieder den sozialen und materiellen Handlungsspielraum, der in einer freien Gesellschaft nötig ist.
Ich mache kein Hehl daraus, daß wir den Zugang zu den Unterhaltsvorschüssen ursprünglich leichter gestalten wollten. Wir Familienpolitiker wollten auf die Voraussetzung eines vollstreckbaren Titels, wie er in § 1 Abs. 1 Nr. 4 vorgesehen ist, verzichten. Unsere Juristen haben uns aber überzeugt, daß bei der vorliegenden Formulierung Härten nicht auftreten können. Im übrigen sieht ein ähnliches Gesetz in Österreich ebenfalls einen vollstreckbaren Titel als Voraussetzung für den Bezug von Unterhaltsvorschüssen vor.
In allen Fällen, in denen der Aufenthalt des Unterhaltsverpflichteten nicht feststeht oder nicht festzustellen ist, in denen der Titel nicht innerhalb von drei Monaten zu erlangen ist, und in allen Fällen, in denen nichteheliche Kinder geboren werden, ist dieser vollstreckbare Titel nicht notwendig, um in den Genuß dieser Vorschüsse zu kommen. Nur dann, wenn sich ein Elternteil weigert, Angaben über den Aufenthalt des anderen Elternteils zu machen oder bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken,
besteht kein Anspruch auf Unterhaltsleistung. Damit ist sichergestellt, daß der Charakter einer Vorschußkasse erhalten bleibt und Mißbrauch verhindert wird. Die 80 bis 85 Millionen DM, die durch diesen Gesetzentwurf an Kosten verursacht werden, werden nur denen zugute kommen, die dieser Hilfe bedürftig sind.
Meine Damen und Herren, vom ersten Parteitagsbeschluß der FDP über diese dringende sozial- und familienpolitische Maßnahme bis zur Möglichkeit, einen entsprechenden Gesetzentwurf im Bundestag einzubringen und heute in erster Lesung hier zu geraten, hat es sechs Jahre gedauert. Wenn man die in den Äußerungen meiner Vorrednerin enthaltene Polemik vergißt,
({2})
so zeigen sie, daß auch die Opposition Interesse hat, hier zu helfen. Es sollte uns möglich sein, diesen Gesetzentwurf zügig zu beraten. Die Tatsache, daß die ersten Kurzdebatten gerade heute geführt werden, sollte uns dafür ein gutes Omen sein.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich "schließe die Debatte.
Meine Damen und Herren, der Überweisungsvorschlag des Ältestenrats liegt Ihnen vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Möller, Nordlohne, Niegel, Dr. Dollinger, Dr. Jahn ({0}), Dr. Schneider, Dr. Waffenschmidt, Link, Metz, Sauter ({1}), Dr. Jenninger, Rawe, Dr. Kunz ({2}), Tillmann, Carstens ({3}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes
- Drucksache 8/1970 Überweisungsvorsthlag des Altestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({4})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Möller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Sitzung des Bundestages vom 11. März 1976 bei der Verabschiedung der Novelle zum Bundesbaugesetz erklärte der damalige Bundesbauminister Ravens, daß die Neufassung der §§ 34, 35 des Bundesbaugesetzes Erleichterungen für das sogenannte Bauen im Innen- und Außenbereich außerhalb von Bebauungsplänen bringen werde. Die Vertreter aller Fraktionen schlossen sich dieser Erklärung an und betonten das Ziel, mit der vorgeDr. Möller
sehenen Änderung den Wünschen vieler im ländlichen Bereich lebender Bürger entsprochen zu haben, die ein Haus in der angestammten Heimat bauen wollen.
Diese Erwartungen, meine Damen und Herren, um nicht zu sagen Versprechungen an viele Bürger, sind nicht erfüllt worden. In unzähligen Eingaben wird immer wieder Klage darüber geführt, wie
schwer, ja, wie unmöglich es geworden ist, im ländlichen Bereich eine Baugenehmigung zu bekommen. Mit dem Hinweis, die Erschließung sei nicht gesichert oder das Bauvorhaben sei mit den Zielen der Landesplanung nicht vereinbar oder die Frage der Entwässerung sei nicht geklärt, oder einfach mit dem Hinweis, ein zusätzliches Haus verfestige eine Splittersiedlung, werden Bauanträge abgelehnt,
({0})
obwohl sie nach den Vorstellungen des Gesetzgebers positiv hätten beschieden werden müssen oder können.
({1})
Die Bürger, die sich mit Hinweis auf die Zielsetzung der Novelle, auf die damaligen Erklärungen hier im Bundestag, aber auch in den Wahlkämpfen, um eine Baugenehmigung bemüht haben, müssen sich getäuscht, vielleicht sogar in einigen Fällen hintergangen fühlen.
({2})
Der Unmut über die Verwaltung, über die Beamten in den Bauämtern spricht aus vielen dieser Eingaben. Darin kommt aber - das sollte uns zu denken geben, meine Damen und Herren - auch die Verbitterung über den Gesetzgeber zum Ausdruck, der mit seinen Erklärungen und Worten hier im Plenum Erwartungen und Hoffnungen geweckt hat, die in der Praxis nicht erfüllt werden können.
({3})
Aus der Prüfung vieler dieser Einzelfälle kann ich die Verdrossenheit der Bürger, die im ländlichen Bereich seit vielen Jahren ihre Heimat haben und dort ein Haus bauen wollen, aber keine Genehmigung bekommen, durchaus gut verstehen.
Meine Damen und Herren, anläßlich einer Reise des Bauausschusses nach Norddeutschland haben wir viele Beispiele dafür gesehen, wie unverständlich und wie zum Teil willkürlich Baugenehmigungen versagt werden. In vielen Fällen mußte sich die Verwaltung der außerordentlich restriktiven Spruchpraxis der Verwaltungsgerichte beugen. Gerade die Rechtsprechung hat für das Bauen im Außenbereich unvertretbar enge Grenzen und Kriterien gesetzt, die mit den Vorstellungen, die damals hier geäußert worden sind, nicht in Einklang zu bringen sind.
({4})
Ebenso haben sich auch bei der Anwendung und bei der Auslegung des § 34 immer wieder Schwierigkeiten ergeben. Schon in unserer Anfrage und
in der Antwort der Bundesregierung vom 24. Oktober 1977 auf Drucksache 8/1072 sind diese Schwierigkeiten angesprochen worden. Selbst die Bundesregierung spricht in ihrer Antwort von „bestehenden Zweifelsfragen" und von ;,Schwierigkeiten bei der Anwendung der §§ 34 und 35" und regt selbst an, die Praxis der Genehmigungsbehörden - ich zitiere - „im Hinblick auf die Zielsetzungen, mit denen die §§ 34 und 35 neu gefaßt worden sind, zu überprüfen". Dieser Auffassung sind auch wir.
Die CDU/CSU-Fraktion ist deshalb der Auffassung, daß nur eine Änderung und Klarstellung des Bundesbaugesetzes hier weiterhelfen kann. Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, verfolgt das Ziel, das Bauen im Innen- und Außenbereich nur dort zu erleichtern, wo es sich mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbaren läßt. Wir wollen keine weitere Zersiedelung, sondern eine geordnete Entwicklung des ländlichen Raumes.
({5})
Meine Damen und Herren, Kernstück der von uns vorgelegten Novelle ist die Ergänzung des § 34 mit der Ermächtigung an die Gemeinden, Gebiete mit besonderer herkömmlicher Siedlungsstruktur durch Satzung zum Innenbereich zu erklären. Dadurch kann erreicht werden, Baulücken zu schließen, ohne daß die Gemeinde diese Gebiete gleich mit besonders qualifizierten Bebauungsplänen überziehen muß. Die Möglichkeit der Abrundungssatzung soll also durch eine Satzung ergänzt werden, die es erlaubt, Gebiete zu Innenbereichen zu erklären.
Diese Satzung soll nicht an die Stelle von Bebauungsplänen treten, denn es ist mit Hinweis auf § 1 Abs. 3 sichergestellt, daß die Gemeinden nach wie vor verpflichtet sind, Bauleitpläne aufzustellen, sobald es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
Diese von uns vorgesehene Regelung erlaubt es den Gemeinden, städtebaulich sinnvolle Arrondierungen vorzusehen, insbesondere in den Gemeinden, die eine historische Streu- oder Bandbebauung aufweisen. Etwa für Gebiete in Norddeutschland bzw. hier in den Bergischen Landen wird eine solche den Gemeinden eingeräumte Möglichkeit, ergänzende Abrundungssatzungen zu erlassen, eine sinnvolle und vertretbare Fortentwicklung dieser einzelnen Gemeindeteile erlauben.
({6})
Über die Änderung des § 34 hinaus möchten wir den Katalog der zulässigen nichtprivilegierten Bauvorhaben im Außenbereich ausdehnen, um das Bauen für diejenigen zu erleichtern, die ein schon seit längerer Zeit eigengenutztes Wohngebäude erweitern wollen, um eine angemessene Wohnraumversorgung für sich und ihre Familienangehörigen zu erreichen. Nach der jetzigen Regelung sind im Außenbereich nur Modernisierungen möglich, nicht aber sinnvolle und notwendige Erweiterungen von Wohnungen. Heute muß zum Beispiel ein Bauantrag einer Familie abgelehnt werden, wenn wegen der Kinderzahl eine Wohnung ausgebaut oder vergrö8610
Bert werden muß. Die geltende Regelung erscheint uns ausgesprochen familienfeindlich.
({7})
Wir wollen eine Neuregelung, die die Interessen unserer Familien mit Kindern im ländlichen Bereich besser berücksichtigt.
({8})
Weiter sieht der Entwurf vor, daß Bauherren, die ihren gewerblichen Betrieb erweitern wollen, um die Fortführung des Betriebs an dieser Stelle zu sichern, eine Baugenehmigung erteilt wird. Gerade für gewerbliche Betriebe, die schon über Jahrzehnte, häufig bereits über Jahrhunderte, der Landwirtschaft dienen, muß die Möglichkeit der Erweiterung und Rationalisierung gegeben werden, wenn sie nicht zur Aufgabe oder aber zur Verlegung des Betriebs gezwungen sein sollen.
Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, den Begriff „Verfestigung der Splittersiedlung" zu streichen, weil mit diesem Begriff in unzulässiger Weise den Intentionen des Gesetzgebers von 1976 entgegengewirkt worden ist. Weiter möchten wir ein Abwägungsgebot für öffentliche Belange einführen. Die Abwägung privater Belange mit öffentlichen Belangen halten wir dagegen nicht für vertretbar.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, daß nach den Erfahrungen, die die Novelle von 1976 gebracht hat, der Bundestag aufgerufen ist, die Erwartungen, die damals an die Novellierung geknüpft wurden, schleunigst zu realisieren. Die Klagen über den Bürokratismus
({9})
auf dem Bausektor sind nicht allein in der langen Dauer des Genehmigungsverfahrens begründet, sondern auch darin, daß vielen einfachen Bürgern, gerade auf dem Lande, nicht klarzumachen ist, warum sie in ihrer angestammten Heimat nicht bauen dürfen.
({10})
Ich glaube, der Bundestag ist gut beraten, wenn er jetzt eine Lösung findet, die den Interessen der Allgemeinheit, aber auch des einzelnen Bürgers gerecht wird.
Mit dieser Novelle will die CDU/CSU-Fraktion einen ersten Schritt gegen übermäßige Bürokratie im Baugenehmigungsbereich tun und Erleichterungen für die Bürger schaffen. Wir gehen davon aus, daß zusammen mit der inzwischen vom Bundeskabinett verabsdchiedeten sogenannten Beschleunigungsnovelle, die audi Vertreter der Opposition beraten haben, unser Gesetzentwurf möglichst schnell und im Zusammenhang beraten wird, so daß beides möglichst bald verabschiedet werden kann.
({11})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unionsfraktionen möchten die §§ 34 und 35 des Bundesbaugesetzes ändern, die das Bauen ohne Bebauungsplan betreffen.
({0})
Es sind zwei Paragraphen, die wir 1976 nach Hearing und Planspielen und langen gründlichen Debatten einstimmig beschlossen haben und die auch die Zustimmung des Bundesrats fanden. Uns erscheint die Zeit, die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes - dem 1. Januar 1977 - verflossen ist, zu kurz, um hier bereits Urteile zu fällen.
({1})
Wenn Sie sagen, daß Gesetz habe die erhofften Verbesserungen und Erleichterungen nicht gebracht, muß ich entgegnen: 20 Monate sind dafür nadi unserer Auffassung zu kurz. Angesichts der vielfältigen Klagen, die in der Öffentlichkeit, aber auch im Bundestag über die Gesetzessintflut laut werden, die auf die Bürger niederbricht, meine ich, wir sollten nicht leichtfertig ein gerade beschlossenes Gesetz ändern,
({2}) sondern das. sehr sorgfältig prüfen.
({3})
Glaubwürdig ist man nur, wenn man draußen und drinnen das gleiche sagt. Wenn man draußen fordert: „Nicht so viel Gesetze!", dann soll man drinnen nicht so schnell Gesetze ändern.
({4})
Wir werden miteinander und in verschiedenen Bundesländern sorgfältig prüfen, ob wir diese Änderungen brauchen. Wir werden abwägen müssen zwischen dem Interesse dessen, der da bauen will und dem durch das Planungs- und Baurecht gewisse Beschränkungen auferlegt werden, und dem Interesse der Allgemeinheit und des anderen, der schon gebaut hat, für den das Planungs- und Baurecht auch Schutzfunktion hat. Das muß ich hier einmal deutlich sagen: Wenn landauf, landab immer auf die Baubürokratie geschimpft wird: Das Bau- und Planungsrecht schützt den Bürger auch. Und wir wollen es nicht leichtfertig dieser Schutzfunktion berauben.
({5})
Nun zu § 35, dem Außenbereich. Sie stellen es draußen gerne so dar, als hätten wir das Bauen im Außenbereich erschwert. Das Gegenteil ist richtig: Wir haben gemeinsam das Bauen im Außenbereich 1976 erleichtert. Der Landwirtschaftsausschuß hat zugestimmt. Bundeslandwirtschaftsminister Ertl hat ausdrücklich die „Rechtswohltaten" gelobt, die wir in diesem Gesetz für die ländliche Bevölkerung geschaffen haben, z. B. dort, wo der Bauer nicht mehr als Vollerwerbslandwirt tätig sein kann, wo es um den Strukturwandel geht, um den Neubau, den Umbau, die Erhaltung und Modernisierung von Gebäuden, auch um die Umnutzung, hat der Landwirtschaftsminister ausdrücklich die Erleichterungen, die das neue Gesetz mit sich gebracht hat, gelobt.
Das haben wir doch gemeinsam gemacht. Ich weiß gar nicht, warum Sie nicht mehr dazu stehen wollen. Das wollen wir doch jetzt nicht verschweigen.
({6})
Die Schwierigkeit liegt - da stimme ich dem Bundesbauminister zu - viel weniger im Gesetz als im Gesetzesvollzug. Jeder Abgeordnete hat doch eine ganze Schublade voll mit 34er und 35er Fällen. Aber wenn Sie sich diese Schublade anschauen, werden Sie finden, daß es in vielen Fällen eine engherzige, unbewegliche, rechthaberische Bürokratie ist - manchmal sind es auch die Gerichte -, die den Willen des Gesetzgebers einschränkend auslegt und verengt.
Es gibt ja Beispiele, z. B. den Fall der Familie, die noch auf dem Hof wohnt, obwohl der Vater nur noch Nebenerwerbslandwirt ist, bei der Kinder kommen und man die zusätzlichen Räume nicht anbauen kann, weil der Regierungspräsident sagt, dies sei nicht mehr „geringfügig". Der Regierungspräsident macht diese Familie praktisch zu „Heimatvertriebenen", indem er sie zum Abwandern in die Stadt zwingt. Das haben wir als Bundesgesetzgeber ganz bestimmt nicht gewollt.
Es gibt den anderen Fall des Bauern im Schwarzwald, der zu seiner Kuh auch noch einen Kurgast haben will - wir nennen diese Bauern „KuK-Bauern", nicht „klerikal und konservativ", wie Sie es gerne hätten, sondern „Kuh und Kurgast" -, der aus einem Topf der Landesregierung dafür eine Förderung bekommt, aber dann kommt der Kreisbaumeister und sagt: Du darfst diese Zimmer aber nicht anbauen!
Dies alles sind Fälle, die zur Staatsverdrossenheit beitragen, die nicht im Sinne des Gesetzgebers liegen. Wir meinen, wir können dem durch den Einführungserlaß abhelfen. Uns liegt der Änderungsentwurf zum Einführungserlaß zu den §§ 34 und 35 vor, in dem klargestellt wird, was der Gesetzgeber wollte. Wir können hier die Länder nur sehr nachdrücklich auffordern, diesen Einführungserlaß möglichst rasch in Kraft zu setzen.
Wir müssen die Gemeinden aber auch nachhaltig zur Bauleitplanung anhalten. Gerade in den Streugebieten soll doch nicht planlos und willkürlich und ohne Entwässerung einfach weitergebaut werden, sondern gerade in den Streugebieten ist es zur Erhaltuhg der Eigenart der Bebauung notwendig, mit einer vernünftigen Bauleitplanung neue Baumöglichkeiten auszuweisen.
Ich muß Ihnen sagen: Ich war nicht so sehr beeindruckt, als eine Gemeinde in Ostfriesland, die nicht einmal einen Flächennutzungsplan hatte, obwohl das seit 18 Jahren im Gesetz vorgeschrieben ist, sagte: „Wir machen das alles über § 35, aber jetzt kommen wir in Schwierigkeiten, und deshalb ist das Bundesbaugesetz ein schlechtes Gesetz." Einer solchen Gemeinde muß ich sagen: Probiert es doch erst einmal mit einer ordentlichen Bauleitplanung! Wir kennen doch alle viele kleine Gemeinden,
die mit dem Instrumentarium des Bundesbaugesetzes gut zurechtkommen und ihre Probleme lösen. Wir sollten den Gemeinden sagen: §§ 34 und 35 sind Ausnahmeparagraphen; der Regelfall soll die geordnete Bauleitplanung sein, bei der alle Interessen und Belange wirklich berücksichtigt werden.
Bei § 34 - Bauen im Innenbereich ohne Bebauungsplan - ist es anders: Da haben wir tatsächlich gegenüber dem früheren Recht keine Erleichterung, sondern eine Verschärfung geschaffen. Früher konnte man ja im Innenbereich ohne Bebauungsplan so ziemlich alles machen, wenn es „unbedenklich" war. Die Gemeinden waren da zum Teil sehr unbedenklich, um nicht zu sagen: bedenkenlos.
({7})
- Nicht nur in Frankfurt. Da war Frankfurt in vielen Teilen der Republik. - § 34 war der Bausündenparagraph. Da sind den Leuten wirklich fürchterliche Sachen neben die Tür gesetzt worden, immer mit der ,Maßgabe: „unbedenklich" und die Erschließung ist gesichert. Und wir hatten es dann nachher mit den Bürgerinitiativen und Bürgerprotesten zu tun.
Deswegen waren wir uns bei der Beratung des Gesetzes 1976 doch einig: Diesen § 34 stopfen wir zu, und wir schreiben hinein: zukünftig darf im Innenbereich ohne Bebauungsplan nur dann gebaut werden, wenn sich der neue Bau „einfügt". Wenn da also fünf Reihenhäuser stehen und dann kommt eine Lücke, kann man natürlich ein sechstes Reihenhaus dazusetzen. Das fügt sich ein, das stört auch niemanden. Oder wenn drei Werkhallen da stehen, kann eine vierte dazukommen. Aber wenn in die Baulücke eine Werkstatt, ein Beherbergungsbetrieb oder gar eine Diskothek gebaut werden soll, werden die Reihenhausbesitzer mit Recht sagen: Das kommt gar nicht in Frage. Das stört, und das ist nach dem gemeinsam beschlossenen Gesetz nicht mehr möglich. Dann muß die Gemeinde ein geordnetes Bebauungsplanverfahren durchführen, muß die Bürger beteiligen' und die verschiedenen Belange abwägen. Ich finde deshalb Ihren Vorschlag, § 34 zu verwenden, um neue Baugebiete durch eine Art Satzung auszuweisen, die kein Bebauungsplan ist, nicht hilfreich.
Es gibt Gebiete, wo verschiedene Nutzungen mit der Erhaltung des Außenbereichs und der Landschaft in Konflikt stehen. Solche Konflikte kann man doch nicht durch andere Paragraphen wegmogeln, sondern diese Konflikte muß man durch eine ordentliche Planung austragen. Ihr Entwurf würde auch Schutzfunktionen für den Bürger beseitigen, etwa die Bürgerbeteiligung. Im normalen Bebauungsplanverfahren ist der Bürger mit seinen Belangen .besser geschützt als durch diese eigenartige Satzung, die Sie vorschlagen
({8})
Wir werden das im Ausschuß im Detail eingehend diskutieren. Aber für uns Sozialdemokraten gilt, daß
wir durch eine bessere, offenere Planung weniger Willkür haben wollen.
({9})
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zur polt-tischen Wertung sagen. Ich habe den Eindruck, Ihnen fällt j 35 - Bauen im Außenbereich - immer vor Landtagswahlen ein.
({10})
- Doch, vor der Wahl in Niedersachsen war das auch so. Das wird dann in der Fragestunde oder durch entsprechende Pressemeldungen hochgekocht. Ich halte es nicht für gut, daß Sie den Menschen auf dem Land Hoffnungen machen, die sich nachher nicht erfüllen können.
Gerade Sie, Herr Möller, haben sich ja in Ihrem Kreistag neulich sagen lassen müssen, daß das, was Sie betreiben, „Gefälligkeitsdemokratie„ sei. Die FDP hat Ihnen in Ihrem Kreistag vorgehalten,
({11})
- nein, das ist schon eine Weile her, am 2./3. September dieses Jahres; ich habe das hier -, daß Sie
({12})
- nun werden Sie doch nicht so nervös - eine „Gefälligkeitsdemokratie" betrieben und sich um die Abwässerprobleme wie auch um die Kosten der Entwässerung herummogelten, wenn Sie sagten, Bauen im Außenbereich solle einfacher möglich werden.
({13})
- Ich verstehe sehr gut, was Sie wollen. Deshalb sage ich: Wir machen eine solche Gefälligkeitspolitik nicht mit.
Wir werden sorgfältig prüfen, wie wir den betroffenen Menschen helfen können, ob das durch den Einführungserlaß möglich ist oder ob dazu eine Gesetzesänderung sinnvoll und notwendig ist.
({14})
Aber in einem so kleinen Land wie der Bundesrepublik müssen wir uns darüber im klaren sein, daß es beim Thema „Bauen im Außenbereich" nicht um Gefälligkeiten geht, sondern darum, daß Bund, Länder, und Gemeinden ihre Verantwortung wahrnehmen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einer kleinen Episode beginnen, die ich in diesem Frühjahr erlebt habe. An einem Samstagmorgen bin ich mit meiner jüngsten Tochter im Alter von siebeneinhalb Jahren in Richtung Allgäu gefahren. Dann kam ihre Frage: Was ist eigentlich das Allgäu? In meinen Erklärungen versuchte ich vor allem, darauf hinzuweisen, daß eine der Besonderheiten des Allgäus seine einzelstehenden Gehöfte und Häuser seien. Sie nahm mir das aber nicht ab, weil sie nachher auch kleinere Ortschaften und kleinere Städte sah. Es war äußerst schwierig, die besondere Bebauung des Allgäus verständlich zu machen.
Damit sind wir beim springenden Punkt: Die Siedlungsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland hat eben von Landschaft zu Landschaft ihre Besonderheiten und Eigenarten.
({0})
Diese können meines Erachtens mit einem so generalisierenden Gesetz, wie es das Bundesbaugesetz in seiner vollen Auswirkung wurde, Herr Immer, nicht geregelt werden.
Ich selbst wohne in einer Teilgemeinde der Stadt Tettnang, die vor der Verwaltungsreform als Gemeinde Tannau selbständig war. Das Staatshandbuch Baden-Württemberg verzeichnete drei Pfarrgemeinden, 36 Wohnplätze und 1 600 Einwohner, und das auf einer Fläche von 25 qkm. Die ersten dieser Wohnplätze sind schon im 9. Jahrhundert geschichtlich erwähnt. Heute hat die Stadt Tettnang nach der Verwaltungsreform eine Fläche von 71 qkm bei sieben Pfarrgemeinden, 99 Wohnplätzen und 14 387 Einwohnern.
Aber das markanteste Beispiel, Herr Immer, ist die große Kreisstadt Leutkirch, die nach der Verwaltungsreform auf einer Fläche von 175 qkm 14 Pfarrkirchen und 226 Wohnplätze bei 20 100 Einwohnern hat. Wenn Sie diese von einer Landschaft geprägten Strukturen berücksichtigen und davon ausgehen wollen, daß mit der Verwaltungsreform nicht nur ein größerer Wasserkopf gebildet wurde, sondern daß von den Entscheidungsgremien vor Ort auch bessere Entscheidungen für den Bürger gefällt werden, müssen Sie meines Erachtens den Änderungen in der von uns vorgeschlagenen Form zustimmen.
({1})
Wenn wir wie im Falle der großen Kreisstadt Leutkirch diese Entscheidungen auf die Regierungpräsidien und die Verwaltungsgerichte verlagern, können Sie davon ausgehen, daß . die Eigenart dieser Landschaft auf Dauer nicht gewährleistet ist. Bei diesen 226 Wohnplätzen ist es im Augenblick nur bei fünf - ich wiederhole: bei fünf - Wohnplätzen möglich, zu bauen. Die übrigen 221 Wohnplätze der Gemeinde Leutkirch gelten als Außenbereich.
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- Entschuldigen Sie, das ist nicht die' Landesplanung.
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- Herr Immer, Sie kennen halt die Struktur nicht, und Sie generalisieren. Das ist das Problem. Jede Veränderung dort würde nach dem jetzigen Bundesbaugesetz als Verfestigung einer Splittersiedlung oder als Zersiedlung einer Landschaft gelten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehe davon aus, Sie stimmen mit mir überein, daß hier in sehr vielen Fällen familiäre Veränderungen bzw., bei bestehenden Betrieben, absolut notwendige Erweiterungen sicher vorkommen, weswegen wir in § 35 Abs. 5 die Nr. 4 und 5 anhängen möchten. Damit wird nicht neues Bauland erschlossen, es wird keine weitere Zersiedlung der Landschaft betrieben, aber das, was besteht, kann erhalten werden.
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Wer uns unterstellt, wir wollten mit diesem Vorschlag eine weitere Zersiedlung der Landschaft, handelt unredlich.
Herr Conradi, lassen Sie mich nun auf das antworten, was Sie vorhin gesagt haben. Wir reden hier exakt aneinander vorbei. Sie erklären, daß dies für Gebiete, in denen es gar nicht zutrifft, auch nicht notwendig sei. Ich aber komme aus Gebieten, in denen nur die von uns gewollte Änderung helfen wird.
Ich komme aus dem Bodenseekreis, die Hälfte ehemaliger Kreis Überlingen. Dort ist das überhaupt kein Problem. Dort gab es das nicht auf Grund der badischen Verwaltung. Im Altkreis Tettnang ist das ein entscheidendes Problem, und damit müssen wir uns einfach auseinandersetzen. Wir können doch nicht an den übrigen Wohnplätzen, die wirklich geschichtlich sind, jetzt sagen: hier wird nichts mehr getan, hier kann keine Veränderung mehr vorgenommen werden, bzw., wie es jetzt der Fall ist: die Regierungspräsidien und die Verwaltungsgerichte sollen entscheiden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Aber nur ganz kurz.
Glauben Sie wirklich, daß wir ein Gesetz machen müssen, nur weil die württembergische Bürokratie das enger handhabt als die badische?
Nein, das glaube ich nicht, Herr Conradi. Wir brauchen dieses Gesetz nicht deswegen. Aber ich bin gern bereit, mit Ihnen in Leutkirch einmal die einzelnen Fälle durchzuschauen. Dagegen war das, was wir in Ostfriesland erlebt haben, eine Kleinigkeit.
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Was tun Sie aber bei einer Änderung der Nutzung? Ein. Landwirt, der auf Grund der Ertragssituation seinen Betrieb nicht mehr weiterführen will, der sich nun auf Fischzucht, Bewirtung, Reitstall oder etwas Ähnliches verlagert, bekommt plötzlich Schwierigkeiten; denn seine Veränderungen am Haus gelten nicht mehr als privilegiert. Er kann lediglich auf der Grundlage seines Status quo, den er bei seiner Tätigkeit als Landwirt hatte, weiterarbeiten. Wie verhalten wir uns aber, wenn mehrere Geschwister vorhanden sind und, um die Ertragskraft des Hofes nicht zu schmälern, keine Realteilung vorgenommen werden kann, sondern die Geschwister
lediglich knapp abgefunden werden und den Wunsch äußern, einen Bauplatz neben dem elterlichen Anwesen zu bekommen?
Auch hier haben wir bisher nein gesagt, ohne dabei zu berücksichtigen, daß wir in der Vergangenheit für die Infrastruktur dieser Raumschaften sehr viel getan haben. Schulen, Kindergärten, Wasserleitungen, auch Abwasserleitungen und Straßen haben wir mit Steuergeldern geschaffen. Das haben wir doch nicht nur für 10 oder 20 Jahre finanziert, sondern wir wollen doch diese Raumschaften erhalten.
Das Wichtigste für mich ist, daß wir diese dünn besiedelten Landschaften auch weiterhin mit Leben erfüllen. Das bedeutet aber, daß wir den Abs. 5 des § 35 ändern müssen, wie wir dies gesagt haben, um eben den Entscheidungsgremien vor Ort die Möglichkeit zu geben, hier nicht den großen Popanz aufzuziehen, sondern die kleinen Erweiterungen zu erlauben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sprechen immer von der Qualität des Lebens. Dann zwingen wir jemanden, der seinen Betrieb in einem solchen Bereich hat, daß er ihn verlegen soll, daß er zehn oder 15 Kilometer weit weg soll. Bitte schön, Herr Immer, das ist in Norddeutschland genauso geschehen, wie es unten bei uns ist. Es heißt: Kommt doch ins Gewerbegebiet. Dieser kleine Handwerksbetrieb hat doch nur dort, wo er ist, die Chance, seine Tätigkeit aufzunehmen. Für die drei oder vier Beschäftigten ist eben auch kein anderer Arbeitsplatz möglich. Wenn er in den Zentralort geht, kann er seinen Handwerksbetrieb zumachen. Er hat seine ganze Kundschaft und alles verloren. Ich meine, bei einem solchen Betriebswechsel müssen wir doch auch noch berücksichtigen, daß er den Betrieb am Ort nicht verkaufen kann, wenn er in die Kerngemeinde geht, weil ihm niemand den Betrieb abkaufen würde, weil er da draußen keinen Betrieb weiterführen darf. Dies sind doch Dinge, die man einfach berücksichtigen soll. Hier darf man nicht generalisieren, wie wir es bisher getan haben.
Wie ist es denn mit einer Erweiterung eines Wohnhauses? Wir haben das in Norddeutschland genauso gesehen, wie es unten bei uns der Fall ist. Dies ist aber, glaube ich, in allen, dünnbesiedelten Gebieten der Bundesrepublik Deutschland der Fall. Dies werden wir im Zonenrandgebiet genauso haben, wie wir das an dem Beispiel Ostfriesland, wo Sie doch so entscheidend dafür waren, Herr Immer, gesehen haben.
({1})
- Herr Conradi, das Schlimme ist, daß bei Ihnen dann immer gleich kommt: Macht einen Bebauungsplan. Was tue ich denn, wenn ich das Haus nur um, sagen wir, zwei Meter erweitern will?
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- Nein, das konnten wir bisher nicht machen.
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- Entschuldigen Sie, die Regierungspräsidien und vor allem die Verwaltungsgerichte haben dies zum Anlaß genommen, sich zu dem höchsten Richter aufzuspielen.
Die Landschaft mit Leben zu erfüllen, ist doch nicht nur eine gute Tat, die wir vollbringen, sondern für uns muß dies doch ein Selbstzweck sein; denn allein die Bewohner dieser dünnbesiedelten Landschaften werden dafür Sorge tragen, daß die Landschaft dort so erhalten bleibt, wie wir sie uns vorstellen, wenn wir unsere Freizeit oder unseren Urlaub dort verbringen wollen. Die Schönheit einer Landschaft besteht auch darin, daß sie gepflegt ist und daß sie von uns einigermaßen genutzt erscheint. Deshalb sollte man den Entscheidungsgremien vor Ort wieder die Kompetenz geben, die ihnen eigentlich zusteht; denn, wie gesagt, sonst hätte die Verwaltungsreform wirklich keinen Sinn gehabt. Wir zielen auf jeden Fall mit diesem Gesetzentwurf darauf ab, das Leben in diesen Raumschaften wieder menschlicher und erträglicher zu machen. Der Bürger soll mit seiner Vertretung im Gemeinderat dort selbst die Entscheidungen treffen, die er für diese Raumschaft für richtig hält.
Ich darf einmal fragen: Was wäre eigentlich Deutschland ohne seine landschaftsspezifischen Eigenarten? Was wäre Berlin, wenn wir schon vor 200 Jahren ein Bundesbaugesetz in der jetzigen Fassung gehabt hätten? Das hätte nicht gebaut werden dürfen, weil es eine Zersplitterung der vorhandenen Bebauung gewesen wäre, und das wäre nicht gegangen.
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Was wäre aus Ostfriesland, aus dem' Bergischen Land, aus dem Bayerischen Wald und aus dem Schwarzwald geworden, um nur einmal ein paar Beispiele zu nennen. All die typischen Eigenarten dieser Landschaften wären nie so zur Gestaltung gekommen, wenn schon damals jemand diese Dinge zentral geregelt hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die Chance, das, was wir mit unserer Verabschiedung der Novelle zum Baudesbaugesetz am 11. März 1976 nicht erreicht haben, jetzt durchzuführen. Es war sicher nicht im Sinne jener, die damals diesem Gesetz zugestimmt haben, daß die Entscheidungen, die von Landschaft zu Landschaft sicher anders ausschauen müssen, so reglementiert werden, daß am Schluß nur noch die Verwaltungsgerichte das generelle Nein sagen, weil sie aus diesem Gesetz vom 11. März 1976 nicht das herausgelesen haben bzw. herauslesen konnten, was seine Verfasser gewollt haben. Wir haben jetzt die Möglichkeit, dies zu ändern. Ich hoffe auf die Zustimmung von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalition.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dem von der Opposition
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes möchte ich namens der FDP-Fraktion Stellung nehmen. Der Bundestag hat das Bundesbaugesetz im Jahre 1960 beschlossen. Dieses Gesetz wurde in der 7. Legislaturperiode, wie ich meine, nach gründlicher Beratung erneut novelliert. Die Novelle trat dann am 1. Januar 1977 in Kraft. Breiten Raum in der Diskussion haben seinerzeit insbesondere die §§ 34 und 35 - Zulässigkeit der baulichen Nutzung und Bauen im Außenbereich - eingenommen. Dabei sind gerade auch in diesem Bereich Planspiele und Anhörungen durchgeführt worden, die die Meinungsbildung des Ausschusses maßgebend bestimmt haben. Als Ergebnis sind sodann vom Ausschuß einmütig gefaßte Empfehlungen gegeben worden.
Ich betone dies, um festzustellen, daß auch die Opposition damals keine weiteren Verbesserungsvorschläge zu diesen Punkten anzumelden hatte. Man hat heute, wenn man die Kollegen der Opposition hört, den Eindruck, als ob sie seinerzeit an der Novellierung gar nicht mitgewirkt hätten.
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- Da haben Sie recht, Herr Kolb; das wird sich immer wieder ändern. Aber ich sage, Sie tun insgesamt so, als ob Sie an der Novellierung nicht mitgewirkt hätten.
Herr Kollege Möller, ich bitte, doch einmal zu überprüfen, ob das Wort „Täuschung", das Sie in diesem Zusammenhang gebraucht haben, am Platze war. Wenn Sie den Begriff der Täuschung aufrechterhalten, dann müssen Sie dieses Wort auch gegen sich gelten lassen; denn Ihre Fraktion hat ja auch an dem Gesetz mitgewirkt.
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Insgesamt waren sich seinerzeit alle Seiten darüber im klaren, daß man zunächst einmal abwarten müsse, wie sich die neuen Gesetzesbestimmungen in der Praxis auswirken würden. Dabei ist der Ausschuß, was den § 34 angeht, davon ausgegangen, daß die Gemeinden künftig vermehrt und verstärkt Bauleitplanungen betreiben müssen und daß die Bestimmung des § 34 eine weit geringere Bedeutung, als bisher angenommen, habe. Auch bei § 35 war man sich darüber einig, daß eine zu weitgehende Regelung vermieden werden müsse.
Aus den dargelegten Gründen sind in das Gesetz bestimmte Sicherungen eingebaut und die Genehmigungsbehörden ausdrücklich ermächtigt worden, durch geeignete Maßnahmen auf eine dauernde, zweckentsprechende Nutzung der privilegierten Vorhaben hinzuwirken.
Nun kann ich, meine Damen und Herren von der Opposition, zwar durchaus verstehen, wenn Sie, nicht zuletzt bestätigt durch eine Reise des Bauausschusses nach Norddeutschland, an Hand von Einzelfällen nachzuweisen versuchen, daß hier Ihr Gesetzentwurf begründet ist. Ich will für meine Fraktion deutlich sagen, daß wir uns nicht aus prinzipiellen Gründen von vornherein gegen eine Novellierung des Gesetzes in diesem Bereich sträuben.
Es muß allerdings sichergestellt sein, daß es nicht nur Einzelfälle sind, bei denen es sich zudem möglicherweise um eine dem Gesetzeszweck entgegengesetzte Auslegung handelt, sondern es muß insgesamt feststehen, daß die Novellierung aus dem Jahre 1976 in der Tat zu nicht tragbaren Ergebnissen führt, nicht nur in Einzelfällen, sondern allgemein.
Meine Damen und Herren, berücksichtigen Sie bitte, daß das Gesetz in der vorliegenden Form erst seit dem 1. Januar 1977 in Kraft ist. Ihr Antrag rührt vom 4. Juli dieses Jahres her. Es ist also nur ein Zeitraum von anderthalb Jahren verstrichen. Ich meine, daß dieser Zeitraum sehr kurz ist, um allgemeingültige Erkenntnisse zu gewinnen, wie Sie das hier vorgetragen haben.
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Trotzdem wollen wir bereits jetzt Länder und Kommunen im einzelnen anhören, so wie wir es damals bei der großen Novellierung des Bundesbaugesetzes gemacht haben. Hierbei sollte von folgenden Grundsätzen ausgegangen werden. Zweifellos lassen sich im ländlichen Bereich auf Grund des neuen § 35 des Bundesbaugesetzes in Einzelfällen Unzuträglichkeiten bei der Wertung von dem Bauvorhaben entgegenstehenden öffentlichen Interessen - wie dem Verbot der Verfestigung oder Erweiterung von Splittersiedlungen - feststellen. Meines Erachtens muß vor einer erneuten Novellierung sorgfältig untersucht werden, inwieweit erstens Unzuträglichkeiten im Einzelfall nicht durch eine größere Bauleitplanungsbereitschaft der örtlichen Planungsbehörden beseitigt werden können, inwieweit zweitens die Länder bei Feststellung öffentlicher Belange in ihren Raumordnungsplänen die Probleme besser steuern können und wie drittens die bis jetzt festgestellten positiven Erfahrungen mit den neuen Bestimmungen in Ballungsrandzonen bei einer eventuellen Novellierung in Einklang zu- bringen sind. Sofern sich Mängel ergeben, die durch die vorgenannten Punkte nicht ausgeräumt werden können, sind wir zu notwendigen Korrekturen bereit.
Meine Damen und Herren, ich weise im übrigen darauf hin, daß das Bundeskabinett in der letzten Woche den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht verabschiedet hat. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das zurückkommen, was ich eingangs gesagt habe, daß nämlich im Bereich der Bauleitplanung und im verfahrensmäßigen Bereich Probleme frühzeitig ausgeräumt werden können. Das Ziel, das Verfahren zur Aufstellung von Bauleitplänen zu vereinfachen, verfolgt der Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Wir werden den von der Opposition vorgelegten Gesetzentwurf im Ausschuß eingehend prüfen und stimmen dem Überweisungsvorschlag zu.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Haack.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Möller hat vorhin einleitend gesagt, daß mein Vorgänger, Herr Ravens, bei der Novelle zum Bundesbaugesetz, die wir in der letzten Legislaturperiode vorgelegt haben und die dann auch mit Ihrer Zustimmung am 1. Januar 1977 in Kraft getreten ist, Erwartungen beim Bürger geweckt hätte, die nicht eingetreten seien. Herr Kollege Möller, ich möchte deshalb in Ihr Gedächtnis die wichtigsten Änderungen dieser Novelle zurückrufen, die gerade vielen unmittelbar Betroffenen auch in diesen Gebieten, von denen hier mit Recht die Rede ist, tatsächlich geholfen haben; denn der neue § 35, den wir mit dieser Novelle zum 1. Januar des letzten Jahres an geschaffen haben, hat gerade auch im Außenbereich wesentliche Verbesserungen gebracht.
({0})
Ich möchte Ihnen die drei wichtigsten Beispiele ins Gedächtnis zurückrufen:
Erstens. Die nach § 35 Abs. 1 erlaubten Vorhaben sind damals hinsichtlich der Altenteilerhäuser erweitert worden.
({1})
Die Errichtung von Altenteilerhäusern ist nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zulässig, wenn der landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben ist. Nach altem Recht waren Altenteilerhäuser nur zulässig, wenn sie Bestandteil des landwirtschaftlichen Betriebes waren und diesem dienten. Das heißt also, wir haben mit dieser Novelle dem strukturellen Anpassungsprozeß in der Landwirtschaft Rechnung getragen. Wir haben bewirkt, daß kein Landwirt von seiner Scholle vertrieben werden kann.
Ich sage das nur noch einmal, weil Sie vorhin den Eindruck erweckt haben, als ob wir bei der damaligen Novelle nicht auch schon wichtige Änderungen vorgenommen hätten.
({2})
Zweites Beispiel: Die Novelle zum Bundesbaugesetz, die jetzt in Kraft ist, sieht Nutzungsänderungen und Ersatzbauten unter erleichterten Voraussetzungen vor. Gebäude, die infolge des Strukturwandels für landwirtschaftliche Zwecke nicht mehr benötigt werden, können in vertretbarem Rahmen einer anderweitigen Nutzung zugeführt werden. Unter den gleichen erleichterten Voraussetzungen sind auch Ersatzbauten zulässig.
Herr Kolb, ich erwähne diese Dinge auch noch aus einem zweiten Grund, weil wir nach wie vor der Auffassung sind, daß die Verwaltung auf Grund des geänderten Bundesbaugesetzes in solchen Konfliktfällen wesentlich mehr bürgerfreundliche und bürgernahe Entscheidungen treffen könnte.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?
Herr Minister, es ist doch so, wenn ich den Fall Baden-Württemberg nehme, daß über die Außenbereiche vom Regierungspräsidium entschieden wird. Die Regierungspräsidien sind so weit weg, daß sie in der Regel nein sagen.
Bitte eine Frage stellen.
Damit geht das vor die Verwaltungsgerichte, und darin liegt doch das Problem, Herr Minister: Die Verwaltungsgerichte haben, wie auch in Ostfriesland, mit Nein entschieden.
Zunächst möchte ich feststellen, Herr Kolb, daß ich selbstverständlich auch ein Regierungspräsidium zur Verwaltung rechne.
({0})
Wenn Sie sagen, die seien weit weg, so kritisiere ich das ja gerade, daß die Verwaltung nicht bürgerfreundlich entscheidet.
({1})
Die sollen ihre Verwaltungsorganisationen so ausrichten, daß sie bürgernah entscheiden können. Das spricht doch nicht gegen das, was ich hier gesagt habe.
({2})
- Wir sollten uns vielleicht in einem anderen Rahmen einmal über Bayern unterhalten, Herr Schneider, nicht gerade in diesen Tagen. Das führt sonst vielleicht zu etwas eigenartigen Auseinandersetzungen.
Ich darf. aber noch einmal sagen, was ich ins Gedächtnis zurückrufen wollte, nicht nur weil Herr Möller vorhin gesagt hat, wir hätten falsche Erwartungen geweckt, sondern weil ich meine, daß die Änderungen in dieser neuen Novelle so umfangreich sind, daß eben in Einzelfällen viel mehr geholfen werden könnte, als es bisher der Fall ist, auch in Niedersachsen. Mit diesen erleichterten Voraussetzungen können z. B. auch bäuerliche Wohngebäude, die nicht mehr im Zusammenhang mit einer Hofstelle stehen, durch ein neues Wohnhaus ersetzt werden, wenn das alte Wohngebäude nicht mehr den heutigen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse entspricht. Das bedeutet dann auch, daß Ausbauten und Anbauten möglich sind.
Dritter Bereich mit einem letzten Beispiel: Unter erleichterten Voraussetzungen können auch geringfügige Erweiterungen im Zusammenhang mit Modernisierungen vorgenommen werden. Das war vor dem 1. Januar 1977 auch nicht der Fall.
({3})
Das waren die drei Beispiele, mit denen ich noch einmal sagen wollte, daß wir schon damals wesentliche Verbesserungen angebracht haben. Das waren nach meiner Auffassung die wichtigsten Änderungen der Novelle in diesem Bereich.
Eines muß ich hier auch noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen - Herr Conradi hat es auch schon getan -, nämlich daß damals alle im Bundestag vertretenen Parteien übereinstimmend der Auffassung waren, daß die natürliche Eigenart der Landschaft erhalten bleiben muß. Darüber sind wir uns heute noch im klaren.
Jetzt komme ich zu der Frage, um die es hier im wesentlichen geht. Es kann nicht bestritten werden, daß trotz der Novelle und trotz der mit der Novelle verbundenen wesentlichen Fortschritte, die ich eben kurz zu skizzieren versuchte, in der Anwendung der neuen Vorschriften der §§ 34 und 35 des Bundesbaugesetzes Probleme aufgetreten sind. Das gilt vor allem für Niedersachsen, wie auch die zuständigen Kollegen des Ausschusses bei einer Bereisung feststellen konnten. Aber wie ich weiß, gilt es nicht nur für Niedersachsen.
Die in Niedersachsen aufgetretenen Schwierigkeiten sind im wesentlichen auf die besonderen historisch gewachsenen Siedlungsformen und damit auf Probleme bei der Abgrenzung von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen und unerwünschten Splittersiedlungen sowie auf die Ziele der Landesplanung, die die bauliche Entwicklung in den Gemeinden maßgeblich bestimmen, zurückzuführen.
Zur Zeit ist - und das ist der entscheidende Punkt - nach unserer Auffassung noch nicht abschließend geklärt, ob sich die in der Praxis aufgetretenen Schwierigkeiten aus dem Gesetzesvollzug oder aus einer unzureichenden Gesetzesfassung ergeben haben. Sicher ist jedenfalls eines, nämlich daß sich der kurz nach Inkrafttreten der ersten Novelle zum Bundesbaugesetz erstellte Mustererlaß zu den Vorschriften der §§ 34 und 35 des Bundesbaugesetzes als nicht ausreichend erwiesen hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0})?
Nein, ich muß die Möglichkeit haben, hier einen Gedanken im Zusammenhang zu entwickeln.'
Unter Mitwirkung des Bundesbauministeriums haben deshalb gerade in der letzten Zeit die Länder diesen Mustererlaß überarbeitet und erweitert, damit die Zielsetzungen, die der Neufassung der Vorschriften zugrunde liegen, erreicht und bestehende Zweifelsfragen möglichst weitgehend geklärt werden. In diesem Mustererlaß werden auch Fragen erörtert, die in diesem Vorschlag der CDU/CSU für eine Gesetzesänderung enthalten sind.
Ich meine, daß wir mit dem neuen Mustererlaß, den die Länder zur Zeit in ihr Recht transponieren, einen Schritt weiterkommen werden.
Ob trotz dieses Mustererlasses die Vorschriften der §§ 34 und 35 des Bundesbaugesetzes wenigstens geringfügig geändert werden müssen - und wenn ich sage „geringfügig", dann soll das geschehen, um Einzelinteressen betroffener Bürger gerecht zu werden; das ist für mich der entscheidende Punkt -,
({0})
wird zur Zeit eingehend geprüft. Ich darf Sie darauf hinweisen, weil der Kollege Wurbs eben hier unseren Gesetzentwurf erwähnt hat, den wir in der letzten Woche im Bundeskabinett beschlossen haben. Ich meine den Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebau. Wie Sie wissen, haben wir darin keine Änderungen der §§ 34 und 35 vorgesehen, weil es bisher in der Fachwelt, zwischen den Ländern, zwischen den kommunalen Spitzenverbänden umstritten ist, ob wir solche Änderungen brauchen oder ob wir nicht doch über einen anderen Verwaltungsvollzug weiterkommen könnten.
Herr Bundesminister, darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) gestatten. Ich erinnere aber daran, daß wir in der Kurzdebatte sind und es sehr schwierig ist, die zehn Minuten einzuhalten.
Ich gestatte deshalb keine Zwischenfrage, weil ich den Kollegen Jahn jetzt erst einmal informieren will. Es wäre besser, wenn er sich, bevor er fragt, zunächst einmal informieren ließe.
({0})
Ich darf darauf hinweisen, daß wir einen Fragenkatalog ausgearbeitet haben - wie ich auch schon im Ausschuß am vergangenen Mittwoch berichtet habe -, um auf diese Weise noch einmal die Länder und die betroffenen Kommunen zu bitten, zu diesen wichtigen Fragen Stellung zu nehmen und uns mitzuteilen, ob sie meinen, daß eine Gesetzesänderung im Einzelfall notwendig ist.
Das Ergebnis dieser Befragung der betroffenen Gemeinden und Länder - das ist jetzt meine Position, Herr Kollege Möller - wird für mich dann ergeben, ob wir eine Gesetzesänderung vorschlagen sollten. Das Ergebnis dieser Prüfung wird rechtzeitig für die Beratungen der vorhin genannten Beschleunigungsnovelle der Bundesregierung vorliegen.
({1})
Ich sage Ihnen genauso deutlich hier zum Schluß: Sollte sich auf Grund dieser Untersuchungen ergeben, daß die in der Praxis aufgetretenen Schwierigkeiten nicht auf den Gesetzesvollzug, sondern doch auf einige Gesetzesformulierungen zurückzuführen sind, oder anders ausgedrückt: sollte diese Untersuchung ergeben, daß wir den betroffenen Bürgern am besten durch eine geringfügige Gesetzesänderung helfen können, dann wird sich die Bundesregierung der Forderung nach einer solchen Gesetzesänderung nicht verschließen. Denn ich glaube,
hier geht es nicht um grundsätzliche Fragen: Soll geändert werden, soll nicht geändert werden, wann wird geändert? Zwei oder fünf Jahre nach einer Novelle? Das sind für mich nicht die Fragen. Die Frage ist: Auf welchem Wege kann dem betroffenen Bürger am besten geholfen werden?
({2})
Das heißt, es geht nach der Devise: bürgernahe Verwaltung und bürgerfreundliche Gesetzgebung. Dieser Frage wollen wir uns annehmen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niegel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vorhin ist von den Beratungen über die Novellierung des Bundesbaugesetzes in der 7. Wahlperiode gesprochen worden. Zweifellos - das hat der Vorsitzende des Ausschusses am Schluß der Beratungen festgestellt - stand dieses Gesetz unter einem gewissen Zeitdruck. Es mußte noch im Rahmen der 7. Periode Gesetzeskraft erreichen. Wir haben bei den §§ 34 und 35 auch anläßlich eines auswärtigen Termins Überlegungen angestellt. Aber ob wir alle Folgen in dieser Form beraten und durchdacht haben, glaube ich bezweifeln zu müssen.
({0})
- Nicht dagegen. Wir haben einen Versuch gemacht, es zu verbessern. Der Wille war vorhanden. Wir sehen jetzt, daß wir die Formulierungen noch nicht so gefaßt haben, daß sie in der Praxis greifen. Folglich sollten wir zu der Erkenntnis kommen, daß wir es ändern müssen.
Ich möchte an die Ausführungen des Herrn Ministers anknüpfen. Wir haben auf unserer Ausschußbereisung in Ostfriesland feststellen müssen, daß Gerichtsentscheide jetzt schon auf Grund der neuen Novellierung anders ausfallen, als wir es gemeinsam gewollt haben. Wenn die Gerichtsentscheide nicht mehr mit dem übereinstimmen, was wir wollten, müssen wir als Gesetzgeber handeln, ob es zwei Jahre, drei Jahre oder fünf Jahre sind. Das ist das Entscheidende.
({1})
Herr Minister, ich darf zitieren, was Sie da oben bei der Bereisung gesagt haben: „Haack warnte zwar vor Zeiterscheinungen, daß alles durch Gerichte geregelt werden müsse. Hier müsse man aufpassen. Notfalls müssen wir an eine Gesetzesänderung denken, meinte der Bundesminister." - Bitte schön, ich habe Sie hier wörtlich zitiert, Herr Minister. Wir haben jetzt die Initiative ergriffen. Man soll uns nicht um das Erstgeburtsrecht neidisch sein. Wir wollen im Ausschuß gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden. Wir sind dazu bereit.
Es geht uns doch allen so, ob das jetzt mein Kollege von der anderen Seite ist oder ich, wir haben doch jede Woche eine Handvoll Fälle über die Problematik „Bauen im Außenbereich" auf unseren
Schreibtischen in den Wahlkreisen, bei denen wir zur Hilfe aufgerufen sind, bei denen wir den bedrängten Bürgern Hilfestellung leisten wollen und müssen.
Sicherlich, Herr Minister, gibt es Auslegungsfragen seitens der Kreisverwaltungsbehörden oder auch der Regierungspräsidien. Sicherlich kann man da noch das eine oder andere korrigieren. Aber selbst wenn diese Stellen guten Willens sind und so entscheiden wollten, wie es der Antragsteller will, sind sie oft gehindert, weil die Gesetzesbestimmungen dem entgegenstehen. Deswegen sollten wir jetzt alle zusammen mit unserer Fachkraft und unserem politischen Willen versuchen, eine Änderung herbeizuführen.
Ich frage Sie jetzt einmal: Ist es, wenn am Dorfrand ein Häuschen für den nachgeborenen Bauernsohn gebaut werden soll, denn ein Problem der Zersiedelung der Landschaft? Gibt es heute nicht umgekehrt ein anderes Problem? Heute besteht doch nicht so sehr die Gefahr der Zersiedelung, sondern als große Gefahr die der Entsiedlung des ländlichen Raumes. Hier sollten wir doch etwas entgegenwirken.
Herr Conradi, Sie sind Stadtplaner. Selbstverständlich können und wollen Sie alles mit der ordentlichen Planung regeln. Aber denken Sie einmal an die jetzt abgeschlossene kommunale Gebietsreform! Da ist es doch so, wir haben einen zentralen Ort innerhalb der Großgemeinden, wo Bebauungspläne bestehen. In ländlichen Gebieten, in Dörfern, die früher selbständige Gemeinden waren, mit 200 oder 300 Einwohnern braucht man nicht unbedingt immer einen Bebauungsplan, wenn da zwei oder drei Häuschen am Dorfrand errichtet werden sollen.
Wenn man hört, man will eine Bauerleichterung schaffen, eine Beschleunigung usw., dann befürworte ich das. Aber ich denke hier an den Rattenschwanz des Verfahrens mit einem Bebauungsplan und wenn es drei Jahre dauert, bis so ein Bebauungsplan für das A-Dorf existiert, dann kommt der, der bauen will, nie zu seinem Häuschen. Wissen Sie, was er macht? Er wandert aus diesem strukturschwachen Gebiet ab, wandert in das Ballungszentrum hinein, verstärkt die Ballung noch und wirkt dort wahrscheinlich viel stärker auf die Infrastrukturlasten als draußen.
({2})
Wenn man schon von der Zersiedlung der Landschaft, die man gern als die große Gefahr hinstellt, oder von der Verfestigung einer Splittersiedlung spricht, wie es im Gesetzestext heißt, was wir gern gestrichen haben wollen, dann möchte ich eine Gegenfrage stellen. Vielleicht klingt es polemisch, aber gerade die Stadtplaner sind angesprochen: Wer schützt uns denn vor der Verbetonierung der Städte durch Hochhäuser und Betonglaspaläste? Dagegen erhebt sich keine Stimme. Ich glaube; unsere Stadt ist genauso schützenswert wie die Landschaft, und hier sollten wir auch seitens des Bundesbauministeriums und unseres Ausschusses genauso aufpassen.
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- Es gibt genug Beispiele, auch das Märkische Viertel in Berlin, wo praktisch Sünden der Architekten und der Stadtplaner vorhanden sind.
Wir haben in Bayern z. B. - das darf ich mit anführen - aus bestimmten Gründen die Konsequenz gezogen und haben die Entscheidung, die Genehmigung zu §§ 34 und 35 zu geben, die dem Regierungspräsidenten vorbehalten war, auf die Landräte, also die Kreisverwaltungsbehörden, delegiert, gerade aus dem Grunde, den vorhin Herr Kollege Kolb nannte: weil der Kreisbaumeister oder Landrat näher ist und unbürokratischer entscheiden kann. Er kann an Ort und Stelle hingehen und kann sagen, ob ein Fall ein Grenzfall oder, in die Landschaft eingebunden, noch zu verantworten ist.
Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Aber diese Regelung wird nicht verhindern, daß es trotzdem wieder Zweifelsfälle gibt, in denen Ablehnungen vorhanden sein werden und in denen man sich über die Auslegung des jetzigen, zwar gegenüber der früheren Regelung verbesserten Gesetzestextes streiten wird. Hier, so meine ich, sollten wir durch die Änderung des Gesetzes Hilfe leisten. Ich meine, wir sollten jetzt eine Regelung schaffen. Wir sind nicht unbedingt auf unseren Wortlaut scharf, daß jeder Paragraph und jedes Komma so durchgeht, wie wir es vorgeschlagen haben. Wir wollten die Initiative ergreifen. Wir sind gern zu Kompromissen bereit. Ich fordere Sie auf: Tragen Sie mit dazu bei. Vielleicht finden wir das Ei des Kolumbus,
({4})
vielleicht finden wir die bessere Lösung, daß wir zu
einer für unsere Bürger besseren Regelung kommen.
Ich darf abschließend noch eines sagen. Wir feiern jetzt das Todesjahr des großen Baumeisters Balthasar Neumann. Wenn es vor 225 Jahren schon ein solches Baugesetz mit den §§ 34 und 35 gegeben hätte, gäbe es z. B. die schönen Baudenkmäler nicht, wie sie Balthasar Neumann z. B. mit Vierzehnheiligen gebaut hat; es gäbe auch kein Neuschwanstein, es gäbe auch kein Herrenchiemsee; das wäre alles verhindert worden.
({5})
Ich glaube, auch aus diesem Grunde sollten wir an die Novellierung des Gesetzes herangehen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hieran mitzuwirken.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - federführend - und dem Ausschuß für Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - zu überweisen. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Vizepräsident Frau Renger
Nach einer weiteren Vereinbarung soll jetzt der Tagesordnungspunkt 10 beraten werden:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ({0})
- Drucksache 8/1769 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Hierzu gibt es auch eine kurze Aussprache. Das Wort zur Einbringung hat Herr Minister Dr. Hirsch.
Minister Dr. Hirsch ({1}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen vom Bundesrat beschlossen worden war, ist am 3. Mai in diesem Hause eingebracht worden. Ich bin sehr dankbar, daß wir heute Gelegenheit haben, die Grundzüge darzustellen und dabei zu begründen, warum wir hier durch eine maßvolle Liberalisierung zu sehr nützlichen Effekten kommen können.
Lassen Sie mich am Anfang selbstkritisch sagen: Es ist einer dieser vielen technischen Gesetzentwürfe, dessen Lesen kein Vergnügen bereitet. Und wenn man ihn gelesen hat, ist man sich immer noch nicht ganz klar, ob man ihn wirklich verstanden hat.
({2})
- Für Feinschmecker, ja. - Ich glaube, daß manche unliebsamen Vorgänge auf dem Wohnungsgebiet zu einem Teil damit zusammenhängen, daß die Regelungen so unglaublich kompliziert sind
({3})
und daß viele Menschen - Mieter und auch andere - durch dieses Recht nicht mehr hindurchfinden und deswegen ihre Rechte nicht wahrnehmen. Ich meine, das sollte ein Ansporn für uns alle sein, gemeinsam dafür zu sorgen, daß solche sehr komplizierten Gebiete wenigstens gemeinverständlich dargestellt werden. Wir sollten uns auch überlegen, ob wir sie rechtstechnisch einfacher behandeln können. Es wird wirklich Zeit, das einmal zu machen.
({4})
Die Ziele dieses Gesetzentwurfs sind ganz knapp darzustellen. Es geht uns darum, die Bindungen der öffentlich geförderten Wohnungen aufzulockern, wenn die Rückzahlung der öffentlichen Mittel erfolgt. Dabei halten wir an dem Prinzip fest, daß die Bindungen, die mit der öffentlichen Förderung verbunden sind, nur gegen Rückzahlung der Förderungsmittel aufgehoben werden. Wir halten auch an dem Grundsatz der zehnjährigen Nachwirkung nach Rückzahlung der öffentlichen Mittel fest. Es ist also nicht so, daß etwa beabsichtigt wäre, die Nachwirkungsfrist abzukürzen oder sie gar völlig abzuschaffen.
({5})
Wir wollen aber die Wirkung der Nachwirkungsfrist auf ihren eigentlichen Zweck beschränken, nämlich darauf, den jeweiligen Mieter vor den Folgen der Rückzahlung, die insbesondere in Mieterhöhungen liegen können, zu schützen. Das zur Zeit der Rückzahlung bestehende Mietverhältnis soll also für die ungekürzte Dauer der Nachwirkungsfrist durch die Bindung an die Kostenmiete gesichert bleiben. Erst nach dem Auszug des Mieters soll der Vermieter bei der Wiederbelegung und Mietpreisvereinbarung frei sein. Das ist der Kern des Vorschlages.
Man hat gesagt, dieser Vorschlag verrate etwas Ängstlichkeit oder Scheu. Ich nehme diese Kritik hin, wenn es auf der anderen Seite möglich bleibt, den vollen Schutz des Mieters zu gewährleisten. Und das ist in der Tat der Fall.
Wir tragen auch den Bedenken der Bundesregierung Rechnung, daß nämlich in den Bedarfsschwerpunkten grundsätzlich an den Sozialbindungen bei Mietwohnungen festgehalten werden müsse. Man muß bei nüchterner Beobachtung des Wohnungsmarktes feststellen, daß er in aller Regel ausgeglichen ist; der Wohnungsmarkt in der Bundesrepublik ist in aller Regel ausgeglichen! Trotzdem sollen von der angestrebten Lockerung der Bindung gerade die Mietwohnungen in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf ausgenommen werden, die durch Verordnung der Länder bestimmt werden können. Wir glauben auch nicht, daß die Lockerung der Mietbindung etwa zu Mieterhöhungen auf breiter Front führen würde, wie das gesagt worden ist. Das ist schon deswegen nicht der Fall, weil die Spanne zwischen der gegenwärtigen Kostenmiete und der Marktmiete zu gering ist. Wir wissen alle, daß es eine Fülle von Fällen gibt, in denen die Kostenmiete höher ist als die Marktmiete,
({6})
ein merkwürdiger Zustand.
Schließlich berührt der Gesetzentwurf das Thema Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Die Möglichkeit zur vorzeitigen Befreiung von den Bindungen soll auch auf Wohnungen erstreckt werden, die in Eigentumswohnungen umgewandelt worden sind. Man muß nämlich sehen, daß die gegenwärtig geltende Regelung gravierend den Mieter benachteiligt, der seine Mietwohnung zu Eigentum erwirbt. Der Eigentümer einer solchen Wohnung kann sich zur Zeit von den Bindungen praktisch überhaupt nicht befreien.
({7})
Für diese Wohnungen gilt - wie bei Mietwohnungen - die zehnjährige Nachwirkungsfrist. Sie wird überhaupt erst in Lauf gesetzt, wenn die öffentlichen Mittel für sämtliche Wohnungen des Gebäudes zurückgezahlt werden. Bei einem Ortswechsel oder auch bei einem Erbfall zeigen sich die fortbestehenden und nicht abzulösenden Bindungen als ein wirtschaftlich bedeutsamer Nachteil. Dieser Nachteil erschwert eine Weiterveräußerung oder eine freie Vermietung ganz erheblich und macht sie in Einzelfällen unmöglich. Das führt dazu, daß Mieter, die ihre Mietwohnung nach der Umwandlung
Minister Dr. Hirsch
kaufen und hierzu auch durch den Gesetzgeber angeregt werden, nämlich durch den § 7 b, keine vollwertige Eigentumswohnung erwerben. Sie erwerben Eigentum minderen Rechts. Diese gänzlich ungerechtfertigte Benachteiligung soll, durch den Gesetzentwurf beseitigt werden. Durch diesen Entwurf wird die durch die Umwandlung entstandene Eigentumswohnung der geborenen Eigentumswohnung gleichgestellt. .
Schließlich greifen wir noch einen anderen Bereich auf: Wir wollen die Belegungsbindung während ihrer Geltungsdauer etwas praktikabler machen. Ich hebe diesen Punkt deswegen hervor, weil sich die. Bundesregierung insoweit gegen den einstimmigen Wunsch der Länder ausgesprochen hat: Ich meine die Aufhebung des sogenannten Vorrangs für Minderverdienende. Das klingt erst einmal ganz gefährlich, ist es aber nicht.
Nach geltender Regelung sind die älteren, vor 1966 geförderten Wohnungen vorrangig für Wohnungssuchende mit einem Einkommen bestimmt, das die Einkommensgrenzen um 20 % unterschreitet. Wenn solche Minderverdienende für eine solche Wohnung nicht gefunden werden - und das geschieht in der Praxis sehr häufig -, dann darf die Wohnung nur mit einer besonderen behördlichen Genehmigung an einen anderen Wohnberechtigten vermietet werden. Wenn die Länder diesen Vorrang und damit das Genehmigungserfordernis beseitigen wollen, so wird damit nicht die dahinterstehende sozial berechtigte Forderung in Frage gestellt. Die Erfahrungen der Praxis haben aber gezeigt, daß das theoretisch richtige Prinzip mit einem pauschalen Vorbehalt bei allen älteren Wohnungen nicht erreicht werden kann. Das ist einfach zu stark. Das Genehmigungserfordernis ist zu aufwendig für alle Beteiligten: für den Wohnungssuchenden, für den Vermieter und auch für die Behörden.
Man kann das Bedürfnis individuell durch eine Zuweisung einer Wohnung befriedigen, die auf Grund von vertraglich vereinbarten oder gebietsweise durch Verordnung bestimmten Besetzungsrechten möglich ist. Wir wollen also keine soziale Demontage, wir wollen nur ein Verfahren, um die im Zusammenhang mit dem Baugenehmigungsverfahren zu beanstandende Bürokratisierung im Wohnungswesen etwas abzubauen.
Ich habe darauf verzichtet, hier wohnungstechnische Details vorzutragen. Ich möchte zum Schluß noch einmal sagen: Das Ganze ist wirklich so kompliziert, daß wir uns bemühen müßten, hier etwas bürgerfreundlicher zu argumentieren und zu reden, vielleicht auch die Gesetze etwas allgemeinverständlicher zu schreiben. Ich bin gern bereit - und ich nehme an, daß wir Gelegenheit dazu haben -, bei der Beratung im Ausschuß im einzelnen auch aus der Praxis der Länder unsere Erfahrungen darzustellen, um Ihnen wirklich zu zeigen, daß wir hier durch maßvolle Auflockerung bei ausgeglichenem Wohnungsmarkt einen ersten Schritt zur Liberalisierung auf diesem Gebiet machen können, ihn aber auch wirklich machen können, ohne soziale Probleme aufzuwerfen. Ich wäre sehr dankbar, wenn dieser Gesetzentwurf nach der langen Anlaufzeit im Ausschuß zügig behandelt werden könnte.
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Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schneider.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf eingangs sagen, daß ich den Beifall auf der linken Seite des Hauses auf die Rede des Herrn Minister Hirsch vermißt habe.
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Es wurde nur zur Rechten und in der Mitte geklatscht. In der Mitte war Beifall, weil in der Mitte die Wahrheit ist.
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Namens der CDU/CSU-Fraktion begrüße ich die mit der Gesetzesvorlage bezweckte Lockerung von Belegungs- und Mietpreisbindungen im sozialen Wohnungsbau. Wir stimmen in diesem Punkt mit dem Herrn Minister Hirsch ausdrücklich überein.
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Sie bewirkt eine wünschenswerte Mobilisierung öffentlicher Mittel, verbreitert die Möglichkeit zur Eigentumsbildung im Wohnungsbau gerade auch für Familien mit geringerem Einkommen und leistet einen willkommenen Beitrag zur Erhaltung der Lebensfähigkeit unserer Städte.
Vor allem aber wird mit der Gesetzesvorlage endlich ein erster, wenn auch zaghafter - ich möchte sagen: überaus zaghafter - Schritt zur notwendigen Liberalisierung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus und damit zu mehr Marktwirtschaft in diesem überreglementierten Bereich des Wohnungsbaus getan. Bundeskanzler Schmidt hat in seiner Rede vor dem Deutschen Mietertag am 20. Mai 1977 gefordert, 'daß die von ihm grundsätzlich begrüßte und für richtig gehaltene Liberalisierung und Überführung des Sozialwohnungsbestandes in die Marktwirtschaft unter Aufhebung der Preis- und Belegungsbindungen nicht - ich zitiere wörtlich - „mit weltanschaulichem Tiefgang und nicht mit demagogischen Argumenten behandelt, sondern im Lauf der kommenden Jahre sachlich durchdacht, durchdebattiert und weiter überlegt werden muß". So wörtlich der Bundeskanzler.
({3})
Im Interesse sachgerechter Lösungen hat er weiter sogar wörtlich darum gebeten, diese Debatte „ohne Vorurteile, ohne Ideologie" zu führen. Ich kann diese Äußerung des Bundeskanzlers nur unterstreichen. Denn die jüngste Entwicklung der Diskussion dieser Frage gibt mir leider zu der Befürchtung Anlaß, daß der Appell des Bundeskanzlers wieder einDr. Schneider
mal vor allem in seiner eigenen Partei ungehört verhallt.
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Mir liegt daher daran, hier klarzustellen, daß niemand in der CDU und in der CSU einem Ausverkauf von Sozialwohnungen das Wort redet und daß Behauptungen dieser Art nichts als bösartige und verleumderische Unterstellungen sind.
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Mir liegt weiter daran, klarzustellen, daß auch die CDU/CSU-Fraktion spekulative Entwicklungen im Gebrauchtwohnungsmarkt zu Lasten der Mieter bedauert. Das eigentliche Problem scheint mir jedoch vor allem darin zu liegen, daß die Mieter häufig nicht hinreichend ihre Rechtspositionen kennen und ihre Unwissenheit bzw. Gutgläubigkeit ausgenutzt wird. Die Mieterzeitung des Deutschen Mieterbundes vom 1. Oktober 1978 bringt diesen Sachverhalt auf die treffende Formel: „Mieter haben mehr Rechte, als sie wissen."
CDU und CSU messen dem sozialen Wohnungsbau eine ungeschmälerte Bedeutung auch noch weiterhin bei.
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- Den Biedenkopf muß man richtig zitieren und richtig verstehen.
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- Was ich jetzt sage, ist die richtige Interpretation des Herrn Professors.
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Die vielfältigen, für die Lebensfähigkeit unserer Städte und Gemeinden notwendigen Aufgaben der Erhaltung und Erneuerung des Innenbereichs unserer Städte lassen sich ohne ergänzende Maßnahmen der Wohnungspolitik nicht bewältigen. Wie auch die jüngste Entwicklung der Baukonjunktur gezeigt hat, ist jedenfalls unter Fachpolitikern unbestritten, daß die öffentliche Wohnungsbauförderung weiterhin notwendig ist, um die Verstetigung des Wohnungsbaues sicherzustellen, die Wohnraumversorgung aufrechtzuerhalten und die Eigentumsbildung im Wohnungsbau zu fördern.
Eine andere - jetzt komme ich auf Biedenkopf zu sprechen -, hier nicht weiter zu vertiefende Frage ist freilich, wie die öffentliche Wohnungsbauförderung wirkungsvoller und effizienter gestaltet werden kann.
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Das war die Absicht des Herrn Professors Biedenkopf.
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Der soziale Wohnungsbau wird freilich heute in der Bevölkerung weitgehend - nicht zu Unrecht - mit negativen Assoziationen verbunden, weil er in vielfacher Hinsicht nicht mehr dieses Etikett verdient. Seine strukturellen Fehlentwicklungen, Verkrustungen und Verwerfungen - ich nenne hier nur
die Stichworte: Fehlsubventionierung, Mietpreisverzerrung, subventionsbedingter Mietanstieg - sind in der Tat ein Ärgernis, das endlich mit marktgerechten und marktkonformen Lösungen angegangen werden muß.
Es hieße, den Teufel mit Belzebub austreiben zu wollen, wollte man versuchen, diese Fehlentwicklungen, die doch die Folge der starren administrativen und gesetzlichen Reglementierungen sind, mit weiteren dirigistischen und bürokratischen Maßnahmen beseitigen zu wollen. Es hat sich doch gezeigt, daß das Fehlsubventionierungsproblem mit administrativen Maßnahmen nicht lösbar ist, weil die Kosten dafür bei weitem das Ausmaß der Fehlsubventionierung übersteigen würden. Der Ansatz kann hier nur der Markt, das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft sein.
Auch von da gesehen ist also die mit dem Wohnungsbauänderungsgesetz 1978 eingeleitete Liberalisierung des sozialen Wohnungsbestands ein Schritt in die richtige Richtung. Eine marktorientierte Lösung kann aber nur bedeuten, daß Bindungen und Reglementierungen dort entfallen müssen, wo sie entbehrlich sind, weil sie angesichts der Marktverhältnisse jeglichen Sinn und jegliche Bedeutung verloren haben.
CDU und CSU legen Wert darauf, daß die Gesetzesvorlage im Ausschuß so schnell wie möglich beraten und zum Abschluß gebracht wird. Selbstverständlich sind zu den Beratungen die Sachverständigen der Bundesländer zuzuziehen und die beteiligten und betroffenen Organisationen und Verbände anzuhören. Dabei gibt es in den Ausschußberatungen noch einige Probleme, und Schwerpunkte der Vorlage zu klären, die hier nur kurz angerissen werden können:
Erstens. Es soll in den Bedarfsschwerpunkten grundsätzlich an den Bindungen festgehalten werden. Die Bundesregierung hat es bisher vermieden, zu dieser Kernfrage des Gesetzes konkret Stellung zu nehmen. Auch wenn die Länder die Verordnung erlassen sollten, muß sich die Bundesregierung hier präzise äußern. Manche Verlautbarungen aus der SPD lassen den Schluß zu, daß viele es wohl am liebsten sähen, wenn das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu einem Bedarfsschwerpunkt erklärt würde. Es besteht hier in der Tat die Gefahr, daß, wie auch die Praxis des § 5 a des Wohnungsbindungsgesetzes zeigt, das Gesetz im Ergebnis nur noch auf dem flachen Lande gilt, wo die Bedeutung der Wohnungsbindung ohnedies gleich Null ist.
({11})
Zweitens. Wir sind weiter der Auffassung, daß die Nachwirkungsfrist - darüber muß jedenfalls ernsthaft diskutiert werden - generell wieder von zehn auf fünf Jahre verkürzt werden muß und daß im Interesse einer Erhöhung des Mobilisieungsund Liberalisierungseffekts die Verzinsung für die zur vorzeitigen Ablösung eingesetzten Mittel während der Nachwirkungsfrist auf den marktüblichen Zinssatz für erste Hypotheken angehoben werden muß.
Drittens. Im Zusammenhang damit ist der Vorschlag zu § 18 a zu sehen, den Landesregierungen zur Entzerrung des Mietengefüges die Möglichkeit einzuräumen, daß sie über die Einbeziehung weiterer Förderungsjahrgänge in die Zinsanhebung bis zu
4 v. H. nach den jeweiligen Gegegebenheiten des Landes selbst entscheiden können.
Die Bundesregierung hat gegen diese Regelung erhebliche Einwendungen erhoben, obwohl die Mietenentzerrungskommission bekanntlich vorgeschlagen hat, eine Zinsanhebung auf 6 v. H. zu ermöglichen. Die CDU/CSU-Fraktion sieht in der Lösung der Mietentzerrungsproblematik den zweiten Sçhwerpunkt dieser Gesetzesvorlage und fordert hier wirksame und spürbare Maßnahmen.
Viertens. Wir sind weiter der Auffassung, daß ein Bonus für die vorzeitige Rückzahlung von öffentlichen Baudarlehen auch für den Mietwohnungsbau zu gewähren ist.
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Fünftens. Die "Grenze der Kleindarlehen, deren Rückzahlung zum sofortigen Wegfall der Bindung führt, ist entsprechend dem ursprünglichen Vorschlag von Nordrhein-Westfalen auf mindestens
5 000 DM, besser noch auf 10 000 DM anzuheben.
Sechstens. Es ist in jedem Falle zu gewährleisten, daß die durch Umwandlung von Sozialmietwohnungen entstandenen Eigentumswohnungen für den Fall einer Rückzahlung der öffentlichen Mittel in vollem Umfang den sogenannten „geborenen", d. h., von Anfang an als Eigentumswohnungen geförderten Wohnungen gleichgestellt werden.
Meine Damen und Herren, ich muß sagen: Die Opposition steht hier mit ihrer Auffassung keineswegs allein. Die Neue Heimat, der Herr Vietor, die Bausparkasse Wüstenrot mit ihren Erhebungen, sogar der Mieterbund und der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben in diesem Zusammenhang erfreuliche zustimmende Überlegungen angestellt.
Die Bundesregierung hat hier eine besondere Gelegenheit, ihre Eigentumsfreundlichkeit zu beweisen. Sie, sehr verehrter Herr Bundesminister Haack, können hier der Winkelried sein, der die roten Speere auf seine Brust lenkt, um sie zu spalten, um der Freiheit in der Wohnungswirtschaft eine Gasse zu schlagen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verfüge nicht über die poetische Begabung meines verehrten Herrn Ausschußvorsitzenden. Lassen Sie mich deswegen in der ersten Lesung in aller Nüchternheit ein paar Feststellungen treffen, sehr allgemeiner Art selbstverständlich; denn ich will der Einzelberatung nicht vorgreifen.
Erstens. In den letzten Monaten mehren sich in Hamburg und anderen Ballungsgebieten, aber auch in Klein- und Mittelstädten Beispiele dafür, wie ein gutes Ziel, nämlich Eigentum für breite Schichten der Bevölkerung zu. schaffen - das ist unter uns ja nicht umstritten -, skrupellos zum Geschäftemachen ausgenutzt wird.
({0})
Wir sind der Auffassung, daß wir die Gelegenheit dieser Gesetzesberatung ergreifen sollten, dem Handwerk dieser skrupellosen Geschäftemacher ein Ende zu bereiten.
({1})
Wir werden also zu überlegen haben, nicht nur, wo möglich, zu liberalisieren, sondern da, wo nötig, auch den Mieterschutz zu verschärfen; denn, verehrter Herr Kollege Schneider, es ist zwar richtig, daß viele Mieter ungenügend über ihre Rechte Bescheid wissen. Es ist auch richtig, daß sich manche, insbesondere ältere Mieter, scheuen, ihre Rechte voll auszuschöpfen, wenn sie sie kennen. Es ist aber auch richtig - ich bin bereit, Ihnen dafür so viele Beispiele auf den Tisch zu legen, daß Sie an Ihrem Tisch nicht mehr arbeiten können -, daß die Mieter ihre Rechte genau kennen und trotzdem gegen diese Spekulanten nicht ankommen. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, dem einen Riegel vorzuschieben; denn da wird ein gutes Ziel pervertiert.
({2})
- Das ist das Thema, und wir werden Ihnen in den Ausschußberatungen ein paar Beispiele servieren. Wir hoffen da auf Ihre Unterstützung.
Zweitens. Wir verkennen andererseits nicht, daß die Lage auf dem Wohnungsmarkt in den verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik sehr unterschiedlich ist, und halten deshalb eine Liberalisierung nicht grundsätzlich für falsch. Wir wollen allerdings sicherstellen - auch da habe ich ja Übereinstimmung festgestellt -, daß nur dort soziale Mietwohnungen aus der. Bindung erleichtert entlassen werden, wo sie nachweislich auch in den nächsten Jahren nicht mehr zur Deckung des Bedarfs benötigt werden. Sie haben gesagt: wo sie entbehrlich sind. Im Ausschuß werden wir vielleicht auch einmal darüber reden müssen, wie wir diesen Bedarf noch etwas genauer definieren, als das heute zum Teil gemacht wird. Wir sagen auch: Wir wollen bei dieser Überprüfung das Mitwirkungsrecht der Gemeinden stärken. Auch da hoffe ich auf allseitigen Beifall aus dem Hause.
Drittens. Wir wissen von Herrn Minister Hirsch, der die Einbringungsrede gehalten hat, durch Schreiben an die Fraktionen dieses Hauses, daß er
- und seine Landesregierung - diesem Gesetzentwurf eine besondere Bedeutung beimißt und uns deshalb um zügige Beratung bittet. Wir werden uns dem nicht verschließen.
({3})
- Die hämischen Bemerkungen, Herr Kollege Jahn, von denen ich in der Zwischenzeit schon ein paar
aufgeschnappt habe, ersparen Sie sich ruhig; denn ich muß Sie darauf hinweisen, daß sich mit dem 1. Januar 1978 durch die Erweiterung des § 7 b eine neue Sachlage ergeben hat. Genau die Fälle, die ich unter Punkt 1 meiner Bemerkungen genannt habe, nämlich solche Spekulationen, sind damit ausgelöst worden. Wenn wir schon darangehen, ein Gesetz zu novellieren, sollten wir die Gelegenheit nehmen, aus solchen Erfahrungen möglichst viel zu lernen. Genau deshalb haben wir darum gebeten - und ja auch Ihre Zustimmung dazu bekommen -, erst nach der Sommerpause, mit drei Monaten zusätzlichem Erfahrungshorizont, in die Beratungen einzusteigen. Insofern begrüßen wir es auch, daß sich die Bundesregierung zu dem eigentlichen Kernpunkt des Ganzen, nämlich zu § 16, noch weitere Stellungnahmen vorbehalten hat.
({4})
Zügigkeit darf nach unserer Meinung Gründlichkeit nicht ausschließen.
({5})
Wir fordern ein Hearing mit den beteiligten und interessierten Vereinen, Verbänden und Interessenvertretungen, um einen praktikablen und bedarfsgerechten Gesetzentwurf zustande zu bringen.
Viertens. Am Anfang unserer Bemühungen im Ausschuß wird es notwendig sein, die Ziele der Gesetzesänderung etwas genauer festzulegen, als das bis heute der Fall ist. Sie sind meines Erachtens - ohne daß ich das im einzelnen ausführen will - zum Teil ungenügend und zum Teil einseitig aus der Sicht der Vermieter abgeleitet. In der Zielsetzung spricht der Gesetzentwurf davon - und jetzt wörtlich -, es sei auf Grund der gegenwärtigen wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse notwendig, die Bindungen für öffentlich geförderte Wohnungen aufzulockern. Für diese Notwendigkeit wird nirgendwo ein Beweis angetreten. Es mag wünschenswert sein - darüber können wir uns gern unterhalten -, dann darf aber das Wünschenswerte nicht einseitig aus der Sicht der Vermieter betrachtet werden, sondern bedarf eines sozial verträglichen Interessenausgleichs mit den Mietern. Dies sollte eine unserer Leitlinien bei der Beratung des Gesetzentwurfs sein.
Fünfte Bemerkung: Wir werden Auswirkungen einer Gesetzesänderung nach allen Seiten .zu bewerten haben. Für Sozialdemokraten ist es dabei selbstverständlich, daß sie bei Zielkonflikten auf der Seite der Schwächeren - und das sind in diesem Fall die Mieter mit geringem Einkommen - stehen;
({6})
bei Zielkonflikten, sage ich.
Ich muß deshalb darauf hinweisen - und bitte auch, meine Eingangsbemerkung da nicht falsch zu verstehen -, daß wir nicht nur auf die Probleme eines erleichterten Verkaufs von Sozialwohnungen starren sollten. Die vorzeitige Aufhebung der Bindungsfrist würde nämlich auch ohne Umwandlung - aus den Begründungen geht hervor, daß das auch so intendiert ist - Mieterhöhungen zur Folge haben und damit nicht nur .den in dem Einzelfall betroffenen Mieter unter Umständen überfordern, oder aber über die Mehrbelastungen auf erhöhtes Wohngeld durchschlagen. Vielmehr kann auch indirekt auf Grund der Wirkungen des Systems der Vergleichsmiete das gesamte Mietengefüge nach oben gedrückt werden. Dies ist in der Region sehr aufmerksam zu beobachten, zu bewerten und gegebenenfalls auch zu verhindern.
Lassen Sie mich nur noch auf einen Punkt hinweisen, der für das weitere Verfahren wichtig erscheint, damit nachher kein Schlaukopf kommt und sagt: Jetzt ist euch wieder ein Trick eingefallen, die ganze Geschichte zu verzögern. Wir haben gemeinsam - das kam aus der Mitte des Ausschusses - beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern - ich hoffe, sie arbeitet eifrig daran -, Vorschläge für eine Systemumstellung bei § 7 b vorzulegen. Ich habe vorhin schon in anderem Zusammenhang darauf verwiesen, daß es hier Wirkungszusammenhänge mit einem Teil der Probleme gibt, die ich beleuchtet habe. Wir werden diese Vorschläge zu bewerten und in Übereinstimmung mit den Zielen dieses Gesetzes zu bringen haben.
Und last not least: Die Gemeinden ihrerseits - meine Damen und Herren von der Opposition, Sie führen die Gemeinden ja nun ständig im Munde, weil Sie meinen, der Bundesregierung anhängen zu sollen, zuviel ex cathedra zu regieren - könnten ohne längerfristige Überschaubarkeit des verfügbaren Sozialwohnungsbestandes ihre Sozialstrukturpolitik nicht mehr zuverlässig planen. Daran aber kann wohl in diesem Hause niemand ein Interesse haben.
Lassen Sie mich nun, bevor ich zum Schluß komme ,- ich sehe gerade, ich habe noch anderthalb Minuten Zeit -,
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auf ein paar Zwischenrufe eingehen. Ich habe bei den Damen und Herren der Opposition schon ein gewisses hämisches Vergnügen bemerkt, weil sie dachten: aha, jetzt geht es los; entweder können wir die FDP auf die SPD hetzen 'oder umgekehrt, und wir spielen dann wieder einmal das lächelnde Weltkind in der Mitten. Diese Schau werden wir Ihnen nicht bieten. Im Gegenteil, wir werden Sie einmal mit ein paar Kronzeugen aus den eigenen Reihen konfrontieren.
Da will ich noch einmal auf den Herrn Biedenkopf zurückkommen, d e n ordnungspolitischen Sprecher - Herr Schneider, wenn ich Ihnen das als Tip sagen darf -, der hier in der Haushaltsdebatte soviel wirtschaftspolitischen Qualm verbreitet und nur einen einzigen konkreten Vorschlag gemacht hat. Und der geht ausgerechnet auf den sozialen Wohnungsbau! Das finde ich schon sehr bemerkenswert. Dabei sollte er vielleicht wissen, daß sozialer Wohnungsbau nicht nur Förderung von sozialem Mietwohnungsbau ist. Sollte er vielleicht die Abschaffung der Grunderwerbsteuerbegünstigung mit ihren Gießkannenwirkungen oder die Systemstellung bei § 7 b gemeint haben, die ja eben gerade nicht diese Zielgerichtetheit auf soziale Gruppen hat, wie Herr Biedenkopf sie hier gefordert hat, sondern nach dem
Gießkannenprinzip in der Weise wirkt, daß derjenige die meisten Tropfen abkriegt, der am dicksten ist? Wenn er das abschaffen will, werden Sie uns an Ihrer Seite finden.
Ich fasse zusammen: Ja zu flexiblen Regelungen, orientiert an der Praxis und am regionalen Bedarf. Ja zu dem Ziel, insbesondere einkommensschwächeren jüngeren Familien die Bildung von Wohneigenturn zu erleichtern. Nein zu Spekulationsgewinnen auf Kosten der derzeitigen Sozialmieter und - das füge ich hinzu - leichtgläubiger Käufer; denn die gibt es auch. Nein zur ziellosen Verringerung des Bestandes gerade qualitativ guter und preisgünstiger Wohnungen aus den 50er und 60er Jahren. Herr Präsident, der letzte Satz: Wenn wir uns über diese Grundsätze einig sind, werden wir eine konstruktive Debatte im Ausschuß haben. Wer gegen diese Grundsätze ist, sollte es hier und heute sagen, damit die Wähler auch in Hessen und Bayern noch rechtzeitig erfahren, wer in diesem Hause wessen Interessen vertritt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Zielsetzungen des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Wohnungsbauänderungsgesetzes 1978, das von einem sozialliberal regierten Land, Nordrhein-Westfalen, initiiert worden ist, nämlich vorsichtige Lockerung von Bindungswirkungen im Sozialwohnungsbestand, bessere Möglichkeiten für die Länder zur Entzerrung des Kostenmietgefüges, aber auch Entlastung und Vereinfachung bei der Verwaltung des Sozialwohnungsbestandes durch die Gemeinden, werden von meiner Fraktion gutgeheißen. Das bedingt unsere. volle Aufgeschlossenheit bei den Gesetzesberatungen zu den Einzelregelungen, mit denen dieser Zielsetzung Genüge getan werden soll.
Meine Damen und Herren, die Marktstrukturen unseres zweigeteilten Mietwohnungsmarktes müssen uns besorgt machen, denn die Kostenmietentwicklung im sozialen Wohnungsbau zeigt die Grenzen staatlicher Förderungsmöglichkeiten allzu deutlich. Die Zurückhaltung privater Investoren im freien Mietwohnungsmarkt, die wir mit Beginn des kommenden Jahres auf der Grundlage des Berichtes der Bundesregierung über die Auswirkungen des 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetzes werden diskutieren müssen, verstärken die Besorgnis, daß der Zu- und Ersatzbau von Mietwohnungen für den Bedarf der kommenden Jahre mindestens in bestimmten Regionen nicht ausreichen wird. Die bewährte Eigentumspolitik dieser Regierung, aber auch früherer Regierungen, und der ungebrochene Eigentumserwerbswille unserer Wohnbevölkerung relativieren dieses Problem, sie lösen es aber nicht.
Die mittel- und langfristige Lösungskonzeption der Liberalen lautet in Stichworten: verstärkte Fortsetzung der Eigentumspolitik, behutsame, schrittweise
Liberalisierung des sozialen Mietwohnungsmarktes bei gleichzeitiger Verbesserung der Möglichkeiten einer unbürokratischen, ertragsgerechten Bewirtschaftung des freien Wohnungsbestandes, schrittweise Begrenzung der Objektförderung auf Wohnungen für wirkliche Problemgruppen bei gleichzeitigem Ausbau der Subjektförderung für die angemessene Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung durch einen freien Wohnungsmarkt.
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- Herr Kollege Dr. Jahn, dies verwirklichen wir auch mit unserem sozialdemokratischen Koalitionspartner. Wir machen dies nämlich sehr vorsichtig und in Schritten, die 'sozial vertretbar sind.
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Meine Damen und Herren, für diese Konzeption bietet der vorliegende Gesetzentwurf Ansatzpunkte, wobei es den Ausschußberatungen vorbehalten bleiben muß, abschließend zu beurteilen, ob die einzelnen Vorschläge in ihrer konkreten Ausgestaltung der richtige Weg für den Einstieg in das als wünschenswert Aufgezeigte sind.
Es sei angemerkt, daß der beste Zeitpunkt für den Einstieg in den Versuch vorsichtiger Marktstrukturveränderungen derjenige eines ausgeglichenen Marktes ist. Einen solchen mindestens global ausgeglichenen Wohnungsmarkt haben wir seit 1976. Nur bei einer solchen Angebotssituation sind sozial unvertretbare negative Auswirkungen für die Mieter und insbesondere - ich betone das - auch für die Wohnungsuchenden vermeidbar. Soweit deshalb zur Zeit auf bestimmten Teilmärkten - ich erinnere an Hamburg oder München - Wohnungsunterversorgung in einem gewissen Umfang vorhanden ist, bietet dieser Gesetzentwurf über die Ermächtigungsvorschrift des § 5 a den Ländern die Möglichkeit, den vorsichtigen Liberalisierungsprozeß auszusetzen.
Im übrigen - das ist zu betonen - bietet unser soziales Mietrecht ohnehin einen hervorragenden Schutz gegen Verdrängung und Übervorteilung der Mieter, wenn die Mieter ihre Rechte nur wahrnehmen. Es ist jedenfalls ein Irrglaube, daß mit einer weiteren Stärkung von Mieterschutzrechten bei korrespondierenden Eigentumsbeschränkungen Spekulationsgeschäften einzelner gewissenloser Geschäftemacher mit der Unwissenheit und der Verunsicherung einiger, besonders älterer Mieter begegnet werden könnte. Dies muß wirksamer und besser geschehen durch Aufklärung, durch wirksamen Rechtsschutz und - lassen Sie mich auch das sagen - durch ein wachsameres Auge unserer Strafverfolgungsbehörden.
({2})
Die angestrebte schrittweise Liberalisierung ist nicht nur ein Problem der offiziellen Zweiteilung des Marktes nach Markt- und Kostengesichtspunkten, es ist mindestens ebenso sehr ein Problem der In-sich-Verzerrung des Kostenmietmarktes selbst,
die durch die Stichworte Mietverzerrung und Fehlbelegung gekennzeichnet ist.
Zur Milderung des Mietverzerrungsproblems enthält der vorliegende Entwurf die Ermächtigung für die Länder zu Zinsanpassungen. Für das Problem der Fehlbewegung enthält der Entwurf keine administrativen Lösungsansätze. Es gibt nach unserer Auffassung auch keine administrativen Lösungsansätze mit vertretbarem Verwaltungsaufwand. Eine grundsätzliche Problemlösung ist nur durch langsame Überführung von Sozialwohnungen in den freien Markt möglich, sei es durch Verkauf, sei es durch Freistellung von der Bindung.
Hier soll nun ein erster, sehr vorsichtiger Schritt getan werden, der uns allen Erkenntnisse vermitteln wird. Dabei muß für jeden von uns der Schutz des Mieters natürlich ein Anliegen mit Priorität sein. Dem ist im vorliegenden Gesetzentwurf damit Genüge getan, daß der Wegfall der Bindungswirkungen trotz Rückzahlung der öffentlichen Mittel bei bestehenden Mietverhältnissen vorzeitig eben nicht stattfindet.
Wir prüfen zur Zeit, ob wir die Gesetzesberatungen dadurch bereichern können, daß wir vorschlagen, die Nachbindungswirkungen bei vorzeitiger Rückzahlung auch dann entfallen zu lassen, wenn der Mieter einer solchen Wohnung auf Grund seiner Einkommenssituation überhaupt nicht mehr berechtigt ist, in einer Sozialwohnung zu wohnen. Hier - dies muß allerdings gesagt werden - sind noch technische und vor allen Dingen auch verfassungsrechtliche Prüfungen notwendig, ob wir einen solchen Änderungsvorschlag in das Gesetzgebungsverfahren einbringen können.
Soweit die Gesetzesinitiative zugleich - zugegebenermaßen in bescheidenem Umfange - Verwaltungsentlastung und Verwaltungsvereinfachung beinhaltet, brauche ich eigentlich nicht zu betonen, daß solche Gesetzeswirkungen unsere volle Unterstützung finden.
Lassen Sie mich abschließend dies sagen. Die Beratungen dieses Gesetzentwurfes werden nicht einfach sein. Sie kennen aus der öffentlichen Diskussion und auch aus den Worten unseres Kollegen Paterna die beachtenswerte Besorgnis, daß durch die Lockerung der Bindungswirkungen und die damit erzielte größere Verfügungsberechtigung des Eigentümers über Sozialwohnungen gerade gute und preiswerte Sozialwohnungen früher Förderjahrgänge für die einkommensschwachen Bevölkerungsteile verloren gingen. Sie kennen das Argument, daß von der Ausdehnung des Abschreibungsparagraphen 7 b auf Bestandswohnungen und von der damit einhergehenden Grunderwerbsteuerbefreiungsmöglichkeit bei Eigennutzung bereits Anreize zur Mobilisierung des Sozialwohnungsbestandes ausgegangen sind, die hier möglicherweise noch verstärkt werden könnten. Wir werden uns im Ausschuß mit diesem Argument sehr, sehr sorgfältig auseinandersetzen müssen. Dies wird nicht gehen ohne eine intensive Anhörung aller von diesen Fragen Betroffenen, der Wohnungswirtschaft, der Verbände der Mieter und der Verbände der Haus- und
Grundeigentümer. Erst nach einer solchen Anhörung, mit der wir uns hoffentlich fachkundiger machen können, wird die FDP-Fraktion ihre abschließende Meinungsbildung vornehmen.
({3})
Das Wort hat Herr Bundesminister Haack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zunächst ausdrücklich zustimmen, Herr Kollege Schneider, daß die Wahrheit in der Mitte liegt. Deshalb halte ich ja die Sitzordnung in diesem Parlament für längst überholt.
({0})
Die Bundesregierung möchte sich bei der ersten Lesung hier nicht im einzelnen äußern. Der Herr Kollege Hirsch hat sich zu diesem Bundesratsentwurf geäußert. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur unterstreichen, wie wir es schon in der schriftlichen Gegenäußerung getan haben, daß wir diesem Gesetzentwurf vom Grundsatz her zustimmen, weil wichtige Inhalte in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, die versuchen, Strukturproblemen, die wir im sozialen Wohnungsbau haben, gerecht zu werden. Ich erinnere gerade an die Entzerrung des Mietengefüges auch durch gewisse Zinsanhebungen.
Herr Kollege Schneider hat vorhin gesagt, der Bundeskanzler habe in seiner Rede vor dem Deutschen Mietertag in Hamburg davon gesprochen, daß wir diese Probleme ohne Vorurteile und ohne Ideologie angehen müßten. Das ist genau richtig, Herr Kollege Schneider. An dieser Linie orientiert sich auch die Gegenäußerung der Bundesregierung, auch dort, wo wir sagen, daß es in Gebieten mit einem erhöhten Wohnungsbedarf nicht zu einer Liberalisierung kommen darf. Wir sind nicht gegen die Liberalisierung aus ideologischen Gründen, wir sind nicht für eine generelle Liberalisierung aus ideologischen Gründen, sondern wir versuchen, einen vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf zu unterstützen, der in jedem Einzelfall prüft, ob wir uns an den Interessen der Bürger orientieren. Das ist die Aufgabe der Wohnungsbau- und der Städtebaupolitik, sich an den Interessen der betroffenen Bürger zu orientieren. Gleichzeitig - und da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Hirsch - muß dazu beigetragen werden, daß wir unsere Gesetze für den Bürger einfacher, klarer und durchsichtiger machen. Soweit wir in der Gegenäußerung noch nicht konkret Stellung genommen haben, werden wir dies im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nachholen. Wir gehen davon aus, daß wir im Rahmen der Beratung dieses Gesetzentwurfes im zuständigen Ausschuß eine allgemeine Diskussion über Grundprobleme der Förderung im sozialen Wohnungsbau haben werden, und zwar Grundprobleme der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus in der Zukunft, die über diesen Gesetzentwurf hinausgehen.
Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf und behalten uns Stellungnahmen im einzelnen vor. Wir begrüßen
auch die Möglichkeit einer intensiven Diskussion über anstehende Probleme des sozialen Wohnungsbaus.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Wohnungsbauminister hat hier kundgetan: Wir sind nicht gegen die Liberalisierung. Wir halten ihm entgegen: Er tut nichts für die Liberalisierung. Das ist der entscheidende Unterschied.
({0})
Herr Wohnungsbauminister - und das ist etwas für Feinschmecker -, wie sehr Sie als Bundesregierung im Laufe des Verfahrens Ihre Meinung zu diesem Gesetzentwurf ändern mußten, ist keine klare überzeugende Darstellung für mehr Marktwirtschaft im Wohnungsbau. Dies müssen wir Ihnen heute bei der Einbringung entgegenhalten.
Die Einbringung selbst, Herr Innenminister, erfolgte nicht im Hirschsprung, sondern im Schneckentempo. Dafür sind nicht wir verantwortlich, sondern 'die SPD-Fraktion, die es allerdings mit Unterstützung Ihrer Freunde geduldet hat, daß die Einbringungsrede zu diesem Gesetzentwurf erst heute gehalten werden konnte.
({1})
Herr Wohnungsbauminister, Sie haben wiederholt die Probleme der Fehlsubventionierung angesprochen. Sie haben gesagt, die Bundesregierung wolle dafür keine Abgaben erheben, sie wolle dieses Problem nicht aufgreifen. Wir stimmen Ihnen in diesem Punkte zu. Sie dürfen dann aber nicht auf halbem Wege stehenbleiben, sondern müssen schon den Schritt zu mehr Marktwirtschaft wagen. Wir müssen Ihnen wieder einmal entgegenhalten, daß Sie sich am Anfang draußen - ich könnte Ihnen die Presseerklärung vorlesen - vollinhaltlich auf die Linie des Gesetzentwurfes gestellt haben. Nach und nach sind Sie dann zu einer Stellungnahme gekommen, die wir nur überschreiben können: Der Wohnungsbauminister auf dem Rückmarsch!
Ich weiß, daß Sie - und ich will dieses Zitat bringen - im Wohnungsbauausschuß des Bundesrates zu dieser Gesetzesnovelle viel wohlwollender Stellung bezogen haben. Ich nehme an, daß das auch Ihre persönliche Meinung ist. Wir müssen Sie aber an dem messen, was Sie im Kabinett und gegen die Ideologen in Ihrer Fraktion durchzusetzen in der Lage sind.
Was die Konsequenzen in Richtung auf mehr Marktwirtschaft angeht, so taucht zunächst die Frage auf: Warum nicht mehr Privatisierung? Sie reisen durch die Lande und verkünden das Loblied der Privatisierung. Wenn es zum Schwure kommt, dann gibt es keine Unterstützung für das Vorhaben, finanzielle Anreize zur Privatisierung zu geben. Sie sind willens - und wir werden bald die Debatte
darüber haben -, hier unseren Antrag für mehr privates Eigentum in Händen vieler abzulehnen. Das ist die Wahrheit und nicht das, was Sie draußen im Lande verkünden.
({2})
Wenn Sie hier so zum privaten Eigentum, das hier eine große Rolle spielt, Stellung nehmen, Herr Bundesbauminister, dann müssen wir Ihnen das entgegenhalten, was Sie auf Kongressen Ihrer Partei zum privaten Eigentum gesagt haben. Dies ist letztlich geeignet darauf hinzuweisen, daß man sich wegen der Mehrheitsverhältnisse darauf einstellen muß, diese Forderung ordnungspolitisch aber nicht abgedeckt ist.
Wir haben die große Bitte an Sie, daß das, was Sie in der Öffentlichkeit zu diesen Themen sagen, kongruent mit dem bleibt, was in Ihrer eigenen Fraktion durchsetzbar ist. Ich denke daran, daß Sie sich allein gestern zu vier Punkten Ihrer familienpolitischen Vorstellungen, die Sie draußen verkündet haben, abfragen lassen mußten, ob sie finanziell abgesichert seien, und daß Ihr Referent viermal sagen mußte: Alles ist finanziell nicht abgesichert.
Wir bitten Sie von dieser Stelle aus noch einmal darum, daß Ihre Erklärungen in der Öffentlichkeit mit dem identisch sind, was Ihre Fraktion und die Regierung im Plenum des Deutschen Bundestages auch durchhalten können. Hier gibt es einen zur Zeit nicht überbrückbaren Widerspruch.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Herr Wohnungsbauminister,
({0})
wir wollen mehr Klarheit und nicht einen Zwiespalt, den man überschreiben kann mit „Wohnungsbauminister Haack - Dichtung und Wahrheit".
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs des Bundesrates auf Drucksache 8/1769 an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vor. Ist das Haus damit einverstanden?
Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Pack, Dr. Dollinger, Dr. Jahn ({0}), Dr. Schneider, Dr. Möller, Sauter ({1}), Sick, Dr. Ritz, Dr. Waffenschmidt, Nordlohne, Francke ({2}), Kolb, Niegel, Eymer ({3}), Dr. van Aerssen, Dr. Freiherr Spies
Vizepräsident Stücklen
von Büllesheim, Burger, Dr. Warnke, Dr. George, Schedl, Dr. Unland, Frau Hoffmann ({4}), Milz, Dr. Jobst, Feinendegen, Geisenhofer, Biehle, Neuhaus, Müller ({5}),
Susset und der Fraktion der CDU/CSU Raumordnung
- Drucksache 8/1656 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau N ({6})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat Frau Abgeordnete Pack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren! Mein Kollege Dr. Jahn hat die letzte Raumordnungsdebatte in diesem Hause vor mehr als zwei Jahren mit folgender Feststellung eröffnet:
Die Raumordnungspolitik dieser Regierung tritt
auf der Stelle. Sie gleicht dem Versuch einer
Schildkröte, sich im Stabhochsprung zu üben.
({0}) Diese Feststellung gilt heute erst recht.
Seit der Vorlage des Raumordnungsberichts 1974 und der Verabschiedung des Raumordnungsprogramms im gleichen Jahr ist in der Raumordnungspolitik praktisch nichts mehr geschehen. Die wesentlichste Aussage der Regierung zur Verabschiedung des Raumordnungsprogramms war, nun müsse das Programm fortgeschrieben werden. Sie haben damit selbst das Raumordnungsprogramm als Handlungsgrundlage entwertet. Sie haben die Raumordnungsabteilung im zuständigen Ministerium aufgelöst.
Ihr Unvermögen, in der Raumordnungspolitik noch etwas zu bewirken, haben Sie offenbart, als sie die Berichtspflicht über die Entwicklung der Raumordnung von zwei auf vier Jahre ausgedehnt haben.
({1})
Sie haben damit völlig verkannt, daß von der Erarbeitung und der parlamentarischen Diskussion des Raumordnungsberichts jeweils wesentliche Impulse ausgegangen sind.
Sie haben auch die Chance verstreichen lassen, aus den Aussagen der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel neue Impulse für die Raumordnungspolitik werden zu lassen.
Die Anfragen meiner Fraktion zu diesem Themenbereich haben Sie flüchtig und mit der linken Hand beantwortet.
Dieser Stillstand in der Raumordnungspolitik ist um so bedauerlicher, als das geringe Wachstum der letzten Jahre die Möglichkeiten für eine raumordnungspolitische Gestaltung verringert hat, die raumordnungspolitischen Probleme zugenommen und sich verschärft haben und von daher eine Aktivierung der Raumordnungspolitik dringend geboten wäre.
({2})
Von dieser Bestandsaufnahme ausgehend, hat meine Fraktion im März dieses Jahres den vorliegenden Antrag eingebracht. Unser Ziel ist es, mit diesem Antrag neue Impulse in die Raumordnungspolitik zu bringen.
Ich habe vor wenigen Tagen eine Rede des Ministers Haack gelesen, in der er sich meines Wissens erstmals zu den Problemen der Raumordnung geäußert hat. Ich habe feststellen können, daß die wesentlichen Aussagen des Ministers mit denen unseres Antrags übereinstimmen. So hat er sich beispielsweise dafür ausgesprochen, die Sogwirkung der Ballungsräume zu verringern und den Abwanderungsprozeß aus den ländlichen Gebieten zu stoppen. Ich bin gespannt, meine sehr verehrten Herren von den Koalitionsfraktionen, ob Sie dieser Auffassung des Ministers widersprechen werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht in der Raumordnungspolitik von folgenden Grundsätzen aus.
Erstens. Aufgabe der Raumordnungspolitik ist es, die Ordnung und Entwicklung des Raumes am Bedarf der Bürger zu orientieren und nicht dem Bürger vorzuschreiben, was seine Bedürfnisse zu sein haben.
({3})
Sie werden vielleicht dazu sagen, daß auch Sie dem Bürger nicht vorschreiben wollen, was seine Bedürfnisse sind.
({4})
Dann aber sehen Sie doch, was in Nordrhein-Westfalen geschieht. Dort hat die SPD/FDP-Koalition einen Landesentwicklungsplan vorgelegt, in dem sehr konkret einzelne Maßstäbe für den bedarfsgerechten Ausbau der Gemeinden dargelegt werden.
({5})
So soll auf der Grundlage eines mittelfristig verfügbaren Potentials eine möglichst eindeutige Aussage über die unterschiedliche Förderungswürdigkeit der Gemeinden gemacht werden, um dann auf Grund einer näheren Bedarfsprüfung objektive Maßstäbe für deren Förderungsbedürftigkeit im einzelnen zu ermitteln. Hier werden nicht nur die Bedürfnisse der Gemeinden festgelegt, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen, die in diesen Gemeinden wohnen.
Zweitens. Trotz des Geburtenrückgangs ist auch weiterhin eine flächenabdeckende Raumordnungspolitik notwendig.
({6})
Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß die Siedlungsdichte ein bestimmtes Maß nicht unterschreitet.
({7})
Nur dann kann auf die Dauer eine bedarfsgerechte Infrastruktur vorgehalten werden.
Drittens. Dem ländlichen Raum muß eine eigenständige und nicht eine lediglich von den Ballungsgebieten abgeleitete Bedeutung beigemessen werden.
({8})
Ihre Vernachlässigung des ländlichen Raumes ist erneut in den Haushaltsberatungen deutlich geworden. Meine Fraktion hat beispielsweise im Haushaltsausschuß beantragt, nicht benötigte Zuschüsse zum Personalaufwand im Forschungs- und Entwicklungsbereich von 40 Millionen DM im Etat des Wirtschaftsministeriums für andere investive Maßnahmen, z. B. bei der regionalen Wirtschaftsförderung, zu verwenden. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen von SPD und FDP abgelehnt.
({9})
Viertens. Der Flucht aus den Stadtzentren muß . entgegengewirkt werden. Der Wohn- und Kommunikationswert der Innenstädte ist zu ,steigern, und die dort vorhandene Infrastruktur ist besser zu nutzen.
Fünftens. Raumordnungspolitik muß sicherstellen, daß der Ausbau von zentralen Orten mit der wirtschaftlichen Entwicklung im Einklang steht und die natürliche Entwicklung von Gemeinden und Gemeindeteilen nicht behindert, die nicht zentrale Orte sind.
({10})
Jede Gemeinde hat Anspruch auf den Ausbau ihrer funktionsgerechten Infrastruktur.
({11})
Sechstens. Entwicklungsschwerpunkte sind nicht nur in Verdichtungsgebieten, sondern auch in ländlichen Räumen auszuweisen und schwerpunktmäßig zu fördern.
Siebtens. Bei allen raumordnungswirksamen Maßnahmen der öffentlichen Hand muß den Erfordernissen der Problemräume mehr als bisher Rechnung getragen werden.
Meine sehr verehrten Herren der Koalition, ich würde mich freuen, wenn besonders Sie, Herr Kollege Immer, nach einigen sicherlich polemischen Pflichtübungen das Ziel unseres Antrags anerkennten, der Raumordnungspolitik neue Impulse zu geben. Sie waren in den letzten vier Jahren weder willens noch fähig, im Deutschen Bundestag einen Antrag zur Raumordnung einzubringen. Untätigkeit in der Raumordnungspolitik, Herr Kollege Immer, ist offensichtlich Ihr Programm. Aber auch hier gilt der Satz: Stillstand ist Rückschritt.
({12})
Das Wort hat der Abgeordneter Immer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Pflichtübungen sind nicht meine Sache. Ich freue mich, daß Frau Kollegin Pack eine packende Rede versucht hat, aber sie hat die Sache falsch angepackt. Das ist aber nicht ihre Schuld, weil ja die CDU/CSU sehr genau weiß, daß wir in wenigen Wochen den Bundesraumordnungsbericht hier vorlegen. Es ist keineswegs Schuld der Regierung, daß wir nur alle vier Jahre den Bericht vorlegen. Sie haben damals nicht gegen unseren Antrag, den wir von unserer Fraktion gemeinsam mit der FDP gestellt haben, gestimmt, daß wir die Berichtsflut eindämmen und auf wirklich aussagekräftige Berichte für einen größeren Zeitraum abstellen wollen.
Ich stelle fest, daß dieser Antrag eigentlich überflüssig ist, erstens weil die Bundesregierung zu den Kleinen Anfragen der Opposition ausführlich Stellung genommen und dort ihr Konzept vorgelegt hat, zweitens weil die Vorlage des Bundesraumordnungsberichts unmittelbar bevorsteht. Was sollen also der Antrag der Opposition und die vorzeitige Raumordnungsdebatte? Ich stelle erstens fest: ein Show-Antrag, um einen kleinen Entlastungsangriff für die Flächenwahlkämpfe in der nächsten Zeit *zu fahren, Zielrichtung: Verunsicherung der Bevölkerung auf dem Lande. Man sagt: Wie schlecht geht es euch, wenn ihr an die Bundesregierung oder an die Bundespolitik denkt!
({0})
Sie wollen .der sozialliberalen Koalition in diesem Hohen Hause ein fehlerhaftes Raumordnungskonzept vorwerfen, obwohl das Raumordnungsprogramm einen Kompromiß zwischen Bund und Ländern darstellt und nur deshalb so kompromißhaft ausgefallen ist, weil gerade die von Ihnen geführten Länder nicht bereit waren, weitergehende, exaktere Vorstellungen zu entwickeln.
Schließlich entwickeln Sie eine tolle Doppelstrategie: Sie machen hier in diesem Hohen Hause alles schlecht, was die Bundesregierung in ihrer Kompetenz im Bereich der Wirtschaftsförderung, der Zonenrandförderung, des Straßenbaus für den Fernverkehr macht, aber in Ihren Ländern, wo Sie die Regierung stellen und in die Wahlkämpfe gehen, loben Sie die Struktur über den grünen Klee.
Es ist der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der durch die Lande reist, um sich bekanntzumachen, und überall mit großen Pressemeldungen feststellt: keine Probleme im ländlichen Raum, wunderbare Entwicklungen, keine Wirtschaftsprobleme, geringe Arbeitslosigkeit, obwohl er genau weiß, daß etwa im nördlichen Landesteil fast 50 % der arbeitenden Bevölkerung nach Nordrhein-Westfalen pendeln müssen, um dort Arbeit und Brot zu finden, weil dort eine anständige Wirtschaftspolitik betrieben worden ist, oder nach Hessen fahren,
({1})
- Herr Kollege, schon um auszugleichen, daß die Eltern ihre Kinder nach Hessen und Nordrhein-Westfalen zur Schule schicken, weil es nach wie vor in Rheinland-Pfalz keine Lern- und Lehrmittelfreiheit gibt und keine Erstattung der Buskosten, eine Vernachlässigung der Menschen insbesondere im ländlichen Raum.
({2})
Dann möchte ich Ihnen die schwarz-weiß-rote Hauspostille zeigen, den „Rheinland-Pfalz-Report": Alles in Ordnung in Rheinland-Pfalz, und den grünImmer ({3})
blauen Agrarbrief, die Bauernfängerpostille des Herrn Kollegen hier aus dem Agrarausschuß.
({4})
- Nein, ich will Ihnen nur eine Zeile vorlesen und einmal Herrn Alfons Goppel vom August 1978 zitieren.
({5})
Da schreibt dieser verehrte Ministerpräsident:
Wenn auch noch einiges offenbleibt und wenn auch sicher immer neue Probleme auftauchen, so können wir doch voll Zuversicht und mit Stolz auf Bayern blicken,
({6})
wie es sich heute darstellt: politisch und sozial stabil, wirtschaftlich erfreulich gesund,
- und jetzt kommt's in seiner Landschaft, seiner Geschichte und seinen volkhaften Anlagen ruhend, nicht irgendein Land, sondern Heimat.
({7}) Man möchte hinzufügen: Requiescat in pace, also schlaft ruhig weiter.
({8})
Das ist Ihre Doppelstrategie, meine Damen und Herren, indem Sie sagen: in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist alles in Ordnung!, während der Bund die Hauptlast der Wirtschaftspolitik trägt. Warum ist denn in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Wirtschaft in Ordnung, wie Goppel und wie die anderen Ministerpräsidenten im Wahlkampf meinen? Weil hier vom Bund eine solide Wirtschafts- und Strukturpolitik betrieben worden ist.
({9}) Bayern meint, es sei eine Insel der Seligen.
({10})
Hätte Herr Strauß das gelesen, was sein Vorgänger in spe geschrieben hat,
({11})
dann hätte er nicht eine solche Haushaltsrede gehalten, wie er sie gehalten hat.
Frau Pack, ich wundere mich, daß gerade Sie vom Saarland, die Sie genau wissen, daß der Bund die Neustrukturierung der Stahlindustrie im Saarland mit einem Programm in der Größenordnung von mehreren Hundert Millionen DM allein auf seine Kappe nimmt
({12})
- ja, mit Beteiligung, aber wie - und das praktisch angeregt hat, hier hintreten und sagen, es sei nichts passiert. Denn das gehört zur Raumordnungspolitik, zur Erhaltung oder Verbesserung von Strukturen. Es steht Ihnen nicht zu, hiergegen zu polemisieren.
Jetzt sei noch einmal Bayern zitiert - und das geht auf die Debatte über die 10% ige Anhebung der-Investitionszulagen im Zonenrandgebiet zurück -:
Die CDU betreibt
- so sagt diese Postille eine gezielte Wirtschaftsförderung für die ländlichen Räume, während
- nun kommt's
Bonn Gießkannenförderung auf 70 % der Fläche des Bundesgebietes betreibt.
Wer hat denn eigentlich dafür gesorgt, daß die zentralen Orte und Entwicklungsschwerpunkte noch weiter ausgeweitet werden? Hat nicht Bayern um jedes Kontingent gekämpft und gemeint, wir müßten noch mehr tun? Hat nicht Bayern auch dafür gesorgt oder beantragt, daß 10 °/o nicht nur speziell für das Zonenrandgebiet zusätzlich gegeben werden, sondern daß das auf alle Fördergebiete ausgedehnt werde?
({13})
Hier ist doch eine ganz klare Doppelzüngigkeit am Werke: daß man auf der einen Seite - so Sie in Ihrem Antrag - ein flächendeckendes Konzept verlangt, daß auf der anderen Seite Bayern fordert, man müsse die Schwerpunktorte komprimieren und die Flächen verringern, im Planungsausschuß aber wiederum sagt, wir müssen noch mehr zentrale Orte zu Entwicklungsschwerpunkten erklären.
({14})
- Ich möchte eine Konzentration. ({15})
Ich möchte ganz klar, daß wir im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben zu mehr Konzentration, zu weniger Schwerpunkten kommen, damit wir endlich effektiv helfen können. Eine Generalisierung, eine viel stärkere Erweiterung kann nicht die Lösung sein.
({16})
- Entschuldigen Sie, ich habe nur noch ein paar Minuten Zeit. Das ist die neue Regelung, die ich nicht verbrochen habe.
({17})
Ich möchte Sie zu Ihrem Antrag - und darüber werden wir reden -müssen - fragen: Haben Sie eigentlich Vorschläge zu neuen Bewertungsmaßstäben, zur zumutbaren Entfernung, dazu, wie die aussehen soll, zur Abgrenzung ökologischer und agrari8630
Immer ({18})
scher Vorzugsstandorte, zum Mindeststandard der Ausstattung gemacht? Sie haben gesagt: Wir wollen nicht die Bedürfnisse der Menschen fixieren. Aber Sie haben von Standards, von Mindeststandards in den Räumen geredet. Ist das keine Fixierung?
Ich fasse zusammen: Erstens. Der eingebrachte Antrag der CDU/CSU zur Raumordnungspolitik ist überflüssig.
Zweitens. Der Antrag offenbart eine völlige, wahrscheinlich taktisch motivierte, Überschätzung der Bundeskompetenz.
Drittens. Der Antrag offenbart die Konzeptionslosigkeit der Opposition und eine unglaubwürdige Doppelstrategie.
Viertens. Der Antrag enthält Feststellungen und Forderungen, die nicht in Einklang zu bringen sind, wie etwa individuelle Bedarfsdeckung auf der einen Seite und Festlegung von Standards der Versorgung oder Verdichtung auf der anderen Seite.
Fünftens. Die Forderungen des Antrags laufen auf Nivellierung, Standardisierung von Lebensbedingungen, auf Gleichmacherei und Gießkannenförderung hinaus, die Sie immer bestreiten.
Sechstens. Die „Kammer für Soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland" hat in ihrem aktuellen Kommentar Nr. 2 mit dem Titel „Sterben die Dörfer aus?" wohl recht, wenn sie fordert, daß gegenüber den Bürgern, insbesondere auf dem Lande, endlich, so sagt man, „mit offenen Karten" gespielt werden müsse.
Ich stelle dazu siebtens fest: Die gründliche Diskussion des Bundesraumordnungsberichtes, der in wenigen Wochen auf dem Tisch liegen wird, gibt uns eine bessere Möglichkeit zur Offenlegung der Karten als dieser überflüssige Antrag der Opposition, die wieder einmal mit gezinkten Karten spielt.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Immer, wir werden erstens als Opposition auch künftig Anträge stellen, wenn wir das für richtig und notwendig erachten,
({0})
und wir werden Sie nicht danach befragen. Zweitens ist Ihre Rede der Bedeutung und dem Ernst dieses Problemes nicht gerecht geworden.
({1})
Drittens bedanke ich mich für die Werbung für unseren Agrarbrief.
Nun, meine Damen und Herren, unser Antrag beschäftigt sich mit den Problemen in den Ballungsräumen und denen der ländlichen Gebiete. Dieser Antrag hat schon vor seiner Beratung Wirkung gezeigt: Drei Monate nach unserem Antrag kam die Große Anfrage der Koalition.
Um was es geht, ist folgendes. Die Städte müssen wohnlicher und das flache Land attraktiver werden. Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß der Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum der gleiche politische Rang gebührt wie der in den Ballungsgebieten. Schließlich lebt fast jeder zweite Bürger in Städten unter 20 000 Einwohnern.
In den letzten Jahren haben wir in zwei wichtigen Bereichen eine Abstimmung mit den Füßen erlebt. Da ist einmal der Trend aus den Zentren der Großstädte, die sogenannte Randwanderung, und dann die nach wie vor nicht zum Stillstand gekommene Sogwirkung der Verdichtungsgebiete auf den ländlichen Raum. Deshalb ist auch die Antwort auf unsere Anfrage zur Raumordnungsprognose 1990 eine Zumutung. Da heißt es unter anderem:
Es gibt keine allgemeine Abwanderung aus den
dünn besiedelten und peripheren Gebieten.
Herr Haack hat etwas ganz anderes gesagt.
Ich möchte mich diesem Problem, nämlich dem des ländlichen Raumes, das in unserem Antrag eine besondere Rolle spielt, zuwenden. Trotz mancher Anstrengungen von Bund, Länder und Gemeinden - das verkennen wir gar nicht - konnte das Gefälle zwischen den Ballungsgebieten und den ländlichen Räumen nicht vermindert werden. Das Bruttosozialprodukt - auf den Einwohner umgerechnet - ist in den Großstädten zweieinhalb mal so groß wie in den strukturschwachen Gebieten. Die Erfolge der Bundesraumordnungspolitik sind enttäuschend. Und nun zitiere ich die Kammer für soziale Ordnung, die gerade in dem Artikel, den Sie hier angesprochen haben, zu dieser Feststellung gekommen ist.
({2})
- Na, gegen wen denn sonst?
({3})
- Sie müssen es einmal gründlich lesen.
({4})
Ich möchte noch einen Satz hinzufügen, Herr Immer. Unter der Überschrift „Sterben die Dörfer aus?". wird ausgesagt, daß es schlimmer statt besser werde. Das ist die Feststellung der Kammer.
({5})
- Das gilt für die Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, die Probleme des ländlichen Raums haben sich durch die Konjunkturschwäche der letzten Jahre noch verschärft und sind deutlicher sichtbar geworden. Eine große Zahl von Filialbetrieben und Zulieferfirmen haben ihre Tore für immer geschlossen. Lohnintensive Betriebe sind in Billiglohnländer gegangen. Die Arbeitslosigkeit ist in den strukturschwachen Gebieten überdurchschnittlich angewachsen. Wenn wir der passiven Sanierung dieser Abstimmung mit den Füßen wirksam begegnen wollen, brauchen wir eine Verstärkung der Wirtschaftskraft in diesen Räumen.
Sauter ({6})
Eine gezielte Mittelstandspolitik ist hier besonders vonnöten. Gerade der Mittelstand erweist sich als besonders anpassungsfähig und krisensicher. Diese selbständigen Betriebe ziehen sich auch in Krisenzeiten nicht aus der Fläche zurück. Deshalb fordern wir in unserem Antrag eine Stärkung der mittelständischen Wirtschaft und die Möglichkeit der Neuansiedlung von Betrieben und damit die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
Junge Menschen wissen zwar die Vorteile des ländlichen Raumes zu schätzen, aber sie werden dem Sog der Städte nicht widerstehen, wenn wir Ihnen keine Chance zum Aufstieg und zu höherem Einkommen anbieten.
Ich möchte hier - lassen Sie mich das ausführen - ein offenes Wort auch zu einem denkbaren Zielkonflikt sagen. Viele in unserem Land, Politiker eingeschlossen, reden vom ländlichen Raum und denken ausschließlich an Erholung, an schöne Landschaft, an eine freundliche Umwelt, an Naturschutzgebiete, an Naturschutzparks und an anderes mehr. Für sie ist dieser ländliche Raum gleichbedeutend mit einem stillen und verträumten Winkel. Der ländliche Raum hat danach vorwiegend die Funktion eines Refugiums fürs Wochenende, des Alterswohnsitzes, der Ferienwohnung und des Fremdenverkehrs. Diese Funktion hat er sicher auch. Aber diese Vorzüge reichen nicht aus, um die Attraktivität für jene Menschen zu erhalten und zu schaffen, die auf Dauer in diesen Gebieten leben wollen.
({7})
Es muß nicht unbedingt ein Gegensatz zwischen der Ansiedlung von Gewerbebetrieben und den berechtigten Forderungen nach einer gesunden Umwelt bestehen. Wenn wir eine Mindestbesiedlung im ländlichen Raum wollen und ihn in seiner Funktion erhalten wollen, dürfen wir eine geordnete Entwicklung nicht verhindern. Der ländliche Raum darf nicht nur für die Ballungsgebiete eine Dienstleistungsfunktion haben - das sicher auch -; er braucht auch eine eigenständige Bedeutung und Entfaltung.
Wir fordern in unserem Antrag ein Mindestpotential der Siedlungsdichte, um zu verhindern, daß Grenzen unterschritten werden, die eine kommunale Grundversorgung gewährleisten. Die Belastung der Bürger durch Gebühren und Beiträge für Wasser und Abwasser muß zumutbar bleiben.
Bauen im ländlichen Raum und auch in den kleineren Ortschaften und nicht nur in den zentralen Orten darf deshalb nicht durch bürokratische Hemmnisse verhindert werden. Schwerpunkte der Wohnungsbauförderung und Dorfsanierung müssen strukturschwache Gebiete sein. Fast die Hälfte der Gebäude in unseren Dörfern sind mehr als hundert Jahre alt, während es in den Großstädten noch nicht einmal 10 °/o sind. Die Bildung von privatem Eigentum, der Bau von Einfamilienhäusern und familiengerechtes Wohnen sind unstreitige Vorteile des ländlichen Raums. Die CDU setzt sich nachdrücklich dafür ein, daß dies auch künftig möglich ist und daß diese Eigentumsbildung besser gefördert wird.
Zu unserer Forderung nach einer Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur kann ich mir ausgiebige
Erläuterungen ersparen. Der Rückzug der Bahn aus der Fläche und der Slalomlauf der bisherigen Verkehrspolitik haben dem ländlichen Raum erheblichen Schaden zugefügt.
({8})
Die Straßenbaumittel, die in vielen Ballungsgebieten durch Einsprüche blockiert sind, sollten verstärkt dem ländlichen Raum zufließen. Hier sollte dem Zwischenausbau höhere Priorität eingeräumt werden. Damit erreichen wir mehr, als wenn wir in einem kleinen Gebiet perfekt ausgebaute Straßen haben und ganze Regionen über Jahre und Jahrzehnte keine befriedigende Verkehrsanbindung haben.
({9})
Immer mehr Großstädte erfreuen sich der Annehmlichkeiten von U- und S-Bahn-Netzen. Während jedoch dort nur ein 20- bis 30 % iger Kostendeckungsgrad erreicht wird, soll der ländliche Raum im öffentlichen Personenverkehr eine fast volle Kostendeckung bringen. Dies ist ungerecht.
({10})
Eine bessere Koordinierung des öffentlichen Nahverkehrs ist erforderlich und auch möglich.
({11})
Ich möchte zur Erhärtung meiner Forderung nach Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen in diesem Zusammenhang auf einen anderen Aspekt hinweisen. Wenn wir keine ausreichende Wirtschaftskraft im ländlichen Raum haben, kann der Bau von Straßen die Sogwirkung der Verdichtungsräume noch verstärken und damit die hinreichend bekannten Probleme in diesen Großstädten verschärfen.
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt unseres Antrags verweisen, nämlich auf die sozialen Dienste.
Trotz einer Verbesserung der ärtzlichen Versorgung im Bundesgebiet müssen wir feststellen, daß die ungünstige Altersstruktur der praktischen Ärzte auf dem flachen Land besonders bedenklich ist. Hierauf gilt es unser Augenmerk zu lenken.
Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung müssen in zumutbarer Entfernung bestehen bleiben.
Nachbarschaftsläden sind zur Versorgung des ländlichen Raums notwendig. Was in der Drucksache 8/2048 geantwortet wird, ist unbefriedigend. Da heißt es auf eine entsprechende Anfrage der CDU/CSU-Fraktion:
In mittel- und längerfristiger Hinsicht ist eine „Unterversorgung" ländlicher und dünn besiedelter Räume nicht zu befürchten. Der Abschmelzungsprozeß im mittelständischen Lebensmitteleinzelhandel verlangsamt sich.
Herr Staatssekretär Grüner, das hat, wenn ich es richtig sehe, Ihr Haus verbrochen. Vielleicht könnten Sie mal einen Philologen beauftragen, hier eine andere Sprache einzuführen und nicht von „Abschmelzungsprozeß" zu sprechen.
({12})
Sauter ({13})
Wir meinen, es ist notwendig und unverzichtbar, auch darauf unsere besondere Aufmerksamkeit zu lenken.
Meine Damen und Herren, wenn wir verhindern wollen, daß das Gefälle zwischen ländlichem Raum und Verdichtungsraum sich verstärkt, daß die Disparität sich vergrößert und damit der ländliche Raum entvölkert und entleert wird und verödet, müssen wir mit allen uns zu Gebote stehenden Kräften gemeinsam für die berechtigten Anliegen dieser Menschen und dieser Landschaft eintreten. Dazu brauchen wir sicher auch Geld, aber noch mehr brauchen wir politischen Mut und Ideenreichtum zu einer konsequenten Politik für die Menschen in diesen ländlichen Räumen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Raumordnungsdebatten scheinen es an sich zu haben, daß sie in den hessischen und bayerischen Landtagswahlkampf fallen.
({0})
Es ist ziemlich genau vier Jahre her, seit wir uns am 26. September 1974 hier versammelt haben, um eine Große Anfrage der Union zur Raumordnung zu debattieren.
Die Geschichte des Parlamentarismus und seiner Abläufe wiederholt sich, wenn auch in Variationen. Eine solche Variation sehe ich - wenn ich an ■die damaligen Ausführungen des Herrn Kollegen Jahn ({1}) denke - darin, daß die Opposition heute bei allem Bemühen doch etwas maßvoller war. Ich sehe darin einen gewissen Fortschritt und möchte dies keinesfalls beanstanden.
Der Analyse in Ihrem Antrag ist, wenn man die isolierten Sätze betrachtet, weithin durchaus zuzustimmen. Allerdings meine ich: Es geht nicht an, einen Problemberg aufzuhäufen und nicht einmal zwischen den Zeilen anklingen zu lassen, daß mittlerweile sehr viel geschehen ist.
Ich kann das hier auch nur beispielhaft sagen. Es ist ja bekannt, was im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" geleistet 'wurde, wofür Bund und Länder gemeinsam von 1974 bis 1977 4,5 Milliarden DM aufgewendet haben. Es ist bekannt, daß gezielt gerade in den strukturschwachen Gebieten Arbeitsplätze gefördert wurden, was heute bei relativ hoher Arbeitslosigkeit zur Folge hat, daß - anders als seinerzeit in der Krise 1966/67 - die geförderten Gebiete und die nicht geförderten Gebiete im Prozentsatz der Arbeitslosigkeit nicht mehr so stark auseinanderklaffen.
Es ist bekannt, daß im Zeitraum von 1974 bis 1977 allein 8,2 Milliarden DM für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur" aufgewendet wurden. Nur wissen wir, daß die Opposition dies zwar zur Kenntnis nimmt, daß man sich aber
in Bayern das Geld, das Bundesminister Ertl lockermachen konnte, qua Staatsregierung und CSU als Erfolg an den Hut zu stecken sucht.
Ich frage mich manchmal, in welcher Landschaft sich sblche Debatten, fernab von allen Tatsachen, draußen im Lande abspielen.
({2})
Ich sage Ihnen heute: Es wird dabei bleiben. Auch ein Ministerpräsident Strauß wird es nicht erreichen, daß Bayern aus der Gemeinschaftsaufgabe Deichbaumittel zugewiesen werden. Das ist nun wirklich das letzte Wort.
Sie kennen die Förderung von Forschung und Technologie. Sie wissen, wenn Sie die Notwendigkeit der Förderung der inneren. Bereiche von Großstädten ansprechen, was im Bereich der Städtebauförderung, der Wohnungsmodernisierung und was mit dem neuen § 7 b des Einkommensteuergesetzes geschehen ist. Das ist wirklich eine stolze Leistungsbilanz. Ich habe ja durchaus Verständnis, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie wenig Neigung zeigen, hier ein Erfolgsregister der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien bei dieser Debatte abzufeiern.
({3})
Aber ich gebe Ihnen dies zu erwägen: Sie haben ja die meisten dieser Maßnahmen mit Ihrer Stimme mitgetragen. Sie haben bei parlamentarischen Beratungen diese Gesetze beeinflußt, mitgestaltet und mitgeformt. Damit sind es auch Ihre Taten, und Sie sollten alles, was geschehen ist, nicht so unter den Scheffel stellen, indem Sie einfach das große Faß der pauschalen Kritik darüberstülpen.
Es ist um so notwendiger, sich zu den Leistungen zu bekennen, als der Bund ja nur die Leitlinien der Raumordnung bestimmt und der Vollzug im wesentlichen bei den Ländern liegt. Aufgabe und Kompetenz des Bundes ist doch nur, die großräumige Verteilung zu beeinflussen. Darüber hinaus tragen die Länder die Verantwortung dafür, wie die kleinräumige Verteilung erfolgt, und die Verantwortung dafür, daß alle Gebiete eines Landes beteiligt werden und kein Gebiet zu kurz kommt.
Weil die Opposition zumindest über ihre Landesregierungen so wesentlich an der Raumordnung beteiligt ist, sollte sie erstens vor allem nicht so tun, als ginge es an, in der Raumordnung' plötzlich' die Quadratur des Kreises möglich zu machen - und das auch noch ohne Inkaufnahme irgendwelcher Unbequemlichkeiten! Zweitens sollte sie nicht so tun, als sei es möglich, ohne die kooperative Mitarbeit der Länder überhaupt Raumordnungspolitik zu treiben.
Sie haben die starke Abwanderung aus strukturschwachen Gebieten in Großstädte und Ballungsgebiete angesprochen. Das ist sicherlich ein sehr wichtiges Problem. Gleichzeitig sagen Sie aber, es sollten zentrale Orte ausgebaut werden, ohne andere Orte oder Ortsteile in irgendeiner Weise strukturell zu behindern oder zu benachteiligen.
Genau das, meine ich, ist die Quadratur des Zirkels, die ich angesprochen habe. Das müssen Sie uns erst einmal vormachen. Das ist die totale heile Welt der Unmöglichkeit.
({4})
Da ist es ganz sicherlich richtiger - wenn Sie sich an das Raumordnungsprogramm der Bundesregierung vor vier Jahren erinnern -, regionsnahe Entwicklungsschwerpunkte zu bilden, um damit die strukturschwachen Gebiete abzusichern und abzustützen. Sie sagen, es sollte eine Raumordnungspolitik gemacht werden, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Es ist eben das Bedürfnis der Menschen, in Zentren zu drängen. Über diese Fragen haben wir uns vor vier Jahren sehr detailliert auseinandergesetzt; ich kann das nicht widerholen. Ich habe nur manchmal den Verdacht, daß es Ihnen nicht nur um den Abbau der übersteigerten Abwanderung geht, sondern daß einige von Ihnen trotz mancher Wahlerfolge noch immer ein etwas gebrochenes Verhältnis zu Großstädten überhaupt haben.
({5})
Zumindest dürfen Sie die Dinge nicht durcheinanderwerfen und müssen immer sehr deutlich sehen: Was es zu bekämpfen gilt, ist die übersteigerte Abwanderung in Ballungszentren und Großstädte.
Aber umgekehrt muß man die Entwicklung immer auch auf dem Hintergrunde der historischen Erfahrungstatsache sehen, daß sich größere Städte in ihrem Bestand schon immer nur erhalten oder gar wachsen konnten, weil sie Zuzug vom Land hatten. Das war lange vor der ersten industriellen Revolution so, das war schon im Mittelalter so. Ich kann Ihnen ein konkretes Zahlenbeispiel geben. Im Jahre 1796 ist Adrian von Riedls „Reiseatlas von Baiern" erschienen. In der topographischen Skizze von München ist nachzulesen, daß in den Jahren 1785. bis 1795 in München 15 452 Todesfällen nur 13 206 Geburten gegenüberstanden, und dies, nachweisbar nach den Zahlen für die einzelnen Jahre, ohne große Epidemien, die das Gesamtergebnis zahlenmäßig hätten verzerren können.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung dazu machen, daß Sié die Lokalisierung von Bundesbehörden in strukturschwachen Gebieten fordern. Wir haben uns erfolgreich bemüht, etwa bei der Neuordnung der Wasser- und Schiffahrtsämter des Bundes, dafür Sorge zu tragen, daß bei der Zusammenlegung nicht Frankfurt am Main, sondern Aschaffenburg sein Amt behielt. Aber ich frage: Wäre es nicht Ihre Aufgabe, z. B. in Bayern dafür zu sorgen, daß die Fachhochschule für Keramik nicht ohne ersichtlichen Grund aus der Porzellanstadt Seib nach Nürnberg verlegt wird? So ließe sich vieles aufzeigen, wo es Sache der Länder ist, mehr zu tun, und wo Sie aufgerufen sind, in den Bereichen, in denen Sie stärkeren Einfluß haben, das Ihre beizutragen.
({6})
Sie müssen erkennen, daß das eine gemeinsame
Aufgabe ist, statt einseitig Kritik zu üben. Es wäre
gut, sich öfter einmal an die eigene Nase zu fassen.
Der Ausschußüberweisung stimmen wir zu in der gleichzeitigen Hoffnung, daß Ihr Antrag bei den dortigen Beratungen auf den Boden verfassungsrechtlicher wie tatsächlicher Gegebenheiten zurückgeholt wird.
({7})
,
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manch einer sagt, das Gegenteil von gut sei gut gemeint, womit man dann ausdrückt, daß halt eine Handlung von einer guten Absicht getragen sein kann, aber die Folgen der Handlung doch mißraten sind. Ich meine, in diesem Sinne ist Ihr Antrag nur gut gemeint, und wir können uns bestenfalls für die freundliche Absicht bedanken, die dahintersteht, Raumordnungspolitik zu einem Diskussionsthema zu machen.
Der Antrag selbst ist auf eine Art und Weise formuliert, die deutlich macht, daß das, was der Kollege Engelhard gerade ausgeführt hat, zutrifft, daß der Antrag nämlich in der Tat wirklichkeitsfern ist. Man muß sich fragen: Wissen Sie eigentlich, daß es Länder gibt - auch solche, die von U-Parteien geführt werden - und daß diese auch Kompetenzen haben? Wissen Sie, daß es Unternehmen gibt, die selbständige Entscheidungsbefugnisse haben? Und wissen Sie, welche Rolle dem Bund in puncto Raumordnungspolitik im Verhältnis zu Ländern, Gemeinden und Unternehmen in unserer Verfassung zugeschrieben ist? Wir beklagen uns nicht darüber, sondern wir bejahen diese Verfassung und sagen: In diesem komplizierten Geflecht muß man Raumordnungspolitik machen.
({0})
- Aber sicher fühlen wir uns zuständig, auch in kooperativen Beziehungen dafür zu sorgen, daß Vernünftiges geschieht. Nur, Herr Jahn, wollen wir eines klarstellen: Wir werden uns von Ihnen nicht dazu verleiten lassen, hier zu sagen: Jawohl, wir nehmen die Aufgabe der Länder und der Landesregierungen wahr, wie die Opposition das mit diesem Antrag so von hinten andeutet, um uns dann auf der anderen Seite von Ihnen kritisieren zu lassen, daß wir uns in die Aufgaben der Länder eingemischt haben.
({1})
Im Grunde genommen sind Ihre Ausführungen immer so, daß man, was man auch tut, von Ihnen kritisiert wird.
Aber noch einmal: Auch durch das, was Sie als Antrag hier gestellt haben, lassen wir uns. in den
Parl. Staatssekretär Dr.-Sperling
sachlichen Beziehungen zu den Landesregierungen, die für die Landesplanung verantwortlich sind, nicht stören. Wir werden uns vielmehr bemühen, den, der in einem Lande eine Regierung führt - wer auch immer es sei -, zu unterstützen, daß er den schönen Zielen, die Sie genannt haben, auch mit seiner im Lande verfolgten Raumordnungspolitik gerecht wird. Insofern, Frau Pack, packen Sie also ein Päckchen, schicken Sie es gerade an die von den U-Parteien geführten Landesregierungen, damit deutlich wird, was sie eigentlich nach Ihrer Auffassung zu verfolgen haben, und damit sie nicht so im Lande herumlaufen, wie es der Kollege Immer geschildert hat!
({2})
- Dies ist ein Irrtum. Genau mit den Konjunkturprogrammen, mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm haben wir der Raumordnungspolitik der Länder, wie Sie sie als Wunsch an den Bund formulieren, eine Hilfe gegeben, damit das Gefälle sich nicht verschärft, sondern vermindert. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Im übrigen, kommt Advent, kommt auch der Raumordnungsbericht. Dann werden wir die Gelegenheit haben, dies mit Einzelheiten deutlicher zu diskutieren.
Lassen Sie mich auch dies noch sagen: Die Bundesregierung braucht keine Beauftragung, um zur Kenntnis zu nehmen, worauf sie andere zuvor selber aufmerksam gemacht hat. Eigene Probleme, die Sie in Ihrem Antrag andeuten, stammen im Grunde genommen aus der Raumordnungsprognose für das Jahr 1990 - einer Prognose, die die Bundesregierung im Jahre 1976 veröffentlicht hat.
Ich will jetzt nicht auf die einzelnen Abschnitte eingehen, die da stehen. Ich will nur darauf aufmerksam machen; daß die acht Punkte im letzten Abschnitt des Antrags, wo Sie auf Maßnahmen verweisen, eigentlich alle an dem vorbeigehen, worum es in der Raumordnungspolitik geht. Da sagen Sie im Maßnahmebereich 1 dieses letzten Abschnitts, regional gezielte Maßnahmen sollten verfolgt und es müsse ausgeglichen werden. Alles gut und schön. Nur tun Sie so, als gäbe es keine Zielkonflikte. Wenn Sie überprüfen, was . an Konjunkturpolitik gemacht worden ist, Herr Kollege Kolb, dann werden Sie feststellen, daß dem fortlaufend Rechnung getragen wird, was Sie unter Punkt 1 fordern.
Herr Engelhard hat am Beispiel Frankfurt/ Aschaffenburg, was die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen angeht - man kann auch auf Braunschweig und Trier verweisen; wenn man sucht, wird man mehr Beispiele finden - deutlich gemacht, daß der Bund, wo er Behördenstandortentscheidungen trifft, tatsächlich dem nachkommt, was Sie wünschen. Dies tun wir. Er hat als Beispiel genannt: Täte es doch die bayerische Landesregierung auch! Ich würde hinzufügen: Täte es doch die niedersächsische Landesregierung auch! Dann bliebe ein regionales pädagogisches Zentrum in Aurich erhalten, das die niedersächsische Landesregierung nur zu einem kleinen Bruchteil finanziert, das aber dort wirkungsvoll tätig gewesen ist, von Stifterverband und Bundesregierung finanziert, um den Bildungsnachteil eines strukturschwachen Raums ausgleichen zu helfen. Dieses Zentrum wird geschlossen, obwohl es das Land wenig kostet. Auch hier wäre zu fragen: Warum machen Sie Ihre von U-Parteien geführten Landesregierung nicht darauf aufmerksam, daß sie ebenfalls Behördenstandortentscheidungen mit zu treffen haben und daß diese zwischen Bund und Ländern abgestimmt werden müßten. Wir sind dort immer abstimmungsbereit.
Eine optimale Grenze für Verdichtungsräume sollen wir festlegen. Dies halte ich nun in der Tat für eine irreale Forderung, denn was optimal ist, ist immer umstritten. Es enthält immer subjektive Kriterien, und ich glaube nicht an eine Wissenschaft, die das, was Menschen subjektiv als optimal empfinden, in präzisen Zahlenverhältnissen voraussagen kann. Auch diesen Irrglauben sollten Sie aufgeben.
Auch sollten Sie uns nicht auffordern, mit der Gießkanne durchs Land zu gehen
({3})
und sozusagen überall zu fördern und das, was dem einen Raum als Vorteil zukommt, als Nachteil eines anderen Raumes zu betrachten und dort ausgleichend wirksam zu sein. Dann enden wir nämlich beim 100 %-Prinzip für alle, d. h. bei der Forderung nach dem Gießkannenprinzip an allen Stellen. Damit ist uns nicht geholfen.
Dann raten Sie uns, auf der Ebene des Bundes ein überproportionales Ansteigen der Investitionen sicherzustellen. Erinnern Sie sich an die Haushaltsdebatte der vorvergangenen Woche, und Sie werden feststellen, daß dies geschieht. Nur das, was Sie in dieser Debatte an zusätzlichen Mehrausgaben oder aber Mindereinnahmen, gefordert haben, haben Sie zugleich mit Finanzierungsanträgen bestückt, bei denen man sich fragen muß, ob Sie nicht die raumwirksamen Investitionen des Bundes verkürzen wollen. Irgendwo steht da zugunsten Ihrer Familienpolitik geschrieben, da sollten ideologiebehaftete - oder so. ähnlich heißt es - Investitionen aus dem Bundeshaushalt herausgestrichen werden. Dies kann sich nach meiner Ansicht eigentlich nur, wenn Sie den Verdacht der Investitionslenkung erheben, auf die raumwirksamen Investitionen beziehen. Also das, was Sie unter Punkt 5 fordern, geschieht.
Wir stellen auch sicher, daß der unter Versorgungsgesichtspunkten erforderliche Ausbau zentraler Orte erfolgt. Der Raumordnungsbericht bietet die Chance, darüber zu debattieren. 80% der Schwerpunktorte der Förderung im Rahmen der regionalen Wirtschaftsstruktur sind Orte, die als Schwerpunktorte und als Zentralorte von der Landesplanung gesehen werden. Was Sie unter Punkt 6 fordern, geschieht also auch.
Zu Punkt 7: Sie müssen es nun wirklich den Landesregierungen zumuten, daß Sie auf die soziale Versorgung im ländlichen Raum, bitte schön, EinParl. Staatssekretär Dr. Sperling
fluß nehmen. Das muß auch Herr Sauter in seinem Heimatland verkünden. Dort, wo der Bund über das Krankenhausfinanzierungsgesetz tätig geworden ist, kann man feststellen, daß die Benachteiligungen des ländlichen Raums ausgeglichen worden sind. Dasselbe gilt im übrigen dort, wo der Bund für den Fernstraßenbau zuständig ist. Auch dort ist die Infrastruktur erheblich verbessert worden und hat sich angeglichen. Es gilt dort nicht, wo bei den Ländern der Schwerpunkt liegt: im Bildungsbereich, aber auch im Landesstraßenbereich.
Insofern erscheint es mir unsinnig, daß wir nach diesem Antrag einen Bericht zu irgendeiner angemessenen Frist geben sollen. Ich verweise Sie vielmehr auf den Raumordnungsbericht, der Ihnen noch vor Weihnachten vorgelegt werden wird. Ich glaube, daß dieser Raumordnungsbericht den Landesregierungen auch von Ihnen zur Kentnisnahme empfohlen werden kann, damit jene Politik, die Sie hier fordern, von einem, wenn auch nur mit 55 °/o der Stimmen gewählten künftigen Ministerpräsidenten in Bayern verfolgt wird,
({4})
aber auch mit Unterstützung des Bundes und, wie ich hoffe, auch mit Unterstützung des Landes Hessen, und zwar von einer Regierung deren Landesplanungs- und Raumordnungspolitik dazu geführt hat, daß aus Hessen die bayerische Landesentwicklungspolitik durch Jahrzehnte mit finanziert werden konnte,
({5})
aber auch mußte. Deswegen, meine ich, tun wir alle gut daran, die Kooperationsfähigkeit von Bundesregierung gegenüber den Landesregierungen nicht zu stören. Sie haben in einer anderen Debatte einmal gesagt, die Opposition sollte von der Regierung doch viel zielstrebiger genutzt werden. Meine Aufforderung ergeht an Sie, helfen Sie uns,
({6})
die Landesregierungen mit der Bundesraumordnungspolitik in eine engere Verbindung zu bringen. Es sollte nicht so sein, daß U-Parteien- gegen sozialliberale Parteienpolitik im Raumordnungsbereich betrieben wird.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage
- federführend - an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und - mitberatend - an dèn Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen vor. Ist das Haus damit einverstanden?
- Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Maßnahmen. zur Förderung des deutschen Films ({0})
- Drucksache 8/2108
Überweisungsvorschlag des Altestenrates : Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Das Wort zur Begründung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Grüner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Entwurfs eines Filmförderungsgesetzes will die Bundesregierung das Ihre dazu beitragen, die wirtschaftliche Basis des Mediums deutscher Film zu erhalten und zu festigen. Über die Notwendigkeit dazu besteht zwischen allen Beteiligten Einigkeit. Noch kann die Filmwirtschaft nicht aus eigener Kraft bestehen. Die Rechtfertigung für Maßnahmen der wirtschaftlichen Filmförderung seitens des Staates liegt allerdings nicht allein in der wirtschaftlichen Bedeutung des Wirtschaftszweiges Film; diese ist bei 22 000 Beschäftigten und 1,6 Milliarden DM Umsatz vergleichsweise eher gering.
Der deutsche Film darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Zwischen der Filmwirtschaft und den anderen Medienbereichen - z. B. Bühne und Fernsehen - besteht eine so enge kulturelle, personelle und ökonomische Verbindung, daß die wirtschaftliche Bedeutung des Films nur im Zusammenhang mit den übrigen Medien bewertet werden kann. Diese repräsentieren immerhin mindestens 365 000 Erwerbstätige und etwa 30 Milliarden DM Jahresumsatz. Die Medienwirtschaft erreicht damit die Größe der Textilindustrie und liegt weit über anderen Bereichen.
Der Film ist aber nicht nur integrierter Teil der deutschen Medien, sondern auch Ausdruck deutschen Kulturschaffens und wichtiges Mittel der Selbstdarstellung eines Volkes auch außerhalb seiner Landesgrenzen.
Mit dem Ihnen heute vorliegenden Gesetz wird die Förderung der Filmwirtschaft, die im Jahre 1968 begonnen wurde, fortgesetzt. Das Gesetz ist weiterhin ein Selbsthilfegesetz, das der Filmwirtschaft Anreiz zu eigenen Anstrengungen geben soll, das an die Verantwortung des Unternehmers appelliert und ihn in seinem Selbstverständnis und in seinem Willen zur Selbstbehauptung stützt.
Das Gesetz ist wiederum befristet, und zwar bis 1986, dies nicht nur, weil zu diesem Zeitpunkt vielleicht auf Maßnahmen der wirtschaftlichen Filmförderung verzichtet werden kann, sondern auch weil so ein heilsamer Zwang zur Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Zielsetzung und des Instrumentariums ausgeübt wird.
Der Gesetzentwurf knüpft materiell an das geltende Gesetz, an dessen Stelle es tritt, an. Der 1974 mit der Zweiten Novelle eingeschlagene Weg, die Qualität des Spielfilmangebots zu stärken, wird konsequent fortgesetzt. Langfristig kann sich auf dem Markt nur Qualität durchsetzen und behaupten. Dies
Parl. Staatssekretär Grüner
gilt für das Produkt Film ebenso wie für alle anderen Wirtschaftsgüter, mit denen wir weltweit konkurrenzfähig bleiben müssen.
Aus diesem Grunde wird die Förderung der Spielfilmproduktion . wie bisher nach dem sogenannten Referenzfilmprinzip wie nach dem sogenannten Projektfilmprinzip durchgeführt. In diesem Bereich liegt der Schwerpunkt aller Förderungsmaßnahmen, für den insgesamt zwei Drittel der Mittel der Filmförderungsanstalt, also ca. 17 Millionen DM, eingesetzt werden sollen.
Gerade in jüngster Zeit haben sich im Bereich des Filmverleihs erhebliche Schwierigkeiten gezeigt. Es gibt zuwenig Verleihunternehmen, die sich dem Verleih deutscher Filme widmen. Die bisher noch schwach ausgebildete Verleihförderung soll daher erheblich erweitert und ausgebaut werden. Künftig sollen nicht nur Absatzhilfen für einzelne Filme, sondern vor allem Hilfen zur Verbesserung der Unternehmensstruktur, nämlich zur Erweiterung und Erschließung von Absatzmärkten, zur Kooperation und zur grundlegenden Rationalisierung gegeben werden.
Auch die Förderung der Filmtheater soll grundsätzlich umgestaltet werden. Bisher wird ein Teil der Filmabgabe automatisch an Filmtheater zum Zwecke der Modernisierung und Renovierung zurückgewährt. Diese Beträge sind so gering und so breit gestreut, daß dadurch keine wesentlichen Fördereffekte oder Strukturverbesserungen, die im Filmtheaterbereich dringend erforderlich sind, erzielt worden sind. Deshalb soll diese Art der Streuförderung ersetzt werden durch ein System gezielter Förderungshilfen zur Modernisierung von Filmtheatern, zur Förderung beispielhafter Maßnahmen, zur Existenzgründung, zur Kooperation und zur Beratung.
Da es sich um ein Selbsthilfegesetz handelt, werden die Mittel auch künftig durch eine von den Filmtheatern zu erbringende Filmabgabe. finanziert werden. Die Filmabgabe soll allerdings nicht mehr in Form eines festen Betrages, sondern als prozentualer, gestaffelter Anteil vom Umsatz erhoben werden. Hiermit wird eine größere Gerechtigkeit bei der Abgabezahlung erreicht, weil jedes Filmtheater nur seiner Leistungsfähigkeit entsprechend belastet wird. Schon allein darin liegt ein wesentlicher Entlastungseffekt für das kleinere Filmtheater; denn bei einer Festbetragabgabe, wie sie gegenwärtig erhoben wird, ist das kleine Filmtheater mit niedrigem Eintrittspreis verhältnismäßig viel höher belastet als das große mit hohem Eintrittspreis.
Der Entwurf bewirkt für kleinere Theater dadurch noch eine zusätzliche Entlastung, daß zu ihren Gunsten niedrigere Abgabesätze vorgesehen sind als für die großen umsatzstarken Kinos. Das Abgabevolumen wird künftig etwa 24 Millionen DM gegenüber zur Zeit rund 17 Millionen DM betragen. Diese Erhöhung ist erforderlich, um die neuen Maßnahmen zu finanzieren und die. Effizienz der Filmförderung zu steigern.
Die Regierung hat nicht den Versuch gemacht, dem Parlament noch einmal eine Fernsehabgabe vorzuschlagen, die in den parlamentarischen Beratungen anläßlich der Zweiten Novelle 1973/74 schon einmal abgelehnt worden ist. Wir haben aber Gespräche mit den Fernsehanstalten geführt und dort die Bereitschaft gefunden, die bisher für die Filmförderung gezahlten Beträge wesentlich zu erhöhen. Diese Zielsetzung wird von allen relevanten politischen Kräften nachdrücklich unterstützt.
Der Gesetzentwurf ist in zahllosen Besprechungen intensiv geprüft und diskutiert worden, auch in vielen Gesprächen mit der Filmwirtschaft. Gegenwärtig wird er in Brüssel überprüft. Bundesregierung und Parlament werden sich voraussichtlich mit der EG-Kommission darüber auseinandersetzen müssen, daß und warum es notwendig ist - so wie auch andere europäische Länder es für ihren Film tun -, etwas für den 'deutschen Film zu tun. Wir wären sehr dankbar, wenn wir gerade in diesen Gesprächen auch von den Abgeordneten dieses Hohen Hauses unterstützt würden.
Die Bundesregierung hat versucht, den unterschiedlichen Interessen innerhalb der Filmwirtschaft gerecht zu werden und dem deutschen Film insgesamt die notwendige Hilfe zu geben. Ich würde mich freuen, wenn auch die Beratung des Gesetzentwurfs im Parlament in diesem Sinne geführt und zu einem guten Erfolg gebracht werden könnte.
({2})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Martiny-Glotz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüße ich die Vorlage des Gesetzentwurfs. Ich begrüße mich ausdrücklich die Stellungnahme des Bundesrates, die sehr qualifiziert und kenntnisreich ist und den Gesetzentwurf in seiner Grundtendenz bejaht. Während der Vorgespräche konnte man nicht davon ausgehen, daß zu einer solchen Stellungnahme gefunden werden würde.
Soweit ich sehen kann, gibt es nur ein harsches Nein zu dem Gesetzentwurf, und zwar von seiten des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater, der schreibt:.
Entscheidet der Bundestag nicht im Sinne der Filmtheater und damit der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, bricht der Sturm los.
({0})
Dann kann die Bundesregierung sich ihr Filmförderungsgesetz an den Hut stecken. Dann läuft nichts mehr. Dann werden die Filmtheaterbesitzer zwar nicht zu einer der grünen politisch adäquaten Liste, aber zu einer Zelluloid-Liste aufrufen.
({1})
Die Bundesregierung sei gewarnt. So unpopulär,
wie sie meint, ist Kino gerade jetzt bei meist
unbefriedigendem Fernsehprogramm nicht mehr.
({2})
Bei diesem Sturm der Entrüstung, meine Damen und Herren, sollte man eigentlich einmal fragen, woher das Geld für die Filmförderung denn kommt. Der Kinogänger bezahlt es. Derzeit zahlt er pro Kinobesuch 15 Pfennig seines Eintrittsgeldes an die Filmförderungsanstalt. Wenn der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form verabschiedet wird, zahlt er - das hat Herr Grüner gerade gesagt - je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit 3 °/o, 3,5 %oder 4 %.
({3})
Noch eine weitere Frage könnte man an diejenigen, die hier den Mund so voll nehmen, vielleicht stellen: Wie ist es eigentlich mit der Mehrwertsteuerpräferenz, für deren Gewährung kulturelle Leistung Kriterium ist? Damit kann „Schulmädchenreport", zwölfte Folge, sicherlich nicht gemeint ein.
({4})
Auch die billig zusammengeschusterten Western amerikanischer Provenienz können damit kaum gemeint sein.
Der Hauptverband der Filmtheater wendet sich gegen die prozentuale Abgabe. Ich sage ausdrücklich: Diese ist gerechter. 3,5 °/o bleiben immer 3,5 °/o, aber 20 Pfennig von einer Karte für 3,50 DM sind ein erheblich größerer Anteil als 20 Pfennig von 8 DM. Aber daran soll für uns, meine Damen und Herren - und ich hoffe, Sie hören das mit Wohlbehagen, Herr Wohlrabe -, das Gesetz nicht scheitern. Ich möchte nur nachdrücklich darauf aufmerksam machen, in wessen Interesse hier eigentlich der Hauptverband der Filmtheater argumentiert.
Die Filmförderungsanstalt, bei der die über die Kinokarten erhobenen Beiträge eingehen, wird nach der Verabschiedung der Gesetzesnovelle im wesentlichen dasselbe mit diesem Geld anfangen wie bisher. Verstärkt wird die Förderung des Filmverleihs, verstärkt wird die Grundförderung der Filmproduktion, ein wenig verstärkt wird auch die Förderung bei den Filmtheatern.
Zweierlei werden wir nach meinem Dafürhalten besonders zu prüfen haben - auch davon hat Herr Grüner schon kurz gesprochen -: Reichen die für den Filmverleih vorgesehenen Mittel aus, um den deutschen Filmverleih angesichts der erdrückenden amerikanischen Übermacht so abzustützen, daß er Überlebenschancen hat? Die Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung über die Situation des deutschen Films muß hier nachdenklich machen.
Zum zweiten scheint mir prüfenswert - und da liegt ein gewisser Gegensatz zu den Äußerungen von Herrn Staatssekretär Grüner vor -, ob nicht doch ein gewisser Teil der den Filmtheatern entnommenen Gelder zu diesen automatisch wieder zurückfließen sollte. Wenn die schon die Mühe aufbringen, über die Kinokarten bestimmte statistische Grunddaten zu liefern, und sich einem mühsamen Abrechnungsverfahren unterziehen, dann sollte ihnen diese Mühe nach meinem Dafürhalten mit einem kleinen automatisch zurückfließenden Betrag entgolten werden.
Meine Damen und Herren, die Misere der deutschen Filmwirtschaft hat vielfältige Ursachen. Einige davon liegen in der Vertreibung bedeutender Filmregisseure und -schauspieler während des „Dritten Reiches", einige in der Zerschlagung des deutschen Filmimperiums nach dem Zweiten Weltkrieg, einige natürlich in der Bedeutung des Fernsehens.
Von 1976 auf 1977 ist die Besucherzahl der Kinos allerdings um 7,9 % gewachsen. Auch die Zahl der Filmtheater ist erstmals wieder angestiegen. Auch der Eintrittskartenerlös hat zugenommen. Der verregnete Sommer hat, soweit man hören kann, wenigstens den Filmtheatern genützt, wobei es den Filmtheaterbesitzern vermutlich gleichgültig war, ob sie mit deutschen oder mit coproduzierten oder mit rein amerikanischen Filmen ihr Geschäft gemacht 'haben. Uns als Parlamentariern kann dies allerdings nicht gleichgültig sein.
Tatsache ist, daß die Kinospielpläne von Berlin, Buxtehude oder Bonn denen von San Francisco oder Salt Lake City ziemlich ähnlich sehen, weil das deutsche Verleihgeschäft zu etwa 45 % von den vier großen Hollywood-Konzernen beherrscht wird. Wir werden daher bei den Beratungen sehr sorgfältig zu prüfen haben, wie wir dem deutschen Filmverleih bessere Möglichkeiten schaffen. Wir werden auch zu prüfen haben, wie wir verhindern, daß durch das Filmförderungsgesetz ein Selbstbedienungsladen für die Etablierten geschaffen oder festgeschrieben wird. Filmförderung muß für neue Entwicklungen offen sein.
Einige Bemerkungen zum Komplex Qualität und Wirtschaftlichkeit. Ganz gleich in welcher Branche, wird man wohl sagen können: es gibt eine nachweisbare Beziehung zwischen Qualität und wirtschaftlichem Erfolg, jedenfalls langfristig. Das gilt auch für den Film. Dagegen gibt es keine nachgewiesene Beziehung zwischen der Höhe investierter Geldsummen und dem Erfolg. Oder - um den CDU-Landtagsabgeordneten Huber zu zitieren, der sich vor ein paar Monaten in München zum Film geäußert hat -: Qualität ist keine Gegenposition zur Wirtschaftlichkeit.
({5})
- Deswegen zitiere ich ihn ja auch, Herr Wohlrabe. - Erfolg wird der deutsche Film sowohl auf dem Binnenmarkt wie im Ausland, wo wir jetzt verstärkt Haushaltsmittel einsetzen, um den Filmexport zu intensivieren, nur dann haben können, wenn er ein guter Film ist.
Auch hier übrigens scheint es sich nur um ein deutsches Problem zu handeln. Ich zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dem „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" vom 4. Juni aus der Berichterstattung über die Filmfestspiele in Cannes:
Überhaupt scheint die Kluft zwischen dem, was
das breite Publikum an die Kinokassen lockt,
und den Beiträgen, die ein Festival wie das von
Cannes als Auswahl an bemerkenswerten neuen Produktionen präsentiert, immer größer zu werden. Kunst und Kasse, Unterhaltung mit Anspruch zu versöhnen, scheint immer schwieriger zu werden.
({6})
In diesem Zusammenhang sei mir eine Bemerkung gestattet. Von jenen Abschreibungskünstlern, die Profit mit Pleiten machen, halten wir Sozialdemokraten nicht das geringste. Aber dieser Sachverhalt wird nicht im neuen Filmförderungsgesetz geregelt werden, sondern gehört in die Steuergesetzgebung. Da sollte man allerdings baldmöglichst dafür sorgen, daß dergleichen eingedämmt wird.
({7})
Zwischen den Filmproduzenten, den Filmverleihern und dem Fernsehen besteht inzwischen eine Art Haßliebe. Ich bin auch der Meinung, daß die Fernsehanstalten sich an der Filmförderung wesentlich stärker beteiligen müssen, als sie es bisher tun. Wir Sozialdemokraten bitten die Bundesregierung ausdrücklich, auf Vereinbarungen hinzuwirken, die eine größere finanzielle Beteiligung des Fernsehens sicherstellen. Eine gesetzlich geregelte Beteiligung des Fernsehens an der Filmförderung wirft allerdings verfassungsrechtliche Probleme auf. Im Interesse der Filmwirtschaft sollten wir eine zügige Beratung des Gesetzes nicht dadurch gefährden, daß wir die - um noch einmal Herrn Huber zu zitieren - ordnungspolitische Auseinandersetzung im Verhältnis von Film und Fernsehen - Ordnungspolitik scheint als Schlagwort immer gut zu sein - mit verfassungsrechtlichem Ballast befrachten.
Den Fernsehanstalten sei aber ins Stammbuch geschrieben, daß sie sich ruhig etwas kinofreundlicher verhalten könnten. Auseinandersetzungen wie die um die Verleihrechte des italienischen Films „Padre Padrone", der zuerst im Fernsehen lief, obgleich sich ein Kinofilmverleiher als erster um die Rechte beworben hatte, sollten sich im Interesse des Burgfriedens zwischen Film und Fernsehen nicht wiederholen. Aber auch hier handelt es sich um kein ausschließlich deutsches Problem. Gleiches wurde in Cannes für die ausländischen Filme betont.
Ich möchte auch ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir die Bedenken der EG-Kommission sorgfältig prüfen müssen. Allerdings bin ich der Meinung, daß in Deutschland genau die gleichen Rechte zur Förderung des Films bestehen müßten, wie sie für unsere europäischen Partnerländer auch gelten.
Schlußbemerkung. Wir wollen uns bemühen, das Gesetz zügig und für die beteiligten Wirtschaftskreise erfolgreich zu beraten. Ich gehe davon aus, daß kein Schattenboxen „Qualität gegen Wirtschaftlichkeit" veranstaltet wird. Wenn Sie dem deutschen Film helfen wollen, meine Damen und Herren, dann gehen Sie doch wieder mal ins Kino, und schauen Sie sich deutsche Filme an. Die Reputation des deutschen Filmes ist größer, als seine Besucherzahlen vermuten lassen. Bitte, erproben Sie das doch selbst einmal.
({8})
Das Wort hat Herr Ab-. geordneter Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ein Gesetz das dritte Mal innerhalb von zehn Jahren im Deutschen Bundestag verhandelt wird - das ist hier der Fall -, dann fragt man sich natürlich, ob das Gesetz wirklich ein gutes Gesetz ist. Es hätte sonst sicherlich mehr Ruhe gegeben. Ich darf auch in der Vorbemerkung sagen, daß ich mir gewünscht hätte, daß der Bundesminister für Wirtschaft selbst hier erschienen wäre. Das ist nicht gegen Sie gerichtet, verehrter Herr Staatssekretär. Aber er sollte sich wirklich ein wenig mehr um dieses Gesetz kümmern. Denn Film ist nun einmal ein Medium, um das man sich kümmern und sorgen muß. Ich erwarte, daß zumindest im Ausschuß und in der zweiten beziehungsweise dritten Lesung der Minister selbst zu diesem wichtigen Komplex einmal das Wort ergreift.
Als wir vor fünf Jahren hier auseinandergingen
- damals waren die Berichterstatter noch Ihr verehrter Ehemann, Herr Dr. Glotz von der SPD, und Herr Dr. Hirsch von der FPD, der heute auch schon gesprochen hat, und ich; es war also eine Runde, die nun nur in neuer Besetzung, aber doch irgendwie miteinander verbunden antritt -, sind wir leider im Streit geschieden.
({0})
- Herr Dr. Hirsch, der heute in Nordrhein-Westfalen Innenminister ist. - Ich habe das damals bedauert, weil die Initiative zu diesem Filmförderungsgesetz von unseren ehemaligen Kollegen Dr. Martin und Dr. Toussaint ausgegangen ist. Das war 1967. Wir waren alle gemeinsam der Auffassung, daß etwas mehr getan werden muß. Wir sind damals im Streit auseinandergegangen; denn SPD und FDP hatten den ursprünglichen Entwurf des Wirtschaftsministers - es ist wichtig, daß man sich daran erinnert - in der Ausschußberatung vollkommen geändert. Die CDU/CSU hielt zum Wirtschaftsminister Friderichs und bedauerte es, daß sein Entwurf so geändert wurde; deshalb entstand das Nein.
Ich erkläre heute für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Die CDU/CSU bekennt sich zum deutschen Film und zur Filmförderung. Ohne Fördermaßnahmen - darüber gibt es wohl keinen Zweifel - gäbe es kaum noch einen deutschen Film.
({1})
- Zum guten deutschen Unterhaltungsfilm, nicht zu jedem, auch nicht zu Porno. Aber die Debatte haben wir hier schon vor fünf Jahren geführt; sie führt jetzt nicht weiter.
Insoweit hat sich seit den Initiativen von damals in der Haltung unserer Fraktion nichts geändert. Wir bejahen den deutschen Film. Wir bejahen vor allem die Tatsache, daß rund 22 000 Arbeitskräfte
eine Sicherung zu erfahren haben. Wir sind der Auffassung, daß der Film ein klassisches Mittel der Unterhaltung und der Entspannung ist, auch ein Ausdrucksmittel der Kultur und des Geistes und nicht zuletzt der nationalen Repräsentanz. Man denke bitte nur an die vielen Filmfestspiele im In-und Ausland.
Die Realität des deutschen Films sieht jedoch anders aus; meine Vorredner, der Herr Staatssekretär wie auch die Kollegin Frau Martiny-Glotz, haben schon darauf hingewiesen. Der Marktanteil des deutschen Films ist, gemessen an den Gesamteinnahmen, heute nur noch 11 %. Dies ist eine erbärmlich geringe Summe. Dieser Betrag - das muß sich die Mehrheitsfraktion entgegenhalten lassen - steht aber auch dafür, daß die Novelle, die wir 1974 verabschiedet haben, die vielbeschworene Qualitätsverbesserung nicht gebracht; ja, sie hat sich als Bumerang erwiesen. Es ist mit dem deutschen Film nicht weiter aufwärts-, sondern - und ich muß bei einem Wirtschaftsgesetz an Umsatz denken - weiter abwärts gegangen.
({2})
Die hierfür Verantwortlichen sind auf ihren an den Marktbedürfnissen vorbei produzierten Filmen sitzengeblieben. Nur noch jeder 20. Filmbesucher sieht sich einen rein deutschen Film an. Auch Auszeichnungen bei internationalen Filmfestivals zeigen das. Ich stimme Ihnen hier vollkommen zu, verehrte Frau Kollegin. Ich war selbst in Cannes und habe mir das angeschaut. Das ist für einen Cineasten gut, aber die Masse des Publikums, der Kinobesucher, die nun einmal zu fast 80 % zwischen 15 und 29 Jahren alt sind, geht dort nicht hin. Das heißt wir müssen eine breitere Abspielbasis erreichen. Die Frage lautet somit: Was ist zu tun? Trägt der Entwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, hierzu bei?
Meine Damen und Herren, der CDU/CSU ist es wichtig, daß für eine sachgerechte Lösung verfassungs- und wirtschaftsrechtlich wirkungsvolle und vor den deutschen Gerichten auch durchzuhaltende und als Tatbestände klar ausgewiesene Förderungsmaßnahmen geschaffen sind. Hieran mangelt es bei dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf. Er ist sehr perfektionistisch, um nicht zu sagen: stark dirigistisch und das von der Handschrift eines liberalen Ministers, was uns doch sehr verwundert.
({3})
Das begann mit Diskussionen und Hearings im vorparlamentarischen Raum seitens der Bundesregierung. Nach übereinstimmender Auffassung der Filmwirtschaft ist von deren Vorschlägen so gut wie nichts übernommen worden. Man hat dieses Selbsthilfegesetz - und es ist doch ein Selbsthilfegesetz - in weiten Teilen, in wichtigen Fragen erheblich an den Betroffenen vorbei gemacht.
Hier wird die Auseinandersetzung einsetzen, die wir hoffentlich gemeinsam schlichten. Es ist darauf hingewiesen worden, insbesondere von dem Verband der deutschen Filmtheaterbesitzer - wie ich meine, zu Recht -, daß ein Mittelweg gefunden
werden muß. Man muß mit dem, der das Geld zwar nicht aufbringt, aber durch seine unternehmerische Leistung hervorbringt, in der einen oder anderen Weise ein Einvernehmen erzielen. Man kann nicht gegen den entscheidenden Verband arbeiten! Ich halte das für eine Methodik, die uns keinen Erfolg beschert und die auch der Sache nicht dient. Wir sollten im Ausschuß noch einmal sehr ausführlich miteinander sprechen.
Uns allen ist klar, daß ein derartiger Gesetzentwurf von der verfassungsrechtlichen Seite her nur ein Wirtschaftsförderungsgesetz sein darf. Ich darf daran erinnern, daß wir damals mit Nein gestimmt haben, weil uns Charakter nicht ausreichend genug gewahrt schien. Schon heute sage ich, daß wir das, was wir unter einem Wirtschaftsförderungsgesetz verstehen, in diesem Entwurf nicht genügend vorfinden. Trotzdem können in einem solchen Gesetz auch qualitative Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Aber es muß in erster Linie der Begriff der Handelsqualität hervorstechen. Und Handelsqualität ist nun einmal das, was eine bessere Absatzfähigkeit am Markt im In- und Ausland garantiert.
Die Qualitätsförderung findet in ihrer kulturellen Ausprägung ihren deutlichen Niederschlag durch Haushaltsmittel des Bundesinnenministeriums. Leider hat man den Eindruck, daß hier die Initiative der Bundesregierung inkonsequent ist, wenn man feststellt, daß an zahlreichen Stellen dieses Wirtschaftsförderungsgesetzes - unter völliger Vernachlässigung der Wirtschaftlichkeit - der künstlerische Qualitätsbegriff in den Vordergrund gestellt wird. Das alles wäre noch hinnehmbar - auch bei mangelnder kulturellen Zuständigkeit des Bundes für eine breitangelegte kulturelle Filmförderung -, wenn nicht mittels dieses Gesetzes eine wirtschaftsverwaltungsrechtliche Ausgleichsabgabe, also die Filmabgabe, die allein von den Filmtheatern, Verleihern und Produzenten erwirtschaftet wird, nunmehr zu erheblichen Teilen der staatlichen Kunstförderung zugewendet werden soll. So geht das nicht!
Hauhaltsmittel oder Steuermittel verlangt dieses Gesetz nicht. Es wird nicht einmal die der deutschen Filmwirtschaft von seiten der Regierung seit Jahren versprochene, zur Arrondierung dieses Selbsthilfegesetzes dringend notwendige Hilfe gewährt. Ich halte dies fest, damit klar ist, daß es sich wirklich um ein Gesetz der Selbstverwaltung handelt. Es geht deshalb nicht an, meine Damen und Herren, dieses nunmehr seit mehr als zehn Jahren bestehende Filmförderungsgesetz so auszugestalten, indem man auch in die Filmförderungsanstalt als Träger fortwährend hineindirigiert. Rechtsaufsicht und Richtlinienkompetenz reichen aus.
Für die CDU/CSU sind folgende Punkte wichtig: Zuerst zur Filmabgabe des Fernsehens. Dies ist erforderlich, es sollte in der Diskussion sein. Ich kenne die verfassungspolitische Problematik und meine, daß alle drei Fraktionen, gemeinsam mit den Fernsehanstalten, darüber sprechen müssen: Wer mehr als 1000 Filme pro Jahr spielt - und das ist in den drei Programmen des Fernsehens der Fall -, muß
sich zu einer hohen Abgabe zugunsten des deutschen Films bereit finden.
Zweiter Punkt: Die Festabgabe. Wir halten an einer Festabgabe pro Besucher gekoppelt mit einer automatischen Filmtheater-Förderung fest. Wir ' können darüber diskutieren. Es gilt jedoch, daß es nicht einzusehen ist, warum die Bundesregierung partout eine prozentual bemessene Abgabe durchsetzen will, wenn die Beteiligten, auf deren Konsensus es bei der Ausgleichsabgabe nun einmal ankommt, im Rahmen ihrer Branchensolidarität mittels einer gestaffelten Festabgabe das gleiche Finanzaufkommen garantieren.
Drittens die Gremien. Die Pluralität muß erhalten bleiben. Es darf kein ideologischer Ansatz wie beim letzten Mal gefunden werden. Der wirtschaftspolitische Bezugspunkt muß auch hier klar sein.
Viertens. Die Verteilungsmodalitäten müssen ausgewogen sein.
Fünftens - wenn der Herr Präsident mir noch genehmigt, dies zum Schluß zu sagen -: Es muß deutlich sein, daß die Initiativen des Bundesrates nicht so vom Tisch gewischt werden, wie es die Bundesregierung getan hat. Wir sollten viele wirklich bedenkenswerte Ansätze und Vorschläge, die im Bundesrat oft einvernehmlich verabschiedet worden sind, in unsere Vorlage aufnehmen.
Dies könnte die Grundlage für eine einvernehmliche Lösung sein. Meine Fraktion ist bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten; aber das Stichwort heißt: Wirtschaftsgesetz, Mittelstandsförderungsgesetz. Dies ist die Richtschnur.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kol- legen! Die Debatte dieses Abends zeigt, daß der Deutsche Film trotz erster Anzeichen bei steigenden Besucherzahlen 1977 und 1978 nach wie vor unserer Förderung bedarf. Nur - und dies muß, so glaube ich, am Anfang gesagt werden -: die Möglichkeiten, die wir zur Förderung haben, sind äußerst beschränkt.
Die FDP-Fraktion gibt sich daher nicht der Illusion hin, den deutschen Film zu seiner früheren Bedeutung zurückführen zu können. Dazu haben sich die Bedingungen, denen sich heute der Film zu stellen hat, zwischen den Medien zu sehr verändert. Trotzdem glaube ich: Wer die Kulturlandschaft mit etwas Gespür für neue Strömungen beobachtet - Frau Martiny-Glotz hat darauf hingewiesen -, hat nicht nur Grund zum Pessimismus. Dies gilt auch für den Film, denn mehr als der Spielfilm im Fernsehen bietet gerade der Kinofilm Stoff zur geistigen Auseinandersetzung. Er bietet Anlaß zu einem echten Gespräch zwischen den Besuchern nach einer Veranstaltung.
Zu fragen bleibt natürlich: Hat der Kinofilm gegenüber dem Fernsehen überhaupt noch eine Chance? Der Vorteil des Kinos bleibt; es gibt dem Bürger Wahlmöglichkeien. Der Bürger verläßt seine vier Wände, er wird aktiver Kulturbürger, er bestimmt durch seine Abstimmung an der Kinokasse die Nachfrage und damit letztlich auch das Angebot. Wenn sich Film und Kino auf diesen Typ des aktiven Bürgers einstellen, dann werden auch seine Chancen wieder steigen.
Trotzdem bleibt natürlich zu fragen: Trägt denn dieser Entwurf des Filmförderungsgesetzes dazu bei, dem Film bei einem vorsichtig sich abzeichnenden Stabilisierungsprozeß zu helfen?
Ich glaube, zum einen ist es richtig, daß das Gesetz - und darauf hat Herr Kollege Wohlrabe hingewiesen - weiterhin als Selbsthilfegesetz angelegt worden ist, daß also die Förderungsmaßnahmen mit Geldern finanziert werden, die die Filmwirtschaft und die Besucher mit der Filmabgabe selbst aufbringen. Denn Selbstverwaltung, meine Damen und Herren, bietet am ehesten die Gewähr, daß das Geld natürlich im vorgegebenen gesetzlichen Rahmen möglichst effektiv und gewinnbringend verwendet wird. Dieses Prinzip ist auch besonders geeignet, unternehmerische Eigenverantwortung und Initiative nutzbar zu machen, die nach wie vor Motor unserer Wirtschaftordnung sind.
Nun kam der Vorwurf von Herrn Kollegen Wohlrabe, ein liberaler Wirtschaftsminister hätte sich hier mit durchaus dirigistischen Maßnahmen angefreundet. Er bezieht sich, glaube ich, auf die Befürchtung der zu starken Gremienorientierung und Gremienabhängigkeit der Förderungsempfänger und ihre Entfernung von den Bedürfnissen des Marktes. Ich glaube, daß Sie, Herr Kollege Wohlrabe, damit besonders auf die 1974 eingeführte Projektfilmförderung anspielen, die von mancher Seite als Quelle allen Übels betrachtet wird.
({0})
Sie haben auch erwähnt, daß die Marktferne sehr stark sei. Ich glaube, es ist wichtig, zu sagen, daß in der Zeit, als es diese mehr qualitätsbezogene Projektförderung nicht gab und es den Filmproduzenten völlig freistand, wie sie ihren Film machen wollten, um den deutschen Film keineswegs qualitativ besser bestellt war. Wir erinnern uns: Es war die Blütezeit der sogenannten Sexfilme, der Film wie „Lümmel von der letzten Bank"
({1})
und der Paukerfilme.
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1969 wurde die stolze Zahl von 125 deutschen Filmen erreicht. Jedoch nur 21 erhielten ein Prädikat. Das sind ganze 17 °/o. 1976 dagegen erhielten immerhin 39 von 61 Filmen ein Prädikat. Das sind fast 64 %.
Ich stimme deshalb der Zielsetzung des Regierungsentwurfs zu, die Qualität des deutschen Films weiter zu stärken. Ich betone, dies ist gerade mit einem Wirtschaftsförderungsgesetz durchaus vereinbar. Dieser Weg zu also nicht nur mehr künstleri-
Dr. Haussmann
) scher Qualität, sondern durchaus auch zu mehr Unterhaltungsqualität im Sinn von Handelsqualität hat sich als durchaus richtig erwiesen. Er hat dazu geführt, daß man heute auch im Ausland von einem qualitativ hochstehenden deutschen Spielfilm redet. Der Förderschwerpunkt dieses Gesetzes wird nach wie vor die Filmproduktion sein. Jeder Film ist ja, wie man sagt, ein Prototyp, d. h., sein Erfolg ist grundsätzlich ungewiß. Andererseits sind recht hohe Investitionen notwendig. Dieses große Risiko kann zur Zeit kaum ein Produzent allein tragen, zumal da der Filmverleih seine frühere Rolle als Financier der Filmproduktion seit längerem nicht mehr ausüben kann.
Ich begrüße deshalb sehr, daß künftig auch eine stärkere Förderung des Filmverleihs erfolgen soll - darauf hat Frau Martiny-Glotz sehr stark abgestellt -, vor allem, daß nicht nur einzelne Absatzhilfen, sondern letztlich auch Hilfen zur Überwindung der Strukturkrise des Filmverleihs gegeben werden sollen. Es reicht einfach nicht aus, daß sich heute nur noch zwei bis drei Verleihfirmen dem Absatz deutscher Filme widmen.
Die Förderung der Filmtheater wird uns alle bei der Ausschußberatung des Entwurfs noch beschäftigen. Dies hat auch die heutige Debatte gezeigt. Es ist zu prüfen, ob es sinnvoll ist, ein Gesetz gegen einen Teil der Filmwirtschaft in diesem Punkt zu verabschieden. Die Ausschußberatungen werden hierauf eingehen müssen.
Dies gilt ebenso für die Forderung, die Abgabe
in Form eines festen Betrags zu erheben. Auch hier artikuliert sich ja - Herr Wohlrabe hat es gesagt - eine alte Forderung der Filmtheater. Aber auch in diesem Fall muß man sich fragen, wem eine nichtprozentuale Form der Abgabe eigentlich nützt.
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Sicher nicht den kleinen und sicher nicht - darauf hat Staatssekretär Grüner verwiesen den mittelständischen Filmtheatern; eher schon den großen, ja den umsatzstarken Erstaufführungskinos.
Abschließend ein Wort zu der Forderung, das Fernsehen zu einer gesetzlichen Filmabgabe heranzuziehen. Gewiß ist das Fernsehen ein sehr großer Konkurrent des Kinos, wenn es über 1 000 Spielfilme pro Jahr ausstrahlt, wie es ja gegenwärtig schon der Fall ist. Daher ist es nur gerecht, daß das Fernsehen zumindest zu freiwilligen Leistungen bereit sein muß. Diese Bereitschaft würde allerdings mit Sicherheit durch eine gesetzliche Filmabgabe zunichte gemacht, die nur Widerstand bis hin zum Bundesverfassungsgericht zur Folge hätte.
Aus diesem Grund müssen gesetzliche Schritte in Richtung einer Filmabgabe des Fernsehens mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Ich für meine Person würde eine freiwillige Kooperation diesem Konflikt vorziehen, wobei allerdings in jedem Fall die Frage zu stellen ist, ob das bisherige Angebot des Fernsehens, seine Leistungen indem angekündigten Umfang zu erhöhen, bereits ausreicht
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oder ob nicht noch höhere Anstrengungen vom Fernsehen erwartet werden können. In diesem Sinn wird sicher mit den Fernsehanstalten auch die Bundesregierung zu sprechen haben. Ich bin im Namen der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten gern bereit, hier zu helfen.
Ich möchte rechtzeitig schließen, damit allen Kollegen noch die Möglichkeit gelassen wird, sich heute abend einen guten deutschen Spielfilm anzusehen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung auf Drucksache 8/2108 an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - sowie an den Innenausschuß und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - mitberatend - vor. Ist das Haus mit den. Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats einverstanden? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen
- aus Drucksache 8/693 Zweite Beschlußempfehlung und Zweiter Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 8/2152 - Berichterstatter:
Abgeordneter Klein ({1})
Abgeordneter Erhard ({2})
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Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort sonst noch gewünscht? - Auch nicht.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe auf Art. 1 bis 3 - Art. 4 und 5 entfallen -, Art. 6 und 7, Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem seine Zustimmung geben will, bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Enthaltungen? - Keine. Es ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung ides Gesetzes über die vermögensrecht8642
Vizepräsident Stücklen
lichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs ({4})
- Drucksache 8/2131 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung des Ehenamens ({5})
- Drucksache 8/2124 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({6})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. Ist das Haus mit den vom Ältestenrat vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses ({7}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 8/2129 -
b) Beratung der Sammelübersicht 30 des Petitionsausschusses ({8}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 8/2137 Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/2129 und 8/2137 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? Eine Stimmenthaltung. Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind damit angenommen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußfassung und des Berichts des Innenausschusses ({9}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag des Rates, den Zeitraum für die allgemeine unmittelbare Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom 7. bis 10. Juni 1979 festzulegen
- Drucksachen 8/2004, 8/2138 - Berichterstatter:
Abgeordneter Wittmann ({10}) Abgeordneter Krey
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird sonst noch das Wort gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2138, von der Entschließung des Europäischen Parlaments auf Drucksache 8/2004 zustimmend Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. Oktober 1978, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.