Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Hause Kenntnis von einer Mitteilung des Generalbundesanwalts geben, die ich am 26. September erhalten habe. Der Generalbundesanwalt schreibt mir darin folgendes:
Ich darf Sie davon in Kenntnis setzen, daß ich das Ermittlungsverfahren gegen den Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Uwe Holtz gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozeßordnung eingestellt habe. Der gegen Herrn Dr. Holtz entstandene Tatverdacht ist durch das Ergebnis der Ermittlungen ausgeräumt.
Soweit der Brief des Generalbundesanwalts.
Ich begrüße es, daß damit die unseren Kollegen Holtz betreffende Angelegenheit einen schnellen und für ihn befriedigenden Abschluß gefunden hat.
Im Hinblick auf die öffentliche Diskussion der letzten Tage liegt mir aber daran, noch einmal folgende Feststellung zu treffen. Der Deutsche Bundestag hat am 1. September einen Beschluß über die Aufhebung der Immunität eines von uns namentlich nicht genannten Abgeordneten gefaßt, weil dies von dem Generalbundesanwalt, gestützt auf einen Beschluß des Bundesgerichtshofs, so beantragt worden war. Das gewählte Verfahren entsprach der bisherigen Ubung des Hauses; alle Fraktionen haben ihm zugestimmt. Die Entscheidung im Plenum erging einstimmig.
Ich habe in der Sitzung am 1. September ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Aufhebung der Immunität grundsätzlich ein wertfreier Akt ist und unter keinen Umständen eine Vorabverurteilung durch das Haus darstellen darf.
Der ungewöhnliche Vorgang einer Sondersitzung in der Sommerpause hat dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Veranlassung gegeben, erneut Vorschläge über eine Vereinfachung des Verfahrens in Immunitätsangelegenheiten zu beraten und den Fraktionen zur Stellungnahme vorzulegen. Ich hoffe, daß wir gemeinsam eine Lösung finden werden, die allen Belangen, insbesondere den vom Grundgesetz garantierten Rechten des Parlaments, Rechnung trägt.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr die Punkte 2 bis 6 der Tagesordnung auf:
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze ({0})
- Drucksache 8/2116 Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({1})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neugestaltung des steuerlichen Kinderlastenausgleichs
- Drucksache 8/2130
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze ({3})
- Drucksache 8/2118 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO.
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte ({5})
- Drucksache 8/2119 Überweisungsvosrchlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 8/2120 8412
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) Finanzausschuß
Aussdiuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Aussprache zu diesen Gesetzentwürfen nicht vorgesehen.
Wird zu diesen Punkten 2 bis 6 der Tagesordnung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats sind aus der Ihnen vorliegenden Tagesordnung ersichtlich. Ist das Haus mit den vom Ältestenrat vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Sondergutachtens des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zur wirtschaftlichen Lage im Juni 1978
- Drucksache 8/2069
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Haushaltsausschuß
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sachverständigenrat hat den gesetzlichen Auftrag, außer dem Jahresgutachten dann ein zusätzliches Gutachten zu erstatten, wenn Entwicklungen erkennbar werden, welche die im Gesetz genannten gesamtwirtschaftlichen Ziele gefährden.
({0})
Entschuldigung, Herr Bundesminister. Darf ich die Kollegen bitten, Platz zu nehmen und dem Redner ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Mit dem vorliegenden Sondergutachten hat der Rat diesen Auftrag des Gesetzgebers pflichtgemäß erfüllt.
Ich habe das Sondergutachten vom 19. Juni noch am gleichen Tage zur Veröffentlichung freigegeben. Ich bitte das Parlament ausdrücklich um Entschuldigung, daß es auf Grund eines Versehens nicht auch sogleich den gesetzgebenden Körperschaften förmlich zugeleitet worden ist. Wir werden das beim nächstenmal selbstverständlich wieder beachten.
Die Beurteilung der Lage und Perspektiven im Sondergutachten deckte sich weitgehend mit meiner Auffassung. Der Sachverständigenrat unterstrich die negativen Besonderheiten des ersten Quartals, nämlich die währungspolitische Unsicherheit, die Arbeitskämpfe und die anhaltend schlechte Witterung. Er rechnete damit, daß man sich wohl auf eine im ganzen etwas schwächere konjunkturelle Belebung einstellen müsse, als es im Herbst des letzten Jahres möglich schien. Den zu erwartenden Abstand zum Wachstumsziel der Bundesregierung schätzte der Rat allerdings nicht sehr groß ein. Er hat in der Tat mit seinem damaligen Urteil recht behalten, daß die konjunkturellen Aussichten für den weiteren Verlauf dieses Jahres nicht so ungünstig sind, wie sie sich nach der Entwicklung in den ersten Monaten dieses Jahres darstellten.
Die Bilanz des ersten Halbjahres 1978 weist gegenüber der ersten Hälfte des Vorjahres einen Anstieg des realen Bruttosozialprodukts um 2,8 % aus. Das sind weniger als die 31/2 %, die wir uns im Jahreswirtschaftsbericht als Wachstumsziel für das ganze Jahr 1978 gesetzt hatten. Aber wir haben im Jahreswirtschaftsbericht hinzugefügt und nachdrücklich unterstrichen, daß diese Aussage mit Risiken und Unsicherheiten, vor allem im internationalen Bereich, verbunden sei.
Dieses Ergebnis beruht jedoch auf recht unterschiedlichen Entwicklungen. Die Produktion hat nach einer beachtlichen Dämpfung durch Arbeitskämpfe und ungünstige Witterung erst nach dem ersten Quartal Tritt fassen können. Der private Verbrauch nahm mit real plus 4 % dagegen überproportional zu und entsprach den Vorstellungen der Jahresprojektion. Hierzu haben die Steuererleichterungen und die Kindergelderhöhung zum 1. Januar 1978 sowie eine günstige Verbraucherpreisentwicklung wesentlich beigetragen.
Unter dem Einfluß staatlicher Maßnahmen und des relativ niedrigen Zinsniveaus kam es zu einer kräftigen Expansion der Baunachfrage. Die Reichweite der Auftragsbestände im Bauhauptgewerbe entsprach im Juli dem hohen Niveau im Sommer 1971.
Die Investitionsneigung der Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft war im ersten Halbjahr aber insgesamt immer noch verhalten. Inzwischen hat sich die Investitionsbereitschaft der gewerblichen Wirtschaft wieder leicht verbessert.
Von der Außenwirtschaft gingen im bisherigen Jahresverlauf, vor allem unter dem Einfluß schwacher Konjunktur in Westeuropa, abschwächende Wirkungen auf unser Wirtschaftswachstum aus. In der Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung lagen die realen Ausfuhren in den ersten sechs Monaten um 41/2% die realen Einfuhren dagegen um 6 % höher als vor Jahresfrist. Dieses Verhältnis von Ein- und Ausfuhren hat sich in den Monaten Juli und August fortgesetzt. Die wieder höheren Überschüsse in unserer Handels- und Leistungsbilanz sind auf unterschiedliche Entwicklungen der Export- und Importpreise, also die Verbesserung der Terms of trade zurückzuführen und verschleiern die realen Güterbewegungen. Die deutsche Wirtschaft leistet derzeit einen starken Beitrag dazu, Produktion und Beschäftigung in unseren Partnerstaaten zu stützen. Das ist gewollt.
Für den weiteren Jahresverlauf ist mit leicht anziehender Konjunktur zu rechnen. Auch das Sondergutachten des Sachverständigenrates ging von einer
solchen Entwicklung aus. Dafür sprechen insbesondere folgende Faktoren. Gestiegene Geschäftserwartung der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere auch der Investitionsgüterindustrie, und die um die Jahresmitte registrierte leichte Zunahme der Inlandsbestellungen bei diesem Wirtschaftszweig könnten darauf hindeuten, daß sich die im ersten Halbjahr nur schwach ausgeprägte Investitionsneigung verstärkt.
Vom Wohnungsbau und von den öffentlichen Investitionen werden nach der jüngsten Entwicklung von Auftragseingang und Auftragsbestand weiterhin deutliche Wachstumsimpulse kommen. Allerdings gibt es in der Bauwirtschaft bereits Kapazitätsengpässe und insbesondere Facharbeitermangel. Die deutliche Expansion des Staatsverbrauchs, die bereits im ersten Halbjahr erkennbar wurde, dürfte sich - den Haushaltsplänen der Gebietskörperschaften zufolge - ebenfalls fortsetzen. Auch die private Verbrauchsnachfrage wird weiterhin konjunkturstabilisierende Wirkungen ausüben.
Demgegenüber sind von der Auslandsnachfrage nachhaltige Wachstumsimpulse kurzfristig kaum zu erwarten; denn die Weltwirtschaft befindet sich offenbar noch immer in einer Phase verhaltener Expansion, und die Dollarschwäche belastet leider noch immer die derzeitige Lage. Vor allem in den USA und in Japan hat sich die Produktionsentwicklung zuletzt wieder verlangsamt. In Westeuropa konnten sich zeitweise beobachtete Belebungstendenzen bisher nicht eindeutig durchsetzen. Für 1979 sind die Perspektiven angesichts der zur Zeit in den meisten Ländern eingeleiteten Maßnahmen allerdings günstiger.
Für die deutsche Wirtschaft, meine Damen und Herren, kommt hinzu: ausländische Wettbewerber sind vielfach billiger als wir. Wir können auf die Dauer nicht davon ausgehen, daß Qualität, pünktliche Lieferung und sorgfältiger Service unsere höheren Preise kompensieren können. Ich habe das gerade bei meinen Reisen nach Tokio und Moskau deutlich gespürt. Auch bei den in Aussicht gestellten China-Geschäften werden wir die internationale Konkurrenz nicht übersehen dürfen. Hier stehen unübersehbare Warnzeichen, die wir beachten müssen und auf die sich unsere Wirtschaft einzustellen hat.
Alles in allem aber besteht gute Aussicht, daß wir 1978 bei der Preisniveaustabilisierung besser als erwartet abschneiden werden - knappe 3 % statt 31/2%- und daß es uns gelingt, die Arbeitslosigkeit, wie vorgesehen, auf etwa 41/2 % zu beschränken. Im Jahresdurchschnitt wird es wohl gelingen, erstmals die Millionengrenze wieder knapp zu unterschreiten. Die Jahreswachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts könnte nahe an 3 % herankommen.
Diese Zwischenbilanz, meine Damen und Herren, beweist die Wirksamkeit der 1977 von der Bundesregierung ergriffenen wachstumsfördernden Maßnahmen.
Schon am Jahresanfang waren wir uns darüber einig, was wir als wichtigste Aufgabe für die Wirtschaftspolitik 1978 anzusehen hatten: eine nachhaltige Belebung der Wirtschaftstätigkeit bei weiteren Stabilisierungsfortschritten zu sichern und die Rahmenbedingungen für ein mittelfristig angemessenes und stetiges Wachstum zu verbessern.
Das Wachstum wollen wir natürlich nicht um seiner selbst willen, sondern für eine Verbesserung der Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten und eine bessere Befriedigung des privaten und öffentlichen Bedarfs.
Die Bundesregierung stimmt deshalb in weitem Maße auch mit dem wirtschaftspolitischen Urteil des Sachverständigenrates überein, daß es jetzt nicht auf kurzfristige Konjunkturstimulierung ankommt; erforderlich ist vielmehr eine Wachstumspolitik, welche die Rahmenbedingungen für mehr Investitionen und Innovation und somit mehr Beschäftigung verbessert. Die Bundesregierung ließ sich bei ihren Beschlüssen vom 28. Juli von der Vorstellung leiten, daß kurzfristig wirkende Maßnahmen nur einen konjunkturellen Strohfeuereffekt hätten und nicht geeignet wären, die Wachstumschancen nachhaltig und dauerhaft zu verbessern. 'Sie hat mit ihren Beschlüssen vom 28. Juli daher kein Konjunkturprogramm gewohnter, hergebrachter Art verabschiedet. Sie hat statt dessen der schon in den beiden letzten Jahren verfolgten, längerfristig angelegten Strategie zur dauerhaften Verbesserung der Wachstumsbedingungen weitere Elemente hinzugefügt.
Dieses Vorgehen entspricht weitgehend auch der Vorstellung des Sachverständigenrates, der gegenwärtig keinen Handlungsbedarf für eine Finanzpolitik als Konjunkturpolitik, dagegen Handlungsbedarf für eine Finanzpolitik als Wachstumspolitik sieht.
Die Bundesregierung stimmt auch weitgehend mit Vorstellungen des Sachverständigenrates über die konkrete Ausgestaltung der erforderlichen Maßnahmen überein. Allerdings sind hier nach ihrer Ansicht die Akzente teilweise etwas anders zu setzen.
Der Rat betont zu Recht, daß zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung eine Minderung der Investitionsrisiken und die zusätzliche Schaffung rentabler Angebotsmöglichkeiten erforderlich sind. Dazu ist eine nachhaltige Kostenentlastung zweifellos von großer Bedeutung. Ebenso wie zahlreiche Maßnahmen der vergangenen Jahre liegen daher auch die neuen Regierungsbeschlüsse auf dieser Linie: zunächst die Entlastungen bei der Einkommensteuer, die auch den kleinen Unternehmen zugute kommen - oft wird geradezu geflissentlich übersehen daß die erhebliche Zahl der Selbständigen mit mittleren Einkommen von der Tarifreform ebenso profitiert wie die abhängig Beschäftigten -, Abschaffung der Lohnsummensteuer, Anhebung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer, verstärkte Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, Verbesserung der realen Einkommenslage für die Arbeitnehmer durch die Entlastung bei der Lohnsteuer. Solche angebotsorientierte Politik schafft bei nicht ausgelasteten Kapazitäten und der erheblich gewachsenen Zurückhaltung bei längerfristigen Dispositionen allein jedoch keine zusätzlichen Investitionen, solange es an dauerhaften Absatzchancen mangelt. Bei der vorherrschenden Un8414
terauslastung des Produktionspotentials ist von den Unternehmen im Regelfall jedenfalls nicht zu erwarten, daß sie Erweiterungsinvestitionen vornehmen, bevor sie mehr Nachfrage nach den von ihnen hergestellten Waren erwarten können. Nur diese aber könnte sie an die Normalauslastung heranführen. Deshalb brauchen wir zugleich eine dauerhafte Stärkung der privaten Nachfrage, wie sie die Regierungsvorschläge zur Senkung der Lohn- und Einkommensteuer und zur Anhebung des Kindergeldes vorsehen.
Die zurückhaltende wachstumspolitische Einstufung von solchen nachfragestützenden Maßnahmen durch den Sachverständigenrat erscheint mir nicht gerechtfertigt. Wachstumspolitik erfordert nach meiner Ansicht Aktionen auf beiden Seiten: nachhaltige Kostensenkung u n d Stabilisierung der Absatzperspektive. Die Korrektur des Einkommensteuertarifs bedeutet außerdem Abbau von Leistungshemmnissen und setzt damit einiges an manchmal verschütteter Dynamik frei.
Der Gesamtbetrag der vorgeschlagenen Maßnahmen beläuft sich für 1979 nach Abzug der zusätzlichen Einnahmen aus der geplanten Mehrwertsteuererhöhung netto auf 12,2 Milliarden DM; das ist rund 1 % des Bruttosozialprodukts. Der Nettokreditbedarf der Gebietskörperschaften dürfte dabei 1979 in einer Größenordnung von rund 58 Milliarden DM gegenüber zirka 45 bis 47 Milliarden DM 1978 liegen.
Auch diese Entwicklung steht im Grunde nicht im Gegensatz zu der Auffassung des Sachverständigenrates. Die Mehrheit des Rates lehnt zwar im Grundsatz eine Ausweitung des öffentlichen Defizits ab, ging allerdings damals für 1978 auch noch von einem wesentlich höheren Defizit aus. Der Rat befürwortet deswegen eine Kompensation der wachstumspolitisch motivierten Steuersenkungen durch Ausgabenkürzungen oder durch Erhöhung der Mehrwertsteuer oder anderer Verbrauchsteuern. Er unterstreicht jedoch, daß solche Schritte nicht zur konjunkturellen Unzeit eingeleitet werden sollen. Gegebenenfalls wäre nach seiner Ansicht eine zeitliche Streckung der zur Konsolidierung für notwendig erachteten Steuererhöhungen vorzusehen. Insoweit hält die Mehrheit des Rates dann auch eine vorübergehende Zunahme des Staatsdefizits für vertretbar.
Die Warnung des Sachverständigenrates, daß öffentliche Defizite ihres bloßen Ausmaßes wegen negative Überreaktionen am Kapitalmarkt auslösen können, nimmt die Bundesregierung sehr ernst. Um dieser Gefahr zu begegnen, hat sie gleichzeitig die Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 1. Juli 1979 vorgeschlagen. Bundesregierung und Bundesbank halten den vorgesehenen Nettokreditbedarf 1979 kapitalmarktpolitisch für vertretbar. Auch die jüngste Entwicklung am Kapitalmarkt mit einem wiederum leichten Zinsrückgang und seiner hohen Ergiebigkeit zeigt uns, daß die erwartete staatliche Kreditaufnahme aus heutiger Sicht vom Kapitalmarkt für tragbar gehalten wird.
Einen guten Anschauungsunterricht, wie unterschiedlich solche Dinge auch in der Öffentlichkeit dargestellt werden, nämlich von einem Fachmann des Kieler Instituts für Weltwirtschaft einerseits und dem als Kapitalmarktexperten meines Wissens bislang nicht hervorgetretenen politischen Journalisten Matthias Walden auf der anderen Seite, hat die letzte Ausgabe der „Welt am Sonntag" geboten. Sachverstand steht da gegen Emotion. Wir alle' sollten dazu beitragen, daß der Sachverstand das letzte Wort behält.
({0})
Im übrigen lohnt es sich wohl, daran zu erinnern, daß die staatlichen Defizite in der Vergangenheit am Jahresende bisher immer, noch jedes Jahr, niedriger waren als ursprünglich angenommen; auch 1978 wird das wiederum so sein. Fazit: Die Beschlüsse der Bundesregierung und die Vorstellungen des Sachverständigenrates liegen im großen und ganzen eng beieinander.
Ich weiß, daß es demgegenüber namhafte Anhänger einer expansiven Ausgabenpolitik gibt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin votiert z. B. dafür. Massive zusätzliche Ausgabenprogramme verbieten sich aber meines Erachtens vor allem deshalb, weil sie nach aller Erfahrung den Ausgabensockel dauerhaft erhöhen. Der daraus resultierende Konsolidierungsbedarf beeinträchtigt eher die Zukunftserwartungen der Privaten.
Notwendig, meine Damen und Herren - das sei allerdings in diesem Zusammenhang unterstrichen -, ist aber in jedem Fall eine Verstetigung der öffentlichen Investitionsausgaben. Nun sind nach unserer Erfahrung öffentliche Investitionen in der Regel überwiegend Bauinvestitionen. In der Bauwirtschaft sind jedoch die durch Kapazität, Arbeitsmarkt und Preissituation gegebenen Grenzen erreicht. Die expansiven Maßnahmen der Konjunktur- und Wachstumspolitik des vergangenen Jahres haben schon dazu geführt, daß die Bauwirtschaft 1978 und auch 1979 wesentlich zur Stützung der Konjunktur beiträgt. Eine weitere Stimulierung der Baunachfrage würde das Preisgefüge nur noch mehr in Bewegung bringen.
Steuererleichterungen vergrößern demgegenüber den privatwirtschaftlichen Handlungsspielraum. Sie verbessern die Wachstumschancen. Sie können sich damit gleichzeitig als eine Maßnahme zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte erweisen. Deshalb haben wir den Akzent unserer Beschlüsse vom 28. Juli auf Steuererleichterungen gelegt. Das IfoInstitut für Wirtschaftsforschung in München erwartet, daß wie schon 1978 und 1979 und 1980 davon erhebliche wachstumsanregende Einflüsse auf die Wirtschaft ausgehen werden.
Die Bundesregierung hält es mit dem Sachverständigenrat auch für erforderlich, zum Abbau von Investitionsbehinderungen auch staatliche Regulierungen und Auflagen immer wieder auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Deshalb haben wir gestern im Kabinett z. B. einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung und Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht verabschiedet und hoffen auf Ihre Zustimmung.
Die Ansicht der Mehrheit des Rates zur Arbeitszeitverkürzung ist weitgehend zu teilen. Eine primär defensive Strategie der forcierten ArbeitsumverteiBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
lung würde in einen gesamtwirtschaftlichen Teufelskreis führen, bei dem am Ende nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung herauskommt. Wir haben deshalb keine andere Wahl, als die Beschäftigungsprobleme in erster Linie durch eine offensive, aber realistische Wachstumsstrategie zu lösen. Weil dem jedoch in der gegebenen weltwirtschaftlichen Lage Grenzen gesetzt sind, spricht nichts dagegen, daß die Tarifparteien flankierend sorgfältig dosierte und in die strukturelle Entwicklung eingepaßte Arbeitszeitverkürzungen vereinbaren.
Alle unsere nationalen Entscheidungen, meine Damen und Herren, sind gegenwärtig auf eine Stärkung des Wirtschaftswachstums und damit der Beschäftigung auszurichten. Auch die autonomen Tarifparteien können bei ihren Lohn- und Arbeitszeitvereinbarungen daran nicht vorbeigehen.
Unsere binnenwirtschaftlichen Anstrengungen müssen sich natürlich in den größeren weltwirtschaftlichen Zusammenhang einfügen. Das Ausland hat lange Zeit von uns weit mehr an Einflußnahme auf die Belebung der Weltwirtschaft erwartet, als wir je zu bewirken vermögen. Die internationale Kraft unserer Wirtschaft ist ungeheuer überschätzt worden. Auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel ist es aber gelungen, die großen Industrieländer für eine gemeinsame Strategie zu gewinnen. Dabei ist im wirtschaftspolitischen Denken gegenüber früher eine beachtliche Annäherung eingetreten. Die Probleme werden mit sehr viel mehr und sehr viel größerer internationaler Solidarität angepackt.
Die Aufgaben der Industrieländer - und damit auch unsere Aufgaben - sind derzeit vielfältig: beharrliche Fortsetzung des Kampfes gegen die Inflation; Konsolidierung des Weltwährungssystems und Aufbau eines dauerhaften und stabilen europäischen Währungssystems; Vermeidung von Handelsprotektionismus und statt dessen Fortsetzung der Liberalisierung des Welthandels durch erfolgreichen Abschluß der GATT-Verhandlungen, bei denen immer noch wichtige Punkte offen sind; verstärkte Beteiligung der Entwicklungsländer am weiteren Ausbau des Welthandels; Verzicht auf die Konservierung überholter Industriestrukturen und statt dessen Eröffnung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten durch Förderung der Strukturanpassung, der Investitionstätigkeit, von Existenzgründungen und der Forschung; Verwirklichung der Programme zur Dämpfung des Energieverbrauchs sowie gemeinsame Förderung des Wirtschaftswachstums in allen westlichen Industrieländern. Dafür - davon sind wir überzeugt - hat der Bonner Weltwirtschaftsgipfel entscheidende Anstöße gegeben.
Die Bundesregierung hat ihre wachstumspolitischen Beschlüsse vorgelegt. Es geht ihr um die gleichen Ziele wie dem Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten: die Rahmenbedingungen für ein anhaltendes, verstärktes Wirtschaftswachstum dauerhaft deutlich zu verbessern. Sie hat die Akzente zum Teil anders gewichtet, um den heute besser als im Juni überschaubaren Unterschieden in der wirtschaftlichen Entwicklung gerecht zu werden. Eine Garantie, meine Damen und Herren, für das Zustandekommen eines neuen dynamischen und selbsttragenden
Wachstumsprozesses können allerdings staatliche Maßnahmen allein nicht bieten. Der Staat, die Bundesregierung kann für ein dynamisches Wachstum nur die Voraussetzungen schaffen. Sie werden um so besser sein, je zügiger dieses Programm nun von Bundestag und Bundesrat verhandelt und verabschiedet wird. Aber auch dann haben wir noch nicht mehr als eine festere Grundlage geschaffen, auf der Unternehmer und Arbeitnehmer ihr eigenes, selbstverantwortliches Handeln bestimmen müssen. Am Ende kommt es auf dieses Tun und Handeln an. Wir wollen mit einer Verstärkung der privaten Kaufkraft und der Kostenentlastung gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen private Initiativen freisetzen, die zu höherem Wachstum und höherer Beschäftigung führen.
Die Bundesregierung hat damit das getan, was in der gegenwärtigen nationalen und internationalen wirtschaftspolitischen Situation notwendig und, wie wir meinen, richtig ist. Über Einzelheiten der Beschlüsse läßt sich ganz gewiß diskutieren.
Aber über dieser Debatte sollte nicht vergessen werden, daß die Bundesregierung auf eine Politik setzt, die Platz für neue Aktivitäten der Arbeitnehmer und der Unternehmen gibt und so die Basis für zusätzliches Wachstum auf Dauer schafft. Dieser Aufgabe müssen wir uns alle stellen, und niemand von uns, ob in der Koalition oder in der Opposition, darf sich ihr versagen. Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich gebessert. Jetzt müssen wir unseren Beitrag leisten, um sie auch langfristig noch sicherer zu machen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Schlechtachten hat Ihr Kabinettskollege Ehrenberg genannt, was Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, gerade so positiv beurteilt haben - Schlechtachten das, woraus Sie das Fazit ziehen, daß die Vorstellungen des Sachverständigenrates und die Beschlüsse der Bundesregierung im großen und ganzen eng beieinander liegen. Nun, „im großen und ganzen" - das ist dehnbar. Die Opposition ist der Ansicht - das habe ich jetzt auszuführen -, daß das Steuerpaket nur Spurenelemente aus den Vorschlägen des Sachverständigenrates aufgreift.
Um die Zweckmäßigkeit des Rates der Sachverständigen zu überprüfen, haben wir von der Opposition her zunächst zu untersuchen, ob es sich wirklich um ein Schlechtachten handelt oder ob wir ein Gutachten auf der Tagesordnung haben; denn ich meine, daß Minister Ehrenberg den Ausdruck Schlechtachten abwertend gemeint hat und nicht etwa zum Ausdruck bringen wollte, Herr Minister, daß Ihr Staatssekretär dieses Gutachten bestellt hat.
Lassen Sie uns auch untersuchen, ob hier wirklich ein Dokument vorliegt, das mit „Redseligkeit des Sachverständigenrates", mit „Profilneurose des Vorsitzenden" zu erklären und als „Brei mit ideologi8416
schen Zutaten" zu werten ist, wie sich Kollege Roth auszudrücken beliebte. Ich meine, Kollege Roth - Sie sind ja immerhin Mitglied des Bundesvorstandes der SPD -, diesen Brei sollten Sie in Ihrer eigenen Küche und nicht bei wissenschaftlichen Autoritäten suchen. Sie haben heute morgen hier Gelegenheit, sich für die Tiefschläge beim Sachverständigenrat zu entschuldigen.
({0})
Meine Damen und Herren von der Koalition, seitdem wir die Wirtschaftskrise haben, beginnen zumindest die SPD-Redner jeweils mit dem gleichen Drehbuch. So Ihr Wirtschaftssprecher Junghans zuletzt in der Debatte vom 23. Februar; ich zitiere aus dem Protokoll:
aktuell ist die Meldung, die gestern vom DIW auf den Tisch kam: Die Wachstumspause in der Bundesrepublik ist nach der Stagnation im Sommer des vergangenen Jahres beendet ...
Dazu der Abgeordnete Wehner: Hört! Hört! Zwei Monate später haben dann die Forschungsinstitute festgestellt, daß genau das Gegenteil der Fall ist.
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Zehn Tage vor der Hessen-Wahl bin ich einmal gespannt darauf, ob die nachfolgenden Redner ähnlich wie Graf Lambsdorff der Versuchung widerstehen werden, mit einigen positiven Meldungen wieder einmal den „großen Konjunkturdurchbruch" aufzuzeigen. Bundesbankbericht, Ifo, Kieler Institut, Monatsbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft: das sind auch erfreuliche Nachrichten. Aber ich warne davor, daraus eine neue konjunkturpolitische Legende zu machen. Ein paar freundliche Herbsttage entschädigen noch nicht für einen verregneten Sommer. Es ist politisch ganz und gar unangebracht, zehn Tage vor einer wichtigen Wahl aus einer partiell verbesserten Verbrauchsneigung auf einen echten Aufschwung schließen zu wollen. Mit dieser Methode haben Sie in Nordrhein-Westfalen schon im Jahre 1975 die Wähler getäuscht.
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Wie konnte der Bundeskanzler letzte Woche sagen, daß es uns so gut gehe, wenn wir doch nach seinen eigenen Aussagen die Grenzen der Verschuldung erreicht haben?
Wie ist die reale Lage? Erstens: Das Wachstum im ersten Halbjahr beläuft sich auf 2,8 %. Wenn man aber abzieht, daß wir einen zusätzlichen Arbeitstag hatten, Herr Bundeswirtschaftsminister, was man ja wohl tun muß, dann kommen wir nur auf 2,5 %. Entscheidend ist: damit sind wir leider unter dem Produktivitätszuwachs von 3,0 0/o geblieben. Abbau von Arbeitslosigkeit, heißt das, kann allenfalls durch Auffüllen der stillen Reserve erfolgen. Anders ausgedrückt: unser Wachstum ist zu
niedrig, um auch nur einen zusätzlichen Arbeitsplatz zu schaffen, wie es Dieter Piel in der heutigen Ausgabe der „Zeit" sinngemäß zum Ausdruck bringt. Das heißt, es ist nicht gelungen, von einer angetriebenen zu einer autonomen Konjunktur zu kommen. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Wachstum, das in seiner Größenordnung von absolut rund 40 Milliarden DM noch unter der gesamtstaatlichen Neuverschuldung von 52 Milliarden DM steht?
Eine zweite Bemerkung zur realen Lage. Der Bundeswirtschaftsminister hat den Rückgang unserer Wettbewerbsfähigkeit auf Auslandsmärkten dargestellt. Der Rückgang der Auslandsaufträge, die Verlangsamung des Eingangs von Auslandsaufträgen, gibt uns zu Besorgnis Anlaß. Es besteht jedenfalls die Gefahr, daß der Export im zweiten Halbjahr stagnieren wird. Unser Wachstum beruht jetzt vorwiegend auf dem inländischen Verbrauch, und der ist ja gerade in den Branchen, die im Augenblick das Wachstum bringen, nicht gerade auf Dauer stabil.
Damit bin ich - drittens - bei der eigentlichen Schwachstelle unserer Konjunktur - sie ist nicht beseitigt -, der Investitionslücke. Im ersten Halbjahr 1978 ist die Nachfrage nach Investitionsgütern nach dm Ifo-Index mengenmäßig real noch nicht einmal auf der Höhe von 1970. Der Anteil der Erweiterungsinvestitionen ist in jedem Fall zu niedrig. Es dürfte auch nicht stimmen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß man mit Erweiterungsinvestitionen erst dann zu rechnen hat, wenn die Kapazitäten ausgelastet sind. 1968 sprangen die Erweiterungsinvestitionen schon in dem Zeitpunkt an, in dem die Kapazitäten noch längst nicht ausgelastet waren, das Vertrauen der Investoren in eine vernünftige Wirtschaftspolitik sich jedoch wieder eingestellt hatte.
Eine letzte Bemerkung zur Lage: Von Juni bis August hat sich die Geldmenge M 3, also in ihrer weitesten Abgrenzung, saisonbereinigt und auf Jahresrate umgerechnet, um 16 °/o erhöht. Die Bundesbank sagt in ihrem September-Bericht, der Grund liege in dem anhaltend hohen Kreditbedarf des Staates, der zu befriedigen gewesen sei: allein im August netto 6,5 Milliarden DM. Die Bundesbank warnt deshalb vor einem Verdrängungswettbewerb zwischen privater und öffentlicher Kreditnachfrage mit allen kontraktiven Wirkungen, die eine Zinssteigerung auf das zarte Wachstum haben würde. Unsere Investitionsneigung ist auch deshalb so niedrig, weil wir heute schon mit den höchsten Realzins in der westlichen Welt haben.
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Hinzu kommt: Der Ausgabenanstieg bei den öffentlichen Haushalten läßt schon jetzt für unsere Preisstabilität fürchten. Seit der IMF-Tagung, seit vorgestern, wissen wir, daß neben der gigantischen Geldmengenausweitung im Inland auch international Liquiditätsaufblähung groß geschrieben wird, was die DM am wenigsten unberührt lassen wird, worauf
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, heute morgen leider nicht eingegangen sind.
Diese Lagebeurteilung deckt sich mit der Analyse des Sachverständigenrates vom Juni. Ausgangspunkt der Sachverständigenanalyse ist: Es handelt sich nicht um einen konjunkturellen Nachfragemangel sondern um eine Störung der Wachstumsbedingungen. Deshalb ist das konsumorientierte Deficit spending falsch angesetzt, bringt nur ein Strohfeuer, keine dauerhafte Wachstumsenergie. Darin stimmen wir überein.
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- Ihnen gefällt das natürlich nicht. Deshalb muß sich, Herr Professor Schachtschabel, der Sachverständigenrat möglicherweise deutlicher ausdrücken, wenn er sagt: das Risiko der Wirtschaft ist gestiegen, die Risikotragfähigkeit der Wirtschaft dagegen ist gesunken. Dann können vor allem Sie in der SPD, die Sie diesen Rat nicht hören wollen, nicht mehr so tun, als ob Sie ihn überhaupt nicht verstünden.
Gestiegenes Risiko, gesunkene Risikotragfähigkeit: das zeigt sich z. B., wenn die Firma Siemens 43 % ihres Umsatzes mit Produkten macht, die vor fünf Jahren noch nicht bekannt waren, oder wenn wir hören, daß 80 % des Mokick- und Motorradmarktes in der Bundesrepublik Deutschland von den Japanern erobert worden sind - nicht mit billigem Ramsch, sondern mit hochwertigen Produkten, mit ausgeklügeltem Marketing und günstigeren Lohnkosten. Demgegenüber wird die Eigenkapitalbildung deutscher Unternehmer steuerlich gebremst. Die Eigenkapitaldecke ist zu dünn. Viele Risiken erscheinen deshalb relativ zu hoch, und die Erweiterungsinvestitionen unterbleiben.
Die Politik trägt daran ein gerütteltes Maß an Schuld: erstens weil zu der steuerlichen Belastung der Investitionen die nach den Niederlanden schlechtesten Abschreibungsbedingungen in der ganzen Welt kommen, zweitens weil die Vollbeschäftigungsgarantie des früheren Bundeskanzlers die Legitimation für das Hochtreiben der Lohnkosten gab, drittens weil durch explosionsartige Ausdehnung der Staatsquote und durch ein Gesetz- und Verordnungsgestrüpp sondergleichen der Wachstumspfad zu stark eingeschränkt wurde. Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, daß zehn Konjunkturprogramme nicht nachhaltig gezündet haben.
Deshalb sagt das Sondergutachten in seiner Ziffer 10 - ich zitiere -:
Die Nachfrage, die heute fehlt, muß über den Markt bereitgestellt werden.
Und das Sondergutachten sieht die wichtigsten Ansatzpunkte dafür
in der Risikoentlastung der Unternehmen, in einer Minderung der speziell die Investitionen treffenden Steuern, in einer stärker in die Breite wirkenden Förderung von Forschung und Entwicklung, in der Förderung der marktwirtschaftlichen Dynamik von unten, von jungen, kleinen und mittleren Unternehmen .. .
Das also ist die Botschaft der Sachverständigen: Hört
auf mit immer neuen Konjunkturprogrammen! Keynes gilt jetzt nicht. Denkt an Schumpeters dynamische Unternehmer! Die Unternehmer sind keine Volkswirte, die sich abends vor das Fernsehgerät setzen, auf das nächste Konjunkturprogramm warten und danach ihre Produktionsentscheidungen treffen.
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Unternehmer lassen sich neue Produkte für neue Märkte einfallen und schaffen mit neuem Angebot neue Nachfrage. Das ist der Lauf der Dinge. Macht diesen Unternehmern doch das Leben nicht so schwer, sondern verbessert auf Dauer die Rahmenbedingungen, damit Leistung sich wieder lohnt!
Der Bundeswirtschaftsminister meinte, das Steuerpaket weise nun - er hat sich vorsichtig ausgedrückt - Elemente zur dauerhaften Verbesserung der Rahmenbedingungen auf. Warum sagten Sie dann aber noch am Samstag in der „Mainzer Allgemeinen Zeitung", daß es jetzt darauf ankommt, die Investitionstätigkeit der Wirtschaft auf Dauer zu verbessern? Offensichtlich genügen die Elemente ja noch nicht, weil auch nach Ihrer Meinung das Steuerpaket der Bundesregierung dieses wichtigste Ziel allzu halbherzig verfolgt.
Die Vorschläge des Sachverständigenrats dagegen sind zielgerichtet.
Erstens. Der Sachverständigenrat fordert ein Wachstumsprogramm, das die Freisetzung investiver Handlungsspielräume sicherstellt. Er sieht dabei die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer im Vordergrund. Die CDU/CSU-Fraktion hat das gestern beschlossen. Die Bundesratsmehrheit - das sind die C-geführten Länder - hat es verlangt. Packen Sie doch diese Aufgabe mit an, zumal da Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich dafür ausgesprochen haben! Und übertreiben Sie nicht die - wie sagen Sie? - Zeitversetzung bei der Lohnsummensteuer, damit die hessischen Wähler sich nach der Wahl nicht versetzt fühlen!
Der Sachverständigenrat fordert zweitens außerordentliche Anstrengungen bei der Förderung von Forschung und Entwicklung, besonders für die kleinen und die mittleren Unternehmen. Was tut die Bundesregierung? Bei der indirekten Forschungsförderung für die kleinen und mittleren Unternehmen wird schon etwas zugelegt. Das stimmt. Aber die direkte Förderung, die Antragsgewährung, soll massiv ausgeweitet werden. Herr Hauff liebäugelt mit fünf Investitionsfonds. Herr Matthöfer gibt zu, daß man damit die Investitionslenkung wolle, und behauptet, er traue sich zu, zukünftige Produktionsstrukturen zu kennen. Herr Wirtschaftsminister, sagen Sie Ihrem Kollegen, dem Herrn Finanzminister, einen ganz herzlichen Glückwunsch. Er ist ein unvergleichliches unternehmerisches Genie, wenn er die zukünftigen Produktionsstrukturen schon weiß. Er ist ein geballter Brockhaus. Wenn das draußen im Land erst mal bekannt wird, dann werden ihm sofort alle deutschen Unternehmen den Vorstandssitz anbieten - oder auch nicht; vielleicht kommt er ihnen doch zu teuer vor.
({6})
Herr Hauff andererseits will nicht viele Unternehmen fördern. Er nennt das „Gießkannenprinzip". Das gefällt ihm nicht. Natürlich. Wenn man Macht ausüben, lenken, sich die genehmen Firmen heraussuchen will, dann schmeckt ein breites Anreizsystem natürlich nicht. Aber das ist doch gerade Soziale Marktwirtschaft, daß die Unternehmen nicht an der langen Leine des Staates hängen, daß sie innerhalb der auch sozial begründeten Rahmenbedingungen selber herausfinden können, was beim Verbraucher ankommt. Soziale Marktwirtschaft bedeutet: Unternehmer und ihre Mitarbeiter sollen darauf kommen, was auch in Zukunft gebraucht wird, und das soll nicht Aufgabe sein von Ministerialräten, Strukturräten oder eines Tages sogar von Investitionsräten.
({7})
Drittens fordert der Sachverständigenrat eine Förderung der Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer zur Entspannung der tarifpolitischen Diskussion. Die SPD kann sich auf eine Beteiligung der Arbeitnehmer an ihren Unternehmen nicht verständigen. Teile wollen das eben nicht. Unser Gesetzentwurf liegt seit Februar dem Deutschen Bundestag vor. Graf Lambsdorff, wir wissen doch, daß Sie unseren Weg im Prinzip für den einzigen richtigen halten. Dann stimmen Sie doch auch unserer Vorlage zu - und Tarifpartner, Unternehmensleitungen und Betriebsräte können schon in wenigen Monaten Vereinbarungen über Gewinnbeteiligung für viele Millionen deutscher Arbeitnehmer abschließen.
Viertens bleibt das Dickicht staatlicher Regulierungen, das der Sachverständigenrat beklagt und die Regierung in keiner Weise lichtet. Eine Konzeption zum Abbau der Bürokratisierung gibt es nicht. Die Schwalbe im Städtebaurecht aus der gestrigen Kabinettssitzung macht noch keinen Sommer. Graf Lambsdorff, mit der Bürokratisierung nicht fertig werden - das ist der Preis, wenn man sich an Sozialisten kettet.
({8})
Unter Reformen verstehen diese immer nur Eingriffe
in die Gesellschaft, nie Rationalisierung beim Staat.
Wie lange können Sie diesen Preis noch zahlen?
Zum gegebenen Zeitpunkt wird in diesem Haus noch zu einer fünften Forderung des Sondergutachtens zu sprechen sein, nämlich darüber, wie wir den jungen Menschen helfen, die heute noch den Schneid haben, sich selbständig zu machen.
Ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Es gibt eine Fülle von Anregungen, die uns deutlich machen, daß es eine wirtschaftspolitische Alternative in unserem Land gibt:
({9})
die Abkehr von der Illusion, der Staat könne ausreichend Nachfrage durch immer neue Defizite garantieren, und die Hinwendung zu einer mittelfristig angelegten Wachstumspolitik.
({10})
Die CDU/CSU steht hier in breiter Front mit dem Sachverständigenrat, dem Wissenschaftlichen Beirat beim Wirtschaftsministerium, der Mehrheit der Forschungsinstitute, der Bundesbank und gelegentlich auch dem Bundesminister für Wirtschaft.
Wir danken dem Sachverständigenrat für seine klare Analyse und seine vorausschauenden Anregungen. Wir danken dem Sachverständigenrat dafür, daß er vielen Anfeindungen und Schlägen unter die Gürtellinie zum Trotz noch immer das sagt, was er für richtig hält. Wir werden dafür sorgen, daß er auch in Zukunft nicht das sagen muß, was die Regierung oder SPD-Sprecher gerade hören wollen. Wird der Sachverständigenrat mundtot gemacht, dann verlieren wir eine wichtige autonome Stimme, einen unverzichtbaren Kompaß in der Hektik der Tagespolitik.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Rede von Herrn Pieroth wurde deutlich, wie mißmutig er die aktuelle Konjunkturentwicklung beobachtet, mißmutig deshalb, weil ganz offensichtlich der Ifo-Investitionstest, aber auch das Kieler Institut und verschiedene andere Experten für Konjunkturfragen sagen, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung gebessert hat.
({0})
Wir werden nächste Woche mit den Arbeitsmarktdaten für September sicher auch eine zusätzliche Information über diesen Sachverhalt bekommen.
({1})
Dies führt mich allerdings nicht dazu, nun euphorisch zu werden und zu sagen: Jetzt sind die Wirtschaftsprobleme gelöst. - Im Gegenteil, ich hätte mir - das bezieht sich schon auf den Sachverständigenrat - etwas mehr Analyse in der Tiefe gewünscht. Ich wollte an sich sägen, daß das Sondergutachten des Sachverständigenrates vom Juni überflüssig war. Ich will mich ein bißchen korrigieren. Dadurch, daß wir jetzt nach den Sommerferien eine wirtschaftspolitische Debatte aus Anlaß der Vorlage dieses Gutachtens führen, kann man ihm wenigstens etwas abgewinnen. Trotzdem möchte ich hier in aller Entschiedenheit wiederholen, was wir schon vor der Sommerpause gesagt haben. Vor der schwierigen Verhandlungssituation beim Bremer und. Bonner Wirtschaftsgipfel war es nicht hilfreich, daß der Sachverständigenrat sich öffentlich geäußert und versucht hat, die Regierung vor diesen Verhandlungen festzulegen. Das war nicht hilfreich.
({2})
Sowohl der Herr Bundeskanzler als auch, wie ich weiß, der Herr Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff und Herr Matthöfer, der Finanzminister, wären jederzeit bereit gewesen, den Rat des Sachverständigenrates vor dem Gipfel anzuhören und
seinen Rat umzusetzen. Dazu war eine öffentliche Stellungnahme nicht notwendig.
Das Gesetz räumt dem Sachverständigenrat eine besonders exponierte Stellung ein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Lassen Sie mich diesen Gedankengang noch zu Ende führen. - Er ist autonom, unabhängig. Er wird von niemandem beeinflußt. Das ist in Ordnung so, nach dem Gesetz ebenso vorgesehen. Um so mehr muß er sich seiner politischen Verantwortung - auch gegenüber der Bundesregierung, auch gegenüber dem Parlament - bewußt sein; er darf sich nicht in das tagespolitische Geschäft mischen. Das haben wir jedenfalls vor der Sommerpause bei ihm festgestellt, und das kritisieren wir auch noch heute. -Bitte!
Herr Kollege Roth, wenn Sie schon dabei sind, das etwas einzuschränken, sind Sie dann wenigstens bereit, das böse Wort von der „Profilneurose" des Vorsitzenden zurückzunehmen?
Es ist mir bisher keine bessere Erklärung dafür eingefallen, warum sich der Sachverständigenrat äußern mußte. Ich bin sofort bereit, dies zurückzunehmen, wenn der Sachverständigenrat - ich habe am Montag mit zwei Vertretern des Sachverständigenrats noch einmal gesprochen - endlich eine plausible Erklärung dafür bringt, warum er vor den schwierigsten wirtschaftlichen Verhandlungen der letzten Jahre derart in der Öffentlichkeit auftritt, ohne die anderen Möglichkeiten der Information der Regierung und der betroffenen Politiker zu wählen;
({0})
dabei bleibe ich.
Im übrigen gibt es manchen anderen Aspekt der Kritik. Ich habe mir einmal in Ruhe angeguckt, wie die Prognosen des Sachverständigenrats der letzten Jahre im Vergleich zu denen im Jahreswirtschaftsbericht sind. Sie, der Sie die Prognosen der Bundesregierung immer kritisiert haben, werden nun überrascht sein. Die Prognosen der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht waren in den ganzen letzten Jahren immer besser als die des Sachverständigenrates. Nun werden die ganz Schlauen sagen: Die Prognosen der Bundesregierung kommen ja auch zwei Monate später heraus. Wenn wir die Prognosen des Sachverständigenrats mit denen des Gemeinschaftsgutachtens der fünf Institute vergleichen, stellen wirr fest, daß auch die besser liegen, und deren Prognosen kommen schon im Oktober und nicht erst im Dezember wie die des Sachverständigenrates heraus - jeweils Prognosen für das nächste Jahr, ein interessanter Sachverhalt. Ich meine, daß der Sachverständigenrat mit seinem großen Apparat gut daran täte, einmal zu überlegen, weshalb er diese Probleme hat.
Ich habe bei der Vorlage des heute zur Diskussion stehenden Sondergutachtens am 13. Juni - das wurde in einem anderen Zusammenhang schon zitiert und kritisiert - gesagt: Wir hatten im vierten Quartal 1977 eine erhebliche Belebung der Wirtschaft; darauf hat sich Herr Junghans im Februar bezogen. Diese Belebung der Wirtschaft brach auf Grund internationaler Faktoren im Februar regelrecht zusammen. Im April 1978 beginnt jedoch in Teilen der Wirtschaft ein erstaunlicher Aufschwung. Ob er dauerhaft ist, vermag heute niemand zu sagen. Diese Aussage halte ich für viel zutreffender als das Gutachten und die Aussagen des Sachverständigenrates. Ich frage mich - das tue ich nicht allein; ich weiß das -, warum der Sachverständigenrat dennoch den spektakulären Weg gegangen ist und ein Sondergutachten vorgelegt hat, dessen Kernaussage überhaupt nichts Neues enthält, jedenfalls nicht nach dem Jahresgutachten, dessen Datenbasis unzureichend war, dessen Prognose bereits von den Zahlen, die wir jetzt vorliegen haben, widerlegt wird. Der Sachverständigenrat überschreibt sein Gutachten: „Zur wirtschaftlichen Lage im Juni 1938". Im ganzen Gutachten gibt es naturgemäß keine neueren Zahlen als die vom April 1978. Er hat also seinen Titel ganz bewußt an der Situation vorbei gewählt.
Ich verstehe nun gut, daß der Herr Wirtschaftsminister in seiner Aussage zum Sachverständigenrat zurückhaltender ist, als meine Fraktion, als ich das hier sein kann. Es ist sicherlich sinnvoll, daß die Auseinandersetzung zwischen Bundeswirtschaftsminister und Sachverständigenrat sachlich bleibt. Um so mehr müssen die Fraktionen auch hier öffentlich, auch hier politisch kontrollierend tätig sein.
Ich finde, der Sachverständigenrat verkennt in seinem Gutachten vor allem eines: Er argumentiert nur mit der Angebotsseite unserer Wirtschaft. Nachfrageprobleme, Arbeitsmarktprobleme im engeren Sinne werden außerordentlich unterschätzt. Seine Behauptung ist -. Herr Pieroth hat das wieder aufgegriffen und als zentrale Aussage gewählt -, wir hätten seit Jahren zu wenig investiert, es gebe eine große Investitionslücke. Interessant ist, daß diese Theorie der riesigen Investitionslücke im Sachverständigenratsgutachten vom Dezember ohnehin international relativiert wird. Wörtliches Zitat:
Im internationalen Vergleich sind allerdings sowohl die Investitionsquote als auch die Zuwachsraten der Produktivität noch sehr hoch. In den meisten anderen hochentwickelten Industrieländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wird ein geringerer Teil des Sozialprodukts für investive Zwecke verwendet.
Wo ist da die Investitionslücke?
Nun ist es ohne Zweifel so, daß, je länger eine Krise dauert, je länger über einen gewissen Zeitraum Nachfrage fehlt, um so weniger Erneuerung des Produktionskapitals stattfindet, so daß allmählich nach einer derartigen Phase in der Tat eine Investitionslücke auftaucht. Insofern, glaube ich, ist es völlig richtig, daß die Bundesregierung sowohl
das Investitionsproblem angeht als auch die Nachfrageproblematik in ihrem Programm von Ende Juli angepackt hat. Ich finde, die Einseitigkeit des Sachverständigenrats ist darin zu sehen, daß er nur die Angebotsseite sieht und daß er sich gar nicht klarmacht, daß ein vorhandenes Angebot Nachfrage braucht oder, anders ausgedrückt, daß eben nur investiert wird, wenn die Unternehmer auch Chancen im Absatz sehen. Deshalb Gleichzeitigkeit der Maßnahmen, deshalb Nachfrageprogramme zusammen mit angebotsverbessernden Maßnahmen.
({1})
In diesem Zusammenhang ist es auffallend, daß die Opposition nicht einmal erwähnt, wie wirksam das 16-Milliarden-Programm heute in der Bundesrepublik Deutschland schon geworden ist. Es ist doch schlicht und einfach wahr, daß die Bauwirtschaft, derjenige Sektor, der zuerst betroffen wird, heute schon an der Vollbeschäftigungsgrenze, d. h. an der Kapazitätsgrenze arbeitet und daß hier in diesem Sektor gerade in den nächsten Monaten eine starke Investitionstätigkeit zu erwarten ist. Kernsatz des Sondergutachtens war dagegen wiederum, daß ein neues Investitionsvertrauen durch die diesjährige Lohnrunde nicht geschaffen werden konnte. Nun stellen wir gerade fest, daß die Investitionstätigkeit, die Investitionsbereitschaft nach der Lohnrunde stark zugenommen hat. Das heißt, es hätte eigentlich auch einmal vom Sachverständigenrat gesagt werden müssen, daß sich die deutschen Gewerkschaften a) stabilitätsorientiert und b) beschäftigungs- und investitionsorientiert verhalten haben.
({2})
Das verlangen wir zum Ausgleich auch der politischen Diskussion.
Es zeigt sich: Ausdruck dieser Investitionsbereitschaft ist beispielsweise die Kreditnachfrage, die zwischen Mai und Juli bei privaten Kunden um 25 Milliarden DM anstieg. Saisonbereinigt und auf die Jahresrate umgerechnet würde das Kreditvolumen der Privaten um 12 % steigen. Das ist ein Frühindikator von Investitionsprozessen, die anlaufen. Ich jedenfalls bin der Auffassung, Sie sollten das nicht wegreden oder herunterreden oder madig machen, sondern Sie sollten sich freuen, im Interesse auch der Bürger im Lande Hessen, an die Sie offenbar bei Wirtschaftspolitik nun ausschließlich denken. Jedenfalls mußte man bei Herrn Pieroth den Eindruck haben. Sie sollten sich auch in Richtung auf die Bürger dieses Landes freuen, daß sich hier etwas bewegt.
Aber noch einmal sei gesagt: Ich will nicht in Euphorie ausbrechen. Es gibt viele Faktoren, die das bedrohen, z. B. die Unsicherheit an der Währungsfront. Trotzdem kann man davon ausgehen, daß die Prognose im Jahreswirtschaftsbericht, nämlich ein reales gesamtwirtschaftliches Produktionswachstum von 3,5 %, realistisch ist und zumindest annäherungsweise erreicht wird.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Bernerkungen über das machen, was nicht im Sondergutachten steht, was auch nie im Jahresgutachten steht und wozu wir Argumente oder Beratung brauchen.
Der Sachverständigenrat soll ja nicht immer wieder das wiederholen, was ohnehin in der wirtschaftspolitischen Diskussion breitgetreten ist, sondern er soll neue Probleme, Problemstellungen erkennen und angehen.
Erste Problemstellung, zu der ich in den Sachverständigenratsgutachten keinerlei Hinweise finde: .Seit 1972 haben wir mit einer Ausnahme einen immer höheren Produktivitätszuwachs als Produktionsanstieg in der gewerblichen Wirtschaft.
Die Frage ist: Woher kommt das? Ist das nur konjunkturell bedingt? Die Antwort ist bisher nicht gegeben worden. Es wäre doch zu erwarten, daß sich die Produktivitätsprozesse und der Zuwachs des Sozialprodukts jedenfalls nach der Konsolidierung wieder annähern. Aber bisher stellen wir das selbst in guten Wirtschaftsjahren wie 1976 nicht fest. Hier wäre ein Thema, das der Sachverständigenrat einmal analysieren müßte.
Zweites Problemfeld: Es ist ohne Zweifel richtig - niemand in diesem Hause wird das leugnen; das ist auch ein Punkt, in dem zwischen allen Fraktionen Einigkeit besteht -, daß es die kleinen und mittleren Unternehmen auch auf Grund ihrer Eigenkapitalsituation in einer Phase wie der jetzigen besonders schwer haben. Marktenge bedeutet bei ihnen Verschärfung der Konkurrenzprozesse gerade ihnen gegenüber, und sie können nicht ausweichen. Wir sehen aber auf der anderen Seite keine Eigenkapitalschwäche, sondern eher eine Überliquidität bei den großen Unternehmen in ein paar Branchen.
({3})
Jemand hat vor einiger Zeit ironisch gesagt: Das Haus Siemens ist immer weniger ein Industrieunternehmen und wird immer mehr zu einer Bank. Ich zitiere das nur als ironische Bemerkung. Vergleichbares läßt sich für verschiedene andere Unternehmen erkennen. Auch der zum Teil bundeseigene, zum Teil in Kleinkapitalbesitz befindliche Konzern VW zeigt das. Immer wieder läßt der Vorstand veröffentlichen: Wir haben Probleme, das jetzt vorhandene Kapital tatsächlich unterzubringen.
Meine Bitte an den Sachverständigenrat geht dahin: Schlagt uns doch nicht immer pauschale Instrumente vor, schlagt uns doch nicht immer Instrumente vor, die bei Siemens, bei Daimler-Benz, bei VW noch etwas draufgeben, die aber in der Masse zu einer wirksamen Förderung gerade der kleinen und mittleren Unternehmen fehlen.
Schauen Sie sich einmal die Wirkung der Gewerbekapitalsteuer auf Große und Kleine an. Die Senkung oder Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer ist jedenfalls kein wirksames Instrument zur Förderung der Kleinen, wenn man die bewegte Gesamtmasse betrachtet.
({4})
Hier Fragen und Antworten zu formulieren wäre die Aufgabe des Sachverständigenrats.
Dritter Punkt - dankenswerterweise hat Graf Lambsdorff darauf hingewiesen -: Wir haben in den letzten Jahren eine Reduktion des WelthandelsRoth
zuwachses erlebt. Während wir in den 60er Jahren einen jährlichen Schnitt von 10% Zuwachs hatten, sind wir in den letzten Jahren bei einem Zuwachs von im Schnitt 5 °/o. Diese Verminderungen der Zuwachsraten der Weltintegration, der Verbesserung des Welthandels, schlagen natürlich in allen Märkten durch und schaffen diese Marktenge.
({5})
Ich hätte erwartet, daß, nachdem wir das jahrelang beobachtet haben, der Sachverständigenrat gerade der Nord-Süd-Problematik, gerade der Verbesserung des Welthandels, gerade der Schaffung neuer Handelsspielräume im internationalen Bereich ein Schwergewicht seiner Argumentation und seiner Überlegungen widmet. Auch da ist, wie ich meine, nahezu Fehlanzeige.
Ich möchte heute - insofern bin ich Herrn Pieroth dankbar, daß er mich aufgefordert hat - im Auftrag meiner Fraktion zum Sachverständigenrat sagen: Wir erwarten von ihm im Dezember Antworten gerade auf diese Fragen. Wir bedauern, daß es notwendig war, auch eine harte Auseinandersetzung mit ihm durchzuführen. Wir hoffen, daß sich auch die Beziehungen zum Parlament, die Gespräche z. B. im Wirtschaftsausschuß, verbessern, so daß wir auch dem Sachverständigenrat in Zukunft besser sagen können, was uns politisch bedrängt. Gerade zu diesen drängenden Fragen verlangen wir von ihm Antwort.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haussmann.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich habe Verständnis, Herr Pieroth, daß gerade die heutigen Meldungen des Bundesbankpräsidenten, Herrn Emminger, Ihnen in dieser Debatte nicht sehr schmekken. Ich gebe zu, es ist kein konjunktureller Durchbruch. Aber wenn Herr Emminger voraussagt, daß wir im nächsten Jahr nach seiner Auffassung ein. Wachstum zwischen 3,5 und 4,5 % haben werden, eine Preissteigerungsrate unter 3 %, und wenn wir heute hören, daß in vielen Bundesländern eine nochmalige Reduktion um 0,2% erfolgt ist - so daß wir die Chance haben, in diesem Monat auf 2,2 % Inflation zu kommen -, dann ist dies eine Konstellation der Daten, die nicht schlecht ist, wenn sie auch verbesserungswürdig ist.
({0})
Was das Sachverständigengutachten angeht, möchte ich mich nicht an einer Professorenschelte beteiligen. Man könnte über die Wertfreiheit der Wirtschaftswissenschaften sehr viel philosophieren. Ich habe lange genug selber in diesem Bereich gearbeitet. Nur sollte man akzeptieren, daß das Sondergutachten nicht so konkret war, daß es einzelne Handlungsspielräume der Regierung für den Weltwirtschaftsgipfel eingeschränkt hätte. Dies wäre in der Tat eine schwierige Situation geworden.
Daher soll sich mein kurzer Beitrag auf drei Dinge beschränken.
Erstens möchte ich dem Sachverständigenrat folgen, indem ich sage, daß es auch in der jetzigen Situation kein Patentrezept gibt, auf einem schnellen Weg zurück zur Vollbeschäftigung zu kommen.
Zweitens möchte ich sagen, daß die Entgegensetzung, die bei Herrn Roth und auch bei Herrn Pieroth eine große Rolle gespielt hat, einerseits einer ausschließlich angebotsbezogenen Politik - also die Kostenargumente - und andererseits einer ausschließlich nachfrageorientierten Politik, wie sie von den Gewerkschaften unter der Kaufkrafttheorie immer angezogen werden, in der jetzigen Situation nicht angebracht ist.
Drittens hebe ich hervor, daß der Wunsch der starken Jahrgänge nach Arbeits-, nach Ausbildungsplätzen von uns auch neue Wege in unserer Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik erfordert.
Ich spreche zunächst zum ersten Punkt. Ich glaube, daß dieses Patentrezept für einen kurzen Weg der Rückkehr zur Vollbeschäftigung nicht möglich ist. Der Sachverständigenrat schreibt in Ziffer 9: Es gibt keine wirtschaftspolitische Strategie, die zuverlässig und rasch zu einem befriedigenden Beschäftigungsstand zurückführt. Die Opposition sollte auch hier ehrlich sein und auch in Wahlkämpfen nicht versprechen, daß es in der jetzigen schwierigen Situation so etwas geben kann.
Die Entgegensetzung von einerseits Kostenargumenten, also Angebotsorientierung und andererseits Nachfrageorientierung halte ich nicht für sinnvoll. Ich halte es auch für gewagt, wenn die Mehrheit der Sachverständigen in Ziffer 9 eine Wertung versucht, indem sie ausdrückt, daß die Ursache der Unterbeschäftigung eher in ungelösten Angebotsproblemen als in einem konjunkturellen Nachfragemangel liege. Ich glaube vielmehr, daß die Bundesrepublik eine gleichzeitige Verbesserung der Angebots- und Nachfragebedingungen benötigt. Ich halte es auch hier mit dem Minderheitenvotum von Herrn Scherhorn in Ziffer 42 - ich zitiere -: Erforderlich ist, den Strukturwandel des Angebots und der Nachfrageseite gleichzeitig zu fördern. Genauso treffend sagt es, wie ich meine, Hans Barbier in der „Süddeutschen Zeitung" - Zitat -: „Aber auch wer in Steuererleichterungen den richtigen Ansatz einer die unternehmerische Angebots- und Produktionsbereitschaft fördernden Wachstumspolitik sieht, wird nicht verkennen dürfen, daß eine gleichzeitige Nachfragebelebung nicht falsch sein muß. Die Wiederentdeckung der Freiheit von Angebotsspielräumen darf nicht dazu führen, die alte Globalsteuerung der Nachfrage in die Ecke zu werfen."
Es kann deshalb nicht der richtige Weg sein - wie manchmal von der Union gefordert -, den Großteil unseres nach wie vor verbliebenen, aber sehr knappen Finanzspielraumes für eine ausschließliche Senkung der verschiedenen Unternehmenssteuern auszugeben. Wo sollen denn plötzlich Erweiterungsinvestitionen vorgenommen werden? Warum bleiben trotz sinkender Sparquote viele Kapazitäten unter 80% ausgelastet? Hat dies nicht
doch mit strukturellen Nachfrageproblemen zu tun? Gibt es nicht doch, so ist zu fragen, nach Abschluß der Wiederaufbauphase bei uns viele Teilmärkte, die einen gewissen Sättigungsgrad aufweisen? Und setzt nicht doch die Währungsentwicklung unserer Auslandsnachfrage auf vielen Märkten klare Grenzen?
Das heißt doch, Herr Pieroth, daß nicht jede Verbilligung der Angebotsseite gleichzeitig beschäftigungswirksame Mehrnachfrage schafft. Am ehesten wäre dies meines Erachtens im Bereich kostengünstigerer Dienstleistungen der Fall. Aber hier sind natürlich die Produktivitätsfortschritte und damit auch die Möglichkeiten der Preisreduktion gering Andererseits - auch dies ist interessant - handelt es sich bei den eigentlichen Wachstumsträgern un- serer Wirtschaft, nämlich der Automobil-, der Bau. und Reiseindustrie, durchweg um Güter und Dienstleistungen, die steigende Preise aufweisen und trotz, dem eine Mehrnachfrage auf sich ziehen.
Ich halte es deshalb für richtig, daß die Bundesregierung und die Fraktionen von SPD und FDP mit ihren haushalts- und steuerpolitischen Entscheidungen eine wirtschaftspolitische Strategie der gleichzeitigen Verbesserung der Angebots- und Nachfragebedingungen vorschlagen. Ziel unserer liberalen Wirtschaftspolitik muß es daher sein, nicht irgendein Sozialproduktwachstum zu erreichen, sondern ein Wachstum an Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten und gleichzeitig eine bessere Befriedigung individueller und öffentlicher Bedürfnisse durchaus unter strengen qualitativen Rahmenbedingungen.
Vergleicht man dieses Ziel mit den konkreten Vorschlägen der Sachverständigen und den Maßnahmen, die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagen werden, so ergeben sich Übereinstimmung, aber auch gravierende Unterschiede: Übereinstimmung in einem ausgewogenen Konzept der Verbesserung der Angebotsbedingungen. Der Wirtschaftsminister hat sie genannt: die Abschaffung der Lohnsummensteuer, die Anhebung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer, die Entlastung bei der Einkommensteuer, die Leistungshemmnisse wegnimmt und gleichzeitig kleineren Selbständigen nützt, und - nicht zuletzt und sehr wichtig - die verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung, auf die ich nachher nochmals eingehen möchte.
Der Sachverständigenrat hält - ebenso wie Herr Professor Biedenkopf in der letzten Woche - die wachstumspolitische Bedeutung der Einkommensteuersenkung für gering. Wir beurteilen dies anders. Der Wirtschaftsminister hat dies bereits dargetan.
In Ziffer 28 weist der Sachverständigenrat darauf hin, daß es zur Konsolidierung des Einnahmeausfalls durch Änderungen bei den Steuern nur zwei Möglichkeiten gebe: Entweder kürzt man die Ausgabenpläne oder erhöht andere Steuern. Dies, glaube ich, muß die Opposition zur Kenntnis nehmen; sie muß sich hier entscheiden.
Ich begrüße es deshalb sehr, daß die CDU/CSU nun - acht Wochen nach den Beschlüssen der
Bundesregierung und nach der ersten Debatte in Bundestag und Bundesrat - endlich ein Steuerprogramm vorschlägt. Dieses Steuerprogramm ist jedoch durch zwei Dinge gekennzeichnet. Einmal übernimmt es die zentralen Vorschläge der Koalition, und zum zweiten stellt es weitergehende Forderungen, für die nach wie vor keine konkreten Deckungsvorschläge gemacht werden; denn Formulierungen wie „Deckung durch Senkung der überhöhten Ausgabesteigerungen" sind zu vage, und ich habe bisher bei der Arbeit zur Vorbereitung des Haushalts 1979 noch keine Deckungsvorschläge für hohe Beträge durch Haushaltseinsparungen gesehen.
Die CDU fordert - beinahe als Hauptpunkt - die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, obwohl sie es in 20 Regierungsjahren nicht geschafft hat, einen grundsätzlichen Abbau der Gewerbesteuer auch nur anzupacken.
({1})
Der zweite Hauptpunkt der Unionsforderungen besteht in einer Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen. Dies zeigt, daß die CDU/CSU von ihren früheren Beschlüssen eindeutig abrückt. Bei der Reform des Kinderlastenausgleichs 1975 hat sie den Übergang zum einheitlichen Kindergeldsystem unterstützt. Die Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen wäre ein familienpolitischer Rückschritt,
({2})
da die kinderbedingte Entlastung mit steigendem Einkommen wachsen würde. Insofern verrät auch die Formulierung „Einstieg in Kinderfreibeträge", daß die CDU/CSU hier wieder in Grundpositionen einer mehr konservativen Familienpolitik zurückgeht und daß sich der von Herrn Dregger oft verkündete Mut zur liberalen Erneuerung in Hessen jedenfalls in diesem Steuerprogramm nicht wiederfindet.
Mit ihren zusätzlichen Vorstellungen wird die sonst von der Union und insbesondere von Herrn Strauß in der letzten Woche wieder erhobene Forderung nach Haushaltskonsolidierung unglaubwürdig; denn die Vorschläge der CDU/CSU führen nach eigenen Schätzungen selbst bei Anhebung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zu Haushaltsbelastungen von 18 Milliarden DM. Das sind rund 4 Milliarden mehr, als die Bundesregierung mit ihrem Paket vom 28. Juli 1978 vorgeschlagen hat.
Demgegenüber setzen die Freien Demokraten, wie unser Haushaltssprecher Hoppe bereits unmißverständlich darlegte, auf eine Politik der mittelfristigen Haushaltskonsolidierung. Wir halten im jetzigen Moment nichts von weiteren teuren Global-maßnahmen. Wir setzen daher auf ein Konzept ganz konkreter wirtschafts- und beschäftigungspolitischer Einzelmaßnahmen, um mit den bevölkerungspolitischen Problemen der 80er Jahre, mit dem verstärkt auftretenden Wunsch nach Arbeits- und Ausbildungsplätzen der jungen Generation fertig zu werden.
In diesem Zusammenhang erscheinen mir zwei Vorschläge des Sachverständigenrates, auf die meine beiden Kollegen bereits eingegangen sind,
sehr wichtig: Einmal - Ziffer 18 - müssen die Risiken und Kosten des Strukturwandels gemildert und zum zweiten - Ziffer 10 - muß die Förderung der marktwirtschaftlichen Dynamik von unten her, also durch neue, junge selbständige Unternehmen gefördert werden. Deshalb ist die Frage zu stellen, ob wir mit den Beschlüssen der Regierung und den Beschlüssen, die sich im Zusammenhang mit dem Haushalt 1979 andeuten, dieser doppelten Forderung nach mehr Dynamik und nach Risikobeteiligung des Staates beim strukturellen Wandel gerecht werden.
Der Hauptpunkt ist - Herr Pieroth, Sie haben das etwas zu kurz dargestellt; vielleicht sind Ihnen auch noch nicht alle Vorschläge bekannt -,
({3})
daß sich der Haushalt 1979 durch eine beträchtliche Verstärkung der indirekten Forschungsförderung auszeichnet. Die' Zuwachsrate der indirekten Forschungsförderung wird insgesamt höher sein als die Zuwachsrate der direkten Forschungsförderung.
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Bitte schön.
Wie wird denn das Verhältnis zwischen direkter und indirekter Förderung sein?
Wir schätzen, daß die Zuwachsrate bei der direkten Forschungsförderung etwa zwischen 5 und 7 % liegen wird, während wir in der indirekten Forschungsförderung durch folgende Maßnahmen zu einem höheren Zuwachs kommen werden.
Ich frage nach dem Verhältnis zwischen direkter und indirekter.
Das Verhältnis läßt sich nicht genau bestimmen.
1 : 16, dabei bleibt es. Einmal Kleinbetrieb und 16mal Großbetrieb.
Wir werden zu einem Verhältnis von 1 : 10 kommen, weil die veränderten Abschreibungsbedingungen, Herr Pieroth, nachdem sie vom Vermittlungsausschuß gutgeheißen worden sind, in Kraft treten, d. h., die Sonderabschreibung für Forschung und Entwicklung im Anlagenbereich, die bisher bei 7,5 % lag, wird jetzt auf 20 %erhöht. Aber wir wissen natürlich nicht, wie sich das finanzpolitisch auswirken wird.
({0})
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter Pieroth, ich kann nicht mehr als insgesamt drei Fragen zulassen.
({0})
Herr Pieroth, wir können nur schätzen, daß das zu einer Verdreifachung der Aufwendungen der Sonderabschreibungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich kommt.
({0})
Herr Abgeordneter Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Gerne.
({0})
Das ist ein starkes Stück; als ob der Stützung bräuchte.
({0})
Meine Frage lautet, Herr Haussmann: Sind Sie bereit, uns mitzuteilen, wann die großen Blöcke der direkten Forschungsförderung in Angriff genommen wurden - Kernenergie, Flugzeugbau, Datenverarbeitung etc. -, und könnten Sie, bezogen auf die Jahre, in denen diese Programme durchgeführt wurden, die Verhältniszahl errechnen? Könnte es sein, daß das gar nicht geht, könnte es vielleicht sein, daß unendlich herauskäme?
({1})
Es ist so, daß sowohl die CDU/CSU-Forschungsminister, die ja mit dem massiven Einstieg in die direkte Forschungsförderung in den genannten Bereichen damals begonnen haben, als auch die nachfolgenden SPD-Minister, Herr Matthöfer und Herr Hauff, immer wieder dafür gesorgt haben, daß die Ausgaben für die direkte Forschungsförderung in einigen großtechnologischen Bereichen gestiegen sind. Aber Herr Pieroth, eines - ({0})
Es tut mir leid, ich kann in dem gleichen Zusammenhang nicht mehr als drei Fragen zulassen.
Ich werde mich bemühen, das in meiner Rede vorwegzunehmen, was Sie fragen wollten, Herr Pieroth. Wir kennen ja diesen Dialog.
Die indirekte Forschungsförderung wird erstens steigen, weil die Abschreibungserleichterungen im Anlagenbereich verdreifacht werden. Sie wird zweitens steigen, weil die Freien Demokraten durch die Ausweitung der Auftragsforschung für Klein- und
Mittelbetriebe durch eine 30 % ige Zulage dafür sorgen, daß dieser Haushaltstitel beträchtlich ansteigen wird.
Drittens: Im Haushalt 1979 ist ein Programm in Höhe von 300 Millionen DM für Personalkosten im Bereich der Forschung enthalten, das - vorbehaltlich der Ausführungsbestimmungen - dazu führen wird, daß erstmals in der Bundesrepublik Deutschland unter einem jetzt liberalen Wirtschaftsminister ein massiver Einstieg in die indirekte Forschungsförderung geschaffen wird. Ich halte dies für einen ganz zentralen Punkt.
({0})
Wenn man weiß, daß dies von einem Existenzgründungsprogramm flankiert wird - auch davon haben Sie gesprochen, herr Pieroth -, das vor allem die Frage des Haftungskapitals neu regelt und damit neue Möglichkeiten für selbständige Existenzen eröffnet, so sind dies zwei ganz zentrale Ansätze, mehr indirekte Forschungsförderung und mehr Existenzgründungsmittel für Haftungskapital zu erhalten, die dazu beitragen werden, daß wir etwas mehr Dynamik, von der der Sachverständigenrat spricht, bekommen.
Ergänzt wird dies durch verschiedene Maßnahmen besserer Exportförderung für kleinere und mittlere Unternehmen. Es geht im Moment - ich hoffe, daß die Bundesregierung eine Abstimmung mit den Ländern erreichen kann - um ein einheitliches Bürgschaftsinstrument, eine Sache, die meines Erachtens überfällig ist. Es geht im jetzigen Haushalt um eine Verstärkung der Außenhandelskammern in den zentralen Ausfuhrländern, vor allem auch in den Staatshandelsländern, und es geht weiter um die Aufstockung der Mittel für eine effektivere und verbesserte Exportberatung.
Dies sollte ergänzt werden, Herr Pieroth - dazu möchte ich Sie auffordern -, durch die Bereitschaft Ihrer Fraktion, in einem weiteren zentralen Punkt der Mittelstandspolitik die Koalition zu unterstützen. Ich spreche von der Kartellrechtsnovelle. Sie wissen, daß die CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat angekündigt haben, daß sie den zentralen Punkt der Kartellnovelle, nämlich den § 23 a, in dieser Form nicht mittragen möchten. § 23 a ist aber dafür da, durch neue Vermutungstatbestände - gerade im Bereich von Großkonzernen - den kleinen und mittleren Existenzen einen gewissen Freiraum zu schaffen und sie davor zu bewahren, daß immer mehr Großbetriebe in überwiegend mittelständische Märkte eindringen.
Es ist sehr verwunderlich, daß Herr Späth, der neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg, einem traditionellen Mittelstandsland, diese Forderung im Bundesrat erneut vorgetragen hat. Es wird interessant sein, ob die CDU/CSU im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Kartellrechtsnovelle diesen zentralen Punkt der Wettbewerbspolitik in dieser Form aufrechterhält.
Ich glaube, wenn diese Maßnahmen zusammenkommen, dann bestehen gute Chancen, daß sich im nächsten Jahr ein Wachstum der Zahl der Arbeitsplätze bei den selbständigen Existenzen einstellt,
das zwar nicht so groß sein wird, daß wir die Probleme lösen können, das aber einen Weg in die richtige Richtung darstellt.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, das Sondergutachten des Sachverständigenrates auf der Drucksache 8/2069 an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1978
hier: Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 8/1462, 8/1886
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Simonis
Wünscht die Frau Berichterstatterin das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort sonst gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/1886, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/1462 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus
- Drucksache 8/1230 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/2135 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({2})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 8/1954 - Berichterstatter:
Abgeordneter Konrad Abgeordneter Dr. Langguth
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Präsident Carstens
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Beratung eintreten, möchte ich die hier anwesenden Mitglieder der Familie Adenauer und der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus herzlich begrüßen.
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Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Langguth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir sind in der Gefahr, ein geschichtsloses Land zu werden." Diese Sorge und Warnung, die der Bundespräsident kürzlich ausgesprochen hat, ist für uns alle eine ernste Aufforderung, der Tendenz zur Geschichtslosigkeit Einhalt zu gebieten.
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Das vorliegende Gesetz über die Errichtung einer Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus kann zur Verwirklichung dieser Aufgabe einen wesentlichen Beitrag leisten.
Das Wohnhaus des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland und die Ausstellungsräume in Rhöndorf haben sich längst zu einer Gedenkstätte von nationalem Rang entwickelt. Von Februar 1970 bis zum heutigen Tage haben 759 460 Personen diese Gedenkstätte aufgesucht. Diese Zahlen machen deutlich, daß das Leben und Werk Konrad Adenauers nach wie vor in weitesten Teilen der Bevölkerung, auch in der jungen Generation, ungebrochene Sympathie und Bewunderung findet.
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Die Gedenkstätte für Konrad Adenauer wäre aber nicht möglich gewesen, wenn nicht die Kinder Konrad Adenauers im Jahre 1967 das Wohnhaus und die Grundstücke ihres Vaters in Rhöndorf sowie alle beweglichen Gegenstände aus dem Nachlaß Konrad Adenauers auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen hätten. Im Dezember 1976 wurde schließlich auch der schriftliche Nachlaß Adenauers der Verfügung des Bundes übertragen. Da es sich hier. wegen der Geschlossenheit des schriftlichen Nachlasses um eine dokumentarische Sammlung höchsten historischen Wertes handelt, sagt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Familie Adenauer - und ich denke auch im Namen des ganzen Hohen Hauses - den herzlichen Dank für die Ermöglichung einer solchen Stiftung.
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Der starke Besucherandrang nicht nur in Rhöndorf, sondern auch bei anderen historischen Ausstellungen beweist das tiefempfundene Bedürfnis der Bürger nach historischer Erfahrung, historischer Erkenntnis und historischer Vertiefung politischer Zusammenhänge. Nicht nur Elternhaus und Schule haben die Aufgabe, Geschichte lebendig darzustellen. Wir benötigen auch die lebendige konkrete Anschauung, so wie sie' zu einem Teil unserer Geschichte auch vom Adenauer-Haus in Rhöndorf vermittelt werden soll; denn dieses Haus vermittelt in einer ungeheuer lebendigen und anschaulichen Form einen Eindruck vom Lebensstil, von der Mentalität und den geistigen Konturen Konrad Adenauers. Dies muß im Blick auf die Geschichte unser Ziel sein, nicht die Pflege verstaubter musealer Einrichtungen, sondern das Erleben und das Erlebnis einer lebendigen Vergangenheit.
Zu der Aufarbeitung gerade unserer jüngeren Geschichte können die großen wissenschaftlichen Schätze, die sich in dem Archiv in Rhöndorf befinden, einen wesentlichen Beitrag leisten. Dies ist notwendig, wenn so profunde Kenner wie die Professoren Hans-Peter Schwarz von dem „unbekannten Adenauer" und Werner Weidenfeld von der „Legendenbildung über Adenauer" sprechen, die im vollen Gange sei. Denn trotz des 100. Geburtstages von Konrad Adenauer, der am 5. Januar 1976 auch in einer Feierstunde im Deutschen Bundestag begangen wurde und aus dessen Anlaß zahlreiche wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht wurden, gibt es noch viele weiße Flekken auf der Landkarte unseres Wissens über Adenauer und seine Ara. Aus der Geschichte der Bismarck- und der Stresemann-Forschung wissen wir aber, wie stark eine umfassende Auswertung aller Quellen das Bild einer großen Persönlichkeit vertiefen kann oder auch ein solches Bild zu verändern vermag.
Das Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Teil der Gemeinsamkeiten aller Demokraten, da Adenauer sein politisches Erbe dem ganzen deutschen Volk als längst selbstverständlich gewordenen Besitz hinterlassen hat. Mit dem Gedenken an Konrad Adenauer wird deutlich, daß Deutschlands Wiederaufstieg nach der größten Katastrophe in der Geschichte unseres Vaterlandes mit dem Namen Konrad Adenauer untrennbar verbunden ist, daß eine Politik über den Weg der Verständigung und der friedlichen Vereinigung der Demokratien in Europa ein zentrales Fundament für die Überwindung von Haß, Mißtrauen und Not formte. Konrad Adenauers Leistung war und ist die Rehabilitierung Deutschlands in der Gemeinschaft der freien Völker.
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Die Bundesrepublik Deutschland ist also ohne die von Adenauer geschaffenen Grundlagen nicht vorstellbar. Dies gilt nicht nur für die Außenpolitik. Vor allem die erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen der Nachkriegsjahre und die damals angestrebten politischen Alternativen zu der Politik Adenauers zeigen, daß die Anfangsjahre der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in wichtigen politischen Fragen von höchst unterschiedlichen Standpunkten begleitet waren.
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- Daß sie von Standpunkten und von höchst unterschiedlichen, auch alternativen und grundsätzlich angelegten verschiedenen Positionen begleitet waren, Herr Fraktionsvorsitzender Wehner.
Ich denke in diesem Zusammenhang an jenes leidenschaftliche Ringen um wichtige Weichenstellungen unseres politischen Lebens, die heute noch zwangsläufig auch für unsere aktuellen Entscheidun8426
gen von höchster Bedeutung sind. Ich denke an Fragen wie die der Westintegration, der Wiederbewaffnung, an die Beitritte zur NATO und zur EWG, an die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, an die Rentenreform mit der Einführung der dynamischen . Rente sowie an den Ausbau des Föderalismus. Alle diese Grundsatzentscheidungen wurden im Sinne Konrad Adenauers getroffen. Die damals gedachten und von der früheren Opposition geforderten Alternativen zu diesen Grundsatzentscheidungen bleiben aber zumindest latent bis in die heutige Zeit vorhanden. Ich denke hier nur an die langfristige Frage der Wiedervereinigung, in deren Zusammenhang Adenauer als Kernpunkt seiner Politik im übrigen immer wieder erklärte, daß die Sicherung der Freiheit stets Vorrang vor der Wiederherstellung der nationalen Einheit zu haben hat.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht es als wünschenswert an, wenn durch die Arbeit der Stiftung in Rhöndorf mitgeholfen wird, das Geschichtsbewußtsein in unserem Volk zu stärken, wenn damit durch die historische Aufarbeitung der AdenauerÄra eine Rückbesinnung auf die entscheidenden Grundprinzipien seiner Politik erfolgen kann und von hier aus, wie ich hoffe, vielleicht in einzelnen wichtigen politischen Bereichen Anstöße zur Lösung der uns heute bedrängenden politischen Probleme gegeben werden können. Adenauer sollte nach dem Verständnis, wie ich es hier vortrage, nicht Symbol einer vergangenen Zeit sein, sondern auch Orientierungshilfe für die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft.
Das Wissen der Archive muß auch politisch aufgearbeitet werden. Dolf Sternberger formulierte, daß Archive „Dämme wider die Vergeßlichkeit, wider den Tod des Gedächtnisses" sind. Wir hoffen, daß die Arbeit der Stiftung Bundeskanzler-AdenauerHaus helfen möge, einen solchen Damm gegen die Vergeßlichkeit aufzubauen, denn wir wissen auch, daß falsche Geschichtsbilder und inhumane Politik in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Konrad.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz über die Errichtung einer Stiftung BundeskanzlerAdenauer-Haus erfüllt die Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtung, die sie 1967 gegenüber den Erben des Altbundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer eingegangen ist. Damals wurde das Hausgrundstück in Bad Honnef-Rhöndorf auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen. Der größte Teil der beweglichen Gegenstände aus dem Nachlaß folgte in den nächsten Jahren. Der schriftliche Nachlaß, der schon auf Grund seiner Geschlossenheit große Bedeutung hat, kam 1976 an den Bund.
Da der Vertrag vorsah, eine Gedenkstätte, bestehend aus dem Wohnhaus mit Pavillon und Garten sowie einer Dokumentationsstelle mit Archiv und Bibliothek, zu errichten und zu unterhalten; ließ die
Bundesrepublik Deutschland ein Gebäude bauen, in dem seit Dezember 1975 eine ständige Ausstellung über Leben und Werk Konrad Adenauers der Öffentlichkeit zugänglich ist. Das bisher in der Form einer unselbständigen gemeinnützigen Stiftung bürgerlichen Rechts verwaltete Sondervermögen bringt sie jetzt als Stiftungsvermögen in die öffentlichrechtliche bundesunmittelbare Stiftung ein, für die sie nach der Natur der Sache die Gesetzgebungskompetenz hat.
Das dem Hause vorliegende Gesetz zur Sicherung des Nachlasses einer berühmten Persönlichkeit des politischen Lebens dürfte erst- und einmalig sein. Bei der Bedeutung des Lebenswerks des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland für die deutsche und europäische jüngste Geschichte besteht ein starkes staatspolitisches Interesse, seinen schriftlichen Nachlaß ungeschmälert für die Allgemeinheit und für die Nachwelt zu erhalten. Das Angebot der Familie Adenauer, der Anerkennung und Dank gebühren, schuf die Voraussetzung.
Wenn der Nachlaß nicht an das Bundesarchiv oder ein anderes schon vorhandenes Archiv gelangte, so mag einer der Gründe in der Fülle des Materials zu suchen sein. Konrad Adenauer hat überraschend viel an Erinnerungsstücken aller Art - Schriftwechsel, Fotografien, Akten, selbst Zeugnisse - aufbewahrt, wovon sich bis heute noch nicht alles auswerten ließ.
Der Innenausschuß hat sich bei der Beratung des Gesetzentwurfs in Rhöndorf einen Eindruck davon verschaffen können, wie richtig es war, mit dem Stiftungsvermögen die Gedenkstätte einzurichten. Den jungen Menschen unseres Staates ebenso wie aus aller Welt kann in ihr und insbesondere in der ständigen Ausstellung eine anschauliche Ergänzung unserer Geschichte im 20. Jahrhundert vermittelt werden.
Die kleiner werdende Zahl der Zeitgenossen, die Erinnerungen und Kenntnisse aufzufrischen gedenkt, sollte dabei dem Satz, den Prof. Dr. Rudolf Morsey im Vorwort des ausgezeichneten Gedenkstättenführers geschrieben hat, Beachtung schenken. Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten:
Die Ergebnisse der jüngsten Adenauer-Forschung zwingen dazu, manche überkommenen Ansichten aufzugeben und, schlimmer noch, künftig auf manche inzwischen lieb gewordenen Legenden zu verzichten.
Der Inhalt des Gesetzes bedarf keiner langen Erläuterung. Das an der Spitze der Stiftung stehende und vom Bundespräsidenten auf die Dauer von fünf Jahren berufene Kuratorium besteht aus fünf Mitgliedern. Je zwei davon werden von der Bundesregierung und den Erben Adenauers der ersten bzw. der zweiten Generation vorgeschlagen. Später hat die Bundesregierung das Vorschlagsrecht für vier Mitglieder. Das fünfte wählt der Bundespräsident aus. Die Zusammensetzung des Kuratoriums, das den Bundestagspräsidenten zu seinem Vorsitzenden gewählt hat, umfaßt unter Einbeziehung der Stellvertreter alle im Bundestag vertretenen Parteien.
Der Vorstand und die zur Zeit geltende Satzung samt der Benutzungsordnung tragen dem Umstand Rechnung, daß die Erben Adenauer den gesamten Nachlaß, soweit er nicht familiären Charakter hat, zur Verfügung gestellt haben. Die Sicherungsrechte der Familie stehen in Übereinstimmung mit dem Stiftungszweck: das Andenken an das Wirken des Staatsmannes Konrad Adenauer zu wahren, seinen Nachlaß zu sammeln, zu pflegen und auszuwerten und einen Beitrag zum Verständnis der jüngeren Geschichte sowie des Entstehens der Bundesrepublik Deutschland zu leisten.
Die Bundesregierung hat in der Begründung des Gesetzentwurfs die Hoffnung ausgedrückt, daß von der Übertragung des schriftlichen Adenauer-Nachlasses eine beispielhafte Wirkung ausgehen möge. Ein Blick auf das Schicksal anderer Politikernachlässe zeigt, daß Vorsorge und pfleglicher Umgang nicht immer gewährleistet sind. Der Nachlaß des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert hat sich ursprünglich in Privathand, später bei einem Sammler befunden und ist nicht mehr feststellbar. Der politische Nachlaß des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss befand sich zunächst in einem eigens gebildeten Archiv in Stuttgart und ist jetzt im Bundesarchiv, während sich der literarische Nachlaß im Schiller-National-Museum in Marbach befindet. Gustav Heinemann hat seinen Nachlaß dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung vermacht. Der Hauptnachlaß des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck lagert im privaten Schloßarchiv Friedrichsruh. Sehenswerte Schrift-und Erinnerungsstücke daraus bereichern zur Zeit die Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz „Der Berliner Kongreß 1872", die noch wenige Tage im Wissenschaftszentrum in Bonn-Bad Godesberg zu besichtigen ist. Während der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx im Stadtarchiv in Köln gesammelt ist, finden sich nur Reste der Nachlaßpapiere des Reichsministers Walther Rathenau im Bundesarchiv. Anfänglich befand sich sein Nachlaß in einer Walther-Rathenau-Stiftung in Berlin-Grunewald.
Im allgemeinen sammeln das Bundesarchiv, Archive 'der Bundesländer, einzelner Behörden und der Parteien politische Nachlässe einschließlich des privaten Schriftgutes. Doch läßt das einschlägige Schrifttum der Archivare und Bibliothekare eine gewisse Besorgnis erkennen, die vor allem der Aufteilung gilt, der die Nachlässe hervorragender Personen offenbar leider in besonders starkem Umfang ausgesetzt sind. Ein Fachmann, Wolfgang A. Mommsen, schreibt in seinem Buch „Die Nachlässe in den deutschen Archiven" über die Notwendigkeit geschlossener Sammlungen - ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren -:
Viele Vorgänge von höchster politischer Bedeutung, über die die staatlichen Akten wenig oder nichts letzthin Entscheidendes aussagen, werden seit etwa 1800 nur durch diese privaten Briefschaften in allen ihren Zusammenhängen erkennbar. Wer quellenmäßig begründete Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts schreiben will, bedarf daher, wenn er den Kern der Dinge
fassen will, auch der schriftlichen Nachlässe der hervorragenden Staatsmänner, der hohen Beamten und Politiker.
Nicht nur durch den heute abzuschließenden Gesetzgebungsvorgang wird die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus der doppelten Aufgabe, das Andenken zu wahren und den Nachlaß zu pflegen, in bemerkenswerter Weise gerecht. Auch wer die Gedenkstätte ohne Damaskus-Erlebnis verläßt, wird anerkennen, daß es gerade der ständigen Ausstellung „dank der unprätentiösen Nüchternheit ihrer Aussagen, des Bemühens um Ausgewogenheit und unmittelbaren Sachbezug" - ich habe mich nochmals auf Worte von Professor Morsey bezogen - gelingt, Persönlichkeit und Werk Konrad Adenauers nach einem von ihm selbst schon 1928 gesetzten Maßstab „sinnfällig" darzustellen.
Nicht erst jetzt, sondern schon in seinen letzten Lebensjahren hatte sich das Bild Dr. Adenauers sogar bei manchen seiner politischen Gegner bis an die Grenzen der Verklärung verändert. Sein Tod fiel in die letzte Woche vor der Neuwahl des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Ich konnte als wieder kandidierender Abgeordneter eine Versammlung an seinem Sterbetag nicht mehr absagen, entschloß mich aber, unter Verzicht auf Wahlkampf über sein Werk und sein Verhältnis zur SPD zu sprechen. Aus dem Bericht der „Lübecker Nachrichten" vom 21. April 1967 möchte ich meine Zusammenfassung wiedergeben: „daß Konrad Adenauer schon zu Lebzeiten eine geschichtliche Persönlichkeit geworden sei, die am Tage seines Todes unbefangen auch von Sozialdemokraten gewürdigt werden könne. Erscheinung und Werk des ersten Bundeskanzlers, vor allem seine Leistung in den frühen 50er Jahren verdienten Achtung und schlössen Bewunderung nicht aus. Geschicklichkeit, Autorität, Einfachheit und Unbeirrbarkeit hätten zu dem Erfolg geführt, den man Konrad Adenauer auch dann nicht absprechen könne, wenn sich heute seine Grenzen deutlicher abzeichneten als in den Jahren seiner Kanzlerschaft."
Die sozialdemokratische Fraktion wird dem Gesetzentwurf über die Errichtung einer Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus zustimmen.
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, Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesrepublik hat sich in ihrer Anfangszeit schwergetan, ein natürliches Verhältnis zu Tradition, zu Leitbildern und zu bedeutenden Vorbildern zu gewinnen. Die Erfahrungen mit der Nazizeit, ihren Verbrechen und ihrem vergötzenden Personenkult bewirkten bei den Älteren und besonders bei der Kriegsgeneration eine Distanzierung von der Tradition und vom Vorbild. Auch die Anknüpfungen an die demokratischen Traditionen von Weimar und damit an die bedeutenden Persönlichkeiten jener Zeit hatten Mühe, im Bewußtsein der Bürger der Bundesrepublik einen festen und na8428
Wolfgramm ({0})
türlichen Platz einzunehmen. Die Beziehungslosigkeit, ja, gerade die Scheu der Nachkriegsgeneration, Beziehungen zur Vergangenheit herzustellen, sie zu pflegen und damit zu einem gesicherten stützenden Element der Gegenwart zu machen, äußerten sich - wenn ich das hier einmal ohne eine tiefgreifende Untersuchung vortragen darf - in der Veränderung, ja, teilweise Zerstörung historisch gewachsener Stadtkerne, in der Isolierung der älteren Mitbürger von Gesellschaft und gewohnter Umgebung und eben dem Unverständnis und der Gleichgültigkeit gegenüber den Erfahrungen und Wertvorstellungen der Älteren und deren Vor- und Leitbildfunktionen. Es ist ein Verdienst der Parteien in der Bundesrepublik, einen wichtigen Beitrag in der Pflege ihrer Persönlichkeiten durch Stiftungen - in Form der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung - geleistet zu haben.
Wir Liberalen meinen, daß Staat und Gesellschaft ein vitales Interesse haben müssen, daß die sich nun bildende demokratische Tradition unserer Bundesrepublik, die in Namen wie Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Theodor Heuss einen persönlichen Ausdruck findet, über die Parteien, über alles Trennende hinaus gemeinsam gepflegt wird. Die Beratung des heutigen Tagesordnungspunktes ist ein entscheidender und wichtiger Anlaß dazu. Die Gründung einer selbständigen öffentlich-rechtlichen Stiftung, die Wohnhaus, Grundstücke und bewegliche Gegenstände aus dem Nachlaß von Konrad Adenauer, zusammen mit seinem hinterlassenen Archiv, umfaßt, wird ein wichtiger Beitrag zu diesem Ziel sein. Wir Freien Demokraten sind den Erben und der Familie Konrad Adenauers dankbar, daß sie diese Stiftung durch die Übertragung ermöglichen, eine Stiftung, die sich bereits seit 1967 in Form einer unselbständigen gemeinnützigen Stiftung präsentiert.
Die enge Verbindung zur Familie wird durch das Vorschlagsrecht für zwei Kuratoriumsmitglieder gesichert. Der die Rechts- und Fachaufsicht führende Innenminister hat ein Vorschlagsrecht für ein Vorstandsmitglied. Ich meine, so ist die Verbindung zur Familie und zum Bund ausgewogen und dauerhaft gegeben. Die Geschäftsführung liegt in den Händen der früheren Sekretärin von Konrad Adenauer, Frau Dr. Anneliese Poppinga, die für die Verdienste um die Stiftung das Bundesverdienstkreuz durch den Bundestagspräsidenten erhalten hat.
Meine Damen und Herren, für mich persönlich ist es sehr ehrenvoll, heute zur Errichtung dieser Stiftung sprechen zu dürfen. Ich habe Konrad Adenauer im Bundestag nicht persönlich erleben können. Die Plenardebatten der 50er und 60er Jahre habe ich als Schüler, Student am Rundfunk verfolgt. Ich bin dankbar, daß ich zum Gedenken an diesen großen Mann anläßlich der Errichtung dieser Stiftung einen Beitrag liefern darf. Konrad Adenauer hat ja eine eigene, prüfende und auch humorvolle Einstellung zu Ehrungen und Würdigungen gehabt. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Vielleicht würde er sagen: „Dat is Ernst, dat is nich zum Schmunzeln."
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etwa 130 000 Menschen jährlich haben die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Röhndorf in den letzten Jahren besucht. Das zeigt, daß das Wirken dieser Stiftung erfolgreich ist. Die Entstehungsgeschichte dieser Stiftung ist hier von den Sprechern der Fraktionen dargestellt und gewürdigt worden. Ich will mich dazu auf einige wenige Worte beschränken.
Die Kinder des früheren Bundeskanzlers haben nach dem Tode Konrad Adenauers im Jahre 1967 - zusammen mit dem damaligen Bundesinnenminister - überlegt: Was soll aus dem Wohnhaus, dem Garten, dem Pavillon Konrad Adenauers werden? Wie kann man gewährleisten, daß der schriftliche Nachlaß, der ja eine Zeit von nahezu sechs Jahrzehnten deutscher Geschichte umfaßt, als geschlossene Einheit erhalten bleibt? Man hat die Lösung gefunden, die hier bereits dargestellt und von der Entwicklung, wie ich meine, vollauf bestätigt worden ist.
In dem Vertrag - er ist hier mehrfach erwähnt worden - zwischen den Erben und der Bundesrepublik Deutschland schenkten die Erben Adenauer der Bundesrepublik Deutschland das Anwesen ihres Vaters in Rhöndorf: das Haus, den Pavillon, die Inneneinrichtungen sowie den gesamten schriftlichen Nachlaß. Für diese großzügige Schenkung darf ich den Erben Adenauer heute und von dieser Stelle aus nochmals den Dank der Bundesregierung aussprechen. Ihre Schenkung sollte auch Ansporn für ähnliche Initiativen im Interesse des Gemeinwohls sein.
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Die selbständige Stiftung des öffentlichen Rechts ist im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Stiftung die geeignete Rechtsform. Sie gewährleistet nicht nur auf Dauer den Bestand des Vermögenskomplexes, sondern vermeidet, da die Stiftung ihre Angelegenheiten weitgehend selbständig regelt, auch den Anschein einer zu weit gehenden staatlichen Einflußnahme, die der wissenschaftlichen Arbeit ebenso wie der politischen Bildungsarbeit abträglich sein könnte.
Die Bundesregierung konnte diesen Gesetzentwurf im Jahre 1977 einbringen, weil die Bestandsaufnahme des schriftlichen Nachlasses Ende 1976 abgeschlossen werden konnte und der Bund zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsgewalt über die Archivalien erlangt hat. In dem Vertrag von 1967 ist der Bund eine verbindliche Verpflichtung zur Finanzierung der Stiftung eingegangen. Diese Verpflichtung gilt für alle Bundesregierungen. Sie wird durch das kommende Gesetz nur noch unterstrichen.
Seit Anfang 1970 ist die Gedenkstätte „Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus" für die Öffentlichkeit zugänglich. Seither haben - Herr Kollege Langguth hat das erwähnt - fast 800 000 Menschen die Stiftung besucht. Die Besucher kommen aus allen Bevölkerungskreisen. Zu ihnen gehören in steiParl. Staatssekretär von Schoeler
gendem Maße Schulklassen. Daß bisher Menschen aus über 100 Ländern in Rhöndorf zur Stiftung kamen, ist nicht zuletzt ein Beweis für die dem ersten Bundeskanzler in der ganzen Welt zukommende Wertschätzung.
Am 19. Dezember 1975 wurde aus Anlaß des 100. Geburtstages Konrad Adenauers ein vom Bund erstellter Erweiterungsbau eröffnet. In diesem Bau wird eine Ausstellung gezeigt, in der Persönlichkeit und Wirken Konrad Adenauers vor dem Hintergrund der von ihm durchlebten vier Epochen deutscher Geschichte dargestellt werden. Die Ausstellung enthält im wesentlichen dem Nachlaß Konrad Adenauers angehörende Dokumente, Erinnerungsstücke und Photographien.
Die Ausstellung ist aber nur ein Teil der Zweckbestimmung der Stiftung. Gleichrangig steht daneben der Bezug zu Wissenschaft und Forschung. Die Stiftung hat den Nachlaß Konrad Adenauers zu sammeln, zu pflegen, zu verwalten und für die Interessen der Allgemeinheit in Wissenschaft, Bildung und Politik auszuwerten. Darüber hinaus hält die Stiftung wissenschaftliche Tagungen ab. In den vergangenen Jahren wurden sieben große Tagungen durchgeführt, die ein bedeutendes Echo gefunden haben.
Mit dieser Stiftung ist zweifellos etwas Neuartiges geschaffen worden. Die Persönlichkeit und die Leistung Konrad Adenauers, der Umfang des Nachlasses sowie die Großzügigkeit der Erben Adenauer haben den Versuch ermöglicht, mit der Stiftung zugleich mehrere Ziele zu verfolgen. Die Gedenkstätte soll erstens im Sinne eines besseren Geschichtsbewußtseins des deutschen Volkes wirken und vor allem der Jugend den Irrweg des Nationalsozialismus vor Augen führen und zeigen, daß es zu jener Zeit auch standhafte Persönlichkeiten gegeben hat, zweitens jeden Deutschen, gleich welcher politischen Richtung, ansprechen und veranschaulichen, daß bei allem Parteienstreit noch sehr viel Gemeinsames zwischen den Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland besteht und bestehen muß, drittens einen Beitrag zur politischen Bildung der Deutschen leisten, indem sie für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wirbt und am Niedergang der Weimarer Republik warnend Gefahren aufzeigt, denen jede freiheitliche Demokratie ausgesetzt werden kann, und viertens die Leistung des Wiederaufbaus des deutschen Volkes nach 1945 verdeutlichen.
Ich glaube, daß diesen Zielen das gesamte Haus zustimmen kann, daß wir uns alle zu diesen Zielen bekennen können. Namens der Bundesregierung darf ich Sie bitten, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen damit zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe §§ 1 bis 15 mit den vom Ausschuß vorgeschlagenen Änderungen, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß das Gesetz einstimmig angenommen worden ist.
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Meine Damei und Herren, ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs des Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 8/2081 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({1}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir beraten, ist ein Gesetzentwurf des Bundesrats, der seinerseits wieder auf eine Initiative zurückgeht, die das Land Niedersachsen im Bundesrat mit dem Ziel ergriffen hat, diejenigen Schüler, die sich in einer beruflichen Grundbildung befinden, in das sogenannte BAföG, also das Bundesausbildungsförderungsgesetz, einzubeziehen. Der Entwurf bezieht sich also insbesondere auf diejenigen, die zur Zeit ein Berufsgrundbildungsjahr absolvieren oder sich in der 10. Klasse von Berufsfachschulen befinden. Diese Schüler sind bis jetzt entweder gar nicht oder nur in besonderen einzelnen Fällen gefördert worden.
Ich möchte für die CDU/CSU-Fraktion hier feststellen, daß wir diese Initiative des Bundesrats und des Landes Niedersachsen begrüßen. Sie entspricht vielen Vorstellungen, die wir auch hier im Plenum in der Vergangenheit vorgetragen haben. Wir begrüßen die Initiative aus zwei Gründen: erstens weil wir meinen, daß damit bei der Ausgestaltung des 10. Schuljahres ein Schwergewicht insofern richtig gesetzt wird, als man der beruflichen Bildung den Vorrang vor der allgemeinen Bildung gibt.
Zweitens begrüßen wir diese Initiative, weil wir der Auffassung sind, daß sich mit dem BAföG möglicherweise . ein Einstieg ergibt, manche Leute zu fördern, die es bis jetzt vorziehen, entweder als Jobber oder als Hilfsarbeiter - wie immer man dazu sagen mag - keine berufliche Ausbildung zu akzeptieren, die statt dessen lieber direkt irgendeine bezahlte Tätigkeit ausüben. Sie sollen einen Anreiz
bekommen, in Zukunft in eine berufliche Förderung einzusteigen.
Interessant ist nun die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf. Die Bundesregierung sagt, sie unterstützt die Auffassung der , Länder in dieser Frage. Sie sagt, auch sie will der beruflichen Bildung den Vorrang vor der allgemeinen Bildung im 10. Schuljahr geben. Sie kündigt schließlich an, daß sie selbst einen Gesetzentwurf vorbereitet hat. Es ist in der Tat richtig, daß die Bundesregierung inzwischen ein Duplikat des Antrags des Landes Niedersachsen eingebracht hat,
Die Tatsache, daß sich das Ganze etwas verzögert hat, wird damit begründet, daß die Länder nicht richtig mitgezogen haben und die Länderbürokratie zu langsam gearbeitet hat. Ich darf hier der Ergänzung halber, weil es ja ein beliebtes Thema geworden ist, auf die Länder zu schimpfen, sagen, daß nach meinen Recherchen die Länder den Entwurf im Januar bekommen haben und innerhalb von zehn Tagen antworten sollten. Das haben sie auch alle brav gemacht. Aber bei der Bundesregierung herrschte praktisch vom Januar bis zum Juni Funkstille. Der Bundesminister wird sicher noch erklären, weshalb das so war. Die Bundesregierung ist mit ihrem eigenen Entwurf schnell nachgekommen, als das Land Niedersachsen seinen Entwurf eingereicht hatte.
Wenn man untersucht, weshalb denn nun diese Verzögerung eingetreten ist da gibt es Äußerungen des Bundesministers -, dann kommt man auf interne Schwierigkeiten innerhalb der Regierung, und zwar in bezug auf die Frage, wie man so etwas z. B. mit dem Finanzminister abstimmen kann. Wer wissen will, wie das gewesen ist, der kann in der halbamtlichen Wochenzeitung, die da montags immer in Hamburg erscheint, diese Woche nachlesen - ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitieren -:
Kaum ein paar Tage Finanzminister, konnte Hans Matthöfer schon mit einem ersten Erfolg prahlen. Da sei doch, rühmte er sich, sein neuer Kollege Jürgen Schmude zu ihm gekommen, um mehr Geld für die Ausbildungsförderung zu verlangen. Seine Begründung habe er allerdings nicht recht verstanden, deshalb erst einmal die Zulage verweigert und dem Bildungsminister geraten, sich bei weiteren Verhandlungen mit ihm auf schriftliche Vorlagen zu stützen.
Der so geschmähte Parteifreund rächte sich auf seine Weise. Er legte die Hausaufgaben gleich bei Bundeskanzler Helmut Schmidt vor, und der verstand besser ...
Fazit:
Seit dem Punktsieg über Matthöfer loben altgediente Regierungsmitglieder den Neuling als „Steher".
Toll, dieser Einblick in die Regierungsarbeit: der „Steher" geht zum „Macher", und dann ist die Sache perfekt.
Im übrigen finde ich, das ist der Schnee von gestern, insofern, als wir jetzt wissen: die Regierung hat ihre ursprünglichen Auffassungen zu diesem Thema geändert. Denn noch 1974 hat sie Anträge, die wir im Ausschuß gestellt haben, abgelehnt, die Berufsbildung in das BAföG einzubeziehen. Sie hat es auch in der Debatte 1977 noch einmal getan. Also muß man auch lobend erwähnen: sie hat ihre Auffassung hier der Auffassung der Union angenähert und ist jetzt bereit, diesen Schritt mit zu tun.
Die Frage bleibt, weshalb die Regierung in ihrer Anmerkung zum Entwurf des Bundesrates sagt, daß sie dieses Gesetz nur bis 1981 gelten lassen will. Die Regierung sagt, daß es aus fachlichen und rechtlichen Gründen notwendig ist, das zu tun. Ich gehe davon aus, daß wir das gleich noch einmal hören werden. Ich glaube, es reicht, darauf hinzuweisen, daß die Notwendigkeit bestand, den Finanzminister von dieser Maßnahme zu überzeugen. Da hat man gesagt: wenn wir es bis 1981 begrenzen, dann ist das alles nicht so teuer. Die Frage ist aber doch: Wenn es prinzipiell als richtig angesehen wird, daß eine solche Förderung in das Gesetz aufgenommen wird, um die berufliche Bildung zu stärken, weshalb ist dann das Prinzip nur bis 1981 richtig, und weshalb soll dann plötzlich ab 1981 etwas anderes gelten? Auch da warten wir auf eine Antwort.
Es gibt aber auch noch eine zweite Begründung, weshalb diese Befristung in das Gesetz aufgenommen wird. Diese lautet wie folgt. Innerhalb der SPD gibt es einen Streit über die Ausgestaltung des 10. Schuljahres. Sehen Sie sich an, was das Land Berlin schulisch in der allgemeinen Bildung im 10. Schuljahr macht! Sehen Sie sich an, was in Nordrhein-Westfalen geschieht: Offenhalten dieser Frage. Lesen Sie sich dann die Regierungserklärung durch und das, was auch der Bundeskanzler z. B. kürzlich noch vor den Meistern in Düsseldorf gesagt hat. Dann wird deutlich: man will sich vielleicht auch mit der 81 er Regelung über diese Diskussion hinwegretten und abwarten. Außerdem ist ja 1980 die Bundestagswahl. Dann hat man erst einmal bis dahin eine Förderung gemacht. Dann kommt 1981, und dann reden wir neu darüber.
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- Ich bedanke mich für diese Einschätzung. Das wurde mir gestern im Ausschuß übrigens von Ihren Parteifreunden schon bestätigt, Herr Wehner, daß ich das gemerkt habe. Die kriegten dann auch solche Köpfe dabei.
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Zum Schluß möchte ich dem Bundesbildungsmiminister noch eine Frage stellen, die uns in diesem Zusammenhang sehr wichtig erscheint. Wir meinen nämlich, daß Sie die Chance vertan haben, Herr Minister Schmude, mit dem Entwurf, den Sie nun vorgelegt haben, auch gleichzeitig eine BAföG-Novelle zu machen, die aus einom Guß ist. Wir haben Ihnen schon mehrfach vorgetragen, daß wir in dieser Beziehung fünf Elemente gerne im neuen BAföG sehen möchten, die wir für unverzichtbar halten. Die Frage stellt sich in der Tat, weshalb Sie auf diese
Vorschläge nicht eingehen und weshalb Sie die Gelegenheit der fünften Novelle nicht benutzt haben, dies zu tun.
Die erste Forderung ist, zu einer Verstetigung der Freibetragsregelung zu kommen, um damit zu erreichen, daß nicht ständig aus der Förderung Zigtausende Studenten und Schüler herausfallen oder weniger BAföG beziehen, und zwar nur deshalb, weil bei irgendeiner Tarifrunde ein paar Prozente daraufgelegt worden sind und auf diese Weise die Freibetragsgrenzen nicht mehr stimmen. Wenn man das im sozialen Wohnungsbau gleichermaßen machen wollte, bedeutete dies, daß etwa nach einem Jahr, wenn Tariferhöhungen gekommen sind, eine Familie aus dem sozialen Wohnungsbau ausziehen müßte, dann würde angepaßt, und dann darf sie wieder einziehen. Das ist eine unsinnige Regelung. Deshalb fordern wir eine Verstetigung der Freibetragsregelung.
Übrigens hätten Sie dem Finanzminister vielleicht auch die Sache schmackhaft machen können, wenn Sie darauf hingewiesen hätten, daß Sie, weil diese Freibetragsregelung so ist, wie sie jetzt noch gestaltet ist, ständig sehr hohe Haushaltsreste haben. Das geht in die -zig Millionen, die in Ihrem Etat ständig übrigbleiben. Sie hätten also aus diesen Resten, wenn Sie die Freibetragsregelung nicht ändern wollen, spielend auch das BBJ z. B. im BAföG finanzieren können.
Die zweite unserer Forderungen: Wir wollen einen weiteren Leistungsnachweis in das BAföG einführen, damit diejenigen Studenten, die ich als „Karteistudenten" bezeichnen möchte, aus der Förderung herausgenommen werden. Sie studieren überhaupt nicht, sondern sind lediglich an den Universitäten gemeldet.
Drittens. Wir legen großen Wert auf die Umgestaltung der familienfeindlichen Vorausleistungsvorschriften und der Überleitungsvorschriften, die im Ergebnis dazu führen, daß BAföG-Ämter bei Gerichten die Ausbildungsförderung gegen die Eltern einklagen, die z. B. einem Diplomsoziologen nicht noch das Studium der Politologie finanzieren wollen. Das können wir anders gestalten, indem wir dort etwa eine Darlehensregelung einführen und damit diese Prozeßlawine stoppen.
Viertens. Wir sind durchaus für eine maßvolle Erhöhung des Darlehensanteils beim BAföG mit einer gleichzeitigen Regelung, die so aussehen könnte, daß wir den Studenten, die zügig studieren, diese Darlehen dann auch in erheblich größerem Umfange erlassen.
Fünftens. Wir sind der Meinung, daß diejenigen, die ihr eigenes Studium boykottieren - man sagt immer „Streik" dazu; eine sehr merkwürdige Bezeichnung für einen solchen Vorgang -, die also ihre eigene Ausbildung boykottieren und andere am Studium hindern, in Zukunft keine Förderung mehr bekommen sollen. Die können gern weiter studieren, aber dann bitte zum BAföG-Nulltarif!
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Hierzu eine weitere Bemerkung. Es ist ja die Feststellung getroffen worden, daß ein ganz großer
Teil dieser Studenten namhaft zu machen ist, so daß das Argument in diesem Zusammenhang überhaupt nicht sticht, daß man das nicht durchführen könne.
Unsere Vorschläge, die wir ja auch im Sommer noch einmal wiederholt haben, liegen hier auf dem Tisch. Wir bedauern erneut, daß wir bei dieser Gelegenheit nicht gleich sozusagen den großen Wurf machen können. Wir erwarten jetzt, daß die Regierung ihre Vorschläge macht. Wenn es richtig ist, daß der Bundesbildungsminister der „Steher" ist, würde ich sagen: Treten Sie mal kräftig in die Pedale; wir helfen Ihnen, daß Sie nicht umfallen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogelsang.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte mich zuerst mit der Sache und erst dann mit den Äußerungen meines Kollegen Daweke beschäftigen.
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In der Regierungserklärung vom 16. 12. 1976 hat der Bundeskanzler u. a.. ausgeführt:
Die berufliche Bildung zu fördern bleibt eine zentrale politische Aufgabe der Bundesregierung.
Dies ist für uns nicht nur eine programmatische Erklärung, sondern auch eine Leitlinie für die praktische Politik. Ich möchte also die Beratungen über diesen Gesetzentwurf zum Anlaß nehmen, einmal in einer kurzen Bilanz darzulegen, was denn auf diesem Gebiet bisher geschehen ist.
Zur Unterstützung der Länder, insbesondre beim Ausbau von beruflichen Schulen und Einrichtungen der beruflichen Bildung, hat der Bund insgesamt 650 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Rund die Hälfte der Finanzmittel ist inzwischen bereits in Anspruch genommen bzw. festgelegt worden. Damit leistet der Bund gleichzeitig einen Beitrag zur Realisierung des von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung beschlossenen Programms zur Minderung der Beschäftigungsrisiken der Jugendlichen. Dieses Programm sieht bis 1982 einen Ausbau des Berufsgrundbildungsjahres auf über 100 000 Plätze, der berufsbefähigenden Bildungsgänge auf 44 000 Plätze vor. Im Rahmen eines Schwerpunktprogramms fördert der Bund überbetriebliche Ausbildungsstätten mit bis zu 80 0/o der Investitionskosten und bezuschußt die laufenden Kosten der entsprechenden Projekte. Seit 1975 sind über 520 Millionen DM bewilligt worden. Damit war es möglich, die Zahl der Ausbildungsplätze in überbetrieblichen Ausbildungsstellen zu verdoppeln, so daß die Zahl der Plätze heute 25 000 beträgt.
Für die Durchführung von Modellvorhaben in der beruflichen Bildung sind allein für 1978 rund 45 Millionen DM bereitgestellt. Im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen u. a. die Ausgestaltung der verschiedenen Formen des Berufsgrundbildungsjahres, die Abstimmung von schulischer und betrieblicher
Ausbildung, die qualitative Verbesserung des Ausbildungsangebotes, die Erschließung von Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und die Förderung -bisher benachteiligter Gruppen.
Abschließend - dieser Bericht kann natürlich nicht vollständig sein - ist noch auf die Steigerung des Ausbildungsangebotes des Bundes hinzuweisen, der im Jahre 1978 sein Ausbildungsangebot um 20 % erhöht hat.
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- Gnädige Frau, ich hatte bereits am Anfang gesagt: Das hat insoweit etwas mit BAföG zu tun, als die Einbeziehung des Berufsgrundbildungsjahres ein Punkt ist, der in der Regierungserklärung genannt worden ist. Der heute zu beratende Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt im Sinne der Regierungserklärung.
Der Förderungsbereich des Ausbildungsförderungsgesetzes soll auch für das Berufsgrundbildungsfahr einschließlich seiner Sonderformen gelten. Das Berufsgrundbildungsjahr ist ja in seiner Bedeutung für eine berufliche Qualifizierung unumstritten. Im Parlament, in der Regierung, im Bundesrat, bei den Gewerkschaften, bei den Arbeitgebern gibt es darüber - ich darf kommentierend hinzufügen: erfreulicherweise - Einigkeit. Wichtig wird es aber für uns sein, daß auch die Jugendlichen und ihre Eltern besser als bisher verstehen, warum wir diesem Berufsgrundbildungsjahr eine solche Bedeutung beimessen. Das wollen wir dadurch erreichen, daß die Leistungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auch für diesen Bereich gelten.
Es geht also darum, daß sich die Jugendlichen im Berufsgrundbildungsjahr nicht wesentlich schlechter gegenüber den Gleichaltrigen stehen, die nach ihrer schulischen Ausbildung gleich in einem Betrieb, im Handel, im Gewerbe oder in einer Verwaltung die Ausbildung beginnen. Mit dieser vorgesehenen Regelung wird das soziale Anliegen des Ausbildungsförderungsgesetzes unterstrichen. Wir sollten an diesen sozialen Charakter auch dann denken, wenn das Ausbildungsförderungsgesetz in einer sogenannten Strukturnovelle überarbeitet wird. Und da, meine ich, Herr Daweke, eignet sich dieses Gesetz nicht als Disziplinierungsmittel für Studenten.
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Da das Gesetz am 1. August dieses Jahres in Kraft treten soll, also rückwirkend, werden wir eine Übergangsvorschrift einfügen müssen, die den Ansprüchen der Antragsteller gerecht wird und keine Neuberechnung erforderlich macht, wenn bereits Geschwister gefördert werden.
Wir werden außerdem gewissermaßen einen Prüfungsvermerk für den Gesetzgeber einfügen, indem wir im Ausschuß beantragen werden, die Laufzeit dieses Gesetzes vorerst bis zum 31. Juli 1981 zu begrenzen.
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Das ist nichts Außergewöhnliches; ich erinnere dabei an das Graduiertenförderungsgesetz, das ebenfalls zeitlich begrenzt war und allgemeine Zustimmung hier im Hause gefunden hat.
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Es liegt dann bei dem Gesetzgeber, also bei uns selbst, zu entscheiden, ob das Gesetz weiter gelten soll oder nicht.
Nun, Herr Daweke, zu Ihnen. Sie haben kritisiert, daß dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung, der heute nicht zur Beratung anstehen kann, weil er nach unserer Verfassung erst dem Bundesrat vorgelegt werden muß, so spät eingebracht wurde. So ganz überzeugend klingt das aus Ihrem Munde nicht; denn Sie persönlich haben im Namen Ihrer Fraktion am 27. Juni dieses Jahres eine Presseerklärung abgegeben, in der Sie gefordert haben, daß alles das, was wir jetzt gemeinsam wollen, ab 1979 Gültigkeit haben soll..
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Diesem Ihrem politischen Anliegen kämen wir ja in jedem Falle nach, käme auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung noch nach.
Wenn Sie der Regierung heute eine zu lange Abstimmung in dieser Frage vorwerfen, so ist das, meine ich, ebenfalls nicht ganz überzeugend. Ihr finanzpolitischer Sprecher hat nämlich in der Debatte der vorigen Woche die Bundesregierung aufgefordert, viel mehr darüber nachzudenken, wie man Ausgabenzuwächse beschneiden und Sparmaßnahmen durchführen kann. Insoweit, so meine ich, müßte doch innerhalb Ihrer Fraktion eine Abstimmung der Meinungen von voriger Woche bis zu der heutigen Woche noch möglich sein.
Nun etwas zu der zeitlichen Befristung. Ich denke, wir verkennen gemeinsam nicht, daß wir mit diesem Gesetz eine - oder besser gesagt: mehr - soziale Gleichstellung zwischen den Schülern im Berufsgrundbildungsjahr mit ihren Kollegen im dualen System erreichen. Wir übersehen aber doch beide auch damit nicht, daß damit bewirkt wird, daß ein größerer sozialer Unterschied zu den Schülern der allgemeinbildenden Schulen entsteht. Wir halten dies für gerechtfertigt, aber der Unterschied bleibt. Warum soll der Gesetzgeber - ich betone noch einmal: also wir - dies nicht als ein Zeichen sehen, sich selber zu zwingen, im Jahre 1980 oder 1981 noch einmal darüber nachzudenken, ob er die in Kürze zu treffende Entscheidung über dieses Gesetz beibehalten will.
Zum Abschluß möchte ich noch sagen: Es- gibt in der Bildungspolitik wenig Gemeinsamkeiten zwischen Koalition und Opposition. Von diesem Pulte aus wollen wir den Bürgern die Unterschiede deutlich machen. Wenn wir aber schon - und jetzt darf ich sagen: ausnahmsweise - einmal in einer Sachfrage wie dem Berufsgrundbildungsjahr einig sind, dann, so meine ich, sollten wir hier nicht eine Diskussion eröffnen, die wie ein Schauspiel wirken mag, wenn ich an Ihre Vorwürfe denke, die Sie hier gegenüber der Regierung erhoben haben.
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Die SPD stimmt der Überweisung zu. Wir versprechen, im Auschuß zügig zu beraten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen! Die Fraktion der FDP begrüßt, daß sowohl die Bundesregierung wie auch der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der das Bundesausbildungsförderungsgesetz für den Bereich der beruflichen Bildung ausweitet.
Mit dem vorliegenden Entwurf soll der Besuch der Klasse 10 aller Formen der schulischen beruflichen Grundbildung und die Klasse 10 der Berufsfachschulen uneingeschränkt in den Förderungsbereich des Gesetzes einbezogen werden. Bisher werden Schüler der Klasse 10 dieser Ausbildungsstätten bekanntlich nur dann gefördert, wenn sie nicht bei ihren Eltern wohnen und von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichen. Noch gravierender ist, daß Schüler der Klasse 10 der Sonderformen des Berufsgrundbildungsjahres gegenwärtig überhaupt nicht gefördert werden.
Wir Liberale halten es für einen wichtigen Beitrag zur Herstellung von Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, daß diese Mängel des geltenden Rechts nunmehr beseitigt werden sollen. Dies ist ein ganz konkreter und wirksamer Schritt, wie wir meinen, in die richtige Richtung und entspricht unserer Forderung, eine Schwerpunktverlagerung zugunsten der beruflichen Bildung vorzunehmen.
Wenn man von einigen bayerischen Besonderheiten absieht, treten Bund und Länder geschlossen für den Ausbau des Berufsgrundbildungsjahres auch in der Form ein, daß es den jungen Menschen eine berufsfeldbreite Grundausbildung gibt und ihre fachliche Mobilität und Flexibilität im Berufsleben verbessert.
Ich hoffe sehr, daß mit der Verabschiedung des Gesetzes auch der CSU-Kollege Schedl - Herr Daweke, mit dem sollten Sie und andere sich einmal unterhalten - seine Behauptung, das Berufsgrundbildungsjahr sei ein „Irrweg" - nachzulesen im „Handelsblatt" vom 22. März 1978 - zurückzieht und nicht mehr vor angeblichen „Leberkäs-Ingenieuren" warnt. Wir Liberale sind jedenfalls mit der SPD und mit der CDU für den zügigen Ausbau des Berufsgrundbildungsjahres. Der Bundeswirtschaftsminister hat vor kurzem eine Verordnung erlassen, die die praktischen Schwierigkeiten der Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahres auf die Ausbildungszeit beseitigen wird. Kehren wir also zu diesem vernünftigen Konsens aller Parteien in der Bildungspolitik zurück.
Daß die Sonderformen des Berufsgrundbildungsjahres in die Förderung einbezogen werden, ist ein besonders wichtiger Punkt. Ich glaube, hier hat es immer den Konsens gegeben, daß es eine wichtige
Aufgabe der Bildungspolitik ist, die Zahl der jungen Menschen, die ohne eine berufliche Erstausbildung ins Berufsleben treten, möglichst zu senken. Es geht darum, allen jungen Menschen eine qualifizierte berufliche Erstausbildung zu sichern, damit ihre Chance auf dem Arbeitsmarkt nicht von vornherein schlechter ist als die anderer Arbeitnehmer.
Die in die Förderung einzubeziehenden Sonderformen des Berufsgrundbildungsjahres dienen ins- besondere dazu, diese benachteiligten, noch nicht berufsfreien Jugendlichen auf die berufliche Erstausbildung vorzubereiten. Der mit der Förderung verbundene finanzielle Anreiz wird hoffentlich dazu führen, daß mehr Jugendliche, die sonst möglicherweise auch aus finanziellen Gründen eine Jungarbeiterstelle angenommen hätten, in den Bereich der beruflichen Bildung einbezogen werden.
Aus finanziellen Gründen kann derzeit nicht auch schon die Klasse 10 der allgemeinbildenden Schulen, insbesondere der Hauptschulen, uneingeschränkt in die Förderung. einbezogen werden. Angesichts der Tatsache, daß die Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen dabei sind, ein zehntes Pflichtschuljahr einzuführen - wobei Nordrhein-Westfalen ja wahlweise Hauptschule oder berufsbildende Schulen anbietet -, ist diese Nichteinbeziehung durchaus und so sehen wir es auch - als problematisch anzusehen. Wir streben auch hier - Herr Daweke, dies ist doch ein gemeinsam besonders erstrebenswertes Ziel - eine bundeseinheitliche Regelung an. Ich glaube Ihren Ausführungen entnehmen zu können, daß keine Bedenken seitens Ihrer Fraktion .mehr dagegen bestehen, daß wir Bundeskompetenz etablieren, die dann für eine Vereinheitlichung in diesem Gebiet - nämlich Einführung des zehnten Pflichtschuljahres - sich einsetzen wird.
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- Ich habe Sie also falsch verstanden? Dann bedauere ich das außerordentlich.
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- Das kann sein. Aber dann hat sich Herr Daweke so schwer verständlich ausgedrückt.
Auch das zehnte Hauptschuljahr könnte wohl mit berufspraktischen und berufsorientierenden Inhalten wesentlich dazu beitragen, eine größere Berufswahlbreite und ein besseres Fundament für die berufliche Ausbildung zu erlangen. Mehr als 80 % befragter Eltern von Schülern in den Hauptschulen der fünf Regierungsbezirke in Nordrhein-Westfalen haben für die Wahl eines zehnten Schuljahres an der Hauptschule plädiert, um den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung zu erleichtern und die Chancen zu verbessern. Sie haben diese Möglichkeit gegenüber einem Schulwechsel für ein Jahr in die Berufsgrundschule vorgezogen. Ich möchte deutlich darauf hinweisen, daß hier ein eindeutiges Votum der Eltern für ein zehntes Hauptschuljahr doch wohl vorliegt.
Um nun Entwicklungen in Richtung auf die Einführung eines zehnten Pflichtschuljahres nicht zu stö8434
ren, ist die seitens der Bundesregierung vorgeschlagene Befristung auf drei Jahre zu begrüßen. Sie wird von uns unterstützt werden. Dies sind auch entscheidende Jahre bezüglich der steigenden Nachfrage nach Ausbildungsplätzen, die sich - man mag darüber streiten - bis 1981 oder 1982 in der Tendenz noch verstärken wird.
Es sollte auch darauf hingewiesen werden, daß zwei wichtige Novellen zum Bundesausbildungsförderungsgesetz in Vorbereitung sind. Das ist einmal die Anpassungsnovelle und zum anderen die Strukturnovelle. Hierzu hat die CDU-Fraktion schon vor längerem fünf Elemente angegeben, die Herr Daweke vorhin wiederholt hat. Ich möchte mich mit diesen Elementen im einzelnen hier nicht auseinandersetzen. Wir sind der Meinung, daß die Strukturnovelle und die Anpassungsnovelle in nächster Zukunft hier zur Beratung anstehen, und daß sich dann von da aus schon die Notwendigkeit ergibt, über eine Novellierung der jetzt anstehenden Änderung zu sprechen. Die Befristung auf drei Jahre, Herr Daweke, sollte auch wohl so verstanden werden, daß wir uns selbst etwas in die zeitliche Pflicht setzen, um mit den Beratungen der Novelle zügig übereinzukommen.
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- Aber eine vernünftige, wie Sie doch wohl zugeben werden, Herr Daweke. Danke schön!
Ich möchte grundsätzlich feststellen, daß das Bundesausbildungsförderungsgesetz von 1971, das durch verschiedene Novellen verbessert wurde, sich wohl grundsätzlich bewährt hat. Auch im Rahmen der Strukturüberprüfung des BAföG darf dessen Finanzierung durch die öffentliche Hand nicht in Frage gestellt werden. Die von Konservativen oft geforderten Darlehensgebührenmodelle sind abzulehnen, da. sie Jugendliche aus einkommenschwächeren Familien von bestimmten Ausbildungsgängen abschrecken könnten. Zielsetzung der individuellen Bildungsförderung ist es aber gerade, soziale Ungleichheiten im Bildungssystem auszugleichen. Ich hoffe, daß wir hier zu einem Konsens im Hinblick auf die Fünfte Novelle, aber auch im Hinblick auf die Beratung bezüglich der Struktur- und der Anpassungsnovelle kommen.
Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuß zu und sichern Ihnen eine zügige Beratung dieses Gesetzes im Ausschuß im Interesse der zu fördernden Jugendlichen zu.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Schmude.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Fünften Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes wird eine bedeutsame Maßnahme zugunsten der beruflichen Bildung eingeleitet. Sie ist aus sozialen und bildungspolitischen Gründen, aber auch zur Entlastung des Arbeitsmarktes dringend erforderlich. Ich begrüße es - der Eindruck heute morgen bestätigt dies -, daß diese Maßnahme offenbar von allen Fraktionen dieses Hauses, von den Ländern, den Gewerkschaften und der Wirtschaft in bemerkenswerter Einhelligkeit unterstützt wird. Das zeigt sich auch darin, daß wir zwei praktisch inhaltsgleiche Entwürfe vorliegen haben: den Entwurf des Bundesrates, über den heute gesprochen wird, und den seit langem vorbereiteten und von mir im April angekündigten Entwurf der Bundesregierung.
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- Herr Daweke, was die „Funkstille" anbelangt, so empfehle ich Ihnen, nachzulesen, daß ich Ende April ganz eindeutig erklärt habe, dieser Entwurf werde im Zuge der Haushaltsberatungen des Kabinetts verabschiedet werden. Im übrigen möchte ich auf die Vorgeschichte nicht weiter eingehen. Ich halte auch das von Ihnen verlesene Zitat zwar für recht unterhaltsam, aber nicht für geeignet, um eine sachliche Darstellung der Angelegenheit zu ermöglichen.
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- Es sind ja Daten bekannt. Herr Daweke berichtete, daß der Entwurf der Bundesregierung im Januar den Ländern zugegangen ist.
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Daraufhin hat man dort auf der Grundlage dieses Entwurfs offenbar die Initiative ergriffen, ist damit aber später herausgekommen, nachdem wir angekündigt hatten, daß er bei den Haushaltsberatungen des Kabinetts behandelt werden würde. Nur, ich sehe keinen großen Wert darin, diese Vorgeschichte im einzelnen darzulegen.
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Woran wir festhalten sollten, ist, daß Bundesregie- rung, Bundesrat und, wie wir heute sehen, auch der Bundestag, alle drei Fraktionen, dieses Vorhaben begrüßen und unterstützen. Das kann der Sache nur nützen.
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In den Einrichtungen der beruflichen Grundbildung und der Berufsfachschulen im 10. Bildungsjahr befinden sich heute rund 250 000 Schüler. Für die sozial Bedürftigen unter ihnen - das sind mindestens 70 000 - wird mit der Einbeziehung in die Ausbildungsförderung eine verbesserte Möglichkeit geschaffen, eine Berufsausbildung oder Berufsvorbildung trotz angespannter Arbeitsmarktlage und Ausbildungsstellensituation zu beginnen. Ihre Familien werden entlastet. Dieses Vorhaben ist ganz im Sinne des von der Bundesregierung mit großem Nachdruck auch an dieser Stelle wieder betonten Vorrangs der beruflichen Bildung in der Bildungspolitik.
Ich hoffe, daß die zuständigen Ausschüsse des Bundestages angesichts der sachlichen Übereinstimmung die Beratungen zügig durchführen können. Dann kann der Bundesrat in seiner Sitzung am 20.
Oktober den Gesetzentwurf beschließen. Da das Gesetz rückwirkend zum 1. August 1978 in Kraft treten soll, wird die Förderung bereits für das gesamte Schuljahr 1978/79 möglich sein. Ich meine, angesichts dieses Termindrucks, dem wir auch gerecht werden wollen, ist es durchaus sachgemäß, die weiteren Beratungen, die Sie, Herr Daweke, angesprochen haben, jetzt damit nicht zu verbinden.
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Wir haben im Bereich der beruflichen Grundbildung eine von den Regierungschefs des Bundes und der Länder bestätigte gemeinsame Ausbauplanung für die geburtenstarken Jahrgänge. Danach soll sich besonders die Zahl der Plätze im Berufsgrundbildungsjahr erheblich erhöhen. Zur Verwirklichung dieser Planziele der Länder trägt die Bundesregierung übrigens auch durch Investitionen im Bereich der beruflichen Schulen erheblich bei. 1976 befanden sich etwa 40 000 Schüler in Einrichtungen der beruflichen Grundbildung und 120 000 in den 10. Berufsfachschulklassen. 1981 soll die Zahl um 110 000 höher sein. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, das man aber erreichen kann, wenn alle Beteiligten ihren Beitrag leisten.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort zu den kritischen Fragen um die Anrechnungsverordnung für das Berufsgrundschuljahr. Sie wissen, daß der Bundesrat am 7. Juli - entgegen der vorher erfolgten Abstimmung mit den Kultusministern der Länder - für viele Fälle weniger als die volle, d. h. einjährige, Anrechnung des Berufsgrundschuljahres vorgesehen hat. Die Bundesregierung hat gleichwohl die neugefaßte Anrechnungsverordnung erlassen, um den Ländern und den Jugendlichen mehr Sicherheit auf diesem Gebiet zu geben. Sie erwartet, daß die Länder den Ausbau der beruflichen Grundbildung nachhaltig fortsetzen. Andererseits ist es nun an der Wirtschaft, die Bildungsangebote der Länder dadurch anzuerkennen, daß sie den besser vorgebildeten Jugendlichen durch Aufnahme in ein Ausbildungsverhältnis eine gute Chance für Beruf und Arbeitswelt gibt.
Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, die von uns allen hier gewollte Förderungsmaßnahme bis zum Ende des Schuljahres 1980/81 zu befristen. Dann wird man Bilanz ziehen können und müssen, nicht nur über die Förderung, sondern auch über die Entwicklung im 10. Bildungsjahr. Es wird dann Aufgabe des Gesetzgebers sein, auf der Grundlage einer solchen Bilanz die weitere Entwicklung zu bestimmen. Ich glaube, man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: Hier besteht ein Streit um die Ausgestaltung des 10. Bildungsjahres, und über den will die Bundesregierung hinwegkommen. So leichter Hand sollten wir nicht über eine ernste bildungspolitische Diskussion sprechen, die ja nicht nur über die Grenzen parteipolitischer Zuordnung hinweg geführt wird, sondern quer durch alle Länder geht und in der sich eine weitere Klärung, etwa im Bereich der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung bei der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans, in den nächsten Jahren sicherlich ergeben wird. Die weitere Entwicklung sollte man bei künftigen Entscheidungen durchaus einbeziehen können und trotzdem
angesichts der geburtenstarken Jahrgänge, die jetzt eine berufliche Bildung brauchen, diese Maßnahme schon treffen.
Ich möchte nun die Gelegenheit benutzen, um kurz auf die weitere Entwicklung im Bereich der Ausbildungsförderung einzugehen.
Während die gesetzgebenden Körperschaften über die Einbeziehung der beruflichen Grundbildung beraten, bereitet die Bundesregierung das 6. Änderungsgesetz zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vor: Gleichzeitig laufen die Vorarbeiten zu dem Bericht nach § 35 des Gesetzes, der Vorschläge zur Anpassung der Leistungen an die Veränderung der Lebenshaltungskosten enthalten soll und dem Deutschen Bundestag noch in diesem Jahr vorzulegen ist.
Ohne der Beschlußfassung der Bundesregierung vorzugreifen, kann ich schon jetzt erklären: Die Bundesregierung wird in ihrem Bemühen um Verbesserung des Rechts der Ausbildungsförderung und der Leistungen fortfahren. Mit der 6. Novelle wird die Bundesregierung versuchen, notwendige strukturelle Änderungen in der Ausbildungsförderung mit der Anpassung der Leistungen zum Herbst 1979 zu verbinden, um dem Gesetzgeber die Entscheidungen zu erleichtern. Es wird also nicht eine 6. und dann noch eine 7. Novelle, sondern nur eine 6. Novelle geben, die beide Bereiche zusammenfaßt.
Die Bundesregierung wird im Rahmen der strukturellen Entwicklung auch die Frage einer Verstetigung der Leistungen zu lösen versuchen. Bisher ist es für die Betroffenen ein Ärgernis, daß die Förderungsleistung auch bei normaler Entwicklung des Einkommens der Eltern in einem Jahr sinkt, im nächsten Jahr steigt und dann wieder sinkt. Das abzustellen wird von den Ländern und vom Bund gewisse Mehraufwendungen fordern. Diese Kosten halten sich aber in einem Rahmen, der mit der mittelfristigen Finanzplanung verträglich ist. Von da aus spricht sehr viel dafür, den zusätzlichen Aufwand für die Verstetigung als einen vertretbaren Preis für ein Mehr an Stabilität und Gerechtigkeit in der Ausbildungsförderung zu verstehen.
Ich weiß, daß die Leistungen nach dem Gesetz auch bei strukturellen und inhaltlichen Fortschritten immer auf Kritik stoßen werden. Die Bundesregierung nimmt diese Kritik ernst. Die Kritiker aber müssen bedenken, daß die Gesamtaufwendungen von Bund und Ländern für das BAföG fast drei Milliarden DM ausmachen und daß die allgemeine Entwicklung der öffentlichen Finanzen Grenzen setzt, die auch im sozialen Bereich zu beachten sind.
Es wird gelegentlich über einen angeblichen Mißbrauch von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gesprochen. Dazu sage ich deutlich, daß im Vordergrund unserer Bemühungen die über 600 000 Schüler und Studenten stehen müssen, die die Leistung nach dem BAföG zu Recht erhalten, und nicht die wenigen Fälle, in denen von vereinzeltem Mißbrauch berichtet wird, ohne daß das bisher konkret nachgewiesen worden ist.
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Im Gegenteil: Wir wissen, daß es gerade die geförderten Studenten sind, die ihr Studium im Durchschnitt besonders schnell beenden. Ich habe deshalb Zweifel, ob man auf der Grundlage dieser diffusen Gerüchte über eine mißbräuchliche Inanspruchnahme so weit gehen sollte, Studium und Studienreform durch eine zusätzliche und verwaltungsaufwendige Überprüfungspraxis zu belasten.
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Die weiteren Einzelpunkte, die hier Kollege Daweke vorgetragen hat, werden wir im Rahmen dieser sechsten Novelle zu beraten haben. Aber ich schließe mich schon jetzt voll und ganz den Bedenken des Kollegen Vogelsang gegen eine Erweiterung der Möglichkeit des Rückrufs oder der Sperrung von Leistungen bei dem an, was Sie Vorlesungsboykott oder Streik nennen. Das Gesetz enthält schon heute die Möglichkeit, Leistungen zurückzufordern, wenn jemand seine Ausbildung praktisch über einen gewissen Zeitraum nicht durchführt.
({8})
Wenn wir darüber hinausgehen, besteht die Gefahr, daß wir die Ausbildungsförderung zu einem Disziplinierungsinstrument machen.
({9}) Dieser Gefahr sollten wir nicht erliegen.
Die Förderung der beruflichen Grundbildung und die soziale Flankierung der Öffnung der Hochschulen sind wichtige Orientierungspunkte für die weitere Entwicklung des Systems der Ausbildungsförderung.
Ich bin zuversichtlich, daß weitere Fortschritte möglich sind, die den notwendigen Finanzrahmen einhalten und trotzdem den Betroffenen, seien es Schüler oder Studenten und ihre Familien, zeigen, daß die Bundesregierung ihre Sorgen und Probleme kennt und zu berücksichtigen versucht. Im Frühjahr 1979 wird der Deutsche Bundestag dazu wichtige Entscheidungen zu treffen haben. Schon im voraus bitte ich dafür um Ihre Unterstützung.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Der Ältestenrat hat Ihnen seine Vorschläge zur Überweisung an die Ausschüsse vorgelegt. Dagegen erhebt sich offenkundig kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 8/2080 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({0}) Innenausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Staatshaftungsgesetzes
- Drucksache 8/2079 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Es soll eine verbundene Debatte stattfinden.
Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 sind für die Rechtspolitik der Bundesregierung in der 8. Legislaturperiode als Leitsätze genannt:
Erstens: Die Rechtsordnung muß dort weiterentwickelt werden, wo sie den Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere den Grundrechten, dem Sozialstaatsprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip, noch nicht in vollem Umfange entspricht.
Zweitens: Sie muß neuen Herausforderungen mit zeitgemäßen Lösungen begegnen.
In Übereinstimmung damit wird sodann in der Regierungserklärung angekündigt, die Bundesregierung wolle das gegenwärtig sehr unübersichtliche, zersplitterte und deshalb unbefriedigende Staatshaftungsrecht vereinheitlichen und unserem heutigen
Verständnis entsprechend erneuern.
In Vollzug dieser Ankündigung hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und den Entwurf eines Staatshaftungsgesetzes beschlossen. Beide Entwürfe liegen heute dem Deutschen Bundestag in erster Lesung zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung vor.
Diese Vorlagen gehen in ihrer Bedeutung über die Vielzahl der Entwürfe, mit denen sich der Gesetzgeber tagtäglich zu beschäftigen hat, ein Stück hinaus. Sie bringen nämlich einen Abschnitt unserer Rechtsgeschichte zum Abschluß und eröffnen ein neues Kapitel unseres praktischen Staatsverständnisses. Sie geben zugleich der rechtsstaatlichen Wirklichkeit unseres Gemeinwesens eine neue Qualität.
Natürlich ist die Frage danach, welche Folgen es hat, wenn. der Staat einem seiner Bürger Unrecht zufügt, nicht neu. Aber über Jahrhunderte hinweg lautete die Antwort: Der Staat ist absolut, er kann vom Bürger nicht zur Verantwortung gezogen werden. Bezogen auf die Person des absoluten Herrschers war sogar zweifelhaft, ob er überhaupt Unrecht im materiell-rechtlichen Sinne begehen könne, ob sein Tun und Unterlassen nicht über dem Gesetz, zumindest aber außerhalb des Gesetzes stehe. In der Praxis war jedenfalls eine Haftung des Staates für schadenverursachendes Fehlverhalten des Herrschers lange Zeit gänzlich unbekannt; es herrschte vielmehr die Vorstellung, der Staat brauche für schädigende Folgen seines Verhaltens nicht einzustehen.
Dieser Rechtszustand konnte nur allmählich und unter Überwindung erheblicher Rückschläge zugunsten des Bürgers verändert werden. In seine Rechtlosigkeit schlug im Zeitalter der Aufklärung das Preußische Allgemeine Landrecht dadurch eine erste Bresche, daß es 1794 die allgemeine persönliche, wenn auch noch subsidiäre Haftung des Beamten einführte, der seine Amtspflicht schuldhaft verletzte. Gestützt auf die sogenannte Mandatstheorie des römischen Rechts folgerte man, daß nicht der Staat, sondern der seinen Auftrag, seine Befugnis überschreitende Beamte rechtswidrig handle und dafür als Person einzustehen habe. Als - auch zeitgeschichtlich bemerkenswertes - Beispiel erwähne ich, daß das Obergericht Wolfenbüttel im Jahre 1879 den preußischen General von Falckenstein, der dort während des deutschfranzösischen Krieges als Generalgouverneur und Inhaber der vollziehenden Gewalt amtierte, deshalb zu Schadenersatz in Höhe von etwa 5 Talern täglich pro Person verurteilte, weil er fünf Sozialdemokraten in Braunschweig im September 1870 ohne jede Rechtsgrundlage auf einer Festung gefangensetzen ließ. Diese Fünf hatten sich wenige Tage nach der Schlacht von Sedan öffentlich für milde Friedensbedingungen für Frankreich und gegen die Annexion Elsaß-Lothringens ausgesprochen. Ich meine, sowohl der Mut dieser Fünf als auch der Mut des Gerichts, das sein Urteil immerhin im ersten Jahr des Sozialistengesetzes fällte, verdienen auch nach 100 Jahren Anerkennung und Respekt.
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Als Bayer kann ich mir die Bemerkung nicht ganz versagen, daß die Verurteilung des preußischen Generals von Falckenstein auch deswegen auf meine besondere Sympathie stößt, weil er die preußische Armee befehligte, die Bayern 1866 in einige Ungelegenheiten brachte.
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Der Staat selbst kam erst mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ins Spiel, die in Baden 1863, in Bayern 1878 und in Preußen 1875 ihre Tätigkeit begann. Jetzt konnte der Bürger staatliche Verwaltungsakte wenigstens in den im Gesetz zugelassenen Fällen von unabhängigen Gerichten nachprüfen und gegebenenfalls als rechtswidrig aufheben lassen. Der Staat selbst, nicht nur seine Beamten als Privatpersonen, standen damit erstmals in unserer Rechtsgeschichte dem Bürger vor den Schranken des Gerichts gegenüber. Für den Ersatz des Schadens haftete allerdings auch in diesen Fällen weiterhin der Beamte persönlich. Dies änderte sich erst zu Beginn unseres Jahrhunderts. Durch ein preußisches Gesetz 1909 und durch ein Reichsgesetz 1910 wurde eine befreiende Schuldübernahme mit der Folge normiert, daß als Schuldner an die Stelle des Beamten der Staat trat. Die Haftungsvoraussetzungen blieben dabei aber unverändert. Der Staat mußte also nur Schadensersatz leisten, wenn der Geschädigte einem Beamten die schuldhafte Verletzung seiner Amtspflicht nachweisen konnte und wenn bei fahrlässiger Pflichtverletzung kein anderer Ersatzpflichtiger - sei es auch eine Versicherung - vorhanden war.
Das Grundgesetz hat, insoweit der Weimarer Verfassung folgend, in seinem Art. 34 diesen Rechtszustand im wesentlichen unverändert übernommen. Das Grundgesetz hielt auch an der noch aus der Zeit der Unangreifbarkeit von Verwaltungsakten stammenden Rechtswegregelung fest, derzufolge Schadensersatzansprüche gegen die öffentliche Hand stets vor den Zivilgerichten geltend zu machen sind, dies auch dann, wenn über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns schon vor den Verwaltungsgerichten gestritten und entschieden worden ist.
Der Schutz des Bürgers gegen staatliches Unrecht muß also nicht nur in zwei verschiedenen Gerichtszweigen in maximal sechs Instanzen durchgesetzt werden. Er weist auch erhebliche Lücken auf, die von der Rechtsprechung durch die Entwicklung des sogenannten enteigungsgleichen Eingriffs, des sogenannten Aufopferungsanspruchs sowie des Folgenbeseitigungsanspruchs und die Zuordnung bestimmter staatlicher Tätigkeiten zur privatrechtlichen Sphäre so zuletzt noch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom Januar 1977 - nur teilweise geschlossen werden konnten, was etwa zu dem befremdlichen Ergebnis führt, daß ein Unfall eines Postfahrzeuges rechtlich andere Konsequenzen hat als der Unfall eines Bahnbusses. Im übrigen hat aber gerade auch die Rechtsprechung in manchen Bereichen deutlich gemacht, welche Lücken das geltende Recht enthält, so etwa der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom Oktober 1970, wonach bei Versagen einer Ampelanlage keine Haftung des Staates für einen dadurch verursachten Verkehrsunfall besteht.
Diesen unbefriedigenden Zustand, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen die beiden Vorlagen, die heute in erster Lesung behandelt werden, durch eine umfassende Neuregelung beseitigen. Art. 34 des Grundgesetzes soll in der neuen Fassung das Institut der Staatshaftung garantieren, und zwar, als unmittelbare, ausschließliche und primäre Haftung für die Verletzung den Bürger schützender Pflichten des öffentlichen Rechts durch die vollziehende und auch durch die rechtsprechende Gewalt. Damit werden Art, Voraussetzungen und Umfang der staatlichen Verantwortlichkeit in ihren Wesenszügen in der Verfassung selbst festgelegt. Der Kernbereich der Staatshaftung kann also künftig durch einfaches Gesetz nicht mehr beschränkt werden. Das bedeutet: Der Staat haftet künftig unmittelbar, nicht anstelle des zunächst haftenden Beamten, und der Staat kann sich nicht mehr durch den Hinweis auf einen anderen Ersatzpflichtigen von seiner eigenen Haftpflicht befreien. Außerdem soll eine Änderung des Art. 34 des Grundgesetzes bewirken, daß ein und dasselbe Gericht künftig sowohl über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns als auch über die Schadensersatzpflicht entscheidet.
Der Bundesrat hat erfreulicherweise diese Verfassungsänderungen im Prinzip schon beim ersten Durchgang gutgeheißen. Widersprochen hat der Bundesrat hingegen dem weiteren Vorschlag der Bundesregierung, dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Tumultschädenhaf8438
tung zu übertragen. Diese Regelung steht unseres Erachtens in innerem Zusammenhang mit dem Staatshaftungsrecht; denn die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist ja ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit. Die Nichterfüllung dieser Gewährleistung läßt es rechtspolitisch als notwendig erscheinen, dem Staat in in den Fallen, in denen er derartige Ereignisse nicht beherrschen und ihre Folgen nicht abwenden kann, wenigstens in durch das Sozialstaatsprinzip gebotenen Umfang die finanzielle Verantwortlichkeit für Sachschäden, aber auch für Personenschäden bei derartigen Tumulten aufzuerlegen. Anders als .der Bundesrat hält die Bundesregierung die gegenwärtig geltenden landesrechtlichen Vorschriften, die überwiegend aus dem Anfang der 20er Jahre stammen, für teilweise unzureichend und überdies eine bundeseinheitliche Regelung auf diesem Gebiet für erforderlich.
Der Entwurf eines Staatshaftungsgesetzes füllt die neuen Verfassungsbestimmungen im einzelnen aus. Hervorzuheben sind dabei folgende Regeln: der Übergang zur verschuldensunabhängigen Haftung bei rechtswidrigen Grundrechtseingriffen, die Umkehr der Beweislast bei sonstigen Amtspflichtverletzungen - der Staat muß künftig beweisen, daß er in diesen Fällen die den Umständen nach gebotene Sorgfalt beachtet hat -, die umfassende Haftung für Fehler technischer Einrichtungen, wenn sie, wie Ampeln beispielsweise, zur selbständigen Ausübung vollziehender Gewalt eingesetzt sind - übrigens für den rechtspolitisch und rechtshistorisch Interessierten auch eine interessante Wegemarke, weil erstmals kraft Gesetzes fingiert wird, daß eine technische Anlage in den Haftungswirkungen einer natürlichen Person, einem Menschen, gleichsteht, und nicht mehr der konstruierte Versuch unternommen wird, das Verschulden der Anlage auf das Verschulden eines dahinterstehenden Menschen zurückzuführen -., die Gleichrangigkeit von Folgenbeseitigung und Schadensersatz in Geld, die Pflicht zu angemessenem Geldersatz für Nichtvermögensschäden bei Verletzung immaterieller Rechtsgüter, also die Ausdehnung des Gedankens dessen, was üblicherweise unter dem Begriff Schmerzensgeld bekannt ist, und schließlich die Neuabgrenzung der öffentlich-rechtlichen und der privatrechtlichen Staatshaftung, die bisher eigentlich mehr durch historische Zufälligkeiten bestimmt war.
Diese Neuordnung des Staatshaftungsrechts ist nicht nur sachlich geboten; sie ist auch finanzierbar. Die Bundesregierung hat zum Nachweis dieser Feststellung eine Reihe rechtstatsächlicher Erhebungen über die finanziellen Auswirkungen des gegenwärtigen Staatshaftungsrechts bei Bund, Ländern, Kommunen und Gerichten durchgeführt. Diese Untersuchungen haben ergeben, daß sich die jährlichen finanziellen Gesamtlasten der öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden aus der Erfüllung von solchen Staatshaftungsansprüchen nach geltendem Recht bisher zusammen auf insgesamt etwa 17 bis 20 Millionen DM belaufen. Dabei ist allerdings die besonders schadensträchtige Sparte der sogenannten Notarhaftung, die höhere Beträge erreicht, ausgenommen. Nach den neuen Vorschlägen würden sich diese Ausgaben für alle drei Ebenen der öffentlichen Hand in etwa verdoppeln. Ich meine, dieser Preis ist für das angestrebte Mehr an Rechtsstaatlichkeit vertretbar.
Namens der Bundesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich um eine gründliche Beratung der Entwürfe, die allerdings noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluß kommen sollte. Dabei ist die Bundesregierung sowohl zur erneuten sorgfältigen Prüfung der Vorschläge des Bundesrates als auch zur Prüfung aller übrigen Vorschläge bereit; denn die Ergebnisse der Beratungen sollten gerade auf diesem wichtigen Gebiet unserer Rechtsordnung eine breite, am besten eine allseitige Zustimmung ermöglichen.
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Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klein ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Initiative der Bundesregierung zur Novellierung des Staatshaftungsrechts ist im Prinzip zu begrüßen, die Reformbedürftigkeit des Staatshaftungsrechts, dessen Grundlagen im wesentlichen um die Jahrhundertwende abschließend ausgeformt worden sind, im Prinzip unbestritten. Die wesentlichen Mängel des geltenden Staatshaftungsrechts sind vom Herrn Bundesjustizminister hier bereits angesprochen worden. Lassen Sie sie mich kurz zusammenfassend wiederholen.
Es ist zum einen die zivilrechtliche Konstruktion dieses Staatshaftungsrechts nach dem Vorbild des bürgerlichen Deliktsrechts, was also bedeutet, daß der handelnde Beamte bei rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten unmittelbar haftet, daß der Staat die Schuld des handelnden Beamten lediglich übernimt und sich ein Rückgriffsrecht ihm gegenüber vorbehält. Im Rechtsstaat demgegenüber kann Grund der Staatshaftung lediglich die Wiederherstellung der durch staatliches, organschaftliches Handeln verletzten Gerechtigkeit sein. Auf Verschulden kann es im Prinzip nicht ankommen.
Ebenso rührt aus dem vergangenen Jahrhundert das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, demzufolge bei fahrlässigem Handeln des Beamten die Staatshaftung nur in Anspruch genommen werden kann, wenn anderweitige Ersatzmöglichkeiten nicht bestehen - eine Regelung, die unter den Bedingungen des vergangenen Jahrhunderts als Beamtenprivileg sinnvoll gewesen sein mag, als Fiskalprivileg grundsätzlich nicht zu rechtfertigen ist.
Aus dem Staatsverständnis des vergangenen Jahrhunderts ergibt sich auch der Umstand, daß das Amtshaftungsrecht im engeren Sinne einen Anspruch auf Wiederherstellung des durch einen unrechtmäßigen Staatsakt gestörten Zustands nicht kennt. Freilich hat die Rechtsprechung durch die Ausbildung des Folgenbeseitigungsanspruchs diesem Übelstand abgeholfen, der allerdings auf einem anderen
Dr. Klein ({0})
Rechtsweg verfolgt werden muß als der Anspruch auf Amtshaftung.
Für den durch unrechtmäßiges staatliches Handeln Geschädigten ist besonders verwirrend die Gemengelage mit den von der Rechtsprechung zum Zwecke der Lückenfüllung entwickelten Ansprüchen aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff. Damit hat die Rechtsprechung auf dem Wege über das. Richterrecht bereits Sonderfälle, freilich Sonderfälle von großer Breitenwirkung, einer originären und verschuldungsunabhängigen Staatshaftung geschaffen.
Wenn das Stichwort „Aufopferung" fällt, Herr Bundesminister der Justiz, dann sollte man freilich nicht nur über die ganz gewiß positiv zu wertenden bayerischen Traditionen in unserer Rechtsordnung, sondern auch über die nicht minder positiven preußischen Traditionen unserer Rechtsordnung sprechen; denn der Aufopferungsanspruch findet ja heute noch seine Grundlage in einer Bestimmung des Preußischen Allgemeinen Landrechts aus dem Jahre 1794.
Was - Sie haben das erwähnt, Herr Bundesminister - die Rechtswegproblematik angeht, so ist es in der Tat nicht voll befriedigend, daß die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit staatlicher Akte normalerweise nicht durch die gleiche Gerichtsbarkeit getroffen wird wie die über die Höhe des Entschädigungsanspruchs.
Trotz dieser Mängel, die zu einem guten Teil dogmatischer Art sind, muß man wohl in Würdigung des geltenden Rechts und der Bemühungen der Rechtsprechung um das geltende Recht festhalten, daß der Rechtsschutz des Bürgers im Ergebnis auch nach geltendem Recht weitgehend gesichert ist, wobei ich absehe von den Privilegien mancher Hoheitsverwaltungen, deren Existenzberechtigung allerdings schon nach geltendem Recht als zweifelhaft angesehen werden kann und muß.
Nun legt die Regierung nicht nur den Entwurf eines neuen Staatshaftungsgesetzes vor, sondern auch den Entwurf einer Änderung des Grundgesetzes. Damit wird natürlich für die beabsichtigte Reform des Staatshaftungsgesetzes ein besonders hoher Erwartungshorizont geweckt. Dies, so meine ich, rechtfertigt eine besonders kritische Prüfung der vorgelegten Entwürfe daraufhin, ob die Vorlage den geweckten Erwartungen denn auch gerecht wird.
Ein weiterer von Ihnen, Herr Minister, auch bereits angesprochener Gesichtspunkt ist natürlich die Frage, ob das, was uns, glaube ich, übereinstimmend rechtspolitisch geboten erscheint, unter den gegebenen haushaltspolitischen Voraussetzungen denn auch realisierbar ist. Ich fürchte, Sie haben diese Frage etwas vorschnell bejaht.
Hier muß zunächst einmal in Betracht gezogen werden, daß die Hauptlast dieser Reform nicht der Bund, sondern die Länder und die Kommunen zu tragen haben, wobei auch die mittelbare Staatsverwaltung, die körperschaftliche Selbstverwaltung nicht ganz außer Betracht gelassen werden dürfen. Exakte Berechnungen über zusätzliche Kostenbelastungen durch die angestrebte Reform liegen bisher
nur in Teilen vor. Man mag füglich bezweifeln, ob sich die Konsequenzen einer solchen Gesetzgebung überhaupt auf Heller und Pfennig im voraus berechnen lassen. Jedenfalls sind Befürchtungen, die aus den Kreisen der Betroffenen an uns herangetragen werden, ganz gewiß nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Im übrigen ist festzustellen, daß der Regierungsentwurf diesen haushaltspolitischen Bedenken, die natürlich auch schon im Stadium der Beratung der Referentenentwürfe geäußert worden sind, bis zu einem nicht geringen Grade bereits Rechnung trägt, wie ich meine, zum Schaden seiner Qualität unter rechtspolitischen Aspekten.
Deswegen halte ich die Frage für berechtigt, ob eine solche Reform, die bei näherem Zusehen - zum Teil, ich wiederhole das, aus durchaus verständlichen haushaltspolitischen Erwägungen - den Namen „Reform" nur bedingt verdient, den Aufwand einer Grundgesetzänderung und einer umfassenden gesetzlichen Neuregelung der Materie überhaupt rechtfertigt.
Die Bereitschaft der Opposition, die Bilanz der sozialliberalen Reformgesetzgebung nur in einem rein quantitativen Sinne zu vermehren, zumal wenn diese Reform einmal mehr im wesentlichen auf Kosten Dritter gehen soll, kann nicht vorausgesetzt werden. Wir werden uns an der Suche nach wirklich qualitativen und finanziell tragbaren Verbesserungen beteiligen, aber die vorgelegten Entwürfe kritisch prüfen. Für ein Gesetz, das an die Stelle der bisherigen, für den Laien zwar verwirrenden, für den Kenner aber immerhin durchschaubaren Rechtslage neue Verwirrung treten läßt, werden wir uns nicht begeistern können.
Immerhin ist festzustellen, daß trotz der gerügten rechtsdogmatischen und praktischen Mängel des Staatshaftungsrechts eine gefestigte, wenngleich komplizierte Rechtsprechung im großen und ganzen doch für eine zufriedenstellende Erfüllung der Bedürfnisse des sekundären Rechtsschutzes sorgt. Ich stehe nicht an, einige Vorzüge des Regierungsentwurfs ausdrücklich anzuerkennen, so die Einführung des Prinzips - zu unterstreichen ist allerdings „des Prinzips" - der unmittelbaren verschuldungsunabhängigen Staatshaftung, der Wegfall des Subsidiaritätsprinzips, gegen den sich allerdings der Bundesrat bereits gewandt hat, die Tatsache der Staatshaftung auch bei Versagen technischer Einrichtungen, wie der Herr Bundesminister das hier geschildert hat, und der Grundsatz der freien Wahl zwischen Schadensersatzanspruch und Wiederherstellungsanspruch.
Aber diesen Vorzügen stehen unbestreitbare Nachteile gegenüber, so wird das hochgelobte und in den Vordergrund gestellte und an sich richtige Prinzip der verschuldensunabhängigen Staatshaftung nicht nur aufgeweicht, sondern praktisch aufgehoben durch die Klausel, die in § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzentwurfs enthalten ist, wonach Geldersatz entfällt, wenn die Pflichtverletzung auch bei Beachtung der bei der Ausübung vollziehender oder rechtsprechender Gewalt den Umständen nach ge8440
Dr. Klein ({1})
botenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Was danach bleibt, ist die Umkehr der Beweislast. Sie fällt deshalb nicht sehr ins Gewicht, weil an den Nachweis des Verschuldens des Amtswalters seitens der Rechtsprechung schon bisher nur sehr bescheidene Anforderungen gestellt wurden.
Anders ist es übrigens wieder bei Eingriffen im Grundrechtsbereich. Hier gibt es eine verschuldensunabhängige Staatshaftung. Allerdings wird diese Ausnahme durch eine weitere Ausnahme, die die Regel dann wiederherstellt, durchbrochen, wenn es sich „lediglich" um eine Verletzung des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit handelt. Durch dieses System von Regel- und Ausnahmevorschriften wird die ganze Regelung außerordentlich kompliziert, für die künftige Rechtsanwendung schwer durchsichtig und schwierig.
Man fragt sich, wie dies mit dem in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates formulierten Grundanliegen vereinbar ist, mit diesem Gesetzentwurf ein klares, übersichtliches, in sich geschlossenes und einheitliches Staatshaftungssystem zu schaffen.
Ein weiterer Nachteil! Im Bereich der Verkehrssicherungspflicht finden die Grundsätze der Staatshaftung zwar Anwendung, es bleibt aber insoweit auch bei Grundrechtsverletzungen de facto bei der verschuldensabhängigen Haftung. Die sogenannten Bereichsausnahmen - ich kann das hier nicht länger ausführen - nehmen einen erheblichen Umfang ein, also der Bereich, wo in der öffentlichen Verwaltung nicht die Grundsätze der Staatshaftung, sondern die Grundsätze privatrechtlicher Haftung mit allen Entlastungsmöglichkeiten der Verwaltung zur Anwendung kommen. Ob die Vereinheitlichung des Rechtsweges tatsächlich einen erheblichen Vorteil gegenüber dem geltenden Recht bringt, ist füglich zu bezweifeln. Die kritischen Anmerkungen des Richterbundes sind der Aufmerksamkeit der mit der Beratung befaßten Ausschüsse zu empfehlen.
Eine Randbemerkung zum legislativen Unrecht, das natürlich ganz besondere Probleme aufwirft; aber von der Rechtsprechung nach geltendem Recht wird durchaus anerkannt, daß es im Prinzip möglicherweise einen Schadensersatzanspruch auslöst. Davon begegnet in den Entwürfen schlechterdings nichts, weder in dem zur Verfassungsänderung noch in dem zum einfachen Recht. Ich meine, daß u. a. hier eine der Schlechterstellungen des Bürgers begründet liegt, die der Entwurf mit sich bringt.
Ein Wort zur Einbeziehung der Tumultschäden. Auch hier ist eine Grundgesetzänderung erforderlich, um die notwendige Grundlage für ein Bundesgesetz zu schaffen. Der Bundesrat - dies nur zur Information - hat dies bereits abgelehnt. Zutreffend ist jedenfalls, wie ich meine, seine Erwägung, daß die Entschädigung für Tumultschäden keine Frage der Staatshaftung für begangenes Staatsunrecht ist, mithin also in einen anderen systematischen Zusammenhang gehört, was allerdings die grundsätzliche Verpflichtung des sozialen Rechtsstaates nicht ausschließt, dort Entschädigung zu leisten, wo er seiner Aufgabe, den öffentlichen Frieden zu gewährleisten,
nicht genügt hat und den Bürgern daraus ein Schaden entstanden ist.
Ich fasse zusammen. Die Reform des Staatshaftungsrechts ist zwar erwünscht, die Frage nach der finanziellen Machbarkeit einer vernünftigen Reform aber berechtigt. Angesichts einer stetig wachsenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte sind kostspielige Reformen problematisch. Wenn sie sich als nicht durchführbar erweisen, könnte nähere Prüfung zu der Folgerung führen, es lieber beim geltenden Recht zu belassen oder sich auf Teilkorrekturen zu beschränken, statt ein neues Gesetz zu machen, das keinen wirklichen oder nur einen geringfügigen Fortschritt bringt, dafür aber für geraume Zeit neue Rechtsunsicherheit schafft. Das, meine Damen und Herren, werden wir jedenfalls nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht mitmachen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten begrüßt die Einbringung des Staatshaftungsgesetzes, das eine weitgehend verschuldensunabhängige, ausschließliche, unmittelbare und primäre Einstandspflicht von Bund, Ländern und Gemeinden zur Wiedergutmachung von solchen Schäden vorsieht, die durch rechtswidriges hoheitliches Behördenhandeln auf dem Gebiet von vollziehender und rechtsprechender Gewalt angerichtet werden. Wir begrüßen ausdrücklich den damit verbundenen Vorschlag, durch eine Grundgesetzänderung dieser Haftungsverpflichtung Verfassungsrang einzuräumen. Wir sehen beide Entwürfe, Herr Klein, durchaus als gelungenes Ergebnis einer jahrzehntelangen juristisch-fachlichen Diskussion und der politischen Wertung dessen an, was gegenwärtig durch Bund, Länder und Gemeinden an zusätzlichen Kosten für dieses Gebiet aufgewandt und verkraftet werden kann.
Die Grundzüge und die Bedeutung dieses Reformvorhabens, auch ihre staatstheoretische und historische Verknüpfung hat der Justizminister bereits vorgetragen. Mein unmittelbarer Vorredner hat bei aller Akzeptierung des Ziels im Grundsatz seine Bedenken und Zweifel angemeldet. Ausgangspunkt für unsere Haltung jetzt und in den kommenden Beratungen ist die Lage des Bürgers im derzeitigen Regelungsdickicht und Paragraphendschungel auf dem Gebiet des Staatshaftungsrechts; denn, Herr Klein, wir sind bei allem Verdienst der Rechtsprechung um die Fortentwicklung des Rechts in den letzten Jahrzehnten nicht der Meinung, daß hier von einem zufriedenstellenden Rechtsschutz für den einzelnen gesprochen werden kann.
({0})
Wir sind vielmehr der Meinung, daß dieses Dickicht
relativ undurchdringlich ist und daß außerdem die
bestehenden Regelungen veraltet und lückenhaft
und verwirrend sind. Denn wesentliche Bereiche des geltenden Rechts beruhen nicht auf Gesetzen, sondern auf viefältigsten richterlichen Entscheidungen bei der Entwicklung und Fortentwicklung des Rechts.
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Zum dritten, Herr Kollege Erhard, ist die Risikoverteilung zwischen Bürger und Staat auf diesem Gebiete ungerecht und muß insofern geändert werden. Sie benachteiligt den rechtsuchenden Bürger.
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- Gut. Das wird eine hervorragende Ausgangsposition für unsere weitere Beratung sein.
Wie das in der Praxis tagtäglich aussieht, dafür möchte ich jetzt ein paar Beispiele geben; die gibt es ja jeden Tag in Hülle und Fülle: Überall bei den Behörden werden mehr und mehr technische Hilfsmittel eingesetzt, ob nun Computer, Ampeln oder andere Geräte. Wenn sie einen Schaden verursachen, weil sie ausfallen oder irgendwelche Fehlschaltungen eintreten, gibt es keine Wiedergutmachungspflicht des Staates gegenüber dem Bürger für den entstandenen Schaden; auch dann nicht, wenn der Bürger nachweisen kann, daß der technische Mangel einem bestimmten Behördenbereich zuzuordnen ist. Das bedeutet, für diese Fälle des technischen Versagens fehlen Haftungsgrundlagen.
Das nächste Beispiel, das ich jetzt bringe, steht für die Undurchschaubarkeit der bestehenden Regelung.
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- Gerne, aber lassen Sie mich bitte erst das Beispiel vortragen, Herr Klein. - Bei einer der zahlreichen normalen Straßenbauarbeiten wird ein Grundstück beschädigt, eine Stützmauer wird eingerissen und Gartenanlagen gehen kaputt. Um seine Mauer repariert zu bekommen, muß der Grundstückseigentümer nach dem geltenden Rechtszustand die Verwaltungsgerichte bemühen. Er muß dort seinen Folgenbeseitigungsanspruch einklagen. Um darüber hinaus aber Schadensersatz in Geld zu bekommen, z. B. um neue Obstbäume kaufen und pflanzen zu können, muß er die Zivilgerichte bemühen. Für den Bürger selbst stellt sich das als ein einheitlicher Schadensvorgang dar. Juristisch gesehen bedeutete er heute jedoch mehrere Prozesse, mehrere Gerichte, mehrere Prozeßordnungen, mehr Zeit, mehr Arger und mehr Geld als erforderlich.
Bitte schön.
Frau Kollegin, darf ich zu dem vorigen Beispiel noch fragen, ob Sie der Meinung sind, daß sich nach dem neuen Recht, so wie es sich nach der Regierungsvorlage darstellt, insoweit etwas ändert? Der Begründung habe ich nämlich ebenso wie dem Text des Gesetzes entnommen, daß dieser Mangel, den Sie zutreffend charakterisiert haben, nur bei selbständig arbeitenden technischen Einrichtungen ausgeglichen werden soll,
aber nicht, wenn zur Vorbereitung einer Verwaltungsentscheidung z. B. Computer eingesetzt werden.
.Herr Klein, bei Ampelanlagen haben Sie sicher unrecht.
({0})
- Gut. Bei Computern werden wir genau sehen müssen, wo Grenzen zu ziehen sind. Auf jeden Fall bin ich der Meinung: Die Beispiele zeigen sicherlich, daß der Gesetzentwurf auf dem richtigen Wege ist. Lassen Sie uns doch in den Beratungen gemeinsam prüfen, ob wir weitere vorbereitende technische Anlagen einbeziehen können. Damit bin ich sehr einverstanden.
Noch ein Beispiel, und zwar jetzt zur ungerechtfertigten Risikoverteilung, von der ich sprach. Das ist natürlich kein Problem, Herr Kleinert, wenn die Behörde gutwillig ist und von sich aus den Schaden wiedergutmacht. Das ist klar, das ist bei allen Rechtsstreitigkeiten so. Wenn der Bürger das Pech hat, heute im Auto von einem Dienstfahrzeug angefahren zu werden - sei es während des Manövers von einem Soldaten, sei es von einem Polizeibeamten im Dienst -, weil der Fahrer etwas unvorsichtig über die Kreuzung fährt, dann muß der Bürger dem Soldaten oder Polizeibeamten nachweisen, daß dieser den Schaden schuldhaft verursacht hat. Wenn es das nicht kann, hat er es schwer, Reparaturkosten und Schadensersatz hereinzubekommen.
Wir sind der Meinung - um das noch einmal zu sagen und damit gleichzeitig das aufzugreifen, was Sie in Frage gestellt haben, Herr Klein -, daß der vorgelegte Entwurf gute Ansatzpunkte bringt, wenn natürlich auch zuzugeben ist, daß der Vereinfachung und Durchschaubarkeit bei einer so komplizierten Materie durchaus Grenzen gesetzt sein müssen. Ich bin der Meinung, daß wir in den Beratungen versuchen müssen - und das auch können -, Regelungen im einzelnen zu verbessern, zu vereinfachen, auch weitergehende Haftungsverpflichtungen zu schaffen, soweit - da ist allerdings die Grenze - die finanziellen Möglichkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden das zulassen. Von den diesbezüglichen Eingaben haben Sie ja schon selbst gesprochen.
Der Bundesrat hat uns einige interessante Punkte zu bedenken gegeben. Die zahlreichen Eingaben, die wir bekommen haben, enthalten ebenfalls eine Menge Anregungen. Darüber hinaus haben Sie, Herr Klein, einige Punkte angesprochen, über die im Detail sicherlich noch diskutiert werden muß. Lassen Sie mich davon nur einige herausgreifen. Sie erwähnten gerade - und beklagten das auf der einen Seite -, daß in dem Gesetzentwurf das Prinzip der verschuldensunabhängigen Staatshaftung nicht lupenrein durchgehalten werde. Vieles spricht dafür, daß Sie in dem Punkte recht haben. Nur, was heißt eigentlich die Forderung, das Prinzip der verschuldensunabhängigen Staatshaftung lupenrein durchzuhalten? Wäre das denn jetzt in der Tat zu bezahlen? Heißt, darauf jetzt zu bestehen, nicht in Wirklich8442
keit, das Gesetzeswerk als Ganzes zu gefährden, wo wir doch wissen, daß bereits bei den jetzigen Kostenvoranschlägen die Finanzminister des Bundes und der Länder warnend den Zeigefinger heben?
Wollen Sie in der Tat das Gesetz wegen dieses Prinzips scheitern lassen, oder müssen wir nicht viel mehr sehen,
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- gleich Herr Erhard -, daß es für den Bürger viel wichtiger ist, daß staatliche Stellen jetzt erst einmal haften sollen und daß sie dieser Pflicht überhaupt nur dann entgehen können, wenn ihnen vor Gericht der Nachweis gelingt, daß der Schaden nicht hätte vermieden werden können, auch dann nicht, wenn die übliche Sorgfalt beachtet worden wäre?
Ein dritter Gedanke. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß man darüber nachdenken muß, daß eine lupenrein durchgehaltene verschuldensunabhängige Haftung allein des Staates uns in die Richtung führen müßte, auch für andere nichtstaatliche soziale Großorganisationen vergleichbare Haftungsmaßstäbe und -regeln vorzuprogrammieren? Ich glaube, man wird in diesem Zusammenhang dann auch über diese Fragen diskutieren müssen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Gern, Frau Präsident!
Frau Kollegin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinten Sie, wenn man das Gesetz etwas konsequenter gestaltete, würden finanziell unabsehbare Folgen entstehen, die das Gesetz kaputtmachten. Ich frage: Welche Tatsachenelemente liegen für das Urteil vor, daß der Staat oder die öffentliche Hand seine Bürger in so außerordentlichem Umfang rechtswidrig schädigt?
Das ist eine gute Frage, Herr Erhard. Wenn Sie hier in Zweifel ziehen, daß eine konsequent durchgehaltene verschuldensunabhängige Staatshaftung verteuernd wirkt, dann ehrt Sie das zwar, aber daß dies kostenmäßig größere Auswirkungen für die Haushalte hätte, wird, glaube ich, von niemandem bestritten. Wenn Sie recht hätten, wäre das Problem in der Tat nicht vorhanden. Aber so fürchte ich, werden wir uns doch des Problems annehmen müssen.
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- Nein, nein. Auf die Tatsachen komme ich gleich noch zu sprechen. Es ist ja nun nicht so, daß keine Tatsachen da wären, ganz im Gegenteil. Es gibt für den Bereich einzelner Gemeinden sehr sorgfältig erhobenes Tatsachenmaterial, das einige Jahre hindurch erhoben wurde und von dem ich glaube, daß daraus nach den verschiedenen Berechnungsmethoden durchaus Schlüsse gezogen werden können. Ich
glaube auch gar nicht, daß da, zwischen dem, was Sie und wir wollen, Widersprüche bestehen. Wir werden diese Berechnungsmethoden selbstverständlich durchprüfen müssen, wir werden uns anhören müssen, was uns die kommunalen Spitzenverbände noch dazu sagen. Das ist ganz klar. Von vornherein aber so zu tun, als gebe es dieses Tatsachenmaterial nicht, das ist, glaube ich, nicht gerechtfertigt.
Ich darf fortfahren. Herr Klein, Sie haben beklagt, daß einige besonders häufig vorkommende Streitigkeiten des täglichen Lebens jetzt dem Zivilrecht zugewiesen werden, und zwar die Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Teilnahme von Behördenfahrzeugen am Straßenverkehr. Ich darf Ihnen dazu sagen, daß wir zunächst einmal sehr glücklich darüber sind, daß der neue Gesetzentwurf es dem Bürger in Zukunft nicht mehr zumuten will, sofort nach einem Unfall - sagen wir mit einem etwas unvorsichtig fahrenden Post- oder Bahnbus - als erstes einmal feststellen zu müssen, ob der gelb, also hoheitlich, oder rot, also fiskalisch, fährt, und sich danach zu überlegen, wo, wie und in welchem Umfang er seine Schäden einklagen und ersetzt bekommen kann.
Wir freuen uns, daß mit dem Gesetzentwurf dieses Relikt aus Thurn- und Taxis scher Regalzeit endlich einmal abgeschafft werden soll. Natürlich sehen wir - darin gebe ich Ihnen wiederum völlig recht -, daß die Zuweisung in den privatrechtlichen Haftungsbereich den Bürger summenmäßig nicht besserstellt. Das ist völlig zuzugeben. Nur: muß man dabei nicht auch bedenken, daß es doch zusätzlich zu dem Gewinn an Durchschaubarkeit, an Zeit und an weniger Ärger eine sachliche Berechtigung für eine Zuweisung genau dieses Gesamtkomplexes in das Zivilrecht gibt? Im Straßenverkehr, in diesem Massenverkehr mit seinen Regeln für alle ist doch eigentlich kein Platz für hoheitliches Autofahren, für hoheitliches Staatshandeln, jedenfalls nicht in dem Sinn, wie wir dies unter den heutigen Voraussetzungen akzeptieren können.
Sie haben die Tumultschäden angesprochen. Der Bundesrat hat hier Einwände vorgetragen. Sie haben uns hier nochmals darüber informiert. Sicherlich ist vieles von dem, was Sie sagen, richtig. Anknüpfungspunkt in diesem Teil des Entwurfes eines Staatshaftungsgesetzes ist sicherlich nicht das rechtswidrige hoheitliche Handeln, sondern rechtmäßiges Staatshandeln, das eben nicht ausreicht. Das heißt: es hat den Mangel, nicht auszureichen, um Schaden zu verhüten. Einige der Einwände, die nicht von Ihnen persönlich, aber von einigen Ihrer Kollegen schriftlich schon geäußert wurden, stimmen natürlich nicht. Ich darf deswegen darauf eingehen.
Es gibt durchaus Gründe, die für eine Zahlungspflicht des Staates sprechen, wenn er verpflichtet war, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten; insofern sind wir sicher einig. Die Forderungen kommen keineswegs nur von unserer Seite, sondern ich habe hier eine Pressemeldung des Deutschen Industrie- und Handelstags, der just dies auch verlangt.
Zum nächsten Punkt. Der Kollege Gerlach meinte im Mai dieses Jahres, als der Bundesminister den
Referentenentwurf - oder war es der Kabinettsentwurf? - vorstellte, sagen zu müssen, sein Ansatzpunkt sei insoweit völlig falsch. Der Staat solle das Demonstrationsstrafrecht verschärfen, und dann sei das Problem gelöst. Ich halte dies für einen ganz falschen Ansatzpunkt. Daß eine Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts nichts bringt, das haben die Strafrechtssonderausschüsse der. vergangenen Legislaturperioden, wie ich meine, überzeugend nachgewiesen. Zum anderen müßten wir auch ein bißchen davon wegkommen ständig davon zu reden, daß solche Schäden, um die es hier geht, ausschließlich von politisch motivierten Demonstranten angerichtet werden können. Die Sympathisanten unter den Kollegen mögen bitte verzeihen, aber es gibt auch Fußballfans und Rockmusikfans, die irgendwann einmal gewalttätig werden und Fahrzeuge kaputtmachen könnten.
Insgesamt - um zusammenzufassen - bin ich der Meinung, daß es sich bei all den Punkten, die jetzt noch besprochen werden müssen, Herr Klein -, nicht lediglich um eine quantitative Hinzufügung eines Reformwerks an eine Bilanz der Sozialliberalen Koalition handelt. Ich bin der Meinung, die Sache selbst lohnt sich. Wir haben Zeit, in dieser Legislaturperiode zügig und gründlich zu beraten. Und wenn ich Ihre schriftlichen und mündlichen Aussagen richtig würdige, sind wohl die Aussichten ganz gut, noch in dieser Legislaturperiode zu mehr Chancengleichheit von Bürger und Staat auch auf diesem Gebiet zu kommen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Auch diese Vorlage findet bemerkenswert wenig Interesse schon im Kollegenkreis. Die Damen und Herren auf den Tribünen wußten wahrscheinlich nicht, was sie hier erwartet. Ich bezweifle stark, daß sie sehr angetan sind von dem, was sie gehört haben, obwohl wir wirklich über eine sehr wichtige Sache reden. Aber wir tun das dann immer so, daß die Fachzeitschriften und diejenigen, die bisher schon in der Literatur darüber gearbeitet haben, von dieser Stelle aus noch ein Koreferat bekommen und das entsprechend zur Kenntnis nehmen, auch ihre eigene Würdigung gern zur Kenntnis nehmen. Ich fürchte, da haben einige vorschnell schon wieder etwas ausgelassen, was ihnen hinterher im Kollegenkreis leidtun wird. Das trägt zur öffentlichen Sichtbarmachung desjenigen, worum es eigentlich geht, verhältnismäßig wenig bei. Ich bin Herrn Richter Renk am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sehr dankbar, daß er in einem Artikel zu dieser Frage einiges herausgefunden hat, das ich lieber selbst herausgefunden hätte, woran uns dann aber andere Beschäftigungen jeweils zu hindern pflegen.
Er hat nämlich erst einmal herausgestellt, daß die Sache damit angefangen hat, daß es heißt: The king can do no wrong. Das heißt: der Staat kann kein Unrecht tun. Folglich ist irgendeine Art von Staatshaftung abwegig. So hat das Ganze angefangen. Als man sich gesagt hat, die Interessen der Bürger verlangen dringend, daß man in besonders groben Fällen des staatlichen unrechtmäßigen Handelns ihm irgendeinen Ersatz gibt, da hat man diesen Satz nicht etwa ad absurdum geführt und eine ganz neue Denkungsweise herbeizuführen versucht, sondern man hat sich auf das zurückgezogen, was lateinisch heißt: Si excessit privatus est. Das heißt: derjenige Beamte, der seine Rechte überschreitet, der im Rahmen des staatlichen Handelns etwas Unrechtes, mindestens aber etwas Falsches tut, der wird privat, der handelt gar nicht mehr staatlich. Das ist sehr pfiffig, wenn man den Staat so versteht, wie ich manche Konservative heute noch in Verdacht habe, daß sie den Staat verstehen, daß er nämlich tatsächlich kein Unrecht tun kann, auch wenn er nicht der König ist. Das ist aber ganz unpraktisch, wenn man sich die Rechtswirklichkeit anschaut. Ich möchte es einmal etwas „unrechtlich" sagen. Ich hatte einleitend schon darauf hingewiesen, daß wir vielleicht einmal versuchen sollten, das nicht so ganz rechtstheoretisch abzuhandeln.
Wenn man das also nicht völlig rechtstheoretisch ansieht, dann meine ich, daß Art. 34 des Grundgesetzes in einem Widerspruch zu § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches steht. In Art. 34 des Grundgesetzes 'ist die berechtigte Forderung aufgestellt worden, die soeben von mir genannten Grundsätze dahin umzukehren, daß der Staat grundsätzlich für das, was er dem Bürger an Unrecht zufügt, einzutreten hat. Das ältere Recht in dem Amtshaftungsparagraphen 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist aber bestehengeblieben, mit der Folge, daß Art. 34 in die Rechtswirklichkeit gar nicht hineinwirken konnte. Es ist dabei geblieben, daß sich der Anspruch des geschädigten Bürgers gegen den einzelnen Beamten richten mußte und nur dann Erfolg haben konnte, wenn er dem einzelnen Beamten ein Verschulden nachgewiesen hat, wie es im übrigen auch der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches weitgehend entspricht.
Dies ist meiner Meinung nach ein Widerspruch, den erst die Vorlage der Bundesregierung heute aufzulösen versucht. Dabei kommt es mir gar nicht auf die Einzelheiten, sondern auf das Verständnis zwischen Bürger und Staat an, hergeleitet aus den von mir zitierten uralten und, wie wir meinen, völlig falschen Vorstellungen darüber, daß der Staat dem Bürger kein Unrecht tun kann, sondern ausgehend von einer grundliberalen - so behaupte ich nun einmal als Freier Demokrat - Vorstellung davon, daß der Bürger dem Staat in den meisten Bereichen mindestens partnerschaftlich gegenübertritt. Das ist in Art. 34 des Grundgesetzes verlangt, aber nie Wirklichkeit geworden.
Ich möchte jetzt auf einen Punkt abseits von den Einzelfragen kommen, die uns in den Ausschußberatungen noch zu beschäftigen haben werden, einen Punkt, der noch nicht angesprochen worden ist. Haben wir es hier nicht mit einem Stück - das Wort wird Sie vielleicht überraschen - Dienstrechtsreform zu tun? Viele Menschen reden hinter sehr dicht und sorgfältig vorgehaltener Hand über Dienst8444
rechtsreform, weil sie glauben, es gebe so viele Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes, daß es politisch inopportun sei, über Dienstrechtsreform so zu sprechen, daß es jemand hören kann, wobei die Dinge, die schädlich oder mindestens verbesserungswürdig sind, von allen sehr laut beklagt werden, ohne daß man versucht, sich der Sache zu nähern. Diese Einstellung halte ich deshalb für falsch, weil ich davon überzeugt bin, daß 90 bis 95 °/o, wahrscheinlich eher 99 % aller Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes höchst tüchtige, arbeitsame und verantwortungsbewußte Bürger sind, die sehr froh darüber wären, wenn wir den minimalen Bruchteil derjenigen, die diesem Bild nicht so sehr entsprechen, gelegentlich etwas besser anfassen könnten. Das wird aber nicht gesehen, sondern man meint, alle zu beleidigen, wenn man sich der Frage zuwendet, wie man den wenigen, die nicht so funktionieren, wie wir das bei unserem öffentlichen Dienst gern hätten, entgegentreten kann. Ich meine, wir sollten hier etwas umdenken.
Ich komme jetzt zu der Behauptung, die ich soeben im Zusammenhang mit einer Staatshaftung aufgestellt habe, die vom Einzelbeamten wegführt zur Haftung des Staates, von § 839 BGB alter Art zu einer Haftung des Staates, die darüber hinaus erfreulicherweise erheblich erleichtert ist. Ich behaupte, daß das die Haftung des einzelnen Beamten gegenüber dem Bürger für das, was er tut, verstärken wird, und zwar deshalb, weil hier der Zugriff erstmals über das in den meisten Fällen nicht nachweisbare Einzelverschulden hinaus in der abstrakten Anspruchsgrundlage gegenüber dem Staat möglich wird und weil ich nicht glaube, daß sich dieser Staat damit zufriedengeben wird, daß er abstrakt gehaftet hat, sondern er wird dann durch die dafür Zuständigen auch einmal nachprüfen, wer es ihm eingebrockt hat, daß er hier zahlen muß. Von dieser indirekten Weise verspreche ich mir eine durchaus praktikable und, wie man so schön neuhochdeutsch sagt, selbstregelnde Mechanik: in einer verstärkten Aufmerksamkeit des einzelnen für das, was er dem Bürger gegenüber tut oder läßt. Es wird nämlich praktisch erst dadurch, daß wir es mit diesem Gesetz abstrahieren und den Anspruch gegen den Staat geben. Die alte Regelung mit dem Anspruch gegen den einzelnen Amtsträger konnte überhaupt nicht praktikabel sein, weil kein Bürger in der Lage ist, gegenüber der geschlossenen Phalanx, die sich zusammenschließt, wenn einer, der hier im öffentlichen Bereich scheinbar gehandelt hat, in Anspruch genommen werden soll, wirklich mit Erfolg vorzugehen.
Tatsache ist doch, daß die Verantwortung im öfffentlichen Bereich weitestgehend atomisiert wird durch das Herauf- und Heruntergeben von Schriftstücken und das Anbringen von bunten Strichen derjenigen, die da mit einem Strich jeweils einen Teil der Verantwortung übernehmen, ohne im übrigen zum Entscheidungsprozeß etwas Wesentliches beizutragen. Wenn ich aber dann einen aus dieser Entscheidungskette herausgreifen will - nach dem alten § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches -, so ist das völlig unmöglich, weil die anderen da ihre Striche gemacht haben und der in Anspruch Genommene dann sagt: Der war auch mit dabei und der und der ebenfalls. Wo ist hier ein persönliches Verschulden? Unmöglich festzustellen!
Wenn ich jetzt abstrahiere und sage: der Staat haftet zunächst einmal, insbesondere deshalb, weil er seinen Bereich so, mit der Atomisierung der Verantwortung, eingerichtet hat und zunächst einmal offenbar auch weiter bestehen läßt, dann habe ich den Zugriff. Anschließend wird sich dann außerhalb des Gesetzes die praktische Wirkung zeigen, eine, wie ich meine, sehr nützliche Wirkung. Es wird sich nämlich zeigen, daß diejenigen, die sich da gegenseitig die Verantwortung abgenommen haben und nach dem alten § 839 BGB auch jederzeit gut dafür wären, zu beweisen, daß der in Anspruch Genommene keine Verantwortung hat, dann, wenn sie unter sich sind, wenn feststeht, daß der Schaden abstrakt eingetreten ist - der Staat muß zahlen -, sehr wohl und sehr schnell herauszufinden verstehen, wer den Schaden tatsächlich gestiftet hat. Da will ich doch gern darauf verzichten, öffentlich herauszufinden, wer es gewesen ist, wenn ich sicher sein kann, daß in diesem Bereich der öffentlichen Verwaltung dadurch, daß ich etwas anonymisiere, in Wirklichkeit die Sache viel deutlicher personalisiert wird.
Ein etwas kompliziert anmutender Umweg, aber eine Überlegung, die, glaube ich, der Praxis viel gerechter wird als etwas abstraktere Vorstellungen, die gelegentlich verkündet werden. Wenn wir auf diese Weise etwas dazu beitragen können, daß die Dinge konkreter werden und daß das Verhältnis von Staat und Bürger sei es auch auf einem, wie ich darzulegen versucht habe, zunächst etwas merkwürdig anmutendem Umweg - direkter und verantwortungsbewußter wird und auch diejenigen in der öffentlichen Verwaltung, die vielleicht doch nicht so ganz wie die Masse ihrer Kollegen verantwortungsbewußt handeln, hinterher zur Verantwortung gezogen werden, dann haben wir hier etwas sehr Vernünftiges getan.
Diesen Gesichtspunkt wollte ich heute hier einmal darlegen, bevor wir in den Ausschüssen an eine Reihe von Einzelheiten gehen, zu denen ich jetzt nicht mehr Stellung nehmen möchte.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2080 dem Rechtsausschuß - federführend - und an den Innenausschuß - mitberatend - sowie den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2079 an den Rechtsausschuß - federführend -, den Innenausschuß - mitberatend - und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, den nächsten Punkt der Tagesordnung werden wir in 20 Minuten nicht abwickeln können. Für die Fragestunde liegen nur noch 17 Fragen vor; sie wird daher sicherlich nur
Vizepräsident Frau Renger
etwa eine halbe Stunde in Anspruch nehmen. Deshalb würde ich Ihnen vorschlagen, jetzt in die Mittagspause einzutreten. Ist das Haus damit einverstanden? - Wir setzen dann die Sitzung um 14 Uhr mit der Fragestunde fort. Gegen 14.30 Uhr werden wir voraussichtlich zur Behandlung des nächsten Punktes der Tagesordnung kommen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 8/2117 Zunächst kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Bölling zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) auf:
Hält die Bundesregierung es mit der gebotenen Neutralität des Amts für vereinbar, daß der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung herausgegebenen Informationsschrift „Frauen" ein Zettel in roter Farbe beiliegt mit dem Hinweis, daß „von den 1 006 317 Mitgliedern der SPD ... 217 881 Frauen" sind, „das sind ca. 21 v. H.", und wenn ja, mit welcher Begründung, wenn nein, was hat sie veranlaßt oder was gedenkt sie zu veranlassen?
Herr Abgeordneter Dr. Kunz, Ihre Frage kann ich vorbehaltlos mit Ja beantworten. Eben wegen der gebotenen Neutralität sah sich das Bundespresseamt in diesem Fall zu der Berichtigung eines Druckfehlers veranlaßt.
Durch einen telefonischen Übermittlungsfehler war irrtümlich eine zu hohe Migliederzahl der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auf Seite 114 des Handbuchs „Frauen", wo alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien dargestellt werden, angegeben worden. Entsprechend war der Anteil der Frauen zu hoch errechnet worden. Es war die selbstverständliche Pflicht unseres Amtes, Herr Abgeordneter, diese Zahlenangaben richtigzustellen, eben um den Vorwurf zu vermeiden, daß hier womöglich manipuliert worden sei.
Druckfehler dieser Art - das wissen Sie selber - kommen trotz größter Sorgfalt in allen Redaktionen - in Regierungsredaktionen und auch in Zeitungsredaktionen - immer wieder vor. In diesem Fall wurde der Druckfehler leider erst entdeckt, als die Broschüre bereits im Druck vorlag, so daß nur mit Hilfe des sogenannten Einlegezettels der Sachverhalt richtiggestellt werden konnte.
Es handelt sich hier ganz bestimmt nicht um eine besonders raffinierte Form der Werbung zugunsten einer Regierungspartei, sondern schlicht um die sachliche Korrektur eines Irrtums, wie er im Druck-und Verlagswesen immer wieder mal vorkommt.
Im übrigen darf ich die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitieren. Dort war in der Glosse eines der Regierung wahrlich nicht besonders wohlwollenden Autors festgestellt worden, die Broschüre sei - ich zitiere - „streng objektiv", so sehr, daß man sogar die Adresse der Frauenvereinigung der CDU verrät.
Es ist selbstverständlich, Herr Abgeordneter, daß in der nächsten Auflage dieser Irrtum korrigiert sein wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was hat dann das Bundespresseamt veranlaßt, im Gegensatz zur Übung den Korrekturvermerk nicht als solchen zu kennzeichnen, sondern deutlich in roter Farbe nur diesen Hinweis zu bringen?
Das war bei uns - wenn Sie so wollen - eine politische Überlegung, aber eigentlich eine solche, die Sie anerkennen müßten, nämlich dem Eindruck des einen oder anderen Lesers von vornherein entgegenzuwirken, daß wir hier vielleicht - wie Ihr Fraktionskollege Mende angedeutet hat - auf eine besonders raffinierte Art Schleichwerbung vorhaben. Im übrigen bin ich der Meinung: Wenn so etwas von irgend jemand im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit gewollt würde, hielt ich das nicht für raffiniert, sondern für besonders töricht.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte insistieren. Warum haben Sie auf diesem Vermerk nicht den Hinweis angebracht, daß es sich um eine Korrektur handelt?
Wenn man diesen Einlegezettel, dieses Korrigendum, ansieht, wird, glaube ich, auf einen Blick klar, daß hier zwei Zahlen miteinander verwechselt worden sind; und das Wort „Achtung" läßt einen jeden Leser sofort vermuten, daß etwas Wichtiges mitgeteilt wird. Und das Wichtige ist die Korrektur einer falschen Zahl.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, hätten Sie vielleicht doch die Güte, dem Haus zu erklären, aus welchen Gründen hier von der Übung sämtlicher mir bekannten Zeitschriften- und Buchverlage abgewichen wird, die, wenn sie solche Einlegezettel zur Berichtigung eines Druckfehlers einlegen lassen, dies immer mit dem Vermerk tun: „Druckfehlerberichtigung. Auf Seite soundso heißt es irrtümlich soundso; statt dessen muß es richtig
Jäger ({0})
soundso heißen." Warum ist von dieser jedem Leser vertrauten Form abgewichen und eine Form gewählt worden, die auch dem unbefangenen Leser signalisieren können, wie hoch doch und wie erfreulich und ansehnlich der Anteil der Frauen in der SPD ist - wobei ich gar nichts Negatives finden möchte -?
Herr Abgeordneter, dar- über mag ich mit Ihnen gar nicht streiten. Vielleicht sollte man, wenn einmal tatsächlich wieder ein solcher Druckfehler geschieht, statt des Wortes „Achtung" „Berichtigung" schreiben. Sie werden mir aber zugestehen: Dies ist ein für die stärkste Regierungspartei gar nicht günstig wirkender Druckfehler. Wir mußten die Zahl in dieser Berichtigung doch nach unten korrigieren.
Sie können mir also wirklich glauben, daß es sich nicht - wie Sie offenbar in Übereinstimmung mit Herrn Mende zu argwöhnen scheinen - um ein besonders raffiniertes Werbemanöver gehandelt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hammans.
Herr Staatssekretär, nachdem wir uns immer noch mit dem grammatikalisch falschen Begriff eines früheren Mitgliedes einer Bundesregierung, der Konzertierten Aktion, herumschlagen müssen - es müßte konzertante Aktion heißen -, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, Ihr „Korrigendum" dahin gehend zu korrigieren, daß Sie „Korrigatum" sagen.
({0})
Das zu tun bin ich gegenüber einem humanistisch gebildeten Lehrer sofort bereit.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie eine fehlerhafte Nachricht in einem Organ der Bundesregierung für etwas so Seltenes und - andererseits - für etwas so Wichtiges, daß Sie extra in leuchtendem Rot darauf hinweisen müssen?
Ich kann nicht verstehen, warum Sie auf dieses milde Rot allergisch reagiert haben.
Außerdem ist die Quote der Druckfehler in den Schriften der Bundesregierung erfreulicherweise sehr gering, so daß wir - zu Ihrer Genugtuung auch selten rote Zettel zu verwenden brauchen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Zander zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Broll auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, ihre „Information über Empfängnisregelung für junge Paare in Bildern, herausgegeben von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Köln", unter dem Titel „Muß-Ehen muß es nicht geben" ausgerechnet mit „Bravo" herauszugeben?
Herr Kollege Broll, die Broschüre „Muß-Ehen muß es nicht geben" ist Teil einer breit angelegten Kampagne über Familienplanung, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung seit Jahren durchgeführt wird und sich nicht nur an Erwachsene, sondern vor allem an Jugendliche wendet.
Die Zahl der unerwünschten Schwangerschaften nimmt bei Jugendlichen ständig zu. Um junge Menschen vor solchen, ihre Entwicklung vielfach negativ beeinflussenden Zwängen zu bewahren und sie in die Lage zu versetzen, verantwortlich mit ihrer Sexualität umzugehen, ist eine rechtzeitige und umfassende Aufklärung über alle Fragen der Sexualität und Partnerschaft unverzichtbar.
Um diejenige Zielgruppe Jugendlicher zu erreichen, für die eine solche Aufklärung besonders dringlich ist, weil sie z. B. in Elternhaus und Schule nicht ausreichend informiert worden sind, sind Wege erforderlich, die über die bei der Bundeszentrale sonst üblichen Verteilungswege hinausgehen. Die Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Bravo" ist vereinbart worden, weil dadurch die erwünschte Aufklärung auf breiterer Basis an die Jugendlichen herangetragen werden kann, die auf anderem Wege schwierig zu erreichen sind.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß eine Ausgabe der Zeitschrift „Bravo" von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften am 12. Januar 1978 für jugendgefährdend erklärt worden ist?
Die Tatsache ist mir nicht unbekannt.
Wir haben die Zusammenarbeit nur gewählt, um eine besondere Gruppe von Jugendlichen zu erreichen, an die wir sonst nicht herangekommen wären. Dafür hat sich „Bravo" allgeboten. Diese Zusammenarbeit beinhaltet in keiner Weise in irgendeiner Form eine Qualifizierung der sonstigen Inhalte dieser Zeitschrift. .
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß eine Zusammenarbeit dieser Art, die im Impressum zum Ausdruck kommt, schon einen Werbeeffekt für diese sehr gefährliche Jugendzeitung beinhaltet?
Wir haben die Absicht, im kommenden Jahr auch diese Broschüre inParl. Staatssekretär Zander
haltlich zu überarbeiten und werden uns dann auch auf Grund der Erfolgskontrolle dieser besonderen Aufklärungsarbeit diese Frage überlegen. Es kann durchaus sein, daß wir zu dem Ergebnis kommen, diese Zusammenarbeit nicht fortzusetzen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, haben Sie Grund zu der Annahme, daß im Bereich der ,,Bravo"-Leser - diesen Personenkreis haben Sie zur weiteren Verbreitung Ihrer Informationen genommen - besonders viele Muß-Ehen vorkommen?
Diesen Anlaß haben wir nicht. Wir haben nur Anlaß, zu vermuten, daß die Leserschaft dieser Zeitschrift einen Kreis von Jugendlichen umfaßt, die sonst auf den Verteilungswegen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schwer zu erreichen sind.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Broll auf:
Hält die Bundesregierung diese „Information" für geeignet, daß sie - wie geschehen - in der Mittelstufe von Schulen verteilt wird?
Herr Kollege Broll, die Broschüre ist für die Zielgruppe Jugendlicher ab 15 Jahren bestimmt und von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für die außerschuliche Verteilung ausschließlich an Jugendverbände vorgesehen. Welche Materialien an Schulen genutzt werden, bestimmt die Schule - in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden - selbst. Die Bundesregierung begrüßt es, wenn die Informationsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema Familienplanung im Rahmen des Unterrichts an Schulen verwandt werden. Die dabei vermittelten Kenntnisse über Methoden der Empfängnisregelung sind geeignet, der ständigen Zunahme ungewollter Schwangerschaften bei Jugendlichen entgegenzuwirken.
Zusatzfrage, bitte.
Da ich in meiner Frage, Herr Staatssekretär, auch auf die Bewertung, die die Bundesregierung dieser Broschüre selbst zukommen läßt, abgestellt habe, möchte ich Sie noch fragen: Glauben Sie denn wirklich, daß dies im Sinne einer rein technischen Aufklärung der richtige Weg ist, um Jugendliche mit Verantwortung im sexuellen Bereich zusammenzubringen?
Herr Kollege Broll, Sie fragen mich, was ich glaube. Das ist in diesem Fall nicht relevant. Relevant ist das, was uns sozialpädagogische und sexualpädagogische Fachleute sagen, und die halten dieses Material für geeignet.
Im übrigen habe ich Sie darauf hingewiesen, daß wir die Wirksamkeit, den Erfolg solcher Maßnahmen selbstverständlich ständig überprüfen und daß wir für Mitte des nächsten Jahres - gemeinsam mit einschlägig qualifizierten Fachleuten - eine entsprechende Überarbeitung ins Auge gefaßt haben.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, was nennen Sie in diesem Zusammenhang „Erfolg"?
Wenn das Ziel erreicht werden kann, Jugendliche zu einer verantwortlichen Partnerschaft und Sexualität zu veranlassen, um damit auch das Ziel zu erreichen, die Zahl der unerwünschten Schwangerschaften Jugendlicher zu reduzieren.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort nicht entnehmen, daß Sie in diesen Fragen Sozialpädagogen und ähnlichen Fachleuten blind folgen, ohne selbst zu überprüfen, was für die Jugendlichen wirklich geeignet ist?
Bei solchen Entscheidungen, Herr Kollege, sind wir auf den Rat von Fachleuten angewiesen. Darauf angewiesen zu sein bedeutet natürlich nicht, daß man dem Rat von Fachleuten blind folgt. Aber man wäre sicher töricht, wenn man solche Entscheidungen ohne den Rat von Fachleuten träfe.
Keine weiteren Wortmeldungen mehr.
Die Frage 60 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Kuhlwein, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen oder vorgesehen, um festzustellen, welche Methoden der vorklinischen und klinischen Arzneimittelprüfung im Sinne des Ausschußberichts des letzten Bundestages zum AMG auf Grund des gesicherten und unbestrittenen Kernbereichs der Wissenschaft zur Prüfung von Arzneimitteln auf Unschädlichkeit und Wirksamkeit notwendig, uneingeschränkt aussagekräftig, ethisch und strafrechtlich unbestritten unbedenklich und unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit der Mittel auch angezeigt sind?
Herr Kollege Dr. Hammans, die Bundesregierung hat in ihrem Aktionsprogramm zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit Forschungs-und Entwicklungsmaßnahmen für Methoden zum Nachweis der Wirksamkeit und Entwicklung von pharmakologisch-toxikologischen Standard-Verfahren im Rahmen der Untersuchungen zur Arzneimittelunbedenklichkeit aufgenommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, im Hinblick darauf, daß einerseits die Ergebnisse noch nicht vorliegen, andererseits aber das Arzneimittelgesetz in Kraft ist, möchte ich Sie fragen, wie beim Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels die Ablehnung des Antrags im Falle einer Mängelrüge begründet wird, wenn der gesicherte Stand der Wissenschaft nachgewiesen werden soll?
Herr Kollege Dr. Hammans, bei dem Forschungsprogramm, das ich erwähnt habe, hat man eine Reihe von speziellen Arzneimitteln im Auge. Ich vermute, daß man hinsichtlich einer Vielzahl von Arzneimitteln diese Entscheidungen ohne diese speziellen Kriterien treffen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich darf noch einen Schritt weitergehen und Sie ganz konkret fragen: Welchen Sinn soll z. B. die Prüfung von Teratogenität haben, wenn das Risiko der schwangeren Frau, des Embryos durch diese Untersuchungen nicht meßbar vermindert werden kann, wie dies anläßlich des Symposions im BGA ganz deutlich wurde?
Herr Kollege Dr. Hammans, Sie haben in Ihrer Frage eine medizinischfachliche Bewertung vorgenommen, die ich im Augenblick nicht nachprüfen kann. Ich kann also daher auch Ihre Frage nicht beantworten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Ist die Bundesregierung bereit, selbst einen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu leisten durch Entlastung der letztlich vom Sozialversicherten über den Arzneimittelpreis zu zahlenden Entwicklungskosten neuer Arzneimittel von Ausgaben für sinnlose bzw. für den kranken Menschen nicht relevante Prüfungsroutine in der vorklinischen und klinischen Prüfung ({0}) über eine nachdrückliche Initiative zur Aktualisierung der Zweiten EG-Arzneimittelprüfrichtlinie zum Zweck der Beschränkung auf die Methoden, deren Relevanz für die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln einwandfrei und auch in offener Diskussion nachgewiesen ist und die zum unbestrittenen und gesicherten Bestand der Wissenschaft gehören?
Herr Kollege Dr. Hammans, die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, daß die Zulassung von Arzneimitteln in einer Weise gehandhabt wird, die der vom Gesetzgeber geforderten Arzneimittelsicherheit Rechnung trägt. Es ist selbstverständlich, daß Unterlagen nach den §§ 22 bis 24 des Arzneimittelgesetzes nur in dem Umfang verlangt werden, die dieser Forderung angemessen sind.
Inwieweit die betreffende EG-Prüfrichtlinie auf Grund der von mir soeben genannten Forschungen aktualisiert werden muß, wird nach Vorliegen der Forschungsergebnisse zu prüfen sein.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann nicht, weil im Augenblick die Relevanz der Übertragung der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen nicht gegeben ist, davon gesprochen werden, daß man die Arzneimittelhersteller jetzt zu Verstößen gegen das Tierschutzgesetz zwingt?
Davon kann keine Rede sein, Herr Kollege Dr. Hammans.
Letzte Zusatzfrage.
Wer trägt die Kosten, die auf Grund der Forderungen der EG-Richtlinien bei den Herstellern durch die Untersuchungen entstehen?
Nach geltendem Recht ist es so, daß die Hersteller sie zu tragen haben. Ob sich auf Grund der Forschungsergebnisse, die ich eben angesprochen habe, und einer möglichen Überarbeitung der EG-Richtlinie dann Kostensenkungen ergeben, kann ich im Augenblick nicht beurteilen, weil ich die Ergebnisse dieser angesprochenen Untersuchungen nicht kenne.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar zur Verfügung.
Ich rufe Frage 63 des Herrn Abgeordneten Wittmann ({0}) auf:
Hält die Bundesregierung angesichts der erschreckend hohen Zahl tödlicher Verkehrsunfälle von jungen Menschen eine Geschwindigkeitsbegrenzung für jugendliche Führerscheininhaber für ein wirksames Mittel, um die jungen Auto- und Motorradfahrer zu mehr Besonnenheit im Straßenverkehr zu bewegen?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ich bitte, die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen, Herr Präsident.
Einverstanden.
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Wittmann ({0}) auf:
Welche anderen Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um die Selbstgefährdung und die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch junge Führerscheininhaber abzubauen?
Die Bundesregierung hat Zweifel, ob eine Geschwindigkeitsbegrenzung für junge Führerscheininhaber angemessenen Nutzen erwarten läßt und praktikabel ist. Eine nur für einzelne Verkehrsteilnehmer geltende Geschwindigkeitsbegrenzung würde zur Behinderung des Verkehrsflusses und zu zusätzlichen Überholmanövern führen. Für die Verkehrssicherheit wären solche Auswirkungen, wie Sie selbst wissen, Herr Kollege, nachteilig.
Pari. Staatssekretär Haar
Ich darf hier auch auf die gerade Jugendlichen eigene erhöhte Risikobereitschaft und die bei jungen Menschen bestehende Neigung, nicht überzeugende Verbote unbeachtet zu lassen, hinweisen. Die Bundesregierung ist sehr besorgt über die hohe Unfallbelastung bei den Fahranfängern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, zumindest soweit es sich um eine relativ kurze Fahrpraxis handelt.
Praktikabel und erfolgversprechend erscheinen gegenwärtig zwei Maßnahmen: Die Schulverkehrserziehung sollte intensiviert werden, um eine Einstellungsänderung und damit eine Verminderung der Risikobereitschaft zu erreichen. Außerdem werden für verkehrsauffällige junge Fahranfänger verhaltensorientierte Nachschulungsprogramme entwickelt, die auf die speziellen Einstellungs- und Verhaltensdefizite eingehen. Diese Versuche werden im Laufe dieses Jahres in vier Bundesländern abgeschlossen. Dann werden wir zu weiteren Entscheidungen. kommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, wiederholt in der Öffentlichkeit statistische Todes- und Unfallzahlen bekannzugeben, um die jungen Menschen auf die Risiken und Gefahren hinzuweisen? In meiner Jugend hat man davon gesprochen, daß die jungen Menschen im Krieg auf den Schlachtfeldern verbluten. Heute müssen wir davon ausgehen, daß unsere Jugend auf den Straßen stirbt. Es muß unsere Aufgabe sein, immer wieder als Warner und Mahner zu mehr Vorsicht aufzutreten.
Jetzt müßte die Frage angegliedert werden: „Sind Sie bereit, die Jugend darauf hinzuweisen?"
Sind Sie bereit?
({0})
Herr Kollege, durch eine Sonderauswertung amtlicher Unfallstatistiken und -befragungen ist bekannt, daß Fahrer mit bis zu zwei Jahren Fahrpraxis etwa zwei- bis dreimal so oft in Unfälle verwickelt werden wie diejenigen Autofahrer, die ihren Führerschein länger als sechs Jahre besitzen. Es wurde auch festgestellt, daß Fahrer im Alter von 25 bis 55 Jahren, die ihren Führerschein weniger als zwei Jahre besaßen, keine wesentlich höhere Unfallquote aufwiesen als gleichaltrige Fahrer mit längerer Praxis. Insoweit muß das regional, länderweise unterschiedlich beurteilt werden, was die Quoten und die Statistiken aussagen. Aber ich will gerne darauf hinweisen, daß wir in einer Konferenz der Verkehrsminister wie der Innenminister der Länder auf Ihre Anregung zurückkommen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Merker auf:
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, auf wieviel Streckenabschnitten der Bundesstraßen der Verkehrsdurchfluß so stark ist, daß der Mittelungspegel von 75 dB am Tag und 65 dB bei Nacht, wie im Verkehrslärmschutzgesetz als Grenzwert für Schallschutzmaßnahmen vorgesehen, erreicht wird?
Herr Kollege, eine ähnliche Anfrage lag als Drucksache 8/1044 vom 19. Oktober 1977 vor. Der Bundesminister für Verkehr hatte die Länder seinerzeit mit Rundschreiben vom 28. November letzten Jahres gebeten, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen, da der Bundesregierung hierüber keine Informationen vorlagen. Dabei hat sich herausgestellt, daß wegen fehlender statistischer Unterlagen entsprechende Erhebungen einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand erfordern würden.
Die Bundesländer haben inzwischen gebeten, von dieser Aufgabe entbunden zu werden. Überdies wäre der Wert derartiger Erhebungen fraglich, da die Lärmbelastungen auf das zu schützende Objekt bezogen werden und damit außer vom Verkehrsdurchfluß vom Abstand der zu schützenden Objekte, von der Art der Bebauung und auch von anderen Einflüssen abhängen.
Im übrigen: Sie wissen, es gibt Mischgebiete, für die ohnehin die statistische Erfassung auch für diejenigen, die in den Ländern Verantwortung tragen, äußerst schwierig wäre.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann bitte Auskunft darüber geben, wieso es in der Information des Herrn Bundesministers für Verkehr möglich gewesen ist, eine nahezu exakte Kostenermittlung dafür durchzuführen, wie hoch die Kosten für den Lärmschutz an bestehenden Bundesfernstraßen, darüber hinaus an Landstraßen und an Gemeindestraßen wären?
Es gibt keinen Zweifel, daß es sich hier um Schätzungen aus den Ländern und Großstädten handelt, die in einem Zehnjahresprogramm zusammengefaßt und auf der Grundlage abgestimmt sind, daß es Bundesstraßenortsdurchfahrten in der Baulast des Bundes in einer Länge von etwa 5 162 km gibt. Es liegen uns im Augenblick keine Einzelangaben der anderen Baulastträger vor. Aber Sie können davon ausgehen, daß die zu erwartenden Kosten, wenn einmal die Lärmgrenzen festgelegt sind, natürlich einigermaßen zuverlässig zu schätzen sein werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte erklären, wieso eine Kostenschätzung möglich ist, wenn keine Schätzung der Kilometerzahlen möglich ist?
Sie haben Kilometer-
zahlen, aber sie haben nicht die von Ihnen erfragte Aufschlüsselung in Wohngebiete, Mischgebiete und Industriegebiete. Die Länder haben uns darum gebeten, davon vorläufig Abstand zu nehmen. Ich bin überzeugt: Wenn einmal verlangt wird, die Aufwendungen in Mark und Pfennig anzugeben, die von den Baulastträgern in einem bestimmten Zeitraum entsprechend den Entscheidungen des Parlaments zu erbringen sind, dann wird eine solche Erhebung in den Regionen wohl etwas leichter zustande kommen, Im Augenblick haben die Länder darum gebeten, davon noch entbunden zu werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 66 des Abgeordneten Conradi auf:
Teilt die Bundesregierung die inzwischen durch Reihenversuche bestätigte Ansicht zahlreicher Verkehrsfachleute, daß hochgesetzte Bremslichter an Kraftfahrzeugen die Zahl der Auffahrunfälle wesentlich verringern können, und ist die Bundesregierung bereit, entgegenstehende Vorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung rasch zu ändern, um den Einbau hochgesetzter Bremslichter zu ermöglichen?
Herr Kollege, es ist beabsichtigt, im Rahmen einer in Vorbereitung befindlichen Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung u. a. auch zwei zusätzliche Bremsleuchten für Kraftfahrzeuge und Anhänger zuzulassen. Diese zusätzlichen Bremsleuchten sollen höher als 1 000 mm über der Fahrbahn
) angebracht sein.
Ob diese Leuchten später für alle Fahrzeuge vorgeschrieben werden, hängt auch davon ab, wie sie sich im Verkehr bewähren und ob die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften bereit sein werden, die Richtlinie 76/756 EWG über den Anbau der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen entsprechend zu ändern. Auch hier sind wir natürlich im europäischen Maßstab etwas gebunden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Kann ich aus Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, entnehmen, daß auch die Bundesregierung der Auffassung ist, daß hochgesetzte Bremsleuchten die Sicherheit vor Auffahrunfällen verstärken, und können Sie mir sagen, in welchem Zeitraum Sie eine Änderung der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung erwarten, die solche zusätzlichen Bremsleuchten möglich macht?
Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr hat die Absicht, entsprechend Ihrer Anregung und der Einsichten der Fachleute diese Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung voraussichtlich im ersten Halbjahr 1979 zu verkünden. Sie wird am Tage nach der Verkündung in Kraft treten. Von diesem Tage an soll der Anbau solcher zusätzlicher Bremsleuchten zulässig sein.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die 67 des Abgeordneten Conradi auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Sicherheitswirkung der in skandinavischen Ländern verbreiteten Abstandshalter an Fahrrädern, trifft die Feststellung des ACE zu, daß die StVZO der Anbringung solcher Abstandshalter entgegensteht, und wenn ja, tritt die Bundesregierung für eine Änderung der entgegenstehenden Regelung in der StVZO ein?
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die in Finnland gebräuchlichen Abstandshalter an Fahrrädern einerseits einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten, aber andererseits auch Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere auf gemeinsamen Rad- und Gehwegen, verursachen könnten.
Die zur Zeit gültige Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung bestimmt, daß an Fahrrädern nur die vorgeschriebenen und für zulässig erklärten Beleuchtungseinrichtungen angebracht sein dürfen. Demnach sind die an einigen Modellen von Abstandshaltern angebrachten weißen und roten Rückstrahler nicht zulässig. Im Rahmen einer in Arbeit befindlichen Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ist jedoch vorgesehen, 'zusätzlich angebrachte weiße und rote Rückstrahler an Fahrrädern zuzulassen.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß unter Abwägung der Vor- und Nachteile Abstandshalter versuchsweise für einen Zeitraum von zwei Jahren zugelassen werden sollten, um damit auch Erfahrungen im nationalen Bereich zu sammeln. Zu diesem Vorschlag werden zur Zeit die obersten Landesbehörden gehört.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, trifft die in der Zeitschrift des ACE aufgestellte Behauptung zu, nach der ein Klempner, der ein 80 cm langes Rohr hinten auf seinem Fahrrad querklemmt, straffrei bleibt, jedoch jemand, der einen Abstandshalter zur zusätzlichen Sicherheit an sein Fahrrad anmontiert, gegen die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung handelt und folglich bestraft werden kann?
Ich kenne diesen Einzelfall im Augenblick nicht, er ist mir nicht gewärtig. Aber ich will das gerne prüfen lassen, Herr Kollege.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen allgemeinen Hinweis geben. Gegen sogenannte Abstandshalter werden folgende Argumente ins Feld geführt: Sie können auf gemeinsamen Rad- und Gehwegen eine Gefährdung der Fußgänger darstellen, sie können sich in den Speichen anderer Fahrräder verfangen. Ferner können sie andere Fahrzeuge, die neben Radfahrwegen parken, beschädigen. Die an einigen Modellen von Abstandshaltern angebrachten weißen und roten Rückstrahler sind nach der zur Zeit, gültigen StVZO nicht zulässig, jedoch ist im Rahmen einer in Arbeit befindlichen Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vorgesehen, zusätzlich angebrachte
Rückstrahler - also weiß nach vorn, rot nach hinten - zuzulassen. Eigene Konstruktionen können also, wie Sie aus dieser Argumentation ersehen, Gefährdungen für andere herbeiführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir noch mitteilen, mit welchen Strafen ich bzw. meine Kinder zu rechnen haben, nachdem ich die Fahrräder meiner drei Kinder mit aus Finnland mitgebrachten Abstandshaltern ausgerüstet habe?
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen - ich habe mitgeteilt, daß wir national einen Versuch zur Ergänzung der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung einleiten und mit den obersten Straßenbehörden diese Fragen erörtern -, daß Sie Probleme haben werden, wenn Sie die Abstandshalter jetzt schon eingeführt haben. Ich weise allerdings darauf hin: Auch ein Mitglied. des Deutschen Bundestages sollte mit gutem Beispiel vorangehen.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 68 des Abgeordneten Tillmann auf:
Ist es trotz vielfach vorgetragener Wünsche nicht möglich, die nach § 128 Luftfahrt-Personal-Verordnung durchzuführenden Prüfungen, zum Beispiel für den Erwerb von Luftfahrerscheinen für den Segelflug, an Wochenenden oder schul- bzw. arbeitsfreien Wochentagen abzulegen, auch wenn der Vorsitzende des Prüfungsrates, der nach § 128 Abs. 4 der Verordnung über Luftfahrtpersonal Zeit und Ort der Prüfung zu bestimmen hat, Angehöriger einer Luftfahrtbehörde sein muß, und was spricht ggf. dagegen, daß ein Angehöriger einer Luftfahrtbehörde zum Zwecke der Durchführung von Prüfungen seinen Dienst auch außerhalb der normalen Dienstzeit seiner Behörde versieht, wenn er dafür an normalen Arbeitstagen vom Dienst freigestellt wird?
Ich bitte, die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Herr Kollege einverstanden ist.
({0})
Ich rufe also auch Frage 69 des Abgeordneten Tillmann auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die gegenwärtige Übung, nach der die in einer Luftfahrtbehörde tätigen Vorsitzenden eines Prüfungsrates durch die Festlegung der Prüfungszeit auf einen normalen Arbeitstag zwei ehrenamtliche weitere Mitglieder des Prüfungsrates und jeweils ca. 15 Prüflinge dazu zwingen, für die Prüfung Schulbefreiung oder Arbeitsurlaub mit entsprechenden Kosten zu erwirken, ein Zeichen besonderer Bürgerfreundlichkeit der Verwaltung ist, und ist die Bundesregierung bereit, auf eine Änderung der jetzigen Praxis hinzuwirken?
Prüfungen von Bewerbern um die hier angesprochenen Luftfahrerscheine, z. B. für Privatflugzeugführer, Segelflugzeugführer, Motorseglerführer, Berufsflugzeugführer 2. Klasse oder Fallschirmspringer, werden gemäß § 31 des
Luftverkehrsgesetzes in Bundesauftragsverwaltung von den Luftfahrtbehörden der Länder durchgeführt, denen auch jeweils die Prüfungsratsvorsitzenden angehören.
Die Bundesregierung wird Ihre Frage, Herr Kollege, zum Anlaß nehmen, den zuständigen Länderausschuß zu bitten, Ihren Vorschlag zu überprüfen. Über das Ergebnis werde ich Sie zu gegebener Zeit unterrichten. Der Bundesminister für Verkehr hat die Absicht, in den Gesprächen mit den Ländern, die zuständig sind, in jedem Falle eine positive Lösung anzuregen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir auch sagen, wann es dazu kommen wird, daß Sie den Länderbehörden dieses Problem vorlegen?
Ich kann Ihnen sogar den Termin sagen. Diese Besprechung findet am 15., 16. und 17. November 1978 - im Zusammenhang mit anderen aktuellen Fragen - statt.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, erwarten Sie, daß die Länder in dieser Frage Ihrer positiven Anregung folgen werden?
Ich kann der Stellungnahme der Länder - ich bitte Sie um Verständnis - heute nicht vorgreifen. Ich kann Ihnen lediglich versichern, daß die zuständigen Herren des Bundesverkehrsministeriums im Auftrag des Bundesverkehrsministers bei dieser Erörterung in jedem Falle auf eine Lösung im Sinne Ihrer Anfrage hinwirken.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 71 des Herrn Abgeordneten Gerster ({0}) auf.
Trifft es zu, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesverkehrsminister, Haar, auf einer Parteiveranstaltung in Nieder-Olm ({1}) gesagt hat, die Gemeinde Nieder-Olm könne nun doch einen zweiten Autobahnanschluß im südlichen Bereich ihrer Gemarkung erhalten, und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls zur Aufgabe ihrer bisher ablehnenden Haltung in dieser Frage veranlaßt?
Ich bin im Rahmen meiner Ausführungen in der Turn- und Festhalle in Nieder-Olm am 14. September auch auf die örtliche Problematik im Zusammenhang mit dem Neubau der A 63 eingegangen. Ich habe dabei mit Hinweis auf den geführten Schriftwechsel nochmals die Gründe dargelegt, die zur Ablehnung einer zusätzlichen Anschlußstelle südlich von Nieder-Olm in Zusammenarbeit mit der zuständigen Landesstraßenbauverwaltung geführt haben. Von einer Änderung der Haltung des Bundes in dieser Sache war nicht die Rede.
In der weiteren Diskussion kamen u. a. auch kritische Fragen bezüglich der geplanten Westtangente auf. Dazu gewann ich den Eindruck, daß eine nochmalige Beratung im Ortsgemeinderat unter Beteiligung der Fachleute von entscheidendem Vorteil sein könne. Unter der Voraussetzung der Teilnahme der dafür zunächst zuständigen Landesstraßenbauverwaltung wurde auch die Entsendung eines sachkundigen Vertreters des Bundesministers für Verkehr zugesagt.
Aus meiner Erinnerung darf ich Ihnen vielleicht noch folgende Information geben. Vertreter aller drei im Gemeinderat vertretenen Fraktionen haben auf dieser Veranstaltung einmütig die Auffassung vertreten, ein vor einiger Zeit einmütig gefaßter entgegengesetzter Beschluß müsse auf Grund der gemachten Erfahrungen geändert bzw. in jedem Fall auf Grund neuer Einsichten nochmals überprüft werden. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, diese Frage auch mit Herrn Minister Holkenbrink im Hinblick auf die erwähnten örtlichen Erfahrungen zu erörtern. Er hat mir die Teilnahme eines Beamten der Landesstraßenbauverwaltung an dieser Besprechung zugesichert.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie noch einmal bitten, konkret zu antworten. Haben Sie auf dieser Veranstaltung zugesagt, daß ein zweiter Autobahnanschluß gebaut wird - ja oder nein -, und sollten Sie dies nicht zugesagt haben, wie kommt es dann zu Ihrer Erklärung, Sie würden an der Einweihung dieser Autobahnabfahrt teilnehmen?
Ich habe den anwesenden Herren gewünscht, daß ihre Mehrheitsauffassung, die sich offensichtlich öffentlich deutlich artikuliert hat, zu einer Veränderung der Gesamtplanung auf Grund von Entscheidungen des Gemeinderates führe, wenn die beteiligten Ressorts einer solchen Veränderung zustimmen. Ich gehe davon aus, daß sich die Mehrheitsmeinung aller drei Fraktionen durchsetzt und damit dort eine Südanschließung möglich ist, vielleicht unter Verzicht auf die bis jetzt vorgesehene Planung.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dann bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß alle politischen Kräfte in der Gemeinde und Verbandsgemeinde Nieder-Olm von Anfang an, seit Beginn der Diskussion, dafür eingetreten sind, daß ein zweiter Autobahnanschluß geschaffen wird, so daß auf kommunaler Ebene gar keine neue Situation eingetreten ist, und darf ich Sie bitten, doch nicht meiner Frage auszuweichen: Will die Bundesregierung jetzt diesen zweiten Anschluß, oder will die Bundesregierung diesen Anschluß nicht?
Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Kollege. Ich habe vor einigen Tagen einen Brief des dortigen Bürgermeisters bekommen, der die Position in etwa umreißt, die die Mehrheit des Gemeinderats einnimmt. Sie erhalten Durchschriften des weiteren Schriftwechsels; dann sind Sie auf dem laufenden.
({0})
Sie haben keine weiteren Zusatzfragen, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Dr. Becker ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine eigene bundeseinheitliche Telefonnummer für den ärztlichen Notfalldienst einzurichten, um den betroffenen Patienten das Aufsuchen der Notfallnummer zu erleichtern?
In der Bundesrepublik Deutschland sind die Länder Träger der Notdienste; sie müßten die Entscheidung über die Einführung eines ärztlichen Notfalldienstes mit bundeseinheitlicher Rufnummer treffen und gegebenenfalls ein Konzept für diesen Notdienst erstellen. Die Deutsche Bundespost ist bereit, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auf Grund der Auflage für die Ärzteschaft, Notfalldienste für die ärztliche Betreuung der Bevölkerung einzurichten, bereits Notfalldienste im gesamten Bundesgebiet bestehen und daß dabei in der Stadt A eine sechsstellige Notfallnummer, in 'der Stadt B wieder eine andere Notfallnummer besteht und die Bevölkerung deshalb die Telefonbücher wälzen muß, um die entsprechende Nummer zu finden, und sind Sie bereit, wenn die Entscheidung bei den Ländern liegen sollte, dort darauf hinzuwirken, daß bundeseinheitlich gleiche Notfallnummern eingeführt werden, wie es ja bei ,der Toto-Ansage oder anderen Telefondiensten der Fall ist?
Herr Kollege, es muß bei meiner grundsätzlichen Erklärung bezüglich der Zuständigkeiten bleiben. Die Länder sind Träger dieser Notdienste. Daß es hier Bemühungen um eine Koordinierung gibt, die wir unterstützen, ist klar. Sie können aber von folgendem ausgehen. Wenn eine Verständigung zwischen den Ländern erfolgt, wie es bei der bisherigen Diskussion um Notrufdienste und dergleichen geschehen ist, dann werden in jedem Falle 'die technischen Voraussetzungen von der deutschen Bundespost dafür geschaffen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Da diese Angelegenheit anscheinend in die Kompetenz der Gesundheitsministerkonferenz fällt, in der die Bundesregierung auch einen Sitz hat, frage ich Sie: Sind Sie bereit, bei Ihrer Kollegin in der Bundesregierung
darauf hinzuwirken, daß sie diese Initiative bald ergreift?
Ein Dialog wie dieser in der Fragestunde wird von allen Ressorts der Bundesregierung verfolgt. Sie dürfen versichert sein, daß Ihre Anregung vom zuständigen Ministerium aufgegriffen wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, da diese Angelegenheit für einzelne Menschen von lebensrettender Bedeutung sein kann, frage ich Sie: Hat die Bundesregierung bereits eine Initiative ergriffen, um die Länder an einen Tisch und zu einem einheitlichen Beschluß zu bringen?
Diese Frage war bislang schon Gegenstand von Gesprächen im Zusammenhang mit der Verbesserung der Situation der Träger der Notdienste, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 74 des Herrn Abgeordneten Ueberhorst:
Trifft es zu, daß Großforschungszentren des Bundes im Zusammenhang mit dem von der DWK geplanten nuklearen Entsorgungszentrum Aufgaben übernehmen, und, falls ja, welche Auswirkungen hat das für die Erhaltung einer unabhängigen Beurteilungskapazität der staatlichen Großforschungszentren?
Herr Kollege Ueberhorst, das Kernforschungszentrum Karlsruhe wird im Rahmen seiner einschlägigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen mbH im Hinblick auf das geplante nukleare Entsorgungszentrum zusammenarbeiten. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung, die auch finanzielle Fragen regelt, soll bis Ende 1978 abgeschlossen werden. Ein derartiger Einsatz von Forschungs- und Entwicklungskapazitäten der Großforschungseinrichtungen für anwendungsorientierte Arbeiten ist wünschenswert.
Die unabhängige Beurteilungskapazität des Kernforschungszentrums Karlsruhe soll in bezug auf die Arbeiten zur Planung des Entsorgungszentrums durch die Zusammenarbeit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ihren Niederschlag finden. Sie bleibt auch im Rahmen der Zusammenarbeit mit der DWK in vollem Umfang erhalten. Es wird dafür Sorge getragen, daß über die Arbeiten zum nuklearen Entsorgungszentrum hinaus ausreichende Forschungs-und Entwicklungskapazitäten für alternative Verfahrensmöglichkeiten und insbesondere für die notwendige begleitende Sicherheitsforschung zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß es weder in dem von Ihnen angesprochenen Fall Karlsruhe - DWK noch bei weiteren möglichen Kooperationsvereinbarungen zu einer problematischen Doppelfunktion von Forschungszentren kommen kann, wonach das Zentrum einerseits mit der und für die DWK durchsetzungsorientiert für das Entsorgungszentrum arbeiten muß und andererseits gleichzeitig für den Bundestag, für die Bundesregierung oder mögliche andere Stellen auch noch unabhängig gutachterliche, beurteilende Tätigkeiten ausüben soll?
Herr Kollege Ueberhorst, ich glaube, es ist durchaus wünschenswert, daß die Großforschungseinrichtungen bei derartigen Projekten mit der einschlägigen Wirtschaft bzw. den einschlägigen Gesellschaften zusammenarbeiten. Auf Grund dieses Tatbestandes ist es auch möglich, daß neue Erkenntnisse schneller als vorher in künftige Technologien einfließen. Die Unabhängigkeit bleibt trotzdem gewahrt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit wäre, den von Ihnen angesprochenen Vertrag und, wie gesagt, auch weitere mögliche vergleichbare Verträge dem zuständigen Parlamentsausschuß für eine Überprüfung zuzuleiten?
Herr Kollege Ueberhorst, die Bundesregierung ist bereit, dem Parlament nach Abschluß der Verhandlungen, die bis etwa Ende 1978 laufen werden, Rede und Antwort zu stehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, welche Folgen hätte der Verzicht auf die Mitarbeit der Großforschungszentren des Bundes für die Verwirklichung des Entsorgungszentrums?
Herr Kollege Laufs, ich habe soeben sehr eindeutig erklärt, daß eine Zusammenarbeit wünschenwert ist. Im Rahmenvertrag zwischen dem Kernforschungszentrum Karlsruhe und der DWK, die in Rede steht, sind die einzelnen Modalitäten geregelt.
Keine weiteren Zusatzfrafragen.
Frage 75 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Aus welchen Gründen schlägt die Bundesregierung vor, die Mittelzuweisungen aus dem Haushalt für Forschung und Technologie für die Finanzierung von regionalen Rechenzentren gegenüber dem Plan des 3. DV-Programms 1976-79 drastisch zu kürzen?
Herr Kollege Dr. Laufs, es trifft nicht zu, daß die Mittel für die Finanzierung von regionalen Rechenzentren gegenüber dem Plan des 3. DV-Programms drastisch gekürzt worden sind. Im Zeitraum von 1976 bis 1979 werden 142 Millionen DM bereitgestellt werden; das sind 15 % weniger als ursprünglich geplant. Die Mittel haben bisher ausgereicht und werden auch im Jahre 1979 ausreichen, die durch die Kommission für Rechenanlagen der Deutschen Forschungsgemeinschaft fachlich befürworteten Beschaffungen mitzufinanzieren.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da nach meinen Informationen die Mittel für das nächste Jahr von 46 Millionen DM auf 37,6 Millionen DM gekürzt worden sind, möchte ich die Bundesregierung fragen, ob sie mir darin zustimmen kann, daß diese reduzierten Mittelzuweisungen nicht ausreichen werden, um die Finanzierung des Zuwachses an Rechnerkapazitäten sicherzustellen, für den die DFG-Kommission für Rechenanlagen als minimale Zielvorgabe die Verdoppelung in sieben Jahren nannte.
Herr Kollege Laufs, die Zahlen für 1979 sehen so aus: In dem 3. DV-Programm sind 46 Millionen DM, im Haushaltsentwurf 1979 sind 38 Millionen DM vorgesehen. Das Regionalprogramm wurde als Sondermaßnahme eingeleitet, um den Anfang der 70er Jahre bestehenden Nachholbedarf bei der Rechnerausstattung der Hochschulen zu decken. Dieses Ziel scheint fast erreicht zu sein. Daher ist für das Programm nach 1979 noch eine Auslaufphase vorgesehen.
Bei der Planung dieser Phase soll ein Gutachten zum Rechenbedarf bis 1984 berücksichtigt werden, das auf Bitten von Bund und Ländern durch die DFG gegenwärtig erstellt wird. In dieser Phase sollen besonders krasse regionale Ungleichheiten behoben werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Befürchtungen bei den regionalen Rechenzentren bekannt, daß die deutsche rechenintensive Forschung gegenüber der Industrie und dem Ausland ins Hintertreffen geraten wird, weil die regionalen Großrechenanlagen hinsichtlich ihres PreisLeistungs-Verhältnisses und auch ihrer Rechenleistung durch diese Politik der Bundesregierung nicht auf dem Stand der Zeit gehalten werden können?
Derartige Äußerungen, Herr Kollege Dr. Laufs, sind mir nicht bekannt. Ich
darf nochmals darauf aufmerksam machen, daß für DV-Beschaffungen im Regionalprogramm bis zum 31. Dezember 1977 einschließlich des DV-Sonderprogramms insgesamt 290,6 Millionen DM ausgegeben worden sind. Weitere Klagen sind nicht bekannt. Wenn Sie in dem einen oder anderen Falle von einem Rechenzentrum eine spezielle Klage vorliegen haben, bitte ich Sie, mir diese vorzutragen. 'Ich bin gern bereit, sie nachprüfen zu lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hammans.
Herr Staatssekretär, der Bundesrechnungshof hat die Großrechnerpolitik gerade wegen der deutschen Universitäten gerügt, Sie aber haben vorhin gesagt: Der Bedarf scheint gedeckt. Wie können Sie diese beiden Dinge unter einen Hut bekommen?
Herr Kollege Dr. Hammans, ich habe bei Ihrer Frage nicht ganz richtig verstanden, worauf sie sich im besonderen bezog. Der Bundesrechnungshof geht, wenn er etwas beanstandet oder etwas in Frage stellt, auf einen ganz speziellen Punkt ein, der aus Ihrer Frage nicht er- sichtlich war.
Keine weitere Zusatzfrage. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klein ({0}), Dr. Pinger, Dr. Eyrich, Erhard ({1}), Klein ({2}), Dr. von Geldern, Kunz ({3}) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Urheber von Lichtbildwerken
- Drucksache 8/2064 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Das Wort hat der Abgeordnete Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erfüllen mit der Vorlage dieser Novelle ein Gebot der Gerechtigkeit. Wer nämlich ein Werk der Literatur, der Wissenschaft und Kunst herstellt, hat nach geltendem Urheberrecht einen Schutz bis zu seinem Tode und darüber hinaus bis 70. Jahre nach seinem Tode für die Hinterbliebenen. Wer dagegen als künstlerisch tätiger Berufsfotograf ein Lichtbildwerk herstellt, ist bereits 25 Jahre nach Herstellung des Werkes nicht mehr gegen die Ausbeutung seiner Leistung geschützt. Damit verlieren schöpferisch tätige Fotografen auch bereits auf dem Höhepunkt ihres Schaffens den rechtlichen Schutz für ihre früheren Werke. Es geht ihnen die Altersversorgung verloren, und nach ihrem Tod ist auch den Angehörigen, die oft keine ausreichende Alterssicherung haben, die Nutzung ihres Archivs weitgehend entzogen.
Die Ungerechtigkeit dieser Diskriminierung der Schöpfer von Lichtbildwerken wird im Grunde von niemandem bestritten. Gegen eine Novellierung hören wir den Einwand, daß noch im Jahre 1965 die Reform des Urheberrechts einvernehmlich verabschiedet worden sei, und seither habe sich die Sachlage nicht geändert.
Nun, erst seit wenigen Jahren werden neue technische Verfahren allgemein angewendet, die ohne weiteres die Übernahme von Lichtbildwerken aus einer Vervielfältigung ermöglichen, ohne daß der Vervielfältiger im Besitz des Negativs zu sein braucht. Insbesondere ermöglicht der nahezu rasterlose Tiefdruck im Rotationsverfahren bei Massenauflagen eine hervorragende Qualität. Im Gegensatz zu früher ist es also jetzt ohne für den Laien erkennbaren Qualitätsverlust möglich, Illustrationen ohne weiteres zu übernehmen. Dadurch hat sich eine damals ungeahnte Verschärfung der Urheberrechtsproblematik bei Lichtbildwerken ergeben. Zudem kann erst seit kurzem überhaupt von einem nennenswerten Markt für künstlerische Fotografien gesprochen werden. Wer also behauptet, die Situation sei heute nicht anders als 1965, der verschließt die Augen vor der Wirklichkeit oder kennt sie nicht.
Nach unserem Gesetzentwurf erhält auch das einfache Lichtbild den verlängerten normalen Schutz des Urheberrechtsgesetzes. Damit vermeiden wir die in der Praxis außerordentlich schwierige Abgrenzung zwischen Lichtbildwerk und einfachem Lichtbild. Aber, meine Damen und Herren, der kultische Werkbegriff der persönlich-geistigen Schöpfung ist ohnehin, wie ein Blick auf das Kunstgeschehen unseres Jahrhunderts lehrt, weitgehend überholt. Wohl auch deswegen hat der Rechtsalltag ihn seit Jahrzehnten nicht mehr ernst genommen. Ich will das ganz anschaulich machen: Der Urheber des Schlagertextes „Bella, bella Marie" oder „Ballaballa" oder irgendwie eines derartigen banalen Textes erhält in der Praxis der Gerichtsbarkeit den Schutz für diese seine „Leistung" bis zu 70 Jahren nach seinem Tode, während derjenige Berufsfotograf, der unbestritten künstlerisch wertvolle Lichtbildwerke erstellt hat, den gleichen Schutz nicht genießt.
,Weshalb nun der Widerstand gegen die so dringend notwendige Novellierung? Es wird eingewendet, man könne es aus Gründen des gesellschaftlichen Interesses nicht hinnehmen, daß auch das einfache Lichtbild urheberrechtlich geschützt werde. Hier ist zu fragen, welches konkrete gesellschaftliche Interesse das sein soll, wer überhaupt einen Schaden dabei hätte. Millionen einfache Lichtbilder werden geknipst, und diese hätten in der Tat den verlängerten Schutz. Aber interessant wird doch die Schutzfristenfrage erst dann, wenn die Entscheidung über die Publizierung dieses Bildes getroffen ist, und das betrifft eben das normale Lichtbild nicht. Publiziert wird ein Bild erst dann, wenn in irgendeiner Weise der Werkcharakter vorhanden ist. Diese Eigenart mag in seinem dokumentarischen Charakter liegen, wobei sich schon wieder die Frage stellt, ob die Entscheidung eines Fotografen, eine ganz bestimmte Sache oder Person aufzunehmen, zu dokumentieren, nicht bereits ein geistiger
Filter ist, der ein persönliches, schöpferisches Element bei der Entstehung des Lichtbildes darstellt.
Der Verlängerung der Schutzfrist wird speziell entgegengehalten: Der Fortschritt der Menschheit beruhe darauf, daß jedes Individuum auf den Leistungen anderer aufbaue, diese übernehme und fortentwickle, was nicht zu bestreiten ist. Aber es ist doch zu fragen, inwiefern der technische und geistige Fortschritt gehemmt werden könnte, wenn beispielsweise dokumentarisch wertvolle einfache. Lichtbilder einem längeren urheberrechtlichen Schutz unterworfen werden. Es gibt kein stichhaltiges Argument gegen die notwendige Gesetzesänderung, und auch ein Blick ins benachbarte Ausland zeigt, daß hier überwiegend längere Schutzfristen vorhanden sind als bei uns, etwa in den Benelux-Staaten, in Frankreich, in Großbritannien, Osterreich oder der Schweiz.
Ich möchte zusammenfassend zur Schutzfristenfrage Fernando Wassner aus der „Frankfurter Allgemeinen" zitieren:
Wenn das Recht aber weder bei Büchern noch bei Musik oder bildender Kunst zwischen „hoch" und „niedrig" entscheidet, dann kann es auch die Fotografie großzügig behandeln, zumal damit den Fotografen geholfen und niemandem ernstlich geschadet wird.
Ich möchte nur noch kurz ein paar Worte zu den anderen von uns vorgeschlagenen Änderungen hinzufügen. Während eine Verwertungsgesellschaft auf Grund der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einen Pauschsatz für die Kosten des Verwaltungsaufwands bei Verfolgung von Rechtsverletzungen erhält, ist der verletzte einzelne Urheber auf den oft unmöglichen Nachweis sämtlicher einzelner Kosten verwiesen. Wir wollen den einzelnen Urheber mit unserer Novellierung insoweit den Verwertungsgesellschaften gleichstellen.
Ein weiteres Problem stellt die Rechtsunsicherheit bei der Frage der Namensnennung der Urheber von Lichtbildwerken dar. Denn trotz des Rechts des Urhebers eines Lichtbildwerkes, zu bestimmen, daß sein Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen ist, berufen sich Herausgeber und Verleger oft auf eine angebliche Gepflogenheit eines stillschweigenden Verzichts der Urheber auf ihr Namensnennungsrecht. Wir wollen mit unserer Novellierung klarstellen, daß eine ausdrückliche schriftliche Zustimmung erforderlich ist, und damit sicherstellen, daß der Name erwähnt wird, wenn der Urheber Wert darauf legt.
Das letzte Problem: Die Verwertungsgesellschaft „Bild - Kunst" ist ohne eine Auskunftspflicht der Verleger oft nicht in der Lage, von sich aus festzustellen, wer der Urheber von Bildillustrationen ist. Um sowohl die Interessen der Urheber besser zu schützen als auch die Interessen der Verleger zu berücksichtigen, soll im Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten eine' Bestimmung eingefügt werden, die die Auskunftspflicht für Verleger regelt, gleichzeitig aber auch eine Pflicht zur Erstattung der Unkosten.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Diese Novelle beseitigt die Benachteiligung der künstlerisch tätigen Fotografen gegenüber anderen Künstlern. Sie ist dringend geboten, weil sich die Situation der Urheber von Lichtbildwerken seit 1965 grundlegend gewandelt hat. Sie verletzt in keinerlei Hinsicht allgemeine oder spezielle Interessen. Die Novelle beseitigt eine unhaltbare Diskriminierung und trägt wesentlich zur eigenständigen Alterssicherung einer bedeutenden Gruppe von Künstlern bei.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben das Vergnügen, daß wir - nach der 9. Novelle zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - von der CDU/CSU nunmehr innerhalb kürzester Zeit zum zweitenmal einen Gesetzentwurf vorgelegt bekommen, der eindeutig die Handschrift eines Verbandes oder einer Interessengruppe trägt. Sie machen es sich dabei sehr einfach. Sie nehmen das Konzept dieses Vereins, bringen es als Gesetzentwurf ein, ohne sich mit den Bedenken zu befassen, die in früheren Erörterungen lang und breit - auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion - in diesem Hause vorgetragen worden sind.
Herr Abgeordneter Weber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pinger?
Ja, bitte.
Herr Kollege Weber, mich würde erstens interessieren, wo wir den Gesetzentwurf zum UWG gefunden haben sollen, welcher Verband uns diesen zugeschickt haben soll. Zweitens möchte ich Sie gerne fragen, ob es nicht durchaus legitim ist, die Interessen von einzelnen Gruppen zu berücksichtigen, wenn sie berechtigt sind.
Der Entwurf zum UWG entspricht wortwörtlich dem Entwurf der Mittelstandsvereinigung der CDU. Da die Mittelstandsvereinigung der CDU Gott sei Dank noch nicht als Fraktion in diesem Parlament vertreten ist, muß ich annehmen, daß sie ein Verein ist.
({0})
- Ich mache es Ihnen doch gar nicht zum Vorwurf, daß Sie Interessengruppen vertreten. Ich stelle nur fest, daß man es so machen kann. Sie sollten dann aber wenigstens den Versuch unternehmen, alles das, was an Rechtsharmonisierung und umfassender Problemstellung notwendig ist, mit in einen solchen Entwurf einzubringen. Sie haben eines von vielen Problemen angeschnitten, aber doch nicht gelöst. Wer ist der Urheber bei zufälligen Bildwerken, wer sind seine Erben? Wer entscheidet darüber, wem
das Bild gehört und wer einen urheberrechtlichen Anspruch hat? Vergegenwärtigen Sie sich einmal die Situation: Wenn unser Bundeskanzler vor 55 Jahren auf dem Bärenfell fotografiert worden ist, so war das Bild damals kein Lichtbildwerk. Nach 55 Jahren, als er Bundeskanzler geworden ist, soll es nun auf einmal ein Lichtbildwerk sein.
Wir werden den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß überweisen und dort beraten müssen. Ich möchte aber bereits in dieser ersten Runde einige der Probleme aufzeigen und darlegen, daß es erstens auf dem Gebiete des Urheberrechts nicht nur dieses, sondern viel dringlichere Probleme zu lösen gibt, die Sie überhaupt nicht angesprochen haben, und daß zweitens Ihre Lösungsversuche bruchstückhaft sind.
1965 bei der Urheberrechtsreform und 1972 bei der Beratung über die Urheberrechtsnovelle sind die Probleme, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf ansprechen, eingehend erörtert worden. Bei der Urheberrechtsreform haben sich Rechtsausschuß und Parlament in Kenntnis aller Tatsachen - das können Sie nachlesen; die Tatsachen sind damals genauso vorgetragen worden wie heute von Ihnen - für eine 25jährige Schutzfrist sowohl für Lichtbildwerke als auch für Lichtbilder ohne Werkcharakter entschieden. Kein neues Argument ist vorgetragen worden. Andere Gruppen aber, die von dem Urheberrecht durch die technische Fortentwicklung in viel stärkerem Maße betroffen worden sind, haben in der Zwischenzeit rechtlich fundierte Lösungsvorschläge unterbreitet, Tatsachenforschungen angestellt und die Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung auch anhand solcher Tatsachen dargetan. Ich denke z. B. an die äußerst umfangreichen Untersuchungen des Börsenvereins, der die brennenden Fragen des Urheberrechts herausgestellt hat; das Fotokopierunwesen urheberrechtlich in den Griff zu bekommen, die Leerkassettengebührenpflicht zu regeln und überhaupt das gesamte Urhebervertragsrecht einer Lösung zuzuführen. Und Sie wissen doch, daß im Bundesjustizministerium umfangreiche Vorarbeiten zur Novellierung des Urheberrechtsgesetzes geleistet werden.
Wir Sozialdemokraten verkennen durchaus nicht, daß das Urheberrecht und die im Urheberrecht liegende Eigentumsgarantie verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Aber es gibt ja keinen vorgegebenen und absoluten Begriff des Eigentums, sondern Inhalt und Funktion des Eigentums müssen wir wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Veränderungen vernünftig anpassen. Wir haben - wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat - die Aufgabe, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Da begegnen einander zwei verfassungsrechtliche Grundsätze, nämlich der des Anspruchs auf eine umfassende Bildung und der des Anspruchs auf Schutz des Eigentums.
Wir haben zumindest erwarten können, daß Sie sich mit den schon früher geäußerten Bedenken gegen die von Ihnen vorgeschlagenen Verlängerung der Schutzfrist befassen. Das Urheberrechtsgesetz hält sich jetzt im Rahmen des Art. 7 Abs. 4 der Revidierten Berner Übereinkunft, die für LichtbildDr. Weber ({1})
werke eine Mindestschutzdauer von 25 Jahren seit der Herstellung vorsieht. Lesen Sie doch im Ausschußbericht aus der 4. Wahlperiode die Passage -ich zitiere -:
Der Ausschuß hat erwogen, im Hinblick auf die Schutzfristverlängerung in § 67 auch die Schutzfrist für Lichtbildwerke angemessen zu verlängern. Dies hätte indessen zur Folge, daß Lichtbildwerke einen längeren Schutz genießen würden als Lichtbilder ohne Werkcharakter. Denn eine gleichzeitige Verlängerung auch des für solche Lichtbilder vorgesehenen Leistungs-schutzrechtes erscheint nicht gerechtfertigt. Der Ausschuß empfiehlt daher, es für Lichtbildwerke bei der vorgesehenen, dem geltenden Recht entsprechenden Schutzfrist von 25 Jahren zu belassen.
Bei der Novellierung 1971/1972 ist auch aus den Reihen der CDU/CSU eine Verlängerung der Schutzpflicht nicht beantragt worden.
Die Unterscheidungsschwierigkeiten dauern, meine ich, heute noch fort. Sie haben gesagt: Um diesen schwierigen Prozeß der Differenzierung zwischen Lichtbildern und Lichtbildwerken zu umgehen, wollen wir nur noch von Lichtbildern sprechen. Eine Verlängerung der Schutzpflicht für Lichtbilder ohne Werkcharakter wäre aber unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung schwer zu rechtfertigen. Denn sie würde zu einer Bevorzugung der Lichtbildner gegenüber anderen Leistungsschutzberechtigten führen. Voraussetzung für jeden Urheberrechtsschutz ist doch jeweils, daß es sich überhaupt um persönliche geistige Schöpfungen, mithin um Werke im Sinn des Urheberrechts handelt. Arbeitsergebnisse, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind im Gegensatz zu Lichtbildern dann eben überhaupt nicht oder, soweit es sich nicht um neue und eigentümliche Muster oder Modelle handelt, nur nach kostenpflichtiger Hinterlegung für eine Dauer von höchstens 15 Jahren geschützt.
Dann sprechen Sie die Schadenersatzregelung an. Auch diese scheint mir, zumindest in dieser pauschalierten Form, wie sie hier vorgesehen wurde, überflüssig zu sein. Daß bei unberechtigter Vervielfältigung und Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten Fotos in der Praxis als Schadenersatz nur das Honorar zu zahlen ist, das vorher hätte vereinbart werden müssen, mag in vielen Fällen zutreffen. Dem verletzten Lichtbildner ist es jedoch unbenommen, einen ihm etwa entstandenen höheren Schaden konkret zu berechnen oder die Herausgabe des Verletzergewinnes zu verlangen. Außerdem kann - wenn die Urheber ihre Rechte durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lassen - im Wege der konkreten Schadensberechnung auch ein angemessener Teil der Kontroll- und Überwachungskosten der Verwertungsgesellschaft gegenüber dem Verletzer geltend gemacht werden, und zwar pauschaliert, wie der Bundesgerichtshof mehrfach festgestellt hat. Dadurch würde der von Ihnen gewünschte Abschreckungseffekt schon nach geltendem Recht erreicht werden.
Nun sagen Sie in Ihrem Entwurf: Die Urheberbezeichnung muß veröffentlicht werden. Wir billigen
keineswegs die vielfach geübte Praxis, daß diese Urheberbezeichnung nicht veröffentlicht wird. Aber auch dabei gibt doch § 13 des jetzt geltenden Urheberrechtsgesetzes schon einen umfassenden Rechtsschutz. Die Schwierigkeiten ergeben sich vielmehr nur aus der schwachen Verhandlungsposition insbesondere auch des Bildjournalisten. Die Verbessern Sie durch Ihren Entwurf überhaupt nicht. Insoweit handelt es sich um eine urhebervertragsrechtliche Frage, die bei der geplanten Reform des Urhebervertragsrechts geprüft werden wird.
Das gilt letzlich auch für die in Ihrem Entwurf bruchstückhaft angesprochene Frage von Auskunftsansprüchen.
Ich darf abschließend etwas zu zwei Punkten sagen, die Sie überhaupt nicht berücksichtigt haben und die zeigen, daß dieser Gesetzentwurf eben nur mal so schnell als Entwurf hingeschrieben worden ist. Die Frage der Urhebernennung ist schon nach geltendem Recht sowohl für Arbeitnehmer - und das sind Bildjournalisten auch häufig - als auch - seit der Einfügung des § 12 a in das Tarifsvertragsgesetz im Jahre 1974 - für arbeitnehmerähnliche Personen einer Regelung durch Tarifverträge zugänglich. Dadurch könnte das angesprochene Ungleichgewicht der Verhandlungspartner für diesen Personenkreis weitgehend ausgeglichen werden.
({2})
- Ich bin fast am Ende meiner Redezeit, Herr Kollege Pinger. Es tut mir leid.
Sie haben den Grundgedanken des Tarifvertrages überhaupt nicht erwähnt. Eine tarifvertragliche Regelung, die die beanstandete Übung für diesen Personenkreis beseitigt, könnte auch für andere Lichtbildner von Vorteil sein, weil dann ein stillschweigender Verzicht auf Urheberbenennung nicht mehr aus einer allgemeinen Gepflogenheit hergeleitet werden könnte.
Noch eine abschließende Bemerkung zu dem, was Sie in den Vordergrund gestellt haben: Sie begründen Ihre Gesetzesinitiative damit, daß die Altersversorgung dieser Personengruppe durch Ihren Gesetzentwurf ausreichend gesichert werden solle. Diese Begründung ist in dieser Form unbrauchbar und auch nicht richtig. Auch Künstler und die von Ihnen angesprochenen Bildjournalisten fahren besser, wenn sie sich dem Schutz der Solidargemeinschaft anvertrauen. Deshalb hat die sozialliberale Regierung am 2. Juni 1976 einen Gesetzentwurf zur Künstlerversicherung eingebracht, der die Einbeziehung der freiberuflichen Künstler, also auch der Autoren und Lichtbildner, in die gesetzliche Rentenversicherung vorsieht, wobei die Beiträge zur Künstlersozialkasse in einem Umlageverfahren von den Kulturträgern aufgebracht werden. Schließlich hatte und hat auch dieser Personenkreis durch die von dieser sozialliberalen Koalition ermöglichte Öffnung der Rentenversicherung die Möglichkeit, sich eine eigenständige und gesicherte Altersversorgung zu schaffen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um den Umfang und die Lücken urheberrechtlichen Schutzes hat wieder voll begonnen. Es melden sich ja nicht nur die Fotografen - wie hier - mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu Wort, sondern es melden sich darüber hinaus die Autoren, Komponisten und Verleger im Bereich der Literatur und Musik. Nun wird vielleicht eine nicht so ins einzelne gehend orientierte Öffentlichkeit sofort die mißtrauische Frage stellen, ob hier überspannte Schutzrechte beansprucht werden sollen. Ich möchte diese Frage verneinen. Denn in einer Ordnung, die in den Grenzen des allgemeinen Wohls Eigentum umfassend gewährleistet, werden wir - Regierung wie Parlament - als Verantwortliche immer in besonderer Weise darauf bedacht sein müssen, Eigentum - und eigentumsähnliche Rechte -, das sich nicht in Zahlen oder in den sonst üblichen Maßeinheiten ausdrücken läßt, nämlich geistiges Eigentum, in besonderer Weise zu schützen.
Nun hat ja das Urheberrechtsgesetz von 1965 einen guten Schutz gebracht. Nur hat man bei den damaligen Beratungen wohl vieles, was an technischen Entwicklungen in den letzten Jahren auf uns zugekommen ist, noch nicht so gesehen oder noch nicht so ernst genommen. Denn wer hätte gedacht, daß 1977 allein 88 Millionen Leerkassetten in unserem Lande verkauft worden sind, Leerkassetten, die im wesentlichen dazu dienen, auch urheberrechtlich geschützte Musikwerke zu überspielen! Wer hätte daran gedacht, daß sich das Fotokopierwesen 1978 so weit entwickelt haben würde, daß - nur der urheberrechtlich geschützte Teil genommen - in diesem Jahre fünf Milliarden urheberrechtlich relevante Vorlagen fotokopiert worden sind! In sehr naher Zukunft werden Techniken praxisreif sein, die dies dann auf elektronischem Wege mit ganz anderen Übertragungsverfahren noch wesentlich erleichtern werden.
Auf demselben Hintergrund wird man meines Erachtens den Wunsch der Fotografen sehen müssen. Denn sie hatten ja früher als Alleinbesitzer des Negativs das tatsächliche volle Herrschaftsrecht über ihr Werk. Aber seitdem - Herr Dr. Pinger hat es erwähnt - es ohne weiteres fehlerfrei möglich ist, von beliebigen Vervielfältigungen die Übernahme von Bildern zu bewerkstelligen, fehlt dem Urheber dieser Schutz. Die Fotografen wollen mit diesem Gesetzentwurf eine ganze Reihe gesetzlicher Erleichterung zur besseren Durchsetzung der Rechte, die Sie heute bereits besitzen. Darüber werden wir uns - das kann nicht die Aufgabe dieser ersten Lesung sein - im Ausschuß sehr eingehend zu unterhalten haben.
Der materielle Kern des vorliegenden Entwurfs ist der Wunsch der Lichtbildner nach Gleichstellung mit den Urhebern anderer geistiger Schöpfungen hinsichtlich der Dauer der Schutzfrist.
Nun sollten wir uns sicherlich davor hüten, die Diskussion um das Wesen der Fotografie neu zu beginnen. Ich habe mir die Mühe gemacht und festgestellt, daß noch in juristischen Lehrbüchern für die Universitäten aus den 50er Jahren zum früheren Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie von 1907 nachzulesen ist, daß in Wirklichkeit Fotografien keine Schöpfungen seien, sondern bloße Leistungen. Sie seien keine Ausdrucksform des individuellen Geistes, sondern sie gäben lediglich auf technischem Wege einen Gegenstand der Außenwelt wieder. Mag's richtig sein, mag's nicht richtig sein. Wir wissen, daß in einer gewissen Geringschätzung der Technik man ehedem davon ausging, das Geschäft des Fotografen oder, vornehmer ausgedrückt, des Lichtbildners sei dies: an seiner Kamera die richtige Entfernung einzustellen, im richtigen Winkel anzuvisieren, sodann bei der Betätigung des Auslösers nicht zu wackeln und ganz am Anfang nicht vergessen zu haben, auch wirklich einen Film einzulegen.
({0})
So ungefähr die Vorstellung der Öffentlichkeit ehedem von der Aufgabe eines Fotografen. Diese Auffassung ist heute ganz sicherlich überwunden.
Der Grund, warum man seinerzeit, 1965, im jetzt geltenden Urheberrechtsgesetz die Schutzdauer für Lichtbildwerke und Lichtbilder aber auf 25 Jahre beschränkt hat, sind die beträchtlichen Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen den Lichtbildwerken und einfachen, nicht schöpferischen Lichtbildern. Nun hat allerdings schon in der „Juristenzeitung" 1955 auf Seite 231 Kleine in einer Besprechung des damaligen Regierungsentwurfs zum jetzt geltenden Urheberrechtsgesetz darauf hingewiesen, daß man mit dem Versuch einer Abgrenzung ästhetischen Gedankengängen Rechnung tragen würde, die man ansonsten von diesem Gesetz geflissentlich fernhalten wolle. Wenn dies so ist, dann ist es sicherlich angebracht zu überlegen, ob es nicht unbillig ist, bei vergleichenden Urheberrechtsdiskussionen hinsichtlich der Literatur und der Musik immer nur unsterbliche Werke von .letzter Vollendung im Hinterkopf zu haben, umgekehrt aber bei der Fotografie immer an das Billig- und Gebrauchsfoto für das Familienalbum oder die Brieftasche zu denken. Die Probleme des Qualitätsunterschiedes werden wir rechtlich nie lösen können. Diese Probleme lösen sich ganz einfach in der Praxis deshalb, weil im Regelfall beim Einfachfoto überhaupt kein wirtschaftliches Interesse daran bestehen wird, Urheberrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Daß dies im Einzelfall auch einmal anders kommen mag, ist eine andere Frage. Aber es wird wenige Fotografen geben, die einen späteren Bundeskanzler bereits als Baby vor die Linse bekommen, um nach 55 Jahren hieraus das große Geschäft machen zu können. Wir wissen ja im ganzen Bereich der Kunst, daß hier nicht nur Begabung und letzte innere Vollendung der Persönlichkeit den Ausschlag geben, sondern man mit dem, was man bringt, auch immer im Zeitgeist richtig liegen und das Glück der Stunde nützen muß, wo es sich einem darbietet. Dies gilt also auch in anderen Bereichen. Ich erinnere daran: Wer
I Engelhard
ist unter uns und wer ist draußen im Lande, der nicht bei passender oder unpassender Gelegenheit einmal einige Knüppelverse gereimt oder Bestabt hätte, ohne deswegen gleich auf die Idee zu kommen, einen Verleger aufzusuchen oder sich nach außen deutlich gleich als Dichter oder Schriftsteller zu fühlen
Wir sollten den vorliegenden Entwurf im Rechtsausschuß sehr gewissenhaft beraten. Wegen der anderen Probleme, die drängen, erwarten wir Unterstützung und Initiative seitens der Bundesregierung, die von maßgeblichen Herren auch bereits zugesagt ist, damit wir auch im Zusammenhang mit den wichtigen Fragen des Kopierrechts und den Fragen der Leerkassetten zu entsprechenden Entwürfen kommen, deren wir uns dann in der Beratung annehmen können.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2064 an den Rechtsausschuß zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Czaja, Dr. Hupka, Dr. Wittmann ({0}), Dr. Becher ({1}), Dr. von Bismarck, Frau Pieser, Müller ({2}), Dr. Hennig, Sauer ({3}), Schmidt ({4}) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
- Drucksache 8/1532 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. von Bismarck, Dr. Czaja, Dr. Wittmann ({5}), Dr. Hupka, Sauer ({6}), Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen
- Drucksache 8/1518 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({7})
- Drucksache 8/2078 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({8})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In seiner Regierungserklärung des Jahres 1974 hat
der Bundeskanzler erklärt, die Kriegsfolgengesetzgebung sei abgeschlossen. Das sollte damals bedeuten, in der Kriegsfolgengesetzgebung sollte es keine Verbesserungen mehr geben. Es kamen nicht nur keine Verbesserungen von seiten der Bundesregie- rung und der Koalitionsfraktionen, sondern wir haben jetzt durch die Hinausschiebung des Anpassungstermins bei der Unterhaltshilfe praktisch eine Verschlechterung.
Meine Damen und Herren, diese Anpassung ist notwendig geworden, weil man meint, daß die Unterhaltshilfe, die Kriegsschadenrente, gleichgezogen werden muß mit den übrigen Rentenleistungen, obwohl ja bekannt ist, daß die Kriegsschadenrente nicht aus der Sozialversicherung gezahlt wird, sondern aus dem Lastenausgleichsfonds.
Man mag dazu stehen, wie man will; Tatsache ist, daß hier ein höherer Betrag eingespart wird. Wir sind der Meinung, daß, falls es zu dieser Verschiebung des Anpassungstermins kommt - der Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ja vor -, die Einsparungen entsprechend den Regelungen bei der Kriegsopferversorgung dafür verwendet werden sollen, strukturelle Verbesserungen anzubringen. Ich glaube, das entspräche der Gerechtigkeit, denn wir können im Kriegsfolgenbereich nicht mit zweierlei Maß messen.
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, die Anrechnungsbestimmungen bei der Kriegsschadenrente zu verbessern. Diese Bestimmungen sind längst überholt. Man braucht z. B. nur daran zu denken, daß beispielsweise bei Mieteinnahmen ein Freibetrag von lediglich etwa 40 DM zugelassen ist. Das ist beim heutigen Mietenniveau geradezu absurd und lächerlich.
({0})
Wir beantragen in unseren Gesetzentwürfen weiterhin vor allem auch die Änderung der Antragsfrist bei Aufbaudarlehen; übrigens eine Maßnahme, die im Endergebnis keineswegs zu Lasten des Ausgleichsfonds geht. Sie wissen, die Mehrheit in diesem Hause hat im Haushaltsstrukturgesetz die Antragsfrist für landwirtschaftliche und sonstige Aufbaudarlehen auf fünf Jahre herabgesetzt, mit dem Ergebnis, daß eigentlich niemand, vor allem niemand unter den Spätberechtigten oder Spätaussiedlern, in der Lage ist, diese Darlehen in Anspruch zu nehmen und im landwirtschaftlichen Bereich eine Nebenerwerbstelle zu erwerben oder aber ein Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau zu erhalten. Denn es war und ist unmöglich, innerhalb von fünf Jahren das Eigenkapital aufzubringen, das notwendig wäre, um die Voraussetzungen zu erfüllen. Nach unserem Antrag wird also die Frist auf zehn Jahre verlängert. Ich begrüße es sehr, daß die Bundesregierung und, ich hoffe, dann auch die Koalitionsfraktionen diesem unserem Antrag zustimmen. Ich freue mich, daß hier eine gewisse Einsicht in das Notwendige vorhanden ist.
Die Bundesregierung glaubt in ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrats zu ihrem Gesetzentwurf monieren zu müssen, daß die Anrechnungsbestimmungen - vor allem bei der
Dr. Wittmann ({1})
Kriegsschadenrente und bei den ehemals Selbständigen - von uns in dieser Form verändert worden sind. Sie meint - das schlägt sie ebenso wie wir vor -, daß man mit einer Verbesserung beim Sozialzuschlag auskommen könne. Das aber genügt nach unserer Auffassung keineswegs. Denn wir müssen eines sehen. Der Lastenausgleich ist, wie seine Präambel sagt, nicht etwa nur eine soziale Leistung, sondern es soll ein Ausgleich von Lasten sein. Wir sind deshalb der Meinung, daß gerade die Berechtigten, die ehemals selbständigen Landwirte usw., die sich später noch etwas geschaffen haben, die ein kleines Häuschen oder vielleicht die eine oder andere Nebeneinnahme haben, nicht gleichmacherisch mit den reinen Unterhaltshilfeempfängern quasi in einen Topf geworfen werden können. Wir sind der Meinung, daß hier nicht die Gleichmacherei das Wort haben soll, sondern man soll durchaus die nach der Vertreibung erbrachte Leistung anerkennen.
({2})
Ich darf noch einmal betonen: Auch wir sind für die Erhöhung des Sozialzuschlages. Aber wir sind nicht für eine Gleichmacherei bei Menschen, die nach der Vertreibung noch etwas geleistet haben. Das gilt vor allem für unsere vertriebenen Landwirte.
Es hat einmal findige Rechner gegeben, die herausgefunden haben, daß ein vertriebener Landwirt im Lastenausgleich den Wert eines Baumes für einen ganzen Hektar einschlagfähigen Wald bekommt. Daran sieht man, daß die Entschädigungen nicht so sind, daß ein ehemals Selbständiger - denn die Kriegsschadenrente wird ja aus der Lastenausgleichsentschädigung berechnet - eine einigermaßen erträgliche Rente bekommt.
Die Bundesregierung und die Regierungsparteien rühmen sich immer, daß zwischen 1969 und 1978 die Unterhaltsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz auf etwa 122,6 °/o gestiegen sind. Das ist kein Alibi für eine erfolgreiche Politik auf diesem Gebiet. Denn der Preisindex und die Inflation haben diese 22 °/o schon längst hinweggefegt, so daß praktisch eine Verschlechterung gegeben ist. Denn gerade bei der Einführung der Dynamisierung wurde nicht dafür gesorgt, daß die Unterhaltshilfe in ihrem Niveau den übrigen Rentenleistungen wenigstens einigermaßen angeglichen wurde. Im Durchschnitt gerechnet blieb sie bei jeder Dynamisierung weiter im Rückstand.
Man kann sich bei den strukturellen Verbesserungen, die wir vorschlagen, nicht etwa darauf zurückziehen, daß der Ausgleichsfonds demnächst defizitär wird, d. h., daß ab 1980 der Bundeshaushalt eingreifen muß, um die Finanzierung dieser Leistungen zu sichern. Einmal hat man systemwidrig weitere Geschädigtengruppen in den Lastenausgleich hineingenommen. Ich glaube, daran waren alle Fraktionen beteiligt. Aber in späterer Zeit konnte die Zusage, andere Finanzierungsquellen z. B. für die SBZ-Flüchtlinge zu schaffen, infolge der Haushaltslage des Bundes nicht mehr eingehalten werden. Zweitens hat man- durch die Inflation bedingt - die Leistungen in der Unterhaltshilfe über das ursprünglich berechnete Maß hinaus erhöhen müssen. Meine Damen und Herren, dafür kann man nicht
allein die Vertriebenen, die ihre Ansprüche gegen den Lastenausgleichsfonds haben, verantwortlich machen und zahlen lassen.
({3})
Man hätte zur rechten Zeit für neue Finanzierungsquellen für den Lastenausgleich oder für die Übernahme der Leistungen in andere Bereiche sorgen können und müssen. Wir sollten gemeinsam hierüber nachdenken - ich will das ganz klar sagen -, daß jenseits der Abgaben und Steuern Quellen gefunden werden, um den Rest des Lastenausgleichs wenigstens teilweise zu finanzieren. Ich sehe hier Möglichkeiten, will sie aber hier im Plenum nicht ausbreiten, weil es längerer Erörterungen bedürfte.
Meine Damen und Herren, wir predigen überall die gemeinsame Verantwortung aller Demokraten, bei der Terrorismusbekämpfung, in der Finanz-, in der Steuer- und in der Wirtschaftspolitik. Wir sollten die Gemeinsamkeit der Fraktionen vor allem dann üben, wenn es darum geht, den Menschen, die noch als Opfer des Krieges und der Nachkriegszeit unter uns leben und sich keine weitere, neue Existenz schaffen können, weil sie zu alt sind, zu helfen, daß sie einen einigermaßen zufriedenstellenden Lebensabend verbringen können. Es sind Menschen, die nicht wegen jeder Kleinigkeit zu einem Amt laufen und Leistungen fordern, sondern die ihr Schicksal tragen. Nach dem Verlust der Heimat auch noch die materielle Not, das wollen wir diesen Menschen nicht zumuten. Wir bitten deshalb die anderen. Fraktionen in diesem Hause, in den Ausschüssen mit uns zusammen die Strukturverbesserungen in der Lastenausgleichsgesetzgebung so zu beraten, daß wir zu einem menschlich vertretbaren Ergebnis kommen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Wittmann hat hier zur Begründung der beiden Entwürfe der Union ein paar Ausführungen gemacht, denen ich aus meiner Sicht begegnen will. Zunächst einmal, Herr Kollege Dr. Wittmann, ist es schlechterdings unverständlich, wie Sie davon sprechen können, daß die Verbesserungen zwischen 1969 und 1978 für diesen Personenkreis bei der Unterhaltshilfe, die sich auf rund 123 % beziffern,
({0})
durch Inflation aufgezehrt worden sein sollen. Dies ist doch wohl niemandem deutlich zu machen. Wenn Sie das dann vielleicht auch noch in die Zukunft hinein verlängern und an die 2,2 % Preissteigerung denken, die wir zwischenzeitlich erreicht haben, dann wird das nahezu lächerlich.
({1})
Ich möchte mich mit allem Nachdruck und mit aller
Entschiedenheit dagegen verwahren, daß Sie hier
den Eindruck zu suggerieren versuchen, diese BunJaunich
desregierung und die sie tragenden Fraktionen betrieben eine negative Weiterführung der Lastenausgleichsgesetzgebung.
({2})
- Herr Müller, mit denen spreche ich.
({3})
- Sie werden doch wohl noch rechnen können. Rechnen Sie doch bitte die Prozentsätze dagegen, die bei den Preiserhöhungen eingetreten sind. Sie können dann doch nicht allen Ernstes eine solche Bewertung aufrechterhalten wollen.
Sie haben zum Schluß Ihrer Ausführungen gesagt, daß wir mit dieser Gruppe unseres Volkes, die ein so schweres Schicksal hinter sich hat, nicht leichtfertig umgehen sollten. Dabei haben Sie u nsere volle Unterstützung. Wir gehen mit diesem Personenkreis nicht leichtfertig um. Wir lassen aber auch nicht zu, daß hier Versprechungen offeriert werden, die nicht einzuhalten sind; wir lassen nicht zu, daß so mit diesem Personenkreis Schindluder getrieben wird.
Was die Lastenausgleichsgesetzung anlangt, so haben wir derzeit eine Inflation von Gesetzentwürfen. Im Bundesrat liegen aus drei Bundesländern Gesetzentwürfe vor. Ich möchte nur einen erwähnen, den Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen, der ja, wenn man das einmal durchrechnet, finanzielle Auswirkungen von mehr als 1 Milliarde DM haben wird. Er wird im Bundesrat nur mit spitzen Fingern angepackt. Dieser Entwurf ist durch das Land Niedersachsen am 10. Mai dieses Jahres eingebracht worden, in einer sehr peinlichen Nähe zu den niedersächsischen Landtagswahlen. Hier wird auf dem Rücken einer Personengruppe Schindluder getrieben, die in der Tat ein schweres Schicksal hinter sich hat. Das sollten wir vermeiden.
({4})
Der dem Deutschen Bundestag vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/2078 sieht im wesentlichen die Verlegung des Anpassungstermins bei den Empfängern von Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich auf den 1. Januar jeden Jahres vor. Hierdurch wird die Übereinstimmung mit den Anpassungsterminen in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung wiederhergestellt. Dieser Zusammenhang ist wohl auch unbestritten notwendig, da die sozialliberale Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen im Jahre 1972 entsprechend ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen für 400 000 Berechtigte auch die Altersversorgung im Lastenausgleich der jährlichen Dynamisierung zugeführt haben. In diesem Sinne werden seitdem die gesetzlichen Renten, die Kriegsopferrenten und die Unterhaltshilfen aus dem Lastenausgleich einschließlich ihrer Zuschläge in gleicher Höhe angehoben.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die Unterhaltshilfeempfänger im Lastenausgleich fast 20 Jahre lang nur in jedem zweiten Jahr eine Erhöhung ihrer Renten erhielten und in dem dazwischenliegenden Jahr nur die sogenannten Freibeträge erhöht wurden. Wir Sozialdemokraten haben zusammen mit den Freien Demokraten in der 25. Lastenausgleichsnovelle diesen unwürdigen Zustand beendet.
1972 - um einmal ein Beispiel zu nennen- erhielt ein alleinstehender ehemals Selbständiger einen Höchstbetrag von 370 DM. Heute erhält der gleiche Geschädigte 679 DM Unterhaltshilfe. Und da wollen Sie immer noch behaupten, das wäre durch Inflation aufgezehrt? Meinen Sie denn, daß alle, die das hören und lesen, nicht rechnen können?
({5})
Ein ehemals selbständiges Ehepaar erhielt 1972 672 DM, heute dagegen 1 101 DM. Das sind Erhöhungen, die mehr als 80 % in sechs Jahren ausmachen, ein Vielfaches also von den Preissteigerungsraten, die in dieser Zeit zu verzeichnen waren.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben damit den durch den Krieg und seine Folgen besonders hart Betroffenen, die als ehemals Selbständige im Osten, Südosten und in der DDR ihre Existenz und damit ihre Altersversorgung verloren haben, geholfen. Das kann nicht oft genug wiederholt werden, weil diese Leistungen leider allzu schnell vergessen oder häufig genug verschwiegen werden.
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist auch eine strukturelle Umgestaltung des am 1. Januar 1972 eingeführten Sozialzuschlages zur Unterhaltshilfe vorgesehen, die sich zugunsten dieser Berechtigten entsprechend auswirken wird. Der Sozialzuschlag wird angehoben, um zu vermeiden, daß die Unterhaltsempfänger mit niedrigen Renten noch zusätzlich Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen.
Verbesserungen werden auch für die Sowjetzonenflüchtlinge mit Vermögensschäden in der DDR vorgenommen, soweit sich Kürzungen in der Hauptentschädigung wegen des Erlasses von Vermögensabgabe ergeben haben.
Ich komme nunmehr zu dem Entwurf der CDU/ CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1532 und zu den gleichen oder ähnlichen Anträgen, die von den BLändern im Bundesrat eingebracht worden sind. Die Opposition sieht in ihrem Entwurf u. a. vor, rückwirkend zum 1. Juli dieses Jahres die Einsparungen, die sich durch die Verschiebung der Rentenerhöhung ergeben, durch Verbesserungen voll in Anspruch zu nehmen. Die Minderausgaben, die nach Berechnungen der Bundesregierung für 1978 mit 59 Millionen DM veranschlagt werden, sind es aber nicht allein. Wir alle und insbesondere die Geschädigten müssen wissen, daß die Verbesserun8462
gen, wie sie die Union der Öffentlichkeit vorstellt, viele Hundert Millionen DM kosten werden;
({6})
denn eine Rente im Lastenausgleich, die heute verbessert wird, wird auf dieser heute verbesserten, höheren Grundlage fortlaufend dynamisiert. Das müssen Sie in Ihre Berechnungen einbeziehen.
Wenn Sie, Herr Dr. Wittmann, in Ihren Ausführungen zum Schluß gesagt haben: Ich sehe da neue Finanzierungsquellen, die die Bürger nicht zusätzlich belasten - ja, weiß Gott, was soll es denn sein? Das ist doch ab 1980 fällig. Wird dann Manna vom Himmel regnen? Es wäre auch ganz nett, wenn Sie sich zu dieser Frage vielleicht ein wenig substantieller äußern wollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Czaja?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird!
Sie haben 15 Minuten Redezeit und keine Minute mehr.
Ich gestatte eine kurze Frage, bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß die eben von Ihnen genannten 59 Millionen DM Einsparungen nach Berechnung des Bundesfinanzministeriums für die Dauer von elf Jahren 59 Millionen DM jährlich ausmachen?
Es sind abflachende Beträge in den Berechnungen der Regierung genannt. Aber dies hat doch alles wenig Sinn: Sie versuchen hier den Eindruck zu erwecken, als wenn der Bundeshaushalt irgendwann einmal eintreten müßte; tatsächlich muß er es ab 1980. Der Herr Kollege Dr. Wittmann stellt sich hierhin und sagt: Da gibt es zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten, ohne daß wir die Bürger stärker belasten müssen. Da muß doch einmal klar gemacht werden, was. das bedeuten soll.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann? - Bitte schön.
Herr , Kollege, ist Ihnen entgangen, daß sich die Basisberechnungen hinsichtlich des Rückgangs der Zahl der Unterhaltshilfeempfänger verändert haben, so daß daher unter Umständen - das müßte noch genauer nachgerechnet werden; darum habe ich es nicht erwähnt - Einsparungen praktisch im Ausgleichsfonds erfolgen?
Sollen das Ihre zusätzlichen Finanzierungsinstrumente sein?
({0})
Das ist in der Tat interessant. Darüber läßt sich trefflich reden.
({1})
- „Unter anderem"! Da kommt schon wieder so eine vage neue Behauptung. Unseriös, für unsere Beratungen sicherlich nicht als Grundlage zu gebrauchen!
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Wir werden im federführenden Ausschuß noch Gelegenheit haben, hierüber eingehend zu debattieren.
Sie wollen eine Verbesserung der Anrechnungsbestimmungen für Miet- und Kapitaleinkünfte bei der Unterhaltshilfe. Eine solche Erhöhung der Freibeträge würde doch dazu führen, daß sich der Unterschied in der Behandlung von Personen, die allein auf die Unterhaltshilfe angewiesen sind, gegenüber solchen, die daneben noch über Einkünfte der genannten Art verfügen, vergrößert. Um diese sozialpolitisch unausgewogene Sache an einem Beispiel darzustellen, möchte ich folgendes bemerken. Ein Landwirt oder Gewerbetreibender hatte das Glück, sich nach 1945 ein Eigenheim mit einer oder mehreren Wohnungen bei zum Teil sehr günstiger Finanzierung zu beschaffen. Er muß ja deswegen nicht unbedingt fleißiger gewesen sein als ein anderer, der . durch Umstände bedingt nicht dazu in die Lage versetzt worden ist, so daß Ihr Argument, wir würden hiermit dem Fleißigen nicht das ihm Zustehende geben wollen, doch in die Leere geht. Sie können nicht ernsthaft davon ausgehen, daß jedermann, wenn er nur gewollt hätte, in gleicher Weise hätte zur Eigentumsbildung beitragen können. Der eine hat also zusätzliche Einnahme aus Miete oder Pacht und der andere hat dies nicht. Und wir, die wir solche Ungerechtigkeiten nicht in Kauf nehmen wollen, werden von Ihnen - das war ja auch nicht anders zu erwarten - deswegen sozialistischer Gleichmacherei gescholten. Wir alle fordern täglich von unseren Bürgern Eigeninitiative. Wir haben diesen Grundsatz in jahrzehntelanger Arbeit im Wohnungsbau, in der Landwirtschaft, im Gewerbe und überall mit günstigen Zins- und Tilgungsbedingungen realisiert. Dies soll und wird auch so bleiben, wie die Bundesregierung dies für die mittelständische Wirtschaft, für die Aussiedler, für die Zuwanderer aus der DDR gerade in den letzten Jahren immer wieder bewiesen hat.
Wir Sozialdemokraten stehen seit mehr als 115 Jahren in der Verpflichtung, sozial- und gesellschaftspolitisch ausgewogeh bestmöglich zu helfen. Hierin unterscheiden wir uns wahrscheinlich von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition. Wir haben die Solidargemeinschaft aller ehemals Selbständigen und Unterhaltsempfänger im Auge und können aus diesen Gründen nicht einzelne weiter fördern und anderen nichts dazugeben.
({3})
Aber natürlich.
Das Anliegen der Opposition auf der Drucksache 8/1518, die Antragsfrist für Aussiedler und Zuwanderer aus der DDR bezüglich notwendiger Darlehen auf zehn Jahren auszudehnen, ist eine Notwendigkeit, die von der Sache her begründet ist, wie sich zwischenzeitlich herausgestellt hat. Wir haben uns bereits vor Monaten, ehe der Entwurf der Unionsfraktionen vorlag, in Gesprächen mit Beteiligten und Betroffenen daraufhin dafür ausgesprochen.
({4})
- Ich habe gesagt: bevor Ihr Entwurf vorlag.
({5})
- Ich kann Ihnen sogar meinen Terminkalender zur Verfügung stellen, wenn Sie das wollen, aus dem hervorgeht, wo und. mit wem ich entsprechende Gespräche geführt habe.
({6})
- Daß ich gesagt habe, wir werden dafür eintreten, diese Frist von fünf auf zehn Jahre zu verlängern.
({7})
Die Bundesregierung, der im Gesetzgebungsverfahren durch den Bundesrat ein entsprechender Vorschlag zugegangen ist, hat in ihrer Gegenäußerung zugesagt, daß sie dies tun wird, daß sie dies im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aufgreifen wird. Wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die freidemokratische Bundestagsfraktion werden bei den Beratungen im Innenausschuß entsprechende Anträge hierzu einbringen.
({8})
- Ach, wissen Sie, wenn das alles so furchtbar wichtig und nötig ist - und ich bestreite die Notwendigkeit gar nicht -, dann muß ich Sie fragen: Warum haben Sie vieles von dem, was Sie heute lautstark beklagen, in der Vergangenheit nicht längst selbst realisiert?
Ich muß zum Schluß kommen.
({9})
- Ich glaube schon, daß Ihnen das. nicht schmeckt. Aber, meine Damen und Herren, der Feststellung:
Die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden. Die Finanzlage des Bundes beweist, daß wichtige Aufgaben der Zukunftsvorsorge sträflich vernachlässigt würden, wenn die kommenden Jahre durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet würden. Auch die geltenden Regelungen müssen mit dem Ziel überprüft werden, die Ausgabeverpflichtungen mit der Einnahmeentwicklung des Bundes in Einklang zu bringen
müßten Sie doch auch heute noch verpflichtet sein;
denn es war die Feststellung von Bundeskanzler
Kiesinger in seiner Regierungserklärung vom
16. Dezember 1966, die er seinerzeit im Benehmen mit dem damaligen Finanzminister Strauß und dem damaligen Bundesvertriebenenminister Herrn von Hassel abgegeben hat. Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich doch bitte dessen, was Sie auf diesen Personenkreis bezogen in der Vergangenheit gesagt haben!
Lassen Sie uns in aller Ruhe und Sachlichkeit die nötigen Beratungen, wie vom Ältestenrat vorgeschlagen, im Innenausschuß - federführend - sowie - mitberatend - im Haushaltsausschuß zügig führen. Ich beantrage für meine Fraktion entsprechende Überweisung.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte eingangs feststellen, daß die FDP-Bundestagsfraktion nach wie vor den Beschluß des Bundeskabinetts vom 6. März 1974 stützt, wonach die Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgengesetzgebung grundsätzlich als abgeschlossen betrachtet werden muß.
({0})
Diese Auffassung ist auch von der Mehrheit des Deutschen Bundestags anläßlich der Beratungen zum 28. Lastenausgleichsgesetz zum Ausdruck gebracht worden. Aber, Herr Kollege Wittmann, wenn ich dazu gleich eine Anmerkung machen darf, auch zu Ihren Überlegungen zu den Verschlechterungen, die Sie meinen konstatieren zu müssen und die wir zurückweisen, dann darf ich einmal die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 des damaligen Bundeskanzlers Kiesingers im Einvernehmen mit Finanzminister Strauß und seinem Vertriebenenminister von Hassel zitieren. Mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich, Herr Kollege Wittmann:
({1})
Die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden. Die Finanzlage des Bundes beweist, daß wichtige Aufgaben der Zukunftsvorsorge sträflich vernachlässigt würden, wenn die kommenden Jahre durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet würden. Auch die geltenden Regelungen müssen mit dem Ziel überprüft werden, die Ausgabeverpflichtungen mit der Einnahmeentwicklung des Bundes in Einklang zu bringen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
({0})
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß dies eine volle Bestätigung der wiederholt vom Finanzminister Strauß zum Ausdruck gebrachten Erklärung ist, daß durch ein Schlußgesetz
die Lastenausgleichsgesetzgebung abgeschlossen werden muß?
Das haben Sie damals erklärt. Das war immerhin 1966, wenn ich das anmerken darf. In der Zwischenzeit haben Sie keine zusätzlichen Überlegungen gebracht, was hier nun verbessert werden und was tatsächlich geschehen soll.
({0})
Ich möchte festhalten, Herr Kollege Czaja, daß die Überlegung, daß Sie hier zusätzliche Mittel herein-fließen lassen wollen, auch zu Lasten des Bundes im Hinblick auf seine Bürgschaftsverpflichtung geht; der Bund haftet dafür. Dies ist damals in der Regierungserklärung ganz klar ausgeschlossen worden; denn hier werden die finanziellen Folgen angesprochen.
({1})
Meine Damen und Herren, in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf weist die Bundesregierung noch einmal ausdrücklich auf ihren Grundsatzbeschluß von 1974 hin und führt weiter aus, daß diese grundsätzliche Aussage allerdings für den Bereich der Kriegsschadensrente nicht gelten könne - diese Meinung teilen wir voll -, „soweit bei dieser noch über Jahrzehnte hinaus laufenden Leistung Anpassungsmaßnahmen - insbesondere an Entwicklungen in anderen Bereichen des Sozialhilferechts - unabweisbar werden". Die Notwendigkeit der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Anpassung ergibt sich für uns zwingend auch aus der mit dem Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz vollzogenen Hinausschiebung des Zeitpunktes, zu dem jeweils die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzupassen sind, um ein halbes Jahr ab 1978. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet hier im wesentlichen die Übereinstimmung des Anpassungstermins für die Kriegsschadensrente mit dem Anpassungstermin in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung durch Vorverlegung des Anpassungstermins. In diesem Zusammenhang schlägt die Bundesregierung gleichfalls die Beseitigung von ungewollten Härten vor allem beim Sozialzuschlag zur Unterhaltshilfe vor.
Die FDP-Fraktion stimmt diesen Überlegungen voll zu. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß diese notwendigen Folgeänderungen - die, die sich ausschließlich aus dieser Anpassung ergeben - entsprechend Berücksichtigung finden müssen.
Die erste Lesung von Gesetzentwürfen ist sicherlich nicht der Zeitpunkt, in dem alle Einzelheiten der vorgeschlagenen Regelung vorgetragen werden sollen; denn wenn ich es recht sehe, wollen wir ja die Ausschüsse mit den Einzelheiten beschäftigen, um vielleicht noch eine oder andere Überlegung zusätzlicher oder abändernder Art hier gemeinsam zu prüfen und zu beraten.
Soweit die CDU/CSU in ihrem Gesetzentwurf zur Fortsetzung der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen eine Verlängerung der Antragsfrist in § 323 Abs. 8 des Lastenausgleichsgesetzes
vorschlägt, hat die Bundesregierung ihre Meinung durch ihre Zustimmung zur Stellungnahme des Bundesrates bereits zum Ausdruck gebracht, wenn ich das auch im Hinblick auf die vorangegangene Zwischenfragenkontroverse in der Rede meines Vorgängers noch einmal sagen darf. Wir teilen diese Überlegung und meinen, daß die Verlängerung der Antragsfrist für Darlehen tatsächlich dringend geboten ist, weil innerhalb von fünf Jahren eben der Erwerb von Hausbesitz oder die Eingliederung in Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft nicht möglich ist.
({2})
Die Frist für die Aufbaudarlehen zu verlängern ist sicher ein berechtigtes Anliegen.
Anders dagegen sieht es mit den Anträgen der CDU/CSU-Fraktion aus. Wir meinen, daß die Erhöhung der Freibeträge auch für diejenigen, die schon Haus- und Grundbesitz haben, nicht gerechtfertigt ist. Eine weitere, zusätzliche Förderung wäre gegenüber denjenigen, die noch keinen Besitz haben, unausgewogen und damit auch nicht sozial. Das ist überhaupt keine Gleichmacherei, Herr Kollege Wittmann, sondern das ist einfach eine berechtigte Differenzierung bei diesen Positionen,
({3})
um hier nicht zu weiteren Ungleichheiten zu kommen.
Wir meinen dabei allerdings auch, daß die Notwendigkeit für eine entsprechende Änderung im Bundesvertriebenengesetz für den aus bäuerlichen Verhältnissen stammenden Spätaussiedler geprüft werden muß. Der FDP-Fraktion erscheint es jedenfalls sinnvoll, die Änderung von § 46 des Bundesvertriebenengesetzes im Hinblick auf die Verlängerung der Aufbaudarlehensfristen mit in die Überlegungen einzubeziehen.
Zum Schluß darf ich noch einmal feststellen, daß wir die Überlegungen in den Ausschußberatungen sorgfältig prüfen werden, allerdings auch sehr sorgfältig, Herr Kollege Wittmann, die finanziellen Auswirkungen und Ihre doch etwas geheimnisvollen Finanzierungsvorschläge. Sie haben auf die Ausschußberatungen verwiesen. Nun gut, wir sind gespannt, wie Sie im Ausschuß Ihre Überlegungen darlegen werden.
Wir Freien Demokraten meinen, daß die Vertriebenen und die Flüchtlinge einer der stabilsten Faktoren beim Wiederaufbau unseres Landes und bei der Errichtung dieses freiheitlichen Bundesstaates gewesen sind. Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, ihr Wohlstand und ihr sozialer Friede sind von dem Beitrag der Vertriebenen und Flüchtlinge nicht zu trennen. Wir können aber nicht alle Verluste ausgleichen, und wir können auch die finanziellen Kräfte unseres Landes für bestimmte Bereiche nicht auf Dauer überspannen. Über 30 Jahre nach Abschluß des Krieges können auch im Lastenausgleich nur noch kleinere Korrekturen in Betracht kommen. Dafür werden, glaube ich, alle Verständnis haben müssen. Wir meinen, daß diese kleineren
Wolfgramm ({4})
Korrekturen, die heute zur Debatte stehen und zu denen wir unser Pro und Kontra hier grundsätzlich gesagt haben, im Interesse der Betroffenen eine zügige Beratung und Verabschiedung der Novelle erfordern.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/1532 und 8/1518 dem Innenausschuß - federführend - und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung sowie den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2078 dem Innenausschuß - federführend - und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügert in Bund und Ländern ({0})
- Drucksache 8/2075 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({1})
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen heute erleben, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt, der von den die Regierung tragenden Fraktionen von SPD und FDP in wichtigen Bereichen abgelehnt wird. Es scheint - dies zeigt sich an diesem Gesetzentwurf besonders deutlich - System zu werden, Verschlechterungen vorzusehen, anschließend zurückzunehmen und dann der staunenden Öffentlichkeit zu verkünden, wie wohlwollend man mit dem Bürger umgeht.
Im Sommer erlebte man den ersten Akt dieses Schauspiels. Nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hatte, daß kinderreiche Familien im öffentlichen Dienst finanziell unzureichend ausgestattet werden, wollte man dem Urteil kostenneutral über den Ortszuschlag Rechnung tragen. Der Ortszuschlag der Stufen 1 bis 4 sollte nur um 3,5 % statt um 4,5 % erhöht werden. Diese Maßnahme wäre eine erneute soziale Untat dieser Regierung gewesen. Sie hätte gerade die Bezieher kleiner Einkommen und die Versorgungsempfänger besonders hart getroffen.
Auf energische Proteste der CDU/CSU, des Beamtenbundes und der Gewerkschaften wurden plötzlich auch die Frakionen der SPD und der FDP einsichtig. Nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln", womit man, nebenbei bemerkt, die gesamte Regierungspolitik überschreiben könnte, erfolgte die Anpassung um insgesamt 4,5 % die wir begrüßen.
Sicherlich betraf das Verfassungsgerichtsurteil nicht nur den öffentlichen Dienst, auch wenn es, rechtlich gesehen, eine Entscheidung war, die sich nur auf Beamte, Richter und Soldaten bezog, da die Verfassungsbeschwerde aus diesem Personenkreis vorgebracht wurde. Es stellt vielmehr ein vernichtendes Urteil über die gesamte Familienpolitik dieser Regierung dar. Was wäre wohl geschehen, wenn das Verfassungsgerichtsurteil in dieser Form nicht gekommen wäre? Wahrscheinlich überhaupt nichts in diesem Bereich!
({0})
Die Regierung muß sich in diesem Zusammenhang die Frage gefallen lassen, wie sie überhaupt zum geltenden Recht steht. Die Reihe der für die Regierungsqualität bezeichnenden Urteile brauche ich wohl nicht im einzelnen aufzuzählen.
({1})
- Soll ich sie alle zitieren? - Zum Glück - ich sage das als Nichtjurist - haben wir noch ein unabhängiges Verfassungsgericht, das manchen Reformern wieder einmal die Verfassungswirklichkeit in das Bewußtsein zurückruft.
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Der zweite Akt des Schauspiels begann für die Öffentlichkeit sichtbar vor wenigen Tagen. Offensichtlich wegen der Nähe der Landtagswahlen in Hessen und Bayern, wegen drohender Protestaktionen und dem damit eventuell verbundenen Verlust von Wählerstimmen erfolgte eine Kehrtwendung von dem von Koschnick so stark propagierten Konzept der Absenkung der Anwärterbezüge. Erinnern wir uns: Im vergangenen Jahr stellten während der Beratungen zum Sechsten Bundesbesoldungserhöhungsgesetz die Koalitionsparteien den Antrag, die Anwärterbezüge zu senken. Wir haben damals nicht zugestimmt. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten, was der Kollege Berger für die CDU/ CSU bei der Beratung des Sechsten Bundesbesoldungserhöhungsgesetzes am 16. Juli 1977 ausführte:
Wir werden daher den Gesetzentwurf ablehnen, wenn die Koalition an ihrem Vorhaben zur Neuregelung der Anwärterbezüge festhält.
Zum Glück haben die unionsregierten Länder letztlich die Realisierung des Regierungsvorhabens über den Bundesrat verhindert.
In diesem Jahr kam auf Grund einer Empfehlung des Vermittlungsausschusses das Thema erneut auf den Tisch. Der vorgelegte Entwurf hätte in der Verwirklichung die Beamtenanwärter auf den Status von Schülern und Studenten zurückgestuft, obwohl die Betätigung der Anwärter in weiten Bereichen durch aktive praktische Mitarbeit geprägt ist und hierin gerade ihre Vorbereitung auf die Berufsausübung besteht. Darüber hinaus wäre eine weitere Nivellierung erfolgt.
Zwar wollte man mit den eingesparten Geldern Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst schaffen. Aber arbeitsmarktpolitische Erwägungen in Ver8466
bindung mit besoldungspolitischen Überlegungen zu bringen ist nach meiner Auffassung mehr als problematisch. Mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, ist sicher Aufgabe nicht nur der freien Wirtschaft, sondern auch der öffentlichen Hand. Allerdings erwarte ich dabei von der Bundesregierung eine klare Aussage über Art und Zahl dieser zusätzlichen Ausbildungsplätze. Gleichzeitig erwarte ich die Aussage, was mit den eventuell zuviel ausgebildeten Kräften geschehen soll, die nicht im öffentlichen Dienst verbleiben können. Als Umschüler von morgen wären mir nämlich die Anwärter von heute zu schade.
Wieder einmal hat sich also gezeigt, wer die richtige Einschätzung der politischen Sachfragen besitzt. Hätten CDU und CSU nicht im vergangenen Jahr die Absenkung der Anwärterbezüge verhindert, wäre sie bereits 1977 durch SPD und FDP beschlossen worden.
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Die jetzt festzustellende, offensichtlich göttliche Eingebung bei den Fraktionen des Regierungslagers wäre folglich viel zu spät gekommen.
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- Immerhin - das attestiere ich - göttlich.
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- Der Dienstmann Aloysius; ja. Er ist also offenkundig nicht nur in München tätig.
Darüber hinaus zeigt der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf erneut, daß sachfremde Erwägungen in besoldungspolitische Entscheidungen einbezogen werden, die letztlich die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes nicht nur zunehmend gefährden, sondern auch zu einer Aushöhlung des Berufsbeamtentums führen können.
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- Ich weiß nicht, wer es war. Wenn Sie sich zu den Bösen zählen - ich überlasse es Ihnen.
Die CDU/CSU wird allen Bestrebungen, die die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gefährden, zum Wohl der Bevölkerung entschlossen entgegentreten. Hier darf ich, weil gerade in jüngster Zeit von führenden Politikern der SPD erneut die Diskussion darüber eröffnet wurde, unsere Haltung zum sogenannten Extremistenbeschluß zum Ausdruck bringen. Verfassungsfeinde haben im öffentlichen Dienst nichts zu suchen. Beamte müssen nach den bestehenden Gesetzen dienen und dürfen nicht dagegenarbeiten. Systemveränderer mit Pensionsanspruch sind für uns indiskutabel.
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Außerdem müssen wir immer wieder erleben, daß gerade aus SPD-Kreisen abwertende Äußerungen über den öffentlichen Dienst gemacht werden.
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- Habe ich hier das Wort? - Sicher gibt es wie
überall auch im öffentlichen Dienst das eine oder
andere schwarze Schaf. Es verdient aber festgestellt zu werden, daß wir in Deutschland eine leistungsfähige Beamtenschaft haben, die oft unter schwierigsten Bedingungen, bei Wind und Wetter, unter Einsatz ihres Lebens Dienst leistet. Daß die Beamten dabei u. a. Gesetze ausführen und vor dem Bürger begründen müssen - die Gesetze, die gerade in jüngster Zeit in so reichem Maß unter der SPD/FDPStabführung produziert wurden -, möchte ich nur am Rand erwähnen. Ich hoffe, daß die Beamtenschaft aus der Bevölkerung heraus bald wieder die Anerkennung findet, die ihr gebührt, nämlich ein unverrückbarer Bestandteil unserer freiheitlichen Gesellschaft zu sein, der krisenfest die Ordnung sicherstellt.
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Leider vermissen wir auch in dem vorgelegten Gesetzentwurf eine gerechte Berücksichtigung der Ruheständler. Unter anderem hat es die Regierung schon seit Jahren versäumt, den in den Mindestversorgungsbezügen enthaltenen Festbetrag in die Anpassung einzubeziehen. Es ist für die CDU/CSU eine Selbstverständlichkeit, daß diejenigen, die ein Leben lang diesem Staat treu gedient und ihre Arbeitskraft für ihn eingesetzt haben,. im Alter auch eine gerechte, angemessene und angepaßte Versorgung erhalten.
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Sozialistisches Gedankengut - und ich hoffe nicht, daß dies hier zum Ausdruck kommen soll -, wonach die nicht mehr produktiv Tätigen nicht soviel wert sind wie die noch produktiv Tätigen, lehnen wir nachdrücklichst ab.
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Auch vermissen wir die Einlösung der schon seit Jahren gegebenen Zusagen zur Beseitigung der sozialen Härten und Mißstände im Bereich der 131erGesetzgebung und des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes.
Es wäre sicher auch nötig gewesen, die im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes von 1975 vorgenommene Heraufsetzung der Altersgrenze von 62 auf 63 Jahre für freiwillige Zurruhesetzungen wieder zurückzunehmen. Damit wäre nicht nur eine Gleichschaltung mit den Ländern erreicht, sondern gleichzeitig auch einer arbeitsmarktpolitischen Notwendigkeit Rechnung getragen worden. Durch die Wiederherstellung des Rechtszustandes vor dem Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes könnten durchaus auch im öffentlichen Dienst zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. Im Laufe der Beratungen werden wir auf diese Problematik noch zurückkommen.
Die CDU/CSU begrüßt - und dies darf ich abschließend feststellen - die Einsicht der Koalitionsfraktionen im Bereich des Ortszuschlages und der Anwärterbezüge. Wir hoffen aber auch darauf, daß der jetzt kundgetane Sinneswandel noch bis zu den
Beratungen im Innenausschuß anhält und nicht eine erneute Kehrtwendung festzustellen ist.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Bezüge der Beamten, Richter und Soldaten sowie der Versorgungsempfänger des Bundes, der Länder und der Gemeinden an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse, so wie es § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes vorsieht, angepaßt werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Anhebung von Grundgehalt und Ortszuschlag um 4,5 %. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf sah die Bundesregierung vor, daß die Ortszuschläge in den Stufen 1 bis 4 nur um 3,5 v. H. erhöht werden sollten. Bezüglich der Stufe 5 und aller höheren Stufen des Ortszuschlages wurden gleichzeitig durch Ergänzungsbeträge für das dritte und jedes weitere Kind Folgerungen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 gezogen.
Die Einbringung des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes führt zu einer anderen Beurteilung dieser Lage. Darauf werde ich nachher näher eingehen.
Der Entwurf sieht auch vor, für neu eintretende Anwärter durch eine progressive Absenkung der Anwärtergrundbeträge, die sich in den einzelnen Laufbahnen unterschiedlich auswirkt, eine Regelung auf der Grundlage der Entschließung des Vermittlungsausschusses vom 5. Oktober 1977 zu treffen.
Hierzu ist zu bemerken: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht es als vordringliche Aufgabe an, auch den jetzigen geburtenstarken Jahrgängen eine qualifizierte Ausbildung zu gewährleisten und ihnen zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen.
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Sie wird im Anschluß an die Ergebnisse der im Auftrag der Regierungschefs von Bund und Ländern am 4. November 1977 eingesetzten Bund-LänderArbeitsgruppe prüfen, durch welche Maßnahmen die Aufnahmefähigkeit des öffentlichen Dienstes wirksam erhöht werden kann. Dabei müssen ausgewogene Gesamtlösungen angestrebt und einseitige Belastungen vermieden werden.
Die Entscheidungen über eine etwaige Neuregelung der Anwärterbezüge können deshalb nur im Zusammenhang und nicht isoliert in diesem vorliegenden Gesetzentwurf behandelt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hält es daher für erforderlich, die Beratungen darüber zurückzustellen.
Korrekturen in den Bereichen der Mindestversorgung, beim Zusammentreffen von Einkommen und Pension, der Anrechnungsformel beim Bezug von zwei Pensionen im Witwen-Fall und der Unfallentschädigung werden im Innenausschuß im einzelnen beraten werden müssen.
Es erscheint uns auch notwendig, das Gesetz um den Inhalt des gleichzeitig vorgelegten Gesetzes zur Senkung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbeschädigte zu ergänzen.
Die Bundesregierung hat sich in dem vorliegenden Entwurf, der nachher in wesentlichen Punkten geändert wurde, darum bemüht, dem Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 nachzukommen. Wir respektieren die Verbindlichkeit des Beschlusses. Wir sehen eine Regelung vor, die dem Beschluß materiell entspricht und damit die Frage befriedigend löst.
Der Beschluß vom 30. März 1977 verdient es, daß wir hier im Bundestag einiges zu den tragenden Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts sagen, wobei ich vorweg feststellen darf: Das Bundesverfassungsgericht hat die familien-, sozial- und steuerpolitische Konzeption des Familienlastenausgleichs nicht in Frage gestellt. Trotzdem kommt das Verfassungsgericht zu zwei tragenden Leitsätzen, die ich vortragen will. Unter Nr. 3 heißt es:
Art. 33 Abs. 5 GG, der heute auch im Zusammenhang mit den in Art. 6 GG und im Sozialstaatsprinzip enthaltenen Wertentscheidungen der Verfassung zu sehen ist, verlangt, daß in der Lebenswirklichkeit die Beamten ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Familie ,sich annähernd das gleiche leisten' können.
Unter Nr. 4 heißt es:
Die derzeitigen Dienstbezüge der Beamten und Soldaten mit mehr als zwei Kindern in allen Besoldungsordnungen und -gruppen gewährleisten diesen nicht mehr ein auch nur annähernd gleiches Lebensniveau wie ihren nicht durch die Kosten der Unterhalts und der Schul- und Berufsausbildung der Kinder belasteten ranggleichen Kollegen.
Nun, meine Damen und Herren, das muß im einzelnen betrachtet werden. Nach Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes ist das Recht des öffentlichen Dienstes „unter Berücksichtigung der hergebrachten, Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln". Art. 33 besteht nicht für sich allein. Wir sind mit dem Bundesverfassungsgericht der Auffassung, daß sich die Verfassung als ein, wie das Verfassungsgericht sagt, „auf innere Widerspruchsfreiheit angelegtes Sinnganzes" darstellt; so die wörtliche Formulierung des Gerichts. Im vorliegenden Fall bedeutet dies - auch hier folgen wir dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -, daß bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 5 „Wertentscheidungen, die aus anderen Bestimmungen der Verfassung zu entnehmen sind, Rechnung zu tragen" ist. Um es deutlich zu sagen: Dies bezieht sich auf die Art. 3, 6 und 20 des Grundgesetzes. Art. 3 bestimmt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Art. 6 stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Art. 20 bestimmt, daß die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist. Die erwähnten Bestimmungen
Dr. Schäfer ({1})
gelten für alle Bürger. Die Gesetzgebung muß deshalb so gestaltet sein, daß sie unter Beachtung dieser Bestimmungen allen Bürgern gerecht wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1962 entschieden, daß die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht schlechthin durch Art. 33 Abs. 5 für gültig erklärt sind, daß sie vielmehr nur zu berücksichtigen sind, wo sie mit den Funktionen vereinbar sind, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibt.
1958 sagte das Bundesverfassungsgericht ganz richtig:
Das Grundgesetz beläßt mithin in Art. 33 Abs. 5 dem Bundesgesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum, um die Beamtengesetzgebung den Erfordernissen des freiheitlichen demokratischen Staates und seiner fortschrittlichen. Entwicklung anpassen zu können.
Im gleichen Sinne hatte sich Grewe vor dem 39. Deutschen Juristentag dazu geäußert. Wir werden zu prüfen haben, ob das Verfassungsgericht in dem, was es jetzt ausspricht, seiner eigenen früheren Rechtsprechung gerecht wird. Denn hergebrachte Grundsätze berücksichtigen heißt nicht, frühere Regelungen verbindlich zu übernehmen. Es kann auch nicht heißen, daß es für die Beamten einen öffentlich-rechtlichen Besitzstand geben kann. Es ist auch nicht zulässig, Grundsätze zu entwickeln, die mit unserer Gesamtverfassung nicht im Einklang stehen können.
Wir anerkennen das Berufsbeamtentum. Wir wollen, daß es seine Funktion erfüllen kann. Die Beamten selbst wollen keine Privilegien; sie sind ein integrierter Teil unserer Gesellschaft. Alles staatliche Handeln ist .eine Tätigkeit, die notwendigerweise innerhalb der gesamten Gesellschaft erfolgt, um dem einzelnen Bürger Entfaltungsmöglichkeiten zu geben und um die öffentliche Wohlfahrt zu fördern. Die Tätigkeit des Staates und damit die der Beamten steht immer in Bezug zum privaten Handeln. Sie ist nicht höherrangig, sondern gleichrangig. Die Leistung des Beamten ist für das Funktionieren unserer gesamten Gesellschaft und Wirtschaft genauso erforderlich wie die Leistung jedes anderen Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz. Jede Entwicklung, die einen Sonderstatus, der nicht im Einklang mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung steht, einleiten könnte, muß daher korrigiert werden.
Von daher gesehen muß ich auf einige Punkte des Gerichtsbeschlusses eingehen. Das Gericht sagt wörtlich:
Die wechselseitigen Ansprüche zwischen Dienstherrn und Beamten unterscheiden sich ihrer Art nach vom Anspruch auf Leistung und Gegenleistung innerhalb des entgeltlichen Arbeits- und Angestelltenvertrages und stehen sich vor allem in anderer Weise gegenüber, als sich Leistung und Gegenleistung im entgeltlichen Arbeits-und Angestelltenvertrag gegenüberstehen.
Ich akzeptiere, daß das Beamtenverhältnis nicht durch Vertrag begründet wird, und ich akzeptiere, daß das Entgelt nicht durch Tarifvertrag festgestellt wird, sondern durch Gesetz. Aber ich bin der Auffassung, daß der Beamte je nach seiner Qualifikation und der ihm übertragenen Funktion die dafür angemessene Bezahlung durch seinen Dienstherren zu erhalten hat. Nicht umsonst haben wir in der Besoldungsordnung in 27 Stufen, meine Damen und Herren, eine klare Unterscheidung der Leistung und der dafür zu gebenden Gegenleistung geschaffen. Ich bin nicht der Auffassung, daß es ausreicht, zu sagen - wie das Gericht es tut -, der Beamte habe „seine volle Arbeitskraft lebenslang dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen". Und: „Der Dienstherr habe vor allem die Pflicht, den Beamten und seine Familie lebenslang amtsangemessen zu alimentieren." Hier beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Begriff, der neu ist und den es dann weiterentwickelt, nämlich mit dem Begriff der Beamtenfamilie.. Es ist sehr interessant, für unsere ganze Gesellschaft interessant, was das Bundesverfassungsgericht bezüglich der Beamtenfamilie sagt. Es sagt, „daß heute nach allgemeiner Anschauung zu den Bedürfnissen, die der arbeitende Mensch" - hier Gott sei Dank noch allgemein gefaßt - „soll befriedigen können, nicht nur die Grundbedürfnisse des Menschen nach Nahrung, Kleidung und Unterkunft, sondern im Hinblick auf den allgemeinen Lebensstandard und die allgemeinen Verbrauchs-und Lebensgewohnheiten auch ein Minimum an ,Lebenskomfort' gehört, z. B. Ausstattung des Haushalts mit den üblichen elektrischen Geräten einschließlich seiner Unterhaltung, Radio- und Fernsehgerät samt laufender Kosten, Zeitungs- und Zeitschriftenbezug, Theaterbesuch und Besuch ähnlicher Veranstaltungen, Kraftwagen, Urlaubsreise, Bausparvertrag, Lebensversicherung und Krankenversicherung, Ausgaben für Fortbildung, soziale und politische Aktivitäten und vernünftige Freizeitbeschäftigung. Alimentation in der Wohlstandsgesellschaft", so wörtlich, „bedeutet mehr als Unterhaltsgewährung in Zeiten, die für weite Kreise der Bürgerschaft durch Entbehrung und Knappheit gekennzeichnet waren."
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß das, was das Gericht als angemessen aufzählt, für alle Familien angemessen sein soll, und nicht für die Beamtenfamilie.
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Für diejenigen, die davon sprechen, daß wir die Grenze des Sozialstaats erreicht hätten, ist hier eine interessante Aufzählung dessen, was wohl noch alles zu schaffen ist. Es kann keine Angemessenheit für Beamtenfamilien in dieser besonders herausgehobenen Art geben - das darf es nicht geben -, sondern nur eine Zielvorstellung, die, wie das Gericht zunächst ganz richtig sagt, für den „arbeitenden Menschen" gelten soll. Dazu zähle ich - darüber sind wir uns einig; ich sehe es auch aus Ihrem Beifall - alle Bürger dieses Landes. Hier ist der erste uns alle sehr beschäftigende Punkt, wo ich sage: Wir müssen unsere politische Auffassung hier
Dr. Schäfer ({3})
deutlich sagen, damit das Verfassungsgericht nicht falsche Wege geht.
Das Verfassungsgericht fährt dann nämlich fort:
Führt eine Regelung eindeutig evidentermaßen dazu, daß die Familie wegen der größeren Zahl der Kinder und der mit ihrem Unterhalt und ihrer Erziehung verbundenen Ausgaben, also regelmäßig für die Jahre, in denen sie zum Haushalt gehören, auf den Abschluß eines Bausparvertrags, auf die Anschaffung der üblichen Haushaltsmaschinen, auf die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, auf Urlaub verzichten und sich im Zuschnitt ihres Privatlebens, beispielsweise bei dem Kauf von Bekleidung, Einschränkungen auferlegen muß, also in diesem Sinne bescheidener leben muß als der - beamten- und besoldungsrechtlich gleich eingestufte - ledige Beamte,
- der Maßstab ist also der ledige Beamte kinderlos verheiratete Beamte oder die Beamtenfamilie mit einem oder zwei Kindern, so ist der Grundsatz amtsangemessener Alimentierung für jene Familie mit größerer Kinderzahl verletzt.
Meine Damen und Herren, das heißt nichts anderes, als daß das Gericht eine Entwicklung in der Weise in Gang setzen will, daß der ledige Beamte für die Besoldung ausreichend eingestuft sein soll und daß die Kosten für die Kinder vom Staat voll zu tragen sind.
Aber es gibt eine Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfasssungsgerichts vom 23. November 1976. Dort ist folgendes gesagt:
Das in Art. 6 I GG enthaltene Gebot, die Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern, geht nicht soweit, daß der Staat gehalten wäre, jegliche die Familie betreffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Die individuelle, auch finanzielle Verantwortung der Eltern für ihre Kinder läßt die volle Berücksichtigung der Unterhaltsaufwendungen zu Lasten der Allgemeinheit und der Gesamtheit der Steuerzahler verfassungsrechtlich nicht als geboten erscheinen.
Und was sagt der Zweite Senat dazu? Er kommt zu der Schlußfolgerung, dieses Urteil des Ersten Senats könne nicht herangezogen werden, denn es handele sich dort nicht um Beamtenrecht, sondern um Sozialrecht.
Meine Damen und Herren, ich möchte hoffen, daß wir uns einig sind: Art. 6 des Grundgesetzes - Förderung der Familie - macht keinen Unterschied, ob der Staat die Familie im Beamtenrecht fördert oder ob er sie im Sozialrecht fördert, sondern der Art. 6 ist Art. 6 und steht unter der Überschrift „Grundrechte", nicht unter der Überschrift „Bund und Länder" - Art. 33 des Grundgesetzes -. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
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Dann fährt das Verfassungsgericht ganz richtig folgendermaßen fort. Es bestreitet nicht, daß das Steuerrecht - man muß sich beinahe wundern; man hat ja schon ein bißchen Angst, daß sie etwas anderes tun - gleichermaßen für alle gilt. Wir sind der Auffassung, daß auch die Sozialgesetzgebung gleichermaßen für alle gilt. Wenn allen Bürgern für ihre Kinder Kindergeld gewährt wird, dann erfolgt dies aus demselben Staatshaushalt, aus dem auch die Beamten besoldet werden.
Ich bin nicht der Auffassung, daß es dann, wie das Verfassungsgericht meint, einer rechtstechnischen Anrechnung des Kindergelds bedarf, sondern ich bin der Auffassung, daß wegen der Allgemeinverbindlichkeit des Kindergelds diese Regelung automatisch überall mitgerechnet werden muß.
Dies schließt letztlich das Bundesverfassungsgericht nicht aus, indem es sagt:
Leistungen, durch die dem Beamten wie allen Bürgern die Sorge für sich und seine Familie teilweise abgenommen wird, sind verfassungsrechtlich unproblematisch.
Aber dann sagt das Verfassungsgericht:
Die Angemessenheit des Unterhalts nach Maßgabe des Alimentationsprinzips muß im Beamtengehalt selbst gewährt werden.
Das vermag der normale Mensch nicht zu verstehen und nicht zu billigen.
Das Gericht fährt fort:
Will der Gesetzgeber gewisse, allen Bürgern in gleicher Weise zufließende Sozialleistungen auch dem Beamten zuwenden, so können diese nicht an die Stelle dieses Teiles der Beamtenbesoldung und -versorgung treten und Besoldung und Versorgung um diesen Betrag gekürzt werden, indem man bestimmt, daß und in welchen Umfang die Sozialleistung auf Gehalt und Versorgung anzurechnen ist. Die Besoldung des Beamten darf - auch hinsichtlich einzelner ihrer Bestandteile - nicht dem Gewährleistungsbereich des Art. 33 Abs. 5 GG entzogen werden.
Das Gericht beschäftigt sich dann rechnerisch - interessant, wenn ein Verfassungsgericht zu rechnen anfängt - mit dem Einkommen einiger Besoldungsgruppen. Das berührt mich einigermaßen sonderbar. Der Deutsche Bundestag hat am 28. März 1969 beschlossen, daß ein einheitlicher Familienlastenausgleich eingeführt werden soll. Das haben wir getan. Ich entnehme einer amtlichen Tabelle des Bundesfinanzministeriums, wie sich das dann ausgewirkt hat. Da sind die 50 DM Kindergeld weggefallen, da sind die stufenweisen Steuerbegünstigungen für Kinder und die Abzüge wie bei allen anderen weggefallen. Da haben die Beamten - wie alle anderen - Kindergeld bekommen.
Dr. Schäfer ({5})
Das wirkte sich dann folgendermaßen aus. Ich nehme jetzt den Stand von 1976. Damals wurden für das zweite Kind 70 DM und für das dritte Kind 120 DM gegeben. Das wirkte sich so aus, daß bei einem Einkommen von 1 500 DM nach der Neuregelung eine Familie mit drei Kindern 44,40 DM mehr bekam, eine Familie mit sechs Kindern 197 DM. Eine Familie mit 3 000 DM Einkommen bekam 17,50 DM mehr, mit sechs Kindern 142,40 DM. Eine Familie mit 5 000 DM Einkommen - das ist schon ganz ordentlich, das sind leider nicht so sehr viel - erhielt minus 5,50 DM - da ist das erste Mal eine Verringerung bei sechs Kindern gab es trotzdem noch eine Erhöhung.
In der Zwischenzeit ist das Kindergeld auf 120 DM erhöht worden und soll jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf 195 DM erhöht werden. Demnach sind die Zahlen, die ich eben genannt habe, überall um 95 DM zu erhöhen.
Das kann es also nicht sein, warum das Verfassungsgericht eine Verfassungswidrigkeit festgestellt hat. Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich bestätigt, daß es dem Gesetzgeber anheimgegeben sei, die früher bestehende Kindergeldregelung zu beseitigen, da es keine Verfassungsgarantie auf eine bestimmte Art von Besoldung gebe. Denn - so das Verfassungsgericht - es gebe keinen Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG, wonach die Besoldung des Beamten sich aus Grundgehalt, Kinderzuschlag und Ortszuschlag zusammensetzen müsse, auch keinen Grundsatz, wonach die Beamten einen besonderen Anspruch auf ausreichende Alimentation ihrer Kinder hätten. „Der Gesetzgeber kann die Struktur der Besoldungsordnung, kann die Struktur des Beamtengehalts, kann die . Zahlungsmodalitäten innerhalb des Rahmens, den die verfassungsrechtlich garantierte Alimentationspflicht zieht, jederzeit pro futuro ändern, insbesondere auch die Gehaltsbeträge, solange sie nicht an der unteren Grenze einer amtsangemessenen Alimentierung liegen, kürzen." So das Bundesverfassungsgericht. Es fährt dann fort: „Einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf Erhaltung des Besitzstandes in bezug auf ein einmal erreichtes Einkommen gibt es nicht". - Nun, ich sagte schon, wir erhöhen das Kindergeld.
Die Ausgestaltung des Begriffes „Alimentation" durch das Bundesverfassungsgericht gibt schon seit langem Anlaß - der Juristentag 1970 hat sich damit befaßt -, das Verfassungsgericht sehr nachdrücklich darum zu ersuchen, diesen Begriff erneut zu überprüfen. Den Begriff „Alimentation" hat das Verfassungsgericht ja auch bei einem Urteil verwendet, das uns angeht, bei dem Diätenurteil. Da ist auch der Begriff „Alimentation" aufgetaucht, und er kann doch nicht zweierlei bedeuten.
Ein sehr angesehener Verfassungsrichter hat dazu am 3. Mai dieses Jahres auf der Tagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen folgendes gesagt - das mache ich mir gar nicht zu eigen; ich sage es gleich -: „Als wir das Urteil gemacht haben, waren wir, was Alimentierung anbetrifft, ganz offensichtlich mit Dummheit geschlagen. Das
Wort ,Alimentierung hätte nie hineinkommen dürfen". Das sagt dieser Richter, das sage nicht ich.
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- Ich widerspreche ihm nicht. Ich mache mir aber seine Anregungen zu eigen, wenn er dann fortfährt: Das könnte man ja korrigieren. Darauf möchte ich das Verfassungsgericht hinweisen.
Nun kommt noch eine ganz grundsätzliche Frage. Das Verfassungsgericht sagt, der Gesetzgeber sei kinderfeindlich gewesen, die Gesamtbezüge würden dem nicht gerecht; und sie rechnen das aus. Wir haben, als wir nach der Bundestagswahl 1969 als Regierungsfraktionen diese Fragen behandelten, als erstes ein Gutachten über die Besoldung - wir sagten ausdrücklich: Besoldungsrückstände - von der Treufi - Treuhand- und Finanzgesellschaft - eingeholt. Da gab es damals die Feststellung, daß es - das war 1969 - Rückstände gibt. Wir haben sie in den darauf folgenden Jahren in dem Zweiten und Dritten Besoldungsänderungsgesetz beseitigt. Dann haben wir ein neues Gutachten der Treufi einverlangt, und dieses kam zu der Feststellung, daß es keinen Rückstand gibt. Es gibt seit dem Vorliegen dieses Gutachtens bis heute keine Stimme aus dem Gewerkschaftsbereich oder vom Beamtenbund, die die Aussage dieses Gutachtens angegriffen hat.
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- Vielen Dank für den Zwischenruf. Das wollte ich gerade sagen. Jetzt kommt es nämlich darauf an, zu vergleichen; das ist das Entscheidende.
Da hat im Bundestag 1951 ein Sprecher der damaligen Regierungskoalition - und das Bundesverfassungsgericht hat ihn 1953 in ganz anderem Zusammenhang zitiert - ausdrücklich gesagt, die Beamten seien im Vergleich zu den Beschäftigten der Privatwirtschaft im Rückstand. Wir waren uns im ganzen Haus die Jahre hindurch darüber einig, daß kein Gefälle zwischen Beamten und Angestellten sein darf. Dementsprechend haben wir in diesen Jahren die notwendigen Ergänzungen gemacht. Wir wollen aber auch nicht, daß nun durch eine solche Rechtsprechung ein neues, jetzt umgekehrtes Gefälle entsteht, daß die Beamten vom familienrechtlichen Status her ganz anders als die Beschäftigten in der Privatwirtschaft dastehen. Ich befinde mich dabei in guter Position; denn die Bundesregierung hat am 4. Oktober 1962 - das waren also damals nicht Sozialdemokraten; aber wir haben von vornherein zugestimmt - beschlossen, die Bemühungen um gleiche familiengerechte Maßnahmen innerhalb des öffentlichen Dienstes zu verstärken. Wir haben seither auf dem Gebiete des Tarifvertragsrechts konquent die Maßnahmen aus dem Beamtenrecht übernommen und ebenso im Beamtenrecht die Abschlüsse auf dem Gebiet des Tarifvertragsrechts übernommen. Das heißt, daß wir seit jetzt 15 Jahren - getragen von allen Fraktionen dieses Hauses - eine Gesamtbesoldungspolitik des öffentlichen Dienstes gemacht haben. Wir wollen aber nicht einen isolierten öffentlichen Dienst. Genau darum geht es jetzt. Wir wollen, daß die Privatwirtschaft und der gesamte öffentliche Dienst in einem vernünftigen und gleiDr. Schäfer ({8})
chen Maße am Wachstum teilnehmen. Da gibt es nicht den Versuch, mit dem einen oder anderen Element über dieses Ziel hinauszuschießen. Deshalb bin ich froh, daß wir heute sagen können, wir erfüllen materiellrechtlich inhaltlich den Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes. Wir machen uns den heute bekannt gewordenen Appell des Bundesjustizministers an das Bundesverfassungsgericht zu eigen und weisen das Bundesverfassungsgericht nachdrücklich darauf hin und bitten es, in seinem eigenen Interesse nicht politische Entscheidungen im Wege des Gerichtsurteils zu fällen.
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und bitten es, in seinem eigenen Interesse nicht Interessenausgleichsentscheidungen mit Rechtskraft zu fällen; denn wir kommen sonst in den fürchterlichen schweren Zwang, daß entweder wir Verfassungsänderungen machen müssen oder daß sich das Gericht, weil die Entwicklung fortschreitet, selber korrigieren muß. Beides ist schlecht. Wir bitten das Gericht, den Verantwortungsraum des Parlaments im politischen Bereich zu respektieren, so wie das früher geschehen ist und wie das Präsident Dr. Wintrich 1956 ausdrücklich festgestellt hat.
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Wir meinen aber darüber hinaus, daß man dem öffentlichen Dienst im ganzen keinen guten Dienst täte, wenn man die Gedanken, die in dem Urteil des Verfassungsgerichts stehen, fortführte ; denn der öffentliche Dienst ist ein Teil des gesamten Volkes, ein Teil der gesamten Gesellschaft. So möchten wir ihn auch behandelt wissen.
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Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich werde mich ein wenig kürzer fassen, wobei ich allerdings einräume, daß Ihre Darlegungen, Herr Kollege Schäfer, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts es sicherlich wert sind, sehr nachdrücklich bedacht zu werden. Ich komme darauf noch kurz zu sprechen.
Der Entwurf der Bundesregierung für ein Siebentes Bundesbesoldungserhöhungsgesetz enthält im Grunde genommen drei Schwerpunkte. Das ist einmal die - ich möchte beinahe sagen normale - jährliche lineare Erhöhung von in diesem Jahr 4,5%. Das ist zweitens die Einführung des erhöhten Kindergeldes für Beamte mit mehr als zwei Kindern. Das ist drittens der Versuch - soweit wir den Regierungsentwurf zugrunde legen -, eine in sich abgestufte Absenkung der Bezüge für künftige Anwärter vorzusehen.
Der erste dieser drei Schwerpunkte beinhaltet, wie ich glaube - darauf ist ja auch keiner weiter eingegangen -, weder sachliche noch politische Probleme. Die lineare Erhöhung der Gehälter um 4,5 % entspricht der bereits im Frühjahr getroffenen tariflichen Regelung. Sie ist dem Rahmen der
allgemeinen Gehalts- und Preisentwicklung dieses Jahres angemessen und, wie ich meine, gerecht.
Mit der Erhöhung des Kindergeldes ab dem dritten Kind entspricht der Regierungsentwurf dem bereits sehr ausgiebig zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März des vergangenen Jahres. Ich möchte dazu nur ein paar Sätze sagen. Ich halte diese Maßnahme, nämlich die Erhöhung des Kindergeldes jetzt zu regeln, nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts für zwingend. Ich meine, daß diese Regelung im zeitlichen Ablauf der Gestaltung dieser Materie, d. h. im Rahmen des Siebenten Bundesbesoldungserhöhungsgesetzes erfolgen sollte. Bei dieser Entscheidung kann es meines Erachtens keine Rolle spielen, ob wir - insoweit stimme ich auch dem Herrn Kollegen Schäfer zu - einige gewichtige Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, z. B. zur Alimentationspflicht und anderem mehr, nicht in allen Punkten - ich will mich zurückhaltend ausdrücken - für richtig halten.
Eine andere Frage ist, welche Konsequenzen wir insgesamt aus der Tatsache zu ziehen haben, daß eine ganz bestimmte Entwicklung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Dispositionsraum des Parlaments mehr und mehr einengt. Ich will das aber wirklich nur in einer Nebenbemerkung zum Ausdruck bringen, weil ich eben der Ansicht bin, daß alle diese Überlegungen, die auch wir zu einem Teil anstellen, nichts an der Tatsache ändern, daß die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für die gesetzgebenden Körperschaften bindend sind. Wir müssen daher eine Lösung finden, die der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach Erhöhung des Kindergeldes Rechnung trägt. Deswegen werden die Freien Demokraten die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, diesen Komplex im Rahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs zu lösen. Dabei halten wir es für richtig - das kann ich, glaube ich, mit einem Satz abtun -, daß die Bundesregierung von dem ursprünglichen Vorschlag abgewichen ist, zur Dek-kung der Mehrausgaben die Ortszuschläge bei den anderen Beamten um nur 3,5 °/o zu erhöhen.
Ein anderes Problem - dem möchte ich ein wenig mehr Zeit widmen, wenn auch nicht gar so viel - ist die Frage der Anwärterbezüge. Da wird auch die Fraktion der Freien Demokraten - das möchte ich noch einmal betonen - der Regierungsvorlage nicht folgen können. Herr Kollege Regenspurger - er ist gerade nicht im Saal, aber er hat mich vorher darauf angesprochen, und deshalb darf ich das erwähnen -, ich verstehe an sich die Kritik der Opposition nicht, die es als etwas Unmögliches oder Verwerfliches ansieht, wenn eine der Parteien, die die Regierung tragen, von einem Vorschlag der Bundesregierung abweicht. Ich erinnere mich sehr genau an die Debatte zur Regierungserklärung 1976, als der Sprecher der Oppositionsfraktion hier gerade den Koalitionsfraktionen vorwarf, sie seien in der Gesetzgebung quasi nur Notare dessen, was die Bundesregierung beschließe. Was soll das? Wenn die Koalitionsfraktionen hier einmal von einer Regierungsvorlage abweichen, was soll denn dann
wohl richtig sein? Ich glaube, hier beweist sich ganz klar, wie unabhängig diese Koalitionsfraktionen auch gegenüber bestimmten Vorschlägen der Bundesregierung sind.
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Ich möchte ein weiteres sagen. Es ist richtig, daß die Anregung bezüglich der Absenkung der Anwärterbezüge auf einem einstimmigen Beschluß des Vermittlungsausschusses vom 5. Oktober 1977 beruht. Ich will auch die ganze Vorgeschichte einmal beiseite lassen, meine Damen und Herren von der Opposition. Dies ist im Bundesrat von allen Ländern, d. h. auch von den CDU/CSU-regierten Ländern, mitgetragen worden. Ich bitte, bei einer solchen Erwägung einmal diesen Gedanken mit im Auge zu behalten.
Weiter ist richtig, daß alles getan werden muß, um angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage, aber auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse, die in den Berufen mit staatlicher Monopolausbildung bestehen, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Es erscheint uns indessen fraglich, ob es der richtige Weg ist, wenn man die hierfür erforderlichen Mittel aus dem Gesamtbereich der Anwärterbezüge herausschneidet.
In diesem Zusammenhang möchte ich einmal eine Zahl nennen. Wir müssen doch wissen, was bei einer solchen Maßnahme in Bund und Ländern an zusätzlichen Ausbildungsplätzen wirklich bewegt wird. Vom Bund wissen wir es; es sollen etwa 500 sein. Die Länder allerdings - das muß ich an dieser Stelle auch einmal sagen -, und zwar alle Länder, auch die von der Union regierten, haben bisher nicht erkennen lassen, in welchem Umfange sie bei einer solchen Lösung - vorausgesetzt, sie würde getroffen - zusätzliche Ausbildungsplätze werden schaffen können. Aber dies ist ja für die Frage der Anwärterbezüge im Grunde genommen nur ein Argument.
In diesem Zusammenhang stand und steht für uns die weitere Frage und die Erwägung, ob nicht auf diesem Wege - das hatten wir schon im vergangenen Jahr überlegt; das ist richtig - ein erster Einstieg in gewisse notwendig gewordene .strukturelle Veränderungen im öffentlichen Dienstrecht gefunden werden sollte. Ich verkenne nicht, daß dies auch ein sehr wichtiges Argument für eine baldige Lösung sein könnte. Die FDP-Bundestagsfraktion hat daher den vorliegenden Entwurf auch unter diesem Aspekt eingehend beraten. Wir sind nach sehr gründlichen Überlegungen schließlich zu dem Ergebnis gelangt, daß die Frage der Anwärterbezüge als strukturpolitische Maßnahme des öffentlichen Dienstrechts nicht in dem Zusammenhang mit einem Gesetz gesehen werden kann, das im wesentlichen nur die lineare Erhöhung der Dienstbezüge zum Gegenstand hat. Der sehr wichtige Bereich struktureller Maßnahmen ist viel zu breit angelegt und bedarf der Darstellung in sehr viel größeren Zusammenhängen. Ich erinnere unter anderem daran, daß uns die konkrete Regelung der Fachhochschulausbildung für den gehobenen Dienst und auch die noch nicht gelöste Frage der Monopolbildung in bestimmten Berufen noch ins Haus steht. Aber auch eine
I Behandlung nur dieser Frage wäre für den Komplex „Einstieg in strukturelle Veränderungen" zu eng.
Die FDP-Bundestagsfraktion geht deshalb von der Erkenntnis aus, daß eine solche Erörterung nur im Rahmen einer generellen Strukturreform des öffentlichen Dienstrechts geführt werden kann. Eine solche Regelung kann nach unserer Auffassung im übrigen nicht mit dem schwächsten Glied, d. h. mit den Anwärtern, begonnen werden. Aus diesem Grunde schlagen wir vor, von der Absenkung der Anwärterbezüge in diesem Zusammenhang jetzt abzusehen. Wir sind der Meinung, daß die Regelung der Anwärterbezüge aus dem Gesetz herausgenommen werden sollte. Wir erwarten allerdings, daß erste notwendige Schritte auf dem Wege zu dieser strukturellen Reform des öffentlichen Dienstrechts bald unternommen werden.
Meine Damen und Herren, unter dieser Voraussetzung werden wir diese Vorlage in den Ausschüssen beraten, zugleich in der Erwartung, hier sehr bald eine Lösung zu finden, die sowohl den berechtigten Interessen des öffentlichen Dienstes als auch den ebenso berechtigten Interessen der Öffentlichkeit entspricht.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Innenausschuß federführend und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - und gemäß § 96 Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reimers, Burger, Hasinger, Frau Geier, Geisenhofer, Köster, Frau Karwatzki, Braun, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Hammans, Dr. Hüsch, Dr. Hoffacker, Picard und der Fraktion der CDU/CSU
Modellversuch für Kinder- und Jugend
- Drucksache 8/2056 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Aussthuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ich erteile zur Begründung dem Antragsteller Herrn Abgeordneten Dr. Reimers das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Psychisch kranke Kinder sind in unserem Gesundheitswesen so gut wie nicht vorgesehen. Anders läßt sich die Situation im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie kaum deuten. Einem gewaltigen Bedarf an Hilfeleistungen steht ein kümmerliches Therapieangebot gegenüber.
Der Bericht zur Lage der Psychiatrie aus dem Jahre 1975 hat eine Reihe von Zahlen genannt. Nach den vorliegenden Untersuchungen ist davon auszugehen, daß 25 % eines jeden Schulanfängerjahrgangs Auffälligkeiten zeigen, die dringend aufDr. Reimers
geklärt werden müssen, oder, um es im Klartext zu sagen: rund 200 000 Schulanfänger müßten beraten oder behandelt werden. Die Enquete untergliedert diese Zahl; ich darf zitieren: „16,3 % wurden im ersten Schuljahr erheblich auffällig, 6 %wurden vom Schulbesuch zurückgestellt, 8,7 % wurden einer Sondereinrichtung zugeleitet."
Meine Damen und Herren, die Enquete beschränkt sich bei der Kennzeichnung des Bedarfes leider auf die Daten eines Schulanfängerjahrgangs. Was aber die Folge ist, wenn man diesen Auffälligkeiten nicht nachgeht, das können wir tagtäglich in ganz anderen Statistiken nachlesen. Die Selbstmordziffer von Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland ist seit 1965 bis heute von 360 auf 600 Kinder und Jugendliche gestiegen. Hier muß man noch ein Vielfaches an Selbstmordversuchen hinzurechnen. Der Multiplikator 10 ist sicherlich nicht zu niedrig gegriffen. In der Altersgruppe von 16 bis 20 Jahren ist nach dem Unfall der Selbstmord die zweithäufigste Todesursache.
Andere Daten beziehen sich auf die Alkoholabhängigkeit. Nach den neuesten Informationen muß damit gerechnet werden, daß mindestens 300 000 Kinder und Jugendliche - vor allen Dingen Schüler - bereits alkoholabhängig sind.
Ein dritter Bereich ist die Drogenabhängigkeit. Von 1966 bis 1976 stieg sie insgesamt um 3 000 %, das heißt von 1 080 auf 35 122 Fälle. Es ist bekannt, daß sich der Einstieg in die Drogenszene in immer jüngere Jahrgänge vorverlegt. 1975 hatten wir in der Bundesrepublik 188 Rauschgifttote, 1976 waren es 377, fast alle im Alter von 18 bis 25 Jahren.
Meine Damen und Herren, sicher wird man nicht in jedem Einzelfall einen direkten Zusammenhang zwischen psychisch nicht aufgeklärten Schädigungen und der Drogenszene oder aber den Selbstmordfällen herstellen können. Aber insgesamt gesehen muß man doch von engen Wechselwirkungen ausgehen; dies bestätigen alle Experten.
Wie sehen gegenüber diesem großen erkennbaren Hilfebedarf nun die konkreten und tatsächlichen Therapiemöglichkeiten in unserem Gesundheitswesen aus?
Zur klinischen Versorgung sagt die Enquete - ich darf zitieren -:
Auch in der stationären Versorgung zeigt sich, daß die Kinder- und Jugendpsychiatrie eine verhältnismäßig eigenständige Disziplin ist. Ein einigermaßen strukturiertes Versorgungssystem ist auch in Ansätzen nicht zu erkennen. Der Nachholbedarf ist hier besonders gravierend.
Nicht weniger traurig sieht die Situation in der Versorgung durch Fachärzte aus. Ich zitiere:
Eklatant ist der Mangel an Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bislang sind bei einem langfristigen Bedarf von etwa 1 700 nur 173 Facharztanerkennungen ausgesprochen worden. Nur 28 Ärzte haben eine Praxis eröffnet.
Das sind erschreckende Aussagen, wenn man sich klarmacht, wie wichtig es wäre, früh anzusetzen, gerade im Kindesalter psychischen Schädigungen entgegenzuwirken. Das volkstümliche Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" gewinnt hier eine tragische Dimension. Wie viele psychisch schwere Schädigungen könnten durch Früherkennung, Frühbehandlung und Prävention verhindert oder aber entscheidend gemildert werden? Die CDU/CSU-Fraktion empfindet diese Situation als eine Herausforderung zum Handeln.
Was ist zu tun? Entscheidend für den Abbau der Unterversorgung ist ganz sicher die Weiterbildung von mehr jungen Medizinern zu Fachärzten der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gegenwärtig besteht eine Hauptschwierigkeit darin, daß die vorhandenen jugendpsychiatrischen Einrichtungen zu kleine Stellenpläne haben und diejenigen, die zum Facharzt ausgebildet sind, im Interesse der Versorgungsaufgaben sehr lange an diesen Einrichtungen festgehalten werden.
Wir schlagen deshalb vor, im Rahmen eines Modellversuchs Weiterbildungsstipendien zur Verfügung zu stellen, damit mehr Fachärzte ausgebildet werden können. Wir meinen, daß der Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein so wichtiges gesundheitspolitisches Ziel ist, daß die Bundesregierung selbst nicht untätig bleiben darf. Ein zeitlich begrenzter Modellversuch, der den jugendpsychiatrischen Einrichtungen zusätzliche Weiterbildungsstipendien zur Verfügung stellt, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Meine Damen und Herren, in einem anderen Zusammenhang wurde das Wort geprägt: Wir dürfen nichts versäumen und nichts verschulden. Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist dieses Wort bestimmt nicht weniger bedeutsam und nicht weniger am Platze.
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Damit ist der Antrag begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation der psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland ist in dem vorliegenden Antrag der Opposition unter Bezug auf den Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik völlig zutreffend geschildert. Mit der PsychiatrieEnquete müssen wir also feststellen, daß nicht nur die ambulante und stationäre Versorgung psychisch kranker Erwachsener, sondern auch die der Kinder und Jugendlichen völlig unzureichend ist.
Daher stimmen wir dem Vorschlag ,der Opposition zu, darüber nachzudenken, wie ein Modellversuch der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie gefördert werden kann, sei es im Rahmen des Forschungsprogramms der Bundesregierung im Dienste der Gesundheit oder aus planmäßigen Etatmitteln des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit. Wir sind gerne bereit, mit
Ihnen nach einem Weg zu suchen, wie dieser Modellversuch, Kinder- und Jugendpsychiater zu Fachärzten weiterzubilden, gefördert werden kann.
Ob allerdings Ihr Vorschlag, für eine begrenzte Zeit Ausbildungsstipendien bereitzustellen, die Zustimmung unserer Kollegen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft findet, wage ich zu bezweifeln. Aber ich will den Beratungen nicht vorgreifen. Wir werden das prüfen müssen.
Ich hoffe, daß im Deutschen Bundestag bald Gelegenheit sein wird, den Bericht der Bundesregierung zur Psychiatrie-Enquete zu bekommen und ausführlich zu diskutieren. Dann wird sich allen Fraktionen des Hauses die Grundsatzfrage stellen, wie wir insgesamt zu einer besseren psychiatrischen Versorgung unserer Bürger kommen. Ich halte die Behandlung psychisch kranker Patienten in großen Anstalten hergebrachter Art für überholt.
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Besser wäre eine Verbindung von stationärer und ambulanter Behandlung, die möglichst gemeindenah ist und den Patienten nicht aus seiner Familie und seinem sozialen Umfeld herausreißt. Hier ist die Krankenhausbedarfsplanung der Länder gefordert, die freie Bettenkapazitäten im Krankenhausbereich für die psychiatrische Versorgung vorsehen sollte. Auch sind Einrichtungen notwendig, in denen Ärzte, Psychiater, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter zusammenarbeiten. Nicht nur die CDU, sondern auch wir fühlen uns zum Handeln herausgefordert.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß das Gesundheitsministerium im Begriff ist, eine Forderung der Psychiatrie-Enquete zu erfüllen, indem das Berufsbild des Psychotherapeuten geschaffen wird. Ein Referentenentwurf liegt vor, der zur Zeit mit den betroffenen Verbänden diskutiert wird. Die Erlaubnis zur Ausübung des Berufs „Psychotherapeut" setzt laut Entwurf ein abgeschlossenes Psychologiestudium mit dem Schwerpunkt „Klinische Psychologie", eine drei Jahre dauernde Zusatzausbildung mit praktischer Tätigkeit und eine abschließende staatliche Prüfung voraus.
Wie notwendig die Schaffung weiterer Beratungsstellen mit qualifizierten Fachkräften, mit Ärzten, Psycho- und Sozialtherapeuten ist, mag ein Beispiel aus der Fachliteratur zeigen, das so oder ähnlich jeder unter uns schon erfahren hat. Ich zitiere aus der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", Heft 7, vom Juli dieses Jahres, ein Beispiel, das die Effektivität von Verhaltenstherapie demonstriert, um nur eine von vielen psychotherapeutischen Behandlungsmethoden anzuführen
Petra, in der Hektik eines Geschäftshaushalts aufwachsend, tyrannisierte ihre Mutter. Wenn das achtjährige Schulkind nach Hause kam, läutete es Sturm, sagte dann aber, sobald die Mutter sich an der Sprechanlage meldete, es müsse gleich wieder weg. Die Treppen trampelte es so lautstark hoch, daß andere Mieter gestört wurden. Petra wollte nicht essen, und zwang man sie dazu, sich zu Tisch zu setzen, so verschüttete sie die Suppe. Sie überschwemmte die Küche, verstopfte die Toilette und zerriß die Post. Die geplagte Mutter hatte ausprobiert, was ihr an Erziehungsmethoden bekannt war: Anschreien, Schlagen, verzweifeltes Weinen. Mitunter dachte sie an Selbstmord. Im Elterntraining ergab sich, daß das Verhalten. der Mutter vom Kind kontrolliert wurde. Das Mädchen gewann mit seinen Untaten die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mutter. Bei der Erarbeitung der Ratschläge ging die Trainingsgruppe davon aus, daß die Mutter den Teufelskreis der Spiele ihrer Tochter durchbrechen mußte, vor allem durch Nichtbeachtung ihrer Streiche. Dies mag ihr schwergefallen sein, wenn man bedenkt, daß sie ungerührt zusehen sollte, wenn das Kind drohte, die eingegangene Post zu zerreißen. Andererseits aber konnten bisher auch brutale Erziehungsmaßnahmen kaum je eine Untat verhindern. Mehrere Monate nach dem Training staunte die Mutter über den nachhaltigen Erfolg der neuen Erziehungsstrategie. Das Verhältnis zu ihrer Tochter hatte sich wesentlich entspannt.
Der Alltag einer Familie, die Hilfe braucht!
Ich glaube, wir müssen vor allen Dingen die Landesregierungen aller Bundesländer anregen, im Ausbau solcher Beratungsstellen weiter fortzufahren.
({1})
Wir schlagen vor, den Antrag der Opposition, Drucksache 8/2056, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Wir sagen intensive Beratung mit dem Ziel zu, ein positives Ergebnis zu finden, damit der Modellversuch der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie gefördert wird.
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Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freie Demokratische Partei hat mit ihrem Gesundheitsprogramm von 1976 - übrigens dem ersten einschlägigen Programm der in diesem Hause vertretenen Parteien - auch Vorschläge zur besseren Versorgung psychisch Kranker und Behinderter gemacht. In einer eigenen These haben wir die Vorrangigkeit der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung unterstrichen. Mit diesen Forderungen zur Psychiatrie haben wir für unsere programmatischen Aussagen aus der ein Jahr zuvor vorgelegten umfangreichen Psychiatrie-Enquete Konsequenzen gezogen.
Dieser Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland ist ohne Zweifel keine erfreuliche Lektüre. Die Enquete-Kommission hat leider auf vielen Gebieten der Psychiatrie - gerade auch auf dem der Kinder- und Jugendpsychiatrie erhebliche Defizite bei der an sich erforderlichen psychiatrischen und psychologischen Versorgung unserer Bevölkerung konstatieren müssen.
Eimer ({0})
Unsere Fraktion begrüßt deshalb grundsätzlich, daß der vorliegende Antrag der Opposition versucht, gerade auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie durch einen Modellversuch Anstöße zu einer Weiterentwicklung unseres Versorgungsangebots zu geben. In der Psychiatrie-Enquete ist in der Tat von einem empfindlichen Mangel an Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie die Rede. Eine verstärkte Förderung der entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten ist deshalb dringend notwendig.
Der Bericht macht allerdings auch deutlich, daß die psychiatrisch-psychologische Versorgung von Kindern und Jugendlichen keineswegs allein von Ärzten geleistet werden kann. Die Fülle der hier vorkommenden Krankheitserscheinungen und psychischen Anfälligkeiten bedarf eines weiteren Spektrums an fachlich qualifizierten Berufen zur Bewältigung dieser großen Versorgungsaufgabe. Hier sind neben den entsprechenden Fachärzten in erster Linie die Diplompsychologen zu nennen, insbesondere die in klinischer Psychologie spezialisierten Psychologen. Daneben haben weiter die sogenannten Psychagogen - die besonderen Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche- ebenfalls ihre besondere Aufgabe zur Betreuung und Versorgung auffälliger Kinder und Jugendlicher.
Ich wollte mit diesen kurzen Hinweisen eines deutlich machen: Die von dem Oppositionsantrag zu Recht angesprochene Lücke in der psychiatrischen und psychologischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist durch verstärkte Fort-und Weiterbildung der Ärzte allein nicht zu schließen. In unserem Gesundheitsprogramm haben wir in einer weiteren These über die nicht ärztlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen deutlich zum Ausdruck gebracht, daß das heutige System, die Ausübung der Heilkunde allein Ärzten und Heilpraktikern vorzubehalten, angesichts der vielen am Gesundheitswesen beteiligten und notwendigerweise noch zu beteiligenden Berufsgruppen nicht mehr zeitgemäß ist. Hier denken wir gerade auch an die Psychologen, denen in einem noch zu bestimmenden Umfang das Recht eingeräumt werden muß, neben den Ärzten und als notwendige Ergänzung zu ihnen auf Grund ihrer besonderen Ausbildung, etwa in der klinischen Psychologie, zur psychiatrischpsychologischen Versorgung der Bevölkerung beizutragen.
Deshalb verfolgen wir auch die Arbeit des Gesundheitsministeriums an einem entsprechenden Gesetzentwurf über das Berufsbild eines Psychotherapeuten mit Aufmerksamkeit. Allerdings läßt der Referentenentwurf unserer Meinung nach zur Zeit noch viele Wünsche offen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meine Überlegungen zusammenfassen. Die notwendige Verbesserung der psychiatrisch-psychologischen Versorgung unserer Bevölkerung - gerade der Kinder und Jugendlichen - ist nur durch ein entsprechend breites Angebot miteinander zusammenarbeitender verschiedener Berufsgruppen zu erreichen. Wenn daher Modellversuche zur Verbesserung dieser Lage unternommen werden, so sollten diese nicht, wie der Oppositionsantrag dies vorschlägt, auf eine Weiterbildungsmaßnahme für Fachärzte beschränkt werden. In solche Versuche sind ebenfalls die hierfür mit zuständigen klinischen Diplompsychologen und Psychagogen mit einzubeziehen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuches ({0}) - Verwaltungsverfahren
- Drucksache 8/2034 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß 1 96 GO
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs hat der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Buschfort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf über das Verwaltungsverfahren hat zum Ziel, das Verfahren der Sozialleistungsträger zusammenzufassen und zu vereinfachen. Nach dem Allgemeinen Teil und den Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung, mit denen in der Praxis bereits erfolgreich gearbeitet wird, wird hiermit der dritte Schritt zur Verwirklichung des Sozialgesetzbuchs getan.
Die sozialliberale Koalition hat die Schaffung eines Sozialgesetzbuches als wesentlichen Programmpunkt herausgestellt. Mit dem Sozialgesetzbuch soll das gesamte, wegen seiner rechtlichen Zersplitterung unübersichtlich gewordene Sozialrecht nach einheitlichen Grundsätzen zusammengefaßt werden. Bestandteile des Sozialgesetzbuchs sind die Bildungs- und Arbeitsförderung, die Sozialversicherung, das soziale Entschädigungsrecht, dessen Kern die Kriegsopferversorgung ist, das Kindergeld, das Wohngeld sowie die Sozial- und Jugendhilfe.
Bei der Erarbeitung des Sozialgesetzbuches ist sich die Bundesregierung bewußt, daß es nicht genügt, nur die einzelnen Leistungen in optimaler Weise den Bedürfnissen anzupassen. So eindrucksvoll die Erfolge auf diesem Gebiet sind, sie müssen durch eine klare, auf den Bürger abgestellte Zusammenfassung der Verfahrensnormen ergänzt werden. Was nützt das beste Recht, wenn nicht der Gesetzgeber das Instrumentarium für eine rasche und sichere Verwirklichung der Ansprüche zur Verfügung stellt !
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die in zahlreichen Einzelgesetzen uneinheitlich geregelten Verwaltungsvorschriften erstmals innerhalb der hundertjährigen Geschichte der deutschen Sozialgesetzgebung umfassend bereinigt und vereinheitlicht. Wir haben wohl kaum in diesem Hause einen Gesetzentwurf beraten, durch den eine solch große Zahl von bestehenden Vorschriften entbehrlich geworden ist. Hier haben Sie auch ein Beispiel für den Willen der Bundesregierung, die allenthalben beklagte Gesetzesflut einzudämmen.
({0})
Zur Sicherstellung der erforderlichen Transparenz des Rechts und seiner besseren Anwendbarkeit für alle Benutzer wurde ein in sich abgeschlossenes, vollständiges Verfahrensrecht für die Sozialleistungsträger erarbeitet. Meine Damen und Herren, den hiergegen vom Bundesrat erhobenen Bedenken kann sich die Bundesregierung aus grundsätzlichen Erwägungen nicht anschließen. Wir alle betonen die Notwendigkeit der Bürgernähe in der Gesetzgebung und Verwaltung. Ein Verfahrensgesetz, das - wie der Bundesrat vorschlägt - komplizierte und umfangreiche Verweisungen enthielte, wäre gewiß für den Bürger nicht mehr verständlich.
Daß das Verwaltungsverfahren vor allem. im Bereich der Sozialleistungen übersichtlich und verhältnismäßig leicht lesbar sein muß, liegt auf der Hand. Es geht nicht an, daß zum Beispiel der Rentenbezieher und der Kriegsbeschädigte, die sich über das Verwaltungsverfahren informieren wollen, auf ein Gesetz angewiesen sind, das zu einem nicht unerheblichen Teil aus Verweisungen besteht.
Lassen Sie mich nunmehr auf einige Schwerpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehen.
Erstens. Zentrale Bedeutung kommt der Neugestaltung der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten zu. Der Kerngedanke dieser Regelungen besteht darin, daß ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, wenn der Leistungsempfänger auf den Bestand eines solchen Aktes vertraut hat. Die Abwägung zwischen dem Vertrauen auf der einen und dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes auf der anderen Seite kann bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkungen nur innerhalb von drei Jahren erfolgen. Wenn diese Frist abgelaufen ist, ist im allgemeinen eine Rücknahme nicht mehr möglich.
Zweitens. Der Schutzgedanke, der im Interesse des Leistungsempfängers das gesamte Verfahrensrecht durchzieht, kommt auch an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck. Erläßt die Behörde einen schriftlichen Verwaltungsakt, so ist der Beteiligte schriftlich darüber zu belehren, welchen Rechtsbehelf er einlegen kann. Es muß ihm auch mitgeteilt werden, bei welcher Behörde oder welchem Gericht er gegen den Verwaltungsakt vorgehen kann. Ferner sind ihm die Fristen und die Form eines solchen Rechtsbehelfs mitzuteilen.
Drittens. Das Verhältnis der Verwaltung zum Bürger soll gerade im Bereich der Sozialverwaltung von vollem Vertrauen geprägt sein. Der Beteiligte hat
daher das Recht, seine Akten einzusehen. Soweit darin Angaben über gesundheitliche Verhältnisse eines Beteiligten enthalten sind, kann die Behörde den Inhalt der Akten statt dessen durch einen Arzt mitteilen lassen.
Viertens möchte ich hervorheben, daß künftig demjenigen, der einen Widerspruch gegen einen Bescheid erfolgreich eingelegt hat, aus diesem Schritt keine Kosten entstehen. Ihm müssen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen erstattet werden. Mit dieser Vorschrift wird ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Position des einzelnen im Hinblick auf die Durchsetzung und Verteidigung seiner Rechte geleistet.
Fünftens. Schließlich trägt der Entwurf mit den Regelungen zur Amtssprache den Sprachschwierigkeiten der ausländischen Arbeitnehmer in unserem Lande Rechnung. So sind z. B. Anträge in fremder Sprache bei den Leistungsträgern zulässig.
Manches, was in dem Ihnen vorliegenden Entwurf positiv-rechtlich niedergelegt ist, entspricht der heutigen Verwaltungspraxis. Vieles ist aber auch neu. Es wurde nach Vorarbeit durch die Sachverständigenkommission und nach eingehender Diskussion mit den beteiligten Bundesressorts, den Verbänden der Leistungsträger und den Ländern erarbeitet: Wichtige Grundsätze wurden in allgemein verständliche Normen gebracht. Dies bedeutet einen erheblichen Fortschritt, mehr Transparenz und eine Verbesserung der Stellung des einzelnen im Verfahren. Die besonderen Bemühungen der Bundesregierung richteten sich darauf, das Erfordernis nach Rechtssicherheit und nach materieller Gerechtigkeit in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
Das Verwaltungsverfahren ist ein wesentlicher Abschnitt des Sozialgesetzbuchs. Die weiteren Arbeiten an der Einordnung des materiellen Rechts in das Sozialgesetzbuch setzen die Verabschiedung des Verfahrensrechts voraus. Ich wäre Ihnen, meine Damen und Herren, dankbar, wenn auch dieser zeitliche Gesichtspunkt bei der Beratung in den Ausschüssen berücksichtigt werden könnte.
({1})
Damit
ist der Gesetzentwurf begründet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt im Grundsatz den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf mit der Zielsetzung - wie Sie es eben gehört haben -, das bisher in zahlreichen Einzelgesetzen geregelte sozialrechtliche Verwaltungsverfahren zusammenzufassen und zu vereinfachen. Wir sind mit der Bundesregierung auch darin einig, daß es das vornehmste Ziel dieser Neuregelung sein muß, dem einzelnen Bürger diese für ihn so eminent wichtige Rechtsmaterie transparent zu machen und darüber hinaus einen Beitrag zu einer wesentlichen Verbesserung der Rechtspraxis zu leisten.
Müller ({0})
Der allenthalben und zeitweise wohl auch durchaus zu Recht erhobene Vorwurf der Bürger an den Gesetzgeber, daß er immer unübersichtlichere und kompliziertere Gesetze schaffe, deren Verständnis und korrekte Anwendung häufig sogar dem Fachmann Schwierigkeiten bereiten, zwingt uns dazu, gerade dem Aspekt der allgemeinen Verständlichkeit für den nicht rechtskundigen Laien eine höhere Priorität einzuräumen. Die nicht zu leugnende Tatsache, daß die Lebenswirklichkeit der modernen Industriegesellschaft immer komplexer wird und sich notwendigerweise auch in den zu ihrer Normierung erlassenen Tatbeständen widerspiegelt, darf nicht als billiges Alibi für eine weitere wiederum nur dem Fachmann verständliche Regelung dienen, aber auch nicht dazu führen, hinter schillernden Begriffen mittelbar einen Rahmen für eine langsame Systemveränderung zu schaffen.
({1})
- Lachen Sie nur.
Gerade auf dem Gebiet des Sozialrechts ist heute Transparenz und Allgemeinverständlichkeit besonders wichtig. Wenn der Bürger, zu dessen Wohl die unübersehbar gewordene Fülle von Leistungen und Vorschriften im Rahmen unserer Sozialordnung gewährt wird, nicht zu einem mehr oder minder hilflosen Objekt bürokratischer Allmacht werden soll, weil er aus eigener Kenntnis und autonomem Willensentschluß zur Geltendmachung seiner Rechte nicht mehr imstande ist.
Wir müssen bei aller grundsätzlichen Bejahung des Ziels zum weiteren Ausbau unserer Sozialordnung - dazu gehört auch eine den modernen Anforderungen gerecht werdende Regelung des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens - immer die Gefahr im Auge behalten, daß jede zusätzliche Regelung die Abhängigkeit des einzelnen von der Gewährung oder der Versagung von Leistungen der Daseinsvorsorge vergrößert. Es bedarf deshalb dringend rechtsstaatlicher Vorkehrungen, die verhindern, daß der in der Theorie anspruchsberechtigte Bürger eines sozialen Rechtsstaats in der täglichen Praxis zum unwissenden und daher hilflosen Untertanen eines modernen Wohlfahrtsstaates umfunktioniert wird.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU wird deshalb - ich sage damit ja nichts Neues - in den bevorstehenden Ausschußberatungen den Regierungsentwurf sowohl hinsichtlich seiner Gesamtkonzeption und Systematik als auch bezüglich der einzelnen Vorschriften sehr sorgfältig daraufhin prüfen, ob er seinem hohen und von uns ausdrücklich gebilligten Anspruch gerecht wird und tatsächlich der Vermehrung der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit beiträgt, aber auch dem bestehenden System gerecht wird, wobei ich mich nochmals ausdrücklich auf die Begründung des ersten Buches berufe, in der es hieß - ich darf zitieren -:
Die Zusammenfassung so verschieden strukturierter Sozialleistungsbereiche ... in einem Gesetzbuch soll ... deren Wesen und Grundprinzipien nicht antasten.
Dies gilt nach unserer Auffassung auch für das Verwaltungsverfahren.
Die umfangreiche und sowohl im Grundsätzlichen als auch im Detail kritische Stellungnahme des Bundesrates gibt uns Anlaß, intensiv darüber nachzudenken, ob die von der Bundesregierung gewählte gesetzestechnische Konzeption einer weitreichenden Wiederholung von Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrens im Sozialgesetzbuch wirklich mit der erklärten Zielsetzung identisch ist.
({2})
- Ich will mich heute hier nicht festlegen. Nur sollte uns das Anlaß sein, gründlich darüber nachzudenken und das kritisch zu überprüfen.
Wir haben in der Vergangenheit leider des öfteren erleben müssen, wie - begleitet von schönen Verheißungen, wie es eben auch geschehen ist, von mehr Transparenz, Vereinfachung, Gerechtigkeit und Demokratisierung, die die Vertreter der Bundesregierung und auch der sie tragenden Fraktionen im Munde führten -, Entscheidungen getroffen wurden, die sich in der Praxis in ihr Gegenteil verkehrten. Lassen Sie mich nur ein Beispiel als Begründung meiner Besorgnis aus dem vorliegenden Entwurf aufgreifen. In § 12 des ersten Buches heißt es völlig korrekt „Zuständig für die Sozialleistungen sind die in den §§ 18 bis 29 genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden ({3})", und in § 13 ff. ist korrekterweise stets von den Leistungsträgern die Rede und nicht von Behörden, worunter der Bürger in der Regel - das möchte ich ganz besonders betonen - staatliche Stellen versteht, wie in § 1 des vorliegenden Entwurfs, in dem es heißt:
Behörde im Sinne des Gesetzbuches ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
Meine Damen und Herren, wir bestreiten gar nicht, daß einzelnen Organen - beispielsweise der Versicherungsträger -, soweit diese ihnen übertragene Aufgaben öffentlicher Verwaltung und mit Wirkung nach außen wahrnehmen, Behördeneigenschaften zukommen. Im Verhältnis zueinander oder lediglich mit Innenwirkung ausgeführte Aufgaben führen jedoch nicht dazu, ihnen Behördencharakter zuzusprechen. Wie soll der ' einfache Bürger dies unterscheiden?
Warum sage ich das? Mit einer allzu starken Betonung des Behördencharakters wird leider die schon jetzt weit verbreitete Mentalität, wonach der Staat ja alle Sozialleistungen gewährt, ungeachtet der Tatsache, daß deren Finanzierung und Selbstverwaltung von den Versicherten erfolgt, nur noch weiter gefördert. Ich habe manchmal den Eindruck, daß dieses vielleicht gewollt sein könnte, um so zwar nicht unmittelbar, aber doch mittelbar den Rahmen für eine spätere einheitliche staatliche Versorgung vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, wir werden mit kritischem Blick in den weiteren Beratungen darauf achten, daß die eingangs erwähnte Zielsetzung verwirklicht wird. Um uns vor Enttäuschungen zu be8478
Müller ({4})
wahren, werden wir - die Opposition - darauf drängen, daß bei den weiteren Beratungen der praxisbezogene Sachverstand - die Verbände dürfen nicht nur für die Regierung zur Verfügung stehen - ausführlich zu Worte kommt.
Gerade bei einem derartig wichtigen und umfangreichen Entwurf muß die Gewähr für die Qualität der gesetzgeberischen Arbeit vor dem trügerischen Schein eines schnellen Erfolgs stehen. Wenn sich die Koalition von SPD und FDP dazu bereit findet, wird sie in der CDU/CSU einen kooperativen und fairen Partner finden.
({5})
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf zum Verwaltungsverfahren im Sozialrecht machen wir jetzt den dritten Schritt auf dem mühseligen Weg zu einem einheitlichen Sozialgesetzbuch. Wir Sozialdemokraten verwirklichen damit schrittweise die Forderung des Godesberger Programms aus dem Jahre 1959 nach einem einheitlichen und übersichtlichen Sozialgesetzbuch.
Dennoch sollte man sich bei diesem Gesetz, wie bei jedem Gesetz, und zwar nicht erst seitdem über die „Gesetzesflut aus Bonn" geklagt wird, die Frage stellen: Inwieweit dient es dem sozialen Fortschritt? Ist es überhaupt erforderlich? Würde man als Kriterien des sozialen Fortschritts die Sozialleistungsquote nehmen, also den Anteil sämtlicher Sozialleistungen am Bruttosozialprodukt, oder gar nur die Einführung neuer und höherer Sozialleistungen, so müßte man diese Frage negativ beantworten.
Wozu das Ganze also überhaupt? Meine Damen und Herren, beim Sozialgesetzbuch geht es letztlich um nichts weniger als um mehr Lebensqualität in der Sozialpolitik. Die Sozialpolitik ist nach meiner persönlichen Meinung an eine Wende gekommen, nicht durch das Sozialgesetzbuch, sondern durch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. So wie sich in der Wirtschaftspolitik die Einsicht durchsetzt, daß ihr Ziel nicht mehr so sehr die Erhöhung der Produktionszahlen sein darf - quantitativ -, sondern daß sie mehr qualitative Ziele haben muß, wie Umweltschutz, Humanisierung der Arbeit, Mitbestimmung und gerechtere Einkommensverteilung, so setzt. sich in der Sozialpolitik die Einsicht durch, daß nicht mehr die quantitative Erhöhung der Sozialleistungsquote Ziel Nr. 1 ist, sondern daß ihre effektivere und gerechtere Organisation die Aufgabe der nächsten Jahre sein muß.
Die Sozialleistungsquote ist überhaupt eine sehr fragwürdige Größe. Allein die beabsichtigte Einführung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner verändert sie um ± 0,8 %bei heute 31,5 °/o, obwohl sich für den Versicherten selber im Leistungsbereich überhaupt nichts ändern würde. Aber immerhin gibt die Sozialleistungsquote Auskunft über das, was die Bürger in einem Staat für das System der sozialen Sicherung zu tragen bereit sind. Sie ist deshalb zum besseren Ausbau des Sozialstaats in der erreichten Größe zu verteidigen.
Meines Erachtens - ich wiederhole - geht es vor allen Dingen um eine effektivere und gerechtere Organisation dieser Sozialleistungsquote. Dabei geht es erstens darum, Lasten und Leistungen anders zu verteilen. Das ist die Aufgabe einer materiellen und notwendigerweise schmerzhaften Sozialreform. Wir haben heute zwei Beispiele dafür erlebt. Der Kollege Schäfer hat über das Urteil des Verfassungsgerichts zum Kindergeld für Beamte gesprochen.
({0})
- Wenn wir Pech haben, wenn unsere Bürger Pech haben. - Wir erleben einen ähnlichen Skandal im Bereich der Sozialhilfe, wenn die Länder stur bleiben. Nach dem gängigen Sozialrecht ist es so, daß bei der geplanten Erhöhung des Kindergeldes der Millionär für seine 25jährige Tochter, die in Genf studiert, 195 DM im Monat kriegen wird - 45 DM mehr als bisher beim dritten Kind -, dagegen bei der Frau, die drei kleine Kinder großzieht, deren Vater durchgebrannt ist und nicht den Unterhalt zahlt, und die deshalb Sozialhilfe bekommt, die Erhöhung von 45 DM bei der Sozialhilfe wieder abgezogen wird.
Wenn man sagt, daß man am System nichts ändern soll - es ist in der Tat nicht die Aufgabe des Sozialgesetzbuches -, sich aber diese Auswirkung anguckt, dann muß man sagen: Ein System, das sich so auswirkt, ist falsch und müßte korrigiert werden.
({1})
Unser Problem ist, daß das Sozialrecht inzwischen ähnlich wie das Steuerrecht so verschachtelt ist, daß, bei einzelnen Gesetzesänderungen die Sekundärwirkungen oft nicht einmal mehr gesehen werden.
Ein anderes Beispiel ist die heutige Diskussion über die Lage der Jugend-Psychiatrie. Es ist doch wirklich eine Fehlentwicklung, daß auf der einen Seite die apparative Medizin immer perfekter wird und sich auf der anderen Seite die Psychiatrie in unserem Lande in einem elenden Zustand befindet.
Herr
Kollege, Sie gestatten die Zwischenfrage des Kollegen Höpfinger?
Bitte.
Herr Kollege Gansel, würden Sie zugeben, daß Ihr Beispiel erstens etwas verzerrt ist und zum anderen bei der Bundessozialhilfe die Festlegung der Regelsätze betrifft? Bei den Regelsätzen ist anzusetzen, nicht beim Sozialgesetzbuch.
Das ist vollkommen richtig, Herr Kollege. Wir kommen aber doch nicht an dem Problem vorbei, daß der Bundestag beschließt, für das dritte Kind das Kindergeld um 45 DM zu erhöhen,
) und daß jeder Bürger in einigermaßen gesicherten Einkommensverhältnissen dieses Geld ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens erhalten wird. Auf der anderen Seite entlasten sich die Gemeinden und die Länder dadurch, daß sie diesen Betrag bei der Sozialhilfe für kinderreiche Familien mit dem Ergebnis abziehen, daß sich dort nichts ändert.
Wieviel komplizierter das noch wird, wenn man das Steuerrecht hinzunimmt, erkennt man daran, daß nach den Vorschlägen der Union auf diese Entwicklung noch ein zusätzliches Ausrufezeichen gesetzt werden würde, wenn bei Steuerfreibeträgen die gut verdienende Familie für ein Kind zusätzlich im Jahr um 500 DM entlastet werden würde, weniger gut verdienende Familien dagegen nur um zirka 130 DM. Das kann doch sozialpolitisch nicht vernünftig sein.
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Ich habe das nur als Beispiel für die materiellen
Probleme genannt, die vor uns stehen, gleichgültig
ob Sie oder wir darüber werden entscheiden können.
Aber beim Sozialgesetzbuch geht es zweitens um einen anderen Zusammenhang. Es geht nämlich auch darum, das Sozialrecht verständlich, überschaubar und praktikabel zu machen. Es geht um mehr Bürgernähe und uni weniger Bürokratie. Das eröffnet die Chance zur besseren Mitwirkung der Bürger, zur stärkeren Humanisierung der Sozialverwaltung. Wer heute im Dschungel unseres Sozialrechts Orientierung vermittelt, leistet gewissermaßen sozialen Umweltschutz.
Diese hehren Ziele wären leichter zu erreichen, könnte man Sozialreform durch Rechtsreform machen. Man kann es nicht. Dafür gibt es zur Zeit weder gesellschaftlichen noch parteipolitischen Konsens und noch nicht einmal politische Mehrheit. Wenn die Qualität des sozialen Rechtsstaats verbessert werden soll, gibt es deshalb nach meiner Auffassung nur den Weg einer Doppelstrategie.
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- Hören Sie zu. Ich glaube, das ist etwas, worüber wir wirklich sachlich miteinander diskutieren können, weil wir teilweise gleiche Interessen haben.
Im Bereich der Sozialreform wird es nach meiner Auffassung wohl nur unter dem Druck der Rechtsprechung oder unter dem Druck der Finanzierungsprobleme in den nächsten Jahren Teilreformen geben, die im politischen Konflikt durchgesetzt werden müssen. Ich denke da an die Reform '84, wo wir sicherlich unterschiedliche Konzepte entwickeln werden. Im Bereich der Rechtsreform geht es aber darum, zu ordnen, zu sortieren, zu streichen, zu harmonisieren und zu vereinfachen, um planvolle Sozialreform überhaupt erst zu ermöglichen.
Es geht in diesem Bereich also weniger um Reform als um Kodifikation. Diese Kodifikation kann und sollte im Konsens geleistet werden, eben durch das Sozialgesetzbuch. Es liegt im gemeinsamen Interesse der hier vertretenen politischen Kräfte, wenn das Vorhaben des Sozialgesetzbuches ohne Mißtrauen betrachtet wird. Die Kodifikation bereitet nur den Boden für die .Sozialreform, deren Weg die politischen Kräfte dann entscheiden, planen und realisieren können, wenn sie die erforderlichen Konzeptionen und die politischen Mehrheiten dazu haben, wenn die Verhältnisse sie erzwingen.
Meine Damen und Herren, mir schien es sinnvoll zu sein, diesen Zusammenhang bei der Diskussion des Sozialgesetzbuches aufzuzeigen, weil es dabei eigentlich nicht nur um eine technische Frage geht, sondern weil es sich hier um Schlüsselfragen in einer Entwicklungsphase der Sozialpolitik handelt, die zum Wendepunkt werden kann.
Mit dem Gesetzentwurf zu einem Zehnten Buch, der heute vorliegt, wird erstmalig umfassend das Verwaltungsverfahren geregelt, also ein wesentlicher Teil der Bürokratie, über die viel geredet wird. Ich möchte dazu folgendes feststellen.
Erstens. Der Rechtsstaat verlangt ein Gesetz. Der Sozialstaat würde aber durch rechtlichen Perfektionismus und perfekte oder gar totale Verrechtlichung eher gefährdet als geschützt werden. Es gibt einen Punkt, an dem aus mehr Gesetzen weniger Gerechtigkeit wird. Der Gesetzentwurf beschränkt sich deshalb im wesentlichen auf die Regelung des Verfahrens von Verwaltungsakten und öffentlich-rechtlichen Verträgen. Dem Wunsch des Bundesrates, auch das einfache Verwaltungshandeln bei Dienst- und Sachleistungen zu reglementieren, konnte nicht entsprochen werden. Diese Materie ist noch nicht reif für eine umfassende rechtliche Regelung. Der Bundesrat hat deshalb auch keine konkreten Vorschläge machen können. Im übrigen wäre in diesem Bereich eine Regelung auch so lange nicht wünschenswert, wie das Konfliktpotential zwischen Bürger und Verwaltung dadurch verringert werden kann, daß die Verwaltung schnell, bürgernah und großzügig - fast hätte ich gesagt: unbürokratisch - entscheidet.
Zweitens. Die Sozialverwaltungen sollen durch den Gesetzentwurf in ihrer Arbeit nicht gegängelt werden. Sie erhalten eine sichere und .umfassende Arbeitsgrundlage. Deshalb auch der Verzicht auf Gesetzesverweisungen und unsere Absage an das Rumpfgesetz. Wir appellieren an die Bereitschaft, von Ermessensspielräumen selbstverantwortlichen Gebrauch zu machen und Großzügigkeit zu beweisen, die oft kostengünstiger als die Verweisung auf den Rechtsweg ist. Wenn das Verfahren schon bei der Antragstellung unter dem Aspekt der Beweissicherung bei einem eventuellen späteren Rechtsstreit gesehen wird, dann muß es bürokratisch werden.
Ich nenne ein Beispiel. Hermann Buschfort hat schon darauf hingewiesen, daß es sinnvoll ist, daß Anträge von ausländischen Arbeitnehmern auch in ihrer Heimatsprache gestellt werden, wenn der Sachbearbeiter diese Sprache beherrscht und den Antrag verstehen kann. Wenn nun der Bundesrat mit Hinweis darauf, daß Deutsch Amtssprache ist - was ja nicht geändert werden soll - verlangt, daß von vornherein eine Übersetzung vorliegen muß, und weiter argumentiert, daß man das bei einem späteren Rechtsstreit sowieso brauche, dann macht er die Ausnahme zur Regel und trägt erheblich zur Bürokratisierung bei.
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Wir müssen eben beim Detail ansetzen, wenn wir mit der Entbürokratisierung überhaupt vorwärts kommen wollen.
Drittens. Die Rechtsstellung des Bürgers soll durch das Gesetz gestärkt werden. Wir werden bei der Beratung für weitere Verbesserungen sorgen. Dazu gehört sicherlich auch das, was Sie, Kollege Müller, zu dem Begriff der Behörde kritisch angemerkt haben. Wir nehmen das auf und sind bereit, das zu prüfen. Uns geht es ja genau nicht um eine obrigkeitliche Verwaltungspraxis.
Obwohl wir Verbesserungen der Rechtsstellung des Bürgers zum Ziel haben, muß ich offen sagen: Man kann nicht ausschließen, daß es auch einige Verschlechterungen geben wird. Es ist nun einmal nicht möglich, weniger Bürokratie zu verlangen und das gleichzeitig unter die Bedingung zu stellen, daß sich aber nichts ändern dürfe. Die Zeiten, in denen wir etwas ändern konnten, indem wir nur Zuwächse verteilten, sind wahrscheinlich - das ist keine Entwicklung im sozialpolitischen, sondern im wirtschaftspolitischen Bereich, und zwar weltweit - vorbei.
Viertens. Dieses Gesetz bringt weniger Bürokratie. Ich habe es einmal durchgezählt: 64 neue Paragraphen, gleichzeitig werden 200 Vorschriften in mehr als 25 Gesetzen gestrichen und etwa 100 Vorschriften geändert. Ich bin sicher, daß dieses nicht nur statistische Ergebnis von allen Beteiligten positiv aufgenommen werden wird.
Ich möchte noch eine besondere Bemerkung zur Problematik des Sozialgeheimnisses machen. Es war richtig und wichtig, daß wir in § 35 des Allgemeinen Teils das Sozialgeheimnis eingeführt haben, aber es war nicht ausreichend. Es hat Kritik von mehreren Seiten gegeben. Erstens haben Bundesregierung und Bundesrat an uns die Forderung gerichtet, zur Eintreibung von Justizforderungen, z. B. Geldbußen, das Sozialgeheimnis zu lockern. Zweitens hat es in der Öffentlichkeit Kritik gegeben; es sei schwieriger geworden, bei der Verfolgung von Unterhaltsansprüchen die Anschrift des Verpflichteten zu ermitteln. Drittens hat der Datenschutzbeauftragte in einer Rede, die viel Aufmerksamkeit erregt hat, auf eine Fehlentwicklung hingewiesen. Ich zitiere:
In einem Umfang, der noch zu klären ist, finden Datenübermittlungen aus dem Bereich der Sozialverwaltung hinaus an andere Behörden, z. B. Polizei, Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutz statt, die nicht auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Mitteilungspflicht beruhen, sondern durch übergesetzliche Rechtsgüterabwägung gerechtfertigt werden sollen.
Wir werden uns nicht scheuen, aus diesen Entwicklungen und aus diesen Kritiken Konsequenzen zu ziehen. Wir werden unmißverständliche und notfalls ausführliche Regelungen für das Sozialgeheimnis vorschlagen. Wir werden die Ausnahmen im Gesetz abschließend aufzählen - Enumerationsprinzip -, und wir werden den hohen Rang des Sozialgeheimnisses für unsere Bürger deutlich machen.
Ich empfinde es als einen Anachronismus, wenn ein deutsches Gericht in einem Beschluß ausführt, das Sozialgeheimnis sei nicht so schützenswert wie das Steuergeheimnis; denn - ich darf zitieren -:
Niemand ist, jedenfalls soweit es die hier in Frage stehenden Gebiete der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung betrifft, verpflichtet, die Leistungen des Staates in Anspruch zu nehmen, mithin die für die Anspruchsgewährung nötigen persönlichen Angaben zumachen.
Das geschieht auf „freiwilliger" Basis. Und weil dies auf freiwilliger Basis geschieht - so wird gefolgert -, sei ja das Sozialgeheimnis auch nicht so wichtig.
Wir sehen daran, daß auch hier Interessen eine Rolle spielen. Zu Recht hat deshalb der Kollege Klein im Rechtsausschuß für die Sozialdemokraten erklärt:
Abhängig Beschäftigte sollen hinsichtlich der Auskunfts- und Offenbarungsmöglichkeiten nicht schlechter gestellt sein als die Selbständigen, über die in der Regel bei den Trägern der sozialen Sicherung keine Sozialdaten vorliegen.
Meine Damen und Herren, nachdem der Rechtsausschuß jetzt die Beratungen über das Sozialgeheimnis vom Vierten Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen abgekoppelt hat, werden wir diese Aufgabe im Rahmen dieses Gesetzes erfüllen müssen.
Ich will unsere Lösungsvorstellungen dazu nur skizzieren. Wir sind der Auffassung, daß Unterhaltsansprüche eigentlich wichtiger sind als Geldbußen, d. h., daß es wichtiger ist, der Mutter, die den Zahlvater sucht, zu ihrem Recht zu verhelfen als, der Justiz, die eine Geldbuße eintreiben will.
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Deshalb sind wir hier zu einer Lockerung des Sozialgeheimnisses bereit.
Ich bin auch - das ist meine persönliche Auffassung -, obwohl ich die Probleme sehe, der Auffassung, daß es möglich sein muß, die Daten herauszugeben, die zur Festnahme eines schon identifizierten Täters führen könnten, der ein Verbrechen begangen hat. Wir sind allerdings der Auffassung, daß es dann keine Weitergabe von Daten zur Strafverfolgung geben darf, wenn diese Daten eine unbestimmte Vielzahl von Personen betreffen, wenn also im Zusammenhang mit einer bestimmten Fahndungsmaßnahme nach sämtlichen Personen zwischen 30 und 35 Jahren mit Goldzähnen im linken Oberkiefer gefragt wird, um ein Beispiel zu geben. So kann heute ja technisch gearbeitet werden. Wir sind auch nicht bereit, die Weitergabe von Daten zu präventiven Zwecken des Verfassungsschutzes zu ermöglichen. Amtshilfe innerhalb des Sozialleistungsbereichs sollte großzügig funktionieren, aber im Verhältnis zu anderen Verwaltungsbereichen sollte man, um mit Adenauer zu sprechen, eher „pingelig" sein. Nur so kann das Vertrauen des Bürgers in seinen Staat gestärkt werden.
Da dies eine ziemlich wichtige Angelegenheit sein wird, halte ich es auch für notwendig, daß Vorschläge der Fraktionen rechtzeitig an die Öffentlichkeit gegeben werden, um die Diskussion mit Interessierten und Betroffenen in Rechtsprechung, Verwaltung, Wissenschaft und vor allem in der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Es sollte in diesem Hause nicht Praxis werden, daß wichtige materielle Gesetzesänderungen die Öffentlichkeit erst dann erreichen, wenn der Ausschuß sie als Ergänzung zum Regierungsentwurf beschlossen hat.
Es hat gute Gründe, daß drei Lesungen vorgeschrieben sind. Vor allen Dingen zwischen der ersten Lesung und der Ausschußberatung besteht für die Öffentlichkeit die Chance, sich dazu zu äußern. Wir müssen der Öffentlichkeit diese Chance sichern.
Die SPD erwartet die konstruktive Mitarbeit der Opposition, damit der Gesetzentwurf zügig beraten werden kann. Über ein Anhörverfahren sollten wir uns einmal in Ruhe unterhalten. Ich bin bisher immer der Auffassung gewesen, Kollege Müller, daß der praktische Sachverstand durch den Bundesrat in die Gesetzesberatung einfließen sollte. Er hat ja immerhin 64 Anmerkungen zu dem Gesetz gemacht; wenn das nicht ausreicht, dann werden wir nach zusätzlichen Informationsmöglichkeiten suchen müssen. Aber die zügige 'Behandlung des .Gesetzes sollte nicht daran scheitern.
Schließlich möchte ich die Bundesregierung auffordern, die Arbeit an den weiteren Buchentwürfen energisch fortzusetzen - trotz aller Schwierigkeiten, die es allein schon im Bereich der Kompetenzabgrenzung gibt -, damit das Sozialgesetzbuch in den nächsten Jahren vollendet werden kann. Es wäre eine große Leistung der Parlamente - es ist ja jetzt schon der zweite Bundestag, der sich mit dem Sozialgesetzbuch beschäftigt -, wenn es möglich wäre, am Ende der nächsten Legislaturperiode dieses für alle Bürger wichtige Vorhaben in unserem Lande abzuschließen.
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Das
Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bewundere die Phantasie und die Flexibilität des Kollegen Gansel, der aus der Not, die uns der Ältestenrat durch seinen weisen Beschluß verursacht hat, zu einer sehr trockenen Materie eine rhetorisch einigermaßen akzeptable Rede zu produzieren, insofern eine Tugend gemacht hat, daß er über Kindergeld, Sozialhilfe und Rentenfinanzen gesprochen hat. Diese Zusammenhänge sind sicher auch zu sehen, aber ich will hier nicht als Plagiator auftreten und mich in einigen Sätzen mit dem befassen, was hier zur Beratung in erster Lesung ansteht.
Wir Freien Demokraten sehen in diesem dritten Paket, nämlich Regelung der Verwaltungsverfahren im Rahmen des Sozialgesetzbuches, eine Fortsetzung dessen, was bereits in den Regierungserklärungen der Jahre 1969 und 1973 versprochen wurde, nämlich die Kodifikation eines Sozialgesetzbuches, um 1 das gesamte Sozialrecht grundlegend zu vereinfachen und für den Bürger überschaubarer und verständlicher zu machen. Wir haben ja im Jahre 1976 bereits den Allgemeinen Teil verabschiedet und im Jahre 1977 die gemeinsamen Vorschriften; jetzt liegt die dritte Stufe, die Regelung der Verwaltungsverfahren, vor.
Der FDP geht es darum, das in zahlreiche Einzelgesetze aufgesplitterte sozialrechtliche Verfahren zu vereinfachen, um 1. zu einem besseren Rechtsverständnis der Bürger beizutragen, 2. seine Rechtsstellung zu stärken, 3. die Rechtsanwendung durch Verwaltung und Rechtsprechung zu erleichtern und 4. die Rechtssicherheit zu fördern. Entsprechend dieser Zielsetzung wird das geltende Verfahrensrecht bereinigt, modernisiert, vereinfacht und soweit wie möglich vereinheitlicht.
Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung sind für uns eine ständige Aufgabe der Politik. Die FDP-Fraktion wird sich dieser Aufgabe auch bei den weiteren Beratungen dieses Teils des Sozialgesetzbuches stellen.
Dabei werden wir Liberalen uns auch dafür einsetzen, daß der vorliegende Gesetzentwurf durch besondere Datenschutzregelungen für die genannten Sozialleistungsbereiche ergänzt wird. Ich bin dem Kollegen Gansel dankbar, daß er für seine Fraktion auch die Notwendigkeit, hier noch einiges einzufügen, angesprochen hat.
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Ein Verfahrensgesetz wäre nach unserer Auffassung unvollständig, wenn es nicht auch den Schutz der Bürger vor einem Datenmißbrauch gerade durch die Sozialleistungsträger sicherstellte. Bei der Verabschiedung des Bundesdatenschutzgesetzes in der vorigen Wahlperiode hat die FDP einen ergänzenden Datenschutz für Spezialbereiche gefordert. Die Notwendigkeit ergänzender Datenschutzregelungen für den Bereich der Sozialversicherung, wo ja besonders sensible Daten anfallen, brauche ich - glaube ich - nicht näher zu betonen. Der Schutz unserer Bürger vor Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre muß auch und gerade für den Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches sichergestellt werden. Wir Freien Demokraten gehen davon aus, daß es uns bei den Ausschußberatungen gelingt - auch mit Hilfe der Opposition -, Lösungen für einen umfassenden Datenschutz in diesem Bereich zu erarbeiten, ohne den Einsatz technischer Mittel im Sozialleistungsbereich zu behindern.
Da wir aber, meine Damen und Herren, uns nicht nur um die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren, sondern unserer eigenen Parlamentsarbeit ernsthaft bemühen sollten, will ich hiermit meine Ausführungen schließen; denn ich denke, alles Wichtige ist gesagt.
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Meine
Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage zu überweisen an den Ausschuß für Arbeit und
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Sozialordnung - federführend -, an den Rechtsausschuß, den Innenausschuß, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - mitberatend - und schließlich an den Haushaltsausschuß -mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 18 bis 25 unserer Tagesordnung auf:
18. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ande- rung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit
- Drucksache 8/1937
Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Gemeinschaftspatent und zur Änderung patentrechtlicher Vorschriften ({1})
- Durcksache 8/2087 Uberweisungsvorschlag des Altestenrates:
Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
- Drucksache 8/2024
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({3})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Arabischen Republik Ägypten, dem Haschemitischen Königreich Jordanien, der Arabischen Republik Syrien und der Libanesischen Republik
- Drucksache 8/1998
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
- Drucksache 8/2058
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Mai 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Algerien über den Luftverkehr
- Drucksache 8/1979
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
24. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. April 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait über den Fluglinienverkehr
- Drucksache 8/1980 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
25. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 23. Februar 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden zur Durchführung des Abkommens vom 27. Februar 1976 über Soziale Sicherheit
- Drucksache 8/1993
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort wird zu den Vorlagen nicht gewünscht. Ich bitte, die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates der Ihnen vorliegenden Tagesordnung zu entnehmen. Ich frage, ob das Haus mit den vom Ältestenrat vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist dann so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 26 unserer heutigen Tagesordnung auf: ,
Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1977 - Drucksache 8/2043 Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - vor. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.'
Wir kommen dann zu dem Punkt 23 unserer Tagesordnung:
Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({5})
- Drucksache 8/2092 Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft vor. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu der Beratung des Zusatzpunktes:
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Beratung des Antrags der Abgeordneten Strauß, Dr. Häfele, Dr. Sprung und der Fraktion der CDU/CSU
Europäisches Währungssystem - Drucksache 8/2097 Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 4. Oktober 1978, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.