Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir fahren in der Aussprache über die Tagesordnungspunkte 1 bis 4 fort:
1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaus haltsplans für das Haushaltsjahr 1979 ({0})
- Drucksache 8/2150 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1978 bis 1982
- Drucksache 8/2151 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze ({1})
- Drucksache 8/2100 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte ({3})
- Drucksache 8/2101 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 8/2102 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({5}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Herr Präsidentl Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Finanzen hat mit seiner gestrigen Rede den Anforderungen einer Haushaltsrede nicht Genüge getan.
({0})
Es mag sein, daß das Nachdenken über die wirklichen Probleme in der Bundesregierung zu den raren Aktivitäten gehört, bei denen sie tunlichst nicht gestört werden darf. In einer Haushaltsrede hätte man aber schon erwarten können, daß wenigstens Spurenelemente davon sichtbar werden.
({1})
Sie wirkte mehr wie ein Nachtrag zu einer nicht gehaltenen Rede, ein Nachtrag, der von einem Rezitator pflichteilig vorgelesen wird. Es fehlte nämlich eine Aufzählung und 'Beschreibung der bestehenden Probleme. Es fehlte eine Darlegung ihrer Ursachen als Voraussetzung ihrer Lösung. Es fehlte eine Analyse dieser Probleme mit Angabe konkreter Vorsätze für die Zukunft, z. B. für den Abbau der Verschuldung. Es fehlten eine Erhellung der für die Zukunft bestehenden Absichten und eine Aufklärung über die geplanten Lösungen dieser Probleme. Es fehlte jede Aussage - das hat mich besonders gewundert- über die sogenannten Gipfelkonferenzen in Bremen und Bonn, bei denen die Kluft zwischen Erwartung und Ergebnis, zwischen Verheißung und Erfüllung schon zur Routine geworden ist. Dabei sind gerade Erklärungen und Beschlüsse dieser Konferenzen für die wirtschaftliche und finanzielle Lage unseres Landes in der Zukunft - siehe europäischer Währungsverbund - von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung. Es fehlte jede Aussage über die Sicherheit und Ausgestaltung unseres Rentensystems - verständlich) Es fehlte
ein klärendes Wort über die Grenze der Machbarkeit, d. h. der Finanzierbarkeit. Es fehlte jede echte Aussage über den Anteil der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt und die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet.
Wir haben in diesem Jahre zwei zeitlich fast zusammenfallende 30jährige Geburtstage gefeiert, den Geburtstag der Sozialen Marktwirtschaft und den Geburtstag der D-Mark. Im Juni dieses Jahres haben wir - auch der Kollege Matthöfer, der Kollege Kohl, ich und andere - in der Paulskirche in Frankfurt aus diesem Anlaß gesprochen. Ich möchte hier dieses Anlasses gedenken und, wenn auch nur mit einem Satz, einen Dank an Ludwig Erhard aussprechen,
({2})
dessen im politischen Raume durchgesetzte Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft den Namen einer echten, epochalen, entscheidenden Reform auch tatsächlich verdient. Es ist angebracht, ein Werk, das man wirklich als Reform bezeichnen kann, hier im Zusammenhang mit der Marktwirtschaft zu erwähnen. Damals fiel die Entscheidung: Marktwirtschaft statt Planwirtschaft. Damals war Deutschland der größte Trümmerhaufen der Weltgeschichte. 15 bis 20 Jahre nach diesem Ereignis war es die stärkste Wirtschaftsmacht Europas und die zweitgrößte Welthandelsmacht; ja, zur Zeit ist es, weil die Wirtschaft auf den Export drängt, da die Binnennachfrage immer noch zu schwach ist, die größte Welthandelsmacht. Das war der Anlaß, der Beginn des Aufstiegs der breiten Massen unseres Volkes. Hier hat sich die Architektur eines modernen, freiheitlichen, leistungsfähigen sozialen Rechtsstaats ergeben. Und wir halten nun einmal an der Einheit fest: demokratischer Rechtsstaat - parlamentarische Demokratie - Soziale Marktwirtschaft.
({3})
Man kann keines dieser Elemente herauslösen, ohne daß die beiden anderen - wenn auch nicht sofort, so doch schrittweise - ausgehöhlt und zum Einsturz gebracht werden.
({4})
Es ist hier nicht an der Zeit, eine Definition oder eine Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft aus Anlaß dieser Haushaltsrede zu geben. Wohl aber ist es angebracht, zu erwähnen, daß sie bedeutet: Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes, Freiheit der Entscheidung über den persönlichen Verbrauch, Recht auf Privateigentum, auch an Produktionsmitteln - das ist wohl die entscheidende Frage - sowie unternehmerische Investitionsentscheidung.
Die Soziale Marktwirtschaft ist damals gegen die SPD erkämpft und durchgesetzt worden. Das wäre heute nicht mehr bemerkenswert. Denn es ist vieles gegen die SPD erkämpft und durchgesetzt worden, was so selbstverständlich geworden ist, daß das Zustandekommen schon dem Bewußtsein und auch dem Erinnerungsvermögens entglitten ist. Aber nach 30 Jahren zeigt sich doch, daß die Soziale Marktwirtschaft von weiten Teilen der SPD als aufgezwungenes, widerwillig übernommenes und weitgehend unverstandenes, jedenfalls nicht verarbeitetes, innerlich abgelehntes Ordnungssystem betrachtet und behandelt wird.
({5})
Auf allen Parteitagen der SPD und in allen programmatischen Entschließungen nicht nur der Jungsozialisten kehren wieder: der Vorrang des Sozialstaats vor dem Rechtsstaat - als ob nicht beides den gleichen Rang hätte -, der Vorrang der Gleichheit vor der Gerechtigkeit, der Vorrang der Staatswirtschaft, notfalls auch der Gemeinwirtschaft, vor der Privatwirtschaft, der Ruf nach mehr staatlichen Eingriffen, die Forderung nach Ausdehnung des öffentlichen Dienstes, der Schrei nach mehr Kontrolle statt nach mehr Verantwortung - nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" -, die Ankündigung neuer Instrumente der Wirtschafts- und Sozialpolitik - siehe Willy Brandt -, der Ruf nach Investitionsplanung, Investitionslenkung und Investitionskontrolle durch die öffentliche Hand - einzuleiten durch ein Investitionsmeldesystem mit Zwangscharakter -, der Ruf nach Strukturräten für öffentliche und private Investitionen unter dem Zauberwort „vorausschauende Strukturpolitik" - es gibt ja immer wieder neue Maskeraden für ein und dieselben steinzeitsozialistischen Vorstellungen -.
({6})
Im Hintergrund steht dann etwas, was man zwar als den idealen Endzustand betrachtet, heute aber leider noch nicht erreichen kann, weshalb man sich
mit der unzulänglichen Marktwirtschaft noch abplacken muß, nämlich die Vergesellschaftung oder Verstaatlichung der Produktionsmittel. Und das ist doch die Frage, die wir hier immer wieder stellen müssen, weil es ja zwei Politiken der SPD gibt, die offizielle Regierungspolitik - oft sehr forsch ausgedrückt, manchmal auch mit einigen Slalomkurven und einigen Widersprüchen -, vertreten durch Helmut Schmidt und seine Minister, soweit sie sich ihm unterordnen,
({7})
und dazu parallel - na, „parallel" würde bedeuten: gleichsinnig; aber das kann man nicht einmal sagen - eine zweite Politik, die von ganz anderen Grundvorstellungen ausgeht, ganz andere Zielvorstellungen verfolgt und ganz andere Methoden empfiehlt.
({8})
Und wenn man dann fragt: „Wie verhalten sich die zwei zueinander?", dann heißt es eben: Parteiprogramme sind das eine, Regierungspolitik ist das andere. Wie lange man das auf die Dauer aushalten kann, gehört zu den Mysterienspielen unserer Zeit. Aber einmal kommt ein Ende dieses Mysterienspiels, weil diese Rechnung nicht mehr aufgeht.
Und das ist eben das Thema: Marx und sein Erbe. Die SPD ist unfähig, sich von Marx zu trennen, aber außerstande, sich offen zu ihm zu bekennen. Und das schafft Verklemmungen.
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Die Soziale Marktwirtschaft mit ihrem Eigentums-
und Leistungssystem ist ein unwillkommenes, aber
eben nicht mit einem Schlag abzuschaffendes System, dessen Funktionsunfähigkeit erhofft, dessen Überwindung angestrebt, dessen Abschaffung als Zukunftsplanung betrieben wird. Im Dienst dieses Ablaufs stehen dann auch die klassenkämpferische Diskussion, die Schaffung eines unternehmerischen Feindbildes, die Einschüchterung des Bundesverfassungsgerichts, die Planung eines sozialistischen Europas.
Unter den unzähligen Zeugnissen, die es dafür gibt, möchte ich mich auf die Äußerungen eines Mannes beschränken, eines Gewerkschaftsführers im zweiten Glied, der aber weitgehend das Geschehen im vordersten Glied bestimmt, nämlich des Herrn Dr. Detlev Hensche vom März dieses Jahres. Er sagt:
Schließlich sei die Frage hinzugefügt, wie lange wir uns noch den Luxus privater Unternehmungen leisten können.
Oder:
Marktwirtschaft ist ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten. Hier helfen nur politische Weichenstellungen: gesellschaftliche Kontrolle der Investitionen und Vergesellschaftung der größten Konzerne.
Oder:
Die Aufhebung des Eigentums ist eine Frage der weiteren Rechtsentwicklung und damit eine Machtfrage.
Oder:
Der soziale Kampf bleibt politischer Kampf, auch wenn er sich juristischer Mittel bedient. Oder:
Schon am Anfang der 50er Jahre setzten sich Unternehmer und politische Reaktion durch. Dies blieb nicht ohne Folge für das politische Verfassungsverständnis. Heute stehen wir vor der Gefahr, daß eigentumsbestimmte Herrschaftspositionen rechtlich abgesichert werden. Das Grundgesetz steht in Gefahr, zum Unternehmerstatut zu werden.
Und wie ähnliche Erzeugnisse eines verwirrten, wenn auch akademisch gebildeten Geistes lauten.
Man kann die deutsche Nachkriegspolitik in drei Phasen einteilen. Das eine war die pragmatische Phase der Jahre 1948 - Beginn der Währungsreform - und 1949 - erste Bundesregierung -, reichend bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre. Diese pragmatische Phase bedeutete Wiederaufbau und Neubau zugleich.
Schon innerhalb der ersten sechs Jahre wurden 6 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, wurden 6 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge eingegliedert - später noch mehr -, wurde die Arbeitslosigkeit als Folge von Krieg und Vertreibung, als Folge der Zerstörung in unserem Lande von 11 % und mehr auf praktisch Null gesenkt
Davon profitierten auch die Staatsfinanzen. Es war möglich, den Lastenausgleich durchzuführen, die Auslandsverschuldung abzubauen, die Wiedergutmachung, die ja wesentlich höhere Beträge erforderte, als jemals auch nur erahnt werden konnte,
abzuwickeln die Überwindung der Wohnungsnot durch den sozialen Wohnungsbau herbeizuführen, die Kriegsopferversorgung zu regeln usw.
Eine solide soziale Sicherung konnte geschaffen und ausgebaut werden, so die Dynamisierung der Rentenversicherung 1957, die ich als die sinnvolle Ergänzung der großen Reform, genannt Soziale Marktwirtschaft, deuten würde. Es konnte der Generationenvertrag der dynamischen Altersrente geschaffen werden, der aber auf einer expandierenden, im Wachstum befindlicher, mit Vollbeschäftigung laufenden und modern arbeitenden Wirtschaft aufgebaut ist. Ansonsten ist die dynamische Altersrente einfach nicht aufrechtzuerhalten; da mögen Sie Pläne vorlegen, wie Sie wollen. Sie werden immer wieder nach Ablauf von spätestens vier, fünf Jahren zugeben müssen, daß Sie sich geirrt haben. Aber dann ist der nächste Wahltermin vorbei, und dann fällt Ihnen etwas Neues ein, um wieder neue Termine zu setzen.
Diese pragmatische Phase der deutschen Nachkriegspolitik war gekennzeichnet durch Vernunft und Augenmaß, durch sozialen Frieden, durch die Förderung und Ermunterung der freiheitlichen Kräfte in unserer Wirtschaft. Sie war außenpolitisch begleitet durch die Einbindung in das westliche Bündnis, durch die Schaffung und den Ausbau einer europäischen Gemeinschaft. Sie dauerte, wie gesagt, knappe 20 Jahre.
Diese Phase wurde abgelöst durch eine visionäre Phase. Die darauf folgende visionäre Phase - seherische Phase sozialistischer Träume -, gekennzeichnet durch immer neue Heilspläne und schärfer werdende Verteilungskämpfe, ging schon nach viereinhalb Jahren zu Ende. Sie fiel zeitlich zusammen mit der Regierung Brandt. Das war die Zeit, in der von mehr Gerechtigkeit, mehr Menschlichkeit, mehr Glückseligkeit, mehr Gleichheit gesprochen wurde, in der höhere Lebensqualität verkündet worden ist, in der man sagte, man müsse jetzt „das Unternehmen Demokratie wagen„, jetzt beginne eigentlich erst die Demokratie, mehr Information, weniger Geheimniskrämerei usw., wie alle diese - ich muß es leider so ausdrücken - Sprüche gelautet haben.
({10})
- Ich bin dankbar, Herr Kollege, daß Sie mich hier zu langsamerem Reden auffordern. Aber ich wollte es deshalb schnell sagen, weil ich Verständnis dafür habe, daß Sie es nicht mehr hören wollen; ich auch nicht
({11})
Denn es hängt Ihnen mit der Zeit genauso zum Halse heraus, wie es bei uns schon von Anfang an der Fall war.
({12})
Am Ende steht seit 1974 eine hohe Dauerarbeitslosigkeit. Sie wird auch für die Finanzen unseres Staates immer teurer. 1 Million Arbeitslose kosten Jahr für Jahr rund 20 Milliarden DM: 10 Milliarden DM für Unterstützungen, 10 Milliarden DM an Ausfällen an Steuern und Beiträgen. Es gibt überhaupt
keine Lösung des Rentenproblems, wenn es nicht gelingt, den größten Teil dieser Millionen von Unterstützungsempfängern umzuwandeln in Steuer-
und Beitragszahler. Das ist die Hauptvoraussetzung.
({13})
Seit 1969 sind 1,3 Millionen Arbeitsplätze verlorengegangen. Insgesamt fehlen uns sogar 2 Millionen Arbeitsplätze, wenn man das Niveau von 1969, das allerdings eine Überhitzung des Arbeitsmarktes bedeutete, zugrunde legen würde.
Mit dem Wandel von Brandt zu Schmidt kam der Wandel von der Vision zur Labilität, die labile Phase.
({14})
Denn seit dem Rücktritt des gescheiterten ersten Bundeskanzlers des Bündnisses von SPD und FDP leben wir in einer labilen Phase, die sich erstaunlich lange hinzieht. Eine Orientierung an wirklichen festen Werten - wenn auch nur an vermeintlichen Werten - ist nicht mehr zu erkennen. Lediglich die Orientierung an einem Wert ist zu erkennen: für die Regierenden um jeden Preis die Macht zu erhalten.
({15})
Das ist so ein „Helmut-Schmidt-Rettungsring e. V. auf Gegenseitigkeit".
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Die Politik ständiger Gleichgewichtsstörungen ist gerade das Gegenteil einer stabilen Politik. Es regiert ein Kanzler, der sich mit seiner Vorstellungswelt immer weiter von der Basis seiner Partei entfernt, von der er gewählt wurde und die von ihm abhängt, oder umgekehrt: von dem sich seine Partei in ihrer Mehrheit immer weiter entfernt, was auf das gleiche hinauskommt. Seine Regierung ist - so ein nicht gerade mit der CDU verbündeter Soziologe, Professor Scheuch - zunehmend nur noch damit beschäftigt, Krisen eigener Produktion zu meistern: Beschäftigungskrise, Abgabenbelastungskrise, Finanzkrise des Staates, Rentenkrise, Wachstumskrise, innere Krisen als Folge der Investitionsschwäche.
Als großen Erfolg feiert man dann, wenn ein Teil dessen, was in der pragmatischen Phase auf die Dauer gesichert erschien, mit viel Aufwand gehalten werden kann. Das gilt heute schon als ein großer Erfolg. Darüber können und dürfen auch spektakuläre Treffen mit führenden Staatsmännern nicht hinwegtäuschen, die als Super-Shows inszeniert werden. Mögen die Erklärungen noch so banal, die Ergebnisse noch so belanglos sein, eines ist sicher: daß das Programm in der nächsten Konferenz gleicher Art wiederkehren wird, mit denselben Erklärungen am Anfang und mit denselben Zusagen während des Verlaufes und mit derselben Verlautbarung am Ende. Und das ist das konservative Element dieser Regierung.
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Das ist nun einmal eine Politik, der man zehn schwere Fehler auf dem Gebiet der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik vorhalten muß. Einmal ist
da der gerade vom Bundeskanzler immer wieder verkündete Zweckoptimismus, der in einem schreienden Gegensatz zur Wirklichkeit steht. Wenn man diese Kluft dann nicht mehr, auch beim besten Willen unter Ausnutzung des ganzen Vertrauensspielraums nicht mehr verheimlichen kann, dann tritt der Herr Bundeskanzler vor das Fernsehen, wie weiland bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises, wo er eigentlich etwas außerhalb der Tagesordnung zu unserer aller Überraschung erklärte, er sein kein Betrüger, was wir ihm eigentlich gar nicht so vorgeworfen hatten. Er meinte aber, er sei deshalb kein Betrüger, weil er zwar während des. Wahlkampfes
- siehe damals diese große Vier-Stunden-Sendung
- die Unwahrheit über die Rentenlage und -entwicklung gesagt habe, aber zum Betrug der Vorsatz und zum Vorsatz das Wissen gehöre. Da er aber das Wissen nicht gehabt habe, habe der Vorsatz gefehlt, und weil der Vorsatz gefehlt habe, könne die Tat nicht begangen worden sein.
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Dieser Zweckoptimismus wurde z. B. in der Regierungserklärung am 30. Juni 1976 im Bundestag verkündet. Damals sagte Helmut Schmidt:
Ich stelle mit Genugtuung fest, daß nach allgemeiner Überzeugung in Puerto Rico die Rezession in den führenden Industrieländern nunmehr überwunden ist.
Die zweite Sünde sind Versprechen und Täuschungen. Immer neue und dann doch nicht gehaltene Versprechungen führten zu einer Inflation der Ansprüche, der die Inflation des Geldwertes und die Zerrüttung der Staatsfinanzen folgten. Der engste Berater des damaligen Bundeskanzlers in der visionären Phase, der letzte stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Horst Ehmke, kündigte für jeden Tag eine neue Reform an.
({19})
Willy Brandt propagierte in der Debatte über seine erste Regierungserklärung als Leitsatz seiner Politik: Keine Angst vor Experimenten! Wir hören heute von seinem Nachfolger: Um Gottes willen, ja keine Experimente! Aber die folgende Experimentierpolitik ließ leichtfertig simpelste wirtschaftspolitische Erkenntnisse, jede Solidität in der Finanzpolitik, jede Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und auch jede Rücksichtnahme auf die folgende Generation - wenn ich an die Verschuldung denke - außer acht. Diese Entwicklung hat doch bereits Anfang der 70er Jahre zum Rücktritt von zwei Finanzministern, nämlich von Finanzminister Alex Möller und von Finanz-
und Wirtschaftsminister Karl Schiller, geführt. Herr Möller hat ja einen Brief geschrieben, der als Geheimsache behandelt worden ist, und er hat doch erklärt, er habe mit seinem Rücktritt ein großes Unheil verhindert, weil er ein Zeichen gesetzt habe.
Karl Schiller schrieb einen Rücktrittsbrief; der kam auf dem Wege der bekannten Veröffentlichungsmöglichkeiten der Bundesregierung in eine
' Illustrierte, diesmal allerdings nicht nach dem Willen der Machthaber, sondern dieser Brief wurde so als Geheimsache behandelt, daß gleich die RedakStrauß
tionsräume wegen dieses Rücktrittsbriefs eines Ministers untersucht worden sind, worauf Staatsanwaltschaften in einer Reihe von großen Städten der Bundesrepublik tätig geworden sind, um den schrecklichen Ursprung dieses Abgrunds an Landesverrat zu erforschen.
Höhepunkt dieser unerfreulichen Entwicklung sind aber die schweren Verfassungsverstöße bei der Verfügung über Milliardenbeträge; doch über dieses Thema haben wir uns hier schon einmal unterhalten.
Zu den leichtfertigsten Versprechungen gehören die wiederholten Vollbeschäftigungsgarantien des Kanzlers Brandt und seines Finanzministers Helmut Schmidt. In der Zeit der Überbeschäftigung Vollbeschäftigungsgarantien zu geben und daraus dann noch konkrete, politische, insbesondere wirtschafts-
und finanzpolitische Schlußfolgerungen abzuleiten war ein Meisterstückchen besonderer Art. Damit nahm der Staat den Tarifpartnern das Arbeitsplatzrisiko ab; eine Million Dauerarbeitslose seit 1974/75 sind die Folge.
Auch wenn eine Zäsur zwischen dem Finanzminister und dem Bundeskanzler liegt, wissen Sie, Herr Schmidt, doch sicher auch noch, daß Sie damals, am 22. September 1972, gesagt haben:
Das heißt, daß unsere gestrigen Rentenbeschlüsse, besonders die flexible Altersgrenze, in Zukunft nur dann finanziert sein werden, wenn Sozialdemokraten bis 1985 für kontinuierliche Vollbeschäftigung in unserem Lande sorgen.
({20})
Nur dann sind sie finanziert. Aber sie werden
finanziert sein, denn wir werden dafür sorgen.
({21})
In einer mit Ihrem Bild veröffentlichten Anzeige hieß es:
Die CDU ist bereit, eine Arbeitslosenquote von 2 % in Kauf zu nehmen.
({22})
Jeder Deutsche soll wissen, was das bedeuten würde: eine halbe Million Arbeitslose,
({23})
Existenzangst, Radikalismus. Dazu darf es nicht kommen. Sorgen Sie dafür, daß Sozialdemokraten weiter regieren, dann bleiben die Arbeitsplätze sicher.
({24}) Kommentar überflüssig!
Die dritte Sünde, die hier zu erwähnen wäre, sind maßlose Fehlplanungen, Fehlplanungen, die 'nicht nur auf Bundesebene begangen werden, aber die auf Bundesebene initiiert, nach unten, in die Länder und die Gemeinden hinein ausstrahlen. Heute erweist es sich doch einfach als Unfug, wenn man eine Bildungspolitik propagiert, nach der jeder zweite Schüler Abitur haben und jeder zweite Abiturient ein Hochschulstudium abschließen soll. Was
machen denn diese Abiturienten, die vor den verschlossenen Toren der Hochschulen stehen, was machen die Hochschulabsolventen, die vor den verschlossenen Toren der Berufswelt stehen?
Herr Kollege Brandt, ich habe nicht vergessen, daß Sie damals zu mir gesagt haben: „In der Zeit, in der Sie regierten, konnte ein Arbeitersohn nur Schlosser werden." - Erstens stimmt es nicht, aber das ist man bei Ihnen ja sowieso gewohnt, und zweitens: Was heißt denn „nur Schlosser"?
({25})
Die vierte Sünde, die hier zu erwähnen wäre, ist eine Entwicklung, die man mit den Worten „immer mehr Staat" beschreiben kann. Die öffentlichen Ausgaben sind seit 1970 schneller gestiegen als die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Der Staatsanteil ist in diesen neun Jahren von 37 auf 48 % gestiegen. Fast jede zweite D-Mark, die bei uns verdient wird, läuft über öffentliche Kassen. Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - sind wachsende Finanzierungsdefizite die Folge. Die Ausgabenpolitik der Bundesregierung ist zu einem Dauerkrisenmanagement ausgeartet. Neuerdings werden auch Transferleistungen wie Gehälter und Sozialleistungen jedenfalls zum Teil mit Krediten finanziert.
Alle öffentlichen Ausgabenprogramme können aber die privaten Investitionen nicht ersetzen. 85 °/o der in der Bundesrepublik getätigten Investitionen werden in privaten Unternehmungen vorgenommen.
Man kann diese Entwicklung, wie sie seit 1969 eingetreten ist, mit ganz wenigen Zahlen geradezu signifikant an die Wand malen. Unser Bruttosozialprodukt ist in der Zeit von 1970 bis 1977 von 679 Milliarden auf 1 193 Milliarden gestiegen, in jeweiligen Preisen ausgedrückt; also ein Zuwachs von 75,7 %.
Das Steueraufkommen ist von 154,1 Milliarden auf 299 Milliarden gestiegen; ein Zuwachs von 94,3 %. Die Lohnsteuer ist von 35,1 auf 90,8 gestiegen, obwohl in einem Jahr ein Stillstand wegen der von uns erzwungenen, dem Zeitpunkt nach vorgezogenen Steuerermäßigungen war. Die Lohnsteuer ist um 158,7 % in diesem Zeitraum gestiegen, die veranlagte Einkommensteuer um 121,9 %, nämlich von 16,0 auf 35,3. Die Körperschaftsteuer von 8,7 auf 16,8 um 93 %. Die Gewerbeertragsteuer von 9,0 auf 19,3 Milliarden, das sind 114,4 %.
Gleichzeitig ist folgendes gestiegen. Bei einem Anstieg des Sozialprodukts um 75,7 % sind die Ausgaben der Gebietskörperschaften um 96 % und deren Verschuldung um 156 % angestiegen, die Einnahmen des Staates einschließlich Sozialversicherung um 103 %, die Ausgaben um 121 %.
({26})
Ich möchte keine weiteren Zahlen nennen. Aber diese Zahlen zeigen in ihrer ganz nüchternen Spra8178
die, wie hier eine Fehlentwicklung, systematisch eingeleitet oder aus Blindheit im frommen Reformeifer verschuldet, dann von Jahr zu Jahr fortwälzend neue Übel hervorgerufen hat. Die Politik der Bundesregierung orientiert sich ja nur an vordergründigen Umverteilungszielen, statt Leistungsanreize in ausreichendem Maße. zu setzen. Das Spiegelbild dieser Entwicklung stellt die Struktur der öffentlichen Ausgaben dar. Wir hatten im Jahr 1970 einen Staatsverbrauch von 108,1 Milliarden, im Jahr 1937 einen Staatsverbrauch von 241,8 Milliarden. Das heißt, der Staatsverbrauch hat um 123,7 % zugenommen, während das Bruttosozialprodukt, wie vorhin erwähnt, um 75 0/o zugenommen hat. Die Transferleistungen haben im gleichen Zeitraum von 112,2 auf 263,8 Milliarden zugenommen, also um 135 0/o, die Zinsen von 6,6 Milliarden auf 21,2 Milliarden; das sind 221 % Zuwachs. Die Bruttoinvestitionen haben sich von 30,9 Milliarden auf 39,9 Milliarden entwickelt, d. h., sie haben nur um 29 % zugenommen. Erhöht haben sich der Staatsverbrauch um 123, Transfer um 135, Zinsen um 221 und Bruttoinvestitionen um 29 Milliarden.
Allein diese Zahlen zeigen eben die Fehlentwicklung. Hier, Herr Bundesfinanzminister, hätten wir erwartet, daß Sie, der Sie doch die ganze Materie von Anfang an miterlebt und mitgestaltet haben, uns hierzu etwas gesagt hätten. Es genügt doch nicht, einfach einen Haushalt vorzulegen, so wie man das Küchenbuch einer Familie vorlegt und dann darunter schreibt „Es langt nicht". Sondern das sind doch die eigentlichen Probleme, um die es bei der Finanzpolitik, um die es bei der Haushaltspolitik,
I um die es bei dieser Grundsatzdebatte nun einmal geht.
({27})
- Vielleicht hilft ihm das, die Probleme zu erkennen.
({28})
Es zeigt sich, daß seit 1970 die Umverteilung immer mehr zum Staatszweck geworden ist. Von 1970 bis 1977 haben sich die vom Staat geleisteten Übertragungen mehr als verdoppelt. Aber noch höher hat sich die Zinszahlung entwickelt: sie hat sich verdreifacht, beim Bund sogar mehr als vervierfacht. Von 1973 bis 1977 sind die Personalaufwendungen aller Gebietskörperschaften siebenmal so schnell gestiegen wie die Investitionsausgaben, deren Anteil am öffentlichen Gesamthaushalt von 15 auf 11 % zurückgefallen ist. Im Jahr 1977 gingen 78 % der gesamten staatlichen Transferzahlungen an die privaten Haushalte. Das waren im Durchschnitt etwa 8 500 DM je Haushalt. Rund ein Fünftel des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte wird damit nicht mehr am Markt mit Leistung erzielt, sondern als Transfereinkommen über den Staat zugeteilt. Von großem Interesse wäre eine Statistik - auch wenn sie noch nicht vorliegt -, die ausweist, wie viele von denen, die Transfereinkommen erhalten, vorher diese spätere Transferleistung durch ihre Steuern und Abgaben finanziert haben. Wenn man hier eine Bilanz, einen Saldo ziehen könnte, ergäbe sich ein höchst interessantes Bild.
Der in den letzten Jahren beschleunigte Trend zum Gefälligkeitsstaat, zum Wohlfahrtsstaat mußte auf Kosten der Investitionen gehen. Das dynamische Element der Volkswirtschaft wurde damit gedämpft. Wohltaten, wie man manchmal soziale Leistungen bezeichnet, können manchmal auch zur Plage werden, nämlich dann, wenn sie zu einer rückläufigen Beschäftigung führen.
Ich darf als sechste Sünde die Steuerpolitik als Mittel der Gleichmacherei und als Torso nennen. Die Steuerdiskussion der gegenwärtigen Bundesregierung dreht sich seit Jahren nicht mehr darum, was sachlich vernünftig und richtig ist, sondern darum, ob die Verteilungswirkung wünschenswert ist. Daran orientiert sich die Steuerpolitik nunmehr seit einer Reihe von Jahren. Die Bundesregierung weiß sicher sehr genau, daß der Satz eines amerikanischen Staatsrechtlers seine Bedeutung hat, der lautet: Die Macht, zu besteuern, bedeutet auch die Macht, zu zerstören. Diese zerstörende Wirkung haben auch weite Teile der Steuer- und Abgabenpolitik im Laufe der letzten Jahre gehabt. Die hohen Konkurszahlen sind ja nicht etwa nur Ausdruck unternehmerischen Versagens, sondern sind auch Ausdruck einer Datenkonstellation, mit der eben ein großer Teil der mittleren und kleineren Betriebe nicht mehr zurechtgekommen ist.
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Über dieses Thema ist gestern ja eingehend gesprochen worden. Ich möchte die gestern von meinem Freund Häfele und anderen Rednern der CDU/ CSU gebrachten Argumente nicht wiederholen. Aber ich darf fünf Grundsätze erwähnen, von denen wir ausgehen.
Erstens: Maßnahmen zur Förderung der Nachfrage nach Investitionsgütern haben den Vorrang vor Maßnahmen zur Förderung der privaten Nachfrage nach Verbrauchsgütern, nicht weil eine Steigerung des Verbrauches nicht erwünscht wäre, sondern weil die Steigerung der Verbrauchsnachfrage erfahrungsgemäß ein Strohfeuer bedeutet, während die Steigerung der Nachfrage nach Investitionsgütern eine langanhaltende Wirkung hat und - das haben alle Konjunkturzyklen bewiesen - mit der Steigerung der Nachfrage nach Investitionsgütern die Belebung der Nachfrage nach Verbrauchsgütern automatisch erfolgt, Hand in Hand geht.
Das zweite ist die Tarifreform. Sie wissen, was wir darunter verstehen und was wir meinen.
Das dritte ist die Änderung der Steuerstruktur, u. a. der Abbau der ertragsunabhängigen Steuern wie auch der Lohnsummensteuer, der Gewerbekapitalsteuer.
Hinzu kommt ein weiterer Grundsatz: daß eine einschlägige Steuersenkung den Vorrang vor noch so gut begründbaren Mehrausgaben hat.
Schließlich etwas, was wie eine Utopie klingt - aber manches muß als Utopie angepackt werden, damit es überhaupt zum Teil verwirklicht werden kann -: Die Zuwachsraten der öffentlichen Haushalte müssen sich wieder an den Zuwachsraten des realen Bruttosozialproduktes orientieren; sonst werStrauß
den Sie die Verschuldung nie mehr in den Griff bekommen.
({30})
Ich sage das nicht etwa leichtfertig, d. h., ich stelle keine Forderungen auf, die unerfüllbar sind oder die unzumutbare politische Konsequenzen bedeuten würden. Aber die Tatsachen müssen doch auch in den Raum gestellt werden. Wo ist die Grenze der Schuldenaufnahme? Nach der Meinung eines berühmten deutschen Bankfachmanns, Hermann Josef Abs, endet die Schuldenaufnahme dort, wo die neu aufzunehmenden maximalen Schulden nicht mehr ausreichen, die Zinsen für die bisher aufgenommenen Schulden zahlen zu können. Das ist eine Grenze, die wir etwa um das Jahr 1990 erreicht haben werden.
Ich weiß, welche Belastungen in dieser Forderung stecken. Aber wenn die öffentlichen Haushalte im Durchschnitt der Jahre - im Durchschnitt der Jahre! - nicht wieder eine Zuwachsrate erhalten, die nicht höher ist als die Zuwachsrate des realen Bruttosozialproduktes, ist das Problem der Verschuldung nicht mehr in den Griff zu kriegen. Alle Bekenntnisse des Haushaltsausschusses, des Bundestages oder alle Deklamationen der Bundesregierung, daß man die Konsolidierung der Schulden nunmehr - jeweils im nächsten Jahr - in Angriff nehmen werde sind - entschuldigen Sie dieses legere Wort - nichts anderes als Larifari, das ist Singen im Walde, um sich die Angst zu vertreiben, das sind fromme Vorsätze, hinter denen nichts, aber auch gar nichts an Wirklichkeit oder an Erfüllungsabsicht steht. Das sind die Probleme, die auf jede Regierung zukommen werden, sie mag gestellt werden von wem auch immer.
Wir brauchen bei uns - und das betrifft die siebte Sünde - wieder mehr Willen zur Selbständigkeit, mehr Mut zur Eigeninitiative, mehr Bereitschaft zur Eigenverantwortung. Die Politik der Bundesregierung hat diese schönen Eigenschaften empfindlich geschwächt. Die Gründe sind einmal Mangel an Kapital, steigende Steuerlast, steigende Abgabenlast einschließlich der hohen Lohnnebenkosten, bürokratische Reglementierungen auf allen Gebieten, erdrückende Fülle an immer komplizierter werdenden Vorschriften, Schrumpfung der Gewinne, Überalterung der Bevölkerung, politische Zukunftsangst, Zerfall des Vertrauens in die Qualität und Solidität der politischen Führung, deren Zusagen gegenüber der Wirklichkeit nicht standhalten, Belastung, ja, Verprügelung der Selbständigen durch klassenkämpferische Diskussionen mit Reizwörtern der Schimpfsprache.
Darf ich mich bei der Gelegenheit teilnahmsvoll erkundigen, Herr Bundeskanzler, ob Sie jetzt in der Lage sind, Ihre eigene Stromrechnung, Ihre Gas-
und Wasserrechnung zu lesen, welche Maßnahmen Sie ergriffen haben, um dieses für alle Bürger interessante politische Ziel zu erreichen?
({31})
Darf ich Sie einmal fragen, ob Sie einmal das umfängliche Gesetz- und Verordnungsblatt allein des Bundes im Jahre 1977 durchgesehen haben? Wenn Sie das getan haben, wenn Sie die Fülle der Gesetze
und Verordnungen auch nur den Überschriften nach gelesen haben, gelegentlich den Texten Kostproben entnommen haben, dann werden Sie bemerken, daß Sie auf diesem Gebiet eigentlich gar nichts mitzureden haben. Was Sie hier sagen, steht in schreiendem Gegensatz zu dem, was in Ihrer Regierung unter Ihrer Aufsicht und Ihrer oberhirtlichen Stabführung in Wirklichkeit geschieht.
({32})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die achte Sünde ist Klassenkampf statt sozialer Marktwirtschaft, schon durch meine letzten Bemerkungen angedeutet. Das gesellschaftspolitische Klima ist völlig sinnlos und überflüssigerweise verschlechtert worden durch Verteufelung der Gewinne als wucherische Profite, Verteufelung der Unternehmerschaft schlechthin, „Aktion gelber Punkt", durchgeführt vom damaligen Bundesgeschäftsführer der SPD und heutigen hessischen Ministerpräsidenten Börner, beschlossen vom SPD-Bundesvorstand, Stellvertretender Vorsitzender Helmut Schmidt, „Helfershelferhandbuch", Initiator ebenfalls Börner. „Alle Sünden rächen sich auf Erden" ist noch die harmloseste Fassung. Wenn ich heute erlebe, wie Herr Börner in feierlicher Kleidung, durchaus auf Kapitalisten-Look getrimmt,
({33})
in Hessen bei allen feierlichen Anlässen, nicht zuletzt bei Unternehmern in Erscheinung tritt, begütigende Worte zu ihnen spricht, ihnen versichert, daß er sie vor den bösen Jusos beschützen werde, ihnen testiert, welch großartige Leistungen sie im Aufbau vollzogen hätten, ja, sogar sagt, daß ihre Funktion unentbehrlich sei, dann muß ich sagen, in der SPD gibt es tatsächlich Wunder. Da gibt es nämlich nicht nur Gehirnverpflanzungen, da gibt es auch Seelenverpflanzungen; denn das ist der Börner, der damals die Aktionen „Gelber Punkt" und „Helfershelferhandbuch" als Chefagitator durchgeführt hat. Sie wissen doch noch: Verteufelung aller Unternehmer als Preistreiber, als Wucherer, als Ausbeuter, als Betrüger.
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Bei der Aktion „Helfershelferhandbuch" wurden alle, die es wagten, eine andere Meinung zu haben als die jeweiligen Serenissimi da droben und ihre Einpeitscher da unten, gleich als Betreiber eines unsittlichen Gewerbes, als unsittliche und unlautere Elemente, als Staatsfeinde und Volksschädlinge angeprangert. Wie gesagt, der Weg vom Chefagitator - - Ich möchte wissen, was Herr Bahr in Zukunft einmal machen wird.
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Der wird dann wahrscheinlich Generalsekretär der NATO werden.
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Ich darf fortfahren: Die Erprobung der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft durch Abgaben, Löhne, Lohnnebenkosten, zunehmende Reglementierungen, Verbreitung von Klassenkampfparolen, Untergra8180
bung jeglicher Autorität bis hin zum Elternhaus sogar in Schulbüchern, die Verseuchung der Jugend durch Konflikttheorie und Ausbeutungshetze. In diesem Hause sind schon mehrfach Kostproben dieser Art geboten worden.
Ich darf wiederum Herrn Börner zitieren. Er hat vor kurzem verkündet, daß man endlich die parteipolitische Auseinandersetzung aus den Schulen heraushalte solle. Die Politik habe in den Schulen nichts verloren. In den Schulen müsse Erziehung, Bildung und Wissen vermittelt werden. Die Schulen dürften auf keinen Fall zum Austragungsort politischer Konflikte gemacht werden. Ja, wer hat denn das in Hessen gemacht?
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Weil wir das in Bayern nicht mitgemacht haben, Herr Brandt, darum meinen Sie, bei uns herrschten vordemokratische Zustände.
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Wir bleiben aber lieber bei diesen von Ihnen so bezeichneten vordemokratischen Zuständen, als Schulpolitik à la Hessen und Nordrhein-Westfalen mit dem Aufstand der Eltern und mit einem Volksbegehren zu betreiben, das die Regierung in Düsseldorf gezwungen hat, ihr Gesetz schleunigst wieder zurückzuziehen.
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Wenn sich allerdings Mitglieder des Kabinetts immer skeptischer äußern, wenn sie immer stärkere Zweifel an der Möglichkeit äußern, die Wirtschaftsprobleme in der Bundesrepublik mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu lösen, dann möchte ich einmal wissen: wie sollen denn dann diese Proleme gelöst werden? Ich kann dazu nur eines sagen: Wenn man die Marktwirtschaft wieder arbeiten läßt, wenn man sie wieder funktionsfähig macht, dann ist sie auch in der Lage, mit den relativ kleinen Problemen - gemessen an denen, die wir 1948/49 hatten - fertig zu werden. Man darf aber die Marktwirtschaft nicht so behandeln wie ein Rennstallbesitzer, der einem Pferd die Vorderbeine zusammenbindet, es dann auf die Rennbahn treibt und prügelt, wenn es nicht den ersten Platz belegt. Genauso behandeln Sie doch die Marktwirtschaft.
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Lassen Sie sie wieder funktionsfähig werden, und dann wird sie auch die Probleme lösen können.
Damit geht natürlich Hand in Hand die dauernde Suche nach Sündenböcken. Sündenböcke waren abwechselnd einzelne Berufsstände, zum Schluß die Unternehmen in ihrer Gesamther. Sündenbock ist natürlich die Opposition, die nach Meinung des Herrn Brandt schon im Jahre 1970 durch ihre Äußerungen zur Lohnpolitik einen Generalstreik provozieren wollte, ein Unternehmen, das etwas blamabel zu Ende ging, weil der Wunschzeuge Wischnewski nicht hinhielt, weshalb der Bundeskanzler zurückziehen mußte. Der eine stand nicht hin, der andere zog sich zurück; aber das ist man ja bei diesem „Unternehmen" gewohnt. Dann wird natürlich dem Ausland der Schwarze Peter zugeschoben,
die Weltwirtschaft sei schuld. Das ist das Lieblingssteckenpferd des Herrn Bundeskanzlers, das er immer rundum reitet, weil er nicht vom Fleck kommt.
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Aber das Ganze muß als Entschuldigung für das Versagen der Bundesregierung herhalten.
Der Anteil der deutschen Exporte am Welthandelsvolumen betrug 1977 10,5 % Die Bundesrepublik hat damit die USA erstmalig aus der Position des größten Exporteurs der Welt verdrängt. Das heißt nicht, daß unsere Exportwirtschaft sorgenfrei ist; denn wegen der mangelnden Nachfrage im Inland drängt die Wirtschaft, um die Arbeitsplätze zu erhalten, auf den Export und verkauft auch dann, wenn durch hohe Kosten und durch Währungsentwicklungen auf den Exportmärkten nurmehr niedrige, zum Teil überhaupt keine Gewinne mehr - mit gewissen Ausnahmen natürlich - zu erzielen sind. Bloß, eines kann man nicht behaupten, wenn wir an der Spitze des Exports unter sämtlichen Industrienationen der Welt - einschließlich der USA, Japans, Englands, Frankreichs, Italiens usw. - stehen, nämlich daß der Export, daß die weltwirtschaftliche Nachfrageschwäche an den hausgemachten, an den hausgestrickten Problemen schuld seien.
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Das zehnte, das ich hier erwähnen möchte, ist das kurzfristige Wursteln in den Tag hinein statt der Zukunftssicherung. Alle Probleme unserer Zeit, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, Bildungskrise, Finanzkrise von Staat und Sozialversicherung, verlangsamtes Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsrückgang, Zerfall der Familie, werden, wenn überhaupt, nur mit kurzatmigen Lösungen angegangen. Eine Analyse dieser Probleme hinsichtlich ihrer Ursachen, ihres Standes, ihrer Entwicklungsmöglichkeiten, der Chancen, der Gefahren, der Risiken, der Lösungsmöglichkeiten, hören wir doch nie, und genau das müßte von einer Regierung, die ausgezogen ist, höhere Lebensqualität auf die Dauer zu bringen, schon sozusagen als Voraussetzung überhaupt bewältigt werden.
Ein Beispiel. Um die Renten ist es nach drei Sanierungsprogrammen seit 1976 zwar zunächst immer stiller geworden, aber alle Rechnungen beziehen sich nur auf vier oder fünf Jahre. Für die Mehrzahl der Bürger, die nicht Anwärter auf eine Versorgung als Beamte oder Berufspolitiker sind, die kein großes Sachvermögen besitzen, ist die Regelung der Renten eine der Grundlagen, nach denen sie ihr Leben langfristig einrichten. Man kann sagen: der Verbraucher weicht aus, wenn das Benzin teurer wird; er versucht dann, weniger Auto zu fahren, benzinsparendere Autos zu betreiben, wie Scheuch geschrieben hat. Aber einem kann er nicht ausweichen: er möchte im Laufe seines Arbeitslebens, vor allen Dingen der letzten zehn Jahre seines Arbeitslebens, wissen, mit welchem Einkommen er rechnen kann, soweit es sich aus den von ihm gezahlten Beiträgen ableitet.
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Hier ist die Zusicherung, daß ab 1982 die bruttolohnbezogene Rentenformel wieder eingeführt wird, nichts anderes als Täuschung der Öffentlichkeit.,
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Ich wage es schon fast nicht mehr zu wiederholen, weil es allmählich gegen das Tierschutzgesetz oder gegen das Gesetz der Nächstenliebe verstößt, aber: Wenn Herr Schmidt wenige Tage vor den Bundestagswahlen sagte, die Anhebung um 10 % werde mit Sicherheit kommen, die Beiträge würden nicht erhöht, die Renten seien sicher, die Bruttolohnbezogenheit der Renten bleibe, die regelmäßige Anpassung bleibe, so ist ihm zu entgegnen: Niemand von uns hat gesagt, daß die Renten abgeschafft werden. Aber wir haben bezweifelt - mit Recht bezweifelt -, daß das von uns 1957 eingeführte Rentensystem, auf das sich die Arbeitnehmer felsenfest - auch mit Recht - verlassen haben, erhalten bleibt. Und das bleibt nicht erhalten, das kann auch nicht wiederhergestellt werden, wenn nicht die Mindestvoraussetzung - funktionierende Marktwirtschaft mit Vollbeschäftigung, hohen Investitionszuwachsraten und ausreichenden wirtschaftlichen Wachstumsraten - wiederhergestellt wird.
Hier stehen Sie mit Ihrer. Politik Ihren eigenen Versprechungen im Wege. Wir bräuchten ja nur abzuwarten, bis wir Ihnen nachweisen werden, daß es 1982 wieder nicht stimmt. Aber warum 1982? 1980 sind die Wahlen. Über 1980 kommt man hinweg, reitet man hinweg, und dann denkt man: Bis 1982 kommt schon wieder irgend etwas, was uns eine neue Ausrede ermöglicht, mit der wir der Öffentlichkeit dann sagen können, warum sich die Einhaltung der damaligen Zusage eben leider als unrealisierbar erwiesen hat. Diese Methode, Herr Bundeskanzler, ist mehr als einzelne Fehler geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Solidität der Politik, in die Zuverlässigkeit der parlamentarischen Demokratie und in die Ehrlichkeit des Staates zu untergraben.
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Ich darf mich noch kurz mit einem Punkt befassen, der in der Debatte sicher noch eine Rolle spielen wird, nämlich mit dem Thema: Schulden über Schulden. Ich habe vorhin schon von dem Problem der Konsolidierung gesprochen. Ich habe vorhin schon gesagt, welche Voraussetzung erfüllt werden muß, nämlich die, die Zuwachsrate der öffentlichen Haushalte auf die Zuwachsrate des realen Bruttosozialprodukts zu begrenzen, wenn das Problem der Verschuldung überhaupt unter Kontrolle gebracht werden soll. Mit 35,5 Milliarden DM soll der Schuldenzuwachs im nächsten Jahr einen traurigen Nachkriegsrekord erreichen. Ich weiß, was Sie sagen werden. Sie werden sagen: Sie wollen ja noch mehr Steuersenkungen, also müßte dann die Schuldenaufnahme noch höher werden. Das ist nicht das Thema.
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Sie müssen vielmehr einmal in einer längerfristigen Betrachtung darangehen, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, die Leistungsfähigkeit unserer öffentlichen Hand, des Staates und der parafiskalischen Körperschaften, zu untersuchen. Dann werden Sie endlich dazu kommen, das zuzugeben, was Sie ja in der Praxis schon lange betreiben: daß nämlich der Sozial- und Bildungsstaat seine Grenzen erreicht und teilweise überschritten hat. Haben Sie denn nicht schon eine Reihe sozialer Leistungen zurückgenommen?
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Haben Sie denn nicht vorher viele Selbständige in die Rentenversicherung hineingelockt, um ihnen nachträglich zu sagen, daß die Gründe, weshalb sie eintreten sollten, nicht mehr gelten, weil man verschiedene Leistungen, da nicht finanzierbar, wieder zurückgenommen hat, und so weiter? Das sind doch die Gründe, warum es zu dieser Atmosphäre des Mißtrauens, der Unsicherheit und der Ungewißheit kommt, weshalb man dem Staate nicht mehr glaubt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schuldenberg ist mittlerweile der höchste Berg Deutschlands geworden. Allein der Schuldenzuwachs des Jahres 1979 von 35,5 Milliarden DM - das habe ich mir gestern ausgerechnet - würde, wenn man - ich rede jetzt nicht von 100-Mark-Scheinen, sondern ich rede von 1 000-Mark-Scheinen; ich habe hier früher einmal davon gesprochen, daß dann, wenn man das in Fünf-Mark-Stücken beförderte, sogar die Bundesbahn noch gesundete,
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wenn sie diesen Transportauftrag bekäme - 1 000Mark-Scheine aufeinanderlegte, einen Berg von 3 550 Meter oder, wenn man 100-Mark-Scheine nähme, einen Berg von 35 Kilometer Höhe ergeben. Das ist eine Höhe, in der sich heute nur mehr Weltraumschiffe bewegen; in dieser Höhe können nicht einmal Flugzeuge fliegen. Dieser Berg übertrifft den höchsten deutschen Berg, die Zugspitze, erheblich, nämlich um das Vierfache der Höhe des Kölner Doms. Das reine Papiergewicht dieser Geldmenge beläuft sich auf 2 800 000 Kilogramm oder 2 800 Tonnen. Stellen Sie sich einmal vor, in 100-MarkScheinen wären das 28 000 Tonnen!
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Nur für den Anteil des Bundes, ohne Länder, ohne Gemeinden, ohne Bahn, ohne Post, allein in 1 000Mark-Scheinen befördert, würde man 186 Waggons je 15 Tonnen brauchen. Das sind mehr als drei Güterzüge mit der Höchstzahl von 120 Achsen. Bei 100-Mark-Scheinen wären es 120 Güterzüge.
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Lassen Sie mich nach dieser humorvollen und nicht gehässig formulierten Darstellung etwas Ernsteres sagen. Wir haben hier in diesem Hause viele Jahre den Vorwurf gehört, der Bund würde sich zu wenig verschulden. Das war der klassische Vorwurf vor allem gegen den Finanzminister Schäffer und
gegen seinen Nachfolger Herrn Etzel. Bei mir war es etwa ausgeglichen, nicht zuletzt deshalb, weil der Kollege von der anderen Fakultät ebenfalls die Verantwortung zu tragen hatte. Heute ist es umgekehrt. Damals haben Sie von der. Sozialdemokratie gefragt: Warum soll die gegenwärtige Generation alles tragen? Auch die nächste Generation soll sich plagen, auch sie soll ihren Teil an den Investitionen abtragen, die wir für sie heute tätigen. Ich habe dieses Argument immer gewürdigt; ich habe es nie als ein leeres, hohles Scheinargument vom Tisch gewischt. Aber Sie haben jetzt umgekehrt, um in der Gegenwart über die Runden zu kommen, um sich von Wahl zu Wahl zu retten, eine Verschuldungspolitik betrieben. Um Ihre haltlosen Versprechungen, Ihre Reformeuphorie scheinbar zu erfüllen, haben Sie Kredite in einer Höhe aufgenommen, daß die kommende Generation diese Kredite in einem Ausmaß abzahlen muß, daß ihr nur die Wahl bleibt: erhebliche Einschränkungen oder eine Reform unseres Geldsystems, was auch wieder Einschränkungen bedeuten würde. Hören Sie endlich auf, die nächste Generation in einem unerträglichen Ausmaß zu belasten!
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Was ist zu tun? Ich sage es in Stichworten. Wir brauchen erstens ein Klima des Vertrauens, das dem Leistungsgedanken wieder Resonanz, der unternehmerischen Leistung wieder Respekt verschafft, einen Verzicht auf hektisches Überreagieren mit stop and go, siehe Investitionsstrafsteuer und Investitionszulage, zweitens einen Abbau der leistungshemmenden, investitionsfeindlichen Steuerbelastungen, besonders der ertragsunabhängigen Steuern, drittens eine Lohnpolitik, die sich nach dem Produktivitätszuwachs richtet, viertens einen Verzicht auf staatliche Eingriffe in die Branchenstruktur, fünftens einen Abbau der hohen Schuldenzuwächse des Staates - bereits eingehend behandelt - und sechstens eine Beschränkung des Zuwachses - ich betone: des Zuwachses - an Sozialausgaben und an Sozialabgaben.
Die Zerstörung der Demokratie durch Gefälligkeitspolitik, die Korrumpierung der Volkswirtschaft durch Inflation, die Überforderung der Arbeitnehmer und der Unternehmer durch überhöhte Belastungen haben bereits zum Verlust von mehr als einer Million Arbeitsplätze geführt. Sie werden weitere Arbeitsplätze vernichten, die soziale Sicherung gefährden und damit die Zukunftschancen der kommenden Generation erheblich beeinträchtigen. Der Kanzler kommt aber aus dem Teufelskreis der von ihm mit geschaffenen Verstrickungen, Verwirrungen und Verwerfungen nicht mehr heraus. Weil er das weiß, flieht er in das Spektakel der großen Welt, flieht er vor der zunehmenden Unregierbarkeit unseres Staates durch die Koalition und die von ihr gestellten Regierungen.
Ich habe eingangs meiner Ausführungen bedauert, daß wir jedenfalls als Parlament, über den europäischen Währungsverbund überhaupt nichts gehört haben. Es wäre an der Zeit, daß der Bundeskanzler hier den Vorhang einmal etwas lüftet. Ich weiß es nicht, aber vielleicht geht es ihm so, wie Bertolt
Brecht es einmal beschrieben hat: Der Vorhang auf und alle Fragen offen.
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Wir wissen, warum das Bretton-Woods-System der festen Wechselkurse zusammengebrochen ist: wegen der Gefälligkeitsdemokratie, wegen der Überforderung des Sozialproduktes, wegen der sträflichen Vernachlässigung der notwendigen Zahlungsbilanzdisziplin. Wir haben in der Europäischen Gemeinschaft Inflationsraten zwischen 2,5 und 12,5 °/o. Soll aus dem Währungsverbund ein Mittelweg werden? Da kann man nur sagen: Nein; denn wir würden damit niemandem helfen. Wir würden damit nur den Trinkern noch mehr Alkohol geben, aber wir würden keine Sanierung erreichen. Der einzige Weg - an dem kommt man nicht vorbei, Herr Bundeskanzler - ist die Koordinierung und Harmonisierung der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Industrie- und Agrarpolitik. Allein mit einem Pool von 100 bis 120 Milliarden DM ist das nicht zu schaffen. Welches sind die Disziplinierungsinstrumente, welches sind die Kreditauflagen? Soll der Fonds ein Selbstbedienungsladen werden? Man hat zwar den Schwur auf mehr Stabilität abgelegt und damit sozusagen Schilder mit der Aufschrift „Rauchen verboten, Waldbrandgefahr" aufgestellt, will aber andererseits einen Stabilisierungsfonds errichten und sagt damit: Weiterrauchen, weil wir eine Feuerwehr haben, nämlich den Stabilisierungsfonds.
Das sind die Bremer Stadtmusikanten: Unten ist der Esel, dann kommt der Hund, dann die Katze und dann der Hahn. Der Hahn ist ein Wappentier, das für eine bestimmte Nation ein sehr gefälliger Ausdruck ist. Unten steht aber einer, der alles tragen muß.
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Mit dem beginnt dann das Konzert der Bremer Stadtmusikanten.
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Aber wandlungsfähig, wie der Bundeskanzler ist - wenn er doch entwicklungsfähig wäre! -, ist es doch erstaunlich, was man von ihm im Laufe der letzten Jahre - nicht in früheren Jahren - gelesen hat. Da lautete z. B. in einem Interview in „Neewsweek" eine Frage an ihn: Ist eine europäische Währungsunion ohne engere Zusammenarbeit der getrennten Wirtschaften denkbar? Antwort des damaligen Finanzministers:
Absolut nicht. Wir benötigen eine solide Funddierung, worauf wir sie bauen könnten, und das erfordert Koordinierung.
Im Oktober 1973 sagte er im Bundestag:
Schon gar nicht könnten wir die Schlange durch die Schaffung neuer Kreditmechanismen am Leben halten oder durch eine Poolung von Währungsreserven. Wir würden damit möglicherweise eine gefährliche Inflationsmaschinerie einrichten.
In der „Zeit" führte er im Mai 1974 aus:
Wir dürfen die Stabilität unserer Volkswirtschaft und den Wohlstand unserer Bürger und
ihr Vertrauen in ihre wirtschaftliche Zukunft nicht einer handlungsunfähigen Europäischen Gemeinschaft opfern. Wir dürfen weder unsere Währungsreserven zum Verbrauch an andere . ausgeben noch ihnen zusätzliche Kassenzahlungen in zu Buche schlagender Höhe leisten.
Am 8. April 1976 sagte er im Bundestag:
Ich will in diesem Zusammenhang auch sagen, daß die währungs- und stabilitätspolitische Aufgabe des Wechselkursverbundes, der Schlange, unweigerlich beeinträchtigt wird, wenn in diesem Verbund Währungen von Ländern aneinandergebunden sind, deren wirtschaftliche Grunddaten nicht einigermaßen parallel, sondern auseinanderstrebend verlaufen.
So haben Sie sich früher geäußert.
Sie haben laut „Financial Times" gesagt:
Deutschland war bereit und muß auch künftig bereit sein, Risiken auf sich zu nehmen, wenn es der Stabilität in Europa und der Welt wirklich dienen will.
Ich will dem letzteren Satz gar nicht widersprechen. Aber wenn es schon nicht möglich ist, die verschiedenen einschlägigen politischen Bereiche der Mitgliedsländer vorher so zu koordinieren, daß ein Währungsverbund kein untragbares Risiko darstellt, dann müßten zumindest mit der Schaffung des Währungsverbundes die Koordinierung und Harmonisierung der wirtschaftspolitischen Bereiche Hand in Hand gehen. Die Hoffnung, daß allein durch Schaffung eines Währungsverbundes die wirtschaftliche Integration zwangsläufig folgt, ist ein großer, gefährlicher, mit dem Spargeld der Bürger und der Stabilität unserer Währung bezahlter Aberglaube, Herr Bundeskanzler; und dagegen wenden wir uns.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Auseinandersetzung spielt auch eine andere Frage eine Rolle, die bei der Gesamtwürdigung einer Politik, gerade der Politik der Bundesregierung, erwähnt werden muß - darüber wird von anderen Diskussionsrednern noch mehr gesagt werden -, nämlich die innere Sicherheit. Darüber ist ja viel gesprochen worden. Hier sind große Zusagen gemacht worden, und es ist sehr wenig gehalten worden.
Aber interessant ist mir doch, daß z. B. der Bundesjustizminister in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" 1978 über die Gesetzgebung des Bundestages, d. h. über die von einer kleinen Mehrheit herbeigeführte, unter dem Druck der Linken weiterhin besonders beeinflußte Gesetzgebung, geschrieben hat:
Die dogmatische Bedeutung des Ausschlusses der Beschlagnahme von Zufallsfunden ist nicht ganz einfach zu erschließen.
Das heißt, wenn die Polizei bei der Durchsuchung von Terroristenwohnungen nicht nur Sprengstoff, sondern daneben auch ein Rauschgiftdepot findet, tann darf sie dieses Rauschgiftdepot nicht in ihre
Ermittlungen einbeziehen,. weil es sich hier nicht um terroristische Taten handelt. Dabei weist er nach' dem Motto „mein Name ist Hase, ich weiß von nichts" darauf hin, daß Gesetzesmaterialien hierzu nicht existieren, da diese Änderung erst in der zweiten Lesung im Plenum ohne Begründung beschlossen worden ist. Er verschweigt dabei, daß er und seine Fraktion hier dem Druck ihrer Linksaußen nachgegeben haben, ohne die unsinnigen Auswirkungen zu überdenken. Um das unglaubliche Ergebnis zu vermeiden, daß die Polizei vor einer strafbaren Handlung die Augen zumachen muß, muß der Bundesjustizminister rechtliche Hilfskonstruktionen versuchen, die bei der einfachen Ausgangslage als Theatrum absurdum anzusehen sind. Auch bei der Identitätsfeststellung gab es einige Pannen. Der normale Bürger, der in eine Razzia gerät, wird, wenn er keinen Führerschein dabei hat und sonst nicht amtsbekannt ist, zur Polizeiwache zur Identitätsfeststellung gebracht. In anderen Fällen braucht man anscheinend einen Vergleich der Täterfotos mit der Wirklichkeit, auch wenn die Täter in der Wirklichkeit Masken tragen und deshalb natürlich das Fahndungsfoto nicht mehr stimmt. Deshalb ist hier besondere Vorsicht am Platze. Wenn man jeden Bürger, den man sonst festnimmt, drei Tage lang observieren würde, um festzustellen, ob es wirklich der Gesuchte ist, würde unser ganzer Apparat stillstehen.
In der gleichen Ausgabe schreibt Herr Vogel:
Auffallend an dieser gesetzlichen Regelung ist die äußerste Behutsamkeit, mit der der Gesetzgeber die Eingriffsgrenzen insbesondere bei Unverdächtigen beschrieben hat und die die Grenzen der Praktikabilität erreicht. Die Anwendung in der Praxis wird zeigen, ob hiermit ein hinreichend effizientes Mittel für die Aufklärung von Straftaten gegeben ist.
Ist das das, was von den Schwüren übriggeblieben ist, die im September und Oktober letzten Jahres von allen politisch Verantwortlichen geleistet worden sind?
({56})
Warum haben Sie denn nicht mit uns gemeinsam die Einführung der Sicherungsverwahrung bei terroristischen Verbrechen schon nach der ersten Verurteilung durchgesetzt, die Erhöhung des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe von 15 auf 20 Jahre für schwerste, gegen Leib und Leben gerichtete Verbrechen, die Erhöhung der Mindeststrafe bei erpresserischem Menschenraub und bei Geiselnahme von drei auf fünf Jahre, die Verbesserung der Strafvorschriften zum Schutz unserer Polizeibeamten, die Verbesserung der Strafbestimmungen gegen die Propagierung von Gewalttaten, die Wiederherstellung eines wirksamen Demonstrationsstraf- und Versammlungsrechtes - auch mit Vermummungsverbot -, die Ein- bzw. Wiedereinführung eines wirksamen Melderechtes?
Insbesondere verstehe ich nicht, warum man im Sommer jenes Sommernachtsspiel, jenes Mysterientheater mit Herrn Albrecht aufgezogen hat. Herr Albrecht hat doch im Bundestag zu Recht gesagt,
daß es Aussagen von einzelnen Terroristen gäbe, die darauf schließen lassen, daß sie nach der Entlassung ihr mörderisches Tun fortsetzen werden. Die Unterlagen, auf die Herr Albrecht sich dabei bezogen hat - es sind Unterlagen aus der niedersächsischen Justiz -, sind doch auch dem Bundesjustizminister bekannt. Warum dann das demonstrative Theater, Herrn Rebmann mit großem Spektakel nach Hannover zu schicken, um Herrn Albrecht zu vernehmen, um zu erfahren, woher er seine Informationen habe? Sie sollten weniger an Spektakel und Show machen, sondern mehr wirksame Maßnahmen auf diesem Gebiet ergreifen!
({57})
Sie wissen doch, daß rund 20 Täter schon gefaßt waren, dann nach den gegenwärtigen Gesetzen wieder aus der Untersuchungshaft bzw. Strafhaft entlassen und wieder einschlägig tätig wurden. Ist denn das nichts? Weiß man denn nicht, daß Brigitte Monhaupt, im Februar 1977 aus der Strafhaft entlassen, im März in der Terrorszene untergetaucht, bereits im April, Juli und im September/Oktober an der Vorbereitung, Planung und generalstabsmäßigen Durchführung dieser großen, unsere ganze Nation bewegenden Verbrechen - seinerzeit als Chefin der Bande, in Funktion der Nachfolge der Frau Meinhof - tätig war? Reicht denn das nicht aus, um mit der Opposition gemeinsam - vergessen Sie dann ein paar Randgruppen bei Ihnen - hier ein wirksames Recht zu schaffen, das dieser Seuche das Handwerk legt?
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Welche Versäumnisse hier begangen worden sind - nicht zuletzt deshalb, weil es überhaupt keine echte Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei gegeben hat -, mögen Sie feststellen, wenn Sie einmal die Namen lesen, die bei dem „Komitee gegen Folter", bei den Hamburger Hausbesetzern, dem Heidelberger Sozialistischen Patientenkollektiv und ähnlichen Einrichtungen fest- zustellen sind. Dort kommen diese Namen doch alle schon vor vielen Jahren vor: Susanne Albrecht, Knut Folkerts, Christian Klar, Roland Mayer, Adelheid Schulz, Detlef Schulz, Günter Sonnenberg, Willy Peter Stoll, Lutz-Manfred Taufer, Ralf-Baptist Friedrich, Angelika Speitel, Volker Speitel usw. Die Namen sind doch längst bekannt. Sie sind doch längst in Erscheinung getreten. Sie waren doch polizei- und amtsbekannt. Warum hat man sie nicht so weit erfaßt, daß ihr Überwechseln von gewalttätigen Demonstrationen und Hausbesetzungen zur Schwerkriminalität verhindert werden konnte? Das geschah doch deshalb nicht, weil man das Problem jahrelang unterschätzt hat. Wir haben im Jahre 1972 gehört, es gebe keine terroristische Gefahr mehr, die meisten Terroristen säßen jetzt, und die anderen hätten ihre Tätigkeit eingestellt.
Auf derselben Ebene bewegt es sich - und hier können wir einfach leider keine gemeinsame Politik machen -, wenn weite Teile der Sozialdemokraten - ich muß sagen: leider - in verbaler Gleichheit oft draußen in Aktionsgemeinschaften mit den Kommunisten von den „Berufsverboten" sprechen. Das Wort „Berufsverbot" ist ein Reizwort aus der psychologischen Kriegführung der Kommunisten.
({59})
In den Ländern, in denen einer, der mit dem dort herrschenden System nicht einverstanden ist und es offen ausdrückt, überhaupt keine Chance hat, eine Schule zu besuchen, eine höhere Ausbildung zu genießen, einen Platz in der normalen Wirtschaft und Gesellschaft zu bekommen, redet man von „Berufsverboten", wenn bei uns Feinde der Freiheit, Gegner der verfassungsmäßigen Ordnung, nicht in den Staatsdienst eingestellt werden. Drüben wird zum Schluß noch die Psychiatrie als Disziplinierungsinstrument für Andersdenkende bei Dissidenten usw. verwendet. Darüber regt man sich nur am Rand oder in gelegentlichen sanften Äußerungen auf, durch die aber ja nicht die Entspannung gestört werden darf.
({60})
Aber wenn man hier Kommunisten und Nazis aus dem Staatsdienst fernhält, dann ist das „Schnüffelei", dann sind das „Berufsverbote", dann sind das „vordemokratische Zustände" usw.
Herr Koschnick hat doch einfach die Unwahrheit gesagt, als er behauptete, daß erstmals im Jahr 1933 durch die Nazis eine Gesinnungsprüfung eingeführt worden sei. Das stimmt doch nicht. Schon in der Gesetzgebung der Weimarer Republik
({61})
gab es nach den damaligen Fememorden an Erzberger und Rathenau eine Gesetzgebung - die deutsche Beamtengesetzgebung -, nach der die Zuverlässigkeit des Beamten und seine Treue zur republikanischen Verfassung festgestellt werden mußte.
({62})
Sie wissen doch ganz genau, daß im Jahre 1933 die Gesinnungsprüfung den umgekehrten Zweck hatte, nämlich Freunde der Freiheit aus dem Staatsdienst möglichst fernzuhalten.
({63})
Unsere Gesetzgebung und unsere Praxis laufen darauf hinaus, Feinde der Freiheit aus dem Staatsdienst fernzuhalten.
({64})
Wir halten auch gar nichts davon, wenn man sagt, hoheitlicher und nichthoheitlicher Bereich müßten getrennt werden. Ein Lokomotivführer, ein Postfacharbeiter, ein Nachrichtentechniker und ein Portier können in Zeiten der Krise, wenn es um Sein oder Nichtsein unserer freiheitlichen Ordnung geht, eine größere Gefährdung darstellen und mehr an Sabotage im Sinne revolutionärer Umtriebe leisten als etwa ein Regierungsrat, der im Archivdienst tätig ist.
({65})
Darum kann man nicht nach diesen Schablonen vorgehen.
Dazu gehört auch - hier komme ich abschließend auf ein Kapitel der jüngsten Zeit zu sprechen - die Vergiftung des innenpolitischen Klimas im Zusammenhang mit dem - in Anführungszeichen -„Spionagefall Pacepa". Es war der Kollege Brandt, der seine zur Zeit natürlich nach Wasser dürstenden Genossen in Bayern zu trösten versuchte, als er von den „vordemokratischen Zuständen" sprach, die beendet werden müßten, und der dann in der gleichen Postille schrieb:
Es war doch jene unheilige Allianz, jene Verschwörergruppe von einigen ungetreuen Staatsdienern, von sogenannten Journalisten und von CSU-Leuten, die sich einer der übelsten Methoden im politischen Geschäft, nämlich des Denunziantentums, bedienten, um führende deutsche Sozialdemokraten zu verleumden und das politische Klima zu vergiften.
({66})
Das ist, Herr Brandt, Ihre sattsam bekannte Art der psychologischen Bürgerkriegführung.
({67})
Wir haben noch in Erinnerung die Worte vom „Schreibtischtäter", vom „Holzen", vom „Betriebe Mobilisieren", von der CDU/CSU als Gefahr für den Frieden und als Gefahr für den Rechtsstaat.
({68})
Ich fordere Sie hier auf: Nennen Sie Roß und Reiter! Welche Journalisten, welche Politiker und welche Dienste - die Namen dort können Sie ja wahrscheinlich nicht wissen, obwohl die Dienste ja von Ihnen geschaffen und in der heutigen Form personell besetzt worden sind - sind es gewesen, die sich hier zu einer „unheiligen Allianz der Verschwörung". zusammengefunden haben? Nennen Sie hier Roß und Reiter!
({69})
Daß aus den Behörden, auch aus den Sicherheitsbehörden, immer wieder Indiskretionen in die Öffentlichkeit gelangen, ist eine Erscheinung, die im Laufe der letzten Jahre aus ganz gewissen Gründen noch zugenommen hat. Aber daraus abzuleiten, daß diese Indiskretionen, die aus weiß Gott welchem Motiv zugunsten gewisser Publikationsorgane betrieben werden, sich in Form einer „konspirativen Aktion" abspielen, einer „Dreieraktion", einer „Seilschaft" - „da sitzen die einen in den Sicherheitsbehörden, die anderen in der Presse und die eigentlichen Drahtzieher bei der CDU/CSU" -, ist eine Verleumdung, und das nennt man „den politischen Gegner denunzieren", Herr Brandt.
({70})
Völlig blödsinnig - nun sage ich wirklich „blödsinnig"; ich nenne nicht jemanden so, aber es ist blödsinnig - wird es aber dann, wenn ein Mitglied Ihrer Fraktion - ich kann ihn auch nennen: Paul Neumann - im Sozialdemokratischen Pressedienst schreibt:
Die Ermittlungen der Behörden gegen die Spionage sind seit 1969 stets begleitet vom Verrat
aus den amtlichen Unterlagen. Keine Partei ist
davor gefeit, daß sich ihre Anhänger fanatisieren bis zur Kriminalität.
({71})
Wenn es bei uns Anhänger oder Mitarbeiter gäbe, die sich bis zur Kriminalität fanatisieren ließen, hätten wir sie erstens längst hinausgeschmissen, und zweitens ist bei uns die Gefahr, daß so etwas aufkommt, wesentlich geringer als anderswo.
Es heißt weiter:
Wir glauben nicht, daß sich für die Union das auszahlt. Der deutsche Wähler wird nämlich den wählen, der die bessere Politik macht, nicht den, der sich zum geistigen Hehler krimineller Landesverräter macht.
({72}) Dann sagt er:
Minister Apel wird gut daran tun, sich nicht dazu zu äußern. Wir appellieren an die Union, ihren Einfluß geltend zu machen, den permanenten Landesverrat zu ihren Gunsten endlich einzudämmen. .
({73})
So geschrieben von einem Mitglied dieses Hauses in der offiziellen Pressekorrespondenz der Sozialdemokratischen Partei.
Was hier steht, nämlich „krimineller Landesverrat zugunsten der CDU", ist ein juristischer Blödsinn, ist eine politische Brunnenvergiftung, und es ist im übrigen eines Abgeordneten unwürdig, so etwas überhaupt zu formulieren.
({74})
Fest steht doch, daß der rumänische Überläufer Pacepa Hinweise auf wirkliche oder vermeintliche deutsche Ostagenten gegeben hat. Das steht unbestreitbar fest; denn wenn es nicht so wäre, warum sind dann Verfassungsschutz und Generalbundesanwalt überhaupt tätig geworden? Die handeln doch nicht im Auftrag der Opposition zur Verleumdung der SPD!
Zweitens. Es ist feststehend, daß am Mittwoch, dem 30. August, die Wohnung des Persönlichen Referenten des Kollegen Bahr, die Wohnung des Herrn Broudré-Gröger, wegen Spionageverdachts durchsucht worden ist; drittens, daß der Dritte Strafsenat des BGH mit Beschluß vom 30. August 1978 die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, seines Arbeitsplatzes im Deutschen Bundestag und anderer von ihm benutzten Räume und der ihm gehörenden Sachen angeordnet hat. Das geschieht ja nur, wenn der Generalbundesanwalt einen dringenden Tatverdacht hat. Den haben doch nicht wir geäußert!
Wenn dann allerdings in Verlautbarungen der Opposition wegen des Geheimnisschleiers, der darüber gebreitet wird, wegen des Mysterienspiels, das man daraus gemacht hat, von einem „Spionageskandal" gesprochen wird, ist das sicherlich eine Vorwegnahme eines Sachverhalts, der nicht bewiesen ist und nach meiner Überzeugung - aber ich
bin nicht informiert - auch nicht so ohne weiteres bewiesen werden kann. Ich habe mich hier sehr vorsichtig ausgedrückt. Aber die ganze Weltpresse hat doch geschrieben „Neuer Spionageskandal in Bonn!". Sie haben sich auf diesem Gebiet im Laufe der Jahre doch schon einen einschlägig „guten" Ruf erworben.
({75})
Das Ausland ist doch hellhörig, ist doch allergisch geworden.
Der einzige Fehler der Union - das sage ich auch hier - besteht darin, daß man statt von „Spionageverdacht" mit Fragezeichen von einem „Spionageskandal" gesprochen hat. Aber damit hat man nur die Ausdrucksweise der gesamten Weltpresse übernommen, die vom „Spionageskandal" - mit Ausrufe-
oder Fragezeichen versehen - geschrieben hat.
Sie brauchen sich hier ja nicht zu empören. Ich habe erlebt, daß Beschuldigung, Anklage, Verurteilung und Hinrichtung schon erfolgt sind, bevor überhaupt auch nur der leiseste Tatverdacht geäußert werden konnte; Stichwort: Lockheed-Kampagne.
({76})
Der Immunitätsausschuß hat einstimmig die Immunität des Kollegen Holtz aufgehoben, und es steht fest - so jedenfalls wurden wir unterrichtet, nicht im Ausschuß, sondern durch Presseverlautbarungen, denen nicht widersprochen worden ist -, daß der Kollege Bahr seinen Referenten vorher, am Vorabend, gewarnt hat.
({77})
Falls der wirklich konspirative Kontakte gehabt haben sollte und sich darüber Unterlagen in seinem Büro oder in seinen Privaträumen befanden, dann müßte er nicht der Sekretär von Herrn Bahr sein, wenn er sie über Nacht dort ließe, bis am Morgen jemand kommt; denn Herr Bahr nimmt doch keinen Dummkopf als seinen persönlichen Referenten.
Ich glaube, daß Herr Pacepa, der so hoch stand, daß er keine Namen kannte, Hinweise auf jemanden gegeben hat. Je höher man im Geheimdienst steht, desto weniger kennt man Namen und kann im übrigen nicht einmal nachfragen, weil das schon von vornherein Verdacht erwecken würde. So wird es in sämtlichen Nachrichtendiensten der Welt gehandhabt. Ich glaube, daß Herr Pacepa nach östlichen Vorstellungen Hinweise auf Vorgänge gegeben hat, die für die Praxis in östlichen Ländern schon den Spionageverdacht ergeben würden, bei uns aber noch unter die Rubrik freie Meinungsäußerung fallen. Ich habe bei Herrn Bahr nicht - das war eine Verfälschung in der Zeitung - von politischem Verrat gesprochen. Ich habe gesagt: Herr Bahr ist nicht ein Verräter, schon gar nicht ein Spion, der etwa über die Laderampen militärisch wichtiger Bahnhöfe der anderen Seite etwas mitteilt. Nein, Herr Bahr betreibt - wenn auch mit viel Versteckspiel und mit vielen Nebel- und Rauchkerzen - eine Politik in einer ganz bestimmten Richtung, und zwar im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der beiden Teile Deutschlands. Das ist eine Richtung, die nicht mit der
offiziellen, vom Bundeskanzler bekräftigten Politik übereinstimmt.
({78})
Ich nehme an, daß der Kollege Marx im Laufe der Debatte noch über die Einzelheiten der Vorstellungen des Herrn Bahr berichten und sich dann damit auseinandersetzen wird. Dann kann ich es mir ersparen, darauf in den letzten Minuten meiner Rede noch einzugehen. Herr Bahr hat eine Vorstellung in Richtung auf eine Herauslösung der beiden Teile Deutschlands aus ihren jeweiligen Bündnissen - in Erweiterung eines europäischen Sicherheitssystems und mit ganz bestimmten gegenseitigen Garantien. Er sagt, das sei keine Neutralisierung. Das ist dann aber eine Frage der Definition. Die außenpolitischen Konzeptionen des Herrn Bahr Laufen aber möglicherweise in eine Zukunftsplanung hinein, für die vielleicht Herr Wehner in Prag den Rahmen gegeben hat, als er - ich bin leider auf Presseberichte angewiesen - von einem „großen sozialistischen Bündnis in Europa" gesprochen hat.
({79})
Dieses große sozialistische Bündnis in Europa heißt nicht kommunistische Bundesrepublik Deutschland, heißt aber eine so enge Zusammenarbeit der verschiedenen Nachfahren von Karl Marx in Europa, daß darüber ein großes überwölbendes Dach, das gemeinsame Bekenntnis zum Sozialismus trotz verschiedener Gesellschaftsformen, noch gedacht werden kann.
({80})
In der SPD gibt es - und das können Sie ganz einfach nicht bestreiten - nicht nur organisatorisch gesehen zwei Gruppen mit einer U-Bootflotte. Die eine Gruppe sind die Marxisten, die andere sind die, die sich in einer gewissen Begriffs- und Sprachverwirrung „demokratische Sozialisten" nennen. Daneben gibt es noch die, die auf dem Boden sitzen, das Sehrohr ausgefahren haben und warten, welche Gruppe die stärkere sein wird, um da aufzutauchen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Wird mir ein Vergnügen sein.
Sehr verehrter Herr Kollege Strauß, darf ich Sie fragen und bitten, ob Sie die Muße
({0})
- ganz milde - haben werden und wollen, nach diesem bedeutenden Akt hier heute einmal nachprüfen zu lassen - Sie lassen ja -, ob das, was Sie jetzt in Ihrer Äußerung bezüglich Bündnis usw. gesagt haben, nicht genauso falsch ist wie das, was Sie mir kürzlich - ich habe Sie bedauert, wenn auch nicht in der Öffentlichkeit - feierlich vorgelesen haben, als es sich bei mir um eine Äußerung handelte, in der ich ein altes Wort des alten, gemeinsam verehrten Herrn Bundeskanzlers Konrad Adenauer, ein rheinisches Wort, das Wort „Beihau", gebraucht
habe, als ich gesagt habe: „etwas parfümierter Beihau", und Sie auf eine Veröffentlichung, sogar in den Blättern des Bundespresseamtes, hereingefallen sind, wonach ich „parfümiertes Bayern" gesagt haben soll? Würden Sie das bitte nachprüfen lassen?
({1})
Herr Wehner, ich lasse gerne nachprüfen,
({0})
aber denken tue ich selber. Ich lasse nicht denken.
({1}) Und wozu die Aufregung?
({2})
Ich habe eine Äußerung von Ihnen, die ich vom Bundespresse- und -informationsamt in der normalen Übersicht bekommen habe, gelesen und habe den Text so, wie der vom Bundespresse- und Informationsamt verteilt worden ist, verlesen.
({3})
Sie haben aber ein Interview gegeben, das heißt, Sie haben vor sich hin geknurrt, was für Sie auch gelegentlich ein Interview ist.
({4})
Da haben Sie in Ihre Pfeife hineingenuschelt,
({5})
und dann haben Sie gesagt: parfümierte Beigaben - nicht „Beihau".
({6})
Ja, hat denn Herr Bölling schon wieder etwas Falsches - ({7}) Herr Wehner, Sie sagten jetzt „Beihau"?
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner? - Bitte.
Ich schreibe es Ihnen auf, damit Ihr Gedächtnis bezüglich bedenkenswerter Worte des alten Herrn Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer aufgefrischt wird!
Ich weiß nur, daß in der ersten Fassung der Wiedergabe Ihres Interviews durch das Presse- und Informationsamt etwas vom „parfümierten Bayern", das hier beteiligt gewesen sei, stand.
({0})
Vier Tage später kam eine Berichtigung. Diese Berichtigung habe ich nicht mehr rechtzeitig erhalten, weil ich schon unterwegs war. Da hieß es dann „parfümierte Beigaben". Jetzt haben Sie anscheinend schon die dritte Variante geboten. Bei Ihnen, Herr Wehner, ist das deshalb möglich, weil
Sie - vor allen Dingen dann, wenn Sie verärgert sind - Ihre Umwelt so zu behandeln pflegen, wie ostelbische Gutsbesitzer früher angeblich ihre Kutscher behandelt haben.
({1})
Und das geht dann quer durch die Reihen; da bekommt jeder seinen Hieb mit. Das ist ein Rundumkahlhieb, mit dem Sie zu arbeiten pflegen. Und hier hat der Journalist bzw. das Presse- und Informationsamt Sie nach dem Tonband falsch verstanden. Sie müssen halt, Herr Wehner, ordentlich und gepflegt deutsch sprechen, artikuliert deutsch sprechen;
({2})
dann werden sich solche Dinge nicht mehr ereignen.
({3})
Aber hier handelt es sich doch um etwas anderes. Hier handelt es sich darum, daß der Kollege Bahr in mehreren nachprüfbaren Äußerungen, Interviews oder Gesprächen Rahmenvorstellungen der politischen und sicherheitsmäßigen Architektur der beiden Teile Deutschlands - er meint: der beiden deutschen Staaten - und der angrenzenden europäischen Länder entwickelt hat, die mit Ihrer offiziellen Außenpolitik - auch, Herr Wehner, mit Ihrem Bekenntnis hier im Jahre 1960: Wir bekennen uns jetzt zur NATO als dem Rahmen unserer Sicherheitspolitik - nicht vereinbar sind.
({4})
Wir sind hier als Opposition natürlich auch deshalb allergisch ({5})
- Herr Wehner, Sie dürfen sich schon hinsetzen!
({6})
Sie werden zwar bald, Ministerpräsident in Bayern, aber Präsident des Bundestages werden Sie nicht, und ich warte hier, damit der Herr Präsident fragt, ob ich an Sie noch eine Zusatzfrage stellen kann. Das war alles!
Ja, dann reden Sie halt!
Herr Abgeordneter Wehner, es war nicht ganz klar, warum Sie standen, aber wenn Sie eine weitere Frage - ({0})
- Meine Damen und Herren - ({1})
- Die Geschäftsordnung sieht vor, daß derjenige, der eine Frage gestellt hat, so lange stehenbleibt, wie der Redner braucht, um die Frage zu beantworten. Ich entnehme Ihren Äußerungen, Herr Abgeordneter Wehner, daß Sie eine weitere Frage stellen
Präsident Carstens
wollen. Herr Abgeordneter Strauß, ich frage Sie: Wollen Sie die Frage zulassen?
Ja, ich lasse sie bei der Qualität und dem Kaliber des Kollegen Wehner selbstverständlich zu. Ich bitte dann nur darum, mir noch die restlichen Ausführungen zu erlauben, die zur Abrundung dieses Themas gehören, weil wir jetzt durch das Intermezzo mit diesem Mißverständnis zehn Minuten versäumt haben.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Kollege, ich wollte nur fragen, ob Sie die Güte haben würden, nach der Vorlage der stenographischen Niederschriften einen Ausdruck aus Ihrer eigenen Replik zu streichen, der von mir nicht gebraucht worden ist, nämlich wo etwas geschehen wäre. - Sie werden das dann selber sehen.
Ich weiß jetzt wirklich nicht, was Sie meinen.
({0})
Aber wenn Sie mir einen Brief schreiben, werde ich selbstverständlich erstens darüber nachdenken, zweitens es prüfen lassen und drittens Ihnen in verständlichem Deutsch anworten.
({1})
Wir wären ja nicht so allergisch oder aufmerksam - und das müssen wir als Opposition ja sein -, wenn es nicht ganz gewisse Ereignisse der Vorgeschichte gegeben hätte. Hat nicht der Kollege Egon Bahr hier, damals im Januar 1973 von den „zwei Wahrheiten" gesprochen? Hat er damals nicht davon gesprochen, daß er sehr wohl noch eine Erklärung vertreten hat, die bereits in Widerspruch zu seiner neuen Meinung stand? Hat er sich nicht dazu bekannt, daß „Wahrheit eine Funktion der Mehrheit" sei, und solange man keine Mehrheit für eine Politik habe, dürfe man auch die Wahrheit, die man im Herzen trage, noch nicht bekanntgeben? Da möchte ich mal heute wissen: Welche Wahrheit trägt denn Herr Bahr im Herzen, heute?
({2}) Das wollen wir doch wissen.
Den ganzen sogenannten Spionageskandal können Sie auf den Komplex reduzieren: hat Herr Bahr oder haben seine Mitarbeiter - in Bayern haben wir ein gutes Wort: „ Wie der Herr, so 's G'scherr" ; das sagt alles -, haben Herr Bahr oder seine Mitarbeiter oder seine Kollegen die neue Wahrheit hinsichtlich ihrer zukünftigen politischen Pläne schon mit Beamten, Diplomaten oder Agenten - wie die Abgesandten des Herrn Pacepa waren, auch wenn sie die Diplomatenkleidung getragen haben - besprochen? Denn eine solche neue Wahrheit würde als Nachricht von höchstem Kaliber, von höchster Bedeutung und größter, weitesttragender Entwicklungsfähigkeit und Auswertungsfähigkeit drüben betrachtet werden. Nur um das geht es, um nichts anderes.
({3})
Dazu kommt natürlich auch, daß wir seinerzeit in der Großen Koalition leider von Ihnen nicht gehört haben, daß Sie hinter unserem Rücken, ohne unser Wissen mit der kommunistischen Partei Italiens - beteiligt war auch Herr Bahr bei weiteren Treffen - bereits Gespräche, eingehende, ausführliche, tiefschürfende Gespräche über die neue, nach Regierungsübernahme von Ihnen geplante Ostpolitik geführt haben; Karlsbader Beschlüsse und ihre Verwirklichung usw.
Wenn deshalb der Name Egon Bahr fällt - und wenn er in diesem Zusammenhang fällt -, dann kann man doch nicht einfach sein Gedächtnis abschalten. Dann will man doch das Ganze in das Bild einer bestimmten politischen Persönlichkeit bringen, die ich weder für einen Spion halte noch die ich für dumm halte. Aber gerade weil Herr Bahr nicht dumm ist, gerade weil er sagt: Ich bin deutscher Nationalist - wie er gegenüber Herrn Guttenberg gesagt hat -, gerade weil er sagt: Ich bin in erster Linie Deutscher und erst dann Europäer - ein durchaus erträgliches Wort -, aber weil er hier zur Erfüllung dieses Wortes schon bestimmte Zukunftsvorstellungen allen möglichen Partnern gesagt hat, ist doch die Frage berechtigt: hat er das auch bei seinen vielen Reisen in diese Länder - Rußland, Polen, Tschechoslowakei, Rumänien oder was auch immer - ebenfalls getan?
Wir wollen nämlich wissen, was Ihre Wahrheit von morgen sein wird, und: ob nicht da die alte Wahrheit sitzt und da die neue Wahrheit sitzt. Nur um das geht es uns.
({4})
In dem Zusammenhang noch ein Wort. Hier ist ja ein Persilschein von der amerikanischen Seite erworben worden. Wenn Sie den lesen, dann sagt der natürlich nicht viel. Denn Vorschläge dieser Art gibt es ja nicht. Außerdem wird ja keine Seite nachrichtendienstliche Erkenntnisse auf dem offenen Markt austragen. Außerdem wissen wir ja, wie dieser Persilschein zustande gekommen ist. Man hätte dies auch gar nicht gebraucht, es hat die Dinge eher schlechter gemacht als besser gemacht. Nur wenn Sie, Herr Brandt, hier sagen: „Politiker der CDU/ CSU", „untreue Staatsdiener" und „sogenannte Journalisten", ja, glauben Sie denn, daß die Äußerungen des Herrn Brzezinski über „Versuche der Selbstfinnlandisierung der 'Bundesrepublik" - ich glaube, eine maßlose Übertreibung, aber Ausdruck einer Tendenz -, daß die Artikel in der „Washington Post", die nicht gerade ein Parteiorgan der CDU/CSU ist oder ihr nahesteht, daß die Äußerungen im „Daily Telegraph" - hinter diesen Artikeln stehen doch die Namen international bekannter, seriöser, wenn auch sicherlich sehr farbig schreibender Journalisten -, glauben Sie denn wirklich, Herr Brandt, daß die CDU/CSU sich dieser Medien - der „Washington Post" und des „Daily Telegraph" und des „Economist" usw. - bedient hat, um damit konspirative Pläne zur Verleumdung und
zur Diffamierung der SPD in der Welt breitzutreten? Da muß ich schon sagen, Herr Brandt, da muß man doch die Hose mit der Beißzange anziehen, um so etwas zu vertreten. Das ist doch eine unglaubliche Unterstellung.
Wenn Herr Schmidt sich darauf beruft, Herr Mondale habe gesagt, das alles sei nur eine dreckige Erfindung, dann möchte ich wissen, ob Herr Mondale dann auch bei der „Washington Post" entsprechend interveniert hat, ob Herr Mondale gegenüber „Washington Post" festgestellt hat, daß das Ganze nur ein Komplott sei - in dem Fall ein transatlantisches Komplott - zwischen amerikanischen und englischen Publikationen, CDU/CSU-Politikern und untreuen Staatsdienern. Hier wird doch eine Komplotttheorie, eine Verschwörungstheorie zum Zwecke der Brunnenvergiftung und zum Zwecke der Ablenkung in die Öffentlichkeit gebracht. Um nichts anderes handelt es sich dabei.
({5})
In diesem Zusammenhang sind Sie,. Herr Bundeskanzler, ja immer wieder bemüßigt bzw. Sie beschäftigen Herrn Bölling damit, Dementis abzugeben. So ist ja auch der eine Artikel von Herrn Bölling dementiert worden, soweit er die Bundesregierung betrifft. Aber warum z. B. kritisiert der Parlamentarische Staatssekretär von Bülow die NATO-Manöverplanung des Generals Haig, und zwar in dem Sinne, daß sie geeignet sei, Mißverständnisse zu wecken, der Entspannung zu schaden usw.? Darauf kommt von Ihnen wieder der Rüffel gegenüber dem Rüffler; Sie weisen dann wieder Staatssekretär von Bülow zurecht. Oder was bedeutet es, wenn der andere stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Herr Koschnick, sagt - und zwar unter Bezugnahme auf die zunehmende Durchsetzung dieser Ansicht in Regierungskreisen -, die europäische Einigung sei nicht erstrebenswert? Darauf kommt dann das Dementi von Herrn Grünewald.
All das zusammen ergibt doch geradezu plastisch greifbar den Eindruck, daß es sich hier um zwei verschiedene außenpolitische Strömungen und zwei verschiedene außenpolitische Konzeptionen handelt: um die regierungsamtliche, die als die alte Wahrheit so lange beibehalten wird, bis die neue Wahrheit eine Mehrheit hat, mit der man sie durchsetzen könnte. Darum sind wir als Opposition nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, Alarm zu schlagen.
({6})
Diese Verschwörungstheorie steht ja in einem größeren Zusammenhang, Herr Brandt. Sie sollten einmal zu dem Stellung nehmen, was eine deutsche Tageszeitung unter Berufung auf einen Sozialdemokraten - der Name ist dort wahrscheinlich bekannt - von Ihren Doppelaktivitäten, von Ihrer Doppelstrategie geschrieben hat: einmal, zum Teil mit Hilfe williger und bezahlter Studenten, alle Archive, besonders Universitätsbibliotheken zu durchforsten, um aus ihnen Belastungsmaterial aus früheren Doktorschriften, Habilitationsschriften
oder anderen akademischen Veröffentlichungen zu gewinnen - das ist das eine -;
({7})
zum anderen aber, hauptsächlich im Auslande, aber auch im Inlande, den Popanz neofaschistischer Umtriebe, rechtsradikalistischer Gefahren, faschistischer oder neonazistischer Strömungen darzustellen.
Mit dieser Doppelstrategie verfolgen Sie doch ein ganz bestimmtes Ziel. Dieses Ziel steht einmal in klarem Widerspruch zu der Aufgabe, den inneren Frieden und die innere Versöhnung bei uns herbeizuführen, statt dauernd mit herausgerissenen Zitaten aus Schriften der Vergangenheit - siehe Puvogel - das deutsche Volk immer wieder zu spalten - ich sage jetzt wieder -, Herr Wehner, einen geistigen Bürgerkrieg und eine psychologische Brunnenvergiftung, in unserem Volke durchzuführen. Das ist doch das Ergebnis, was dabei herauskommt. Auf der anderen Seite bezwecken Sie damit, sozusagen nur den Sozialisten als den besseren Deutschen, als den friedfertigen Deutschen, als den geläuterten Deutschen, hingegen alle, die nicht mit Ihrer Politik übereinstimmen, als die gefährlichen Deutschen, als die rechtsradikalen Deutschen darzustellen.
Genau auf dieser Linie liegt das, Herr Kollege Wehner, was Sie vor einigen Tagen in Ihrem Interview mit „Der Gewerkschafter" von sich gegeben haben - Sie werden wissen, was ich meine -, in dem Sie die Konservativen, die Neokonservativen in einen Zusammenhang mit den Reaktionären stellen; dann kommen die Deutschnationalen und dahinter natürlich die Nazis.
({8})
Dann heißt es bei Ihnen: „Was einmal braun war, möchten sie" - damit sind wir gemeint - „am liebsten rosarot malen." Es wäre sehr gut, Herr Kollege Wehner, wenn Sie über die Vorgeschichte des Untergangs der Weimarer Republik und über die Rolle der damals herrschenden politischen Kräfte einfach schweigen würden.
({9})
Das wäre wirklich besser, als eine Kette zu entwerfen, nach der die Konservativen, die Reaktionäre, die Deutschnationalen und die Nazis im Kampfe gegen die Freunde der Freiheit, zu denen Sie damals natürlich gehört haben, den Untergang der Weimarer Republik herbeigeführt haben. Solche Interviews sind an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten.
({10})
Im übrigen ist der Untergang der Weimarer Republik ein Zusammentreffen vieler Faktoren, auch der Blindheit weiter Kreise unseres damaligen Bürgertums, auch des liberalen Bürgertums. Die Frage, wie man die Weimarer Republik vor Hitler hätte retten können, kann man nicht so einfach beantworten, wie Sie es tun.
Wenn Sie meine Meinung dazu hören wollen,
' die ich mir historisch gebildet habe - ich war damals zu jung, um mir aktiv ein Urteil zu bilden -: Die Weimarer Republik hätte in dem Zustand, in dem sie 1931/32 angelangt war, in dem sie sich nach dem Sturze Brünings befand, nur gerettet werden können, wenn die Parteien der Mitte - dazu gehörte auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Zentrum, Bayerische Volkspartei mid andere - zusammen mit der Reichswehr und den Gewerkschaften einen Abwehrblock gegen Hitler gebildet hätten. Das wäre die einzige letzte Möglichkeit gewesen, die Weimarer Republik vor dem Abrutschen in das braune Chaos, in die braune Hölle zu bewahren. Daß das nicht geschehen ist, trifft viele. Aber man kann Leute nicht für Versäumnisse haftbar machen. Hier handelt es sich nur noch um die bittere historische Erkenntnis der Zusammenhänge, aber nicht mehr um einen Dauersumpf, aus dem heraus man dann andere mit brauner Jauche bespritzen kann. Das sollte man ein für allemal unterlassen, so wie es auch Herr Bölling im Namen des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit meiner Person erklärt hat.
Daß das Ganze nicht eine Entgleisung von Ihnen ist, Herr Wehner, geht auch daraus hervor, daß wir z. B. schon lange vor dem Wahlkampf einem Mitglied dieses Hauses vor Gericht durch eine Einstweilige Verfügung - das war wahrscheinlich wegen der „vordemokratischen" Zustände in Bayern möglich verbieten lassen mußten, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, die Konservativen firmierten dauernd unter einem anderen Wappen, einmal nannten sie sich Bayerische Volkspartei, dann Deutschnationale, mal Zentrum, dann Nationalsozialisten und nach dem Kriege CSU.
({11})
So ein Mitglied dieses Hauses, das deswegen niemals von der Parteileitung zurückgepfiffen oder gerügt worden ist. Hier spricht doch der Geist, der von oben ausgestrahlt wird und sich dann unten in ' diesen Äußerungen bemerkbar macht..
({12})
Hier wird im Zusammenhang mit meiner Partei davon geredet, wir würden in inkarnierten schwarzen Mief vertreten, wir würden einer Tradition der Ketzerverfolgung, der Inquisation, der Hexenverbrennung, der Gesinnungsschnüffelei, der Indizes, der Bürgerverbrennung nahestehen, und das stecke uns noch in Blut und Knochen. So spricht ein Mitglied dieses Hohen Hauses über eine demokratische Partei,
({13})
die seit 30 Jahren am Aufbau der Bundesrepublik in Regierung, Parlament, in Kommunen und Ländern vorbildlich gearbeitet hat. Hier müssen Sie vor der eigenen Türe kehren. Herr Brandt, was sich der Herr Schöfberger hier geleistet hat, ist nicht auf
seinem Misthaufen gewachsen, sondern das ist der Unrat und das Gift, die von oben her als Propaganda zur Spaltung des deutschen Volkes, zur Diffamierung der Konservativen in unserem Land, zur Diffamierung und Verleumdung der CDU/CSU im Inland und im Ausland verbreitet werden.({14}) Ich habe hier nur von Tatsachen gesprochen.
({15})
- Ja, Tatsachen. Die Einstweilige Verfügung des Amtsgerichtes ist eine Tatsache, vielleicht nur möglich wegen der „vordemokratischen" Zustände in Bayern.
({16})
Hören Sie auf damit, Herr Brandt, sich selbst mit dem Siegel der Patentdemokratie schmücken zu wollen. Sie haben am allerwenigsten einen Grund. Der Ungeist, der in dieser maßlosen Verhetzung und Vergiftung auch der Wahlkampfatmosphäre zum Ausdruck kommt, ist der Sturm, den Sie, Herr Brandt, seinerzeit als Wind gesät haben. Das mußte hier einmal gesagt werden.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl dringend zu wünschen, daß wir uns im weiteren Verlauf der Aussprache alle ernsthaft darum bemühen, die Debatte in Faineß zu bestehen.
({0})
Ich schließe dabei niemanden von dieser Verpflichtung aus.
Der Kollege Strauß hat noch einmal einen großen Zusammenschnitt seiner bekannten Positionen dargetan, allerdings mit schrillen Alarmtönen im außen-
und sicherheitspolitischen Bereich. Dennoch hat sich fast mehr Nostalgie und weniger Abschiedsstimmung breitgemacht. Es wird ja auch künftig so sein, daß wir den Kollegen Strauß hier auf dieser Bühne erleben werden. Ob dann der Beifall in gleicher Phonstärke zu verspüren ist, wird davon abhängen, ob er als Riegenführer der Union im Bundesrat oder als Gründer einer neuen Partei hier auftritt.
Aber, meine Damen und Herren, es hat sich natürlich auch ein wenig Mitleid mit der geschundenen Kreatur eingestellt, denn die „gefesselten Pferde" wurden hier zum x-ten Male zu Tode geritten.
Dann, Herr Kollege Strauß, vielleicht noch eine Bemerkung zur „Seelenverpflanzung". Wenn es sie in den Parteien tatsächlich geben sollte, dann sicher nicht nur in der SPD.
({1})
- Nein, Herr Kollege Strauß. Sie haben heute Ludwig Erhards und seiner Leistungen gedacht und Sie haben ihm gedankt. Wir Freien Demokraten haben uns aus Überzeugung und ohne „SeelenverpflanHoppe
zung" diesem Dank anschließen können. Der CSU muß das aber gar nicht so leichtgefallen sein. Sie war es schließlich, die in der Frühzeit unseres Nachkriegsparlamentarismus auf den Einfall kam, einen Untersuchungsausschuß gegen diesen Ludwig Erhard im Bayerischen Landtag mit dem Ziel zu installieren, ihn aus dem Staatsdienst zu entfernen.
({2})
Man sieht daran: Vergangenheitsbewältigung kann manchmal quälend sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Bitte sehr, Herr Kollege Strauß.
Da Ihre Formulierung mißverständlich ist, Herr Kollege Hoppe: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich nie dem Bayerischen Landtag angehört habe, nie für den Bayerischen Landtag einen Untersuchungsausschuß angeregt habe und insoweit Ihre Ausführungen zu falschen Deutungen führen könnten?
Herr Kollege Strauß, Sie waren damals in der Tat noch ein junger, aufsteigender Politiker in der CSU. Aber Sie haben miterleben müssen, wie Ihre Partei damals diesen Unsinn eingeleitet und durchgeführt hat, und deshalb sollte man mit der Berühmung eigener Taten vorsichtig sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter, ist Ihnen bekannt, daß der Herr Kollege Strauß damals immerhin schon ein aufstrebender junger Mann in der CSU war und sich an einem solchen Manöver gern beteiligte? So etwas soll sich im Jahre 1966 in Zusammenarbeit mit Herrn Barzel noch einmal ereignet haben.
({0})
Herr Kollege Ertl, eine Zustandsbeschreibung des Kollegen Strauß in der damaligen CSU in Bayern habe ich schon in meiner Antwort an Herrn Kollegen Strauß versucht. Ich glaube, sie bestätigt das, was Sie in Ihrer Frage noch einmal aufgenommen haben.
Meine Damen und Herren, ich hätte es begrüßt, wenn Herr Kollege Strauß, der hier heute als erster Redner der Opposition das Wort genommen hat, diese Gelegenheit auch dazu genutzt hätte, seine Einstellung gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu korrigieren. Es hätte dazu guten Grund gegeben. Es wäre für das außenpolitische Verhältnis und für unsere Beziehungen gerade zur Führungsmacht der freien Welt wichtig gewesen, wenn jene rüden Äußerungen endgültig vom Tisch
gekommen wären, mit denen Herr Strauß Präsident Carter unlängst attackiert hat.
({0})
Denn, meine Damen und Herren, ich glaube, gerade die Anstrengungen der letzten Tage und Wochen, mit denen der ernsthafte und erfolgversprechende Versuch gemacht' wurde, 'den vom ägyptischen Staatspräsidenten eingeleiteten Friedensprozeß im Nahen Osten weiterzubringen, haben dazu Anlaß gegeben. Die Bundesregierung - auch alle Parteien des Deutschen Bundestages, dessen bin ich gewiß - hat das Ergebnis von Camp David mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Der kritische Abschnitt dieser Politik ist noch nicht überwunden. Gerade deshalb wird die Bundesregierung der Unterstützung aller Fraktionen dieses Hauses gewiß sein dürfen, wenn sie ihre Bemühungen vermehrt, den auf Friedenssicherung im Nahen Osten gerichteten Prozeß mit ihren Kräften zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, es ist enttäuschend, wie durch den Kollegen Franz Josef Strauß von der Opposition unser großes innenpolitisches Thema der Terroristenbekämpfung angepackt wurde. Was hier zur Sicherung der Freiheit des Bürgers von der Opposition angepriesen wird und heute wieder angepriesen wurde, muß letztlich zur Einschränkung von Bürgerfreiheiten führen, weil immer mehr Freiheitsrechte der Bürger in einer Flut von Gesetzen erstickt werden. Meine Damen und Herren, im Grunde ist doch der Schrei nach weiteren Gesetzen ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Die FDP ist nicht bereit, eine solche Politik der Ersatzbefriedigung mitzumachen.
({1})
Die vielfältigen Fahndungserfolge der letzten Monate sind doch wohl ein Beweis dafür, daß die Sicherheitsbehörden mit dem nötigen Instrumentarium versehen sind. Ich will den Hinweis auf die beiden schweren Fehlschläge, den von Erftstadt und den von Michelstadt im Odenwald, nicht unterdrücken, aber gerade sie, so will mir scheinen, sind eine Bestätigung dafür, daß nicht mangelhafte oder fehlende Gesetzes sondern menschliche Fehlleistungen und Fehleinschätzungen einen Erfolg verhindert haben. Diesen Faktor aber, meine Damen und Herren, werden wir auch nicht mit noch mehr Gesetzesperfektionismus aus der Welt bringen.
({2})
Für eine wirksame Verbrechensbekämpfung brauchen wir deshalb nicht mehr Gesetze. Ausschlaggebend ist und bleibt ein reibungslos funktionierendes System polizeilicher Zusammenarbeit im Bund und in den Ländern und ein effektives Zusammenwirken mit den Strafverfolgungsbehörden. Die Lehren aus der Vergangenheit sind aber gezogen. Mut, Entschlossenheit, Einfallsreichtum und Tatkraft werden auch in Zukunft entscheidend für die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus sein.
Meine Damen und Herren, ganz zweifellos hat die verwirrend unterschiedliche Handhabung des sogenannten Extremistenerlasses Unruhe und Unsicher8192 Deutscher Bundestag -,8. Wahlperiode Hoppe
heit bei ungezählten Bürgern und eine definitive Rechtsungleichheit bei der Behandlung von Bewerbungen für die Einstellung in den öffentlichen Dienst ausgelöst. Es ist deshalb an der Zeit, daß wir gemeinsam über Schritte zur Überwindung dieser unbefriedigenden Situation diskutieren. Sb viel Kraft zur Gemeinsamkeit müßte der Deutsche Bundestag eigentlich aufbringen, um in seinen Debatten und Entscheidungen stets sichtbar zu machen, daß die Gestaltung unserer Gesellschaftsordnung ein offener Prozeß ist, der ohne den kritischen Bürger und ohne eine Atmosphäre der Diskussionsbereitschaft nicht auskommt.
Für uns alle besteht Anlaß genug, über Fehlentwicklungen der letzten Zeit nachzudenken. Das alles wurde uns noch einmal durch eine Diskussion in Erinnerung gebracht, in der Professor Dr. Richard Löwenthal, ein sicher ebenso schöpferischer wie bewahrender Geist, vor einigen Wochen davor gewarnt hat, daß „bestimmte autoritäre Traditionen der deutschen Geschichte" wieder aufkommen. Man braucht sich seiner Schlußfolgerung nicht anzuschließen, man wird sich aber wohl mit ihr auseinandersetzen müssen; denn zu dieser Einschätzung ist der Politwissenschaftler wohl nicht völlig grundlos gekommen. Wir müssen miteinander nach Lösungen suchen, die zur Bereinigung der Atmosphäre beitragen. Berufsverbote sind hier nicht zu beseitigen, die gibt es in der Tat nicht.
({3}) .
In erster Linie müssen sich die Regierungschefs der Länder endlich auf eine eindeutige und einheitliche rechtsstaatliche Handhabung des geltenden Rechts verständigen. Wer den derzeitigen Zustand fortbestehen läßt, macht sich am Vertrauensverlust unseres Gemeinwesens, gerade bei der nachwachsenden Jugend, mit schuldig. Ein demokratischer Staat kann sich aber gerade das auf Dauer nicht leisten.
({4})
In Zusammenhang mit der Bereinigung der politisch eingetrübten Sommerlandschaft noch ein Wort zum Thema Sicherheit und Verteidigungspolitik. Ich muß beklagen, was dort abgelaufen ist, und fragen: Was hat man eigentlich von dem peinlichen Unterfangen der Opposition zu halten, im Umfeld und unter Benutzung von Spionagevermutungen eine spezielle Form der Verunsicherungspolitik zu entwickeln? Was ist mit den Spekulationen über Verräterei und der berühmt-berüchtigten Finnlandisierung gewonnen worden, außer daß Ätherwellen und Blätterwald zum Rauschen gebracht worden sind? Das Ansehen der Parteien und des Parlaments ist gemindert worden, und die Opposition ist von diesem Prozeß keineswegs ausgeschlossen.
Die Behandlung der fundamentalen Themen der äußeren und inneren Sicherheit kann nicht so fortgesetzt werden, daß die Opposition unverändert auf dunkle Ahnungen, Unterstellungen und die Wiederholung unstrittiger Formeln angewiesen ist und sich darauf zurückzieht. Eine im wahrsten Sinne des Wortes beschränkte Politik kann nicht Inhalt unserer parlamentarischen Auseinandersetzung und
schon gar nicht Inhalt der Regierungspolitik werden.
({5})
Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben in der Debatte am 1 Juni sehr klar den existentiellen Wert der westlichen Allianz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und für die von uns gewollten Fortschritte in der Entspannungspolitik herausgestellt. Wir befinden uns damit in voller Übereinstimmung mit unseren Bündnispartnern, vor allem mit den Vereinigten Staaten.
In der Aussprache über die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen und den NATO-Gipfel schien Übereinstimmung auch mit der Opposition zu bestehen. Sie hat jedoch nicht lange angehalten; denn jetzt schlägt die Opposition auf diesem Felde lächerliche Gespensterschlachten. Was die Haltung der Bundesregierung betrifft, so haben sich die Fakten bis heute nicht geändert. Das aber hat die Opposition nicht daran gehindert, aus den Spionageverdachtsfällen einen scharfen politischen Gifttrank zu mischen.
Das von der Opposition im trüben, regnerischen August gemalte Bild einer zwischen Ost und West hin- und herschlingernden Bundesrepublik hat jedoch den Sommer nicht überdauert. Auf diesem für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und die Entwicklung ihrer außenpolitischen Beziehungen so sensiblen Feld sollten sich Schnellschüsse dieses Kalibers von selbst verbieten. Gerade hier ist besondere Sorgfalt geboten. Jeder verantwortungsbewußte Politiker muß darauf Bedacht nehmen, daß Zweifel und Mißtrauen gegenüber der Bundesrepublik nicht geweckt werden dürfen. Wir sollten dieses Thema nicht noch dadurch belasten, daß wir hier verbale Prügelszenen produzieren.
Meine Damen und Herren, zu der Entwicklung in Europa, die mit dem Europäischen Rat in Bremen und dem Bonner Wirtschaftsgipfel den Haushalt entscheidend mitbestimmt hat, ist vom Kollegen Strauß die Anmerkung gemacht worden, daß dort von viel Substanz nicht zu reden ist und daß das alles eigentlich nur immer wieder zur Schaustellung der Regierungschefs dient. Mir scheint, auch hier wird an der tatsächlichen Entwicklung vorbeigeredet.
({6})
In der europäischen Finanz- und Währungspolitik machen wir doch langsame und stetige Fortschritte. Eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion nimmt doch langsam Konturen an. Auf den Weg dorthin dürfen wir jedoch nicht selber immer wieder neue Steine aufhäufen. Man kann nicht einerseits beklagen, daß die Währungsunion nicht zustande gekommen ist, weil die unterschiedlichen nationalen Volkswirtschaften dies nicht gestatten, und andererseits immer wieder darüber lamentieren, daß die verschiedenen Wirtschaftssysteme ein weiteres Zusammenwachsen der europäischen Staaten deshalb behindern, weil eben die einheitliche Währungsgemeinschaft fehlt. Es ist auch nicht besonders förderlich und schon gar nicht sehr europäisch gedacht, wenn konkrete Schritte in Richtung auf die
gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion als „Inflationskartell" abqualifiziert werden.
Nach Meinung der FDP-Fraktion hat sich der europäische Währungsverbund im letzten Jahr als Stabilisierungsfaktor in Europa bewährt. Zur besseren Überwindung zukünftiger Zahlungsbilanzungleichgewichte wurden die verfügbaren Kreditbeträge verdoppelt und die Kreditbedingungen mit dem Ziel einer stärkeren Gleichrichtung der Wirtschaftsentwicklung in Europa verschärft. Bei der europäischen Gipfelkonferenz in Bremen ist das dafür zur Verfügung stehende Kreditvolumen kräftig ausgedehnt worden.
Nunmehr hat die Mehrheit der Finanzminister der EG am Montag in Brüssel auf der Linie der Aachener deutsch-französischen Einigung vom vergangenen Freitag eine wesentliche Grundsatzfrage des neuen europäischen Währungssystems geklärt. Dabei hat sich die Meinung durchgesetzt das ist die Meinung, die wir hier alle in diesem Hause unterstützen -, daß die Wechselkurse der künftigen Verbundwährungen als grundsätzliche Leitkurse jeweils paarweise aneinander gebunden sind. Das System entspricht insofern der heutigen Schlange. Dies scheint uns mehr im Sinne einer europäischen Stabilitätspolitik zu liegen als eine Anbindung an einen selbst schwankenden Währungskorb. Sicherlich erzwingt ein System von Leitkursen noch keine Disziplin in der Wirtschaftspolitik, jedoch erscheint uns in der gefundenen Lösung das Optimum des zur Zeit Erreichbaren zu liegen. Die Freien Demokraten sind der Bundesregierung deshalb dankbar, daß sie zusammen mit dem französischen Partner eine neue Initiative ergriffen hat.
({7})
Dieser Versuch zeigt, daß das politisch geeinte Europa als konkretes Ziel den Inhalt unserer Politik bestimmt. Skepsis, Bedenken und Einwände sind schwer verständlich, denn mit Halbherzigkeiten wird Europa nicht bewegt.
Der Haushalt, der heute auf der Tagesordnung steht und von dem wir nur wünschen können, daß er nicht völlig durch sicher notwendige Diskussionen über andere Themen in Vergessenheit gerät,
({8})
braucht ein günstiges Beratungsklima und den ernsten Willen aller politischen Kräfte zur Zusammenarbeit, wenn wir die in ihm aufgezeigten Probleme lösen wollen. Der deutsche Beitrag zum weltpolitischen Kompromiß ist nämlich zu einem unerhörten Kraftakt mit schwerwiegenden Auswirkungen auf unsere Finanz- und Haushaltspolitik geworden. Der Bonner Wirtschaftsgipfel hat jenes 13 MilliardenDing produziert, das der Haushalt 1979 nun verkraften muß. So steigen denn - abweichend vom Finanzplan und von allen guten Vorsätzen - die Ausgaben nach dem Entwurf um 8,4 °/o auf über 204 Milliarden DM. Der Kreditbedarf liegt 7 Milliarden DM über der Marke des letzten Jahres und 10 Milliarden DM über der anvisierten Marke. Die Verschuldungsgrenze erreicht die einsame Höhe von 35,6 Milliarden DM. Sie deutlich zu reduzieren, ist für
die Freien Demokraten die vorrangige Aufgabe bei den Beratungen im Haushaltsausschuß.
({9})
Nur bei einer anzustellenden Gesamtrechnung der öffentlichen Kreditmasse und des öffentlichen Kreditbedarfs in Bund, Ländern und Gemeinden hat es im Jahre 1975 einen höheren Finanzierungssaldo gegeben. Der aus der internationalen Verpflichtung resultierende Zwang zu Mehrausgaben macht die vom Parlament erst vor fünf Monaten bekundete Absicht zunichte, mit dem Haushalt 1979 eine Konsolidierung der Staatsfinanzen einzuleiten.
({10})
Nach den jetzt vorliegenden Plandaten würde sich das Finanzierungsdefizit der nächsten Jahre auf einem höheren Niveau einpendeln. Dies alles könnte sehr leicht Resignation auslösen. Ihr wird nur dann begegnet, wenn wir klarmachen, daß es sich bei den zur Abwehr der weltweiten Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts ergriffenen Maßnahmen tatsächlich um einen Ausnahmetatbestand und nicht um die Fortsetzung der liebgewordenen Praxis expansiver Haushaltspolitik handelt.
({11})
Der Etat 1979 muß in seiner endgültigen Fassung, die wir in der dritten Lesung zu bestimmen haben, eindeutig belegen, daß Konsolidierung nicht zur Phrase wird, sondern daß der Beginn einer Konsolidierungsphase nur um zwei Jahre verschoben wurde. Die Voraussetzungen dafür müssen deshalb erhalten bleiben. Dies wird die wichtigste haushaltspolitische Aufgabe der diesjährigen Beratungen sein.
Angesichts der Verschuldensrate war es im Interesse des Haushalts und des Kapitalmarkts unumgänglich, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Dämme dürfen hier nicht brechen. Auf eine maßvolle Erhöhung der Mehrwertsteuer konnte deshalb nicht verzichtet werden. Nun läßt sich für diese Erhöhung einmal die europäische Steuerharmonisierung ins Feld führen, und außerdem ist das Verhältnis von direkten zu indirekten Steuern längst zu einem Mißverhältnis entartet, das dringend einer Korrektur bedarf. Und doch wird niemand leugnen wollen, daß es der Zwang zur Eindämmung der Probleme an der Haushalts- und Kapitalmarktfront war, der dieses Kontrastprogramm hervorgerufen hat. Es ist einfach unvorstellbar, den Haushalt Jahr für Jahr mit Neuverschuldung in diesem Umfang zu finanzieren. Die Zeichen unserer mittelfristigen Finanzplanung stehen auf Sturm. Ohne eine Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten wird diese Aufgabe aber nur schwer lösbar sein.
Da wir gottlob keine Staatswirtschaft haben und mehr staatlicher Einfluß von Übel wäre,
({12})
müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen jetzt auch ihrer Verantwortung gerecht werden. Das in letzter Zeit etwas gespannte Klima zwischen den Tarifpartnern darf vernünftige, am Gesamtinteresse orientierte Entscheidungen nicht un8194
möglich machen. Häufig gewinnt man leider den Eindruck, daß eine sich blockierende Gegnerschaft mehr und mehr an die Stelle der früher so gerühmten Partnerschaft getreten ist. Die Auseinandersetzungen spielen sich dabei vor dem Hintergrund eines erbarmungslosen internationalen Konkurrenzkampfs unserer Wirtschaft ab, der inzwischen eigentlich jedem die Illusion geraubt haben müßte, daß unsere Wirtschaft unverwundbar sei.
Gefordert ist daher die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine Verbesserung der Produktivität. Und das wird nicht ohne Senkung des Kostendrucks und diese nicht ohne eine maßvolle Tarifpolitik möglich sein. Die Unternehmer müssen ihren Teil der Verantwortung bei der Überwindung der Wachstumsschwäche durch arbeitsplatzschaffende Investitionen ausdrücken.
Die notwendigen Entscheidungen werden aber kaum dadurch begünstigt, daß die Gewerkschaften in einer schwierigen Phase das Signal zur 35-Stunden-Woche geben. Einsicht und Rückkehr zu vernunftbetontem Handeln sind dringend geboten.
Während die Deckung des Haushalts im nächsten Jahr am Kapitalmarkt keine unlösbaren Probleme bereithält und die negativen Tendenzen für den Haushalt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer gemildert werden können, stellt sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit nach Art. 115 des Grundgesetzes. Schließlich übersteigt der für die Nettokreditaufnahme vorgesehene Betrag die Marke der Investitionen um rund 2,1 Milliarden DM.
Der Erörterung der damit aufgeworfenen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Fragen kann niemand ausweichen. Es erscheint mir allerdings müßig, einen theoretischen Streit darüber auszutragen, ob die von der Bundesregierung angeführten Gründe die Anwendung des Ausnahmetatbestands rechtfertigen oder ob die Berufung auf internationale Tatbestände nicht durchgreifen kann.
Meine Damen und Herren, diese Diskussion wird spätestens in der zweiten und dritten Lesung gegenstandslos sein; denn ich bin fest davon überzeugt, daß die Beratungen im Haushaltsausschuß zu einer Senkung des Kreditbedarfs unter jene. Grenze führen werden, die durch die Investitionsausgaben gezogen ist.
({13})
Bei gutem Willen aller Fraktionen wird die Verbesserung durch Erhöhung der Einnahmen und Kürzungen bei den nichtinvestiven Ausgaben zu erreichen sein. Daß auf allen Seiten dieses Hauses der Wille und die Bereitschaft dazu bestehen, hat die Beratung des Nachtragsetats 1978 unter Beweis gestellt.
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Während die Bundesregierung auch hier die Mehrausgaben zum größten Teil durch eine höhere Verschuldung decken wollte, ist dem Haushaltsausschuß der volle Ausgleich dieser Mehrausgaben gelungen.
Es ist aber nicht nur dieser bedeutsame Teilaspekt, der mich zu meiner Aussage ermutigt. Die für alle
erkennbaren Daten des Haushaltsvollzugs 1978 schaffen für eine solche Operation ebenfalls einen ungewöhnlich guten Ausgangspunkt. Rund 1,5 Milliarden DM Steuern sind mehr in die Kassen des Bundesfinanzministers geflossen, als der Haushaltsplan 1978 es vorsah. Dieses für ihn und für uns so erfreuliche Ergebnis hat sehr unmittelbare, und zwar positive Auswirkungen auf die Minderung des Kreditbedarfs. Anders als im Haushaltsplan vorgesehen, wird der Bundesfinanzminister jetzt nur Kredite in Höhe von 28,8 Milliarden DM aufnehmen. Damit bleibt die Bundesregierung auch im laufenden Haushaltsjahr unter dem Betrag, der für Investitionen im Haushalt veranschlagt ist.
Meine Damen und Herren, die heftige Auseinandersetzung über die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts 1978 wirkt doch jetzt im nachhinein recht akademisch; denn der Streitpunkt hat sich inzwischen in nichts aufgelöst.
Mit allen diesen guten Erfahrungen ausgestattet werden wir den Haushalt auf der Ausgabenseite abspecken, und sicher wird die in Prozenten ausgedrückte Steigerungsrate dann nicht mehr eine Acht, sondern nur noch eine Sieben vor dem Komma haben.
Gerade weil man sich hier selbst in die Pflicht nehmen will, wirken die aus dem Finanzausschuß des Bundesrats bekanntgewordenen weitergehenden Vorschläge zum Steueränderungsgesetz zunächst wie eine kalte Dusche; denn der Bund würde dadurch erneut knapp 2 Milliarden DM, Bund, Länder und Gemeinden würden zusammen insgesamt 8 Milliarden DM einbüßen. Das wäre ja wohl nicht die richtige Reaktion auf die um Konsolidierung des Haushalts ringenden Sparmaßnahmen des Bundestags. Aber ich habe nicht die Absicht, hier gegen den Bundesrat zu polemisieren; denn die Diskussion zwischen den Verfassungsorganen ist ja erst gestern mit der Rede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten eröffnet worden.
Es war ein hoffnungsvoller Einstand, den Herr Späth hier in Bonn gegeben hat. Seine Argumentation jedenfalls hat viel guten Willen erkennen lassen. Das könnte ein konstruktiver Auftakt für die anstehenden Beratungen über die Steuer- und Finanzprobleme sein, gerade weil es sich hier um eine Bund und Ländern zugewiesene Aufgabe handelt, die nur gemeinsam gelöst werden kann.
Meine Damen und Herren, die Worte habe ich wohl gehört, und mir fehlt auch nicht der Glaube, gaß es möglich sein könnte, so elementare Fragen unserer Innenpolitik in allen Verfassungsorganen in gesamtstaatlicher Verantwortung zu behandeln und nicht unter parteitaktischen Gesichtspunkten zu entscheiden. Die Beratungen des Bundesrats über das Steueränderungsgesetz müssen aber erst erweisen, ob sich diese Hoffnung auch tatsächlich erfüllt.
Die Ausschußberatungen sollten hier nicht vorweggenommen werden. Aber wenn an die Verbesserung der Einnahmen gedacht wird, richtet sich der Blick wie von selbst auf die Bundespost. Es scheint nicht unbillig, in einem einmaligen Erstattungsvorgang etwas von dem zurückzufordern, was in den
vergangenen Jahren mit dem Verzicht auf die gesetzlich normierte Ablieferungspflicht aus dem Bundeshaushalt dorthin abgegeben wurde. Die Bundespost kann jedenfalls diese Leistungen erbringen. Daß der Bundeshaushalt 1979 sie gut gebrauchen kann, bedarf wahrlich keiner näheren Begründung.
Die höhere Quote der investiven Ausgaben schafft eine Verbesserung der Haushaltsstruktur und wird deshalb ganz gewiß kein Operationsfeld für Kürzungen sein. Echte Genugtuung kann sich hier aber erst dann einstellen, wenn die veranschlagten Mittel auch tatsächlich voll für investive Maßnahmen ausgegeben worden sind. Bloße Zahlenspiele bewirken noch keine investiven Leistungen.
Im übrigen sollten wir bei den nichtinvestiven Ausgaben keinen Bereich von der kritischen Prüfung ausnehmen. Dies muß auch für die neuen Stellenanforderungen gelten.
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Meine Damen und Herren, es ist auch nicht sehr überzeugend, wenn der Versuch gemacht wird, jede Haushaltsrevision mit dem Hinweis auf die Beschlüsse des Weltwirtschaftsgipfels abzuwiegeln. Der Bundesfinanzminister hat so nicht argumentiert. Er hat den Haushaltsausschuß im Gegensatz zu einer kritischen Haushaltsprüfung, zu einer durchgreifenden Haushaltsrevision, geradezu ermuntert.
Gestern hat der Bundesfinanzminister mit seiner ungeschminkten Darstellung der finanz- und haushaltspolitischen Problematik Eindruck gemacht. Daran können auch die Bemerkungen des Kollegen Strauß nicht herumdeuteln, und davon können sie nichts abstreichen.
Den in der Zusammenfassung des Bundesfinanzministers getroffenen Feststellungen möchte ich für die Fraktion der Freien Demokraten ausdrücklich beipflichten. Der vorgelegte Haushaltsentwurf gibt in ausgewogener Weise angemessene Antworten auf die uns in der Wirtschafts- und Finanzpolitik international gestellten Fragen. Zugleich bietet er die richtige Lösung für die innenpolitisch zu bewältigenden Aufgaben an. Korrekt muß ich hier allerdings wohl sagen: fast die richtige Lösung. Daß es die ganz richtige Lösung wird, das sollten die Beratungen im Haushaltsausschuß bewirken.
({16})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin, ich muß erst einmal meine Brille holen.
({0})
- So ist das mit fortschreitendem Alter. Sie kriegen auch noch eine Brille, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, wenn ich es richtig verstehe, hat der Kollege Strauß heute morgen seine Abschiedsrede als Abgeordneter hier gehalten.
({1})
Er hat das in einer für ihn typischen Weise gemacht. Er hat alle Felder, die denkbar sind, abgedeckt. Ein bißchen besorgt habe ich mich gefragt, was für Herrn Dr. Kohl noch nachbleibt.
({2})
Ein bißchen fragt man sich, wer denn eigentlich in Zukunft in den großen Debatten die Opposition im Bundestag anführen soll, wenn der Herr Strauß nach Bayern geht. Es wird wahrscheinlich so sein, Herr Kohl, daß Herr Strauß von jener Bundesratsbank wieder an dieses Pult zurückkommt, und Sie werden ihn auch in Zukunft ertragen müssen.
({3})
- Ich habe mich immer gefragt, wo er denn ist. Jetzt hat er sich auf den falschen Platz gesetzt.
({4})
Herr Strauß, Ihre heutige Rede war wie alle, die ich seit 1953 gehört habe - Sie selbst waren ja schon seit 1949 hier -, meist brillant formuliert, teils sachlich richtig
({5})
- ich komme ja darauf zurück und belege das alles; so ist es ja nicht -, teils die Sache gröblich verfälschend,
({6})
bisweilen voller Witz, bisweilen absichtlich verletzend, immer dem Augenblickszweck zugewandt und ohne Rücksicht auf Verluste.
({7})
Zu einem Punkt würde ich Ihnen gern noch etwas sagen - ehe Sie telefonieren, Herr Strauß -: Ich stelle Sie mir als bayerischen Ministerpräsidenten vor und frage mich - ich bin, das gebe ich ja zu, ein „Nordlicht", aber ich schaue doch auf Bayern und habe auch im Laufe meines Lebens in Bayern mancherlei erlebt, auch Wahlkämpfe und dergleichen -, wie das bisher mit bayerischen Ministerpräsidenten war. Das waren ja eigentlich alles Personen, die ihre Akribie, ihre Sorgfalt, ihren Fleiß auf eine gute Administration gerichtet und im übrigen die bayerischen Stämme nach außen würdig repräsentiert haben. Ich bin neugierig darauf, wie Sie in Zukunft Ihr Temperament so zügeln werden, daß Sie in die Reihe von Alfons Goppel und Ehard und Hoegner und Seidel passen werden.
({8})
Das werden wir ja erleben, wenn Sie in Zukunft dieses Pult von der anderen Bank aus betreten werden.
({9})
- Herr Strauß, ich will Ihnen die Reife nicht absprechen; Sie haben ja die 60 hinter sich. Irgendwann kommt dann die Überreife.
({10})
Sie haben hier heute eine lange geschichtliche Einleitung geboten, die in einem Punkte nicht in Ordnung war.
({11})
Aber sehr erfolgreich, Herr Strauß! Und Sie haben ja heute implicite zugegeben, daß Sie, anders als Herr Kohl, nicht damit rechnen, daß Sie hier bis 1980 etwas ändern können. Danach allerdings auch nicht, Herr Strauß, aber das werden wir gemeinsam erleben.
({12})
Sie haben in Ihrer geschichtlichen Darlegung etwas getan, was ich nicht als redlich empfinde. Man kann nicht zu einer Triade, zu einer dreigliedrigen Einheit aufbauen: erstens das in Art. 20 des Grundgesetzes verankerte Rechtsstaatsgebot, zweitens das durch das ganze Grundgesetz in vielen seiner Kapitel und Artikel breit aufgefächerte Demokratiegebot und drittens das politische, von der Union erfundene, durchaus erfolgreiche Schlagwort von der Sozialen Marktwirtschaft.
({13})
- Das ist ein Schlagwort; es steht nicht in der Verfassung, lieber Freund. Da möchten Sie gerne in die Verfassung etwas hineingeheimnissen, was nicht drinsteht.
({14})
Das Schlagwort von der Sozialen Marktwirtschaft hat keinen Verfassungsrang; und Sie sollten nicht so tun, als hätte es einen solchen Rang.
Im übrigen ist es Ihr gutes Recht, dieses Schlagwort zur Kennzeichnung derjenigen Wirtschafts-
und Sozialordnung, die Sie erstreben, zu benutzen. Aber es ist etwas anderes, wenn man es mit dem vergleicht und in Beziehung setzt, was das Grundgesetz uns vorschreibt.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Aber gern.
Herr Bundeskanzler, .ist Ihnen trotz jahrelanger Bemühungen um die Materie entgangen, daß die Soziale Marktwirtschaft nicht ein von der Union erfundenes politisches Schlagwort ist, sondern ein auf Grund der langjährigen Erfahrungen der Vergangenheit von großen deutschen Wirtschaftswissenschaftlern wie Eucken, Böhm, Röpke, Müller-Armack usw. wissenschaftlich erarbeitetes, genau definiertes und von Ludwig Erhard
dann in die politische Wirklichkeit umgesetztes Ordnungssystem?
({0})
Ich glaube, daß Sie in Ihrer Frage zum Teil recht haben, Herr Strauß, aber eben nur zum Teil. Sicherlich sind in die Vorstellungen, die Alfred Müller-Armack, Ludwig Erhard und andere - auch Sie - verbreitet haben, alle möglichen Dinge eingeflossen, die zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert kommen, zum Teil von Böhm, zum Teil von Eucken und anderen. Das will ich um Gottes willen nicht leugnen; da ist übrigens Herr Biedenkopf ein besserer Fachmann als ich. Nur, das Schlagwort „Soziale Marktwirtschaft" stammt von Alfred Müller-Armack, weiland Staatssekretär bei Ludwig Erhard. Da werden Sie mir, glaube ich, nicht widersprechen.
({0})
Ich' möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß selbst die CSU früher nicht auf die Idee gekommen wäre, dieses Schlagwort in die Verfassung und in den Zusammenhang der Verfassung hineinzuinterpretieren. Im Jahr 1946 beispielsweise - ich weiß wohl, daß Sie 1948 dem Grundgesetz nicht zugestimmt haben, aber für Sie ist das Grundgesetz doch genauso wie für mich selbstverständliche Grundlage Ihres staatspolitischen Denkens und Handelns - hat die CSU aufgerufen zu „angemessener Beteiligung der Arbeitnehmer am Reingewinn des Unternehmens", zur „Anerkennung des Rechts des Staates, die. Wirtschaft nach Gesichtspunkten des Gemeinwohls zu lenken", zur „Bekämpfung rücksichtslosen Eigentumserwerbs", zur „Überführung von Privat- in Gemeineigentum" - alles das wörtlich zitiert. Ich will das Ahlener Programm nicht zitieren. Alle diese damaligen Schriften waren ja doch nicht in dem. Augenblick, als das Grundgesetz in Kraft trat, nunmehr verboten. Sie sollten heute nicht so tun, als ob das Grundgesetz diesem Staate, seinen Amtsträgern, seinem Parlament, seinem Verfassungsgericht, seiner Bundesregierung die Soziale Marktwirtschaft mit Verfassungsrang vorschriebe. Dieses ist Klitterei. Das möchte ich hier feststellen.
({1})
Sie haben in dem Eingangsteil und später mehrere Male lange gegen die Gewerkschaften polemisiert, Herr Strauß. Ich will nicht abstreiten, daß ein Zitat, das Sie vorgelesen haben, mir auch nicht gerade sehr erfreulich vorkam. Aber die Sache wäre etwas ausgewogener, sie wäre überhaupt ausgewogener, wenn wir von der CSU jemals hören würden - auch im Parlament ausgesprochen, auch mit Zitaten -, wenn irgendwo im Unternehmeroder Arbeitgeberlager etwas faul ist. Davon habe ich kein Wort gehört, heute nicht und früher auch nicht.
({2})
Ihre Reden haben immer Schlagseite gegen die Gewerkschaften. Sie verkennen, daß das, was Sie preisen - Sie haben Deutschland gepriesen; das sei alles ganz gut auf Grund der großen Arbeit, die
Sie bis 1969 geleistet hätten -, daß die große Leistung - nicht nur bis 1969, sondern auch bis 1978 und auch in der Zukunft - zu einem ganz großen Teil auf eben jenem Faktor beruht, den Sie nur polemisch angreifen.
({3})
Ich leugne nicht, daß das Parlament, daß der Bundestag, daß die Bundesregierungen im Laufe von fast 30 Jahren manches Gute und manches sehr Gute und sicherlich auch manchen Fehler zustande gebracht haben. Ich leugne nicht, daß die Unternehmensleiter von den großen Unternehmen bis hin zum Handwerker, die Ingenieure, die Organisatoren in den Unternehmen Großes zustande gebracht haben. Aber, bitte, leugnen Sie doch nicht: Unternehmer gibt es auch in anderen Ländern rundherum, und unsere sind auch nicht besser als jene.
Der große Unterschied in der Sozialstruktur unseres Landes, verglichen mit den anderen großen Industrieländern in der Europäischen Gemeinschaft, ist die völlig andere Struktur unserer - politisch gesprochen - Einheitsgewerkschaften und ihres darauf gründenden Verantwortungsbewußtseins.
({4})
Sie haben dazu aufgerufen, es müsse ein Klima des Vertrauens geschaffen werden, Herr Strauß; das ist ein richtiges Wort. Aber jeder Absatz, den Sie hier vorgetragen haben, war geeignet und hatte die Absicht, das Vertrauen, das andere in diesen Staat setzen, zu zerstören und zu untergraben.
({5})
Man kann auch nicht im ersten Teil Ihrer Rede die wirtschaftliche und soziale Lage in Deutschland schwarz in schwarz malen und dann im zweiten Teil, wenn man sich mit dem Problem eines europäischen Währungsverbundes auseinandersetzt, plötzlich zu der Feststellung kommen: da doch die anderen schwächer sind als wir, da ihre Inflationsraten größer sind, da ihr Sozialprodukt weniger wächst, weil sie mehr Arbeitslosigkeit haben, ist es gefährlich, wenn diese Bundesregierung oder dieser Bundeskanzler diese deutsche relative ökonomische Stärke aufs Spiel setzt, um den anderen, die schwächer und langsamer sind, zu helfen. Entweder stimmt die. Behauptung im ersten Teil der Rede, daß hier zuhause alles schlecht sei, oder die Behauptung im zweiten Teil der Rede, daß es hier besser sei als anderswo, aber durch Währungsverbund gefährdet werden könnte. Ihre währungspolitische . Schlußfolgerung stimmt auf keinen Fall; auf die komme ich nachher zu sprechen. Aber man muß sich eben, wenn man den Reden des Herrn Kollegen Strauß zuhört, bemühen, die Substanz herauszubringen, die hinter den brillanten Formulierungen steckt. Die Substanz ist nämlich letzten Endes in sich nicht logisch, nicht konsistent, nicht stetig.
Sie haben am Rande auch ein paar Bemerkungen über die Arbeitslosigkeit gemacht. Es wäre redlich, wenn Sie bei Ihrer Warnung, unsere Währung nicht mit den Währungen anderer, uns unmittelbar und eng verbundener europäischer Partner zu verkoppeln, darauf hinwiesen, daß wir in der europäischen Gemeinschaft in der Tat die größte Preisstabilität haben, und das nun schon seit vielen Jahren. Es wäre redlich, wenn Sie darauf hinwiesen, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Großherzogtums Luxemburg - das räume ich ein - die geringste Arbeitslosigkeit haben. Es wäre redlich, wenn Sie darauf hinwiesen, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft das geringste Maß sozialer Konflikte haben. Es wäre redlich, wenn Sie darauf hinwiesen, daß wir in dieser Gemeinschaft in der Tat die höchsten realen Löhne und die höchsten realen Sozialleistungen haben.
({6})
Sie haben eingeräumt, wir seien das Welthandelsland Nummer eins - oder so ähnlich. Sie hätten auch einräumen können, daß wir in Europa von den Industriestaaten wahrscheinlich dasjenige Land sind, das mit der 600- oder 700 %gen Preissteigerung beim 01 besser als die übrigen fertiggeworden ist. Sie hätten sagen können, daß es der Bundesrepublik Deutschland sehr viel besser geht als jedem anderen Land der Welt, in dem Christdemokraten regieren. Das hätten Sie sagen können.
({7})
Statt dessen haben Sie behauptet, diese Krise gebe es in anderen Ländern der Welt nicht. Statt dessen haben Sie gesagt, die Schwierigkeiten, die wir weiß Gott einräumen, mit denen wir uns ja seit Jahr und Tag herumplagen, seien hausgemacht, seien selbstgemacht. Sie haben an Ihre Zeit als Finanzminister erinnert; sie ist jetzt ungefähr zehn Jahre her. Ich darf Sie an eines erinnern: Damals, als Sie Finanzminister waren, mußten Sie, mußte jeder von uns, der von draußen aus der Welt etwas kaufte - in Südamerika, Mittelamerika, Nordamerika, Singapur, weiß der Kuckuck -, für etwas, was einen amerikanischen Dollar kostete, 4 DM zahlen. So war es noch an idem Tag, als Sie 1969 Ihr Amt verließen. Heute zahlen wir dafür nur noch 1,98 DM. Das ist doch wohl kein Zeichen dafür, daß sich unsere Wirtschaft schlechter entwickelt hätte, sondern im Gegenteil, das ist der Maßstab, an dem Sie messen können, daß wir unsere Sache ordentlich gemacht haben.
({8})
Sie hätten sagen können, daß das 60-MillionenVolk der Deutschen im Laufe der letzten vier, fünf, sechs Jahre für jährliche Urlaubsreisen in das Ausland einen weitaus größeren Betrag ausgeben konnte als andere Völker, die über 200 Millionen, über 100 Millionen Menschen umfassen. Bei uns ist auf vielen Gebieten und in der Breite ein Wohlstand eingetreten, der einem manchmal schon, wenn man ins Ausland reist, z. B. nach Afrika oder demnächst nach Südamerika, selber Beklemmungen macht, wenn man vergleicht. Das hätten Sie ja einräumen können.
Kein französischer Abgeordneter, kein amerikanischer Senator, kein Abgeordneter des britischen
Unterhauses würde über die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland so reden wie der Abgeordnete Strauß aus Bayern.
({9})
Nachdem Sie alles schwarzgemalt hatten, sagten Sie dann: Daran hat der Kollege Willy Brandt mit seinem Willen zur Demokratie und mit seinem Willen zur Reform schuld. Ärger und schlimmer kann man die Wirklichkeit nicht verfälschen, Herr Strauß.
({10})
Dann fügen Sie noch hinzu, man glaube dem Staate nicht. Das ist ja nicht wahr. Es gibt ein Glaubwürdigkeitsproblem für politische Parteien - das ist eher wahr -,
({11})
es gibt insbesondere ein Glaubwürdigkeitsproblem für den Abgeordneten Franz Josef Strauß.
({12})
Wenn Sie sich bei dieser Gelegenheit über das Bundesland Hessen lustig gemacht haben, dann sollte der zukünftige Ministerpräsident des Freistaates Bayern zur Kenntnis nehmen, daß die Wirtschaft in Hessen seit Jahr und Tag so gut strukturiert und in Ordnung gebracht worden ist, daß das Land Bayern Jahr für Jahr finanzielle Zuschüsse aus dem Land Hessen bekommt. Sie könnten in München kein Weihnachtsgeld an Ihre Beamten auszahlen, wenn Ihnen die Hessen keine Zuschüsse gäben.
({13})
- Der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz glaubt es nicht. Ich will ihm die Zahlen vorlesen.
({14})
- Ich merke, daß Ihnen die Zahlen unangenehm sind. Sie haben lieber den Qualm, den der CSU-
- Vorsitzende hier verbreitet.
({15})
Im Laufe dieses Jahrzehnts hat das Land Hessen an das Land Rheinland-Pfalz im Wege des Finanzausgleichs 1,145 Milliarden DM gezahlt, an den Freistaat Bayern 1,12 Milliarden DM, einen noch höheren Betrag an Niedersachsen, Beträge an Schleswig-Holstein und an andere. Hören Sie doch auf, Hessen lächerlich zu machen. Das ist doch eine Leistung, an der Sie sich messen können.
({16})
Der Abgeordnete Strauß hat versucht, die Treffen der Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft
und der größten Industriestaaten auf deutschem Boden in das Lächerliche des Schaugeschäfts zu ziehen. Ich muß Ihnen sagen, diesen Teil der Rede über diese beiden Treffen hätten Sie im englischen Unterhaus oder im amerikanischen Senat oder in der französischen Kammer nicht zu halten gewagt. Das können Sie nur vor der Kulisse Ihrer Claque.
({17})
Ich habe neulich gelesen, was Herr Biedenkopf von dieser Art von Reden öffentlich gesagt hat. Er hat gesagt, sie spielten international nur eine Randrolle oder sie fänden international nicht statt. Später ist das teilweise abgeschwächt worden. Es war von vornherein etwas vornehmer formuliert als der Selbstvorwurf der sogenannten Schlafwagenfahrerei, den ein relativ junges, dafür aber durchaus geltungsbedürftiges Mitglied Ihrer Fraktion vorher erhoben hatte.
({18})
In Wirklichkeit ist es doch so: Es ist für eine Oppositionspartei schwierig, in die Zeitungen zu kommen, wenn die Regierungen handeln und die anderen Sommerferien haben. Das wird aber mit einer solchen Rede wie der heutigen auch nicht wettgemacht.
Sie werden anerkennen müssen, daß sich die Regierungen Europas, die Regierungen der Welt wegen der wirtschaftlichen Probleme getroffen haben, weil sie alle davon betroffen sind, nicht etwa nur wir.
({19})
- Herr Franke, nicht jeder Zwischenruf verdient eine Antwort. Eine gewisse Schwelle des Niveaus müßte erreicht sein.
({20})
Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß in den langen Monaten seit Beginn des Jahres in der Weltpresse, wie Herr Strauß es nennt - er zitiert dann drei Zeitungen, es stand aber in sehr viel mehr Zeitungen als denen, die er zitiert hat -, draußen die Forderung erhoben wurde, und zwar nicht nur von Zeitungen, sondern von Regierungen - in den Zeitungen hat es sich nur widergespiegelt -, daß wir, die Deutschen, zusammen mit den Japanern als die Lokomotive die Welt aus ihrer wirtschaftlichen Krise herausziehen sollten. Wir haben darauf geantwortet: „So stark sind wir nicht, das können wir nicht." Sie können doch aber . nicht leugnen, Herr Strauß, daß die ganze Welt draußen meinte, wir seien so stark, daß wir sogar auch das noch könnten. Uns wurde durch das Ausland die Forderung gestellt, in hohem Maße durch hohe zusätzliche Verschuldung unseres Gesamtstaats für zusätzliche Nachfrage in Deutschland zu sorgen, damit durch diese zusätzliche Binnennachfrage in Deutschland ein Importsog nach DeutschBundeskanzler Schmidt
land hinein geschaffen werde und auf diese Weise Beschäftigung in den übrigen Ländern, die nach Deutschland exportieren, entstehen sollte. Das ist die Wahrheit über die Geschichte der ersten Hälfte des Jahres 1978, was die Wirtschaft angeht. Wir haben dieses Ansinnen, gemeinsam mit den Japanern Weltwirtschaftslokomotive zu sein, für eine gröbliche Überschätzung unserer eigenen wirtschaftlichen Leistungskraft gehalten. Wir haben das zurückgewiesen.
Aber da wir nicht - anders als mancher Redner hier es glauben mag - mit dem Kopf durch die Wand können, da wir wissen, daß in der Weltwirtschaft genauso wie in der Weltpolitik nur dann etwas zustande kommt, wenn man auf die Forderungen der anderen hört, wenn die anderen auf die eigenen Forderungen hören, daß nur dann etwas zustande kommt, wenn jeder auf den anderen hört, wenn jeder dem anderen entgegenkommt, daß nur anf dem Wege des Ausgleichs und des Kompromisses etwas zustande kommt, haben wir vor diesem Bonner Treffen gesagt: Wenn auf dem sogenannten Gipfeltreffen ein Paket ökonomisch vernünftiger, notwendiger Maßnahmen zustande käme - ich darf mich einmal selbst zitieren: dazu gehören, so habe ich im Juni gesagt, sicherlich eine Dämpfung der amerikanischen Ölimporte, eine Senkung des Defizits in der amerikanischen Leistungsbilanz, Maßnahmen zur Stabilisierung der Weltwährungsbeziehungen, Maßnahmen zur Abwehr des Protektionismus -, dann würden auch wir uns gegenüber den Forderungen der anderen nicht versagen. Die Forderungen der anderen waren, wie gesagt: die Bundesrepublik Deutschland möge ihre staatlichen Organismen stärker verschulden als bisher, auf diese Weise mehr Nachfrage im Innern des Landes schaffen, weil das durch den Importsog den anderen draußen nützen würde. Das haben Sie vielfältig gelesen. Nur, Sie haben es hier nicht vorgetragen. Deswegen mußte ich es nachtragen.
Wir haben nun allerdings einen großen Teil unserer Forderungen an unsere Partner in den Verhandlungen durchsetzen können. Infolgedessen müssen auch wir bereit sein, einen Teil dessen, was von uns gefordert wurde, zu verwirklichen. Wir haben uns damit beeilt. Wir haben uns noch im selben Monat, in dem die beiden Treffen stattgefunden haben, drei Tage lang hingesetzt, gearbeitet und die Vorschläge erarbeitet, die seit gestern, durch Bundesfinanzminister Matthöfer und durch die Fraktionen eingebracht, auf dem Tisch liegen.
Wir hatten uns auf dem Gipfeltreffen gegenseitig gesagt - so Jimmy Carter, so Herr Fukuda, so der deutsche Bundeskanzler -: Wir wollen jetzt versuchen, jeder seinen Teil zu Hause durchzusetzen. Aber wir sind parlamentarische Demokratien, wir hängen ab von unseren Parlamenten, wir hängen 'ab vom Deutschen Bundestag und leider auch vom Bundesrat, genauer gesagt: leider von dessen Mehrheit. Jimmy Carter hängt leider davon ab, daß bisher im amerikanischen Parlament noch kein Beschluß zustande gebracht worden ist, der wirklich die phantastischen Ölimporte und damit die defizitäre Situation der amerikanischen Zahlungsbilanz beschneidet und zurückführt. Es ist nicht so, daß die Regierungen allein verantwortlich wären; die Parlamente werden auch gebraucht.
Dieses Parlament hat am ersten Tag nach seiner Rückkehr aus dem Sommerurlaub die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, sich mit der Verwirklichung dessen zu beschäftigen, was die deutsche Bundesregierung im give and take, im Nehmen und Geben, mit anderen Regierungen der Welt für möglich gehalten hat und wofür einzusetzen sie sich verpflichtet hat.
Wenn ich am Rande eine Bemerkung in Richtung auf die Bundesratsbank machen darf, was den Herrn Stoltenberg angeht: Auch ihm wäre ein Studium des Grundgesetzes und der deutschen Parlamentsgeschichte anzuempfehlen, wenn er bemängelt, es sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz, daß zwei Bundestagsfraktionen hier ein Paket von Gesetzen einbringen. Ich will Sie einmal darauf hinweisen: Wir haben doch schon erlebt, daß Bundesländer ganze Gesetze aus den Schreibstuben und den Referentenschreibtischen der Bundesregierung abgeschrieben und als eigene eingebracht haben nach dem Motto: Plagiare necesse est. Aber auch das ist verfassungsrechtlich zulässig.
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Wir haben die Zusage des amerikanischen Präsidenten für den Bereich der Stabilitäts- und Energiepolitik erreicht, daß sie Grundlagen für mehr Stabilität in den internationalen Währungsbeziehungen schaffen wollen. Von gleicher Bedeutung ist für uns eine Erklärung im Detail, was die Rückführung der Quantitäten arabischen Erdöls angeht, die jeden Tag in die Vereinigten Staaten von Amerika eingeführt werden, was die Entwicklung der inneramerikanischen Ölpreise angeht, die, weil sie künstlich niedrig gehalten werden, einen viel zu hohen Verbrauch anreizen. Ebenso ist für uns die Erklärung von Jimmy Carter und Pierre Trudeau von Bedeutung, im Rahmen wirksamer Sicherungsmaßnahmen weiterhin zuverlässige Lieferanten von Kernbrennstoffen für Italien, Japan sowie Frankreich und uns, die wir darauf angewiesen sind, sein zu wollen. Es gibt seitdem im Ablauf, im Vollzug der Verträge, die wir geschlossen haben, in der Tat keine Störungen mehr.
Wir haben eine gemeinsame Absage an den Handelsprotektionismus und den erklärten Willen der Konferenzteilnehmer erreicht, die GATT-Verhandlungen bis zum Jahresende abzuschließen. Auch letzteres ist für uns von ganz großer Bedeutung, für ein Land, das fast 30 % seiner Produkte und Dienstleistungen für den Weltmarkt, für ausländische Märkte produziert, dessen Beschäftigung zu mehr als einem Viertel davon abhängt, daß wir unsere Produkte und Dienstleistungen im Ausland auch wirklich verkaufen können und nicht nur verkaufen, sondern mit Gewinn verkaufen können.
Ich hatte gute Gründe, mich vor diesem Treffen zu einer Steuerdiskussion, die damals in Gang gekommen war, nicht im Vorwege zu äußern, und zwar deshalb, weil ich für meine Person entschlos8200
sen war, deutsche Zugeständnisse nur dann zu machen, wenn auch andere Staaten die von uns für notwendig gehaltenen Zugeständnisse machen würden, und weil ich es für bedenklich gehalten habe, daß ein Teil der öffentlichen ,Diskutierer deutsche Zugeständnisse an die Adresse von Verhandlungspartnern bereits vorweg servierte.
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Wir haben auf diesem Treffen gleichzeitig sehr deutlich gemacht, daß die Ergiebigkeit der deutschen Sparrate oder die Ergiebigkeit der deutschen Kapitalmärkte - das ist mit einem anderen Ausdruck dasselbe - nicht unbegrenzt ist, daß wir nicht ein Land sind, das sich irgendwo auf den Euromärkten Anleihen für seine öffentlichen Haushalte holen darf - verfassungsrechtlich dürfen wir das natürlich, aber aus unserer Verantwortung für den Gesamtzusammenhang der Wirtschaft der Welt dürfen wir das nicht -, daß wir uns also hinsichtlich der Ausweitung unserer Kreditaufnahmen nach der voraussichtlichen Absorptionsfähigkeit unseres eigenen Kapitalmarktes richten müssen. Wir haben - das ganze Kabinett und eine große Zahl von Abgeordneten der beiden Koalitionsfraktionen - darüber dann anschließend mit der Bundesbank hin und her analysiert, durchüberlegt und geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen - an Hand der Erfahrungen, die wir in den Jahren 1977 und 1978 gemacht haben, auch an Hand der Erfahrungen, die wir mit einigen Ländern und Gemeinden gemacht haben, die ihrerseits ihre beabsichtigten Investitionen nicht wirklich alle vorgenommen und infolgedessen auch ihre beabsichtigten Kreditaufnahmen nicht tatsächlich ausgeführt haben -, daß die von Herrn Matthöfer Ihnen gestern vorgetragenen Zahlen innerhalb der Grenzen liegen, die der Kapitalmarkt verdauen kann.
Wir haben - Herr Strauß hat das gelobt - auf zusätzliche Staatsausgaben, die in den Baumarkt fließen würden, verzichtet, weil im Baumarkt kaum noch Kapazitäten frei sind - dort gibt es mehr offene Stellen als Arbeitskräfteangebot - und weil das im Baumarkt nur zu einer Preissteigerung geführt haben würde, die wir nicht gebrauchen können.
Einschließlich und bei Einrechnung der vorgesehenen Mehrwertsteuererhöhung ab nächsten Sommer sind es insgesamt bedeutende Entlastungen für den Steuerzahler, die hier herauskommen. Dabei wird durch die Beseitigung der „Eigernordwand", wie mein Freund Wehner es genannt hat, durch die Beseitigung des Sprunges aus der Zone proportionaler Lohnbesteuerung oder Einkommensbesteuerung in die Progression, in die steil ansteigende zunehmende Besteuerung,
({23})
wird ein Element des Steuertarifs beseitigt, das von Jahr zu Jahr mehr Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen getroffen und mit Recht verdrossen hat. Flankierend wird der Grundbetrag noch einmal angehoben. Ich wiederhole das hier, weil, wenn man der Rede des Abgeordneten Strauß zugehört hat, der Eindruck entstehen mußte, dies sei alles gar
nichts in Wirklichkeit. Es ist aber eine gewaltige Veränderung der deutschen steuertariflichen Landschaft!
({24})
Weil man sonst den Eindruck gewinnen könnte, als sei es nichts, daß ab 1. Januar 1979 das Kindergeld für dritte, vierte und fünfte Kinder auf fast 200 DM monatlich netto angehoben wird. Ich hätte es nur gern, wenn die klugen Herren Finanzminister der Länder es uns damals ermöglicht hätten, das Kindergeld von der Steuerschuld abzuziehen und auf dem Lohnstreifen in Erscheinung treten zu lassen.
({25})
Aus der Rede des Abgeordneten Strauß müßte weiter der Eindruck entstehen, als sei es nichts, daß hier mit staatlicher Finanzierung der Mutterschaftsurlaub um vier weitere auf insgesamt sechs Monate ausgedehnt wird, und als sei die Absenkung der Altersgrenze für Schwerbehinderte nicht Ihrer Rede wert, Herr Abgeordneter Strauß.
({26})
Es entstand der Eindruck, als sei es Ihrer Rede nicht wert - Sie haben über anderthalb Stunden gesprochen -, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir durch die Übernahme in den Bundeshaushalt z. B. vermeiden, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen, was wir angesichts der Finanzlage dort eigentlich müßten.
Dann kommt das Thema Gewerbeertragsteuer und das Thema Lohnsummensteuer. Das ist das einzige, was Sie aus dem ganzen Paket herausgegriffen und worüber Sie geredet haben.
({27})
Bei Ihrer Abschaffung aller Gewerbesteuerarten - ich will hier nicht verfassungsrechtlich argumentieren - müssen Sie sehen: Wenn Sie die Gemeinden und die Städte nur an den großen Gemeinschaftssteuern originär beteiligen und sie nur daraus alimentieren - das wäre durchaus denkbar, und darüber könnte man, mit mir jedenfalls, durchaus reden, und wir müssen ja jedenfalls teilweise in die Richtung gehen, wenn wir einen Ausgleich für die Abschaffung der Lohnsummensteuer schaffen wollen -, dann würden sich in den Gemeinden auf die Dauer diejenigen durchsetzen, die sagen: Die Fabrik will ich nicht in meiner Gemeinde, die stinkt. Oder: Jenes Unternehmen will ich nicht in meiner Gemeinde, das macht Krach. Das dritte Unternehmen will ich bei mir nicht haben, da es dann notwendig wird, Parkplätze anzulegen und möglicherweise eine zusätzliche Schule einzurichten. Das soll jemand anders machen! Es muß bei dieser Tendenz, bei dieser Übertreibung, am liebsten nur noch Lebensqualität und überhaupt keine Industrie mehr haben zu wollen, ein echtes Eigeninteresse der Gemeinde, nämlich über die Gewerbesteuer, an der Ansiedlung leistungsfähiger Betriebe erhalten bleiben.
({28})
Wir sehen im übrigen, daß die ökonomischen Maßnahmen des letzten Jahres nun in diesem Jahre 1978, schon ehe die heute debattierten Gesetzentwürfe in Geltung sind - sie werden erst am 1. Januar 1979 in Geltung sein -, das konjunkturelle Klima positiv beeinflussen. Die Bundesbank hat es in ihrem letzten Monatsbericht gesagt; die Arbeitslosigkeitsziffern, etwa des Monats September, werden es erneut zeigen.
Aber ich denke, Sie können mit dem verbalen Trick, den Sie vorgetragen haben, nicht aus dem von Ihnen selbst geschilderten Dilemma heraus, Herr Strauß, daß Sie in ein und derselben Fraktion, in ein und derselben Rede gleichzeitig fordern, die Steuern sollten noch mehr gesenkt werden und der Staat solle sich zugleich weniger verschulden, als wir es tun. Das ist doch unsinnig.
({29})
Mit dem stärksten rhetorischen Feuerwerk können Sie es nicht übertönen, daß hier ein Bruch in der Logik ist, der eines ehemaligen und damals nicht schlechten Finanzministers wirklich nicht würdig ist.
({30})
Ich gehe davon aus, daß dieses ganze Paket mit einigen Änderungen hier oder da, wie es dem Bundestag und dem Bundesrat ja auch angemessen ist, alles sorgfältig zu prüfen und zu verbessern, rechtzeitig zum 1. Januar im Gesetzblatt steht.
Ich möchte eine Bemerkung außenpolitischer Art machen dürfen, Herr Strauß hat sich der Außenpolitik ja genähert. Ich komme damit auf ein anderes Kapitel.
({31})
- Die Mehrwertsteuer hatte ich erwähnt, Herr Kollege Zimmermann, und habe gesagt: eingerechnet die Erhöhung der Mehrwertsteuer vom 1. Juli nächsten Jahres an.
({32})
- Dadurch machen wir keinen Strich. Wenn Sie glauben da einen Strich durchmachen zu können, Herr Kollege, dann irren Sie sich, was die Entschlossenheit dieser Bundesregierung angeht.
({33})
Sie können doch nicht auf der einen Seite so tun, wie gerade Sie, Herr Katzer, es tun, als ob wir Leute wären, die allen von jedem das Beste versprechen und es nicht halten können.
({34})
Andererseits müssen wir darauf aufmerksam machen, daß es sich der Staat nicht leisten kann, den Kapitalmarkt um 40 oder 45 Milliarden DM für den Bund oder um 65 oder 70 Milliarden DM für den Gesamtstaat in Anspruch zu nehmen, daß er infolgedessen an einer anderen Stelle in der Tat für einen kleinen teilweisen Ausgleich durch mehr Steuereinnahmen sorgen muß.
Ich bin im übrigen erstaunt, daß Herr Strauß das, was er im Laufe des Sommers in Interviews über seine Bereitschaft zur Erhöhung der Mehrwertsteuer gesagt hat, hier heute nicht. wiederholt hat.
({35})
- Ich setze mich ja mit Herrn Strauß auseinander und nicht mit seinen Stellvertretern. Er ist für mich hier einstweilen immer noch wichtiger.
({36})
Ich möchte eine Bemerkung zur Außenpolitik machen.
({37})
Die Bundesregierung und die ganze Bundesrepublik haben ebenso wie ihre europäischen Partner ein vitales eigenes Interesse an einer gerechten und dauerhaften Lösung des Nahostkonflikts. Wir haben daher gemeinsam mit den übrigen Regierungen der Europäischen Gemeinschaft den Prozeß der Friedenssuche im Nahen Osten begrüßt, der mit der in die Geschichte eingehenden Reise Sadats nach Jerusalem und seiner Begegnung mit Begin vor einem Jahr eingeleitet worden ist. Das entscheidende Ergebnis der fast zweiwöchigen Verhandlungen in Camp David liegt darin, daß dieser Prozeß, der damals in Jerusalem eingeleitet wurde, weitergehen kann.
Die neun Außenminister der Europäischen Gemeinschaft haben vorgestern Präsident Carter zu dem Mut, mit dem er dieses Treffen in die Wege geleitet hat, und dazu beglückwünscht, daß er es zu einem erfolgreichen Ende gebracht hat. Wir haben Präsident Sadat und Premierminister Begin unsere Anerkennung für ihre großen Anstrengungen zum Ausdruck gebracht. Ich möchte diese Glückwünsche und diese Anerkennung, für die Bundesregierung sprechend, hier ausdrücklich öffentlich wiederholen.
({38})
Wir hoffen, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, daß auch die übrigen Konfliktparteien in der Region dort imstande sein werden, sich an dem Verhandlungsprozeß zu beteiligen, damit eine umfassende Friedensregelung erreicht werden kann. Wir unterstützen die gegenwärtigen Bemühungen der amerikanischen Regierung, in direkten Gesprächen zu erreichen, daß sich auch jene arabischen Regierungen, die in Camp David nicht vertreten waren, an den Verhandlungen beteiligen können. Wir stellen auf der Grundlage der Erklärung des Europäischen Rats vom Juni des vorigen Sommers unsere guten Beziehungen zu allen Parteien des Nahostkonflikts in den Dienst der Friedensbemühungen. Dazu gehört offenkundig die Wiederherstellung der Einheit des arabischen Lagers, dazu gehört die Verpflichtung der Konfliktparteien, auch für das Westjordanland und für Gaza eine den Ent8202
schließungen 242 und 338 entsprechende Lösung zu vereinbaren. Wir werden uns ebenso wie unsere europäischen Partner an den jetzt notwendigen internationalen Erörterungen beteiligen und unsere guten Beziehungen zu allen Parteien des Konflikts und zu anderen Staaten der nahöstlichen Region in den Dienst der Suche nach einer Friedensregelung stellen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die intensiven Konsultationen mit der Regierung Saudi-Arabiens hervorheben. Wir hatten in diesem Sommer Gelegenheit, mit Kronprinz Fand und seitdem noch zweimal mit dem saudiarabischen Außenminister zu sprechen. Diese Gespräche haben den Eindruck bestätigt, daß Saudi-Arabien nicht nur eine wichtige, sondern auch eine überaus verantwortungsbewußte Rolle im Nahen Osten spielt.
Wir sehen in diesem Rahmen auch den Staatsbesuch des syrischen Präsidenten Hafes el Assad, der vom 11. bis 15. dieses Monats unser Gast gewesen ist. Die Gelegenheit, in ausführlichen Gesprächen mit Assad, seinem Außenminister Chad-dam und anderen begleitenden Ministern gegenseitige Positionen besser kennenzulernen und auch einige wichtige Klarstellungen zur syrischen Politik zu erhalten, war uns um so wichtiger, als eine dauerhafte und umfassende Lösung des Nahostkonflikts ohne syrische Beteiligung nicht vorstellbar erscheint.
Bedeutsam war die öffentliche Bestätigung, daß auch Syrien weiterhin - wie schon bisher - eine auf den Sicherheitsratsresolutionen 338 und 242 aufbauende Verhandlungslösung anstrebt. Wichtig ist auch die positive Würdigung der gemeinsamen europäischen Nahostpolitik durch Präsident Assad, die ja auch das Recht Israels anerkennt, im Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben. Ich hoffe, daß unsere positive Einschätzung der Sadat-Initiative und des Camp-David-Treffens ihren Eindruck auf unsere syrischen Gesprächspartner gemacht hat.
Wir haben uns in den Gesprächen für eine rasche politische Lösung des Konflikts im Libanon eingesetzt und unsere Besorgnis über das andauernde Blutvergießen deutlich zum Ausdruck gebracht. Syrien hat uns bei jener Gelegenheit die öffentliche Zusicherung gegeben, daß es keineswegs eine Annexion des Libanon beabsichtige und daß die syrischen Truppen zurückgezogen werden, sobald die libanesische Regierung es verlangt. Das Ziel syrischer Politik sei unverändert die Bewahrung der Einheit, der Souveränität und der Unabhängigkeit des Libanon.
Ich dachte, ich sei es dem Bundestag schuldig, auch bei aller Polemik der Auseinandersetzung zu diesem weltpolitisch höchst wichtigen Punkte diese Bemerkung von Amts wegen hier einzuführen.
({39})
Auf andere Felder der Außenpolitik übergehend, will ich nur mit einem Wort sagen, daß in der Deutschlandpolitik die gegenwärtigen Verhandlungen mit der DDR, wie mir scheint, einerseits sehr schwierig sind, wie fast alles Schwierig ist, was wir
mit unseren deutschen Nachbarn gemeinsam zustande zu bringen haben, und im Endergebnis auch Geld kosten werden. Andererseits glaube ich absehen zu können, daß sie im Laufe dieses Herbstes zu einem positiven Ergebnis gebracht werden können. Es gibt vieles im Verhältnis zur Deutschen Demokratischen Republik, was uns stört, und sicherlich auch vieles, was die Leute drüben stört. Es gibt vieles tief drinnen, über das man nicht jeden Tag reden muß. Es gibt aber eben auch die Möglichkeit - und wir nutzen sie -, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten hier in der Mitte Europas gelassener werden zu lassen, als es das in den letzten Jahren war.
({40})
- Ich verstehe die Zwischenrufe nicht.
({41})
- Ich gebe Ihnen recht. Ich habe das Wort deswegen so betont, weil mir die aufgeregten provinzialistischen Redensarten und Schreibereien Sorgen machen, die ich aus Ihrer Feder immer wieder lesen muß.
({42})
Wenn die Bundesregierung gegenüber Nachbarstaaten nur 10 °/o der Sprache benutzen würde, wie sie z. B. heute von Herrn Strauß gegenüber Nachbarstaaten benutzt worden ist, würde ich glauben, Herr Strauß, daß Sie mich in Zukunft nicht mehr als Feldwebel, sondern als Stabsfeldwebel abqualifizieren würden.
({43})
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Wort über die andauernden SALT-Verhandlungen sagen, die sich nach meinem Urteil gegenwärtig in der Schlußphase befinden. Wir müssen nicht wiederholen, daß wir einen erfolgreichen Abschluß dieser SALT-2-Verhandlungen wünschen, weil wir ihn als ein wesentliches Element des Entspannungsprozesses ansehen.
Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Problem der sogenannten Grauzonenwaffen gefunden. Diese nuklearen Waffen mittlerer Reichweiten - Raketen, Flugzeuge - haben für uns Europäer strategische Bedeutung, auch wenn sie nicht über den Pol herüberreichen. Sie haben in .Europa dieselbe Zerstörungswirkung wie interkontinentale Raketen für die beiden Weltmächte. Wir haben ein starkes Interesse - das sage ich im Zusammenhang mit SALT 2 - daran, daß das Ungleichgewichtigkeitsproblem auf dem Feld dieser Zerstörungswaffen mittlerer Reichweite erkannt und gelöst werde. Wir haben ein dringendes Interesse an
seiner Erörterung.
Ich darf allerdings auch sagen, daß meine in diesem Feld wiederholt geäußerten Besorgnisse auf
Verständnis gestoßen sind, sowohl in den Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter hier in Bonn und schon ein Jahr vorher in Washington, zu denen sich nun intensive gemeinsame Erörterungen auch mit anderen Verbündeten über diese Fragen ergeben haben, als auch gelegentlich des Besuchs des sowjetischen Generalsekretärs Breschnew im Mai dieses Jahres hier in Bonn, der damals ausdrücklich erklärt hat, daß bei Rüstungskontrollgesprächen zwischen Ost und West kein Bereich ausgeklammert werden soll.
Die Entwicklung der MBFR-Verhandlungen in diesem Jahr erlaubt die Bewertung, daß die Verhandlungen vorankommen, daß sie in diesem Jahr schon vorangekommen sind und daß sie weiter vorankommen können.
({44})
Im April hat das westliche Bündnis unter initiativer Beteiligung unseres Landes die Verhandlungsinitiative ergriffen. Beim Besuch des Generalsekretärs Breschnew im Mai konnte ein wichtiges Element des Sicherheitsbegriffs mit der Sowjetunion einvernehmlich geklärt werden.
({45})
Anfang Juni hat dann der Warschauer Pakt in Wien neue Vorschläge auf den Tisch gelegt, die sich dem konzeptionellen Rahmen der westlichen Vorstellungen annähern.
({46})
Die andere Seite hat verstanden, welche sicherheitspolitische Bedeutung die von uns vertretenen Prinzipien der Parität und der Kollektivität haben. Es gilt jetzt, diese Grundsätze in ein konkretes Verhandlungsergebnis umzusetzen.
({47})
- Ich freue mich über Ihre Zustimmung. Man muß mit gesprochenen Worten anfangen, wenn man mit geschriebenen und verbrieften Worten enden will, Herr Kollege.
({48})
Ich habe keinen Zweifel, daß das nach wie vor nicht einfach sein wird. Wir bereiten uns jetzt darauf vor, den sich hier abzeichnenden Verhandlungsspielraum zu nutzen, um Punkt für Punkt alle offenen Fragen zu erörtern. Bei unseren Partnern in Brüssel zeichnet sich ein breiter Konsens zur Bewertung der Verhandlungslage und zum weiteren Vorgehen ab. Ich fühle mich in meiner persönlichen Vorstellung bestätigt, daß auf diesem sicher sehr schwierigen Gebiet auch in diesem Herbst und im Winter Verhandlungsfortschritte möglich sind. Ich füge hinzu: Solche Fortschritte im Rüstungskontrollbereich sind allerdings ein unverzichtbares Element für die Fortsetzung des Entspannungsprozesses.
Ich will in diesem Zusammenhang eines offen sagen. Es ist das gute Recht von jedermann, außenpolitische, sicherheitspolitische, verteidigungspolitische, rüstungskontrollpolitische, allianzpolitische Vorstellungen öffentlich kontrovers vorzutragen. Aber ich kann dem Abgeordneten Zimmermann nicht folgen, der jüngst - ich habe es gestern abend gelesen, Herr Zimmermann - in einem längeren Aufsatz, gegen den ich sonst nicht polemisieren will - ich will auch nicht gegen diesen einen Satz polemisieren -, geschrieben hat:
Die derzeitige Bundesregierung ist nicht willens oder nicht in der Lage, die -gemeinsamen Interessen, die uns mit der chinesischen Volksrepublik verbinden, für unsere Sicherheit auszunutzen.
({49})
Ich halte das, abgesehen davon, daß ich Ihnen nicht übelnehme, daß Sie sich in einem Zeitungsaufsatz kurzfassen und nicht sehr differenziert ausdrücken, für eine gefährliche, kurzschlüssige Logik, die in diesem Satz steckt.
({50})
Jedenfalls sollte dieses Haus wissen: Das Atlantische Bündnis ist nicht der Meinung, daß die Sicherheit der im Atlantischen Bündnis vereinigten Partner unter Ausnutzung gemeinsamer Interessen mit der Finniandisierung Europas
kann.
({51})
Es ist Ihr Recht, Herr Abgeordneter, so zu schreiben. Ich halte Sie deswegen nicht für jemanden, der, wie Herr Strauß es über Herrn Bahr gesagt hat, des politischen Verrats verdächtig ist.
({52})
Ich halte es nicht für gerechtfertigt, Sie so zu beschuldigen. Ich sage nur ganz schlicht: Ich halte dies für falsch, und ich bin froh darüber, daß das Bündnis diese Ihre Ansicht nicht teilt.
({53})
Es tut mir leid, daß der Abgeordnete Strauß im Zusammenhang mit den Themen der Sicherheit Europas und der Sicherheit der westlichen Welt abermals das Herrn Brzezinski zugeschriebene Stichwort von der Finniandisierung Europas
({54})
- Selbstfinnlandisierung - gebraucht hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal gesagt habe: Ich finde, wer immer das Wort in den Mund nimmt - das schließt amerikanische Partner ein, die es vielleicht, ich weiß es nicht, in den Mund genommen haben sollten -, der beleidigt das finnische Volk, das in einer schwierigen Lage das Beste aus seiner Lage macht.
({55})
Hier wird einem Volk und einem Staat, für dessen Leistung ich große Hochachtung empfinde,
({56})
auch für dessen diplomatische Leistung ungeachtet schwieriger innenpolitischer Verhältnisse, einem Nachbarstaat, mit dem wir befreundet sind, bitteres Unrecht angetan mit dem dauernden Gebrauch dieser Vokabel.
({57})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, können Sie dem Hause bestätigen, daß das Wort „Finnlandisierung" von Ihrem Parteifreund Professor Richard Löwenthal vor einigen Jahren geprägt worden ist?
Ich kann es nicht bestätigen; ich weiß davon nichts. Aber ich wiederhole, wenn Ihnen das als Antwort reicht: Wer auch immer es benutzt, sei es in Amerika, sei es in Deutschland, der beleidigt unsere finnischen Nachbarn.
({0})
Die Unionsparteien oder einige ihrer Sprecher - ich habe durchaus bemerkt, daß sich einige hervorragende Personen völlig frei gehalten haben von der Beteiligung an diesen Manövern - haben im Laufe der letzten Wochen - und das ist dann auch heute morgen dem Sinne nach bei Herrn Strauß wieder vorgekommen - die Frage aufgeworfen, Herr Kohl hat sich da besonders hervorgetan, ob etwa in der Bundesregierung eine Änderung der Außen- oder Sicherheitspolitik beabsichtigt sei. Herr Kohl hat gesagt, die Weltöffentlichkeit sei irritiert. - Die Weltöffentlichkeit hat Sie noch gar nicht zur Kenntnis genommen, Herr Kohl!
({1})
Solche Rede und solche Schreibe ist genau das, was Herr Strauß gesagt hat: Vergiftung des politischen Klimas.
({2})
Da wird Sozialdemokraten oder gar der Bundesregierung vorgeworfen, sie seien dabei, eine alternative Strategie der Außenpolitik zu entwickeln. Herr Strauß hat gesagt: Wenn die so stark ist, daß sie die Mehrheit hat, dann wird sie die Führung übernehmen, und dann wird die gegenwärtige Außenpolitik der Bundesregierung beiseite' geschoben werden. Wissen Sie, das ist doch nichts anderes als die Umkehrung der Argumentation der französischen Kommunisten; die beschuldigen diese Bundesregierung, daß sie nichts anderes sei als der Agent des amerikanischen Imperialismus. Sie machen es umgekehrt, und beide sind sie an der Wahrheit um 100 % vorbei, beide lügen sie.
({3})
Wir stehen nicht für die Interessen eines anderen großen Staates. Wir stehen für die Interessen unseres Staates, unseres Volkes und darüber hinaus für die Interessen der deutschen Nation. Dafür suchen wir Freunde in der Welt.
({4})
Dafür suchen wir Freunde und Partner. Es ist uns im Laufe der letzten zehn Jahre gelungen, ein paar zusätzliche Partner zu finden und ein paar mehr Freundschaften zu schließen, als wir vorgefunden haben, als wir die Regierung übernahmen.
Daß Führer der Opposition z. B. auch in der anderen großen Hauptstadt empfangen werden oder mit dem Chef der anderen Großmacht hier in Bonn so reden und anschließend im Parlament so darüber berichten, wie es Herr Strauß vor der Sommerpause getan hat, das halte ich für einen Fortschritt.
({5})
- Lieber Herr Marx, es ist nur ein ganz kleines Zeichen des Fortschritts, an dem wir uns als sozialliberale Koalition insgesamt allerdings einen erheblichen Teil des Verdienstes zurechnen.
({6})
Was nun diesen Herrn Pampa angeht, Herr Strauß: Ich an Ihrer Stelle würde Spione und auch übergelaufene Spione nicht mit der Zuckerzange anfassen wollen. Ich habe den Eindruck, diese von einigen der Ihren - nicht von allen - und von einigen Zeitungen, zumal hier in Bonn, mit Eifer betriebene Affäre ist, soweit sie die Bundesrepublik Deutschland angeht, offensichtlich ein Rohrkrepierer. Ich gehe davon aus, daß nach dem Abschluß der Ermittlungen die zuständigen Stellen, die solche Feststellungen zu treffen haben, diese in anderen Worten, in verwaltungsförmigerem Deutsch, dann auch feststellen werden.
({7})
- Beschließen muß jeder, dem ein Verdacht angezeigt wird, Herr Kollege.
Es könnte sein, daß auch Sie davon wissen, daß vielfältig auf Menschen Verdacht fällt, bei denen hinterher von den Verdächtigen nichts nachbleibt.
({8})
Das könnte passieren. Es passiert offenbar auch, daß auf Menschen Verdacht geworfen wird, um sie zu schädigen.
({9})
In diesem Fall war es wohl so, daß jemand, der übergelaufen ist, seinen Wert, auch seinen finanziellen Wert, im Westen zu steigern sich bemüht hat.
({10})
Ich halte es hier - das darf ich dem Zwischenrufer von vorhin sagen - mit einer Bemerkung des
Herrn Robert Leicht in der „Süddeutschen Zeitung" - das ist ungefähr 14 Tage her -, wo steht:
Ist es schon ein ziemliches Bubenstück, jemanden ohne seriösen Anhaltspunkt zu verdächtigen, so gehört doch einige Unverfrorenheit dazu, ihm nachher auch noch vorzuhalten, es sei ihm nicht gelungen, zu beweisen, daß er etwas nicht getan habe.
({11})
In Klammern schreibt Herr Robert Leicht dahinter:
Diese Art der Rufschädigung entspricht der hinterlistigen Frage, ob man etwa aufgehört habe, seine Frau zu verprügeln.
Dann fährt er fort:
Wie soll jemand darauf antworten, der seine Frau nie verprügelt hat?
Weiter sagt er:
Just von dieser Qualität ist aber die Behauptung des CDU-Sprechers, Egon Bahr sei es bis heute nicht gelungen, den Verdacht auszuräumen, er betreibe Außenpolitik auf eigene Faust - und in welche Zielrichtung, das darf sich jeder denken.
({12})
Dies ist alles ganz unpolemisch, aber es ist alles ganz zutreffend, meine Damen und Herren.
({13})
Herr Bahr ist vor einem Jahrzehnt im Auswärtigen Amt als Leiter des Planungsstabes tätig gewesen, und da war ja einiges neu zu planen. Wir konnten ja mit der Hallstein-Doktrin nicht bis in die 70er und die 80er Jahre weitermachen, meine Damen und Herren!
({14})
Da war also einiges neu zu überlegen. - Da ist er im Planungsstab tätig gewesen und hat langfristige Entwicklungsmöglichkeiten aller Art für Europa und für Deutschland mit anderen durchdebattiert und auch zu Papier gebracht. Darüber ist auch mit anderen außerhalb Deutschlands gesprochen worden, etwa mit Amerikanern, was übrigens nicht darauf schließen läßt, daß Herr Bahr ein ausgesprochen gestörtes Verhältnis zu Amerikanern hätte. Er selber hat ja das, was Sie heute immer wieder hochziehen, als eine von mehreren Denkmöglichkeiten einem Amerikaner gegenüber erstmalig ausgebreitet.
Heute, neun Jahre später, tut die Opposition so, als ob das etwas mit dem Überläufer Pacepa zu tun hätte, tut so, als ob es etwas Neues sei. Herr Kohl wirft die Frage auf, ob es eine Änderung der Außen- und Sicherheitspolitik gebe. Herr Kohl, wieviel verstehen Sie eigentlich von uns? Wieviel verstehen Sie eigentlich von uns?
({15})
Sie wollen doch nichts anderes als herabsetzen und verdächtigen, weil Sie von der Sache selber nicht genug wissen!
({16})
Vielleicht darf ich auf diesem Punkte noch ein bißchen beharren. Es ist ja nicht das Privileg von Bahr und von Planungsstäben in den Außen- und Verteidigungsministerien der ganzen westlichen Welt, über denkbare zukünftige Entwicklungen nachzudenken; es gehört dies zu ihrer Pflicht und zur Pflicht verantwortlicher Politiker überhaupt.
({17})
- Nein, nicht die Unwahrheit. - Ich will Ihnen einen sehr verantwortlichen Politiker Ihrer eigenen Partei zitieren, der ebenfalls über die Zukunft nachgedacht hat. Das war Bundeskanzler Konrad Adenauer, der hier, von diesem Pult sprechend, 1960, also noch acht Jahre früher als Egon Bahr, folgendes gesagt hat: - Sie können es im Protokoll des Bundestages nachlesen Wenn wir eines Tages zu einer Verständigung auch mit Sowjetrußland kommen - und ich hoffe, daß wir dies mit viel Geduld erreichen werden-, dann werden Warschauer Pakt und NATO der Vergangenheit angehören. Das müssen Sie sich doch einmal klarmachen.
({18})
Das sind doch keine Ewigkeitsinstitutionen. Aber jetzt haben wir die NATO nötig, und deswegen sind wir ihr beigetreten.
Ich kann das alles unterschreiben. Das war acht Jahre vor Bahr. Gesagt hat das der Mann, von dem Sie, Herr Kohl, sich immer rühmen, Sie seien sein Nachfolger. Mein Gott, was für ein Nachfolger! Mein Gott!
({19})
Dieser Mann hat genau dasselbe getan, was wir alle tun müssen, nämlich über die Zukunft nachzudenken. Ich respektiere Beweise eigenen Nachdenkens. Ich habe auch gegen Herrn Zimmermann vorhin nicht polemisiert, obwohl ich seine Meinung nicht teilen kann. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Kohl, jemandes Meinung nicht teilen können, ist das prima, ist das in Ordnung; daraus entsteht ja möglicherweise eine Synthese. Aber warum müssen Sie ihn als Person verdächtigen?
({20})
Herr Strauß hat hier eine große Rede gegen die Konflikttheorien an unseren Ausbildungsstätten und Schulen gehalten. Sie vergessen übrigens, daß die meisten Schulen unter der Aufsicht von schwarzen, von christdemokratischen Schulministern stehen, Herr Strauß.
({21})
8206 Deutscher Bundestag - 8 Wahlperiode - 104. Sitzung. florin, Donnerstag, den 21. September 1978
Wenn das mit der Vermeidung der Übertreibung der Konflikte ernst gemeint ist - ({22})
- „Schwarz" ist ja noch keine Beleidigung, Herr Strauß!
({23})
- Nein, nein, ihr teilt euch ja auf in Schwarze und Blaue, und Sie gehören zu den Schwarzen, und mit dem Wort will ich Sie nicht beleidigen, nicht mit diesem Wort, Herr Strauß!
({24})
Aber zurück zu Ihren Konflikten, Herr Strauß: Wenn Sie hier heute morgen mit Recht gesagt haben, daß Sie ein Übermaß an Schürung von Konflikten verurteilen - so habe ich Sie verstanden -, dann darf es, finde ich, nicht geschehen, daß in Ihrem Namen geschrieben wird, die Bundesregierung habe „der Regierung in Washington mit Methoden hart an der Grenze der Erpressung die Erklärung abgenötigt", daß ihr keinerlei Hinweise, aus welcher Quelle auch immer, über das vorliegen, was Sie Herrn Bahr vorwerfen möchten. Dann dürfte in Ihrem Namen nicht geschrieben werden, daß „die Bundesregierung der Regierung Carter einen offenen Streit in dieser Sache und eine abgrundtiefe Trübung der deutsch-amerikanischen Beziehungen in Aussicht gestellt" habe, "wenn Washington nicht offiziell eine Rehabilitierung des ersten Funktionärs der Bonner Regierungspartei SPD vornehme". Dann dürfte in Ihrem Namen nicht gedruckt werden, daß „die Bundesregierung und die SPD bei ihrer Pression auf Carter rücksichtslos dessen innenpolitische Schwäche und dessen außenpolitische Schwierigkeiten ausnutze". Was sind das für sprachliche Elemente, Herr Strauß, in der von Ihnen jede Woche gedruckten Zeitung „Bayernkurier"?
({25})
Mir ist ganz klar, wo das herkommt. Wenn es jemanden gibt, der als einzelner den größten Beitrag zur Steigerung des innenpolitischen Konflikts, zur Verschärfung der Auseinandersetzung geleistet hat, dann war es derjenige, der heute vor vier Jahren gesagt hat: „Man muß eben immer die anderen identifizieren damit, daß sie den Sozialismus und die Unfreiheit repräsentieren und daß ihre Politik auf die Hegemonie der Sowjetunion über Westeuropa hinausläuft." Das ist allerdings Originalton Strauß in Sonthofen. Das ist das Rezept.
({26})
Herr Kohl hat sich lange gesträubt. Inzwischen hat er sich dem Rezept unterworfen.
({27})
Der Herr Biedenkopf hat recht, daß die außenpolitischen Positionen der CDU im Ausland so gut wie unbekannt seien. Das wäre nicht so schlimm; schlimmer ist es, daß sie nicht nur im Ausland unbekannt sind, Herr Biedenkopf, sondern auch hier im Inland. Wir hören nur Polemik. Das ist schon sehr viel schlimmer.
Schlimm ist auch, daß wir die nationale Trompete aus ihren Reihen meistens dann hören, wenn es gegen Osten geht, und die europäische Trompete nur dann hören, wenn es sich um Westeuropa handelt.
({28})
Aber auch das ist ja halbherzig! Siehe Ihre Bemerkung zum Währungssystem, auf die ich in der Auseinandersetzung mit Ihren Ausführungen, Herr Kollege Strauß, eingehen möchte. Um Sie politisch einzubetten, möchte ich zunächst auf eines hinweisen: Die sozialliberale Koalition hat auf manchen Feldern außenpolitische Entwicklungslinien vorgefunden, sie übernommen und sie fortgesetzt, erfolgreich fortgesetzt. Andere hat sie selber geschaffen und zu einem erheblichen Erfolge geführt, wie z. B. die Entspannungs- und Vertragspolitik gegenüber unseren östlichen Nachbarn. Zu den erfolgreich fortgesetzten, vorgefundenen Linien gehört die Pflege des partnerschaftlichen, des freundschaftlichen Verhältnisses zu Frankreich. Diese Beziehungen zwischen Franzosen und Deutschen haben nach 15 Jahren des Vertrages, den Adenauer und de Gaulle seinerzeit herbeigeführt haben, einen Stand erreicht, auch ein Klima geschaffen, die man schon als fest begründet, als dauerhaft bezeichnen darf. Das ist eine Sache, die mich persönlich sehr beglückt, weil für mich dabei auch persönliche Freundschaft im Spiel ist. Ich hoffe sehr, daß wir dies eines Tages auch in andere Hände weitergeben - oder vielleicht sogar, man darf es nicht ausschließen, zurückgeben können in Ihre Hände - als ein verpflichtendes Erbe, das es weiterzuführen gilt.
Ebenso ist es mit der europäischen Integration. Sie sollten sich bei Ihrer Polemik gegenüber gemeinsamer Währungspolitik mit Frankreich und mit anderen europäischen Partnern der geschichtlichen Qualität des Rahmens bewußt sein, innerhalb dessen Sie polemisieren. Es geht darum, den Gemeinsamen Markt, der 1957 unter der Voraussetzung fester Währungsbeziehungen zwischen Italienern und Luxemburgern und Holländern und Deutschen und Franzosen und Belgiern - die Dänen gehörten noch nicht dazu - geschaffen wurde, nicht degenerieren zu lassen.
Kein Mensch hat sich bei all den Gemeinsamkeitseinrichtungen, die im Römischen Vertragswerk vorgesehen und inzwischen auch schrittweise verwirklicht worden sind - nicht alle sind bisher verwirklicht worden -, jemals vorgestellt, daß wir in eine solche Zerrissenheit des Währungssystems kommen würden.
Ein Gemeinsamer Markt ohne feste, für jeden Teilnehmer zuverlässige Währungs- und Geldverhältnisse ist auf die Dauer nicht haltbar. Wenn aber der Gemeinsame Markt nicht hält, dann hält die Europäische Gemeinschaft nicht; wenn die Europäische
Gemeinschaft nicht hält, fehlt eine der beiden Säulen - nämlich hier Bündnis und dort Europäische Gemeinschaft -, auf der die ganze deutsche Entspannungspolitik ruht.
({29})
Für uns Deutsche, die wir das nationale Ziel verfolgen, eines Tages doch alle deutschen Menschen wieder unter einem Dach zusammen zu haben, ist es noch gefährlicher als für alle anderen Europäer, wenn die Europäische Gemeinschaft degenerierte und eines Tages zugrunde ginge.
Da es doch einmal so ist, daß uns andere für gegenwärtig wirtschaftlich stärker halten als sich selbst, haben wir mit Hilfe dieser wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, über die wir verfügen, auch etwas für die Gemeinschaft zu leisten. Wir werden auf die Dauer das Wachstum auch unserer deutschen Volkswirtschaft nur dann sichern können, wenn wir zumindest im Gemeinsamen Markt wieder stabile geldpolitische und stabile währungspolitische Verhältnisse schaffen. Deshalb sollten, Herr Strauß, die Entscheidungen des Bremer Gipfels für ein europäisches Wirtschaftssystem nüchtern und sachlich geprüft werden. Natürlich stecken auch Risiken darin.
Der Vorwurf, wir hätten das Parlament vorher nicht unterrichtet, geht irre; denn die Sitzungen fanden statt - sowohl die in Bremen und Bonn als auch die in Aachen -, nachdem der Bundestag seine Sommerferien angetreten hatte. Er hat sie unterbrochen zwecks eines einzigen - rechtlich wahrscheinlich gebotenen, seinem Inhalt nach im übrigen höchst zweifelhaften - Fünf-Minuten-Treffens.
({30})
Ich wäre bereit gewesen, Ihnen in den Ferien über die Ergebnisse von Bremen, von Bonn und von Aachen zu berichten. Ich hatte auch mit der Möglichkeit gerechnet, das während der Ferien vor Ihnen ausbreiten zu können. Sie hatten ja eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages der Renten wegen angekündigt. Plötzlich kamen Sie auf die Idee: nein, dann sähe die Bundesregierung zu gut aus, und dann haben Sie die Sondersitzung des Bundestages wieder abgeblasen.
({31})
Heute ist der erste Tag nach den Sommerferien, an dem ich darüber reden kann. Sie haben keinen Grund, sich über eine verspätete Berichterstattung zu beklagen.
({32})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jenninger?
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, können Sie mir sagen, wer von unserer Fraktion im Zusammenhang mit den Renten eine Sondersitzung für den August angekündigt bzw. gefordert hat?
Sie hatten angekündigt - -({0})
- Ich kann Ihnen nicht sagen, wer es war.
({1})
- Entschuldigung, wir sind hier ja nicht vor dem Volksgerichtshof. Ich werde meine Antwort ja wohl in Ruhe geben dürfen.
({2})
- Ich werde ja wohl meine Antwort selber geben dürfen und muß ja wohl nicht nach drei Worten unterbrochen werden.
({3})
- Ich bemühe mich.
Ich stehe in der festen Erinnerung - ich kann Ihnen nicht sagen, wer von Ihnen es war, aber es waren mehrere -,
({4})
daß Sie damit rechneten, daß die Rentengesetzgebung im Bundesrat zu Fall gebracht würde, ein Vermittlungsausschußverfahren in Gang gesetzt werden müßte und dieses dann im August im Plenum zu entscheiden gewesen wäre.
({5})
Ich möchte gerne zur Währungspolitik und zum Gemeinsamen Markt zurückkommen. Herr Strauß, ich möchte Sie darauf hinweisen, daß der innergemeinschaftliche Wirtschaftsaustausch, der Wirtschaftsaustausch und der Handel zwischen den Partnern des Gemeinsamen Marktes, seit den großen Währungsunruhen, seit dem Jahre 1973, langsamer wächst als der Welthandel im übrigen, während bis zum Jahre 1973 der Welthandel insgesamt langsamer gewachsen war als der innergemeinschaftliche Handel.
({6})
Ich erwähne dies, um Ihnen gedanklich einen Beleg nahezubringen, von dem ich hoffe, daß er Sie dazu führt, wenn schon nicht aus deutschen außenpolitischen Gründen, so doch aus deutschen wirtschaftspolitischen, beschäftigungspolitischen Gründen zu prüfen, wie sehr uns daran liegen muß, innerhalb des europäischen Marktes, in den wir 60 % all unserer Exporte liefern, wieder zu stabilen Währungsverhältnissen zu kommen.
Sie haben in dem Zusammenhang mit Recht eine große Zahl von Zitaten aus meiner Feder oder aus meinem Munde vorgelesen, was ich in den Jahren 1972, 1973 und 1974 zu notwendigen Voraussetzungen für einen engeren europäischen Währungsverbund erklärt habe. Ich stehe zu all diesen Zitaten, Herr Strauß.
({7})
- Das war sicher der Abgeordnete aus Wangen,
der da „Hört! Hört!' gerufen hat.
({8})
Ich stehe zu all diesen Bemerkungen. Ihr Sinn war doch der, daß währungspolitische Zusammenarbeit und Verknüpfung nur sinnvoll möglich sind, wenn dafür gesorgt wird, daß sich der wirtschaftliche Verlauf insgesamt in den Staaten einander annähert, harmonisiert oder wie die technischen Schlagworte heißen, daß man also zu einer stärkeren Koordinierung, einem stärkerem Gleichlauf der Volkswirtschaften kommt.
Nun sind aber seit den Jahren, aus denen Sie zitiert haben, bis heute ganz entscheidende Veränderungen eingetreten. Damals gab es in Großbritannien eine Inflationsrate von 27 % pro Jahr. Sie ist unter dem Eindruck all der Gespräche und der Leistungen im Juli 1978 tatsächlich auf 8 % reduziert: von 27 auf 8 % in Großbritannien, in Italien von 25 auf 12 %.
({9})
- Ja, natürlich kommt Frankreich: in Frankreich von 15 % im Jahre 1974 auf 9 % in diesem Juli. - Herr Pieroth, ich würde mit kritischen Bemerkungen über die gegenwärtige französische Wirtschafts- und Finanzpolitik vorsichtig sein, die in meinen Augen überaus mutig und tapfer ist.
({10})
Die Franzosen nehmen unter der Führung von Präsident Giscard d'Estaing und Premierminister Raymond Barre große Risiken in Kauf, um im Innern der französischen Volkswirtschaft das Maß an Stabilisierung zu erreichen, das ein bißchen früher zu erreichen wir so glücklich gewesen sind. Das Vertrauen in die Stabilität und die Kontinuität der Politik der Herren Giscard d'Estaing und Raymond Barre und ihrer Mehrheit im französischen Parlament läßt mich auch auf den positiven Ausgang des Ganzen vertrauen.
Sie sehen ähnliches in Holland. Ich will Ihnen nicht alle Zahlen für die einzelnen Länder vorlesen. In Holland - Sie konnten. es, glaube ich, gestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lesen - wurde jetzt das Ziel einer Annäherung an die deutsche Preissteigerungsrate von 2 bis 3 % gesetzt. Überall haben die Regierungen erkannt - und die Parlamente sind auf dem Wege, es zu erkennen -, daß man auf die Dauer mit Inflationierung die wirtschaftliche Krise der Welt nicht überwinden kann.
Wir haben, das zu erkennen, ein bißchen früher fertiggebracht.
({11})
- Wir sind mit beiden unter 5 %, lieber Herr Katzer.
({12})
- Ja, sicher, ich gebe es zu, aber es ist immer doch besser als in den Ländern, in die Sie rundherum sonst reisen können! Wir sind ja nicht allein auf der Welt.
Ich gebe es zu, wir haben schreckliche Schwierigkeiten hinter uns und auch noch vor uns, Herr Katzer. Ich bin weit davon entfernt, so zu tun, als ob wir vor einer problemlosen Landschaft stünden. Ich bin weit davon entfernt, so zu tun, als ob das heute vorliegende Gesetzgebungspaket insgesamt die Arbeitslosigkeit oder die Preissteigerungsrate auf Null bringen könnte. Wie käme ich dazu, so etwas zu glauben?! Ich sehe aber - ich bin immer noch bei den Argumenten des Herrn Kollegen Strauß - und verlasse mich in Frankreich und in anderen Staaten der EG auf den neu entstehenden Willen, den Weg der Stabilisierungspolitik zu gehen und ihn mit Konsequenz zu gehen. Heute ist keiner meiner Kollegen im Europäischen Rat mehr der Meinung, daß man mit ein bißchen mehr Inflation Wachstum herbeizaubern könnte.
Was nun die technische Ausgestaltung des Währungssystems angeht, so werden wir dafür sorgen
- geldpolitisch gesprochen -, daß stabilitätspolitische Risiken begrenzt bleiben.
Ich war mit dem französischen Präsidenten in diesem Ziel von Anfang an immer einig. Darüber bestand auch in Aachen Einigkeit zwischen Franzosen und Deutschen. Es bestand Einigkeit darüber, erstens, daß die Regeln des zukünftigen Interventionssystems auf den Devisenmärkten - so wie auch jetzt in der Schlange - sicherstellen, daß jederzeit sowohl die Notenbank des währungsstarken Landes als auch die Notenbank des währungsschwachen Landes, daß also beide intervenieren müssen - Fachleute haben dafür den schönen Ausdruck „Paritätengitter" erfunden; ich will Sie damit aber jetzt hier nicht behelligen -, zweitens, daß die Höhe der Kreditfazilitäten zwar ausreichen muß, um den Bestand und, nota bene, auch die Glaubwürdigkeit des Systems zu sichern, daß aber gleichzeitig die währungspolitischen Beistände, die Inanspruchnahme der Fazilitäten so dimensioniert und so konditioniert sein müssen, daß von daher nicht das stabilitätspolitische Ziel unterlaufen werden kann; und drittens, daß auch in Zukunft innerhalb des Verbundes, wie es auch früher, vor 1973, im Gemeinsamen Markt. der Fall war und wie es vor 1957 war, ehe es den Gemeinsamen Markt gab, natürlich Paritätsänderungen notwendig und zulässig sein müssen, wenn die ökonomischen Entwicklungen innerhalb der Gemeinschaft zu stark divergieren sollten.
Dies alles stellt die Autonomie z. B. der Deutschen Bundesbank nicht in Frage. Ich füge hinzu,
Bund eskanzler Schmidt
I wir haben darüber hinaus sogar die ausgesprochene Absicht, Herr Abgeordneter Strauß, all dies auf dem Wege eines Abkommens zwischen Notenbanken ins Werk zu setzen und nicht durch Gesetzgebung und gegenwärtig jedenfalls auch nicht durch einen Vertrag, der zu ratifizieren wäre. Das mag nach zwei, drei oder vier Jahren dann die Folge sein. Gegenwärtig ist ein Abkommen zwischen Notenbanken beabsichtigt, so wie auch die Schlange kein Vertrag zwischen Staaten ist, nicht auf Gesetz beruht, sondern ein Abkommen zwischen Notenbanken ist.
Herr Abgeordneter Dregger hat in einem interessanten Aufsatz gesagt, Europa sei mehr als eine „Käseunion". Das ist zwar eine burschikose Ausdrucksweise; aber ich stimme ihm zu. Deswegen darf man sich auch bei solchen Fragen wie der Schaffung eines Währungsverbundes, meine Damen und Herren, auch nicht wie ein Käsehöker benehmen.
({13})
Wenn ich lese, was alles an Kritik aus der CDU/ CSU dazu gesagt worden ist Herr Kohl hat Kritik geübt, Mißtrauen gesät und mit seinem Namen unterschrieben, Herr Strauß, Herr Häfele, Herr Sprung: „äußerstes Mißtrauen", Herr Sprung: „größte Bedenken", die „Alarmglocke" müsse geläutet werden -,
({14})
kann ich nur sagen: Mein Gott, welch ein Käse!
({15})
Ein anderes Wort Ihres neuen wirtschaftspolitischen Sprechers, des Professors Biedenkopf, wird hier Wahrheit: die CDU sei ein „Veto-Kartell". Sie können immer nur nein sagen; eigene Gedanken hören wir nicht.
({16})
Ihre Bemerkungen zur inneren Sicherheit, Herr Strauß, veranlassen mich, zu einem besonderen Thema etwas hinzuzufügen; ich spreche von den Exilkroaten, die in Deutschland leben. Dies ist ein weltoffenes Land mit einem vom Grundgesetz garantierten Asylrecht. Diese freiheitliche Ordnung hat dazu geführt, daß sehr viele Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, leben, 4 Millionen gegenwärtig. Die breite Mehrheit der Deutschen schätzt die große Mehrheit dieser ausländischen Mitbürger. Wenn aber Ausländer auf deutschem Boden Gewalt predigen, Gewalt anwenden oder Gewaltaktionen, die sie in anderen Staaten durchzuführen beabsichtigen, bei uns vorbereiten sollten, so mißbrauchen sie unser Gastrecht und müssen mit unserem entschiedenen Eingreifen rechnen.
({17})
Terroristen bleiben Terroristen, gegen wen sie sich auch wenden mögen;
({18})
sie werden bei uns mit der gleichen Elle gemessen. Eine erhebliche Anzahl von Strafurteilen deutscher Gerichte, in denen in entsprechenden Fällen hohe Strafen verhängt worden sind, sowie ausländerrechtlicher und vereinsrechtlicher Maßnahmen belegen das. Wir sind es unseren eigenen Bürgern schuldig, dafür zu sorgen, daß Streitigkeiten anderer Länder nicht auf unserem Boden, nicht auf Kosten unserer öffentlichen Ordnung und unserer öffentlichen Sicherheit ausgetragen werden. Das ist zugleich auch ein Gebot der Friedenspolitik. Wir sind es allen Staaten, wir sind es befreundeten Staaten, z. B. Jugoslawien, in besonderem Maße schuldig, dafür zu sorgen, daß unser Land nicht zur Ausgangsbasis von Aktionen werden kann, die die Integrität anderer Staaten in Frage stellen.
({19})
Ich versichere unsere Entschlossenheit, mit den uns zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln weiterhin zu sichern, daß unsere Rechtsordnung geachtet wird, daß die Grenzen des Gastrechts strikt eingehalten werden. Wer unsere öffentliche Ordnung mißachtet, das Gastrecht mißbraucht, unserer Friedenspolitik Schaden zufügt, kann mit Nachsicht nicht rechnen.
Sie haben im Zusammenhang mit dem Terrorismus noch einmal von Sicherungsverwahrung gesprochen. Herr Strauß, wissen Sie eigentlich, daß -gesetzt den Fall, Ihre Vorschläge zur gesetzlichen Verankerung von Sicherungsverwahrung wären so Gesetz geworden, wie Sie sie hier eingebracht haben - dann insgesamt bisher nur in einem einzigen Fall - in einem einzigen Fall! - theoretisch davon hätte Gebrauch gemacht werden können? Und gerade dieser Fall betraf einen Täter, der durch seine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden zur Überführung anderer Täter beigetragen hat. Geben Sie es doch auf, so zu tun, als ob die nicht zu leugnenden Pannen, wie man sich zu sagen angewöhnt hat - ob im Odenwald oder anderswo, auch in Bayern ist ja die Entführung des Herrn Oetker noch nicht aufgeklärt, Herr Strauß; Pannen gibt es ja nicht nur an einer Stelle -, durch zusätzliche Gesetze vermieden werden könnten! Auch bitte ich jedermann und richte mich an alle drei Seiten des Hauses: Wenn bei der Polizei oder bei anderen Behörden Fehler vorgekommen sind, die offenbar werden, bitte, widerstehen Sie der Versuchung - je nach tatsächlichem oder vermutetem Parteibuch des zuständigen Polizeiführers -, den Mann persönlich öffentlich anzugreifen!
({20})
Ich habe Vertrauen in die Diensttreue und in den Pflichteifer dieser Menschen, deren Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren in sehr viel höherem Maße in Anspruch genommen worden ist als die durchschnittliche Leistungsfähigkeit anderer Menschen im öffentlichen Dienst. Ich finde, wir dürfen nicht dazu beitragen, daß nun auch noch die Sicher8210
heitsorgane parteipolitisch auseinandermanipuliert werden. Das, was sie zu tun haben, ist schwierig genug.
Man sollte auch nicht immer wieder so tun, als ob das, was an einigen Schulen, an einigen Universitäten geschieht, als ob die Frage der Extremisten im öffentlichen Dienst, des Terrorismus alles ein Kontinuum sei, in dem das eine aus dem Vorhergehenden fließe.
Uns muß daran liegen - uns allen -, daß das liberale Bild unserer Gemeinschaft, unseres Staates - im Inland wie im Ausland -, nicht in Zweifel gezogen werden kann.
({21})
Uns muß gemeinsam an der Verhinderung eines Klimas liegen, das Opportunisten oder Angepaßte begünstigt. Uns muß gemeinsam an der Zurückdämmung einer ausufernden Praxis liegen, welche die Dienste des Verfassungsschutzes in übermäßiger Weise in Anspruch nimmt und sie für Zwecke verwendet, für die sie ursprünglich nie konzipiert gewesen sind.
({22})
Wir müssen die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren, wenn wir uns vorsehen, auf daß wir bestimmte Menschen bestimmter Auffassungen nicht in den Staatsdienst lassen wollen. Vielleicht wäre es gut, in diesem Gesamtzusammenhang an einen großen Franzosen - ich spreche von de Gaulle - zu erinnern, dem damals in den schweren Auseinandersetzungen um Algerien angetragen wurde, gegen Jean-Paul Sartre vorzugehen. De Gaulle hat das abgelehnt, wenngleich nach französischem Strafrecht vielleicht ein ausreichender Anlaß bestanden hätte. De Gaulle hat es abgelehnt - nicht mit juristischer Spitzfindigkeit, sondern indem er gesagt. hat: „Auch Sartre ist Frankreich." Und so müßten wir sagen, Herr Strauß: Auch die jungen Leute, deren Auffassung Ihnen nicht paßt und mir bisweilen wirklich auch nicht, sind Deutschland und verdienen ganz genauso wie jeder andere Deutsche liberale Handhabung unserer Grundrechte und unseres staatlichen Systems.
({23})
Man könnte de Gaulle abwandeln und sagen: Auch Marx ist Deutschland.
({24})
- Der Beifall ist spärlich; es wird offenbar nicht goutiert. Aber man kann nicht nur des Beifalls wegen reden, Herr Kollege.
({25})
Aber ich möchte auch gern in umgekehrter Richtung den jungen Leuten, für die ich mich hier einsetze, eines sagen. Herr Strauß hat von dem Schlagwort „Berufsverbot" gesprochen. Ich möchte diejenigen, die diese Worte benutzen, bitten, zu prüfen, was es damit auf sich hat, und darauf hinweisen, daß der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in
diesem Sommer nicht nur die Haftbedingungen von Terroristen in Deutschland, sondern auch die Änderungen der Strafprozeßordnung, auch die Auswirkungen des Kontaktsperregesetzes geprüft hat und daß 14 Richter auf 14 europäischen Nationen einstimmig festgestellt haben, daß hierzulande in keinem Falle gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen worden ist. Ich begrüße diese Feststellung eines hohen internationalen Gerichtshofs, daß wir das Notwendige besonnen und in rechtsstaatlich einwandfreier Weise getan haben. Auch das sollte hierzulande gehört werden. Es bleibt zumindest eine offene Frage - Sie haben von dem Vorhang gesprochen, Herr Strauß, der aufgeht, und die Fragen bleiben alle offen -, wie die Richter in Straßburg zu entscheiden haben würden, wenn alle die Vorschläge ins Bundesgesetzblatt hineingeschrieben worden wären, die Sie uns hier vorgelegt haben.
({26})
Die gesamte Rede, die wir heute von Herrn Strauß gehört haben, war die Rede des zukünftigen Vorsitzenden der zukünftigen vierten Partei. Dies ist ein Thema, auf, das man hier nicht verzichten .kann. Ich habe eine Zeitung aus dem Mai 1978 mit den großen Überschriften vor mir: Kohl will von Strauß ultimativ Verzicht auf die vierte Partei fordern.
({27})
Das Wort „Ultimatum" bedeutet doch auf deutsch: Wenn du das nicht läßt, dann tue ich dir etwas. Das ist ein Ultimatum. Ich kann mir das bildlich schon richtig vorstellen, wie der Herr Kohl dem Strauß etwas tut. Er tut es nicht, sondern er bereitet inzwischen eine eigene Ausbreitung der CDU in Bayern vor. Ich kann davor erneut nur warnen. Das mag uns Sozialdemokraten im ersten Augenblick nutzen. Das mag so sein. Es gibt manche Freunde in meiner Partei, die sagen: Laß sie doch, die zersplittern sich, das nützt uns! Im zweiten und dritten Akt öffnen Sie, meine Damen und Herren von der Union, den Weg für eine Aufspaltung des politischen Spektrums, die wir alle später nicht wieder einfangen können. Das ist für uns alle ein sehr bedenklicher Weg.
Ebenso ist es bedenklich, wenn immer wieder der öffentliche Ratschlag ertönt, daß die Opposition im Bundestag und die Opposition im Bundesrat eine einheitliche Strategie verfolgen sollen. Es gibt keine Opposition im Bundesrat. Im Bundesrat gibt es ganz bestimmte verfassungsrechtliche Pflichten, und die Länder sind nicht parteipolitisch organisiert.
({28})
Was ich hier zitiert habe, hat Herr Dregger vor einem Jahr gesagt. Heute redet er anders. Ich begrüße seinen Gesinnungswandel.
({29}) Hoffentlich hält der Wandel über den Wahlsonntag in Hessen hinaus an.
Herr Dregger hat im Laufe der letzten Monate eine Fülle von Äußerungen getan. Eine Äußerung ist über ihn getan worden, die ich bedauere - ich sehe, daß er heute nicht hier ist, und ich hoffe, daß
er sich davon in ihm geeignet erscheinender Weise distanzieren kann. Es gibt eine deutsche Zeitung, die unter Inanspruchnahme des Bildes von Männern der Grenzschutzgruppe 9 in einer großen Balkenüberschrift schreibt: „Ist Deutschland erwacht?" und zugibt, daß das ein Reizwort sei. Es ist ja nichts weiter als eine Verfremdung des alten „Stürmer"-Aufrufs: „Deutschland, erwache!" - Also: „Ist Deutschland erwacht?" und dann heißt es, man wolle gleich noch zwei Reizwörter hinterherschikken: „Alfred Dregger". Das Ganze ist eine Reklame, die der „Rheinische Merkur" in anderen Zeitungen für einen Aufsatz macht, den Herr Dregger dort geschrieben hat. Ich möchte ihn darauf aufmerksam machen, daß das nicht geht. So darf man sich nicht mißbrauchen lassen, in diesem Fall von Geschäftemachern. Die Redaktion des „Rheinischen Merkur" ist, wie ich annehme, unbeteiligt.
({30})
So darf man sich nicht mißbrauchen lassen. Ich möchte ihn darauf aufmerksam machen, ohne ihn hier anzugreifen oder zu kritisieren. Möglicherweise ist er völlig unbeteiligt.
({31})
Aber es geht nicht, daß zum Zwecke der Aufmerksamkeitswerbung Schlagworte des Dritten Reichs in leicht verfremdeter Form in die Debatte geschleudert werden. Das geht nicht!
({32})
Das geht insbesondere nicht, wenn andere gleichzeitig eine Generalamnestie-Debatte in unserem Volk führen.
({33})
Ich habe jüngst Gelegenheit gehabt, Herrn Golo Mann, der diese Debatte ausgelöst hat, persönlich meine Meinung dazu zu sagen. Ich hatte das Gefühl, wir stimmten darin überein, daß wir verschiedener Meinung blieben.
Ich habe gelesen - dafür bedanke ich mich, und ich erkenne es an -, daß sich Herr Kohl gegen eine Generalamnestie ausgesprochen hat. Es hat andere Äußerungen gegeben, die nicht so eindeutig waren. Ich bin hier einer Meinung mit meinem Freund Willy Brandt, der vor langer, langer Zeit, vor vielen Jahren das erste Mal und seither wiederholt gesagt hat: wir Deutschen können auf die Dauer nicht als ein der Nazizeit wegen innerlich gespaltenes Volk leben. Deshalb bin auch ich nicht für das Durchsuchen alter Schriften oder Reden oder Dissertationen nach der „bewußten Stelle". Aber ich bin dagegen, daß wir unsere Vergangenheit wegdrängen, die Schuld und das Versagen vergessen machen wollen. In diesem Sinne bin ich dagegen, einen Schlußstrich zu machen.
Es gab keine Kollektivschuld. Wir haben das alles abgelehnt. Es kann auch keine kollektive Unschuld geben. Wenn Geschichte eine Bedeutung hat - die muß sie haben; da stimme ich Herrn Strauß ausdrücklich zu: Geschichte muß eine Bedeutung für das politische und gesellschaftliche Selbstverständnis eines Volkes und eines Staates haben -, dann kann man nicht Teile der Geschichte auslöschen; denn diese Teile gehören dazu. Herr Strauß würde das selber nie tun wollen. Ich bin dagegen, daß jemand sein Gedächtnis gegen ein individuelles oder kollektives gutes Gewissen austauscht.
({34})
In einem Punkt bin ich nicht ganz der Meinung von Herrn Kohl, dem ich im übrigen vorhin zugestimmt habe. Sie, Herr Abgeordneter Kohl, haben geschrieben, man müsse der jungen Generation verständlich machen, wie leicht damals jemand ohne eigenes Zutun in Schuld geraten konnte. Es war sicherlich leicht, darin verstrickt zu werden; darin stimme ich Ihnen zu. Aber unter Menschen kann man - ich will nicht in theologische Kategorien einsteigen - nur durch eigenes Handeln oder eigenes Nichthandeln schuldig werden. Ohne eigenes Zutun gerät man nicht in Schuld. Der Begriff „Schuld" wäre ohne inneren Sinn, wenn man Schuld zu tragen hätte, ohne daß man selbst etwas getan oder unterlassen hätte.
Ich stimme Herrn Strauß zu: Kein Volk, keine Zivilisation, keine Literatur, keine Kunst, kein Staat, keine Wissenschaft kann ohne Geschichte existieren. Ich stimme ihm zu, daß in unserer Zeit - übrigens auch schon zu meiner Jugendzeit, als ich zur Schule ging; ich vermute, auch zu der Zeit, als Sie noch zur Schule gegangen sind -, Unzufriedenheit über die Darstellung der Geschichte besteht. Auch wir waren nachträglich mit dem unzufrieden, was uns als jungen Menschen an Geschichte angeboten worden ist. Ich bin auch unzufrieden mit dem, was heute den jungen Menschen an Geschichte auf allen Feldern angeboten wird. Allerdings finde ich, man sollte nicht so weit gehen, zu sagen, der Mangel an Geschichtskenntnis habe schließlich zum Terrorismus geführt. Das haben aber nicht Sie gesagt, das war ein anderer.
Wir merken in der Bundeswehr ganz deutlich - ich habe das schon 1969, 1970 und 1971 gemerkt -, wie wenig die jungen Menschen, mit 18, 19, 20 Jahren zur Bundeswehr kommend, tatsächlich geschichtliche Vorstellungen haben. Das war schon damals so. Das hat nichts mit Rahmenplänen zu tun; diese kamen später. Es ist eine allgemeine Misere. Entscheidend für diese allgemeine und allgemein beklagte Misere mag sein, daß es einige gibt, die von dieser jüngsten Geschichte soviel nicht wissen wollen, die sich unsicher fühlten, wie sie sie behandeln sollten; daß es in der Aufbauphase nach 1945 oder nach 1948 einen langanhaltenden Prozeß der Verdrängung der jüngsten Geschichte gegeben hat.
Auf der anderen Seite möchte ich auch dies sagen: Ich empfehle die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte. Ich empfehle sie den politischen Parteien, den einzelnen Disziplinen der Wissenschaft und insbesondere der politischen Wissenschaft. Studium der Politik kann sich nicht auf Soziologie beschränken.
({35})
Ich füge eines hinzu: Die Beschäftigung mit unserer eigenen deutschen Geschichte darf sich auch nicht darin erschöpfen, nun nur die dunklen Jahre
unserer Vergangenheit auszubreiten. Das geht auch nicht.
({36})
Ich erinnere mich an meinen Freund Wolfgang Döring von den Freien Demokraten, der schon lange nicht mehr unter uns ist. Es liegt 20 Jahre zurück, als ich als junger Kreisvorsitzender der SPD in Hamburg-Nord den damals ebenso jungen Wolfgang Döring eingeladen habe, bei uns einmal einen Vortrag über das zu halten, was die FDP denkt und was sie bewegt. Das war, wie ich glaube, noch vor den Jungtürken von Düsseldorf. Er hat damals einen Satz geprägt, den ich mein Leben lang nicht wieder vergessen habe. Er hat gesagt: Wir müssen zusehen, daß wir unseren jungen Menschen das deutsche Geschichtsbuch nicht als ein einziges Verbrecheralbum darstellen. Das geht auch nicht.
So halte ich es eben deshalb mit Willy Brandt, den ich am Anfang zitiert habe: Wir dürfen uns in der Auseinandersetzung mit der Nazizeit nicht innerlich aufspalten. Weder darf der eine alles verdrängen, was da war, noch darf der andere es zum ausschließlichen Gegenstand der Betrachtung machen. Es gibt viele Freiheitstraditionen im deutschen Volk und in der deutschen Geschichte. Man braucht nicht bei den Bauernkriegen und auch nicht bei 1848 anzufangen. 1848 ist es aber wert, betrachtet zu werden. Das war die Geburtsstunde der schwarz-rot-goldenen Fahne, der demokratischen, republikanischen Tradition in Deutschland.
({37})
Man kann auch bei 1918 oder dem 20. Juli 1944, dem Widerstand in vielen Formen, anknüpfen.
Es fällt mir schwer, hier eine Bemerkung zu unterdrücken. Ich werde sie nicht unterdrücken. Ich habe mich betroffen .gefühlt, daß man einem Mann wie meinem Freunde Wehner es versagen zu sollen glaubte, sich an einer Feier zur Erinnerung an die Opfer des 20. Juli zu beteiligen, während man Herrn Filbinger ein oder zwei Jahre vorher selbstverständlich hatte reden lassen.
({38})
Dem jungen Kollegen in Ihrer Fraktion, Herr Dr. Kohl, der das ausgelöst hat, möchte ich eines sagen. Ich habe Baron Guttenberg sehr gut gekannt. Ich habe mit ihm hier in diesem Saal zwar auch schrecklich polemische Redegefechte ausgetragen, aber' ich habe ihn auch in den Jahren gut und genau und persönlich gekannt, als er sein Haus und seinen Stuhl nicht mehr verlassen konnte, und auch in den Zeiten, als er kaum noch sprechen konnte, haben wir miteinander geredet. Ich bin ganz sicher: Wenn Guttenberg noch lebte, dieses wäre so nicht passiert. Er hätte sich eingemischt
({39})
und hätte das Wort, das sonst leider keiner laut erhoben hat, dafür erhoben, daß es von jeder Seite - von adliger genauso wie von kommunistischer Seite - ehrenhaft war, Widerstand gegen die Diktatur der Nazis zu leisten.
({40})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundeskanzler, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß es bei dem Vorwurf gegen den Herrn Kollegen Wehner nicht nur um die Frage einer allgemeinen Verstrickung in Kommunismus ging, sondern daß sehr konkrete Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden und daß aus diesem Grunde die Frage ernsthaft zu prüfen war, ob ausgerechnet er am 20. Juli sprechen sollte?
({0})
Ich nehme das zur Kenntnis. Was Sie gesagt haben, bestätigt das Gefühl der Verachtung, das ich im Augenblick empfinde.
({0})
Es läßt sich vielfach belegen, was Sie mit solchen Äußerungen in den jungen unbedarften Gemütern Ihrer eigenen Partei anrichten und was Sie an Äußerungen dort auslösen und provozieren. Menschen, die ich weniger - ({1})
- Ich habe nichts dagegen, dieses Thema im Bundestag zu behandeln. Ich hätte dazu auch etwas zu sagen. Ich war damals auch schon erwachsen. Ich habe einiges miterlebt. Ich bin dafür.
({2})
Aber das muß dann geschehen. Und es muß dann nicht in Wahlreden geschehen. Das muß auch nicht im „Bayern-Kurier" geschehen. Warum muß ich dann in dieser Zeitung des Herrn Strauß lesen, daß „die bayerische SPD zwingend als kommunistische Tarnorganisation eingeschätzt werden muß"? Was ist das für ein Niveau, auf dem wir uns hier im Umgang miteinander bewegen?
({3})
Es läuft alles darauf hinaus - ({4})
- Ich will keinen Herrn Engelmann verteidigen; ich kenne ihn nicht.
({5})
Aber ich wehre mich dagegen, Herr Strauß, daß die Sozialdemokraten Kommunisten seien, daß die Kommunisten den Untergang Deutschlands herbeiführen, daß Wehner schon immer einer war, und daß ergo Wehner und die Sozialdemokraten und Brandt und die sozialliberale Koalition insgesamt unser Land
in den Untergang führen. Ich wehre mich gegen diese Infamie.
({6})
Ich wehre mich dagegen, daß der Abgeordnete Strauß Kollegen im Deutschen Bundestag des politischen Verrats bezichtigt.
({7})
Ich frage den Präsidenten, ob hier eigentlich das
Wort „Verleumdung" parlamentarisch erlaubt wäre.
({8})
Es ist nicht damit getan, Herr Abgeordneter Strauß, daß man auf Kirchentagen oder bei der Amtseinführung eines neuen Papstes gemeinsam betet.
({9}) Damit ist es nicht getan.
({10})
- Sie werden in mir immer jemanden finden, Herr Kohl,
({11})
der zurückzahlt, wenn ihm etwas angetan wird oder seinen Freunden etwas angetan werden soll.
({12})
Wenn Sie es fertigbringen, die Sprache gewisser Ihrer Parteifreunde zu mäßigen, werde ich das genauso anerkennen, wie ich anerkannt habe,
({13})
was Sie zur Idee der Generalamnestie öffentlich gesagt haben. Ich bin gegen die Schwarzweißmalerei.
Aber ich komme zurück zu dem Bertolt-BrechtZitat des Herrn Abgeordneten Strauß zu Beginn. Da hatte es geheißen: Vorhang auf,
({14})
- ja; das hatten Sie doch zitiert! - und alle Probleme sind offen. Nachdem Sie geendet hatten, hatte ich das Gefühl: Vorhang zu,' und die Probleme sind immer noch offen. Herr Strauß, was haben Sie eigentlich zur Sache geboten:
({15})
in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Finanzpolitik? Sie haben Kritik um ihrer selbst willen geübt. Das ist in Ordnung.
Ich möchte am Schluß eines ausführen dürfen, von dem ich hoffe, daß wir uns vielleicht doch - ({16})
- Ich werde ja wohl genauso lange reden dürfen wie der Führer der Opposition, nicht wahr?
({17})
Ich möchte Ihnen am Schluß eines anbieten, in der Hoffnung, daß man darüber - es muß ja nicht heute sein - zur Übereinstimmung kommt.
({18})
Ich möchte an die Worte von dem Geschichtsbewußtsein, das man braucht, anknüpfen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Geschichte der europäischen Zivilisation, der wir zugehören - ob unsere Kirchen oder Universitäten, ob unsere Sprachen, unsere Literatur, unsere Kunst -, wie Leopold Senghor gesagt hat, eine Geschichte ist, die aus der Vielfalt ihrer Vermischung entstanden ist, eine Geschichte, die Cluny und Sagorsk oder Paris und Nowgorod oder Prag und Aachen, die Krakau, Byzanz und Rom und alles dies einschließt.
Europa beschränkt sich nicht auf den Kreis derjenigen Staaten, die gegenwärtig in der Europäischen Gemeinschaft und demnächst zusätzlich in einem Währungsverbund vereinigt sind. Europa muß offenbleiben. Europa ist so geworden, wie es heute ist, auf Grund einer gemeinsamen Geschichte, zu der Puschkin oder Tolstoi ganz genauso gehören wie Shakespeare oder Petrarca.
Dies ist alles eine Geschichte. Wir können Europa nicht einengen, geistig nicht und geschichtlich und politisch nicht, auf den westlichen Teil. Wir müssen offenbleiben.
Wir - die Russen, die Polen, die Tschechen, die Ungarn, die Franzosen, die Italiener, die Deutschen - haben dies alles nicht jeder allein erworben, was wir besitzen. Wir haben jeder uns gegenseitig befruchtet. Wir haben es zum Teil aus den Quellen des Christentums und zum Teil aus den Quellen des klassischen Altertums und haben es gemeinsam fortentwickelt.
Wir müssen füreinander offenbleiben, damit sich die Katastrophen nicht wiederholen, die zu der gegenwärtigen Teilung dieses geschichtlich gewordenen Europas geführt haben.
({19})
Wir können dabei auf Vorsicht und Voraussicht nicht verzichten, auf Sicherheit nicht verzichten, auf sorgfältige Kalkulation, auf Umsicht und Klugheit nicht verzichten.
Aber eines müssen wir immer wissen: Wer den Kompromiß mit seinen Nachbarn nicht suchen will, der wäre für die Wiederherstellung Europas nicht tauglich. Nur die Wiederherstellung des geistigen Zusammenhangs von ganz Europa, nur die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Zusammenhangs von ganz Europa, trotz aller seiner bedrückenden politischen Formen - nur das bietet eine Chance für die dereinstige Vereinigung unserer eigenen Nation unter einem Dach.
({20})
Meine Damen und Herren, nach dem interfraktionell vereinbarten Geschäftsplan unseres Hauses wollten wir um 13 Uhr in die Mittagspause eintreten. Zu dem Geschäftsplan' hat sich Herr Abgeordneter Jenninger zur Geschäftsordnung gemeldet.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantrage ich die Weiterführung der Debatte. Nachdem der Herr Bundeskanzler nun fast zwei Stunden gesprochen hat
({0})
- Herr Strauß hatte nicht so lange gesprochen; wir beanstanden das ja gar nicht -, halten wir es für einen Akt der Fairneß
({1})
und auch des parlamentarischen Anstands, daß der Opposition jetzt Gelegenheit gegeben wird, auf den Herrn Bundeskanzler zu antworten.
({2})
Herr Bundeskanzler, Sie haben soeben von der Notwendigkeit gewisser Gemeinsamkeiten gesprochen. Ich möchte Sie sehr höflich bitten: Fordern Sie Ihre Fraktion. auf zuzustimmen - damit wir hier in diesem Deutschen Bundestag eine vernünftige Debatte führen können, d. h., daß der Oppositionsführer jetzt Gelegenheit bekommt, auf Sie zu antworten.
Ich bitte, über diesen Antrag abzustimmen.
({3})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Als wir in der vorigen Woche diese Sitzungswoche des Bundestages vorbereiteten, ist aus der CDU/CSU-Fraktion der Wunsch an uns herangetragen worden, nur am Donnerstag und am Freitag zu debattieren und am Freitag sogar nicht wie normalerweise bis 13 Uhr, sondern nur bis 12 Uhr zu tagen. Unsere Antwort war, daß eine Haushaltsdebatte so wichtig ist, daß wir uns ausreichend dafür Zeit nehmen müssen.
Jetzt kommt es Ihnen auf eine einzige Stunde an. Vorige Woche wollten Sie noch auf einen ganzen Tag verzichten. Das ist das erste, was ich dazu sagen wollte.
Zweitens. Herr Dr. Jenninger, die SPD-Fraktion verhindert nicht, daß der Oppositionsvorsitzende auf die Rede des Bundeskanzlers antwortet. Ganz im Gegenteil: Es ist, wie vereinbart, nach der Mittagspause Gelegenheit dazu, so lange Sie wollen zu sprechen.
Eines allerdings wäre für die Zukunft ganz gui, wenn der Streit innerhalb der Union, wer der erste Sprecher in Haushaltsfragen sein soll, in der CDU/ CSU-Fraktion und nicht hier im Parlament ausgetragen würde.
({0})
Wenn der Vorsitzende der CSU nicht eine Stunde und vierzig Minuten gesprochen hätte, dann hätten Sie genug Gelegenheit gehabt, auch jetzt vor Eintritt in die Mittagspause noch zu sprechen.
Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben durchaus Verständnis für die Wünsche der Opposition. Ich gehöre seit nunmehr zwanzig Jahren diesem Hause an, habe aber noch nie erlebt, daß eine Vormittagsdebatte, die von 9 bis 13 Uhr angesetzt war, für mehr als vier Stunden angesetzt gewesen wäre. Wenn der erste Redner der Opposition - ganz gleich, wer in der Opposition ist - eine Stunde und vierzig Minuten spricht, setzt er die Maßstäbe für die Vormittagsdebatte und entscheidet damit selbst, daß in vier Stunden nur drei Redner zu Wort kommen können.
({0})
Die Situation, die wir jetzt haben, hat die Opposition selbst herbeigeführt. Wir sehen deshalb keine Veranlassung, von dem im Ältestenrat verabredeten Zeitplan abzugehen.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger, jetzt nicht in die Mittagspause einzutreten. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir treten in die Mittagspause ein. Wir fahren um 14 Uhr mit der Sitzung fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung der Antragsfrist für den LohnsteuerJahresausgleich
- Drucksache 8/2088 - Berichterstatter: Minister Gaddum
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Bitte, Herr Minister Gaddum,
Staatsminister Gaddum ({1}) : Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Der Bundesrat hatte am 17. Februar 1978 einen Gesetzentwurf beschlossen, dessen Ziel es war, die Frist für den Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 31. Mai bis zum 30. September zu verlängern.
Im Deutschen Bundestag wurde das Gesetz am 21. Juni auf Grund der Empfehlung des Finanzausschusses in einer Fassung beschlossen, die zwar keine generelle Ausdehnung der Frist über den 31. Mai hinaus brachte, dafür aber eine Umwandlung der bisherigen Ausschlußfrist in eine verlängerbare Frist vorsah.
Der Bundesrat hat gegen diese Abänderung seiner Vorlage den Vermittlungsausschuß angerufen, der seinerseits am 7. September 1978 über dieses Begehren beraten hat.
Der Vermittlungsausschuß konnte davon ausgehen, daß Bundestag und Bundesrat in dem Bestreben einig sind, dem Lohnsteuerpflichtigen eine längere Frist als bisher zuzubilligen, um seinen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich zu stellen. Der Bundestag ging bei der Begründung seines Beschlusses ausdrücklich davon aus, mit seiner Gesetzeslösung eine volle Gleichheit von Lohnsteuer-JahresausgleichsBerechtigten und veranlagten Steuerpflichtigen herbeizuführen.
In den Beratungen des Vermittlungsausschusses wurde deutlich, daß dieses Ziel auf dem angestrebten Wege nicht zu erreichen ist. Dies ist insbesondere darin begründet, daß es sich beim Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich um die Geltendmachung eines Anspruchs gegen den Staat, bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung aber um die Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber dem Staat handelt.
In den Fällen, in denen Ansprüche gegen die öffentliche Hand geltend gemacht werden, gibt es aus guten Gründen regelmäßig Ausschlußfristen, so z. B. auch im Prämienrecht. Fiele beim Lohnsteuer-Jahresausgleich die Ausschlußfrist fort, hätte das Finanzamt keinerlei Mittel, auf eine zeitliche Begrenzung der Abgabe von Anträgen hinzuwirken; als alleinige Schranke bliebe der Eintritt der Festsetzungsverjährung vier Jahre nach Ablauf des Ausgleichsjahres. Würde den Lohnsteuerzahlern aber für ihre Anträge vier Jahre Zeit gelassen, wäre es kaum zu vertreten - und dies gilt insbesondere gegenüber den steuerberatenden Berufen -, auf eine weitere Verkürzung der Frist für die Abgabe von Steuererklärungen zu drängen. Die auch weiterhin angestrebte Integration des Prämienverfahrens in den Lohnsteuer-Jahresausgleich wäre praktisch unmöglich gemacht, da es im Prämienverfahren bei der Ausschlußfrist „30. September" bleiben soll. Die sicherlich eintretende Verzögerung beim Jahresausgleich würde auch auf die Fertigstellung der Lohnsteuerstatistik durchschlagen und deren Schlußtermin weit hinausziehen. Insbesondere wäre damit eine zeitnahe Erfassung der Schlüsselzahlen für die Gemeindeanteile an der Einkommen- und der Lohnsteuer in Frage gestellt.
Da davon ausgegangen werden kann, daß für den weit überwiegenden Teil der Steuerpflichtigen mit der Verlängerung der Antragsfrist bis zum 30. September spürbar geholfen wird, andererseits aber die dargestellten Nachteile vermieden werden sollen, schlägt Ihnen der Vermittlungsausschuß vor, dem Vermittlungsbegehren des Bundesrates voll zu entsprechen. Es beinhaltet auch, daß diese Regelung bereits für die in diesem Jahr zu stellenden Lohnsteuer-Jahresausgleichs-Anträge gilt. Das heißt, alle Anträge für 1977, die noch bis zum 30. September, also Ende dieses Monats, bei den Finanzämtern eingehen, sind fristgerecht gestellt.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zur Abgabe einer Erklärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 2088 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über die Statistik im Handel und Gastgewerbe ({1})
- Drucksache 8/2089 Berichterstatter: Minister Gaddum
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?
({2})
- Das geht leider nicht . Bitte Herr Minister Gaddum.
Staatsminister Gaddum ({3}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 7. Juli beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 22. Juni verabschiedeten Gesetz über die Statistik im Handel und Gastgewerbe den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Der Bundesrat strebte in seinem Vermittlungsbegehren einerseits an, im Gesetz die Möglichkeit eines fünf- bis siebenjährigen Abstandes zwischen den Erhebungen vorzusehen anstelle der im Gesetzesbeschluß des Bundestages vorgesehenen starren Fünfjahreregelung. Es bestünde dann die Möglichkeit, bis zu sieben Jahren mit Erhebungen zu warten, wenn der Informationsbedarf als nicht so dringlich angesehen wird.
Andererseits hatte das Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Ziel, die Zahl der in die statistische Erhebung einbezogenen Betriebe deutlich zu vergrößern, weil nach seiner Auffassung die Aussagekraft wegen der zu kleinen Zahl der in die Stichproben einbezogenen Unternehmen zu gering sei. Deshalb sollten auch im Großhandel, Einzelhandel und Gastgewerbe die einzelnen Arbeitsstätten gesondert erfaßt werden.
Der Vermittlungsausschuß war der Meinung, bei der Beratung dieses Gesetzes müsse mit beachtet werden, daß die Klagen über zu viele statistische Arbeiten und Erhebungen in der Wirtschaft zuge8216
Staatsminister Gaddum
nommen haben. In wiederholten Erklärungen von Bundestag und Bundesrat wird immer wieder auf die weitere Ausdehnung statistischer Erhebungen und auf die sich daraus ergebende Belastung der Betriebe und Verwaltungen hingewiesen. Der Vermittlungsausschuß entschied sich daher dafür, Ihnen vorzuschlagen, den Wunsch des Bundesrates insoweit aufzunehmen, als er Erleichterungen für die Auskunftpflichtigen bringt, und zwar durch die Möglichkeit, die Erhebungszeiträume gegebenenfalls von fünf auf sieben Jahre zu verlängern.
Die Anträge des Bundesrates, die eine weitere Intensivierung statistischer Erhebungen zur Folge gehabt hätten, sind dagegen im Vermittlungsausschuß nicht aufgenommen worden. Folglich schlägt der Vermittlungsausschuß Ihnen lediglich vor, die Ziffern 1 und 6 des Vermittlungsbegehrens anzunehmen, es im übrigen aber bei der vom Bundestag beschlossenen Fassung zu belassen.
Ich danke dem Berichterstatter. Wird das Wort zur Abgabe einer Erklärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall..
Wir kommen dann zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über die Punkte gemeinsam abzustimmen ist. Ich rufe sie daher gemeinsam zur Abstimmung auf. Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 2089 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 8/2090 -Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Der Herr Berichterstatter hat auf die Berichterstattung verzichtet.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Büchler.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion begrüße ich das am 7. September 1978 erzielte Vermittlungsergebnis. Das gilt besonders für den Bereich Forschung und Entwicklung sowie für die Ergänzungen des Berlin-Förderungsgesetzes. Damit ist der Weg für dieses wichtige Gesetz frei, d. h., die wesentlich verbesserten Förderungen von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen können endlich beginnen. Dieses Gesetz wird sicher zu einer positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beitragen.
Der Weg des Gesetzentwurfes ist bekannt; er war nicht immer von allzu großer Sachlichkeit begleitet. Zuviel wurde dem ursprünglichen Entwurf zugepackt. Die Bundesregierung sah sich gezwungen, wegen der Forderungen der Länder Bayern und Baden-Württemberg den Vermittlungsausschuß anzurufen. Für die SPD-Fraktion kam es darauf an, den dadurch
erforderlichen Kompromiß so zu gestalten, daß die mittelstandsfreundliche Grundtendenz des Forschungs- und Entwicklungsförderungsgesetzes erhalten blieb und Mitnehmereffekte bei großen Unternehmungen vermieden werden. Außerdem mußten natürlich die Gesamtkosten aller Förderungsmaßnahmen des Gesetzes finanzierbar bleiben.
Der gefundene Kompromiß erfüllt die Erwartungen. Das gilt für die Erhöhung des Förderungssatzes für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen von 15 % auf 20 v. H. bis zu einer Fördergrenze von 500 000 DM. Damit entstehen zusätzliche Kosten von 55 Millionen DM. Das gilt ferner für die Ergänzungen im Berlin-Förderungsgesetz mit zusätzlichen Kosten von 13 Millionen DM.
Nicht zufriedenstellend ist für die SPD-Bundestagsfraktion der Kompromiß bei der Anhebung der allgemeinen Investitionszulage für die Fördergebiete der regionalen Wirtschaftsförderung ausgefallen. Die überzogenen Forderungen der Opposition und der Länder Bayern und Baden-Württemberg konnten so nicht verwirklicht werden. Allerdings gilt für die Anhebung der Investitionszulage für alle Fördergebiete von 7,5 auf 8,75 % das gleiche, was der Kollege Kühbacher am 22. Juni 1978 hier sinngemäß ausgeführt hat: Die generelle Anhebung schadet dem Zonenrandgebiet eher, als sie diesem Gebiet nützt, weil sie nicht den erwünschten Förderungsvorsprung schafft, sondern einengt. Konkret heißt dieser Kompromiß nämlich, daß die Erhöhung der Förderungsmaßnahme Investitionszulage jetzt für über zwei Drittel der Fläche des Bundesgebietes mit 361 Schwerpunktorten Gesetz werden wird. So bringt dieser Kompromiß zwar eine Besserstellung von zwei Dritteln des Bundesgebietes gegenüber einem Drittel des Bundesgebietes, aber das eigentliche Ziel der besonderen Förderung des Zonenrandgebietes geht mit dieser Maßnahme ein Stück verloren. Die SPD-Fraktion hält eine gegenüber allgemeinen Förderungsmaßnahmen verstärkte Förderung der Zonenrandgebiete auch weiterhin für geboten. Deshalb hätten wir eine Anhebung der Investitionszulage nur für das Zonenrandgebiet auf 10 % für richtiger gehalten.
Es gilt nach wie vor, was der Kollege Herbert Wehner bereits am 1. Juli 1965 im Deutschen Bundestag ausführte - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
Die Zonengrenze hat persönliche, kulturelle und wirtschaftliche Bindungen sowie die Verwaltungsordnungen zerrissen. Sie wirkt sich auf alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens aus. Hilfsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet sind somit eine gesamtdeutsche Aufgabe; sie müssen in engem und vertrauensvollem Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie den Zusammenschlüssen der Kommunen und der Wirtschaft und den Gewerkschaften durchgeführt werden ... Das Zonenrandproblem ist ein staats- und nationalpolitisches Problem.
Ich zitiere dies, weil ich die grundsätzliche Auffassung der SPD-Fraktion klarstellen will. Die Politik,
die dieser Auffassung folgte, war für die ZonenrandBüchler ({0})
gebiete erfolgreich. Das Zonenrandförderungsgesetz vom 5. August 1971 und die auf seiner Grundlage erreichten Erfolge belegen dies. Bisher war diese Auffassung im Bundestag unter allen Fraktionen nicht strittig. Die Erfolge sind für jeden Bürger sichtbar, der mit offenen Augen durch seine Gemeinde, durch seine Stadt im Zonenrandgebiet geht. Einrichtungen für die gesamte Bevölkerung, für Bevölkerungsgruppen aller Art, werden mit beträchtlichen Mitteln gefördert.
Im Rahmen dieser Gesetzesänderung werden die Sonderabschreibungen für unbewegliche Wirtschaftsgüter von 30 % auf 40 % erhöht. Dies bedeutet einen Kostenpunkt von ca. 50 Millionen DM und wird der Wirtschaft im Zonenrandgebiet sicher helfen, ein Stück der Standortbenachteiligung abzubauen. Weiter gilt ebenfalls nur für das Zonenrandgebiet die Sonderabschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter in Höhe von 50 %
Die SPD-Fraktion hält es für nötig, daß dies, was damals 1965 im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen unter dem Vorsitz von Herbert Wehner in einer neuen Form begonnen wurde, konsequent fortgeführt wird. Diese Linie besteht bis zum heutigen Tag. Sie beinhaltet die besonderen Förderungsmaßnahmen für diese Gebiete, die durch die Teilung Deutschlands an den Rand des westlichen Wirtschaftsraumes gedrängt wurden. Es ist das Ziel dieser Politik, die dadurch entstandenen vielfältigen Benachteiligungen abzubauen und zu beseitigen.
Die SPD-Fraktion hält es für geboten, diese Politik fortzusetzen. Sie hält deshalb eine Erhöhung der Investitionszulage auf 10 % allein für das Zonenrandgebiet für nötig. Diese Erhöhung muß durchgesetzt werden. Das heute zur Abstimmung stehende Gesetz wollen wir und sollten wir deshalb nicht verzögern. Der Vermittlungsausschuß hat bei Abwägung aller Fakten gute Arbeit geleistet. Daß sich die SPD-Fraktion nicht ganz durchsetzen konnte, liegt in der Natur der Sache. Das Gesetz, das uns heute vorliegt, wird ein Stück Zukunftsperspektive verwirklichen. Dazu sagen wir ja.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Ergebnis des Vermittlungsverfahrens zu.
({1})
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Warnke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Beschluß des Vermittlungsausschusses im Vermittlungsverfahren über das Investitionszulagengesetz gebe ich namens der CDU/ CSU-Fraktion folgende Erklärung ab:
Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages begrüßt die wirksame Förderung von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen mittelständischer Unternehmen durch die im Vermittlungsausschuß durchgesetzte Anhebung der. Forschungs-
und Entwicklungszulage für Investitionen bis zu einer halben Million Mark auf 20 % der Investitionssumme. Die von der Unionsfraktion in Übereinstimmung mit der Mehrheit der unionsgeführten
Länder im Bundesrat erhobene Forderung nach Verbesserung der ursprünglichen Regelung konnte damit erfüllt werden. Der neue Zulagensatz wurde gegenüber dem bisherigen Förderungssatz nahezu verdreifacht. Die Großzügigkeit dieser Lösung ist der Notwendigkeit wachstumsfördernder . und zukunftssichernder Investitionen im Forschungs- und Entwicklungsbereich angemessen.
In krassem Gegensatz dazu steht das Vermittlungsergebnis im regionalpolitischen Bereich. Es ist nicht gelungen, auch nur die Wiedergutmachung für die durch den seinerzeitigen Bundesfinanzminister Schmidt vorgenommene Kürzung der Mittel für die Arbeitsplatzförderung im Zonenrandgebiet und in den strukturschwachen Gebieten zu erreichen. Nach dem Ergebnis des Vermittlungsverfahrens wird nicht einmal das gewährt, was in Zeiten der Hochkonjunktur für die Neuschaffung von Arbeitsplätzen im Zonenrandgebiet und in den strukturschwachen Gebieten zur Verfügung stand.
Wenn die Unionsfraktion dem Gesetz in der Fassung der Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens zustimmt, so trägt sie damit den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag Rechnung. Fünfmal hintereinander hat die Koalition mit ihrer Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat ihren Willen bekräftigt, jede Anhebung der Investitionszulage für das Zonenrandgebiet und die strukturschwachen Gebiete zu verhindern: erstens bei der Vorlage des Regierungsentwurfs, zweitens bei der Abstimmung über die Unionsanträge in den Ausschüssen, drittens hier im Plenum in zweiter und dritter Lesung, viertens im Bundesrat, fünftens im ersten Vermittlungsverfahren. Auch Anträge, die lediglich das Zonenrandgebiet betrafen, wurden von der geschlossenen Mehrheit der Fraktionen von FDP und SPD abgelehnt.
Dieses Abstimmungsverhalten der SPD- und der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag steht im direkten Widerspruch zu der soeben abgegebenen Erklärung des SPD-Fraktionsvertreters,
({0})
daß die SPD-Fraktion eine direkte Förderung des Zonenrandgebietes für richtiger gehalten hätte. Wenn das der Fall war, hätte sie so abstimmen können.
({1})
Herr Kollege, Sie haben das Wort zu einer Erklärung. Das ist kein Debattenbeitrag. Ich bitte Sie, sich daran zu halten.
({0})
Frau Präsidentin, in dieser Erklärung nehme ich Stellung zu der soeben abgegebenen Erklärung, .
({0})
die eine zumindest mißverständliche Aussage enthielt.
Herr Kollege, dieses ist nicht gemäß der Geschäftsordnung. Ich bitte Sie, zu Ihrer Erklärung zurückzukehren.
Bei diesen Mehrheitsverhältnissen wird die Union das Gesetz passieren lassen, um die von ihr durchgesetzten und dringend notwendigen Verbesserungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich nicht zu gefährden. Sie legt aber Verwahrung gegen den regionalpolitischen Teil ein.
Die Union wird auch nach Verabschiedung des Gesetzes dafür eintreten, durch erhöhte Investitionszulagen mindestens die Wiederherstellung der 10 %igen Arbeitsplatzförderung für bestehende Arbeitsplätze und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sicherzustellen und damit den Menschen im Zonenrandgebiet und in den strukturschwachen Gebieten zu helfen, ihr Lebensrecht zu wahren.
({0})
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP wird dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zustimmen. Wir verkennen nicht, daß damit nicht alle Wünsche nach Förderung erfüllt sind. Wir haben immer die Meinung vertreten, daß es notwendig sei, wirksame Förderung insbesondere im Zonenrandgebiet zu betreiben, was aber zur Voraussetzung hat, daß es gelingt, wirkliche regionale Schwerpunkte zu setzen. Dies ist aber nicht optimal möglich, da mittlerweile bei dem Gesamtmaß der Förderung quer durch das Land ein Großteil des Bundesgebietes zwar nicht den Anspruch erheben kann, Zonenrandgebiet zu sein, aber unter dem Begriff „strukturschwaches Gebiet" gleichfalls Förderung beansprucht. Das hat in der Vergangenheit vieles erschwert.
In diesem Konflikt sind wir stets bestrebt gewesen, zunächst denen zu helfen, die, revierfern und abgelegen, die Hauptlast der deutschen Spaltung zu tragen haben und sich mit diesen Schwierigkeiten auseinandersetzen müssen. Gleichwohl ist es jetzt gelungen, wesentliche Verbesserungen zu erreichen. Wir stimmen der Vorlage zu.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/2090 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kehren jetzt zu den Tagesordnungspunkten 1 bis 4 zurück. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst noch eine ganz kurze Bemerkung zu dem parlamentarischen Vorgang, den wir vor der Mittagspause erlebt haben. Vor einigen Jahren hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt von diesem Pult aus die These vorgetragen, es sei das Ziel der SPD/ FDP-Koalition, mehr Demokratie zu wagen. Meine Damen und Herren, wir haben heute ein Beispiel dafür bekommen, wie das ist, wenn die Sozialisten die Mehrheit haben und darüber bestimmen, wie demokratische Sitten gehandhabt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, uns haben Sie mit Ihrem miserablen Stil - rein parteipolitisch gesehen - einen Gefallen getan. Denn Sie glauben doch nicht im Ernst, daß irgend jemand der Millionen Zuschauer und Zuhörer des deutschen Fernsehens verstehen kann, daß der Oppositionsführer nach einer Rede des Bundeskanzlers wegen der Mittagspause nicht antworten darf!
({1})
Aber - und das ist der Punkt, warum ich darauf überhaupt zu sprechen komme -, meine Damen und Herren, hier geht es ja nicht um eine Sache, die die jeweilige Mehrheit so oder so handhaben kann, sondern hier geht es um das Ansehen des Parlaments. Wir dürfen uns doch nicht darüber beklagen, daß der Deutsche Bundestag in seinem Ansehen draußen manches zu wünschen übrigläßt, wenn Sie ein solches miserables Beispiel geben.
({2})
Ein Wort muß ich dazu noch sagen: Daß die Freien Demokraten alles dies mitmachen, daß nicht mehr ein Funken jenes leidenschaftlich-parlamentarischen Geistes eines Thomas Dehler in dieser Fraktion wohnt, ist eine schlimme Sache, ist ein schlimmer Tatbestand.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Etatberatung ist eine Etatberatung in der Mitte der Legislaturperiode. Um es sportlich auszudrücken: Es ist Halbzeit. Herr Bundeskanzler, es wäre die natürlichste Sache der Welt gewesen - ja, unser Volk hat einen Anspruch darauf -, vom Regierungschef bei dieser Gelegenheit etwas zu den drängenden Problemen unseres Landes zu hören. Was haben wir zwei Stunden hindurch aus Ihrem Munde gehört? Hier verfängt nicht die Ausrede, daß Sie sich immer auf den Kollegen Strauß beziehen. Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland haben hier Rechenschaft zu geben und nicht ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Es ist Ihre Pflicht, hier Rechenschaft zu geben!
({4})
Das, was Sie geboten haben, war ein schlimmes Schauspiel. Es war vor allem auch ein Schauspiel - und das ist, wie ich .neidlos zugebe, die Kunst, die Sie meisterhaft beherrschen. Denn, Herr Bundeskanzler, statt Rechenschaft über das zu geben, was
in diesen Jahren oder Monaten geschah, haben Sie sich einmal mehr im Rundumschlag geübt. Sie haben versucht, die, die anders denken - im Hause oder außerhalb des Hauses -, herabzusetzen, verächtlich zu machen. Sie haben mit Unwahrheiten und mit Verdrehungen gearbeitet. Dort, wo Sie gestellt wurden, waren Sie unfähig, sofort ein mannhaftes Wort der Entschuldigung, zu finden.
({5})
Sie haben - einfach aus der Laune und aus Ihrer Strategie der Verleumdung heraus - die Behauptung aufgestellt, die CDU/CSU habe erwogen, die Sommerpause im Zusammenhang mit der Rentenfrage mit einer Sondersitzung zu unterbrechen. Dann hat der Kollege Jenninger, der es als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Union eigentlich wissen muß, Sie ganz ruhig gefragt, wer das denn gesagt habe, wo das gesagt worden sei, woher Sie das wüßten. Sie haben dann nicht gesagt - und das, Herr Bundeskanzler, ist verräterisch -: Herr Kollege Jenninger, ich habe dies jetzt nicht parat!, sondern Sie haben gesagt: Ich stehe doch nicht vor dem Volksgerichtshof!
({6})
Herr Bundeskanzler, was haben Sie für ein Parlamentsverständnis,
({7})
was geht in Ihnen vor, wenn Sie auf die Frage eines Kollegen eine solche Antwort geben?
({8})
Herr Bundeskanzler, Sie sprachen über Geschichte; ich komme noch darauf zurück. - Hinsichtlich des von Ihnen gemachten Ausspruchs kann ich nur wiederholen: Die Sprache, die Sie hier im Munde führen, ist verräterisch.
({9})
Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hat als eine seiner wichtigsten Pflichten und Aufgaben, bei allem Verständnis und - wer wollte das hier im Saal leugnen - bei aller Notwendigkeit kämpferischer Auseinandersetzung zwischen den Parteien, vor allem auch die verdammte Pflicht, die vornehme Pflicht,
({10})
dem inneren Frieden des Landes zu dienen. Sie, Herr Bundeskanzler, sehen Ihre Aufgabe darin - um das nackte Überleben im Amt des Kanzlers zu garantieren -, Gräben aufzureißen, möglichst zu polarisieren. Das ist das Wesen Ihrer Politik.
({11})
Sie sind gar nicht mehr fähig, mit Ruhe eine andere Meinung zu ertragen. Sie sind inzwischen mit Ihrem Selbstbildnis so weit gediehen, daß Sie es als Majestätsbeleidigung betrachten, wenn nur ein anderer eine andere Meinung vorträgt. Das hat mit jenem Demokratieverständnis überhaupt nichts zu tun, das Grundlage wirklich kämpferischer Auseinandersetzung im Parlamentarismus der Bundesrepublik Deutschland ist.
({12})
Herr Bundeskanzler, es war eine entlarvende Rede, und für diesen Teil bin ich dankbar. Manche meiner Freunde täuschen sich, wenn sie glauben, dies sei nur so dahingeredet. In dieser Sache ist der Bundeskanzler Helmut Schmidt ein guter Schüler Herbert Wehners. Die reden nicht so dahin, die meinen das, was so scheinbar dahingeredet ist.
({13})
Wenn er nun in dieser Debatte das entlarvende Wort vom „Schlagwort ,Soziale Marktwirtschaft' gesprochen hat, dann ist das in der Tat - ich kann meine Freunde nur immer wieder darauf hinweisen - ein wahres Wort aus dem Munde des Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Ich war nie der Überzeugung, Herr Bundeskanzler, daß Sie ein überzeugter Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft sind.
({14})
Das bestätigt sich, wenn ich interessante, nicht in der Hitze des Gefechts, sondern nachdenklich formulierte Zitate betrachte, als Sie etwa in jener Rede vor der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Berlin sagten, als Sie noch Finanzminister waren: „Dieses System der Marktwirtschaft ist nicht eine Ordnung, die für alle Zeiten, unter allen Bedingungen der Garant der Freiheit für die Bürger und die beste Organisationsform zur Befriedigung der ökonomischen und sozialen Bedürfnisse der Menschen sein muß." Das zweite Zitat liegt wenige Jahre zurück. Es stammt aus der „Frankfurter Rundschau", aus einem wichtigen Interview: „Es ist nicht so, daß wir den Rat einer durchgearbeiteten marxistischen Konzeption zur Anwendung auf gegenwärtige Probleme entbehren möchten."
({15})
Herr Bundeskanzler, diese beiden Zitate - ich könnte Ihnen mit anderen Zitaten dienen - machen deutlich, daß jener Helmut Schmidt, der in der Zeit, bevor er Kanzler wurde, gelegentlich stärker durchschimmerte, natürlich heute noch ganz und gar lebendig ist. Ich mache es mir nicht so einfach, Ihnen in diesem Zusammenhang nur zu sagen, das sei eine Verbeugung vor den Linken. Das ist ein Stück vom Geiste Helmut Schmidts, das hier durchschimmerte, das heute deutlich geworden ist.
({16})
Herr Bundeskanzler, ich weiß, daß das bei Unternehmergesprächen im Kanzlerbungalow ganz anders klingt. Dort sprechen Sie durchaus - Sie sind ja überhaupt ein Meister dieser Praxis - in einer Sprache und in einer Form, wie es Ihre geladenen Gäste gern hören. Nur ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler, daß Sie und ein Großteil der deutschen Sozialdemokraten aus dem traumatischen Erlebnis Ihres Mißerfolgs der ersten Jahre bei der Gründung unserer Bundesrepublik nie ein Verhältnis des Geistes und ides Herzens zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft gewonnen haben.
({17})
Auch Ihre Politik ist voller Zeugnisse dafür. Es ist aber die Sache des Grafen Lambsdorff und der Freien Demokraten, wie sie mit dieser Perspektive fertig werden. Nur kann hier nicht unwidersprochen bleiben, was Sie einmal mehr entweder aus Unkenntnis unserer Verfassung oder aus drastisch gewolltem Mißverstehen zum Thema Verfassung und Soziale Marktwirtschaft vorgetragen haben.
Jeder weiß, daß es eine geschriebene, kodifizierte und natürlich auch eine lebendige Verfassung gibt, die tradiert, die sich tief eingräbt. Es gibt wichtige freiheitliche Völker dieser Erde, die weite Bereiche ihrer Verfassungsordnung zu keinem Zeitpunkt einem geschriebenen Text anvertraut haben. Aber sie sind groß geworden und geblieben, weil sie nach dem Geist der Verfassung lebten.
Herr Bundeskanzler, es ist doch einfach nicht zu bestreiten, daß das Grundgesetz die wichtigsten Elemente der marktwirtschaftlichen Grundlagen, des marktwirtschaftlichen Denkens garantiert. Ich will es hier mit einigen Sätzen sagen. Der Schutz des Eigentums, auch an den sogenannten Produktivmitteln, ist in Art. 14 vorgeschrieben. Die freie Entscheidung des Arbeitnehmers, in welchem Bereich der Wirtschaft und bei welchem Arbeitgeber er arbeiten will, ist natürlich geschützt. Das Recht der Unternehmer, untereinander und miteinander zu konkurrieren, und das Recht aller, über Konsum oder Konsumverzicht und über die Art des Konsums zu befinden, das alles ist - um nur weniges zu nennen - in dieser Verfassung niedergelegt.
({18})
- Es mag natürlich sein, Herr Kollege, daß dies für Sie aufgrund Ihrer ideologischen Inspiration alles Larifari ist. Für uns ist das ein Kernstück unserer Verfassungsordnung.
({19})
Herr Kollege Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe nicht die Absicht.
({0})
- Meine Damen und Herren, Sie haben es nicht möglich gemacht, daß wir das Gespräch mit dem Kanzler nach seiner Rede aufnahmen. Da müssen Sie es mir jetzt selbstverständlich abnehmen, daß ich nun mit dem Kanzler rede.
({1})
Einer Verfassung, Herr Bundeskanzler, die all diese entscheidenden Grundelemente der Sozialen Marktwirtschaft anerkennt, kann man doch nicht so einfach unterstellen, sie stehe dieser Wirtschaftsordnung nicht besonders positiv gegenüber oder zu ihr nicht in einem besonders engen Verhältnis, im Gegensatz zu anderen denkbaren Wirtschaftsordnungen.
Im übrigen wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns im Sinne Ihres Vortrages vor der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, da doch jetzt bei der SPD die Denkmodelle im Umgang sind, einmal das Denkmodell interpretieren könnten, das Sie dazu veranlassen könnte, die Soziale Marktwirtschaft - ob Sie das nun geschrieben oder kodifiziert betrachten - so zu verändern, daß Sie zu einem anderen Weg kommen. Das ist einer unserer Gründe, warum wir bei Ihnen immer anfragen müssen: Wollen Sie diese Republik der Bundesrepublik Deutschland, oder wollen Sie eine ganz andere Republik? Das ist doch eine der Fragen.
({2})
- Herr Kollege Wehner, es gibt wenige in diesem Hause, die so viele Beiträge dazu geleistet haben wie Sie, daß diese Frage aufkommt. Sie sollten hier nicht dazwischenrufen.
({3})
Ich sage das mit einer solchen Entschiedenheit auch deshalb, Herr Bundeskanzler, weil ich noch im Ohr habe, wie Sie aus Anlaß des Todes von Ludwig Erhard in Ihrer Würdigung doch eine genealogische Linie von Ludwig Erhard zu sich selbst fortsetzen wollten. Das ist ja das, was ich Ihren Opportunismus, Ihren blanken Opportunismus nenne; Sie sagen je nach Gelegenheit das, von dem Sie glauben, daß es gerade günstig aufgenommen wird. Das ist das Gegenteil von Politik.
({4})
Dann haben Sie in diesem Zusammenhang Franz Josef Strauß wegen seiner heutigen Ausführungen angegriffen. Was hat er denn eigentlich gesagt?
({5})
Er hat sich darauf bezogen, Herr Bundeskanzler, daß er einer der wenigen lebenden Augen- und Ohrenzeugen der Akteure jener Jahre des Wirtschaftsrates ist, als diese Grundentscheidungen gefallen sind. Er hat auf seine Rede in der Paulskirche hingewiesen, auf die Rede von Graf Lambsdorff und auf die meine. Wie Sie in diesem Zusammenhang polemisieren, CSU und CDU redeten im Blick auf den 30. Geburtstag der D-Mark immer' nur von den Unternehmern und gar nicht von der Leistung der Gewerkschaft, so ist auch das schlicht und einfach unwahr. Wenn Sie die Reden nachlesen, die damals gehalten worden sind, und wenigstens etwas die Geschichte kennen würden, dann müßten Sie doch wissen, daß gerade jene Grundentscheidungen für Ludwig Erhard nicht zuletzt und vor allem auch durch die Stimmen unserer Freunde in der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft - Theo Blank und wie sie alle heißen - überhaupt erst möglich gemacht wurden.
({6})
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 104. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 8221
Es , waren doch nicht die Sozialisten jeglicher Provenienz, die damals diesen Durchbruch schafften, sondern es waren - zusammen mit den Stimmen der FDP; das sei in diesem Zusammenhang gerne gesagt - nicht zuletzt unsere Freunde, die aus der Gewerkschaftsbewegung gekommen sind. Deswegen verschonen Sie uns bitte mit diesen Verdächtigungen der Unternehmerpartei, die Sie auf diese Art einführen wollen. Wir waren - dies gilt für CDU wie für CSU - immer eine Partei, die glücklich ist, daß es möglich ist, in dieser Volkspartei Unternehmer und Arbeitnehmer, Gewerkschaftsführer gleichermaßen wie Freiberufler als Mitglieder zu sehen. Wenn Sie sich einmal anschauen, Herr Bundeskanzler, daß 39 % - dies wurde unwiderlegbar festgestellt - aus der organisierten Arbeiterschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei der letzten Bundestagswahl CDU/CSU gewählt haben, haben Sie einen Beweis dafür, wie töricht Ihre These ist.
({7})
Vom 30. Geburtstag der D-Mark könnten wir alle, aber vor allem Sie, so meine ich, doch etwas lernen. Sie könnten nämlich lernen, daß sich damals kein Wunder ereignete, sondern daß es zwei wichtige Dinge gab, die zusammenkamen: der Wille unseres Volkes in allen demokratischen Gruppen, etwas zu schaffen und zu leisten, und eine kluge Politik, die den Durchbruch brachte, nämlich eine Politik, Herr Bundeskanzler - das ist das, was man Ihnen ins Stammbuch schreiben muß -, die mehr auf Freiheit und weniger auf Bürokratie setzt. Das ist doch die Erfahrung jener Jahre. Sie betreiben genau die umgekehrte Politik. Seit den neun Jahren der Regierungszeit von SPD und FDP gehört es immer mehr zu einer der Grundüberzeugungen unserer Mitbürger, daß diese Koalition vor allem Bürokratie erzeugt, daß die Leistung bestraft wird, daß eine von Neidkomplexen besessene Gleichmacherei betrieben wird. Das ist doch die Alltagserfahrung. Bürokratiehürden, Kostenhürden, Kapitalhürden haben die Wettbewerbsfähigkeit gerade der Klein- und Mittelbetriebe erschwert. Sie haben den Marktzugang zu Neugründungen für Unternehmungen und selbständige Existenzen gesperrt. Während sich die Risiken der Unternehmer erhöht haben, sind die Möglichkeiten, selbst Risiko tragen zu können, durch Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, eingeschränkt worden. Eine Pleitewelle sondergleichen, ohne jeden Vergleich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der bedrohliche Rückgang der Zahl der selbständigen Existenzen, der dramatische Rückgang des lebensnotwendigen Wunsches der jüngeren Generation, sich selbständig zu machen - das sind die Signale Ihrer Regierungszeit, die jedermann erkennen kann.
Graf Lambsdorff, ich habe das Thema „Paulskirche" hier nicht eingeführt. Wenn wir aber schon darüber reden: Ich möchte mir wünschen, daß Sie und Ihre Freunde sich nicht nur in der Paulskirche mit ordnungspolitischen Ausführungen dieser Art beschäftigen. Das war eine ausgezeichnete Rede, die unseren vollen Beifall findet. Machen Sie doch solches endlich einmal nicht nur im Reden, sondern setzen Sie Signale bei den Abstimmungen, wenn es darum geht, solche Reden in entschlossene Politik umzusetzen.
({8})
Aber dies ist ja Ihr Problem: Die Sozialdemokraten, Ihr mächtiger Partner im Bündnis der Koalition, haben diese Soziale Marktwirtschaft insgesamt - ich rede jetzt nicht von den Sozialdemokraten allgemein, wohl aber von wichtigen Teilen der Sozialdemokraten - nie geschützt. Sie haben auch im Geiste nie die Chancen und die Möglichkeiten erfaßt. Die meisten Sozialdemokraten haben der marktwirtschaftlichen Ordnung eben nicht verziehen, daß sie so erfolgreich war und daß sie alle sozialistischen Prognosen der frühen 50er Jahre überwunden und über den Haufen gerannt hat. Das war doch die Erfahrung, die Sie machen mußten.
({9})
Was wir brauchen, sind frischer Wind, Anreiz zur Leistung, mehr Selbständigkeit, Zukunftsperspektiven, eine Kurskorrektur der Politik der Bundesrepublik.
({10})
- Ich meine, das sollten wir ruhig den Wählern überlassen. Bis jetzt sind Sie mit Ihrem Kurs nur von Wahlniederlage zu Wahlniederlage gestolpert und haben sich nur im gegenseitigen Festhalten, wie es Franz Josef Strauß beschrieben hat, hier auf den Regierungsbänken halten können.
Herr Bundeskanzler, im Rahmen Ihrer Darstellung haben Sie sich wieder einmal die Länder vorgenommen. Wissen Sie: Ich finde, es ist auf die Dauer unerträglich, daß Sie eine derartig profunde Nichtkenntnis einfachster Tatsachen vortragen. Ich will jetzt nicht auf jenes Beispiel mit Ihrer Gas- und Wasserrechnung zurückkommen. Franz Josef Strauß hat dazu das Nötige gesagt. Aber daß Sie es wagen können, vor mündigen Bürgern, die doch ein normal entwickeltes Gedächtnis besitzen, hier das Thema Hessen in die Debatte einzuführen, das zeigt doch, welches Maß von Unverfrorenheit hier obwaltet. Auch das muß einmal klar und deutlich ausgesprochen werden.
({11})
Herr Bundeskanzler, eine einfache Frage: Warum schreibt eigentlich die Partei, deren 2. Vorsitzender Sie sind, die SPD, auf ihre Plakate nicht mehr jenen alten Slogan Georg August Zinns: „Hessen vorn!"? Doch nur deswegen, weil sich ein homerisches Gelächter in der Bundesrepublik erheben würde. Es gab doch kein Bundesland in den letzten Jahren, das so von Skandalen und Filzokratie gezeichnet war wie Hessen.
({12})
Und dann kommen Sie hierher, Herr Bundeskanzler, und rechnen den Bayern den Länderfinanzausgleich vor.
({13})
B222
Dann schieben Sie natürlich gleich Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein - offensichtlich ist das Saarland im Text untergegangen - nach. Auch dazu noch ein Wort. Wenn ich die Entwicklung des Bruttosozialproduktes in diesen Bundesländern von der Ausgangsposition „Stichtag DM" bis zum heutigen Tag betrachte, kann ich nur sagen: Das ist eine stolze Leistung. Alle, die da mitgearbeitet haben, können stolz darauf sein, welch eine enorme Entwicklung des Aufstiegs diese Länder genommen haben. Bloß: Wer darüber redet, der muß eben - ({14})
- Ja; natürlich. Das ist ja das alte sozialistische Prinzip.
({15})
Sie sehen ja nicht, obwohl der Kanzler es hier behauptete, den geschichtlichen Zusammenhang. Sie versuchen, allein über Ihre öde Gleichmacherei nach Prozenten ein Problem zu erläutern. Und das geht eben in diesem Zusammenhang nicht.
({16})
Sie werden doch nicht im Ernst behaupten wollen, daß die Menschen, die nach dem Krieg etwa in Schleswig-Holstein Hand angelegt und den Aufbau betrieben haben, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, weniger klug waren und weniger Chancen nutzten als die Menschen in anderen Teilen. Sie hatten eine viel, viel schlechtere Ausgangsposition. Wenigstens das muß doch ein Bundeskanzler wissen, wenn er über diese Dinge redet, statt derart leichtfertiges Geschwätz hier auf der Bühne des Bundestags von sich zu geben.
({17})
Damit es auch zwischen uns ganz klar ist, Herr Bundeskanzler, stelle ich fest: Ich kann mich sehr wohl mit meiner Regierungsleistung auch auf diesem Gebiet vor meinen Bürgern in Rheinland-Pfalz sehen lassen. Wir wollen einmal sehen, wie die Bürger der Bundesrepublik Deutschland bei Ihrem Abgang über Ihre Tätigkeit reden werden.
({18})
Was die Bayern betrifft, frage ich mich nur: Wenn das alles in Bayern so schlimm ist, wie Sie es geschildert haben, so finster und so schwarz, warum will eigentlich alles nach München ziehen? Warum ist im Rahmen der Binnenwanderung der Bundesrepublik Deutschland Bayern der Punkt, wo alles hin will? Und nur der Bundesjustizminister Vogel ist weggegangen.
({19})
Aber der hatte doch ganz andere Gründe. Der ist doch nicht wegen der schwarzen Politik der CSU weggegangen. Der ist doch weggegangen, weil er von den Hexengeistern der Jusos aus dem Rathaus vertrieben wurde!
({20})
Franz Josef Strauß hat heute einen dieser Münchner sozialistischen Herrenreiter zitiert,
({21})
einen Mann, der unentwegt über Sozialismus redet, aber in seinem ganzen Gehabe das genaue Gegenteil eines Vertreters der Arbeiterklasse ist.
({22})
Diese Art und Weise, hier Politik seitens des Regierungschefs der Bundesrepublik Deutschland vorzutragen, ist doch ganz und gar unerträglich. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, Herr Bundeskanzler? Sie sind Repräsentant eines Verfassungsorgans, nämlich des Verfassungsorgans Bundesregierung. Ob Sie die Verfassung mögen oder nicht - was Sie dazu sagen, ist völlig egal -, Sie haben, wie Herbert Wehner eben ganz mit Recht dazwischenrief - und ich respektiere das, weil es richtig ist -, Ihren Amtseid geleistet. Wie können Sie denn eigentlich fortdauernd so über den Bundesrat reden, wie Sie es heute wieder getan haben? Alle Bundeskanzler - ich habe das früher schon einmal gesagt - hatten ihr Problem mit der föderalen Ordnung. Das hat nichts mit der Partei zu tun, sondern mit der Einschätzung des eigenen Verfassungsorgans, das man vertritt. Das war bei Adenauer nicht anders als bei Erhard und bei Kiesinger und bei Brandt. Bloß: So miserabel war die Beziehung, so absolut unerträglich war das Reden des Regierungschefs über ein anderes Verfassungsorgan noch nie wie bei Ihnen, Herr Bundeskanzler.
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Das wäre vielleicht auch noch nicht einmal der Rede wert, aber Sie behandeln ja alle Verfassungsorgane so, weil Sie von sich selbst glauben, Sie seien der Größte. Es hat doch noch nie ein Regierungschef gewagt - und das ist ein Verstoß gegen den Geist unserer Verfassung -, so über das Bundesverfassungsgericht herzuziehen, es so moralisch unter Druck zu setzen, wie Sie das immer wieder tun, wenn Sie dort eine Entscheidung erfahren müssen, die Ihnen nicht gefällt.
({24})
Lassen Sie mich auch hier das Entlarvende Ihrer Aussagen genau und ruhig vortragen. Sie haben sich bitter über das beklagt, was Gerhard Stoltenberg gesagt hat. Ja, was hat er denn eigentlich gesagt? Was hat er denn gesagt? Er hat darauf hingewiesen, Herr Bundeskanzler, daß es ein unerträglicher Zustand ist
({25})
- ich komme noch darauf -, daß der Bundesrat am kommenden Freitag zu einer Sondersitzung veranlaßt wird - man ist dort voll guten Willens gewesen -, und gleichzeitig unterlaufen Sie die Argumentation und die Auseinandersetzung in dieser Kammer, die notwendig ist, indem Sie die Gesetzesvorlage über die Fraktion vorziehen.
Er hat noch etwas gesagt.
({26})
- Das müßten Sie doch noch besser wissen als jeder andere von uns, Herr Kollege.
Gerhard Stoltenberg hat darauf hingewiesen, was das eigentlich für eine schludrige Politik ist - jetzt sage ich es mit meinen Worten -: noch im Juni haben Sie von diesem Pult aus erklärt, es sei ganz und gar unmöglich, daß man die Tarifverbesserungen im Steuersystem zum 1. Januar 1979 einführe. Sie haben dafür die ganze Amtsautorität der Regierung in Anspruch genommen. Wer es bezweifelte, von dem wurde gesagt, er wisse es nicht besser, er sei provinziell, um in der Sprache des Kanzlers zu bleiben.
Jetzt haben Sie zehn, zwölf wichtige Arbeitswochen wegen Ihrer Unfähigkeit vergeudet, Notwendiges zur rechten Zeit zu tun.
({27})
Jetzt werfen Sie den Ländern vor, sie seien nicht hinreichend gefügig.
Meine Damen und Herren, es gab noch nie eine so liederliche Gesetzgebung wie unter diesem Bundeskanzler und dieser Bundesregierung!
({28})
Die markigen Worte stehen doch in schreiendem Gegensatz zur Wirklichkeit. Wo gibt es denn eine Gesetzgebung in irgendeinem Landtag, bei der noch nicht einmal die dritte Lesung zu Ende ist und schon die Novellierung des Textes vorbereitet wird? Das ist doch ein Signum Ihrer Politik.
({29})
Man muß auch in folgendem Punkt noch einmal auf die Rede Bezug nehmen, die wir gerade hörten. Es wurde als staatsmännische Leistung gepriesen, daß der Kanzler vor dem Bonner und dem Bremer Gipfel zum Thema Steuern nichts gesagt habe. Der Kanzler hat zwar in eine andere Richtung geschaut, aber gemeint hat er offensichtlich den Grafen Lambsdorff, der ja auch aus fernen Erdteilen seine Stimme erklingen läßt. Aber je mehr er sich dem Kanzleramt nähert, desto leiser wird seine Stimme, bedenklich leiser, meine Damen und Herren.
({30})
Herr Bundeskanzler, Sie werden doch keinem Ihrer Gesprächspartner gesagt haben, die alle sachkundig sind - es fiel mir übrigens auf, daß Sie vorhin Callaghan nicht aufgezählt haben; sonst zählen Sie ja bei solchen Gelegenheiten alle wichtigen Repräsentanten der westlichen Welt auf, damit jedermann erkennen kann, wie der Kontakt und die Beziehungen zu den jeweiligen Persönlichkeiten sind -, daß das, was Sie jetzt hier vorhaben - die Beseitigung des Inflationsgewinns -, etwas mit dem versprochenen Wirtschaftswachstum zu tun hat.
Sie wissen doch so gut wie ich - Ihr Finanzminister hat es in der Zwischenzeit selbst gesagt -, daß das nicht das Kernstück der Politik sein kann. Es ist doch gestern des langen und breiten erklärt worden, daß in dieser Beziehung eine Ungerechtigkeit besteht, und zwar eine ganz unerträgliche Ungerechtigkeit. Wenn man dann heute bei Ihnen den Zwischenruf „Das ist heute nicht von Strauß zu sagen, weil es gestern in langer Rede in der Steuerdebatte vorgetragen wurde" macht, Herr Bundeskanzler, dann erklären Sie, an dieser Debatte konnten Sie nicht teilnehmen. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus. Aber jeder, der daran teilgenommen hat, ist also einer, der keine Beschäftigung hat. Wenn Sie eine Regierung hätten, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland brauchten, wären sie wenigstens über das informiert, was gestern hier besprochen wurde.
({31})
Noch einmal zurück zu Hessen, Herr Bundeskanzler: Auf mich hat besonders tiefen Eindruck gemacht, daß Sie den Bayern vorgehalten haben, die könnten das Weihnachtsgeld nicht bezahlen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben viele Bürger, die ihr Konto bei Stadt- und Kreissparkassen in der Bundesrepublik Deutschland haben, ihren Obulus zur Sanierung der Hessischen Landesbank beigetragen - über eine Milliarde DM.
({32})
Herr Bundeskanzler, würden Sie mir in Ihrer großen Güte bitte einmal sagen, wo es in der deutschen Geschichte einen vergleichbaren Fall gegeben hat, daß die Bürger von öffentlich-rechtlich verfaßten Banken- oder Sparkassenorganisationen aus Solidarität - wir bejahen das Prinzip dieser öffentlich-rechtlichen Banken und Kassen - zur Kasse gebeten worden sind, weil dort eine Mißwirtschaft sondergleichen getrieben wurde. Diese Mißwirtschaft hat einen Namen und heißt: Hessische SPD. Das ist doch die Erfahrung aus den letzten Jahren.
({33})
Herr Bundeskanzler, ich war auch erstaunt, daß Sie überhaupt dieses Thema „Hessen hinten" angesprochen haben. Ich habe das vor einigen Monaten von Ihnen eigentlich noch ganz anders gehört. Wo waren Sie denn bei einem wichtigen Punkt der politischen Debatten in den letzten Wochen? Herr Bundeskanzler, wir haben vor einigen Monaten gemeinsam die große Ehre gehabt, in Bad Godesberg vor fast 1 500 Bürgermeistern und Gemeindevertretern beim Deutschen Städte- und Gemeindebund zu sprechen. In der Ihnen eigenen dynamischen Weise haben Sie dann auch das Thema Verwaltungsreform angesprochen.
({34})
Ich sehe heute noch, wie Sie dramatisch schilderten, wie da diese Reißbrettechnokraten durch die Länder gehen und alte Kulturlandschaften zerstören, auseinanderreißen. Sie haben wörtlich gesagt, es sei ein historisches Verbrechen.
({35})
Der Herr Bundestagsvizepräsident Schmitt-Vokkenhausen, der in der Sitzung präsentierte, war in einer inneren Verfassung, daß er Sie am liebsten dafür umarmt hätte, daß Sie einmal das ausgesprochen haben, von dem er glaubt, daß es seit langem! ausgesprochen werden muß.
({36})
Herr Bundeskanzler, Sie sprachen von einer öden
Flußlandschaft und ähnlichem. Diese Bürgermeister
- und das war der Zweck Ihrer Rede - gingen in dem Gefühl heim: Jetzt haben wir einen Kanzler, der da in Hessen einmal aufräumt, der nach der Ordnung schaut. Sie haben aber nur einen Kanzler erlebt, der blanker Opportunist ist; denn als es jetzt in Wiesbaden zur Abstimmung kam, hat der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Bundeskanzler Helmut Schmidt, kein Wort zugunsten einer Lösung der Vernunft in einer alten historischen Landschaft gesagt.
Herr Bundeskanzler, Sie haben vorhin von der Geschichte gesprochen: In Zukunft also wird - so Geschichte stattfindet - in hessischen Lesebüchern zu lesen sein, daß Goethe seine Richterjahre statt in Wetzlar in Lahn II verbracht hat. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({37})
Meine Damen und Herren, warum erwähne ich das?
({38})
- Herr Kollege Wehner, wenn ich Sie sehe, fällt mir immer etwas ein. Das Kompliment muß ich schon uns beiden machen.
({39})
Ich erwähne das, Herr Bundeskanzler, weil es in zweierlei Hinsicht bedeutsam ist: erstens für die Art, Politik zu machen, verbale Kraftakte auszustoßen und dann, wenn es darauf ankommt, umzufallen. Sie sind das genaue Gegenteil des starken Mannes, der Sie immer sein möchten.
({40})
Zum zweiten wird hier ein klassisches Profil sozialdemokratischer Politik deutlich. In Wahrheit gibt es im Hessischen Landtag - und das muß ich den Kollegen dort zugute halten, auch den Kollegen von SPD und FDP - nicht einen einzigen, der nicht wüßte, daß das, was da gemacht wurde, blanker Blödsinn ist. Natürlich weiß das auch jeder sozialdemokratische Kollege. Aber das geht nach dem Motto: Wir haben es einmal beschlossen, und was Sozialdemokraten beschlossen haben, muß in Zukunft auch als beschlossen gelten, und wenn es ein noch so großer Unsinn ist und sich nicht als richtig erweist. Beschluß ist Beschluß, es lebe die Partei! Das ist das Prinzip.
({41})
Herr Bundeskanzler, ich habe mit großem Interesse - und nehmen Sie mir das ab, wenn ich das bei diesem Thema so sage - ({42})
- Ja, es ist Ihr Problem, daß Sie kaum mehr zuhören können. Auch das ist Ihr Problem, daß Sie in Ihrer geistigen Struktur inzwischen so weit sind, daß Sie außerhalb Ihrer Schubladen gar kein Wort mehr erreicht. Das ist das Problem unserer Demokratie geworden; davon leben Sie ja mit Ihrem Geist der Polarisierung.
({43})
Herr Bundeskanzler, Sie haben sehr Bedenkenswertes zum Thema „Geschichte" gesagt. Ich will das Thema aufgreifen, weil es ein ganz wichtiges Thema ist. Und auf die Gefahr hin, daß es mißverstanden wird, möchte ich hinzufügen: Ich halte die Frage unseres Geschichtsverständnisses für mindestens genauso wichtig wie all jene auch wichtigen tagespolitischen Fragen von der Steuerreform bis hin zu allen anderen innenpolitischen Problemen.
({44})
Denn hier geht es praktisch um die Justierung, um die geistige und moralische Grundorientierung unserer Republik.
Das, was Sie, Herr Bundeskanzler, hier heute beklagt haben, ist nicht vom Himmel gefallen.
({45})
Wir haben in der jüngsten deutschen Geschichte
zwei Wurzeln der Geschichtslosigkeit und des mangelnden Geschichtsverständnisses. Die eine Wurzel
- und da. müssen wir alle mittragen - liegt darin, daß zu viele aus der Generation oder den Generationen, die die NS-Zeit noch erlebt haben, nach dem Kriege glaubten - nicht bösen Willens, aber doch glaubten -, es sei gut, dieses Thema zunächst einmal gar nicht weiter zu behandeln; manche glaubten sogar, es sei besser, überhaupt nicht darüber zu reden, es also totzuschweigen.
Das war, meine Damen und Herren, falsch, und wir alle müssen uns fragen, ob wir das Nötige getan haben - das gilt für die Elternhäuser genauso wie für die Schulen -, damit die Kinder mehr von der Geschichte erfahren. Ich bin ganz und gar dagegen, daß wir dabei immer nur von den Schulen reden. Die erste Funktion hat hier das Elternhaus.
({46})
Wenn der Bub und das Mädchen vom Vater und von der Mutter keine Geschichte erfahren, kann auch der Lehrer nur relativ wenig tun. Ich bin dagegen, daß die Lehrer auch in dieser Frage für alles herhalten müssen. Das ist der eine Punkt, der uns alle angeht.
({47})
- Meine Damen und Herren von der SPD, Sie mögen das bestreiten; es ist ja inzwischen so weit gekommen, daß Sie die einfachsten Dinge bestreiten.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund, und mit dem muß ich mich hier beschäftigen und muß Sie ganz direkt ansprechen. Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: Was haben Sie persönlich dagegen getan, daß jahrelang Repräsentanten Ihrer Partei - ich nenne zwei für viele: den Herrn von Oertzen und den Herrn von Friedeburg - die Philosophie der Geschichtslosigkeit als eine Philosophie der Progressivität verkörpert haben?
({48})
Ich frage Sie: Wo war in diesen Jahren Ihr klärendes Wort in der deutschen Öffentlichkeit - aus
welcher Funktion auch immer gesprochen -, als es darum ging, darum zu kämpfen, daß Geschichte nicht zur blanken und bloßen Sozialwissenschaft degeneriert? Sie haben ganz zu Recht vorhin gesagt, politische Wissenschaft sei nicht nur Soziologie. Einverstanden! Ich bin auch mit der Ausweitung der Geschichte einverstanden.
Es war für mich als jemanden, den Sie jahrelang als einer Landschaft zugehörig betrachtet haben, die von Ihnen nur mit Spott überschüttet wurde, eine wichtige und gute Sache, daß Sie einmal das Hambacher Schloß erwähnt haben. Ich freue mich, daß Sie inzwischen begriffen haben, wo die Landschaft ist, in der das Hambacher Schloß steht und aus welchem Geiste damals das Hambacher Fest gefeiert wurde.
Nun, Herr Bundeskanzler, Sie klagen andere an. Was haben Sie denn eigentlich getan? Es war doch die Zeit Ihrer Regierungszeit, in der Geschichte umgeschrieben wurde. Wer von uns will etwa das Kapitel des Bauernkrieges ausklammern? Wir wollen keine Geschichtsschreibung, die nur aus Kriegsdaten oder den Kaiserjubiläen besteht. Aber wir wollen die ganze Geschichte haben, und zwar mit allen ihren Kapiteln, wenn junge Leute in Deutschland mündige, bewußte Bürger in der Tradition und der Geschichte unseres Landes werden wollen.
({49})
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, wir haben auch nie ein Kapitel ausgeklammert.
({50})
Die Christlich Demokratische Union und die Christlich-Soziale Union sind nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden als eine neue Parteigruppierung aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und aus den Erfahrungen des Kaiserreichs. Es gibt eine ganze Gruppe von Vorläuferparteien unserer Partei. Wir haben am Anfang einen anderen Weg genommen als etwa die Sozialdemokratische Partei, die auf eine über 100jährige große, bedeutende Geschichte zurückblicken konnte. Die Elemente, die zur CDU/CSU führten, die Bausteine aus der Geschichte und Tradition waren die Erfahrungen von Männern und Frauen im Widerstand gegen Hitler, die aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern kamen, aus der äußeren und inneren Emigration, aus den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges, aus der Zwischengeneration, die Weimar nicht mehr erlebt hat, die Frauen, die aus den zerschlagenen Städten und Dörfern herauskrochen, und die ganz Jungen. Ich bin einer von denen, die damals als Schüler hinzugekommen sind. Das war die Gründungsschicht unserer Partei. Bei anderen demokratischen Parteien war es ähnlich. Deswegen ist für uns die Geschichte des deutschen Widerstandes ein Stück Geschichte unserer eigenen Partei. Herr Bundeskanzler, dazu brauchen wir von niemandem, auch und schon gar nicht von Ihnen, Nachhilfeunterricht. Ich bin stolz darauf, daß der Sohn des Grafen Stauffenberg Mitglied meiner Fraktion ist.
({51})
Die Geschichte der CDU/CSU wäre nicht die Geschichte unserer Identität, wenn nicht Andreas Hermes, Jakob Kaiser, Josef Müller, Konrad Adenauer - ich kann viele nennen - hier zu nennen wären. Wir haben in diesem Sommer - ich will auch dieses Jubiläum einmal ansprechen - den hundertsten Geburtstag von Andreas Hermes begangen. Er war ein bedeutender Mann der demokratischen Politik von Weimar. Er war ein aufrechter Kämpfer gegen Hitler. In seinem Leben zeigt sich die ganze Tragödie unseres Volkes in diesem Jahrhundert. Er ist im September 1944 vom Blutgericht Roland Freislers, vom Volksgerichtshof - dort gehört dies Wort hin, Herr Bundeskanzler -, zum Tode verurteilt worden und ist ein Jahr später der erste Parteivorsitzende der Union in Berlin und in der damaligen sowjetischen Besatzungszone geworden.
Hier ist eine Identität, die nahtlos ist. Herr Bundeskanzler, das konzedieren wir Ihnen selbstverständlich auch. Nur Sie und Ihre politischen Freunde stellen doch aus dieser geschichtlichen Linienführung eine Kampagne der Verleumdung her. Ich muß Ihnen das Zitat wieder vorhalten, jenes böse Zitat von Schweinfurt bei der Bundestagswahl 1976, als Sie über ' das Erbe der Demokratie sprachen, auch über das der CDU: „Dieses Erbe haben die Herren Strauß und Kohl vertan. An dessen Stelle ist getreten das Erbe der Harzburger Front, das der Deutsch-Nationalen Volkspartei, der Reaktion." Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler, wann werden Sie den Mut finden, hierher zu gehen und zu sagen: „Dies ist ein ganz und gar unerträgliches Wort, ich will es zurücknehmen" ?
Herr Bundeskanzler, so kann man mit Geschichte nicht umgehen - ich sage es Ihnen noch einmal, wie ich es schon einmal gesagt habe -, daß man den Millionen unserer deutschen Mitbürger, die zum Teil aus ihrem Idealismus, aus ihrer Überzeugung heraus damals den Ideen der NS-Zeit anhingen, die keine Verbrechen begangen haben oder begehen wollten, die Rückkehr in die Demokratie womöglich verbauen will. Viel schlimmer ist die Art und Weise, mit welch pharisäischer Gesinnung ihre Freunde und Sie das betreiben, indem Sie diejenigen, die zur SPD kamen, als geläutert betrachten; diejenigen, die zur CDU fanden, bleiben in der Verdammnis; und von denen, die zur FDP kamen, reden Sie jetzt nicht, weil Sie die in der Koalition brauchen; ich will nicht sagen, warum. Das ist doch die Erfahrung, die wir in diesen Jahren leider gemacht haben.
Wer eine solche Beweiskette aufbaut - konservativ, reaktionär, Nazis -, Herr Bundeskanzler, wer so denkt, wer so redet, kann doch nicht glauben, daß er zum Geschichtsverständnis der Menschen etwas beiträgt.
({52})
Das geht doch bis ins Begriffliche. Ich erinnere mich, wie ich vor Jahren in diesem Hause von Ihrer Seite Spott erfahren habe, als ich als Vertreter des Bundesrates sprach und das Wort Vaterland gebrauchte. Sie haben dafür kein besseres Wort. Patriotismus und Vaterlandsliebe sind für mich heute noch so modern wie zu aller Zeit und haben mit Nationalismus überhaupt nichts zu tun.
({53})
Sie, Herr Bundeskanzler - lassen Sie mich das bei der Gelegenheit gleich ansprechen -, tun doch im Grunde nichts anderes. Sie haben in Aachen und anderswo zwar vor allem von den Währungsproblemen geredet, aber bei der Bevölkerung wollten Sie doch nicht primär den Eindruck erwecken, als handele es sich um ein Gespräch nur über Währungsprobleme. Warum sind Sie denn nach Aachen gegangen? Sie sind doch nach Aachen gegangen, um die Erinnerung an die Kathedrale von Reims wieder aufzufrischen. Sie wollen - Ihr Partner auch - hier doch ganz bewußt an eine Tradition im Volke anknüpfen, an die große Tradition der Versöhnung mit den Franzosen. Das ist nicht nur eine Frage von Währungsproblemen, von Währungsschlange oder nicht. Nein, Herr Bundeskanzler, hier manifestiert sich etwas, was Sie durchaus sehen, ja sich sogar nutzbar machen wollen, was legitim ist.
Worum ich Sie nur bitte - was Sie um Ihres Amtes willen erbringen müssen -, ist, dafür einzutreten, daß diejenigen, die aus diesem Geiste leben wollen, nicht von vornherein diffamiert und abgetan werden. Die CDU/CSU war immer die Europapartei. Unter Konrad Adenauer - damals hat man bei der SPD an so etwas überhaupt noch nicht gedacht - haben wir das Tor nach Europa aufgestoßen. Das war doch die Leistung der Union. „Deutschland, Vaterland und Europa" war immer unsere Überzeugung und wird es auch bleiben.
({54})
In diesem Zusammenhang will ich auch ein Wort
zu jener Kampagne sagen, die Franz Josef Strauß schon im Zusammenhang mit dem Thema Radikalenerlaß angesprochen hat. Herr Kollege Brandt, was haben wir - die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer, Sie als Kanzler und der damalige Innenminister Genscher - damals - ich glaube, es war 1972 - eigentlich getan? Wir haben uns zusammengefunden und haben gesagt: Wir, die Repräsentanten der demokratischen Parteien in wichtigen Staatsämtern, wollen unseren Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie leisten. Wir wollten diesen demokratischen Staat gegen seine Feinde verteidigen, wobei es völlig gleich ist, ob diese Feinde von rechts oder links kommen; denn für unser Geschichtsverständnis war es immer völlig gleichgültig, ob Menschenrechte von faschistischen oder kommunistischen Diktatoren geschunden werden. Der geschundene Mensch, das menschliche Antlitz, das zerstört wird - das ist in diesem Zusammenhang der entscheidende Gesichtspunkt.
({55})
- Herr Kollege, bevor Sie einen Zwischenruf machen: Anläßlich des Prager Frühlings und bei anderen Begebenheiten hätte ich von Ihnen gerne etwas gehört. Sie sind mächtig und stark, wenn es gegen Chile geht; da können Sie protestieren, das ist ein fernes Land. Aber wenn es um mächtige Nachbarn geht, die etwas bewegen können, sind Sie vor der Geschichte sehr kleinlaut.
({56})
Herr Kollege Brandt, wir haben damals kein neues Recht gesetzt; dazu waren wir verfassungsmäßig gar nicht in der Lage. Wie können Sie es eigentlich zulassen, daß in Ihrer Partei und in Ihren Kreisen fortdauernd davon geredet wird, daß neues Recht gesetzt worden ist? Wir haben uns damals auf die Verfassung besonnen und auf das geltende Beamtenrecht. Wir waren in der Tat der Meinung, daß wir Feinde der Verfassung, Feinde unserer Republik nicht an Schaltstellen der Macht kommen lassen wollen.
Wir waren uns auch alle darüber im klaren - ich erneuere das für uns -: Das bedeutet, daß das Ganze aus der großzügigen liberal-freiheitlichen Tradition unseres Landes und unserer Verfassung heraus gehandhabt wird. Kein Mensch hat je zur Hexenjagd geblasen. Wenn Sie genaue Zahlen nennen - Sie kommen ja immer gleich mit Hunderttausenden -, wenn Sie einmal die Fälle betrachten, Herr Kollege Brandt - ich bin dafür, daß wir einmal eine eigene Debatte darüber führen, damit die Wahrheit zutage kommt -, dann werden Sie feststellen, daß an diesem Punkte von den Vorwürfen nahezu nichts übrigbleibt. Ich sage „nahezu nichts", weil ich im Traum nicht daran denke, die Verantwortung für irgendein bürokratisches Unverständnis, das hier oder da vorgelegen haben mag oder vorgelegen hat, zu übernehmen. Das ändert aber doch nichts am Grundprinzip, von dem wir ausgegangen sind.
Wir sagten damals - auch dazu vermisse ich Ihr Wort, Herr Bundeskanzler -, das Recht auf Irrtum sei ein Recht, das man gerade bei der jungen Generation sehen müsse. Ich wiederhole erneut, was ich damals im Bundestag und im Bundesrat zum gleichen Thema gesagt habe: Ich halte es für eine der wichtigsten demokratischen Aufgaben glaubwürdiger demokratischer Parteien, daß sie sich um junge Menschen bemühen, die, aus welchen Gründen auch immer, zu radikalen Gruppen abgewandert sind, daß sie nicht sozusagen auf Zeit und Ewigkeit beiseite geschoben werden. Recht auf Irrtum bedingt aber Wille zur Einsicht, bedingt Erkenntnis, daß man sich auf einem Fehlweg befunden hat und zurückfindet.
Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Brandt, warum reden Sie - und ich bin dafür, daß Sie darüber reden - bei den 18- und 19jährigen der Jahre 1977/78 vom Recht auf Irrtum, sind aber gleichzeitig nicht bereit, bei den 20- und 21jährigen des Jahres 1935 das gleiche Prinzip anzuwenden? Der Bundeskanzler hat dazu kein Wort gesagt. Sie werden das gleich dementieren. Ich sage Ihnen vorweg: Dieses Dementi nehme ich Ihnen nicht ab. Wenn ich die Kampagne sehe, die Punkt für Punkt zielbewußt angelegt wird und deren Höhepunkt - auch das sei hier klar ausgesprochen, damit wir saubere, offene Verhältnisse untereinander haben - von Ihrer Seite noch nicht erreicht ist, wenn ich sehe, wer alles in Archive und Bibliotheken geschickt wird, um nach Art eines historischen Mistkäfers nach Zitaten zu suchen, um nach 30, 35 Jahren Leute zur Strecke zu bringen, dann, Herr Kollege Brandt und Herr Bundeskanzler Schmidt, kann ich Ihnen nur sagen:
Dies trägt nicht zum inneren Frieden bei. Ich füge hinzu, obwohl in unserer Partei durchaus andere Meinungen bestehen: Ich halte nichts davon, auf einen groben Klotz einen noch groberen Keil zu setzen, weil es für mich in diesem Zusammenhang um diese Republik geht und weil über 55 % der heute in Deutschland lebenden Menschen nach Hitler geboren oder aufgewachsen sind. Es gibt ein miserables Bild ab, wenn viele jetzt über Zeiten und Umstände reden - wir haben das in diesem Sommer erlebt -, die gar nicht mehr begreifen können, wie die damalige Zeit war, die gar keine Vorstellung haben, wie es wirklich ist, in einer Diktatur zu leben. Es ist eine Sache, darüber zu sprechen.
({57})
- Wissen Sie, Herr Kollege, das ist auch so eine Infamie. Sie wissen genau, daß dieses Zitat nicht gefallen ist. Sie wiederholen dieses Zitat wieder, obwohl es hier schon einmal zurückgewiesen wurde. Ich kann nur sagen: Das ist erbärmliche Verleumdung eines Mitbürgers, wenn man wider besseres Wissen immer wieder solche verleumderischen Zitate gebraucht.
({58})
Es ist zu armselig, vor allem wenn der Hauptbetroffene, Hans Filbinger, nicht hier ist, der dieses Zitat immer wieder zurückgewiesen hat. Es ist zu armselig, daß Sie das im Wege Ihrer Verleumdungsstrategie immer wieder unter die Leute zu bringen versuchen.
({59})
- Sehen Sie, meine Damen und Herren, was ist eigentlich entlarvender, als daß jemand daraufhin sagt: „Dummes Zeug"? Herr Bundeskanzler, wie soll eigentlich noch ein Gespräch unter Politikern zustande kommen, die in einer solchen Diskussion so reagieren? Sie haben vorhin vom intellektuellen Niveau gesprochen. Das Wort „Niveau" ist in diesem Zusammenhang schon gar nicht mehr angemessen.
({60})
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen, wenn das der Stil ist, mit dem Sie dieses Problem der jüngsten deutschen Geschichte angehen, ist das Ihre Sache. Wir werden uns an dieser Form der Auseinandersetzung nicht beteiligen.
Meine Damen und Herren, wir plädieren für den innern Frieden in unserem Volk. In diesem Sinne, Herr Bundeskanzler, war jenes Zitat von Franz Josef Strauß, an dem Sie sich gerieben haben, gemeint. Franz Josef Strauß hat nirgendwo gesagt: Hier wird jetzt alles untergepflügt, wir reden gar nicht mehr über die Geschichte, sondern er hat etwas gesagt, was ich mit anderen Worten im Blick auf die jetzt nahende Entscheidung zum 1. Januar in Sachen Verjährung auch angesprochen habe, nämlich daß ich bei allen Problemen, die wir damit im Ausland haben, zutiefst davon überzeugt bin, daß es wegen des inneren Friedens für die Bundesrepublik
Deutschland wichtig ist, jetzt zu einem Abschluß dieser Verfahren und dieser Entwicklung bei uns zu kommen, es sei denn, es sind Verfahren auf Grund von schlimmen Kriminaltaten, die ohnedies nicht verjähren können.
Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung nach der Wahl zum Kanzler haben Sie gesagt:
In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen alles andere beiseite.
Ich kann eigentlich nicht erkennen, daß Sie alles andere beiseite gelassen haben. Wenn ich das Wesentliche sehe, muß ich feststellen: Wir haben im vierten Jahr Arbeitslosigkeit in einer Größenordnung wie nie zuvor, wir haben eine Verschuldung der öffentlichen Haushalte wie nie zuvor. Sie tun das einfach ab. Das ist ein weiteres Signum Ihrer Politik. Das ist die Politik: Was danach kommt, geht mich jetzt nichts an. Deswegen leben Sie fortdauernd über Ihre Verhältnisse.
Dazu kommt eine besondere Variante. Das gehört auch zu Ihren Wahlkampfthemen, wenn Sie sich überhaupt der Politik zuwenden. Im Augenblick besteht ja Ihre Wahlkampfstrategie in Hessen im wesentlichen darin, von der Papstmesse in Rom, die sehr eindrucksvoll war, wie jeder weiß, zu berichten. - Auch dazu nur eine Anmerkung, Herr Bundeskanzler. Ich stehe hier außer Verdacht; ich höre es gerne, wie Sie darüber berichten. Bloß, ich. würde mir wünschen, daß Sie nicht nur darüber berichten, sondern sich bei Abstimmungen etwa in der Familienpolitik auch etwas an den ordnungspolitischen Prinzipien der katholischen Kirche orientieren.
({61})
Das ist einer der Punkte, die man hier nennen könnte. Aber das ist es ja: dort sind Sie beeindruckt, und zu Hause sind Sie Altsozialist, wie man es gerade braucht.
({62})
Meine Damen und Herren, da ist noch ein Punkt. Dann kommt immer der Vergleich mit dem Ausland, und es wird mit drohendem Unterton - je nach Stimmlage gesagt, es gebe ja christlich-demokratisch geführte Länder, und wenn dann noch der Atem reicht, kommt gleich noch Italien dazu. Ich kann Ihnen dazu nur lapidar sagen: Lesen Sie bitte Ihre Reden in der Auseinandersetzung mit Ludwig Erhard aus dem Jahre 1965 nach. Wenn damals Ludwig Erhard gekommen wäre und gesagt hätte: Aber wir stehen doch sehr viel besser da als etwa Italien, was Inflation und Arbeitslosigkeit angeht, hätten Sie gesagt: Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in Italien. Wir leben heute auch in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in Italien.
({63})
Sie bringen jetzt das soundsovielte - man kann es schon bald gar nicht mehr addieren - Konjunkturprogramm ein. Jeder weiß, daß das wiederum Geld ist, das ausgegeben und das im Grunde nichts nutzen wird, Sie haben heute, bei der Generalaus8228
sprache über die Regierungserklärung, über den Halbzeitbericht dieser Regierung kein Wort darüber gesagt - auch das ist verräterisch -, daß die Finanzgrundlagen unseres Systems der sozialen Sicherheit in Ihrer Regierungszeit in Unordnung geraten sind. Dann erregen Sie sich furchtbar über das Wort „Rentenbetrug". Ja, meine Damen und Herren, wenn einer mit voller Absicht einem anderen, um von ihm eine Leistung zu erhalten, etwas Falsches und Unwahres sagt, fühlt dieser sich betrogen, und Millionen Rentner in der Bundesrepublik fühlen sich betrogen.
({64})
Der Bevölkerungsrückgang hat dramatische Ausmaße angenommen. Wir werden in den nächsten Wochen, nehme ich an, über Ihre familienpolitischen Maßnahmen sprechen. Ich bin sehr daran interessiert, Herr Bundeskanzler, daß Sie selbst, der Sie doch alles wissen, hierher kommen und. uns erläutern, wie sich die Maßnahmen, die Sie jetzt vorschlagen, familienpolitisch auswirken können, damit wir uns in zwei, drei Jahren über die Weitsicht Ihrer Gedanken freuen und unsere Vorbehalte zurücknehmen können.
Wir haben über das. Steuersystem geredet. Ich brauche all dem, was Franz Josef Strauß hierzu gesagt hat, nichts hinzuzufügen.
Herr Bundeskanzler, Sie reden dauernd von der Bürokratisierung. Was tun Sie denn dagegen? Gibt es irgendeinen Schritt der von Ihnen geführten Bundesregierung, die Bürokratisierung wenigstens in einem Teilbereich abzubauen? Als Parteivorsitzender der CDU bin ich bereit - ich sage das aus gutem Grund, und Franz Josef Strauß wird das für die bayerische CSU auch tun -, hier mitzuarbeiten, um etwa bei einem exemplarischen Beispiel, das die Bürger bedrückt, etwa beim Baurecht, das den Bund, die Länder und die Gemeinden betrifft, einen Anfang zu machen. Ich sage gar nicht: Baut Bürokratie ab! Ich sage vielmehr: Laßt uns doch bei einem konkreten Fall beginnen! Oder nehmen wir ' das Gewerberecht, durch das sich junge Leute, die einen Betrieb neu eröffnen, heute bedrückt fühlen müssen, wie Ihnen jede Industrie- und Handelskammer unschwer verraten kann. Wir haben zu den meisten dieser Themen Alternativen auf den Tisch gelegt. Sie haben diese Alternativen nach dem Motto „Was brauchen wir die Opposition!" hinweggefegt.
Meine Damen und Herren, das alles hat Resignation und den Verlust des Vertrauens in die Lösungskompetenz der Politik mit sich gebracht. Sie sagten vorhin ganz zu Recht, es gebe eine Verdrossenheit gegen die Parteien. Aber diese Verdrossenheit ist doch durch die Stagnation der deutschen Innenpolitik entstanden, durch die Tatsache, daß Sie nicht fähig sind, eine wirkliche Lösung politischer Probleme herbeizuführen.
({65})
Einer der fachkundigsten Zeitgenossen hat es Ihnen in diesen Tagen ins Stammbuch geschrieben: Erhard Eppler. Er sagte im Blick auf Ihre Politik: Anstatt es als politischen Auftrag zu begreifen, das
Notwendige möglich zu machen, erklären Sie das Machbare als das Notwendige. Was Herr Eppler Ihnen hier vorwirft, was viele in Ihrer Fraktion denken, aber nicht sagen dürfen, ist doch nichts anderes als Ihre elitäre Arroganz, eine Arroganz, die Ihnen die Einsicht verwehrt, daß dieser sogenannte technokratische Politikstil dem Land nichts nützt, sondern ihm schadet und es nicht fördert.
Meine Damen und Herren, auch das ist nichts Neues. Ulrich Lohmar hat damals geschrieben - er meinte Sie -: „Sein verbaler Aktivismus, mit dem er sich am Riemen und andere vom Stuhl reißen will, gibt der Kürze keine Würze." Das ist übrigens die Überschrift über Ihre heutige Rede; das fällt mir gerade so ein.
({66})
Meine Damen und Herren, wenn wir hier in der Bundesrepublik ein vernünftiges, auf die Bewältigung drängender Sachfragen gerichtetes Regieren nicht mehr machen, so ist das nicht auf die Weltwirtschaftskrise, nicht auf das böse Ausland und schon gar nicht auf die Opposition, sondern allein auf die Unfähigkeit dieser Regierung zurückzuführen, sich in den eigenen Fraktionen und Parteien durchzusetzen. Das ist doch das, was wir in diesen Wochen und Monaten immer erleben. Sie setzen keine Zeichen, Sie treffen keine Entscheidungen, weil Sie sie nicht mehr treffen können. Denken Sie doch an die Energiepolitik!
Zu den Großleistungen Ihrer Politik haben Sie übrigens vorhin den Dollar-Verfall gezählt. Man könnte über diese Rede drei Stunden meditieren. Es wird unsere amerikanischen Freunde ganz ungewöhnlich erfreuen, wenn sie diese Zusammenstellung von Perspektiven aus Ihrem Munde erfahren. Aber die sind seit langem „Freundliches" von Ihnen gewöhnt. Insofern werden die gar nicht mehr erstaunt sein.
Nur, meine Damen und Herren, wo bleibt das energiepolitische Konzept? Wo bleibt das, was hierzu im Blick auf die nächste OPEC-Runde, im Blick auf überfällige Entscheidungen auch wegen des Ausbeutens von Erdöl, im Blick auf die Grundlagen der Petrochemie, in der dieser wichtige Rohstoff ganz andere Bedeutung haben könnte, zu sagen ist? Sie schieben diese Entscheidung vor sich her, Sie setzen keine Zeichen, weil Sie keine Zeichen mehr setzen dürfen, weil in Wahrheit eine linke Sperrminorität in Ihrer eigenen Partei, in Ihrer eigenen Fraktion regiert und nicht Sie, Herr Bundeskanzler.
Rüdiger Altmann hat Sie in einer visionären Schau einen Kanzler ohne Botschaft genannt. Er hat in einer bedrückenden Weise recht behalten: Um des bloßen Machterhalts willen kommt es zum Stillstand in der deutschen Politik. Jedes Angebot - Häfele sprach davon, Franz Josef Strauß sprach davon - einer vernünftigen Zusammenarbeit auf wichtigen Feldern der Politik - innen und außen - haben Sie zurückgestoßen. Meine Damen und Herren, wir haben in der politischen Arena doch genug Streitpunkte. Es muß doch um des Landes willen möglich sein, in einigen wichtigen Fällen Felder der Zusammenarbeit zu finden, die außerhalb des Streites stehen. Ich mache dieses Angebot noch einmal.
Denn es ist doch nicht allein eine Frage, die die Regierung angeht, wenn eine Million Arbeitslose vorhanden ist, wenn das öffentliche Finanzierungssystem, wenn die Grundlagen der Rentenversicherung immer mehr in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn beispielsweise die junge Generation an ihrer Zukunft zweifelt. Herr Bundeskanzler, die Sorge um die eigene Zukunft konzentriert sich heute bei vielen jungen Mitbürgern längst nicht mehr allein auf die Frage, welcher Ausbildungsweg der jeweils beste ist. Sie konzentriert sich in wachsendem Maße auf die Frage nach der Berufschance am Ende des Ausbildungswegs. Die jungen Leute in unserem Lande, die Ende der sechziger Jahre geboren sind - damals lagen die Geburtenzahlen um 50 % über den heutigen -, brauchen, suchen qualifizierte Ausbildungswege in den Schulen, in den Hochschulen, im beruflichen Bildungswesen; aber sie begegnen dort Schwierigkeiten wie nie zuvor. Wie in keinem Land der Welt haben wir z. B. die Lage, daß nur noch Abiturienten mit ganz hervorragenden Noten, mit Spitzenabituren etwa den Zugang zum Medizinstudium erreichen können. Dennoch hat beispielsweise die hessische Landesregierung bis in den Sommer hinein der Neuregelung des Hochschulzugangs Widerstand entgegengesetzt.
Die jungen Bürger, die heute qualifizierte Ausbildungsplätze suchen, werden in wenigen Jahren in die Berufswelt drängen. Sie werden nur dann einen Arbeitsplatz finden können - Herr Bundeskanzler, das ist eine Frage an Sie, da Sie heute im Jahre 1978 regieren -, wenn wir über die Zahl der heute fehlenden rund eine Million Arbeitsplätze, wobei ich gar nicht um 100 000 streite, wenigstens weit über eine Million neue zusätzliche Arbeitsplätze gewinnen können. Das heißt, daß die Sicherung der Zukunftschancen der jungen und der jetzt amtierenden Generation den vollen Einsatz unserer Volkswirtschaft in den nächsten Jahren braucht. Ich habe heute oder früher kein Wort von Ihnen zu 'diesem Thema gehört.
Das ist nicht mehr nur eine Frage der Bildungspolitik. Kommen Sie bitte um Himmels willen nicht mit dem Einwand, das sei Sache der Länder! Das ist Sache unserer Bundesrepublik Deutschland. Wir bieten Ihnen hier an, zusammenzuarbeiten - es ist eine nationale Aufgabe: Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik -, um Resignation und Pessimismus in der jungen Generation zurückzudrängen.
Auch dazu möchte ich eine Bemerkung machen. Herr Bundeskanzler, Sie hatten heute einmal mehr die Freundlichkeit, mir mangelnden Kontakt mit dem Ausland vorzuhalten. Das gehört zum Wesen Ihrer Herabsetzungspolitik. Ich will dazu kein Wort sagen. Ich bin mit den Kontakten sehr zufrieden, die die Christlichen Demokraten im Ausland haben. Ich erinnere mich an die Zeit im April, als Sie in der Frage der Neutronenwaffe Ihre eigene Partei hintergangen haben, als Sie sehr froh waren, daß die CDU hervorragende Kontakte in den europäischen Hauptstädten hatte.
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Als ich vor der Sommerpause in Amerika war, sprachen wir dort über die Frage deutscher Studenten in den USA. Herr Bundeskanzler, Sie sprachen vorhin von der Verprovinzialisierung. Sie sind der Kanzler der Verprovinzialisierung geworden. Im Jahre 1965 oder 1964 war es immerhin so, daß die deutschen Studenten unter den Gruppen, die in Amerika statistisch erfaßt wurden, auf dem vierten Platz lagen. Jetzt sind wir auf Platz 22 abgerutscht.
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Es waren noch nie so wenig deutsche Studenten zum Studium im Ausland, und zwar nicht nur aus einem Grund, sondern aus einer Summe von Gründen. Wir, ein geteiltes Land, das die volle Offenheit der Welt gegenüber unseren Problemen braucht, leisten uns unter Ihrer Regierung den Luxus, daß so wenige junge Deutsche, die später Führungsfunktionen haben, Auslandserfahrung haben. Das ist der Preis von provinzieller Politik.
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Ziel unserer Politik ist es, den Jungen bittere Erfahrungen zu ersparen. Als Beispiel sei hier noch gesagt: Auch dér Rückgang der Risikobereitschaft ist eine dramatische Entwicklung. Ich wäre ganz dankbar, Graf Lambsdorff, wenn Sie als zuständiger Minister dazu einmal etwas sagen würden, wie es kommt, daß die Zahl derer, die die Meisterprüfung ablegen, in der Zeit von 1968 bis 1978 so dramatisch zurückgegangen ist. Damals war es noch für 50 % der Traum ihres Lebens, freiberuflich, selbständig tätig zu sein. Jetzt sind es noch knapp 17 bis 18 %. Das sagt mehr aus als ein langer Vortrag über die wirkliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland.
Von alldem, Herr Bundeskanzler, war in Ihrer Rede nichts zu hören. Es war viel Schlagabtausch, aber keine Perspektive. Zu keinem einzigen wirklich relevanten Punkt der Vorschläge, die wir gemacht haben, haben Sie etwas sagen können oder gar eigene Vorschläge eingebracht.
Dann sprachen Sie zur Außenpolitik. Nun, meine Damen und Herren, da ist ein gewaltiges Schlachtengemälde aufgebaut worden. Auch hier wütende Ausfälle an Stelle nüchterner Rechenschaft! Da wird jetzt also ein Gebilde aufgebaut - Seilschaft nennt man das jetzt -, wer da alles unterwegs war, um Spionagevorgänge zu erfinden, anzuhängen und was weiß ich. Von wem reden Sie eigentlich, Herr Bundeskanzler?
Wir, die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sind vor einigen Tagen mit der Tatsache konfrontiert worden - nicht mehr und nicht weniger ist geschehen -, daß der Generalbundesanwalt und die zuständige Kammer - also unabhängige Richter - des insofern höchsten deutschen Gerichts, des Bundesgerichtshofs, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben beantragten.
Der Herr Präsident hat in diesem Zusammenhang mit Recht Eugen Gerstenmaier zitiert, daß die Aufhebung der Immunität aber auch gar nichts mit einer Verurteilung eines Kollegen zu tun hat, sondern daß damit der Rechtsweg überhaupt erst rechtsstaatlich eröffnet werden kann. Nicht mehr und nicht weniger ist dazu zu sagen.
Warum, Herr Bundeskanzler, reden Sie jetzt von geheimnisvollen Mächten? Das sind Organe der Staatsgewalt dieser Bundesregierung. Der Generalbundesanwalt beispielsweise ist ein Beamter in den Diensten des Bundesjustizministeriums. Wenn Sie hier also Schelte zu üben haben, reden Sie gefälligst mit dem Kollegen Vogel, aber doch nicht mit dem Deutschen Bundestag, der nur seine Pflicht getan hat!
({70})
Sie werden doch nicht im Ernst glauben, daß wir über dieses Thema hier eine Debatte aufnehmen. Meine Damen und Herren, einer der schlimmen Preise, die die Deutschen aus der Teilung unseres Volkes zahlen müssen, ist, daß wir mehr als jedes andere Land in der Welt mit Agenten und Spionen reden müssen, daß dies in vielen Einzelfällen menschliches Schicksal bedeutet, daß die Trennungslinie der Macht quer durch Familien geht, daß Menschen verletzbarer geworden sind. Es wird auch im Ernst niemand annehmen wollen, daß die eine Partei mehr verschont sei als die andere. Das ist doch unser gemeinsames Schicksal. Ich denke gar nicht daran, daß wir eine Diskussion auf dieser Ebene aufnehmen.
Spionage, Agententätigkeit - das ist ein bitterer Preis. Es stellt sich die Frage, ob das in einer solchen Unverfrorenheit geschehen muß oder darf und ohne jede Wirkung sein kann wie etwa damals bei Guillaume mitten in der sogenannten Entspannungspolitik oder wie bei dem Spionagevorgang Lutze, wo es natürlich neben dem, was ich eben sagte, die berechtigte Frage gibt, Herr Bundeskanzler, ob nicht damals Sie als Verteidigungsminister auch dort eine miserable Organisation eingeführt haben. Auch diese Frage-muß man doch stellen können.
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Das eigentliche Problem, vor dem wir jetzt stehen, nämlich die Frage, die Sie mit solcher Verve hier besprochen haben, ob es eine Umorientierung in der Deutschland- und Ostpolitik gibt, ob diese Bundesrepublik ein Sonderverhältnis anstrebt, hat doch nun wahrlich nichts mit diesem Spionagevorgang zu tun. Lassen Sie das doch bitte aus der Diskussion heraus und sagen Sie, was Sie dazu zu sagen haben! Darauf haben wir einen Anspruch.
Es konnte doch gar nicht ausbleiben, daß die deutsche Außenpolitik auf Grund der Erfahrungen der letzten Monate ins Gerede gekommen ist. Meine Damen und Herren, viele Jahre hindurch konnten wir glücklicherweise davon ausgehen, daß es über die wirklich zentralen Grundlagen der Deutschland-und Außenpolitik eine breite Übereinstimmung zwischen den demokratischen Parteien gibt. In jenen Tagen war es unbestreitbar, daß sich die Gesellschaftssysteme von Ost und West, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, gegenseitig ausschließen, daß sie antagonistisch sind. Es waren Willy Brandt und Egon Bahr - und Sie waren dabei, Herr Bundeskanzler , die mit ihrer Politik des Wandels durch Annäherung diesen Grundwiderspruch aufzulösen begannen. Wer das unternimmt, muß sich doch schon vorher klarmachen - da sich hier sofort enorme, auch intellektuelle Probleme
stellen -, daß er damit ins Gerede kommt. Man kann doch nicht in diesen zentralen Fragen einer möglicherweise geschichtlichen Neuorientierung deutscher Politik Planspiele anstellen, so als ob man berechne, ob sich eine Steuerprogression in dieser oder jener Weise auswirkt. Hier geht es doch -Sie zitieren doch neuerdings gerne Bismarck, Herr Bundeskanzler - um die feinsten Instrumente des Zusammenlebens der Völker. Die Seismographen in diesem Felde reagieren blitzschnell und langdauernd. Wir waren uns doch auch darüber einig, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland eine junge Generation erziehen wollen, die von der geistig-moralischen Kraft und Überlegenheit unseres freiheitlichen Rechtssystems gegenüber dem Unrechtssystems des Ostens getragen ist. Nach langen und schweren Jahren und Debatten in diesem Haus schien es so, als sei auch unbestritten, daß die Entscheidung Konrad Adenauers für die Integration Westeuropas und für die Atlantische Allianz irreversibel, unwiderrufbar bleiben muß. Es blieb Ihnen, Herr Bahr und Herr Brandt, und anderen der SPD überlassen, in dieser Hinsicht Zweifel zu säen.
Herr Bundeskanzler, es ist für mich zu wenig, wenn Sie dann auf die. regierungsamtlichen Verlautbarungen verweisen. Ihre eigene Politik hat diese Fragen doch mit aufgeworfen. Wir wissen nicht, was Sie im Schoße der SPD etwa gegen die These von Bahr gesagt haben, jene These von der Überwölbung der Blöcke, die ein stabiles System des Gleichgewichts zwischen NATO und Warschauer Pakt voraussetzt und völlig übersieht, daß die globale Machtpolitik der Sowjetunion das Gleichgewicht in dieser Form längst in Frage gestellt hat. Herr Bundeskanzler, es muß sich doch die Frage nach der Motivation von Herrn Bahr stellen. Es kommt doch nicht von ungefähr - nicht nur Sie reden doch mit Freunden im Ausland -, daß wir überall befragt werden, was sich auf diesem Wege jetzt politisch entwickelt. Wir sind zu Zeiten des Außenministers Gerhard Schröder und des Bundeskanzlers Ludwig Erhard oder Konrad Adenauer nicht befragt worden. Wir waren damals die Vertragspartei per excellence in Europa. Es ist Ihre Politik, die hier Zweifel hineingebracht hat.
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Wir lassen uns auch nicht mit jenen Schauermärchen abspeisen, da sei ein Komplott zwischen amerikanischen und deutschen Journalisten entstanden. Barer Unsinn!
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- Ja, „Bahrer" Unsinn, meine Damen und Herren.
Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben mehr als jeder andere durch ihre schnellen Äußerungen in der Öffentlichkeit zur Belastung der deutschamerikanischen Beziehungen beigetragen. Wer hat Sie eigentlich veranlaßt, im amerikanischen Wahlkampf Partei zu ergreifen? Das war doch nicht Ihre Aufgabe. Wer hat Sie denn veranlaßt, zu den Menschenrechtsäußerungen des Präsidenten derart herablassend und arrogant zu sprechen? Was haben Sie denn getan, Herr Bundeskanzler, als Herr Bahr mit Billigung Willy Brandts die Kampagne gegen die sogenannte Neutronenwaffe anheizte? In einem AuDr. Kohl
genblick, wo Sie über Herrn Genscher die Zustimmung zur Dislozierung in Brüssel avisiert haben, wurde hier eine Kampagne aufgeführt, bei der doch jeder annehmen mußte: Das weiß der Kanzler. Und er hat es natürlich auch gewußt. Das ist ein Stück Ihres Opportunismus, den ich Ihnen vorwerfe.
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Wir haben hier im Mai eine Auseinandersetzung über Ihr gefährliches Wort vom Rückversicherungsvertrag im Blick auf den Besuch von Generalsekretär Breschnew geführt. Ich nehme das Wort, das Sie vorhin sprachen, hier auf. Wir sind sehr zufrieden damit. Ich finde es gut, ich empfinde es - ich will dies hier bewußt sagen - als ein Stück Fortschritt deutscher Politik, daß wir in diesen Jahren so weit gekommen sind, daß uns alle Staatsgäste, auch solche, die gerade uns in der Union kritisch betrachten, zu einem offenen Gespräch zur Verfügung stehen. Ich halte das im übrigen für eine vorzügliche Sache für die Regierung. Wenn Sie nur endlich begreifen würden, daß eine kluge Regierung auch die Opposition als ein wichtiges Instrument im Ausland für ihre Politik einsetzen kann! Das macht jeder demokratische Regierungschef, um draußen im Ausland etwas zu erreichen. Sie können es ja nur nicht machen, weil Sie damit zugeben müßten, daß vielleicht auch andere noch etwas zu sagen haben. Das ist doch Ihr Problem. Das Problem ist ein tiefenpsychologisches Problem, nicht ein politisches Problem!
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Jener fatale Vergleich - im historischen Datum und im Bezug falsch - mit dem Rückversicherungsvertrag mußte doch die Menschen aufschrecken. Ich will zu dem, was Herr Wehner, Herr Pawelczyk und andere zur MBFR in diesen Wochen und Monaten sagten, gar nichts weiter ausführen. Nur, meine Freunde, meine Damen und Herren - ich sage jetzt mal: meine Freunde -: Wenn das alles so war, dann dürfen Sie sich doch über die Folgen nicht wundern. Und Sie können doch nicht sagen, das alles seien bestellte journalistische Arbeiten, wenn beispielsweise Fred Luchsinger in der „Neuen Zürcher Zeitung" die Frage aufwirft, ob Bonn eigene Wege geht. Die Frage: „Strebt die Bundesrepublik Deutschland ein Sonderverhältnis zu Moskau an?" ist eine Frage, die Sie und sonst überhaupt niemand hervorgerufen haben.
Ich stimme Ihnen zu, daß das Wort von der Finnlandisierung kein gutes Wort ist. Ich versuche, es nicht zu gebrauchen. Aber daß es in Washington, im Weißen Haus gebraucht wurde, ist doch ein Hinweis darauf, daß die Botschaft einer Auflockerungstendenz auch in wichtigen Teilen der stärksten Regierungspartei angekommen ist.
Wir wollen hier nicht über Verschwörungstheorien reden, sondern über die unverwechselbaren, bleibenden Grundzüge deutscher Außenpolitik. Für uns basiert die deutsche Außenpolitik auf zwei Fundamenten: der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im Atlantischen Bündnis und der Teilhabe an der europäischen Einigung. Diese Grundlagen unserer Politik sind für uns irreversibel. Sie
wurden in diesen Jahrzehnten geschaffen, und wir stehen dazu. Revidiert man diese Grundsatzentscheidung, so verliert unsere Mitgliedschaft in der NATO und im europäischen Bündnis jeden Sinn. Stellt man die Mitgliedschaft in Frage, so wird unser Bekenntnis zum freien Westen unglaubwürdig. Eine solche Entscheidung wäre eine totale Verwerfung jenes politischen Koordinatensystems, eine Umkehr der Außen- und Sicherheitspolitik, die wir nach 1949 gegründet haben.
Das ist das, was dazu zu sagen ist. Und da gibt es kein Wenn und Aber, Herr Bundeskanzler, und da kann es auch keine Gedankenspiele geben. Die Unsicherheit ist aus Ihrer Partei in die deutsche und in die Weltöffentlichkeit hineingetragen worden. Sie ist entstanden, weil Sie nicht den Mut hatten, mit Entschlossenheit auch parteiintern dagegen anzugehen.
Ich meine dabei nicht nur die Jusos - das wäre viel zu einfach -, sondern ich meine jene alt gewordenen Jusos in der SPD, die diesen alten JusoIdealen immer noch anhängen. Eben hier muß sich die Sozialdemokratie befragen lassen, ob sie diese Politik Schritt für Schritt vor der Einigung Europas vollzieht.
Ob, Herr Kollege Brandt, dies ein Europa des Pluralismus ist oder ein Europa nach der Vision Ihres politischen Freundes Mitterrand, das sind die Fragen, die wir in diesem Zusammenhang zu stellen haben.
Wir in der Union haben die Entscheidung unseres Landes für die Freiheit im Bündnis mitgetragen, ja ermöglicht. Das Bündnis ist die Lebensgrundlage unseres Volkes, ist die Basis für unsere Freiheit, die Demokratie und die Menschenrechte, und diese Entscheidung gilt auch in Zukunft fort.
Das alles, Herr Bundeskanzler, hätten wir gern auch von Ihnen gehört. Wir hätten gern ein Wort über eine langfristige politische Perspektive gehört, die die großen und unbestreitbaren geistigen, materiellen und psychologischen Kräfte unseres Landes herausfordert. Wir sind nicht bereit, zuzulassen, daß die Schwäche Ihrer Regierung zu Lasten der Bürger unseres Landes geht. Wir wissen, daß die Bürger der Bundesrepublik Deutschland willens und in der Lage sind, der Probleme Herr zu werden, wenn nur eine kluge Politik in diese Richtung lenkt.
In diesen Tagen fand ich ein interessantes Zitat, das ich am Schluß bringen möchte. Da schrieb einer:
Ich warne vor den Politikern, die meinen, sie wüßten und können alles. Das sind diejenigen, die am leichtesten Fehler machen und denen dann auch das Maß an Selbstkritik abgeht, das lebenswichtig ist für unser Land, aber auch für einen selbst.
Diesem Appell des Herrn Bundesverteidigungsministers habe ich nichts hinzuzufügen. Ich frage mich, wen er gemeint hat.
({76})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, das Wort, das Sie zum Schluß sagten, möchte ich gern aufnehmen. Es wäre wirklich gut, wenn in unseren Debatten weniger über Politiker, aber mehr über Politik gesprochen würde.
({0})
Herr Kollege Kohl, Sie sind zu Beginn Ihrer Ausführungen auf die geschäftsordnungsmäßige Behandlung von heute vormittag zurückgekommen. Ich kann es mir nicht ersparen, Sie darauf hinzuweisen, daß Sie selber mit anderen Kollegen dieses Hauses zusammen vor der Sommerpause daran beteiligt waren - ich selbst konnte an diesem Gespräch nicht teilnehmen -, über die Geschäftsordnung zu sprechen und sich gemeinsam Überlegungen hinzugeben, nach der Sommerpause mit 30-Minuten-Referaten -zu beginnen und in der zweiten Runde höchstens 10 Minuten Redezeit zu gewähren, um von diesen langen Reden wegzukommen. Sie selbst haben die Bedingung gestellt, daß Sie für sich, wenn der Bundeskanzler länger spräche, als Oppositionsführer das Recht in Anspruch nähmen
({1})
- lassen Sie mich dazu ausreden -, ähnlich lange zu sprechen. Dies vereinbarte man. Aber zu Beginn der Arbeit nach der Sommerpause konnte es nicht vollzogen werden, weil ausgerechnet aus Ihrer Fraktion der Wunsch kam, den Vollzug dieser Vereinbarung noch auszusetzen, bis sich eine personelle Veränderung hier im Hause ergeben habe - im Klartext: bis Franz Josef Strauß nicht mehr hier ist. Das ist der Tatbestand.
({2})
Und dann werfen Sie uns vor, wir hätten die Dinge auf den Kopf gestellt! Sie sind es doch gewesen, die die Kurzdebatte in diesem Zeitpunkt nicht wollten.
({3})
Sie sind es doch gewesen, die verhindert haben, daß heute vormittag schon vier, fünf oder sechs Redner sprechen konnten. Wenn Sie es in Ihrer eigenen Fraktion nicht fertigbringen, solche Dinge zu klären, dann werfen Sie anderen nicht vor, daß sie mangelndes Verständnis für die Demokratie haben. Das ist Unfairneß bis zum letzten!
({4})
Mein Kollege Hoppe hat mit Recht darauf hingewiesen: Wir haben die Hoffnung - leider hat sie sich bisher nicht erfüllt -, daß diese Debatte in Fairneß geführt werde. Ich habe den Eindruck, daß bei der Auseinandersetzung wieder einmal das gegenseitige Vorführen und Beschimpfen wichtiger ist als die Sachauseinandersetzung über die Politik. Wenn wir ständig mit Recht darüber klagen, daß eine Parteienverdrossenheit Platz greife, daß der Bürger skeptischer gegenüber Parlamenten und Regierung werde, dann sollten wir uns selbst fragen, ob wir nicht dazu beitragen, wenn wir in dieser Art und Weise, wie hier immer wieder Debatten geführt werden, beim Bürger doch den Eindruck erwecken müssen: Es geht nicht um die Sache, sondern es geht nur darum, ob man dem anderen in dieser oder jener Frage etwas am Zeuge flicken kann. Wir werden das auf keinen Fall mitmachen.
({5})
Lassen Sie mich hier in aller Offenheit sagen: zwei, drei Reden heute waren ein Schulbeispiel dafür, wie es in diesem Hause aussähe, wenn sich nur noch zwei Gruppen gegenüberstünden und damit das ausgleichende Element fehlte. Ich bin sicher, der Bürger draußen im Land wird spüren, daß die Liberalen genau hier ihre Aufgabe haben, nämlich zu verhüten, daß der Graben nicht nur emotional-rhetorisch, sondern dann auch sachlich in einer Weise aufgerissen wird, die dieser jungen Demokratie nur schaden könnte.
({6})
Herr Kollege Kohl, Sie sprachen von Thomas Dehler. Das ist eines der typischen Beispiele dafür, daß immer die toten Liberalen die guten Liberalen sind. Ich möchte Ihnen mit einem Satz antworten, den er an dieser Stelle vor rund 20 Jahren gesprochen hat:
Es ist bedauerlich, wenn man dafür keinen Sinn hat, wie schlimm es ist, daß man mit kleinen Mätzchen Politik macht.
({7})
Wie recht er doch hatte! Die vielen kleinen Mätzchen, die wir heute vormittag in der Strauß-Rede und auch in Ihrer Rede, Herr Kollege Kohl, wieder gehört haben, konnten nicht ersetzen, daß es. an vielen Stellen an Politik gefehlt hat.
({8})
Ich nehme auf, was Sie zur Entwicklung der Wirtschaft in dieser Bundesrepublik Deutschland gesagt haben. Da wiederhole ich, was ich schon einmal von dieser Stelle gesagt habe: Für uns ist Marktwirtschaft kein Schlagwort. Für uns ist Marktwirtschaft die Grundlage unserer wirtschaftspolitischen Auffassungen.
({9})
Allerdings füge ich hinzu, daß wir Freien Demokraten immer der Meinung waren, daß es des Beiwortes „sozial" gar nicht bedarf; denn die Marktwirtschaft, richtig funktionierend, richtig verstanden, in allen Bereichen angewandt, führt zu einer sozialen Politik, weil echter Wettbewerb bewirkt, daß wir entsprechende soziale Leistungen vollbringen können. Deshalb ist das für uns nie eine Frage der Zusatzetikettierung gewesen.
Wenn allerdings heute so oft Erhard zitiert und dann auch noch auf den Wirtschaftsrat verwiesen wurde - ich will hier nicht in ähnlich nostalgische Betrachtungen verfallen, wie das zum Teil geschehen ist -, dann darf ich wenigstens an eines erinnern, Herr Kollege Kohl: 1948 mußte Ludwig Erhard seine Reden noch auf FDP-Parteitagen halten, weil man in der CDU keinen Platz für ihn hatte. Erst als
wir die Marktwirtschaft von uns aus, mit Teilhilfe aus Ihren Reihen, durchgesetzt hatten, war Erhard der Wohlgeduldete. Das .war so bis zu dem Zeitpunkt im Jahre 1966 - das hat heute Josef Ertl mit seiner Zwischenfrage angedeutet -, an dem diejenigen, die ihn heute lobpreisen, gemeinsam andere personelle Entscheidungen treffen wollten.
Hoch interessant war, daß, als der Bundeskanzler sprach, der Kollege Strauß den Zwischenruf machte, er sei auch kanzlerreif wie der Bundeskanzler. War das schon wieder eine Andeutung, daß das, was 1966 mit Erhard passierte, dann 1980 möglicherweise mit anderen passieren soll? Aber das sollten Sie in Ihren eigenen Reihen austragen. Sie werden genug daran zu tragen haben.
({10})
Meine Damen und Herren, ich will hier nicht nachvollziehen, was hier so alles an Einzelfragen, die den hessischen Wahlkampf betreffen, angebracht worden ist. Ich erwarte, daß ein Kollege aus den Reihen der Union dazu noch ausführlich Stellung nehmen wird und dann Gelegenheit sein wird, darauf auch konkret zu antworten.
Nur eine Bemerkung gestatten Sie mir: Wenn Sie hier sagen, man müsse im Vergleich der Länder, der Entwicklung ihrer Wirtschaftskraft und ihrer Steuerkraft natürlich auch sehen, wo der Ausgangspunkt gewesen sei, ist das eine völlig richtige Überlegung. Aber das schließt doch nicht aus, daß, im Ganzen gesehen, dieses Bundesland Hessen - obwohl Sie immer behaupten, daß das das Land großer Mißwirtschaft und was weiß ich alles sei - heute zu den Ländern gehört - ja fast d a s Land ist -, die wirtschaftspolitisch, arbeitsmarktpolitisch am stabilsten dastehen. Das beweist, daß die sozialliberale Koalition in Hessen eine gute Grundlage, die vorhanden war, gut zu verwalten gewußt hat - im Gegensatz zu manchen anderen Ländern, wo das nicht der Fall ist. Mehr will ich in diesem Augenblick nicht dazu sagen.
({11})
Herr Kollege Kohl, Sie haben sich darüber beklagt, daß oft das Bundesverfassungsgericht angegriffen werde, und haben betont, es sei notwendig, die Rolle des Bundesverfassungsgerichts richtig zu werten.
({12})
- Seine Rolle als Verfassungsorgan richtig zu werten; völlig einverstanden, gar kein Dissens. Nur wäre ich, Herr Kollege Kohl, wirklich dankbar, wenn man dann auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit dem Verhältnis von Bund und Ländern auseinandersetzen und in denen ausdrücklich festgestellt worden ist, daß der Bundesrat eben keine zweite Kammer im klassischen Sinne ist, in die Bewertung mit einbezöge
({13})
und das alles dann, wenn es zu praktischen Entscheidungen in diesem Hause kommt, nicht vergäße, wie es leider oft der Fall war.
({14})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen vielleicht gegenwärtig, daß genau die Entscheidung, die Sie eben ansprechen, im Zusammenhang mit einem auch von mir - damals in der Eigenschaft des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes - unterstützten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht getroffen wurde und daß kein einziger von denen, die damals unterlegen sind, zu irgendeinem Zeitpunkt dieses Urteil gerügt hat? Es ist ganz selbstverständlich, daß dies so ist.
Ich freue mich darüber, daß Sie das so anerkennen. Nur habe ich dann, wenn es an die praktische Politik geht, immer wieder den Eindruck, daß Sie, Herr Kollege Kohl, allzu schnell vergessen, was in diesem Urteil des Verfassungsgerichts steht. Daß Sie nicht dagegen vorgegangen sind und es nicht kritisiert haben, genügt mir nicht; Sie müssen sich dann auch in der praktischen Politik dem Urteil entsprechend verhalten. Darauf kommt es doch schließlich an!
({0})
Herr Kollege Mischnick, sind Sie - trotz oder wegen des Urteils, jedenfalls den Text des Grundgesetzes betrachtend - bereit, mir darin zuzustimmen, daß der Bundesrat ein echtes Verfassungsorgan des Bundes ist und daß es in höchstem Maße unklug wie auch in der Sache völlig unerträglich ist, daß ein anderes Bundesorgan in herabsetzender Weise über dieses Bundesorgan spricht?
({0})
Sie werden nie erleben, daß ich über Bundesorgane in herabsetzender Weise spreche; ich denke gar nicht daran.
({0})
- Ich weiß, daß Sie nicht von mir reden, aber ich wollte das einmal feststellen. Nur wäre ich dann, Herr Kollege Kohl, auch hier dankbar, wenn man bei den Sachentscheidungen eben wirklich zwischen dem, was das Grundgesetz gewollt hat, und dem, was es nicht gewollt hat, unterschiede.
Ich war z. B. gestern der Meinung, daß die Stellungnahme des Ministerpräsidenten Späth zur Auseinandersetzung über Steuergesetzgebung und Steuerverteilung ein Gebiet betraf, auf dem die Länder vollkommen zu Recht mitzureden haben. Aber dann, wenn es um die Kriegsopferversorgung geht und versucht wird, dort eine Sperre aufzubauen, ist das eben ein typisches Beispiel für einen Fall, in dem dieses Recht nach dem Grtindgesetz nicht vorhanden ist, wo man also damit Parteipolitik
machen will. Dies werden wir immer klar zu unterscheiden wissen.
({1})
- Lieber Herr Kollege Kohl, daß Sie mir dieses Stichwort geben, ist ganz hervorragend. Wissen Sie, warum? Weil Reinhold Maier über den Bundesrat eine politische Meinung klar geäußert, aber nicht den Versuch gemacht hat, die EVG tatsächlich per Abstimmung zu Fall zu bringen.
({2})
Die Entscheidung in diesem Raum fiel in eine andere Richtung, weil man sehr schnell gemerkt hatte, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in ihrer Grundkonzeption schlechter war als das, was wir heute mit der NATO haben. Das ist der politische Grund gewesen, und damit ist das aufgenommen worden, was Reinhold Maier an politischen Bedenken damals gehabt hat. Es ist aber nicht mit einer rechtlichen Entscheidung oder einer gesetzlichen Entscheidung oder einer Abstimmungsentscheidung vorgegangen worden. Dies sollten Sie bedenken, wenn Sie diesen Fall hier aufbringen.
Nun ist, meine Damen und Herren, in der Debatte auch mehrfach die Geschichte als eines Teilpunkts, insbesondere als eines Unterrichtspunkts aufgenommen. Es wurde gefordert, das Geschichtsverständnis in unserem Volke zu erhalten bzw. zu wecken. Ich teile diese Meinung. Es muß auch verlangt werden, Geschichte als einen Teil unserer Vergangenheitsbewältigung zu sehen.
Hier möchte ich anknüpfen. Wenn ich sehe, wie - mit Recht - die Betonung auf dem Fach, auf dem Teilgebiet „Geschichte" liegt, frage ich mich doch: Wie halten es diejenigen, die dies so betonen, mit der Vergangenheitsbewältigung, wenn ständig das gegenseitige Aufrechnen bezüglich der Vergangenheit erfolgt? Muß dann nicht gerade bei den jungen Menschen der Eindruck entstehen, hier gehe es nicht hauptsächlich um eine objektive Unterrichtung, sondern in erster Linie entweder um ein Nachvollziehen eigener Versäumnisse oder aber, wenn etwas nicht geschehen ist, um ein falsches Nacharbeiten?
Wenn man davon spricht - mit Recht -, daß man den 18- oder 19jährigen 1978 den politischen Irrtum zugestehen will und muß, und wenn man weiter sagt, man müsse ihn auch für 1935 zugestehen - ich bin völlig dieser Meinung -, wieso dann eigentlich nicht für 1926? Denjenigen, der mit 18 Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg - im Dritten Reich oder in der Weimarer Republik - etwas geschrieben und vertreten hat, anders zu behandeln als den, der das mit 18 Jahren 1978 gemacht hat, ist genauso eine Inkonsequenz. Wir haben ja die Zitate eines unserer jungen Freunde aus jungen Jahren eines anderen Kollegen hier erlebt. Da ist der Punkt, wo mit Recht die Frage junger Menschen kommt: Seid ihr denn konsequent, oder habt ihr nicht eine doppelte Moral; wenn es ins politische Konzept paßt, ist die Jugendsünde vergeben, wenn
es nicht ins politische Konzept paßt, ist die Jugendsünde nicht vergeben!
({3})
Das kann nicht zur Staatsbegeisterung, zum Staatsinteresse führen. Dies müssen wir ausräumen.
Wenn wir immer wieder apellieren, zu einer gemeinsamen Handhabung des Radikalenerlasses zu kommen, dann doch nicht, wie es manchmal unterschwellig verbreitet wird, um nun Verfassungsfeinde in den Staatsdienst hineinzuholen. Vielmehr geht es darum, endlich zu erreichen, daß der von uns gemeinsam in den Jahren seit 1949 aufgebaute Staat gemeinsam verteidigt wird, aber auch, daß die Freiheitsrechte dieses gemeinsamen Staates nicht an bestimmten Punkten außer Kraft gesetzt, durch Schnüffelei ersetzt werden. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie müßten doch ein Interesse daran haben, hier mit uns gemeinsam zu klaren gesetzlichen Regelungen zu kommen. Das ist möglich. Ich habe den Eindruck, viele wollen da nicht gern heran, weil das so ein Knüppel-aus-dem-Sack ist, den man politisch immer wieder einmal verwenden kann, um die Zuverlässigkeit anderer in Frage zu stellen. Genau das aber ist schädlich für diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.
Herr Kollege Kohl, Sie haben auch davon gesprochen, daß wir nun endlich mit der Entbürokratisierung ernst machen sollen. Sie haben angeboten, z. B. beim Baurecht, zu gemeinsamen Überlegungen zu kommen. Ich nehme dieses Angebot sehr ernst. Wir müssen prüfen, inwieweit Gesetze, die wir hier erlassen haben - meistens gemeinsam -, in ihren Auswirkungen bürgerfeindlich sind. Ich habe allerdings bei vielen Diskussionen draußen im Lande, an Informationsständen, in Versammlungen festgestellt, daß beim Nachbohren herauskommt, daß gar nicht die Gesetzesfassung das Problem ist, sondern daß die Probleme in dem liegen, was dann in den Ländern und Gemeinden durch Erlasse, Verordnungen, Rundschreiben und sonstige zusätzliche Dinge an Erschwernissen hinzugepackt worden ist, die wir als Gesetzgeber gar nicht wollten.
({4})
Das geht quer durch. Das ist nicht eine Frage dieser oder jener Landesregierung. Aber wenn das so ist, dann sollten wir doch gemeinsam über die von Ihnen angebotene Parteischiene nach oben auch nach unten darauf hinwirken, daß entsprechend verfahren wird.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Kohl, daß in der Behandlung des Spionagefalles doch schließlich die Bundesregierung oder der zuständige Bundesjustizminister dafür sorgen solle, daß dann die Dinge richtig laufen. Ich möchte hier einen Satz wiederholen, der im Jahre 1962 an dieser Stelle von meinem Freund Wolfgang Döring gesagt wurde. Er sagte damals wörtlich:
Ich bin nicht bereit, unwidersprochen hinzunehmen, daß letztlich durch eine ganz bestimmte
Stimmungsentwicklung, gleichgültig wer sie beMischnick
wirkt, Leute verurteilt sind, bevor sie überhaupt jemals einen Gerichtssaal gesehen haben.
({5})
Genau das ist der Punkt. Wenn Sie mir zurufen „Wir sind einer Meinung", bin ich sehr froh darüber.
({6})
Dann wäre es aber auch gut gewesen, wenn hier sehr deutlich gemacht worden wäre, daß die Vorabverurteilungen, die in der Öffentlichkeit stattfanden, durch Artikel und Erklärungen, mit Bedauern zurückgenommen werden.
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- Wenn Sie mir Lookheed zurufen, dann rufen Sie das auch wieder dem Falschen zu. Wir haben in dieser oder in anderen Fragen zu keinem Zeitpunkt irgend jemanden persönlich verdächtigt. Das ist ja eben das, was die Liberalen gegenüber anderen auszeichnet: daß sie in jeder Beziehung liberal sind und das durchhalten, auch dann, wenn eine andere Haltung in den politischen Kram passen könnte, z. B. jemanden in Spionageverdacht zu bringen. Auch dann vergessen wir die Liberalität nicht.
Noch eine kurze Bemerkung zu dem, was Herr Kollege Strauß heute vormittag gesagt hat. Er sprach davon, daß die Bruttolohnbezogenheit der Renten eine Täuschung der Öffentlichkeit gewesen sei, und erklärte, daß der Rentenbetrug damit praktisch fortgesetzt werden solle. Ich kenne aus den Reihen der Union sehr viele - ich könnte auch die Namen aufführen; das will ich nicht tun -, die genausogut wie wir alle wissen, daß mit dem Auftrag des Verfassungsgerichtes, bis 1984 eine neue Lösung der Hinterbliebenenversorgung zu finden, sehr schwierige Probleme verbunden sind. Deshalb sollte jeder, der heute Erklärungen über die Entwicklung von übermorgen abgibt, das mit aller Vorsicht tun und auch nicht verlangen, daß schon heute, wo diese Diskussion nicht bendet ist, Patentrezepte abgegeben werden. Das ist ehrlicher gegenüber allen Rentnern.
({8})
Ich habe bewußt eine kurze Redezeit angemeldet: damit die Opposition nicht die Sorge hat, zu kurz zu kommen. Ich will deshalb mit diesem Beitrag zum Schluß kommen. Heute ist immer wieder gesagt worden - das zog sich durch viele Beiträge -, der Kollege Bahr habe von zwei Wahrheiten gesprochen. Mir fiel dabei ein: Bei Konrad Adenauer gab es die drei Wahrheiten. Jetzt spricht man beim Kollegen Bahr immer von den zwei Wahrheiten. Es wäre gut, wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen könnten, unseren sachlichen Aussagen immer nur eine Wahrheit zugrunde zu legen und danach zu handeln.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der preußische Finanzminister Popitz hat einmal gesagt, daß der Haushalt das Schicksalsbuch der Nation und die Diskussion über den Haushalt eine der wichtigsten Debatten in jedem demokratischen Parlament sei. Wenn ich an die beiden Reden der Oppositionsführer heute denke, von Herrn Strauß und Herrn Kohl - die im übrigen beide nicht mehr im Saal sind -, dann muß ich sagen: Von dieser Bedeutung der Haushaltsdebatte war in diesen Oppositionsreden wenig zu merken.
({0})
Das waren zwei Reden, die in der Substanz kleinklein waren. Herr Strauß kann das mit seiner brillanten Rhetorik noch einigermaßen verdecken; Herr Kohl schafft nicht einmal das.
({1})
Darum möchte ich mich jetzt zunächst nur auf einzelne Klarstellungen von Dingen konzentrieren, die in der nebelhaften Art vorgetragen worden sind, wie wir sie von der Opposition kennen.
Herr Kollege Strauß hat z. B. vorgetragen, gegen den Kollegen Rudi Schöfberger sei in Bayern eine einstweilige Verfügung ergangen. Das ist richtig. Leider hat Herr Strauß vergessen hinzuzufügen, daß diese einstweilige Verfügung vom Landgericht München I im Dezember 1977 aufgehoben worden ist und die CSU die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen hatte, die über 6 000 DM betrugen.
({2})
Herr Kohl hat dann das Ammenmärchen wiederholt, von der SPD bzw. von der Friedrich-EbertStiftung seien Leute in Archive geschickt worden, um in Dissertationen nachzugraben. Dazu kann ich nur sagen: Diese Behauptung ist vom „Schwarzwälder Boten" unter Berufung auf CDU-Kreise aufgestellt worden. Sie ist von der SPD und von der Friedrich-Ebert-Stiftung dementiert worden. Ich bedaure, daß diese falsche Darstellung vom Oppositionsführer heute trotzdem noch einmal bewußt vorgebracht worden ist.
Im übrigen darf ich daran erinnern: Um die Urteile von Herrn Filbinger hat sich bekanntlich seine eigene Staatskanzlei gekümmert. Sie hat auch das Urteil aus dem Jahre 1943 vorgelegt, das uns anderen ja gar nicht bekannt war und das dann - zu ihrer Ehre sei es gesagt - selbst in der baden-württembergischen CDU das Faß zum Überlaufen brachte.
Herr Kohl hat dann beanstandet - auch Herr Jenninger hat das getan -, daß der Bundeskanzler gesagt habe, es sei an eine Sondersitzung gedacht gewesen.
({3})
- Ich darf zunächst einmal sagen, Herr Jenninger: Herr Kohl hat so getan, als ob der Bundeskanzler nur die Tatsache ihrer Fragestellung mit dem Wort „Volksgerichtshof" abqualifiziert habe. Sie wissen, daß das nicht so war. Er hat sich lediglich dagegen gewehrt, daß Sie ihm nach Ihrer Fragestellung nicht
einmal die Chance gegeben haben, die ersten drei Worte seiner Antwort zu sagen, weil Sie ihn da schon in schnödem Ton unterbrochen haben.
({4})
- Herr Jenninger, ich habe in der Kürze der Zeit nicht alles zusammenbekommen, will aber folgendes sagen: Zum Beispiel sagte der Minister für Soziales in Rheinland-Pfalz, der Ihrer Partei angehört, am 23. Juni im WDR:
... dann müssen sich zweifellos die Kabinette der unionsgeführten Länder überlegen, ob sie diesen Einspruch mit der Konsequenz einer Sondersitzung während der Sommerpause auch dann noch wirklich einlegen wollen.
An diese Äußerung schließt sich eine endlose Presseberichterstattung an, daß die CDU das plane. Ich sehe also nicht ein, welchen Grund Sie haben, dem Bundeskanzler hier Vorwürfe zu machen.
({5})
Ich zähle ein weiteres auf, weil es so typisch ist für die Art, wie in diesem Haus von der Union diskutiert wird. Tatsachen spielen keine' Rolle, Hauptsache, die „Gesinnung" ist richtig. So diskutieren hier Herr Strauß wie Herr Kohl.
Da ist gesagt worden, es sei unerhört, daß wir behaupteten, Herr Filbinger habe gesagt, was im Dritten Reich Recht gewesen sei, könne heute nicht Unrecht sein. Das ist von Herrn Filbinger nicht nur nie dementiert worden, sondern er hat dies in einem Interview mit Paul Wilhelm Wenger im „Rheinischen Merkur" vom 1. September sogar wiederholt. Er hat dann allerdings seine Interpretation hinzugefügt, daß er sich damit gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung im Fall Gölter wehren wollte. In Ordnung. Ich will jetzt nicht über die Interpretation streiten, aber Sie können sich doch hier nicht hinstellen und sagen, das sei von Filbinger nie gesagt worden. Was für eine Debatte soll es noch zwischen uns geben, wenn Tatsachen, die Sie kennen, hier in der Debatte als nicht existent bezeichnet werden, weil sie Ihnen nicht passen? Das hat ja keinen Zweck.
({6})
Nun ist Herr Kohl, was Tatsachen betrifft, generell schwach. Das gilt auch für den vierten Punkt, auf den ich kommen will. Herr Kohl hat zum xten Male - und Herr Schwarz-Schilling und Herr Biedenkopf und alle tun das draußen im Lande sehr fleißig - erzählt, wie verheeren die Entwicklung der Lage der kleinen und mittleren Unternehmen unter der sozialliberalen Koalition sei.
({7})
Sie alle wissen in Wirklichkeit,
({8})
daß die Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen nach der Größenstatistik des Instituts für Mittelstandsforschung, die Sie alle genauso kennen wie ich, in den Jahren von 1960 bis 1968, also als Sie regiert haben, um 182 000 abgenommen hat und von 1970 bis' 1976 um etwas über 70 000, daß aber diese Zahl von 1976 bis 1977 um 16 000 zugenommen hat. Dabei tritt eine eindeutige Verschiebung von Produktion und Handel zu Dienstleistungen ein. Das sind kleine und mittlere Unternehmen einschließlich Handwerk.
({9})
Gleichzeitig ist bei den Selbständigen eine erstaunliche Verjüngung eingetreten. Was meinen Sie eigentlich, was Sie dem Mittelstand für einen Gefallen tun, wenn Sie hier mit Ihren Reden dauernd den Eindruck erwecken, als ob er keine Chancen hätte. Sie reden den Mittelstand kaputt.
({10})
- Herr Haase, ich will Ihnen etwas sagen: Das „Handelsblatt" ist bekanntlich kein sozialdemokratisches Presseorgan. Es hat am Anfang dieses Jahres einen Bericht über die Mittelstandspolitik der sozialliberalen Koalition geschrieben und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie sich durchaus sehen lassen kann. Gehen Sie doch jetzt nicht hin und machen den Leuten draußen Angst! Sie machen denen doch Angst. Wie wirkt das denn auf die Existenz der Unternehmer und auf den Willen der Unternehmer, Risiko zu tragen?
({11})
Ein fünfter Punkt, auf den ich kurz eingehen will, sind die erstaunlichen Bemerkungen von Herrn Kohl über die „Wirtschaftsverfassung".
({12})
- Lesen Sie doch einmal Statistiken. Nur mit CDU-Ideologie ist dem Mittelstand doch wirklich nicht geholfen. Das ist in Wirklichkeit sein Ruin,
({13})
daß er sich an Ihrer Ideologie ausrichtet, statt an Tatsachen. Sonst ginge es ihm noch besser, als es ihm schon geht.
({14})
Ich komme jetzt zum Punkt der Wirtschaftsverfassung. Da muß ich nun sagen, irgendeiner der Herren Juristen hätte doch dem Oppositionsführer klarmachen können, daß es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts darüber gibt, daß das Grundgesetz keine Wirtschaftsverfassung garantiert. Sie können noch so viel von der „Sozialen Marktwirtschaft", was immer man darunter versteht, halten; die Behauptung, es sei gewissermaßen verfassungswidrig, wenn man das bestreitet, ist doch sicher schon komisch.
({15})
- Sehen Sie sich Art. 15 an!
({16})
- Nicht „Elemente"! Es gibt sogar eine Rechtsprechung des Verfassungsgerichts dazu.
({17})
- Herr Schwarz-Schilling, ich will Ihnen einen schönen Artikel des Grundgesetzes vorlesen, nämlich Art. 15:
({18})
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden ..."
Das ist mit Ihren Stimmen ins Grundgesetz gekommen.
({19})
- Was soll dann hier der Vorwurf, der Bundeskanzler unterschlage die Marktwirtschaft als einen Teil der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes? Es ist doch hirnrissig, was der Herr Kollege Kohl hier vorgeführt hat.
({20})
Der Bundesverfassungsrichter Leibholz hat das einmal sehr einfach zusammengefaßt. Er hat gesagt:
Die heutige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber, wie behauptet worden ist,
- ich füge hinzu: auch heute wieder von Herrn Kohl die allein mögliche.
Darum sollten wir diesen ideologischen Krieg sein lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jenninger?
Gerne.
Herr Kollege Ehmke, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß Herr Kohl nichts anderes gesagt hat, als daß eine Reihe von Grundelementen, und zwar in Form von Grundrechten, in der Verfassung verankert sind, die dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft immanent sind.
Im Grundgesetz ist eine Reihe von Prinzipien verankert,
({0})
darunter das Prinzip, das ich Ihnen gerade vorgelesen habe, nämlich daß Grund und Boden und Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden können.
({1})
Das ist die Wirklichkeit einer rechtlich wie tatsächlich gemischten Wirtschaftsordnung. Sie dürfen nicht einzelne Teile dieser Wirtschaftsordnung isolieren und dann für sakrosankt erklären, wenn Sie noch auf eine rationale Diskussion über Wirtschaftsfragen in diesem Lande Wert legen.
({2})
Der sechste Punkt. Hier ist der Vorwurf erhoben worden, der Herr Bundeskanzler habe es gewagt, das Bundesverfassungsgericht zu kritisieren.
({3})
- Ob das nun der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht ist - -({4})
- Sehen Sie, einer der größten amerikanischen Richter, Justice Holmes, hat einmal gesagt: Das wirkliche Geheimnis der Verfassungsgerichtsbarkeit liegt in der richterlichen Selbstbeschränkung.
({5}) ,
Ich brauche jetzt nicht alle CDU-Kollegen zu zitieren, vielleicht nur Herrn Dichgans, der mit mir der Meinung ist, daß das Bundesverfassungsgericht in zunehmendem Maße diese Weisheit außer acht gelassen hat.
({6})
- Wer treibt das Bundesverfassungsgericht dazu, seine richterliche Selbstbeschränkung außer acht zu lassen?
({7})
Ich wundere mich, daß Sie den Bundeskanzler kritisieren, da Ihnen doch klar sein müßte, daß das, was dort passiert, nicht etwa die Regierung beschränkt, sondern dieses Hohe Haus in seiner Souveränität, in seinem Gestaltungsspielraum als Gesetzgeber.
({8})
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet bindend, und es verdient unseren Respekt. Aber gerade weil das Bundesverfassungsgericht niemanden über sich hat - das ist ein Standpunkt, den vor allen Dingen der Kollege Dichgans immer wieder herausgestellt hat -, kann es sogar verlangen, daß seine Urteile der wissenschaftlichen und politischen Kritik unterzogen werden. Sie sind nicht sakrosankt in dem Sinne, daß dann, wenn einmal entschieden ist, nicht mehr darüber diskutiert werden ,kann. Dieses Gegengewicht braucht ein gutes Gericht, um
seine Funktion in der Demokratie erfüllen zu können. Nichts anderes ist von unserer Seite getan worden,
({9})
so daß auch dieser Vorwurf völlig ins Leere geht.
Aber ich will jetzt nicht mehr auf Einzelpunkte eingehen. Ich wollte nur einmal vorführen, wie hier von seiten Herrn Kohls mit Tatsachen umgegangen wird, und möchte mich jetzt für den Rest meiner Redezeit noch einmal auf das Gebiet der Geschichte begeben.
Ich habe mit großem Interesse gehört, daß sowohl Herr Strauß wie Herr Kohl und der Herr Bundeskanzler darüber gesprochen haben. Ich muß allerdings sagen: Herr Kohl hat offenbar den Verlauf der Debatte anders in Erinnerung als ich. Die Debatte fing mit einer langen Rede von Herrn Strauß an, die voller Polemik war. Sie enthielt nichts Neues, aber es war Polemik. Darauf hat der Bundeskanzler geantwortet, und er hat hart geantwortet, so hart, wie wir es von ihm erwarten, und so hart, wie es Millionen Menschen draußen, die uns zuhören, erwarten, die sich nicht dauernd in ihrer sozialdemokratischen Überzeugung beleidigen lassen.
({10})
Aber lassen Sie mich einmal von der Polemik weggehen und fragen: Warum haben wir nun seit Jahren immer die gleichen Debatten? Der eine macht den Vorwurf, der andere jenen. Ich meine, wir haben in diesem Hause auf diesem Gebiet seit fünf Jahren nichts Neues gehört. Das muß man selbstkritisch für das Haus sagen.
Das war früher anders; es wird schlimmer. Wenn Sie sich an die Debatten über die Ostverträge, an die Verfassungsdebatte 1974 erinnern: Damals war noch mehr gemeinsamer Boden vorhanden als heute. Warum eigentlich? Daß wir diese Debatten haben, die in keinem anderen westlichen Parlament vorstellbar wären - das muß man leider sagen -, liegt meiner Meinung nach daran, daß es ein großer Teil der Tragödie der deutschen Geschichte isst - ich glaube, das sollten wir uns einmal gemeinsam, nicht in Vorwurfsform vergegenwärtigen -, daß dieses Land eine völlig andere Geschichte als etwa Frankreich und England hat, daß es ein partikularistisch zersplittertes Land voller feudaler Gewalten war, als das Bürgertum schon zu den großen nationalen Revolutionen ansetzte, die England und Frankreich auf ganz verschiedene Weise geeint haben.
({11})
- Ja, gut. Das ist ein unterschiedlicher historischer Rahmen, Herr Marx. Aber dies ist ein Land ohne Revolution gewesen, ein Land, in dem das Bürgertum so schwach war, daß es im Kompromiß mit den feudalen Kräften schließlich einen rechtsstaatlich gebändigten Obrigkeitsstaat, aber keine Demokratie zustande gebracht hat. Das war die Folge des Scheiterns der Revolution von 1848.
({12})
- Etwas anders. - Aber lassen Sie mich einmal hier bei den drei Ländern bleiben; ich sage doch nichts Polemisches.
({13})
Wir müssen uns auch klarmachen - jetzt spreche ich zu den Kollegen von der FDP -, daß dies auch ein Unglück des Liberalismus war. Wir hatten ja noch nach 1848 eine starke liberale Bewegung. Die teilte sich zunächst, als sich die Nationalliberalen von den Freisinnigen abspalteten, an der Frage „kleindeutsch" oder „großdeutsch". Der eigentliche Bruch erfolgte dann im Bürgertum vor 100 Jahren bei dem Sozialistengesetz. Die Nationalliberalen gaben ihre Forderung nach Parlamentarisierung Deutschlands auf - etwa, was in den anderen Ländern längst erreicht war - und stimmten dem Sozialistengesetz zu. Das war ein Verrat an der liberalen Idee.
Das Zentrum stimmte damals - anders als nachher 1933 - gegen das Sozialistengesetz. Das ist 100 Jahre her. Ich glaube, wir verstehen nichts von der Debatte in diesem Hause, Herr Kohl, wenn wir uns nicht klarmachen, daß vor 100 Jahren
({14})
- doch, doch! - die Gründe für all den Kampf gelegt worden sind, der hier im Hause auch heute stattfindet. Das waren zwölf Jahre Verfolgung von Leuten, die nicht schlechtere Patrioten waren als die Ritter der Kreuzzeitung. Das waren zwölf Jahre voll Bespitzelung, voll Gefängnis, voll Ausweisung, voll Zerreißung der Familien, voll Denunziation, die Sie in ihrer Bitterkeit gar nicht verstehen können, wenn Sie nicht etwa einmal die Memoiren von Bebel gelesen haben.
({15})
- Gut.
({16})
- Herr Kohl, Sie sagen, das ist alles nichts.
({17})
- Er sagte doch soeben, das hat alles gar nichts damit zu tun, der Vergleich stimmt nicht.
({18})
- Na gut, dann lassen Sie mich einmal Max Güde zitieren, vielleicht glauben Sie dem ein bißchen mehr als mir. Das nehme ich zu Ihren Gunsten an, da er in Ihrer Partei ist. Max Güde hat gesagt: Damals ist unser Unglück begründet worden, und das Unglück besteht in der „Linksfürchtigkeit" der bürgerlichen Politik in Deutschland.
({19})
Lesen Sie einmal nach, was Max Güde dazu gesagt
hat! Er sagte: Das, was damals passiert ist und was
danach Tradition der deutschen Rechte geblieben ist, das heißt: vorbeigegangen zu sein an 300 Jahren europäischer Geschichte. Ich sage Ihnen: Max Güde hat recht.
({20})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Gerne!
Herr Kollege Ehmke, halten Sie es nicht zumindest für erwägenswert, dem Einwand, den ich soeben in einem Zwischenruf zu machen versuchte, nachzugehen, daß nach 1945 drei der großen Gruppierungen der deutschen Innenpolitik, der demokratischen Parteien, neu entstanden sind: eine davon, die Sozialdemokratische Partei, in der Kontinuität ihrer Geschichte und nahezu ungebrochen auch in ihrer organisatorischen Kontinuität, zwei andere, die CDU/CSU - als Einheit begriffen - und die FDP, als bewußte Neugründungen in Anlehnung und Fortführung früherer Parteien? Meinen Sie nicht auch, daß es angesichts dieses Tatbestandes absolut berechtigt ist, zwar aus der Geschichte zu lernen, aber zu sagen: Nach diesem Tatbestand eines Neuanfangs braucht man doch nicht in diese Debatte etwa die Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten und den Hohenzollern einzuführen? Es ist doch einfach unbestreitbar, daß etwa nach 1945 eine ganze Menge von Leuten bei der Wiedergründung der SPD mit Pate standen, die während der Weimarer Zeit nicht Mitglieder der SPD, sondern in anderen, mehr „bürgerlichen Parteien" waren. Insofern kann die Begründung mit dem Kulturkampf für mich aus Zentrumssicht oder mit den Sozialistengesetzen heute beim besten Willen nicht mehr gelten. Sie fühlen sich von den Sozialistengesetzen seelisch nicht mehr belastet.
({0})
Herr Kohl, ich halte es für sehr schlimm, daß der Vorsitzende der CDU den Fehler macht, aus der Tatsache, daß die CDU erst 1945 gegründet worden ist, zu schließen, die in ihr versammelten Kräfte hätten keine Geschichte, die ins 19. Jahrhundert zurückgeht.
({0})
- Ich komme noch darauf zurück, wie der Ungeist des Sozialistengesetzes heute wieder in der deutschen Politik Platz greift. Ich sage das hier nicht als akademische Belehrung, sondern ich komme natürlich noch darauf zurück, Herr Kohl. Es geht nicht, einfach zu sagen: Das fing 1945 an, und dann laßt uns nicht weiter reden. Sie bringen doch auch dauernd historische Zitate.
({1})
Dieses unhistorische Denken bringt Sie dazu, heute
stolz zu verkünden: „Wir waren für Europa, da haben die Sozialisten noch gar nicht an Europa gedacht." Das stand bei uns im Heidelberger Programm, als das deutsche Bürgertum noch sehr woanders war, Herr Kollege Kohl.
({2})
Herr Kohl, nehmen Sie das einmal so! Sie können mich ja widerlegen, und Herr Biedenkopf wird ja auf mich antworten. Das eigentliche Problem ist, daß wir leider mit dieser rechten Tradition nicht fertiggeworden sind.
({3})
- Lassen Sie mich bitte diesen Gedanken zu Ende führen, Herr Kollege Mertes!
Einer der Gründe für den Untergang Weimars war es, daß das deutsche Bürgertum kein Vertrauen und kein Verhältnis zur Demokratie hatte, und zwar bis in die Beamtenschaft und die Richterschaft. Sie wissen vielleicht noch, daß ein hohes deutsches Gericht die Beleidigung der Reichsflagge als „schwarz, rot, Mostrich" mit der Begründung aufrechterhielt, das sei keine Beleidigung, da Mostrich ein Nahrungsmittel sei. Das war ein Vorgang, der in einer gewachsenen Demokratie ganz undenkbar gewesen wäre. Die Deutsch-Nationalen in Weimar haben es vorgezogen, mit den Nazis zu flirten, bis sie von diesen aufgefressen wurden, statt mit den Sozialdemokraten und allen anderen diese Demokratie zu verteidigen. Man kann nicht einfach sagen, das alles sei heute irrelevant.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt die Frage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ja, gern.
Bitte schön!
Herr Kollege Ehmke, zu den Gründen für die Schwierigkeiten, die wir im Dialog miteinander haben, möchte ich Sie folgendes fragen: Ist es nicht so, daß das deutsche Volk nach den zwei Erfahrungen mit totalitärer Herrschaft auf deutschem Boden, die eine von einer Rechtsideologie, die andere von einer Linksideologie her kommend, einen sehr tiefen Konsens in der Ablehnung jeder Form unmenschlicher, totalitärer Herrschaft hatte? Teilen Sie meine Sorge, daß aus Gründen außenpolitischer Rücksichtnahme, aus Gründen der Entspannung, vielleicht auch aus Gründen der innerparteilichen Rücksichtnahme bei Ihnen heute die Unmenschlichkeit kommunistischer totalitärer Herrschaft nicht mehr mit der gleichen Intensität angesprochen wird, wie das auch von Ihnen von 1949 bis 1969 geschehen ist?
Nein, die Meinung teile ich überhaupt nicht. Sie brauchen sich nur einmal unsere Stellungnahmen zu Prag 1968 anzusehen. Dann wissen Sie Bescheid.
({0})
Herr Kollege Mertes, lassen Sie mich auf das geschichtliche Beispiel kommen. Das war so. Herr Kollege Kohl, 1945, als katholische Geistliche, Zentrumsleute, protestantische Geistliche, Liberale, Offiziere, Arbeiter, Gewerkschaftsführer, Kommunisten, Sozialdemokraten aus dem Konzentrationslager kamen, waren wir wirklich alle der Meinung, es würde nie wieder passieren, daß es diese Zerfleischung unter deutschen Demokraten geben würde, an denen Weimar kaputtgegangen war und die die innere Schwäche des Bismarck-Reiches gewesen war. Wir stellen fest - das ist das Bittere an der heutigen Diskussion -, daß wir uns geirrt haben.
({1})
Lassen Sie mich einmal versuchen, das ganz unpolemisch vorzuführen. Sie sagten soeben z. B. selbst: Nach 1945 waren wir alle der Meinung, wir alle lehnen dieses Unrechtsregime ab und sind uns darüber einig, daß der Widerstand dort ethisch und politisch geboten war. Aber heute vertreten einige von Ihnen - ich glaube, Sie, Herr Mertes, haben sich dem sogar angeschlossen - die Meinung, Herr Kollege Wehner dürfe nicht zum 20. Juli reden. Diese Meinung wäre in der Zeit von 1945 bis 1949 undenkbar gewesen. Die ersten, die sich dagegen gewehrt hätten, wären Jakob Kaiser und Andreas Hermes gewesen.
({2})
Lassen Sie mich weitergehen.
({3})
- Herr Jenninger, warum machen Sie es sich so einfach? Ich versuche noch einmal, es zu sagen: Sehen Sie, auch wir Sozialdemokraten haben von damals manche Schwächen behalten. Es gibt einen Hang zur Selbstisolierung, dazu auf Grund der zwölf Jahre Verfolgung nach innen zu gucken. Vermutlich hat keine Periode vor der Verfolgung durch Hitler die deutsche Sozialdemokratie so geprägt wie die Periode der Sozialistengesetze. Das hat auch auf uns eingewirkt, das hat bei den Generationen vor uns Narben hinterlassen. Ich rede hier ja als jemand, der aus dem Bürgertum kommt, und damit über meine eigene Geschichte.
Und jetzt, nachdem das seit 1945 so war, wie Sie es beschrieben haben, erklärt am 17. Juni, an einem Tag, an dem man sich doch nur in demokratischer und nationaler Gemeinsamkeit finden sollte, z. B. Herr Strauß, Herr Brandt habe ein gestörtes Verhältnis zu Deutschland. Wenn er gemeint hat, er habe ein gestörtes Verhältnis zu Nazi-Deutschland -, ja, das hat er Gott sei Dank gedacht, und darauf kann er stolz sein.
({4})
Was soll das denn heißen? Da sprechen Sie von Demokratie und Nicht-Zurückfallen. Herr Kohl, können Sir mir einmal sagen, wie Sie zu einer solchen Sache stehen? Was sagen Sie dazu, daß in einer Stellungnahme der deutschlandpolitischen Arbeitsgruppe der CSU von „Reichsteilen außerhalb
der Grenzen von 1937" gesprochen worden ist? Halten Sie das für die Tradition von 1945?
Wenn ich dann noch den Anachronismus des galvanisierten Herrn Habsburg dazunehme, dann ist das doch der Versuch, die alte Reichsidee, die ein Unglück in der deutschen Geschichte war, wieder wachzurufen.
({5})
- Ja, dann sagen Sie mir doch, einmal, warum Sie den Mann hier durch die Lande laufen lassen! Und sagen Sie mir einmal, warum Sie eine solche Stellungnahme hinnehmen, von der Sie wohl keine Ahnung haben, wie sie im Ausland wirkt!
({6})
Da redet Herr Dregger, der große „nationale" Mann, zum 17. Juni. Da heißt es dann bei Herrn Dregger - ich lese wörtlich aus der Rede zum 17. Juni vor -: „Das ist der Grund, warum die Aufgabe von selbstverständlichen Rechtspositionen eines Volkes ohne Not und ohne Gegenleistung ein nationales Verbrechen ist." Wessen Sprache ist denn das? Die, von Demokraten, die von 1945, oder ist das die Sprache von 1978 oder von. 1933? Das ist doch die Frage.
({7})
Herr Kohl, ich gebe Ihnen sofort zu: Es gibt auf unserer Seite Äußerungen über CDU usw., die genauso töricht sind.
({8})
- Das ist ein Irrtum. Das zitieren Sie mir immer. Ich habe mich über Herrn Filbinger geäußert. Wenn Sie es wollen, tue ich es noch einmal frei Haus.
({9})
- Im Augenblick nicht; darf ich bei Herrn Kohl bleiben.
({10})
- Nein, nein, Herr Filbinger ist eine Nebenlinie, ich hoffe, auch in Ihrer Partei.
Herr Kohl, Sie zitieren dauernd Jusos, junge Leute.
({11})
- Doch, heute haben Sie den ganzen Tag vorgebracht, was die Jungsozialisten alles gesagt haben. Suchen Sie doch einmal bei uns Äußerungen eines verantwortlichen Mannes dieser Art, wie ich es Ihnen hier vorgelesen habe!
({12})
- Herr Kohl, gleich! - Ich kann Ihnen das beliebig erweitern. Das Schlimme ist, Herr Kohl, daß das zunimmt. Wir haben in den letzten Jahren doch zuDr. Ehmke
nehmend solche Äußerungen. Herr Kohl, jetzt sage ich Ihnen einmal etwas ganz Persönliches: Sie wenden sich nicht dagegen, Richard von Weizsäcker, Kurt Biedenkopf und Paul Mikat auch nicht; überall ist Schweigen im Walde. Wollen Sie reden, wenn die vierte Partei da ist? Das wird doch die vierte Partei sein, die die Tradition von 1878 wieder aufnimmt. Es muß doch Ihr Interesse sein, zu sagen: Das darf nicht wieder passieren.
Gucken Sie einmal, es gibt ganz andere Leute in Ihrer Partei. Ich nenne Manfred Rommel. Ich habe vor ihm große Hochachtung, obgleich er uns in Stuttgart ordentlich verkloppt hat.
({13})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl?
Ich möchte erst noch diesen Gedanken zu Ende bringen, Herr Präsident.
Ich möchte mich an dieser Stelle - ich glaube, auch für meine Fraktion sprechen zu dürfen - trotz des hessischen Wahlkampfs bei Walther Leisler Kiep bedanken, der sich in klarer und anständiger Form von den Diffamierungen gegen Egon Bahr abgesetzt hat.
({0})
So sollte das sein. Ich wäre glücklich gewesen, Herr Kohl, wenn ich das von Ihnen gehört hätte.
Jetzt kann die Frage gestellt werden.
Leider Gottes ist die Geschäftsordnung dieses Hauses so, daß man nur eine Frage stellen und die Behauptungen, die Sie eben wieder aufgestellt haben, nicht aufnehmen kann.
Ich habe ein Zitat gebracht. Meine Frage ist, ob Sie mir, wie ich hier stehe, ein Zitat vorhalten können, das dem Zitat des Herrn Bundeskanzlers vergleichbar ist, in dem es heißt, dieses Erbe - das christlich-demokratische Erbe, das demokratische Erbe, Tradition, Zentrum, CDU, das Erbe von Jakob Kaiser und wovon sonst noch die Rede war - hätten die Herren Strauß und Kohl vertan. An dessen Stelle sei das Erbe der Harzburger Front, das der Deutschnationalen Volkspartei, der Reaktion getreten. Können Sie mir nicht irgendwelche Zitate, sondern konkret vergleichbare Zitate vorhalten? Können Sie mir sagen, wo ich eine solche öde Gleichsetzung vorgenommen habe?
Herr Kohl, ich werde Ihnen jetzt einmal etwas sagen, worüber wir beide schon persönlich gesprochen haben. Ich halte es für unmöglich, daß. Sie - Sie haben mir dann gesagt, Sie haben nicht geschrieben, sondern es war nur ein Brief oder eine Gratulation - und viele Ihrer Parteifreunde im Wahlkampf mit der miesen Parole „Freiheit oder Sozialismus" von Herrn Filbinger ausgerechnet von Herrn Filbinger - Arm in Arm mit einem Mann wie Ziesel gehen.
({0})
- Wieso soll ich denn ruhig sein? Herr Jenninger, Sie müssen einmal aufhören, Herrn Ziesel und die Soldatenzeitung zu zitieren und mich immer zum HJ-Gebietsführer zu machen. Wir können das gern einmal ausdiskutieren. Ich finde das komisch von Ihrer Partei. Ich diskutiere das gern einmal aus.
({1})
Herr Ziesel ist ein Mann, der Liberale und Demokraten quer durch die Parteien beleidigt. Dieser Mann war einer der widerlichsten Antisemiten des Dritten Reiches. Sie aber - auch Sie persönlich - machen mit ihm zusammen Wahlkampf unter der Parole „Freiheit oder Sozialismus".
({2})
Und dann regen Sie sich auf, wenn der Bundeskanzler das sagt, was eben zitiert wurde.
Wir wären sehr froh, wenn die Kräfte in der CDU - ich habe hier eben ein paar Namen genannt - stärker wären, die sagen: Das können wir nicht zulassen; wir wollen hier zwar die Macht; wir sind der Meinung; die Regierung macht Fehler; wir fallen aber nicht in die Klischees der deutschen Rechten zurück. - Wir glauben doch nicht, daß wir dieses Land allein regieren können. Wir wollen doch nicht, daß sich eine vierte Partei abspaltet. Wir wissen: Wir brauchen die CDU, so wie Sie uns brauchen. Dies muß aber eine CDU sein, die den Geist von 1945 und nicht den Ungeist von 1878 widerspiegelt.
({3})
Herr Kohl, lassen Sie mich nur noch folgendes sagen: Sie haben über Ihre europäischen Kollegen gesprochen. Wir haben doch hier wieder das gleiche Phänomen: Nach innen fängt eine verhängnisvolle Diskussion im Sinne der Tradition der deutschen Rechten an, und nach außen kommen Sie in die Gefahr der Selbstisolierung. Ich war neulich in Rom und hatte die Freude, von Ministerpräsident Andreotti eingeladen zu werden. *In einem einstündigen Gespräch hat er mir vor allem dies gesagt: Sagen Sie das, wo Sie gehen und stehen: Wir italienischen Christdemokraten wollen im Europäischen Parlament so konstruktiv, wie es geht, mit den Sozialisten zusammenarbeiten. Das gilt für die belgischen, für die spanischen und für die holländischen Christdemokraten. Er wundert sich, warum das für Sie, Herr Kohl, nicht gilt. Er hat mir gesagt: Aus meiner Sicht, aus meiner italienischen Situation heraus bin ich der Meinung, daß das ganz wichtig ist auch für den Versuch, die Eurokommunisten weiter nach vorwärts zu schieben, die ja in einer sehr ambivalenten Situation sind. - So ist doch die Lage.
({4})
Welche von den christdemokratischen Parteien würden Sie denn zu einem Europawahlkampf mit der Parole „Freiheit oder Sozialismus" gewinnen können? Keine, weil diese Parteien Christdemokraten geblieben sind.
({5})
Sie müssen doch nicht glauben, daß Europa darauf wartet, noch einmal mit den unvergorenen Überbleibseln der historischen deutschen Rechten gesegnet zu werden. Europa hat genug davon.
({6})
Dies ist nicht nur eine Frage der Auseinandersetzung zwischen uns. Der Spalt, der zwischen Ihnen und den anderen Christdemokraten in Europa deutlich wird, bedeutet vielmehr ein ganz zentrales Problem für die Sicherheit in Europa.
({7})
Man soll nicht glauben, Herr Kohl, man könnte Europa bis oben mit Waffen vollstopfen, dann einen ideologischen Bürgerkrieg mit der Parole „Freiheit oder Sozialismus" beginnen und dann meinen, Europa werde dadurch dem Druck aus dem Osten besser standhalten. Waffen nützen nichts, wenn in Westeuropa nicht unter den tragenden demokratischen Kräften Einigkeit darüber besteht, unseren Lebensweg gegenüber dem - immer deutlicher unglaubwürdig werdenden - Weg des Sowjetkommunismus zu verteidigen. Wir dürfen doch die Stärke, die uns aus der geschichtlichen Entwicklung, aus der Entspannungspolitik und auch aus der Entwicklung des Eurokommunismus zuwächst, nicht verschenken, indem wir die Geisterschlachten des vorigen Jahrhunderts noch einmal schlagen.
({8})
Herr Kohl, ich verstehe ja Ihre Schwierigkeiten. Gute Opposition erfordert sehr viel Sachverstand, und gute Opposition erfordert sehr viel Fleiß. Beides kann durch Sprüche, wie Sie sie hier gemacht haben, nicht ersetzt werden. Das ist nicht nur zum Schaden der CDU, sondern zum Schaden der Debatte des ganzen Hauses.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht ganz einfach, nach der Rede des Herrn Kollegen Ehmke zum Haushalt zurückzufinden;
({0})
über den wir eigentlich sprechen wollen. Ich möchte zu dem, was Sie, Herr Kollege Ehmke, soeben gesagt haben, nur drei kurze Bemerkungen machen.
Erstens. Ich hätte nicht die geringsten Bedenken und würde es für eine sinnvolle Sache halten, an
einer Veranstaltung teilzunehmen und sie auch mit zu veranstalten, bei der Herbert Wehner zum 20. Juli spricht.
({1})
Zweitens. Was Sie zu den Sozialistengesetzen vorgetragen haben und was nach Ihren eigenen Ausführungen ein Beitrag zum Geschichtsverständnis sein sollte - über das heute, wie ich glaube, zu Recht gesprochen worden ist -, hat mich sehr an das erinnert, was Sie selbst in Ihren Abschlußbemerkungen gesagt haben, also Sie von Geisterschlachten des vorigen Jahrhunderts sprachen.
({2}) Es ist doch ziemlich absurd, jetzt
({3})
- dazu komme ich gleich - die Sozialistengesetze in einem Bundestag zu bemühen, in dem wir gestern die Einbringung des Haushalts durch einen sozialdemokratischen Finanzminister und heute die Rede eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers gehört haben.
({4})
Entweder haben Sie so wenig Zutrauen zu sich selbst, daß Sie Ihre Schwäche noch immer durch historische Belastungen und Traumata erklären müssen. Oder ich schlage Ihnen vor, wir belassen es bei den Geisterschlachten des vorigen Jahrhunderts.
({5})
Drittens. Sie haben eine Frage von Helmut Kohl nicht beantwortet,
({6})
- ich möchte das nur registrieren -, die Frage nach einem ähnlichen Zitat wie dem des Herrn Bundeskanzlers.
({7})
- Das habe ich nicht anders erwartet Aber das bedeutet ja nicht, daß Sie die Frage beantwortet haben.
Sie haben ja Beschwer über diffamierende Äußerungen über Sozialdemokraten geführt. Ich erinnere mich an eine auf Glanzpapier gedruckte Wahlkampfillustrierte der Sozialdemokratischen Partei aus dem Bundestagswahlkampf 1976, in der durch eine Grafik bereits auf dem Titelblatt dem interessierten Leser mitgeteilt wurde, daß die Wahl einer CDU-Regierung zur alsbaldigen Verwirklichung des Polizeistaats in der Bundesrepublik Deutschland führt.
({8})
Ich glaube, Herr Ehmke, daß Sie auch dies zustimmend zur Kenntnis nehmen. Aber das macht es nicht besser.
Ich möchte, wenn Sie es gestatten, zu einigen, wie ich glaube, Grundproblemen des Haushalts zurückDr. Biedenkopf
kommen, der uns gestern vorgelegt wurde und über den wir heute in erster Lesung beraten.
Mit .der Übernahme der Regierung durch die SPD/FDP-Koalition 1969 hat der damalige Bundeskanzler Brandt nicht nur eine neue Zeit für die Demokratie verkündet, eine Zeit, in der Demokratie zum ersten Mal wirklich gewagt werde, in der man zum ersten Mal wirklich reformieren werde und in der zum ersten Mal wirklich soziale Gerechtigkeit herrsche. Dieser Regierungswechsel war, wie sich. heute rückblickend zeigt, auch ein Wechsel in der Haushalts- und Finanzpolitik. Es war eine Strukturzäsur; es war ein Neubeginn, aber ein Neubeginn mit erheblichen Gefahren.
Diese Veränderung in der Finanz- und Haushaltspolitik ist gekennzeichnet durch drei Elemente.
Erstens. Die staatlichen Zuständigkeiten, wohlabgewogen in einer demokratischen Verfassung im Sinne auch der Begrenzung und der Beschränkung staatlicher Macht, sind weitgehend aufgehoben. Die staatlichen Zuständigkeiten sind entgrenzt worden. Der Staat war hinfort für alles zuständig.
Zweitens. Die Erwartungen und Ansprüche der Menschen, immer in ungeheurer Zahl in der Gesellschaft vorhanden, wurden. freigesetzt. Sie wurden gewissermaßen entfesselt durch das Versprechen, daß der Staat in fast unbegrenztem Umfang umverteilen könne, ohne die Ordnung zu gefährden.
Drittens. Diese neuartige Form der Politik wurde aus dem Ordnungszusammenhang gelöst, in den sie gehört und der allein Maßstäbe liefert für das Mögliche. Der Zusammenhang zwischen Finanz-
und Haushaltspolitik einerseits und der Leistungsfähigkeit des gesamten Volkes und seiner Wirtschaft andererseits und den Aufgaben des Staates schließlich wurde aufgelöst.
Die Herausnahme der Umverteilungspolitik aus diesem Zusammenhang hat Probleme zur Folge gehabt, die wir bis heute nicht bewältigt haben. Der vorgelegte Haushalt ist erneut ein Ausdruck der Unfähigkeit der Regierung, diesen Zusammenhang wiederherzustellen.
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Die Umverteilungspolitik, die in jedem Sozialstaat notwendig ist, deren Notwendigkeit von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nie bestritten worden ist, auf der große Reformwerke wie z. B. die Rentenreform von 1957 basieren, ist aus dem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gelöst worden. Diese Herauslösung aus dem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft geschah unter dem Eindruck eines Wirtschaftsbooms 1969/70, der der damaligen Regierunng gewissermaßen alle Möglichkeiten zur Reform zu öffnen schien, sozusagen ohne Rücksicht auf die Kasten.
Es erfolgte die Herauslösung aus einem gesunden Verhältnis von kollektiver und personaler Solidarität. Ich kann das hier nicht vertiefen, aber einer der Hauptgründe für das Gefühl der Kälte, der Anonymität, für das Desinteresse, das gerade viele
junge Menschen gegenüber unserer Gesellschaft heute empfinden, liegt darin, daß die Bereitschaft der Bevölkerung zur Solidarität inzwischen völlig von den kollektiven Systemen der Solidarität absorbiert wird und für den Menschen nichts übrig bleibt.
({10})
Auch dies ist eine Gefahr. Es ist eine Gefahr, die darin zum Ausdruck kommt, daß diejenigen, die an solidarische Systeme in hohem Maße leisten müssen - von Gesetzes wegen oder aus anderen Gründen -, sich selbst gewissermaßen als freigekauft empfinden von der Verpflichtung, für den Nächsten da zu sein. In dem Maße, in dem das kollektive System der Solidarität expandiert, wird ein immer größerer Teil der Bereitschaft der Menschen zur personalen Solidarität verbraucht, zerstört; die Welt wird kalt, abweisend, anonym und unwirtlich.
({11})
Der entscheidende Punkt aber - darauf möchte ich heute mein Hauptaugenmerk richten - ist folgender. Die Herauslösung der Umverteilungspolitik aus dem Gesamtzusammenhang hat im Ergebnis nicht zu einer Verbesserung der Verwirklichung des Auftrags des Sozialstaats geführt, sondern zu einer Verschlechterung. Ich lege großen Wert darauf, gerade dies in der gegenwärtigen Haushaltsdebatte im einzelnen zu begründen.
Schließlich ist kennzeichnend für die Politik seit 1970, daß sich der Staat nicht mehr auf das beschränkt, was er leisten kann und worauf er sich beschränken muß, wenn er die Aufgaben, die er hat, wirklich ordnungsgemäß erfüllen will. Wir haben den Bundeskanzler .als Zeugen für die Klagen über die Verbürokratisierung. Er fordert die Architekten zum zivilen Ungehorsam auf. Er sagt, sie sollten die Bauvorschriften nicht mehr beachten. Er klagt über die Gasrechnungen. Er sollte mit den Mietern von Wohnungen der Neuen Heimat reden, die von Computern ausgedruckte viele Seiten umfassende Statistiken und Abrechnungen bekommen, die man allenfalls verstehen kann, wenn man ein volkswirtschaftliches Examen abgelegt hat. Diese Unterlagen werden als Beweis für die Notwendigkeit von Mieterhöhungen angeführt. Der Staat hat eine Fülle von zusätzlichen Aufgaben übernommen, aber keine wird mehr richtig gelöst.
Aber das wirklich entscheidende Problem in diesem Zusammenhang ist, daß die Regierung unter der Verantwortung von Herrn Kollegen Brandt eine Art Gerechtigkeitsgarantie ausgesprochen hat. Das heißt, sie hat erklärt, der Staat könne jetzt unter sozialdemokratischer Herrschaft die Gerechtigkeit endlich und abschließend verwirklichen. Nun wissen wir alle, daß soziale Gerechtigkeit ein Auftrag unserer Verfassung ist. Wir wissen aber auch, daß dieser Auftrag nie ganz erfüllbar ist. Es wird immer etwas offen bleiben. Theoretisch kann ich das gesamte Bruttosozialprodukt für die Erzielung sozialer Gerechtigkeit einsetzen - und sie ist trotzdem nicht verwirklicht. Also muß ich Grenzen ziehen. Die Maßstäbe für diese Grenzziehung fehlen. Sie sind mit der Herauslösung der Wirtschafts-, Finanz8244
und Haushaltspolitik aus dem Zusammenhang des Staates, aus dem ordnungspolitischen Zusammenhang zerstört worden.
Meine Damen und Herren, vorhin hat es hier über die Frage, ob die Soziale Marktwirtschaft ein. Teil unserer Verfassungsordnung ist, eine merkwürdige Diskussion gegeben. Herr Ehmke hat uns insbesondere auf den Verstaatlichungsartikel verwiesen. Die Freien Demokraten waren bei der Diskussion im Parlamentarischen Rat - wenn ich mich richtig erinnere - besonders stolz darauf, daß es ihnen gelungen war, in diesen Verstaatlichungsartikel das Gebot der angemessenen Entschädigung einzuführen. Das hat Herr Ehmke nämlich nicht mitzitiert.
({12})
- Nein.
({13})
- Ja, aber Sie haben nachher nicht mehr davon gesprochen. Sie haben nur noch von der Möglichkeit der Verstaatlichung gesprochen und damit die gemischtwirtschaftliche Ordnung begründet.
Daß wir in der Sozialen Marktwirtschaft eine gemischtwirtschaftliche Ordnung haben, ist bisher nie bestritten worden.
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Daß der Staat in der Sozialen Marktwirtschaft Aufgaben hat, daß Monopolleistungen vom Staat angeboten werden müssen, das haben wir nie bestritten. Das war immer ein Teil der Sozialen Marktwirtschaft.
({15})
Deshalb ist das ein reines Schattenboxen.
Worauf es ankommt, ist etwas völlig anderes. Worauf es ankommt, ist die Frage, ob z. B. die Tarifautonomie der Gewerkschaften in einer anderen politischen Wirtschaftsverfassung verwirklichbar wäre als in der der Marktwirtschaft. Die Antwort ist nein.
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Es gibt in einer Planwirtschaft keine Tarifautonomie. Da gibt es zwar einen Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, der der Transmissionsriemen von parteipolitischen Äußerungen in die Bevölkerung und die Arbeitnehmerschaft ist und der im übrigen ein Disziplinierungsinstrument zur Niederhaltung des Unwillens der Unterdrückten ist,
({17})
aber eine Tarifautonomie, so, wie sie gerade die Sozialdemokratische Partei erkämpft hat und wie sie die Gewerkschaften erkämpft haben, kann sich nur in der freien Wirtschaftsordnung entfalten, weil es nur dort für die Gewerkschaften den freien Partner gibt, mit dem sie reden können, den freien Unternehmer.
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In dem Augenblick, in dem dieser freie Unternehmer entfällt, sind die Gewerkschaften entweder Gesprächspartner des Staates, oder sie sind funktionslos. Wenn sie Gesprächspartner des Staates sind und wenn der Staat wirklich alle Mittel an sich zieht, die er an sich ziehen kann, dann sind sie auch einflußlos.
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- Das ist überhaupt keine idealtypische Spielerei, Herr Ehmke. Das paßt bloß nicht in Ihr Konzept. Das ist das Entscheidende.
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Es gibt Tarifautonomie nur in einer Ordnung der Freiheit; denn Tarifautonomie ist Freiheit.
Die Entgrenzung, von der ich sprach, und die Freisetzung der Haushaltspolitik haben für die Koalition seit 1970 eine dramatische Folge gehabt. Diese dramatische Folge kommt auch im jüngsten Haushalt wieder zum Ausdruck. Sie läßt sich mit dem Satz umschreiben, daß seitdem Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland übernommen haben, dieses Volk durch die Politik nicht mehr mit dem auskommt, was es erwirtschaftet. Das heißt, es ist der Regierung seit 1970 nicht mehr gelungen, in der Umverteilungspolitik im Rahmen dessen zu bleiben, was erwirtschaftet worden ist. Die Handlungsspielräume durch das Erwirtschaftete waren zu klein. Also mußte man sie erweitern.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Handlungsspielräume zu erweitern. Die eine ist die Inflation, die andere ist die Verschuldung. Die Regierung ist zunächst den Weg der Inflation gegangen. Sie hat schließlich Inflationsraten, bis zu 8 % in Kauf genommen oder sogar toleriert. Was ist Inflation? Inflation ist die Enteignung der Bürger, die auf die Stabilität des Geldwertes vertrauen. Das heißt: Inflation ist rechtswidrige Enteignung.
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Wir wissen aus der Beobachtung der Zeit bis zur Abnahme der Inflationsraten, daß diese Inflationsenteignung letztlich die schwachen Gruppen trifft, diejenigen, die sich nicht organisieren können, die keine Dynamisierung ihrer Leistungen durchsetzen können, also die Nichtorganisierten und die Schwachen in der Gesellschaft. An ihnen bleiben die Kosten für eine Politik hängen, die aus Mangel an Führung nicht in der Lage ist, mit dem auszukommen, was die Bevölkerung an Steuern zur Verfügung stellt.
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Aber die Bürger - auch die schwachen und armen - können sich wehren. Sie haben eine Stimme. Sie können mit ihrer Stimme in der Abstimmung sagen: Wir wollen keine Inflation. Seit 1974 haben die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland in Wahl nach Wahl gesagt: Wir wollen keine Inflation.
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1976 hat die SPD/FDP-Koalition in der Bundestagswahl fast die Mehrheit verloren, weil die Bürger
keine Inflation wollten. Daraufhin wurde der Regierung dieser Ausweg aus ihrer Führungsschwäche, nämlich der Ausweg der Inflation, zu gefährlich, und .sie wählte den anderen Ausweg, nämlich den der Verschuldung.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Entwicklung der Inflationsraten und die Entwicklung der Verschuldungsraten in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 nebeneinander legen, werden Sie feststellen, daß die öffentliche Verschuldung in dem Maße ansteigt, in dem die Inflationsraten zurückgehen. An die Stelle der Inflation - sprich: der Enteignung der gegenwärtig lebenden stimmberechtigten Generationen - tritt die Verschuldung als Mittel der Enteignung der zukünftigen, noch nicht stimmberechtigten Generationen.
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Genau dies ist die Grundtendenz in der Haushaltspolitik, so wie sich der neue Haushalt darstellt. Das soziale Problem der Umverteilung wird dadurch gelöst, daß das Prinzip der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit im Verhältnis zu den nachwachsenden Generationen verletzt wird. Es gibt aber kein unsozialeres Verhalten in der Politik als das Abladen von Lasten der eigenen Unfähigkeit auf die, die keine Stimme haben und sich deshalb in der Demokratie nicht zur Wehr setzen können.
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Dies ist im letzten Haushalt wieder ganz deutlich zum Ausdruck gekommen. Es ist gar keine Frage: die nachwachsenden Generationen haben keine Stimme, sie haben keine Organisation und sie haben - wie dieser Haushalt erneut deutlich macht - die Regierung als Anwalt verloren.
Diese Verletzung des Solidaritätsprinzips - das wird auch Herrn Ehrenberg interessieren müssen - ist neben der ohnehin bestehenden Schwierigkeit im Rentensystem eine der Hauptgründe für die Gefährdung unserer Rentenversicherung. Die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland baut auf der Annahme auf, daß die nachwachsenden Generationen bereit sein werden, die Verpflichtungen einzulösen, die zugunsten der Beitragszahler heute begründet werden. Wer heute Beiträge zahlt, löst eine Verpflichtung gegenüber den Älteren ein und bekommt dafür einen Anspruch gegen die nachwachsende Generation auf eine gleiche Leistung. Diese Verpflichtung der nachwachsenden Generation ist eine politische, keine nur rechtliche Verpflichtung. Die nachwachsende Generation kann sich dieser rechtlichen Verpflichtung durch Gesetzesänderung entziehen, wie uns gerade die durch die Sozialdemokraten geführte Bundesregierung in der jüngsten Rentengesetzgebung vor Augen geführt hat.
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Das heißt, unsere Rentenversicherung beruht auf der Bereitschaft der nachwachsenden Generationen zur Solidarität.
Die Rentenversicherung ist auf Sand gebaut, ihre Stabilität gegenüber der Bevölkerung zu behaupten und damit Stimmen zu kassieren wäre deshalb betrügerisch, wenn wir durch unser eigenes Handeln die Bereitschaft der nachwachsenden Generationen zur Solidarität in Frage stellen. Genau dies tut aber eine Politik, die die Lasten ihrer heutigen Unfähigkeit zu regieren durch Wechsel ausgleicht, die auf die nachwachsenden Generationen gezogen sind; denn diese nachwachsenden Generationen müssen dann nicht nur das bezahlen, was wir heute über unsere Verhältnisse hinaus verbrauchen, sondern außerdem noch auch die Verpflichtungen einlösen, die wir zu ihren Lasten begründet haben - dies bei einer abnehmenden Bevölkerungzahl -, so daß sie mit Fug und Recht sagen werden: Wir sind euch zur Solidarität nicht verpflichtet, denn ihr habt das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit uns gegenüber auf das eklatanteste verletzt.
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Meine Damen und Herren, eine Politik dieser Art ist eine Politik ohne Zukunft. Es ist jedenfalls eine Politik ohne Zukunft in einer freiheitlichen Demokratie. Trotzdem werden uns immer neue Wohltaten vorgetragen. Aber die Regierung, die sie vorträgt, der Bundeskanzler, der damit um Stimmen wirbt, kann keine einzige Wohltat mehr vortragen, die er noch bezahlen kann;
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denn alles, was jetzt schon an Wohltaten in Aussicht gestellt wird, läßt sich gar nicht mehr durch das bezahlen, was wir erwirtschaften.
Es ist viel von der Stabilität unseres Landes die Rede gewesen. Unser Land ist zur Zeit stabil. Herr Schmidt hat deshalb Herrn Kollegen Strauß vorgehalten, es wäre redlich gewesen, wenn Herr Strauß darauf hingewiesen hätte, daß wir den höchsten Lebensstandard, die höchsten Reallöhne, eine hohe Stabilität etc. haben. Meine Damen und Herren, diese Stabilität ist eine Scheinstabilität. Wir bezahlen sie durch Substanzverbrauch.
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Wir verbrauchen die Substanz. Wir verbrauchen die Kapitalsubstanz in unserem Lande - die Eigenkapitalbildung geht ,ständig zurück. Wir verbrauchen die Humansubstanz - die Bevölkerung geht ständig zurück; das sind ja auch persönliche Ermessensentscheidungen privater Haushalte. Und wir verbrauchen die Vertrauenssubstanz.
Meine Damen und Herren, wenn die Welt so wäre, wie der Bundeskanzler sie darstellt, dann würden die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland doch investieren. Wenn die Zukunft so rosig wäre, wie sie uns geschildert wird, dann würde man doch das Geld in diese Zukunft investieren, statt es auf der Sparkasse zu parken, bis man weiß, wofür man es ausgeben soll. Wenn die Zukunft so optimistisch wäre, dann hätten doch die Menschen bei uns mehr Kinder, als sie tatsächlich haben. Aber die SPD-Reformpolitik führt eben nicht zum Optimismus.
Herr Kollege Brandt, Sie haben 1970 eine Reformpolitik ausgerufen und behauptet, sie ließe sich bezahlen. Wenn man auf der Basis von 1970 bis 1977 einschließlich rechnet, dann stellt sich heraus: Die Steigerung der Steuereinnahmen betrug jährlich
9,5 %, die Steigerung der Zinsausgaben betrug jährlich 17,2 %. Diese Entwicklung in die Zukunft fortgeschrieben, erreichen die Zinsausgaben die gesamten Steuereinnahmen im Jahre 2016. Das heißt, in 38 Jahren gerechnet von heute, müssen wir die gesamten Steuereinnahmen einsetzen, um die Zinsen zu bezahlen. Selbst Herr Brandt hat wohl nicht damit gerechnet, daß seine Politik in so kurzer Zeit zur Einlösung der marxistischen Utopie von der Selbstauflösung des Staates führen würde.
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Tatsächlich ist eine solche politische Entwicklung nicht zu erwarten. Wir wissen, daß das nicht geht. Aber wir wissen nicht, wie man sie verändern will. Der entscheidende Grund für den Vertrauensmangel in diesem Land ist, daß die Regierung keine Auskunft darüber geben kann, wie sie dieses Dilemma auflösen will.
Wir haben in diesem Haushalt wieder eine Nettoverschuldung, die höher ist als die des letzten Haushalts. Wir haben wieder gehört, daß die mittelfristige Konsolidation der Haushalte notwendig sei. Wir haben das schon seit vier Jahren gehört. Wir hören jedes Jahr, mittelfristig müsse der Haushalt konsolidiert werden. Keynes hat einmal gesagt: Langfristig sind wir alle tot.
Was die Menschen im Land wissen wollen, ist: Wie läßt es sich denn vermeiden, diesen wachsenden Schuldenberg ohne neue Inflation oder ohne Währungsschnitt abzubauen? Sie können nicht erwarten, daß ein Bürger in eine zwanzig- oder dreißigjährige Zukunft investiert, wenn ihm diese Frage nicht beantwortet werden kann. Sie können nicht erwarten, daß er Zukunftsoptimismus hat, wenn auf diese Frage die Antwort ausbleibt.
Nun wird der Haushalt mit dem Weltwirtschaftsgipfel gerechtfertigt. Dazu möchte ich mich noch kurz äußern. Es könnte ja sein, daß dieser Weltwirtschaftsgipfel eine solche Politik jedenfalls vorübergehend noch einmal rechtfertigen könnte. Herr Matthöfer hat uns vorgetragen, die Verschuldung sei notwendig, um die Konjunktur zu stützen und um die internationale Situation zu verbessern. Wie steht es mit diesen beiden Notwendigkeiten?
Zunächst was die Stützung der Konjunktur anbetrifft: Dieses Programm in Einlösung des Bonner Weltwirtschaftsgipfels ist das 13. Programm der Bundesregierung zur Stützung der Konjunktur. Die zwölf vorausgegangenen haben einen Betrag von insgesamt 35 Millionen DM verbraucht. Ein wesentlicher Teil dieses Betrages ist durch Schulden finanziert worden. Zu einer Stimulierung, Wiederbelebung der Wirtschaft, der Investitionstätigkeit im privaten Sektor, des Abbaus der Arbeitslosigkeit haben diese Programme nicht geführt. Es läßt sich also zumindest die Frage aufwerfen, was denn dieses 13. Programm von den anderen so fundamental unterscheidet, daß wir damit rechnen können oder dürfen, jetzt plötzlich eine so intensive Belebung zu erfahren, daß nicht nur die Bundesrepublik, sondern
ganz Europa davon genesen kann. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering.
Nun gebe ich zu, Herr Bundeskanzler: Auf einer internationalen Konferenz muß man Konzessionen machen. Wenn diese Konzessionen als solche vorgetragen werden und gesagt wird, daß bestimmte Maßnahmen notwendig sind, um im Konzert der anderen mithalten und mitsprechen zu können, so wird man dafür sicher Verständnis haben. Aber daß wir jetzt zum 13. Mal Kreditaufnahmen im Haushalt in enormer Höhe vorgelegt erhalten, mit dem Argument, die Konjunktur werde sich dadurch bessern, halte ich für unvertretbar.
({31})
Ich halte es für unvertretbar, eine Therapie fortzusetzen, die sich als wirkungslos erwiesen hat und die gefährlich ist, weil sie zur Verschuldung führt.
Im übrigen: Mit internationalen Bedingungen sind ja bisher alle Schwierigkeiten begründet worden, die die Bundesregierung während der letzten neun Jahre hatte. Zunächst war die Inflation importiert, dann war die Stagnation importiert, jetzt ist die Notwendigkeit der Verschuldung „importiert". Auf die Idee, daß hier in der Bundesrepublik Deutschland die Verhältnisse politisch zu gestalten wären und daß wir in der Bundesrepublik Deutschland mit dem auskommen müssen, was wir hier erarbeiten und verdienen, kommt die Bundesregierung schon deshalb nicht mehr, weil sie auf Grund ihrer eigenen politischen Annahmen und Prämissen gar nicht in der Lage ist, sich in diesem Rahmen erfolgreich zu bewegen.
({32})
Ich möchte im übrigen erhebliche Zweifel anmelden an der Sinnhaftigkeit des Kernsatzes des Kommuniqués vom Bonner Gipfel, der lautet:
Besseres Wachstum ist notwendig, damit die freie Welt den Erwartungen ihrer Bürger . . . gerecht werden kann.
Ich bin durchaus dafür, Wachstum zu einem Ziel der Politik zu erklären. Aber ich halte es für lebensgefährlich, Wachstum zu einer existentiellen Voraussetzung für die Regierbarkeit westlicher Länder zu erklären.
({33})
Es ist nach meiner Auffassung unmöglich, die Menschen, und zwar gerade die Jugend, vor dem Hintergrund der Lage in der ganzen Welt davon zu überzeugen, daß es richtig sei, ihre Zukunft in eine Ordnung zu investieren, die nur existieren kann, wenn sie ständig wächst, weil sie regierungsunfähig wird, wenn soziale Gerechtigkeit aus der Substanz verwirklicht werden muß.
({34})
Ich halte es für unerträglich, daß die Führungsschwäche der Koalition jetzt bei der Beschreibung der Bedingungen der Regierbarkeit der Demokratie berücksichtigt wird oder umgekehrt die demokratischen Bedingungen so definiert werden, daß die Regierung trotz ihrer Schwäche in der Lage ist, demokratisch zu regieren. Die Krisenbeständigkeit unserer Gesellschaft ist nicht so gering. Wir müssen uns jedenfalls
fragen lassen, ob wir die Regierungsfähigkeit der westlichen Demokratien so gering veranschlagen wollen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die eigene Jugend, sondern auch im Hinblick auf die restliche Welt, die wir von der Gültigkeit unserer Wertordnung überzeugen wollen.
({35})
Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich in einem Entwicklungsland für die Demokratie à la Bundesrepublik Deutschland werben kann, wenn ich dazu sagen muß: Sie funktioniert aber nur mit Wachstumsraten von 7 % pro Jahr.
({36})
Meine Damen und Herren, im übrigen ist die Wachstumspolitik der Bundesregierung nicht wirksam. Wachstumsimpulse, die vom Handeln der Regierung ausgehen sollen, sind nur dann wirksam, wenn sie auf die Bereitschaft der Bürger treffen, diese Impulse umzusetzen. Die Bürger sind in der Bundesrepublik Deutschland aber skeptisch geworden. Was soll sie denn zur Investition veranlassen? Ihre weitere Schuldenpolitik?
({37})
- Ich habe nichts anderes getan, als den Haushalt zu analysieren.
({38})
- Wir haben nicht unsere Sicht dargetan, sondern wir haben die Fakten dargelegt, wie sie hier vorgetragen worden sind.
({39})
Bloß hat sich ja kein Mensch in der Regierung bisher die Mühe gemacht, auf diese Fragen überhaupt einzugehen. Warum haben wir denn in der Bundesrepublik - neben einigen anderen Ländern - den höchsten Realzins in der ganzen Welt? Der Realzins ist doch das Entscheidende für die Investitionsbereitschaft der Unternehmen, nicht der Nominalzins. Das wissen Sie genauso gut wie ich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Bitte schön.
Herr Professor Biedenkopf, zur Faktenaufklärung: Sie haben gesagt, daß Sie gegen das 13. Programm der Bundesregierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seien.
({0})
Zur Faktenaufklärung meine Frage: Gegen welchen Abschnitt dieses Programms, gegen die Steuersenkung, gegen die Beseitigung des Tarifsprungs, gegen die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, gegen was sind Sie ganz konkret? Das zu wissen wäre sehr interessant für uns, wenn Sie das Programm ablehnten.
Ich will Ihnen die Frage gerne beantworten. Ich habe nicht das Programm abgelehnt, sondern habe seine konjunkturpolitische Bedeutung bestritten. Die Reform der Steuertabelle, verehrter Herr Kollege, hat mit Konjunkturpolitik nicht das geringste, wohl aber mit der Rückgabe von Steuern zu tun, die der Staat illegitimerweise durch die inflatorische Ausbeutung der Progression einkassiert hat.
({0})
Das ist das Problem. Wie der Herr Kollege Späth gestern hier von der Bundesratsbank gesagt hat: Die Aufgabe der Reform der Steuertabelle ist es, Schluß zu machen mit der schleichenden Erhöhung der Steuern gerade auf Einkommen der Arbeitnehmer durch die Inflation. Das ist die Aufgabe.
Ein Gesetz über den Mutterschaftsurlaub, verehrter Herr Kollege, liegt dem Bundestag nicht vor. Zu einem solchen Gesetz kann ich mich erst äußern, wenn es vorliegt.
({1})
- Zur Erhöhung der Mehrwertsteuer haben wir hier ganz klar Stellung genommen, daß wir nämlich eine Mehrwertsteuererhöhung nur dann für sinnvoll halten, wenn die aus der Erhöhung gewonnenen Finanzierungsspielräume zu einer Strukturveränderung des Steuersystems führen.
({2})
- Herr Apel hat ja begründet, daß die Mehrwertsteuer keine nachteiligen sozialen Folgen mehr hat. Da müssen Sie sich also schon an Ihren früheren Finanzminister wenden, wenn Sie anderer Meinung sind, nicht an mich.
Die öffentlichen Investitionen, die in Aussicht gestellt werden, werden keine wesentliche Konjunkturbelebung zur Folge haben. Erstens treibt die Erweiterung der öffentlichen Investitionen zusammen mit der Verschuldung der öffentlichen Haushalte die Zinsen in die Höhe, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo wir dringend auf die Aufrechterhaltung eines niedrigen Zinsniveaus - und zwar des Realzinsniveaus - angewiesen sind. Solange aber weder ein privatwirtschaftlicher Anreiz zu neuen Leistungen besteht noch öffentliche Investitionen in wesentlichem Umfang private Investitionen zur Folge haben können, wird die Wirtschaft nicht wesentlich belebt werden.
Ich bin davon überzeugt, daß die einzige Möglichkeit, die Tätigkeit der Wirtschaft zu beleben, in einer fundamentalen Kurskorrektur liegt, die auf eine weitere Verschuldungspolitik verzichtet, die bereits jetzt ein mittelfristiges Programm zum Schuldenabbau und zur Schuldenkonsolidation vorlegt und die, damit verbunden, den Mut hat, die öffentlichen Haushalte nach Punkten durchzugehen, in denen eine Eingrenzung staatlicher Aktivitäten möglich erscheint oder in denen eine Reihe von staatlichen Aktivitäten abgebaut werden können.
({3})
Einer der Bereiche wäre z. B. der soziale Wohnungsbau. Der soziale Wohnungsbau hat seit Jahren
- das ist unter Fachleuten völlig unbestritten - jede soziale Bedeutung verloren.
({4})
Die Kostenmieten im sozialen Wohnungsbau und die Kostenmieten im freien Wohnungsbau sind nicht nur fast gleich, sondern die Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau für eine 90-qm-Wohnung in einem Objekt, das 1975 oder danach gebaut worden ist, ist heute so hoch, nämlich rund 1 500 DM im Monat, daß sie 55 °/o des durchschnittlichen Nettoeinkommens eines Privathaushalts in der Bundesrepublik Deutschland verbraucht. Das heißt, wir müssen heute ohne jede Rücksicht auf soziale Bedürftigkeit oder Nichtbedürftigkeit - genau das geschieht ja auch - Milliardenbeträge für den Wohnungsbau ausgeben, ohne daß dies wegen eines akuten Mangels an Wohnräumen oder aus anderen Gründen geboten ist. Eine Konzentration der staatlichen Mittel hier könnte eine wesentliche Verringerung der Belastung der öffentlichen Haushalte zur Folge haben. So hätten wir schon eine Reihe von Spielräumen, die notwendig wären, um das Haushaltswachstum im Rahmen dessen zu halten, was Lothar Späth z. B. als noch vertretbar bezeichnet hat.
Aber das setzt politische Entscheidungen voraus. Es setzt die politische Entscheidung voraus, sich mit Bauträgern wie den Kommunen oder der Neuen Heimat auseinanderzusetzen und sie zu frag en, ob es nicht möglich wäre, einen Teil der stillen Reserven zu mobilisieren, die sie in den letzten 15 Jahren zu Lasten der Steuerzahler gebildet haben.
({5})
Es setzt natürlich politischen Mut voraus, die Besitzstände, auch die organisatorischen und administrativen Besitzstände, die in diesem Bereich entstanden sind, langsam und behutsam abzubauen. Es gäbe dann natürlich sehr viel weniger Leute im Ruhrgebiet, die für die Sozialdemokratische Partei arbeiten, obwohl sie nicht dort angestellt sind, wenn man in diesem Bereich einmal etwas zurückfahren und die Administration abbauen würde.
({6})
Nur, weil das so ist, werden nirgends Schritte unternommen.
({7})
- Wenn Ihnen sonst nichts einfällt, fallen Sie wirklich unter Ihr Niveau.
({8})
- Wahrscheinlich hat er gar keines; vielen Dank, Herr Haase, für den Hinweis.
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht bereit sind - ich sage hier für die Opposition, was Herr Häfele auch schon gesagt hat, ausdrücklich, daß die Opposition an der Bewältigung dieser Aufgabe mitarbeiten will -, zu einer Kurskorrektur in der Haushalts- und Finanzpolitik beizutragen, dann sind alle Anstrengungen zur Wiederbelebung der Wirtschaft, zur Schaffung neuen Zukunftsoptimismus, zur Verbesserung der Zukunftschancen vergeblich. Eine Jugend baut nicht auf eine Zukunft, die sie mit den Wechseln einer zum Regieren unfähigen Gegenwart belastet.
({9})
Eine Jugend ist nicht bereit, sich gleich dreimal in die Pflicht nehmen zu lassen: einmal für die normale Solidarität zwischen den Generationen, zum zweiten für die Kosten des Über-die-VerhältnisseLebens der vorausgegangenen Generationen und drittens auch noch für die Weigerung, die nachwachsende Generation auch wirklich zu erhalten. Es gibt keinen besseren Weg-ich kann nur hoffen, daß niemand aus diesem Grund diese Politik betreibt - als eine solche Politik, um die Jugend dem gegenwärtigen System, der gegenwärtigen Regierungsform, der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland zu entfremden. Denn wenn wir wirklich der Meinung sind, daß es politisch nicht möglich sei, diesen Kurs zu ändern, dann machen wir eine Politik ohne Zukunft. Wir brauchen aber eine Politik mit Zukunft, wenn wir unsere Aufgabe - sowohl im eigenen Land als auch in Europa - erfüllen wollen. Wenn wir die Funktionen erfüllen wollen, von denen auf dem Bonner Gipfel die Rede war, dann brauchen wir nicht mehr Schulden, sondern mehr Leistung, mehr Leistungsfreude, mehr Einsatzbereitschaft, mehr Verantwortungsgefühl.
({10})
All dies sind Qualitäten, ohne die dieses Land weder frei bleibt noch der Zukunft eine Perspektive eröffnet wird, die der Jugend den Einsatz für unser land sinnvoll erscheinen läßt.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen gesagt, daß es der deutschen Nation und uns allen gut gehe, vor allem besser als anderen Völkern. Herr Strauß hat versucht, das Gegenteil zu beweisen. Recht hat in diesem Fall der Bundeskanzler. Aber es hilft ihm und seiner Regierung gar nichts, daß er darin recht hat.
Der verehrte frühere Bundespräsident Gustav Heinemann hat 1974 an dieser Stelle in seiner- Abschiedsansprache folgendes gesagt: „Wir können uns nicht damit beruhigen, daß wir noch so gut dran sind. Wie sollen Kinder und Enkel auf einer Erde leben können, die wir ausrauben und zerstören?" Das waren seine letzten Worte, das war gewissermaßen auch sein Vermächtnis.
Das Entscheidende ist: Dieser Bundesregierung fehlt die Zukunftsdimension; der Opposition fehlt sie leider auch. Das hat die heutige Debatte - vielleicht bis auf die Ausnahme des Kollegen Biedenkopf soeben - nun schon bald zum tausendstenmal bewiesen. Die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist nicht zukunftsorientiert, sondern zukunftsDr. Gruhl
blind. Ja, die Politik, die Herr Strauß hier heute vorgetragen hat, ist rückwärts gerichtet, sie ist sogar pure Nostalgie. Sie ist die Erinnerung an ein Märchenland, in dem alles immer mehr und mehr wurde. Man glaubt, dieses Märchenland könne uns ewig erhalten bleiben.
Natürlich hat es phantastische Erfolge gegeben: „Wirtschaftswunder" usw. Aber gerade darum, wegen der Erfolge, leben wir heute in einer radikal veränderten historischen Situation. Auf diese werden hier leider keine Antworten gegeben! Das ist auch schwierig!
Der Grund dafür, daß das deutsche Volk tief beunruhigt ist, liegt darin, daß weder Koalition noch Opposition die veränderte Problemstellung sehen, geschweige denn sie begreifen. Erst recht entwikkeln sie keine Folgerungen für ihre Politik daraus.
Nach dem Krieg waren wir in einer Wiederaufbauphase in einem zerstörten Land. Das ergab natürlich Konjunktur in jeder Beziehung: Zwölf Millionen Wohnungen, Dutzende Millionen von Autos, Kühlschränke, Radios, Fernsehgeräte usw. wurden gebaut. Inzwischen steht alles voll, und wir sind nicht mehr in einer Wiederaufbauphase, sondern in einer Sättigungsphase. In dieser Sättigungsphase gelten andere Gesetze; es muß eine andere Politik betrieben werden als in einer geradezu hektischen Aufbauphase. Für diese Phase trifft die Theorie vom „ständigen wirtschaftlichen Wachstum" leider nicht mehr zu. Sie wird an dieser Stelle zu einem puren Unsinn. Es ist noch verheerender, wenn man nun die Marktwirtschaft unabdingbar mit der Theorie vom Wachstum koppelt und behauptet, ohne Wachstum gebe es keine Marktwirtschaft. Es ist sehr richtig heute hier gesagt worden: Im Grundgesetz steht auch nichts über Marktwirtschaft, das läßt völlige Freiheit in dieser Beziehung.
Wenn sich aber nun die Marktwirtschaft nach Angebot und Nachfrage regeln soll, wie alle Theoretiker behaupten, dann muß man auch die Realität hinnehmen, daß jetzt die Nachfrage nicht mehr steigt, sondern gleichbleibt, auf verschiedenen Gebieten vielleicht sogar noch sinkt. Das muß man nach der marktwirtschaftlichen Theorie anerkennen und sagen: Der Verbraucher bestimmt, daß er nicht mehr soviel kauft; infolgedessen kann auch nicht mehr soviel produziert werden. Die Leute verhalten sich heute vernünftig! Da helfen alle Gipfelbeschlüsse nichts, Herr Bundeskanzler, die nur dahin gehen, daß in immer kürzerer Zeit immer größere Mengen wertvoller Bodenschätze in wertlosen Abfall verwandelt werden sollen, gleichgültig, ob die Konsumenten das wollen.
Darum erweist sich in letzter Zeit immer mehr: Die Marktschreier - ich meine nicht diejenigen, die irgendwo an der Ecke steifen und etwas feilbieten, sondern die Marktschreier, die ständig etwas von der Marktwirtschaft schreien - scheinen mir zum großen Teil überhaupt keine Marktwirtschaft zu wollen. Sie wollen sie nur so lange, wie der Konsum und die Nachfrage ständig steigen. Da ist die Sache in Ordnung. Wenn der Gewinn. und die Staatseinnahmen steigen, ist die Sache in Ordnung. Wenn aber plötzlich die Nachfrage nachläßt, weil der vielbemühte „mündige Bürger" entscheidet, daß er nicht mehr soviel kauft, ist die Marktwirtschaft anscheinend gar nicht mehr so beliebt, und es wird mit allen Mitteln versucht einzugreifen. Die Opposition macht ähnliche Vorschläge wie die Regierung, um wieder anzuheizen, damit wieder mehr gekauft wird. Dies hat der Kollege Strauß heute hier am deutlichsten vorgetragen. Die Investitionen sollen gefördert werden, den Unternehmen soll Geld zufließen. Er meinte, die Nachfrage komme dann automatisch. So hat er es heute wörtlich gesagt. Das heißt also: Wenn die Schaufenster erst noch voller gestopft werden, als das jetzt der Fall ist, dann kaufen die Leute noch mehr, wie er meint.
Für welche manipulierbaren Konsumtrottel hält man eigentlich die Menschen in unserem Lande? Man spricht ständig von der freien Entscheidung dieser Menschen. Aber warum gesteht man Ihnen nicht die Freiheit der Entscheidung zu, nichts zu kaufen? Dies heißt mit den Worten von Herrn Strauß dann im Gegenteil so: Die Marktwirtschaft muß wieder funktionsfähig gemacht werden, d. h., weniger Nachfrage darf nicht sein. Dem soll sich der Mensch anpassen. Es stellt sich also heraus, daß man gar keine Marktwirtschaft, sondern eine Nachfragesteuerung will.
Der Mittelstand und das Handwerk sind schon früher - auch zur Zeit von CDU/CSU-Regierungen - einer wachsenden Konzentration zum Opfer gefallen, was heute u. a. die Folge hat, daß man nicht mehr genügend Lehrstellen findet, weil diese früher vorwiegend in den Bereichen des Mittelstandes und des Handwerks vorhanden gewesen sind und weil die Großindustrie ganz andere Maßstäbe an die Kalkulation und die Beschäftigung legt. Es sind also auch hier heute leider keine Änderungsvorschläge gekommen. Es ist aber auch vielleicht besser, man macht keine, wenn man von der falschen Voraussetzung ausgeht, die bisher gültig war, alles werde in Zukunft immer weiter gesteigert werden können.
Wo sollen denn weitere Arbeitsplätze geschaffen werden? In der weiter rationalisierenden Wirtschaft gewiß nicht! Die Arbeitsplätze werden weniger und weniger. Wenn man die öffentliche Hand anhält, sparsamer zu wirtschaften und Leute zu entlassen, dann hat das wahrscheinlich nur die Folge, daß noch mehr Arbeitslose zu unterhalten sein werden.
Von einer Möglichkeit, Arbeitsplätze im Umweltschutz zu schaffen, ist überhaupt nicht die Rede. Dieses Wort nimmt ein Sprecher wie Herr Strauß gar nicht in den Mund; das fürchtet er offensichtlich wie der Teufel das Weihwasser.
Warum wird denn nicht einmal hochgerechnet, wohin das sogenannte wirtschaftliche Wachstum führt? Wenn wir in 15 Jahren unser Bruttosozialprodukt verdoppeln, dann müßten wir im Jahre 1995 doppelt so viel materielle Dinge verkonsumieren, im Jahre 2010 viermal so viel, im Jahre 2025 achtmal so viel und im, Jahre 2040 16mal so viel. So viel müßten wir dann produzieren, verkonsumieren, in den Abfall werfen, an Umweltschäden verursachen usw. 62 Jahre sind keine lange Zeit. Das ist
noch nicht einmal ein einziges Menschenalter. Der Autobestand müßte dann von heute 23 Millionen auf 46 Millionen im Jahre 1995 steigen und auf 92 Millionen im Jahre 2010, d. h., auf den Kopf der Bevölkerung kämen dann, Babys eingeschlossen, anderthalb Wagen.
Herr Biedenkopf hat diesen Aspekt der nachwachsenden Generation in verschiedener Hinsicht erwähnt. Das war sehr, sehr gut. Er hat aber einen entscheidenden Punkt ausgelassen. - Herr Kollege Biedenkopf hört zur Zeit nicht zu.
({0})
- Ah, ich sehe ihn schon. - Einen entscheidenden Punkt hat er ausgelassen, nämlich die wachsende Verantwortung gegenüber der künftigen Generation in bezug auf die Zerstörung der Umweltsubstanz. Das hat er nicht angeführt. Ich will es zur Ergänzung erwähnen.
Ich verstehe unter „Zerstörung der Umweltsubstanz" nicht nur die Schädigung der Natur und was wir sonst darunter verstehen, sondern auch die Aufzehrung der Rohstoffe der Energie, die wir übrigens selber gar nicht haben, sondern fast restlos aus der übrigen Welt importieren. Wir verzehren also die Umweltsubstanz von Völkern draußen und insofern auch deren Zukunft. Daß sich diese Völker gegen die Verzehrung ihrer Zukunftssubstanz durch uns immer stärker wehren, ist inzwischen bekannt und bereits Gegenstand weltweiter Politik.
Dennoch werden die alten Theorien aufrechterhalten. So hat sich Herr Strauß heute morgen - aber der Herr Bundeskanzler würde es wahrscheinlich ebenso tun - auf Herrn Röpke berufen. Aber man liest Herrn Röpke wahrscheinlich nicht vollständig. Sonst hätte man dort schon 1958 in seinem Buch „Jenseits von Angebot und Nachfrage" folgendes lesen können:
Wie lange wird die Landschaft und der Kern unserer Städte diesem Massenangriff des Betons und der Herolde des „dynamischen Funktionalismus" standhalten?
Auf diese Frage sagt er:
Diese Entwicklung, die die Natur wie die Geschichte in gleichem Maße mißachtet, führt zu einer seelischen Verarmung, indem sie zu allen Poren und zu allen Sinnen auf uns einwirkt. Es ist nicht nur das optische Bild, unter dem wir verkümmern, sondern auch der akustische Widerhall: der Lärm, der von der modernen Massengesellschaft selber aufsteigt und sich schließlich im Geräusch der Düsenflugzeuge und Hubschrauber zur wahren Höllenqual steigert . Was nützt aller materieller Wohlstand,
- so fragt Röpke -wenn wir die Welt gleichzeitig immer häßlicher, lärmender, gemeiner und langweiliger machen und die Menschen den moralisch-geistigen Grund ihrer Existenz verlieren? Der Mensch lebt eben nicht von Radios, Autos und Kühlschränken, sondern von der ganzen unkäuflichen Welt jenseits des Marktes und der Umsatzziffern ..
Wohlgemerkt, das sagt ein Ökonom! Darüber wird hier aber nie gesprochen; hier wird immer nur vom Markt und von den Umsatzziffern gesprochen
({1})
- Es ist so selbstverständlich, Herr Mertes, daß es schon keiner mehr praktiziert, keiner mehr denkt und auch nicht in der Politik verwirklicht.
Röpke sagt weiter, der Mensch lebe
... von Würde, Schönheit, Poesie, Anmut, Ritterlichkeit, Liebe, Freundschaft, vom Unberechnenden, über den Tag und seine Zwecke Hinausweisenden, von Gemeinschaft, Lebensbuntheit, Freiheit und Selbstentfaltung. Umstände, die ihm das verwehren oder erschweren, sind damit unwiderruflich gerichtet, denn sie zerstören den Kern seines Wesens.
Die hier und heute von der Bundesregierung wie von der Opposition vorgetragene Politik zerstört weiter diesen Kern des menschlichen Wesens, indem eben auch der Kern seiner Umwelt, der natürlichen Umwelt, notgedrungen weiter damit zerstört wird, so z. B. mit jedem zusätzlichen Atomkraftwerk, das ja nicht für sich allein, sondern für eine weitere Industrialisierung und Betonierung unserer Erde steht.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Es zerstört weitere Wälder, es zerstört weitere Wiesen, es zerstört die Nahrungsmittelgrundlage, es zerstört die Trinkwassergrundlage und damit die Zukunftschancen der kommenden Generationen. Uber diese Verantwortung müssen wir hier öfter sprechen und aus dieser Verantwortung von, wie ich hoffe, allen Seiten dieses Hauses und des deutschen Volkes eine andere Politik entwickeln. Draußen - das kann ich Ihnen versichern - wollen sehr, sehr viele längst etwas anderes hören als das, was Ihnen hier immer wieder versprochen wird, ohne daß es künftig erfüllbar sein wird. Denn es liegt nicht in unserer Hand, sondern es liegt auch in der Hand anderer Völker, wieweit wir diese Erde für uns verbrauchen dürfen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte midi zunächst bei Herrn Kohl für das artige Kompliment bedanken, das er hier über die Attraktivität der Stadt München in den 60er und 70er Jahren ausgesprochen hat. Es ist wahr: Viele Menschen sind damals gern nach München gezogen, so etwa auch Herr Kollege Strauß, der schon in den 60er Jahren nach München übersiedelte und sich dort nach eigenen Bekundungen während meiner Bürgermeisterzeit
und der von Georg Kronawitter außerordentlich wohlgefühlt hat. Seit einiger Zeit allerdings hat der Zuzug nach München nachgelassen,
({0})
und man hört, daß auch die Zufriedenheit von Herrn Strauß mit dem Rathaus und der Leitung des Rathauses seit dem Weggang von Georg Kronawitter und mir neuerdings zu wünschen übrigläßt.
({1})
Im übrigen ist es eine Legende, daß ich aus München geflüchtet sei. Sehr zum Mißvergnügen etwa meines persönlich hochgeschätzten Gegenkandidaten bin ich in München-Nord gewählter und dort wohnhafter Bundestagsabgeordneter. Herr Kohl und andere Herren können sich in meinem Bürgerbüro in meiner Sprechstunde gerne davon überzeugen. Daß der Nachfolger in der eigenen Partei nicht immer ganz nach Wunsch gewählt wird, ist ein Ereignis, das gelegentlich vorkommt. Ich höre aus Mainz, daß auch der dortige Nachfolger von Herrn Kohl nicht ganz seinen Vorstellungen und Vorschlägen entsprochen hat.
({2})
Ich habe aber das Wort nicht nur genommen, um mich zu bedanken, sondern weil Herr Kollege Strauß sich heute vormittag bei seiner - wie ich verstanden habe - Abschiedsrede als Abgeordneter auch auf das rechtspolitische, ja sogar auf das justizielle Gebiet begeben hat. Ich glaube, das hätte er nicht tun sollen - nicht deshalb, weil er in dieser Passage seiner Rede die staatsmännische Rolle des künftigen bayerischen Ministerpräsidenten nicht so ganz mit allem Feinsinn durchgehalten hat, sondern ganz einfach deshalb, weil Herrn Strauß trotz vielfacher Begegnungen mit der Justiz, Staatsanwaltschaft und Gerichten, einfach doch der Sachverstand fehlt.
({3})
Daher sind eine Reihe der von Herrn Strauß aufgestellten Behauptungen, und zwar gerade die entscheidenden, einfach sachlich unrichtig.
So sagte Herr Strauß: Ein Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft, der in Vollzug eines Durchsuchungsbefehls auf Grund der neuen Fassung des § 103 StPO ein Gebäude nach einem mutmaßlichen Terroristen durchsucht, müsse sehenden Auges an einem Rauschgiftdepot oder an einem Waffenlager vorbeigehen; er dürfe nichts unternehmen. Dies ist offenkundig falsch. Selbstverständlich darf, ja muß der Beamte in einem solchen Fall von sich aus die Beschlagnahme dieser Gegenstände und, wenn notwendig, eine weitere Durchsuchung anordnen. Hieran hat sich durch die Neuregelung überhaupt nichts geändert. Nichts anderes steht in meinem Aufsatz, von dem ich fast ein bißchen die Sorge habe, Herr Strauß hat ihn lesen lassen und nicht selbst zur Kenntnis genommen.
({4})
Dann wiederholte Herr Strauß die Behauptung, eine allgemeine Erhöhung des Strafrahmens vom 15 auf 20 Jahre würde den Kampf gegen den Terrorismus erleichtern. Das ist doch abwegig. Welcher Terrorist, der Mordanschläge vorbereitet oder begeht, läßt sich denn durch die Erhöhung des Strafrahmens für Raub oder andere Straftaten dieser Art beeindrucken? Er weiß doch: Wenn er ermittelt und gegriffen wird, hat er mit „lebenslänglich" zu rechnen.
({5})
- Aber ich bitte Sie! Auf den Punkt komme ich zurück.
Die Justizminister alle miteinander - mit Ausnahme von Kollegen Hillermeier - haben ja, bevor sie von der einen oder der anderen Richtung her ein bißchen in die Pflicht genommen wurden, übereinstimmend festgestellt, daß das Strafmaß, das die Gerichte in diesen Fällen verhängen, völlig ausreichend und zulänglich ist. Meine Sorge ist, daß wir ganz falsche Erwartungen wecken, nämlich man brauche nur den Strafrahmen zu erhöhen, dann werde der Terrorismus oder würden zumindest die Aktivitäten der Helfer zu Ende sein.
({6})
Das ist doch nicht so und führt doch nur zur Enttäuschung.
Schließlich - und das bedauere ich - hat sich Herr Strauß mit der Auseinandersetzung beschäftigt, die Herr Albrecht und ich während der Sommermonate im Anschluß - ({7})
- Aber Herr Haase! Sie haben heute eine vorbildliche Ruhe an den Tag gelegt, den ganzen Tag über,
({8})
und ich finde, wir sollten uns jetzt nicht gegenseitig aufregen.
Es geht um eine Auseinandersetzung, die im Anschluß an eine Rede geführt wurde, die Herr Albrecht am 7. Juli 1978 im Bundesrat gehalten hat. Herr Strauß hat es und dies haben Sie aufgegriffen - als „Sommertheater" bezeichnet. Nun, die juristische Kompetenz von Herrn Strauß kann ich zu meinem schon dargelegten Leidwesen nicht ohne weiteres anerkennen. Seine Kompetenz als Theaterfachmann würde ich allerdings akzeptieren.
({9})
Und weil ich ihn als Fachmann dafür akzeptiere, ist dies eigentlich unter bayerischen Landsleuten fast ein verschämtes Kompliment, das er mir da gemacht hat. Aber dies ist wahrscheinlich nur für Bayern verständlich.
Bemerkenswerter für den politisch interessierten Beobachter ist, daß Herr Strauß seine Fürsorge gerade Herrn Albrecht widmet. Das war doch nicht immer so.
({10})
Herr Albrecht hat übrigens bisher stets in erkennbarer und während der Wahlkämpfe auch betonter Art und Weise Wert darauf gelegt, sich selbst zu helfen. Er gilt nach meinen Beobachtungen nicht gerade als Strauß-Fan.
In der Sache selbst haben Herr Albrecht und ich vor zwei Wochen ein längeres und, wie ich sagen möchte, sehr faires und fruchtbares Gespräch gehabt und sodann übereinstimmend festgestellt, Herr Albrecht und ich sähen keinen Anlaß, die Diskussion vom Juli und August 1978 von neuem aufzugreifen. Davon gehe ich nicht ab. Aber die Äußerung von Herrn Strauß hier im Plenum des Bundestags zwingt mich, zu wiederholen, was ich im Sommer bereits festgestellt habe. Erstens. Herr Ministerpräsident Albrecht hat am 7. Juli 1978 im Bundesrat einen Vorschlag zur Sicherungsverwahrung unterstützt - das ist sein gutes Recht - und dazu wörtlich ausgeführt:
Aber ich
- Albrecht kann Ihnen
- der Bundesregierung nachweisen, daß es Terroristen gibt, die wir freilassen müssen, bei denen wir heute schon wissen, welches die Mordpläne sind, die sie aushecken. Das können Wir auf den Heller genau, würde ich sagen, schriftlich nachweisen. Wir können sogar Namen von Leuten nennen, die ermordet werden sollen, und Sie
- Bundesregierung geben uns nicht die Möglichkeit, irgend etwas dagegen zu tun.
Zweite Feststellung: Ich habe sogleich um Beweise dafür gebeten, daß konkrete Mordpläne bestehen, die nicht verhindert werden können, weil die Bundesregierung der von Herrn Albrecht befürworteten Art der Sicherungsverwahrung widerspricht.
Im folgenden hat sich ergeben: Niedersachsen war vor der Rede vom 7. Juli 1978 zu keinem Zeitpunkt - hier irrt Herr Strauß - mit dem dort vorgetragenen Sachverhalt an die Bundesanwaltschaft herangetreten. Deshalb - und nicht aus Theatergründen - mußte ein Bundesanwalt nach Hannover reisen. Die Bundesanwaltschaft hat nach Prüfung der in Hannover gegebenen Auskünfte öffentlich in einer Presseerklärung festgestellt, es gebe im konkreten Fall keinen Anhaltspunkt für den Verdacht terroristischer Aktivitäten. Deshalb bestehe kein Anlaß für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
Schließlich - dies halte ich für das Entscheidende -: In den Fällen, die Herr Albrecht nach den erteilten Auskünften im Auge hatte, wäre die Sicherungsverwahrung selbst dann nicht in Betracht gekommen, wenn der Oppositionsvorschlag, den er unterstützt hat, bereits geltendes Recht gewesen wäre, weil die Voraussetzungen des eigenen Vorschlags der Opposition in diesen Fällen nicht gegeben waren.
Der Vorwurf von Herrn Albrecht ging also ins Leere. Dies auszuführen war als Bundesjustizminister nicht nur mein Recht, sondern meine selbstverständliche Pflicht.
Noch ein Wort zur Sicherungsverwahrung. Es ist wahr, daß die Bundesregierung den konkreten Vorschlag der Opposition ablehnt, weil er ihr zu weit geht. Sicherungsverwahrung bei einem Ersttäter rührt deshalb nach unserem Verständnis an die Grenzen des rechtsstaatlich Möglichen, weil noch völlig unklar ist, wie auf diesen konkreten Täter der Vollzug der erkannten Strafe wirkt. Dies läßt sich, bevor er das erste Mal bestraft worden ist, nicht mit der nötigen Sicherheit sagen.
Dabei - und das ist nun ein gravierender Vorwurf - erwecken aber die Ausführungen von Herrn Strauß, die ich aber auch sonst immer wieder von Ihnen höre, über die Auswirkungen Ihres eigenen Vorschlags völlig irreführende Vorstellungen.
Erstens. Der harte Kern der Terroristen besteht aus Leuten, die schon zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind oder die diese Strafe zu erwarten haben. Hier hat doch die Sicherungsverwahrung schon rein tatsächlich überhaupt keinen Platz mehr. Was 'soll denn das neben der lebenslänglichen Strafe?
Bei allen in Betracht kommenden Fällen - wir haben sie alle geprüft in denen bisher Personen aus diesem Kreis zu zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind - nun komme ich auf Ihren durchaus berechtigten Hinweis -, hätte die Sicherungsverwahrung nach Ihrem eigenen Text - wir haben so getan, als wenn das schon gültig wäre - mit einiger Sicherheit nur in einem einzigen Fall verhängt werden können, und das ist der Fall, den der Herr Bundeskanzler heute erwähnt hat.
Was ich nun gar nicht verstehe, das ist die Tatsache, daß hier der Fall Monhaupt zitiert wird. Gerade Frau Monhaupt hätte nach Ihrem eigenen Vorschlag nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden können. Das ist doch alles wirklich schwer verständlich. Es wird nur verständlich, wenn man annimmt, daß man hier darauf spekuliert, daß der Bürger solche Behauptungen, weil er die Vorschläge nicht kennt, nicht zu beurteilen vermag.
({11})
Wer so spricht, wie Herr Strauß das tut, will offenbar den Eindruck erwecken: Wenn es nach ihm, nach Herrn Strauß und seinen Freunden, ginge, dann wäre Frau Monhaupt in sicherem Gewahrsam, und wenn es nach der Regierung geht, dann kann Frau Monhaupt weiter ihren Straftaten nachgehen.
Dies ist, glaube ich, unzulässig, ist unfair und muß von dieser Stelle aus, wenn es von Ihnen schon keiner selber Herrn Strauß im Vieraugengespräch sagt, mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.
({12})
Es ist in Wahrheit doch auch töricht, meine Damen und Herren, so zu tun, als ob in dieser Frage die Entscheidung im Kampf gegen den Terrorismus fiele. Natürlich kann man über Ihren Vorschlag diskutieren, natürlich kann man Argumente austauschen.
"Aber die Entscheidung fällt überhaupt nicht primär auf dem Gebiet der Gesetzgebung; sie fällt - und das ist nun wirklich schon Allgemeingut - in erster Linie auf dem Gebiet des Gesetzesvollzugs und der moralisch-politischen Auseinandersetzung mit den Ursachen. Ich bin ein bißchen traurig, daß die blumenreiche Schilderung dessen, was alles wäre, wenn die Gesetze geändert würden, so breite Zeiträume einnimmt, die Auseinandersetzung darüber, wo wir zusammenfinden müssen, um dem Terrorismus die Wurzel abzugraben, aber immer nur in Randbemerkungen am späteren Nachmittag eine Rolle spielt.
({13})
Im übrigen kann ich mich nur dem Wunsch des Herrn Bundeskanzlers anschließen, daß nicht bei jedem Fehler, der im Bereich des Vollzugs in Anstalten oder bei der Polizei geschieht - ich unterscheide da nicht -, zunächst gefiltert wird, wo parteipolitisch ein kleines Pluszeichen herausschaut. Meine Damen und Herren, in jedem Beruf werden Fehler gemacht, und die Polizei hat allmählich einen Anspruch darauf, daß über sie nicht bei jedem Vorgang, der sich als Fehler darstellen kann, vor der gesamten Öffentlichkeit in einer Art und Weise diskutiert wird, die tatsächlich zu Unruhe führt.
({14})
- Herr Waigel, also in Bescheidenheit darf ich
zunächst einmal feststellen, daß Sie sich den Schuh anziehen. Wenn Sie meine Formulierungen nachlesen, werden Sie sehen, daß Stammheim genauso darunterfällt wie dies und wie jenes. Ich habe allgemein gesprochen. Und ich spreche auch allgemein.
({15})
- Herr Waigel, das wäre eigentlich mehr ein Zwischenruf für Ihren Nachbarn gewesen. Jetzt würde ich ihn nicht machen.
({16})
- Nein, ich bin überhaupt kein Zensor. Die Zensurengebung überlasse ich; lieber Ihnen. Der Justizminister ist kein Zensor.
({17})
Herr Strauß und - ihm folgend - Herr Kohl haben sich auch zum Fall Pacepa geäußert. Als Bundesjustizminister habe ich es, der Tradition aller meiner Vorgänger, ganz gleich, welcher Partei, folgend, peinlich vermieden, in Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft einzugreifen oder zu ihnen vor ihrem Abschluß Stellung zu nehmen. Davon werde ich auch jetzt nicht abweichen.
Außerhalb dieses Rahmens, innerhalb dessen der Justizminister zu schweigen hat, sind jedoch zwei Bemerkungen erforderlich. Herr Strauß hat sinngemäß gesagt - ich habe es gerade noch einmal
nachgelesen -, an der Sache müsse vielleicht doch etwas dran sein; denn es seien Durchsuchungsbefehle erlassen worden und die setzten dringenden Tatverdacht voraus. Das ist abwegig.
({18})
- Ich stelle Ihnen das Exemplar der von Herrn Strauß gehaltenen Rede gern zur Verfügung.
({19})
- Das habe ich gerade getan. - Er hat gesagt, das setze dringenden Tatverdacht voraus. Das ist abwegig. Jeder hier anwesende Jurist wird aus dem Stand bestätigen können, daß das falsch ist. Dringender Verdacht ist Voraussetzung für den Erlaß eines Haftbefehls. Ein solcher ist nicht ergangen. Durchsuchungsbefehle sind aber schon dann zulässig, wenn nur zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Diese Vermischung verschiedener Verdachtsstufen, dringender Verdacht einerseits und Vermutung andererseits, ist unfair und bedeutet im Ergebnis auch eine unzulässige Vorverurteilung. Dagegen wehre ich mich.
({20})
Außerdem ist in Umschreibungen angedeutet worden, das Ermittlungsverfahren sei durch Kritik an der Bundesanwaltschaft oder sogar durch politischen Druck auf die Bundesanwaltschaft behindert worden. Diese Behauptung ist von der Bundesanwaltschaft selbst kategorisch als gegenstandslos und falsch zurückgewiesen worden. Von daher ist das Ermittlungsverfahren nicht gestört worden.
Ich will Ihnen aber sagen, wodurch dieses Ermittlungsverfahren nach Meinung der Bundesanwaltschaft aufs empfindlichste gestört worden ist: dadurch, daß schon vor seiner Einleitung und dann fast bei jedem Schritt des Verfahrens Informationen durch ungetreue Bedienstete unter Verletzung des Gesetzes nach außen gegeben wurden und dadurch, daß andere nicht den moralischen Mut aufgebracht haben, diese Mißbräuche mit Schweigen zu übergehen, sondern die Informationen publizierten. Dadurch ist das Ermittlungsverfahren gefährdet worden. Jeder Schritt war bereits in der Zeitung angekündigt.
({21})
Dadurch ist auch etwas gefährdet worden, was ebenso wichtig ist wie der Zweck des Ermittlungsverfahrens, nämlich ein Grundrecht von Bürgern. Ich meine das Grundrecht, in der Öffentlichkeit nicht mit dicken Schlagzeilen als schuldig hingestellt zu werden, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind und das Gericht nicht gesprochen hat.
({22})
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will hier abbrechen, obwohl sich die Liste der schlichten
Unrichtigkeiten noch um viele Punkte verlängern ließe.
({24})
Insgesamt rate ich meinem Landsmann Strauß zu größerer Vorsicht
({25})
bei Ausflügen in das juristische Gebiet. Herr Strauß sagte vorhin - dies ist wieder ein wörtliches Zitat -, er lasse lesen, aber denken würde er selber.
({26})
Ich empfehle ihm: Auf juristischem Gebiet sollte er andere nicht nur für sich lesen, sondern auch für sich denken und, wenn es sein kann, auch für sich sprechen lassen.
({27})
Dann, meine Damen und Herren, gewönnen wir Zeit für das, was wirklich unsere Aufgabe ist, nämlich vor unserem Volk nicht Rechthaberei zu betreiben, sondern uns mit Ernst und gegenseitigem Respekt über rechtspolitische Fragen von Gewicht mit Argumenten, aber nicht mit wechselseitigen Beschuldigungen und ihrer Ausräumung auseinanderzusetzen.
({28})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister, ich darf mich für das Kompliment bedanken. Sie haben es in der Tat nicht schwer, im Münchner Norden ein Bürgerbüro zu unterhalten, wenn das wahre. Bürgerbüro ein fest eingerichtetes Ministerium ist, das Sie über die Maßen dazu zu benutzen scheinen, sich in alles mögliche einzumischen, was nicht Aufgabe des Bundesjustizministeriums ist.
({0})
Die Rede des Herrn Bundesjustizministers hat den Eindruck erweckt, als müßte er vieles verdecken, als müßte er vor allem als Bundesjustizminister und als redlicher Jurist sein schlechtes Gewissen verdecken, weil eine Minderheit in seiner eigenen Fraktion nicht einmal in der Lage und willens war, die Vorschläge zu prüfen,
({1})
die der Bundesjustizminister und viele andere in seiner Fraktion als prüfenswert anerkannt hatten.
({2})
Herr Bundesjustizminister, erinnern Sie sich? Erinnern Sie sich an das, was Sie damals, als wir uns am 21. September 1977 oder am 3. Oktober 1977 an Hand eines Papiers darüber unterhielten, welche Vorschläge von allen Seiten innerhalb und außerhalb des Parlaments zur Bekämpfung des weiten Feldes des Terrorismus gemacht wurden, mit Ihrem
inzwischen zurückgetretenen Kollegen Professor Maihofer als prüfenswert oder gar als akzeptabel hingestellt haben? Ich könnte Ihnen diese Liste heute vorlegen, will es aber nicht tun. Sie haben. nach den Vier-Augen-Gesprächen bereits am nächsten Tag in einem größeren Kreis, als Ihre Linken dabei waren, vieles von dem, was Sie uns gegenüber als prüfenswert anerkannt hatten, wieder zurückgenommen.
({3})
Dazu gehört auch die Frage der Sicherungsverwahrung. Herr Bundesjustizminister - ich betone dieses Wort jetzt einmal -, Ihnen ist doch hinreichend bekannt, daß es bei der Sicherungsverwahrung und ihrer Anordnung nicht darum geht, daß der Täter eine ganz konkrete Straftat in Aussicht stellt, sondern darum, daß die Gesamtpersönlichkeit des Täters und sein Verhalten befürchten lassen, daß er einen Hang zu weiteren Straftaten hat. Und das war bei den Äußerungen der von Ihnen zitierten Strafgefangenen der Fall.
({4})
Der Generalbundesanwalt hätte da nicht in Marsch gesetzt zu werden brauchen. Herr Albrecht hat an diesen Fällen nur demonstrieren wollen, wie nötig es ist, das Recht der Sicherungsverwahrung für diesen Täterkreis zu ändern.
Wie wirksam die von der linken Minderheit der SPD bestimmten Gesetze geworden sind, sehen wir z. B. bei der Identitätsfeststellung. Meine Damen und Herren, wenn die in Michelstadt Erkannten um vier Uhr nachmittags am Sonntag festgenommen worden wären, hätten sie nicht identifiziert werden können, weil sie nach den auch von Ihnen befürworteten Gesetzen, die die linke Minderheit in diesem Hause durchgesetzt hat, bereits um 4 Uhr früh hätten entlassen werden müssen.
({5})
Oder das Beispiel der Kontrollstellen: ein umständlicher Weg, Kontrollstellen anzuordnen. Der Terrorist, Meyer wäre sicher nicht ausgebrochen oder freigeschossen worden, wenn bereits am 27. Mai in Berlin Kontrollstellen vorhanden gewesen wären. Sie konnten nicht vorhanden sein, weil Sie ein langatmiges Verfahren für die Zulassung der Errichtung von Kontrollstellen mit Ihren Gesetzesvorschlägen vorgesehen haben.
({6})
Bei der Terroristenbekämpfung liegt das Problem derzeit nicht darin, daß jemand der Polizei Fehler vorwirft; wir werfen der Polizei keine Fehler vor. Sie versuchen nur immer auf die Polizei auszuweichen, wenn sich etwas als nicht praktikabel erweist, und fordern von der Polizei, die Gesetze richtig anzuwenden. Ich möchte nicht hören, was an lautstarkem Geheul gerade aus Ihrer linken Ecke gekommen wäre, wenn in Michelstadt die Polizei zugegriffen und es sich nicht um terroristische Gewalttäter gehandelt hätte.
Dr. Wittmann ({7})
Ich glaube eher, daß unsere Polizei durch das verunsichert wird, was an komplizierten Gesetzen im polizeilichen Vorfeld des Ermittlungsverfahrens geschaffen worden ist. Ich erinnere an die Identitätsfeststellung. Ich erinnere an die Durchsuchung von Wohnungen. Ich erinnere vor allem auch an die Regelung der Errichtung von Kontrollstellen, die ich schon erwähnt habe. Das sind Regelungen, die unsere Polizei ebenso verunsichern wie die Tatsache, daß man immer wieder sagt, die Polizei sei an allem schuld, oder, die Reaktion der Staatsgewalt sei letztlich am Terrorismus schuld und sei die eigentliche Gefahr in diesem Staat. Ich erinnere mich daran, welche Thesen z. B. Frau Matthäus-Maier von der FDP unlängst bei einer Akademietagung von sich gegeben hat, als sie behauptete, die Gefahr gehe nicht vom Terrorismus, sondern von der Reaktion auf den Terrorismus aus. Das ist eben das, was unsere Staatsorgane insgesamt verunsichert.
Die Erfahrung zeigt insgesamt, daß wir nur dann den Terrorismus wirksam bekämpfen können, wenn wir auch die Kriminalität erfassen, die im Vorfeld liegt. Hier meine ich konkret das sogenannte Demonstrationsstrafrecht, wie wir es in seiner Unwirksamkeit erst jüngst wieder in Frankfurt erleben mußten. Hieraus kommen die Terrortäter. Wenn diese Täter verurteilt werden könnten, wenn diese Täter unter Führungsaufsicht gestellt werden könnten, dann könnte man das terroristische Vorfeld besser in den Griff bekommen. Aber dazu sind Sie aus Ihrer Partei und aus Ihrer Parteikonstellation heraus nicht in der Lage.
Herr Bundesjustizminister, ich fordere Sie auf, machen doch Sie einmal praktikable Vorschläge zur Sicherungsverwahrung im terroristischen Bereich.
({8})
Sie fordern sie dauernd von uns. Sie haben gesagt, Sie haben dies prüfen lassen. Geben Sie uns doch das Ergebnis Ihrer Prüfungen. Geben Sie uns doch die Mitteilungen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen in diesem Bereich wirksam wären, um die Täter von künftigen Straftaten abzuhalten und die Bevölkerung vor ihren Taten zu sichern. Sie tun es nicht, weil Sie es politisch nicht können. Sie und Ihre Regierung und Ihr Bundeskanzler verletzen dadurch die Pflichten, die Ihnen durch das Grundgesetz aufgegeben sind.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hatte im Grunde nicht die Absicht, in der heutigen Debatte noch zu sprechen, weil die wirtschaftspolitischen Themen insoweit, als sie mit dem Haushalt und dem Maßnahmenpaket verbunden sind, ausgiebig behandelt worden sind und weil, wie ich höre, in der nächsten Woche die Absicht besteht, eine Runde Debatte über das Sondergutachten des Sachverständigenrats von diesem Sommer zu führen.
Aber ich denke, daß die Ausführungen des Kollegen Biedenkopf doch eine Entgegnung erwarten und verdienen. Ich möchte deswegen in der gebotenen Kürze - angesichts der fortgeschrittenen Zeit - einige Worte dazu sagen.
Herr Biedenkopf, es ist bekannt - es hat ja auch in einigen Zeitungen gestanden -, daß sich die ordnungspolitischen Vorstellungen von uns beiden in Teilbereichen durchaus decken, man kann sogar sagen: in weitgehenden Teilbereichen. Es ist aber, Herr Biedenkopf, verhältnismäßig einfach - ich sage nicht: zu einfach, denn wir werden ja die Debatten in der Zukunft fortsetzen müssen -, ein ordnungspolitisches Gesamtbild zu zeichnen. Sie können auch sagen: eine Idealschau, obwohl es Ideale auf diesem Gebiet nicht gibt und sie auch nicht erreichbar sind. Ich will deswegen auch nicht unterstellen, daß Sie den Versuch machen. Aber schwierig wird es dann, wenn es darum geht, hic et nunc in diesen wirtschaftspolitischen Gegebenheiten bei den binnenwirtschaftlichen und außenwirtschaftlichen Abhängigkeiten in Einzelfragen Sachentscheidungen zu treffen.
Ich möchte zwei Beispiele nennen. Sie haben über den sozialen Wohnungsbau gesprochen und gesagt, das sei ein Punkt, um im Haushalt Einsparungen vorzunehmen. Nun wird Ihnen, glaube ich, niemand bestreiten, daß im sozialen Wohnungsbau einiges überprüfenswert und änderungsbedürftig ist. Nur, ersatzlos? Geht das wirklich auf billigere Art und Weise? Muß nicht in dem Bereich des sozialen Wohnungsbaues, den ja Ihre Parteifreunde einmal erfunden hatten und der sich durch Preisentwicklung, Zinsentwicklung, Mietenentwicklung inzwischen selbst in Frage gestellt hat, ein gewisses Angebot vorhanden sein? Muß nicht auf diesem Gebiet irgendwo etwas geschehen? Mit dem Schlagwort „Von der Objektförderung zur Subjektförderung" klingt das ganz gut. Nur wenn man das ausrechnet - deswegen erwarten einige einen Antwortsatz auf diesen Ihren Vorschlag -, ergibt das, daß es bei gleichbleibenden Anspruchsvoraussetzungen im Haushalt unendlich viel teurer wird.
Die zweite Bemerkung, die Sie gemacht haben - ich verstehe das ja nach der Debatte, die hier gelaufen ist - und bei der Sie sehr im Ungewissen und im Unklaren oder im Vagen geblieben sind, bezog sich auf die Rentenversicherung. Herr Biedenkopf, ich bin weitgehend mit dem einverstanden, was Sie über die zukünftigen Belastungen gesagt haben. Ich glaube, es wird auch allgemein im Hause nicht bestritten, daß das in der Tat die Problematik der Rentenversicherung ist. Angesichts der Debatte, die wir hier im Hause mit Ihrer Fraktion geführt haben, und bei der Einsicht in die Probleme, die Sie hier lei- der nur angedeutet und nicht bis zu Ende dargelegt haben, verstehe ich allerdings nicht ganz, warum wir damals nicht Vorschläge von Ihnen bekommen haben, die im rechnerischen Ergebnis geeignet waren, die Lücke zu schließen, und die nicht zum Teil darauf aufbauten, daß eine bessere wirtschaftliche Entwicklung mit einer besseren Beschäftigung die Probleme schon lösen werde.
({0})
Es ist zwar völlig richtig, daß eine solche Entwicklung die Probleme lösen könnte; aber sie zur Bedingung und zur Erwartung beim Ausgangspunkt für Entscheidungen zu machen reicht doch wohl nicht.
({1})
- Wir haben, Herr Waigel, Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, der in der vorgesehenen Zeitperiode rechnerisch aufgeht und damit zunächst einmal eine ehrliche, klare Antwort ist.
({2})
- Ich spreche von den letzten Rentenanpassungsfestlegungen.
({3})
Ich rede über die Debatte. Ich rede ja gar nicht über politische Polemik und über politischen Streit, sondern ich rede einzig und allein über die Frage, ob man prozeßpolitisch, d. h. in Einzelentscheidungen, um in besserem Deutsch zu sprechen, denn eigentlich alles mit dem ordnungspolitischen Gesamtrahmen halb angedeutet stehenlassen kann, Herr Biedenkopf, wie Sie es hier getan haben.
Im übrigen bin ich mit Ihnen einig, daß Wachstum alleine keine dauerhafte und verläßliche Basis für die Lösung unserer Probleme in den Größenordnungen, auf die wir uns in der Vergangenheit verlassen haben, bieten kann. Wir können nicht sicher damit rechnen. Das heißt nicht, daß man auf Wachstum verzichten kann oder verzichten möchte. Das heißt sehr wohl, daß man das, was vernünftigerweise - ich sage: vernünftigerweise - für mehr Wachstum geschehen kann, auch tun muß. Aber es fragt sich selbstverständlich, ob wir unsere binnenwirtschaftlichen Verpflichtungen im Rahmen des sozialen Sicherungssystems, das wir uns selbst geschaffen haben, und unsere außenwirtschaftlichen Verpflichtungen, insbesondere unsere entwicklungspolitischen Verpflichtungen in Demokratien
- hier komme ich zu dem Satz aus dem Gipfelkommuniqué, den Sie zitiert haben -, die auf Wiederwahl ihrer politischen, parlamentarischen Vertreter angelegt sind, dann' durchsetzen könnten, wenn wir nicht vom Zuwachs, sondern vom Vorhandenen her abgeben und abliefern müßten. Ich beantworte die Frage gar nicht. Ich sage nur: Hier liegt die politische Problematik. Ich meine aus meiner Sicht, daß diese politische Problematik gegenüber unserer Bevölkerung, mit der notwendigen Unterstützung unserer Bevölkerung, nur unter Einschluß und Einbeziehung des Faktors Zeit gelöst werden kann; eine bruchartige Entwicklung ist keineswegs möglich.
Nun ist in puncto Wachstum - das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, und Herr Gruhl ist nach Verlesen seines Manuskripts, das dann im Wahlkampf abgedruckt und verteilt werden kann, schon wieder entschwunden - der Nachfragesektor des Konsumenten z. Z. überhaupt kein Problem bei uns. Ich habe die neuesten Zahlen der Wirtschaftsentwicklung hier. Die Konsumnachfrage macht uns gar keine Sorgen, das wissen wir alle. Also davon zu reden, wir wollten den Leuten noch mehr Autos in die Garage drücken und wir wollten ihnen noch mehr zum Verkonsumieren im Privathaushalt andrehen, das ist gar nicht unser Problem. Unser Problem ist, wie jedermann weiß, die Nachfrage nach Investitionsgütern.
Sie sprachen, Herr Biedenkopf, von Haushaltsund Finanzpolitik, insbesondere Umverteilungspolitik. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie einmal gesagt haben: Umverteilungspolitik ist in gewissem Maße und in gewissem Umfang selbstverständlich notwendig. Das hat langsam so einen touch bekommen, als sei das nur der unberechtigte Eingriff des Staates in fremder Leute Taschen. Sie haben gesagt, diese Umverteilungspolitik sei aus dem ordnungspolitischen Zusammenhang gelöst worden, insbesondere aus dem Leistungszusammenhang, und damit sei sie ergebnislos oder im Ergebnis negativ geworden. Sie werden mir erlauben, mindestens die Bitte zu äußern, einmal darüber nachzudenken, ob das nicht eine sehr monokausale Betrachtung ist und 'ob nicht sehr viele andere Umstände - wenn ich diesen als Teilumstand mit konzediere - dazu beigetragen haben, in einer Zeit, in der wir alle, meine Damen und Herren, die wir hier miteinander beschlossen haben - seit 1969, seit 1972 -, geglaubt haben, es sei doch fast alles in dieser Welt machbar oder wir könnten uns eigentlich alles leisten und alles schaffen. Wir sind ja erst nachher sehr ernüchtert worden und haben sehr schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, daß das - ({4})
- Sie auch! Reden wir gar nicht über einzelne Akte und Zustimmungen! Ich kann das alles nachfragen: die Rentenentschlüsse von 1972, aber auch auf vielen anderen Gebieten. Ich will gar nicht um Einzelheiten rechten! Die Grundstimmung bei uns im Lande und auch hier im Hause lautete: Es geht alles!
Wenn Sie daran die Bemerkung knüpfen, daß die Bereitschaft zur Solidarität durch kollektive Einrichtungen gelitten habe, ruiniert worden sei - Sie haben formuliert: man habe sich freigekauft von mitmenschlicher Solidarität durch kollektive Einrichtungen -, dann beinhaltet das im Grunde genommen die Frage, wo denn die Grenzen staatlichen Fürsorgens, staatlicher Sorge, staatlichen Wirkens in diesem Bereich liegen.
({5})
Es beinhaltet auch die Frage, die hier offen diskutiert worden ist - vor Jahren schon habe ich das von dieser Stelle aus mehrfach getan -, wo die Erfüllung und Befolgung des Sozialstaatsgebots für den einzelnen zur Plage werden kann, wo sich sehr wohlgemeinte Guttat, insbesondere die Bündelung vieler einzelner Guttaten, zur Belastung auswachsen kann. Das ist ein Thema, das uns immer wieder beschäftigen wird, aber ein Thema, bei dem selbstverständlich wir alle in diesem Hause, alle Fraktionen - wenn Sie so wollen: aus Ihrer Sicht - mit gesündigt haben, mitgewirkt haben; ich will Ihnen das im einzelnen nicht aufzählen: Kündigungsschutzbestimmungen, arbeitsrechtliche Lösung der LohnfortzahBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
lung, ist die Frage ,;Mindestlohn/Arbeitslosigkeit" wirklich ein ernsthaftes Problem, gehört das in diesen Bereich hinein? Es gibt einen großen Kreis von Fragen, über den man dann vorurteilsfrei diskutieren muß und den man dann nicht in den Bereich von Demontage sozialer Einrichtungen einbeziehen darf.
Sie sagten, Herr Biedenkopf, die Grenzen der Handlungsspielräume seien. durch Inflation und durch Verschuldung erweitert worden. Es hat in der Tat einen Inflationsansatz in der Bundesrepublik gegeben. Wir haben diese Inflation sehr nachhaltig bekämpft. Wir haben dabei - Sie haben das als Tatbestand erwähnt; ich habe das hier immer einen Tatbestand, der zur Dankbarkeit verpflichtet, genannt - die Unterstützung der Bevölkerung gehabt, die Inflation - Gott sei Dank, kann ich nur sagen - nicht will. Insofern ist Stabilitätspolitik in der Bundesrepublik Deutschland immer leichter als Stabilitätspolitik in fast allen anderen westlichen Demokratien der Welt, weil es dort den Erfahrungstatbestand und daher auch die Unterstützung in dieser Form nicht gibt.
Aber wenn Sie die Verschuldung dann als zweiten Weg ansehen, trennen sich allerdings unsere Auffassungen. Erstens, Herr Biedenkopf, ich behaupte - ich glaube, das läßt sich nachweisen -, auch wenn weitere Inflationspolitik gemacht worden wäre: In einem Zeitalter weltweiter und damit auch binnenwirtschaftlicher konjunktureller Schwächen - Sie wissen, daß ich nicht zu denen gehöre, die sagen, hausgemacht sei überhaupt nichts; ich sage nur, über den Prozentsatz kann man streiten - können Sie die weitere Verschuldung der öffentlichen Hand, wenn Sie akzeptieren, daß die öffentliche Hand dann in vernünftigem Umfang mit für Nachfrage und für Wirtschaftswachstum sorgen soll, auch nicht durch Inflation überspielen, sondern dann haben Sie beides. Ich glaube nicht, daß das ein Gegensatz ist.
Deswegen ist es auch sicherlich falsch, daß Herr Strauß heute morgen die Forderung aufgestellt hat, die Steigerungsrate der öffentlichen Haushalte müsse sich am realen Wachstum des Bruttosozialprodukts orientieren und dürfe sie nicht überschreiten. Dieses hätte kontraktive Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Der Staat kann sich überhaupt nicht an der realen Zuwachsrate orientieren. Bitte, denken Sie an den Ausgabenblock Gehälter, denken Sie an den Ausgabenblock Transferleistungen, die Sie ja nicht einfach gegenüber nominalen Steigerungen einfrieren können, und denken Sie nur einmal an die Bauinvestitionen, bei denen sich der Staat beim besten Willen nicht an der Entwicklung des realen Bruttosozialprodukts festhalten kann. Sie könnten keine Häuser mehr bauen, Sie könnten keine Infrastruktur mehr herstellen, wir hätten weder Krankenhäuser noch alle anderen Einrichtungen, die wir alle miteinander für notwendig halten, herstellen können.
({6})
Natürlich ist es ein Problem, meine Damen und Herren - das haben Sie mit Ihrer 'Zwischenfrage angeschnitten, und das hat auch der Kollege Biedenkopf gesagt -, wie wir den Schuldenberg ohne Inflation abbauen können. Ich gestehe Ihnen ohne weiteres zu: das ist auch für uns und nicht nur für Sie ein Problem. Warum, Herr Waigel, haben wir wohl tagelang mit Vertretern der Bundesbank zusammengesessen, miteinander diskutiert und uns gefragt: Was können wir eigentlich noch an weiterer Verschuldung auf uns nehmen, was ist noch vertretbar, nicht nur vom Kapitalmarkt her gesehen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der mittelfristigen Finanzplanung und der immer wieder abgegebenen und von ehrlicher Absicht getragenen Erklärung, daß wir konsolidieren wollen? Keiner wäre doch so unvernünftig, dies nicht zu wollen, wenn er es könnte. Die Frage, ob man das in einer Zeit kann, in der die Grundlage dafür, nämlich wachsende Steuereinnahmen in einer wachsenden und sich bewegenden Wirtschaft, nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist - ({7})
- Lassen Sie einmal die Ursachen im Augenblick beiseite, lassen Sie die Vergangenheitsbewältigung beiseite, sondern versuchen Sie, die Frage zu beantworten, wie das denn in der Zukunft geschehen kann, wie wir die jetzt schon vorhandenen Schulden, selbst wenn wir den Haushalt 1979 nicht hinzunehmen, abbauen können.
Ich meine, es bleiben uns im Grunde genommen nur die Möglichkeit und der Weg, dafür zu sorgen, daß wir über bessere Rahmenbedingungen mehr Wachstum und damit Mehreinnahmen der öffentlichen Hand erzielen. Natürlich sind daneben Einsparungen der öffentlichen Hand notwendig. Das sei überhaupt nicht bestritten, und die Haushaltsberatungen werden das auch zeigen. Es ist Aufgabe des Parlaments, das zu ändern. Manchmal hat man den Eindruck, die Welt habe sich in den letzten 100 oder 150 Jahren - es ist hier viel über Geschichte geredet worden - gedreht. Früher ist das Parlament eingerichtet worden, um die Ausgaben der Souveräne zu beschneiden. Heute hat man manchmal den Eindruck, das Parlament sei dazu da noch mehr Ausgaben zu beschließen.
({8})
Es wäre durchaus zufriedenstellend, wenn die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, die gegen diese Äußerung sofort protestieren, recht behielten und sich in einigen Bereichen durchsetzen könnten.
Und hier, Herr Biedenkopf, kommt Ihre Kritik am Weltwirtschaftsgipfel. Sie sagen, die Wahrscheinlichkeit einer Genesung aus diesen Maßnahmen heraus sei gering. Nun, das ist eine Einschätzung, die man Ihnen nicht widerlegen kann. Aber Sie hätten sagen oder uns die Frage stellen müssen - am besten aber sich selber - und dann versuchen sollen, sie zu beantworten, was denn Umfänglicheres, Besseres, Durchgreifenderes auf dieser Konferenz hätte beschlossen werden sollen. Ist es ein richtiger Ansatz, angesichts der ungeheuer eng gewordenen weltwirtschaftlichen Verflechtung zwischen den größten Industrienationen internationale
Kooperation und Solidarität zu versuchen? Ich denke, wir können uns schnell darüber einigen, daß das im Prinzip sicherlich kein falscher Ansatz ist. Sind die Maßnahmen, die wir dort beschlossen haben - jetzt sage ich: noch auf dem Gipfel, ich meine nicht unsere -, deswegen in der Tendenz und im Ansatz vernünftig? Ich behaupte, sie sind es gewesen. Ich verstehe im übrigen nicht ganz, meine Damen und Herren, warum wir das Ergebnis dieses Weltwirtschaftsgipfels, der zum Ansehen der' Bundesrepublik, und zwar von uns allen - ich sage: der Bundesrepublik, ich sage ausdrücklich nicht: der Bundesregierung -, in der Welt erheblich beigetragen hat - ich habe das in einer Reihe von Ländern bestätigt erfahren -, selber herunterspielen. Ist das nötig? Mir scheint es nicht sinnvoll zu sein.
({9})
Wenn der Ansatz richtig war, ergab sich dann die Frage: Was tut denn die Bundesrepublik Deutschland? Da hat Herr Kohl vorhin gesagt, ich hätte mich ja schon von Ferne geäußert. Im übrigen, je näher ich zum Bundeskanzleramt käme, um so weniger hörte man von meiner Stimme.
({10})
Nun, der Herr Bundeskanzler ist nicht da. Ich will ihn auch nicht auffordern, mir Betragensnoten für meine Lautstärke im Bundeskanzleramt oder kurz davor zu erteilen. Nur eines, Herr Waigel, darf ich Ihnen noch einmal versichern: Sie werden von mir nicht hören, daß ich vor unterschiedlichen Gremien unterschiedliche Ansichten und Meinungen zum selben Gegenstand vertrete. Das tue ich nicht, das werde ich auch in Zukunft nicht tun. Und was die Lautstärke anlangt, so habe ich bisher immer nur Klagen darüber gehört, daß sie. zu groß sei und nicht zu gering.
Was wir dann, da wir uns zu einer Maßnahme verpflichtet haben, die dem entsprach, was unsere Partner auf sich nahmen, und ohne die wir nicht weggekommen wären, getan haben, hat nach meiner Überzeugung für unsere nationale Politik und auch für deren Taktik zwei Ergebnisse gehabt. Es hat erstens zum Ergebnis gehabt, daß wir vor der Gipfelkonferenz keine Beschlüsse auf den Tisch gelegt haben, die uns dort nicht mehr als das Zugeständnis honoriert und abgenommen worden wären, das wir in dieses - ich darf es einmal so sagen - Geschäft eingebracht haben. Deswegen ist es nicht richtig, wenn Herr Häfele gestern gesagt hat: Ihr seid mit euren Vorschlägen viel zu spät gekommen, die Beratungszeiten sind viel zu kurz. Das Letztere ist zwar objektiv richtig, aber politisch hätte es nichts gebracht. Es wäre ein grober Fehler gewesen, das, was wir dem Parlament jetzt vorschlagen und unmittelbar nach dem Gipfel verabschiedet haben, etwa schon vorher zu präsentieren, um es gewissermaßen bei unseren Partnern als bereits gegessen behandeln zu lassen.
({11})
Das zweite, meine Damen und Herren: Wenn wir zu Maßnahmen angehalten sind und uns zu Maßnahmen in einer bestimmten Größenordnung verpflichtet haben, ist es doch wohl richtig und nützlich, das zu tun, was wir im weiten Rahmen ohnehin für sinnvoll und unserer gegenwärtigen Situation für angemessen und angepaßt gehalten hätten.
Nun habe ich gesagt, daß ich keine große Diskussion über dieses Gipfeltreffen, über das Maßnahmenpaket führen- will, weil darüber bereits gesprochen worden ist. Aber, Herr Kollege Biedenkopf, dies war der Ausgangspunkt. Wenn Sie mich fragen, so ist Ihr Urteil, das hülfe der Konjunktur nichts - Sie haben auch gesagt, das sei eine Fortsetzung schon bisher nicht hilfreicher Therapien gewesen -, nicht akzeptabel. Es ist erstens deswegen nicht akzeptabel, weil sich jeder, der sagt, die früheren zwölf oder 13 Programme - da gibt es jetzt so arithmetisch Begabte, die nachzählen-hätten nichts geholfen, die Gegenfrage stellen lassen muß: Was wäre denn wohl gewesen, wenn wir nichts getan hätten?
({12})
Zweitens wissen auch Sie von der Opposition sehr wohl, daß sich dieses Maßnahmenpaket in seiner Struktur und in seinem Inhalt entscheidend und wesentlich von früheren Programmen unterscheidet. Es ist eben nicht das übliche und normale Konjunkturanfeuerungsprogramm - ich darf sagen: Keynesscher Prägung -, wie wir früher eine ganze Reihe gemacht haben, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen. Einer dieser Gründe ist praktischer Natur: Was der Staat in dieser Weise ausgibt - das Zukunftsinvestitionsprogramm beweist es noch einmal -, geht in allererster Linie in die Bauindustrie. Was hätte uns das um alles in der Welt geholfen? Es hätte die Preise in der Bauindustrie, die ohnehin rasch nach oben gehen, zum Überkochen gebracht. Das hätte also keinen Sinn gehabt.
Der zweite Grund dafür, daß dieses Paket sinnvoll und daß diese Maßnahmen zweckmäßig gewesen sind, liegt darin - Herr Biedenkopf, hier bitte ich den konjunkturellen und den Wachstumseffekt nicht zu übersehen -, daß z. B. auch die Beseitigung der „Eigernordwand" einen dynamisierenden, wachstumsfördernden, Leistung freisetzenden Effekt hat. Ich glaube nicht, daß man das bestreiten kann. Man sollte nicht übersehen, daß es weitere Auswirkungen geben kann. Ich hoffe, daß es solche weiteren Auswirkungen gibt. Ich habe übrigens niemanden aufgefordert; das ist mißverstanden worden und steht auf einem anderen Blatt.
Nach meiner Meinung ist das, was wir getan haben und was wir Ihnen vorschlagen, bei dem wir wissen, daß es Gegenstand der Diskussion, der Auseinandersetzung und eventuell auch von Korrekturen wird, ordnungspolitisch in Ordnung und vertretbar, Herr Biedenkopf, wachstumspolitisch sinnvoll, und zwar auch mit der Beseitigung der Lohnsummensteuer.
Hier möchte ich eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Häfele gesagt hat und was ich in mancher Kritik höre. Es heißt da, wir hätten diesen Lohnsummensteuerabschaffungsbeschluß nur vorlegen dürfen, wenn vorher der Ausgleich geregelt gewesen wäre.
Dies ist der Weg, um die Lohnsummensteuer niemals abzuschaffen.
({13})
Nach meiner festen Überzeugung und meiner politischen, aber auch praktischen Erfahrung in anderen Bereichen war hier ein Datum zu setzen, das nun verpflichtet, die Lösung dafür zu finden, die auch gefunden werden muß, was ich nie bestritten habe. Andersherum wäre es überhaupt nie etwas geworden.
Die Beseitigung des Tarifsprungs und die nachfragewirksamen Leistungen beim Kindergeld - lassen Sie mich von dem ganzen demographischen, bevölkerungspolitischen, Überlegungen hier nicht reden - gehören ebenfalls dazu.
Herr Biedenkopf, das ist in gewissem Sinne eine Kurskorrektur. Sie haben von Kurskorrektur gesprochen; aber so, wie Sie das hier angedeutet haben oder 'wie man das verstehen mußte, kann Kurskorrektur nicht aussehen, daß man rapide eine halbe Kehrtwende um 90 Grad macht. Eine Volkswirtschaft, ein solcher Apparat, bewegt sich, wie meine Mitarbeiter zu sagen pflegen, wenn wir das anschaulich machen wollen, wie ein Schlachtschiff, und da sind Kurskorrekturen nur sehr graduell möglich. Sie sind auch nur möglich, Herr Biedenkopf, wenn sich das Schlachtschiff in Fahrt befindet, d. h. wenn es im Prozeß geschieht. Weil diese Kurskorrekturen nur möglich sind, wenn das Schiff in Fahrt ist, braucht man auch dazu Wachstum und muß man sich, ohne Wachstumsfetischist zu sein, darum kümmern, daß wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Biedenkopf?
Ja, gern.
Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß das Schlachtschiff eine Kurskorrektur nur dann zuläßt, wenn es seine Geschwindigkeit ständig erhöht, oder reicht es aus, wenn es eine gewisse Geschwindigkeit beibehält?
Nein, Herr Biedenkopf, es reicht sicherlich aus, wenn es eine gewisse Geschwindigkeit beibehält; aber eine solche Geschwindigkeit ist notwendig.
({0})
Man wird sich jedenfalls dagegen vorsehen müssen, daß der eine oder andere das Schlachtschiff von unten mit seinem U-Boot torpediert, und darauf passen wir auf.
({1})
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Biedenkopf hat ein interessantes und erfreuliches Kontrastprogramm geboten, nicht nur im Stil, sondern auch in der Sache. Er hat von der Selbstauflösung des Staates gesprochen, zu der unsere Politik führe. Das war immerhin ein Gegensatz zu den Klagen von Herrn Kohl und Herrn Strauß, die immer mehr Staat als Ergebnis unserer Politik beklagt haben.
Herr Kollege Biedenkopf, Sie haben mit Recht gesagt, die Bürger wollten keine Inflation. Das ist richtig. Deshalb haben sie uns gewählt. Sie haben recht daran getan; denn diese Koalition hat die Inflationsrate auf 2 % gesenkt, und damit liegen wir eben 6 °/o unter dem europäischen Durchschnitt.
({0})
Ich denke, daß die NATO für eine nicht abzusehende Zeit das unentbehrliche Instrument unserer Sicherheit bleiben wird. Ich bin überzeugt, daß es ohne das fortdauernde Engagement der Vereinigten Staaten Sicherheit in Europa überhaupt nicht geben kann. - Diese Erklärung habe ich als Bundesminister am 10. Mai 1973 vor diesem Hause abgegeben. Es ging schon damals um ein Gespräch, das ich vier Jahre vorher mit einem amerikanischen Professor geführt hatte. Die Opposition hat insoweit nichts Neues vorgebracht. Deshalb habe ich meiner Erklärung von damals insoweit nichts hinzuzufügen.
Nachzuzeichnen bleibt eine Kampagne, die von der Opposition sorgfältig vorbereitet wurde.
Es begann mit einem Artikel Ende Juli im „Daily Telegraph", der in der Behauptung gipfelte, daß Wehner und Bahr in Moskau über die Möglichkeit eines schrittweisen Rückzuges der Bundesrepublik aus der NATO gesprochen hätten.
Dies wurde am 11. August mit einem Artikel zweier Kolumnisten in der „Washington Post" fortgesetzt, in dem praktisch das gleiche wiederholt wird, wobei ich freundlicherweise als fanatischer Nationalist bezeichnet werde, und behauptet wird, daß die Bundesrepublik gegen sowjetische Nichtangriffsgarantien aus der NATO austreten und damit das Tor zur Wiedervereinigung geöffnet werden solle.
Beide Journalisten berufen sich auf Angaben eines qualifizierten Informanten. Beide waren im Sommer in der Bundesrepublik und haben mit führenden CDU/CSU-Politikern gesprochen, darunter mit dem CDU-Vorsitzenden. Sie waren in der Lage, über die Gespräche von Herrn Kohl und Herrn Strauß mit Herrn Breschnew in vielen Einzelheiten zu schreiben.
Der Verfasser des Artikels in der englischen Zeitung hatte, wie unwidersprochen in der deutschen Presse zu lesen war, bei seinem Besuch in Bonn ein Gespräch mit Graf Huyn.
Der Beitrag der beiden Amerikaner führte zu einer Anfrage eines deutschen Korrespondenten beim State Departement. Er erhielt die Auskunft, daß sich die beiden Kolumnisten - natürlich vergeblich - um irgendeine amtliche Bestätigung ihrer Information bemüht, aber dabei den Hinweis gegeben hät8260
ten, man solle sich, was Unterlagen oder Quellen angehe, an die deutsche Opposition halten.
Die deutsche Opposition greift das unter dem Stichwort auf: Besorgnisse in den USA über eine Neutralisierung der Bundesrepublik. Solche Besorgnisse gibt es natürlich nicht. Es wird auch gar nicht der Versuch gemacht, amtliche oder nichtamtliche Äußerungen 'zu zitieren. Die selbst gegebenen Stichworte werden aufgegriffen und als Tatsachenbehauptungen verbreitet. Dabei steigert man sich und spricht von „amerikanischen Politikern und der amerikanischen Öffentlichkeit", in der sich Verdachtsmomente häuften.
Hier ist gefragt worden, wo denn solche falschen Tatsachenbehauptungen aufgestellt worden seien und wer sie aufgestellt habe. Ich zitiere Herrn Weiskirch vom 16. August:
Schlimm genug, daß der Auszug der Bundesrepublik Deutschland aus der freiheitlich-demokratischen Allianz des Westens in der SPD offensichtlich kein Tabu mehr ist, sondern zumindest theoretisch ins Kalkül gezogen und praktisch mit der anderen Seite erörtert wird.
Hier wird nicht mehr von Vermutungen und Gerüchten gesprochen, sondern hier werden Tatsachenbehauptungen in die Welt gesetzt, die nicht stimmen.
Ein Kennzeichen dieser Kampagne ist, daß alle Dementis, Richtigstellungen, Korrekturen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder negiert werden, gleichgültig von wem sie kommen, ob das ein Sprecher der SPD ist oder ein Sprecher der Bundesregierung oder der Bundeskanzler oder die amerikanische Regierung oder der amerikanische Vizepräsident oder der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister - das spielt keine Rolle. Die Kampagne des Mißtrauens gegen die eigene Regierung würde zusammenbrechen, wenn man wenigstens der Regierung unseres wichtigsten Verbündeten glaubt. Nein, man bezieht sich auf zwei amerikanische Korrespondenten, die im übrigen noch besonders kritisch gegen die amerikanische Regierung eingestellt sind.
Eine Erklärung der amerikanischen Regierung ist nach der Formulierung von Herrn Tandler das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist. Sein „Bayernkurier" versteigt sich zu der Formulierung, ich hätte mit meiner Anfrage die amerikanische Regierung erpreßt, was doch nur heißt, daß man die amerikanische Regierung für erpreßbar hält. So verunglimpft man unseren wichtigsten Verbündeten.
({1})
Ein mannhaftes Wort der Entschuldigung, wie Herr Kohl es heute morgen so gelobt hat, wäre hier wohl fällig gewesen. .
({2})
Die Opposition schadet sich mit ihren herabsetzenden Äußerungen über Erklärungen aus Washington natürlich selbst. Hier haben wir das selten böse Beispiel, wie man mit Außenpolitik eben nicht umgehen darf. Ohne Rücksicht auf die Interessen des Landes wurde und wird hier an einer innenpolitischen Keule geschnitzt, mit der man für den 8. Oktober in Hessen zuschlagen will. Das war schon frühzeitig klar. Als das Gespräch zwischen Herrn Kohl und einem der Verfasser des Mißtrauensartikels herauskam, hat ein Teilnehmer aus dem Adenauer-Haus dazu erklärt - ich zitiere -: „Da ist aber mehr über Hessen als über die Ostpolitik der Bundesregierung gesprochen worden." Etwas anderes haben wir auch nie behauptet.
Herr Kollege Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Ja.
Würden Sie die letzte Passage Ihrer Rede - sie war nicht ganz verständlich für uns; vor allem mein Name kam darin in einem Zusammenhang vor, den ich nicht verstehen kann - bitte noch einmal wiederholen?
({0})
- Ihre Zwischenrufe sind inzwischen so niveaulos geworden, daß es wirklich erbärmlich geworden ist, ein solches Gespräch zu führen. Es ist ein Skandal für das Parlament, wie Sie sich hier aufführen.
Herr Kohl, ich wiederhole das natürlich sehr gern. Ein Teilnehmer Ihres Gespräches mit dem amerikanischen Korrespondenten aus dem Adenauer-Haus hat erklärt - ich zitiere das -: „Da ist aber mehr über Hessen als über die Ostpolitik der Bundesregierung gesprochen worden." Ich habe hinzugefügt: Etwas anderes haben wir auch nie behauptet.
Würden Sie mir vielleicht noch sagen, wer der Teilnehmer an einem Gespräch unter vier Augen gewesen sein soll?
Entschuldigung, das war kein Gespräch unter vier Augen, sondern das ist in der „Presse" vom 9. und 10. September nachzulesen.
In welcher Presse, bitte? Bahr ({0}) : „Die Presse", Wien.
Und der Pressevertreter, der nicht dabei war, muß das wissen!?
Er zitiert das wörtlich,
({0})
und es ist nie dementiert worden. Nur das habe ich gesagt.
({1})
- Wir haben es auch verbreitet, und sonst reagieren Sie etwas schneller darauf.
Herr Kollege Bahr, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kohl?
Gern.
Herr Kollege Bahr, nur damit diese Sache ausgeräumt ist: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß diese Darstellung der Wiener „Presse", die ich bis zu diesem Augenblick nicht kannte, absurd und absolut unzutreffend ist?
Ich nehme das gern zur Kenntnis und bedaure nur, daß es nicht früher dementiert worden ist.
({0})
Ende August verbreitet dann die „Welt", daß der rumänische Überläufer Pacepa Pläne über den geplanten Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO übergeben habe. Natürlich springt die Opposition sofort auf die Verknüpfung von Spionage und angeblichen Plänen. Sie beginnt eine Geisterdebatte und wiederholt eine Diskussion, die bereits vor fünf Jahren geführt worden ist. Herr Dr. Geißler erklärt im Fernsehen, daß diese Studie das Ergebnis einer internationalen Diskussion sei - z. B. in der „Washington Post" -, wobei ihm wohl einige Abläufe durcheinandergeraten sind. Er fährt dann fort - ich zitiere -:
Bei einer Neutralisierung der Bundesrepublik Deutschland würden wir die Freiheit verlieren, ohne die Einheit zu gewinnen.
Da kann ich ihm nur zustimmen.
({1})
Aber ich weiß nicht, wann irgendein Sozialdemokrat die Neutralisierung der Bundesrepublik Deutschland verlangt hat.
({2})
Wer so etwas behauptet, treibt grobe Irreführung unseres Volkes, um einen Ausdruck von Herrn Kohl zu benutzen.
({3})
Es hat allerdings in früherer Zeit einmal eine Überlegung gegeben, nicht die Bundesrepublik, sondern Gesamtdeutschland nach österreichischem Muster zu behandeln. Ich zitiere:
Niemand in der Koalition vertritt die Meinung, daß ein in Frieden und Freiheit wiedervereinigtes Deutschland automatisch Mitglied des Nordatlantischen Bündnissystems sein müßte. Gesamtdeutschland wird sich im Rahmen seiner politischen Möglichkeiten frei entscheiden können. Die vertragliche Zusicherung dieser Möglichkeit steht nicht nur auf dem Papier und besteht nicht nur in der Theorie. Es kann daher durchaus sein, daß zwar die Neigung und auch der Sicherheitswunsch Gesamtdeutschlands darauf hinauslaufen würden, einem militärischem Allianzsystem des Westens anzugehören, daß aber harte politische Erfordernisse das deutsche Volk zu einer Entscheidung nach österreichischem Muster veranlassen. An einem solchen Beschluß würde der Westen Deutschland nicht hindern wollen oder können. Ein solcher Beschluß müßte auf sehr nüchternen und militärischen Überlegungen beruhen.
Diese Ausführungen stammen aber nicht von einem
Sozialdemokraten, sondern von Franz Josef Strauß.
({4})
Er war damals übrigens Verteidigungsminister. Sie sind in der „Politisch-Sozialen Korrespondenz" vom 15. Februar 1957 nachzulesen. Es ist zuzugeben, daß der Kollege Strauß seither gelernt hat. Aber daß man Gesamtdeutschland nicht neutralisieren kann, brauchten jedenfalls die allermeisten Sozialdemokraten nicht erst zu lernen.
Es ist ein eigenes Kapitel, das bei anderer Gelegenheit aufzuarbeiten sein. wird, wie im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen ein Mitglied dieses Hauses und meinen Persönlichen Referenten wegen Verdachts der Spionage Vorverurteilungen praktiziert wurden. Wie hier mit dem Grundsatz umgegangen wurde, daß ein Beschuldigter als schuldlos gilt, bis seine Schuld erwiesen ist, das ist ein trauriges Kapitel. Die Opposition hat sich um das Recht des einzelnen Menschen auf seine Ehre und Würde in diesem Fall weniger geschert, als sie in ihren Erklärungen zum Thema Menschenrechte von anderen fordert.
({5})
Einer ihrer Justizminister erklärt, daß gegen den Abgeordneten Uwe Holtz - ich zitiere - mindestens ein dringender Tatverdacht vorliegt. Der Bundesjustizminister hat dazu etwas gesagt. Und der Generalsekretär der CDU legt den Spionagegeruch auf die SPD und erinnert an frühere Fälle. einige CDU-Leute verhalten sich so, als sei unser Land die Bananenrepublik, von der Herr Kohl mal gesprochen hat.
Wir haben eine lange Liste von überführten Spionen und solchen Menschen, die in den Verdacht der Spionage geraten sind und die der CDU und der CSU von verschiedenen Ministerien und nachgeordneten Diensten zu Zeiten angehörten, in denen die Unionsparteien die Regierungsverantwortung trugen. Wenn man sie veröffentlichte, würde die SPD so schlecht nicht dastehen. Herr Kollege Kohl hat dies heute in einem anderen Zusammenhang selbst gesagt.
Aber man darf es nicht veröffentlichen, weil es sich auch um Menschen handelt, die ihre Strafen inzwischen abgesessen haben, und weil es nicht erlaubt ist, fälschlich Beschuldigte noch einmal in den Kessel öffentlicher Verdächtigung zurückzustoßen.
Es gibt einige, die uns sogar sagen, es sei dumm, daß wir nicht mit gleicher Münze zurückzahlen. Aber die SPD steigt nicht auf dieses Niveau herab.
({6})
Das mögen einige für töricht halten. Aber die SPD ist stolz darauf.
({7})
Vor zwei Jahren geriet ein leitender. Mitarbeiter der CDU-Bundesgeschäftsstelle, ein früherer .Bundespressechef, in einen Verdacht, der härter war als alles, was in der Pacepa-Affäre vorgebracht worden ist. Die SPD hat sich nicht zu Vorverurteilungen hinreißen lassen. Wir benutzen Spionage und Spionageverdacht, Herr Kollege Kohl, in Fällen der Opposition eben nicht als Waffe der Verleumdung gegen den innenpolitischen Gegner.
Wenn in den Debatten dieses Hauses - heute übrigens weniger als sonst - Gemeinsamkeit immer wieder beschworen wird, so wäre dies ein überschaubares, kleines, eigentlich selbstverständliches Feld, auf dem Gemeinsamkeit des Anstands zum Wohl des Ganzen und der Glaubwürdigkeit der Demokratie praktiziert werden könnte.
({8})
- Aber wir bringen ihn trotzdem vor.
({9})
Heute früh haben wir von Herrn Strauß gehört, was unwürdig ist, von einem Abgeordneten überhaupt formuliert zu werden. Er hat die Unanständigkeit, die Verhetzung, die Verleumdung zugegeben, die von den Unionsparteien gegen Sozialdemokraten betrieben wird; aber er hat erklärt, daß die SPD daran schuld sei. Das Urteil darüber können wir getrost den Bürgern überlassen.
-Für den Geist, der von oben ausstrahlt, hat er selbst ein Beispiel gegeben. Erst läßt Herr Strauß draußen den Vorwurf des politischen Verrats als seine Meinung verbreiten, nimmt ihn hier zurück, um dann gleich hinzuzufügen, den ganzen Spionageskandal könne man zum Schluß auf mich reduzieren. Das bedeutet: Politisch wird Strychnin durch Zyankali ersetzt; vergiften soll beides. Der Fischzug im Trüben für die vierte Partei hat schon begonnen.
({10})
Aber Verleumdungen und Verdächtigungen gegen die SPD durch die heutige Opposition haben Tradition. Das begann drei Wochen vor der Wahl 1953 und wurde im Februar des darauffolgenden Jahres mit Bedauern zurückgenommen. 1957 wird ein Protokollauszug aus einer Chruschtschow-Rede verbreitet, verbunden mit der Aufforderung, sich gegen die „selbstmörderische Politik" der SPD zu wehren, und nach der Wahl erweist sich das Ganze als Fälschung. Im Bundestagswahlkampf 1961 gibt es eine Verleumdungskampagne gegen Willy Brandt, die erst im Jahre danach gerichtlich mit Verurteilung der Verleumder geklärt werden konnte. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl 1972 entdeckt Springers „Welt am Sonntag", daß Brandts Gesundheitszustand so ist, daß er eigentlich nicht wählbar ist, und nach dem Wahltag ist davon natürlich keine Rede mehr. Fünf Tage vor dieser Wahl meldet Springers „Welt", daß ich dem sowjetischen Parteichef Breschnew eine künftige Koalition zwischen SPD und DKP in Aussicht gestellt hätte. Sechs Wochen vor der Ratifizierung des Grundlagenvertrags im Jahre 1973 wird dasselbe Thema, über das in den
letzten Wochen geredet worden ist, hochgezogen, nämlich ein angeblicher Plan zur Auflösung der NATO. Sechs Wochen vor der Landtagswahl in Bayern 1974 erscheint „Bild am Sonntag" mit der Schlagzeile „Minister Vogel in Millionenskandal verwickelt" . Eine Woche vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nimmt „Bild" den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft aufs Korn - er ist SPD-Kandidat -, er habe den Baader-Meinhof-Terroristen durch Sorglosigkeit in die Hände gearbeitet, und natürlich wird erst nach der Wahl der Springer-Verlag zu Schadenersatz und Richtigstellung verurteilt.
Die Liste ist länger. Aber das, was wir auf diesem Gebiet bis zum heutigen Tage erleben, zeigt, daß die Wachstumsrate der Verleumdung in unserem Lande höher ist als die Inflationsrate irgendwo auf der Welt.
({11})
Wir sollen Roß und Reiter nennen, wollte Herr Strauß. Dem Manne kann geholfen werden! Die Seilschaft seiner Freunde Vielain und Löwenthal mit noch engeren Freunden seiner Partei hat Tradition, und das Zusammenspiel des Adenauer-Hauses zum Zwecke der Kampagne des Mißtrauens gegen die eigene Regierung werden wir auch dokumentieren. Ich kann Ihnen sagen, was dabei herauskommen wird. Ein hoher Beamter des State Department hat dazu erklärt - und das wird auch herauskommen -: Das ganze war eine schlechte deutsche Wahlkampagne. - Das stimmt. Es stimmt jedes Wort, auch die Vergangenheitsform. Sie ist nämlich zusammengebrochen.
({12})
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hatte seit mehr als 100 Jahren damit fertigzuwerden, daß man sie und ihre Ziele, ihre Motive und ihre Absichten diffamierte, verdächtigte und anderes mehr. Wir wissen uns zu wehren. Wir vertrauen auf den Sinn für politischen Anstand in unserem Volk und stellen den Nachdenklichen in diesem Hause die Frage, ob nicht auch der Stil des Umgangs zwischen den demokratischen Parteien etwas damit zu tun hat, daß von „Parteienverdrossenheit" gesprochen wird.
Herr Kollege Bahr, der Herr Kollege Kohl möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ja, natürlich.
Herr Kollege Bahr, wären Sie bereit, im Rahmen Ihrer Darlegungen zur Anständigkeit auch ein Wort zu dem von Ihrem Parteivorstand herausgegebenen Pressedienst „ppp" vom 21. September zu sagen, in dem die nächste Runde der Schnüffelei mit der Überschrift eröffnet wird: „Bayerns Innenminister Seidel werden NS-Sympathien nachgesagt" ? Wären Sie bereit, etwas dazu zu sagen, wie das zu Ihrer Rede, zur Rede des stellverDr. Kohl
tretenden Parteivorsitzenden Schmidt und zur Rede Ehmkes vom heutigen Tage paßt?
({0})
Herr Kollege Kohl, zunächst einmal bitte ich um Verständnis dafür, daß ich nicht zu einem Artikel Stellung nehme, den ich nicht im Wortlaut kenne.
({0})
Zweitens. Im Gegensatz zur Vorgehensweise im Adenauer-Haus bin ich bereit, Artikel unseres Pressedienstes zu korrigieren und zurückzunehmen, wenn sie über das hinausgehen, was der Anstand und die politische Sitte gebieten. Sie hätten viel Gelegenheit gehabt, gleiches selbst zu tun. Ich wäre sehr dankbar dafür gewesen.
({1})
„Lassen wir die Frage nach dem gemeinsamen Schicksal unseres Volkes nicht zum bloßen Waffenarsenal parteipolitischer Auseinandersetzungen werden" - ich wünschte, diese Aufforderung von Herrn Kohl vom 9. März dieses Jahres würde von ihm selbst und seinen Freunden besser befolgt werden. Ich jedenfalls will versuchen, mich daran zu halten.
Es ist ein langer und bitterer Weg gewesen, bis wir - und ich denke, das gilt für alle - erkennen mußten, daß die Zusammenfügung der gespaltenen Stadt Berlin für sich allein nicht mehr möglich sein würde. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob, wann und wie das möglich gewesen wäre. Wir wissen, daß das, was wir die Lösung der Berlin-Frage nennen, nur noch denkbar ist, wenn auch die deutsche Spaltung überwunden werden kann.
Das gleiche gilt für die beiden deutschen Staaten. Es ist müßig, darüber zu reden, ob, wann und wie es möglich gewesen wäre, sie zusammenzuführen. Was versäumt wurde, ist nicht nachzuholen. Heute ist klar: Die deutsche Frage wird nur in einem europäischen Rahmen lösbar.
Dies ist ein Gedanke, der bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Standorte von Sprechern aller Parteien seit vielen Jahren geäußert wurde. Dabei meine ich nicht nur die Diskussion am Anfang dieser Republik, als der auch von Ihnen heute erwähnte Jakob Kaiser noch laut über Brückenfunktionen Deutschlands nachdachte, oder jene selbstquälerischen Überlegungen in der Union, die ihr Ja zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft damit vor sich selbst rechtfertigen, daß wir nur so einen interessanten Preis in die Hand bekämen; denn dann hätten wir wenigstens unseren Austritt anzubieten. Ich denke auch an den Kollegen Pfleiderer, der schon 1952 bekannte, daß Deutschland allein als Mitte zu klein und zu schwach wäre, und sich nur ganz Europa als politische Mitte in einem noch weiteren Rahmen der kollektiven Sicherheit vorstellen zu können glaubte. Unvergessen bleibt Adenauers Erklärung, die der Bundeskanzler heute früh zitiert hat. Der erste deutsche Bundeskanzler konnte sich das Ende der Bündnisse vorstellen --ich auch. Vielleicht hat Adenauer dabei an das gedacht, was man heute das Offenhalten der deutschen Frage nennt. Es gibt zahlreiche Äußerungen des Bundeskanzlers Kiesinger, aber auch anderer Christdemokraten über eine europäische Friedensordnung. Ich will nur eine zitieren. Ich zitiere aus seinem ersten Bericht zur Lage der Nation:
Doch sollte die eigene Zukunft und auch die Zukunft eines vereinigten westlichen Europas nicht im festen Gefüge eines nordatlantischen Imperiums gesucht werden. Ein starkes, geeinigtes, mit Amerika freundschaftlich verbundenes Europa könnte eine Brücke zwischen West und Ost schlagen.
Herr Kollege Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mertes?
Im Augenblick nicht, ich möchte das gern fortsetzen.
Man könnte auch Zitate von Herrn Kohl hinzufügen.
Jedenfalls hat die Opposition niemals den Versuch unternommen, ihre Vorstellungen von einer europäischen Friedensordnung mit der Ausdehnung der NATO zu koppeln. Wer das täte, dürfte nicht mehr von deutscher Einheit reden. Hier wird die Union bei sich etwas zu klären haben, wenn sie über Perspektiven für Europa und Deutschland konstruktiv mitreden will.
Bitte, Herr Dr. Mertes.
Herr Kollege Bahr, können Sie bestätigen, daß alle Äußerungen der Bundeskanzler Adenauer und Kiesinger unter der selbstverständlichen Voraussetzung - die damals auch die SPD geteilt hat - gemacht worden sind, daß der Weg zur Wiedervereinigung auf keinen Fall über die Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands führen kann - eine These, die Sie selbst 1963 in Tutzing auch noch vertreten haben?
Das ist nicht das Thema, über das wir hier sprechen. Das Thema weist nach vorn. Das Thema ist, ob es früher auch bei Ihnen Leute gegeben hat, die die NATO nicht als Endzweck betrachtet haben. Darum geht es. ,
({0})
Meine Damen und Herren, diese Hinweise auf frühere Äußerungen der Opposition, die ich gegeben habe, sollen nicht dem Schutz der eigenen Flanken dienen; sie sollen nur deutlich machen, daß es eben eigentlich stets das gemeinsame Verständnis gewesen ist, die NATO als unentbehrliches Instrument, aber nicht als Endzweck zu betrachten. Vor dem Hintergrund der außenpolitischen Erklärungen der letzten Wochen zeugen diese Hinweise von einer Verengung der außenpolitischen Diskussion, die die Opposition sich selbst auferlegt und die dra8264
stisch die Randrolle demonstriert, in die sich die Opposition international selbst gebracht hat.
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Wenn auch heute kein konkreter Weg zu sehen ist, bleibe ich dabei, daß die Überwindung der deutschen Teilung kein Lippenbekenntnis werden darf. Das ist kein Widerspruch zu unserer Bündnistreue. Die SPD und ihre Bundestagsfraktion haben in ihrer Deutschlandpolitik, in ihrer Europapolitik und in ihrer Bündnispolitik keinen Nachholbedarf, weder für die Zeit der Opposition noch für die Zeit der Regierungsverantwortung. Unter drei sozialdemokratischen Verteidigungsministern ist die Bundeswehr stärker geworden, haben wir wichtige Kommando-. posten im Bündnis besetzt, ist die Integration im Bündnis vorangeschritten. Unter der sozialliberalen Koalition wurde die Europäische Gemeinschaft erweitert und wurden die ersten europäischen Direktwahlen vereinbart. Unter zwei sozialdemokratischen Bundeskanzlern wurden das außenpolitische Gewicht und das weltwirtschaftliche Gewicht unseres Landes vergrößert. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten in Bonn und in Berlin, gerade nachdem der erste Mann der Sowjetunion hier war, was das Gegenteil von Mißtrauen und hat das Zusammenwirken der führenden Männer auf beiden Seiten noch vertieft.
({2})
Unter sozialdemokratischer Verantwortung hat unser Land einen eigenen Beitrag zur Entspannung in Europa geleistet, der in West und Ost anerkannt ist, übrigens auch von Ihren christdemokratischen Freunden draußen. Dabei haben wir Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland erreicht, die Lage Berlins verbessert und damit für die Nation das getan, was getan werden konnte.
Nichts von alledem wäre ohne oder gegen die Verbündeten möglich gewesen; all dies ist mit den Verbündeten geschehen.
({3})
Und wenn wir nach vorn blicken, sehen wir keine Alternative zu einer beharrlichen und konsequenten Fortsetzung der Politik der Entspannung zusammen mit unseren Verbündeten. Es ist immer klar gewesen, daß nach dem System der bilateralen Verträge, das durch das Abkommen mit der CSSR abgeschlossen war, eine multilaterale Phase der Entspannung kommen müßte.
Hier stoßen sich nun einige auch heute wieder an der Formulierung von der Notwendigkeit bündnisüberwölbender Vereinbarungen. Dagegen kann nur sein, wer die Entspannung nicht fortsetzen will. Unsere Verbündeten jedenfalls verfolgen seit Jahren eine Politik, die sowohl auf dem Gebiet der Wirtschaft wie auf dem Gebiet der Sicherheit Absprachen sucht, die die Bündnisse überspannen und die der Sicherheit durch Abschreckung die Sicherheit durch Vereinbarung hinzufügen sollen.
Das historische Abkommen zur Verhinderung von Atomkriegen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion aus dem Jahre 1973 ist ein solches
Abkommen, das erste Abkommen zur Begrenzung strategischer Waffen ebenfalls. Ein zweites Abkommen dieser Art ist in der Verhandlung; über die Konturen eines dritten wird diskutiert. Bündnisüberwölbend sind natürlich alle Bemühungen um Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, so mühsam sie sind. Die Wiener Verhandlungen über Truppenreduktion gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie die Notwendigkeit vertrauensbildender Maßnahmen und die Schlußakte für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, die mit dem Namen Helsinki verbunden bleibt Wer sich dagegen wendet, ist wirklichkeitsfremd. Für diesen Weg ist das Bündnis unentbehrlich, übrigens auch das fortdauernde Engagement der Vereinigten Staaten in und für Europa.
Nun mag es sein, daß es in Amerika immer wieder Tendenzen einer stärkeren Besinnung auf sich selbst gibt. Hier ist zu einem Vortrag, den der Kollege Kiep kürzlich in Hamburg in diesem Sinne gehalten hat, eine kritische Bemerkung erforderlich. Es gibt keine Administration, die nicht der unersetzbaren Verantwortung Amerikas als Weltmacht gerecht zu werden versucht hätte. Es gibt jedenfalls keine Gefahr, daß man in Amerika nicht wüßte, daß die Existenz des Bündnisses und die Präsenz Amerikas in Europa untrennbar sind. Die Bündnisse sind Träger der Sicherheit. Sie werden hoffentlich auch zunehmend Träger der Zusammenarbeit.
Trotz aller Irritationen und Gefährdungen ist dies der Weg seit dem Signal von Reykjavik. Folgerichtig paßt sich die gemeinsame Deklaration ein, in der Helmut Schmidt und Breschnew die Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion bis über das Jahr 2000 abgesteckt haben. Es ist nicht zu fürchten, sondern -es ist zu hoffen, daß im eigenen Interesse, im Interesse Europas, im Interesse Deutschlands die beiden .Supermächte ihre Zusammenarbeit verstärken. Denn ohne wachsende Zusammenarbeit auch zwischen ihnen gibt es kein Vertrauen und keine Aussicht, einen Zustand herbeizuführen, in dem. die Spaltung Europas beendet werden kann und ihre Instrumente entbehrlich werden.
Dies ist die leider sehr lange Perspektive der Politik des Friedens, ohne die der Auftrag des Grundgesetzes nicht Wirklichkeit werden kann,.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarz-Schilling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure, daß nach der Wirtschaftsdebatte inzwischen die außenpolitische Debatte begonnen hat und nunmehr wiederum dadurch unterbrochen wird, daß die Reihenfolge hier oben ungeklärt bzw. geklärt, aber nicht eingehalten wurde. Ich bitte also um Verständnis, wenn ich meinen Beitrag -
Herr Kollege, Sie irren: Hier lag leider keine Wortmeldung von Ihnen bei dem amtierenden Präsidenten vor.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
({0})
- Herr Kollege Kohl, ich habe den Zettel von dem vor mir amtierenden Herrn Präsidenten Carstens übernommen.
Ich darf um Verständnis bitten, Herr Präsident, wenn ich nunmehr zu dem Themenkomplex Wirtschaftspolitik zurückkehre.
Wir waren uns zu einer gewissen Zeit eigentlich alle darüber einig, daß der Aufstieg Deutschlands zu einer Wirtschaftsmacht das Ergebnis der Arbeit und der Tüchtigkeit aller Beteiligten in unserem Volke ist. In diesem Aufstieg waren insbesondere auch der Mittelstand, die Gewerbetreibenden und die Handwerker, einer der tragenden Säulen unserer sozialen Marktwirtschaft, und sie sind es bis heute. Denn rund zwei Drittel aller Arbeitnehmer werden heute noch von diesen mittelständischen Betrieben und Gewerbetreibenden beschäftigt. Wie das Klima in diesem Bereich ist, ist also ausschlaggebend für das Klima in der gesamten Bundesrepublik.
Wenn Kreise aus diesem Bereich heute zugehört haben, insbesondere als Professor Ehmke sagte: „Dem Mittelstand geht es deswegen schlecht, weil die CDU/CSU durch die Lande reist und Schwierigkeiten vormalt, die gar nicht da sind", dann werden diese Zuhörer sich heute abend fragen: Träumen wir jetzt, oder haben wir die ganzen sieben Jahre geträumt, die wir seit 1970 erlebt haben?
({0})
Ich möchte nicht auf die einzelnen Konkursstatistiken seit 1970 eingehen, sondern nur die Zahlen der letzten drei Jahre nennen: 1975 9195, 1976 9 362, 1977 9 562.
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- Konkurse in der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Dazu muß gesagt werden, daß heute auf 1 000 Betriebe 4,4 Insolvenzen kommen. An der Spitze steht Berlin, gefolgt vom Saarland, von Hessen und Bremen. So sieht es in der Bundesrepublik Deutschland heute aus.
Wenn man die Frage stellt - und die stellen sich ja die Menschen, die draußen davon betroffen sind -: wie kommt es eigentlich, daß wir zehn bis zwanzig Jahre erfolgreich gearbeitet haben, nunmehr aber arbeiten und arbeiten und kein Geld in der Kasse haben und Konkurs anmelden müssen, dann muß man allerdings die Statistiken und das, was sich in der Bundesrepublik abspielt, auch zur Kenntnis nehmen. Dann muß man zur Kenntnis nehmen, daß in den Jahren 1970 bis 1976 die Arbeitskosten je Produktionsstunde um 80 0/0 gestiegen sind, die Preise um 40 % - ({3})
- Eben: Wer hat die vereinbart? Da bringen Sie mich auf ein Thema. Wir haben heute drei große Bürokratien in unserem Lande. Das eine ist der Staat, das zweite sind die Gewerkschaften, und das dritte sind die Großunternehmen. Diese drei Großbürokratien treffen ihre Vereinbarungen, ausschließlich nach ihren eigenen Interessen. Die mittelständischen Betriebe fallen dabei durch das Netz, das diese drei großen Bürokratien miteinander vereinbaren. Aus diesem Grunde haben wir die heutigen Schwierigkeiten des Mittelstandes.
({4})
Herr Kollege Schwarz-Schilling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ehmke?
Gern.
Herr Kollege Schwarz-Schilling, es wäre gut, wenn Sie einmal auf die Zahlen eingehen, die nach der Statistik vorliegen. Ich wiederhole Ihnen: Die Zahl der selbständigen Wirtschaftseinheiten hat sich drastisch verringert, und zwar in den zehn Jahren vor der Amtszeit der sozialliberalen Bundesregierung viel drastischer als danach; nicht weil Ihre Parteifeunde schlecht regiert haben, sondern weil wir natürlich auch im mittelständischen Bereich große Strukturveränderungen zu verzeichnen haben. Sie können doch nicht nur Konkurszahlen der letzten Jahre nennen, wo wir schwierige Zeiten hatten, alles andere aber schlabbern,
({0})
und die Neugründungen nicht dagegenrechnen. Das können Sie doch nicht machen.
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis: Nach der Geschäftsordnung muß aus Ihrem Beitrag hervorgehen, daß es sich um eine Frage handelt. Sie müßten eventuell eine weitere Zwischenfrage stellen.
Herr Professor Ehmke, mir ist vollkommen klar, daß Sie z. B. mit einrechnen die Aufgabe vieler, vieler landwirtschaftlicher Betriebe, deren Besitzer dann als Arbeitnehmer in die Wirtschaft gegangen sind. Heute ist insofern ein Stand erreicht, der eine weitere Reduzierung in dieser Rasanz nicht möglich macht.
Zweitens. Wir sind heute in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht in der Lage, in gleicher Weise, wie Betriebsaufgaben erfolgen und Konkurse angemeldet werden, neue Betriebe zu gründen; sonst bräuchten wir uns doch über die Frage nicht laufend zu unterhalten, wie wir die jungen Menschen dazu bringen können, Risiken auf sich zu nehmen, Neugründungen vorzunehmen. Wenn alles in Ordnung wäre, frage ich, warum Sie diese Frage überhaupt stellen.
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Es geht weiter: Die Steuerbelastungsquote und die Sozialabgaben sind von 33,2 % im Jahre 1970 auf 42 % im Jahre 1977 gestiegen. Und was die Auswirkungen auf die einzelnen Betriebe angeht: Die Eigenkapitalrenditen sind von 9,5 °/o im Jahre 1970 auf 6,3 % im Jahre 1974 heruntergegangen. Die Fremdkapitalrenditen sind im umgekehrten Verhältnis, von 8,2 % auf 10,6 °/o, gestiegen. In einer Zeit, in der die Fremdkapitalverzinsung größer ist als die Eigenkapitalverzinsung, kann Unternehmertum nicht mehr gedeihen, weil das Risiko bestraft und nicht belohnt wird. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.
({1})
Herr Kollege, da sich auf der rechten Seite des Hauses ein Kollege zu einer Zwischenfrage meldet, möchte ich Sie generell fragen: Wollen Sie noch weitere Zwischenfragen zulassen?
Nein.
Dann können Sie sich doch nicht wundern, wenn die Eigenkapitaldecke der Unternehmungen im Jahre 1970 von 26,2 - schon niedrig genug - auf 23 % sinkt und der Fremdkapitalanteil der Bilanzen von 73,8 % auf 77 % steigt.
Meine Damen und Herren, das sind alles nur dürre Zahlen. Was sich in Wirklichkeit an Schicksalen in diesen Bereichen abspielt, sieht noch ganz anders aus. Zunächst einmal ist es so, daß ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem jährlichen Bruttolohn von 30 000 DM 4 229 DM an Lohn- und Kirchensteuer und ein Gewerbetreibender mit gleich hohem Gewinn 4 848 DM, also 619 DM mehr, bezahlt. So können Sie die gesamten Tarifquoten der Steuerbelastung durchgehen. Dann müssen Sie noch einrechnen, daß der, der dieses als freier Gewerbetreibender verdient, meistens für den gleichen Verdienst 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeitet, während das beim Arbeitnehmer heute zwischen 38 und 42 Stunden sind.
Dann werden wir immer weiter verunsichert durch Ankündigungen von Festlegungen reduzierter Arbeitszeiten, von Begrenzung von Überstunden. Meine Damen und Herren, wer soll denn eigenlich die Betriebe noch führen, flexibel anpassen, wenn die Anpassung nicht mehr gerade in diesem mittleren Bereich vorgenommen werden kann? Die Großbetriebe leisten dies nicht mehr. Gerade weil sich die Konjunkturausschläge bei den mittleren und kleinen Unternehmen doppelt niederschlagen, werden diese dazu gezwungen.
({0})
- Sie sagen, das alles stimme nicht. Wenn ich die Diskussion hier höre, wünsche ich mir manchmal, daß mehr Menschen dieses Parlaments einmal draußen in Betrieben Verantwortung tragen. Sie wüßten dann, wovon sie reden.
({1})
Sie wüßten dann, daß nicht dieses Gerede in der Theorie, sondern die Praxis draußen, wo das Sozialprodukt erarbeitet wird, dafür verantwortlich ist, daß wir hier sitzen können und unser Geld verdienen.
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Denken Sie weiter daran, daß genau in dieser Zeit, in der die Gewinnraten rapide nach unten gegangen sind, ab 1970/71 die Sozialdemokratische Partei mit Vehemenz mit einer Verteufelung des Gewinns, insbesondere bei den Gewerbetreibenden, begonnen hat. Holger Börner hat eine besondere Prämie dafür bekommen, daß er als Bundesgeschäftsführer der SPD die Aktion „Gelber Punkt" gegen das Handwerk, gegen die Gewerbetreibenden in dieser Zeit in Gang gesetzt hat.
Als diese Bundesregierung erst einmal kapiert hatte, daß die Inflation nicht weitertreiben kann, hat sie durch die entsprechenden Beschlüsse der Bundesbank mit einer Hochzinspolitik auf der einen Seite, auf der anderen Seite durch hohe Besteuerung der Unternehmungen bewußt die Beschränkung der Investitionsmöglichkeiten als der einzigen noch übrigbleibenden Möglichkeit, die Stabilität wiederherzustellen, auf Kosten dieser einen Gruppe unserer Gesellschaft in Kauf genommen. Sie selbst hat nicht die Kosten reduziert, sie hat nicht allgemein die Lasten verteilt, sie hat vielmehr die Unternehmungen zum Prügelknaben ihrer Stabilitätspolitik gemacht und wundert sich heute, daß sie die Investitionen nicht mehr in Gang bringt. Das ist doch die heutige Situation.
({3})
Ich darf noch einmal vorlesen, was damals in dieser Aktion „Gelber Punkt" stand:
Die Bundesregierung hat das härteste Stabilitätsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik durchgesetzt. Die Besserverdienenden müssen eine Stabilitätsabgabe zahlen. Investitionen der Unternehmen werden gedrosselt. Viele Milliarden Mark werden zwangsweise in den Tresoren der Bundesbank festgelegt.
Das wurde hier als Siegesfeier verkündet, ohne zu merken, was man mit den Unternehmen auf lange Sicht angestellt hatte. Fragen Sie mich also bitte nicht, warum die Konkursquoten so angestiegen sind!
({4})
Lassen Sie mich noch auf ein weiteres eingehen, was Graf Lambsdorff gesagt hat. Herr Minister, ich freue mich darüber, daß es gewisse Punkte gibt, wo man durchaus Übereinstimmungen hat:
({5})
- das mag für Sie überraschend sein, das ist aber Ihr Problem.
Nachfrage nach Investitionsgütern, die Frage des Schuldenabbaus in der Zukunft ohne Inflation, worüber wir uns alle sehr viele Gedanken machen, wo wir aber bei Ihnen noch keine Ansätze sehen. GrundDr. Schwarz-Schilling
sätzlich möchte ich aber die Frage stellen, Herr Minister, ob das, was Sie gemacht haben, nicht zu spät kommt.
Warum haben Sie damals, als Sie noch der Wirtschaftssprecher der FDP gewesen sind, den Empfehlungen des Sachverständigenrates aus dem Jahre 1976 für das Haushaltsjahr 1977, als er ein „Programm zur wachstumspolitischen Vorsorge" entworfen hat, zugestimmt und in gleicher Weise das Programm der Bundesregierung akzeptiert, obwohl das zwei grundverschiedene Konzeptionen waren? Sie hätten sich damals dazu äußern müssen, warum Sie die Priorität nicht so sahen wie der Sachverständigenrat. Sie haben so getan, als wäre es dasselbe. Ich habe das bereits damals hier im Deutschen Bundestag angemerkt. Sie haben darauf nie geantwortet. Sie haben im Grunde genommen mit den jetzigen Beschlüssen einen ersten Einstieg zur Entlastung der privaten Wirtschaft begonnen, der bereits damals nach Auffassung aller Sachverständigen, nach Auffassung der Bundesbank, nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, glaube ich, auch nach Ihren wirklichen Auffassungen angebracht gewesen wäre.
,Meine Damen und Herren, deswegen, glaube ich, müssen wir wieder zu einer Zeit zurückkehren, wo es sich in Deutschland lohnt, zu arbeiten, tüchtig zu sein und Risiken auf sich zu nehmen.
({6})
Wenn Sie das dem Bürger draußen und dem Gewerbetreibenden nicht mehr vermitteln können, dann werden Sie auch nicht in der Lage sein, die entscheidenden Probleme des Mittelstands so zu lösen, daß er wieder eine der Wachstumssäulen unserer Bundesrepublik wird.
Ich möchte zum Schluß folgendes sagen, Herr Minister. Es mag sein, daß Sie in verschiedenen Gremien keine unterschiedlichen Auffassungen haben. Aber eines gilt mit Sicherheit: Sie haben in den Beschlüssen der Bundesregierung nicht das umgesetzt, was Sie sehr oft in verschiedenen Gremien verkündet haben. Es nutzt nichts, wenn ein Minister seine Stimme erhebt und die Bundesregierung und dieses Parlament genau das Gegenteil beschließen.
({7})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit einigen Ausführungen an den Kollegen Egon Bahr wenden.
Herr Kollege Bahr, Nachdenken über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ist selbstverständliche Pflicht eines jeden Abgeordneten in diesem Hause. Aber wir haben auch die Pflicht, dabei an einige Gesichtspunkte zu denken, die ebenso wesentlich sind. Deshalb möchte ich Ihnen sagen, wo der Grund für unsere besondere Wachsamkeit, ja für unser Mißtrauen Ihnen gegenüber liegt.
Dieses Mißtrauen ist nicht in einer Sorge begründet, Sie hätten in Moskau ein Papier über den Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO übergeben. Ich habe diese Meldung jederzeit für unglaubwürdig gehalten. Aber es zeichnet sich doch in Ihrem Verhalten in den letzten Jahren ganz deutlich ab, daß Sie in wesentlichen Fragen der Außenpolitik unsere deutschen Interessen anders definieren als die Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses, vor allem auch anders als die Bundesregierung. Das liegt doch alles offen zutage, wir brauchen heute gar keine geheimen Papiere zu sehen oder zu vermuten. In der Einschätzung der Bedrohung durch die Sowjetunion und des Wesens unserer Sicherheit unterscheiden wir uns von Ihnen. Auch dafür haben Sie die Beweise in der Praxis erbracht. Wir unterscheiden uns von Ihnen in der Auffassung, wie wir am besten und zweckdienlichsten auf die Sowjetunion einwirken, damit Sicherheit und Freiheit für alle Deutschen gleichzeitig Ziele der deutschen Politik bleiben.
({0})
Herr Kollege Bahr, es gibt einen zweiten Punkt, der zu unserer Wachsamkeit und zu unserem Mißtrauen geführt hat. Das ist Ihre Art, Kontakte und Verhandlungen mit der DDR, mit führenden Vertretern der KPdSU und der UdSSR neben der amtlichen Politik zu haben, die einfach auf breite Kreise der deutschen Öffentlichkeit - vielleicht unberechtigt - den Eindruck der Kungelei und der konspirativen Absprache macht.
({1})
Das ist eine maßgebliche Tatsache, Herr Kollege Bahr! Es geht hier gar nicht darum, daß wir glauben, Sie übten Verrat, sondern darum, daß Sie so, wie Sie in den letzten zehn Jahren Politik gehandhabt haben, einfach Mißtrauen wecken! Dabei glaube ich immer noch, daß Baron Guttenberg recht hatte, als er von dieser Tribüne aus im Mai 1970 dem Sinn nach sagte, Ihr Hauptirrtum sei Ihre Selbstüberschätzung im Umgang mit der Sowjetunion.
({2})
Die sowjetische Staatsführung und die sowjetische Diplomatie praktizieren eine äußerste Disziplin bei der Durchsetzung ihrer defensiven und ihrer offensiven Ziele. Solcher Disziplin gegenüber muß auch der Abgeordnete, muß auch der Politiker - bei aller Bereitschaft zum Gespräch mit Vertretern der Sowjetunion - jenes Ausmaß an Disziplin üben, das für die Wahrung unserer Interessen in diesem Zusammenhang einfach notwendig ist.
Herr Kollege Bahr, wir können schließlich auch nicht vergessen, daß Sie selbst immer wieder Ihre Positionen verändert haben. Seit eh und je definieren Sie die möglichen Wege zur Wiedervereinigung Deutschlands in einer Weise, die mit der amtlichen Politik - nicht einmal Ihrer Partei - übereinstimmt. Was Sie im Laufe der letzten Jahre praktisch getan haben, bestätigt all das; ich sagte es schon.
Sie haben im übrigen eben die Unwahrheit gesagt, als Sie erklärten, daß die von Ihnen inspi8268
Dr. Mertes ({3})
rierte Politik des Kabinetts Brandt immer mit den Alliierten abgesprochen worden sei.
({4})
Die Regierung Brandt hat Art. 7 des Deutschlandvertrages mißachtet, als sie ohne jede Konsultation mit der Allianz eine der entscheidenden westlichen Positionen preisgegeben hat, nämlich die Ein-Deutschland-Position. Die zwanzig Jahre lang von uns allen hier im Hause vertretene EinDeutschland-Position gegen die sowjetische ZweiStaaten-Forderung hat diese Regierung über Nacht und - ich wiederhole es - ohne Konsultation mit den Alliierten über Bord geworfen.
({5})
Zweitens, Herr Kollege Bahr: Ihre als „Gespräche" oder als „Meinungsaustausch" mit dem sowjetischen Außenminister deklarierten Verhandlungen vom Frühjahr 1970 haben Sie in ihren entscheidenden konkreten Abläufen nicht mit den Drei Mächten und den ' anderen Verbündeten abgesprochen. Nicht umsonst hat der damalige französische Botschafter erklärt, das Ergebnis der Bahr-Verhandlungen mit Gromyko habe die westliche Position in den damals laufenden Berlin-Verhandlungen erheblich geschwächt.
({6})
Es ist nachzulesen, wie der damalige Außenminister Ende Mai 1970 - Sie können es in der „Welt am Sonntag" nachlesen - berichtet,
({7})
er habe die westlichen Außenminister niemals mit so hochroten Köpfen gesehen wie in dem Augenblick, als er ihnen das Ergebnis der Bahr-Verhandlungen in Moskau mitteilte.
Und was alles ist in Oreanda 1971 abgesprochen worden? Das war eine Politik, die Sie noch maßgeblich mitgestaltet haben. Und dann, Herr Kollege Bahr, waren Sie im März 1974 in Moskau und haben dabei über Berlin-Fragen gesprochen, die von größter Tragweite sind, nämlich im Zusammenhang mit dem sowjetisch-deutschen Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit.
({8})
Ihre Lösungsvorstellung konnte damals nicht durchdringen - das muß jetzt anerkennend gesagt werden -, weil die Regierung Schmidt/Genscher dann eine Position bezogen hat, die gegenüber den Einwirkungen von Egon Bahr in dieser Frage einfach eine Barriere aufrichtete. Wir haben diese Position der Regierung bis zur Stunde auch immer mitgetragen.
({9})
- Jawohl, die richtige Position der Bundesregierung haben wir als Opposition mitgetragen!
({10})
- Herr Wehner! Ob Sie mich einen Angeber nennen oder was sonst, folgendes gilt: Wenn Sie es bedauern, wenn Sie zornig darüber sind, daß ich feststelle, daß wir in einer wesentlichen Sache die Berlin-Position der Regierung bisher mitgetragen haben,
({11})
dann muß ich Ihnen sagen: Sie haben sie leider nicht mitgetragen, sondern Sie werfen der Regierung in der Berlin-Frage immer wieder - sogar über den Moskauer Rundfunk oder über das Leningrader Fernsehen - Knüppel zwischen die Beine.
({12})
- Können Sie bitte Ihren freundlichen Ausdruck noch einmal wiederholen?
({13})
- Er hat mich einen Knüppel genannt!
({14})
Herr Wehner, ich nehme Ihre Sprache zur Kenntnis!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, und was war im Jahre 1978? In einer entscheidenden Frage des westlichen Bündnisses und der westlichen Abschreckung, nämlich der Neutronenwaffe, hat der Kollege Bahr eine Position vertreten, die subjektiv aus seiner Sicht möglicherweise moralisch - ich weiß bis heute nicht recht, wie eigentlich - begründet war. Aber es zählen in der Politik nicht die subjektiven Motive, sondern die objektiven Wirkungen. Ich stelle die Motive des Kollegen Bahr hier überhaupt nicht zur Debatte. Ich glaube, daß er die Wiedervereinigung Deutschlands will.
({15})
Herr Abgeordneter Wehner, gerade Sie wissen, daß es in der Politik eine Notwendigkeit ist, zwischen den subjektiven Motiven und den objektiven Wirkungen zu unterscheiden.
({16})
Ich stelle fest: der Abgeordnete Wehner hat in den letzten Jahren mehrfach mit subjektiven Motiven, die ich nicht kenne und daher nicht analysieren oder gar bewerten will, Äußerungen getan, die objektiv den Interessen der Sowjetunion genützt haben. Dies ist eine politische Tatsache.
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Ich qualifiziere es auch im einzelnen. Es handelt
sich um Berlin, es handelt sich um das, was Sie über
Dr. Mertes ({18})
bestimmte westliche Positionen bei MBFR gesagt haben,
({19})
was Sie zu den Vorschlägen der Sowjetunion in der KSZE geäußert haben, was Sie zu den Vorschlägen des Warschauer Paktes über den Nichtersteinsatz von nuklearen Waffen gesagt haben. Das waren Positionen, Herr Abgeordneter Wehner, die objektiv den Interessen der Sowjetunion genützt haben und im übrigen vom Osten auch mit entsprechendem Beifall bedacht worden sind.
({20})
Wir kämen in dieser Sache übrigens zu einer sachlich weiterführenden Sprache in diesem Hause, wenn wir uns einmal über einen anderen Aspekt der Politik der Kollegen Bahr, Wehner und Brandt verständigen könnten. Adenauer hat zu Recht darauf hingewiesen, daß in unserer Verfassung der Regierung, der Exekutive, in der Außenpolitik eine sehr starke Stellung eingeräumt ist.
({21})
Diese starke Stellung ist notwendig, weil die deutsche Außenpolitik berechenbar sein muß und weil man ohne die Methode der Vertraulichkeit keine verantwortungsbewußte Außenpolitik betreiben kann. Infolgedessen ist es höchst problematisch, wenn es neben der amtlichen Außenpolitik der Bundesregierung auch noch eine Nebenaußenpolitik der Sozialdemokratischen Partei gibt, die eine Koalitionspartei ist. Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, dieses Grundelement unserer Verfassung, nämlich die Notwendigkeit der Berechenbarkeit und der Geschlossenheit der deutschen Außenpolitik, vertreten durch die Bundesregierung, als ein Gut unserer Verfassung anzusehen.
({22})
Die Klarheit der Kompetenzen und die Repräsentativität der Aussagen in der Außenpolitik der Regierung sind Grundelemente unserer Verfassung, deren Beachtung wir auch als Opposition von der Regierung verlangen.
({23})
Es ist für die Berechenbarkeit der Außenpolitik unseres Landes, die durch den Außenminister und den Bundeskanzler zu vertreten ist, einfach schlecht, wenn Elemente der Verunsicherung und der Verunklarung von führenden Mitgliedern der Regierungskoalition eingeführt werden.
Herr Kollege Bahr, ich möchte hier auf Grund Ihres früheren Verhaltens einmal zwei ganz konkrete Fragen an Sie richten, deren offene und wahrheitsgemäße Beantwortung durch Sie Oder durch den Außenminister oder durch den Bundeskanzler im Auswärtigen Ausschuß, vielleicht auch im Plenum des Deutschen Bundestages, hilfreich für eine angemessene Klärung Ihrer Rolle in der deutschen Außenpolitik wäre.
Erstens. Haben die Gespräche, die Sie kurz vor dem Breschnew-Besuch in Moskau mit maßgeblichen Vertretern der KPdSU und der UdSSR führten, irgendeinen schriftlichen Niederschlag gefunden? Wenn es den gibt, sollte er uns vorgelegt werden, dann können wir offener miteinander diskutieren.
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Herr Abgeordneter Mertes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Bitte schön, Herr Ehmke. Nur möchte ich vorher noch meine zweite Frage vortragen. Haben Sie, Herr Kollege Bahr, oder ein anderer Vertreter Ihrer Partei den Versuch gemacht, Dinge, die Sie in Moskau persönlich abgesprochen haben, in die amtlichen Vorbereitungen der Bundesregierung auf den BreschnewBesuch einzubringen, und, wenn ja, welche sind es und wie weit geht ihre Übereinstimmung mit sowjetischen Textvorschlägen? Wenn diese beiden Fragen beantwortet werden, die uns nicht von ungefähr, sondern auf Grund jahrelanger Erfahrung kommen, dann könnten wir in diesen Angelegenheiten offener, klarer und mit geringerem Mißtrauen gegen Sie miteinander sprechen.
({0})
Herr Kollege Mertes, darf ich Ihre Fragen an den Kollegen Bahr dahin gehend verstehen, daß die Unionsparteien bereit sind, uns alle offiziellen und die zahlreichen inoffiziellen Kontakte mitzuteilen,
({0})
die zwischen Ihnen und Vertretern von Regierungen in Osteuropa und in der DDR stattfinden, und uns gleichzeitig über den Inhalt dieser Gespräche, die Sie führen, offiziell und inoffiziell einen schriftlichen Bericht vorzulegen? Ist diese Bereitschaft in Ihrer Frage mit enthalten?
Die Bereitschaft, dem Außenminister und dem Bundeskanzler über die Kontakte zu berichten, die wir im Ostblock haben, hat es immer gegeben. Wir haben auch dementsprechend gehandelt. Aber, Herr Ehmke, der Kollege Bahr ist nicht nur ein berichtender, sondern ein sehr operativ handelnder Mann. Er ist kein Mann, der nur Gespräche führt, sondern er möchte das wirksam aufschreiben, was er ausgehandelt hat; und er möchte, daß das Concretissime in die Politik dieser Bundesregierung eingeht. Der Kollege Bahr ist da sehr präzise und sehr praktisch veranlagt. Uns interessiert, wieweit er in einer so wichtigen Sache wie dem Breschnew-Besuch versucht hat, auf Grund von Vorgesprächen in Moskau auf die Politik der Bundesregierung einzuwirken und wie die Bundesregierung reagiert hat.
({0})
Dr. Mertes ({1})
- Das ist Ihr Wort. Ich teile es nicht, Herr Kollege.
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Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch darauf hinweisen, daß bis zum Jahr 1969 die sozialdemokratische Fraktion in der Deutschlandfrage eine Position bezogen hat, die sie später aufgegeben hat; eine Position, an der wir im Grundsatz noch festhalten, die aber durch die unklaren Ostverträge verdunkelt worden ist.
Herr Kollege Erler hat im Jahre 1966 vor der Reise des' Präsidenten de Gaulle nach Moskau von diesem Pult aus dem Sinne nach gesagt, es gehe das Gerücht, der französische Präsident mache möglicherweise in der Grenzfrage gegenüber dem Osten Konzessionen in einer Frage, die erst im Friedensvertrag mit Deutschland als Ganzem geregelt werden darf. Das war im Jahre 1966.
Dann kam im Herbst 1969 eine Politik, die uns als Opposition, ja das ganze Parlament, immer wieder vor vollendete Tatsachen stellte, eine Politik, die dann durch den Kollegen Bahr gerechtfertigt worden ist, indem er am 24. Januar 1973 sagte:
Zunächst einmal ist beklagt worden, es habe ein gewisser Zynismus darin gelegen, wenn der Bundeskanzler gesagt habe, es habe an den Wahlen gelegen, daß man vor den Wahlen anders als von der DDR als Staat gesprochen habe. Nun, hier muß festgestellt werden: Nach den Wahlen war eine politische Entscheidung gefallen, die es ermöglichte, dem allgemeinen Grundsatz Rechnung zu tragen, daß, wenn möglich, in der Demokratie und in der Politik die Wahrheit gesagt werden soll .. Denn die Mehrheiten waren nicht so, daß sie es zugelassen hätten, die Wahrheit zu sagen ...
Herr Kollege Bahr, Sie müssen doch verstehen, daß eine solche Rechtfertigung Ihres Verhaltens gerade in den schwerwiegenden Jahren 1969/70 bei uns eine Reaktion des Mißtrauens hervorrufen mußte. Je offener Sie hier sprechen und je weniger Sie an die verwandelnde Kraft von Formelkompromissen mit dem Osten glauben, um so mehr Möglichkeiten des Gesprächs ist vorhanden. Aber Sie haben diese Klarheit preisgegeben.
Im Deutschlandvertrag, der im übrigen auch die Westmächte verpflichtet - er ist eine der Geschäftsgrundlagen unseres Bündnisbeitritts - heißt es:
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, urn mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlichdemokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist.
Sie, Herr Kollege Bahr, haben. nach Ihren Gesprächen in Moskau 1970 im Deutschen Bundestag mehrfach betont, daß Art. 4 des Moskauer Vertrages gerade diese Verpflichtung deckt. Aber die Sowjetunion, mit der in Wirklichkeit Sie diesen Vertrag ausgehandelt haben, teilt diese Ihre Auslegung des Deutschlandvertrages nicht. Im Gegenteil, Sie haben einen Vertrag ausgehandelt, dessen rechtliche und politische Auslegung seitens der Sowjetunion dahin geht, gerade die Aufrechterhaltung des Art. 7 erfülle den Tatbestand aggressiver Politik im Sinne der UNO-Charta.
Das Problem ist also erstens, daß Sie grundlegende Interessen unseres Staates und unserer Nation anders definieren als wir und als die verantwortliche Regierung, daß Sie zweitens die sicherheitspolitischen Interessen anders definieren als die Opposition und als die Bundesregierung, daß Sie drittens Methoden der Außenpolitik anwenden, die uns stutzig machen müssen - wenn nicht noch mehr -, und daß Sie viertens einen ungeheuren Aberglauben an die verwandelnde Kraft von Formelkompromissen mit der Sowjetunion haben, von der wir doch sagen können: Sie weiß, was sie will, und sie sagt, was sie will, und sie erblickt im Moskauer Vertrag einen Sieg ihrer Zähigkeit. Man kann der Sowjetunion schließlich' nicht vorwerfen, daß sie ihre langfristigen Ziele, daß sie ihre defensiven und ihre offensiven Kriterien nicht offen darlegt.
In der weltpolitischen Situation von heute, die übrigens von Staatssekretär van Well sehr gut in einem Artikel des „Parlament" dargestellt ist, dessen Lektüre ich als Abgeordneter der Opposition nur jedem ans Herz legen kann, ist darauf hinzuweisen, daß die Sowjetunion neuerdings ihre expansive Politik höchst konkret weit ausdehnt - in Südostasien, in Afrika - und daß just seit dem Gewaltverzichtsabkommen, das Sie ausgehandelt haben, Herr Kollege Bahr, das Streben der Sowjetunion nach militärischer Überlegenheit doch ganz offenkundig ist. In dieser Situation ist es geradezu gespenstisch, Überlegungen darüber anzustellen, unter welchen Bedingungen wir das Bündnis verlassen könnten.
Nun, ich quittiere, daß Sie hier zu diesem Punkt eine klare Aussage gemacht haben. Wir haben sie mit Befriedigung zur Kenntnis genommen.
({3})
Was Sie aber betreiben, ist eine Politik der kleinen Schritte, die dieses Bündnis auch nutzen will, um eine Entspannung zu erreichen, die nicht die echte Entspannung ist, die wir wollen.
Ich wiederhole, was ich schon dem Kollegen Wehner gesagt habe: Es gibt keinen wesentlichen Verhandlungspunkt im Ost-West-Konflikt - sei es KSZE, sei es MBFR, sei es Berlin, sei es anderes -, bei dem Sie, Herr Bahr, nicht eine Position bezogen haben, welche im Vergleich zu den Verhandlungen der Bundesregierung Wirkungen hatte, die von der Sowjetunion ganz offiziell beklatscht worden sind. Ich sage ja doch nicht, Herr Kollege Bahr - das haben wir auch in manchem persönlichen Gespräch geklärt -, daß Sie die Sowjetunion von sich auch begünstigen wollen. Im Gegenteil! Guttenberg hatte recht, als er sagte, sie hielten sich für einen David, der den sowjetischen Goliath auf lange Sicht aufs Kreuz legen' will. - Er hatte auch recht, als er sagte: Sie sind aber nicht David, denn Sie haben
Dr. Mertes ({4})
nicht den Kieselstein in der Schleuder wie der biblische David. - Sie überschätzen Ihre Möglichkeiten, auf die Sowjetunion einzuwirken, und im Ergebnis - ob Sie das wollen oder nicht - begünstigen Sie mit gewissen Aussagen, mit gewissen Kampagnen - siehe Neutronenwaffe -, mit Ihren kleinen Schritten eine Position, die von der Sowjetunion zu Recht als sehr nützlich und ihrem Entspannungskonzept dienlich empfunden wird.
Deshalb brauchen Sie gar nicht aus dem Bündnis auszutreten. Im Gegenteil. Sie werden in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa immer Leute finden, die Ihnen, ohne die deutsche Interessenlage zu kennen oder gar fördern zu wollen, Beifall klatschen, so wie Sie Ihnen natürlich auch 1970/71 Beifall geklatscht haben. Der Chefredakteur von „Foreign Affairs" sagte damals: Das große Verdienst der Regierung Brandt ist ès, daß sie das deutsche Geschwür in Europa, nämlich das Wiedervereinigungsproblem, beseitigt hat.
Selbst wenn Sie tausend Schwüre tun, Herr Bahr, daß Sie diese Politik betrieben haben, um der Wiedervereinigung näherzukommen - das Resultat sieht anders aus! Das Resultat wird von Ihrem Freunde Willy Brandt ja auch ganz anders dargestellt als von Ihnen. Als er erstmals vor die Vereinten Nationen trat, sagte er: Ich möchte die Vereinten Nationen nicht als eine Klagemauer für deutsche Probleme ansehen. - Übrigens: Die Klagemauer ist das Symbol der über Jahrhunderte durchgetragenen Identität des jüdischen Volkes mit sich selbst. Gerade wir Deutsche sollten das Wort „Klagemauer" deshalb mit größtem Geschichtssinn und Respekt verwenden. Willy Brandt sprach damals auch von den „deutschen Zänkereien", die nicht die Vereinten Nationen belasten sollen. Entweder ist die Wiedervereinigung eine Grundfrage unseres moralischen und politischen Selbstverständnisses unseres geschichtlichen Willens mit langem Atem - dann darf Willy Brandt sie nicht als deutsche Zänkerei abqualifizieren -, oder aber sie wird zum Instrument einer Politik Egon Bahrs, die wir in dieser Form, d. h. mit diesen Risiken und Methoden, nicht wollen können, und zwar nicht deshalb, weil sie verfassungswidrig ist, sondern weil sie mit den Werten, die wir gemeinsam verteidigen und durchsetzen wollen, nicht vereinbar ist.
({5})
Zum Abschluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß ganz offenkundig Sorgen über falsche Vorstellungen von Einwirkungen dies Parlamentes auf die Regierung auch von der Regierung selbst geteilt werden. In der Zeitschrift „Das Parlament" vom 16. September 1978 - ich habe nicht das Gefühl, daß die folgenden Zeilen an die Adresse der CDU/ CSU gerichtet sind - schreibt Staatssekretär van Well folgendes, sicher mit Zustimmung des Außenministers:
Ungeduld, häufiger Wechsel der Konzepte oder Argumente, Erzeugung von Zeitdruck mögen in der Öffentlichkeit zuweilen den Eindruck besonderer Aktivität erwecken: Ob sie jedoch die Vertrauensbasis in der Allianz und mit der anderen Seite wirklich stärken, ist fraglich.
Dies ist in der Tat fraglich. Namhafte Vertreter der stärksten Koalitionspartei beeinträchtigen in we-. sentlichen Punkten durch scheinbar kleine Bewegungen und Anregungen die NATO-Politik und die Politik der Bundesregierung in einer Weise, die wir nicht akzeptieren können. Herr Kollege Bahr, es könnte alles besser sein,
({6})
wenn wir in diesen Fragen gemeinsam die von der Verfassung gewollte Hauptverantwortung der Bundesregierung achten würden und wenn wir uns als Parlament auf das konzentrierten, was uns zusteht, nämlich erstens auf die Beratung in den Ausschüssen und im Plenum, auf kritische Anfragen an die Bundesregierung, auf Gespräche mit der Bundesregierung in aller Offenheit und Klarheit, und wenn zweitens dem Parlament in der Praxis die Möglichkeit verbliebe, Abkommen, die die Bundesregierung beschlossen hat, zuzustimmen oder sie auch abzulehnen. Ich halte es für völlig falsch, die These zu vertreten - Bundeskanzler Schmidt hat sie einmal hier geäußert -, daß, wenn die Regierung schon einmal mit einer anderen Regierung einen Vertrag paraphiert oder unterzeichnet habe, das Parlament dann wohl oder übel auch zustimmen müsse. Wenn das Wirklichkeit würde, dann könnten über die Aushandlung von auswärtigen Verträgen Grundelemente unserer Interessen und unserer Ordnung auf die Dauer unterminiert werden. Wir sollten uns auf die breiten Möglichkeiten konzentrieren, die dem Parlament von unserer Verfassung gegeben sind. Dies sage ich als jemand, der in der Opposition ist, der aber die gut begründete starke Position der Exekutive hier abstützen möchte. Wir sollten keine Nebendiplomatien, keine Nebenaußenminister und keine Nebenkanzler in unserer auswärtigen Politik haben.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun haben wir eine seit sechs Wochen angelegte ungeheure Kampagne gegen eine Politik und gegen einen Abgeordneten dieses Hauses erlebt. Eine ganze Presse hat sich monatelang bewegt. Angekündigt war, daß heute eine zentrale Diskussion über die außenpolitische Position dieses Landes stattfinden werde.
({0})
- Zum Haushalt; ja. Sie haben offensichtlich nicht das gelesen, was Ihr Fraktionsvorsitzender von Berlin aus für diese Woche angekündigt hat.
Jedenfalls waren wir neugierig, weil wir hofften, nach immer wiederholten unerträglichen Beschuldigungen hier endlich einmal Beweise zu hören. Denn wenn bei Beschuldigungen gegen Abgeordnete Beweise auf den Tisch zu legen sind, ist das Parlament dafür der richtige Platz.
Friedrich ({1})
Was wir jetzt kurz vor 20 Uhr fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit hören, ist ein vorsichtiges Herantasten. Ich bin schon erstaunt, wie - da hat hier in diesem Raum die Interparlamentarische Union getagt - ein Sprecher der Opposition, der Kollege Mertes, die außenpolitische Tätigkeit in der Zeit einer wachsenden Weltgesellschaft von Abgeordneten nicht qualifiziert, sondern diskriminiert, und zwar wie er sich schrittweise nähert: Kontakte, Kungelei, und dann kommen die Worte „konspirative Absprache". Dieser nachrichtendienstliche Begriff kann hier in diesem Hause gegen einen Abgeordneten verwendet werden! In welchem Parlament sind wir eigentlich in dieser Welt?
({2})
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte!
Herr Kollege Friedrich, sind Sie bereit, den Wortlaut meiner Rede nachzulesen? Ich habe das in dieser Form nicht gesagt.
Die Worte „konspirative Absprache" werden Sie nicht leugnen können. Ich kann gut stenographieren, wenn auch nicht ganz so schnell wie die Stenographen hier.
({0})
Aber diese Art ist ja für uns nicht neu. Ich möchte doch einmal in der Kürze, wie sie heute abend geboten ist, darauf hinweisen, wie schwierig es für die Opposition geworden ist, zu außenpolitischen Fragen überhaupt Stellung zu nehmen. Denn wer die Außenpolitik zum zentralen Streitpunkt der Politik schlechthin macht, kann natürlich nicht mehr rational über Fragen diskutieren, in denen das Land seine Interessen gemeinsam vertreten muß. Das ist doch die Situation.
Das sieht man dann an der Art, wie die Union die Währungsfrage behandelt. Wir wissen ja, was Herr Strauß gesagt hat, und kennen Ihre Anfrage. Am Mittwoch der vorigen Woche hat im Europäischen Parlament der CDU-Kollege Müller-Hermann im Namen der europäischen Christdemokraten folgendes erklärt - ich zitiere aus dem Protokoll -:
... daß die Christdemokraten im Europäischen Parlament dem Projekt eines Währungssystems mit festen Wechselkursen aufgeschlossen gegenüberstehen. Wenn dieses Projekt eines Währungssystems zum Erfolg führt - was wir hoffen -, dann würde zweifellos die Gemeinschaft einen ganz entscheidenden Fortschritt in Richtung auf mehr Integration erreichen, in Richtung auf ökonomische Effizienz und damit auch in Richtung auf mehr politische Solidarität und Autorität.
So der CDU-Abgeordnete Müller-Hermann im Ausland.
Der alte Wirtschaftssprecher der CDU/CSU-Fraktion, Franz Josef Strauß, erklärte dagegen zu Hause im DUD am 7. Juli apodiktisch:
, Zu dem von Schmidt und Giscard vorgelegten Plan und den danach gegebenenfalls zu beschließenden Gesetzen wird die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ihre Zustimmung verweigern.
Müller-Hermann sagt im Ausland, im Europäischen Parlament, ja, Strauß sagt hier nein. Offensichtlich halten Sie den Bürger für unfähig, dies zu durchschauen. Dieses Doppelspiel ist auch nicht neu.
({1})
- Natürlich. Aber hier war eine grundsätzliche Zusage, und dort eine apodiktische Ablehnung. Das können Sie doch nun nicht leugnen, wenn Sie noch ein Minimum an logischer Sprachanalyse zulassen.
({2})
Daß wir es mit dem Ausspielen unserer Verbündeten gegen die Außenpolitik der Bundesrepublik seit langem zu tun haben, zeigt ein Protokoll vom 25. Februar 1972. Ich darf den damaligen Bundesaußenminister Scheel zitieren:
Ich bin gezwungen, in aller Zurückhaltung einen Satz zu einer Behauptung zu sagen, die Herr von Weizsäcker aufgestellt hat und die, wenn ich sie richtig verstanden habe, lautete, ich wisse - das haben Sie dazugesagt -, daß unsere Verbündeten die Verträge und damit zusammenhängende Politik anders verstünden, als die Bundesregierung hier darstelle.
Das ist genau die Linie, die der Abgeordnete Mertes jetzt eine Viertelstunde lang entwickelt hat. Der damalige Bundesaußenminister fügte hinzu:
Wenn ich das richtig verstanden haben sollte, darf ich nur einen Satz sagen. Ich weise eine solche Unterstellung mit aller Entschiedenheit zurück.
So der damalige Bundesaußenminister Scheel.
Wenn man nun fragt, was von Ihrer Kampagne, die ähnlich angelegt ist, aber doch ganz andere Dimensionen aufweist, heute übriggeblieben ist, dann muß man sagen: eigentlich sehr wenig. Allerdings erlaube ich mir zu sagen, daß in der Bundesrepublik ein solches Ausmaß einer derartigen Kampagne gegen eine Partei und gegen ein Mitglied dieses Hauses noch nie dagewesen ist. Man muß schon bis in die erste Republik zurückgehen, bis zu den ekelerregenden Angriffen gegen den ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
({3})
Der Abgeordnete Egon Bahr bedarf unserer politischen Verteidigung nicht, denn das, was man ihm
Friedrich ({4})
unterstellt, hat er nicht getan und nicht vollzogen. Es ist konstruiert oder frei erfunden. Aber der Angriff auf den Menschen Egon Bahr ist ein Angriff gegen jeden einzelnen Sozialdemokraten in diesem Land. Wir sind eine Partei, die aus ihrer Geschichte und unzähligen Verfolgungen eines weiß:
({5})
daß es üblich ist, wo immer man kann, wenn man es für nützlich hält, Sozialdemokraten zu jagen. Wir wissen, wie man Menschen jagt.
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Deshalb werden wir diese Herausforderung annehmen. Deswegen werden wir, Herr Reddemann, dem Vorwurf in der Sache nicht ausweichen. Insoweit ist es gut, daß heute abend hier gesprochen wird.
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Es gibt keine einzige Zeile Egon Bahrs, in der er die Neutralität oder die Neutralisierung der Bundesrepublik fordert. Es gibt keinen einzigen Abgeordneten der SPD, der dies fordert. Wir haben 10 000 Ortsvereine. Sagen Sie mir den, der dies gefordert hat! Es steht aber in allen Zeitungen der Bundesrepublik, daß Sie uns dies unterstellen.
Dann zitieren Sie geheimnisvoll die Formulierung von der „Überwölbung der Bündnissysteme". Wollen Sie denn leugnen, daß es über die gegensätzlichen Bündnisse hinweg für die Existenz der Menschheit wichtige Verträge gibt? Wollen Sie vor allem leugnen, daß sich die Vereinigten Staaten um solche Verträge bemühen? Ich nenne SALT, die ganzen Atomverträge, den Nichtweiterverbreitungsvertrag, die Schlußakte von Helsinki.
Es stimmt: Das sind meistens Verträge, die Sie bekämpft oder abgelehnt haben. Bei der KSZE haben Sie zuerst gefordert, sie abzulehnen. Dann haben Sie gesagt, Sie seien der einzige Hüter der KSZE-Schlußakte. Dann war sie wieder ein Muster ohne Wert. Und nun konstruieren Sie daraus etwas, was in Richtung Neutralisierung laufen soll.
({8})
Heute früh - ({9})
- Es tut mir leid. Ich habe wenig Zeit. Ich habe schon eine Frage beantwortet.
Heute früh hat sich Herr Strauß darauf berufen, dàß die Frage der Wahrheit bei Egon Bahr zweideutig sei. Er hat wieder einmal falsch zitiert, wie das vorhin schon der Bundesjustizminister nachgewiesen hat. Er hat nämlich etwas von dem weggelassen, was Egon Bahr nach dem Protokoll gesagt hat. Ich darf zitieren:
Sie selbst haben gewußt, daß die DDR ein Staat
ist. Sie haben nicht gewagt, es zuzugeben. Sie
haben sich aber de facto danach verhalten, und Sie hatten bloß eine Mehrheit, die das ermöglichte. Bloß nach den Wahlen hat eine kleine Mehrheit, die allerdings anders zusammengesetzt war, den Mut gehabt, auch die Wahrheit zu sagen, daß die DDR nämlich ein Staat ist.
Dies ist das korrekte Zitat.
({10})
Herr Strauß ist immer sehr großartig und qualifiziert im Umgang mit der Wahrheit. Schließlich hat auch ein Gericht festgestellt, daß er das Parlament belogen hat.
({11})
Wir haben, wenn es um die Frage der Unionspolitik ging, immer wieder Meinungen, aus denen heraus die deutsche Position überdacht worden ist. Der Bundeskanzler hat heute morgen Bundeskanzler Adenauer zitiert. Ich möchte hier zwei Zitate bringen. In seinem im Jahre 1978 erschienenen Buch „Auf dem Drahtseil" hat Dr. Barzel ausdrücklich festgehalten, was er am 29. Juni 1963 in Hamburg bei einer Kundgebung gefordert hat. Er sagte damals - ich zitiere -:
Wir sind bereit, erstens Schritte zur Abrüstung zu koppeln mit solchen zur Wiedervereinigung und aus dem wiedervereinigten Deutschland niemanden einen einseitigen militärischen Vorteil ziehen zu lassen.
Stellen Sie sich vor, wie wir, wenn wir Ihre Konstruktionsfähigkeit in der Mißinterpretation hätten, ein solches Zitat mißinterpretieren könnten.
Der CSU-Abgeordnete von Guttenberg, der damals wesentlich die Außenpolitik der CDU/CSU geprägt hat, schrieb 1963, sich auf die Seite de Gaulles stellend, in der österreichischen Zeitschrift „Forum" - ich darf zitieren -:
Zudem wäre es einfach unverantwortlich, wollte man Europas Sicherheit für alle Zukunft von der amerikanischen Bereitschaft abhängig machen, das Risiko der Selbstvernichtung zugunsten Europas uneingeschränkt auf sich zu nehmen; denn wer wollte wirklich voraussagen, welchen Kurs die Regierung irgendeines Landes, also auch der USA, in 15 oder 20 Jahren einschlagen wird.
Was würde in Deutschland, in dieser Bundesrepublik, durch die Opposition geschehen, würde in der SPD auf diese Art die Bündnistreue der USA angezweifelt?
Ich möchte wissen, was Herr Weinstein dazu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreiben würde.
Das haben also in den 60er Jahren die führenden Außenpolitiker der Union gesagt. Aber es wäre da8274
Friedrich ({12})
mals Erich Ollenhauer, Fritz Erler, Herbert Wehner, Carlo Schmid nie eingefallen, aus der Opposition heraus der Regierung vorzuwerfen, sie wolle das Bündnis verlassen. Einen solchen Vorwurf hat es angesichts solcher Äußerungen damals nie gegeben.
({13})
- Sie lesen offensichtlich nicht das, was Ihre eigenen Fraktionsführer schreiben.
({14})
Dafür haben wir Protokolle, damit er das morgen nachlesen kann.
Wir haben in Ihren Vorwürfen in den letzten Wochen gespürt - das ist auch jetzt deutlich geworden, Herr Kollege Mertes -, daß die Westbindung der Bundesregierung mit einem Fragezeichen versehen werden soll. Dabei wird bewußt - und das hat auch eine Wirkung im Ausland - an das tiefe Mißtrauen des Westens angeknüpft, das durch die Verträge mit der Sowjetunion von Rapallo und Berlin 1922 und 1926 in Europa entstanden ist. Dies ist ein ganz bewußter Schachzug.
({15})
Sie versuchen heute durch eine Vermischung von Historie und Unterstellung Scheingebilde zu erzeugen, die Sie dann mit großem Propagandagetöse vernichten.
Wir Sozialdemokraten fühlen uns sehr frei von solchen Anwürfen. Ich könnte es mir sehr einfach machen und darauf hinweisen, daß es der Zentrumskanzler Wirth war, der den Vertrag von Rapallo gegen den Widerstand des damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert abgeschlossen hat.
Soweit es um die Westbindung der deutschen Sozialdemokratie geht, will ich zitieren, was der Reichstagsabgeordnete Rudolf Breitscheid am 16. September 1925 gesagt hat. Er sagte:
Was liegt im gegenwärtigen Moment. im Interesse des gesamten deutschen Volkes? Da sind wir zu der Entscheidung gekommen, der Gefahrenpunkt liegt dort, wo wir uns nach dem Westen hin abgrenzen. Diesen Gefahrenpunkt zu beseitigen ist unsere wichtigste Aufgabe. Die Verständigung zwischen uns und dem Westen, vor allem dem französischen Westen, herbeizuführen ist die dringendste Notwendigkeit des gegenwärtigen Augenblicks, selbstverständlich ohne daß wir uns dadurch gegen den Osten festlegen, nämlich uns an einer beabsichtigten Einkreisungspolitik gegen die Sowjetunion beteiligen.
An diesem Tage erklärte der Hamburger Reichstagsabgeordnete Theodor Haubach fast dasselbe, als er meinte:
Das entscheidende Friedensproblem für das deutsche Volk liegt an der Rheingrenze.
Breitscheid und Haubach sind hingerichtet worden; der eine starb in Buchenwald, der andere in Plötzensee. Wir wollen doch einmal festhalten, daß die von der SPD bereits 1925 angestrebte Westbindung deshalb nicht Prinzip der deutschen Außenpolitik werden konnte, weil die konservativen Parteien von Weimar mit ihrer Revisionspolitik die Rechnung des verlorenen Krieges mit Frankreich begleichen wollten.
({16})
Man muß nur einmal bei Ernst Jünger - einem Mann, der Hitler sehr kritisch gegenüberstand - das Kriegstagebuch von 1940 nachlesen, um zu sehen, wie befriedigt, wie berauscht Konservative darüber waren, daß Hitler gegen ihren Erbfeind Frankreich das erreicht hatte, was ihnen von 1914 bis 1918 versagt geblieben war: den Einmarsch in Paris. Das, was durch Rapallo im Westen entstanden ist, das, was durch die Ablehnung der Westpolitik, die die Sozialdemokraten gewollt haben, damals an Mißtrauen entstanden ist, kann man nicht heute der deutschen Sozialdemokratie anlasten;
({17})
das hat die Instinktlosigkeit der deutschnationalen Außenpolitik zu verantworten.
({18})
Lesen Sie bitte auch einmal nach, was Jean Monnet in seinem Buch über die Notwendigkeit sagt, Europa mit der europäischen Arbeiterbewegung zu bauen, lesen Sie einmal nach, wie er jene nennt, die Sie hier diskriminieren, wie oft er sich auf Herbert Wehner beruft, wie er Fritz Erler und Erich Ollenhauer nennt und von ihnen sagt: diese ehrlichen Männer, auf die man sich verlassen konnte. Und lesen Sie auch, was Helmut Schmidt im Vorwort geschrieben hat. Es ist geradezu absurd, in dieser Form eine Kampagne zu entfesseln, die einen schweren Schaden für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen muß.
({19})
Zum Schluß ein Wort zur Rufmordkampagne gegen Egon Bahr. Ich will diese Rufmordkampagne, die in vielen Formen sichtbar geworden ist, an einem Beispiel, dem des CDU-Abgeordneten Werner Marx, darstellen.
Im „Gießener Anzeiger" und in der „Gießener Allgemeinen Zeitung" vom 8. September 1978 erschienen wörtlich übereinstimmende Berichte über eine Rede des CDU-Abgeordneten Dr. Werner Marx, des außenpolitischen Sprechers der CDU.
({20})
Der Bericht ist als Vereinsbericht gekennzeichnet; man muß also davon ausgehen, daß die CDU selbst ihn geliefert hat. Die Berichte stimmen ja auch, wie gesagt, wörtlich üeberein. Mir ist es unmöglich, hier diesen ganzen Bericht vorzulesen, und zwar nicht aus Zeitgründen, sondern weil das, was Dr. Marx dort entwickelt hat,
({21})
Friedrich ({22})
zu ungeheuerlich ist, als daß es hier im Parlament zitiert werden dürfte. Selbstverständlich werde ich den vollen Text dieses Presseberichts dem Präsidium und dem Ältestenrat zusenden, weil ich einmal wissen will, ob dieses Parlament noch in der Lage ist, seine Mitglieder vor Verleumdungen zu schützen.
({23})
Herr Abgeordneter
Ich möchte Sie erst zitieren, Herr Kollege Marx; Sie haben dann die Möglichkeit, dies zurückzunehmen. Denn einen Satz muß ich hier zitieren, von dem ich auf Grund ähnlicher Aussagen des Abgeordneten Marx annehmen muß, daß er gesagt worden ist. In beiden Gießener Zeitungen ist wörtlich zu lesen: .
Verhängnisvoll für den Frieden und die Sicherheit in Deutschland und Europa könnte sich die prosowjetische Tätigkeit des Einflußagenten Egon Bahr als eine Art Nebenaußenminister in Bonn auswirken, erklärte Dr. Werner Marx, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf einer Veranstaltung seiner Partei im Martinshof in Gießen.
Ehe ich Sie bitte, dazu Stellung zu nehmen, will ich noch folgendes hinzufügen. Dr. Marx verwendet einen Begriff - „Einflußagent" -, der als Tatbestand des Verdachts einer verächtlichen kriminellen Tat am 2. September in der Zeitung „Die Welt" aus Ermittlungsakten zitiert worden ist. Dr. Marx spricht von „prosowjetischer Tätigkeit", von „Gefährdung der Sicherheit". Dieser Vorwurf einer verächtlichen kriminellen Handlung gilt einem Bundestagsabgeordneten und Bundesminister a. D.
Nun können Sie sich, Herr Dr. Marx, zu diesem Artikel äußern.
Bitte schön.
Ich bedanke mich für die besondere Freundlichkeit, aber ich hatte mich zunächst gemeldet, um eine Frage zu stellen. Ich frage, Herr Kollege Friedrich, ob Sie bereit sind, zumindest jetzt in diesem Augenblick, drei Dinge zur Kenntnis zu nehmen. Erstens, daß dieses Zitat, wie Sie es jetzt, ohne mich vorher zu fragen, hier vorgetragen haben, nicht den Tatsachen entspricht. Zweitens, daß ich mich gerne auf einem anderen Niveau mit Herrn Bahr auseinandersetze, nicht auf einem Niveau, wie es sich anschließend im Pressedienst der SPD dargestellt hat und das man nur mit Verachtung bestrafen kann. Drittens, ob Sie oder Herr Bahr oder sonst jemand zumindest in einer Frage heute bereit sind oder morgen bereit sind, Antworten zu geben, nämlich auf die Frage, wie das damalige Gromyko-Papier zu einem Bahr-Papier wurde.
({0})
Herr Kollege Dr. Marx, es wäre ja interessant, wenn Sie nach den Artikeln in zwei Gießener Zeitungen, die sich auf Berichte der CDU stützen, in der Lage wären, zu sagen, was Sie gesagt haben. Denn diese Art von Äußerungen ist ja im ZDF geradezu begründet worden. Deswegen habe ich Sie auch zitiert. Die, die dies gesehen haben, waren ja mehr als die, die Gießener Zeitungen lesen.
Soweit es um die Fragen geht, sieht man doch, daß Sie aus allem, was hier in diesem Parlament immer und immer wieder geklärt worden ist, nicht die Konsequenzen ziehen, die Sie von mir erwarten. Denn ich soll nun akzeptieren, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, während Sie dem Kollegen Bahr immer und immer wieder bestreiten, daß er die Wahrheit sagt, wenn er die Dinge hier richtigstellt. Dies ist doch die moralische Ungeheuerlichkeit Ihrer Argumentation: daß Sie für sich beanspruchen, moralisch glaubwürdig zu sein, während Sie dem Kollegen Bahr diese moralische Glaubwürdigkeit bestreiten.
({0})
Dies ist das Unerträgliche.
Was ist denn das Ziel dieser Kampagne? Damit komme ich zum Schluß. Beweise gibt es bisher nicht, allein Verdächtigungen. Den Schaden werden die Parteien haben. Der Widerstand gegen das Parteiensystem wird wachsen. Was hier zerstört wird, ist der demokratische Grundkonsens,
({1})
den die Parteien nach 1945 zu bewahren sich geschworen hatten. Die Frage ist: was ist eigentlich das Ziel dieser Kampagne? Das einzige Ziel, das ich erkennen kann, ist, daß hier eine Operation vorgenommen wird, die nur der Operation im April 1972 vergleichbar ist. Damals, 1972, hat die CDU/CSU in Kauf genommen, daß der Deutsche Bundestag in seiner Vertrauenssubstanz tief erschüttert worden ist.
({2})
Heute sind Sie bereit, um ein solches Ziel zu erreichen, die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik in der Welt anzuschlagen und auch zu zerstören. Das ist doch die Wirkung, die wir hier in der Presse sehen.
({3})
Hier ist es sogar ein weitaus höherer Preis, den Sie zu zahlen bereit sind. Dr. Kohl trägt dafür die Hauptverantwortung. Es gibt nur einen Unterschied. Damals ist Dr. Barzel von Franz Josef Strauß in diese Entscheidung gedrängt worden. Heute flieht Dr. Kohl vor Strauß in diese Entscheidung.
({4})
Wir sind überzeugt, daß der Bürger zu Bundeskanzler Schmidt und zur sozialen Koalition mehr Vertrauen haben wird, gerade nach dieser Kampagne, als zu Dr. Kohl und zu Dr. Strauß. Die Bürger sind weitaus klüger, als die CDU meint. Das heißt:
Friedrich ({5})
Dr. Kohl wird nicht auf dem Umweg über Hessen Bundeskanzler werden, weil die Bürger dieses Manöver durchschauen und durchkreuzen werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marx.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht, daß diese Kontroverse, die es nun einmal gibt, von mir nur in der Form einer Zwischenfrage - soweit das eine Frage überhaupt erlaubt - klargestellt wird. Aus diesem Grunde habe ich mich zu Wort gemeldet.
Ich habe mich noch nie als feige erwiesen. Ich habe immer Dinge, die ich gesagt habe, Herr Kollege Friedrich - auch dann, wenn mir einmal etwas herausgerutscht sein sollte, was jedermann in diesem Hause passiert -, offen zugegeben. Aber was hier zitiert, was hier geklittert, was hier aus einer ganzen Rede - in einer den Sinn entstellenden Weise - in einem Satz zusammengefaßt worden ist, ist in der Tat weder meine Sprache noch war es meine Sprache noch war es der Inhalt dessen, was ich mit Herrn Kollegen Bahr gerne ausfechten würde.
Ich möchte aber gern eine Bemerkung hinzufügen, damit deutlich ist, um was es sich handelt. Es handelte sich um eine Wahlveranstaltung in Hessen, in der Stadt, die Sie Lahn nennen, Abteilung Gießen, wo über aktuelle Fragen in Bonn gesprochen worden ist. Ich habe dort auf die Frage Spionage etwas geantwortet, was ich gerne deutlich machen möchte. Und ich füge dann gleich noch etwas hinzu, was mich mit ziemlicher Verblüffung erfüllt hat.
Ich habe dargestellt, daß das Wort Spionage ein sehr schillernder Begriff sei, daß man dieses Wort nicht gut definieren könne. Es gebe Leute, die aus Panzerschränken Sachen herausholen, sie fotokopieren und die Fotokopien hinüberschicken. Das sei Spionage. Es gebe ganz andere Formen der nachrichtendienstlichen Einwirkung; ob man das Spionage nenne oder nicht, wolle ich nicht beurteilen. Zum Beispiel gebe es Leute, die auf bestimmte Politiker angesetzt sind, um sie abzuschöpfen, um ihren Charakter abzuklären, um festzustellen, wo ein anderer auf sie angesetzt werden könnte, wo es z. B. Schwächen in ihrem Charakter gebe, etwa Trinken, Geld oder anderes.
Ich habe hinzugefügt, daß es Leute gebe, die Einflußagenten seien, z. B. solche, die aus eigener Überzeugung eine These vertreten, die den Interessen unseres Landes, so wie ich sie sähe, schädlich seien. Es gebe aber auch andere, die das nicht aus eigener Überzeugung täten, sondern weil sie dafür Geld bekämen, weil man ihnen das souffliert habe.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich?
Gerne.
Herr Kollege Dr. Marx, sind Sie, da dieser Bericht durch Ihre Partei an die Zeitungen gegeben worden sein soll, bereit, das zu korrigieren - und zwar in einer angemessenen Frist -, und kann ich davon ausgehen, daß auch das nicht stimmt, was Ihnen in diesem Bericht gesagt zu haben unterstellt wird, nämlich:
Die Reisen Egon Bahrs nach Moskau zu politisch brisanten Zeitpunkten und seine Ausflüchte über seine dortige Tätigkeit müßten im Zusammenhang mit den Aussagen des rumänischen
Überläufers Pacepa den Verdacht verstärken, daß hier die Bestrebungen einerseits der SPD, die Bundesrepublik aus der NATO herauszulösen, in ein gefährliches Stadium getreten sein. Wohin dies führen müsse, zeige drohend das Schicksal all der mitteleuropäischen Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst neutralisiert, dann von den Kommunisten unterwandert und schließlich in spontanen Revolutionen von der Sowjetunion besetzt worden seien.
Ist auch das eine Konstruktion?
Herr Kollege Friedrich, ich nehme an, daß Sie, wenn Sie diesen Text in Ruhe lesen, Sie darüber hinaus mich, meine Form des Denkens und meine Art des Ausdruckens kennen, selbst spüren müßten - ich nehme an, daß Ihnen so etwas leider auch öfter passiert -, daß hier in einer unzulänglichen und im Grunde genommen auch unzulässigen Weise ein Referat von einer Stunde zusammengezogen wurde. Ich kann also Ihre Frage, ob das so auch nicht stimmt, ganz eindeutig mit Ja beantworten.
Aber noch etwas: Sie haben zusätzlich gefragt, ob ich das innerhalb einer angemessenen Frist tun wolle. Herr Kollege Friedrich, ich tue das gerade jetzt. Wenn es Leute gibt, die nicht in der Lage sind, ein Referat in seiner Gedankenführung so darzustellen, wie es sich normalerweise gehört, so trägt der, der gesprochen hat, nicht die Verantwortung dafür. Das wissen Sie sehr wohl.
Herr Dr. Marx, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Herr Kollege Ehmke!
Herr Kollege Marx, da es sich offenbar um eine Zusammenfassung durch Ihre eigenen Parteifreunde handelt - auch die können sich irren -: Dürfen wir Ihre Antwort so verstehen, daß Sie den Kollegen Egon Bahr weder einen Einflußagenten genannt noch ihn einer prosowjetischen Politik bezichtigt haben?
So ist es. Ich füge aber hinzu, Herr Kollege Ehmke - ich habe das gerade eben gesagt -, daß mich allerdings im Zusammenhang mit den Tätigkeiten des Kollegen Bahr, z. B. TätigDr. Marx
keiten im Zusammenhang mit der geheimen Kontaktaufnahme hinter dem Rücken meiner eigenen Partei, als wir zusammen in einer gemeinsamen Koalition waren, mit der Kommunistischen Partei Italiens,
({0})
um dafür zu sorgen, daß die Politik, die Kiesinger mit Ihnen vereinbart hatte, nicht zum Erfolg kommt, weil zur gleichen Zeit der KPdSU und der SED signalisiert worden ist, daß man, wenn man nach einer Wahl die Gelegenheit habe, eine andere Politik machen werde, dies und vieles andere zu der Frage bringt: Was ist es eigentlich, was den Kollegen Bahr treibt, neben einer offiziellen und oft gegen eine offizielle Politik damals und heute unter dem Vorwand, es handle sich um Denkoperationen zum Jahre 2000, immer wieder den Versuch zu machen, miteinander festgelegte außenpolitische Konzeptionen zu unterlaufen? Es ist klar, daß ich mir diese Frage stelle.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Frau Präsidentin, ich möchte, da ich vorhabe, mich morgen noch einmal zu äußern, jetzt zum Schluß kommen.
Ich möchte noch einmal sagen - ich bedaure, daß dies nicht in ähnlicher Form in Presseberichten geschieht -: ich habe nach meiner besten Kenntnis, nach bestem Wissen und Gewissen zu dieser Sache geantwortet. Ich melde aber an, daß ich eine Reihe schwerwiegender politischer Einwendungen gegenüber den Tätigkeiten des Kollegen Bahr habe. Ich werde mir erlauben, sie hier ohne Rücksicht auf Personen vorzutragen und dann meinerseits zu meinen Fragen Antworten zu verlangen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen zunächst versprechen, daß ich in meiner ganzen Rede mit Sicherheit nicht ein einziges Zitat bringen werde, das irgendein Kollege aus dem Deutschen Bundestag in den letzten zehn oder 15 Jahren in irgendeinem Presseorgan im Inland oder Ausland verwendet hat.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeshaushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. So wird vielfach ein Haushalt beschrieben.
({1})
So ist dies auch in der heutigen Debatte gewesen. Nur hat derjenige, der dieses Zitat verwendet hat, nämlich der Kollege Horst Ehmke, in dieser Debatte mit keinem einzigen Wort zum Bundeshaushalt Stellung genommen. Es war überhaupt ein bemerkenswertes Kennzeichen dieser Debatte, daß ihr eigentlicher Sinn und Zweck, nämlich über den Bundeshaushalt zu reden, von vielen Rednern außer acht gelassen worden ist. Ich muß auch einmal ganz deutlich sagen: Leider Gottes werden hier viel zuviel persönliche, zum Teil von großem Haß erfüllte Tiraden vom Stapel gelassen. Sie sind insgesamt eines Parlaments unwürdig. Wir brauchen uns nicht zu wundern, meine Damen und Herren, wenn angesichts der zum Teil geradezu grotesken Diskussion über die Vergangenheitsbewältigung die Verdrossenheit über dieses Parlament draußen immer größer wird.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Gansel, es tut mir leid - ({0})
Roth!
Herr Kollege Gansel ({0})
- Entschuldigung, die Jungsozialisten schauen alle gleich aus.
({1})
Sie gestatten keine Zwischenfrage?
Nein.
Keine Zwischenfrage, Herr Kollege Roth, tut mir leid.
Herr Kollege Roth, ich möchte jetzt einmal zum Bundeshaushalt reden. Wir beide treffen uns sehr oft; Sie können die Frage an mich bestimmt auch ein anderes Mal loswerden.
({0})
In den Bundeshaushalt gehen alle finanzpolitischen Überlegungen der jeweils amtierenden Regierung ein. Wir müssen bei diesem Haushalt feststellen, daß er das Schicksal des deutschen Volkes in geradezu erdrückender Weise belastet. Er orientiert sich nicht an den mittelfristigen Bedürfnissen unseres Volkes, sondern er ist im wesentlichen das Pro8278
Dr. Riedl ({1})
dukt von Parteitagsbeschlüssen, perspektivlosen Momentreaktionen oder einer falschen Politik. Der Haushalt für das Jahr 1979 ist - das läßt sich bereits jetzt nach der Einbringung bei dieser ersten Lesung hier im Deutschen Bundestag sagen - die neueste Auflage des periodisch erscheinenden Dokuments der Bundesregierung über die Zerrüttung ihrer Staatsfinanzen seit 1969.
({2})
Auch wir von der Opposition wissen natürlich, wie schwer und wie dornenreich die Gestaltung eines an langfristigen Interessen des Volkes orientierten Haushalts ist. Diese Regierung ist aber nahezu allen Schwierigkeiten aus dem Wege gegangen und hat sich ausschließlich als gefälliger, von allen geliebt werden wollender Onkel dargestellt, der in seiner grenzenlosen Güte jedem alles verspricht und dabei ganz genau weiß, daß er seine Zusagen nicht halten kann.
({3})
Diese Perspektivlosigkeit und Unwahrhaftigkeit zeigt sich an einer Reihe von Punkten. Ich möchte einige davon nennen.
Erstens. Die Konjunkturdaten dieses Haushalts sind zu optimistisch.
({4})
Wir ringen gerade darum, 1978 ein reales Wirtschaftswachstum von knapp 3 % zu erreichen. Die Bundesregierung verdrängt dies und geht für 1979 von der opitmistischen Annahme eines realen Wirtschaftswachstums von 4 % aus. Jedermann aber weiß, wie außerordentlich problematisch es ist, dieses Wachstum überhaupt zu erreichen. Wir halten es deshalb für unwahrhaftig, eine solche Annahme dem deutschen Volk als bare Münze zu verkaufen und hier in diesem Haushalt dokumentarisch festzulegen.
Damit wir uns, meine Damen und Herren, recht verstehen: Jedermann in diesem Hause würde sich freuen, wenn wir diese angestrebte Größenordnung für das reale Wirtschaftswachstum erreichten. Nur, mit einer Politik - das ist heute mehrfach gesagt worden -, welche die Investitionsfreudigkeit der Unternehmer hemmt, das Gespenst der Investitionskontrolle ständig wachhält und jedweder Art von Kollektivismus mehr Sympathie entgegenbringt als persönlicher Entscheidungsfreiheit, ist das nicht zu machen.
({5})
Zweitens. Die Ausgabenpolitik insgesamt ist nicht am Staatsinteresse, sondern leider Gottes an Parteitagsbeschlüssen und hier vor allen Dingen an den Parteitagsbeschlüssen der SPD orientiert.
({6})
So hat der Hamburger SPD-Parteitag - er hat sehr vieles beschlossen - zur Haushaltspolitik u. a. beschlossen, daß die gegenwärtige Situation eine expansive Finanzpolitik erfordere. „Langfristig besteht" - so heißt es dort wörtlich - „die Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte; kurzfristig und mittelfristig steht die Politik, durch Einsparung, durch Personalabbau, Einschränkung von Subventionen und öffentlichen Leistungen die Staatshaushalte zu konsolidieren, im Widerspruch zu den Anforderungen an eine beschäftigungsorientierte Finanzpolitik." Der SPD-Parteitag in Hamburg fordert eine expansive Finanzpolitik.
Meine Damen und Herren, genau diese Grundsätze spiegelt dieser Bundeshaushalt wider. Das heißt, kann man auf gut deutsch gesagt, dem Alkoholkonsum ungehemmt frönen, und wenn dann die Leber kaputt ist, sagt man: Jetzt mußt du weniger trinken. Dann ist allerdings der ganze Körper kaputt. So machen Sie es mit dem Bundeshaushalt auch.
({7})
Lassen Sie sich, meine Kollegen von der SPD, auch noch folgendes sagen: Das deutsche Volk besteht nicht nur aus Sozialdemokraten, nicht einmal in seiner Mehrheit. Die amtierende Bundesregierung hat deshalb für die Zeit, für die sie gewählt ist, die Interessen des gesamten Volkes und nicht nur die Interessen von Parteitagsdelegierten in Hamburg zu vertreten. Dieses deutsche Volk will eine sichere Zukunftsperspektive, in der die Risiken möglichst auf ein Minimum beschränkt bleiben.
Folgt man der SPD mit ihrem Parteitagsbeschluß, dann wird die Konsolidierung der Staatsfinanzen erneut vertagt, obwohl die Notwendigkeit hierzu seit 1974 Jahr für Jahr erneut beteuert wird.
({8})
Es scheint Praxis zu werden, diese Konsolidierung immer erst für das übernächste Jahr, also für das Jahr, für das noch kein konkreter Haushalt existiert, anzukündigen. Bei dieser Prozedur ist es auch diesmal geblieben.
Obwohl im Finanzplan für die kommenden Jahre niedrigere Ausgabenzuwächse vorgesehen sind, zeigt sich, daß dies wiederum unwahr und damit falsch ist. Denn bei der jetzigen Haushaltsstruktur kann die Bundesregierung dieses Versprechen nicht einhalten, weil sie eine Reihe ganz beträchtlicher Risiken in diese Finanzplanung eingebaut bzw. Positionen eingesetzt hat, die so mit Risiken behaftet sind, daß es angebracht erscheint, daß der Herr Bundesfinanzminister Matthöfer wenn nicht heute, so vielleicht doch morgen - einmal eine zumindest oberflächliche Bewertung dieser Risiken vornimmt. Ich darf Ihnen einmal einige dieser Risiken nennen.
Erstens. Sie haben z. B. vergessen, den von der Regierung fest zugesagten Ausgleich für die Abschaffung der Lohnsummensteuer an die Gemeinden in die mittelfristige Finanzplanung aufzunehmen. Ich gebe Ihnen zwar zu, Herr Minister, daß dies - gemessen an der Gesamtschuldensumme Ihres Haushalts - eine relativ bescheidene Summe ist, aber es geht immerhin um 1,4 bis 1,5 Milliarden DM.
Zweitens. Was die Zuschüsse an die Bundesbahn angeht, so schreibt die Bundesregierung in ihrem
Dr. Riedl ({9})
Finanzplan, daß sie davon ausgeht, daß die Ausgaben für die Bundesbahn ab 1980 bis 1982 um insgesamt 1 Milliarde DM sinken.
({10})
Leider ist es nach der Verfassung nicht möglich, den Herrn Bundesbahnpräsidenten Vaerst hier ans Rednerpult zu holen, damit er sich einmal bei Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, erkundigt, wie Sie das eigentlich machen sollen.
({11})
Wo sind denn die großen Strukturpläne für die Deutsche Bundesbahn? Es geht auch nicht so, wie es die Kollegen von der SPD immer machen, die diese Fragen umdrehen und an die Opposition richten. Es ist Aufgabe der Regierenden, daß sie uns einmal sagen, wie sie die Verminderung der Zuschüsse an die Deutsche Bundesbahn bei diesen chaotischen Organisations- und Richtungsverhältnissen, wie sie in der Bundesregierung hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Deutschen Bundesbahn bestehen, einplanen wollen.
({12})
Herr Minister, wenn hier nichts Entscheidendes passiert, dann ist auch diese Position eine sehr utopische Erwartung.
Drittens. Sie gehen davon aus, daß die Personalausgaben 1982 im Verhältnis zu 1981 nur noch um 4,4 % ansteigen.
({13})
Bei der Vorausberechnung der Renten geht, die Regierung von einem Anstieg der Löhne um 6 % aus. Herr Bundesfinanzminister, wie wollen Sie das den Bediensteten von Bund und Ländern schmackhaft machen? Ich habe hier vorhin den Herrn Präsidenten Vaerst erwähnt; ich hätte hier auch einmal gern - auch das geht natürlich nicht - den ÖTV-Chef Kluncker, damit er Ihnen hier einmal zu dieser Frage die Leviten liest, einer Frage, die Sie in der mittelfristigen Finanzplanung im Kleindruck - immer in der Erwartung, daß das doch nur wenige lesen - behandelt haben. Das ist ein ganz elementarer Punkt unserer Gesellschaftspolitik! Wie reimt sich das insgesamt alles zusammen?
Viertens. Die Ausgaben für den Energiebereich einschließlich der Kohleförderung sollen ebenfalls ab 1980 herabgesetzt werden, und zwar 1979 um 3 Milliarden DM, 1982 um 1,2 Milliarden DM. Den, den ich jetzt anspreche, könnten wir herholen; er ist nämlich gestern Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen geworden: Holen wir doch den Herrn Rau her und lassen wir ihn einmal sagen, was er aus der Sicht der Regierung von Nordrhein-Westfalen meint, wenn uns der Bundesfinanzminister diese Prognosen hier stellt. Wie wollen Sie das denn im Kohlebereich machen, Herr Minister? Der Kollege Waigel, der Berichterstatter, klagt hier doch jedes Jahr darüber, daß die Politik im Kohlebereich nicht nur eine Stabilisierung dieser Ausgaben, sondern
sogar leider Zuwachsraten erfordere. Und dann reden Sie hier von einer Reduzierung!
({14})
Aber, wie gesagt: Das alles ist in der Finanzplanung im Kleindruck dargestellt und offensichtlich für diejenigen gedacht, die eilige Leser Ihrer Broschüre sein sollen.
Das fünfte Risiko, Herr Minister, über das wir reden müssen: Die mittelfristige Finanzplanung geht von einem durchschnittlichen Zinssatz von 6 % bis 6,5 % bis 1982 aus. Dabei müssen Sie aber doch wissen, daß dies nur eintritt, wenn z. B. bei dem erwarteten Wachstum die riesige Kreditnachfrage des Staates auf eine ebenfalls stark steigende Kreditnachfrage der Wirtschaft stößt. Wenn dies alles umgekehrt ist, wie sieht es dann mit dem Wachstum und mit den Zinssätzen aus? Hierüber, Herr Finanzminister, müssen wir uns hier im Parlament unterhalten, nicht über die - ich will es gar nicht so persönlich sagen - alten Kamellen, die z. B. der Kollege Friedrich vor einer halben Stunde wieder ausgegraben hat.
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Sechstens. Zweifellos ist einer der wichtigsten Ausgabeposten in jedem Haushalt der Posten für die Personalausgaben. Insgesamt sind 2 500 neue Stellen gefordert. Wenn man einmal den Bereich der inneren Sicherheit abzieht, bleiben rund 1 300 neue Stellen, die mit rund 78 Millionen DM zu Buche schlagen und damit eine zusätzliche Belastung bringen. Bezüglich der Personalvermehrung werden wir von der CDU/CSU besonders kritische Maßstäbe anlegen, die sich dahin orientieren, zusätzliches Personal nur dort zu bewilligen, wo ein nachweisbares Personaldefizit vorliegt. Da erwarten wir auch die Unterstützung von SPD und FDP, die ja ganz offensichtlich - ich brauche nur den Kollegen Gärtner anzuschauen - bei den letzten Haushaltsberatungen bereits Ankündigungen in diese Richtung gemacht haben. Wir warten auf die entsprechende Unterstützung bei den Haushaltsberatungen, die ja in diesen Wochen beginnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir bekennen uns dazu, daß der Sicherheitsbereich im Rahmen des von allen politischen Parteien getragenen Ausbauprogramms bis 1981 personell kontinuierlich ausgebaut wird. Aber wir müssen von der Regierung erwarten, daß sie mit dem Geld, das dieses Parlament für die Sicherheit zur Verfügung stellt, auch etwas Vernünftiges anfängt.
({16})
Es tut mir leid, daß ich einige Zahlen nennen muß; aber in einer Haushaltsdebatte ist es absolute Pflicht und Schuldigkeit derjenigen, die im Haushaltsausschuß tätig sind, diese Zahlen zu nennen. Es tut mir leid, daß der Herr Bundesinnenminister nicht mehr hier ist; aber er kann es ja nachlesen. Es macht gar nichts.
. ({17})
1969 hat es beim Bundeskriminalamt insgesamt 933 Planstellen gegeben. Der gesamte Finanzauf8280. Deutscher Bundestag -8. Wahlperiode
Dr. Riedl ({18})
wand beim Bundeskriminalamt betrug 22,4 Millionen DM. 1979 stehen für das Bundeskriminalamt 3 551 Stellen und ein Gesamtfinanzvolumen von 247,5 Millionen DM zur Verfügung. - Herr Minister, schönen Dank, daß Sie gekommen sind. Ich habe es gar nicht als Vorwurf gemeint. Sie konnten ja nicht wissen, daß diese Debatte noch in eine Haushaltsdebatte ausartet.
({19})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: 1969 933 Stellen für das Bundeskriminalamt und 1979 3 551 Stellen. Da darf man doch wohl jetzt erwarten, daß es vor kurzem die letzten Pannen gewesen sind, die beim Bundeskriminalamt passiert sind, um es einmal ein bißchen salopp zu sagen. Man darf aber, um es im Ernst zu sagen, erwarten, daß die politische Führung der Bundesregierung, die politische Führung des Bundesinnenministeriums, die politisch Verantwortlichen in der Koalition, die diese Regierung tragen, alle miteinander mit diesen enormen Finanzsummen ein Optimum an Sicherheitsorganisation in unserem Lande schaffen. Die Ausrede, es läge am Geld, gilt seit langem nicht mehr.
({20})
Ich will jetzt über Bundesgrenzschutz und über das andere nicht mehr reden. Darüber wissen Sie viel besser Bescheid.
Siebtens. Der Dollpunkt im Haushalt und in der Finanzplanung, der eigentliche zentrale Punkt, der uns alle belastet, ist der erschreckende Anstieg der Verschuldung des Bundes.
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Ich möchte hier einmal einige Zahlen nennen, die heute vormittag der Kollege Franz Josef Strauß in sehr plastischer Weise der Öffentlichkeit bekanntgegeben hat. Da mir die Gabe fehlt, diese Zahlen in derartig anschauliche Bilder zu übersetzen, wie es Herr Kollege Strauß gemacht hat, muß ich mich auf die mittelfristige Finanzplanung beschränken.
1979 liegt die Netto-Neuverschuldung bei 35,5 Milliarden DM. Das sind 17,4 v. H. der Gesamtausgaben.
({22})
1979 bis 1982 wird der Bund nach der Finanzplanung der Bundesregierung 131,3 Milliarden DM zusätzliche Schulden machen müssen! 1979 beträgt der Gesamtschuldenstand des Bundes 215,1 Milliarden DM. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland übersteigt damit der Schuldenstand des Bundes die Summe der Gesamtausgaben
({23})
des Bundeshaushalts in Höhe von 204,6 Milliarden DM!
({24})
Im Jahre 1980 werden einem Schuldenstand von 248,7 Milliarden DM Gesamtausgaben in Höhe von 217,2 Milliarden DM, im Jahre 1981 281,1 Milliarden DM Schulden Gesamtausgaben von 228 Milliarden DM gegenüberstehen. Lassen Sie mich das Jahr 1982 auch noch einbeziehen:
({25})
Da sollen die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts 238 Milliarden DM, die Schulden aber 311,1 Milliarden DM betragen. Als ich Präsident von München 1860 geworden war, hatte der Verein 3,4 Millionen DM Schulden. Herr Finanzminister, da konnte ich Tag und Nacht nicht schlafen.
({26})
Heute sind wir schuldenfrei. Wie Sie bei d e r Schuldensumme schlafen können, geht mir beim besten Willen nicht ein!
({27})
- Wir sind schuldenfrei abgestiegen, aber wir werden Sie leider Gottes in Ihrer Verantwortung mit einem Riesenberg von Schulden ablösen müssen. Das ist der Unterschied!
({28})
Jetzt darf ich einmal Konrad Adenauer zitieren, obwohl ich ihn persönlich gar nicht gekannt habe, nachdem andere von der SPD, die ihn so gut gekannt haben, ihn, je länger er tot ist, um so .häufiger und lieber zitieren.
({29})
- Dieses Versprechen, Kollege Hoppe, habe ich nicht gebrochen, weil ich .den Kollegen Adenauer in positiver Weise zitiere!
({30})
Seit 1975 hat der Bund Jahr für Jahr bis zu doppelt so viel Schulden aufgenommen wie von 1950 bis 1969 - in 20 Jahren -, nämlich zusammen 14,3 Milliarden DM! Waren das sparsame Leute!
({31})
Der Bund übersteigt im Haushaltsplan 1978 mit 30,8 Milliarden DM schon zum drittenmal nach 1975 und 1976 die Verschuldensobergrenze. 1979 beträgt der Schuldendienst - für die Gemüter, die sich nur mit der Außenpolitik und mit der Vergangenheitsbewältigung befassen, darf ich sagen: Schuldendienst ist die Summe von Zinsen und Tilgung ({32})
33,6 Milliarden DM, das sind 16,4 % der Gesamtausgaben. 1982 erhöht sich dieser Betrag auf 44 Milliarden DM; das sind 18,5 % der in Aussicht genommenen Ausgaben.
Dann gibt es hier Leute von der Regierung, die so, wie es der Herr Bundesfinanzminister in seiner
Dr. Riedl ({33})
Einbringungsrede gemacht hat, nicht ein einziges Mal - Herr Minister, ich habe es noch einmal nachlesen lassen!
({34})
- Nicht nur Bundeskanzler lassen nachlesen, auch ganz einfache Abgeordnete.
({35})
- Auch Präsidenten. - Herr Finanzminister, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede nicht ein einziges Mal das Wort „sparen" genannt.
({36})
Das muß man sich einmal vorstellen! Das Wort „sparen" ist offensichtlich für Sie ein originäres Fremdwort!
({37})
Um sich dieses drückende Zahlenbild realistisch zu verdeutlichen, heißt dies im Klartext: Der Schuldendienst - also Zinsen und Tilgung - ist 1979 höher als die Summe der gesamten Verkehrsausgaben, viermal so hoch wie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, sechsmal so hoch wie die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft des Bundes, und ab 1980 übersteigt der Schuldendienst die Gesamtausgaben für die Verteidigung, und schließlich übersteigt 1980 der Schuldendienst die gesamte Netto-Neuverschuldung in Höhe von 33,5 Milliarden DM!
({38})
Darauf müssen Sie auf Ihren Parteitagen, meine Damen und Herren, Herr Kollege Brandt, Herr Kollege Wehner und wie Sie alle heißen, einmal eine Antwort geben, statt sich hier in polemischen Haßtiraden zu ergehen, wenn es um den Bundeshaushalt geht.
({39})
Die Bundesregierung stößt bei ihrer Verschuldungspolitik massiv an die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes. Sie stößt mit dem Kopf, wie man .bei uns zu Hause sagt, an die Decke und sogar darüber hinaus.
({40})
- Meine Damen und Herren, ich weiß schon, Sie bezweifeln das mit dem Kopf. Ich habe das Substantiv „Kopf" im Zusammenhang mit der Bundesregierung auch nur deshalb gebraucht, um meinen Vergleich plausibel zu machen.
({41})
Wir werden sorgfältig darauf achten, daß die Bundesregierung nicht durch Täuschungstricks oder künstliche Aufblähung der investiven Ausgaben eine Chance bekommt, diese verfassungsrechtliche Grenze einfach zu ignorieren. Es erfüllt uns mit Genugtuung, auf den durch Initiative der Opposition einstimmig herbeigeführten Beschluß des Deutschen
Bundestages vom 13. April 1978 hinzuweisen, ab 1979 Art. 115 des Grundgesetzes zu berücksichtigen.
({42})
Damit hat das gesamte Parlament seinen festen Willen bekundet, daß die Überschreitung der Verschuldungsobergrenze kein Dauerzustand sein kann. Demgegenüber hat die Bundesregierung diesen Beschluß einfach zur Seite gefegt und erneut die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes überschritten, indem die Kreditaufnahme in Höhe von 35,5 Milliarden DM die Summe der Investitionen von 33,58 Milliarden DM überschreitet.
Ich brauche in diesem Zusammenhang auf die der Bundesregierung nachgewiesenen Verfassungsverstöße nicht hinzuweisen.
({43})
Hier bahnt sich aber ganz offensichtlich ein neuer Verfassungskonflikt an. Ich möchte aus Zeitgründen - Herr Finanzminister, wir werden dies im Haushaltsausschuß natürlich sehr intensiv besprechen - auch nicht auf die Buchungstricks eingehen, die Sie angewandt haben, um die Obergrenzen zu manipulieren.
({44})
Ich will Ihnen nur zwei Beispiele nennen. Sie haben die Investitionen im Forschungsbereich künstlich -aufgebläht und damit die Investitionssumme erhöht. Zum anderen haben Sie die ungedeckten Fehlbeträge der Bundesbahn als Investitionen ausgewiesen. Dies. wäre ein neuer Tip für die Unternehmer, wenn sie nicht mehr zurechtkommen. Bei dieser Regierung wird langsam auch im finanziellen Bereich alles möglich. Wenn man ungedeckte Fehlbeträge als Investitionen ausweist, müssen alle Professoren der Betriebswirtschaftslehre ihren bisher geschriebenen Büchern einen Anhang anfügen, damit sie ihren Studenten das erklären können.
Es ist unerträglich, von Jahr zu Jahr, wie wir es ja erleben, mit neuen Verschleierungstricks konfrontiert zu werden, um eine vom Grundgesetz bestimmte Verschuldungsgrenze zu umgehen. Die einzige Antwort, die auf die Frage zu geben ist, wie eine Bundesregierung - ganz gleich, von welcher Seite sie gestellt ist mit dieser geradezu irrsinnigen Verschuldung und mit diesen irrsinnigen Finanzproblemen fertig wird, ist, daß - dies ist eine langwierige und schwierige Aufgabe; Franz Josef Strauß hat das heute früh gesagt - die Zuwachsraten des Haushalts, Herr Bundesfinanzminister, zwar vielleicht nicht auf einen Schlag, aber' sukzessive und sofort beginnend, an die Zuwachsraten des realen Nettosozialprodukts angepaßt werden. Das müssen Sie zur. Grundlage Ihrer, Politik machen. Sonst sind Sie in zwei Jahren mit Ihrem Latein am Ende.
({45})
Herr Finanzminister, dazu gehört politischer -Mut.
Eine Regierung, die stark ist, müßte diesen politiDr. Riedl ({46})
schen Mut haben. Eine Regierung, die schwach ist, produziert einen solchen Haushalt.
({47})
Ich muß in diesem Zusammenhang noch einmal kurz den Vorschlag der FDP aufgreifen aus den Reinerträgen der Deutschen Bundespost eine Milliarde DM in den Bundeshaushalt zu überführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so anerkennenswert das Bestreben ist, hierdurch die Einnahmen des Bundes zu erhöhen und damit die Verschuldung des Bundes um eine Milliarde DM zu verringérn, so muß doch folgendes festgehalten werden:
({48})
- Der Herr Gscheidle ist von dieser Nachricht so betroffen, daß er nach Hause gegangen ist und seine Bilanz nachliest. - Die Erweiterung der Ablieferungspflicht der Bundespost bedeutet im Ergebnis, daß der Telefonbenutzer in der Bundesrepublik Deutschland zur Deckung des Haushaltsdefizits der Bundesrepublik Deutschland herangezogen wird. In unserem Land sind die Telefongebühren- zu hoch. -Soll doch der Herr Bundeskanzler am Brahmsee einmal in eine Telefonzelle gehen und seine Genossen beispielsweise - das könnte ja nicht schaden - in München anrufen, und dies bei Tag. Da wird er einmal merken, wie teuer das Telefonieren in unserem Land ist.
Eine verantwortungsbewußte Bundesregierung würde hier zunächst einmal an die Postbenutzer den- ken, die das Telefon nicht deshalb benutzen, damit sie das Defizit des Bundes bezahlen, sondern weil sie das Telefon brauchen. Wenn man hier durch eine überhöhte Tarifpolitik Gewinne in dieser Höhe erzielt, dann sollte man dies doch nicht deshalb tun, um diesen miserablen Bundeshaushalt, wenn auch nur einigermaßen, durch diese eine Milliarde auszugleichen. Mit uns kann man über diesen Punkt - wir haben in der Vergangenheit darüber ja auch Entscheidungen herbeigeführt - überhaupt nur dann wenigstens in Ansätzen reden, wenn die Koalition bei den Beratungen im Haushaltsausschuß mindestens das Doppelte bis Zweieinhalbfache an eigenen Kürzungsvorschlägen vorlegt. Nur herzugehen, der Post eine Milliarde wegzunehmen und dann den guten Haushalt laufen zu lassen, das geht mit der CDU/CSU nicht. .
({49})
Herr Kollege, gestatten Sid eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})?
Herr Kollege Müller, ich habe dem Kollegen Roth schon gesagt: Ich möchte meine Ausführungen zusammenhängend machen.
({0})
-- Herr Kollege Müller, sind Sie doch auch, im
Haushaltsausschuß ein außerordentlich netter und
liebenswerter Kollege: da fragen Sie mich immer
nur, ob ich Durst habe; aber konkrete Fragen stellen Sie mir im Haushaltsausschuß nicht.
({1})
Ausgerechnet im Plenum kommen Sie mit Sachfragen. Das können wir doch im Haushaltsausschuß machen!
Ich komme zum Schluß. Der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister haben wiederholt betont, . wie notwendig die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, also -der Abbau der Defizite und der Verschuldung, sei. Aber bisher gibt es keine klare Planung, wie das in den öffentlichen Haushalten neu entstandene strukturelle Defizit während der folgenden Jahre konsolidiert werden soll. Alles, was wir tun müssen, erfordert . Sparsamkeit und Augenmaß und niedrigere Ausgabenzuwächse auf allen Ebenen unseres Staates ohne Angst vor Tabus. Zu den Führungsaufgaben der Regierung gehört es, mittel- und längerfristig Maßnahmen zur Sanierung der Finanzen von Staat und Sozialversicherung vorzulegen. Wir von der Opposition fordern die Bundesregierung auf, ihrer Pflicht nachzukommen. Wir wollen keine knackigen Worte, keine strammen Reden, keine Appelle an die Leistungskraft des deutschen Volkes - wie das beim Herrn Bundeskanzler gang und gäbe ist -, und schon gar nicht Ausreden von wegen Weltwirtschaft. Wir wollen pflichtbewußtes Handeln im Interesse unseres Volkes und für die nächsten Jahre einen Haushalt, der dieser verheerenden finanziellen Entwicklung in unserem Land ein Ende macht.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Häfele hat gestern mit Emphase ausgeführt, die zehn Konjunkturpro- gramme hätten nichts gebracht.
({0})
Der Bundeswirtschaftsminister hat . eine Antwort darauf gegeben. Der Höhepunkt der Rede von Herrn Häfele war der Ausruf: Was hätte man mit den 50 Milliarden für eine Politik machen können, wenn man sie nur mutig und wuchtig für Steuersenkungen eingesetzt hätte!
({1})
Ja, sehr wahr. Sagen Sie mal: Glaubt die Opposition denn wirklich, daß wir in einer Phase welt' weiter wirtschaftlicher Stagnation
,({2})
konjunkturpolitisch eine Insel der Seligen darstellen können?
({3})
Glaubt sie wirklich,. daß ein Land wie das unsere,
dessen wirtschaftliche Entwicklung im Innern entscheidend von seinen Exportmöglichkeiten abhängt,
({4})
ohne Rücksicht auf unsere wichtigsten Partner handeln könnte? Glaubt sie denn wirklich, daß wir unseren Partnern unseren Willen aufzwingen können?
Ich will Ihnen mal das eine sagen: Der Traum, der - wie ich meine - Alptraum von einem großen Deutschland, das Europa beherrscht, läßt sich nicht wirtschaftspolitisch erfüllen, nachdem wir machtpolitisch zweimal ein schreckliches Erwachen aus ihm erlebt haben. Die beste Garantie für die gedeihliche Entwicklung unserer Wirtschaft und damit unserer gesellschaftlichen Wohlfahrt besteht darin, daß wir uns in das Konzert der friedlichen und freiheitlichen Völker einordnen und dort unseren Part spielen,
({5})
der zwar wichtig, aber nicht allein tonangebend ist.
Genau das ist auf dem Bonner Wirtschaftsgipfel geschehen. Sieben Länder haben sich zum gemeinsamen Handeln entschlossen, um die weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden.
Herr Strauß hat diese Konferenz als „Showbusiness" bezeichnet. Wer so spricht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist weder für das deutsche Volk noch für unsere Partner draußen eine Alternative zur jetzigen Regierung.
({6})
- Ich weiß, lieber Herr Stavenhagen, daß die Wahrheit mitunter wehtut.
({7})
Aber diese Schmerzen, lieber Herr Stavenhagen, kann man nur mit einer einzigen Tablette stillen, und das ist die Einsicht. Um die müssen Sie sich langsam bemühen.
({8})
Diese Einsicht gewinnen Sie nicht, wenn Sie Ihren Blick nicht auch einmal über die Grenzen hinwegschweifen lassen. Ich weiß, Konservative hatten es schon immer schwer, sich in die Empfindungen und Entwicklungen anderer Völker einzufühlen.
({9})
Zurück zu Herrn Häfele. Herr Häfele meint offensichtlich, daß die wirtschaftlichen Probleme ganz allein mit Steuersenkungen und großer Sparsamkeit beim Bund zu lösen wären. Bei den Ländern wird ja nicht so sehr gespart, Herr Stavenhagen. Das mag sein; das wollen wir gar nicht bestreiten. Aber dann muß man es hier abseits von unqualifizierten Zwischenrufen und abseits von formal gekonnter, aber inhaltlich sehr fragwürdiger Rhetorik begründen und darlegen: Wie helfen wir denn mit Steuererleichterungen z. B. der Stahlindustrie und dem Kohlebergbau an der Ruhr und im Saargebiet? Wie helfen wir denn mit Steuererleichterungen der Werftindustrie? Wie sichern wir denn die Arbeitsplätze in diesen gefährdeten Branchen? Wie fördern wir denn mit Steuererleichterungen unsere Landwirtschaft, indem wir die Agrarstruktur ständig verbessern? Wie gelangen wir denn durch Steuererleichterungen zu einem besseren Umweltschutz? Wie kommen wir denn durch Steuererleichterungen zu einer in jeder Hinsicht sicheren Energieversorgung? Wie stärken wir durch Steuererleichterungen unsere innere Sicherheit? Wie bezahlen wir durch Steuererleichterungen das familienpolitische Programm, das gestern unsere Kollegin Frau Geier hier dargelegt hat? Wie fördern wir die Forschung in unserem Lande, damit unsere Produkte auch morgen noch in der Welt gefragt sind? Wie. wahren wir durch Steuererleichterungen unsere sozialen Errungenschaften?
Das sind Fragen über Fragen, die nicht einmal im Ansatz von der Opposition bisher beantwortet worden sind. Wenn Sie von Steuererleichterungen sprechen, dann wollen Sie, daß die gering Verdienenden zusätzlich einige Groschen in die Hosentaschen bekommen, damit die gut Verdienenden einige Hundertmarkscheine zusätzlich in ihre Brieftaschen einstecken können.
Uns werfen Sie immer vor, daß wir verteilungspolitisch argumentieren, und zwar auch dort, wo es nicht angebracht sei. Aber Sie führen mit Ihren steuerpolitischen Vorstellungen einen permanenten Verteilungskampf zugunsten der Wohlhabenden, und da machen wir nicht mit.
({10})
Es ist zwar nicht populär, aber es muß angesichts des Geredes von dem übermächtigen Staat, der sich Geld aneignet, das ihm nicht zusteht, einmal ganz deutlich gesagt werden: Große soziale, wirtschaftliche und strukturelle Aufgaben werden nicht bewältigt mit dem Wechselgeld in ,den Taschen von Millionen, sondern mit der zusammengefaßten Finanzkraft aller, die der demokratisch legitimierte und der demokratisch kontrollierte Staat einsetzt und verwaltet.
Das hat nichts mit unserem Bekenntnis zur Marktwirtschaft zu tun. Herr Strauß verdächtigt uns gerne, daß wir von der marktorientierten Wirtschaftsordnung weg wollen. - Ein Irrtum. Wir möchten nur dafür sorgen, 'daß die marktorientierte Wirtschaftsordnung nicht zu einem gnadenlosen Kampf aller gegen alle pervertiert. Sie soll auch außerhalb der Hochkonjunktur ihre soziale Aufgabe erfüllen, und das kann sie nur, wenn man sich um ihre Funktionsfähigkeit kümmert.
({11})
Wie wir unser wirtschaftliches und soziales System bewahren wollen, kann in der soliden und ehrlichen Haushaltsrede des Bundesfinanzministers nachgelesen werden.
({12})
Da finden Sie, genau mit Zahlen belegt, Position für Position, auf die wir unser finanzielles Schwergewicht legen wollen, um mehr wirtschaftliches Wachs8284
turn, um mehr Vollbeschäftigung zu erreichen. Das brauche ich hier an dieser Stelle nicht noch einmal zu wiederholen.
Natürlich gibt es im Haushalt und in der Finanzplanung einige Risiken, auf die auch Herr Dr. Riedl hingewiesen hat. Aber was soll denn in den Finanzplan hineingeschrieben werden? Soll der Bundesfinanzminister vielleicht durch seine Angaben im Finanzplan die Gewerkschaften anreizen, noch höhere Lohnforderungen zu stellen? Das wäre doch wohl auch nicht das Richtige.
Die hohe Nettokreditaufnahme von 35,5 Milliarden DM bereitet natürlich auch uns Schwierigkeiten und Sorge. Keineswegs fegen wir etwas von den Besorgnissen und Gefahren unter den Teppich, wie Herr Strauß es uns unterstellt. Aber wir setzen die Gefahren, die sich aus der hohen Nettoverschuldung ergeben, zu den Gefahren in Beziehung, die von einer weiteren Stagnation der Wirtschaft ausgehen können und die die soziale Befindlichkeit der Völker tangieren könnten. Dann erst entscheiden wir. Die Zahlen im Haushalt müssen natürlich stimmen, aber die Zahlen über Vollbeschäftigung, über Arbeitslosigkeit, über Volkseinkommen, über soziale Sicherheit und über Lebensqualität müssen auch stimmen. Sonst stimmen der gesamte Staat und die gesamte Gesellschaft nicht mehr.
Das ist ein gewisser Unterschied im Vergleich zu dem Fußballverein München 1860, den ich nicht erwähnt hätte, wenn ihn nicht der Herr Präsident dieses Vereins in die Debatte eingeführt hätte. Er ist glücklich, wenn sein Verein schuldenfrei absteigt. Unsere Aufgabe allerdings muß es sein, auf der Höhe zu bleiben oder sogar aufzusteigen - auch wenn wir ein paar Schulden machen müssen.
({13})
Das ist der große Unterschied zwischen München 1860 und . der Bundesrepublik. Ich hoffe, daß das auch einmal klargeworden ist.
({14})
Das Motto „Haushalt in Ordnung, Gesellschaft kaputt" kann keine Alternative sein. Wir müssen andere Wege suchen.
Der Haushalt ist nicht Selbstzweck, sondern er hat eine dienende Funktion gegenüber der Gesellschaft. Deshalb haben wir Sozialdemokraten uns die vorrangige Aufgabe gestellt, den Haushalt darauf kritisch abzuklopfen, inwieweit er seine wirtschafts-
und gesellschaftsstabilisierende Aufgabe erfüllt. Wenn wir dabei auf Möglichkeiten für Einnahmeverbesserungen oder Ausgabensenkungen stoßen, werden wir sie selbstverständlich wahrnehmen. Wir Sozialdemokraten sind dafür bekannt, daß wir für besonders hohe Effektivität eintreten.
({15})
Der Herr Kollege Hoppe hat in seinem Beitrag die Rückkehr zur Vernunft als dringend notwendig bezeichnet. Ich stimme ihm zu. Jeder, der sich von der-Vernunft entfernt hat, sollte zu ihr zurückkehren. Wir Sozialdemokraten werden uns dabei wohl nicht
die Füße wundlaufen müssen. Das werden wohl die anderen tun müssen.
Eine hohe Neuverschuldung, wie sie für das nächste Jahr vorgesehen ist, darf nicht zu einer ständigen Finanzierungsquelle des Bundes werden. Sie muß ein Mittel bleiben, das allein der Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts vorbehalten bleibt. Solange dieses Gleichgewicht allerdings noch nicht erreicht ist, ist es wenig sinnvoll, ohne jede Alternative ständig über die hohe Neuverschuldung zu klagen: Brüning darf seine Schatten nicht auf uns werfen.
({16})
Als Herr Strauß vorhin die Frage „Wie stark wollen Sie eigentlich noch die künftigen Generationen belasten" gestellt hat, habe ich daran gedacht, wie z. B. meine Generation durch eine ganz bestimmte Fiskalpolitik belastet worden ist, die letztlich dazu führte, daß jemand die Macht in Deutschland ausüben konnte, der dieses Volk in den Abgrund geführt hat.
Heute sind wir in einer Situation, daß von einer Million Arbeitslosen keine politischen Gefahren ausgehen, weil wir eine vernünftige Finanzpolitik und eine vernünftige Sozialpolitik treiben. Das muß man einfach mal zur Kenntnis nehmen.
({17})
- Das Urteil, ob die vergleichbar oder nicht vergleichbar sind, Herr Carstens, sollten Sie erstens den Historikern und zweitens den Fachleuten überlassen. Darüber könnten wir eine ganze Menge reden.
Der Deutsche Bundestag hat einstimmig eine Entschließung verabschiedet - Drucksache 8/1589 -, in der die Regierung aufgefordert wird, im Haushaltsplan 1979 ein Zeichen der Konsolidierung zu setzen.
({18})
- Ach, was heißt denn „Nix ist" ? Sie machen es sich ja sehr bequem. Wer hat das denn gesagt? Der Dr. Waigel, na ja.
Die Regierung wäre dazu in der Lage gewesen. Herr Dr. Waigel, ich muß Sie an das Wort erinnern, das gestern der baden-württembergische Ministerpräsident gesprochen hat und das zu beherzigen sehr sinnvoll ist. Er hat nämlich gesagt: sich nicht so viele Grundsätze um die Ohren schlagen, sondern zunächst einmal rechnen. Die Regierung wäre in der Lage gewesen, das Gebot dieser Entschließung zu erfüllen. Theoretisch hätte der Haushalt so aussehen können: Ausgaben knapp 200 Milliarden DM, d. h., dieser Ausgabenstand wäre sogar noch etwas niedriger gewesen als im mittelfristigen Finanzplan aus dem Vorjahr vorgesehen; die Einnahmen hätten bei rund 172 Milliarden DM gelegen; es hätte also eine Nettokreditaufnahme von 28 Milliarden DM bei einem Investitionsanteil von 33 Milliarden DM gegeben, d. h., wir wären mit der Nettokreditaufnahme um 5 Milliarden DM unter dem Investitionsanteil geblieben.
Aber wir sind nicht allein auf der Welt. Unsere Gipfelverpflichtungen, über die hier schon lange
genug gesprochen worden ist, müssen wir ohne Wenn und Aber Punkt für Punkt erfüllen. Wir müssen es schon deshalb, damit wir möglicherweise die anderen Lander daran erinnern können, nun auch ihrerseits ihre Verpflichtungen zu erfüllen, Verpflichtungen, die für die wirtschaftliche Entwicklung bei uns von großer Bedeutung sind.
Meine Damen und Herren, ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland kann sich nicht handelspolitisch weltweit orientieren und sich gleichzeitig bei der Haushaltsberatung auf das vermeintliche nationale Interesse eines sparsamen Haushalts zurückziehen. Das ist ein Widerspruch in sich selbst. Der Bundesfinanzminister hat am Eingang seiner Rede die zweifelsohne schwierige haushalts- und finanzpolitische Situation damit umrissen, daß er sagte:
Wir stehen ... vor der schwierigen Aufgabe, den richtigen Mittelweg zwischen zwei gleichermaßen wichtigen Zielen zu finden: Einerseits müssen wir alle Kräfte darauf konzentrieren, die weltweit unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern . Andererseits hat die jährliche Nettokreditaufnahme und die daraus erwachsende Verschuldung einen Umfang erreicht, der zu größter Sogfalt bei der Gestaltung des Bundeshaushalts zwingt.
Diese Maxime des Bundesfinanzministers wird für die sozialdemokratische Fraktion die Grundlinie für die Beratung des Haushalts sein, und ich lade alle Fraktionen dazu ein, dieser Maxime im Interesse unseres Volkes zu folgen.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Riedl hat eigentlich das Kompliment verdient, daß er die erste Haushaltsrede für die Opposition am heutigen Tage gehalten hat. Ich finde das prima. Es waren die berühmten Ausnahmen dabei, aber immerhin.
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- Ja, Herr Haase, das bestreite ich nicht. Ich fand das gut. Ich bin ja von daher auch ganz dankbar dafür, daß man dem Betrag, den wir zur Beratung anstehen haben, nun wenigstens noch ein paar Minuten widmet. 204 Milliarden DM handeln wir inhaltlich quasi in einer Stunde ab; ich finde, das ist eine erstaunliche Sache. Ich bin nicht sicher, ob wir uns dieses Verfahren auch in Zukunft noch leisten sollten. Mir scheint, dies hat das Parlament insgesamt nicht verdient. Wir sollten wohl nicht abends um 9 Uhr über solche wichtigen Sachen diskutieren.
Vorab eine Bemerkung zu den Ausführungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Er hat hier natürlich hervorragend gewirkt; der Ton schwäbische Sprache etwas mehr Freundlichkeit in diesen Saal gebracht hat.
war auch, wie ich fand, sehr neu. Er hat natürlich auch dadurch an Eindruck gewonnen, daß die
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- Er hat natürlich sehr viel gespart; das muß ich sagen. Er war sehr sparsam, insbesondere dann, wenn es um konkrete Problemlösungen ging;
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ich will auch dazu noch etwas sagen.
Lassen Sie mich noch ganz nüchtern über das reden, was Herr Späth hier vorgetragen hat. Die Formel, daß man dem Staat weniger Geld geben soll - man soll dem Bürger Geld zurückgeben -, ist für meine Begriffe etwas mißverständlich. Denn in diesen Ausführungen schimmert der Versuch durch, diesen Staat als anonymen Moloch darzustellen. Der Staat ist schließlich nicht irgendwer. Der Staat ist, wenn ich das richtig verstanden habe - auch in den großen Ausführungen, die am heutigen Tage schon von der Opposition gekommen sind -, ein demokratischer Staat. Von daher ist es gar nicht so schlecht, finde ich, wenn der Bürger dem Staat auch das Geld gibt, damit bestimmte Aufgaben auch erledigt werden. Es müssen auch die Aufgaben für die Bürger erledigt werden, die bestimmte Dinge sich aus ihrer eigenen Tasche nicht finanzieren können.
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- Herr Friedmann, es ist zwar sehr spät, aber diese Bemerkung will ich Ihnen gern zurückgegeben. Wer dies anders sagt, d. h., daß der Staat weniger Geld bekommen soll, der muß aber dann auch deutlich sagen, welche Aufgaben der Staat nicht mehr auszuführen hat. Es genügt nicht, einfach zu sagen, der Staat müsse weniger Geld bekommen. Dann muß man auch deutlich machen, welche Aufgaben der Staat nicht mehr finanzieren bzw. ausführen soll. Sicherlich ist es notwendig, sich zu überlegen - besonders wenn man sich die bayerischen Verhältnisse ansieht -, ob nicht auch dort der Staat einige Aufgaben an Bürger, an Kommunen zurückgeben, delegieren kann. Die kommunale Verwaltungsreform hat auch dort ihre besonderen Blüten getrieben.
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Zu den eigentlichen Problemen sollten wir dann kommen, wenn wir über die Themen sprechen, die uns auch noch in den nächsten Jahren als Parlament beschäftigen müssen, nämlich nicht nur die Frage, was heute der Staat nicht mehr einnehmen soll - und darunter wird immer der Bund verstanden -, sondern die Frage, welche Aufgaben und Finanzen die drei Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - zu kriegen haben. Wenn wir da nicht endlich eine vernünftige Finanzverfassungsreform bekommen, werden wir jedes Mal eine Debatte haben über Probleme, wie sie sich jetzt auch z. B. ergeben in Sachen der Abschaffung der Lohnsummensteuer. Die Steuerabschaffung zeigt im Grunde
8286 Deutscher Bundestag -S 8. Wahlperiode Gärtner
genommen, daß wir unsere Finanzverfassung nicht mehr vollständig im Griff haben. Die Aufgaben für die drei Ebenen stimmen nicht mehr mit den entsprechenden Finanzmitteln überein.
Das Thema Mischfinanzierung ist hier auch schon einmal debattiert worden. Ich verstehe manche Kommunalpolitiker in Nordrhein-Westfalen nicht, die beklagen, daß .ihnen die Lohnsummensteuer weggenommen wird. Sie sagen, damit hätten sie eine wichtige eigene Einnahmequelle und einen bestimmten Teil des Haushalts nicht mehr in der Hand. Wenn man Kommunalhaushalte sieht, die auch in Nordrhein-Westfalen bis zu einem Drittel mischfinanziert sind, wo im Grunde niemand mehr etwas zu sagen hat, sondern nur noch die Verwaltung, frage ich mich, ob man nicht darüber . noch länger debattieren sollte und da endlich etwas machen sollte.
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Das, was Herr Kollege Biedenkopf heute mittag ausgeführt hat, war in Teilen zustimmungsfähig.
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- Herr Biedenkopf ist gnädig?
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- Warum auch nicht? Sie kennen mich doch lange genug. Das merken Sie doch.
Die Theorie „Enteignung durch Verschuldung" halte ich für eine sehr einfache, holzschnittartige Theorie. Sie ist nach meinem Eindruck völlig falsch.
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Ich würde Ihnen, wenn das nicht so lange dauerte, das Grundgesetz zitieren. Was wir verfassungspolitisch machen, ist ja z. B. nach Art. 115 möglich. Wir können uns nur darüber unterhalten, ob der vorgelegte Haushalt nicht dennoch bestimmte Kürzungen verträgt, obwohl bei außenwirtschaftlichen oder binnenwirtschaftlichen Schwierigkeiten die Nettokreditaufnahme höher sein kann als die Investitionsquote.
Ich bin nur immer etwas überrascht, daß von denen, die das Problem hier in die Debatte einführen, gleichzeitig noch ein Paket mitgeliefert wird, wie das Ganze noch teurer gemacht werden kann.
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Das sollte man sich vorher überlegen. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, sollten wir nicht nur versuchen, den Umfang der Kredite, d. h. der Verschuldung, -herunterzufahren, sondern uns gleichzeitig auch bemühen, nicht in einer Ansammlung von allen möglichen Zeitungsausschnitten jeweils noch ein Stück darauf zu legen.
Ich habe Herrn Häfele hier erlebt, der eine ganze Menge Geld zusätzlich nicht einnehmen will, und am nächsten Tag den Herrn Biedenkopf, der auf der anderen Seite in verschiedenen Ausführungen z. B. zur Dynamisierung. des Kindergeldes sich bereit gefunden hat. Wer hat was dagegen, aber die Frage ist: Wer kann es finanzieren? Gleichzeitig sagt er hier im Parlament, daß die Verschuldung eine Enteignung bedeute. Da kann ich nur sagen: insoweit ist auch er an der Enteignungspraxis beteiligt. Man muß eben aufpassen, was man vorschlägt.
Über den Zusammenhang von Entschuldung und Abstieg ist eben schon einmal gesprochen worden. Ich fand es ganz nett, daß ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie das zu schnelle Entschulden zu ganz merkwürdigen Ergebnissen führt.
Die publizistische Diskussion zur Lohnsummensteuer hat ja übrigens eines deutlich gemacht: daß es in diesem Lande offenbar nicht so einfach ist, eine Steuer abzuschaffen. Es gibt eine ganze Menge Leute, die behaupten, daß das ginge. Ich habe das einmal von dem rheinland-pfälzischen Finanzminister gehört, der von der Bundesratsbank hier in die Diskussion eingriff und vorschlug, ein ganzes Tableau von Steuern einfach abzuschaffen. Ich möchte gerne einmal wissen, welche Folgen das im Zusammenhang mit der Verschuldung oder mit den anderen Problemen hat, die sich natürlich aus der Forderung nach Ausgleich ergeben.
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- Wenn Sie z. B. die Forderung nach Abschaffung der Lohnsummensteuer, der Gewerbeertrag- und der Gewerbekapitalsteuer erheben und sich dann fragen, welche Gemeinde in dieser Form noch eine In-. vestition tätigen will, werden Sie natürlich auch eine Antwort darauf geben müssen, ob Sie nicht einen bestimmten anderen Ausgleichsmechanismus einbauen müssen, damit der Anreiz für Investitionen auch weiterhin gegeben ist; sonst gibt es eben keine Gemeinde mehr, die sich noch bereit erklärt, ein bestimmtes Unternehmen ansiedeln zu lassen. Ich wollte mit dieser Bemerkung nur darauf hinweisen: Es ist einfach, über die Abschaffung oder Vereinfachung von Steuern zu reden; auf der anderen Seite ergeben sich daraus aber wiederum Probleme.
Dann noch etwas zu Herrn Späth: Sparsamkeit sollte nicht zum Sankt-Florian-Prinzip nach dem Motto ausarten, die Länder könnten zwar nicht sparen, aber möglicherweise die. Gemeinden und auf jeden Fall der Bund. Der Ministerpräsident hat selbst ein deutliches Beispiel geliefert, daß es in seinem Land einen Bereich gibt, in dem noch ganz kräftig gespart werden kann. Das sind nämlich die Personalkosten. Das Land Baden-Württemberg hat mit seinem Anteil von 44 % des Haushalts - vom Ministerpräsidenten zugegeben, also keine Erfindung von mir - einen der höchsten Sätze. Das Land Nordrhein-Westfalen, das eine ganze Menge mehr Einwohner hat, liegt bei knapp 39 %.
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- Aber Herr Stavenhagen, hören Sie einmal: Das Land Nordrhein-Westfalen ist doch kein Land ohne Lehrer. Oder?
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- Das bestreite ich ja nicht. Nur, wenn man hier als Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg auftritt und dem Bund sagt, wo er überall sparen könne, kann ich als Bundespolitiker darüber hinaus doch sagen: Das Land Baden-Württemberg möge dann doch, soweit es um Vergleichszahlen geht, glaubhaft darstellen, z. B. bei den 44 % Personalkosten, in welcher Form Einsparungen in den Ländern vollzogen werden. Man kann doch nicht immer nur gute Ratschläge geben, sondern man muß die Ratschläge, die man gibt, auch selbst praktizieren.
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- Ja, ich gehe davon aus, daß Sie, Herr Kollege Waigel, die ganze Zeit zugehört haben.
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- Lieber Herr Kollege Waigel, was heute morgen von einem hervorragenden Vertreter der Spezies dieses kleinen Bergvolkes da unten hier vorgetragen worden ist, hatte mit dem Bundeshaushalt fast nichts zu tun. Daß Sie das ertragen konnten, ist eine ganz andere Geschichte. Sie werden natürlich sagen, Herr Kollege Waigel, für Sie ist es das letzte Mal gewesen, daß er Ihnen als Mitglied dieses Parlamentes noch einmal diese Knute zeigen konnte. Aber ich fand das nicht besonders gut.
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Die Regierung hat uns genügend Hinweise gegeben, daß wir einsparen können.
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- Herr Stavenhagen, bei dem Nachtragshaushalt haben wir doch bewiesen, daß wir das, was die Regierung vielleicht nicht vermag, als Parlament sehr wohl durchsetzen können. Seien wir doch selbstbewußt, und machen wir das.
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- Ich verstehe gar nicht, warum man sich darüber aufregt, daß das Parlament arbeitet. Ich finde das gar nicht so schlecht. Beim letztenmal fand ich es jedenfalls gut. Der Kollege Carstens hat das damals wohl auch mit einer gewissen Freude gemacht. Ich gehe davon aus, daß wir das in anderen Bereichen noch einmal in ähnlicher Weise hinkriegen.
Die Koalitionsfraktionen werden sich - Herr Kollege Löffler hat das bereits angedeutet, auch Herr Hoppe hat das heute morgen gesagt - zum Nutzen des Staates sicherlich alle Einzelpositionen daraufhin ansehen,
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ob sie wirklich zur Abwehr von wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf die Höhen gefahren werden müssen, wie es im Augenblick im Haushalt vorgesehen ist. Ich weiß beispielsweise nicht, ob ohne
weiteres ein Zusammenhang zwischen Reisekosten und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht herzustellen ist. Aber ich bin sicher, daß man auf diesem Wege zu gewissen Einsparungen kommt.
Lassen Sie mich nun zu dem Punkt kommen, den Herr Kollege Riedl angesprochen hat, nämlich zu den Personaleinsparungen. Sie haben davon gesprochen, daß man Personal einsparen soll, haben aber gleich einen . Tabubereich danebengestellt und gesagt: An den Bereich der inneren Sicherheit gehen wir nicht heran. Ich weiß nicht, ob man auf diese Art und Weise die Forderungen nach Einsparungen im Personalbereich immer glaubwürdig vertreten kann, wenn man Teile, die eigentlich die dicken Brocken ausmachen und die auch negative strukturelle Effekte für die kommenden Haushalte haben, einfach ausnimmt. Ich bin von daher der Meinung, daß man sich auch Gedanken machen sollte, ob die vorhandenen Ausbauplanungen und Ausbauraten für diesen Bereich noch vertretbar sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl?
Gerne.
Herr Kollege Gärtner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Hinweis auf die Steigerungsraten für die Planstellen beim Bundeskriminalamt in meiner Rede auch ein Hinweis darauf war, daß auch für uns die Stellenobergrenze, um es einmal so zu sagen, im Bereich der inneren Sicherheit erreicht ist? Im Prinzip stimme ich Ihnen zu, daß wir das beschlossene Volumen akzeptieren müssen, weil wir dazu ja gesagt haben, daß künftig aber sorgfältig geprüft werden muß, ob ein Anstieg weiter zu vertreten ist.
Ich fand, das war ganz wichtig, daß der Kollege Riedl diese Sätze so sagen konnte, weil sie jetzt auch im Protokoll so stehen. Ich möchte mich gerne darauf beziehen können.
Ich finde, man muß über ein Thema ganz sachlich diskutieren können, auch wenn es einen ganz sensiblen Bereich betrifft. Wenn die Länderinnenminister zusammen mit dem Bundesinnenminister eine neue Konzeption beschlossen haben, muß man doch aus diesen veränderten Rahmenbedingungen Konsequenzen ziehen und sich nicht irgendeinen Popanz aufbauen.
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- Herr Kollege Haase, wenn Sie im Fahndungsbereich verstärkt bestimmte Aufgaben auf die Länder delegieren, muß man sich fragen, ob Sie dann die Zentrale noch entsprechend ausbauen müssen.
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Vielleicht sind manche Fahndungspannen, die in der letzten Zeit vorgekommen sind, damit verknüpft, daß das Amt zu schnell gewachsen und zu groß geworden ist. Das kann man sich auch einmal fragen und sich vielleicht einmal stärker als bisher darauf
konzentrieren, die Aufbau- und Ablauforganisation dieses Amtes zu überprüfen.
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Im Zusammenhang mit Personal fällt natürlich auch das Stichwort Dienstrecht mit dem entsprechenden Zusatz „Dienstrechtsreform". Ich meine, wir müßten bald zu ersten wichtigen Schritten in Sachen Dienstrechtsreform kommen. Wenn wir das in den nächsten zwei, drei Jahren nicht schaffen, sollten wir es lassen. Immer darüber reden und nie danach handeln bringt im Grunde wenig.
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- Man muß dann auch wissen, Herr Kollege Gerster, daß es möglicherweise an traditionelle Erbhöfe herangeht. Dann tut es weh. Ich bin nicht immer sicher, ob diejenigen, die heute noch sagen, wir brauchten eine Dienstrechtsreform, noch dabei sind, wenn es an diese Punkte herangeht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Ja, gerne.
Herr Kollege Gärtner, Sie sprechen über die Dienstrechtsreform. Können Sie mir bestätigen, daß in der Regierungserklärung steht, daß diese Koalition beabsichtigt, die Beamtenanwärter künftig in ein sozialversicherungspflichtiges Ausbildungsverhältnis zu überführen, und sehen Sie eine Möglichkeit, daß das Innenministerium einen entsprechenden Regierungsentwurf vorlegt?
Herr Kollege Kühbacher, ich würde natürlich bei der Regierung keine Möglichkeit ausschließen.
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Ich will Ihnen aber auch sagen, mir reicht es nicht, wenn man zunächst einmal einzelne kleine Schritte macht nach dem Motto: Irgendwann kommen wir zum großen Wurf. Es kann sich natürlich auch der Eindruck verfestigen, daß es einfach bei kleinen Schritten bleibt.
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- Herr Gerster, ich freue mich darauf, gerade mit Ihnen darüber zu diskutieren. Sie haben in diesen Bereichen auch schon einige Erfahrungen. Ich hoffe auf Ihre tatkräftige Unterstützung, wenn es darum geht, den öffentlichen Dienst leistungsfähiger und flexibler zu machen. Ich bin nicht sicher, ob das auch immer durchgehalten wird.
Wir kommen in den nächsten Wochen im 25. Stockwerk des Neuen Hochhauses zu intensiven Beratungen zusammen. Wir brauchen eine gute Kondition dafür. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte mir eigentlich gewünscht, wenn der Kollege Löffler als Sprecher der Mehrheitsgruppe im Haushaltsausschuß ein klein wenig mehr von dem vorgetragen hätte, was von seiner Fraktion zur Etatvorlage des Bundesfinanzministers an Kürzungsvorschlägen zu erwarten ist. Statt dessen hat er uns hier ein wenig in der Art eines Volkshochschulkollegs einen analytischen Teil vorgetragen. Das befriedigt uns nicht ganz. Wir wären also sehr, sehr dankbar, wenn Sie ein wenig stärker zulangen könnten. Sie haben sich ja - genauso wie der Kollege Gärtner - mit den Schuldenziffern befaßt, die der Kolelge Dr. Riedl in so vorbildlicher Weise hier vorgetragen hat. Es geht wirklich nicht an, daß wir mit einem Rekordschuldenstand von 215 Milliarden DM zur Zeit und mit rund 310 Milliarden DM in vier Jahren leben sollen.
Sehen Sie, dazu hätten Sie sich als Mehrheitsfraktion wirklich einmal etwas Gutes einfallen lassen können, denn auch der Bundesfinanzminister hat nichts vorgeschlagen. Ich finde, daß wir unsere Arbeit im Haushaltsausschuß immer recht bieder und freundschaftlich tun. Sie tragen jedoch auch eine staatspolitische Verantwortung, die nicht nur im Bejahen des Regierungsvorschlages liegen kann, sondern auch im kräftigen Durchforsten liegen muß. Dazu gibt es ja in ihrer Haushaltsgruppe ganz tüchtige Leute. Sie spielen dort kräftig das Streichquartett. Davon einiges von Ihrer Seite zu hören, hätte ich mir eigentlich gewünscht.
Lieber Kollege Gärtner, ich habe das Empfinden, Sie haben die Rede des Kollegen Hoppe vom letzten Jahr nicht gelesen. Damals hat Herr Kollege Hoppe so schön vorgetragen, daß man dem enormen Schuldenstand einmal zu Leibe rücken müsse. Wenn ich mich recht erinnere, ist dabei der schöne Satz gefallen, daß ein Staatsschiff nicht immer U-Boot spielen könne. Diesmal ist die FDP im Grunde genommen wieder U-Boot-Fahrer.
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Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Sie sinkt sogar noch weiter ab und wird Tiefseetaucher, denn sie hat sich in diesem Punkt in der Regierung, zumindest beim Bundesfinanzminister, mit der von Ihnen, verehrter Herr Kollege Hoppe, vorgetragenen Grundsatzhaltung, die wir damals als ein großes Aha-Erlebnis zur Kenntnis genommen haben, überhaupt nicht durchgesetzt. Das finde ich traurig. Der Kollege Gärtner hat heute so getan, als wenn man darauf nicht mehr zurückkommen brauche.
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Ich tue das trotzdem mit meinem Beitrag zu etwas späterer Stunde, noch nicht zu sehr später Stunde; wir waren schon oft viel später hier zugange. Es handelt sich um ein Thema, von dem ich meine, daß es in die erste Lesung gehört, weil es den
Haushalt insgesamt angeht. Die Frage lautet: Wo kann man denn nun wirklich mittelfristig ein Stück zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen? Uns stört es erheblich, daß wir mit einem solchen Schuldenstand leben müssen. Ich weiß auch, daß das schwer ist; das wissen wir alle. Trotzdem, finde ich, sollte man das Bemühen um eine Konsolidierung nicht aufgeben.
Ein guter Ansatzpunkt für eine mittelfristige Verbesserung ist die Gesamtsituation im Personalbereich, wenn Sie die Etatvorlage für 1979 einmal daraufhin durchsehen - es sind ja nun fast zehn Jahre sozialliberaler Koalition vergangen - und das, was heute ist, mit den Verhältnissen von 1969 vergleichen.
Ich weiß nicht, ob das jeder schon getan hat; ich bitte, daß jeder Kollege den Personalbereich einmal genau liest, damit das eigene schlechte Gewissen stärker wird. Es bieten sich folgende Ziffern an, und dazu lassen Sie mich folgendes vortragen.
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Der erste Punkt ist - ich nehme ihn gleich vorweg, Freund Grobecker, da Sie als Gewerkschaftler im guten Sinne des Wortes auf diesem Argument auch immer herumreiten -: Wir haben es durch den Zuwachs im Personalstellenbereich fertiggebracht, Arbeitslose von der Straße zu ziehen. - Ich halte dieses Argument für ganz abwegig - ich sage es hier noch einmal ausdrücklich -, für echten volkswirtschaftlichen Unfug;
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Meine Damen und Herren, wir lösen damit weder das Problem der Arbeitslosen - das sehen wir ja an der stagnierenden Zahl von rund 1 Million - noch das Problem der Staatsfinanzen. Selbst wenn sich die konjunkturelle Situation einmal bessert, bleibt uns nämlich der Beamte, der eingestellt worden ist, erhalten. Das heißt, die Dauerbelastung trifft alle; daran kommt überhaupt keiner vorbei.
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Deshalb wehre ich mich auch dagegen, daß der öffentliche Dienst überhaupt dazu benutzt wird, das Problem der Arbeitslosen zu lösen. Das ist ein ganz ungeeignetes Instrument.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Aber zu später Stunde immer.
Herr Kollege Wohlrabe, halten Sie das Wort „Unfug" bei den Programmen der Bundesregierung, verstärkt Schwerbeschädigte im öffentlichen Dienst einzustellen, für angemessen?
Das ist nicht das Problem. Sie reden über eine wichtige soziale Sache; aber
Sie versuchen, mich in eine Ecke zu drücken, in die ich nicht gehöre.
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- So einfach kommen Sie bei mir nicht davon; dazu bin ich schon zu lange hier. Wissen Sie, im ersten Jahr wäre mir das noch schwergefallen; aber nach fast zehn Jahren ist das nun nicht mehr drin.
Das Problem ist - ich darf es wiederholen -, daß Sie versuchen wollen, Mitbürgern, die durch Ihre Wirtschaftspolitik arbeitslos geworden sind
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- ich will jetzt keine Polemik beginnen, aber es ist meine Meinung -, mittels Belastung aller - denn wir müssen ja den Bundeshaushalt durch Steuerzahlungen aufbringen - einen Arbeitsplatz zu verschaffen, egal, wie die Konjunktur steht. Dies finde ich - auf Dauer gesehen - eine schlechte Sache. Das löst das Problem nicht. Sie tun auch, glaube ich, dem Arbeitslosen damit gar keinen Gefallen.
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Aber lassen Sie mich jetzt zu dem zurückkommen, worum es geht: Planstellen beim Bund. Ich nenne kurz ein paar Zahlen. Meine Damen und Herren, die Planstellen beim Bund sind in den zehn Jahren von 1969 bis 1979 - der Etatentwurf liegt ja vor - nur um 2 554 Stellen - das sind 0,9 %, eine in sich erfreuliche Zahl - gestiegen, und zwar insgesamt auf nunmehr rund 282 000 Stellen. Das Bild wird jedoch klarer - ich finde, die Zahl allein sagt noch nichts aus -, wenn man einmal die Bewegungen innerhalb des Stellengefüges betrachtet und dabei feststellt, daß die Stellen für Arbeiter um 6,9 %, die für Angestellte um 5,6 % vermindert wurden, die für Beamte jedoch um fast 20 % erhöht wurden.
Es gab erhebliche Verschiebungen in den Stellenkegeln und im Stellengefüge. Immer mehr Arbeiter und Angestellte - dies ist der analytische Teil der Aussage - wurden in Beamtenstellen übernommen. Nicht zuletzt diese Verschiebungen, meine Damen und Herren, schlagen sich in der Entwicklung der Personalkosten nieder. Und damit bin ich beim Thema; denn die Schulden sind immer höher geworden. Da muß man also fragen: Wo kommen die Ausgaben her? Hier ist einer der entscheidenden Punkte.
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Die Personalkosten des Bundes - Sie werden es hören, verehrter Herr Kollege Becker - sind von 1,969 bis 1979 explosionsartig gestiegen, nämlich um rund 10 Milliarden DM - nur in diesem Bereich - oder um 108 % - nachrechenbar - auf nunmehr insgesamt 20 Milliarden DM. Das heißt: Sie haben in den letzten zehn Jahren das verdoppelt, womit wir vorher 20 Jahre lang ausgekommen sind.
Die Personalkosten insgesamt von Bund, Ländern und Gemeinden, die ich hier nicht ausschließen möchte - Post und Bahn mitgezählt -, belaufen sich mittlerweile auf rund 160 Milliarden DM. Das sind mehr als drei Viertel des Bundeshaushalts 1979.
$290,
Das ist eine außergewöhnlich hohe Ausgabe. Der öffentliche Dienst kommt den Bürger also teuer zu stehen. Hier setzt nun die Frage an, was wir insgesamt in unserer Gesetzgebungsarbeit tun können, um da einen Riegel vorzuschieben. Jeder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland zahlt zur Unterhaltung dieses Millionenheeres der Staatsdiener - und dieses Millionenheer verwaltet uns ja auch, es regiert uns ja nicht nur; es wäre ja schön, wenn es so wäre, dann wären weniger notwendig als bei der Verwaltung; es gängelt uns zum Teil auch, zumindest bemüht es sich, das zu tun - pro Jahr - Sie auch, jeder, der hier ist - 2 666 DM. Das sind pro Monat rund 222 DM, pro Tag rund 7 DM, je Stunde 31 Pfennig.
Sie werden einwenden, Länder und Gemeinden seien die Hauptsünder. In der Tat ist es so, meine Damen und Herren, daß die Planstellen bei den Ländern von 1969 bis 1977 - das ist die letzte uns vorliegende Zahl - um 32 %, fast 33 %, bei den Gemeinden um rund 20 % gestiegen sind. Aber - und das wissen wir ja - die Stellenentwicklung bei Ländern und Gemeinden hängt zum großen Teil von der Gesetzgebung, der Politik des Bundes ab,
Nehmen wir bitte nur einmal die Bildungspolitik.
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Sie haben - Ihre Partei, Herr Kollege Westphal - gefordert - heute war das schon einmal Gegenstand der Debatte -: Jeder zweite Schüler muß nun Abitur machen. Ich erinnere nur an das schöne Wort, das Franz Josef Strauß, mit großem Beifall bedacht, heute morgen sagte: Nur Schlosser darf man ja nicht werden; man ist zu Höherem berufen.
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Was dabei herausgekommen ist, verehrter Herr Kollege Löffler - Sie waren lange genug Lehrer und Schulrat -, wissen Sie. Das Ergebnis dieser visionistischen und utopischen Vorstellungswelt ist, daß heute Zehntausende junger Leute in die Irre geleitet worden sind
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und nach Arbeit suchen müssen, daß sie und ihre Eltern große Sorgen haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, daß sie vor den Toren der Universitäten stehen. Festzuhalten ist, daß Sie mit Ihrer Bildungs. politik, die mit ganz enormen Staatsausgaben - auch hinsichtlich der personellen Seite - verbunden ist, bis zum heutigen Tage im Grunde genommen den Durchbruch, den wir uns alle einmal erwünscht haben, nicht geschafft haben. Das Fazit ist bei der Koalitionsseite eindeutig negativ.
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Ein besonderes Kapitel, dem ich mich natürlich sehr gern zuwende, weil es ein wenig das trifft, was für den Regierungsstil typisch ist, wie er von der sozialliberalen Koalition in den letzten zehn Jahren verwandt wird, ist die Frage der Ausweitung der Planstellen in den einzelnen Ressorts und vor allem die Aufblähung der politischen Leitungsbereiche.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich wäre dankbar, wenn ich weitersprechen könnte.
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- Ich kneife nicht vor Ihnen, da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Das nur am Rande; aber wir können das nachher gern noch klären.
Zum Leitungsbereich gilt folgendes - damit Sie wissen, wie hier gewirtschaftet worden ist. In der Spitzengruppe bei der Personalvermehrung der Bundesregierung unmittelbar - sie soll mit gutem Beispiel vorangehen, was sie leider nicht getan hat, und deshalb muß hier gesagt werden, was sie getan hat - liegt seit 1969 unverbrüchlich, klar und deutlich das Ministerium für Arbeit und Soziales. Daß Masse nicht Klasse ist, wissen wir auch durch den Verschleiß der Minister dort. Der Zuwachs beträgt allein 11 %. Wir haben bei den Jahr für Jahr falschen Rentenberechnungen dieses Hauses miterleben müssen, daß auch die Masse des Personals zu nichts Besserem geführt hat. Offensichtlich ist die Konfusion dadurch nur größer und die Lage nicht besser geworden.
Noch happiger sieht die Entwicklung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit aus, das erst vor kurzer Zeit durch den Rechnungshof entsprechend gefleddert wurde.
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Herr Eppler mußte deshalb seinen Hut nehmen, wenn ich mich recht erinnere.
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- Das hat mit dazu beigetragen; wir wollen es heute abend großzügig handhaben. Wir kommen jetzt aber zur Zahl, die stimmt und nachprüfbar ist, Herr Kollege Westphal: Hier wurden seit 1969 im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit 150 oder 42 °/o mehr Stellen eingerichtet.
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Das geflügelte Wort „Masse ist nicht Klasse" trifft auch hier sicher bis heute zu. Die kritischen Berichte des Rechnungshofes brauche ich nicht zu erwähnen; sie sind uns allen bekannt.
Den Vogel schießt das Bundeskanzleramt selber ab.
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Ich denke gern daran zurück, mit wie wenig Personal der heute schon so oft von vielen gelobte, unser alter Bundeskanzler Adenauer und wie tüchtig und kräftig er diese Bundesrepublik regiert hat.
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Dann kam ein Herr Jochimsen. Es folgte Ehmke. Wir erinnern uns alle an die Riesendiskussionen und das, was dazu gehört.
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Die Zahlen sehen nach zehn Jahren so aus. Das Bundeskanzleramt hat von 1969 bis heute einen Zuwachs von 165 Beamten. Wenn man die Arbeiter
und Angestellten einschließt, haben wir insgesamt eine Personalstellenvermehrung von 52 °/o. Offenbar erforderte die visionäre Politik Brandts eine Vielzahl neuer Denker, Planer und Lenker. Helmut Schmidt mußte dann wieder neue Leute einstellen - denn diese waren, wie wir heute schon mehrfach hörten, nicht verwendbar -, um die Brandt-Crew auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Das heißt, wir haben dies alles, was dort geschah, bis zum heutigen Tage kräftig zu bezahlen.
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Das ist auch ein Punkt, der für die mittelfristige Konsolidierung des Staatshaushaltes von Interesse ist. Man sollte nicht immer gleich die Beispiele von 10- und 20-Milliarden-Beträgen bringen, sondern vielleicht auch einmal bei denen beginnen, die über Jahre nur 10 oder 20 Millionen DM ausmachen.
Ein ebenso trauriges Kapitel ist die Stellenausweitung in den Leitungsbüros. Die Leitungsbüros haben insgesamt - hierüber haben wir im Haushaltsausschuß in mehreren Beratungen des Etats Dokumentationen und Unterlagen vorgelegt - um mehr als 40 % an Beamten und Angestellten seit 1969 zugenommen.
Geradezu phantastisch - ich habe das einmal ausgerechnet - ist, was sich in den einzelnen Ressorts angesammelt hat an Kabinetts-, Parlaments- und persönlichen Referenten, an Planern, Lenkern, Presseverkäufern, Ghostwritern, Denkmalspflegern und so allem, was so dazugehört. An der Spitze steht der Herr Justizminister Vogel mit 154 % Zuwachs in diesem Bereich, gefolgt vom Kanzleramt.
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- Vogel. Herr Kollege Vogel schießt den Vogel ab; daran gibt es gar keinen Zweifel. - Beim Kanzleramt haben wir 135 % Zuwachs. - Ich spreche nur vom Leitungsbereich. - Beim Städtebauministerium sind es 130 %. Das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten steht nicht nach: 94 %.
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- Ich weiß, das tut nicht gut. Das ist doch klar. Wenn es Sie langweilt, Herr Löffler, dann ist das typisch für Ihre Gesinnung, über den Haushalt nachzudenken. Wenn man nämlich einmal einen Vorschlag macht, wie mittelfristig eine Konsolidierung beispielhaft vorgeführt werden kann, dann sind Sie sauer.
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Auf der einen Seite sagen Sie alle - lieber Kollege Esters, ich schätze Sie doch alle privat, wir kennen uns so lange -: Nun macht mal Vorschläge! Machen wir aber andererseits einen Vorschlag, der durch alle Etats geht, der uns jahrelang eine Verminderung bringen könnte, und kommen wir dann
auf den für Sie sensiblen Bereich der Denkmalspfleger in den Leitungsbereichen zurück, dann sind Sie sauer. Das ist betrüblich. Denn die Redlichkeit unseres gemeinsamen Bemühens sollte dazu beitragen, wirklich einmal zu sagen: Da ist der eine oder andere zuviel. Sie wissen doch selber, wieviel Leute da herumsitzen, die zuviel an Bord sind.
Ich nenne noch einen anderen Punkt. Da wir schon dabei sind, in der Debatte ein ganz klein wenig schärfer zu werden, möge mir folgendes noch erlaubt sein. Meine Damen und Herren, ich habe hier eine Liste. Sie ist nicht von mir, sondern vom Parlamentsarchiv. Sie reicht von Abreß über den Rentenfreund Arendt bis zum Kollegen Wittrock; und auch der Kollege Westphal ist darauf erwähnt. 73 Staatssekretäre, Parlamentarische Staatssekretäre und Minister, die alle Pensionäre sind, die mittlerweile alle zur Rente geschritten sind!
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- Ich habe es vom Parlamentsarchiv. Sie können es widerlegen. Das ist eine Zahl ungeahnten Ausmaßes, auf die wir auch einmal zurückkommen sollten.
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Ich sage das deshalb, weil Ihr Personalverschleiß
enorm zur Belastung des Bundeshaushalts beiträgt.
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Ich will einen letzten Gedanken hinzufügen. Wir werden bemüht sein - das bringt auch der Brief des Obmanns unserer Haushaltsgruppe, Lothar Haase, an den Obmann der Mehrheitsgruppe zum Ausdruck -, fair, partnerschaftlich, aber entschieden in der Personalberatung beim Haushalt mitzuwirken. Wir gehen den Weg. mit.
Wir sagen aber auch dies: Der Bundesfinanzminister hatte nicht die Kraft, uns einen Etat vorzulegen, bei dem die Erhöhung des Stellenanteils unterbleibt. Es stehen 2 400 Stellen neu zu Buch. Ich habe die Hoffnung, daß Sie damit nicht durchkommen. Ich
. habe den Wunsch, daß sich SPD und FDP genauso wie wir der größeren Masse dieser Stellen zur Streichung bemächtigen werden. Ich habe die herzliche Bitte, daß wir, wenn wir in dieser Grundhaltung beispielhaft vorangehen, auch erkennen, daß mit einer solchen Leistung auch aus einem Etat der Finsternis ein ganz kleines Fackelchen herauskommen kann.
({14})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf morgen, Freitag, den 22. September, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.