Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat mit Schreiben vom 19. September 1978 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern, dem Bundesminister der Justiz, dem Bundesminister für Wirtschaft, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Bundesminister für Verkehr und dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit die Kleine Anfrage der Abgeordneten von Hassel, Dr. Geßner und Genossen betr. Ratifizierung europäischer Abkommen und Konventionen - Drucksache 8/2063 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2109 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 19. September 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst und der Fraktion der CDU/CSU betr. Beratungswesen und Unterstützung durch Projektträger und Projektbegleiter - Drucksache 8/2072 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2113 verteilt.
Die Mündlichen Anfragen für den Monat Juli ({0}) sind als Drucksachen 8/2000, 8/2001, 8/2009, 8/2010, 8/2021, 8/2027, 8/2035, 8/2039, 8/2042, 8/2052 und 8/2065 verteilt.
Die Mündlichen Anfragen für den Monat August ({1}) sind bzw. werden als Drucksachen 8/2068, 8/2076, 8/2083, 8/2105, 8/2106, 8/2114 und 8/2115 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat dem Deutschen Bundestag mit Schreiben vom 7. Juni 1978 ein „Nichtraucherschutzprogramm" zugeleitet. Es ist dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als Material zugeleitet worden.
Wir fahren in der Aussprache über die Tagesordnungspunkte 1 bis 4 fort:
1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 ({2})
- Drucksache 8/2150 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1978 bis 1982
- Drucksache 8/2151 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des
Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze
({3})
- Drucksache 8/2100 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte ({5})
- Drucksache 8/2101 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
4. Erst Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 8/2102 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({7}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst mit einigen Ergebnissen der Debatte der letzten zwei Tage befassen, wie sie sich mir darstellen. Zunächst möchte ich einige Bemerkungen zu innenpolitischen Fragen machen.
Der Haushalt, den der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, ist aus unserer Sicht ein Dokument der Handlungsfähigkeit und der Vorausschau der Bundesregierung. Unsere Bürgerinnen und Bürger erwarten, daß unser Staat das Maß seiner Möglichkeiten ausschöpft, um auf die Probleme der Gegenwart zukunftsgerechte Antworten zu geben. Ich meine, Hans Matthöfer gebührt der Dank für das Zahlen8296
werk, das wir hier - soll ich so sagen? - hätten beraten sollen.
({0})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion spricht ihm die besondere Anerkennung dafür aus, daß er die heute sichtbaren Erfordernisse der Zukunft zum Gegenstand aktueller Finanzpolitik gemacht hat. Dieser Haushalt und die Gesetze, die uns in diesem Zusammenhang beschäftigen, sind Ausdruck unseres Willens, auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein guter Partner zu sein, und übrigens vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten zusätzlich auch Ausdruck des Willens, nicht von jenem Auftrag des Grundgesetzes abzulassen, der uns auferlegt hat, unter den jeweiligen Bedingungen daran zu arbeiten, daß diese Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Bundesstaat ausgebaut wird.
({1})
Nun hat Professor Biedenkopf gestern ein neues Schlagwort eingeführt, das von der Gerechtigkeitsgarantie, von der er meint oder behauptet, ich hätte sie damals 1969 oder 1970 oder wann auch immer ausgesprochen. Das ist natürlich Unsinn, es sei denn, er meinte den Amtseid. Den haben allerdings sozialdemokratische Regierungsmitglieder so zu leisten wie andere, nämlich daß sie, so gut sie es können, Gerechtigkeit üben wollen gegenüber jedem, um den es sich handelt. Es ist doch aber wohl keine Frage - bei allem, was sonst umstritten ist -, daß wir volle Gerechtigkeit nie erreichen können. Wir können uns darum bemühen, ihr möglichst nahezukommen. Das ist mit der Demokratie aber auch so.
Wer wollte denn eigentlich - auch wieder bei allem, was sonst kontrovers ist - bestreiten, daß in den Jahren seit 1969 - denken Sie an die Kriegsopfer, denken Sie sonst an die Behinderten - auf einer Reihe von Gebieten in diesem Land mehr Gerechtigkeit gestaltet worden ist?
({2})
Wer wollte bestreiten, daß einige wichtige neue Schritte in dem Paket drin sind, über das es jetzt im Zusammenhang mit dem nächstjährigen Haushalt zu beraten gilt?
Herr Kollege Biedenkopf stellt seit geraumer Zeit die Pflicht des demokratischen Staates in Abrede, soziale Gerechtigkeit unter immer wieder neuen Bedingungen herbeizuführen. Aber auch Herr Kollege Biedenkopf will doch den Schwerbehinderten nicht sagen, dieser Staat sei nicht in Ordnung, weil er den Schwerbeschädigten nun einen früheren Übergang in die Rente ermöglichen wird.
({3})
- Ich bin lange dafür gewesen, jetzt ist es möglich.
({4})
Dann soll man sich solche Reden über Gerechtigkeitsgarantie schenken.
Herr Kohl hat bemängelt, daß in der Familienpolitik nicht genügend geschehe. Ich bin in der Tat der Meinung, daß man darüber miteinander ernsthaft müßte reden können.
({5})
- Herr Kollege Kohl, Sie wissen so gut wie ich, daß das Beste oder Bessere Feind des Guten sein kann. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die jetzt vorgesehene ins Gewicht fallende Erhöhung des Kindergeldes und daß ein sechsmonatiger Mutterschaftsurlaub
({6})
Schritte sind auf unserem Wege zu einer Ausgestaltung einer Gesellschaft, die kinderfreundlicher ist und in der die Gleichberechtigung keine papierne Formel bleibt?
({7})
Ich bin ja, wie die meisten wissen, an der Küste aufgewachsen. Mir geht es nicht wie dem Schiffsjungen irgendwo mitten aus dem Land, der außerdem in der Schule im Geographieunterricht nicht aufgepaßt hat und deshalb glaubt, als er das erste Mal hinausfährt, es gebe einen festen Horizont, dem sich das Schiff nähere. Ich weiß, daß wir die Ziele Freiheit und Gerechtigkeit nie voll erreichen können, sondern daß es wie bei der Großen Fahrt so ist, daß sich immer neue Horizonte öffnen. Könnten wir uns aber nicht darin einig sein, daß wir unverdrossen arbeiten wollen? Wir Sozialdemokraten wollen jedenfalls unverdrossen arbeiten,
({8})
gleichermaßen orientiert an den Werten der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität.
({9})
- Ich habe das ja nicht bestritten, Herr Mertes, jeder auf seine Weise. ({10})
Ich habe mich gewundert, daß Herr Strauß gestern so wenig über die D-Mark gesagt hat.
({11})
Ich kann mich an die Jahre erinnern - nach und seit 1969 in denen er von dieser Stelle aus versucht hat, nicht dem Haus, den Mitgliedern des Hauses, sondern der Öffentlichkeit zu erzählen, unter sozialdemokratischer Führung, sozialliberaler Verantwortung werde die Deutsche Mark zugrunde gerichtet werden, verfallen, zusammenbrechen;
({12})
nen Deubel hat sie getan, Herr Haase.
({13})
Sie ist mehr wert geworden, sie ist härter geworden; der Bundeskanzler hat dazu gestern etwas gesagt. Aber fragen Sie doch die deutschen Urlauber,
ob die in diesen Jahren, in diesem Sommer im Ausland irgendwo haben Schlange stehen müssen, um ihre Deutsche Mark loszuwerden.
({14})
Meine verehrten Kollegen, in der Psychologie gibt es den Begriff der selektiven Wahrnehmung. Das gilt für manche Betrachtungen, die Sie anstellen.
({15})
Dies galt gestern auch für die Ausklammerung des
D-Mark-Themas aus der Rede des Kollegen Strauß.
Aber vermutlich sind wir uns einig, wenn ich sage: Das Weltwährungssystem, das vor nunmehr sieben Jahren oder mehr im Grunde zusammengebrochen ist, auch wenn es damals nicht jedermann voll realisiert hat, schafft Probleme für andere, für uns - für andere noch mehr als für uns. Für mich aber ist dieser Zustand, daß Bretton Woods bis auf weiteres durch kein neues Weltwährungssystem ersetzt wird, ein zusätzlicher Grund dafür, dem Bundeskanzler jeden möglichen Erfolg dabei zu wünschen, daß jedenfalls durch den Europäischen Währungsverbund eines der Ordnungselemente eingeführt wird, die auf dem Weg zu einer neuen Weltwährungsordnung notwendig sind.
({16})
Herr Strauß, der ja dagegen ist, ist nicht da. Andere aus Ihren Reihen sagen - was ich nur begrüßen kann -, sie hoffen, daß sich die CDU dem Votum der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament anschließen werde, nämlich für diese Bemühungen zu sein. Verehrte Kollegen von der Opposition, Sie waren hier alle miteinander schon einmal dafür. Denn als die Bundesregierung im Dezember 1969 zur Konferenz in Den Haag ging, gehörte es zu dem, wofür wir hier gelobt worden sind, daß wir sagten, unsere Regierung sei gewillt, den Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion zu gehen. Und bei der ersten Gipfelkonferenz im Oktober 1972 - damals sagte man noch Gipfelkonferenz, heute sagt man Europäischer Rat -, an der die Engländer, die Iren und die Dänen teilnahmen, haben wir gesagt: Mit dem Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit, dessen Errichtung wir hier beschließen wollen, nimmt ein Stück Währungsunion konkrete Gestalt an. Das war etwas zu optimistisch. Aber um Gottes willen, wieso können Sie nicht zumindest - sonst sprechen Sie davon, wir bewegten uns immer weiter auseinander - europapolitisch im Jahre 1978 bei dem bleiben, wofür Sie schon 1972 gewesen sind?
({17})
Daraus ist damals aus mancherlei Gründen nichts geworden. Aber wir können doch nur hoffen, daß jetzt etwas daraus wird, auch wenn die Engländer und die Italiener nicht gleich oder nicht gleich voll mitmachen können
({18})
und wenn, was ich ja auch nur begrüßen würde,
dies nicht voll deckungsgleich mit der EG sein
müßte. Es kann ja wie jetzt bei der kleinen Schlange so sein, daß auf diesem Gebiet auch noch einige Europäer mitmachen, die sonst nicht im institutionellen Sinne zur EG gehören. Ich möchte den Bundeskanzler ermutigen, sich nicht von diesem Bemühen abbringen zu lassen. Ich sage noch einmal: Ich hoffe, daß sich in der Union, jedenfalls in der CDU, die Meinung der christlich-demokratischen Fraktion im Europäischen Parlament durchsetzt für den europäischen Währungsverbund.
({19})
Was übrigens die selekte Wahrnehmung angeht, verehrte Kollegen, so habe ich gelegentlich dann doch schon, was ja nicht mehr so oft der Fall ist, Beifall auf allen Seiten des Hauses vernommen, wenn davon gesprochen wird, dies sei der freieste Staat der deutschen Geschichte. Aber darf ich das dann nicht noch ein bißchen herunterbuchstabieren und fragen: Warum geben Sie bei allem, was Sie sonst einzuwenden haben, nicht auch zu, daß die letzten zehn Jahre, die, die jetzt hinter uns liegen, auch wenn Sie nicht an der Regierung im Bund waren, wahrscheinlich die am meisten unbeschwerten Jahre gewesen sind, die die Deutschen erlebt haben,
({20})
auch was ihre Löhne, auch was ihre Renten angeht?
({21})
Fragen Sie doch die Rentner danach.
({22})
- Ja, wenn Sie das nicht einmal anhören wollen, muß ich Ihnen sagen: Ignoranz ist kein Ersatz für Politik.
({23})
Herr Kollege Strauß hat gestern auch einen allerdings nicht sehr gelungenen, jedenfalls nicht sehr fairen - das nimmt mich bei ihm nicht wunder - Ausflug ins Gebiet der Bildungspolitik gemacht. Er hat zum wiederholten Male - er kennt ja das Fälschen wie kaum jemand in diesem Hause -,
({24})
Herr Kohl, unter Ihrem Beifall, der Sie es besser wissen müßten, den Anschein zu erwecken versucht, ich hätte - da hat er sich außerdem noch, was den Zeitpunkt angeht, geirrt; aber das ist nicht so schlimm - mich abfällig oder gar geringschätzig über solche jungen Leute äußern wollen, die nur - er sagte: „nur" - Schlosser würden. Ich habe das Bundestagsprotokoll mit, nicht was ich damals aufgeschrieben habe, sondern das, was im Protokoll steht. Das war nicht, wie er meinte, als ich von der Regierungsbank aus gesprochen habe, sondern hier am 17. Dezember 1976. Damals war die Rede davon,
ob es richtig sei, Eltern schon dann entscheiden zu lassen, was aus dem Jungen, was aus dem Mädchen wird, wenn diese zehn Jahre alt sind, also ins Gymnasium alten Stils übergehen sollen. Da habe ich gesagt: Solange die Eltern - dies sei der frühere, für mich, für uns nicht erträgliche Zustand gewesen - bei einem Alter des Kindes von zehn Jahren Entscheidungen darüber fällen, daß der eine nur, allein Schlosser und der andere Schlosser oder Chefarzt werden kann. Das ist doch bitte ein ganz anderer Zusammenhang als der, den Herr Strauß hier herstellen wollte.
({25})
Wir haben eine gewaltige Bildungsexplosion hinter uns
({26})
- Ich sage es noch einmal: Ignoranz ist kein Ersatz für Politik.
({27})
- Hindern Sie mich daran, Sie einen Quatschkopf zu nennen!
({28})
Herr Abgeordneter Brandt, ich nehme an, Sie haben ihn nicht so nennen wollen.
Ich habe dies zum Ausdruck gebracht; Herr Präsident.
({0})
Hinter uns liegt eine Periode mit einer ausgesprochenen Bildungsexplosion. Wer wollte verhindern, daß es dabei auch Fehlentwicklungen gegeben hat? Aber wir sind bei allen Fehlentwicklungen froh, die man wieder in den Griff bekommt; denn z. B. in einer Ruhrgebietsstadt hatten früher 4 bis 5 % der Arbeiterjungen die Wahl, Facharbeiter oder etwas anderes zu werden, und heute sind es 20 bis 22 %. Ähnliches gilt auch für Mädchen oder für junge Menschen vom Lande.
({1})
- Das ist um so besser. Dann soll Herr Strauß seinen Unsinn hier sein lassen.
({2}).
Natürlich gibt es Fehlentwicklungen. Aber es wird ihm nicht gelingen, mir, einem Arbeiterjungen, Geringschätzung vor Facharbeitern anzudichten.
({3})
Wenn Herr Strauß da wäre, würde ich ihm gesagt haben, er solle mit seinen Kampagnen mit Zitaten aufhören, die er sich von anderen zurechtmachen läßt;
({4})
denn dann gäbe es auch geringere Veranlassung
für Herrn Kohl, sich über Polarisierung zu beklagen.
({5})
Zur inneren Sicherheit gibt es sicherlich keine unterschiedliche 'Meinung darüber: Unsere Bürger haben einen Anspruch darauf, daß sie und ihr demokratischer Staat geschützt werden, zumal auch vor solchen, die unsere verfassungsmäßige Ordnung mit Gewalt, gar mit terroristischer Gewalt, bekämpfen.
Viele von uns identifizieren sich mit den Bürgern, die sich über Pannen ärgern, die es dort wie über all sonst gibt, wo Menschen am Werke sind. Trotzdem sage ich hier einmal: Trotz all des Geredes auch in den letzten Wochen über Fahndungspannen sollten wir angesichts des Risikos, das diese Mitbürger auf sich nehmen, auch einmal ein Dankeschön an die Polizei und die anderen sagen, die auf diesem Gebiet tätig sind.
({6})
- Da lachen Siel
({7})
- Herr Kohl, denn durch die forschen Reden Ihres Freundes Dregger und die forschen Reden von Herrn Strauß ist noch kein einziger Terrorist hinter Schloß und Riegel gelandet.
({8})
Was einen anderen Aspekt der inneren Sicherheit angeht, so hat Herr Kohl natürlich recht, daß durch den sogenannten Radikalenerlaß kein neues Recht gesetzt wurde. Das wissen viele nicht. Es ist gut, wenn man es ihnen sagt. Nur, Herr Kohl, ich meine nicht allein: Aus dem, womit damals erst die Innenminister, unabhängig von der Couleur, dann die Ministerpräsidenten kamen, worauf wir uns damals dann verständigten, ist etwas anderes gemacht worden, ohne daß das Recht verändert wurde. Ich habe es damals nicht für möglich gehalten - ich habe die Akte draußen -, daß im Jahre 1978 jemand, der in den öffentlichen Dienst will, gefragt
wird, ob er eine Broschüre gelesen habe, die im Jahre 1847 verfaßt worden ist.
({9})
Und ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß - obwohl es bestritten wird; aber es stimmt - in Bayern Redakteure von Schülerzeitungen überwacht werden. Das hatte ich nicht für möglich gehalten. Ich bin dagegen.
({10})
Ich hoffe, viele von uns werden sich, jeder an seinem Platz, bemühen, daß solcher Unsinn eingestellt und überwunden wird.
({11})
Wenn Herr Strauß da wäre, würde ich ihm gewissermaßen auf den Weg ins Ministerpräsidentenamt mitgeben wollen, er möge sich darum kümmern.
({12})
Denn in Bayern gibt es nun einmal eine Reihe von Fällen, in denen z. B. deutsche Sozialdemokraten eindeutig diskriminiert werden. Ich nenne das von der Tribüne des Deutschen Bundestages einen Skandal.
({13})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Nein, Herr Präsident. Ich muß doch wohl erst das zu Ende bringen dürfen, was ich jetzt an die Adresse von Herrn Strauß sagen wollte.
({0})
Es gibt auch im Freistaat Bayern Fälle der Mißachtung von Gerichtsurteilen. Das sollte in Ordnung gebracht werden.
({1}) Bitte, Herr Kollege Kohl.
Herr Kollege Brandt, sind Sie wie wir alle 1972 - und drei der Hauptakteure des sogenannten Radikalenerlasses sind augenblicklich im Saal; das sind Sie, das ist der damalige Innenminister Genscher und das bin für die CDU- Ministerpräsidenten ich - heute noch der Meinung, daß es eine wichtige Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaats ist, dafür Sorge zu tragen, daß weder faschistische noch kommunistische Lehrer in unseren Schulen unsere Kinder indoktrinieren können?
Dieser Meinung bin ich in der Tat. Das ändert nichts an meiner Feststellung, daß aus dem damaligen Radikalenerlaß in Hunderten von Fällen etwas anderes gemacht worden ist, als wir gewollt haben.
({0}) Dr. Kohl ({1}) : Wenn Sie dieser Meinung wie damals noch sind - ich habe das eben mit Befriedigung gehört -, hätten Sie dann die Güte, uns mitzuteilen, auf welchem Weg Sie dieses Ziel erreichen wollen, wenn nicht auf dem Weg eines solchen Radikalenerlasses?
({2})
Sie haben gestern selbst gesagt, Herr Kollege Kohl, daß die Rechtslage nicht verändert sei.
({0})
Das Ziel dieses Erlasses war, zu einer einheitlichen, vernünftigen Handhabung in Bund und Ländern zu kommen. Und genau dies ist fehlgeschlagen.
({1})
Wie soll der Weg aussehen, Herr Kollege Brandt?
Der Weg ergibt sich aus dem Grundgesetz und den Gesetzen, natürlich unter Respektierung eines Ihnen ebenso wie mir bekannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts.
({0})
Und wie soll die Verwaltung das machen?
Tut mir leid, Herr Abgeordneter Kohl: Ich kann nicht mehr als insgesamt drei Fragen zulassen.
({0})
So, wie die Fraktionen der SPD und der FDP es dem Hohen Hause vorgeschlagen haben, was Sie aber im Bundesrat haben scheitern lassen.
({0})
Was Europa angeht, muß ich Sie, Herr Kollege Kohl - ({1})
- Nein, jetzt bin ich bei Europa. Sie können sich vielleicht nachher noch einmal melden.
({2})
Herr Kollege Kohl, ich muß auf eine Ihrer gestrigen Äußerungen zurückkommen. Denn das kann man so nicht stehenlassen. Sie haben allen Ernstes gemeint, sagen zu können, die CDU sei für Europa schon gewesen, als dieses oder die europäische Po8300
litik von den Sozialdemokraten noch nicht entdeckt gewesen sei.
({3})
Sie haben das mit der Auseinandersetzung darüber verwechselt, wie Europa im einzelnen organisiert werden soll.
Nun haben Sie natürlich recht, wenn Sie sagen, Sie hätten nicht unmittelbar eine Partei, an die Sie aus der Weimarer Zeit anknüpfen, Sie hätten mehrere Parteien. Die Sozialdemokratische Partei hat in ihrem Heidelberger Programm 1925 gesagt:
Sie
- die SPD nämlich tritt ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa.
({4})
Das war 1925.
({5})
- Herr Kollege Kohl, da sind andere - nicht Sie -,
auf die man sich sonst manchmal beruft, noch durch die Lande gezogen und haben „Siegreich wollen wir Frankreich schlagen" gesungen.
({6})
Was immer Sie über die letzten 100 Jahre oder etwas mehr der deutschen Geschichte meinen: Der alte Bebel, d. h., damals war er noch gar nicht alt, der Drechslermeister an der Spitze der SPD, ist 1871 in Festungshaft gegangen, weil er schon damals gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen gewesen ist und darin einen Keim gesehen hat für künftige deutsch-französische Konflikte.
({7})
- Sie können sonst über uns meinen, was Sie wollen, Herr Kohl. Ich habe ja nie behauptet, wir seien frei von Fehlern oder Irrtümern gewesen; so sprechen Ihre Freunde eher. Eines können Sie den deutschen Sozialdemokraten nicht nehmen: daß sie nie Krieg oder Terror oder Unterdrückung über unser deutsches Volk und Europa gebracht haben.
({8})
Was soll dann das Gerede von der Geschichtslosigkeit? Wir leben in dieser deutschen Geschichte, und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet: diejenigen, die vor uns waren, und diejenigen, die heute da sind. Das ging über 115 Jahre. Wir haben übrigens Freiheiten, über die damals geredet wurde, für Millionen Menschen erfahrbarer gemacht. Das ist der eigentliche Beitrag dieser sozialdemokratischen Bewegung gewesen.
({9})
Ich habe bei sonst, wie ich fand, übertriebener Polemik gern das Wort von den Feldern der Zusammenarbeit gehört, über die man gleichwohl nachdenken müßte. Ich bedaure, daß es gestern wenig Zeit gab, um das zu vertiefen. Herr Kollege Kohl, dann sind wir uns hoffentlich auch darin einig. - ich folge Ihnen bei vielem, was Sie über Geschichtsbewußtsein, Geschichtskenntnis gesagt haben, nicht nur was die Lehrer, sondern auch die Elternhäuser angeht -, daß uns dieser jüngsten deutschen Geschichte mit ihrem Auf und Ab, mit ihrem leider zeitweilig tiefen Ab, nichts ausgeklammert werden darf, weil dies ein Unrecht wäre gegenüber denen, die nach uns kommen. Die würden dann nämlich von außen her damit brutal und ungerecht konfrontiert.
({10})
Nun haben wir ja in Europa nicht nur das Bemühen um die Währungsunion. Dazu habe ich meine Meinung gesagt. Wir haben im nächsten Jahr die ersten Direktwahlen zu einem Europäischen Parlament vor uns. Einige scheinen den Vorgang in Deutschland benutzen zu wollen für einen Vorlauf oder Wettlauf für das, was man die Vierte Partei nennt. Das werden wir ja sehen.
Andere - ich sehe Herrn Kollegen Barzel hier nicht - belasten das vorweg mit dem törichten Wort vom „Volksfronteuropa", das man uns anhängen möchte und das es zu verhindern gelte. Ich sage Ihnen in allem Ernst: Dies wäre die Fortsetzung jener Kampagne mit anderen Mitteln, von der hier gestern am frühen Abend von dieser Stelle aus gesprochen worden ist, die Fortsetzung der vergiftenden Filbinger-Parole „Sozialismus oder Freiheit" und des Versuchs, den Sozialdemokraten Kommunistennähe andichten zu wollen. Die Rechnung geht nicht auf.
({11})
Wir sind auch nicht gesonnen - nehmen Sie das bitte zur Kenntnis -, uns in die Defensive drängen zu lassen.
({12})
Von europäischer Freiheit verstehen wir mindestens so viel wie irgend jemand sonst in diesem Hause und in unserem Lande.
({13})
Wir Sozialdemokraten lehnen es ab, Monopolansprüche zu erheben oder Feindverhältnisse zu begründen - im eigenen Land ebenso wie in Europa. Andere mögen Parolen wie „Freiheit oder Volksfront"
({14})
verbreiten und sich nichts daraus machen, wenn zusätzlich zu der Spaltung, die mitten durch Europa
und Deutschland schon hindurchgeht, Europa und unser deutsches Volk noch einmal gespalten werden. Wir versagen es uns, darauf mit gleicher Münze heimzuzahlen. Mundtot wird man uns jedoch nicht antreffen.
({15})
Die europäischen Wahlen müßten, so meine ich, jenen Kräften Auftrieb geben, die sich nicht im Gegeneinander zerreiben lassen wollen, sondern die sich dem friedlichen Miteinander verschrieben haben. Darin wissen wir uns übrigens einig mit vielen libeialen Kollegen in anderen Ländern und mit vielen christdemokratischen Kollegen in anderen Ländern. Ich habe mich in diesem Sommer in vielen Gesprächen in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft hiervon noch einmal überzeugen können. So mag denn Europa vielleicht auch das Gute haben, daß gewisse Scharfmacher bei uns zu Hause in die Schranken verwiesen werden.
({16})
Wir deutschen Sozialdemokraten - und ich bin sicher, nicht wir allein - wollen Europa als Macht des Friedens. Aber wir wollen Europa natürlich auch im eigenen deutschen Interesse.
({17})
Die soziale Demokratie ist für uns nicht teilbar. So, wie wir in der Bundesrepublik darum ringen, sie zu verwirklichen, so wollen wir es in Europa tun. Deshalb wird die Sozialdemokratische Partei den europäischen Wahlkampf mit allem Ernst und großem Engagement führen.
Was die eigentliche auswärtige Politik angeht - Europa liegt irgendwo dazwischen, auch wenn es häufig noch unter der Oberüberschrift „Außen" untergebracht wird -, hätten die Kollegen der Union hier nun eigentlich wiederholen sollen und - wenn sie es gekonnt hätten - rechtfertigen sollen, womit sie seit einigen Wochen durchs Land ziehen. Seit Wochen betreiben mehr als einige wenige von Ihnen eine Kampagne, die dem Publikum suggerieren soll, die SPD sei außenpolitisch und sicherheitspolitisch unzuverlässig. Dies nenne ich eine infame Kampagne.
({18})
- Herr Kollege Mertes, ich habe mich manchmal gefragt, als dieses böse Spiel, dieses verderbliche Spiel, wieder losging, in welchem Jahrhundert und in welchem Jahrzehnt wir eigentlich leben.
In diesem Jahr erringen wir deutschen Sozialdemokraten unser Stück Zwischenabschnitt deutscher Geschichte. Das sollte man nicht so leicht abtun, wie das gestern geschehen ist. Natürlich wird man dann, wenn man sich daran erinnert, daß 100 Jahre vergangen sind, seit Bismarck jenes unglückselige Gesetz erließ, mit dessen Hilfe er die junge Sozialdemokratie aus dem Buch der Geschichte streichen wollte, sagen müssen, daß das keinen unmittelbaren aktuellen Bezug hat. Es bedeutet also nicht, daß wir meinten, Sie identifizierten sich damit. Man muß doch wohl auch über Dinge reden können, die nicht in diesem Sinne Gegenstand des Parteienstreits sind. Ich identifiziere Sie - vielleicht von einigen Ausnahmen abgesehen - doch auch nicht mit den Deutschnationalen der Weimarer Republik;
({19})
das tue ich doch durchweg auch nicht. Aber wir dürfen uns doch wohl an all jene Parolen von den „vaterlandslosen Gesellen", von der „Rotte" erinnern, von der es hieß, ihre Anhänger seien es nicht wert, den Namen „Deutscher" zu tragen. Ich darf doch wohl an die schlimmen Folgen und an die tiefen Spuren erinnern, die die Kampagnen der Jahrhundertwende in der jüngsten deutschen Geschichte hinterlassen haben.
({20})
Ginge es nur um die SPD, könnten wir darüber zur Tagesordnung übergehen. Es geht aber um das Volk und um das Land, und es handelt sich um did offenbar nicht totzukriegende Neigung eines Teils der deutschen Rechten, allein wissen zu wollen, was im nationalen Interesse liegt.
({21})
Wissen Sie eigentlich, so lautet meine Frage an einen Teil von Ihnen - dabei sind mehrere von denen, die ich meine, jetzt nicht da -,
({22})
was Sie tun, wenn Sie diese Tradition wiederaufleben lassen? Wissen Sie, was Sie da anrichten, nicht nur für die SPD - die hält das übrigens aus, diese SPD hat schon eine ganze Menge ausgehalten -, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt und für ihre Stellung in der Welt?
({23})
Die Rechten, die ich jetzt meine, können doch nicht allen Ernstes meinen, sie können die Sozialdemokratische Partei aus den Angeln heben - das haben schon Stärkere versucht - oder ihr mit Erfolg auf die Dauer irgendwelche Absurditäten anhängen - auch das haben schon andere versucht -, einer Partei, die gemeinsam mit den Freien Demokraten dieses Landes nun über neun schwierige Jahre hinweg - ich sage: erfolgreich - regiert hat.
({24})
Aber ich sage auch und wiederhole es: Es gibt nichts Menschliches - und Parteien sind Menschenwerk -, das frei wäre von Fehlern und Irrtümern.
({25})
Auch die SPD ist davon nicht frei. Wäre sie stärker
gewesen, hätte sie stärkeren Einfluß durchgesetzt,
Deutschland und der Welt wäre viel; nämlich die Katastrophe des 20. Jahrhunderts, erspart geblieben;
({26})
die Teilung ginge nicht mitten durch Deutschland, nicht mitten durch seine alte Hauptstadt.
({27})
Nein, ich wäre der letzte, der die SPD allein im Besitz der Wahrheit glaubte.
({28})
Aber in einem lasse ich nicht mit mir reden, in einem läßt kein deutscher Sozialdemokrat mit sich reden, Herr Kohl; in einem gibt es kein Wenn und kein Aber - ich habe es Ihnen schon gesagt -: Wir lassen' es uns nicht nehmen, daß die, die vor uns waren, und wir, die wir ihnen folgen durften, niemals Krieg, niemals Terror, niemals Knechtschaft, niemals Verfolgung über das deutsche Volk gebracht haben.
({29})
Die SPD hat, solange es sie gibt, für den Frieden gestritten, für den Frieden nach außen und im Innern, für das nachbarschaftliche Nebeneinander und für das soziale Miteinander, denn das eine hängt
mit dem anderen zusammen.
({30})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl? - Bitte.
Herr Kollege Brandt, aus der Art Ihres Vortrags und vor allem auch aus der Intonation ergibt sich zwingend eine Frage: Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß neben der Sozialdemokratischen Partei auch alle anderen Vorläuferparteien der demokratischen Parteien, die im heutigen Bundestag sitzen und nicht sozialdemokratisch sind, in gleicher Weise immer für den Frieden, immer für die Freiheit eingetreten sind und niemals in kriegerische Aktionen verwickelt waren?
({0})
Sind Sie bereit, mir in diesem Zusammenhang zuzustimmen?
Es wäre eine unerlaubte Vereinfachung, wenn ich hierauf mit Ja antwortete.
({0})
In den letzten neun Jahren hat die SPD das Gesetz, nach dem sie angetreten ist, unbeirrt und darin unbeirrbar weiterverfolgt, jenes Gesetz, nach dem die Sicherung des Friedens Vorrang hat. Was heißt das heute? Ich möchte dazu einige Selbstverständlichkeiten nennen, deutsche Selbstverständlichkeiten nämlich, ohne die es eine aktive deutsche Friedenspolitik nicht gibt.
Unser Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit den anderen Partnern in der Atlantischen Allianz ist, wie die Dinge in der Welt liegen, eine nationale Selbstverständlichkeit. Dies gilt auch für den Verteidigungsbeitrag, den wir durch die Bundeswehr erbringen. Unsere Verteidigungsleistungen erbringen wir, weil wir so sicher wie möglich leben wollen und weil wir auch hierdurch den Frieden sichern wollen. Damit allein ist es aber, wie wir wissen, nicht getan.
Warum ringen denn die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten - und wir mit ihnen - um den Abbau von Spannungen, auch wenn es noch so schwer ist? Hans Apel, unser Verteidigungsminister, hat erst dieser Tage gesagt, daß sein werde, was sein müsse - daß eben, ich zitiere, „im Interesse der Sicherheit der Menschheit und ihres Überlebens" Abrüstung nötig sei. Es liegt im deutschen Interesse, aktiv an allen Bemühungen mitzuwirken, den Rüstungswettlauf einzudämmen und, wo irgend möglich, zurückzudrehen. Stark ist doch nur der, der Einfluß nimmt, nicht der, der sich abhängen läßt.
Vor nun etwas mehr als zehn Jahren war der damalige Außenminister der Bundesrepublik und Vorsitzende der SPD - maßgeblich, darf ich wohl sagen daran beteiligt, daß die Atlantische Allianz ein neues außenpolitisches und damit zugleich sicherheitspolitisches Konzept erarbeitet. Das Ergebnis war: Verteidigung und Entspannung wurden als gleichermaßen wichtig befunden. Verteidigung und Entspannung wurden zu gleich starken Pfeilern einer ausgewogenen Politik erklärt. Mehr noch: Man erkannte, daß das eine ohne das andere gar nicht denkbar ist, das zweite, wie die Welt aussieht, leider nicht ohne das erste.
Übrigens irrt Herr Kollege Mertes in dem, was er gestern über den Zusammenhang zwischen dem Zurkenntnisnehmen der deutschen Zweistaatlichkeit und der Haltung der Alliierten gesagt hat. Herr Kollege Mertes, erstens - das ist mir schon manchmal aufgefallen - stellt sich Ihnen ein Satz in der Regierungserklärung von 1969 anders dar, als er sich aus dem Zusammenhang der Akten ergeben wird. Denn unsere Verbündeten, mit denen ich ja als Außenminister zu tun hatte, haben sehr wohl den Vorläufer dieses Satzes aus der Politik der Großen Koalition entnommen. Ich kann mich erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, wie der von mir verehrte Außenminister Pierre Harmel, genau auf diesen Punkt bezogen, gesagt hat: Also hier bewegt sich bei euch etwas, was uns andere nicht in die Verlegenheit bringen wird, an euch vorbeizumarschieren. - So sah es wirklich aus, Herr Kollege Mertes.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Herr Kollege Brandt, können Sie bestätigen, daß nach dem Brief des Bundeskanzlers Kiesinger an den Ministerpräsidenten Stoph vom Juni 1967 dieses Haus noch einmal ausdrücklich - auf Initiative der SPD- und der CDU/CSU-Fraktion - beschlossen hat, an der Ein-Deutschland-Position - gegen die Zwei-StaatenForderung der Sowjetunion - strikt festzuhalten?
Herr Kollege Mertes, niemand von uns hat auch seitdem den Auftrag vergessen, der sich aus dem Grundgesetz ergibt.
({0})
Die Frage war vielmehr, w i e man sich dort hinbewegt. Wir haben deutlicher gesehen, wie sich die Dinge im Laufe der Jahre entwickelten. Und im Grunde wissen Sie es doch auch: Ein gemeinsames Dach für das deutsche Volk wird es nur dann geben, wenn Europa wieder näher zusammenrückt, nicht andersherum.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Herr Kollege Brandt, haben Sie soeben behauptet, daß der für die Ostpolitik folgenschwere Satz Ihrer Regierungserklärung vom Oktober 1969, den Sie soeben zitiert haben, und daß die Absprachen des Kollegen Bahr mit Außenminister Gromyko im Frühjahr 1970 in ihrer Konkretheit vorher mit den Alliierten konsultiert worden seien?
Manche Konsultationen jener Jahre kann man jetzt nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen. Aber Sie müßten eigentlich so gut wissen wie ich, was ich mit dem Satz vorhin habe sagen wollen, daß gute Freunde gesagt haben: Gott sei Dank, daß ihr euch bewegt und uns nicht in die Verlegenheit bringt, an euch vorbeiziehen zu müssen!
({0})
Wenn die Menschheit überleben will, dann gibt es keine Entspannung ohne Verteidigung, keine Verteidigung ohne Entspannung. Je weiter die neuen Rüstungstechnologien fortschreiten, desto unaufhebbarer wird dieser Zusammenhang. Und es ist dieser Zusammenhang, dem wir Rechnung getragen wissen wollen.
Wenn ich an die jetzt bald zwölf Jahre sozialdemokratischer Regierungsverantwortung hier in Bonn erinnere, dann erinnere ich zugleich an wichtige Stationen deutscher Außenpolitik, Stationen, an denen dieser Zusammenhang von Verteidigung und Entspannung festzumachen ist. Es sind Stationen, an denen Sozialdemokraten und Freie Demokraten in der Regierungsverantwortung Garanten deutscher Interessen waren, Stationen, an denen wir Seite an Seite mit unseren Verbündeten den Notwendigkeiten von Verteidigung und Entspannung Tribut gezollt haben. Es sind allerdings Stationen, an denen sich die Opposition zumeist verweigert hat.
Herr Kollege Kohl, Sie haben in den Tagen, bevor diese Debatte begann, mehrfach vom „Zwielicht" gesprochen.
({1})
Sie haben das gestern leider nicht begründet. Meiner Meinung nach sollten Sie aufpassen, daß man nicht die Frage an Sie richtet: Was war denn mit Ihrer Haltung zu den Verträgen? Denken nicht auch Sie manchmal in diesen Tagen, in denen der Primas der polnischen Kirche hier in Deutschland ist, daß sein Besuch etwas mit dem zu tun hat; was sich verändert hat zwischen den Staaten und Völkern in Europa?
({2})
Herr Strauß ist wieder nicht da. Was war denn mit denen, die sich bei Franco, Salazar und den griechischen Obristen die Klinke in die Hand gaben, als andere versuchten, denen zu helfen, die die Demokratie neu aufbauen wollten?
({3})
Übrigens, Herr Kollege Kohl, Sie haben, wenn ich es mir richtig notiert habe, den Satz gesagt, führende deutsche Sozialdemokraten hätten sich nicht zu dem geäußert,. was mit den Vorgängen in der Tschechoslowakei vor zehn Jahren zusammenhängt. Das stimmt nicht. Wenn Sie die Güte hätten: Ich habe eine Ablichtung mitgebracht - Sozialdemokratischer Pressedienst, den Sie ja sonst auch lesen,
({4})
Aufsatz des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei zu diesen zehn Jahren, 21. August, und zwar in der Überschrift wie im Schlußsatz. Allerdings - und da stimmen wir vielleicht wieder nicht überein Nur beharrliche Entspannung trotz allem kann zum Sozialismus mit menschlichem Antlitz führen. Und das war jawohl das, worum die sich vor zehn Jahren bemüht hatten und seitdem bemühen.
({5})
Wollen Sie hier jetzt noch den armen Dubček beleidigen?
({6})
Er und seine Leute sind- doch genau mit diesem Versuch angetreten.
({7})
Was ist denn, wenn es um Zwielicht geht, mit den labilen Erklärungen zu China? Es war nicht nur Herr Zimmermann, der hier gestern apostrophiert worden ist. Ich habe noch einmal nachgelesen, was
Herr Wörner, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, über die militärischen Optionen gesagt hat; das war abenteuerlich.
({8})
Übrigens, damit wir uns klar verstehen: Ich halte die Öffnung Chinas zur Welt für einen Vorgang von ganz großer Bedeutung. Ich halte es auch für von ganz großer Bedeutung, daß die jetzige chinesische Führung nicht mehr oder nicht mehr so über die Unvermeidlichkeit des Krieges spricht wie die voraufgegangene.
Aber es bleibt mir immer noch ein Rätsel, warum Kollegen wie Zimmermann und Wörner nicht die Landkarte zu Rate ziehen, bevor sie sich in sicherheitspolitischen Zusammenhängen über China äußern. Und bei Herrn Strauß bleibt es mir immer noch ein Rätsel, warum ihm - es wird ja nicht mehr lange dauern; er wird es auch merken - Kommunisten um so sympathischer waren, je weiter weg,
({9})
je zahlreicher und je doktrinärer sie waren. Dies bleibt ein Rätsel.
({10})
- Jetzt sind Sie aber doch wohl nicht der Meinung, sie seien um so besser, je doktrinärer sie sind, Herr Kohl.
({11})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ich möchte jetzt noch einen Satz hinzufügen; dann gern, Herr Mertes.
Keines unserer deutschen und europäischen Probleme läßt sich durch einen fiktiven Austausch der weltpolitischen Größen lösen oder der Lösung näherbringen, jener weltpolitischen Größen, von denen hier die Rede ist. - Bitte, Herr Mertes.
Herr Kollege Brandt, teilen Sie unsere Auffassung, daß das Problem Sowjetunion für unsere nationalen Interessen nicht darin besteht, daß sie kommunistisch ist, sondern darin, daß sie das deutsche Volk gegen seinen Willen und gegen alle Gerechtigkeit teilt, während die kommunistische Volksrepublik China diese Teilungspolitik kritisiert?
({0})
Herr Kollege Mertes, das ist für mich keine einleuchtende Feststellung zu dem, was ich über die Landkarte gesagt habe. Ich habe mir erzählen lassen: Da kam 1942 ein Vater nach Berlin und erklärte seinem zehnjährigen Jungen an Hand des Globus, wo Rußland, Amerika, England und Frankreich liegen. Da guckte der zehnjährige Junge den Vater an und sagte: Aber Vater, weiß der Führer das nicht? - Sie sollten es wissen.
({0})
Ich möchte wirklich einmal wissen, ob wenigstens Ihre eigene Phantasie ausreicht, sich die Lage der Bundesrepublik Deutschland auszumalen, wenn Ihr permanentes Nein amtliche Politik geworden wäre, Ihr Nein zu den Verträgen von Moskau, Warschau und Prag, Ihr Nein zum Grundlagenvertrag und zum Verkehrsvertrag mit der DDR. Ihr Nein zu den Vereinbarungen von Helsinki und zum Beitritt zu den Vereinten Nationen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, vermag sich irgend jemand die heutige Lage Berlins ohne Viermächteabkommen vorzustellen? Die Entwicklung hätte leicht über unsere eigenen, die unmittelbaren deutschen Interessen hinweggehen können.
({1})
Es wäre uns unmöglich geworden, in Deutschland und Berlin die Teilung erträglicher zu machen; ich sage nicht „erträglich".
Übrigens, verehrte Kollegen von der Union, nach den Verlautbarungen Anfang der Woche aus dem Reichstagsgebäude: Wenn es irgend geht, machen Sie keinen Rückfall in die Zeit der bloßen Deklamationen; denn die bloßen Deklamationen haben uns schon einmal gerade an jenem schwierigen Punkt in Deutschland bis nahe an den Abgrund geführt.
({2})
Es wäre uns sehr viel schwerer geworden, wenn wir uns nicht über Ihr wiederholtes Nein hinweggesetzt hätten, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen in Ost und West lebendig zu erhalten.
({3})
Und da redet man von Neutralisierung, Finnlandisierung und ähnlichem Quatsch,
({4})
ganz abgesehen von dem Tort, den man dem tapferen finnischen Volk zufügt.
({5})
Dafür bitte ich um Verzeihung bei den Finnen, auch im Namen derer, die es nicht besser wissen.
({6})
Nach dem, was Horst Ehmke, Egon Bahr und Bruno Friedrich gestern nachmittag gesagt haben: Meine verehrten Kollegen, sind Sie denn wirklich so weit, das Nachdenken über Deutschland gleichBrandt
zusetzen mit einem Ausverkauf deutscher Interessen? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({7})
Wo eigentlich sonst, wenn nicht in Deutschland, soll über Möglichkeiten nachgedacht werden, die näher im Zeichen der Einheit - ich fürchte ja, es dauert lange - als in dem der Spaltung stehen? Wo sonst, wenn wir es nicht einmal selbst tun? Also, Nachdenken ist kein westlicher Treuebruch und schon gar kein Zeichen für nationalen Verrat; ganz im Gegenteil. Niemand kann offensichtlich einige von Ihnen daran hindern, denen verwerfliche Unterstellungen zu machen, die die europäische und deutsche Teilung nicht auf alle Ewigkeit so hinnehmen, hinnehmen wollen, wie sie sich durch den nationalen und europäischen Verrat der Hitlerclique und danach durch den Kalten Krieg herausgebildet hat.
({8})
Es wäre ein ernstes Versäumnis, wenn ich nicht hinzufügte: Wir Sozialdemokraten teilen die Sorgen und Hoffnungen der Bundesregierung, was den Nahen Osten angeht. Ich hatte im Sommer die Freude und das erregende Erlebnis, mit je einem führenden Mann aus Ägypten und aus Israel zusammenzusitzen. Was sich mir eingeprägt hat, ist, was - hoffentlich nicht erst nach neuen schrecklichen Rückschlägen - auf den Gebieten der friedlichen Zusammenarbeit möglich sein könnte: Wüsten fruchtbar machen, wirtschaftlich, kulturell, technisch, wissenschaftlich friedenssichernd zusammenarbeiten. Jedermann sollte wissen, daß die Bundesrepublik und unser Europa bereit wären, dabei zu helfen, daran mitzuwirken.
({9})
Dann bleibt noch, daß Herr Strauß gestern gebeten hatte, was die Kampagne der letzten Woche angeht, Roß und Reiter zu nennen. Das hat mir Egon Bahr abgenommen. Herr Mertes hat dann in der Debatte gesagt, er habe ja nie davon gesprochen - er nicht, andere haben das so lanciert -,
({10})
er habe gar nicht behauptet, Bahr habe da Papiere oder der andere da, der Überläufer, der drüben in den Staaten gerade seinen Einstand gegeben hatte. Er wisse nichts von Bahrschen Papieren, sondern Bahr stoße nur auf sein Mißtrauen. Das ist arrogant. Es kann bis zur Niedertracht gehen, so zu argumentieren: Ich weiß ja nichts aber mißtrauisch bin ich, und den verdächtigen wir erst einmal.
({11})
Das ist schlimm, und ich finde, dafür sollte man sich entschuldigen.
({12})
Ich will in diesen Vormittag keine unnötige Schärfe hineinbringen. Die Art, wie manche von
Ihnen zusammen mit den genannten ungetreuen Staatsdienern und einigen sogenannten Journalisten mit meinem Freund Egon Bahr umgegangen sind, entsprach einer Kampagne vom Zuschnitt der Nazipropaganda.
({13})
Wenn es Ihnen, Herr Marx, besser gefällt, bin ich auch bereit, „Nazipropaganda" mit „stalinistischen Methoden" auszutauschen.
({14})
Übrigens war er an der Einleitung von Kontaktgesprächen mit den italienischen Kommunisten gar nicht beteiligt. Da müssen Sie einmal den Bundesminister Egon Franke fragen, der kennt das besser.
Herr Abgeordneter, die Fraktionen haben Redezeiten vereinbart. Würden Sie - Brandt ({0}) : Ja, das ist gestern nicht so streng gehandhabt worden.
Nein.
Aber ich werde mich jetzt darum bemühen. Es gelten beim Präsidenten - ich habe ihn nicht zu kritisieren - offenbar andere Maßstäbe als beim Sprecher der CSU.
({0})
Herr Abgeordneter, lassen Sie mich bitte einen Augenblick reden. Wenn Ihre Fraktion eine Verlängerung Ihrer Redezeit beantragt, würde ich Ihre Redezeit verlängern.
Danke schön.
Ich will. hier, ob Ihnen Herr Bahr gefällt oder nicht, sagen: Ich habe ihm als Bundeskanzler ein einziges Mal einen Brief geschrieben, und darin stand bewußt, ich dankte ihm für seinen patriotischen Dienst. Das wiederhole ich von dieser Stelle aus.
({0})
Lassen wir das mit den gewissen vordemokratischen Zuständen in Bayern. Das wollte Herr Strauß eigentlich ein bißchen genauer hören. Ich werde das in Bayern den Wählern, die es ja auch angeht, bei anderer Gelegenheit vortragen.
({1})
Zu dem, was er die Doppelstrategie genannt hat, bitte ich nun wirklich zur Kenntnis zu nehmen: Hier wird Falsches behauptet. Ehmke hat das gesagt vom „Schwarzwälder Boten". Es ist dementiert worden. Trotzdem wird durch jemand wie Strauß weiter behauptet, unsereins schicke Leute in Archive.
Herr Kohl, ich hoffe, Sie haben gelesen, was ich auch unter Bezugnahme auf Sie dem „Spiegel" gesagt habe: Ich bin dagegen. Ich habe sogar einen Fall genannt, wo mich Leute aus meiner eigenen Partei kritisiert haben, weil ich sage, man solle z. B. Schluß machen mit diesen Doktorabhandlungen, wo einzelne aus der damaligen Zeit heraus ihre Pflichtübungen gemacht haben. Ich will, daß damit Schluß ist. Ich bin seit Jahren der Überzeugung, daß das Wort von Abraham Lincoln auch für unser Volk gilt: Ein in sich gespaltenes Haus hat keinen Bestand. Wir brauchen die Aussöhnung, aber wir brauchen sie auf einer einwandfreien Grundlage, daß nämlich auch heute noch Unrecht ist, was damals Unrecht war.
({2})
Unerhört ist es, wenn Herr Strauß, der mich übrigens nicht beleidigen kann, sagt, zur Doppelstrategie gehöre, daß sich der Brandt in der Welt zu Lasten unseres Volkes oder eines Teiles von ihm betätige. Das ist empörend. Ich habe einiges in der Welt getan, um die Stellung dieses Volkes und dieses Landes besser zu machen - auf meine Weise,
({3})
andere haben es auf ihre Weise gemacht. Herr Strauß verfolgt mich mit Intervallen seit 18 Jahren mit seinen Verdächtigungen und Beleidigungen und hat es dabei verstanden, immer noch eine Kleinigkeit oberhalb des Kloakenniveaus der ,,N-und-S-
Zeitung" zu bleiben; aber dazu gehört ja auch nicht viel.
Herr Kohl, und dann fragen Sie: Was ist mit dem Geist der Polarisierung? Darüber sollten Sie mit Herrn Strauß ein ernstes Wort sprechen.
Ich hätte gerne noch folgendes gesagt. Nehmen Sie bei allem Krisengerede zur Kenntnis: Das hier ist keine starke Mehrheit, aber sie hat sich bewährt. Sie hat sich in dieser Woche auch in Düsseldorf wieder bewährt. Sie wird sich am 8. Oktober in Hessen bewähren.
({4})
In Bayern werden Sie ein bißchen von dem allzu hochgeratenen Roß herunterkommen müssen. Und dann werden wir sehen, wie das im nächsten Jahr über die Landtagswahlen bis hin zur Bundespräsidentenwahl geht. Dann freue ich mich auf eine neue Debatte, in der ich mich mit Straußens Rummachen an den Visionären auseinandersetzen kann. Der wird auch noch merken - wenn nicht, ist es ja auch nicht mehr so wichtig -, daß es wieder eine junge Generation gibt, die von uns Antworten erwartet, die zu geben schwer genug wird. Aber ich möchte, daß diese junge Generation zumindest spürt, daß unsere Antennen ausgefahren sind.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marx.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am gestrigen Tage und auch soeben in seiner Rede hat sich der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands immer wieder mit Elementen aus unserer Geschichte beschäftigt. Ich möchte dem zunächst folgen. Allerdings, Herr Kollege Brandt, kann man nicht einzelne Abschnitte, so wie man sie gern sieht und interpretiert, aus der Geschichte, aus geschichtlichen Abläufen herausnehmen, um sie zu Hilfe zu rufen, damit man die eine oder andere politische Darstellung heute damit begründen kann.
({0})
Es gilt für uns der allgemeine Satz, daß derjenige, der sich mit der Geschichte beschäftigt, dies auch deshalb tut, um zu verstehen, wo er und auch seine politischen Gegner heute stehen.
Meine Damen und Herren, dieses Haus hat sich in den letzten beiden Tagen auch mit geschichtlichen Elementen beschäftigt. Es ist hier gestern der Zwischenruf „Hambacher Schloß, 1832!" - das Schloß liegt in meiner engeren Heimat - gefallen. Es sind von Ihnen soeben Hinweise auf die Zeit von 1871 gegeben worden; Sie haben Bebel genannt. Ich würde gern den Namen Erzgräber und die Zentrumspartei hinzufügen. Ich würde gern einen Mann aus Ihren Reihen, Herr Kollege Brandt, hinzufügen, nämlich Otto Wels. Sie haben durch Zwischenrufe das Ermächtigungsgesetz angesprochen. Ja, meine Damen und Herren, es haben sich damals viele im In- und Ausland geirrt. Es hat sich damals im Ausland z. B. ein Mann wie Winston Churchill geirrt.
({1})
Und ich nehmen doch nicht an, daß der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei auf die Art und Weise, wie das hier geschieht, eine Schelte des ersten Bundespräsidenten unseres eigenen Landes vornehmen oder dulden wollte.
Herr Kollege Brandt, es gab in den Darstellungen auch eine Reihe von Geschichtsklitterungen. Es gab Hinweise, die Sie sich beigemessen haben, als ob nur die Sozialdemokratische Partei - der wir das gar nicht abstreiten - einen wichtigen Anteil an der freiheitlich-demokratischen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten habe. Wir bitten nur darum, daß Sie, wenn Sie davon sprechen, nicht nur auf Ihren eigenen Nabel schauen, daß Sie nicht eine Legende verbreiten, die etwa lautet, nur die Sozialdemokraten seien es, die demokratisches und rechtsstaatliches Denken pflegen. Sie sollten dies auch dann nicht tun, wenn Sie auf die Verhältnisse unseres eigenen Landes gegenüber anderen Ländern eingehen.
Herr Kollege Brandt, Sie haben kein Wort zu dem gesagt - ich möchte das jetzt nachholen; ich denke, daß Sie dem dann zustimmen -, was christlich-demokratische Politiker, was Konrad Adenauer und seine Nachfolger und diese meine Fraktion seit 1949 hier in diesem Hause für Deutschland geleistet haben.
({2})
Sie haben von dem westlichen Bündnis gesprochen. Sie tun so, als ob dies heute eine SelbstverständDr. Marx
lichkeit wäre. Gut, ich nehme das zur Kenntnis. Aber, Herr Kollege Brandt, wir erinnern uns doch an Ihre eigenen Reden hier in diesem Hause, an die Reden Ihrer Freunde, die sie damals gehalten haben. Wir erinnern uns an Zurufe von Herrn Schumacher, als wir damals mit viel Mühe gegen Ihren Widerstand dafür sorgen mußten, daß die Bundesrepublik Deutschland in einem westlichen Bündnis eingebettet ist. Wir sind ein Teil des Westens. Wir haben uns nicht zum Westen entschieden, weil wir , irgendwo in der Mitte stünden, sondern wir sind ein Teil des Westens. Wir haben uns dazu entschieden.
({3})
Ein Zweites. Herr Kollege Brandt, Sie haben auf Ihre eigene damalige Tätigkeit als Außenminister im Sommer 1968 hingewiesen, Sie meinten das, was man populär das „Signal von Reykjavik" nennt. Aber Sie haben dann auch nicht etwas Zusätzliches gesagt, was Sie hätten tun müssen. Wenn Sie nämlich von den beiden Säulen Verteidigung und Entspannung sprechen, die damals und in Verbindung mit dem Harmel-Plan herausgearbeitet worden sind, dann hätten Sie auch den August 1968 nennen müssen, den Überfall auf die CSSR und die tiefe Wirkung, die dieses geschichtliche Ereignis hatte, aber offenbar bei einigen, z. B. bei Ihnen, nicht hatte; denn kurze Zeit danach sind Sie zur Tagesordnung übergegangen und haben eine Politik der Entspannung ohne präzise Definition, was damit eigentlich gemeint sei, begonnen. Sie haben immer mit der anderen Seite die Formulierung „Entspannung", ohne daß Sie die notwendigen Unterscheidungen und Klarheiten hineinbrachten, gebraucht.
({4})
Ein weiteres, Herr Kollege Brandt. Es ist von Ihnen eben in einem Nebensatz von dem Primas der Katholischen Kirche Polens gesprochen worden, der sich im Augenblick, wie ich sagen muß: zu unserer großen Freude hier in der Bundesrepublik Deutschland befindet.
({5})
Kardinal Wyszynski hat gestern abend in Fulda darauf hingewiesen, daß es keine Kluft zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk gebe. Für einen solchen Satz sind wir dankbar. Aber, Herr Kollege Brandt, es gab davor - denken Sie an das Konzil - einen Briefwechsel zwischen den polnischen und den deutschen Bischöfen. Ich sage dies hier offen, denn ich war in den Jahren 1955, 1956 und in den folgenden Jahren öfters in Polen und war emotional dem durchaus europäischen, lateinischen und religiös gefestigten Volk, nämlich den Polen, immer verbunden. Ich muß hinzufügen, daß bei diesem Briefwechsel damals gesagt wurde: Wir vergeben und bitten um Vergebung. Da kann ich nicht vergessen, wie von den Kommunisten in Polen damals die Veröffentlichung dieses Briefwechsels, das Verlesen von den Kanzeln durch parteiliches und staatliches Dekret verhindert worden ist. Ich vermisse immer wieder den notwendigen Hinweis darauf, daß wir, wenn wir vom polnischen Volk und von der polnischen Führung sprechen,
einen qualitativen und wichtigen Unterschied machen müssen, daß es sich nämlich bei dieser Führung um Leute handelt, die nicht dem Willen dieses Volkes entsprechen, sondern die durch die Einwirkung einer fremden Macht am Ruder sind und diesem Volk seine eigene Freiheit vorenthalten.
({6}))
Ich bitte, daß wir diese Dinge miteinander aussprechen! Wir wissen seit vielen Jahren, daß im polnischen Volk uns gegenüber nicht jener immer wieder künstlich erhaltene Groll, jener Ärger, jener Haß, jenes Mißtrauen vorhanden ist. Vielmehr habe ich es bei einer Auseinandersetzung mit polnischen Professoren erlebt, daß einer mir sagte: Ich bin Mitglied der Arbeiterpartei, meine Frau ist katholisch. Fragen Sie alle Leute hier, fragen Sie den Bergmann, den Straßenbahnschaffner und den Bauer! Wir Polen wollen einmal die Chance haben, so wie ihr zu leben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich, Herr Abgeordneter?
Ich möchte gern diesen Gedanken zu Ende führen und komme dann gern auf Ihre Wortmeldung zurück.
Herr Kollege Brandt, als Sie Ihre Politik begonnen haben - ich will nachher noch einiges zu diesem Sektor unseres geschichtlichen Erlebnisses sagen -, haben Sie wiederholt den Eindruck erweckt, Sie wollten dem Osten gegenüber erreichen, was Adenauer dem Westen gegenüber erreichte. Sie haben oft das Länderpaar genannt: Polen auf der einen Seite und Frankreich auf der anderen Seite. Wer hätte nicht gern - ich nenne Konrad Adenauer - aus seiner eigenen Einsicht in diese in der Tiefe der Geschichte liegenden Strömungen schon sehr früh mit dem polnischen Volk so gesprochen, wie wir mit dem französischen Volk sprechen konnten. Wir haben in der Zeit Adenauers alle unsere Kraft darauf gelenkt, jene schlimmen Grenzen - Sie haben soeben auf Elsaß-Lothringen und auf den tiefen eingeritzten Grenzbereich zwischen uns und den Franzosen hingewiesen, Herr Kollege Brandt -, diese eingefurchten nationalstaatlichen, die mit Bitternis, mit Kriegen und Blut befleckten Grenzen Europas unwichtig zu machen. Das Ziel Adenauers und der CDU war es, die Grenzen nur noch zu Markierungslinien für Verwaltungseinheiten in Europa zu machen.
({0})
Sie haben aber in Ihre Verträge genau das Gegenteil hineingeschrieben. Sie haben die Grenze erst vollkommen - es heißt dort: jetzt und künftig unverletzlich - mit dem tiefsten Griffel in die Landschaft Europas hineingeritzt.
Herr Kollege Brandt - ich sage das jetzt einmal ganz für mich -, wir hätten niemals einen Streit über die Oder/Neiße gehabt, wenn eine Grenze da oder an anderer Stelle etwa so gewesen wäre wie die Grenze an meinem Wahlkreis - dort sind 80 km Grenze zu Frankreich -, wenn wir und die Polen
hätten drüben und herüben leben und weben können: mit Musikvereinen, mit Kegelklubs, mit Skatklubs, mit allen möglichen Gruppierungen.
({1})
Was hätte eine Grenze bedeutet, wenn das möglich gewesen wäre? Das wäre bei Gott nicht Gegenstand schlimmer Auseinandersetzungen gewesen. Dies ist es, was wir wollen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern eine Bemerkung dazu gemacht. Wenn wir von Europa reden, sind wir uns darüber klar, daß wir heute damit das westliche Europa, die Gemeinschaft, die neutralen Staaten und diejenigen meinen, die in das freie, demokratische, rechtsstaatlich geordnete Europa kommen wollen. Aber wir sind uns immer darüber klar gewesen, daß zu Europa auch die Völker in Ost-Mitteleuropa gehören: natürlich z. B. die Balten, natürlich die Ukrainer, natürlich die Russen. Selbstverständlich sind sie alle, jeder in seiner Form, jeder in seiner eigenen geschichtlichen, kulturellen gesättigten Kraft, ein Teil Europas.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich?
In einer Sekunde, Herr Präsident.
Wir möchten in diesem ganzen Europa nicht eines ,der soeben genannten Völker, keinen der soeben genannten Kulturkreise und keine der reichen Vorstellungen missen, die es so weit gebracht haben, daß wir, wenn wir Europa sagen, meinen: In der Vielfalt die Einheit und in der Einheit die Vielfalt.
({0})
Herr Kollege Dr. Marx, ich möchte Sie nach Ihren Bemerkungen über das polnische Volk, die polnische Regierung und die polnische katholische Kirche fragen, ob Sie möglicherweise bestreiten, daß das polnische Volk und vor allem die katholische Kirche nicht das mittragen und begrüßen, was das Ergebnis der Besuche von Willy Brandt in Polen, Edward Gierek hier und Helmut Schmidt in Polen ist.
Verehrter Herr Kollege Friedrich, ich würde Ihnen wirklich gern darauf antworten, wenn ich so wie offenbar Sie glaubten, daß das, was das polnische Volk denkt, wirklich in der Trybuna Ludu oder in sonstigen solchen Zeitungen zu finden ist.
({0})
Das ist es leider nicht. Denn leider gilt für Polen, daß auch die dortigen Zeitungen nur schreiben, was die Partei zu schreiben erlaubt; und die Partei erlaubt nur, einiges zu schreiben, weil es ihr höchst gefährlich wäre, wenn sie erlaubte, zu schreiben, was im polnischen Volk gedacht wird.
({1})
Ich will, Herr Kollege Brandt, nicht einer Frage ausweichen. Nach all dem ist gefragt worden. Ich will auf Grund der vielen Unterhaltungen mit allen möglichen Schichten des polnischen Volks sagen, daß man, wenn man in dieses Volk hineinhört, merkt, daß auch dieses Volk plural denkt und daß es auch dort viele Gliederungen, viele Überlegungen, viele Schattierungen gibt. Es gibt dort sehr viele Leute, die auf uns sehen, die uns fragen, ob sie überhaupt eine Chance haben werden - ich habe es vorhin angedeutet -, sich einmal so offen zu ihrem eigenen Schicksal, zu ihren eigenen Zukunftsplänen, zu ihrem Willen, wie das künftige Polen aussehen soll, äußern zu können, wie wir es Gott sei Dank können.
Die nächste Bemerkung. Es ist gestern auch vom Geschichtsunterricht gesprochen worden. An einer Stelle hat der Bundeskanzler gesagt, was man im Jahr 1971 beklagt habe, sei ja schon vor den Rahmenrichtlinien gewesen. Richtig.
Es gab, wie ich .denke, im Laufe der letzten Jahre bei unserem Geschichtsunterricht viele große und beklemmende Lücken, vor allem bei der Darstellung der jüngsten Vergangenheit. Ich finde z. B. nur in wenigen Geschichtsbüchern etwas darüber, wie dieses Land seit 1945 wieder aufgebaut worden ist. Es ist klar, Herr Bundeskanzler, daß es nach dem Schock des Kriegs viel Unsicherheit gab und daß viele Quellen noch nicht zur Verfügung standen.
Aber daß man jetzt, wie z. B. in Nordrhein-Westfalen, dazu übergegangen ist, ein Einheitsfach „Gesellschaftskunde", in das auch Geschichte hineinvermengt wird, zu schaffen, ja daß man geradezu Wert darauf legt, die Sauberkeit geschichtlicher Darstellungen und den Eingang geschichtlicher Kenntnisse in die Köpfe der jungen Menschen zu verhindern, dies ist es, was wir angreifen, und dies hat offensichtlich und ganz eindeutig ideologische Gründe.
({2})
Ein Weiteres: Wenn davon gesprochen wird, wir sollten uns für die Zukunft bemühen, im Geschichtsunterricht wieder dafür zu sorgen, daß der Gang der Geschichte, ihre guten und ihre düsteren Stunden erkennbar, prüfbar und wertbar werden, dann lege ich wirklich großen Wert darauf, daß es z. B. in einem großen Teil unserer Länder nicht möglich sein soll, daß in den drei letzten Gymnasialjahren der Geschichtsunterricht abgewählt werden kann. Denn gerade dann, wenn ein junger Mensch 15, 16 Jahre alt ist,
({3})
wenn er beginnt, geschichtliche Vorgänge und Zusammenhänge zu verstehen, wenn er beginnt, zu lesen, auch Memoiren zu lesen, und sich hineinzuarbeiten, bekommt er von der Schule - und wo gilt nicht das Gesetz der Trägheit - gesagt: Du brauchst dich all diesen anstrengenden und verwirrenden Sachen gar nicht zu stellen; du kannst den
Geschichtsunterricht abwählen. Und er wählt ihn dann leider oft ab.
({4})
Der Herr Kollege Brandt hat auch auf die europäischen Aspekte der Wahlen hingewiesen, die jetzt vor uns stehen. Herr Kollege Brandt, ich habe mir das Programm der europäischen Sozialisten, das im Juni verabschiedet worden ist, angesehen. Ich muß sagen, daß in diesem Programm kein Wort zur Integration enthalten ist,
({5})
kein Wort z. B. zur deutschen Wiedervereinigung, von der Herr Bahr sagt, an sie zu denken und sie herbeizuführen, sei ein Verfassungsauftrag - womit er zweifellos recht hat -, kein Wort, was das Eintreten für Berlin anlangt.
({6})
Sie haben gesagt: Wir werden alle, jeder nach seiner Fasson, mit allen Kräften darum ringen, daß wir ein Europäisches Parlament bekommen, ja, das diesen Namen „Parlament" verdient und nicht nur „Assemblée". Wir werden aber auch, Herr Kollege Brandt, darum ringen, daß ein solches Parlament dann Kompetenzen erhält, daß es wirklich den Namen „Parlament" verdient, daß es eine Keimzelle für das künftige Europa sein wird, das wir uns ohne wichtige Elemente der Integration nicht vorstellen können.
Der Herr Kollege Ehmke hat gestern in einem Satz eine Schauermär verbreitet. Er hat von einer Unterhaltung berichtet, die er mit dem Ministerpräsidenten Andreotti gehabt habe. Er hat mitgeteilt, dieser habe ihm gesagt, er sei sehr darum bemüht, eine Zusammenarbeit mit Sozialisten im späteren Europa zu erreichen. Ich sage Ihnen das aus der politischen Praxis, daß es sicher notwendig sein wird - so wie auch ab und zu in diesem Hause -, daß christliche Demokraten dann mit Sozialisten zusammenarbeiten, wenn sie auf einen gemeinsamen Punkt hinarbeiten.
Aber, Herr Kollege Ehmke, wer hat eigentlich ein Koalitionskabinett aus Mitgliedern der Democrazia Cristiana und Sozialisten in Rom verhindert? Waren das nicht Herr Craxi und seinesgleichen? Haben die nicht gesagt, sie seien nur dann bereit, mit der Democrazia Cristiana zusammenzugehen, wenn auch die Kommunisten mit hineingenommen würden, wenn ihnen ein Anteil entsprechend ihren Wahlergebnissen gegeben würde?
({7})
Im übrigen: Wir hatten in einem Nachrichtenmagazin vor nicht langer Zeit auch einmal den Hinweis, daß Andreotti so dächte. Es wurde auch noch Colombo genannt. Wir haben damals bei Colombo rasch nachgefragt. Er hat dies ganz entschieden bestritten.
Ich würde den Kollegen Ehmke, wenn er da wäre, fragen, ob er vielleicht Andreotti mit Sergio Segre, einem der wichtigsten Leute in der Führung der Kommunistischen Partei Italiens, verwechselt hat, der ja, wie Herr Ehmke weiß, ein häufiger Gesprächspartner von ihm dort ist.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch zu einigen anderen Themen kommen. Ich finde, daß in der gestrigen Debatte kein Wort öfters gefallen ist als das Wort von der „Kampagne". Fast alle Redner - und keine Ausnahme machte der Vorsitzende der SPD eben - haben sich Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, meine Partei und meine Fraktion hätten eine Kampagne ausgedacht, vorbereitet und mit allen möglichen anderen finsteren Mächten durchgeführt, mit dem Ziel, die Sozialdemokraten zu treffen oder ihnen, wie es hieß, einen Spionagevorwurf anzuhängen. - Herr Kollege Brandt, Sie nicken schon wieder. Sie müssen es doch besser wissen. Ich darf es noch einmal sagen: Niemand von uns, Herr Kollege Brandt, hat z. B. einen rumänischen Überläufer erfunden. Was da eines Tages auf den Tisch kommen kann - da haben wir Geduld -, werden wir dann, wenn es offen nachprüfbar ist, beurteilen. Dies ist jetzt nicht unsere Sache.
Aber, Herr Kollege Brandt, ich sage dies für meine Fraktion: Wir haben die Artikel in englischen und amerikanischen Zeitungen, von denen gestern die Rede war, weder erfunden noch inspiriert. Herr Kollege Bahr, Sie haben gestern in Ihrer Rede, in der Sie eigentlich an allen Faktoren vorbeigegangen sind, um die es uns wirklich geht, den Eindruck erweckt, z. B. der Vorsitzende meiner Fraktion, Herr Kohl, sei es gewesen, der einen amerikanischen Journalisten so mit Informationen gespickt hätte, daß dieser dann daraus Artikel konstruiert hätte.
({8})
Für wie primitiv halten Sie eigentlich sowohl diesen Journalisten als auch unser Verständnis von journalistischer Freiheit, Herr Kollege Bahr?
({9})
Es ist nicht unsere Methode - das überlassen wir denen, die in den Bahnen des konspirativen Denkens befangen sind -, auf diese Weise unseren innenpolitischen Gegner zu attackieren. Herr Kollege Brandt, wir setzen uns hier auseinander. Wir erfinden nicht solche Sachen. Wir machen nicht solche Kampagnen. Aber neben Ihnen sitzt - wortlos wie immer zu Ihnen - der Kollege Wehner. Er hat am Abend des 1. September, eines Freitags, wenn ich es recht weiß, begonnen - und das ist dreimal im Fernsehen zu sehen gewesen -, die Kampagne umzudrehen. Es ist, wie ich zugeben muß, ein großes Geschick, Herr Kollege Wehner, von sich selbst dadurch abzulenken, daß man andere attackiert und dann unter diesem hübschen Zuruf, man werde die Puppen noch tanzen sehen, den Eindruck zu erwekken versucht, es sei die CDU/CSU, die dies alles - vielleicht sogar noch mit dem amerikanischen Nachrichtendienst - in ihrem finsteren Denken ausgeheckt habe. Noch einmal, Herr Kollege Wehner: Dies war nicht der Fall.
Dann ist von dem Wort „Selbstfinnlandisierung" gesprochen worden. Nun muß ich noch einmal sagen, eine Frage des Kollegen Mertes von gestern
aufnehmend, daß dies nicht von uns erfunden worden ist. Aber es ist ein häufig gebrauchter Begriff. Man sollte vielleicht auch sagen, daß Worte und Begriffe aus lebendiger Erfahrung entstehen. Aber damit es hier keinen Zweifel gibt: Wenn dieses Wort gebraucht wird, so meinen wir bei Gott nicht die tapfere Haltung eines kleinen unglaublich bedrückten und in seinen äußeren und inneren Rechten sehr manipulierten Volkes. Wir wissen, daß man in Finnland die Freiheit liebt und daß man sehr darum kämpft, Millimeter um Millimeter, diese Freiheit, die bedrängt und bedrückt wird, zu erhalten.
Was mit dem Ausdruck offenbar gemeint ist, ist nicht die Haltung des Volkes, sondern eine Form der Politik, die es dem finnischen Volk z. B. nicht erlaubt hat, seinen damals mit großer Mehrheit gewählten sozialdemokratischen Führer Tanner zum Ministerpräsidenten zu machen, weil die Sowjetunion eingegriffen und dies verhindert hat.
({10})
Herr Bundeskanzler und Herr Parteivorsitzender der SPD, machen Sie es sich doch bitte nicht zu leicht. Ich habe den Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, Herrn Brzezinski, so verstanden, daß er fürchtet - und solche Leute saugen sich dies doch nicht aus den Fingern -,
({11})
daß die Bundesrepublik Deutschland eines Tages, wenn wir hier nicht aufpassen und die drei oder vier Neben- oder Gegenaußenminister, die wir leider haben, die die Politik dieses Außenministers, der hier immer seine Politik vorträgt, der wir in wichtigen Elementen zustimmen, mehr und mehr die offizielle Außenpolitik dieses Landes verbiegen, wegdrücken und die linke Außenpolitik an die Stelle der vereinbarten setzen, in einen Zustand käme, in dem sie bei jedem Versuch, sich außenpolitisch zu äußern, fragen müßte, ob dies genehm sei, und sehen müßte, ob jemand ärgerlich, zornig oder befremdet die Augenbraue nach oben zöge.
({12})
In diesen Zustand möchten wir nicht kommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte einen vierten Punkt hinzufügen. Herr Kollege Brandt und Herr Kollege Bahr, wir - das ist gestern schon gesagt worden; aber dies muß man wiederholen dürfen - haben nicht den Antrag gestellt, eine Immunität aufzuheben. Das war der Dritte Strafsenat.
Ich bitte, daß Sie, wenn Sie Lust dazu verspüren, den Dritten Strafsenat zu bedrücken oder zu rüffeln, das nicht auf dem Umweg über die CDU tun, sondern Ihre Überlegungen dort offen anbringen. Sie sollten das nicht in der Art und Weise tun, wie das in den letzten Wochen immer wieder geschehen ist.
({13})
Ich jedenfalls lege großen Wert darauf, daß das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag den gerichtlichen Verfassungsorganen nicht bei der notwendigen Erfüllung ihrer Pflicht in den Arm fällt. Ich bin allerdings der Meinung, daß wir dann, wenn Ergebnisse vorliegen - wie immer sie auch seien -, das Recht und die Möglichkeit haben, über diese Ergebnisse einen offenen Gedankenaustausch miteinander zu führen.
Nun, Herr Kollege Brandt, noch einmal zurück in die Geschichte. Sie haben eben eine Bemerkung über die Jahre 1967 und 1968 gemacht; ich habe mich dazu gestern abend ganz kurz geäußert. Herr Ehmke sagte gestern - etwa so drückte er es aus -, für seine Partei sei es eine geschichtliche Not, sich an die Sozialistengesetze erinnern zu müssen. Er hat zumindest die Fairneß gehabt, darauf hinzuweisen, daß vor 100 Jahren die Zentrumspartei - und ich verweise darauf, daß sie damals in einem heftigen Kulturkampf stand - den Sozialistengesetzen nicht zugestimmt hatte.
({14})
Dies ist eine Sache der Geschichte; ich möchte aber auf die Geschichte zurückkommen, die wir alle erlebt haben, und zwar auf. eine Geschichte, von der ich sage, daß wir durch ihre Ergebnisse noch Pein erleiden. Sie, Herr Kollege Brandt, waren Außenminister in der Großen Koalition; Kurt Georg Kiesinger war der Bundeskanzler. Wir hatten eine gemeinsame Regierungserklärung, aus der Herr Bahr gestern noch einmal zitiert hat. Wir haben damals im Kabinett und im Kreßbronner Kreis, wie Sie wohl wissen, viel Mühe gehabt, eine gemeinsame politische Linie zu erarbeiten und in allen Fragen der Politik durchzuhalten. Wir haben in diesem Hause gemeinsame Entschließungen formuliert, und wir haben sie miteinander beschlossen.
Bundeskanzler Kiesinger hatte damals mit dem Botschafter Zarapkin, zuletzt in Stuttgart, eine Reihe von Gesprächen in der Absicht, mit der sowjetischen Seite und mit anderen Staatsmännern in Ostmitteleuropa in ein neues Gespräch einzutreten, um den Versuch zu machen, die noch offenen Probleme, womöglich stufenweise, zu bereinigen.
Dann kamen Sie, Herr Kollege Brandt, und einige Ihrer Parteifreunde. Sie haben gesagt, wir könnten uns an einen Herrn wenden, der damals mit dabei war. Aber, Herr Kollege Franke, wir brauchen das nicht; es gibt darüber wissenschaftliche Veröffentlichungen. Wissen Sie, was uns so tief getroffen hat? Uns hat es tief getroffen, als wir erfuhren, daß Sie treulos waren, daß Sie nämlich die in einer Koalition beschlossene und gemeinsam zu vertretende Politik unterlaufen haben, daß Sie eine Delegation zur Kommunistischen Partei Italiens 'schickten und daß es dann sechs oder sieben oder acht Diskussionen gab, in denen man über die KPI der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und der SED mitteilte, man werde, falls man die Chance dazu habe, eine ganz neue, eine andere Politik als die machen, die man gerade im Bundestag beschworen hatte. Dies allerdings nenne ich treulos, dies nenne ich eine schlimme Verfehlung gegen den Geist der Demokratie und gegen den Geist der demokratischen Partnerschaft.
({15})
Herr Kollege Bahr, ich habe gesagt, ich möchte mich Ihnen sehr gern noch zuwenden. Sie selbst waren damals, zumindest teilweise, an diesen Gesprächen - ich glaube, nur in Deutschland - beteiligt. Was war die geschichtliche Konsequenz? Die Bemühungen der Großen Koalition, mit der Sowjetunion und anderen Staaten neue und ernsthafte Gespräche zu führen, sind gescheitert, weil die Sowjets zur gleichen Zeit erfuhren,
({16})
daß derselbe Partner, der sich hier und in der Öffentlichkeit mit Kiesinger an diesem Bemühen beteiligte, dieses Bemühen gleichzeitig desavouierte und mitteilte, er sei bereit, eine andere Politik zu machen.
({17})
- Ja, es hat leider den Nachteil, Herr Kollege Mertes, daß es geschichtlich richtig ist, und ich bedaure, dies sagen zu müssen.
Sie haben davon gesprochen, es herrsche ein schlimmes Klima. Ich bedaure das auch, Herr Kollege Bahr! Ich würde wünschen, Ihnen auf die Weise entgegentreten zu können, daß wir zwar eine ganze Menge ganz unterschiedlicher politischer Auffassungen haben, ich Ihnen aber nicht vorwerfen müßte, daß ich Ihnen in ganz entscheidenden Dingen nicht mehr trauen kann. Das bedaure ich sehr.
({18})
Meine Damen und Herren, es ist weiter davon gesprochen worden, daß man bei diesen Treffen Herrn Bahr ausersehen hat, eine Bresche zu schlagen. Er ist dann nach Moskau geschickt worden, und es gab im Frühjahr 1970 die entsprechenden Verhandlungen in Moskau, die Sie alle kennen. Diese Verhandlungen sind geführt worden, ohne daß das Bundeskabinett getagt und dazu exakte Formulierungen festgelegt hätte und - auch da wiederhole ich die Aussage von Alois Mertes - ohne Konsultation der Alliierten.
Als dann in Zeitungen und Zeitschriften ein Papier erschien, dem man ansah, daß es die ausgefeilte Sprache eines internationalen Konferenzdokumentes hat, das man dann „Bahr-Papier" nannte, haben wir natürlich alle gefragt: was ist denn das, was da auf dem Tisch liegt? Damals ist immer wieder gesagt worden, es handele sich nicht um Verhandlungen, sondern um exploratorische Gespräche, es handele sich nicht um ein Konferenzpapier, sondern um Leitsätze, um Protokollnotizen, Gesprächsnotizen, um Sondierungsformulierungen. Man hat abgestritten, daß es ein solches Papier in dieser Form gebe und daß es die Regierung festlege.
Ich habe gestern die Frage gestellt: Was ist eigentlich aus dem Gromyko-Papier in dem Augenblick geworden, da es zum Bahr-Papier wurde? Ich füge hinzu - entschuldigen Sie bitte, ich nehme auch dies als eine Unredlichkeit -: man hat abgestritten, daß es dieses Papier gibt, und dann hat man später, als man es in Moskau am 12. August 1970 unterzeichnet hatte, in einer offiziellen Broschüre, herausgegeben vom Bundespresseamt, ein Kapitel überschrieben „Das Bahr-Papier". Welch ein Zynismus! Zuerst streitet man es ab, und dann bringt man es im vollen Wortlaut in einem offiziellen Dokumentenband der Bundesregierung unter.
({19})
Herr Kollege Bahr, dies ist der Grund, weshalb wir Sie fragen: was haben Sie bei so vielen Gesprächen eigentlich diskutiert? Haben Sie auch bei den neueren Gesprächen, jetzt in diesem Jahr, einmal vor dem Besuch von Breschnew und einmal vor dem Besuch von Carter, etwas schriftlich niedergelegt, oder ist etwas - um mich vorsichtig auszudrücken - schriftlich niedergelegt worden, was vielleicht geeignet wäre, wiederum, wie damals, die Bundesregierung in Zugzwang zu setzen? Durch Ihr Bahr-Papier - die Punkte 1 bis 4 - sind damals der deutsch-sowjetische Vertrag, dann die Verträge mit Polen, der CSSR und der innerdeutsche Grundvertrag festgelegt worden.
Noch etwas, Herr Kollege Bahr! Herr Dettmar Cramer, ein sicher in diesem Lande sehr angesehener Journalist, hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23. Dezember 1972 ein Gespräch im Flugzeug wiedergegeben, das eine Reihe anderer Journalisten, die dabei waren, bestätigten. Dort steht:
Der europäischen Entspannung stünden, so meinte Bahr, einstweilen noch drei große Hindernisse im Wege: die Militärbündnisse, die Gesellschaftsfrage und die Machtfrage. Über die Militärbündnisse könne man vielleicht in ein paar Jahren verhandeln.
Diesen Satz muß man doch einmal auf sich. wirken lassen, wenn wir die Frage diskutieren: Will da einer Neutralisierung? Es gibt Formen der Neutralisierung, ohne daß man das Wort so verwendet. Aber hier steht, daß dieser erwünschten europäischen Entspannung noch drei große Hindernisse „im Wege stünden" : Militärbündnisse, Gesellschaftsfrage und Machtfrage.
Ich möchte es ganz offen sagen: Wir sind zur Erhaltung unserer Freiheit und unserer Sicherheit darauf angewiesen, daß wir in dem von uns mit viel Mühe konstruierten Bündnis ein wichtiger Bestandteil bleiben und die Sicherungen des Bündnisses für unser Land genießen. Wir können, so wie die Dinge heute sind, nicht daran denken, das enge Bündnis mit den Vereinigten Staaten und das Bündnis der NATO selber aufzulösen. Wir sind doch keine politischen Selbstmörder oder Hasardeure.
({20})
Im übrigen, Herr Kollege Bahr - dies ist ein etwas heiterer Einschub -: Man bezeichnet Sie oft als Architekten der Ostverträge. Sie haben wiederholt, offenbar durch das Wort „Architekt" verlockt, Versuche gemacht, sich in den Bereich der Architektonik vorzuwagen. Weil Sie davon sprechen, daß beide Bündnisse zwei Säulen seien, möchte ich den
Vergleich fortführen: Offenbar werden die NATO- Säule und die Säule des Warschauer Paktes mit dem gleichen Fundament, auf die gleiche Höhe, die gleiche Basis und auch das gleiche Material gebracht, und dann baut man ein Dach darüber, in der Meinung, es werde eines Tages möglich sein, die Säulen wegzunehmen, weil das Dach dann ein freitragendes Dach sei. Dies ist ein hübsches Bild aus Ihrer Architektur.
Aber ich möchte aus einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk vom 30. Dezember 1972 einige Sätze zitieren. Da hat Herr Bahr damals auf die Frage, wie es denn nun in Deutschland mit dem „deutschen Haus" weitergehen solle, wörtlich gesagt:
Das Fundament ist da, die Mauern sind vorhanden, und auch das Dach ist jetzt fertig. Mehr als ein Richtfest kann gefeiert werden. Denn das Dach ist, glaube ich, auch ziemlich wasserdicht.
Ob dies Herr Gaus bei den vielen Diskussionen, die er in Ost-Berlin führen muß, auch als ein wasserdichtes Dach, als eine großartige architektonische Leistung von Herrn Bahr versteht, lasse ich allerdings ganz dahingestellt. - Herr Bahr fährt dann fort, das Dach sei dicht, „selbst wenn starke Regen kommen sollten". Und er fügt hinzu: „was ich nicht hoffe". Er sagt dann weiter:
Was jetzt kommt, ist die Innenausstattung, das Verlegen der elektrischen Leitungen - z. B.: wo kommen die einzelnen hin -, das Einsetzen der Türen, so daß sie nicht quietschen.
- Ich höre in dem ganzen gesamtdeutschen Gespräch eigentlich nur knarrende und quietschende Türen. - Er sagt weiter: „Die Dielen sollen nicht knarren", und dann komme noch „die wohnliche Ausstattung".
Meine Damen und Herren, jeder von uns mag ermessen, was damals an Überlegungen und Hoffnungen vorgetragen worden ist und was aus ihnen dann am Ende wurde. Also, Herr Kollege Bahr, seien Sie doch bitte so freundlich, und sagen Sie uns, wie Sie Ihre Wirkung bei all diesen Dingen - man könnte Oreanda 1971 hinzunehmen, Herr Brandt - einschätzen. Was ist wirklich gesagt worden? Was ist jetzt von Ihnen in der Sowjetunion verabredet worden?
Sie sagen an einer bestimmten Stelle, Sie ärgerten sich - und dafür habe ich ein gewisses Mitgefühl -, daß andere Sie für so dumm hielten, heute das für möglich zu halten, was zur Zeit des Rapacki-Plans vielleicht möglich gewesen sei. Aber wir, Herr Kollege Bahr, ärgern uns, wenn Sie uns für so dumm halten, wirklich zu glauben, Sie hätten die beiden Gespräche in der Sowjetunion nur benutzt, um im Auftrage Ihres Parteivorsitzenden über Nord-SüdFragen zu sprechen und die etwas lässige Sowjetunion zu mahnen, sie möge doch bitte ihre Entwicklungshilfe allmählich steigern, so daß deren Niveau über das der Entwicklungshilfe Osterreichs hinauskomme.
({21})
Ich beziehe mich dabei auch .auf den „Spiegel", der am 17. April geschrieben hat - ich zitiere -:
... flog SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr für vier Tage nach Moskau, getarnt mit dem offiziellen Auftrag, die Sowjets über die Arbeit der von Willy Brandt geleiteten Nord-Süd-Kommission zu unterrichten.
Übrigens wieso? Ich höre immer, dies sei eine neutrale Kommission. Ich höre immer, sie habe keinerlei parteiliche Verankerungen. Wieso ist es eigentlich möglich, daß der Hauptgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Auftrag des Vorsitzenden dieser Kommission Gespräche dieser Art führt? Es wäre uns also lieb, wenn auch dazu geantwortet werden könnte.
({22})
Und ein weiteres. Herr Kollege Bahr hat den Geschmack gehabt, so muß ich schon sagen, in seinem „Spiegel"-Interview - Herr Kollege Brandt, ich richte mich jetzt an Sie; Sie haben eben noch einmal die Konfrontation beklagt, aber Ihr engster Mitarbeiter, den Sie zu so heiklen, verdeckten und bis heute nicht aufgeklärten Verhandlungen schicken, sagt so etwas im „Spiegel" -, zu erklären, die Amerikaner - und damit gibt er etwas zu, was er früher nie zugegeben hatte - seien im Jahre 1969 gar nicht so einverstanden gewesen mit den Veränderungen der Politik, sie hätten geknurrt; aber sie hätten dann eingesehen, daß sie früher, bis zum Jahre 1969, mit den Vertretern des besiegten Deutschland verhandelt hätten, aber bei Ihnen und Ihrer Partei nach 1969 mit den Vertretern des befreiten Deutschland. Meine Damen und Herren, welch infame Unterscheidung zu denjenigen Kräften, die wie Sie oder einige von Ihnen im Dritten Reich unter schlimmsten Verhältnissen standen und deren Aufgabe es war, mit fast zerstörten Kräften, auch aus den Konzentrationslagern, auch aus den Gefangenenlagern kommend, den Versuch zu machen, dieses gefolterte und auf dem Boden liegende Land zur Freiheit zu führen! Und dann wollen Sie uns unterstellen, wir seien die Vertreter des besiegten und Sie des befreiten Deutschland. Herr Kollege Bahr, dafür gibt es allerdings nur einen parlamentarischen Zuruf, nämlich „pfui!"
({23})
Meine Damen und Herren, ich darf noch einige Worte zu ein paar Dingen sagen, die gestern gelaufen sind.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben sich bei der Frage, die unseren Kollegen und Freund Graf Stauffenberg anlangt, die Formulierung sehr einfach gemacht. Ich weiß, daß man im Widerstand, wenn die Bedrängnis so groß ist, oft nicht fragt, wer mit einem die gleiche Bedrängnis aushält und wer mit einem an der Seite steht. Aber bei dem Thema „Widerstand" geht es eben nicht nur um die Frage, gegen wen man Widerstand geleistet hat, sondern auch um die Frage: Für wen und für was?
({24})
Herr Kollege Brandt, Sie haben vorhin, auf mich deutend, gesagt, Sie könnten das ganz anders formulieren, Sie könnten Stalinismus sagen. Herr Kollege Brandt, es kommt immer darauf an, ob man ein terroristisches, ein totalitäres, ein menschenverachtenDr. Marx
des und -verschlingendes System, was der Nazismus war, durch ein stalinistisches System ersetzen will, dem alle diese Epitheta ornantia, so müßte man fast sagen, zu eigen sind.
Herr Bundeskanzler - ich darf meine Fraktion bitten, für mich noch um fünf Minuten Redezeit bei dem Herrn Präsidenten nachzusuchen -, Sie haben den Freiherrn von und zu Guttenberg genannt. Aber er konnte sich ja nicht wehren. Sie haben ihn per Vermutung zitiert und gesagt: Wenn er heute da wäre, hätte er sich sicher dagegen verwahrt. Ich will auf diesen Satz nicht weiter eingehen; denn ich will eine unzulässige Spekulation nicht durch andere ersetzen. Aber eines weiß ich - und das hat ihn bis zuletzt, bis kaum mehr jemand seine geflüsterte Sprache verstehen konnte, umgetrieben -, daß dieses Land dabeibleibt, gegen jede Form von Totalitarismus zu kämpfen, und daß er es nie erlaubt hätte, aus dem Erlebnis des gemeinsamen Widerstands eine moralische Rechtfertigung für etwas zu ziehen, was eines Tages eine Volksfront sein könnte.
({25})
Meine Damen und Herren, ich spekuliere nicht, ich erinnere an alle die Darlegungen, die unser Freund von und zu Guttenberg hier und draußen gegeben hat. Es gibt nichts, was einen veranlassen könnte, zu vermuten, daß er mit einer solchen Ausdeutung einverstanden gewesen wäre.
({26})
Das Gegenteil ist der Fall. Herr Kollege Brandt, Freiherr von und zu Guttenberg hat sich damals in seiner letzten Rede an Ihre Fraktion gewandt und gesagt - ich gebe es jetzt aus meiner Erinnerung wieder -: Sie, die Sie so viele Opfer, so viele Blutopfer für einen neuen demoktatischen Staat gebracht haben, sollten nichts tun, was es einem anderen Diktator erlauben würde, dem jetzt gewonnenen Staat seine Freiheiten wegzunehmen.
Zum Schluß möchte ich noch einmal darauf hinweisen - und ich muß es auf Grund dessen, was in den letzten Tagen diskutiert worden ist, tun -, daß eine der ersten, fundamentalen Entscheidungen deutscher Politik nach dem Weltkrieg lautete: Für die Freiheit - für den Westen. Wir haben damals gesagt: Wir wissen, wir sehen, daß unter der vorhandenen sowjetischen Politik eine Einigung Deutschlands, eine Zusammenführung der gespaltenen Teile jetzt nicht möglich ist. Aber wir haben auch immer gesagt: Wir werden dies als ein Ziel all unseres Bemühens nie vergessen und nicht aufgeben, wenngleich wir - ich wiederhole es - keine Phantasten sind, sondern uns um das kümmern, was real möglich ist.
Adenauer hat uns gelehrt, wir sollten jetzt das Mögliche tun, also Freiheit und Sicherheit durch das Bündnis, durch eine freie Lebens- und Wirtschaftsordnung, durch Demokratie und Rechtsstaat erhalten.
Herr Kollege Bahr, Sie konstruieren immer wieder, sozusagen in die Richtung auf die CDU, ein Gegensatzpaar Frieden oder Einheit. Das ist vom Denkansatz her falsch;
({27})
denn wir, die CDU/CSU, haben unsere Politik vom ersten Tage an unter das eherne Erfordernis der Erhaltung und des Ausbaus des Friedens gestellt. Niemals, in keiner offiziellen Verlautbarung irgendeines unserer führenden Leute haben wir den Eindruck erweckt, wir machten ein Spiel der Hasardeure etwa unter der Überschrift: Einheit auch um den Preis, den Frieden aufs Spiel zu setzen. Niemals haben wir das getan. Wir haben immer gesagt „Frieden in Freiheit", und daher hatten für uns die Freiheit und der Frieden in Freiheit in der Kategorie der Werte den obersten Platz.
Herr Kollege Kohl hat gestern darauf hingewiesen - ich möchte das noch einmal wiederholen, damit es für die CDU/CSU ganz manifest ist -: Wir glauben, daß derjenige, der die fundamentalen Entscheidungen für Freiheit und den Westen revidieren will, der Mitgliedschaft in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft ihren eigentlichen Sinn nimmt. Wer aber die Mitgliedschaft in Frage stellt, dessen Bekenntnis zum freien Westen wird unglaubwürdig. Die Konsequenz wäre die Liquidierung der Freiheit, die Umkehrung aller Verhältnisse und das Wechseln der Farbe unseres Landes.
Für uns gibt es keine Alternative zur Freiheit. Für uns bedeutet das Bündnis Sicherheit. Aber unsere Mitgliedschaft im Bündnis bedeutet für unsere .Partner ebenfalls Sicherheit. Unsere Partner haben einen Anspruch darauf, zu wissen, was wir denken und was wir wollen. Sie haben einen Anspruch darauf, zu wissen, daß in den entscheidenden Fundamenten der deutschen Außenpolitik keine neuen Spiele, keine neuen überraschenden Dinge kommen, sondern daß die Bundesrepublik Deutschland ein ernst zu nehmender, ein zu berechnender Partner ist. Dazu wollen wir, die Opposition, unseren Teil beitragen. Das wissen alle meine Freunde. Aus diesem Grunde - um es der Öffentlichkeit noch einmal klarzumachen; denn wir waren vielfältigen Verdächtigungen ausgesetzt - habe ich das so ausgeführt.
({28})
Das Wort hat der Bundesminister Genscher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab eine persönliche Bemerkung. Ich hatte gehofft, bis heute bei der Bekämpfung meiner Heiserkeit Erfolge zu erzielen; die Ihnen das Zuhören erträglich machen. Ich bin nicht sicher, ob mir das gelungen ist. Ich möchte gleichwohl einige Bemerkungen zu dem Ablauf der Debatte und zu den Aufgaben machen, die vor uns stehen.
In der Debatte gestern und heute haben die Vertreter aller Parteien an die Tradition ihrer Parteien - weit in das letzte Jahrhundert zurück - angeknüpft. Ich denke, es ist gut, uns das noch einmal bewußt zu machen. Wir sind uns alle in diesem Hause sicherlich darüber im klaren, daß die Sozialdemokratische Partei 1945 in der unverwechselbarsten Weise an eine alte Tradition anknüpfen konnte. Die Lage meiner Partei war eine gänzlich andere: Wir hatten den in den verschiedenen Grup8314
pen zersplitterten politischen Liberalismus in einer Partei zusammenzuführen. Die Christlich-Demokratische Union hat sich über die Grenzen des alten Zentrums der Weimarer Zeit erweitert.
Vor diesem Hintergrund haben die Parteien unter Anknüpfung an ihre geistigen Vorbilder aus der Zeit vor 1933 find unter Inkaufnahme aller Irrungen und Wirrungen - das gilt jedenfalls für unsere Parteigeschichte - zum Segen unseres Landes im Blick auf den inneren Frieden eine zweite Aufgabe gehabt, sich nämlich nicht abzusperren, sondern zu integrieren, zu integrieren in ein Drei-ParteienSystem, das unserem Lande seitdem Stabilität gibt. Die Wurzeln der Parteien reichen zurück in eine Geschichte, die jede Partei für sich zu verantworten und darzustellen hat. Die Angehörigen und Anhänger der Parteien kommen aber aus den verschiedensten Lagern, und das ist gut so, weil nur so die Integration aller politischen Gruppierungen in diese wichtigen tragenden politischen Parteien möglich war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eines der festesten Fundamente für unsere Außenpolitik. - Bitte schön!
Herr Kollege Genscher, Sie haben ja vorhin wie ich die Äußerungen des Herrn Abgeordneten Brandt gehört. Werden Sie ihm in seiner Formulierung ' zustimmen, daß es schwierig sei, die Parteien und ihre Traditionen und die Vorläuferparteien außerhalb der Sozialdemokratischen Partei in ihrem Friedenswillen, in ihrem Beitrag zur deutschen Geschichte als einfach definierbar zu bezeichnen?
Herr Kollege Kohl, ich habe erstens nicht daraus erkennen können, daß er das, was Sie als Vorläufer Ihrer Partei oder wir als Vorläufer unserer Partei betrachten, gemeint haben könnte.
({0})
Ich sage Ihnen aber, daß die Vorläufer meiner Partei auch in dieser Frage nicht immer frei von Irrungen gewesen sind, zumindest im letzten Jahrhundert. Ich mache daraus gar kein Hehl.
({1})
- Verzeihen Sie bitte, ich bin doch nicht Richter über eine andere Partei. Ich spreche von meiner Partei und sage das, was an Irrungen und Wirrungen in der Geschichte meiner Partei vorhanden war. Das wird jeder für seine Partei entscheiden.
({2})
- Das ist meine ganze Antwort, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Bitte:
Habe ich also recht verstanden, daß Sie nach dem, was Sie eben sagten, dem Kollegen Brandt zustimmen würden?
Herr Kollege, ich werde niemals meine politischen Vorgänger, die Liberalen, in ihrem Willen zum Frieden in irgendeiner Weise in Frage stellen. Das hat doch auch Kollege Brandt nicht getan. Ich kann aber nicht ausschließen, daß als objektive Wirkungen dieses oder jenes Verhaltens ganz sicher auch Fehlentwicklungen in unserer Parteiengeschichte waren. Ich vermute, Sie werden das für sich nicht in Anspruch nehmen wollen,
({0})
und die Sozialdemokraten für sich auch nicht. Welche Partei, die ja nichts anderes ist als eine Organisation von unvollkommenen Menschen, ist in ihrer Geschichte frei von Irrtum und Fehler, meine Damen und Herren?
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß auch nicht, ob die Debatte einer Halbzeitdebatte, wie sie die Opposition bezeichnet hat, gerecht wird, wenn wir nur in die Vergangenheit blicken und wenn wir nicht über die Aufgaben sprechen, die vor uns liegen.
({2})
Ich bin sehr froh darüber und möchte das als Außenminister am Anfang sagen, daß gestern hier ein Wort, vom Bundeskanzler aufgegriffen, dann übernommen vom Vorsitzenden der Oppositionsfraktion, aus der politischen Diskussion herausgenommen worden ist, ein Wort, das in der Tat, wenn wir es in den politischen Sprachgebrauch unseres Landes übernähmen, begriffen werden müßte, ob wir es wollen oder nicht, als die Herabwürdigung eines kleinen und tapferen Volkes, wie Sie zu Recht gesagt haben, Herr Kollege Marx. Ich bewundere an diesem Volk, daß es unter den Bedingungen seiner Lage im weltpolitischen Kräftefeld und diese Lage hat es nicht selbst geschaffen, sondern andere haben dazu beigetragen, daß sie so entstand - durch eine kluge von allen demokratischen Parteien getragene Politik mit einem hohen Maß von nationaler Selbstdisziplin seine innere und äußere Freiheit zu sichern weiß.
({3})
Das paßt aber nicht für die Bedingungen unserer Lage, die in keiner Weise übertragbar sind, vergleichbar sind mit der Situation dieses Volkes und die bei uns in der Tat nur einen abschätzigen Sinn und eine abschätzige Bedeutung haben könnten. Deshalb sollten wir, wie ich glaube, in der politischen Auseinandersetzung ab sofort, nachdem das von den Vertretern aller Parteien gesagt worden ist, ohne dieses Wort auskommen können. Wir würden damit diesem Volk unseren Respekt erweisen und unsere
politische Diskussion nicht ärmer machen, sondern qualifizierter gestalten.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist - auch das möchte ich hier anschneiden - die Frage besprochen worden, wie es mit den Auswirkungen auf die Außenpolitik dieses Landes stehe, wenn andere Politik machen, wenn sich andere zu außenpolitischen Fragen äußern, ins Ausland reisen, Gespräche führen. Ich habe gelegentlich sogar gelesen, daß es eine schwierige Sache für die Bundesregierung sei, daß Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Herr Brandt, Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission, der sogenannten Nord-Süd-Kommission sei.
({5})
Ich sehe das gänzlich anders. Ich bin froh darüber, daß ein Politiker unseres Landes über ein solches Maß an internationaler Reputation verfügt, daß man ihm diese Aufgabe überträgt.
({6})
Es ist ein Gewinn für unser Land - gerade im Gespräch mit der Dritten Welt -, daß das so ist. Ich begrüße es auch, wenn Parlamentarier aus allen Fraktionen - ich beschränke das nicht auf die Regierungskoalition - uns nicht dazu zwingen, Kontakte nur auf Regierungsebene zu haben. Ich begrüße es vielmehr, wenn sie selbst reisen, Gespräche führen, und zwar nicht nur hier, sondern auch im Ausland. Wird doch so die Pluralität der Auffassungen in unserem Lande deutlich.
({7})
Nun, meine Damen und Herren, wenn das so ist, bleibt nur noch die Frage zu prüfen, ob die auswärtige Politik, die von der Regierung verantwortet werden muß - hier in besonderer Weise vom Bundeskanzler und vom Außenminister; wenn es Sicherheitspolitik ist, auch noch vom Verteidigungsminister -, tangiert wird oder nicht. Hier halte ich mich - ich habe mir das in meiner politischen Arbeit angewöhnt - an das, was der Kollege Bahr gestern gesagt und geschrieben hat - ich zitiere aus ,der „Deutschen Zeitung" -:
Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied eines Bündnisse. Sie ist an die Allianz gebunden, und ohne diese Bindung wäre unsere Freiheit gefährdet.
({8}) Das ist für mich die Antwort auf diese Frage.
Ich glaube, für die Auseinandersetzung, für die politische Auseinandersetzung ist es schließlich notwendig, daß wir uns im Umgang miteinander nicht Absichten unterstellen, die nicht vorhanden sind. Ich nehme ein Beispiel. Es wird gesagt, die Bundesregierung reagiere nicht in ausreichend hartem Maße auf Rechtsbrüche der DDR oder der Staaten des Ostens, auf Menschenrechtsverletzungen dort, sie sei hier opportunistisch, sie wolle das Klima offenbar nicht negativ beeinflussen. In der Tat, das wollen wir nicht.
Meine Damen und Herren, ich darf, einmal zitieren, was der frühere Bundeskanzler Dr. Adenauer - veröffentlicht in der „Bonner Rundschau" am 17. August 1961, also wenige Tage nach dem Bau der Mauer - gesagt hat:
Der Bundeskanzler versicherte, auch die Bundesregierung unternehme keine Schritte, welche die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion erschweren und die internationale Lage verschlechtern könnten.
Ich fand, daß das sachlich richtig war. Denn damit hielt er sich die Möglichkeit offen, unter den gegebenen Bedingungen weiter Politik mit der Sowjetunion zu machen.
({9})
Auf die Frage, gestellt auf seiner Berliner Pressekonferenz am 22. September 1961, ob man nicht die Vereinten Nationen mit dem Mauerbau befassen wolle, sagte der damalige Bundeskanzler:
Wenn ich mir ,davon Erfolg verspräche, würde
ich natürlich, sagen, ich bin dafür. Aber einstweilen verspreche ich mir keinen Erfolg davon.
Am 19. August sagte er im Fernsehen:
Man hat Taten verlangt. Das Wichtigste, was wir in unserer Lage tun müssen, ist, daß wir uns jetzt ganz fest zusammenschließen.
Lassen Sie mich schließlich sagen: Die Kritiker, die keine Verantwortung tragen, machen es sich leicht. Sie sprechen von Untätigkeit der Bundesregierung, sie fordern Aktionen, ohne zu sagen, was sie darunter verstehen.
({10})
Das hat der damalige Außenminister von Brentano an die Adresse derjenigen gesagt, die die Haltung der Bundesregierung kritisierten.
({11})
Wenn wir uns darüber im klaren sind, meine Damen und Herren, haben wir die Basis für eine sachliche Diskussion. Ich denke, daß der Bundeskanzler gestern in seiner Rode im außenpolitischen Teil ein sehr solides Fundament für eine solche sachliche Diskussion gelegt hat. Er hat sich geäußert zur Entspannungspolitik, zum Stand der Verhandlung bei MBFR, zu SALT II, zur Grauzonenproblematik, zur Lage im Nahen Osten, zu dem Verhältnis zur DDR, um nur einige Themen zu nennen. Es wäre sicher nützlich gewesen, wenn wir darüber einen breiten Meinungsaustausch hätten haben können, weil es für die Öffentlichkeit natürlich genauso wichtig ist, zu hören, wie die einzelnen Fraktionen dazu stehen - es ist ja zum Teil aufgenommen worden -, wie zur Frage des Währungsverbunds. Der Bundeskanzler hat mit Recht um eine Stellungnahme zur Frage des Währungsverbunds gebeten, denn natürlich sind unsere Partner daran interessiert, wie alle Seiten dieses Hauses zu diesem Währungsverbund stehen. Mit Recht wurde .gestern und heute erwähnt,
daß Herr Kollege Müller-Hermann im Europäischen Parlament, nachdem ich dort über den Europäischen Rat berichtet hatte, als Sprecher der Christlichen Demokraten sich im Prinzip positiv geäußert hat und dann gesagt hat, es müßten die und die Gesichtspunkte beachtet werden - übrigens Gesichtspunkte, zu denen die Bundesregierung uneingeschränkt ja sagen kann.
Meine Damen und Herren, in .der deutschen Politik - darüber gibt es hier in diesem Hause zwischen allen Fraktionen überhaupt keinen Zweifel - ist nun einmal ein unveränderbarer Faktor, daß die Partnerschaft des freien Europa mit den Vereinigten Staaten und Kanada die unverzichtbare Voraussetzung seiner Sicherheit ist. Diese Partnerschaft ist auch ein Faktor weltpolitischer Stabilität. Sie ist die Hoffnung aller, die auf Freiheit setzen und nicht auf Unterdrückung oder Vorherrschaft. Aber diese transatlantische Partnerschaft ist mehr als eine durch Sicherheitsdenken begründete Zweckgemeinschaft. Sie ist vielmehr auf die großen gemeinsamen Ziele gegründet, nämlich Freiheit, Unabhängigkeit, Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht nicht nur für uns, sondern für alle Menschen und alle Völker. Deshalb ist diese Partnerschaft nicht ersetzbar und nicht austauschbar, so wenig, wie unsere Wertvorstellungen ersetzbar und austauschbar sind. Deshalb darf die Politik der Entspannung ja auch nicht mit einer inhaltlichen Veränderung des Verhältnisses Europa/Nordamerika verwechselt werden. Das wird auch weiter so gelten.
Aber wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann stehen wir gleichwohl in der Pflicht, ununterbrochen darüber nachzudenken, wie wir unter den Voraussetzungen dieser Partnerschaft das große, durch die Verfassung aufgegebene Ziel erreichen können, das wir noch einmal im Brief zur deutschen Einheit so umschrieben haben, 'daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel 'der Bundesrepublik Deutschland stehe, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, indem das deutsche Volk in 'freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Wie dieser Zustand des Friedens unter Berücksichtigung dieser Partnerschaft aussehen muß, meine Damen und Herren, wird Diskussionspunkt bleiben, bis der Tag der deutschen Einheit in einem Europa des Friedens erreicht ist.
({12})
Darüber werden wir auch in Zukunft zu diskutieren und zu ringen haben. Das wird, wie ich hoffe, ein Punkt bleiben, um den wir ringen, weil es hier um unsere nationale Frage geht, aber eine nationale Frage, die wir nur im europäischen Zusammenhang und in der Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten lösen wollen, um das noch einmal sehr deutlich zu machen.
({13})
Ich glaube, daß das eine ganz uneingeschränkte Meinung im ganzen Hause ist.
Wenn wir wissen, meine Damen und Herren, daß wir uns einig sind, daß das Bündnis und die Europäische Gemeinschaft die Fundamente unserer Politik sind, dann sollten wir auch in dieser Stunde unsere Blicke über Europa hinaus werfen und uns darüber klar sein, daß dieses Europa, dessen integraler Bestandteil wir sind, eine Fülle von Aufgaben in der Welt zu erfüllen hat. Heute morgen hat der Herr Kollege Brandt unterstrichen, daß er die Auffassung der Bundesregierung zut Nahostfrage teile. In der Tat haben wir alle mit großen Hoffnungen die Konferenz von Camp David verfolgt. Ich denke, daß wir alle frei von jeder Illusion und wissend, welche großen Schritte noch gemacht werden müssen, die Chance, die Camp David eröffnet hat, auch mit unserer Unterstützung mit dem Ziel stärken wollen, daß eine umfassende dauerhafte Friedenslösung für den Nahen Osten erreicht wird und daß sie auch durch die Wiederherstellung der Einheit des arabischen Lagers erreicht wird, was eine der unabdingbaren Voraussetzungen dafür ist. Hier können die Staaten der Europäischen Gemeinschaft ihre ausgewogenen Beziehungen zu Israel, das auch noch Schritte wird tun müssen, und zu den arabischen Staaten in hervorragender Weise einsetzen. Wir tun das, wie bekannt ist.
Es ist aber notwendig, daß wir über den Nahen Osten eine Konfliktgefahr nicht vergessen, die sich in diesen Tagen auftut. Ich meine die Entscheidung der südafrikanischen Regierung, entgegen den Beschlüssen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in eigener Zuständigkeit und ohne Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen vom 20. bis 24. November 1978 in Namibia Wahlen abzuhalten. Die fünf westlichen Mitgliedstaaten des Weltsicherheitsrates haben es in einer einzigartigen Aktion vermocht, einen Beschluß des Sicherheitsrates herbeizuführen, der mit den Stimmen aller im Sicherheitsrat vertretenen Länder der Dritten Welt, ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung, bei Stimmenthaltung der Sowjetunion und der Tschechoslowakei gefaßt wurde. Sie haben es vermocht, einen solchen Beschluß herbeizuführen, der die greifbare Chance eröffnet, daß dieses Land Namibia in friedlicher Weise den Übergang findet. Das ist ein Weg, der nicht nur für Namibia wichtig wäre, sondern der zu einem eindrucksvollen Beispiel friedlichen Überganges auch für die anderen beiden Problemgebiete im südlichen Afrika, für Rhodesien und für Südafrika selbst werden könnte. Wenn es gelingt, in Namibia auf friedliche Weise unter der Gleichberechtigung aller Rassen, unter Beachtung auch der Rechte der Minderheiten ein Zusammenleben von Schwarz und Weiß zu erreichen, dann wird der Tag nicht fern sein, wo ohne Blutvergießen dieser Weg auch für Rhodesien und Südafrika beschritten werden kann.
Ich kann nicht verschweigen, daß die Bundesregierung tief bestürzt und enttäuscht darüber ist, daß nunmehr die südafrikanische Regierung unmittelbar vor der Entscheidung des Sicherheitsrates über den Bericht des Generalsekretärs Waldheim einen einseitigen Schritt getan hat. Damit wird ein friedlicher Übergang gefährdet. Damit arbeitet man denen, in die Hand, die es natürlich auch gibt, die
nicht den friedlichen Übergang, sondern die kriegerische Auseinandersetzungen wollen, weil sie sich davon für ihre Interessen mehr versprechen. Ich meine damit nicht nur Leute in Namibia selbst, sondern auch Leute von außen, die dort Einfluß ausüben möchten.
Unser Ziel muß es sein, diesen Übergang friedlich ohne Blutvergießen zu erreichen, und zwar im Interesse der Menschen, aber auch im Interesse eines langfristig möglichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe. Hier geht es auch um elementare Menschenrechtspolitik durch praktische Politik. Ich denke, daß wir von hier aus eindringlich - auf allen Seiten des Hauses einig - an die südafrikanische Regierung appellieren sollten, sie möge diesen Schritt im Interesse des Friedens noch einmal überprüfen, überlegen und dann rückgängig machen.
({14})
Nur so wird es möglich werden, den friedlichen Weg freizugeben. Was jetzt geschehen ist, ist nicht nur eine Herausforderung der Menschen dort, die auf diesem Weg gehofft und auf die Vereinten Nationen vertraut hatten, es ist auch eine Herausforderung der fünf Länder, die sich in dieser Frage engagiert haben. Ich war sehr glücklich darüber, daß zu diesen fünf Ländern unsere großen Verbündeten Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada gehören wie wir selbst und daß wir hier praktische Friedenspolitik in den Vereinten Nationen vertreten konnten. Das Echo aus allen diesen Ländern ist unserem gleich. Wir haben dieselbe Auffassung auch in dieser Frage. Ich hoffe, daß es am Montag möglich sein wird, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Beschluß in unserer Richtung zu erreichen.
Wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann wird darin zugleich sichtbar - auch das möchte ich mit Blick auf die bevorstehende Generalversammlung der Vereinten Nationen sagen -, welche große friedensichernde Bedeutung die Vereinten Nationen haben und wie wichtig es ist, daß die Bundesrepublik Deutschland Mitglied dieser Vereinten Nationen geworden ist, weil sie dort aktiv die Weltpolitik mitgestalten kann.
Wir werden zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft in den Vereinten Nationen eine Entschließung einbringen, in der wir noch einmal an alle Mitgliedstaaten appellieren, alle friedensichernden Operationen, die der Sicherheitsrat beschlossen hat, auch im Geist der Charta zu unterstützen, in der wir die Verantwortung aller Mitgliedstaaten unterstreichen, sich an den finanziellen Lasten von friedensichernden Operationen zu beteiligen, und in der wir an alle Staaten appellieren, die friedensichernden Instrumente der Vereinten Nationen zu verbessern, und zwar auf verschiedene Weise: durch die Schaffung von Ausbildungskapazitäten für das Personal für Friedensoperationen und schließlich durch Mitteilung, welche Personen und Einheiten für solche Operationen zur Verfügung stehen.
Die Zeit ist vorbei, in der manche glaubten, über die Vereinten Nationen lächeln zu können. Täuschen wir uns nicht. Die Vereinten Nationen sind heute die Weltbühne, auf der Weltpolitik gemacht wird, auf der die internationalen Strömungen sichtbarwerden, auf der auch die Staaten der Dritten Welt zunehmend eine wichtige konstruktive Rolle spielen, und sie sind das Instrument, mit dem die Völkergemeinschaft allein in einem wiedererwachten Weltbewußtsein für Unabhängigkeit und Menschenrechte in der Lage ist, wenigstens regionale Konflikte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu lösen. Deshalb müssen wir in dieser Weltorganisation aktiv mitarbeiten, und deshalb müssen wir uns gegen jeden wenden, der sich Beschlüssen dieser Weltorganisation entziehen will, wie es die südafrikanische Regierung jetzt zu tun beabsichtigt.
({15})
Unsere Aufgabe als Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist aber mit friedensichernden Operationen und mit einer weltweiten Friedenspolitik dieser Art allein nicht erfüllt, wenn wir uns nicht auch unserer Pflichten als Partner der Dritten Welt bewußt sind. Hier muß unser Ziel ganz klar sein -, und das ist eine Aufgabe in den vor uns liegenden Jahren -, partnerschaftliche Strukturen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern zu schaffen und dafür einzutreten, daß alle Völker ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Lebensform selbst bestimmen können, indem wir zur Stärkung ihrer inneren und äußeren Unabhängigkeit beitragen.
Deshalb unterstützen wir weltweite und regionale Zusammenschlüsse. Deshalb sind wir dafür eingetreten, daß im November eine Begegnung der Asien-Außenminister mit denen der Europäischen Gemeinschaft stattfindet. Wir sind gleichzeitig der Auffassung, daß die sozialistischen Länder endlich sich ihrer Verantwortung bewußt sein und nicht dabei stehenbleiben sollten, daß ihre Ressourcen-Übertragung insgesamt unter dem liegt, was die Bundesrepublik Deutschland allein erbringt.
Wir sind uns auch darüber einig, daß Entspannungspolitik unteilbar ist und daß machtpolitische Vorstöße in der Dritten Welt auf die Entspannung in Europa nicht ohne Rückwirkung bleiben können. Wir wollen normale Beziehungen zu allen Staaten der Dritten Welt. Deshalb lehnen wir die Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieser Staaten ab. Ich ringe leidenschaftlich darum, daß wir nicht selbst den Fehler machen - was von uns gar nicht gewollt ist -, durch Unachtsamkeit den OstWest-Konflikt von uns aus auf die Staaten der Dritten Welt zu übertragen, indem wir z. B. durch eine oberflächliche Etikettierung sagen: Dies sind prowestliche und dies sind proöstliche Staaten.
({16})
Wie schnell ändert sich das unter den Bedingungen eines Entwicklungslandes. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Beispielen nennen. Ich will es hier bewußt als Außenminister nicht tun. Aber Sie wissen alle, woran ich denke.
Ich denke, daß wir diesen jungen Völkern vielmehr helfen müssen, daß sie eine Entwicklung, die wir in Jahrhunderten schmerzhaftester Kriege in Europa hinter uns gebracht haben, nach Möglichkeit in Frieden vollenden können, ihre nationale Identität finden und letztlich auch ihre Lebensform finden, die ihnen gemäß ist. Unsere Lebensform, unsere staatlich und gesellschaftliche Ordnung können wir ihnen nur als Beispiel anbieten. Sie müssen selbst entscheiden, was für sie davon übernehmbar ist unter ihren Bedingungen und was nicht. Aber wir können nicht und sollten nicht der Versuchung erliegen, daß wir sozusagen mit Gütern auch unsere Gesellschaftsordnung exportieren wollen, quasi als Zwangszugabe. Wenn wir das täten, würden wir eine schlechte, die Unabhängigkeit dieser Länder nicht respektierende Politik betreiben.
({17})
Ich denke, um so attraktiver wird unser Beispiel sein.
Wenn Sie sagen, Herr Kollege Mertes, „Das tun andere": In der Tat, das ist so. Ich habe nur den Eindruck, daß unsere Politik die längere und aussichtsreichere Perspektive hat als diejenige, die durch Zwangsindoktrination ihre Aufassung übertragen will.
({18})
Deshalb ringen wir auch dort um friedliche Konfliktregelungen, und deshalb sind wir der Meinung, daß auch dort die Unverletzlichkeit der Grenzen und die territoriale Integrität aller Staaten gelten muß und daß es auch dort um das Selbstbestimmungsrecht geht - wie bei uns -, auch um die Achtung der Menschenrechte. Man muß verstehen, daß es dort nicht allein um die bürgerlichen Freiheiten geht, sondern daß dort, wo Hunger und Not ist, dieses Menschenrecht genauso groß geschrieben wird. Bei uns ist es etwas anderes; für uns ist das letztere selbstverständlich.
Wenn wir das alles in Betracht ziehen, dann werden wir den richtigen Weg finden, um unsere Aufgabe als ein Europa gleichberechtigter Länder mit einem Beispiel für einen gleichberechtigten Zusammenschluß für andere Teile der Welt zu erfüllen; als Beispiel - nicht mehr -, aber als Partner gegenüber Gleichberechtigten, die wir dort erkennen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dem Bewußtsein, daß unsere gesamte Politik Friedenspolitik sein muß, haben wir in der Vergangenheit unsere Politik betrieben. Das gilt für die Politik der europäischen Einigung, es gilt für die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im westlichen Verteidigungsbündnis. Es gilt für die Politik der Entspannung und des Ausgleichs mit den Staaten Osteuropas,
({19})
und es gilt in gleicher Weise auch für unsere Politik gegenüber der Dritten Welt. Der Frieden wird
auf der ganzen Welt nur dauerhaft zu sichern sein, wenn wir das Nord-Süd-Gefälle überwinden, wenn wir die große Herausforderung unseres Jahrhunderts, der letzten Jahre dieses Jahrhunderts, bestehen, die in ihrer Dimension nur mit der sozialen Frage am Ende des letzten Jahrhunderts vergleichbar ist.
({20})
Dann werden wir auch weltweit diese soziale Frage lösen und damit zum Frieden und zur Stabilität in der Welt beitragen.
Deshalb glaube ich, daß wir auch nicht einer vordergründigen Polemik erliegen sollten, die jeder von Ihnen einmal in der Versammlung hört, wo gesagt wird: Zahlen wir nicht zuviel an diese Leute, ganz gleich, ob es „diese" Leute im europäischen Währungsverbund sind oder die Menschen in Südeuropa oder in der Dritten Welt?
Investitionen, die wir für die Stabilität in Europa tätigen, Investitionen, die wir für die Stabilität in der Dritten Welt einbringen, sind auch ein Stück materieller Friedenspolitik und deshalb Investitionen für den Frieden und die Sicherheit der Zukunft unserer Kinder. Deshalb sind sie auch in unserem eigenen Interesse. Wir wollen uns ja gar nicht uneigennütziger darstellen, als wir sind.
({21})
- Daß Sie es nie bestritten haben, Herr Kollege Mertes, und daß Sie es jetzt bemerken, freut mich besonders, denn das erleichtert mir am Schluß zu sagen: Ich würde es gern 'sehen, wenn wir in diesem Land dort, wo es notwendig ist, nicht auf die politische Auseinandersetzung verzichten. Das ist ein Lebensgesetz der Demokratie, und sie unterscheidet sich von der Friedhofsruhe der Diktaturen dadurch, daß man um den richtigen Weg ringt. Wenn aber entschieden ist, gehört es zur Handlungsfähigkeit der Demokratie, daß wir gemeinsam das, was entschieden ist, tragen. Deshalb glaube ich: Wir sind alle gut beraten - ich nehme mich selbst nicht aus, appelliere auch an mich selbst -, wenn wir versuchen, im Gebiet der Außenpolitik die Auseinandersetzung auf das zu begrenzen, wo wir wirklich in der Sache Streit haben und die Entscheidungen noch nicht gefallen sind.
In den übrigen Feldern sollten wir aber so viel an Gemeinsamkeit suchen, wie möglich ist. Es wird unserem Land und unserem Volk nur nützlich sein.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Amrehn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Je mehr wir an uns selbst appellieren, Herr Bundesaußenminister, statt andere zu besserem Verhalten aufzurufen, desto eher können wir vielleicht auch über Punkte, die untereinander strittig sind, zur Verständigung kommen.
({0})
Der Herr Bundesaußenminister hat soeben gesagt: Unsere Politik muß Friedenspolitik sein. Vor wenigen Tagen hat er hier vor einer großen internationalen Versammlung diesen Satz hinzugefügt: Alle im Bundestag vertretenen Parteien fühlen sich diesem großen Ziel verpflichtet. Das wenigstens ist noch ein Stück gemeinsamen Bodens. Dies auszusprechen, bedeutet aber auch, zu erkennen, an wie vielen Stellen der Frieden heute gefährdet ist.
Gestern hat hier der Kollege Ehmke gesagt, im Jahre 1945 hätte man sich nicht vorstellen können, daß Demokraten untereinander in solchen Wider- streit und solche Konflikte und Gegensätze geraten würden. Diesem sicher sehr richtigen Satz möchte ich einen anderen hinzufügen: 1945 haben wir alle geglaubt, daß eine Generation, die durch den schlimmen Zweiten Weltkrieg gegangen ist, der Gefahr eines weiteren großen Krieges nicht ausgesetzt sein würde. Auch dies war leider ein Irrtum.
Deswegen ist es heute um so mehr unsere Pflicht, unseren Beitrag dort, wo der Frieden gefährdet ist,
dazu zu leisten, daß Lösungen zur Überwindung der
Konflikte gefunden werden. Nur sind diese Konflikte oder Brandherde heute weniger in Europa zu suchen. Die Gefahr des Weltbrandes liegt anderswo. Im Nahen Osten ist einer dieser Konfliktherde, andere liegen in Afrika, in einem anderen Erdteil.
Meine Damen und Herren, unter solchen Umständen verdienen wirklich die Männer, die in einer solchen Konfliktsituation versuchen, Brücken des Friedens zu bauen, jede Anerkennung und jedes Lob.
({1})
Wenn wir bedenken, daß der Konflikt im Nahen Osten 30 Jahre anhält und daß vor wenigen Monaten ein sehr kenntnisreicher Beurteiler der politischen Situation dort hier in Bonn erklärt hat, dort werde es auf 50 Jahre keinen Frieden geben können, dann können wir erst richtig ermessen, welcher großen Aufgabe sich Carter, Begin und Sadat gestellt, welch großem Risiko sie sich ausgesetzt haben,
({2})
allerdings auch mit der Chance, dort für diese und - wie Begin gesagt hat - für die nächste Generation Frieden zu schaffen.
({3})
Wir schließen uns hier sehr dem Dank an, der den drei Männern gebührt. Wir möchten hier ausdrücklich gerade auch die Rolle des amerikanischen Präsidenten angesichts der ungeheuren Schwierigkeiten, die sich immer noch auftürmen, hervorheben. Denn wir wissen, daß eine Reihe von Punkten noch ungeklärt geblieben ist und daß es ungeheure emotionale Widerstände in den beteiligten Völkern gibt.
Wir können von hier aus jedem, der an der Friedensstiftung mitwirken will, nur alle guten Wünsche mit auf den Weg geben, müssen dazu allerdings auch deutlich sagen: Soweit nach dem, was bisher erkennbar ist, Störfeuer auf die Ergebnisse von Camp David abgeschossen wird, steht im Hintergrund wieder die Sowjetunion, die diesen Frieden nicht zustande kommen lassen will.
({4})
Wir möchten das hier in aller Klarheit ausgesprochen haben und unsere Regierung bitten, mit allen Kräften - diplomatisch, politisch und auch mit wirtschaftlichen Angeboten - mitzuwirken, um den Frieden im Nahen Osten doch zustande kommen zu lassen.
({5})
Lassen Sie uns trotz allem hier doch darauf hoffen, daß das großartige Ergebnis von Camp David seine Früchte trägt.
Ich sagte, der andere Brandherd liegt in Afrika. Mit Ihnen, Herr Bundesaußenminister, sehen wir die Entwicklung in Südwestafrika, in Namibia, als nunmehr gefährlich an, nachdem die Regierung in Südafrika die Entscheidung getroffen hat, unabhängig von den Entscheidungen des Sicherheitsrates, also isoliert und für sich, eine Wahl durchzuführen, die aller Voraussicht nach nicht den Frieden bringen, sondern Anlaß zu neuen Auseinandersetzungen sein wird.
({6})
Aber nachdem ich das gesagt habe, Herr Bundesaußenminister, möchte ich mit eben solcher Deutlichkeit folgendes erklären: Dann, wenn eine Regierung wie die südafrikanische durch fünf bedeutende Mächte, Mitglieder des Sicherheitsrates, Ende April erklärt bekommt, daß der Text, der von den fünf Mächten vorgeschlagen worden ist und im Sicherheitsrat gebilligt werden soll, bezüglich der Zahl der Truppen der südafrikanischen Armee, die bleiben sollen, und bezüglich der Zahl der Truppen, die von den Vereinten Nationen entsandt werden sollen, ein endgültiger Text sei und daß sich die südafrikanische Regierung zu entscheiden habe, ob sie auf der Basis dieses Textes zustimme oder nicht, und wenn hinterher die fünf Mächte das, was sie zugesichert hatten, nicht durchsetzen, muß sich der Sicherheitsrat und müssen sich die fünf Mächte fragen lassen, ob sie alles getan haben, um einen Konflikt, der vor der Tür stehen könnte, zu verhindern. Hier ist, so muß ich sagen, Vertrauen verspielt worden. Die Schuld liegt dann nicht nur auf einer Seite, wenn der friedliche Weg nicht zu Ende gegangen wird, den Sie, Herr Bundesaußenminister, mit beschritten haben und von dem wir meinen, er hätte Modellfall auch für andere Länder in Afrika sein oder werden können.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher? - Bitte.
Herr Kollege, könnten Sie vielleicht doch der Einsicht zustimmen, daß es angesichts der sich abzeichnenden größeren Unruhe an der Grenze zwischen Namibia und Angola und angesichts der damit verbundenen Besorgnisse sehr wohl im Interesse der inneren Ordnung und der in8320
neren Sicherheit liegen kann, wenn ein größeres Kontingent von Soldaten der Vereinten Nationen, also von unabhängigen, nicht parteiischen Soldaten, in diesem riesigen Lande stationiert wird? Die Zahl ist ja wahrlich nicht groß, wenn Sie die Weite des Landes sehen; sie ist allenfalls groß im Verhältnis zur Bevölkerungszahl.
Darauf muß ich Ihnen, Herr Abgeordneter, folgendes antworten. In seiner Argumentation muß man konsequent bleiben, wenn man glaubwürdig bleiben will. Man hat die südafrikanische Regierung entgegen ihrer ursprünglichen Vorstellung, daß für die Übergangszeit 20 000 südafrikanische Soldaten im Lande bleiben sollten, dazu gebracht, diese Zahl auf 1 500 zu senken,
({0})
und zwar mit der Begründung, daß nach Übernahme der Verwaltung durch den Generaladministrator und den UNO-Kommissar und nach Einstellung der Kampfhandlungen durch die SWAPO eine stärkere Armee als 1 500 Personen nicht mehr nötig sei.
({1})
Dann darf man nicht hinterher auf 7 500 umschalten und sich selbst damit unglaubwürdig machen.
({2})
Nun komme ich zum zweiten Teil. Das ist nicht mehr die Antwort auf Ihre Frage, sondern etwas, was ich, Herr Abgeordneter, noch dem Herrn Bundesaußenminister sagen möchte.
({3})
Wir kommen natürlich in diesen Dingen nicht ohne die Mithilfe der Vereinten Nationen aus. Wir haben ja von Anfang an die Rolle der Vereinten Nationen so hoch veranschlagt - schon als sie gegründet wurden -, daß die Bundesrepublik Deutschland fast in allen ihren Organisationen sehr bald mitgewirkt hat. Eine Ausnahme - aus anderen Gründen - ist die unmittelbare politische Mitgliedschaft. Wenn ich sage, das sei nötig, dann unterstreiche ich das auch noch einmal für Camp David. Dort haben die Parteien ausdrücklich um die Mitwirkung und um die Mithilfe einer Sicherheitstruppe der Vereinten Nationen gebeten. Sie wird ihren guten Sinn auch im südwestlichen Afrika haben.
Nur, Herr Bundesaußenminister, einen Satz können wir so nicht stehen lassen: daß wir es schwer haben würden oder uns schwertun sollten, uns Beschlüssen der Vereinten Nationen zu entziehen. So generell kann man es, glaube ich, nicht zur Richtschnur seiner eigenen Politik machen. Denn dort sind Mehrheiten sehr verschiedener Interessen und auch gegen uns und Industrieländer gerichtete Interessen vorhanden. Wenn etwas gegen unsere vitalen Interessen beschlossen wird, können wir das leider nicht akzeptieren. Das möchte ich in diesem
. Zusammenhang doch mit festgehalten haben.
({4})
Wenn ich von „wir" spreche, meine ich damit nicht nur uns allein. Insoweit, Herr Bundesaußenminister, teilen wir ja Ihre Auffassung und sehen es als ein Stück der Fortsetzung unserer eigenen Politik an, daß wir auf das stärkere, auf das einigere, auf das geschlossenere Europa hinwirken wollen. Wir können doch gar nicht leugnen, daß es in dieser Richtung Fortschritte - wenn auch immer wieder unbefriedigende - Fortschritte gibt und daß die Europäische Politische Zusammenarbeit bereits zu festen Konturen gemeinsamen Handelns der Europäer in der Weltpolitik geführt hat.
Europäer - wer ist das? Das sind sicher die Neun. Das sind dann sicher auch die Zwölf, wenn die anderen drei Länder dazukommen sollten. Das sind aber auch alle zwanzig Mitgliedstaaten des Europarats. Ich möchte sehr gerne, Herr Bundesaußenminister, daß wir denen, die nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehören können, aber dem Europarat angehören, als Mitgliedern einer demokratischen Gesellschaft in Europa nicht das Gefühl geben, daß sie zurückgesetzt sind, daß sie nicht konsultiert werden, daß sie draußen stehen.
({5})
Man sollte das freie Europa nicht noch in drei Teile schneiden. Ich glaube, darauf könnten wir uns auch verständigen.
({6})
Wenn dann die zwanzig Mitgliedstaaten des Europarates - über die Neun und die Zwölf hinaus - Politik machen, sollte es allerdings auch eine Politik für die Völker sein, die heute nicht demokratisch verfaßt sein können. In diesem Sinne liegt Europa natürlich in unserer Gesamtverantwortung, auch nach Osten hin und für die Völker dort, nicht allerdings für deren Regierungen.
Wir werden im nächsten Jahr Europawahlen haben; so ist es vorgesehen. In letzter Zeit hört man Gerüchte in Verbindung mit den jüngsten Gesprächen, es könnte gut sein, die Wahlen noch einmal zu verschieben. Ich wäre sehr dankbar, wenn das dementiert werden könnte, wenn klar gesagt werden könnte, daß die neuen Gespräche, die hier auch substantiell über die Währungsunion geführt werden, nichts damit zu tun haben, den Prozeß demokratischer Entwicklung nun durch Wahlen zum Europäischen Parlament zu bekräftigen.
Herr Kollege, gestatten sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte sehr.
Herr Kollege, ich frage Sie, in der Hoffnung, Ihnen unmittelbar zu entsprechen, ob Sie so liebenswürdig sein würden, zur Kenntnis zu nehmen, daß mir von den Gerüchten, von denen Sie sprechen, a) nichts bekannt ist und daß sie b) nach meiner Kenntnis jedweder Grundlage entbehren?
Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Herr Abgeordneter und insbesondere Herr Bundeskanzler, daß Sie eine solche Erklärung hier abgeben. Damit steht also fest: Die Bundesregierung wird alles tun, um jedem Versuch einer Verschiebung der europäischen Wahlen entgegenzuwirken, falls eine der beteiligten Mächte sie aus nationalen Gründen wünschen sollte.
({0})
Meine Damen und Herren, ich werde bereits gewarnt, daß meine Redezeit zu Ende gehe. Ich möchte mich auch sehr gern daran halten. Lassen Sie mich aber wenigstens noch drei Sätze zu Themen sagen, die mich auch unmittelbar berühren.
Der Herr Bundesaußenminister hat heute wieder von der Diskussion gesprochen, die wir auch in deutschlandpolitischen Fragen in der Zukunft zu führen hätten, und gesagt, daß das für uns ein Thema bleibt, weil es für das deutsche Volk in seiner Gesamtheit immer ein Thema .ist. Aber, Herr Bundesaußenminister, wir möchten, daß das nicht nur bei uns ein Thema ist, sondern daß das Bewußtsein der Notwendigkeit einer Zusammenführung des deutschen Volkes in staatlicher Einheit auch draußen bei unseren Freunden weiterhin lebendig ist, daß also beispielsweise eine Erklärung, wie sie Pierre Harmel, vorhin hier zitiert, abgegeben hat, keineswegs bedeuten kann, die westlichen Freunde dürften sich nun in dieser deutschen Frage von uns entlastet fühlen und alles könne so weitergehen wie bisher,
({1})
ohne den Art. 7 des Deutschland-Vertrages wenigstens im Sinne einer ungelösten Frage im politischen Bewußtsein zu behalten. Lassen Sie mich noch einen letzten Absatz vortragen. Die eigene Glaubwürdigkeit, daß wir die deutsche Frage täglich ernst nehmen, offenbart sich natürlich in unserem Verhältnis zu Berlin. In diesen Tagen ist hier der Satz vom Herrn Bundesaußenminister wiederholt worden: Die Frage Berlins ist für uns von vitalem Interesse. - Wir kennen diesen Satz. Aber wir haben manchmal doch den Eindruck, daß sich positive politische Entwicklungen im Quantitätsverhältnis über das bisher Bestehende hinaus immer stärker an Berlin vorbei bewegen und daß keine Rücksicht darauf genommen wird, ob die andere Seite, die mit uns Wirtschaftsabkommen schließt, nun endlich mit ihren Nadelstichen gegen die Existenz oder die Bindungen Berlins an den Bund aufhört.
({2})
Wir sind immer wieder, täglich Zeugen einer solchen Nadelstichpolitik, die nicht aufgehört hat. Wir sollten, wenn wir Verträge über 20 und 30 Jahre schließen wollen, auch klarmachen können, daß eine solche Nadelstichpolitik bei jeder Gelegenheit und entgegen Geist und Buchstaben des Viermächteabkommens aufhören muß. Das sind zum Teil Fragen, die nicht in die Grauzone gehören, sondern die ganz klar geregelt sind
({3})
und uns dennoch von sowjetischer Seite immer wieder neu entgegengehalten werden, so als wären wir in dem Zustand vor dem Viermächteabkommen.
Herr Bundeskanzler, das Kabinett hat gestern seine Beschlüsse über die Berlin-Hilfen, die von den Parteivorsitzenden vorgeschlagen worden sind, erneut verschoben. Ich lese heute morgen in der Zeitung, der Herr Bundeskanzler werde den Parteivorsitzenden einen Zwischenbericht geben. Wir schreiben bald Oktober. Die Beschlüsse sind vom Juni. In einer Reihe von Punkten ist volle Einigkeit über das erzielt worden, was notwendig ist. Hier wäre das Kabinett und unter Umständen dieses Haus berufen, schnell Entschlüsse zu fassen. Denn auch hier wird Vertrauen dadurch gestärkt, daß man sich zu den erkannten Notwendigkeiten alsbald auch bekennt und ihnen Rechnung trägt. Wenn ich aber lese, daß im Kabinett darüber diskutiert wird, daß im Berlin-Verkehr das Flugzeug - in Relation zu Bahn und Bus - viel häufiger benutzt wird als im Verkehr innerhalb des Bundesgebietes, dann ist das eine Argumentation aus einer Fachenge, die mit der Politik, die wir für Berlin zu treiben haben, nicht das geringste zu tun hat.
({4})
Wenn ein Fachminister aus seiner Sicht und vielleicht sogar seiner Pflicht eine solche Ansicht äußert, sollte sie möglichst gar nicht erst an die Öffentlichkeit kommen. Geschieht dies aber doch, dann allerdings ist der Bundeskanzler verpflichtet, die politische Priorität so deutlich zu machen, daß solche Einwände keinen Raum mehr haben.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Wort zu dem letzten Punkt der überaus sachlichen und bedenkenswerten Ausführungen des Herrn Kollegen Amrehn erbeten, um sofort darauf eingehen zu können.
Ich weiß nicht, was in der Zeitung gestanden hat, die Sie zitiert haben. Ich glaube, daß entweder die Zeitung oder der Leser etwas mißverstanden hat. Es kann keine Rede davon sein, daß zu dem, worüber sich unter dem Dach der Villa Hammerschmidt und unter dem Vorsitz des Bundespräsidenten die Parteivorsitzenden geeignet haben, was zukünftige Aktivitäten ökonomischer Art zugunsten Berlins angeht, nur ein Zwischenbericht gegeben wird, in der Zwischenzeit aber nichts geschehe. Das Gegenteil ist wahr. Es ist alles auf gutem Wege.
Es gibt jedoch eine Ausnahme, die Sie erwähnt haben. Sie betrifft die damals geforderte zusätzliche Subventionierung des Berliner Luftverkehrs. Das ist ein Punkt unter 12 oder 15 Punkten; ich weiß es nicht mehr so genau.
({0})
- Ich will ja nicht sagen, er sei unwichtig. Im Gegenteil, ich will mich mit ihm befassen. Daraus mögen Sie erkennen, daß ich ihn für wichtig halte.
Ich habe in jener Sitzung damals darauf hingewiesen, daß es sich um ein sehr schwieriges, vielschichtiges Problem handle, von dem ich nicht versprechen könne, daß es in diesem Herbst gelöst werde. Ich habe ausgeführt - und Sie finden das in der Niederschrift, die es über jene Sitzung gibt und die auch den Parteivorsitzenden zur Verfügung steht, auch dem Vorsitzenden der CDU, der anwesend war -, daß ich mich verpflichte, in diesem Punkte zusätzlicher Subventionen für den Luftverkehr nach Berlin, dem Bundestag alsbald - ich glaube, ich habe versichert: im September - einen Zwischenbericht zuzuleiten. Davon war im Kabinett vorgestern die Rede, also von dem Zwischenbericht in bezug auf diesen einen Punkt. Der Zwischenbericht wird Sie bald erreichen. Das Kabinett hat ihn vorgestern beschlossen.
Nun muß ich Ihnen allerdings eines sehr deutlich sagen. Ich kann mich nirgendwo dazu verstehen, jemanden zu subventionieren, wenn ich nicht weiß, was mit den Subventionen geschieht. Eine zusätzliche Subvention der drei westlichen Luftverkehrsgesellschaften, die Berlin anfliegen, ist keineswegs auszuschließen. Im Gegenteil, Sie haben sie gewollt, und ich werde mich dem nicht in den Weg stellen. Aber ich muß wissen, ob diese Gesellschaften bereit sind, sich in bezug auf Frequenzen des Luftverkehrs und dergleichen zu binden. Solange die Gespräche von . Seiten derer, die Empfänger der Subvention sein sollen, in einer abwehrenden Haltung geführt werden, nehme ich an, daß nicht nur die Kollegen des Haushaltsausschusses, sondern auch Sie meine Meinung teilen: Man kann nichts hergeben, wenn man nichts dafür bekommt, wenn man nicht wenigstens Zusicherungen in bezug auf den Umfang des Berlin-Verkehrs für die Zukunft bekommt. Frequenzen und Auslastungen sind ja nicht überall ganz gleichmäßig. Einige mögen dazu verleitet sein, erst zu nehmen und später woanders einzuschränken. Darum handelt es sich.
Die Gespräche beginnen in diesen Tagen. Die bisherigen Untersuchungen schlagen sich in dem Zwischenbericht nieder, der Sie alsbald erreichen wird. Sie werden daraus erkennen, daß es der Bundesregierung nicht ermöglicht worden ist, in die Kosten- und Erlösstruktur dieser Gesellschaften hineinzusehen.
({1})
- Ich rede nur vom Berlin-Verkehr. Der Bundesregierung ist es bisher nicht ermöglicht worden, in die Kosten- und Erlösstruktur des Berlin-Luftverkehrs hineinzusehen. Das macht die Sache wirklich nicht leicht.
({2})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an den, soweit ich sehen kann, letzten Redner der Debatte weitergebe, möchte ich darauf hinweisen, daß zwei Kollegen des Hauses gebeten haben, anschließend das Wort zu einer persönlichen Erklärung auf Grund von Äußerungen der gestrigen Debatte zu bekommen. Ich werde sie danach aufrufen. - Das Wort hat Herr Bundesminister Matthöfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich am Ende dieser Debatte, die doch einen Haushaltsentwurf von 204 Milliarden DM und ein Paket steuerlicher Änderungen und auch Verbesserungen sozialer Leistungen zum Inhalt hatte - wir hätten immerhin auch diskutieren können über die Erhöhung des Kindergeldes, die Verlängerung des Mütterurlaubs, die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte - ({0})
- Verehrter Herr Kollege Zwischenrufer, worüber ist in dieser Debatte nicht alles gesprochen worden, was nicht zu den eingebrachten Entwürfen gehört? Da ist es doch wohl nicht unbillig, zu überlegen zu geben - mehr tue ich ja gar nicht -, ob nicht zum Maßnahmenpaket der Bundesregierung in seiner Gesamtheit einmal hätte Stellung genommen werden können.
({1})
- Sie tragen zur Verlängerung meiner Rede bei. Ich habe ein bestimmtes Pensum, das ich in aller Ruhe vortragen will, wobei ich auf freundliche Aufnahme hoffe. Aber wenn Sie Zwischenfragen stellen, werden Sie meine Redezeit verlängern.
Gestatten Sie, Herr Bundesminister, die Zwischenfrage?
Ja.
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie denn in der Lage, uns zu sagen, warum die Bundesregierung das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzgesetzes bisher nicht im Bundestag eingebracht hat?
Weil die Zeit nicht drängt. Sie wissen, wir wollen die Regelung zum 1. Juli 1979 wirksam werden lassen. Auf dem Gebiet der Bevölkerungspolitik wird durch die Verzögerung des Inkrafttretens von neun Monaten auch kein Attentismus eintreten, so daß wir das in aller Ruhe werden diskutieren können.
Ich halte die Verlängerung des Mütterurlaubs von jetzt acht Wochen nach der Geburt auf sechs Monate nach der Geburt für eine außerordentlich wichtige Sache; nicht nur familienpolitisch - wir werden darüber diskutieren müssen -, weil es dem Kinde nützt, daß die Mutter zukünftig länger bei ihm bleiben kann,
({0})
sondern auch arbeitsmarktpolitisch. Das zu diskutieren wäre relevant gewesen. Immerhin sind es
300 000 Arbeitnehmerinnen, die davon betroffen werden. Nun werden nicht alle die 750 DM in Anspruch nehmen, weil einige von ihnen sehr viel mehr verdienen. Auch werden nicht alle Unternehmer immer sofort jemand anders einstellen. Da wird es Überbrückungen geben. Man kann also nicht sagen, dadurch würden 100 000 Arbeitsplätze neu geschaffen; aber vielleicht doch 70 000 bis 80 000. Das wäre doch in einer Debatte ein interessanter Ansatzpunkt gewesen, die zum Mittelpunkt die konjunkturpolitische Lage hatte - das war zu Beginn der Debatte jedenfalls meine Bitte -, die weltwirtschaftliche Läge, das, was wir gemeinsam tun wollen, um wieder zur Vollbeschäftigung zu kommen.
Wenn ich mich nun frage, was ich aus dieser Debatte im Blick auf die Schwierigkeiten und Aufgaben der vor uns liegenden Finanzpolitik gelernt habe, so fällt mir die Antwort außerordentlich schwer, weil sich eigentlich nur die Kollegen des Haushaltsausschusses und zwei oder drei sozialdemokratische bzw. liberale Redner zu dieser Frage geäußert haben. Wenn ich einmal ganz beiseite schiebe, was so für Landtagswahlen vorgeführt worden ist - das ist immer so gewesen, und ich will das gar nicht kritisieren; ich kann das nur bedauern -, und versuche, den Kern dessen herauszulösen, was die Diskutanten - die alle nicht mehr anwesend sein können, weil die Bedeutung der Debatte im Bundestag offenbar nicht so hoch eingeschätzt wird, daß man anderes zurückstellen kann ({1})
an Überlegungen beigetragen haben, so bleibt übrig: Die Opposition beklagt im wesentlichen die für 1979 und für die folgenden Jahre im Finanzplan vorgesehene Nettokreditaufnahme, bezeichnet das als Verschuldungspolitik, baut darauf Untergangsvisionen auf und fordert statt Ausgaben zusätzliche Steuererleichterungen. Ich glaube, das ist eine faire Zusammenfassung. Wenn man dann auf die Schwierigkeiten hinweist und sagt: Das geht doch nicht miteinander, das paßt doch logisch nicht zusammen, sagen Sie: Die Lösung besteht darin, daß die Ausgaben gesenkt werden. Da muß man natürlich über Beträge reden. Das bleibt einem in der Finanzpolitik nicht erspart. Dann sehe ich mich aber doch vor die Frage gestellt: Wo soll ich kürzen? Frage ich die Opposition, sagt sie: „Bitte, Sie sind ja Regierung, wir sind Opposition; wir sagen Ihnen: Kürzen Sie!" Da würde ich noch sagen, das ist legitim. Nicht für legitim halte ich es aber, daß die Vielzahl der Sprecher der Opposition - übrigens auch wieder hier, wo Erziehungsgeld und Kinderfreibeträge und alles mögliche zusätzlich gefordert wurde -, und zwar jeder Ihrer Sprecher, ob es nun Ihr verteidigungspolitischer Sprecher ist oder derjenige, der zum Zonenrandgebiet spricht, oder derjenige, der etwas zur Ruhr sagt, zusätzliche - und Sie werden mir glauben, daß ich eine lange Liste solcher Pressemeldungen gesammelt habe und auch hier im Bundestag der Debatte wieder entnehmen mußte - Ausgabenwünsche anmeldet. Diese Haltung ist unlogisch, sie ist unpolitisch, und sie ist ganz und gar unverständlich.
({2})
Sie möchten - und der deutsche Wähler durchschaut das Gott sei Dank, wie die Meinungsbefragungen zeigen und wie auch die Wahlergebnisse zeigen werden - jedem einzelnen nach dem Munde reden, ihm zusätzliche Ausgaben versprechen, ihm gleichzeitig versprechen, die Steuern zu senken und die Schulden abzubauen. Das geht nicht.
({3})
Sie werden auch unermüdlich weiter mit Ihren vorfixierten Klischees arbeiten, die Bundesregierung wolle mehr Staat, mehr Bürokratie und höhere Steuern, während Sie dabei seien, die Wirtschaft von ihren Fesseln zu befreien und endlich wieder ein Klima zu schaffen, in dem alles besser wird -wie, weiß man noch nicht genau.
Ich glaube nicht, daß dies ein ernsthafter Versuch ist, sich mit dem Haushalt auseinanderzusetzen, in dem eine ganze Menge Gedankenarbeit steckt, auch eine ganze Menge Erfahrungen der Wirtschaftsforschungsinstitute, der wissenschaftlichen Beiräte, der Bundesbank, der Beamten in den verschiedenen Ministerien. Wir haben alle daran gearbeitet und sind zu der Überzeugung gekommen: Dies ist nicht nur die Grenze dessen, was wir an Krediten aufnehmen, sondern es ist auch dringend erforderlich, diese Kredite aufzunehmen. Hier sind Sie völlig isoliert. Ich kann Ihnen nicht ersparen, Sie auf den eklatanten Widerspruch hinzuweisen, der zwischen Ihrer These, die öffentliche Kreditaufnahme oder Verschuldung, wie Sie das nennen, sprenge jeden Rahmen, belaste den Kapitalmarkt, erhöhe die Zinsen, gebe keine Aussicht auf Konsolidierung, wir lebten zu Lasten späterer Generationen, und Ihrer gleichzeitigen Forderung, die Steuern massiv zu senken, und Ihrem Versprechen zusätzlicher Ausgaben, wer immer es draußen hören will, besteht.
Auch Herr Professor Biedenkopf, der Sprecher ist und offenbar nur spricht und nicht hören will - sonst wäre er ja wohl auch noch da -, sagt, die Regierung konsumiere hemmungslos auf Kosten kommender Generationen, zerrütte die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen und habe auch dafür gesorgt, daß die gegenwärtige Generation von ihren Kindern im Stich gelassen werde. Das ist echt schlimm, was hier an Schreckensgemälden aufgezeigt wird. Ich glaube, der richtige Kern, daß es nämlich Schwierigkeiten gibt und daß man Besorgnisse bei der öffentlichen Verschuldung haben muß, wird dadurch verschüttet. Wir haben selbst immer wieder betont, daß wir Wert auf Konsolidierung legen, daß wir Verschuldung nicht für ein wünschenswertes Ergebnis staatlicher Finanzpolitik halten. Warum aber nehmen wir Kredite auf? Wenn Sie doch nur einmal darüber nachdenken würden, warum wir das tun! Was würde denn passieren, wenn ich dem Ratschlag eines Ihrer Redner folgen und die öffentliche Nettokreditaufnahme nicht nur einstellen, sondern anfangen würde, schon Schulden zurückzuzahlen? Was wäre denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt? Was wäre dann die internationale Reaktion? Wir wären doch wieder bei Brüningscher Politik. Ich muß zu meinem großen Bedauern
sagen: Viele Ihrer Redner haben in mir den Eindruck entstehen lassen, daß die wirtschaftspolitische Erfahrung und die Lehren, die die nationalökonomische Theorie für die Wirtschaftspolitik daraus gezogen hat, von Ihnen völlig verschlafen worden sind.
({4})
- Aber ich bitte Sie! Wie kann man denn hier nur von Schuldenmacherei sprechen und nicht auf die beschäftigungssichernde Funktion öffentlicher Nettokreditaufnahme hinweisen!
({5})
Wir tun das, alle anderen demokratisch verfaßten Industriestaaten tun das gleiche, um ein 1932 zu vermeiden, um uns - jeder in seinem eigenen Land - darum zu bemühen, daß der wirtschaftliche Kreislauf nicht zusammenbricht, daß wir uns nicht voneinander abschotten, daß die internationale Arbeitsteilung nicht darunter leidet. Dies ist doch der Sinn dieser Bemühungen! Das nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis. Ich finde das wirklich schlimm.
({6})
Nun wird als zusätzliches Argument noch vorgetragen, wir zerstörten die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen. Ich will nicht in den theoretischen Streit, in dem sich inzwischen eine gute Kompanie von Nationalökonomen - auch mit Büchern - engagiert hat, darüber eintreten, ob ein realer Ressourcentransfer zwischen Generationen überhaupt möglich ist. Die meisten kommen zu der Auffassung, daß das gar nicht möglich ist. Wir tun nichts anderes, als daß wir Kredit aufnehmen, sichern damit reale Produktion in dieser Zeit und sorgen dafür, daß die zukünftige Generation eine Grundlage für ihr Leben hat. Indem wir diese Kredite aufnehmen und vernünftig ausgeben, sichern wir nicht nur die Beschäftigung, sondern hinterlassen der zukünftigen Generation
({7})
auch eine vernünftige Wirtschaftsstruktur, Wissen zur Lösung ihrer Probleme.
({8})
- Das ist das einzige, was Ihnen einfällt: Jetzt wieder „Schulden" zu rufen. Ich versuche hier, so wie ich diese Debatte angefangen habe, Ihnen in aller Ruhe und möglichst auch ohne Polemik, obwohl mir das nach dieser Debatte schwerfällt, zu erklären, was mich bewegt. Und da kommt immer wieder nur der Zwischenruf: Schulden. Sie wollen nicht hören. Deshalb sind Sie auch ungeeignet, jemals wieder die Regierung in diesem Lande zu übernehmen, weil nämlich das Ergebnis Ihrer Regierungsübernahme Massenarbeitslosigkeit wäre, wenn Sie das täten, was Sie hier sagen.
({9})
Wir sichern also nicht nur die Beschäftigung, sondern bauen auch eine öffentliche Infrastruktur auf, die den zukünftigen Generationen zur Verfügung steht. Wie steht es denn z. B. mit den Verkehrswegen? Wenn der Herr Kollege Gruhl noch in Ihrer Fraktion wäre, wären Sie vielleicht auch auf die Frage gestoßen, welche Umwelt wir unseren Nachkommen hinterlassen wollen. Ist es denn nicht richtig, daß wir mit Hilfe des Zukunftsinvestitionsprogramms sicherstellen, daß der Bodensee sauber wird, daß der Rhein sauber wird, daß andere Flüsse sauber werden, daß wir unseren Kindern eine lebenswerte Umwelt hinterlassen mit Hilfe der Investitionen, die wir auch in diesem Jahr wieder vorsehen? Ist das richtig, ja oder nein? Was schadet es der kommenden Generation, wenn wir dies jetzt mit Hilfe von Krediten tun? Beantworten Sie doch bitte einmal diese Frage und hören Sie mit diesen „Schuldenmacher"-Rufen auf!
({10})
Oder: Welche Techniken schaffen wir damit? Welche Energiequellen erschließen wir? Wie gehen wir mit Rohstoffen um? All dies, um bei beschränkter werdenden Ressourcen ein umweltgerechtes, vernünftiges, qualitatives Wachstum zu erreichen. Sehen Sie sich doch einmal die sich verändernde Struktur des Haushalts an! Dann werden Sie sehen, daß ein Konzept dahintersteht, über das zu diskutieren sich sehr wohl lohnen würde und das in dieser Debatte von Ihren Wahlkampfklischees völlig zugeschüttet worden ist.
Ich habe die Reden des Herrn Kollegen Strauß ja nun doch nachlesen müssen. Er hat einen Grundbestand von Klischees, die er mit wechselnden Bonmots präsentiert.
({11})
Der Freizeitwert einer Strauß-Rede ist unbestritten.
({12})
Er ist ja nicht ganz ohne Sachverstand.
({13})
- Sie sollte auch keinen Freizeitwert haben.
({14})
Ich dachte, Sie seien zu harter Arbeit hergekommen. Dafür werden Sie nämlich vom deutschen Volk bezahlt.
({15})
Ich werde Ihnen hier kein Kabarett vorspielen. Da liegen meine Talente nicht. Aber wenn Sie mit mir über zukünftige Wirtschaftsstrukturen diskutieren wollen, über das, was wir an Technologien neu entwickeln müssen, wie wir das finanzieren, wie wir die Steuerstruktur so gestalten, daß auch nichtfiskalische Zwecke erfüllt werden, dann sind Sie bei mir an der richtigen Stelle. Dazu stehe ich Ihnen jederzeit und unbeschränkt zur Verfügung.
Wenn sich der Staat heute verschuldet, verschiebt er damit nicht Lasten auf zukünftige Generationen. Was er tatsächlich macht, ist doch dies: Er nimmt ungenutzte Ressourcen, Arbeit und Kapital, um damit Güter zu produzieren, die auch folgenden Generationen zugute kommen. Die heute erstellte
Infrastruktur erleichtert doch das Leben zukünftiger Generationen.
Warum geben wir denn soviel für den deutschen Steinkohlenbergbau aus? Damit er für unsere Kinder in einer Zeit vorhanden ist, von der man heute schon mit Sicherheit vorhersagen kann, daß das 01 knapper wird. Deshalb erhalten wir den deutschen Steinkohlenbergbau mit Milliardenzuschüssen. Was ist daran falsch? Dafür verschulden wir uns auch. Auf Kosten zukünftiger Generationen? Doch wohl nicht.
Wie steht es mit der Bundesbahn? 14,5 Milliarden DM in diesem Jahr sind ein beachtlicher Brocken, wenn man hier auf die Nettokreditaufnahme umrechnen will. Das tun wir doch nicht nur unseretwegen. Das tun wir doch, um in Zukunft unseren Kindern eine Verkehrsinfrastruktur zu erhalten, die dann - das wissen wir doch alle gemeinsam heute schon - wieder geschätzt werden wird, wenn Öl knapper geworden sein wird und weil nicht mehr soviel an Massengütern über die Straße wird transportiert werden können, da es dann zu teuer sein wird. Dafür brauchen wir unsere Bundesbahn. Dafür müssen wir sie erhalten, wenn das auch zur Zeit teuer ist. - Ich bedanke mich, Herr Kollege Mertes, daß Sie nicken.
({16})
- Ja, hören Sie doch auf, diese Schreckensgemälde zu verbreiten. Die „Frankfurter Rundschau" zeigt den Herrn Dr. h. c. Strauß, wie er aus dem Bundeshaus mit einem Holzhammer herausgeht. Ich sage Ihnen, mit dem Holzhammer - ({17})
- Ich werde dem noch nachweinen. Wissen Sie, warum? Weil er nämlich der einzige Redner war, der keine zusätzlichen Forderungen gestellt hat - ist Ihnen das aufgefallen? - und der sich auch nicht gegen die Mehrwertsteuererhöhung gewandt hat. Er war ja einmal Bundesfinanzminister. Da ist ganz offenbar doch in tiefen Schichten noch etwas übriggeblieben, was ihn daran hindert, so ganz und gar verantwortungslose Forderungen zu stellen wie andere.
({18})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, ich fürchte, Sie haben vorhin meinen Zwischenruf falsch verstanden. Ich wollte fragen: Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß wir nicht mit Streckenstillegungen der Bundesbahn in den kommenden Jahren zu rechnen brauchen?
({0})
Ich habe Sie akustisch nicht verstehen können.
Darf ich Ihren eben gemachten Ausführungen entnehmen, daß wir nicht mit Streckenstillegungen bei der Deutschen Bundesbahn in den kommenden Jahren rechnen müssen?
Ich bin Ihnen für die Frage dankbar, weil sie zeigt, daß man solche Probleme sehr differenziert diskutieren muß. Wir sind uns alle hier im Hause darüber im klaren, daß wir selbstverständlich die Bundesbahn brauchen. Wir brauchen eine leistungsfähige Bundesbahn, eine vernünftig organisierte Bundesbahn, die wir unseren Kindern hinterlassen wollen. Das bedeutet unter Umständen natürlich hier und dort auch eine Streckenstillegung. Wenn man die Strekkenstillegung dann noch so macht, daß sie unter Umständen, wenn man die Strecke wieder braucht, rückgängig gemacht werden kann - bitte, darüber muß man diskutieren. Darüber wird auch zur Zeit mit den Ländern diskutiert, die ja Verantwortung für ihre Raumplanung tragen.
Ich sage also: Hören Sie bitte mit dem Argument auf, wir belasteten die zukünftigen Generationen. Heute nicht genutzte Arbeitsstunden und stillstehende Maschinen schaffen keine zusätzlichen Güter, weder heute noch morgen. Wenn wir durch die Aufnahme von Krediten diese ungenützten Kapazitäten sinnvoll beschäftigen, dann tun wir auch etwas für die Sicherung der Zukunft unserer Kinder. Ich glaube nicht, daß die Ausgaben für Forschung, für technische Entwicklung, Innovationen, produktive Investitionen, Umweltschutz - die haben wir ja in diesem Haushalt aller erhöht - irgendwie zukünftigen Generationen schaden werden. Im Gegenteil, sie werden ihnen ein vernünftiges Leben ermöglichen.
Die Konsolidierung und Stabilisierung der öffentlichen Finanzen macht mir natürlich Sorge. Das wird eine ungeheuer schwierige Aufgabe sein, insbesondere wenn weltweit kein Wachstum einsetzen sollte. Aber was haben Sie dazu in dieser Debatte eigentlich geboten? Ich habe außer Forderungen nichts gehört, insbesondere keine vernünftigen Vorschläge. Ich darf Sie einmal, damit Sie sehen, daß ich nicht nur kritisiere, auf die Rede hinweisen, die der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein gleich im Bundesrat halten wird und die ich heute morgen im Presseauszug gelesen habe. Da ist sehr harte Konfrontation festzustellen, aber sie ist in der Sache so formuliert, daß man darüber mit dem Ziel diskutieren kann, zu einer Einigung zu kommen. Gerade dies habe ich in der Debatte hier vermißt, nämlich den gemeinsamen Willen, für das deutsche Volk, das uns hierher geschickt hat, um seine Interessen gut zu vertreten, einen Weg aus der weltweiten Misere zu finden, noch besser als wir es bisher getan haben. Das wir es gut gemacht haben, hat der Herr Bundeskanzler dargelegt, ohne auf Widersprüche zu stoßen.
({0})
Es folgt Ihre Kritik an der sogenannten Staatsquote. Das Argument von der zu hohen Steuerquote benutzen Sie inzwischen nicht mehr, weil es auch
bis zu Ihnen durchgedrungen ist, daß die Steuerquote nicht hoch ist. Die Steuerquote ist so hoch wie in den frühen fünfziger Jahren, wenn man methodisch vernünftig und korrekt ist und das Kindergeld mit einbezieht. Sie sagen: Ja, aber die Abgabenquote ist zu hoch, in der die Sozialabgaben enthalten sind. Sagen Sie mir bitte, wer das alles beschlossen hat! Sie haben alles mit beschlossen, zum Teil haben Sie noch mehr beschlossen. Ich erinnere mich, wie Sie - wir hatten damals Stimmengleichheit, weil einer von uns nicht mehr kommen wollte - beschlossen haben, die Rentenerhöhung um ein halbes Jahr vorzuziehen. Wir haben Ihnen vorgerechnet, was das kostet, aber Sie haben es gleichwohl beschlossen.
({1})
- Natürlich waren wir dagegen. Sie haben das damals mit einer Stimme Mehrheit beschlossen, und zwar aus wahltaktischen Gründen.
({2})
- Nehmen Sie den Ball jetzt nicht in die andere Hand! Wir diskutieren jetzt über die Abgabenquote. Was ist das für eine Diskussionsdisziplin? Wir kommen hier nicht weiter, wenn jeder, der mit seinen Gedanken im Weltraum kreist, herunterkommt und einen Zwischenruf macht, der ihm gerade so einfällt. Zwischenrufe sind nützlich und können weiterführen. Ich will auch gern darauf eingehen; aber sie müssen zur Sache sein. Darum möchte ich Sie sehr bitten.
Was ist nun mit der Abgabenquote? Sie haben das alles mit beschlossen. Ich frage mich: Warum beklagen Sie sie dann? Was haben Sie vor? Wollen Sie sie abbauen? Was ist der Grund der Klage? Raus damit! Was wollen Sie in unserem Lande tun? Wollen Sie das, was wir gemeinsam beschlossen haben, abbauen, ja oder nein? Wenn Sie das nicht wollen, hören Sie bitte auf zu klagen!
({3})
Ich hörte Herrn Biedenkopf von der kollektiven Solidarität reden, die die menschliche Wärme vernichtet hat. Was will er denn? Ich stelle mir das einmal konkret vor: Möchte er wieder eine alte, kranke, mittellose Rentnerin haben, die im Dachstübchen wohnt und die von der Nachbarin ein warmes Süppchen gebracht bekommt, damit sie menschliche Wärme spürt? Was meint er konkret? Ich kann die abstrakten Formulierungen dieses Herrn nicht nachvollziehen.
({4})
Ich bin kein Juraprofessor, sondern habe einen anderen Lebenslauf und möchte mir die Dinge immer gern konkret vorstellen. Was will er denn? Will er die Systeme kollektiver Sicherheit abbauen, damit wir wieder menschliche Wärme seiner Art bekommen, ja oder nein?
({5})
- Nein, Herr Vogel, Sie können mir doch nicht sagen, daß Sie drei Tage lang eine Debatte führen, immer wieder die Abgabenquote vorbringen und die Systeme kollektiver Solidarität beklagen - um Herrn Biedenkopfs Formulierung zu nehmen -, ohne damit politisch irgend etwas zu bezwecken. Was wollen Sie damit bezwecken? Wollen Sie abbauen? Dann sagen Sie das!
({6})
Wenn Sie es nicht wollen, hören Sie auf, diese Regierung zu kritisieren; denn das waren auch mit Ihre Beschlüsse.
({7})
Was wollen Sie mit der Krankenversicherung machen? Wollen Sie die flexible Altersgrenze abbauen? Wollen Sie die mit Ihren Stimmen beschlossene Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall abschaffen? Was ist hier los? Auch das Kostendämpfungsgesetz haben Sie kritisiert. Sie
können nicht sagen, daß die jetzt hier und dort. vorkommenden Beitragssenkungen auf Ihre Aktivität zurückzuführen seien. In einer wirklichen Auseinandersetzung von Ihnen konkrete Antworten zu bekommen, ist wohl sehr schwer.
Ich beklage auch die Provinzialität Ihrer Argumentation. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist niemand - -({8})
- Na ja, ich habe ein Jahrzehnt meines Lebens in verschiedenen Kontinenten zugebracht. Auch der Herr Strauß ist doch rumgekommen; er war doch in Griechenland, er war in Spanien, er war in Portugal, er war in Südafrika, er war in Chile,
({9})
er war zu den Lockheed-Verhandlungen in den USA. Und gleichwohl argumentiert er hier provinziell. Er ist wirklich welt- und weitläufig.
({10})
Der Herr Strauß sagt also: Das Währungssystem von Bretton Woods -ist zusammengebrochen. Und was ist schuld? Das Inflations- und Anspruchsdenken in der Bundesrepublik Deutschland! - Na, ich bitte Sie doch sehr herzlich! Ich könnte Ihnen, wenn ich nicht gleich nach drüben fliegen müßte, ja sagen, wer daran schuld ist und wer was gemacht hat.
({11})
- Nein. Lesen Sie bitte den Text. Herr Strauß beklagt den Zusammenbruch des Weltwährungssystems von Bretton Woods und sagt: Worauf ist es zurückzuführen? Auf das Anspruchs- und Inflationsdenken.
({12})
- Bitte, lesen Sie es nach. Ich zitiere aus dem Kopf. Ich gebe Ihnen zu, daß er es vielleicht so nicht gesagt hat. Wir können uns ja dann anhand der TextBundesminister Matthöfer
stelle in eine gemeinsame Exegese begeben. Der Sinn meiner Argumentation wird dadurch nicht verändert.
Was ich sage, ist also: Diese Bemühung der Bundesregierung ist als Zusage in einem internationalen Paket zustandegekommen, weil wir wollten, daß die anderen, von deren wirtschaftlichem Verhalten wir als Export- und Einfuhrland abhängig sind, - - Wir haben ja nur unsere menschliche Arbeitskraft. 90 % der Rohstoffe, die wir brauchen, müssen wir einführen, ebenso 97 % des Öls. Wir haben bloß unsere Köpfe und unsere Hände. Wir müssen deshalb Vollbeschäftigung haben. Und dazu brauchen wir die anderen. Wir sind in die internationale Arbeitsteilung eingebettet. Dieser Einbettung verdanken wir unserem hohen Lebensstandard. Deshalb müssen wir mit den anderen zusammen diese weltweiten Probleme lösen. Deshalb haben wir die Zusage gemacht. Ich will Ihnen sagen: Der Bundeskanzler und ich waren ja der Meinung, wir sollten mal eine Weile warten und überhaupt nichts tun. Wir hätten lieber der Entwicklung noch ein bißchen zugesehen. Aber die anderen haben uns ja enorm gedrückt, zum Teil mit Zitaten aus dem Innern hier. Das hat unsere internationale Situation erschwert. Ich will mich da nicht beschweren, weil es schwer abzugrenzen ist, und einige von Ihnen geben sich ja auch Mühe, Dinge zu tun, die unsere internationale Durchsetzungsfähigkeit stärken. Dies war hier wenig nützlich. Aber wir müssen unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik mit den Nachbarn und Handelspartnern abstimmen, wenn wir nicht international isoliert sein wollen. Nichts von dem ist in dieser Debatte - ({13})
- Ja, aber es wäre doch schön, wenn diese Binsenwahrheit auch von der Opposition eingesehen und in die Debatte eingeführt würde,
({14})
Mehr will ich ja gar nicht, Herr Mertes. Wenn nur einer von Ihnen gesagt hätte: Wir sind von der weltweiten Konjunktur abhängig; die Bundesregierung hat recht, daß sie diese Verhandlungen geführt hat; sie hat ja auch ein bißchen was erreicht - nicht so viel, wie wir gern gesehen hätten, aber immerhin etwas -; und nun wollen wir mal sehen, wie wir den internen Streit darüber weiterführen, wie diese Maßnahmen gestaltet werden sollen. Da kann es doch Meinungsunterschiede geben. Aber davon war ja keine Rede.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Herr Bundesminister, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß alle unsere wirtschaftspolitischen Sprecher' die internationale Einbettung unserer Wirtschaftsinteressen hervorgehoben, aber als Opposition auf die hausgemachten Schwierigkeiten unserer Lage mit Recht hingewiesen haben?
Eine sorgfältige Analyse der Debattentexte
({0})
- aller Texte - wird Ihnen zeigen, daß Ihre Behauptung nicht so aufrechterhalten werden kann. Es waren weder alle Sprecher, noch haben sie in dieser Art und Weise die internationale Verflechtung und die internationale Notwendigkeit von Maßnahmen dargestellt. Nichts von dem!
Wir können uns ja darüber unterhalten, was man tun kann: ob Steuersenkungen, wie Sie sie fordern, besser sind oder vorausschauende Maßnahmen, die, ohne in die Autonomie einzelner Unternehmen einzugreifen, wirtschaftliche Strukturen fördern sollen. Strukturen, die weniger Energie und weniger Rohstoffe verbrauchen, die umweltfreundlich sind, Einsatz von komplexen Technologien - darüber kann man sich doch unterhalten. Aber eine solche Debatte ist nicht geführt worden. Ich habe den Eindruck, sie geht Ihnen eigentlich nicht nahe. Keiner Ihrer Sprecher ist auf diese Problematik eingegangen. Was würde es z. B. unseren Bergarbeitern oder den Werftarbeitern oder der Stahlindustrie nützen, wenn wir die Steuern senkten? - Das nützt doch nichts. Es gibt doch ganz sicher Probleme bei uns, die auf die weltweiten strukturellen Verschiebungen zurückzuführen sind, auch auf unsere eigenen strukturellen Verschiebungen im Rahmen eines enormen Anpassungsprozesses. Da muß der Rahmen geschaffen werden, damit unabhängige Unternehmen bessere und flexiblere Strukturen schaffen können. Darüber ist überhaupt nicht diskutiert worden; dann wären wir nämlich auf den Kern gekommen.
Oder aber man sagt: Alles, was an Nachfragemaßnahmen geschaffen wurde, ist falsch; man muß die Steuern senken, damit sich die privaten Investitionen erhöhen. Wenn ich es richtig im Ohr habe, hat Herr Kollege Strauß gesagt, die private Nachfrage sei immer ein Strohfeuer. - Das ist doch Unsinn! Was wollen wir denn? Wollen wir Maschinen produzieren, um Maschinen zu produzieren, die wieder Maschinen produzieren, oder ist der Sinn des menschlichen Wirtschaftens die Befriedigung der Verbrauchernachfrage? Das ist die Frage, die hier zu stellen ist.
({1})
Sie müssen mit Ihrer Argumentation sehr aufpassen. Ich werde es nicht lange ertragen können, daß Sie mich draußen als Schuldenmacher und Inflationisten bezeichnen, als jemanden, der die Lebensgrundlagen der zukünftigen Generationen durch Verschuldung zerstört usw.
Sie würden in die Gefahr geraten, daß wir gröber, als ich es bisher draußen gemacht habe, dem deutschen Volk klarmachen, was passiert, wenn wir Ihren Vorschlägen folgten. Dann müßte nämlich in der Bundesrepublik eine Massenarbeitslosigkeit eintreten. Dies ist meine feste Überzeugung, und ich werde sie mit all dem, was mir zur Verfügung steht, nach draußen hin vertreten, wenn Sie fortfahren,
diese Regierung als Schuldenmacher zu bezeichnen.
Auf einen groben Klotz gehört dann ein grober Keil.
Ich bitte Sie sehr herzlich, in die Sachdebatte einzutreten und die Klischeeargumentationen einzustellen, damit wir dann - ich hoffe: schon bei der dritten Lesung - eine sachbezogene Debatte zur Lösung der Probleme der deutschen Wirtschaft zum Nutzen des deutschen Volkes führen können.
({2})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Beratung. Zur Abgabe einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Schöfberger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um eine Minute Geduld für eine persönliche Bemerkung.
Herr Abgeordneter Strauß hat in seiner gestrigen Rede behauptet, die CSU habe mir vor Gericht durch eine einstweilige Verfügung verbieten lassen müssen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, die Konservativen firmierten dauernd unter einem anderen Wappen; einmal nannten sie sich Bayerische Volkspartei, dann Deutschnationale, mal Zentrum, dann Nationalsozialisten und nach dem Kriege CSU. Diese einstweilige Verfügung sei - so Strauß - eine Tatsache. Herr Strauß hat dann darauf eine ganze Argumentationskette gegen die SPD aufgebaut, in der auch von „Misthaufen" die Rede war.
Richtig daran ist, daß das Landgericht München I mit Beschluß vom 8. Dezember 1977 diese einstweilige Verfügung zunächst ohne mündliche Verhandlung erlassen hatte. Richtig ist aber auch - und das hat Herr Strauß wider besseren Wissens verschwiegen -, daß das Landgericht München I zwei Wochen später auf meinen Widerspruch und nach mündlicher Verhandlung mit rechtskräftigem Endurteil vom 21. Dezember 1977 folgendes entschieden hat:
Erstens. Die einstweilige Verfügung vom 8. Dezember 1977 wird aufgehoben.
Zweitens. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Drittens. Der Verfügungskläger - das ist die CSU - trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Gericht hat den Streitwert auf 50 000 DM festgesetzt. Der CSU sind dadurch Kosten in Höhe von rund 6 000 DM entstanden.
Das Gericht hat in den Gründen festgestellt, daß ich den Vergleich der CSU zwar mit der Bayerischen Volkspartei, mit dem Zentrum und mit der Christlichen Volkspartei, nicht jedoch mit den Nationalsozialisten gezogen habe.
Das Endurteil ist der CSU, vertreten durch Herrn Strauß, im Januar 1978 zugestellt worden. Herr
Strauß mußte also gestern davon Kenntnis haben. Ich gehe deshalb davon aus, daß er seine gestrigen Behauptungen wider besseres Wissen aufgestellt hat. Er hat damit dem rhetorischen Effekt den Vorzug vor der Liebe zur Wahrheit gegeben.
Im übrigen bin ich mit Ihnen allen überzeugt, daß über die Tradition der deutschen Konservativen die Geschichte und nicht die Gerichte entscheiden.
({0})
Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Graf Huyn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Egon Bahr hat in seiner gestrigen Rede zu den Artikeln Stellung genommen, die im „Daily Telegraph" und der „Washington Post" erschienen sind und in denen über seine Gespräche, die er in Moskau geführt hat, berichtet worden ist.
Herr Bahr hat hier wörtlich erklärt - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -:
Beide Journalisten berufen sich auf Angaben eines qualifizierten Informanten. Beide waren im Sommer in der Bundesrepublik und haben mit führenden CDU/CSU-Politikern gesprochen, darunter mit dem CDU-Vorsitzenden.
Er fährt dann fort:
Der Verfasser des Artikels ' in der englischen Zeitung hatte, wie unwidersprochen in der deutschen Presse zu lesen war, bei seinem Besuch in Bonn ein Gespräch mit Graf Huyn.
Ich stelle dazu fest:
Erstens. Diese Behauptungen entsprechen nicht der Wahrheit.
Zweitens. Es entspricht auch nicht der Wahrheit, daß dies unwidersprochen behauptet worden sei. Ich habe in einem Interview, das am 16. September, also vor einer Woche etwa, erschienen ist, dem widersprochen.
Drittens. Ich erfahre erst aus dieser Rede von Herrn Bahr, daß der Verfasser des Artikels in der englischen Zeitung überhaupt hier in Bonn gewesen sein soll.
Ich stelle hiermit auch fest, daß Herr Bahr in seiner Erklärung offenbar der Polemik den Vorrang vor der Wahrheitsliebe gegeben hat.
({0})
- Ich meine: wie Herr Dr. Schöfberger gegenüber Herrn Strauß.
Wir kommen zur Überweisung der Vorlagen, die wir heute, gestern und vorgestern hier behandelt haben, nach den Empfehlungen des Ältestenrates. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 27. September, 13 Uhr zu einer Fragestunde ein.
Die Sitzung ist geschlossen.