Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 14. März 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Breitbach, Dr. Klein ({0}), Orgaß, Frau Stommel, Dr. Hammans, Kroll-Schlüter, Schmöle, Josten, Dr. Marx und Genossen betr. Intensivierung des deutsch-amerikanischen Jugendaustausches - Drucksache 7/1720 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1806 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 13. März 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Bremm, Dr. Klepsch, Dr. Mertes ({1}), Frau Will-Feld, Dr. Wagner ({2}), Thürk und Genossen betr. Erledigung der noch anhängigen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausbau des Moselschiffahrtsweges - Drucksache 7/1721 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1807 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 14. März 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Fuchs, Hauser ({3}) Dr. Hornhues, Frau Hürland, Hussing, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU' CSU betr. Förderung des Studiums in den Vereinigten Staaten - Drucksache 7/1716 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1817 verteilt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 14. März 1974 ihren Antrag betr. Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung - Drucksache 7/1736 - zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 7 a der Tagesordnung auf:
Beratung des Bildungsgesamtplans der Bundesregierung
- Drucksache 7/1474 -Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Deutsche Bundestag über den ersten gesamtstaatlichen Bildungsplan der Bundesrepublik Deutschland berät, so darf man dies ein innenpolitisches Ereignis von hervorragender Bedeutung nennen. Die Etappe, die wir heute erreicht haben, zeigt, daß Länder und Bund doch in der Lage sind, in demokratischer Offenheit tiefgreifende Strukturreformen unserer Gesellschaft anzupacken. Dies ist gerade jetzt eine wichtige Erfahrung.
Auf der anderen Seite ist die Tatsache, daß der Bildungsgesamtplan später vorliegt, als wir uns
1969 vorgenommen hatten, auch ein Anzeichen dafür, wie schwierig es ist, in unserem Staatswesen umfassend zu planen. Die für Länder und Bund verbindlichen Beschlüsse zum Bildungsgesamtplan enthalten auch nicht alles, was sich die Bundesregierung vorgenommen hatte; Abstriche und Kompromisse waren notwendig. Aber das zeigt nun zugleich, daß bei gutem Willen und Augenmaß zwischen den demokratischen Parteien in unserem Staat gemeinsame Entscheidungen möglich sind.
Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis
dafür, wenn nach den langwierigen Beratungen zum Bildungsgesamtplan, nach der Vorlage eines Zwischenberichts und auf dem Hintergrund eines vielfach schwer verständlichen Streits der Bildungsfachleute die Öffentlichkeit nicht mehr lebhaft interessiert ist, wenn über bildungspolitische Zielvorstellungen beraten und gestritten wird. Und doch müssen wir uns, so schwer es manchmal sein mag, immer wieder Gehör verschaffen für die Diskussion notwendiger Strukturreformen unserer Gesellschaft. Wir dürfen jedenfalls die Zukunft nicht vom Tagesgeschäft verschütten lassen.
In meiner Regierungserklärung vom Oktober 1969 habe ich von den Reformen gesprochen, die es bei uns in den nächsten Jahren vorzunehmen gelte, und ich wies damals darauf hin, daß Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung an der Spitze solcher Reformen zu stehen haben würden. Wenn ich sagte: „bei uns", dann hieß das und heißt das heute gleichermaßen: in Bund, Ländern und Gemeinden im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten. Und ich brauche kaum hinzuzufügen, daß es recht unterschiedliche Meinungen darüber gibt, ob diese Zuständigkeiten durchweg zweckmäßig verteilt sind. Aber darum geht es jetzt nicht.
Ich weiß, daß die vielzitierte „Priorität der Bildungspolitik" seit der Regierungserklärung 1969, zumal angesichts weiterhin offenkundiger Unzulänglichkeiten unserer Bildungseinrichtungen, immer wieder kritisch kommentiert worden ist. Aber Veränderungen in einem Bereich wie dem der Bildung haben fast immer langfristigen Charakter, und, meine Damen und Herren, in den vergangenen vier Jahren gab es bei allem, was umstritten war und wohl umstritten sein mußte, und bei allem, was unzulänglich blieb und wohl weithin unzulänglich bleiben mußte, in der Tat in unserem Gesamtstaat keine öffentliche Aufgabe, die sich hinsichtlich der
Steigerung des finanziellen Aufwandes, der Intensität der öffentlichen Debatte und der staatlichen Aktivität mit dem Bemühen um die Reform des Bildungswesens vergleichen ließe.
In den vergangenen vier Jahren haben Länder und Bund gemeinsam den Aufwand für Bildung und Wissenschaft verdoppelt. Das ist eine, glaube ich, ganz wichtige Feststellung, die man hier treffen kann.
({0})
Hierin, meine Damen und Herren, ist der Nettoaufwand der Wirtschaft für die berufliche Bildung noch nicht einmal enthalten. Über diese Leistungen der Wirtschaft liegt seit wenigen Tagen der Bericht der Sachverständigenkommission, betitelt „Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung", also der Bericht der sogenannten Edding-Kommission, vor, und mir liegt daran, an dieser Stelle für diesen Bericht ausdrücklich zu danken.
({1})
Mit zusätzlichen Mitteln ist der Ausbau bestehender Einrichtungen und sind ebenso neue Entwicklungen vorangetrieben worden. Hierzu einige Hinweise:
Die Investitionen im Schulbereich wuchsen seit 1969 um jährlich 19 % in der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der Kindergartenplätze konnte in diesen Jahren um ein Viertel erhöht werden. Die Zahl der Hochschulplätze stieg jährlich um 12 %, und die größere Zahl von Lehrern machte es doch immerhin möglich, die vielfach viel zu umfassende Zahl der Schüler pro Klasse herabzusetzen.
Die wesentlichen Steigerungen des Bildungsbudgets und der Ausbau der Bildungseinrichtungen sind in den vergangenen Jahren zwar so erfolgt, daß Gemeinden, Länder und Bund zunehmend koordiniert vorgingen, aber verbindliche gemeinsame Orientierungspunkte gab es noch nicht. Einen entscheidenden Fortschritt sehe ich nun darin, daß mit dem Bildungsgesamtplan ein verbindlicher Rahmen für die Entwicklung des deutschen Bildungswesens bis zum Jahre 1985 gesetzt worden ist. Erstmals in unserer Verfassungsgeschichte, meine Damen und Herren, liegt damit für ein geschlossenes Aufgabengebiet der Gesellschaftspolitik ein im Rahmen der unterschiedlichen Kompetenzen abgestimmtes, langfristiges Konzept vor. Länder und Bund sind an dieses Konzept gebunden; sie haben sich an dieses Konzept gebunden. Natürlich sind damit noch nicht die Probleme selbst gelöst. Aber Länder und Bund sind gehalten, die in diesem Gesamtplan niedergelegten Zielvorstellungen schrittweise in die Praxis umzusetzen.
Der Bildungsgesamtplan zeigt bereits heute gewisse Auswirkungen. Ich nenne nur die Kapazitätsplanungen der Länder und des Bundes im Bereich der Hochschulen. Ebenso hat die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Regierungsentwurfs zum Hochschulrahmengesetz und der Markierungspunkte für die Neuordnung der beruflichen Bildung ihre Entscheidungen auf die Beschlüsse des Bildungsgesamtplans gestützt.
({2})
Die Bundesregierung - ich möchte das hier festhalten - wird sich selbstverständlich an diese Beschlüsse halten. Sie erwartet, daß auch die Länder in ihrer Schulpolitik, in ihren Entscheidungen zur Berufsbildung und zur Hochschulpolitik die vereinbarten Ziele des Bildungsgesamtplans zugrunde legen, und die Bundesregierung geht davon aus, daß bei der Formulierung der notwendigen mittelfristigen Stufenpläne für einzelne Bildungsbereiche keine Abstriche von den Zielen des Bildungsgesamtplans gemacht werden.
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Ich weiß, daß es in einem zentralen Bereich noch keine volle Übereinstimmung gibt: ich meine die Gesamtschule. Allerdings habe ich den Eindruck, daß man sich auch in dieser Frage einander anzunähern beginnt. Wir in der Bundesregierung halten es, wenn ich das hier noch einmal sagen darf, nicht für gerecht, auch nicht für vernünftig, wenn die Eltern gezwungen werden, für die Zehnjährigen oder auch die Zwölfjährigen lebensentscheidende Weichen dadurch zu stellen, daß man die Kinder entweder aufs Gymnasium oder auf die Realschule oder auf die Hauptschule schickt.
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Wir sind der Meinung, daß solche Entscheidungen nicht für die zehnjährigen Kinder, sondern erst m i t den fünfzehn- oder sechzehnjährigen getroffen werden sollten.
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Wir stützen uns dabei auf eine breite internationale Erfahrung und auf die Forderung gewiß nicht aller, aber der überwiegenden Zahl von Pädagogen und Wissenschaftlern. Dies ist also der Hauptgrund, weshalb Hauptschule, Realschule und Gymnasium in der Mittelstufe schrittweise zu einem Schulsystem, zu einem Gesamtschulsystem, entwickelt werden sollen.
Ich habe ,den Eindruck, daß diese Auffassung von den meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger geteilt wird. Ich richte deswegen an die Opposition im Bundestag und an die CDU/CSU-geführten Länder die Bitte, ihren Kurs zu überprüfen und es möglich zu machen, daß die wichtigste offene Frage des Bildungsgesamtplans einer gemeinsamen Lösung zugeführt werden kann.
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Die Aufgaben, die vor uns liegen, werden nicht unter leichteren, sondern unter schwierigeren ökonomischen Bedingungen zu verwirklichen sein. Ich bin selbst heute noch sicherer als früher, daß es eine Überforderung des Bildungsbudgets gewesen wäre, finanzpolitisch verbindliche Zahlen bis zum Jahre 1985 festzulegen. Allein die Ölpreissteigerung, aber auch sonst schwer überschaubare weltwirtschaftliche Entwicklungen machen es notwendig, daß in der Realität immer wieder von neuem gerechnet wird.
Wir müssen also, an den Zielen des Bildungsgesamtplans orientiert, im Rahmen der Haushaltsentscheidungen und der mittelfristigen Finanzplanung immer wieder den Ausgleich suchen zwischen finanziell Möglichem und bildungspolitisch Wünschenswertem.
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Auch in Zukunft wird der Anteil für Bildung und Wissenschaft zunächst noch zunehmen müssen. Aber dies wird nur möglich sein, wenn zugleich jede einzelne Entscheidung mit Sparsamkeit, sogar mit harter Sparsamkeit, und mit dem Blick auf ihre Zweckmäßigkeit vorgenommen wird. Daß eine Sache bildungspolitisch wünschbar ist, kann allein noch kein Grund dafür sein, sie finanzieren zu müssen.
({8})
Auch die Bildungspolitik muß sich im Rahmen der Gesamtprioritäten unserer Politik einordnen.
Meine Damen und Herren, als wir 1969/70 mit dem Versuch für eine gemeinsame gesamtstaatliche Bildungsplanung begannen, standen wir - wie auch auf anderen Gebieten - vor einem großen Stau verständlicher Forderungen. Dieser Stau, warum soll man das eigentlich nicht offen aussprechen, mag uns alle oder viele von uns - Länder und Bund, Regierungen und Parlamente, die Parteien, ich wage zu sagen: alle Parteien - gelegentlich in eine zu schnelle Strömung gezogen haben.
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Die schwierige Aufgabe der Bund-Länder-Kommission war es, die Fülle von Forderungen und Vorschlägen, von Ideen und wirklichen Bedürfnissen zu kanalisieren. Der Bildungsgesamtplan schafft jetzt die Voraussetzungen für eine ebenso zügige wie geordnete Reform. Lassen Sie uns daher den Bildungsgesamtplan als die große Chance einer vernünftigen Verwirklichung der Bildungsreform ergreifen. Selbstverständlich ist auch dieser Gesamtplan korrekturbedürftig. Die Bundesregierung wird gerade deswegen die Beratungen im Bundestag und in den Parlamenten der Länder sorgfältig verfolgen. Aber lassen Sie uns nun zunächst auf dem aufbauen, was hier entwickelt, was hier geschaffen wurde. Lassen Sie uns miteinander für Klarheit sorgen; denn die Bürger sollen wissen, wie ich hier bei anderer Gelegenheit gesagt habe, bis wann welche Ziele erreicht sein können.
Ich möchte schließen mit dem ausdrücklichen Dank nicht nur an alle diejenigen, die auf Länder-und Bundesseite damit befaßt waren, die Beschlußfassung vorzubereiten, sondern insbesondere auch mit dem Dank an all jene in unserem Lande, die an Schulen und Hochschulen, in Betrieben und anderen Einrichtungen oder auch als engagierte Einzelne bemüht waren, die Bildungsreform einzuleiten, die wir jetzt gemeinsam fortführen wollen. Um die Unterstützung aller aufgeschlossenen, engagierten und verantwortungsbewußten Kräfte bitte ich auch für die kommenden Jahre.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Probst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hebt sich in zweifacher Hinsicht auffällig von den vertrauten bildungspolitischen Streitgesprächen ab. Sie findet einmal nicht zur späten Abendstunde statt, gewissermaßen unter völligem Ausschluß der parlamentarischen Öffentlichkeit. Zweitens: Sie vereinigt die politischen Lager über einen Gegenstand, der bereits die Zustimmung aller zuständigen Länderminister und der Regierungschefs gefunden hat.
Der Herr Bundeskanzler hat heute wieder einmal nach langer Zeit zu dem Thema Bildung Stellung genommen. Seine Gesamtstimmung, die er gemalt hat, war im Vergleich zu den Aussagen seiner Regierungserklärung des Jahres 1969 mehr eine Komposition in Moll. Er hat uns zwar vorgerechnet, welch große Investitionen vorgenommen worden sind - gewissermaßen hat er einen technokratischen Ansatz in der Bildungsdebatte gesucht -; diese Investitionen, meine Damen und Herren, werden aber durch die großen Anstrengungen der Länder,
({0})
die sich bis an den Rand ihrer Leistungsfähigkeiten engagieren, überhaupt erst ermöglicht.
({1})
Der Bundeskanzler hat darüber hinaus dann auch davon gesprochen, daß dieser Bildungsgesamtplan mit Maß zu verwirklichen sei. Ich möchte ihm zu diesem Ausspruch nur gratulieren.
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Allerdings möchte ich auch feststellen, daß sich der Herr Bundeskanzler dann selbst, vielleicht auch die gesamte Bundesregierung, um Bildung im Hochschulbereich, im Schulbereich und vor allen Dingen auch in der beruflichen Bildung etwas mehr kümmern sollte, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Man hat den Eindruck, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihre Bildungspolitiker, die ja in der Regel sehr engagiert sind, teilweise sogar sehr in eine ganz bestimmte Richtung engagiert, weitgehend allein, losgelöst von Ihnen, agieren lassen.
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Meine Damen und Herren, der Bildungsgesamtplan einigt nun, so, wie er vorliegt, alle politischen Lager. Nun hat aber der Kollege Möllemann unlängst erklärt, seine Partei habe bisher nicht in ausreichendem Maße Einfluß auf die Gestaltung des Bildungsgesamtplans nehmen können; deshalb müßten einzelne Aussagen in diesem Bildungsgesamtplan für die weitere Diskussion offenbleiben. In der Tat muß über die Aussagen und Zielvorgaben des Bildungsgesamtplans diskutiert werden.
Aber eines muß dabei völlig klar sein: In diesem Bildungsgesamtplan ist eine große Zahl von Vereinbarungen formuliert, die von keiner politischen Gruppe mehr aufgekündigt werden dürfen, wenn
Bildungspolitik in unserem Lande überhaupt noch glaubwürdig sein soll.
Ehe ich einige Aspekte des Themas anspreche, möchte ich auch von dieser Stelle aus all denen, die in jahrelanger Mühe an dieser Arbeit mitgewirkt haben, danken.
Der Herr Bundeskanzler hat ja heute in erster Linie über die Finanzsituation gesprochen. Als die Ministerpräsidenten der Länder am 30. November 1973 ihren Finanzvorbehalt fallen ließen, wiesen sie vorsorglich darauf hin, daß die planmäßige Verwirklichung aller im Bildungsgesamtplan vorgesehenen Maßnahmen vom Verlauf der Konjunktur abhänge. In welchem Maße dieser Vorbehalt berechtigt war, ist uns seitdem drastisch deutlich geworden. Wir wissen heute, daß einige der ökonomischen Vorbedingungen im Bildungsbudget zu optimistisch waren. Während nämlich der Bildungsgesamtplan für den Zeitraum von 1975 bis 1980 von einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von 4,7% ausgeht, arbeitet die Bund-Länder-Kommission bereits mit einem Wachstum von nur 3,7 %. Ob ,diese Rate noch zu optimistisch ist, ist völlig offen. Das bedeutet unter gleichen sonstigen Voraussetzungen ein um rund 6 % niedrigeres Niveau der Staatsausgaben. Wir müssen einfach davon ausgehen, daß dies auch ernste Konsequenzen für die Bildungspolitik haben wird.
Daß der staatliche Anteil am Bruttosozialprodukt, der heute bei 40,4% liegt, nicht über die Annahmen des Bildungsgesamtplans hinaus wachsen
kann, führt der Plan selber an. Daß auch die langfristige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht zu großen Hoffnungen Anlaß gibt, zeigt der PrognosReport Nr. 5. Er rechnet damit, daß 1985 etwa i Million Personen der einheimischen Erwerbsbevölkerung keine Beschäftigung haben werden, und zwar deshalb - das ist hochinteressant -, weil einem Überschuß an hochqualifizierten Arbeitskräften ein Mangel an weniger qualifizierten Kräften gegenüberstehen wird. Diese Prognose ist nicht nur für die Bildungsfinanzierung, sondern auch und ganz besonders für die Frage nach Ausbildungsziel und -bedarf von allergrößter Bedeutung. Darauf wird noch einzugehen sein.
Schließlich wird im Verfolg der Steuerreform für die Gebietskörperschaften mit einem Weniger an Steuereinnahmen von rund 10 Milliarden DM zu rechnen sein. Auch dieser Ausfall wird nicht ohne Einfluß auf die Bildungsfinanzierung bleiben.
Das Fazit aus all diesen Überlegungen ist: Dem Bildungsgesamtplan wird ein wesentlich geringerer Finanzrahmen als vorgesehen zur Verfügung stehen. Die Konsequenz, welche die Bildungspolitiker aus diesem Sachverhalt zu ziehen haben, kann nur lauten: Verzicht auf reformerische Maßlosigkeit.
Das aber ist ein Appell vor allem an die Kollegen in den Koalitionsfraktionen. Was haben sie in ihrer ersten Euphorie der Jahre 1969/1970 nicht alles an Erwartungen geweckt:
generelle Einführung der kostenaufwendigen integrierten Gesamtschule, sozusagen im bildungspolitischen Nulltarif und mit Erfolgsgarantie - Herr Bundeskanzler, Sie haben sich heute wieder auf die integrierte Gesamtschule festgelegt -,
Einschulung der Fünfjährigen,
wesentliche Verringerung der Klassenstärke,
60 % der Schüler in Ganztagsschulen ohne Hausarbeit - davon ging Frau Hamm-Brücher 1970 aus -, selbstverständlich dadurch die Befreiung der Eltern von Schulsorgen. Wo sind sie eigentlich alle geblieben, die kühnen Recken aus der damaligen Zeit: der Herr Leussink, die Frau Hamm-Brücher, der Herr Raffert, der Herr Lohmar? Keinen sehe ich mehr unter uns.
Es ist doch wohl auch Ihnen deutlich geworden, meine Damen und Herren von der Koalition: die Bürger unseres Landes haben in zunehmender Zahl genug von überschwenglichen Versprechungen.
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Man sehnt sich nach Besonnenheit und Augenmaß.
- Herr Kollege Wehner, was regen Sie sich so auf?
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Es ist ja denkbar, daß ich die Reihenfolge der Aufgezählten bald mit einem neuen Namen fortsetzen muß.
Ein nicht eben erfreuliches Kennzeichen der allermeisten bildungspolitischen Diskussionen der letzten Jahre ist die weitgehende Beschränkung auf Fragen der Organisation des Bildungswesens und der Verzicht auf die Klärung der eigentlich zugrunde liegenden Fragen, nämlich der Fragen nach dem Sinn und den Möglichkeiten menschlicher Existenz.
Bildung orientiert sich am Menschen und seiner Freiheit.
({6})
Sie wendet sich deshalb in erster Linie an den einzelnen. Bildung soll mithelfen, daß der einzelne sein Glück findet. Keineswegs dürfen ihm Kollektive das ihre aufzwingen. Es gibt keinen moralischen Erziehungsanspruch von Gruppen mit einem „aufgeklärten Bewußtsein". Bildungspolitik kann und soll soziale Sperren, nämlich des Einkommens, des Wohnoder Lernorts, der Herkunft wegräumen oder abmindern. Sie kann aber keinen Erfolg gewährleisten, wo Leistungswille fehlt. Aus dem Grundsatz der Entfaltung des einzelnen folgt die Individualisierung der Ausbildungswege. In sozialer Hinsicht bedeutet das die Schaffung von Chancen auf Grund unterschiedlichster Eignungen und Neigungen, d. h. gerechter Startchancen für alle. Den Begriff „Chancengleichheit" verstehen wir so. Nach unserer Meinung kann deshalb ein gegliedertes Schulwesen mit hohem Differenzierungsgrad den vielfältigen Wünschen und Begabungsrichtungen weit besser entsprechen als ein Einheitsschulsystem.
({7})
In einer freiheitlichen-pluralen Gesellschaft ist nicht Nivellierung, sondern Profilierung der Schularten geradezu ein Gebot moderner Schulpolitik.
({8})
Da eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit der einzelnen unübersehbar ist, stellt sich das Problem des Ausgleichs dieser natürlichen Ungleichheit. Es ist klar: Gleichheit ist anthropologisch eine Illusion. Sie ist aber ein moralisches Postulat, aus dem sich die Forderung nach einer Unterstützung der Schwächeren ergibt. Die Union, die sich als politische Kraft des Fortschritts nach Augenmaß versteht,
({9})
ist nicht im gleichen Maße fortschritts- und wissenschaftsgläubig wie die Koalition.
({10})
Daraus folgt zum Beispiel, daß sie den Eltern eine wichtige Rolle zuweist, sogar gegenüber den nicht selten wechselnden Behauptungen der pädagogischen Wissenschaft. Daraus folgt auch ihre Zurückhaltung gegenüber einer gläubigen Übernahme unerprobter Modelle im pädagogischen Bereich.
({11})
Gerade diese zuletzt genannte Frage hat im Verlauf der Beratungen über den Bildungsgesamtplan besondere Schwierigkeiten gemacht. Der dritte Entwurf dieses Planes enthielt noch eine Reihe von Alternativvoten der CDU/CSU-regierten Länder, mit denen sich die Union gegen ideologisch bedingte Fixierungen auf unerprobte Organisationsmodelle zur Wehr setzen mußte. Es ist gewiß kein schlechtes Zeichen für die Arbeitsfähigkeit der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und schon gar kein übler Beweis für die Qualität der damals von der CDU/CSU vertretenen Auffassung, wenn sich heute in der Schlußfassung des Bildungsgesamtplans in der Frage der besonderen pädagogischen Förderung der Fünfjährigen, in der Frage des Berufsgrundbildungsjahres in der Frage der Integration beruflicher und allgemeiner Bildung, in der Frage der Struktur des Hochschulbereichs und in der Frage, welche Rolle private Initiativen in der Weiterbildung spielen dürfen, heute die Auffassungen der CDU/CSU durchgesetzt haben.
Um so bedauerlicher ist es freilich, daß in dem Regierungsentwurf eines Hochschulrahmengesetzes - entgegen der Auffassung, die Sie hier vertreten haben, Herr Bundeskanzler - im Widerspruch zur Konzeption des Bildungsgesamtplanes die integrierte Gesamthochschule als politisches Ziel der Bundesregierung bezeichnet wird. Da bleibt nur zu hoffen, daß das negative Urteil über diese vorzeitige Festlegung, das in der Anhörung in unserem Ausschuß von einer breiten Front von Sachverständigen vorgetragen wurde, noch zu einer Korrektur führt.
Bedauerlich ist auch, daß in drei Fragen, nämlich der Frage der integrierten Gesamtschule, der Frage der Orientierungsstufe und der Frage der Lehrerbildung, eine auf eine abstrakte Idee der Gleichheit festgefahrene Voreingenommenheit bisher nicht aufgelockert werden konnte. Wir haben hier die offenere Position in der Frage der integrierten Gesamtschule. Ohne ein solches Modell abzulehnen, glauben wir nicht von vornherein an die Unfehlbarkeit dieses Einheitsmodells der Integration.
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Herr Bundesminister von Dohnanyi, Sie verstehen es, an allen denkbaren und auch undenkbaren Stellen das bildungspolitische Wundermittel der integrierten Gesamtschule in die Diskussion einzuführen. Zu den bevorzugten Argumenten gehört die Erklärung, bildungspolitische und soziale Gerechtigkeit verlange die integrierte Gesamtschule. Klugerweise lassen Sie sich aber niemals auf eine diagnostische Betrachtung der gegenwärtigen Situation der Gesamtschulversuche ein, denn dann müßten Sie einräumen, daß das Organisationsmodell integrierte Gesamtschule bisher keines ihrer Ziele erreicht hat.
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Berichte dieses Inhalts finden Sie nicht nur bei Hitpaß, Sie können das auch in Veröffentlichungen der GEW lesen oder in einer Broschüre des niedersächsischen Kultusministers von Oertzen; Sie können es auch herauslesen aus seiner letzten Haushaltsrede, in der er darauf hinweist, daß er die Gesamtschulversuche sehr behutsam vorantreiben will. Das alles hindert Sie nicht, am einmal getanen Schwur auf die Integration festzuhalten.
Die CDU/CSU steht - das muß ich heute noch einmal ganz deutlich machen - unverändert auf dem Standpunkt, daß sie einer Einführung der integrierten Gesamtschule als Regelschule so lange nicht zustimmen kann, wie die Richtigkeit des pädagogischen Konzepts und die personelle und finanzielle Realisierbarkeit dieses Konzepts nicht erwiesen sind. Wenn die SPD den Mut hätte, die eigenen Erfahrungen - z. B. aus Hessen - in die Diskussion über die integrierte Gesamtschule mit einzubringen, könnte auch hier eine weitere Vereinheitlichung erzielt werden. Doch die SPD liegt ideologisch fest und hat nicht die Kraft - das wird zunehmend sichtbar -, sich von dieser Festlegung zu lösen.
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Ein ganz dringender Aspekt, meine Damen und Herren, einer besonnenen Reformpolitik ist die jetzt nötige Reaktion auf die stürmische Entwicklung der Studentenzahlen. In diesem Bereich sind die Ansätze des Bildungsgesamtplanes in geradezu dramatischer Weise überholt worden. Wenn der Bildungsgesamtplan für 1980 maximal etwa mit 870 000 Studenten rechnet, so zeigen die neueren Prognosen, daß wir bereits 1978 mit mehr als 1 Million Studenten rechnen müssen. Wenn der Finanzrahmen auf dem Hochschulsektor für 1978 mit 10,6 Milliarden DM jährlich veranschlagt war, so rechnen wir nach neuen Daten mit 12,3 Milliarden DM. 47 000 Studienplätze sind bis zu diesem Zeitpunkt jährlich zu schaffen, eine ungeheure, geradezu gigantische Ausweitung, nämlich 31 % Mehrungen im Vergleich zum Bildungsgesamtplan.
Hier, meine Damen und Herren, werden auch die Folgen einer falschen Akzentuierung der Bildungswerbung unter dem Schlagwort „Chancengleichheit" deutlich, die sicherlich nicht von der Union ausgegangen ist. Studienplätze können angesichts der Kosten nicht nur auf Grund individueller Studienwünsche, sondern auch mit gleichzeitigem Blick auf den feststellbaren Bedarf zur Verfügung gestellt werden. Dies ist eine im Bildungsgesamtplan und im Hoch5614
schulbauförderungsgesetz unmißverständlich formulierte Binsenweisheit. Die Bemühungen um zuverlässige Methoden der Bedarfsprognose müssen verstärkt werden. Ich weiß wohl, ein wie schwieriges Gebiet das ist. Wenn eine jährlich fortgeschriebene und verbesserte Trendberechnung des Arbeitsmarkts erreicht würde, dann wäre das meines Erachtens schon recht viel. Die finanziellen Mittel, die für derartige Untersuchungen ausgegeben werden, zähle ich zu den sinnvollsten aller bildungspolitischen Ausgaben.
Ich habe nicht die Absicht, heute eine Debatte über das Problem des sogenannten „akademischen Proletariats" zu entfesseln. Nur einen Aspekt der Frage schneide ich an: Wir halten es nicht für eine menschlich befriedigende Lösung, wenn den Hochschulabsolventen, die über den Bedarf hinaus produziert werden, tröstend gesagt wird: Auf jeden Fall seid ihr Inhaber eines akademischen Diploms und in geringerem Maße von Arbeitslosigkeit bedroht, wobei ihr euch allerdings mit unterwertiger Beschäftigung zufriedengeben müßt. Ganz abgesehen davon, daß diese in der Regel zu einer Hilfsarbeitertätigkeit führt, steht dieser Ausweg in einem üblen Mißverhältnis zu den öffentlichen Investitionen in einen Hochschulabsolventen. Dieser hat eben nicht nur auf ein akademisches Diplom hin studiert, sondern auch vor allem unter ganz bestimmten Einkommens- und Tätigkeitserwartungen, die ihm eine irreale Bildungswerbung gerade aus Ihren Reihen von der Koalition suggeriert hat. Es ist sicher humaner, einer großen Zahl von jungen Mensechn derartig herbe Enttäuschungen zu ersparen.
Freilich, meine Damen und Herren, wenn wir meinen, daß nicht für alle Jugendlichen das Heil im Besuch einer Hochschule liegen kann, so unterstellen wir, daß ein sozialer Aufstieg auch in nichtakademischen Berufen möglich sein muß. Wurde einem Ausbau des Aufstiegs im berufspraktischen Teil des Bildungswesens aber nicht gerade dadurch besonderer Schaden zugefügt, daß man den Aufstieg einseitig nur über Abitur und Hochschule gesehen und überbewertet hat?
({15})
Haben nicht etwa sozialdemokratisch regierte Länder, z. B. Hessen, die Fortschrittlichkeit ihres Bildungswesens in Abiturientenquoten gemessen, gleichzeitig aber das berufliche Schulwesen sträflich vernachlässigt?
({16})
Hat man nicht damit dem größten Teil unserer Jugend, nämlich der berufstätigen Jugend, bitter unrecht getan?
({17})
- Herr von Bülow, ist Ihnen nicht bekannt, daß aus einer Aufstellung des Jahres 1970 in der Versorgung der Berufsschulen mit Lehrern im Vergleich zwischen Hessen und Bayern eine gewaltige Unterbilanz der Versorgung von Hessen festzustellen ist?
({18})
Elf Schüler mehr als in Bayern mußte ein Lehrer in Hessen betreuen.
({19}) Ein eklatanter Beweis Ihrer Einseitigkeit!
({20})
Mit welchem Recht eigentlich hat man bisher in einer Restauration von links, wenn Sie gestatten, nur die allgemeine Bildung, nämlich Abitur und Studium, zum Hauptziel der Bildungsexpansion erklärt, die berufliche Bildung aber als bloße Reproduktion von Fertigkeiten abgewertet? Mit welchem Recht bietet der Staat Stipendien den Studenten an, jungen Handwerkern dagegen nicht? Ziel muß es sein, die berufliche Bildung neben der allgemeinen Bildung als einen eigenständigen, gleichberechtigten und gleichwertigen Teil auszubauen und zu akzeptieren.
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In der beruflichen Praxis ist die gleiche Bewertung von theoretischer und praktischer Tätigkeit viel weiter vorangeschritten. Das Ergebnis meiner eigenen Recherchen in dieser Frage hat mich selbst überrascht.
({22})
Es ist so, daß heute ein Oberregierungsrat mit 35 Jahren und zwei Kindern genausoviel verdient wie ein Kraftfahrzeugmeister gleichen Alters und mit ebenso vielen Kindern in der Autoindustrie. Ich brauche in diesem Zusammenhang auf freiberufliche Praktiker und deren Einkommen nicht einzugehen. Deshalb, meine Damen und Herren, Schluß mit der auch hier indirekten Diskriminierung beruflicher Bildung, die dadurch entsteht, daß man allgemeine Bildung so stark und so einseitig überbewertet!
Der Herr Bundesminister wird nun einwenden, daß er das ja gar nicht tue, daß er ganz im Gegenteil sich der beruflichen Bildung in besonderem Maße annehme; denn er habe Markierungspunkte und neuerdings sogar einen Referentenentwurf vorliegen. Wenn man mit Gesetzentwürfen politischen Bedürfnissen in jedem Fall gerecht würde, dann hätten Sie recht, Herr Minister. Sie wissen, wir haben im Jahre 1974 aber nach sehr langer Zeit zum erstenmal wieder zuwenig Ausbildungsplätze für Lehrlinge. Die Bundesanstalt für Arbeit hat hierzu nach Presseberichten Zahlen veröffentlicht, die davon sprechen, daß seit einem Jahr die Zahl der Ausbildungsplätze in Deutschland um über 100 000 zurückgegangen ist. Man fragt sich doch, woher das kommt. Die Veröffentlichung Ihrer Markierungspunkte, die künftig in Aussicht gestellte hohe Anforderung an Ausbildungsbetriebe im Bereich der mittelständischen Wirtschaft, die vergiftende pauschale Verteufelung des Unternehmertums als Ausbeuter verursachen eine Resignation, die sich auch in diesen Zahlen niederschlägt.
({23})
Ihr nunmehr vorliegender Referentenentwurf zur Neufassung des Berufsbildungsgesetzes sieht eine totale Umstrukturierung des beruflichen Bildungssystems vor.
Herr Abgeordneter Probst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Ich stehe dem Herrn Abgeordneten Möllemann immer zur Verfügung.
Ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe.
Herr Kollege Dr. Probst, würden Sie mir liebenswürdigerweise vielleicht erklären, wie anders Sie eine hochqualifizierte berufliche Bildung erreichen wollen als dadurch, daß Sie auch an die Ausbildungsstätten hohe Anforderungen stellen?
({0})
Herr Kollege Möllemann, jeder, der die Frage der beruflichen Ausbildung in unserem Lande kennt, weiß, daß der eigentliche Engpaß - Sie müßten sich da noch informieren - im schulischen Bereich liegt. Die eigentliche Kritik setzt da an, wo der Betrieb aufhört. Umfragen haben doch ergeben, daß die Lehrlinge - oder die Auszubildenden, wie es heute heißt - im großen und ganzen mit ihrer Ausbildung zufrieden sind. Meinen Sie denn, daß Sie den jungen Leuten dadurch dienen, daß Sie weniger Ausbildungsplätze in Deutschland zur Verfügung stellen können.
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Sie haben ja dann keine Chance, die jungen Menschen überhaupt auszubilden.
Herr Bundesminister, Ihr Vorschlag, der nun in Form des Referentenentwurfs vorliegt, wird zu einer Verstaatlichung bei gleichzeitiger Ausschaltung der Kammern und der Selbstverwaltungseinrichtungen führen.
Herr Abgeordneter Dr. Probst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Engholm?
Herr Engholm? Wenn es sein muß.
Ich danke Ihnen für Ihr gnädiges Entgegenkommen, Herr Redner. Sind Ihnen die Studien - etwa die Alex-Studie oder die WEMAStudie - und die Ergebnisse über die Qualität der Ausbildung bekannt, und welche Schlußfolgerung ziehen Sie daraus?
Mir sind beide Studien bekannt, wobei ich allerdings sagen muß, daß die Alex-Studie nach meiner Kenntnis, wie man Wissenschaft treibt, eine recht einseitige Lehrlingsbefragung war, während die andere Studie doch eine recht umfassende und in meinem Sinne Aussagen treffende Studie ist.
({0})
Herr Bundesminister, ich kann in der Frage der Umstrukturierung unseres beruflichen Bildungssystems nur Ihren Mut bewundern. Aber Mut haben Sie in der letzten Zeit ja ohnehin an bestimmten Stellen bewiesen. Sie strukturieren eben dieses System um. Damit wird ein im Grunde gut funktionierendes System, das in der Welt viele Nachahmer gefunden hat, zerstört. Es gibt weder das Geld noch das Personal, ein neues und dann sicher auch sehr bürokratisches System aufzubauen. Ohne absehbaren Erfolg brauchen Sie für eine neue Bürokratie allein eine Startmannschaft von 3000 Mann und ein Startkapital von 120 Millionen DM. Die Folgen für die berufliche Ausbildung in Deutschland werden unübersehbarer sein. Die Leidtragenden sind die jungen auszubildenden Menschen, und deshalb, Herr Minister, weg mit Ihren Vorschlägen und Entwürfen!
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Sammeln Sie erst noch mehr Erfahrungen mit dem 1969 erst verabschiedeten Berufsbildungsgesetz. Verbessern Sie dieses dort, wo es nötig ist. Beseitigen Sie aber nicht das zwar verbesserungsfähige, aber im Grunde gut funktionierende Ausbildungssystem.
Lassen Sie mich am Schluß noch einen Gedanken anfügen. Die Bildungspolitik ist heute nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie noch vor einigen Jahren. Auch der Herr Bundeskanzler sprach davon. Das hat nicht nur Nachteile, sondern auch einen ganz großen Vorzug. Dadurch ist uns die Chance gegeben, die noch offenen Probleme weniger spektakulär und dadurch vielleicht sachbezogener zu diskutieren. Lassen Sie uns in dieser Richtung einen neuen Anfang machen; lassen Sie uns den Bildungsgesamtplan im Sinne einer Fortentwicklung nach Augenmaß Schritt für Schritt verwirklichen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Slotta.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Probst, ich hatte an sich nicht die Absicht, auf Ihre Einlassungen einzugehen, weil Ihre Rede eigentlich nichts zum Inhalt des Bildungsgesamtplans ausgesagt hat. Aber einige Anmerkungen muß ich doch machen. Sie haben gesagt, diese Bildungsdebatte würde sich dadurch von früheren unterscheiden, daß sie erstens nicht zu später Abendstunde, zweitens mit der Voraussetzung der Zustimmung aller begonnen habe. Aber Sie haben einen entscheidenden Punkt vergessen.
({0})
- Das ist mir bekannt. Ich habe mich nur gewundert, daß Sie noch da sind, Herr Stücklen; sonst sind Sie am Freitag meistens weg.
({1})
Ich meine, in einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich diese Bildungsdebatte. Denn außer den beiden Regierungserklärungen ist es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zum erstenmal, daß
ein Bundeskanzler über die Bildungspolitik spricht, und zwar sehr fundiert. Das sollten wir einmal feststellen.
({2})
Zweitens. Herr Kollege Probst, es tut mir leid, das hier sagen zu müssen: Sie haben die Namen Leussink und Hamm-Brücher erwähnt, die wohl beide nicht hier sein können. Aber dann haben Sie den Namen Lohmar erwähnt und haben dabei so unterschwellig anklingen lassen: Na ja, der spielt ja bei uns nicht mehr mit.
({3})
- Nein, so ist es eben nicht, Herr Kollege Dr. Probst. Wenn Sie sich erkundigt hätten, würden Sie wissen, daß Herr Kollege Lohmar schwerkrank ist und deshalb nicht hier sein kann.
({4})
In jedem anderen Fall wäre er hier. Aber ich glaube,
es spricht für Ihren Stil, so etwas zu unterstellen.
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Probst? -Bitte sehr!
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, wenn ich für mich in Anspruch nehme, daß es nicht meine Absicht war, den Herrn Kollegen Lohmar deshalb anzusprechen, weil er vielleicht krank zu Hause ist, sondern weil er sich aus unserem Ausschuß und als Vorsitzender des Ausschusses zurückgezogen hat? Das ist eine Tatsache.
({0})
Herr Kollege Dr. Probst, es ist, glaube ich, das Recht eines jeden Abgeordneten, sich zu entscheiden, wo er seine Prioritäten setzen will.
({0})
Daß Herr Lohmar als Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Technologie auch über bildungspolitische Fragen Entscheidendes sagt und dabei Kontakt zu unserem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hält, ist ja wohl unbestritten.
Ich will ein drittes Problem, das Sie angesprochen haben, aufgreifen. Die CDU/CSU behauptet immer wieder, die integrierte Gesamtschule sei ein unerprobtes Modell. Aber Sie müssen doch auch einmal über unsere Grenzen hinausschauen. Schauen Sie nach Schweden, schauen Sie sich die Comprehensive School in England an, schauen Sie sich die High Schools in den USA an! Das sind doch horizontal gegliederte Schulen. Sie können doch, abgesehen von einigen wenigen Staaten, überall feststellen, daß an die Stelle des vertikalen Systems der drei Säulen etwas anderes gesetzt worden ist. Das fängt mit der bisherigen Volksschule im alten Sinn an. Ich wundere mich eigentlich darüber, daß immer noch von der „Volksschule" gesprochen wird. Ist denn das Gymnasium keine Volksschule? Sind dort nicht Kinder des Volkes? Wer ist denn dort eigentlich?
({1})
- Ja, aber warum nennt man nur eine Schule „Volksschule"?
({2})
Das kommt doch aus dem Ständedenken des 18. Jahrhunderts. Da sind Sie immer noch, Herr Stücklen.
({3})
In Schweden hat man mit der Einrichtung der Gesamtschule, nachdem die Sozialdemokraten, ich glaube, im Jahre 1933 an die Regierung gekommen waren, 1940 begonnen. Die Gesamtreform, d. h. die Einrichtung der Gesamtschule im ganzen Land, wurde erst im Jahre 1972 abgeschlossen. 32 Jahre lang brauchte man Zeit. Hätten wir in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1950 oder 1955 mit der Realisierung unserer Gedanken begonnen,
({4})
wären wir heute schon ein wesentliches Stück weiter, und Herr Probst wäre von der Richtigkeit unserer Auffassung über die Gesamtschule überzeugt.
({5})
Ich will hier noch einen weiteren Gedanken aussprechen, und ich sage das ganz deutlich, Herr Kollege Probst. Natürlich ist für uns die integrierte Gesamtschule nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Frage.
({6})
Sie lehnen die integrierte Gesamtschule ab, weil Sie im Grunde genommen die Chancengleichheit der bisher Unterprivilegierten nicht wollen.
({7})
Für uns - diesen Vorwurf lasse ich mir von Ihnen gefallen - ist das auch eine ideologische Frage. Aber Sie müssen dann genauso deutlich sagen, daß auch das Beibehalten des dreigliedrigen Schulsystems eine ideologische Position ist, die dem ständischen Denken des 18. Jahrhunderts entspricht.
({8})
Wenn Sie das zugeben, können wir offen miteinander diskutieren.
({9})
- Wir haben bessere Ideologien als Sie; das ist der Unterschied.
({10})
- Ja, ja.
Nun noch einige Worte zu dem Gedanken der Gleichwertigkeit des beruflichen Bildungssystems. Herr Probst, wer hat denn die Gleichwertigkeit von allgemeinbildender und beruflicher Bildung immer wieder betont? Das waren doch nicht Sie.
({11})
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre die berufliche Bildung im Bildungsgesamtplan ja überhaupt nicht enthalten.
({12})
-- Herr Kollege Pfeifer, ich kann Ihnen das belegen.
({13})
Herr Kollege Probst, im Jahre 1959 legte der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen den sogenannten Rahmenplan vor. Sie kennen die Zusammensetzung dieses Ausschusses.
({14})
Ich möchte den Herrn Staatsminister für Unterricht und Kultus darum bitten, hier keine Zwischenrufe zu machen, weil das den Bundesratsmitgliedern nicht zusteht.
Es stört mich aber gar nicht.
1959 gab es ein erstes solches Modell. Hätten wir damals - sei es auch nur nach den immerhin nicht so weitreichenden Vorstellungen des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen -- begonnen, es zu realisieren, wären wir heute in einer viel besseren Ausgangssituation, als wir es sind. Aber damals war die berufliche Bildung eben nicht darin enthalten, und zwar deshalb nicht, weil der dort versammelte Kreis immer noch an dem Privileg des allgemeinbildenden Schulwesens festhielt.
({0})
Meine Damen und Herren, der Bildungsgesamtplan, den der Deutsche Bundestag heute berät und der den Weg der Bildungsreform in der Bundesrepublik Deutschland bis 1985 vorzeichnet, wird Konsequenzen für jeden Bürger haben. Er hat nicht nur auf die Kinder und Jugendlichen und deren Eltern Auswirkungen, sondern auch auf diejenigen Erwachsenen, die über ihre bisherige Ausbildung hinaus als Berufstätige weiterlernen und sich fortbilden wollen.
Der Bildungsgesamtplan ist das Ergebnis der Arbeit der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, die durch ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern am 25. Juni 1970 errichtet wurde. Er wurde am 20. September und 30. November 1973 von den Regierungschefs des Bundes und der Länder beschlossen.
Der Bildungsgesamtplan markiert einen wichtigen Einschnitt in der bildungspolitischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, vielleicht den wichtigsten Einschnitt überhaupt. Denken wir an ,die Ausgangslage: Die Länder haben - jedes für sich im föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland den ihnen verfassungsgemäß zugewiesenen Teil der Entwicklung des Bildungswesens von Anfang an wahrgenommen. Das ist eine bis zu einem gewissen Grad wünschenswerte Pluralität. Sie kann jedoch ebensogut zu einer Auseinanderentwicklung der Teile unseres Staates führen. Das geschieht dann leider automatisch zu Lasten der Bevölkerung, der Schüler und Jugendlichen, der Eltern, der Lehrlinge bzw. der Auszubildenden und der Studenten. Diese Belastungen stellen sich als staatlich geduldete Chancenungleichheit, Immobilität und damit Ungerechtigkeit dar.
Mit dem Instrument der Ständigen Konferenz der Kultusminister, der KMK, haben die Länder zwar selbst versucht, gewisse Rahmenvereinbarungen als Grenzen herzustellen. Aber dies geht nur bis zu einem bestimmten Grad und auch nur für eine gewisse Zeit. Wenn die Funktion der Bildungspolitik als Gesellschaftspolitik angesichts eines drohenden Bildungsnotstandes jedoch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland und aus der Sicht der gesamten Gesellschaft neu bestimmt werden muß, reicht für dieses Geschäft eine Fachministerkonferenz nicht aus. Die Neubestimmung muß vielmehr durch integrierte, die Bereiche der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einbeziehende Regierungsplanung erreicht werden. Diese gemeinsame Regierungsplanung ermöglicht der 1969 geschaffene Art. 91 b des Grundgesetzes. Die 1970 auf Vorschlag der Bundesregierung errichtete Bund-LänderKommission für Bildungsplanung konnte auf dieser Grundlage ihre Arbeit aufnehmen.
Die drängende Notwendigkeit, einer Zerplitterung unseres Bildungswesens mit all ihren negativen Auswirkungen entgegenzuwirken, zeigte sich bereits in den fünfziger .Jahren. Der Ruf nach einer Vereinheitlichung des Bildungswesens der Bundesrepublik Deutschland wurde immer lauter.
Ich erwähnte es bereits: 1959 legte der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen den „Rahmenplan zur Neugestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens" vor.
Auf ihrer Tagung vom 14. bis 16. Juni 1962 in Wiesbaden verabschiedeten die Delegierten der Ge5618
werkschaft Erziehung und Wissenschaft den Plan zur Neugestaltung des deutschen Bildungswesens, den sogenannten Bremer-Plan.
Beide Pläne haben die Diskussion über die „Umgestaltung und Vereinheitlichung" bzw. ,,Neugestaltung" unseres Bildungswesens bereichert. Sie konnten jedoch für das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland generell nicht durchgesetzt werden.
Vor zehn Jahren, 1964, beschäftigte sich auch der Deutsche Bundestag mit dieser Problematik. Die SPD-Fraktion dieses Hauses war es, die hier auf die Misere des deutschen Bildungswesens aufmerksam machte und ein Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden forderte. Ich zitiere aus der Debatte vom März 1964:
Man wird sich zugestehen müssen, daß die bisherigen Schwierigkeiten in der Kulturpolitik des Bundes wie der Länder . . . darin lagen, daß das Grundgesetz dem Bund nur sehr geringe Möglichkeiten einer gestaltenden Kulturpolitik gelassen hat, so daß der Bund seiner Gesamtverantwortung . . . aus eigener Kraft nicht gerecht zu werden vermochte. Die einzelnen Länder als solche sind aber ebenfalls nicht in der Lage, in einem modernen Wirtschafts- und Sozialstaat für sich selbst eine großzügige Kulturpolitik zu treiben.
In der Kulturpolitik liegt eine Schicksalsfrage des deutschen Föderalismus. . . .
Das Zitat stammt übrigens von dem ehemaligen CDU-Abgeordneten Dr. Martin, der auch einen nationalen Bildungsplan gefordert hat. Die damaligen Bundesregierungen, seine Parteifreunde, unternahmen freilich nichts.
Der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, forderte in einem Schreiben vom 15. September 1964 die Vorsitzenden der anderen Parteien im Bundestag auf, mit Hilfe eines gemeinsamen Sofortprogramms die Bildungskatastrophe zu verhindern. Die damalige Bundesregierung verwies auf den Bildungsrat, der zunächst eingesetzt werden sollte. Sicher ist der Bildungsrat eine verdienstvolle Einrichtung, aber eben kein exekutives Entscheidungsorgan.
Auch hierzu fand vor zehn Jahren, am 9. Dezember 1964, eine große Bildungsdebatte in diesem Hause statt - die zweite - und wiederum aus Anlaß einer Großen Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion. Ich zitiere daraus:
An der Planungsverantwortung den Bund maßgeblich zu beteiligen, ist nämlich nicht nur eine Forderung der Zweckmäßigkeit, sondern auch ein Gebot unserer bundesstaatlichen Ordnung.
Ich habe das Zitat etwas abgekürzt, um Zeit zu sparen. Ich bin sicher, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages diesen Worten wie damals 1964 auch heute zustimmen. Der CDU/CSU wird das leicht falsen, stammen diese Worte dnch von dem damaligen Bundesinnenminister Hermann Höcherl.
({1})
Leider ist es damals bei den Worten geblieben. Ta- ten sind nicht gefolgt. Der SPD fällt es noch leichter, den Worten zuzustimmen, da sie, seit sie in der Regierungsverantwortung ist, dafür gesorgt hat, daß der Bildungsgesamtplan erstellt wurde.
Im Unterschied zu allen anderen Plänen stellt der Bildungsgesamtplan eine zwischen Bund und allen Ländern vereinbarte Grundlage zur Weiterentwicklung des Bildungswesens in der Bundesrepublik dar. Es ist damit endlich ein sowohl organisatorischer als auch finanzieller Rahmen für die Entwicklung des Bildungswesens vereinbart, und zwar für das gesamte Bildungswesen vom Elementarbereich bis zum tertiären Bereich, d. h. von der Vorschule bis zur Hochschule einschließlich der Weiterbildung, der Bildungsförderung und der außerschulischen Jugendbildung.
Daß der Bildungsgesamtplan die berufliche Ausbildung ausführlich erfaßt - im Rahmenplan und im Bremer Plan fehlt sie, wie ich vorhin schon sagte -, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Eine umfassende Reform der Berufsbildung ist notwendig. Dies erweisen nicht zuletzt fünf umfangreiche Studien über Not und Mängel des heutigen Systems, und da sollte man sich nicht immer nur die aussuchen, Herr Dr. Probst, die einem gerade passen.
({2})
Anmerken muß ich hier, daß wir in diesem Bereich keine Verschulung und auch keine Verstaatlichung wollen, wie dies von der CDU/CSU über das Handwerk bis zu der Industrie immer wieder schamlos behauptet wird.
({3})
Was wir wollen, ist folgendes.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Josten?
Bitte schön!
Herr Josten!
Herr Kollege, darf ich Sie, nachdem ich damals im Rahmen der Großen Koalition den Vorsitz der Ad-hoc-Kommission zum Ausbildungsförderungsgesetz hatte, fragen: Haben Sie die damaligen Protokolle unserer Kommission gelesen?
({0})
Die Protokolle kenne ich zum Teil; aber Sie müßten mir dann nachweisen, wo solche Gedanken einer Verschulung und Verstaatlichung ausgesprochen werden. Es wäre, glaube ich, besser gewesen, Sie hätten mich diese Passage zu Ende lesen lassen. Dann würden Sie wissen, was wir wollen.
Darf ich Sie aber dann fragen: Ist Ihnen bekannt, daß wir damals bei der Großen Koalition im Rahmen dieser Kommission erkannt haben, daß die berufliche Bildung eine Priorität für die Zukunft haben muß, und daß idas eine allgemeine Einstellung dieses ganzen Hauses war?
({0})
Das kann ich gern zugeben, wenn Sie bereit sind, Ihrerseits zuzugeben, daß Sie gerade im bildungspolitischen Bereich - manchmal freilich sehr spät - von der SPD und ihren Auffassungen immer sehr viel gelernt haben.
({0})
Was wir wollen, meine Damen und Herren, ist, aus der Fiktion Dualität eine echte Dualität schaffen, d. h. eine eng verknüpfte Parallelität von Theorie und Praxis, Schule, überbetrieblicher Ausbildungsstätte und Betrieb.
({1})
So, wie niemand die staatliche Aufsicht - hören Sie zu! - über Schule und Hochschule den Kammern überantworten möchte, so wenig kann das Recht des Staates bestritten werden, auch die Berufsbildung als integralen Bestandteil des Bildungssystems künftig staatlich zu kontrollieren. Das dürfte doch wohl sicher sein.
({2})
Meine Damen und Herren, über die finanziellen Fragen hat der Herr Bundeskanzler Ausführungen gemacht; ich kann meine deshalb streichen.
Leider - das müssen wir auch feststellen ist
der Bildungsgesamtplan in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Im Mittelpunkt des Interesses und der öffentlichen Diskussion stehen heute vielmehr bildungspolitische Teilprobleme wie vor allem die Mengenlehre, die Ganzheits- oder Ganzwortmethode, zu große Klassen, zuwenig Lehrer, das Bundesausbildungsförderungsgesetz oder der Numerus clausus - zweifellos Probleme, die den einzelnen direkt oder indirekt gegenwärtig betreffen. Das ist leicht zu verstehen, und dafür wird auch jeder Verständnis haben. Der Bildungsgesamtplan hat dagegen bisher nur geringe Beachtung gefunden. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Erstens. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten wiegen für die meisten schwerer als ein Plan. Übersehen wird dabei allerdings, daß nur durch eine langfristige Planung die heutigen Probleme zu lösen sind.
({3})
Zweitens. Die Bedeutung einer verbesserten Bildung für alle in einem den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen angepaßten verbesserten Bildungssystem ist trotz vieler Bemühungen noch nicht so anerkannt, wie es gewünscht wird und notwendig ist.
Drittens. Die Bildungspolitiker haben ein bildungspolitisches Vokabular teils von den Fachleuten übernommen, teils selbst entwickelt, das eigentlich nur der begreifen und verstehen kann, der sich ständig mit der Materie befaßt.
({4})
- Da scheint es bei Ihnen nicht so weit her zu sein, Herr Dr. Probst.
({5})
Der bildungspolitische Laie aber resigniert vor einem Buch mit sieben Siegeln. Dies sollten wir ändern.
Hinzu kommt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland zwar eine Anzahl bildungspolitisch außerordentlich engagierter und kompetenter Journalisten gibt, sie aber gegenüber ihren Kollegen in der Minderheit sind und das Thema somit nicht genug populär machen können.
Die geringe Bekanntheit des Bildungsgesamtplans ist zu bedauern. Es wird vieler weiterer Anstrengungen bedürfen, damit mit einem Mehr an Information die Bedeutung des Bildungsgesamtplans eingesehen wird. Wie wichtig das ist, zeigen einige Beispiele:
Im Gesamtplanungszeitraum bis 1985 werden sehr viele konkrete Ziele gesetzt, die für die meisten Menschen unseres Landes von großer Bedeutung sind. So sollen z. B. bis 1980 70 % aller Drei- und Vierjährigen einen Kindergartenplatz erhalten, bis 1985 alle Fünfjährigen in den Elementar- oder Primarschulbereich, d. h. also entweder in die Vorschule oder in die Grundschule, aufgenommen sein, ebenfalls bis 1985 im Primarbereich die SchülerLehrer-Relation auf 23 bis 19 gesenkt werden und alle Jugendlichen einer zehnjährigen Vollzeitbildungspflicht nachkommen. Mein Kollege Wüster wird auf nähere Einzelheiten eingehen.
Natürlich können diese Ziele, wie das bei Prognosen nicht selten der Fall ist, in Einzelheiten früher oder später erreicht werden. Die Festlegungen auf Teil- und Gesamtziele zeigen sich jedoch in ihrem unerläßlichen Wert, wenn folgendes bedacht wird. Treten erst 1978 die Fünfjährigen in die Vorklassen ein, werden sie erst 1988 im 10. Schuljahr sein. Daraus folgert einmal, daß wir mit der Verwirklichung dessen, was im Bildungsgesamtplan enthalten ist, nicht länger warten können, und zum anderen, daß gerade nur langfristige Perspektiven die Sicherheit für das abgeben, was in der Gegenwart verwirklicht werden muß.
Mit dem Bildungsgesamtplan liegt ein Dokument von großer politischer Bedeutung vor. Erstmals in der deutschen Geschichte, von der DDR abgesehen, soll in einem deutschen Staat das Bildungswesen nach einheitlichen Prinzipien reformiert werden. Erstmals haben wir mit dem Bildungsgesamtplan ein Modell für eine gesamtstaatliche Lösung, die in keinem anderen Bereich besteht, obwohl hier die Kompetenzen des Bundes äußerst gering sind.
Diese Bewertung gilt auch, obwohl wir mit der Kritik an dem Bildungsgesamtplan nicht sparen
können. Wir bedauern, daß in der Frage der Gesamtschule, der schulorganisatorischen Zugehörigkeit der Orientierungsstufe und der Lehrerbildung noch Meinungsunterschiede zwischen der Bundesregierung und den von der SPD regierten Bundesländern einerseits und den von der CDU/CSU regierten Bundesländern andererseits bestehen.
Die positive Bewertung des Bildungsgesamtplanes gilt auch, obwohl wir nicht damit zufrieden sein können, daß der Bildungsgesamtplan in einigen wichtigen Fragen noch offene Formulierungen enthält, die der Konkretisierung und alsbaldigen Entscheidung bedürfen, wenn ein zielgerechtes Fortschreiten der Bildungsreform gesichert sein soll. Hierbei handelt es sich vor allem um die pädagogische Versorgung der Fünfjährigen, die Fragen der Eingangsstufe und eine eventuelle Vorverlegung der Bildungspflicht, die Dauer der Bildungszeit, den Ort des Berufsgrundbildungsjahres und die nähere Ausgestaltung und Funktion der Abschlüsse.
Diese Bewertung gilt auch, obwohl gerade wir Sozialdemokraten bei allem Realismus, der gefordert wird, keinen Anlaß haben, uns mit dem, was im Bildungsgesamtplan steht, zufriedenzugeben. Der Bildungsgesamtplan ist ein Kompromiß zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern. Es ist deshalb nicht zu erwarten, daß er alle Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei abdeckt.
({6})
Tatsächlich bleibt ein Teil der Länder und damit auch die gesamtstaatliche Entwicklung hinter diesen unseren Vorstellungen zurück,
({7})
auch soweit sie beispielsweise ihren Ausdruck in dem Bildungsbericht '70 der Bundesregierung gefunden haben, der den wichtigen Versuch machte, auf der Grundlage einer Analyse der Situation des Bildungswesens und der Gesellschaft Vorstellungen zur Bildungspolitik zu entwickeln.
({8})
Doch Bund und Länder sind keine abstrakten Größen, sondern politische Faktoren, die garantieren, daß der Bildungsgesamtplan die politische Auseinandersetzung um die Bildungspolitik keineswegs beendet, der Plan somit ein politisch erreichtes und erkämpftes Zwischenergebnis darstellt. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre eine Festschreibung des Bildungssystems auf der Basis der Minderheitsvoten des Bildungsgesamtplans im Zusammenhang mit einer dirigistischen Planung.
Trotz aller Kritik sagen wir ja zum Bildungsgesamtplan; denn auf die Frage nach einer Alternative gibt es keine Antwort. Weder wäre der bisherige Zustand noch länger zu ertragen gewesen - die angeführten Zitate haben es bewiesen -,
({9})
noch haben wir heute oder in absehbarer Zeit die
Möglichkeit, durch eine Änderung des Grundgesetzes die Zuständigkeit des Bundes für das Bildungswesen auszuweiten, wofür ich persönlich bin, obwohl ich auch die Probleme eines zentral gesteuerten Bildungswesens sehe.
({10})
Der Ruf nach der Bundeskompetenz für das Bildungswesen ist eine Sache. Die andere ist die Frage, was zu tun ist, wenn die Bundeskompetenz politisch nicht erreicht werden kann: die Hände in den Schoß legen und der Wurstelei weiterhin Raum geben oder eine Lösung anstreben, die immerhin besser ist als der bisherige Zustand. Das Problem des Bildungsgesamtplans ist der Kompromiß. Aber es ist ein Kompromiß, zu dem man, wenn auch mit unterschiedlicher Betonung, ja sagen kann und der ein günstiges Blickfeld für die Weiterentwicklung unseres Bildungswesens über das Jahr 1985 hinaus eröffnet.
Mit dem Bildungsgesamtplan liegt nun 15 Jahre nach dem ersten Ansatz, dem Rahmenplan des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, eine weitgehend einheitliche Konzeption für die Gestaltung und Fortentwicklung unseres Bildungswesens bis 1985 vor.
Für die SPD-Fraktion besitzt der Bildungsgesamtplan einen ähnlich hohen politischen und geschichtlichen Stellenwert wie das Reichsgrundschulgesetz vom 28. April 1920, das auf Art. 146 Abs. 1 und Art. 147 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 basiert.
Die Weimarer Republik brachte durch die Aufhebung der Vorschulen und die Einführung der vierjährigen Grundschule die erste Demokratisierung unseres Bildungswesens. Die erste Schulstufe wurde geschaffen. Das Prinzip der unabhängig voneinander bestehenden drei Schulsäulen Volksschule, Mittelschule, Gymnasium wurde eingeschränkt. Im Bildungsgesamtplan wird dieses Prinzip fortgeführt, und zwar durch die Orientierungsstufe bis zur Beendigung des sechsten und durch die Gesamtschule, dort wo sie eingerichtet wird, bis zur Beendigung des zehnten oder dreizehnten Schuljahres. Sie würde bis zum Abschluß des zwölften Schuljahres reichen, wenn es uns gelingen könnte, die Schulzeit bis zum Erreichen des Abiturs um ein Jahr zu verkürzen, wie es in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 angekündigt war. Wir sind, außer Österreich und einigen Kantonen der Schweiz, der einzige Staat, in dem dazu dreizehn Jahre benötigt werden.
Meine Damen und Herren, der Bundesregierung, den Bundesländern und den mit beratender Funktion an der Arbeit der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung teilnehmenden Vertretern des Deutschen Bildungsrates, des Wissenschaftsrates, der kommunalen Spitzenverbände und des Bundesausschusses für Berufsbildung sollte der Deutsche Bundestag für die geleistete Arbeit und das Ergebnis Dank sagen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Probst hat die Gelegenheit genutzt, auch gleichzeitig ein paar Worte zur bevorstehenden Reform des Berufsbildungsgesetzes zu sagen. Herr Gölter, Sie waren nicht anwesend, als er dies tat. Ich glaube, es ist sinnvoll, daß Sie sich zunächst einmal mit ihm abstimmen;
({0})
denn Herr Probst hat hier zur Kenntnis gebracht, daß eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes nicht erforderlich ist.
({1})
Ich frage mich, warum denn der Bundesparteitag der CDU sich eigentlich über die berufliche Bildung unterhalten hat.
({2})
Ich möchte nur noch kurz ,darauf eingehen, daß hier natürlich bewußt, auch von Herrn Dr. Probst, wieder 'das Wort „Verstaatlichung" in die Debatte geworfen wurde. Dieses kann man in Verbindung mit den Markierungspunkten entweder nur sagen, wenn man diese nicht kennt, oder man kennt sie, und dann informiert man die Öffentlichkeit bewußt falsch. Das ist natürlich auch ein bestimmtes System; denn jeder weiß, wie notwendig das Engagement der Wirtschaft gerade für die berufliche Bildung ist, und jeder weiß auch, daß dieses Engagement dasein muß, wenn die berufliche Bildung tatsächlich eine positive Reform sein soll.
({3})
Diese Reform soll aber dieser Koalition nicht gelingen. Darum werden CDU/CSU einerseits und zum Teil leider auch 'die Funktionäre aus dem Bereich der Wirtschaft ihr Teil dazu beitragen, daß diejenigen, die sich bisher engagiert haben und sich sicherlich auch weiter engagieren würden, würden sie die Markierungspunkte kennen, dem zunächst einmal etwas kritisch gegenüberstehen.
({4})
Natürlich ist es keineswegs so, daß der Anteil der Betriebe, 'die sich zurückziehen, so hoch ist, wie er von Ihnen hochstilisiert wurde. Aber auch darin liegt natürlich System.
({5})
Wir werden trotzdem - ich bin sicher, daß Herr von Dohnanyi darauf eingehen wird - ein sehr sachliches Gespräch mit den an der beruflichen Bildung Beteiligten führen. Ich bin sicher, daß es uns langfristig gelingen wird, diesen Bereich zu reformieren, auch wenn es Ihnen vielleicht nicht paßt.
({6})
Aber wir sprachen ja eigentlich über den Bildungsgesamtplan, wenn ich mich recht erinnere.
Die Vorlage eines gemeinsamen, von Bund und Ländern erstellten Bildungsgesamtplans beweist die Notwendigkeit bundesweiter einheitlicher Planung und die Tatsache, daß sie von allen Beteiligten erkannt wurde. Wir haben es hier also mit dem Phänomen zu tun, daß ein der Kompetenz 'der Länder vorbehaltener Bereich mehr und mehr als eine bundeseinheitliche Aufgabe verstanden wird, die erforderliche Konsequenzen daraus aber nicht gezogen werden.
Dieses Parlament darf also nachträglich eine Initiative würdigen, auf die es aktiv keinen Einfluß ausüben konnte, und dieser Vorgang wird sich in elf Länderparlamenten wiederholen. Die Parlamente haben somit ihren gestalterischen Einfluß verloren und dürfen nur noch zur Kenntnis nehmen, was in fast vierjähriger Arbeit von den Kultusverwaltungen und den Finanzverwaltungen erarbeitet wurde.
Die bdeauerlichste Erfahrung aber ist, daß dies von den Abgeordneten der SPD und auch 'der CDU/ CSU im Bund wie in den Länderparlamenten offenbar keineswegs für korrekturbedürftig gehalten wird. Wie ist es sonst zu erklären, daß meine Partei ausgenommen - diese Mängel nicht aufgegriffen werden und die Parlamente nicht weiter einbezogen werden - sprich: die Kompetenzen im Bereich der Bildung nicht neu überdacht werden -?
Es gibt nun zweierlei Möglichkeiten, diesen Plan hier zu diskutieren: Entweder bejubeln wir ihn - mit kleinen kritischen Anmerkungen, versteht sich -, weil wir ja alle mehr oder weniger daran beteiligt waren, weil die Parteien über die verschiedenen Landesregierungen oder auch über die Bundesregierung daran beteiligt waren - zumindest indirekt -, oder wir nutzen diese Gelegenheit, der Exekutive in Bund und Ländern Anregungen für die Fortschreibung und Ausfüllung im Hinblick auf die weitere Arbeit mit auf den Weg zu geben.
Letzteres will ich versuchen. Sollten die Anregungen, die aus den Parlamenten kommen, ganz gleich, ob vom Bund oder aus den Ländern, aber nicht aufgenommen werden, gehe ich wohl recht in der Annahme, daß diese Einschaltung der Parlamente eine Farce ist.
Zunächst einmal aber sollte man festhalten, daß dieses erste Gemeinschaftswerk von Bund und Ländern insoweit ein Novum ist, als es erstmalig für einen großen relevanten politischen Bereich eine längerfristige Planung gibt, einschließlich der sich daraus ergebenden finanziellen Konsequenzen. Insoweit sollte dieser Plan ein Vorbild für die politischen Bereiche ähnlicher Relevanz werden; ich nenne hier nur den Umweltschutz, die Gesundheitspolitik und die Sozialpolitik.
Den Bildungspolitikern und Kultusverwaltungen wird oft vorgeworfen, daß sie einen Plan an den anderen reihen. Eines ist sicher: daß dies einer Politik des Von-der-Hand-in-den-Mund-Lebens vorzuziehen ist.
Die bisher fehlende mittel- und längerfristige finanzielle Absicherung ist nicht ein Mangel dieses
Bildungsgesamtplans, sondern Folge davon, daß Pläne in den anderen kostenträchtigen Bereichen fehlen. Wie soll ein Finanzminister einem Kostenaufwand für einen Bereich bis in das Jahr 1985 hinein zustimmen können, wenn er von den übrigen Ressorts nicht annähernd erfahren kann, welche Aufwendungen dort notwendigerweise zu erwarten sind? Eine integrierte Gesamtplanung wäre also erforderlich, um diesen Plan überhaupt insgesamt sinnvoll zu machen.
Wie ist nun eigentlich die Aufgabe, die sich Bund und Länder gemeinsam gestellt hatten? Erstens ging es darum, einen gemeinsamen langfristigen Rahmenplan für eine abgestimmte Entwicklung des gesamten Bildungswesens vorzubereiten, zweitens mittelfristige Stufenpläne für die Verwirklichung der bildungspolitischen Ziele des Rahmenplanes vorzubereiten, drittens Empfehlungen zur Koordinierung vollzugsreifer Teilpläne des Bundes und der Länder auszusprechen, viertens Programme für die Durchführung vordringlicher Maßnahmen vorzubereiten, fünftens den voraussichtlichen Finanzbedarf und Vorschläge für die Finanzierung zu erarbeiten, sechstens die Fortschreibung der verabschiedeten Pläne zu machen, siebtens Vorhaben im Bereich der Bildungsforschung und der Bildungsplanung anzuregen und gegebenenfalls Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern über einzelne Vorhaben und Einrichtungen der Bildungsforschung und der Bildungsplanung von überregionaler Bedeutung vorzubereiten, achtens schließlich den internationalen Erfahrungsaustausch in der Bildungsplanung zu fördern.
Was wurde von diesen Punkten im Laufe der Zeit und in dem hier vorliegenden Bildungsgesamtplan nun abgehakt? Der gemeinsame langfristige Rahmenplan für eine abgestimmte Entwicklung des gesamten Bildungswesens sollte ja - erinnern wir uns einmal zurück - nicht deshalb vorbereitet werden, um die Zuwächse in den jeweiligen Landeshaushalten für die Bildungsbereiche zu präjudizieren. Dies ginge auch gar nicht, da dafür ja nun wirklich weiterhin die Parlamente zuständig sein sollten, und ich hoffe, daß wir daran nichts ändern wollen. Das Ziel war es vielmehr, sich unterschiedlich entwickelnde Strukturen der Bildungseinrichtungen in den einzelnen Ländern abzustimmen. Dieses Klassenziel wurde nicht erreicht. Die unterschiedlichen Strukturvorstellungen sind nach wie vor vorhanden und drücken sich in den unterschiedlichen Voten von SPD/FDP auf der einen und CDU/ CSU auf der anderen Seite und z. B. durch weitere offene Formulierungen aus. Man kann also den Bildungsgesamtplan als einen Katalog der Kompromisse mit Preisliste und nicht als einen Gesamtplan mit Bildungsbudget bezeichnen.
({7})
Man kann überspitzt formulieren: der Bildungsgesamtplan beschränkt sich in seiner Aussage auf alles, was Geld kostet, und läßt alles, was nicht kostenträchtig ist, heraus, weil man sich darüber nicht einigen konnte, z. B. die innovativen Elemente, Bildungsberatung, Studentenberatung, Bildungsforschung, Fernstudium, Curriculumreform, Hochschulrahmengesetz und Schulverfassung.
({8})
Die unterschiedlichen Auffassungen zur Gesamtschule, zur Schulformunabhängigkeit der Orientierungsstufe und zur Lehrerbildung sind bestehen geblieben. Auseinanderentwicklungen zwischen den einzelnen Bundesländern werden durch diesen Bildungsgesamtplan also keineswegs verhindert. Dies aber war gerade seine Aufgabe.
Die CDU/CSU unternimmt nun den Versuch, denjenigen, die sich den Mehrheitsvoten anschließen, also denjenigen, die sich nach wie vor zur integrierten Gesamtschule, zur schulformunabhängigen Orientierungsstufe und zu einer stufenbezogenen Lehrerbildung bekennen, die Zuwiderhandlung gegen den Bildungsgesamtplan vorzuwerfen. Sie macht also Ihre Minderheitsvoten nachträglich zur gemeinsamen Grundlage. Dies ist ein Beweis, daß gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern bei der heutigen Kompetenzverteilung immer heißt, sich am langsamsten Schiff im Geleitzug zu orientieren.
Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß während der Versuchsprogramme zur Gesamtschule und zur integrierten Orientierungsstufe Schwierigkeiten entstanden sind. Diese sprechen aber nicht gegen das System der Gesamtschule, sondern gegen die derzeitige Form der Durchführung. Das Versuchsprogramm dient aber nun gerade dazu, d i e Form der Gesamtschule zu erarbeiten, die im Sinne des einzelnen Schülers die beste ist.
Gesamtschulen werden kritischer betrachtet als andere. Deshalb fallen ihre Schwierigkeiten auch stärker auf. Die Mängel und Schwierigkeiten des gegliederten Schulsystems hingegen fallen deshalb nicht auf, weil man ja lange genug Zeit hatte, sich daran zu gewöhnen.
({9})
Der Unterschied in der Betrachtungsweise den Gesamtschulversuchen gegenüber liegt darin: Die CDU/ CSU verfährt nach dem Motto „Ätsch, das haben wir ja gleich gesagt", während wir aus diesen Erfahrungen Lehren ziehen und Korrekturen anstreben.
({10})
In diesen unterschiedlichen Verhaltensweisen unterscheiden sich übrigens Konservativismus und Fortschritt.
({11})
Herr Probst hat hier darauf hingewiesen, ,daß die Erfahrungen der Versuche mit den Gesamtschulen in Hessen einbezogen werden und daß wir daraus lernen sollten. In der Tat, das müssen wir. Ich darf daran erinnern - das wissen vielleicht auch einige, die aus Landesparlamenten kommen -, daß die FDP, solange sie die integrierten Gesamtschulen
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 86. Sitzung, Bonn, Freitag, den, 15. März 1974 5623
fordert, auch ihre wissenschaftliche Begleitung fordert, und wir machen überhaupt keinen Hehl daraus, daß uns das in vielen Ländern ausgesprochen unterbelichtet erscheint.
({12})
Gerade in der letzten Zeit, im Zeichen des nicht mehr uneingeschränkten Zugangs aller Abiturienten zu den Hochschulen, hat sich die Notwendigkeit der Zusammenführung von allgemeiner und beruflicher Bildung erneut in besonderem Maße gezeigt, sowohl um die Sackgasse beruflicher Bildung ohne weiterführende Qualifikation, als auch - und diese Erkenntnis ist etwas jünger -, um die Sackgasse einer Allgemeinbildung mit weiterführenden Qualifikationen, aber ohne Berufsqualifikation, zu vermeiden. Um diesem Notstand zu begegnen, wird man gezwungen sein, die vorzeitige Festlegung auf bestimmte Bildungsgänge zu vermeiden. Dies bedingt aber die Form der integrierten Gesamtschule.
Was auffallen mußte - auch an der Rede von Herrn Probst -, war, daß man das Numerus-clausus-Problem, das an der Hochschule auf uns zukommt
({13})
wieder zurückverlegen will auf die Eingangsvoraussetzungen zum Gymnasium. Dies zu verhindern, war vor vielen Jahren unser Ziel, und wir werden uns gegen alle Bestrebungen wehren, die das Numerus-clausus-Problem lediglich in die unteren Jahrgänge vorziehen.
({14})
Daß auch die CDU/CSU sich diesem Argument der zu frühen Entscheidung nicht ganz verschließt, beweist sie in ihrem besonderen Votum zur Orientierungsstufe. Darin heißt es:
Die Orientierungsstufe kann organisatorisch sowohl den verschiedenen Schulformen zugeordnet werden wie auch schulformunabhängig gestaltet werden. Unabhängig von der Schulform, der sie zugeordnet ist, sollen die curricularen Angebote an allen Schulen einheitlich sein.
Dies bedeutet doch im Klartext, daß den Eltern und Schülern mit dem Hinweis auf die Einheitlichkeit des curricularen Angebots vorgegaukelt wird, daß die Umschulung nach der vierten Klasse Grundschule in die Orientierungsstufe der Hauptschule, der Realschule oder ,des Gymnasiums noch keine Vorentscheidung sei. Daß sie dies aber ist, weiß auch die CDU/CSU.
Der Bildungsgesamtplan enthält in wichtigen Strukturfragen offene Formulierungen, weil man sich auch hier nicht einigen konnte. Dazu gehört die pädagogische Versorgung der Fünfjährigen. Herr
Professor Slotta hat bereits darauf hingewiesen. Bis heute steht noch nicht steht, ob dies zur Pflicht gemacht werden soll oder nicht, und es steht ebensowenig fest, ob sich die Schulpflicht für Fünfjährige, wenn sie überhaupt eingeführt wird, auf den Elementarbereich oder den Primarbereich beziehen soll. Offen sind auch noch die Dauer der Bildungszeit, die Zuordnung des Berufsgrundbildungsjahres sowie die Form der Abschlüsse und der Übergänge. Darüber hinaus fehlen Hinweise zur Integration der beruflichen und der allgemeinen Bildung.
Es gibt eine Reihe von Erkenntnissen, die die Bildungspolitik in den letzten Jahren gebracht hat und die nicht ohne Einfluß auf andere gesellschaftspolitische Bereiche bleiben sollten. So bewirken z. B. längere Ausbildungszeiten mit höher qualifizierenden Abschlüssen automatisch bestimmte Einstufungen in die Hierarchien der Arbeitswelt. Dieses Berechtigungswesen führt dazu, daß jeder möglichst hohe Abschlüsse mit dem Anspruch einer entsprechend hohen Einstufung in der Hierarchie anstrebt. Der Gedanke, daß bessere Bildung nicht automatisch höheres Einkommen gibt, sollte von den Bildungspolitikern stärker in die öffentliche Diskussion hineingebracht werden. Dies hat der Bildungsgesamtplan nicht geleistet.
Der freiwillige Ausstieg aus dier Erstausbildungsphase mit mittlerem Abschluß wird auch weiterhin erschwert, da der Weiterbildungsbereich im Bildungsgesamtplan auch zukünftig unterentwickelt bleiben wird und damit nicht die Chance bietet, die Ausbildung in einer späteren Phase fortzusetzen. Dies ist eine Belastung für den tertiären Bereich, die nicht durchgehalten werden kann, was bereits heute zu erkennen ist. Wenn im Jahre 1970 das Verhältnis der Ausgaben zwischen Hochschule und Weiterbildung 40 : 1 war und 1985 noch das wenig verbesserte Verhältnis von 35 : 1 vorhanden sein wird, kann man wohl kaum davon sprechen, daß den Bildungsplanern die Relevanz der Weiterbildung bewußt geworden ist.
Wie verbindlich ist nun dieser Bildungsgesamtplan? Die Parlamente der Länder wie auch der Bundestag sind natürlich keineswegs an die durch den Bildungsgesamtplan vorgegebenen Daten gebunden. Er wirkt allerdings insoweit präjudizierend, als die Parlamente schon Rechenschaft ablegen müssen, wenn sie diese Daten nicht einhalten. Bisher fehlen aber, wie es das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern vorsieht, Empfehlungen zur Koordination vollzugsreifer Teilpläne des Bundes und der Länder. Diese sind nun aber erforderlich, soll der Bildungsgesamtplan nicht reine Lektüre bleiben.
Es fehlen weiter die Programme für die Durchführung vordringlicher Maßnahmen, wie es Art. 2 Nr. 4 des Verwaltungsabkommens vorsieht.
Bildungspolitik ist heute ohne Bildungsforschung und Bildungsplanung nicht mehr denkbar. Die einzelnen Länder sind mit dieser Aufgabe überfordert. Darüber hinaus besteht aber gerade hierbei zu Recht die Forderung nach Bundeseinheitlichkeit. Bundesweite Initiativen scheitern aber auch hier
am Kompetenzgerangel. Sie zu forcieren ist notwendig, ja, sie nicht zu forcieren wäre sträflich. Denn viele Schwierigkeiten und Mängel in unserem Bildungssystem könnten vermieden werden, würden politische Entscheidungen wissenschaftlich abgestützt.
({15})
Ich darf an dieser Stelle nur daran erinnern, daß die ganze politische Auseinandersetzung über die Mengenlehre völlig unsinnig wäre, wenn wir pädagogisch wüßten, was gut ist. Dadurch, daß wir keine vernünftige Bildungsforschung und Bildungsplanung betreiben, wird politisch entschieden, was eine wissenschaftliche Entscheidung sein sollte.
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Dies ist ein sehr trauriger Zustand. Aber das ist ein Auftrag an die Länder, hier bitte für Bundeseinheitlichkeit und für ein Bundesinstitut, um das einmal am Rande zu erwähnen, zu sorgen.
Insgesamt ergeben sich folgende Erwartungen:
Erstens. Zur Durchführung des Bildungsgesamtplans sind in Erfüllung des Verwaltungsabkommens Stufen- und Teilpläne zu entwerfen.
Zweitens. Zur Verbesserung der Datensituation ist ein Bildungsstatistikgesetz des Bundes zu schaffen. Die notwendige Vergleichbarkeit von Daten aus den einzelnen Bundesländern untereinander erfordert eine bundeseinheitliche Regelung. Das Bestreben der Länder, ein Bundesgesetz abzulehnen und an Stelle dessen einen Staatsvertrag abzuschließen, ist eine weitere Ausschaltung der Parlamente und damit abzulehnen.
Drittens. Entsprechend Art. 2 Nr. 6 des Verwaltungsabkommens sind die Pläne fortlaufend zu überprüfen und die notwendigen Änderungen vorzuschlagen. Zur politischen Erfolgskontrolle sind von Zeit zu Zeit Berichte über die durchgeführten Maßnahmen abzugeben.
Bei aller Kritik, die bei dieser erstmaligen Befassung des Bundestages angemeldet werden mußte, bleibt festzustellen, daß der Bildungsgesamtplan ein Datum gesetzt hat, dem die Parlamente - und hier besonders die Länderparlamente - durch haushaltspolitische Maßnahmen Rechnung tragen müssen. Es gibt kaum eine innenpolitische Reform, die so wie die Bildungsreform einen langen Atem erfordert. Erfolge stellen sich nie sofort ein, sondern der Effekt von Maßnahmen wirkt sich erst Jahre später aus. Diese Zeitverzögerung wirkt sich aber leider auch bei Versäumnissen von heute aus. Ihre Folgen wirken viele Jahre weiter.
Darum fordern wir die Bundesregierung auf, ihren Einfluß einzusetzen, auch die Strukturreform, wie es der Bildungsbericht 1970 vorsah, zu verwirklichen und alle Unverbindlichkeiten und unterschiedlichen Voten gezielt und zügig abzubauen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schuchardt hat hier eben mit Recht auf die Unzulänglichkeiten des Bildungsgesamtplans hingewiesen. Niemand würde behaupten, daß der Bildungsgesamtplan vollständig und perfekt sei. Aber gerade weil es so schwierig ist, in dieser Frage zu verdeutlichen, wo wir stehen, und weil mir auch klar ist, daß in der Bevölkerung draußen die wichtigen Schritte des Bildungsgesamtplanes nicht immer klar werden, will ich doch noch einmal zehn wichtige Punkte wiederholen.
Erstens. Bis zum Ende des Jahrzehnts, also in etwa fünf Jahren, sollen für alle drei- und vierjährigen Kinder, deren Eltern für diese Kinder einen Kinderspielplatz wünschen, Kindergartenplätze auch vorhanden sein. - Frau Schuchardt, hier kommt jetzt ein Punkt zu Ihrer Kritik. Der Bildungsgesamtplan sieht beim Ausbau der Kindergärten vor, daß die sozio-ökonomisch benachteiligten Gebiete zunächst bevorzugt werden sollen. Mit dieser - für die Regierungen verbindlichen Feststellung gibt der Bildungsgesamtplan den Länderparlamenten die Chance der Kontrolle, zu prüfen, ob das auch wirklich geschieht.
Zweitens. für alle fünfjährigen Kinder soll Gelegenheit geschaffen werden, eine spielenden Übergang zum Lernen zu finden, entweder in hierfür besonders geeigneten Kindergärten oder in Vorschulen. - Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die Frage der Eingangsstufe offengeblieben ist, Frau Schuchardt. Dies ist wohl auch ein Problem, das vermutlich regional unterschiedlich gelöst werden muß, weil in den Städten die Eingangsstufe sehr viel eher bei der Grundschule angesiedelt werden kann als auf dem flachen Land.
Die Frage der Bildungspflicht für die Vorschule ist offengeblieben, Frau Schuchardt, u. a. schon deswegen, weil es wohl sinnlos wäre, zu einem Zeitpunkt, zu dem man die Nachfrage auch nicht annähernd befriedigen kann, eine „Pflicht" in einen Plan hineinzuschreiben. Lassen Sie uns die Vorschulplätze bauen und dann sehen, daß wir über die Frage der Pflicht für die Fünfjährigen entscheiden!
Drittens. Für die Grundschulen sind kleinere Klassen beabsichtigt, und wir befinden uns schon deutlich auf dem Wege in diese Richtung; dies nicht etwa nur, weil die Geburtsjahrgänge kleiner werden, sondern weil es auch wesentlich mehr Lehrer bereits gibt und geben wird. Die durchschnittliche Klassengröße für die Grundschulen, die wir für das Jahr 1985 vorgesehen haben, soll bei etwa 20 liegen. Das klingt heute noch wie ein Traum, ist aber, wenn man die Ausbildung der Lehrer und den Verlauf der Fristen hier sieht, durchaus realistisch.
Viertens. Wenn die Zehnjährigen aus der Grundschule kommen, sollen sie sich nicht vorzeitig auf den einen oder anderen Bildungsweg festlegen müssen. So steht es übrigens auch im Bildungsgesamtplan. Deswegen sieht der Bildungsgesamtplan u. a. eine Orientierungsstufe für die Elf- und Zwölfjährigen vor, also für die fünften und sechsten Schuljahre, um auf diese Weise die Festlegung wenigBundesminister Dr. von Dohnanyi
stens um zwei Jahre zunächst zu verschieben. Den Kritikern des Bildungsgesamtplans möchte ich sagen: Dieses ist eben doch ein struktureller Einbruch in die Entwicklung. Die Orientierungsstufe wurde auf breiter Basis durchgesetzt.
An dieser Stelle gibt es die von dem Herrn Bundeskanzler heute morgen bereits hervorgehobene zentrale Meinungsverschiedenheit zwischen der sozialliberalen Koalition in Ländern und Bund einerseits und der CDU/CSU andererseits. Ich spreche von der Meinungsverschiedenheit in der Frage der Gesamtschule. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die ersten wichtigen, für das Berufsleben bereits weichenstellenden Entscheidungen frühestens bei den 15- oder 16jährigen getroffen werden sollen, Herr Kollege Probst. Dies ist im Kern das Ziel der Gesamtschule.
Fünftens. Die Berufsbildung soll mit der allgemeinen Schulbildung in der Oberstufe inhaltlich abgestimmt werden. Hier gibt es ein Minderheitsvotum des Landes Bayern. Alle anderen Länder und der Bund sagen „abgestimmt und verzahnt werden" ; das Land Bayern allein hat gegen den Begriff der Verzahnung einen Widerspruch eingelegt. Herr Kollege Probst, ich hatte heute morgen den Eindruck, daß Sie sich mit Ihrem Plädoyer für die Eigenständigkeit der beruflichen Bildung auf das Kinder-Minderheitsvotum der CSU zum Bildungsgesamtplan abgestützt haben. Aber ich glaube, Sie können das hier nicht mit gutem Gewissen für Ihre Fraktion tun.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit im übrigen noch einmal unterstreichen, was offenbar von der Opposition noch immer nicht klar erkannt wird. Die Bundesregierung will die Erhaltung eines sogenannten verbesserten dualen Systems; sie will also die Lernorte Betrieb und Schule erhalten, aber sie ist aus den wiederholt dargelegten Gründen für die Durchführung einer staatlichen Kontrolle. Wir halten uns für das Gesetz auch an die beschlossenen Markierungspunkte. Herr Kollege Probst, ich habe eine Reihe von Unterlagen mitgebracht, die ich Ihnen nach meinem Beitrag gern überreichen würde. Sie haben Zweifel daran gehabt, ob das Berufsbildungsgesetz novellierungsbedürftig sei, und Sie haben sich dann auf die WEMA-Studie gestützt und gesagt, die WEMA-Studie zeige doch, daß die Dinge alle in Ordnung seien.
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So waren Sie jedenfalls zu verstehen. Ich möchte
hier drei Dinge zitieren. Die WEMA-Studie, vom Lande Rheinland-Pfalz in Auftrag gegeben, stellt u. a. fest, daß erstens bei nur 48 % der Auszubildenden entgegen dem Berufsbildungsgesetz - nach einem feststehenden Ausbildungsplan ausgebildet wurde.
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- Sicherlich, aber das sind die Dinge, die gemacht werden müssen. Zweitens stellt sie fest, daß 22% nicht ganztägig für die Berufsschule freigestellt werden. Und drittens - ich habe nur drei Punkte ausgewählt -: 48 oder 49 % der Auszubildenden müssen immer noch ausbildungsfremde Arbeiten verrichten. Das, Herr Kollege Probst, sind doch die
Gründe, warum wir auch dafür eintreten, daß hier eine verstärkte staatliche Kontrolle möglich gemacht wird.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Probst?
Aber sicher!
Herr Bundesminister, würden Sie mir darin recht geben, daß man gerade angesichts der Tatsache, daß erst 48 0/0, oder wieviel Sie angeführt haben, nach der WEMA-Studie nach einem Ausbildungsplan ausgebildet werden, etwas zuwarten und mit dem Gesetz von 1969 Erfahrungen sammeln sollte? Heute hat doch noch gar nicht alles in die Praxis Eingang gefunden, was in diesem Gesetz steht, während Sie nun schon wieder alles über den Haufen werfen wollen?
Also habe ich Sie richtig verstanden, Herr Kollege Probst: doch keine Novellierung. Dann war Frau Schuchardts Frage eben berechtigt.
({0})
- Also doch eine Novellierung da, wo es wichtig ist. Also sind die Bedingungen so, wie die WEMAStudie sie schildert. Also bedarf die berufliche Bildung doch dringend der Reform, Herr Kollege Probst; lassen Sie uns doch darüber keine Mißververständnisse entstehen.
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Sechstens. Nach unserer Auffassung ist im Bildungsgesamtplan von großer Bedeutung, daß der Hochschulbereich neu geordnet werden soll. Zur Erreichung dieses Ziels sollen die verschiedenen Hochschularten zu einem neuen Hochschulsystem zusammengefaßt, zusammengeführt werden. Im Bildungsgesamtplan heißt es hierzu wörtlich - ich muß das zitieren, weil diese Frage immer wieder umstritten ist -:
Bestehende Hochschulen sind zu Gesamthochschulen auszubauen oder zusammenzuschließen oder unter Aufrechterhaltung ihrer rechtlichen Selbständigkeit durch gemeinsame Organe insbesondere durch die Studienreform zu Gesamthochschulen zu verbinden.
Sie sind also auf dem einen oder auf dem anderen Weg zu Gesamthochschulen zu machen.
({2})
- Die steht ja auch nicht im Gesetz, wie ich nochmals unterstreichen kann! Die steht in der Begründung als politisches Langziel, aber nicht im Gesetz.
- Auf dieser Grundlage ist der Entwurf zum Hochschulrahmengesetz formuliert.
Siebentens. Ein umfassendes Weiterbildungssystem soll entwickelt werden. Ich kann hier auf die Einzelheiten nicht eingehen. Aber ich glaube, wir müssen erkennen, daß das Ziel einer Rationalisierung des Lernens in jüngeren Jahren unlösbar mit der Chance verbunden sein muß, später weiterzulernen.
Achtens. Um die Chancengleichheit zu verbessern, werden die wirtschaftlich Benachteiligten durch ein ausgeweitetes System der Ausbildungsbeihilfen gefördert werden. Für Studenten sind in verstärktem Umfang Wohnheime geplant.
Neuntens. Die Ausbildung der Lehrer soll auf das Konzekt der Schulstufen umgestellt werden. Hier möchte ich wieder zu den Kritikern sagen: dies ist mehr, als wir vorher hatten. Wir haben uns auf das Stufenlehrerkonzept geeinigt. Wie Sie wissen, finden gegenwärtig intensive Beratungen der Länder über ein neues Stufenlehrerkonzept statt. Ich habe die Hoffnung, daß dieses Konzept im Rahmen der Verhandlungen auch noch in das Zweite Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetz aufgenommen werden kann. Ferner ist eine verstärkte Lehrerfortbildung vorgesehen, von der ich meine, daß sie bei entsprechender Verkürzung der heute überlangen Studienzeiten verbessert werden müßte.
Zehntens. Der Bau von Bildungseinrichtungen ist zu rationalisieren, wobei ich insbesondere auf die im Bildungsgesamtplan verankerte Verpflichtung der Länder hinweise, Schulzentren zu planen. Dies wird für die Öffnung des Schulsystems für die Gesamtschule entscheidend sein.
Meine Damen und Herren, diese zehn Punkte enthalten nur einen Teil der Vereinbarungen des Bildungsgesamtplans. Der Herr Bundeskanzler hat bereits darauf hingewiesen, daß Kompromisse geschlossen werden mußten. Aber ich meine, wir haben im wesentlichen das erreichen können, was uns bildungspolitisch in dieser Etappe wichtig und erreichbar erschien. Daß diese Vereinbarungen nun von allen Ländern und dem Bund gemeinsam getragen werden, ist ein großer Fortschritt.
Von seiten der Kollegin Schuchardt ist hier die Rolle der Parlamente in der Erarbeitung des Bildungsgesamtplans beklagt worden. Ich will hier unterstreichen: das letzte Wort haben natürlich auch in der Bildungsplanung die Parlamente. Es ist vordergründig, so scheint mir, zu sagen, daß sich die Regierungen hier frühzeitig festgelegt hätten. Tatsächlich ist es doch so, daß nunmehr die Parlamente in den Ländern und im Bund durch entsprechende Haushaltsbeschlüsse und durch Empfehlungen, wie sie hier gegeben worden sind, entweder den Bildungsgesamtplan bestätigen oder aber auch die Regierungen dazu veranlassen können, Korrekturen des Plans in der Bund-Länder-Kommission zu erreichen. Wir werden das auf Grund der hier stattfindenden Beratungen selbstverständlich auch in die Erwägungen einbeziehen.
Meine Damen und Herren, die erhebliche Steigerung der Finanzmittel wurde bereits erwähnt. Sie verpflichtet uns alle zu einem hohen Maß an Vernunft in der Bildungsplanung. Lassen Sie mich deswegen einige Grundsätze zitieren, die uns bei der Durchführung des Bildungsgesamtplans bestimmen müssen.
Es ist selbstverständlich, daß Reformen nur gelingen können, wenn die personellen und sachlichen Voraussetzungen dafür bestehen. Die Ziele des Bildungsgesamtplans müssen jeweils so verwirklicht werden, daß entsprechend vorgebildete Lehrer, geeignete Gebäude, Ausbildungsbetriebe und eine ausreichende Erprobung bei neuen Vorhaben tatsächlich vorhanden sind. Die Reformmaßnahmen müssen auch in überschaubaren Schritten erfolgen. Zu viele Veränderungen auf einmal führen notwendigerweise zu einem reformfeindlichen Klima. Die Parole: „Keine Experimente!" haben wir überwunden; aber ihr darf nicht eine Verwandlung des gesamten Bildungswesens in ein riesiges Experimentierfeld folgen.
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- Deswegen werden wir den Bildungsgesamtplan als Grundlage nutzen, Herr Kollege Probst, um die Entwicklung nun' in einer klareren Abfolge zu planen, als es bisher ohne Bildungsgesamtplan möglich war, um damit auch das Neue gezielter erproben und aus der Erprobung konsequentere Schlüsse ziehen zu können.
Meine Damen und Herren, wer Bildungsangebote in Anspruch nimmt, hat nicht nur Rechte, sondern hat auch Pflichten. Persönliche Entfaltung und Chancengleichheit stehen nicht und dürfen nicht in einem Widerspruch zur Leistungsfähigkeit des Bildungssystems im ganzen oder auch zur Leistungsbereitschaft des einzelnen stehen. Die Priorität der Bildung und Wissenschaft entbindet uns nicht von sparsamster Verwendung und gerechterer Verteilung der Mittel. Jede Universität, in der nicht jeder Hörsaal und jedes Labor voll genutzt werden, vergeudet Steuermittel. Deswegen strebt die Bundesregierung auf der Grundlage der Vereinbarung des Bildungsgesamtplanes jetzt an, das Studienjahr sowie sinnvoll geordnete Studiengänge und Regelstudienzeiten zügig durchzusetzen. So ist es ja im Bildungsgesamtplan verankert, Herr Kollege Möllemann.
({4})
Jede überzogene Besoldungsforderung gefährdet die personelle Erweiterung des Bildungswesens und notwendige Investitionen. Deswegen kann und darf nicht jede Verbesserung in der Ausbildung unmittelbar und notwendigerweise zur Forderung nach einer Besoldungserhöhung führen.
Und schließlich: Jede Schule - das ist von großer Bedeutung in der Regionalplanung und in der Gebietsreform der Länder in diesen Jahren an der falschen Stelle oder in der falschen Größe ist ein Verstoß gegen die Grundsätze der Sparsamkeit und Rationalisierung. Deshalb muß im Bereich des SchulBundesminister Dr. von Dohnanyi
baus die Öffnung für ein zukünftiges Gesamtschulsystem durch den Bau von Schulzentren gesichert werden.
({5})
Meine Damen und Herren, Länder und Bund werden diese Grundsätze gemeinsam zu beherzigen haben, wenn der Weg in das veränderte, erneuerte Bildungssystem gelingen soll. Dieser Weg - ich will das hier gar nicht verschweigen - wird noch schwieriger werden als die Vorbereitung des Bildungsgesamtplanes selbst. Ich will drei Krisenbereiche beschreiben, mit denen wir es in den kommenden Jahren zu tun haben werden. Für alle drei Problemkreise bietet der Bildungsgesamtplan jetzt zwar eine Entscheidungsgrundlage, er ersetzt jedoch nicht die politischen Entscheidungen, die bald getroffen werden müssen.
Ich komme zum ersten Bereich. Die Quote des Übergangs von den Grundschulen in die Gymnasien beträgt im Bundesdurchschnitt etwa 30 %. In einigen Städten liegt die Übergangsquote aber bei 60 % Herr Kollege Probst, hier muß man ganz klar sehen, daß die Eltern gar keine andere Chance haben, die Zukunft ihrer Kinder langfristig anders zu sichern, als bei den Zehnjährigen die Wahl für das Gymnasium zu treffen, wenn dies irgend möglich ist. Alle anderen Bildungswege machen später den Zugang zur Hochschule sehr viel schwerer, wenn nicht überhaupt unmöglich.
({6})
Nun ist in den letzten Monaten eine gewisse Stagnation bei der Quote des Übergangs zu den Gymnasien eingetreten. Das mag vielerlei Gründe haben und auch an der Kapazität der Gymnasien liegen.
({7})
Es könnte aber auch daran liegen, daß - Frau Schuchardt hat schon darauf hingewiesen - wieder eine Verschärfung der Eingangsvoraussetzungen für die erste Gymnasialklasse, z. B. mit Rücksicht auf die Hochschulkapazität, erfolgt. Dies würde die alte Praxis der Eingangsprüfung zur Sexta stillschweigend wiederherstellen, einer Prüfung, die man doch schlicht als eine Hochschulzugangsprüfung für Zehnjährige bezeichnen kann.
({8})
Aber auch mit etwa 30% bleibt die Quote für den Übergang zu den Gymnasien wesentlich höher als die Quote für den Übergang zur Hochschule. Nach der im Bildungsgesamtplan ins Auge gefaßten Hochschulkapazität soll die letztgenannte Quote bei 22 bis 24% eines Jahrgangs liegen. Man muß, wenn man die Entwicklung längerfristig vorausplanen will, doch fragen: Was soll mit diesen Gymnasiasten und Gymnasiastinnen geschehen? Will man sie heraus-prüfen, um am Ende die Zahl der Schulabsolventen mit der Zahl der Hochschulplätze in Übereinstimmung zu bringen? Herr Kollege Probst, ich hatte hier heute morgen den Eindruck, als wollten Sie einen bildungspolitischen Kinder-Darwinismus vertreten.
Dorthin kann natürlich kein Weg führen. Herausprüfen ist kein Weg.
({9})
Oder will man beliebig viele Abiturienten haben, die im Gymnasium nichts anderes gelernt haben, als später zu studieren? So, wie die Dinge sich entwickeln, zeichnet sich nach Auffassung der Bundesregierung schon heute eine krisenhafte quantitative Entwicklung für die gymnasiale Oberstufe ab, der wir unter allen Umständen entgegenwirken müssen.
({10})
- Wir kommen gleich zu den Sünden, Herr Kollege Probst.
Der zweite Krisenherd, die zweite Krisensituation ist heute allen offenkundig. Das ist der sogenannte Numerus clausus in den Hochschulen. Er ist, Herr Kollege Probst, bereits das Ergebnis ungeplanter, ja, planloser Expansion eben dieser Gymnasien ohne entsprechende Strukturreform.
({11})
Ich muß ganz klar darauf hinweisen: wenn Sie, Herr Kollege Probst, sagen, von der CDU sei die Bildungswerbung nicht ausgegangen, so hatte dies der CDU auch niemand unterstellt.
({12})
Niemand würde annehmen, Sie hätten etwa mit der Idee der Bildungswerbung begonnen.
({13})
Aber wir müssen sehen - ({14})
- Herr Kollege Pfeifer, ich nehme die Gelegenheit, um klar zu sagen, daß alle Fraktionen in diesem Bundestag, auch die Bundesregierung, 1969/70 der Meinung waren, man könne durch eine Reihe von schnellen Schritten, z. B. Schnellbau im Ausbau der Hochschulen, dem Numerus clausus wirksamer begegnen, als sich dies in der Tat als möglich erwiesen hat.
({15})
Ich gebe auch durchaus zu, daß wir damals das Tempo der Expansion der Zahl der Studenten nicht haben abschätzen können. Wir hatten aber auch im Jahre 1970, als wir uns an die drohende Krise des Numerus clausus heranmachen mußten, keinerlei Planungsunterlagen aus den von uns vorgefundenen Häusern der CDU, die alle drei - Wissenschaftliche Forschung, Innenministerium und Kanzleramt, wenn man so will - von der CDU verwaltet worden waren. Aus keinem der drei Häuser hatten wir 1969 irgendeine Unterlage übernehmen können, die angab, wie sich das Bildungswesen quantitativ entwickeln würde. Dies war eine grobe Vernachlässigung. Ich gebe zu, wir haben 1970 die Chancen für die Beseitigung des Numerus clausus anders einge5628
schätzt, als sie sich in der Realität erwiesen haben. Dies, Herr Pfeifer, ist aber keine Angelegenheit, in der die CDU, die sogar heute noch gelegentlich die völlige Beseitigung fordert, sich wirklich große Lorbeeren erworben hat.
({16})
Meine Damen und Herren, alles deutet daraf hin, daß wir bereits 1978 bei etwa 800 000 Hochschulplätzen grob 1 Million Studenten haben könnten, was eine erhebliche Überbelegung der Hochschulen bedeuten würde. Hier müssen die notwendigen Korrekturentscheidungen so zügig wie möglich fallen. Die Bundesregierung tritt dafür sowohl in der BundLänder-Kommission als auch im Planungsausschuß als auch in den Beratungen zum Hochschulrahmengesetz ein.
Ein dritter Krisenherd wurde hier heute auch schon angesprochen. Er zeichnet sich ab im Angebot der Lehrstellen. Meine Damen und Herren, es wäre ein großer Fehler, diese Entwicklung etwa allein Konjunkturtendenzen zuzuschreiben. Die konjunkturelle Entwicklung hat eine seit Jahren und nicht erst seit Monaten ablaufende Tendenz beschleunigt, wie das übrigens auch 1967/68 der Fall war. Die Faktoren für diese Entwicklung sind vielfältig. Die Bundesregierung ist auch hier bemüht, gerade durch ihre Berufsbildungspolitik das Gleichgewicht in der Entwicklung der Ausbildungsplätze zu halten. Nur, meine Damen und Herren, das Gleichgewicht kann nicht dadurch hergestellt werden, daß man nichts tut.
Die Bundesregierung unterstreicht in diesem Zusammenhang noch einmal, daß die Entscheidungen in allen drei Bereichen, Gymnasien, Hochschulen und berufliche Bildung, nur im Zusammenhang getroffen werden können. Ohne Berücksichtigung der Zusammenhänge im g es a m t en Bildungssystems werden sich in den kommenden Jahren die angeschnittenen Probleme nicht bewältigen lassen. Der Bildungsgesamtplan und seine wenn auch immer noch sehr unvollkommene Quantifizierung erlauben heute zum ersten Mal eine das ganze Bildungssystem umfassende Planung unter Berücksichtigung auch der Folgen in anderen Bereichen.
Die Bundesregierung hat in der Bund-LänderKommission deswegen zur Bewältigung dieser drei Problemkreise folgende Anregungen gegeben.
Erstens. Die Aufblähung der Gymnasien muß zu Verzerrungen führen. Aber eine erneute Einführung von Eingangsprüfungen zur Mittelstufe, also bei den Zehnjährigen als Auslese von zehnjährigen Gymnasiasten, darf unter keinen Umständen erfolgen. Dies wäre wieder die Prüfung der Eltern und nicht der Kinder. Die Entscheidung über die weiterführenden Bildungswege muß deswegen so zügig wie möglich auf den Übergang von der Mittelstufe zur Oberstufe verlegt werden. Erst dann darf nach unserer Auffassung mt weichenstellender Wirkung auch geprüft werden. Das allerdings setzt am Ende voraus, daß das Schulsystem für die Zehn- bis Fünfzehnjährigen zusammengefaßt wird zu einem Gesamtschulsystem, Herr Probst. Entgegen Ihren heute hier geäußerten Auffassungen kann erst dann gerecht ermittelt werden, für welchen weiterführenden Bildungsweg der einzelne geeignet ist. Auch danach bedarf es sicherlich noch der Durchlässigkeit zwischen 'beruflicher und gymnasialer Bildung in der Oberstufe.
({17})
Aber ohne die schrittweise Verwirklichung des Gesamtschulkonzeptes bleibt jede quantitative Steuerung unsozial oder unwirksam.
({18})
Herr Kollege Probst, Sie haben in diesem Zusammenhang heute morgen auf die Erfahrungen der integrierten Gesamtschulversuche hingewiesen. Ich teile hier die Auffassung der Kollegin Schuchardt. Man muß in der Tat die Verfahren dieser Entwicklung immer wieder sorgfältig überprüfen,
({19})
aber alles spricht dafür, daß, wie Herr Slotta hier bereits sagte, ebenso wie in allen anderen industrialisierten Ländern der Welt die Entscheidung anstatt bei Zehnjährigen erst bei Fünfzehn- oder Sechzehnjährigen getroffen werden muß und kann. Wir müssen unser Schulsystem so organisieren. Das ist das Kernziel der Gesamtschule.
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Zweitens. Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, daß die Oberstufe in den Gymnasien für die Sechzehn- bis Achtzehn- oder Neunzehnjährigen nicht beliebig erweitert werden sollte, ohne daß diese Gymnasien zugleich berufsbefähigende Abschlüsse, also die sogenannte Doppelqualifikation, vermitteln. Wir würden sonst bei Abiturienten nur die Hoffnung auf Hochschulplätze erwecken, Plätze, die wir in diesem Umfang auch nach den Planungen der Bund-Länder-Kommission weder schaffen wollen noch können. Die Chancen der beruflichen Bildung sollten deswegen bereits beim Übergang von der Mittelstufe auf die Oberstufe durch eine entsprechende Beratung verdeutlicht werden, und zwar auch für die Gymnasiasten. Dies setzt allerdings eine schnellere und zügigere Reform der Berufsbildung sowie den Ausbau der Berufsfachschulen voraus. Die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung ist für die Bundesregierung damit auch aus Planungsgründen ein entscheidendes Moment in der bildungspolitischen Arbeit. Ich meine, meine Damen und Herren, wer sich dieser zentralen Reform entgegenstellt, verewigt das schädliche Ungleichgewicht zwischen Gymnasium und beruflicher Bildung.
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Drittens. Wenn wir den Hochschulzugang begrenzen, müssen wir neben den Schulabschlüssen ergänzende Qualifikationen fordern, wie der Bildungsgesamtplan es übrigens auch ganz klar vorsieht.
Auch unser Nachbar Frankreich ist gegenwärtig dabei, in diese Richtung zu arbeiten. Abiturnoten allein sind - ein jeder weiß dies - ein unbefriedigender Maßstab, und leere Wartezeiten sind dies auch. Im übrigen müssen wir den Hochschulzugang so organisieren, daß auch der qualifizierte Absolvent eines beruflichen Bildungsganges eine gleiche Chance des Hochschulzugangs hat.
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Denn erst dann, meine Damen und Herren, werden wir verhindern können, daß alle, die meinen, später zum Studium geeignet zu sein, von Anfang an in das Gymnasium drängen, nur weil dies, wie es heute in der Tat der Fall ist, die Hochschulchance letztlich am besten oder fast ausschließlich sichert.
Meine Damen und Herren, der Bildungsgesamtplan ist also eine solide Ausgangsbasis - bei aller Kritik. Wichtige Entscheidungen sind offengeblieben. Die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, sind dringend. Ich habe auf die kritischen Bereiche hingewiesen. Der Bund hat hierfür seine Anregungen in die Gremien der Bund-Länder-Kommission eingebracht. Aber zum alleinigen Handeln hat der Bund nur beschränkte Zuständigkeiten. Deswegen sind alle Bundespolitiker aufgefordert, die Möglichkeiten des Bundes voll zu nutzen. Auch deswegen sollte ein pragmatisches Hochschulgesetz, wie es die Bundesregierung vorgelegt hat, so schnell wie möglich verabschiedet werden, und das neu gefaßte Berufsbildungsgesetz sollte schnell folgen.
Es erscheint mir äußerst gefährlich, wenn Bundespolitiker der CDU/CSU statt dessen heute versuchen, den Bundesrat vorzeitig auf eine Blockadeposition festzulegen, wie dies leider sowohl beim Hochschulgesetz als auch bei der Vorbereitung zu einem Berufsbildungsgesetz unternommen worden ist.
({23})
Es wäre auch sachlich gefährlich und politisch unverantwortlich, wenn unter dem Eindruck einer vermeintlichen Großwetterlage längst überwundene Kompetenzbedenken erneut die gemeinsame Bildungsplanung stören oder behindern sollten.
Meine Damen und Herren, es gibt viele interessante Fragen in der Bildungspolitik. Kein Zweifel! Aber womit wir uns vordringlich immer wieder befassen müssen, das sind die Sorgen, die Millionen von Familien heute bedrücken. Die Eltern wollen wissen, was aus ihren Kindern werden kann und was sie selbst dazu beitragen können, damit die Kinder den richtigen Weg einschlagen. Dazu kann der Bund seinen Beitrag leisten, wenn Bundesregierung und Bundestag für die Vorschläge des Bildungsgesamtplanes und für die hier zu entscheidenden Gesetze die entsprechende Unterstützung geben.
Wesentlich bleibt dabei die Einheitlichkeit in der Reform. Der Bildungsgesamtplan zeigt die Möglichkeiten einer abgestimmten Entwicklung des gesamten Bildungswesens, ohne daß dabei auf fruchtbaren Wettbewerb verzichtet werden müßte. Aber
die Einheitlichkeit der Ziele und der Strukturen sollte soweit wie möglich wiederhergestellt oder erhalten bleiben.
Der Bildungsgesamtplan ist ein Anfang, der Erfolg nur bringen kann, wenn Bund und Länder ihn gemeinsam weiterführen. Er verlangt eine ständige und kooperative Anstregung von Ländern und Bund. Das gilt auch für die von Frau Schuchardt vorhin zitierten Stufenpläne. Im Verlauf der Reform muß dann immer wieder geprüft werden, welche noch offenen oder strittigen Fragen gemeinsam entschieden werden können, wie die offenen Voten überbrückt werden können. Dies erfordert Rücksichtnahme und Kompromißbereitschaft aller Beteiligten. Die Bundesregierung wird hierzu ihren Beitrag leisten.
({24})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sollten die heutige Debatte dazu benutzen, den Weg zum bildungspolitischen Realismus miteinander ein Stück gemeinsam zu gehen. Mit dem, Herr Bundesminister, was Sie hier gesagt haben, werden Sie die Priorität der Bildungspolitik nicht zurückgewinnen, die Sie seit 1969 mit Ihrer Regierung verloren haben.
({0})
Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen davon gesprochen, daß sich auch die Bildungspolitik in den Gesamtkatalog der staatlichen Aufgabenprioritäten einordnen lassen müsse. Dem kann nicht widersprochen werden. Er hat aber die Frage nicht beantwortet, an welcher Stelle die Bildungspolitik in dem Prioritätenkatalog der staatlichen Aufgaben aufzuführen ist. Sie haben von der Priorität der Bildungspolitik gesprochen, die Sie in Wahrheit verloren haben.
Ich meine auch, daß es keinen Sinn hat, hier an Stelle ,der Diskussion über die Probleme der Bildungspolitik die Vergangenheitsbewältigung, Herr Kollege Slotta, mit Geschichtsklitterung zu betreiben. Damit hier keine neue Legende im Raum bleibt, lassen Sie mich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren, was der Kollege Dr. Probst zum Berufsbildungsgesetz gesagt hat. Hier heißt es:
Sammeln Sie erst noch mehr Erfahrungen mit dem 1969 erst verabschiedeten Berufsbildungsgesetz. Verbessern Sie dieses dort, wo es nötig ist.
Damit hat er eben nicht gesagt, was Sie ihm unterstellen: er habe eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes abgelehnt.
({1})
Wir haben auch, Frau Kollegin Schuchardt, mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie diesen Bildungsgesamtplan sehr kritisch gewürdigt haben. Aber es wird der FDP nicht gelingen, sich aus der Verantwortung für diesen gemeinsamen Bildungs5630
gesamtplan davonzustehlen; denn Ihre Minister in dieser Bundesregierung haben zugestimmt.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Versuch, im Bildungsgesamtplan einen Rahmenplan für das Bildungswesen mit einem Bildungsbudget zu verbinden, hat mit schrecklicher Deutlichkeit aufgezeigt, wie sehr die Mittel selbst zu den dringendsten Reformmaßnahmen fehlen. Inzwischen sind die finanziellen Schätzungen des Bildungsgesamtplans durch die verschärfte inflationistische Entwicklung ein ganzes Stück zusätzlich entwertet worden, und der Boden, auf dem sich die Bildungsplanung befindet, ist zunehmend schwankend.
(Abg. Dr. Carstens ({3})
Wir werden 'die Priorität nur zurückgewinnen, wenn sich auch in der Bildungspolitik nüchterner Realismus durchsetzt und wenn die Gesichtspunkte der Effizienz stärker zur Geltung gebracht werden.
Die Bundesregierung hat am 29. November 1973 in der Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion zum Numerus clausus in großer Unbefangenheit erklärt, „daß auch heute noch jeder Studienbewerber einen Studienplatz findet, wenn er bereit ist, seine Wünsche hinsichtlich des Hochschulortes und des Studienfaches zu modifizieren". Eine zutreffende Erklärung, die allerdings das Ausmaß an Trost nicht genau beschreibt, 'das ein Studienplatz etwa im Bereich der Wirtschaftswissenschaften für einen Abiturienten beinhaltet, der Medizin studieren möchte.
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Aber die Bundesregierung hat zugleich ausgesagt, „daß mittelfristig" - also bereits nach 1975, und Sie haben das heute wiederholt, Herr Minister -„die vorgesehenen Studienplätze auch insgesamt nicht mehr ausreichen werden ...".
Von daher werden wir trotz des im Bildungsgesamtplan ausgewiesenen Zieles eines ausreichenden und ausgeglichenen Angebots an Studienplätzen im Hochschulbereich der Tatsache ins Auge sehen müssen, daß wir demnächst in diesem Lande nicht nur mit dem relativen, sondern mit dem absoluten Numerus clausus werden leben müssen. Auch wenn wir von den Ausbauvorstellungen ,des Bildungsgesamtplans ausgehen und die derzeitige Überbelegung der in den Hochschulen vorhandenen Studienplätze hinnehmen, werden wir - beginnend noch in diesem Jahr 1974 - mit einer zunehmenden Zahl von Studienberechtigten rechnen müssen, für die kein Studienplatz vorhanden ist.
Dies festzustellen heißt nicht, den Numerus clausus als Mittel zur Manipulation des Arbeitsmarktes zu fordern oder als Instrument kapitalistischer Herrschaft, sondern dies ist die nüchterne Beschreibung dessen, was mein Kollege Gölter am 6. Dezember 1973 mit den Worten beschrieben hat: Die von dieser Bundesregierung ausgestellten Wechsel können jetzt und in Zukunft nicht eingelöst werden und gehen zu Protest. Ich habe deswegen Verständnis,
daß sowohl Sie, Herr Minister, als auch der Herr Bundeskanzler heute ausgesprochen in Mollstimmung hier gesprochen haben; das ist eben so beim Offenbarungseid.
({5})
Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben jahrelang große Erklärungen produziert, Erwartungen geweckt und damit Entwicklungen herbeigeredet, die jetzt nicht und nicht auf absehbare Zeit zu realisieren sind. Die Frage nach ,dem gesellschaftlichen Bedarf an Studentenzahlen zu stellen, die als Erwartungshorizonte in der Bildungspolitik produziert worden sind, hieß, sich in eine hoffnungslos reaktionäre Ecke zu stellen, obwohl mit der Schaffung eines akademischen Proletariats eigentlich auch den Betroffenen selbst nicht gedient sein kann. Je präziser die Berechnungen werden, um so klarer kommt zum Ausdruck, daß dieses Land - wie jedes andere Land - nicht in der Lage sein wird, in der Bildungspolitik ständig neue Erwartungen zu erwecken und diese dann auch noch zu erfüllen.
({6})
Wir werden es nicht schaffen - wie die Bundesregierung in der Ankündigung ihres Bildungsberichtes propagierte -, etwa die Hälfte eines Altersjahrganges noch in dieser Dekade zum Abitur II zu führen und für wiederum die Hälfte davon Studienplätze zur Verfügung zu stellen. Wer solches verspricht, ist im Ergebnis ein Feind der möglichen Reformen. Und diese Gesellschaft hat auch keinen Bedarf an derartigen Zahlen von akademisch ausgebildeten Nachwuchskräften. Wir lehnen es ab, junge Menschen akademisch auszubilden, ohne ihnen danach eine Chance auf einen dieser Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz zu bieten. Deshalb ist für uns die Frage des gesellschaftlichen Bedarfs eine Frage unseres Verständnisses einer auf den Menschen ausgerichteten Politik.
({7})
Auch der Bildungsgesamtplan fordert als Ziel ein ausgewogenes Angebot an Studienplätzen, ausgewogen auch unter Berücksichtigung des zu erwartenden Bedarfs an Hochschulabsolventen, ohne allerdings klar zu sagen, wie die Gesamtnachfrage nach Studienplätzen mit dem Bedarf an Hochschulabsolventen in Übereinstimmung zu bringen sein wird.
Die Bildungspolitik kann auch deshalb in der Frage des Ausbaus des Angebots an Studienplätzen nicht am gesellschaftlichen Bedarf vorbeigehen, weil die staatlichen Mittel - wie wir zunehmend erkennen - knapp sind. Angesichts der dramatischen finanziellen Fehlbeträge, die sich schon bei Verwirklichung des im Bildungsgesamtplan vorgegebenen Minimums ergeben, wäre es nicht nur unverantwortlich, den Hochschulausbau am gesellschaftlichen Bedarf vorbeizuplanen, sondern dies wird ganz einfach auch politisch nicht zu realisieren sein - auch dann nicht, wenn sich die Bildungspolitiker aller Fraktionen in dieser Frage einig sein sollten. Den Menschen also, und gerade den jungen Menschen, die vom Numerus clausus betroffen sind, nützen keine Wolkenkuckucksheime der Bildungspolitik,
sondern nur konkret realisierbare und finanzierbare Reformen.
Dies alles heißt nicht ich betone das, weil manche in diesem Hause gerne mißverstehen -, daß wir nicht weiter daran arbeiten müssen die Chancengerechtigkeit in der Bildungspolitik und durch die Bildungspolitik zu verbessern.
({8})
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren das soziale und das regionale Bildungsgefälle ein ganzes Stück abgebaut - in den einzelnen Ländern teilweise unterschiedlich, in meiner Heimat Baden-Württemberg gewiß nicht am geringsten. Aber wir werden uns damit nicht begnügen, sondern wir werden beharrlich für die soziale Bildungsgesellschaft weiterarbeiten. Gerade die Union, die für eine freiheitliche Lebensordnung kämpft und dazu dem einzelnen entsprechend seinen unterschiedlichen Talenten und Neigungen individuelle Entwicklungschancen anbieten will, muß als Voraussetzung für die Gerechtigkeit in den Startchancen eintreten.
Dies aber heißt für uns nicht, daß die Chancengerechtigkeit in der Bildungspolitik erst erreicht ist, wenn alle jungen Menschen den gleichen Bildungsabschluß erzielen. Im Gegenteil, wir halten eine solche Nivellierung für zutiefst ungerecht.
({9})
Chancengerechtigkeit in der Bildungspolitik ist nicht allein eine Frage von Abiturientenziffern und Studienplätzen,
({10})
sondern sie ist zunächst vielmehr eine Frage ,der Einsicht vieler Eltern in die Notwendigkeit qualifizierter Bildung, eine Frage des Elementarbereichs und des Ausbaus der beruflichen Bildung. Deshalb haben für die CDU/CSU in der Bildungspolitik der Elementarbereich und die berufliche Bildung Priorität. Und Chancengerechtigkeit ist im tertiären Bereich unter den gegebenen Umständen eine Frage der Verteilung der knappen Studienplätze. Deshalb, Herr Minister, werden wir bei der Beratung des Hochschulrahmengesetzes nicht davon abgehen, daß die knappen Studienplätze nach dem Leistungsprinzip, also nach der Fähigkeit und dem Willen zu qualifizierter Bildung, verteilt werden, weil nur dies als Auswahlverfahren gerecht ist und zugleich die geringste Möglichkeit manipulatorischen Mißbrauchs bietet.
({11})
Wir werden uns bei der Neuordnung unserer Hochschulen angesichts der gegebenen Knappheit stärker von Gesichtspunkten der Effizienz leiten lassen müssen. In welcher Welt leben denn eigentlich sozialdemokratische Bildungspolitiker, denen angesichts der im Bildungsgesamtplan aufgezeigten Entwicklung, die durch neue Zahlen ja noch wesentlich dramatisiert wird, nichts Besseres einfällt, als die Hochschulen mit zusätzlichen Eingangsprüfungen zu belasten, durch immer neue Selbstverwaltungsgremien die Arbeitsfähigkeit der Hochschulen weiter zu vermindern, durch ihre verblendete Fixierung auf ihre Gesamthochschulideologie den Prozeß geringer werdender Effizienz der Hochschulen weiter zu beschleunigen und am Ende dem wissenschaftlichen Nachwuchs durch die Institution des Assistenzprofessors dieselben sozialen Probleme aufzulasten, die wir heute durch den Numerus clausus den Studenten zumuten?
({12})
Wenn wir durch ein Hochschulrahmengesetz versuchen wollen, die Bildungsprobleme im tertiären Bereich ein Stück weit zu lösen, dann muß sich die Bundesregierung fragen lassen, welche Funktion hierzu ein Gesetzentwurf haben soll, der in einer Reihe von zentralen Punkten auf gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Herr Minister, wenn Sie von der notwendigen Zusammenarbeit aller Beteiligten gesprochen haben, dann sollten Sie das Wort von der Blockadeposition am besten gar nicht erst aussprechen oder gleich wieder zurücknehmen; denn das vereinbart sich nicht mit einer notwendigen Zusammenarbeit.
Hinter der Frage der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diesen Entwurf der Bundesregierung zum Hochschulrahmengesetz steckt nicht der Versuch, mit juristischen Mitteln angeblich notwendige Reformen abzublocken,
({13})
sondern hier geht es neben der gemeinsamen Verantwortung für dieses Grundgesetz darum, daß durch ein solches, möglicherweise verfassungswidriges Gesetz ja dann nur zusätzliche Belastungen für die Effizienz unserer Hochschulen entstehen würden.
({14})
Wir brauchen eine Verwaltungsstruktur unserer Hochschulen, die nicht dem Parkinsonschen Gesetz huldigt, sondern die neben der Selbstverwaltung Lehrern und Studenten auch - und möglichst etwas mehr - Zeit für Forschung, Lehre und Studium läßt. Wir brauchen zur Bewältigung der Kapazitätsprobleme unserer Hochschulen nicht noch mehr Gesamthochschulideologie, noch mehr Anonymität und Vermassung, sondern wir brauchen Hochschuleinheiten, die flexibel auf Kapazitätsprobleme reagieren können und die die Effizienz des Mitteleinsatzes verbessern. Dafür gibt es wir haben es im Hearing zuletzt wieder gehört - betriebswirtschaftlich und wissenschaftssoziologisch Grenzen, die durch Gesamthochschulen allzu leicht überschritten werden.
Wir brauchen auch eine Personalstruktur des Hochschullehrerkörpers, die die Leistungsfähigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht mindert, sondern fördert. Mit dem Assistenzprofessor werden wir nach allem, was wir wissen, dieser Notwendigkeit nicht gerecht. Im übrigen zeigen gerade die miserablen sozialen Aussichten der vorgesehenen Assistenzprofessoren auch, daß der Abbau des Leistungsprinzips vor allem zu Lasten der Betroffenen selber geht. Die Leistungsfähigkeit der Hochschulen wird durch eine Verminderung der Zukunftschancen
für den Hochschullehrernachwuchs jedenfalls nicht gefördert.
({15})
- Zum Bildungsgesamtplan und zu der Frage, wie wir die darin aufgezeigten Probleme lösen können, einer Frage, ,der Sie sich hier bisher nicht gestellt haben.
({16})
Wir werden durch eine Reform der Studieninhalte die Studiengänge entrümpeln müssen, um zu einer Konzentration des Studienstoffes zu kommen. Der Staat wird bei ,der Studienreform seine Verantwortung nicht allein auf die Hochschulen delegieren können. Die Ideologisierung des Studiums ist zu verhindern, und eine darauf zielende Umfunktionierung der Studienreform wird von uns abgelehnt. Hochschulen, Staat und Gesellschaft müssen die Studienreform gemeinsam bewältigen. Einfach aufgepfropfte Regelstudienzeiten, wie dies der Entwurf zum Hochschulrahmengesetz vorsieht, genügen dazu jedenfalls nicht.
Neben der Reform ,der Studieninhalte und dem Ausbau der Hochschulen aber gilt es vor allem -um die Kapazitätsprobleme zu lösen , gleichwertige Alternativen praxisbezogener Ausbildung bereitzustellen. Das Problem des nicht mehr zu bewältigenden Ansturms auf unsere Hochschulen werden wir nur läsen, wenn wir die einseitige Überbewertung möglichst langer theoretischer Ausbildung in dieser Gesellschaft abbauen.
({17})
Für uns heißt Chancengerechtigkeit in der Bildungspolitik und Ausbau der sozialen Bildungsgesellschaft nicht, möglichst alle Berufe zu verakademisieren,
({18})
denn diese Nivellierung ist weder gerecht noch sachbezogen; sondern für uns ist die freiheitliche Alternative, ,dem jungen Menschen differenzierte, im Prinzip gleichwertige und gleich chancenreiche Bildungsgänge anzubieten,
({19})
zwischen denen der einzelne unter freier Berücksichtigung des von ihm erwarteten gesellschaftlichen Bedarfs wählen kann.
Dies aber erfordert nicht nur bildungspolitische Maßnahmen, sondern auch eine Veränderung der Berufsstrukturen,
({20})
auch des Laufbahnrechts im öffentlichen Dienst. Hier hat die Bundesregierung zum Nachteil der jungen Menschen bis heute nichts getan,
({21})
und sie hat damit die bildungspolitischen Probleme bei wachsenden Quantitäten immer weiter in die Sackgasse treiben lassen, aus der der Bildungsgesamtplan einen Ausweg sucht.
({22})
Hier ist die Bundesregierung aufgefordert, nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Hier kann sie statt Ideologie die Kraft zu echten Reformen beweisen. Ich bezweifle, ob sie diese Kraft aufbringen wird. Hier wird sie zeigen müssen, ob sie tatsächlich und konkret für die Verwirklichung gleicher und differenzierter Bildungschancen im Rahmen sozial-gerechter Auswahlkriterien nach dem Leistungsprinzip eintritt.
({23})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wüster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die fröhliche Ignoranz des Abgeordneten Dr. Probst möge meine Rede beflügeln, die Dinge einmal aus der Sicht eines Praktikers darzustellen.
({0})
Was der Kollege Dr. Schäuble bot, war doch eine Neuauflage der Numerus-clausus-Debatte. Über Hochschulpolitik wollen wir uns auch heute nicht unterhalten, vielmehr bin ich der Meinung, wir sollten das in den Diskussionen über das Hochschulrahmengesetz tun. Ich finde es wichtiger, daß wir über den Primärbereich, den Elementar- und Sekundarbereich des Bildungsgesamtplanes sprechen. Auch möchte ich die Ausführungen meines Kollegen Slotta unterstreichen, der den Bildungsgesamtplan als ein nüchternes, langfristiges Rahmenwerk vorhandener Bildungsvorstellungen von Bund und Ländern dargestellt hat.
Der Charakter des Kompromisses oder auch der Zwang zur Einigung bestimmt natürlich seine Sprache und auch seine Aussage. Diese Umstände ändern aber nichts an der Tatsache, daß es im Rahmen des kooperativen Föderalismus gelungen ist, die Bildungsvorstellungen in der Bundesrepublik nach einheitlichen Grundsätzen langfristig zu bestimmen. Wir alle lernten doch im Laufe der Jahre, daß Bildungsplanung nicht allein im Elfenbeinturm der Wissenschaft ohne Befruchtung durch die Politik gedeihen kann. Das Institut der Gemeinschaftsaufgaben läßt aber Bund/Länder-Planung nur auf der Ebene der Regierungen zu. Das sollte nicht übersehen werden. Diese Tatsache bedeutet für die Parlamente, Einfluß und Kontrollmöglichkeiten voll auszunutzen und auch wahrzunehmen.
Die Verwirklichung und Ausfüllung der organisatorischen Verbesserungen wird natürlich in verschiedenen Bereichen des Bildungswesens unterschiedlich lange dauern. Das wissen wir auch. Obwohl sich im Bildungsgesamtplan viele Ziele des Bildungsberichtes '70 wiederfinden, fällt er dennoch in mehreren Aussagen hinter dem letzteren zurück. Deshalb bleibt der Bildungsbericht '70 in seinen gesellschaftspolitischen Aussagen und Zielvorstellungen für meine Fraktion nach wie vor auch ein grundlegendes Dokument, das durch den Bildungsgesamtplan keineswegs überholt ist. Dieser Plan mußte notwendigerweise ein Minimalkonsens sein, obwohl an vielen Stellen sozialdemokratische Vorstellungen sich durchsetzten, weil sie einfach die besseren waren und die CDU/CSU sich ihnen anschließen mußte.
Ziel der Bildungsreform bleibt die Verwirklichung des Rechts auf Bildung. Hier darf ich einmal aus dem Bildungsbericht '70 zitieren: Nicht privilegierende Auslese, sondern Chancengleichheit durch individuelle Bildungsförderung ist ihr wichtigster Grundsatz. Nicht Nivellierung, sondern Differenzierung der Bildungsziele und qualitative Verbesserungen sind ihr notwendiger Maßstab. Der Unsinn von den „vermassenden Kollektivinstituten", meine Damen und Herren von der Opposition, sollte doch in Zukunft die bildungspolitische Landschaft nicht mehr vergiften.
({1})
Chancengleichheit und Leistungsfähigkeit bleiben einander ergänzende und bedingende Prinzipien des zukünftigen Bildungswesens. Die Leistung muß aber an der Möglichkeit gemessen werden, geforderte Leistung auch erbringen zu können.
Zum erstenmal in der Bildungsgeschichte zeigt die Einbeziehung von Kindergarten und Vorschule einen Weg auf, soziale Barrieren zu überwinden. Grundlagen bieten die Erkenntnisse der Frühpädagogik. Wir wissen, daß der Lernprozeß in den ersten Lebensjahren von hoher Bedeutung ist und die spätere geistige Entwicklung hierbei mit einbezogen werden muß. Niemand kann sich daher den Ergebnissen erziehungswissenschaftlicher Forschung verschließen, daß Begabung in Lernprozeßen ihre Entfaltung erfährt und ebenso auch gesteigert werden kann. Spielende Lernvorgänge sollen die Ausdrucksfähigkeit fördern und Denkprozesse einleiten. Die Sozialisation, d. h. die Einordnung des Kindes in die Gemeinschaft, wird ebenfalls positiv beeinflußt. Dieser kompensatorische Effekt wirkt auch einer Milieusperre entgegen und fördert gleiche Ausgangschancen im schulischen Bereich.
In der nüchternen Sprache des Bildungsgesamt-planes heißt das, es müssen ausreichend Kindergartenplätze errichtet werden. Während 1970 erst 20% aller Drei- bis Vierjährigen einen Kindergartenplatz erhielten, sieht der Plan 1975 52 % und 1985 70 % Kindergartenplätze pro Altersjahrgang vor.
({2})
Errichtung und Ausbau von Kindergärten wird von uns aber besonders in den bis jetzt vernachlässigten Gebieten gefordert. Ebenso ist sicherzustellen, daß die Kinder berufstätiger Mütter und wirtschaftlich schwacher Familien vorrangig berücksichtigt werden.
({3})
Eine qualifizierte sozialpädagogische Ausbildung der Erzieher setzen wir dabei natürlich voraus. Der Besuch des Kindergartens wird auf freiwilliger Grundlage beruhen. Eine Überforderung des Kleinkindes darf allerdings nicht eintreten, da sonst die Kreativität und Spontaneität gestört werden.
({4})
Zur individuellen Förderung des Kindes gehört ebenso eine Verringerung der Kinder-Erzieher-Relation, die 1975 1 : 18 erreichen soll. Die Träger der freien Jugendhilfe, meine Damen und Herren, dürfen nach den Vorstellungen meiner Fraktion nicht eingeschränkt werden.
({5})
Wir werden auch nicht auf die Mithilfe der Kirchen verzichten, ohne allerdings den Anspruch aufzugeben, daß der Staat dort eingreifen muß, wo personale Gemeinschaften nicht mehr ausreichend helfen können.
Der Übergang der Fünfjährigen vom Spielen zum Lernen muß gleitend gehalten werden. Die bisherige Zäsur im Leben des Kindes durch den Eintritt in die Schule wird dadurch auch weitgehend vermieden. Laufende Versuche müssen klären, ob eine Vorverlegung des Einschulungsalters erfolgen soll. Der Ausbau von Einrichtungen für die Fünfjährigen darf aber auf keinen Fall dazu führen, daß die Lerninhalte und Arbeitsformen der heutigen ersten Klasse der Grundschule vorverlegt werden.
({6})
Die Primarstufe - gemeint ist hier das erste bis viete Schuljahr baut auf den Erkenntnissen des Elementarbereichs auf. Hier beginnt der bewußte Lernvorgang, die systematische Form der schulischen Arbeit, welche als entdeckendes Lernen verstanden sein will.
Die Grundschule als Teil der Umwelt des Kindes muß auch soziales Verhalten einüben und die Kriterien des menschlichen Zusammenlebens beachten. Der unterschiedliche Reife- und Entwicklungsstand des Kindes beim Eintritt in den Primarbereich verlangt aber eine individuelle und auch eine differenzierte Betreuung durch den Lehrer.
({7})
Mit Recht werden zu große Klassen für eines der Haupthemmnisse der Schulreform gehalten.
({8})
Deshalb soll ja auch die Klassenfrequenz 1985 20 Schüler pro Klasse nicht überschreiten.
Über die Richtwerte des Bildungsgesamtplans hinaus können wir diese Situation auch sehr schnell verbessern. Ein Blick auf die Studentenzahlen in diesem Bereich zeigt das doch eindeutig. Es ist also eine Frage der Bereitschaft unserer Gesellschaft, diese Lehrer auch zu bezahlen, und der Lehrer, mit den Gehaltsforderungen auf dem sprichwörtlichen „Teppich" zu bleiben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte meine Ausführungen gern geschlossen vortragen, damit sie nicht gestört werden.
Der Sekundarbereich I umfaßt die Jahrgangsklassen 5 bis 10. Hier soll durch den aufgefächerten
Unterricht für alle Schüler eine allgemeine wissenschaftsorientierte Grundbildung gewährleistet werden. Eine vorzeitige Festlegung auf bestimmte Bildungsgänge muß allerdings vermieden werden. Mit einer zusätzlichen und einer zunehmenden Leistungsdifferenzierung unter Beibehaltung eines verpflichtenden Kernbereichs wird die Neigung und Befähigung des einzelnen berücksichtigt werden. Nach Auffassung meiner Fraktion kann nur die integrierte Gesamtschule diese Ziele am besten verwirklichen.
Hinter dem Sondervotum der CDU/CSU, man brauche noch eine längere Zeitspanne vielfältiger Versuche, verbirgt sich die Bestrebung, das alte Vertikalsystem doch beizubehalten. Wir erwarten jedoch, daß dieser Dissens durch die bessere Einsicht in die sachlichen und gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten bald überwunden werden kann.
Übereinstimmung besteht darüber, daß die beiden ersten Schuljahre der Sekundarstufe I mit gleichen Curricula zur Orientierungsstufe zusammengefaßt werden. Die Ablehnung der integrierten Gesamtschule jedoch schließt logischerweise eine schulformunabhängige Orientierungsstufe aus. Die offensichtliche inhaltliche Übereinstimmung der Orientierungsstufe sollte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aber zu der Überlegung veranlassen, sich unseren Vorschlag noch einmal anzusehen und sich ihm anzuschließen, um eine unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Bundesländern zu vermeiden.
Meine Fraktion unterstützt insbesondere die Verbesserungen der Personal- und Sachausstattung in diesem Bereich. So soll z. B. das ehrgeizige Ziel einer Verringerung der Schüler-Lehrer-Relation von 22 im Jahre 1975 auf 20 bis 18 im Jahre 1985 erreicht werden. Alle Schüler sollen die Möglichkeiten erhalten, den Sekundarbereich I mit einem qualifizierenden Abschluß zu beenden und den Zugang zu entsprechenden weiterführenden Bildungsgängen zu erreichen.
Zur Oberstufe - dem Sekundarbereich II - gehören alle Bildungsgänge, auch die beruflichen. Die Herstellung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung in diesem Bereich ist für uns eine vordringliche bildungspolitische Aufgabe. Eine Neuordnung der beruflichen Bildung im dualen System erfolgt durch eine Verstärkung des theoretischen Anteils bei der Ausbildung und durch eine berufsfeldorientierte Grundbildung mit darauf aufbauender Spezialisierung.
Die Attraktivität der beruflichen Bildung muß aber auch aus einem anderen Grunde erhöht werden. Die Tatsache, daß die Richtwerte des Bildungsgesamtplans, nach denen 1985 etwa 24 % eines Jahrgangs studieren sollen, schon viel früher erreicht werden, wird zu einer weiteren Verschärfung des Numerus clausus führen, was zur Folge haben wird, daß schon für 1976 befürchtet werden muß, daß auch die Bereitschaft der Abiturienten, an einem beliebigen Ort ein beliebiges Fach zu studieren, nicht mehr erfüllt werden kann. Andererseits ist es aber unvertretbar, Studienplätze über die geplanten Richtwerte
hinaus zu schaffen, wenn nicht in der Tat ein akademisches Proletariat die Folge sein soll. Unsere Forderung nach einem verstärkten Ausbau beruflicher Schulen sowie der Beseitigung des Berufsschullehrermangels möchten wir daher nochmals an dieser Stelle nachdrücklich betonen.
Wir müssen auch die öffentliche Verantwortung für Ausbildung und Prüfung verstärken. Wenn die Opposition bei der Erneuerung des Berufsbildungsgesetzes einerseits von Verstaatlichung der Berufsbildung spricht und andererseits im Bildungsgesamtplan der beruflichen Bildung ihren hohen Stellenwert einräumt, der ihr in unserer Gesellschaft auch zukommen muß, so scheint mir das allerdings echt schizophren zu sein. Wir sind allerdings auf das Schlimmste gefaßt, wenn wir beispielsweise vom Kollegen Gölter hören, der Referentenentwurf sei für den Papierkorb bestimmt, noch bevor dieser überhaupt vorliegt.
({0})
- Offiziell gibt es ihn noch nicht, Herr Kollege Probst.
Die Ausgestaltung des horizontalen Schulwesens verlangt aber auch konsequenterweise eine Neuordnung der Lehrerbildung. Der Stufenlehrer ist nicht umstritten, jedoch seine Ausbildung. Die frühkindliche Begabungsforschung fordert aber konsequenterweise eine gleich hohe Qualifikation des Lehrers im Grundschulbereich wie in den anderen Stufen. Meine Fraktion ist nicht bereit, diese Forderung aufzugeben.
({1})
Das Minderheitsvotum der CDU/CSU zur Lehrerbildung macht jedoch deutlich, daß die Opposition dem traditionellen Gymnasiallehrer die „höheren Weihen" erhalten will. Auch hier zeigt sich wieder der Pferdefuß einer Beibehaltung der dreiklassigen Schule, trotz allen Reformgeklingels,
Der tertiäre oder Hochschulbereich sieht bis 1985 die weitere Bereitstellung von Studienplätzen für 22 bis 24% aller Studienanfänger des jeweiligen Altersjahrgangs vor. Diese Zahl würde auch den Anschluß an die internationale Entwicklung sicherstellen. Zu Studienreform, Verweildauer und Regelstudienzeiten werden wir, wie ich schon sagte, in der Debatte über das Hochschulrahmengesetz noch ausgiebig Stellung zu nehmen.
Die drohenden Ungleichgewichte im Bildungswesen, das Versagen des traditionellen dreigegliederten Schulwesens vor den Forderungen nicht nur der Zukunft, sondern schon des Heute, die Bedeutung einer Neuordnung der Schule für die Reform des Laufbahnwesens und die Berufswelt überhaupt drängen uns doch zu einer Bestätigung der im Bildungsgesamtplan enthaltenen Aussagen. Diese Aussagen müssen sehr rasch in praktische Politik umgesetzt werden; sonst müßten wir erwarten, daß im Sinne von Heinrich Böll das Volk am richtigen Gegenstand und im richtigen Augenblick einmal zornig
würde: über ein veraltetes System, in dem nicht Kinder zu freien Menschen herangebildet, sondern eine neue Herrenschicht gezüchtet wird.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im bisherigen Verlauf der Debatte sind die positiven Aspekte des Bildungsgesamtplans, seine Bedeutung als erstes Gemeinschaftswerk von Bund und Ländern gewürdigt worden; aber auch die Probleme, die dieser Plan noch nicht löst, wurden angerissen. Meine Kollegin Schuchardt hat einiges grundsätzlich zur Problematik der Planung und Durchführung solcher Planungen auf dem Sektor der Bildungspolitik in der Bundesrepublik gesagt. Ich meine, daß der Verlauf der Debatte es notwendig macht, daß ich in zwei der Punkte, die meine Kollegin angesprochen hat, die Auffassung der FDP noch einmal unterstreiche.
Einmal ist es die Auffassung, daß eine den Notwendigkeiten voll entsprechende gesamtstaatliche Bildungspolitik unter der gegebenen Kompetenzverteilung eben nicht möglich ist - dies beweist dieser Plan - und daß deshalb eine Ausweitung der Bundeszuständigkeit für die Bildungspolitik notwendig ist. Das hat nichts damit zu tun, daß wir das föderale System angreifen wollten. Das hat auch nichts damit zu tun, daß wir derzeit keinen Kultusminister stellen; das kann sich sozusagen täglich ändern.
({0})
Es geht hier ausschließlich um die Sache.
Wir wissen auch, daß manche Bildungspolitiker der beiden anderen Parteien der gleichen Auffassung sind. Ich habe mich ja mit einigen von ihnen darüber sehr intensiv unterhalten können. Ich meine, sie sind aufgerufen, mit uns gemeinsam die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Eine zweite Bemerkung ist noch notwendig, und zwar zu dem, was hier zur Verbindlichkeit dieses Plans gesagt worden ist. Herr Kollege Probst, ich habe in der Tat im Ausschuß dargelegt, daß dieser Plan bei allen Qualitäten, die er unbestritten aufweist, mich überhaupt nicht davon abhalten kann, bei der gesetzgeberischen Arbeit im Einzelfall etwas anderes für sinnvoll zu erachten, als das, was dort niedergelegt worden ist. Dies nicht nur deshalb, weil man sich ja nach der Lehre eines Ihrer großen Weisen nicht davon abhalten lassen soll, täglich klüger zu werden, sondern auch deshalb, weil ich mich hier nicht als Vollzugsorgan anderer Leute betrachten will, auch dann nicht, wenn diese mir sonst ganz sympathisch sind. Und andere Leute - um es so salopp zu formulieren - als wir Parlamentarier haben diesen Plan eben erarbeitet und verabschiedet. Da dies lauter sogenannte andere Leute waren, die wir an sich noch zu kontrollieren haben, wäre es ein merkwürdiges Verständnis unserer Aufgabe, wollten wir jetzt sagen, daß uns dieser Plan
in jeder Einzelheit binde, daß wir damit jeden politischen Handlungsspielraum verloren hätten.
({1})
Insofern ist es auch nicht die ausschließliche Aufgabe dieser Debatte, diesen Plan als ein einmaliges, großes Werk zu rühmen, sondern man sollte vielleicht auch andeuten können, wo Lücken liegen und wo Aussagen gemacht werden, die einem so nicht akzeptabel erscheinen.
({2})
Unter dieser Prämisse möchte ich einige Bemerkungen zu den Aussagen des Bildungsgesamtplans zum tertiären Bereich sowie zu einigen anderen Detailfragen machen. Die Beschreibung der quantitativen Entwicklung des Hochschulbereichs macht deutlich, auf welche Dimensionen Wir uns einstellen müssen. Wir werden spätestens 1985, wahrscheinlich schon eher, wie gesagt worden ist, rund 1 Million Studenten haben. Gegenüber 1970 wäre das mehr als eine Verdoppelung, wenn die Prognose richtig ist, daß ca. 22 bis 24% jeweils eines Jahrgangs ein Hochschulstudium anstreben und auch erreichen werden. Insofern besteht kein Widerspruch, Herr Kollege Schäuble, zwischen dem, was wir im Bildungsbericht 1970 gesagt haben, und dem, was jetzt im Bildungsgesamtplan steht. Die Hälfte von 50% sind 25 %. Im Bildungsgesamtplan stehen eben 22 bis 24 %.
({3})
- Nun gut, ein kleiner Spielraum ist vorhanden.
Wenn wir aber diese Zahl auch als eine angemessene Begrenzung nach oben verdeutlichen wollen - hier gibt es nun einmal eine Grenze des Vertretbaren und Machbaren , dann haben wir ganz besonderen Wert darauf zu legen, daß andere Ausbildungsgänge als das Hochschulstudium verbessert werden, daß die Zielformulierung von der Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit allgemeiner und beruflicher Bildungsgänge keine Phrase bleibt, sondern durch eine Reform der beruflichen Bildung konkrete Gestalt annimmt. Ich kann nur hoffen, daß diese Notwendigkeit auch von der CDU/CSU gesehen und realisiert wird.
({4})
- Aber, Herr Kollege Gölter - jetzt komme ich zu Ihnen; gut, daß Sie sich melden -, das, was man erlebt, wenn man mit Vertretern der Opposition etwa vor Versammlungen der Industrie oder des Handwerks über die Reform der beruflichen Bildung zu disukutieren hat, läßt mich jedenfalls daran zweifeln, ob Sie zumindest das, was im Bildungsgesamtplan steht, überhaupt als minimale Einigungsformel wollen. Wir haben in der vergangenen Woche vor Vertretern des nordrhein-westfälischen Handwerks diskutiert. Dabei stellten sich Ihre Mitglieder hin und sagten: Es muß alles so bleiben, wie es ist; wir selbst sind stolz darauf, Handwerker zu sein. Sie machten damit Stimmung gegen die Reformpläne der
Bundesregierung. Das haben wir gemeinsam in der letzten Woche erlebt.
({5})
Hier habe ich eben Zweifel, ob Sie ernsthaft an eine
Reform der beruflichen Bildung herangehen wollen.
Die Definition der Struktur des Hochschulbereichs bzw. die Zielsetzung für dessen Neuordnung legt sich auf die Gesamthochschule fest. Wir gehen allerdings davon aus, daß dies in der Regel die Einführung der integrierten Gesamthochschule bedeutet. Was den Zugang zu diesen Gesamthochschulen angeht, so befinden wir uns in einer intensiven Diskussion im Rahmen der Beratung des Hochschulrahmengesetzes im Ausschuß.
Wenn wir einmal annehmen wollen, daß es auf absehbare Zeit mehr Studienberechtigte als Studienplätze geben wird, dann kommt zwar der jährlichen Feststellung und Veröffentlichung der Zahl der Studienplätze im Sinne einer notwendigen Kapazitätskontrolle und zugunsten von mehr Transparenz sowie der Entwicklung und Verwendung von Testverfahren als Hilfsmittel bei der Studienwahl eine besondere Bedeutung zu; die eigentlich heikle Frage aber liegt in dem Verfahren, nach dem Studienplätze vergeben werden. Hier wollen wir noch keine endgültige Festlegung treffen. Wir haben unsere Kritik an dem durch den Staatsvertrag fixierten Verfahren bereits deutlich gemacht und sind skeptisch, ob diese Kritik etwa durch die im Bildungsgesamtplan angesprochenen neuen Profile für den Sekundarabschluß II ausgeräumt werden kann. Die Mitglieder des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft werden ja wohl in der nächsten Zeit Gelegenheit haben, die internationalen Erfahrungen in der Anwendung eines besonderen Hochschuleingangsverfahrens auszuwerten. Vielleicht liegt hier wirklich ein positiver Ansatz.
Zu den Problemen von Forschung und Lehre, zur Studienreform sowie zur Regelung der Studiendauer möchte ich hier nicht sprechen. Dies werden wir ja bei der weiteren Beratung des Hochschulrahmengesetzes tun können.
Wir begrüßen aber ausdrücklich die im Bildungsgesamtplan vorgesehenen Hochschulbaumaßnahmen. Zweifellos liegt es nicht nur im Interesse der Hochschulen selbst, sondern auch im Interesse der Gesellschaft, die ja erhebliche Summen aufbringen muß, daß die Hochschuleinrichtungen optimal genutzt werden. In diesem Zusammenhang gilt es auch, wie dies Bundesminister von Dohnanyi getan hat, Überlegungen anzustellen und kritisch zu prüfen, ob eine solche optimale Nutzung durch Einführung eines Studienjahres erreicht werden kann.
Über die Notwendigkeit der Intensivierung des Studentenwohnraumbaus werden wir wahrscheinlich beim nächsten Tagesordnungspunkt - Ausbildungsförderung - etwas hören können. Wir halten diese Maßnahme für äußerst wichtig und legen besonderen Wert darauf, daß in Zukunft der Tatsache Rechnung getragen wird, ,daß mehr und mehr Studenten
verheiratet sind. Es muß also in verstärktem Maße den Studentenehepaaren Wohnraum angeboten werden.
Lassen Sie mich abschließend einige Sätze zu den, wie ich meine, positiven Ansätzen zu begleitenden Maßnahmen zur Verbesserung der Schulsituation sagen. Ich meine, die Schulassistenten sowie die Beratungslehrer und Schulpsychologen, die in unseren Schulen tätigen Lehrer, aber auch die Schüler und Eltern werden es sicherlich begrüßen, wenn die für ihre pädagogische Tätigkeit qualifizierten Kräfte, die Lehrer, sich ganz ihrer eigentlichen Aufgabe widmen können, anstatt dadurch, daß sie sozusagen als überbezahlte Verwaltungskräfte tätig sind, den Lehrermangel noch zu verstärken. Aus den Neuerungen, die sich im Zusammenhang mit der Gesamtschule ergeben, erwachsen für die Beratungslehrer und Schulspychologen mannigfaltige Aufgaben. Wir haben allerdings den Eindruck, daß die CDU/CSU diese Neuerungen manchmal zwar verbal akzeptiert, aber in der politischen Praxis alles andere tut, als eine echte Fortentwicklung zu unterstützen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die FDP betrachtet den Bildungsgesamtplan als eine wertvolle Leitlinie für das bildungspolitische Handeln. Sie wird sich an dieser Leitlinie orientieren und in allen Einzelfragen bemüht sein, die Ansätze dieses Planes auszuschöpfen und, wo nötig, zu vertiefen.
({7})
Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Vogel.
Staatsminister Dr. Vogel ({0}) : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bund-Länder-Bildungsplanungskommission war ,die Aufgabe gestellt, einen Bildungsgesamtplan und ein Bildungsbudget zu erarbeiten. Beides sollte dazu dienen, den vielfach entwickelten Teilplänen der letzten Jahre einen gemeinsamen langfristigen Rahmenplan für eine abgestimmte Entwicklung aller Bereiche des Bildungswesens gegenüberzustellen. Es sollte kein utopisches Konzept, sondern ein konkreter Plan und ein konkretes Finanzbudget für den Zeitraum von heute bis 1985 erarbeitet werden.
Unter großen Schwierigkeiten und als Ergebnis jahrelanger Bemühungen aller Beteiligten ist es im vergangenen Jahr schließlich gelungen, einen Plan vorzulegen, der eine tragfähige Grundlage für die Weiterentwicklung und den Ausbau des Bildungswesens in der Bundesrepublik darstellt. Der von den Regierungschefs zunächst gesetzte Termin ist freilich nicht eingehalten worden, weil alle an der Arbeit der Bund-Länder-Kommission Beteiligten mit so schwierigen Sachfragen konfrontiert wurden, daß mehr Zeit notwendig war. Es bedurfte komplizierter Rechnungen, um ein zeitlich gestuftes System von Kostenberechnungen und Finanzierungsplanungen zu erstellen. Hinzu kam, daß die Verantwortlichen,
Staatsminister Dr. Vogel
soweit sie die Bundesregierung repräsentierten, mehrfach in kurzen Zeitabständen ausgewechselt worden sind.
Es ist schließlich gelungen, die einstimmige Verabschiedung des Bildungsgesamtplans nicht nur in der Bund-Länder-Kommission, sondern auch bei den Regierungschefs von Bund und Ländern zu erreichen. Mir scheint, das ist ein Ausdruck eines durchaus funktionsfähigen kooperativen Föderalismus und ganz fraglos - alle Sprecher haben das hier bestätigt - eine bedeutsame Station in der Weiterentwicklung des Bildungswesens in der Bundesrepublik. Dies rechtfertigt, so meine ich, die Beratung ,des Bildungsgesamtplans in allen deutschen Parlamenten, und ich freue mich, daß der Deutsche Bundestag sich als zweites deutsches Parlament heute dieser Auseinandersetzung widmet. Die Einigung auf diesen Plan setzt die Bereitschaft aller Beteiligten voraus, wenigstens in Grundaussagen zu einer Übereinstimmung zu kommen. Allen Versuchen, im nachhinein diesen Erfolg in die Scheuern der einen oder der anderen Partei einzubringen, sollte mit Entschiedenheit Widerstand geleistet werden.
({1})
Dieser Bildungsgesamtplan, meine Damen und Herren, ist nur dann etwas wert, wenn die zwölf Unterschriften aller Regierungschefs gleiche Verbindlichkeit behalten.
({2})
Ihn mehr für diese oder jene Gruppe zu vereinnahmen, hieße, seine Tragfähigkeit in Frage zu stellen. Herr Abgeordneter Slotta, dies ist kein Kompromiß zwischen Bund und Ländern, dies ist kein Bildungsplan einer Partei, sondern das ist eine unter schwierigen Bemühungen erreichte gemeinsame Grundlage aller politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Man sieht nicht, daß das genügend zum Ausdruck gebracht wird, daß man sich auf diese gemeinsame Grundlage verständigt.
Frau Abgeordnete Schuchardt, man sitzt nicht immer selbst auf dem schnellsten Schiff. Ich möchte auch gerne Herrn Kollegen von Dohnanyi sagen: wer anderer Meinung ist, kann unter Umständen auch gute Gründe dafür haben; es muß nicht immer die Absicht sein, blockieren zu wollen, wenn widersprochen wird.
({4})
Es ist gelungen, in wesentlichen organisatorischen und strukturellen Fragen der Schul- und Hochschulpolitik, der Fort- und Weiterbildung, der außerschulischen Jugendbildung - übrigens auch dort - und der Budgetfragen zu einer Übereinstimmung zu kommen. Herr Abgeordneter Wüster, warum soll eigentlich die Hochschule hier ausgeklammert werden? Sie ist doch ein Teil des Bildungsgesamtplans, und es ist doch hoffentlich niemandem peinlich, wenn nicht nur
über Gesamtschule, sondern auch über Hochschule gesprochen wird.
({5})
- Ja, aber wir sprechen hier vom Bildungsgesamtplan, und manches wird ja im Hochschulrahmengesetz leider nicht gelöst, was im Bildungsgesamtplan grundgelegt ist.
({6})
Es ist allerdings, und das sei hinzugefügt, nicht in allen Grundsatzfragen gelungen, die notwendige Gemeinsamkeit zu erreichen. Wir haben bewußt vermieden, verbale Kompromisse zu formulieren, wo grundsätzlich unterschiedliche Positionen uns trennten. Von den ursprünglich einmal formulierten acht Alternativvoten sind schließlich drei erhalten geblieben. Sie wissen, daß die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland zur Frage der integrierten Gesamtschule, der Orientierungsstufe und der Lehrerbildung ihr Konzept in Alternativvoten vorgelegt haben.
In diesen drei Punkten war und ist eine Einigung zur Zeit nicht möglich. Ich darf darauf hinweisen, daß diese Alternativvoten, wie alle anderen Texte auch, Bestandteil des Bildungsgesamtplans sind und daß sie gerade in diesem Punkt die Weiterentwicklung offenhalten für politische Entscheidungen, die erst auf zukünftigen Erkenntnissen aufbauen können. Wir nehmen die Aufforderung der zwölf Regierungschefs ernst, auch in diesen Fragen die Auffassungsunterschiede zu überwinden, leugnen allerdings nicht die Schwierigkeit, dies tatsächlich zu erreichen.
Nun hat heute früh der Herr Bundeskanzler zum Stichwort Gesamtschule einiges gesagt, was er von Schule erwartet. Was der Herr Bundeskanzler hier gesagt hat, scheint mir durchaus auch unserer Zustimmung fähig zu sein, nur hat es mit Gesamtschule relativ wenig zu tun. Ich möchte ihn einladen, sich einmal am Beispiel der sechs rheinland-pfälzischen Gesamtschulversuche davon zu überzeugen, daß es nicht leichter ist, in der Gesamtschule vom C-Kurs zum B-Kurs überzuwechseln als von der Realschule zum Gymnasium.
({7})
Wo gibt es denn - ist meine Frage - in dieser Bundesrepublik eine funktionsfähige Gesamtschule, die das, was der Herr Bundeskanzler als Ziel fixiert hat, besser erreicht, als es das Schulsystem eines anderen der Bundesländer tut?
({8})
Es heißt doch, meine Damen und Herren, Gleichheit überfordern, wenn das bedeutet, die Freiheit zu nehmen, dem Leistungsstarken mehr Leistung abzuverlangen und dem Förderungsbedürftigen mehr Förderung zuzugestehen.
({9})
Staatsminister Dr. Vogel
Wer wie Herr von Dohnanyi von den Prüfungen im zehnten Lebensjahr spricht, muß sich fragen lassen: Wer will denn das,
({10})
wo im Lande wird das denn gefordert? Was wir allerdings fordern, ist nicht die allgemeine Einheitsstraße, sondern sind klar profilierte Alternativen, die sich gegenseitig durch ihre Zielsetzung und durch ihre Pofilierung Konkurrenz machen.
({11})
Nun ist allerdings gar nicht zu verkennen, daß augenblicklich dieses von den drei Alternativvoten gar nicht das eigentlich umstrittenste ist, da man ja in Sachen Gesamtschule heute sehr viel vorsichtiger formuliert, auch hier in diesem Hohen Hause, als das vor Jahr und Tag der Fall war.
({12})
Meines Erachtens belegt vielmehr die Diskussion der letzten Monate, daß vor allem dem Alternativvotum im Bereich der Lehrerbildung besondere Bedeutung zukommt. Im Gegensatz zu den sozialdemokratisch geführten Regierungen haben es die CDU/CSU-geführten Länder im Bildungsgesamtplan nicht bei allgemeinen Grundsätzen bewenden lassen, sondern ein konkretes Modell der Lehrerbildung vorgelegt, das davon ausgeht, daß zu einem differenzierten und gegliederten Schulwesen eine differenzierte Lehrerbildung gehört. Wir wollen hochqualifizierte Lehrer für alle Schüler aller Schularten und aller Altersstufen und brauchen dazu eine differenzierte Ausbildungsdauer und differenzierte Besoldungsregelungen, denn niemand geht, wenn er Halsschmerzen hat, zum Orthopäden, und niemand hilft mit dem Einheitslehrer etwa der Berufsschule.
({13})
Wir lehnen den Einheitslehrer oder gar den Einfachlehrer deswegen ab, weil wir in den zahlreichen Modellen, die den Lehrer in eine Schulstufe einmauern, die Gefahr mitgegeben sehen, daß sie Teufel durch Beelzebub austreiben und eine neue Undurchlässigkeit -- nur jetzt horizontal statt vertikal - erzielen. Wer Durchlässigkeit wünscht, braucht Profilierung der Schularten und der ihnen zugeordneten Lehrer.
Dessen ungeachtet haben wir - d. h. in diesem Fall die CDU/CSU-geführten Bundesländer - dem Bildungsgesamtplan zugestimmt, weil der Strukturteil ein langfristiges Rahmenkonzept für den Ausbau und die Weiterentwicklung des Bildungswesens bis 1985 enthält, das mit unseren bildungspolitischen Zielvorstellungen übereinstimmt, weil der Bildungsgesamtplan die Einheitlichkeit des Bildungswesens sichern kann und weil er die Chance bietet, einseitige Entwicklungen, teilweise auch Entartungen, in dem einen oder anderen Bundesland zurückzunehmen und in Zukunft zu verhindern. Wir haben ihm zugestimmt, weil mittelfristig ein Bildungsbudget erreicht werden konnte und weil für den längerfristigen Zeitraum bis 1985 wenigstens
Kostenschätzungen vorgenommen worden sind, deren Finanzierung im Rahmen der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung von Bund und Ländern gewährleistet werden muß.
Nach Auffassung der CDU/CSU-geführten Länder kommt es jetzt darauf an, alle weiteren Reformmaßnahmen vom gemeinsam erarbeiteten Grundkonzept des Bildungsgesamtplanes aus in Angriff zu nehmen und den Bildungsgesamtplan nicht zu einem Steinbruch umzufunktionieren, aus dem jeder das ihm Passende herausbricht. Bedauerlicherweise sprechen Ereignisse der letzten Monate in der deutschen bildungspolitischen Landschaft eine etwas andere Sprache. Allzu leichtfertig versuchen einige bereits heute, die Verbindlichkeit des Bildungisgesamtplans wieder in Frage zu stellen und den gemeinsamen Boden zu verlassen. Wer in die gegenwärtige bildungspolitische Diskussion hineinhört, wird merken, daß keineswegs nur die Frage der Mengenlehre, sondern daß die Sorge um Ausbildungsplätze in Handwerk, Gewerbe, Handel und Industrie Thema Nr. 1 der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion ist. Da sich jeder meiner Vorredner dazu geäußert hat, ist das heute früh wohl auch im Bundestag deutlich bestätigt worden.
Der Bildungsgesamtplan postuliert die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung. Er spricht von einer Abstimmung von Bildungsgängen im allgemeinen und beruflichen Bildungswesen. Er will zu einer Verstärkung und Differenzierung der theoretischen und das heißt der schulischen Anteile kommen, und er bejaht ausdrücklich das duale System und die Beibehaltung der Praxisnähe. Er stuft die Bildungsgänge in einjährige Grundbildung und zweijährige Fachbildung.
Im totalen Widerspruch dazu genehmigt das Bunddeswissenschaftsministerium laufend neue Ausbildungsordnungen, die statt dessen eine zweijährige Grundbildung und eine einjährige Fachbildung vorsehen.
({14})
Sie entsprechen nicht der Gliederung, die der Bildungsgesamtplan vorsieht. Sie entsprechen nicht der Entwicklung der Grund- und Fachbildung, sondern sie hemmen sie und wirken diesbezüglich gefährlich. Die Markierungspunkte der Bundesregierung vom November 1973 zielen auf eine vollständige Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Staatsminister Dr. Vogel ({0}) : Gerne, gnädige Frau.
Herr Minister, muß ich Ihrer letzten Formulierung entnehmen, daß Sie dann gegen jedes Experiment, gegen Versuche im Bildungswesen sind?
({0})
Es ist doch nicht gesagt, daß das die durchschnittliche Lösung ist. Vielmehr ist das ein Versuch,
({1})
durch Experimente auch schon die Phase für die Zeit nach 1985 vorzuerfassen.
Staatsminister Dr. Vogel ({2}) : Sie müssen, Herr Abgeordneter Slotta, aus meinen Ausführungen entnehmen, daß das Handeln des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft nicht den Aussagen des Bildungsgesamtplanes entspricht und es die Verwirklichung des Bildungsgesamtplans an diesem Punkte hindert und hemmt.
({3})
Deswegen habe ich dieses Beispiel angeführt. Von Experimenten kann da ja wohl nicht die Rede sein, wenn nach einem alten und überholten Verfahren weiter genehmigt wird, statt daß auf die gemeinsam gefundene neue Basis umgestellt wird.
Ich sprach von den Markierungspunkten der Bundesregierung vom November 1973, die auf eine vollständige Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung abzielen. Der Bund beansprucht in ihnen fast ein alleiniges Regelungs-, Aufsichts- und Vollzugsrecht und stellt die Verantwortung der Kammern und auch der Bundesländer für diesen Bereich weitgehend in Frage. Der inzwischen - ich wollte an sich sagen: vorliegende; aber da gab es vorhin Protest - bekanntgewordene Referentenentwurf zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes greift diese Tendenz nicht nur auf, sondern verstärkt sie. Er schaltet die Selbstverwaltungskörperschalten in der Wirtschaft bei der Anerkennung der Ausbildungsstätten nahezu völlig aus. Er führt zu mehr Staat und zu weniger Eigeninitiative. Die dem Bekenntnis zum dualen System zugrunde liegende Partnerschaft von Betrieb und Schule wird im Gesetzentwurf aufgelöst. Die Folge ist eine wachsende Verunsicherung der Ausbilder - nicht, Frau Abgeordnete Schuchardt, von ein paar Bonzen, sondern der Buchhändler, der zwanzig Jahre Buchhändlerlehrlinge ausgebildet hat und das jetzt nicht mehr tut, der Handwerker, die kleinen Industriebetriebe, ,die verunsichert sind und ihre Ausbildungsleistung nicht mehr erbringen.
({4})
- Ich bin nicht sicher, daß Sie bei dieser Feststellung bleiben können, Herr Abgeordneter, wenn Sie sich draußen einmal tatsächlich umsehen und bemerken, wie häufig von manchem Kleinbetrieb der König von Sachsen aus dem Jahre 1919 zitiert wird.
Die Folge ist eine Verunsicherung; das ist ganz fraglos. Der Beitrag, Herr Kollege von Dohnanyi, den Sie vor ein paar Tagen auf der Großveranstaltung des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstags in Düsseldorf zur Diskussion gestellt haben, hat die Verwirrung nur noch gesteigert, weil jetzt nämlich niemand mehr weiß, ob Ihre zwölf Thesen von
Düsseldorf oder ob die Markierungspunkte der Bundesregierung gelten; denn beides zusammen kann nicht gelten, es widerspricht sich an vielen Punkten.
({5})
Nicht nur Krisenzeichen der gegenwärtigen Wirtschaftssituation - das ist nicht ausschlaggebend für die Frage der Lehrlingsplätze -, sondern jahrelange allzu einseitige Diffamierung der Ausbildungsleistung ,der deutschen Wirtschaft und drohender staatlicher Zugriff führt heute zu jener kritischen Konsequenz, die wir beobachten können.
Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Es ist kein Zweifel, am Numerus clausus an unseren Hochschulen tragen wir alle unser Stück Verantwortung; sollte es aber zu einem Numerus clausus in unseren Betrieben kommen, dann liegt die Verantwortlichkeit bei ,der Bundesregierung und bei denen, die die Vorschläge gemacht haben.
({6})
Dabei sollte niemand übersehen, daß wir herrschende Mißstände mißbilligen und daß wir nicht Ausbilder wünschen, die nicht Ausbilder sind. Aber es ist nicht wahr, daß die Mehrzahl ,der ,deutschen Lehrlinge nur Höfe kehrt, Bier holt und Vesperbrote herrichtet. Es ist im selben Umfang nicht wahr, daß sich die CDU/CSU einer Novellierung des Berufsbildungsgesetzes widersetze. Wir halten diese Novellierung aus einer ganzen Reihe von Gründen für notwendig, aber nicht jede vorgelegte Vorlage ist deswegen schon eine Verbesserung, weil sie wesentliche Änderungen vorsieht.
Wie die berufliche Bildung, wurde auch die Grundschule allzulange in der Diskussion der letzten Jahre sträflich vernachlässigt.
Herr Staatsminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Staatsminister Dr. Vogel ({0}) : Gern.
Herr Staatsminister, könnten Sie dem Hause einmal erläutern, worin Sie -erstens - selber ganz konkret die Mißstände der beruflichen Bildung in den Betrieben der Bundesrepublik Deutschland sehen und -zweitens - welche ganz konkreten Vorschläge zur Abhilfe solcher Mißstände Sie entwickeln würden?
Staatsminister Dr. Vogel ({0}) : Ich bin sehr dankbar für diese Frage. Ich sehe die Mißstände darin, daß wir, statt den Ausbildern zu helfen, sie kritisieren, statt ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern, sie erschweren, statt zu mehr Ausbildungsplätzen anzuregen, alles tun, um das Einstellen von Ausbildung zu prämiieren.
({1})
- Ich bedaure, daß Ihre Kenntnis nicht hinreicht,
etwa die sehr umfassenden Beschlüsse zu einer Re5640
Staatsminister Dr. Vogel
form der beruflichen Bildung zur Kenntnis zu nehmen, die wir teils für die ganze Bundesrepublik, teils für einige Länder vorgelegt haben. Sie besteht in der Tat in der Notwendigkeit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes, weil wir schon heute erkennen, daß novellierende Maßnahmen notwendig sind, etwa die Einbeziehung der Lehrer in die Prüfungsausschüsse, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber es ist eine Fehlentwicklung, wenn wir mit typischer deutscher Gründlichkeit, statt mehr Hilfe zu geben und mehr Aufsicht zu sichern, das Kind mit dem Bade ausschütten und denjenigen, der Wesentliches beigetragen hat für die Entwicklung unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft, jetzt in der Tat so behandeln, daß er diese Ausbildungsleistung zum Teil nicht mehr zu erbringen bereit ist. Ich kann nur sagen, der Leidtragende ist ausschließlich der Absolvent der Realschule und der Hauptschule, der im Herbst dieses Jahres keinen Ausbildungsplatz finden wird. Und den zu schützen, meine ich, wäre unsere Aufgabe und unsere gemeinsame Verpflichtung.
({2})
Meine Damen und Herren, ich wollte zu einem anderen neuralgischen Punkt, der in der Diskussion so lange zu kurz gekommen ist, eine Bemerkung machen: zum Stichwort Grundschule. Der Bildungsgesamtplan bekennt sich zu Recht zu Wert und Funktion der Grundschule. Dementsprechend setzen wir uns konsequent - und ich hoffe, alle - für eine qualitative Verbesserung der Grundschule ein. Die Klassenfrequenzen sind vorhin schon genannt worden. Aber, meine Damen und Herren, das etwas altmodische Wort, daß Hans nimmer lernt, was Hänschen nicht gelernt hat, gilt auch bei der Grundschule. Darum widersprechen wir etwa dem Vorschlag einer FDP-Landtagsfraktion, nun ausgerechnet die Grundschulzeit von vier auf drei Jahre zu verkürzen. Darum widersprechen wir dem Gesetzentwurf des Herrn Kollegen Girgensohn, die Lehrerausbildung für den Grundschullehrer kürzer und schlechter anzusetzen als die für den Lehrer in der Sekundarstufe II.
({3})
In der Frage der Neuordnung von Lehrerbildung und Lehrerbesoldung vermögen allerdings auch Experten den zahlreichen, sich oftmals gegenseitig widersprechenden Konzeptionen der letzten Monate nur noch schwer zu folgen. Ich plädiere für eine Geschwindigkeitsbegrenzung bei der Vorlage und dem Zurückziehen neuer Ausbildungs- und Besoldungskonzepte durch Minister von Bund und Ländern.
({4})
Der Entwurf des Bremischen Lehrerausbildungsgesetzes vom Februar dieses Jahres widerspricht eben allen diesbezüglichen Aussagen des Bildungsgesamtplanes. Wenn Herr von Dohnanyi vorhin in moderierter Weise für eine Verkürzung der Ausbildungszeiten plädiert hat und ,das auch im Gesetz tun will, möchte ich ihn herzlich bitten, doch seinen Einfluß im Lande Bremen dahin geltend zu machen, daß die Studienzeiten dort nicht noch durch Gesetz verlängert werden, sondern wenigstens so bleiben, wie sie gegenwärtig sind. Aber es gehört in der Tat eine gewisse Findigkeit dazu, im reichbebilderten Wald der deutschen Lehrerverbände zu erreichen, am Schluß alle gegen sich zu haben und aller Feind und keines Freund mehr in diesem Bereich zu sein.
Wir diskutieren lassen Sie mich das hinzufügen-derzeit die wichtige und schwierige Frage,
ob langfristig an eine Verkürzung der Schulzeit an den Gymnasien in Deutschland zu denken ist. Ich glaube, es war Frau Abgeordnete Schuchardt, die das Thema angesprochen hat; oder es war einer meiner Herren Vorredner. Mit dem Herrn Bundeskanzler und seiner Aussage in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 bin ich persönlich für eine allgemeine Regelschulzeit von insgesamt 12 Jahren, weil ich die internationalen Maßstäbe für auch in Deutschland anwendbar halte, auch dann, wenn das nicht im Augenblick, sondern erst in den nächsten acht bis zehn Jahren realisierbar ist.
Leider besteht diese Übereinstimmung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und seinem Wissenschaftsminister offensichtlich nicht. Der Bundeskanzler plädiert für die Verkürzung in der Sekundarstufe II, der Herr Wissenschaftsminister für die Verkürzung in der Sekundarstufe I. Ich muß Ihnen allerdings gestehen: In diesem Fall bin ich der Meinung des Herrn Wissenschaftsministers und nicht der Meinung des Herrn Bundeskanzlers.
Man hatte hoffen können, meine Damen und Herren, daß auf der Basis des Bildungsgesamtplanes auch eine Annäherung der Standpunkte in der Frage des Hochschulrahmengesetzes möglich sein müßte. Die Vorlage des zweiten Regierungsentwurfs ließ Hoffnungen zu. Ich habe im Oktober letzten Jahres im Bundesrat unsere Stellungnahme dazu eingebracht. Ich möchte aber heute fragen: Warum wird denn von seiten des Herrn Bundeswissenschaftsministers nichts unternommen, kein ernsthafter Versuch gemacht, um in demselben Geist, der uns gemeinsam einen Bildungsgesamtplan erarbeiten ließ, auch zu einer Einigung in der Frage der Hochschulgesetzgebung zu kommen?
Wer hindert denn den Bundeswissenschaftsminister daran, die Ergebnisse des Hearings der letzten Woche uns gemeinsam zunutze zu machen und etwa das Austricksen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Gesetzentwurf wegzunehmen?
({5})
Wer hindert im übrigen Herrn von Dohnanyi daran, seine Vorstellungen zur Frage des Ordnungsrechts nicht nur in der Westdeutschen Rektorenkonferenz und vor den Kultusministern der Länder, sondern auch einmal vor diesem Hause darzulegen und entsprechende Gesetzgebungsvorschläge zu machen?
Wer hindert Herrn Kollegen von Friedeburg daran, seine unerwartet, erwachten Hoffnungen auf ein Ordnungsrecht im Hochschulrahmengesetz auch in die dieser Tage vorgelegte Novelle eines Hessischen Hochschulgesetzes einzubeziehen, wenn er ein solches Ordnungsrecht für sein Land nunmehr für notwendig hält?
Staatsminister Dr. Vogel
Es ist leider nicht üblich, daß Kultusminister zu Finanzfragen Stellung nehmen. Üblicher ist es inzwischen, daß Finanzminister, vor allem aus den Ländern, Bildungspolitik betreiben. Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Finanzierung des Bildungsgesamtplanes machen; vorhin ist schon darauf eingegangen worden.
Die Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung weist diesen Tagesordnungspunkt erstaunlicherweise als „Beratung des Bildungsgesamtplanes der Bundesregierung" aus. Ich hoffe, es handelt sich hier um einen Irrtum. Denn es muß doch noch einmal darauf hingewiesen werden, daß dieser Plan und ,daß die Finanzierung dieses Planes zu 90 "/o durch die Gemeinden und Länder der Bundesrepublik erbracht und gesichert werden. Der dankenswerte Hinweis des Herrn Bundeskanzlers heute morgen auf die gestiegenen Aufwendungen hätte doch wohl einen Zusatz verdient, wo diese Aufwendungen erbracht worden sind:
({6})
noch immer eben - und das sage ich, weil ich die Schwierigkeiten kenne - zu fast 90 "/o in den Gemeinden und in den Ländern; der Anteil des Bundes hat sich in den letzten Jahren hier nur minimal um Bruchteile hinter dem Komma verändert.
({7})
- Ich bin nicht sicher, daß wir Geld gekriegt haben. Denn wir haben weniger Geld gekriegt, als der Bildungspolitik bei der Verwirklichung ihrer Anliegen durch inflationäre Entwicklung verlorengeht.
({8})
Ich muß Ihnen, Herr Abgeordneter, auf diesen Zwischenruf sagen: ja, ich bin dankbar, ich habe 20 Millionen Mark mehr für den Schulbau, als ich je im Etat meines Landes hatte. Aber ich kann damit leider nicht mehr, ja nicht einmal genausoviel Schulen bauen wie vor drei oder vier Jahren, sondern etwa 10 bis 15 % weniger, weil mit gleichen Mitteln nicht mehr zu leisten ist, was vor Jahren geleistet werden konnte.
({9})
- Ach, wissen Sie, ich habe gelegentlich den Eindruck, manchen kommen diese Schwarzen gerade zurecht, weil man sie als Sündenböcke braucht, um von eigenen Aufgaben ablenken zu können.
({10})
Es darf nicht weiter der Eindruck erweckt werden, als sei die Funktionsteilung in der Bildungspolitik so, daß der eine die Kompetenz habe, Reformanstöße zu geben, und der andere die Kompetenz, die aus den Reformen erwachsenden Kosten zu finanzieren.
Ich muß, auch wenn das nicht jeder gern hört, darauf hinweisen, daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung den Handlungsspielraum im Bildungsbereich zu verengen droht. Die Vorausschätzungen
der Entwicklung des Bruttosozialprodukts haben im Bildungsgesamtplan dazu geführt, daß wir bis 1975 von einem jährlichen Wachstum von 4 % und von 1975 bis 1985 von einem Wachstum von jährlich 4,7 % ausgehen. Die Aussagen der Mitglieder der Bundesregierung für das tatsächliche Wachstum des Bruttosozialproduktes im Jahr 1974 schwanken zwischen 0 und 2%. Treten diese Vorhersagen tatsächlich ein, führen sie notwendigerweise auch zu einer Streckung oder sogar zu einer Stagnation des Ausbaus der Reformmaßnahme im Bildungswesen.
Der Hinweis des Herrn Bundeskanzlers, das müsse man dann von Periode zu Periode sehen, ist für mich kein Trost. Denn ich muß dem Abiturienten vom Frühjahr 1974 sagen können, ob er 1980 Lehrer werden kann, und kann nicht sagen: er soll mal schön studieren, und wir werden uns das dann in der mittelfristigen Finanzplanung am Ende dieses Jahrzehntes überlegen.
Daß es zum Bildungsgesamtplan kam, ist gut.
Jetzt müssen wir in die Phase seiner Verwirklichung eintreten. Wir haben alles getan, um den Bildungsgesamtplan zu verabschieden. Wir werden jetzt alles daransetzen, für seine Verwirklichung zu kämpfen. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Bildungspolitik, die vielfach in Mißkredit geraten ist, hängt von dieser unserer Entschlossenheit ab.
Der Bildungsgesamtplan ist für uns kein Schlußstein, sondern ein Meilenstein. Er ist die Voraussetzung dafür, daß wir jetzt die Diskussion, wie Schule und Hochschule inhaltlich zu gestalten sind, mit Entschiedenheit führen können. Denn nicht im Bildungsgesamtplan, sondern in der Bestimmung der inhaltlichen Aufgaben liegt die eigentliche Zukunftsaufgabe der deutschen Bildungspolitik.
({11})
Ich danke dem Herrn Staatsminister.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Gölter. Er hat fünf Minuten Redezeit beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, in diesen wenigen Minuten zu sagen, was noch beantwortet werden muß im Zusammenhang mit der sich abzeichnenden Diskussion zur beruflichen Bildung.
Herr Kollege Möllemann hat den Vorwurf erhoben, bei diesem Thema würde innerhalb dieses Hauses anders gesprochen als außerhalb. Herr Kollege Möllemann, wenn wir die Äußerungen des Herrn Bundesministers zum Thema berufliche Bildung verfolgen, haben wir den Eindruck, daß er sich je nach Adressat in seinen Äußerungen orientiert: ein bißchen Wirtschaft, ein bißchen Gewerkschaft, ein bißchen Wissenschaft, wie parteiintern gelegentlich ein bißchen Brandt, ein bißchen Schmidt, ein bißchen Wehner. Am Schluß sitzt man - nicht nur parteiintern zwischen allen Stühlen. Es bleibt
einem dann allenfalls vielleicht noch die Möglichkeit, das als „neue Mitte" zu definieren.
({0})
Ganz wenige Bemerkungen nur, damit wir uns bei diesem Thema berufliche Bildung nicht mißverstehen.
Erstens. Wir sagen nein zu einer Verstaatlichung der beruflichen Bildung. Das, was in diesem Referentenentwurf zu finden ist - und den gibt es ja nun einmal , ist eine Fülle von Rechtsverordnungen, eine Fülle von Detailregelungen, die die schreckliche Vorstellung verraten, berufliche Bildung lasse sich wie ein anderer staatlicher Aufgabenbereich bis ins letzte Detail hinein steuern und verwalten. Die CDU/CSU sagt klar ja zur öffentlichen Verantwortung in der beruflichen Bildung. Dies heißt auch: Wir sagen klar ja zur staatlichen Kontrolle. Wir sagen aber ein ebenso klares Nein zu der Vorstellung, daß das bisherige System durch eine umfassende staatliche Exekutive abgelöst werden soll.
({1})
Der zweite Punkt, der auch von vornherein angemerkt werden soll: Wir sagen nein zu einer Bürokratisierung. Herr Bundesminister, wir wollen Sie davor bewahren, in die Geschichte der deutschen Berufsbildung als Edler von Parkinson einzugehen.
({2})
Wir alle wissen, welche außerordentlichen Schwierigkeiten alle Bundesländer derzeit haben, die für die Schule und gerade für die Berufsschule notwendigen Planstellen zur Verfügung zu stellen. Wir sind dagegen, daß die Ressourcen, die Möglichkeiten der Länder jetzt für eine aufwendige Berufsbildungsverwaltung verfrühstückt werden, daß die Stellen, die wir für die Schule brauchen, in mehr Verwaltung hineinwandern. Wenn man sich den Paragraphen über die Berufsbildungsverwaltung bei den höheren Verwaltungsbehörden einmal anschaut, der im BMBW gezimmert worden ist, findet man doch die alte Vorstellung, daß mehr Staat und mehr Beamte von vornherein mehr Gerechtigkeit und mehr Glück bedingten. Hier sagen wir von vornherein, daß das in diesem Zusammenhang keine Reformperspektive ist.
Die dritte Bemerkung: Es kommt darauf an, in der Berufsbildung die Einheit von Betrieb und Schule im Sinne eines einheitlichen Bildungsgangs zu gewährleisten. Diese Einheit von Betrieb und Schule setzt die Kooperation zwischen Bund und Ländern voraus. Wenn man jetzt einen Gesetzentwurf auf den Tisch legt, der der Bundesregierung Rechtsverordnungen an die Hand gibt, mit deren Hilfe sie bis weit hinein in die Kompetenz der Länder einwirken kann, dann zeichnet sich doch in der beruflichen Bildung eine ähnliche Situation ab wie beim Hochschulrahmengesetz. Wir sagen das von Anfang an, damit hier nicht Schwierigkeiten auftreten, die uns dann in ähnlich unerfreuliche Situationen wie dort hineinbringen.
({3})
Wenn man den mündigen Bürger will, wenn man die mündige Gesellschaft will, sind zwar auch klare staatliche Voraussetzungen und auch Kontrollen notwendig,
({4})
aber der mündige Bürger und die mündige Gesellschaft sind nicht zu vereinbaren mit Disziplinierung, sind nicht zu vereinbaren mit einem Gesetzentwurf, der von vornherein das Mißtrauen zum Prinzip macht, der von einer Gegnerschaft zwischen Staat und Wirtschaft ausgeht und nicht versucht, Staat und Wirtschaft zu Partnern zu machen.
Meine Damen und Herren, der letzte Satz: Dieser Gesetzentwurf weckt bei uns eben den Verdacht, daß hier wieder der Fehlvorstellung nachgelaufen wird, berufliche Bildung müsse ein Abklatsch des seitherigen ersten Bildungsweges sein. Es geht darum, einen eigenprofilierten, zwar theoretisch fundierten, aber die Berufswelt als prägenden Lernort in den Bildungsprozeß einbeziehenden Bildungsweg zu schaffen. Hier eine vernünftige gemeinsame Regelung ohne sinnlose Bürokratisierung, ohne unnötige und ungute Ausweitung des Staatseinflusses zu beraten und uns darum zu bemühen, dazu sind wir bereit. Aber, meine Damen und Herren, es soll bitte, wenn ein solcher Gesetzentwurf dann in einem halben Jahr 'herauskommt, keiner sagen, wir würden blockieren. Es ist das Recht der CDU/CSU, in diesem Hause und in den Ländern eben andere Konzepte zu entwickeln. Der Vorwurf der Blockade ist von vornherein ungerechtfertigt, weil er davon ausgeht, daß nur das eigene Konzept ruhig sein kann.
Sozialdemokratische Bildungspolitik, meine Damen und Herren, hat in den letzten Jahren zu viel Korrekturen hinnehmen müssen, als daß dieser doch etwas einseitige - um nicht zu sagen: arrogante - Anspruch noch gerechtfertigt wäre.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister von Dohnanyi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat, so scheint mir, einen sehr wichtigen Aspekt erbracht: die Feststellung von Übereinstimmungen zu den Zielen, die der Herr Bundeskanzler hier heute morgen hinsichtlich der Entwicklung eines Gesamtschulsystems vorgetragen hat, sowie die Bemerkungen des Kollegen Vogel dazu, daß die CDU/CSU mit diesen Zielvorstellungen übereinstimmen könne.
Ich bin der Auffassung, daß sich hier in der Tat durch diese Debatte als mögliche Entwicklung eine Gemeinsamkeit eröffnet hat, die ich nur unterstreichen möchte. Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, wir seien der Meinung, daß lebenswichtige Entscheidungen nicht f ü r die Zehnjährigen, sondern erst m i t den Fünfzehn- oder Sechzehnjährigen getroffen werden sollten. Wenn man das erreichen kann - gemeinsam -, dann ist ein ganz zentraler Widerspruch im Bildungsgesamtplan überbrückt und ein großer Fortschritt erreicht. Insofern
also ist der Konsens, der hier angedeutet wurde, ein
bedeutendes Ergebnis, so scheint mir, dieser Debatte.
Ich wünschte mir im übrigen, Herr Kollege Gölter, Herr Kollege Probst, aber auch Herr Kollege Vogel, daß alle Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, wenn sie wirklich eingebracht sind, von seiten der CDU/CSU so sorgfältige Beachtung finden würden wie diese so will ich es einmal nennen - parlamentarische Fundsache.
({0})
Denn bisher gibt es doch gar keinen Gesetzentwurf zur beruflichen Bildung. Hier ist zu einer Sache gesprochen worden, die, parlamentarisch gesehen, wirklich eine Fundsache ist.
({1})
Herr Kollege Gölter und Herr Kollege Vogel, Sie irren sich wirklich! Die Markierungspunkte haben Sie nur nicht gelesen, sonst wüßten Sie, daß sich das, was ich bei der DAG, also vor den Gewerkschaften, und das, was ich vor der Wirtschaft in Düsseldorf gesagt habe, in voller Übereinstimmung mit den Markierungspunkten befindet. Und insofern ist auch hier, Herr Kollege Gölter, am Ende eine positive Perspektive.
({2})
Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, Herr Kollege Pfeifer, daß Herr Vogel und Sie alle hier von seiten der Opposition in diesem Hause gesagt haben: Wir wollen keine Blockade. Sie wollen die Bundesregierung bei der Reform der beruflichen Bildung und der Hochschulen unterstützen.
({3})
Ich, Herr Vogel, nehme dieses Angebot aus dieser Debatte ausgesprochen froh an. Denn bisher waren die Äußerungen von Herrn Gölter anders zu verstehen. Und wenn jetzt die staatliche Kontrolle hier von seiten der CDU/CSU ich will nicht sagen, in Form einer Kapitulation, aber in Form einer frühzeitigen Einsicht als ein notwendiges Element der Reform der beruflichen Bildung zu Protokoll gegeben wird, so sind wir doch, Herr Gölter, ein großes Stück weiter. Ich bin froh, daß Sie in diesem Punkt offenbar frühzeitig eingesehen haben, in welche Richtung die Dinge gehen müssen.
({4})
Wir haben also Chancen, auf der Bundesseite die Kompetenzen auszuschöpfen, die uns zukommen, und selbstverständlich, Herr Vogel, werden wir die Ergebnisse der Anhörung zum Hochschulrahmengesetz mit in die Schlußfassung einbringen. Nur, bitte, es ist das Parlament, es ist doch nicht mehr die Bundesregierung, die heute über die Vorlage zum Hochschulrahmengesetz zu befinden hat. Es ist nun Sache des Ausschusses und aller dort Beteiligten, aus den Ergebnissen der Anhörung die Konsequenzen zu ziehen. Die Bundesregierung wird
sich nicht in den Weg stellen, wenn es gilt, Erfahrungen umzusetzen, soweit solche Erfahrungen in der Tat gegeben sind.
Unter diesen Aspekten, glaube ich, sollte man die Debatte sehen: eine echte Chance, sich durch gegenseitige Information auf einen Kurs zur Reform zu einigen,
({5})
einen Konsens, Herr Kollege Pfeifer, auch im Hochschulbereich vorzubereiten und unter dem Aspekt ,der drei kritischen Bereiche, ,die ich hier zu umschreiben versucht habe, schnelle Entscheidungen herbeizuführen sowohl für die Frage der Hochschulpolitik als auch für die Frage der Berufsbildung. Wenn Sie uns auch von seiten der Opposition mit der ganzen Bedeutung, die das für den Bundesrat haben wird, in der Frage des Hochschulgesetzes und in der Frage ,der Berufsbildung so unterstützen, wie wir dies jetzt aus dieser Debatte hoffend mitnehmen können, dann bin ich sicher, daß wir in dieser Legislaturperiode die Grundlagen für eine wirkliche Reform unseres Bildungswesens legen bzw. verstärken können.
({6})
- Herr Kollege Gölter, wenn dann auch Ihre vorschnellen Äußerungen „So nicht!" usw. korrigiert werden müßten - das Korrigieren ist ja keine Schande. Ich bin froh, daß Herr Vogel hier so deutlich für die Kooperation gesprochen hat.
({7})
Meine Damen und Herren, zu Punkt 7 a der Tagesordnung liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Debatte. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den
Bildungsplan der Bundesregierung Drucksache
7/1474-federführend an den Ausschuß für Bil-
dung und Wissenschaft - federführend sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend- Familie und Gesundheit, den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Punkt 7 b und c der heutigen Tagesordnung:
b) Beratung des Berichts nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 4 BAföG
- Drucksache 7/1440 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Fuchs, Dr. Gölter, Frau Benedix, Hauser ({0}), Dr. Hornhues, Frau Hürland, Hussing, Dr. Oldenstädt, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Bericht der Bundesregierung nach § 35 Bundesausbildungsförderungsgesetz
- Drucksache 7/1589 Präsident Frau Renger
Beide Punkte sollen gemeinsam besprochen werden. Wir treten gleich in die Debatte ein. Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Bericht der Bundesregierung nach § 35 des Ausbildungsförderungsgesetzes sowie zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion betreffend eben diesen Bericht möchte ich für unsere Fraktion nur kurz Stellung nehmen. Kurz deshalb, weil ja zum einen der Bericht keine sensationellen Enthüllungen gebracht hat, mit denen man etwa nicht hätte rechnen können, kurz aber auch deshalb, weil wir schon sehr bald Gelegenheit haben werden, über eine Anpassung der Leistungen im Rahmen einer Novellierung zu sprechen. Diese Novellierung sollte noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden.
Die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie die Steigerung der Lebenshaltungskosten seit 1971 haben dazu beigetragen, daß die Elternfreibeträge ebenso wie die Bedarfssätze heute nicht mehr den Ansprüchen der Betroffenen, aber auch nicht ihrer tatsächlichen Belastung gerecht werden. Insoweit ist eine Erhöhung dringend notwendig.
Die Bundesregierung hat in ihren Überlegungen zu einer Anpassung der Leistungen dargelegt und durch einen Kabinettsbeschluß verdeutlicht, wie ihre Vorstellung von der Notwendigkeit und Möglichkeit einer Leistungsverbesserung aussieht. Meine Fraktion hat den entsprechenden Beschluß, ab 1. August bzw. 1. Oktober die Bedarfssätze auf 500 DM und die Freibeträge auf 960 DM zu erhöhen, als eine spürbare Verbesserung begrüßt. Wir waren uns allerdings darin einig, daß die Bildungspolitiker gemeinsam mit den Haushaltsexperten versuchen sollten, durch entsprechende Vorschläge zur Kostendeckung eine vorfristige Erhöhung noch in diesem Jahr zu ermöglichen. Dieses werden wir bei der weiteren Haushaltsberatung noch versuchen.
Zu anderen strukturellen Einzelproblemen des BAföG möchte ich im Augenblick nicht Stellung nehmen, da unsere Meinungsbildung hierzu noch nicht voll abgeschlossen ist. Allerdings hat unsere Fraktion bereits die Überlegung gutgeheißen, einen Teil des Gesamtförderungsbetrages nicht mehr als Zuschuß, sondern als Darlehen zu vergeben. Die FDP teilt also die Auffassung vieler in der Ausbildung befindlicher junger Menschen, was die Verbesserung des BAföG angeht.
Ich glaube, man kann auch ohne weiteres --- und damit komme ich zum Antrag der CDU/CSU - die in diesem Antrag angeregten Sätze als sinnvoll und nicht übertrieben bezeichnen, wenn man z. B. die Erhöhungen des Deutschen Studentenwerks analysiert.
({0})
520 und 1200 DM, das waren auch die Vorstellungen der Bildungspolitiker der FDP für eine Erhöhung, wie Sie wissen.
({1})
Die besondere Problematik, Herr Kollege Pfeifer, liegt aber für uns darin, daß wir das, was wir als Bildungspolitiker den Interessengruppen, die wir besonders vertreten, zusprechen wollen, dann auch tatsächlich finanzieren müssen, und dies in Abstimmung mit den anderen Kollegen, die sich wiederum mit anderen Interessengruppen konfrontiert sehen.
({2})
- Sie haben gleich Gelegenheit, das in Ihrem Beitrag vorzutragen oder durch Ihren Kollegen vortragen zu lassen.
Wenn man dann sieht, daß bereits die von der Bundesregierung für dieses Jahr vorgeschlagenen Maßnahmen in diesem Jahr 30 Millionen DM, im nächsten Jahr 1 050 Millionen DM ausmachen - davon für den Bund 650 Millionen DM -, dann ist doch ganz klar, daß hier eine Abwägung von Ansprüchen erfolgen muß. Deshalb hat meine Fraktion den vorhin von mir genannten Beschluß gefaßt.
Zweierlei können wir nicht tun, was die Opposition hier praktiziert: Erstens die Bevölkerung im unklaren darüber lassen, daß die Gesamtausgaben für die Ausbildungsförderung von dieser sozialliberalen Koalition von 130 Millionen DM im Jahr 1968 auf etwa 3 Milliarden DM im Jahr 1975 gesteigert werden. Dies ist, unbeschadet der möglichen Veränderungen der Neuregelung, eine absolut unübliche, eine äußerst eindrucksvolle Steigerungsrate, die verdeutlicht, welches Gewicht wir eben dieser Aufgabe beimessen. Zweitens: Wir können beim besten Willen weder nachvollziehen noch durchgehen lassen, was die Opposition hier täglich an Zaubertricks bereit hat. Auf der einen Seite propagieren Sie ununterbrochen, insbesondere in den letzten Monaten, die Notwendigkeit von Steuersenkungen und damit die Verringerung der Staatseinnahmen. Auf der anderen Seite haben in gleichem Zeitraum die Kollegen von der CDU - allein schon Kollege Wörner für den Bereich der Verteidigung, Kollege Todenhöfer noch gestern für die Entwicklungspolitik und eben die Kollegen Pfeifer und Gölter für die Bildungspolitik - Mehrausgaben in gewaltiger Höhe als notwendig propagiert. Dieses phantastische Konzept, das 'da lautet, der Staat möge weniger einnehmen, als Ausgleich dafür aber mehr ausgeben, ist ganz schlicht Bauernfängerei, und dies werden wir noch mehr als bisher der Öffentlichkeit deutlich machen müssen.
({3})
Die FDP-Fraktion muß und wird den anderen, den seriösen Weg gehen. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen die vorgesehenen Maßnahmen der Regierung zur Verbesserung der Ausbildungsförderung stützen und darüber hinaus, wie schon dargelegt, eine vorfristige Leistungsverbesserung zu erreichen versuchen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte über den Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes könnte man mit Friedrich Nietzsche bereits als eine unzeitgemäße Betrachtung bezeichnen. Denn seit Mitte 1973, worauf die Daten des Berichts beruhen, hat sich leider die soziale Lage der Eltern von Schülern und Studierenden mit schmalem Geldbeutel bereits erneut und ganz wesentlich zum Schlechteren hin entwickelt. Ich kann in diesem Zusammenhang der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, daß sie trotz wiederholter dringender Aufforderung nicht den Anträgen der CDU/CSU-Fraktion gefolgt ist, den Bericht 1973 so rechtzeitig vorzulegen, daß das Parlament noch 1973 darüber debattieren kann, um mögliche Anpassungen vorzunehmen. Als dieser Bericht schließlich am 13. Dezember 1973 vorgelegt wurde, hat die Bundesregierung dieses Ziel tatsächlich erreicht, nämlich eine Debatte und die Anpassung 1973 unmöglich zu machen. Dabei steht im Gesetz, daß dieser Bericht alle zwei Jahre vorgelegt werden muß, damit man darüber sprechen und die Bedarfssätze gegebenenfalls entsprechend anpassen kann.
Übrigens bestand die nächste große Enttäuschung darin, daß der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in einem Begleitschreiben zu diesem Bericht auf einen Beschluß des Kabinetts verwiesen hat, daß die Anpassung erst zum 1. Januar 1975 erfolgen soll. Ich glaube, man kann deshalb nicht sagen, daß damit dem Gesetz Rechnung getragen sei. Ich kann sehr gut verstehen, daß das zu einer sehr heftigen Reaktion geführt hat. Ich darf mir auch die Bemerkung gestatten, daß das nicht dazu beigetragen hat, die Empfindung auszuräumen, daß in der Bildungspolitik dieser Bundesregierung eine Kluft zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was tatsächlich getan wird, besteht, die wirklich bedenklich ist.
({0})
Ich darf vielleicht auch darauf hinweisen, daß gerade in diesem Zusammenhang der Chancengleichheit von der Bundesregierung immer wieder Priorität eingeräumt wird, angefangen vom Herrn Bundeskanzler über den Herrn Bundesminister von Dohnanyi bis zu Herrn Bundesminister Maihofer, der sich, wie übrigens auch Herr Bundesminister Ehmke, neulich in der Debatte über die Verfassung eindeutig zur Priorität der Bildung und vor allem zur Herbeiführung der Chancengleichheit bekannt hat. Herr Bundesminister Maihofer hat sogar expressis verbis gesagt: Die Bundesregierung bejaht die familienunabhängige Förderung. Er hat hinzugefügt, das Ziel sei die Ganztagsschule. In einem merkwürdigen Kontrast dazu stand allerdings die Antwort, die der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft auf meine Anfrage zur Ganztagsschule gegeben hat, indem er sagte, das sei kein Problem der Förderung. Hier klafft erneut ein Widerspruch.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Ja.
Herr Kollege Fuchs, können Sie sich vorstellen, daß mein Kollege Maihofer von Prioritäten sprechen kann, wenn Steigerungsraten wie die vorliegen, von denen ich vorhin sprach: Steigerung der Ausbildungsförderungssumme insgesamt von 130 Millionen DM im Jahre 1968 auf 3 Milliarden DM im Jahre 1975? Ich weiß nicht genau, wieviel Prozent ,das sind; Sie können es ja mit mir gemeinsam ausrechnen.
Die Frage ist gestellt.
Können Sie sich vorstellen, daß dies eine solche Aussage rechtfertigt?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß vor allem das, was die beiden Herren Minister gesagt haben, im Widerspruch dazu steht. Im übrigen stimmen Ihre Zahlen, Herr Kollege Möllemann, natürlich auch nicht, und zwar deswegen nicht, weil früher die Leistungen der Länder mit eingebracht worden sind. Ich meine, das ist eine Geschichte, die man genauer prüfen muß. Man kann diese Summe nicht pauschal greifen.
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Ich darf noch hinzufügen, daß der vorgesehene Anpassungstermin sehr unbefriedigend ist. Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben gesagt, ,die Anpassung müsse wesentlich früher erfolgen. Wir haben als Termin den 1. April vorgeschlagen. Ich weiß, daß auch damit manche berechtigten Wünsche, die vorgetragen werden, nicht erfüllt werden können. Aber wir stehen vor der harten Notwendigkeit erstens des zeitlichen Ablaufs und zweitens der Berücksichtigung der finanziellen Vorstellungen. Ich darf hier feststellen, daß sich sowohl die Bundesregierung als auch die Koalitionsfraktionen in dieser Frage zweifelsohne in unsere Richtung bewegen. Ich kann hier Herrn Dr. Meinecke zitieren, der im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft gesagt hat, daß wenigstens eine teilweise Anpassung zum 1. April 1974 erfolgen solle. Ich kann mich auch auf Sie, Herr Bundesminister von Dohnanyi, berufen. In einem Pressebericht aus der „Süddeutschen Zeitung" von gestern heißt es - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -:
Mit einem eindringlichen Appell an die Koalitionsabgeordneten hat sich Bundeswissenschaftsminister Dohnanyi dafür eingesetzt, zumindest einen Teil der Ausbildungsförderung der Schüler und Studenten bereits zum 1. April zu erhöhen.
({1})
Dohnanyi wies darauf hin, daß andernfalls eine
für die Betroffenen besorgniserregende Lage
mit entsprechenden politischen Folgen entstehen könne.
({2})
Meine Damen und Herren, dies war aber an sich längst klar, denn die reale Lage ist nicht so, wie sie sich teilweise in dem Bericht niedergeschlagen hat. Herr Bundesminister, ich glaube, Sie sollten in diesem Zusammenhang vor allem an Ihren Kollegen, den Herrn Finanzminister, appellieren, dem, was die Bundesregierung zu ihrer Politik macht, Rechnung zu tragen und in dieser Frage die Priorität richtig zu setzen.
({3})
Ich nehme an, daß der Herr Bundesfinanzminister für Sie gerade zur Zeit ein offenes Ohr hat. Vielleicht hilft uns das weiter.
Lassen Sie mich nun ganz kurz etwas zur Frage der Bedarfssätze sagen. Im Bericht steht, daß sich die Preissteigerungen allein in den letzten zwei Jahren auf 14,7 % belaufen. Leider muß hinzugefügt werden, daß die Preissteigerungsrate heuer wohl 9 % beträgt und nach einer früheren Aussage der Bundesregierung dann, wenn die Tarifabschlüsse über 10 % liegen sollten, auch über 10 % steigen wird. Das verschlimmert die Lage ganz wesentlich. Dann kommt auf die Studierenden und die Eltern der Schüler zweifelsohne eine Kostensteigerung von mindestens 25% zu.
Meine Damen und Herren, erschwerend kommen zwei Tatsachen hinzu. Erstens: Das Budget eines Studierenden reagiert, weil es in viel höherem Ausmaß auf Dienstleistungen angewiesen ist, auf Preissteigerungen viel empfindlicher als das Budget eines durchschnittlichen Vierpersonenhaushalts. Während die allgemeinen Lebenshaltungskosten von 1967 bis Sommer 1973 urn 40% gestiegen sind, sind die Lebenshaltunqs- und Studienkosten im gleichen Zeitraum -- wie das deutsche Studentenwerk feststellt - um 54 % gestiegen.
Zweitens kommt hinzu, daß die Novelle dann mindestens auch für das nächste und übernächste Jahr gilt. Wie sich die finanzielle Situation hernach für die Eltern der Schüler und die Studierenden darstellt, kann man sich leicht. ausmalen.
Lassen Sie mich nun eine Bemerkung zur Frage einer teilweisen Förderung über Darlehen machen. Diese Frage hat auch Herr Möllemann angeschnitten. Man darf über dieses Problem nicht ohne weiteres die Aktendeckel schließen. Es muß vielmehr ernsthaft erörtert werden. Ich frage die Bundesregierung, und ich frage auch Sie, Herr Möllemann: Kann man es so machen, daß man die Betroffenen den Unterschiedsbetrag zwischen 420 DM und 500 DM, der ja die Inflationsrate ausgleichen soll, über Darlehen finanzieren läßt? Das kann doch wohl nicht der Sinn
einer Förderung über Darlehen sein. Das ist um
es ganz deutlich zu sagen meiner Auffassung
nach ein Rückschritt weit hinter das Honnefer Modell.
({4})
Die Bundesregierung muß sich hier unserer Auffassung nach etwas anderes einfallen lassen. Dann wird man diese Frage ernsthaft zu diskutieren haben.
Ich darf nun eine Bemerkung zu dem Problem machen, das bei der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Anpassung in unseren Augen zweifelsohne die bedeutendste Rolle spielt; ich meine die Freibeträge. Es ist eine Tatsache, daß sich eine massive Verschlechterung durch das Zurückgehen des Förderungssatzes ergibt, weil sich die Einkommen nominell wesentlich erhöht haben.
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Diese Erhöhung beträgt 35,8 %, wie im Bericht selbst festgelegt. Da kann es doch dann nicht stimmen, daß die Freibeträge nur um 20 % erhöht werden; denn das bedeutet nichts anderes, meine Damen und Herren, als daß erneut dieser Prozeß eintritt, der 1973 an den Universitäten und bei den betroffenen Schülern und Eltern so bitter verspürt wurde, daß sie nämlich trotz steigender Kosten eine der Höhe nach wesentlich verminderte Ausbildungsbeihilfe erhalten. Es ist festgestellt worden, daß etwa 70 % der Studierenden um 100 und teilweise mehr Mark weniger Förderung erhielten, ja, daß 8 % überhaupt ausgeschieden sind, wie eine Untersuchung etwa des Studentenwerks in München festgestellt hat. Ich glaube, da muß die Bundesregierung eine andere Haltung einnehmen. Herr Kollege Möllemann hat diese Tatsache, daß der Freibetrag in Höhe von 1 200 DM mit den entsprechenden Folgen für die übrigen Freibeträge gerechtfertigt ist, selbst festgestellt. Auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat dies eindeutig klargemacht. Ich glaube, man sollte jetzt wirklich diesen notwendigen Schritt tun. Aus dem Gesetz entnehme ich, daß das eine Verpflichtung für den Gesetzgeber ist. Hier steht nämlich eindeutig, daß die Bedarfssätze und die Freigrenzen, die Vomhundertsätze und die Höchstbeträge entsprechend anzupassen sind. Dem kommen wir so nicht entgegen, dem werden wir so nicht gerecht. Das ist quasi eine Dynamisierung, wenn ich mich so ausdrücken darf. Nirgendwo wird man so verfahren wie gerade hier beim Bundesausbildungsförderungsgesetz.
Meine Damen und Herren, ich darf aber doch einige Bemerkungen dazu machen, wie sich die Verschlechterung der Ausbildungsförderung auswirken wird, wenn sie so laufen wird, wie es jetzt aussieht. Die Werkarbeit, die sicherlich nicht zum größten Teil von den durch ihr Elternhaus finanziell gut Abgesicherten geleistet wird, hat bei den Studierenden den höchsten Stand seit 1963 erreicht. Nach einer Untersuchung des Deutschen Studentenwerks leisteten 1967 27% der Studierenden Werkarbeit, 1973 40%. Sogar während der Vorlesungsmonate - und dies ist für mich ein unerträglicher Zustand -- mußten 20% einem Erwerb nachgehen, während es 1963 nur 8 % gewesen sind. Ich glaube, diese Zahlen sprechen für sich. Die negativen Auswirkungen haben leider eine bittere Note: Verlängerung der Studienzeit, verringerte Leistungsfähigkeit, schlechtere Studienabschlüsse, gerade für finanziell Schwächere, damit geminderte Berufschancen, Verschärfung des Numerus clausus, der hier dazu noch eine Form des sozialen Numerus clausus annimmt. Das Ganze ist zweifellos ein
massiver Schlag gegen die so laut verkündete Verwirklichung der Chancengleichheit.
Ich muß noch auf eine weitere sehr negative Folge hinweisen. Die Berechtigten weichen in zunehmendem Maße heute auf die Sozialhilfe aus. Sie würden es in noch höherem Maße tun, wenn nicht eine gewisse Scheu bestünde, diesen Weg zu gehen, oder wenn sie besser informiert wären, daß sie damit wesentlich mehr herausholen können. Das aber ist eine ungeheure Belastung der Gemeinden, die ohnehin unter größten finanziellen Sorgen zu leiden haben. Fragen Sie doch einmal bei Ihren Gemeinden nach, wie massiv die Sozialhilfebeträge in den letzten Jahren angestiegen sind!
Übrigens ein interessanter Vergleich: 1969 entsprach der Höchstförderungssatz nach dem Honnefer Modell mit 320 DM dem Satz der Sozialhilfe, der für die Ausbildung zu erreichen war. 1973 haben wir einen Höchstsatz bei der Bundesausbildungsförderung von 420 DM, beim Sozialhilfegesetz dagegen kann man 530 DM erreichen.
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Das allein beweist doch die Dringlichkeit des ganzen Problems und daß man dieses nicht einfach mit der leichten Hand wegschieben kann.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund haben wir unseren Antrag gestellt. Ich darf feststellen, daß offensichtlich auch bei der Bundesregierung auf Grund dessen schon ein gewisser Umorientierungsprozeß eingesetzt hat. Ich meine, wir sollten bei der kommenden Novellierung mit Ernst versuchen, uns diesem Antrag zu nähern. Wir haben als Termin den 1. April vorgeschlagen. Hier scheint bereits eine gewisse Annäherung möglich zu sein. Wir haben die Erhöhung auf 520 DM vorgesehen. Das ist nicht gewaltig, wie wir zugeben, aber es entspricht dem Betrag, der vom Beirat vorgeschlagen worden ist. Ich glaube, dieser Vorschlag ist begründet, auch wenn die zukünftige Entwicklung damit zweifelsohne noch nicht einbezogen ist. Wir meinen, die Erhöhung des Freibetrages auf 1 200 DM sei eine Notwendigkeit. Bei jedem anderen sozialen Gesetz geht man davon aus, daß durch die nominale Entwicklung der Einkommen nicht Berechtigte aus der Förderung ausscheiden bzw. zurückgestuft werden. Warum soll dies denn gerade beim Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht gelten? Das kann, glaube ich, niemand hier irgendwie begründen.
Die finanziellen Auswirkungen sind natürlich erheblich. Aber nehmen wir den letzten Beschluß der Bundesregierung: Erhöhung zum 1. August bzw. 1. Oktober 1974. Das würde für den Bundeshaushalt sicher eine Summe von etwa 320 Millionen DM ausmachen. Das läßt sich schwer sagen, weil neue Berechnungen vom August und vom Oktober zugrunde zu legen sind. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich daran denke, daß der Bundesfinanzminister bei Abschluß des Haushalts 1973 4,5 Milliarden DM, die für irgendwelche Zwecke vorgesehen waren, ohne den Haushaltsausschuß zu befragen, in andere Kanäle, z. B. zu Bundesunternehmen, geleitet hat, dann, glaube ich, kann man es sich nicht so einfach machen, zu sagen, für diese Pflichtaufgabe sei kein Geld da. Das muß eben jetzt gemacht werden, bevor der Haushalt verabschiedet wird, und nicht hernach, wenn eventuell große Reste gesammelt werden.
Meine Damen und Herren, ich bitte, diesen Antrag der CDU/CSU-Fraktion für die Beratung der Gesetzes als Grundlage zu nehmen. Entscheidend wird sicher sein, ob bei der kommenden Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes den berechtigten Anliegen stärker Rechnung getragen wird, als dies nach dem Willen der Bundesregierung bisher der Fall ist.
Hier darf ich noch etwas einfügen. Ich habe mich sehr gewundert, ja, ich war betroffen, daß der Waisenbetrag nicht erhöht werden soll mit der Begründung, das sei 1973 geschehen. Aber fragen Sie doch einmal draußen, was geschieht, wenn bedauerlicherweise der Familienernährer stirbt und die Familie dann plötzlich wesentlich weniger erhält und dazu auch noch die Ausbildungsförderung ganz gewaltig sinkt! Das kann sozial nicht richtig sein. Das möchte ich bereits bei dieser Gelegenheit andeuten und auch einen Antrag ankündigen.
({7})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion forciert also die Regierungskoalition auf, diese soziale Benachteiligung für einkommensschwache Schichten zu beseitigen. Ob und wie es gelingt, daran werden auch die schönen Worte von der Priorität der Bildungspolitik und von der realen Chancengleichheit gemessen werden.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogelsang.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fuchs, Sie verstehen es sicherlich richtig, wenn ich am Schluß meiner Ausführungen einiges zu dem sagen will, was Sie hier vorgetragen haben.
Meine Damen und Herren, wir müssen berücksichtigen, daß dies der erste Bericht ist, der vorliegt. Der Deutsche Bundestag hatte mit Beschluß vom 14. Juni vorigen Jahres noch einmal gefordert, daß er zum Herbst vorigen Jahres vorgelegt wird. Wenn Sie hier ein bißchen Sophistik zulassen, muß ich sagen, der 13. Dezember 1973 war noch Herbst 1973. Insoweit ist Ihre Kritik, die Sie gegen die Regierung loslassen, nicht so ohne weiteres richtig.
({0})
Außerdem, Herr Kollege Fuchs, darf ich Sie bitten, § 35 einmal richtig zu lesen und nachzusehen, wo da etwas von Bericht steht. Das müssen wir hier wohl auch ein bißchen zurechtrücken.
Der vorliegende Bericht ist geeignet, an drei Fragen abgehandelt zu werden, auch weil es der erste Bericht ist,
Erstens: Erfüllt das Gesetz das Anliegen des Gesetzgebers? Das Gesetz besteht seit dem Jahre
1971. Die Leistungen werden bekanntlich seit dem 1. August bzw. 1. Oktober 1971 gewährt. Das Anliegen der Koalitionsfraktionen von SPD und FDP war damals, mit diesem Gesetz einen Schritt zu einem einheitlichen System individueller Förderung zu tun. Man wollte also dafür sorgen, daß der einzelne junge Mensch den Bildungs- und Berufsweg wählen kann, der seiner Neigung und Eignung entspricht, und unabhängig davon ist, ob die Eltern in der Lage sind, auch die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen. Wenn wir den Bericht einmal dahin abklopfen, können wir feststellen, daß im Jahre 1973 36 % der Vollzeitschüler in der Oberstufe und 47 % aller Studenten Leistungen nach diesem Gesetz erhalten haben. Wir müssen uns auch vor Augen führen, daß 45% aller Geförderten selber oder deren Eltern ein Einkommen hatten, das so niedrig war, daß sie eigene finanzielle Beiträge für diese Ausbildungen nicht leisten konnten. In diesem Zusammenhang muß auch darauf hingewiesen werden, daß sehr wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen in 220000 Fällen junge Menschen weiterführende Schulen nicht hätten besuchen können. Diese Zahlen beweisen eindeutig, daß das Gesetz der Forderung nach Förderung der erstrebten Chancengleichheit und nach mehr Aktivierung der Bildungsreserven gerecht wird.
Die zweite Frage - hier darf ich noch einmal zu Ihnen kommen, Herr Kollege Fuchs - ist die Breite des durch das Gesetz geförderten Personenkreises. Man kann sich bei der Diskussion in der Öffentlichkeit des Eindrucks nicht erwehren, als handle es sich bei diesem Gesetz nur um eine Art Honnefer Modell, von dem also nur Studenten betroffen würden. Es wird sehr häufig dabei unterschlagen, daß dieses Gesetz in sehr breitem Maße auch von Schülern in der Oberstufe in Anspruch genommen wird. Hier ist nicht ganz uninteressant und auch nicht ganz ohne Reiz, daß gerade der Verband Deutscher Studentenschaften die Forderung nach Bezifferung der Anhebung der Bedarfssätze und der Erhöhung der Freibeträge erhebt, ohne alle anderen Gruppen dabei zu berücksichtigen - er tut das mit dem Satz ab, daß das entsprechend zu geschehen hat --, und daß sich die gleiche Begründung in Ihrem Antrag wiederfindet. Ich finde, das ist insoweit nicht ganz ohne Reiz. Sie wissen, warum ich das sage: Weil Sie nicht einmal bereit waren, den Verband Deutscher Studentenschaften im Hearing zum Hochschulrahmengesetz anzuhören.
({1})
Ich komme zu der dritten und sicherlich bedeutungsvollsten Frage: Welche Folgerungen sind aus diesem Gesetz zu ziehen? Wir müssen in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß dieses Gesetz ein ständig erweitertes finanzielles Volumen gehabt hat. Die Steigerungssätze sind erheblich gewesen. Dabei räume ich ein, daß durch die Festlegung der Obergrenzen und der Freigrenzen nicht immer eine ständige Ausweitung im individuellen Fall erfolgen konnte, daß wir aber hier in entscheidendem Maße in die Breite der Förderung gegangen sind, wie ich in
der Antwort zu meiner Frage 1 dargelegt zu haben glaube.
Wir sind mit Ihnen und mit unserem Koalitionspartner der Auffassung, daß der Bericht eine Grundlage dafür ist, die Bedarfssätze und Freibeträge zu erhöhen. Sie wissen auch - das haben Sie selber vorgetragen -, daß auf Grund der Vorstellungen der Koalition die Bundesregierung ihren ersten Beschluß revidiert hat und bereit gewesen ist, eine Anpassung zum 1. August bzw. 1. Oktober dieses Jahres vorzuziehen. Wir werden auch weiterhin bemüht sein - da stimmen wir völlig mit der Meinung des zuständigen Bundesministers überein -, die Anpassung noch weiter vorzuziehen, damit dem Anliegen und den Aufgaben dieses Gesetzes Gerechtigkeit widerfährt. Dann müssen wir - weil heute morgen schon wiederholt von der Inflation gesprochen worden ist - in dem Zusammenhang aber auch einmal darauf hinweisen, daß sich die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, die Grundlage für die Berechnungsmethode waren, nicht nur erhöht haben, sondern sich in den vergleichbaren Zeiträumen mehr erhöht haben, als die Steigerung der Lebenshaltungskosten betrug. Niemand wird das in diesem Raume bestreiten. Mir scheint es aber bei dem oft etwas leichtfertigen Gerede über die Inflation notwendig zu sein, anzuerkennen, daß reale Einkommenssteigerungen nicht die Seltenheit, sondern durchaus die Regel gewesen sind.
Wenn wir uns aber über Folgerungen aus diesem Bericht unterhalten, meine ich auch darauf hinweisen zu müssen, daß es nicht nur um die Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge geht, sondern daß es auch notwendig ist, in diesem Zusammenhang auf Mängel dieses Gesetzes hinzuweisen. Der Bericht nennt zwar diese Mängel nicht; das Gesetz verpflichtet die Regierung auch nicht dazu. Ich gebe aber zu bedenken, ob nicht in Zukunft in diesem Bericht auf die Mängel, die sich aus der Durchführung des Gesetzes ergeben, hingewiesen werden sollte. Ich darf deshalb die Punkte, die wir als Mängel ansehen, hier wiederholen.
Wie kann erstens die Förderung von Waisen und Halbwaisen - da stimmen wir mit Ihnen völlig überein -, zweitens die Förderung von Kindern aus geschiedenen Ehen und drittens die Förderung von nichtehelichen Kindern verbessert werden? Wie kann die Ausbildungsförderung auch Frauen über 35 Jahren gewährt werden, wenn diese ihre Ausbildung aus familiären oder sonstigen Gründen unterbrechen mußten? Wie kann die Studienzeit nach dem Besuch eines Abendgymnasiums oder eines Kollegs familienunabhängeg gefördert werden? Wie können Prüfungsgebühren von den Ämtern für Ausbildungsförderung getragen werden?
Ich darf auch hier sagen: Wir freuen uns darüber, daß mittlerweile ein Mängelpunkt beseitigt wurde, nämlich daß Wehr- und Zivildienst als Erwerbstätigkeit im Sinne des Ausbildungsförderungsgesetzes anerkannt wurde.
Für besonders wichtig halten wir es, daß eine Regelung für diejenigen getroffen wird, die Waisenrente beziehen; denn niemand vermag einzusehen,
daß plötzlich nach dem Tod des Familienvaters oder des Ernährers die Förderungsbeträge kleiner werden oder sogar wegfallen. Von seiten der Regierung wird uns öfters vorgetragen, das sei eine Frage der Rechtssystematik. Ich muß allerdings darauf hinweisen: Hier darf man nicht etwas in den Vordergrund schieben, was in der Öffentlichkeit nicht verstanden wird, was wir politisch nicht vertreten können und was wir, wie ich hinzufügen muß, politisch auch nicht vertreten wollen. Deshalb werden wir im Rahmen der Novellierung dieses Gesetzes hier einen besonderen Schwerpunkt sehen.
({2})
Nun noch einige Worte zu Ihrem Antrag. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß Sie sich hier einer Argumentation bedienen, die der Argumentation des Verbandes Deutscher Studentenschaften ziemlich nahekommt.
({3})
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es uns unbedingt notwendig erscheint, daß es mehr als bisher in der Öffentlichkeit, insbesondere aber auch in diesem Hause bewußt wird, daß es sich hier um ein Förderungsgesetz für Schüler und Studenten handelt.
Herr Dr. Fuchs, wir wollen ja mit Ihnen eine schnellere Anpassung der Bedarfssätze erreichen. Aber ich habe heute morgen auch nicht überhört und nicht übersehen, daß Sie dem Bundeskanzler in der Auffassung zugestimmt haben, daß es eine Diskrepanz zwischen dem Wünschbaren und dem finanziellen Machbaren geben kann. Ich darf Ihnen kurz vorrechnen, was Sie gestern und heute mit Ihren Anträgen bewirkt haben: eine Belastung bzw. eine Mindereinnahme des Bundeshaushalts um rund 2 Mrd. DM. Insoweit ist es, denke ich, durchaus berechtigt, wenn wir sagen, daß im Rahmen der Haushaltberatungen diese Frage sehr sachgerecht, aber mit allem Nachdruck noch einmal geprüft werden sollte.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt der Bundesregierung für den Bericht. Er bestätigt uns, daß der von uns eingeschlagene Weg richtig ist. Wir sind bereit, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Den vorgeschlagenen Überweisungen stimmen wir zu.
({4})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung sowohl des Berichts als auch des Antrags der CDU/CSU an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung.
Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
[eh rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Verwendung des Vermögens der Deutschen Industriebank
- Drucksache 7/1266
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({0})
Drucksache 7/1712 - Berichterstatter:
Abgeordneter Erhard ({1}) Abgeordneter Dr. Stienen
({2})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den §§ 1 bis 7, der Einleitung und der Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Wird das Wort in
dritter Beratung
begehrt? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur
Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, möge sich vom Platz erheben. Gegenprobe! Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Mai 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und dem Königreich Norwegen andererseits
- Drucksache 7/1140 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({3})
- Drucksache 7/1691
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Freiwald ({4})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir verbinden die zweite Lesung und die Schlußabstimmung. Wer den Art. 1 bis 3 in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 7/1489
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/1732 -Berichterstatter: Abgeordneter Haehser
Vizepräsident Frau Funcke
b) Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({6})
- Drucksache 7/1731
Berichterstatter: Abgeordneter Haase
({7})
({8})
Hierzu liegt zur zweiten Lesung ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
({9})
- Wird das Wort zur Debatte über den Antrag gewünscht? - Frau Huber!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir fragen uns nach dem Gewicht solcher Anträge, die niemand hier vertritt und deren Befürworter auch nicht anwesend sind.
({0})
Ich möchte mir deshalb eine lange Begründung unserer Ablehnung ersparen und nur darauf hinweisen, Herr Professor Zeitel, daß das Bruttoprinzip hier keineswegs verletzt ist; die Einnahmen werden vollständig ausgewiesen, und erst unter einem besonderen Titel wird die Minuseinnahme ausgewiesen.
Im übrigen muß ich Ihnen sagen, daß das ein Petitum der Länder ist, und zwar aller Länder, erfolgt auf Anregung des Herrn Ministerpräsidenten Stoltenberg. Daß Sie hier die Ausgabensteigerungsrate des Bundes moniert haben, insbesondere auch in einem Artikel im Union-Pressedienst, wo Sie von Manipulation und von Verschleierung des Bundeshaushalts geschrieben haben, können wir überhaupt nicht begreifen. Denn alle hier wissen, daß dies Ausgaben der finanzschwachen Länder sind und nicht eine Ausgabensteigerung des Bundes.
({1})
- Ja, Sie können gern etwas dazu sagen. - Wir
finden es absolut merkwürdig, daß Sie dies unter „Haushaltsverschleierung" verstehen und daß Sie im Gegensatz zu Ihrer sonst geübten Praxis, die Meinung der Länder hier besonders gewichtig vorzutragen, auf einmal im Gegensatz zu den Ländern opponieren. Wir können uns daher nur der Kritik anschließen, die aus den Reihen der Länder und gerade der CDU/CSU-Länder, die von diesen Ergänzungszuweisungen profitieren, zu diesem Antrag gekommen ist.
Wir bitten, den Antrag abzulehnen.
({2})
Das Wort wird zum Antrag nicht mehr begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 7/1795. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich uni das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? -- Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Art. 1 in der vorliegenden Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in zweiter Lesung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -´ Mit großer Mehrheit so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Namen meiner Fraktion folgende Erklärung abgeben.
Entsprechend den Vereinbarungen, die die Regierungschefs von Bund und Ländern am 30. November des letzten Jahres getroffen haben, bringt das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern eine Verbesserung ihrer Beteiligung an der Umsatzsteuer für dieses Jahr von 35 auf 37% und für die dann folgenden beiden Jahre auf 38 %. Zusätzlich erhalten die leistungsschwachen Länder, von denen hier gerade die Rede war, nämlich Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein, eine Stärkung ihrer Finanzkraft durch Ergänzungszuweisungen in Höhe von 1,5 % des Umsatzsteueraufkommens.
Der Bund, dem die Umsatzsteuer bis zur Finanzreform 1969 allein zustand, nimmt damit erneut eine Minderung seiner Finanzkraft hin. Die Mindereinnahmen betragen 1974 fast 2 Milliarden, 1975 fast 2,8 Milliarden, 1976 fast 3 Milliarden DM. Es kann nur unterstrichen werden, daß der Bund hiermit aus haushaltswirtschaftlicher Sicht bis an die Grenze des Vertretbaren gegangen ist. Seine Steuereinnahmen sind im Gegensatz zu denen der Länder und der Gemeinden schwächer gestiegen, nämlich im letzten Jahr nur um gut 13%, während die Länder über 14% und die Gemeinden über 18% Zuwachs hatten.
Es kommt erschwerend hinzu, daß die Einnahmen des Bundes auch künftig in, schwächerem Maße steigen werden, daß hingegen die aus seinem Anteil zu bestreitenden Beiträge an die EG neu hinzutreten.
Der Neufestsetzung des Verhältnisses der Beteiligung an der Umsatzsteuer sind, wie schon früher, lange Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern vorausgegangen. Unser Eindruck ist, daß der Zweijahresturnus, in dem die Neuregelung bis jetzt erfolgt ist, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern stark belastet und die Koordinierung der staatlichen Leistungen und auch der Konjunkturpolitik sehr erschwert hat. Es ist daher zu begrüßen, daß hiermit zum erstenmal eine Regelung für drei Jahre erfolgt. Da Veränderungen sich überhaupt nur längerfristig niederschlagen und ablesen lassen, glauben wir, daß auch künftig eine längerDeutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Freitag, dein 15. März 1974 5651
fristige Regelung Platz greifen sollte - ähnlich wie in Österreich, wo man fünf Jahre hat, und in der Schweiz, wo man einen noch längeren Zeitraum kennt.
Sollten sich bei einer längerfristigen Regelung unvorhersehbare Änderungen von Gewicht ergeben, so muß dem selbstverständlich Rechnung getragen werden, so wie das Grundgesetz es vorsieht. Aus diesem Grunde ist zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefs eine Revisionsklausel vereinbart worden. Diese Revisionsklausel wird es auch möglich machen, Belastungsverschiebungen, die sich durch die kommende Steuerreform ergeben, so zu regeln, wie das Beteiligungsverhältnis zwischen Bund und Ländern jetzt geregelt ist. Das heißt, daß nach Inkrafttreten der Steuerreform diese Klausel zugunsten der Länder wirkt, auf die ja etwa vier Fünftel der Mindereinnahmen aus der Steuerreform zukommen.
Bund und Länder haben sich verpflichtet - dies ist besonders zu unterstreichen -, die Finanzausstattung der Gemeinden als ihr gemeinsames Anliegen zu betrachten.
Bund und Länder haben nach Art. 106 Abs. 3 GG gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Leider gibt es keinen objektiven Maßstab, wieweit die hier getroffene Regelung dem entspricht. Gleiche Deckungsquoten, d. h. ein gleiches Verhältnis zwischen Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben, wie es sich nach Meinung der Länderfinanzminister aus dem Verfassungsgrundsatz ergibt, lassen alle Länderausgaben schlichtweg als notwendig erscheinen und berücksichtigen weder die unterschiedlichen. Auswirkungen pro- oder antizyklischer Verhaltensweisen von Gebietskörperschaften gerade bei der Deckungsquote noch die unterschiedlichen Aspekte zumutbarer Kreditfinanzierung bei rentierlichen und unrentierlichen Investitionen. Der Bund hat sich daher bei seinem neuerlichen Verzicht auf Umsatzsteuereinnahmen stark davon leiten lassen, daß die Verbesserung der Bildungspolitik, deren Finanzierung noch 1969 13,1, letztes Jahr aber bereits 16,7 % der öffentlichen Gesamthaushalte gekostet hat, die Etats der Länder sehr belastet.
Der Bundesfinanzminister hat bereits in der Haushaltsdebatte des letzten Sommers darauf hingewiesen, daß das einer der Maßstäbe sein muß, an denen sich die künftige Diskussion über Steueranteile zwischen Bund und Ländern zu orientieren hat. Wir hoffen, daß das nunmehr festgelegte neue Beteiligungsverhältnis vorerst genügend Luft und Raum schafft für eine vom Steuerkrieg unbelastete gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Sinne eines kooperativen Föderalismus.
Nach dem einstimmigen Votum von Finanz- und Haushaltsausschuß bitten wir um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Zeitel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mich auf wenige Bemerkungen beschränken.
Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt es, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund und Ländern zu einem befriedigenden Abschluß geführt worden sind. Durch den höheren Anteil am Umsatzsteueraufkommen erhalten die Länder beachtliche Mehreinnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben.
Wir halten es auch für erwünscht - und das ist eine für die gesamte Aufgabenerfüllung dieses Parlaments und der einzelnen Parlamente in den Gebietskörperschaften zentrale Frage , daß der Finanzausgleich für einen längeren Zeitraum geregelt wird, als es bislang üblich war. Kurzfristige Regelungen des Finanzausgleichs bedeuten nicht nur ein zusätzliches Unsicherheitselement in der Haushaltsgestaltung der beteiligten Gebietskörperschaften, sondern sie erschweren vor allem auch eine mittelfristige Finanzplanung und belasten das vielfältigen Spannungen ausgesetzte Klima der finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
Die im Gesetz vorgesehene dreijährige Gültigkeitsdauer der Regelung stellt in dieser Hinsicht allerdings einen mehr formalen Kompromiß dar. Dessen praktische Bedeutung wird durch die anstehende Belastungsverschiebung auf Grund der Steuerreform eingeschränkt. Nicht nur die Steuerreform, sondern ebenso eine befriedigende Gestaltung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern droht immer mehr in den Strudel von Anpassungszwängen bzw. Anpassungsmaßnahmen des inflationären Entwicklungsprozesses zu geraten. Die finanziellen Folgewirkungen des Inflationsprozesses treffen nämlich bei unveränderter Aufgabenstellung die verschiedenen Gebietskörperschaften in sehr unterschiedlicher Weise wie allein die letzten Lohnerhöhungen zeigen. Es wäre daher nicht überraschend, wenn inflationäre Anpassungsklauseln auch in diesem Bereich gefordert würden, um die real gewollte Aufgabenerfüllung bei den verschiedenen Gebietskörperschaften finanziell sicherzustellen.
Wenn die CDU/CSU-Fraktion auch grundsätzlich der Verbesserung der Finanzausstattung der Länder zustimmt, so muß doch auf zwei Probleme hinge, wiesen werden, die mit dem vorgelegten Gesetz verbunden sind,
Erstens. Die Mehreinnahmen der Länder führen zur Mehrbelastung des Bundes. Die dafür erforderlichen Beträge sind in Höhe von fast 2 Milliarden DM für 1974 weder im Haushaltsentwurf der Bundesregierung noch in der vorliegenden Finanzplanung berücksichtigt. Dies gilt ebenso für die Einnahmeausfälle auf Grund des von der Bundesregierung vorgelegten Einkommensteuerreformgesetzes ab 1975. lm Hinblick auf diese und andere in Frage stehenden großen Beträge, durch die sich die Deckungslücken des Bundes wesentlich erhöhen, erwartet die CDU/CSU-Fraktion, daß die Regierung baldmöglichst einen Ergänzungshaushalt zum Haus5652
haltsentwurf 1974 und zugleich eine Darstellung der Auswirkungen der neuen Maßnahmen auf die Finanzplanung bis 1977 vorlegt sowie dabei auch ihre Vorstellungen zur Schließung der Deckungslücken erläutert. Nur das entspricht einer seriösen und soliden Finanzpolitik und dem Sinn der Gesetzesvorschriften über die Haushalts- und Finanzplanung.
Zweitens. Unser Bedenken richtet sich - Frau Huber, Sie haben es sich ein wenig zu einfach gemacht darauf, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf - entgegen jenem Bemühen, das wir bei der Regierung anerkennen, nämlich die Schattenhaushalte abzubauen - nun doch ein Rückschritt eintritt. Die Ergänzungszuweisungen werden nämlich künftig, anders als noch im vorigen Jahr, nicht mehr als Ausgaben im Bundeshaushalt ausgewiesen, sondern unter Verletzung des Bruttoprinzips als Minuseinnahme vom Umsatzsteueraufkommen des Bundes abgesetzt. Damit durchbricht die Neuregelung eindeutige Gesetzesvorschriften, die noch vor wenigen Jahren mit den Stimmen aller Fraktionen als Haushaltsreform beschlossen wurden. Der erkennbare Zweck ist eine Manipulation des Ausgabevolumens des Bundeshaushalts, das dadurch nicht niedriger gehalten werden soll, als es in Wirklichkeit ist. Die Ausgabensteigerungsrate, die für eine finanz- und konjunkturpolitische Würdigung des Haushalts von erheblichem Aussagewert ist und mit der in der Öffentlichkeit immer operiert wird, wird damit erneut verfälscht. Die Anwendung des Bruttoprinzips in der öffentlichen Haushaltsgestaltung gehört zu den in einer langen Entwicklungsgeschichte herausgebildeten grundlegenden Gestaltungsprinzipien des öffentlichen Haushalts, dessen Durchbrechung mit der vorgesehenen Regelung einen prinzipiellen Rückschritt - nicht einen Fortschritt - in der Haushaltspolitik gegenüber früheren Zeiten bedeutet.
Schließlich kann auch nicht übersehen werden, daß die föderale Ordnung der Finanzbeziehungen im Hinblick auf die Beteiligung der Gemeinden durch das vorliegende Gesetz in regional unterschiedlicher Weise verändert wird. Insoweit ist das Gesetz mit fragwürdigen Regelungen befrachtet, die in jedem Fall nach unserer Auffassung nicht Anlaß zu weiteren Haushaltsmanipulationen sein sollten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offenbar sind sich ja alle drei Fraktionen darin einig, daß die Verteilung der Finanzmassen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden möglichst langfristig geregelt werden soll. Ich glaube, wir sollten auch durchaus die Gefahr sehen und wir sind uns insofern einig, diese Gefahr abzuwehren -, ,daß aus diesen Verhandlungen eine Art jährliche Tarifrunde zwischen den Gebietskörperschaften wird. Ich glaube, das sollten wir nicht wollen, und das können wir nicht wollen. Wir sind uns auch einig -- das haben die Ausführungen
von Frau Huber sowohl als auch von Herrn Professor Zeitel erwiesen -, daß selbstverständlich in den nächsten Jahren hier noch alle Anpassungen erforderlich sind, soweit sie sich aus dem Wirksamwerden der Steuerreform ergeben.
Herr Professor Zeitel, ich habe etwas bei Ihren Ausführungen nicht genau verstanden; vielleicht liegt das an der relativ späten Vormittagszeit. Was haben Sie gemeint mit „Dynamisierung" - wenn ich das einmal so sagen darf? Ich hoffe, daß Sie das hier nur als Schreckgespenst hingestellt haben, und das Sie dem in keiner Weise das Wort reden wollten; dann sind wir uns insoweit jedenfalls einig.
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- Ich wäre aber sehr, sehr dagegen, und ich hoffe, mit Ihnen und allen anderen hier.
Über die Frage Ergänzungshaushalt werden wir ja im Mai bei der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushaltes sicher sehr ausführlich debattieren. Ergänzungshaushalt hin, Ergänzungshaushalt her - der Haushaltsausschuß wird Ihnen wie immer einen Haushaltsplan 1974 auf dem denkbar neuesten Stand liefern, und das ist ja im Prinzip das, was durch einen Ergänzungshaushalt in der Sache erreicht werden soll. Ich kenne die Intention Ihrer Fraktion, die sie auch im Haushaltsausschuß vorträgt; sie wollen etwas anderes. Ob das besonders arbeitsökonomisch und politisch besonders nützlich ist, sei dahingestellt. Sie wollen, daß wir durch das Instrument eines Ergänzungshaushalts, der über das Parlament läuft, noch zusätzliche Runden an Haushaltsdebatten vor so leeren Bänken haben. Das ist nämlich das Problem, das dahintersteckt. Ich glaube nicht, daß wir damit besonders gut beraten sind; denn dieses Parlament hat ja sehr viel Arbeit und macht sich auch noch viel Arbeit, soweit es sie nicht ohnehin hat. Aber darüber werden wir uns unterhalten.
Schließlich zu dem Gegenstand, der ja schon in der zweiten Lesung kurz behandelt worden ist. Was hier geschieht, ist sicherlich vom Standpunkt der reinen Lehre der Haushaltswahrheit oder wie immer - nicht das Allerschönste. Aber, Kollege Zeitel, das hätten Sie vielleicht einmal den Ministerpräsidenten der CDU/CSU, die ja mit vier von fünf Beteiligten an diesen Ergänzungszuweisungen an die Länder sind, sagen müssen; denn wir vollziehen doch hier praktisch nur wie bei einer Art Staatsvertrag, um es einmal so zu sagen - formell ist es nicht so, aber in der Sache ist es doch so , nur das, was die Bundesregierung und die elf Länderregierungen in dieser Frage ausgehandelt haben. Daß das bisher nicht so war, liegt eben daran, daß man bisher auch in den sachlichen Vereinbarungen Mehrwertsteueranteil und Ergänzungszuweisungen nicht so miteinander verknüpft hat.
Das Argument der Zuwachsraten - nun gut, wer so vollendete Lösungen will wie Sie, der sollte vielleicht nicht immer auch in diesen ZuwachsratenFetischismus verfallen, den wir ja hier bei allen Haushaltsdebatten Ihrerseits erleben.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, ich habe die an sich zustehende Redezeit im Verhältnis der noch anwesenden Kollegen genau reduziert.
({1})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf.
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Margarinegesetzes
- Drucksache 7/877 Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
- Drucksache 7/1763
Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt ({1})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir stimmen noch über Ziffer 2 des Ausschußantrags ab, die Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien über Sozialversicherung
- Drucksache 7/1480
Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 7/1767 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({3}) ({4})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird ebenfalls nicht gewünscht.
Ich rufe die Art. 1 bis 3 auf. Wir verbinden mit der Abstimmung die Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen im Rahmen der Verordnung ({5}) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung ({6}) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 und die Durchführung der Verordnung ({7}) Nr. 1408/71
- Drucksache 7/1516 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8})
-- Drucksache 7/1768
Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak ({9})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird ebenfalls nicht gewünscht.
Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wir verbinden mit der Abstimmung darüber die Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! -- Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nun die Punkte 14 und 15 ,auf.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Januar 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen
- Drucksache 7/1713 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Finanzausschuß
Erste Beratung des von der 'Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. April 1973 zwischen ,der Bundesrepublik Deutschland und ,der Volksrepublik Polen über die Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden
- Drucksache 7/1714 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. Wer der Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Evers, Erhard ({10}), Dr. Eyrich,
Vizepräsident Frau Funcke
Dr. Schäuble, Reddemann, Vogel und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksache 7/1439 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird ebenfalls nicht gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({11}) zu dem von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Antrag betr. Beseitigung etwaiger Nachteile bei der Alterssicherung von Personen mit langen Zeiten der Kriegsgefangenschaft
- Drucksachen 7/668, 7/1664 - Berichterstatter: Abgeordneter Maucher
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? -- Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? - Zu einer Erklärung, Herr Abgeordneter Jaschke.
Frau Präsidentin! Meine Damen I) und Herren! Ich habe für die Fraktion der SPD folgende Erklärung abzugeben:
'Es ist festzustellen, daß sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion von jeher für die berechtigten Interessen der ehemaligen Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangenen eingesetzt hat. Dabei hat sie stets ihr besonderes Augenmerk gerade auch auf die Alterssicherung dieses Personenkreises gerichtet. Da die Sicherung des Alters für den weitaus größten Teil unserer Bevölkerung durch die gesetzliche Rentenversicherung erfolgt, war es immer das Bestreben der Fraktion der SPD, das Leistungssystem der Rentenversicherung so auszugestalten, daß der einzelne Versicherte durch Ableisten von Militär-und Kriegsdienst und durch Zeiten der Kriegsgefangenschaft in der Rentenversicherung grundsätzlich nicht schlechter gestellt ist als einer, der während dieser Zeit erwerbstätig war.
Ich freue mich, heute feststellen zu können, daß wir mit unserem Bemühen in dieser Beziehung Erfolg gehabt haben. Zuletzt hat das Rentenreformgesetz des Jahres 1972 eine Reihe von Verbesserungen gebracht, die nicht zuletzt auch den ehemaligen Kriegsteilnehmern und Kriegsgefangenen zugute kamen. Ich möchte an dieser Stelle besonders die Erleichterungen bei den Voraussetzungen für die Anrechnung der Zeiten des militärischen und militärähnlichen Dienstes sowie der Zeiten der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeiten und die großzügigen Möglichkeiten zur Nachentrichtung von Beiträgen erwähnen. Die Voraussetzungen für die Anrechnung der genannten Zeiten bei der Rentenberechnung sind heute dergestalt, daß sie praktisch von jedem Versicherten, der längere Zeit der Solidargemeinschaft angehört hat, erfüllt werden können. Die Berücksichtigung dieser Zeiten bei der Rentenberechnung führt dazu, daß von einer generellen Benachteiligung der ehemaligen Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangenen gegenüber den Nichtkriegsteilnehmern in der Rentenversicherung kaum noch die Rede sein kann.
Vergesesn werden darf in diesem Zusammenhang auch nicht die flexible Altersgrenze. Seit dem 1. Januar 1973 kann praktisch jeder ehemalige Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangene, der von den Folgen der Kriegsteilnahme oder der Gefangenschaft so hart betroffenn ist, daß er zum Kreis der Schwerbehinderten gehört, bei Erfüllung der versicherungsmäßigen Voraussetzungen das Altersruhegeld schon von der Vollendung des 62. Lebensjahres an erhalten. Daß diese Rechtsstellung der ehemaligen Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangenen in der Rentenversicherung erreicht werden konnte, sieht die Fraktion der SPD als einen Erfolg ihrer konsequenten, von der besonderen Verantwortung für diesen Personenkreis getragenen Sozialpolitik an.
Die Fraktion der SPD ist sich allerdings auch bewußt, daß es, obwohl das Problem der Alterssicherung der ehemaligen Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangenen im großen und ganzen gelöst ist, noch immer zu einzelnen Härten kommt und kommen kann. Diese Fälle ergeben sich - das ist bekannt - in der Hauptsache daraus, daß in der Rentenversicherung wegen der großen Zahl der Versicherten auf typisierende und pauschalierende Regelungen nicht verzichtet werden kann und daß, anders als etwa in der Sozialhilfe, nicht über jeden einzelnen Antrag nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden kann. Zwar können gesetzliche Regelungen niemals jedem Einzelschicksal völlig gerecht werden; aber wir sollten dennoch versuchen, diese Härten zu vermeiden.
Der Fraktion der SPD sind auch die die gesetzliche Rentenversicherung betreffenden Forderungen des Verbandes der Heimkehrer und der Kriegsopferverbände an den Gesetzgeber bekannt. Es ist das Ziel des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entschließungsantrags, durch die Bundesregierung feststellen zu lassen, bei welchen ehemaligen Kriegsteilnehmern und Kriegsgefangenen solche besonderen Nachteile gegenüber den Nichtkriegsteilnehmern noch vorkommen, welche Möglichkeiten bestehen, diese Nachteile zu beseitigen, und welcher finanzielle Aufwand - auch das ist wichtig zu wissen - dazu erforderlich ist.
Die Fraktion der SPD erhofft sich von der Bundesregierung zugleich eine Entscheidungshilfe bei der Beurteilung der von den Heimkehrern an den Gesetzgeber herangetragenen Anregung zur Änderung des Rentenrechts. Sie bekräftigt an dieser Stelle nach einmal ihren festen Willen, die Anliegen der Betroffenen im Rahmen des Möglichen zu erfüllen, wenn die Nachprüfung der Bundesregierung ergibt, daß wesentliche Härten in der Rentenversicherung der Spätheimkehrer bestehen.
Wir bitten die Bundesregierung, den erbetenen Bericht möglichst noch vor dem gesetzten Termin vorzulegen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Josten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, daß der Kollege Jaschke am Schluß seiner Rede die Regierung gebeten hat, die Unterlagen möglichst noch vor dem in dem Antrag genannten Termin auf den Tisch des Hauses zu legen. Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Antrag auf Drucksache 7/668 und auch der Empfehlung des federführenden Ausschusses zu, der Bundesregierung für die erbetene Vorlage einen Zeitraum bis zum 31. Dezember 1974 einzuräumen. Die Fraktion der CDU/CSU legt aber genauso wie Kollege Jaschke Wert auf die Feststellung, daß die Bundesregierung damit nicht gebeten worden ist, ihre Vorlage erst am Ende dieses Jahres dem Bundestag zuzuleiten. Damit nicht ein weiteres volles Rentenjahr für die betroffenen ehemaligen Kriegsgefangenen verlorengeht, bittet die Fraktion der CDU/CSU das Hohe Haus, zuzustimmen, daß der 31. Dezember 1974 nur als äußerste Frist eingeräumt ist und der Erwartung Ausdruck gegeben wird, daß die Bundesregierung die in der vorliegenden Bundestagsdrucksache erbetenen Unterlagen so schnell wie möglich vorlegt.
Ich freue mich, daß Minister Arendt anwesend ist. Es darf vielleicht in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß der Herr Bundesarbeitsminister bereits in den Monaten von Oktober 1970 bis Januar 1971 im Zusammenwirken mit dem Verband der Heimkehrer Deutschlands eine umfangreiche statistische Erhebung bei allen Rentenversicherungsträgern durchgeführt hat. Die Auswertungsergebnisse dieser Erhebung sind seit langem bekannt. Da diese Erhebung den gleichen Fragenkomplex betraf, der der Bundestagsdrucksache 7/668 zugrunde liegt, sollte angenommen werden können, daß das gewonnene Material auch jetzt verwertbar ist.
Ferner kann darauf hingewiesen werden, daß der Herr Bundesarbeitsminister seit Juni 1973 Kenntnis von dem Inhalt des Antrages hat, der jetzt zur Beschlußfassung ansteht. Ich erinnere daran, daß wir den Antrag Drucksache 7/668 im Juni des vergangenen Jahres hier im Hause dem Ausschuß überwiesen haben. Die Fraktion der CDU/CSU ist sicher, daß in den vergangenen Monaten -- auch seitens des zuständigen Ministeriums - bereits weitgehende Vorarbeiten geleistet worden sind, so daß ohne Schwierigkeiten noch vor den Sommerferien mit einer befriedigenden Vorlage gerechnet werden könnte.
Herr Minister, der Kreis der Betroffenen rechnet nicht nur mit Ihrem Verständnis, sondern auch auf Ihre Hilfe. Der Kollege Jaschke sagte vorhin für die SPD-Fraktion, im großen und ganzen sei das Problem gelöst. Ich möchte hier jetzt nicht in eine Debatte eintreten, wohl aber dies noch sagen: Herr Kollege Jaschke, wir wissen aus unseren Gesprächen, daß es hier noch viele Härten gibt und daß es höchste Zeit ist, daß wir diese Dinge vom Tisch bekommen. Herr Professor Schellenberg, ich erinnere Sie an die große Kundgebung vom Sommer 1973, an das „Deutschlandtreffen". Wir sind einer Meinung. Viele der Betroffenen können uns langsam aber nicht mehr verstehen, wenn die Probleme, um die es hier geht, nicht bald einer Lösung zugeführt werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten hier im Hause einheitlich das Ziel anstreben, daß uns die Regierung möglichst noch vor der Sommerpause, spätestens aber nach den Sommerferien das Ergebnis vorlegt, damit wir dann zu einer raschen Erledigung des gesamten Problems kommen können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten gebe ich folgende Erklärung ab.
Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag mit dem Ziel eingebracht, die Bundesregierung um Vorschläge zur Beseitigung etwaiger Nachteile bei der Alterssicherung von Personen mit langen Zeiten der Kriegsgefangenschaft zu bitten. Die FDP begrüßt, daß der zuständige Ausschuß dem Bundestag einstimmig die Annahme dieses Antrags vorgeschlagen hat. Wir werden also spätestens bis zum 31. Dezember 1974 durch die Bundesregierung die für die Lösung der angesprochenen Probleme notwendigen Angaben erhalten.
In der Sache selbst stehen wir Freien Demokraten Regelungen zum Ausgleich individueller Härten grundsätzlich positiv gegenüber. Wir legen jedoch Wert darauf, zunächst einmal einen genauen Überblick über den betroffenen Personenkreis, über mögliche Auswirkungen für andere Gruppen und die finanziellen Belastungen zu erhalten. Pauschallösungen ohne Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen Situation einzelner und womöglich auch noch ohne Kenntnis der finanziellen Folgewirkungen für andere Bereiche halten wir nicht für vertretbar. Globalregelungen können auch nicht im Interesse derjenigen sein, die eines besonderen Schutzes bedürfen und die dann nicht die erforderlichen Hilfen erhalten können.
Entsprechend diesen Grundsätzen werden wir auch die Vorschläge der Bundesregierung bei unseren weiteren politischen Entscheidungen in diesem Bereich berücksichtigen.
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Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des
Ausschusses für Verkehr ({0}) zu
5656 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Vizepräsident Frau Funcke
dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Zweiten Bericht über die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 8 des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksachen 7/1460, 7/1709
Berichterstatter: Abgeordneter Mahne
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Zur Beratung wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des
Ausschusses für Verkehr ({1})
zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Programm zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr „Mehr Sicherheit auf unseren Straßen"
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Verkehrssicherheit im Straßenverkehr
- Drucksachen 7/1283, 7/1535, 7/1733
Berichterstatter: Abgeordneter Wurche
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? ---Das ist nicht der Fall.
Zu einer Erklärung hat Herr Abgeordneter Straßmeir das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die CDU/ CSU-Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Dem vorliegenden Bericht und dem gemeinsamen Antrag ,des Verkehrsausschusses wird die CDU/CSU-Fraktion zustimmen, insbesondere deshalb, weil der Antrag im Kern die Forderungen des CDU/CSU-Entschließungsantrages vom 16. Januar 1974 übernommen hat. Wir werden diesem Antrag auch deshalb zustimmen, weil die Regierung verpflichtet wird, bis zum 31. Dezember 1974 durch einen Maßnahmen-und Zeitkatalog aus ihrer losen Zusammenstellung aller verkehrssicherheitspolitischen Maßnahmen - etwa nach den Vorstellungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates - ein verkehrspolitisches Programm zu entwickeln.
Wir sind den Koalitionsfraktionen dankbar, daß sie mit dem gemeinsamen Antrag unsere Auffassung anerkennen, daß erst durch diesen geforderten Ergänzungsbericht ein für die praktische Verkehrspolitik brauchbares Instrument geschaffen werden kann. Allerdings hätten wir erwartet, daß wir bereits im November 1973 ein derartig ausgerüstetes Programm von der Bundesregierung vorgelegt bekommen hätten. Wir bedauern es außerordentlich, daß nunmehr wiederum ein Jahr verstreichen wird, ehe energische Aktionen auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit anlaufen können.
Der vorliegende gemeinsame Antrag zeigt. deutlich, daß es möglich ist, auch außerhalb und jenseits aller Parteipolitik Verkehrssicherheit zu gestalten. Ich finde es deshalb um so bedauerlicher, wenn der Herr Bundesminister Lauritzen neuerdings behauptet, Verkehrssicherheit würde als Gegenstand parteipolitischer Demonstrationen mißbraucht.
({0})
Werden Empfehlungen für Richtgeschwindigkeiten von der CDU/CSU vorgetragen, ist das „Parteipolitik". Äußern FDP-Kollegen die gleiche Auffassung, ist das selbstverständlich das „redliche Bemühen eines Andersdenkenden".
({1})
Die Opposition wird es sich nicht nehmen lassen, zu sagen, was sie für richtig und falsch hält, und sie wird es sich auch nicht nehmen lassen, der Regierung zu sagen, daß sie statt reden endlich handeln soll.
({2})
- Ja, so ist das: mal so, mal so: von 100 bis 140 und zurück.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat es in seiner Pressekonferenz vom 13. März 1974 für nötig befunden, den verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Schulte, unsachlich anzugreifen und zu meinen, er begrüße die späte Aktivität der CDU/ CSU. Dies bezog sich auf die Aussage, daß wir eine verkehrssicherheitspolitische Offensive einleiten werden. Ich darf dazu feststellen, die CDU/CSU-Fraktion hat ihren sachlichen Beitrag geleistet. Wir haben zeitgleich mit der Regierungsvorlage unseren Entschließungsantrag eingebracht. Das Ergebnis der Beratung dieses Antrags steht heute in dem gemeinsamen Antrag zur Abstimmung.
Die Offensive in der Verkehrssicherheit hält die CDU/CSU für notwendig, weil es sich erwiesen hat, daß die Praxis der Bundesregierung entgegen dem Verkehrssicherheitsprogramm im Grunde genommen das Pferd vom Schwanz her aufzäumt.
({3})
Mit der beabsichtigten Einführung der Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h würde z. B. nach allen statistischen Unterlagen überhaupt nur der Sektor von 1 % aller Verkehrstoten im Straßenverkehr berücksichtigt.
({4})
Hingegen wird die Möglichkeit - ich darf Ihnen das einmal genau sagen -, die Zahl der Verkehrstoten um 25 % zu senken, indem man ,die obligatorische Einführung von Sicherheitsgurten, Nackenstützen und die Anschnallpflicht verordnete, gar nicht energisch genug genutzt.
({5})
Es ist nichts angeordnet worden und auch nichts vorgesehen. Ein weiterer wichtiger Punkt, nämlich ein Mehr an Sicherheit auf den Straßen durch den Ausbau unserer Straßen, dieser Gesichtspunkt des
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Freitag, den, 15. März 1974 5657
Staßmeir
Straßenbaus ist nach unserer Auffassung durch die Haushaltspolitik der Bundesregierung 'fast völlig aus dem Blickfeld entschwunden.
Ich darf Sie deshalb auffordern, daß zumindest im Rahmen des Ergänzungsberichts folgende Maßnahmen vordringlich gestaltet werden:
Bis Mitte 1976 müssen alle im Verkehr befindlichen Kraftwagen mit Sicherheitsgurt und Nackenstütze ausgerüstet sein. Danach ist generell die Anschnallpflicht einzuführen, um die Zahl der Unfalltoten nach den Berechnungen der Experten um jährlich 4 000 zu verringern. Die Verkehrserziehung und die Fahrerausbildung ist wesentlich zu intensivieren. Das Mitfahren von Kindern auf den Vordersitzen darf nur dann erlaubt werden, wenn sie ordnungsgemäß angeschnallt werden können. Das System der Unfallrettung ist endlich auf den von allen Parteien geforderten Stand zubringen. Das Instrument der Richtgeschwindigkeit, Herr Bundesminister, muß durch intensive Aufklärungsaktionen systematisch an die Autofahrer herangebracht werden.
Mit dem gemeinsamen Antrag der Fraktion ist die Bundesregierung aufgefordert, in ihrem Verkehrssicherheitsprogramm endlich den Rang und die Reihenfolge des beabsichtigten Maßnahmenkatalogs zu nennen und dem Bürger als Steuerzahler, aber auch als Verbraucher sowie der Industrie, den Ländern und den Gemeinden zu sagen, mit welchen Aufwendungen und Belastungen sie wann zu rechnen haben. Die Bürger dieses Landes sind nach unserer Auffassung hinreichend problembewußt, und sie sind auch bereit, für die Verkehrssicherheit Belastungen auf sich zu nehmen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung den gemeinsamen Antrag in diesem Sinne befolgt.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Mahne.
Frau Präsidentin! Meine Damen Damen und Herren! Ich glaube, meinem Vorredner ist es gelungen, hier zwischen dem Verkehrsminister und der Opposition Fronten aufzubauen, die genau im Widerspruch zu den sehr eindeutigen Erklärungen auch der Opposition stehen, daß Fragen der Verkehrssicherheit nicht unter parteiegoistischen und parteitaktischen Gesichtspunkten zu bewerten sind.
({0})
- Ich verstehe Ihre Unruhe, meine Herren, aber ich würde Ihnen empfehlen, doch einmal zuzuhören.
({1})
- Unruhe insofern, als die Koalition - und das ist doch der Beweis dafür, daß auch die Koalition in gleicher Weise Verkehrssicherheitspolitik sieht - Ihre Forderungen, die Sie aufgestellt haben, in den heute vorliegenden Beschluß mit aufgenommen hat.
Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß mit dem Programm der Bundesregierung zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr unter dem Titel „Mehr Sicherheit auf unseren Straßen" erstmals ein umfassender Maßnahmenkatalog dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit vorgelegt wurde. Bereits in der Regierungserklärung am 18. Januar 1973 hat Bundeskanzler Willy Brandt auf den Schwerpunkt „Sicherheit im Straßenverkehr" hingewiesen.
Die derzeitige Lage auf dem Gebiet der Straßenverkehrssicherheit macht unserer Auffassung nach entscheidende Maßnahmen notwendig. Wir können es nicht tatenlos hinnehmen, daß Tag für Tag und Jahr für Jahr viele unserer Mitbürger im Straßenverkehr getötet und verletzt werden. So wurden z. B. in den letzten zehn Jahren von 1963 bis 1972 170 733 Menschen im Straßenverkehr getötet, 1,5 Millionen schwer verletzt und 3,3 Millionen leicht verletzt. Wir betrachten es daher als notwendig, daß die Planungen und Aktivitäten auf dem Gebiet der Sicherheit im Straßenverkehr zusammengefaßt und zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat abgestimmt werden.
In dem Sicherheitsprogramm der Bundesregierung sind alle notwendigen Punkte ausgearbeitet und dargestellt worden. Das Programm umfaßt alle für die Sicherheit im Straßenverkehr wichtigen Bereiche, nämlich den Verkehrsteilnehmer, das Kraftfahrzeug, die Straße, das Unfallopfer und die Unfallforschung. Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, daß der Ausschuß für Verkehr des Deutschen Bundestages von diesem Sicherheitsprogramm der Bundesregierung einmütig zustimmend Kenntnis genommen hat. Es herrschte im Ausschuß Übereinstimmung darüber, das Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung durch einen Vollzugsplan zu ergänzen, in dem die einzelnen Maßnahmen nach Art, Zeit, Vorbereitung und Inkrafttreten im einzelnen dargestellt werden. Dies hat der Ausschuß in einem entsprechenden Enschließungsantrag, der Ihnen in dem Bericht vorliegt, zum Ausdruck gebracht. Damit konnte der Antrag der CDU/CSU für erledigt erklärt werden.
Bei der Erörterung im AussChuß sind auch die Probleme einer generellen Anschnallpflicht in Kraftfahrzeugen, die Frage Verbundglas oder Einscheibenhartglas, die Ausrüstung mit Kopfstützen sowie das Problem des Mitfahrens von Kindern auf Vordersitzen ausführlich behandelt worden. Wir unterstützen hier die Bemühungen ,der Bundesregierung, bald zu entscheidenden Regelungen zu kommen. Bauartgenehmigungen sollten jedoch EG-einheitlich erteilt werden.
Die Frage der generellen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen war sachgerechterweise aus dem Bericht ausgeklammert worden. Wir begrüßen, daß jetzt die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung, Richtgeschwindigkeiten auf Autobahnen einzuführen, dem Hin und Her über diese Frage ein Ende gesetzt hat.
({2})
- Warten Sie, was kommt; dann werden Sie besser lachen können.
({3})
Wir bedauern aber, daß die diesem Beschluß zugrunde liegende Entscheidung im Bundesrat von den CDU/CSU-geführten Ländern, meine Damen und Herren von der Opposition, zu einer parteitaktischen Machtprobe benutzt und nicht sachlich begründet getroffen wurde.
({4})
Versuche mit Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnteilabschnitten werden nebenher durchgeführt werden. Wir hoffen, daß nicht erst ein unterschiedliches Unfallgeschehen auf Autobahnabschnitten mit unverbindlicher Richtgeschwindigkeit und auf solchen mit Höchstgeschwindigkeiten dazu führt, daß sich -die Vernunft in dieser Frage durchsetzt.
({5})
- Ach, Herr Reddemann, was soll das? Sehen Sie, Sie bauen doch hier auch in der Frage der Verkehrssicherheit den Popanz auf, den Sie in jeder Frage in diesem Parlament aufbauen.
({6})
Von Ihnen kennt man nichts anderes. Von Ihnen ist man nichts anderes gewohnt.
({7})
Die vielfältigen Bemühungen um mehr Sicherheit im Straßenverkehr werden zur Verminderung der Zahl der Unfälle, damit zu weniger Toten und Verletzten führen. Die bisherige Initiative der Bundesregierung und die Erstellung eines umfassenden Maßnahmezeitkataloges für die Verkehrssicherheit wird die Grundlage für mehr Sicherheit auf unseren Straßen schaffen. Wir werden die Bundesregierung und alle mit den Fragen der Verkehrssicherheit befaßten Organisationen in ihrem Bemühen entschlossen unterstützen.
({8})
Das Wort hat Herr Bundesminister Lauritzen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute wird hier eine Art Nachlese der Debatte über die Geschwindigkeitsprobleme gehalten. Das hat anscheinend seine Ursache darin, daß die öffentliche Meinung weitgehend nicht auf Ihrer Seite liegt. Das ist wohl der Grund, weshalb Sie heute noch einmal versuchen, das Thema hier zur Debatte zu stellen.
({0})
Der Sicherheitsgedanke, der darin zum Ausdruck gebracht wird, hätte besser in der Debatte im Bundesrat zum Ausdruck kommen können. Ich bedaure die sehr einseitige Entscheidung, die der Bundesrat getroffen hat, nämlich es erst mit Richtgeschwindigkeiten zu versuchen und anzukündigen: wenn diese Richtgeschwindigkeitsempfehlung ungehört verhallt, dann müßten halt doch Höchstgeschwindigkeiten eingeführt werden. Wieviel Leute müssen denn noch auf den Straßen sterben, meine Damen und Herren, bis Sie bereit sind, sich zu solchen Entscheidungen durchzuringen?
({1})
-- Sie sollten sich einmal etwas intensiver mit dem beschäftigen, was wir im Bundesrat an Zahlen vorgelegt haben. Sie haben es alle bekommen. Jeder von Ihnen hat den Vorschlag der Bundesregierung mit den dort im einzelnen dargelegten Zahlen bekommen. Sie sind sehr überlegt worden. Ich wiederhole die Frage: Wie hoch sollen die Zahlen denn noch steigen, bis Sie in dieser Frage einsichtig sind? Wer die Verantwortung dafür zu übernehmen hat, glaube ich, braucht hier nicht noch einmal gesagt zu werden.
Aber nun zu dem Anliegen dieses Tagesordnungspunktes. Die Bundesregierung hat schon im Jahre 1973 eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet: das 0,8-0/oo-Gesetz, der Großversuch mit Tempo 100 auf der Landstraße, die Ausstattung ,der Autos mit Sicherheitsgurten seit dem 1. Januar dieses Jahres. Eines wissen Sie auch sehr genau aus den Zahlen, die wir Ihnen genannt haben: Schon im Jahre 1973 hat sich das in einer Weise in der Unfallstatistik bemerkbar gemacht, die nachhaltig zeigt, daß mit den von der Bundesregierung durchgeführten Maßnahmen schon mehr Sicherheit auf den Straßen erreicht werden konnte.
Was die Bundesregierung selber zu tun hat, wird ein umfangreiches Aufklärungswerk sein. Auch über die Richtgeschwindigkeiten werden wir aufklären. Aber Sie haben ja schon gesehen, die Automobilindustrie, die anscheinend über mehr Mittel verfügt, unternimmt schon eine groß angelegte Anzeigenaktion in den Zeitungen, um die Bevölkerung aufzuklären.
({2})
Ich begrüße das sehr. Wir werden diese Aufklärungsarbeit sehr verstärken. Im Haushaltsplanentwurf 1974 sind die Mittel erheblich erhöht worden, und in der mittelfristigen Finanzplanung wird das über die Jahre 1975/76/77 weitergehen.
Unser Aufgabengebiet wird also in erster Linie die Öffentlichkeitsarbeit und die Gesetzgebung sein. Wir haben bereits angekündigt, meine Damen und Herren, daß die Anschnallpflicht für Sicherheitsgurte
für das Jahr 1976 in Aussicht genommen ist und daß wir bis dahin das Problem der Kopfstützen klären werden. Das heißt, alles das, was Sie nun in den Antrag hineingebracht haben, ist weitgehend schon realisiert oder ist in der Vorbereitung.
({3})
- Oder in der Vorbereitung, habe ich hinzugefügt, - wenn Sie zugehört hätten.
({4})
Hier wird seit einiger Zeit von der CDU eine Offensive angekündigt, die sie wiederholt angekündigt hat. Ich begrüße das sehr. Aber ich hätte für besser gehalten, wenn in dem Augenblick, als wir das Sicherheitsprogramm vorgelegt haben, nämlich am 23. November vorigen Jahres, die CDU sich nicht mit einer einfachen Abqualifizierung zufrieden gegeben hätte, sondern einen sachlichen Beitrag geleistet hätte.
({5})
Jetzt stelle ich die Frage: Wann geht es denn nun endlich los?
Herr Bundesminister gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Bitte!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die CDU/CSU schon im Jahre 1972 ein umfangreiches Verkehrssicherheitsprogramm vorgelegt hat? Zum zweiten frage ich: Trifft es zu, daß in Ihrem Verkehrssicherheitsprogramm ursprünglich sogar Geschwindigkeitsbegrenzungen enthalten waren, die Sie eigenhändig danach herausgestrichen haben?
Das Problem der Geschwindigkeitsvorschriften für die Autobahnen ist in dem Sicherheitsprogramm nicht enthalten, weil damals der Versuch mit dem Tempo 100 auf den Landstraßen lief und wir das Ergebnis dieses Versuchs abwarten wollten. In der Zwischenzeit haben wir eine Erfahrung gemacht, meine Damen und Herren, und darum reden Sie dauernd herum, auch Sie, Herr Müller-Hermann, die Erfahrung nämlich, daß die erhebliche Reduzierung der Geschwindigkeit auf den Autobahnen sich alarmierend im Unfallgeschehen auswirkt. Das hat uns veranlaßt, dieses Problem jetzt aufzugreifen, um den Versuch, den wir auf Landstraßen laufen haben, durch einen Versuch auf den Autobahnen zu ergänzen. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn Sie sich bereit gefunden hätten - oder die von Ihnen geführten Länderregierungen -, da mitzumachen, wie es die Bundesregierung vorgeschlagen hat.
Auch die Nachrüstpflicht ist eine Aufgabe, die wir ( genauso sehen wie Sie, meine Damen und Herren.
Ich darf noch einmal sagen, daß hier zum erstenmal von einer Bundesregierung ein umfassendes Sicherheitsprogramm vorgelegt worden ist, das von dem Präsidenten des Deutschen Verkehrssicherheitsrates - den ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren darf - auf der Pressekonferenz anläßlich der Übergabe an die Öffentlichkeit mit folgenden Worten ausdrücklich begrüßt worden ist:
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat begrüßt dieses Sicherheitsprogramm der Bundesregierung
- und er ist wohl ein berufenes Gremium, um sich ein solches Urteil zu erlauben vor allem deshalb, weil es langjährigen Vorstellungen und Forderungen in unserem Kreis entspricht. Wir sehen mit den uns angeschlossenen 250 Verbänden und Organisationen darin einen eindeutigen Fortschritt.
Wir haben hier zum erstenmal in diesem Land ein wirklich umfassendes Konzept, das sich über alle Bereiche erstreckt, von der Verkehrserziehung über die Technik bis zu den gesetzgeberischen Maßnahmen. Ich habe in Ihren Vorschlägen bisher keinen Vorschlag gefunden, der materiell etwas anderes beinhaltet als das, was im Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung enthalten ist. Also auch hier keine Alternativen!
({0})
- In dem, was Sie eben zum Ausdruck gebracht haben, steht nichts Neues gegenüber dem, was in unserem Sicherheitsprogramm enthalten ist, Sie haben keine Alternativen, wie das in der Verkehrspolitik generell so ist.
({1})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 16 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 7/1773
Das Wort wird weder zur Berichterstattung noch zur Aussprache gewünscht.
Wir stimmen über die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des
Vizepräsident Frau Funcke
Deutschen Teil-Zolltarifs ({1}) - Drucksache 7/1698
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 22 und 23 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung der Richtlinie Nr. 72/281/EWG betreffend statistische Erhebungen über die Schweineerzeugung infolge der Erweiterung der Gemeinschaft
- Drucksachen 7/1271, 7/1299, 7/1715 Berichterstatter: Abgeordneter Rainer
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag einer Verordnung ({4}) des Rates zur Festlegung der Bedingungen für die Gewährung staatlicher Beihilfen im Rahmen der gemeinsamen Strukturpolitik für die Seefischerei
- Drucksachen 7/1287, 7/1734Berichterstatter: Abgeordneter Schröder ({5})
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Erhebt sich Widerspruch? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({7}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 922/72 über die Grundregeln für die Gewährung der Beihilfe für Seidenraupen
- Drucksache 7/1607, 7/1742 - Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Dr. Riede ({9}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Vogelsang.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da es sich um eine gesellschaftspolitisch so relevante Frage handelt, deren ideologische Verklammerung von der Opposition offensichtlich nicht erkannt worden ist, meine ich doch,
hier an die Berichterstatterin die Frage stellen zu dürfen, wie man eigentlich Seidenraupen eine Beihilfe gewährt; denn das ist ziemlich genau der Text, den wir hier vorliegen haben.
Da es sich um die Laufzeit von nur einem Jahr handelt, kann ich Ihnen nicht empfehlen, dem Antrag nicht zuzustimmen. Ich meine aber doch, wir sollten in einem Jahr die Frau Berichterstatterin oder den Berichterstatter bitten, uns darüber eine Aufklärung zu geben. Denn diese Frage produziert ja sofort wieder weitere: Ist diese Förderung individuell oder institutionell? Handelte es sich wenigstens um Halbseidenraupen, so könnte man der Phantasie noch Platz geben.
({0})
Wird dazu das Wort gewünscht? Eine Abänderung der Textformulierung war nicht beantragt. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Hammans!
Meine Damen und Herren! Ich empfehle meinem Kollegen, demnächst, bevor er ans Rednerpult tritt, Brehms-Tierleben zu studieren und festzustellen, welch ungeheure Population die Seidenraupen in einem Jahr haben.
({0})
Meine Damen und Herren, wird eine biologische, zoologische oder germanistische Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
({0})
Da ich glaube, daß wir über die Punkte 24 bis 26 gemeinsam abstimmen können, rufe ich jetzt noch die Punkte 25 und 26 der Tagesordnung auf:
25. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({2}) des Rates über die Gemeinschaftsfinanzierung der Ausgaben für die Lieferung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe
- Drucksachen 7/1604, 7/1743 - Berichterstatter: Abgeordneter Sander
26. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Verlängerung der Frist für die Inkraftsetzung der Richtlinie des Rates Nr. 72/160/EWG zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen ErwerbstätigVizepräsident Frau Funcke
keit und der Verwendung der landwirtschaftlich genutzten Fläche für Zwecke der Strukturverbesserung vom 17. April 1972 im Königreich Dänemark
- Drucksachen 7/1611, 7/1744
Berichterstatter: Abgeordneter Müller
({4})
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 2 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Konkursausfallgeld ({5})
-- Drucksache 7/1750 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Zur Begründung hat Herr Bundesminister Arendt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf über ein Konkursausfallgeld wird ein weiterer Schritt auf dem Wege zu größerer und mehr sozialer Sicherheit getan. Die Lohnansprüche der Arbeitnehmer sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers besser als bisher gesichert werden.
Wie notwendig eine solche Sicherung ist, haben Firmenzusammenbrüche der letzten Zeit deutlich gemacht. Neben dem Verlust des Arbeitsplatzes mußten die Arbeitnehmer vielfach auch noch den Verlust ihres Lohnes hinnehmen. Sie mußten zusehen, wie Banken, Warenlieferanten und andere Gläubiger die von den Arbeitnehmern mit geschaffenen Werte zur Befriedigung ihrer Forderungen verwerteten, während sie selber leer ausgingen, weil ihre Forderungen nicht in gleicher Weise gesichert waren. Selbst im günstigsten Fall mußte der Arbeitnehmer den ersten Konkursprüfungstermin abwarten, bis er seinen Lohn erhielt.
Das soll in Zukunft anders werden. Wir wollen rückständige Lohnansprüche durch eine sozialversicherungsrechtliche Lösung sichern. Der Arbeitnehmer soll künftig Anspruch auf Konkursausfallgeld haben, wenn er den ihm zustehenden Lohn nicht oder nicht rechtzeitig erhält. Das Konkursausfallgeld soll den Nettolohn bis zu drei Monaten vor Konkurseröffnung absichern. Damit wird zugleich der nahtlose Übergang von der Lohnzahlung zur Arbeitslosengeldzahlung gewährleistet. Ferner werden für diesen Zeitraum die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge übernommen, damit dem Arbeitnehmer keine Nachteile in der sozialen Sicherung entstehen.
Das Konkursausfallgeld wird von den Arbeitsämtern ausgezahlt. Sie sind mit ihrem weitverzweigten Dienststellennetz am besten in der Lage, für eine schnelle Auszahlung zu sorgen.
Die Mittel für das Konkursausfallgeld sollen von den Arbeitgebern aufgebracht werden. Diese Regelung hat bei der Erörterung des Gesetzentwurfs eine große Rolle gespielt. Insbesondere die Arbeitgeber haben gemeint, das Konkursausfallgeld sollte aus Beitragsmitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden. Hierzu eine grundsätzliche Bemerkung! Die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit werden bekanntlich zur Hälfte von den Arbeitnehmern selber aufgebracht. Es geht also nicht an, den Arbeitnehmern auch noch die Kosten für die Sicherung ihrer Lohnansprüche aufzubürden. Der Arbeitgeber hat die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer entgegengenommen. Allein in seinen Solidarbereich fällt deshalb die Aufgabe, für die Sicherung der Lohnansprüche zu sorgen.
Der Entwurf gewährleistet zugleich, daß der Arbeitnehmer seinen rückständigen Lohn schnell erhält. Wer bereits einige Wochen ohne Lohn gearbeitet hat, ist auf eine schnelle Auszahlung angewiesen. Der Entwurf sieht deshalb erstens vor, daß Vorschüsse unter erleichterten Voraussetzungen gezahlt werden, und zweitens, daß der Konkursverwalter mit der Auszahlung des Konkursausfallgeldes beauftragt werden kann, wenn noch ein eingearbeitetes und intaktes Lohnbüro vorhanden ist, und drittens, daß rückständige Lohnforderungen zu sogenannten Masseschulden im Sinne der Konkursordnung werden. Damit erhält der Konkursverwalter das Recht, bei ausreichender Masse die rückständigen Löhne vorweg auszuzahlen.
Mit der Einführung des Konkursausfallgeldes wird die Position der Arbeitnehmer in Beruf und Gesellschaft gestärkt. Zugleich bringt dieses Konkursausfallgeld schnelle Hilfe in einer besonders kritischen Situation. Die vorgeschlagene Neuordnung ist somit von großer humaner, sozialer und gesellschaftlicher Bedeutung. Ich möchte Sie deshalb bitten, meine Damen und Herren, den Gesetzentwurf möglichst zügig zu beraten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wird von meiner Fraktion begrüßt. Eine effektive Lohnsicherung der Arbeitnehmer bei Konkursen ist ein altes Anliegen der SPD. Die zunehmend leeren Kassen, die Massearmut bei Konkursen und die derzeitige Regelung des Insolvenzrechts haben zu einer Verschlechterung der Position der Arbeitnehmer geführt, die schon unter dem Gesichtspunkt ,der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes nicht mehr hingenommen werden kann.
Dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebührt deshalb der besondere Dank der SPD-Fraktion. Er hat in kurzer Zeit einen ausgewogenen Gesetzentwurf vorgelegt, der die bislang ungesicherte Stellung des Arbeitnehmers im Konkurs seines Arbeitgebers eindeutig verbessert. Die Lohnansprüche der Arbeitnehmer werden nun voll gesichert. Damit
wird dem Arbeitnehmer in einer ihn drückenden Situation die Angst vor wirtschaftlicher Not genommen.
Ich finde es in diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert, daß die entscheidende Besserstellung des Arbeitnehmers in erster Linie durch eine sozialversicherungsrechtliche Lösung, d. h. durch außerkonkursrechtliche Maßnahmen, erreicht werden soll. So wird es möglich, in dringenden Notfällen unbürokratisch und schnell zu helfen, ohne daß die Abwicklung des Konkursverfahrens abgewartet werden muß.
Der Gesetzentwurf beschränkt sich aber nicht auf die sozialversicherungsrechtliche Sicherung der Lohnansprüche, sondern verbessert auch die konkursrechtliche Stellung des Arbeitnehmers. Die vom Bundesjustizminister vorgeschlagene Änderung der Konkursordnung gibt dem Konkursverwalter die Möglichkeit, bei ausreichender Masse die rückständigen Löhne sofort zu zahlen, ohne ,daß die Bundesanstalt für Arbeit mit Leistungen einspringen muß.
Unsere Untersuchungen haben für die zurückliegende Zeit ergeben, daß für die betroffenen Arbeitnehmer Lohn- und Gehaltsansprüche in Höhe von 20 bis 50 Millionen DM zu verzeichnen waren. Von den fehlenden Sozialversicherungsbeiträgen ist dabei noch nicht einmal die Rede. Mit diesem sozial und wirtschaftlich unbefriedigenden Zustand wird nun endlich Schluß gemacht. Die Arbeitnehmer in den Betrieben, die Betriebsräte und die Gewerkschaften werden diese Regelung zu würdigen wissen, vor allen Dingen auf dem Wege zu einer weiteren sozialen Sicherung im Arbeitsleben.
Ich möchte betonen, daß wir diese konkursrechtliche Besserstellung des Arbeitnehmers lediglich als einen ersten Schritt zu der von meiner Fraktion gewünschten grundlegenden Reform des Konkursrechts ansehen. Wir wissen, daß diese Reform nicht von heute auf morgen durchgeführt werden kann. Es wäre deshalb nicht klug, den vorliegenden Gesetzentwurf mit weiteren Änderungen der Konkursordnung zu belasten. Wir wollen heute das tun, was wir jetzt und in dieser Situation zur Verbesserung der Stellung der Arbeitnehmer beitragen können. Wir sind deshalb mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung der Meinung, daß der Entwurf so schnell wie möglich verabschiedet werden sollte.
Der Opposition ist vorzuhalten, daß sie in zwei Jahrzehnten mit von ihr geführten Regierungen nicht in der Lage oder gar nicht willens war, diese für Arbeitnehmer wichtige Frage auch nur im Ansatz einer Lösung zuzuführen.
({0})
Mir ist Herr Kollege Erhard gemeldet worden.
({0})
Jetzt muß ich einmal fragen: stimmt das? Herr Abgeordneter Müller? - Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, bei so vorgerückter Stunde und bei dieser Besetzung des Hauses hier große Ausführungen zur Sache zu machen. Aber lassen Sie mich eine Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Urbaniak machen.
Herr Kollege Urbaniak, wenn Sie sagen, daß das ein altes Anliegen der SPD sei, dann wundere ich mich, daß Sie erst heute, 1974, dazu kommen, eine solche Vorlage zu begrüßen. Sie sind erstens seit 1969 mit der FDP allein in der Regierung, hätten also die Gelegenheit gehabt, und jetzt sagen Sie plötzlich, das sei ein altes Anliegen. Zweitens wäre es viel besser, wenn diese Regierung eine Wirtschaftspolitik betriebe, die die in letzter Zeit leider, leider so häufigen Konkurse vermieden hätte.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön!
Herr Kollege Müller, wollen Sie damit sagen, daß es in der Regierungszeit der CDU/CSU keine Konkurse gegeben hat, und wissen Sie nicht, daß die Arbeitnehmer Verluste in Höhe von 20 Millionen DM - ich habe die Zahlen soeben genannt - haben hinnehmen müssen, wobei Sie sich auf diesem Gebiet überhaupt nicht gerührt haben?
Herr Kollege Urbaniak, erstens habe ich im Augenblick keine Statistik zur Hand, um nachzuweisen, daß es früher weniger Konkurse als heute gegeben hat;
({0})
aber zweitens möchte ich sagen: Nach meinem Gedächtnis und nach den Zeitungsmeldungen waren früher weniger Konkurse als heute.
({1})
Und drittens möchte ich sagen, daß Sie ja niemand daran gehindert hätten, auch seinerzeit, als Sie noch in der Opposition waren, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.
({2})
- Eine Opposition kann doch genauso gut wie die
Regierungspartei einen solchen Entwurf vorlegen.
Außerdem sind Sie seit 1966 mit in der Regierung.
Nun möchte ich noch folgendes zur Sache sagen. Herr Bundesminister, zum großen Teil folgen wir Ihren Darstellungen. Ich möchte sagen, daß selbstverständlich dann, wenn es sich um vertragsmäßige Leistungen handelt, den Arbeitnehmern bei einem eventuellen Konkurs gewährleistet sein muß, daß sie ihren verdienten Lohn für geleistete Arbeit bekommen.
Daß wir an einer solchen Regelung interessiert sind - wir sind etwas ruhiger und zurückhaltender -,
({3})
Müller ({4})
können Sie daran erkennen, daß wir vor Wochen, ich persönlich, in einer Fragestunde gefragt haben, was die Regierung zu tun gedenkt, um angesichts solch häufiger Konkurse, die jetzt eintreten und von denen in der Presse berichtet wird, eine entsprechende Regelung zu finden.
({5})
- Herr Kollege Schellenberg, Sie können das wissen, da Sie einer Regierungspartei angehören und wahrscheinlich einen besseren Draht haben als wir, während wir nur aus Pressemeldungen erfahren, was draußen eigentlich vorgeht.
({6})
Meine Damen und Herren, wir teilen Ihre Auffassung, daß die Mittel für die Zahlung des Konkursausfallgeldes von der Bundesanstalt für Arbeit verwaltet bzw. ausgezahlt werden sollen. Hier ist das nah an der Arbeitsvermittlung, hier ist es nah an der Berufsberatung, hier gehört es hin. So wird vermieden, daß durch eine neue Institution wieder komplizierte Verfahren eingeleitet werden.
Außerdem sind wir mit Ihnen der Meinung, daß das Konkursausfallgeld auch von den Arbeitgebern, die mit den Arbeitnehmern in einem Vertragsverhältnis standen, aufgebracht werden soll und daß die Arbeitnehmer vor allen Dingen keinen Ausfall in ihrer Rentenversicherung erfahren dürfen. Das sind zwei Punkte, die ich hier ganz besonders herausstellen muß.
Im übrigen aber behalten wir uns vor, weil wir an diesem Gesetz besonders interessiert sind, im Ausschuß kräftig mitzuwirken.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der geballten Kraft der Opposition, vertreten durch den Kollegen Müller, habe ich vor, eine Erklärung abzugeben. Diese 'Erklärung, die ich namens der Fraktion der Freien Demokraten abgebe, lautet wie folgt:
Wir Freien Demokraten begrüßen die Regierungsvorlage der sozialliberalen Koalition zur Einführung eines Konkursausfallgeldes, weil sie eine wichtige Ergänzung im System unserer sozialen Sicherung bringt. Wir wollen verhindern, daß ein Arbeitnehmer beim Konkurs seines Arbeitgebers außer dem Verlust des Arbeitsplatzes auch noch mit rückständigen Lohnforderungen aus bereits geleisteter Arbeit auf der Strecke bleibt. Durch die Zahlung eines Konkursausfallgeldes wird sichergestellt, daß jeder Arbeitnehmer bei' Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers den vollen Nettolohn bis zu einem Zeitraum von drei Monaten - rückwirkend - erhält. Da auch die Beiträge zur Sozialversicherung, zur Arbeitslosenversicherung Bestandteile des Arbeitsgeldes sind, ist auch hierfür eine Nachentrichtung gewährleistet. Dem Arbeitnehmer werden also in seinem unmittelbaren materiellen Bereich durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in Zukunft keine Nachteile mehr entstehen.
Immerhin mußten in der Vergangenheit Arbeitnehmer jährlich auf 20 Millionen bis 50 Millionen DM Lohn verzichten. Als Summe erscheint diese Zahl gar nicht einmal so hoch. Doch was es für den einzelnen Arbeitnehmer und seine Familie bedeutet, trotz geleisteter Arbeit keinen Lohn oder nur einen Teil zu bekommen, wissen wir alle. Es ist eben ein erheblicher Unterschied, ob ein Unternehmen als Gläubiger seine Lieferung nicht bezahlt bekommt oder ob ein Arbeitnehmer, der vielleicht noch nicht einmal Rücklagen bilden konnte, von heute auf morgen auf dem Trockenen sitzt. Immerhin mußte er seine Arbeitskraft ja im voraus zur Verfügung stellen, ohne Sicherheiten für die Bezahlung dieser Vorleistung erhalten zu können. Vorfälle in der jüngsten Zeit haben besonders deutlich gemacht, wie dringend notwendig die heute in erster Lesung eingebrachte Regelung ist.
Wir sind uns darüber klar, daß die Änderung der Konkursordnung allein nicht ausreicht. Auch wenn Lohnforderungen aus der Masse in Zukunft sofort realisiert werden können, so nützt das dem Arbeitnehmer dann nichts, wenn nicht mehr genügend Mittel vorhanden sind.
Die Konkursausfallsicherung bietet dagegen in jedem Fall die Gewähr, daß die Löhne der letzten drei Monate bezahlt werden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang, daß auf unbürokratische Weise eine schnelle Hilfe vorgesehen ist, und zwar zum Beispiel durch die Zahlung von Vorschüssen auf das Konkursausfallgeld. Dabei spielt es keine Rolle, ob und in welcher Höhe rückständige Lohnforderungen bei der späteren Abwicklung des Konkurses noch verwirklicht werden können.
Träger der Konkursausfallsicherung soll die Bundesanstalt für Arbeit werden. Gerade die Bundesanstalt ist mit ihrem ausgebauten Netz von Arbeitsämtern wohl auch am ehesten in der Lage, eine ortsnahe Auszahlung des Ausfallgeldes ohne zeitliche Verzögerungen zu gewährleisten.
Durch die Einschaltung der Berufsgenossenschaften für die Aufbringung der Mittel mit einem Umlageverfahren wird der Verwaltungsaufwand so gering wie nur eben möglich gehalten.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten stimmen der Regelung zu, die die Kosten der Lohnausfallversicherung - etwa 40 bis 60 Millionen DM jährlich - den Arbeitgebern überträgt. Wir hielten es nicht für vertretbar, die Gemeinschaft der Arbeitnehmer auch nur anteilig hiermit zu belasten, da diese ja bereits ihre Arbeitsleistung erfüllt haben und nicht auch noch zu dieser Vorleistung und dem Risiko ihres Arbeitsplatzes, das sie nach wie vor zu tragen haben, die Kosten für die Finanzierung dieses Risikoausgleichs übernehmen sollen.
Mit der Unterstützung dieses Gesetzesvorhabens durch die FDP stellen wir als Freie Demokraten erneut unter Beweis, wie ernst es uns um den Ausbau des freiheitlichen Sozialstaates ist. Wir werden uns für eine besonders zügige Beratung in den Ausschüssen einsetzen, damit dieses für alle Arbeitnehmer so wichtige Gesetz schnellstens in Kraft treten kann.
({0})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Rechtsausschuß - mitberatend -. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - So beschlossen.
Wir kommen damit zum dritten Zusatzpunkt:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller ({0}), Katzer, Dr. Blüm, Russe, Franke ({1}), Härzschel, Burger, Mick, Schröder ({2}), Orgaß, Dr. Götz, Ziegler, Zink und der Fraktion der CDU/CSU betr. Fernsehübertragungen der kommenden Fußballweltmeisterschaften
- Drucksache 7/1725 Wird das Wort zur Begründung begehrt? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Debatte hat Herr Abgeordneter Wende.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der Tatsache, daß die Antragsteller, die ich eigentlich hier im Fußballtrikot erwartet hatte, weil das ja die Publizität dieser Sache sicher in ihrem Sinne gesteigert hätte, nicht anwesend sind, werde ich mich sehr kurz fassen. Ich möchte aber doch eine Bemerkung eigentlich daran knüpfen, weil mir insofern etwas Bedenkliches vorzuliegen scheint, als ja auch mit diesem Antrag wieder von der CDU/CSU versucht wird auf die Programmgestaltung der Fernsehanstalten Einfluß zu nehmen. Ich halte das für außerordentlich bedenklich.
Mit dem vorliegenden Antrag soll doch nichts anderes als so eine Art soziale Fußballseele der Opposition dargestellt werden, abgesehen davon, daß sie sich offenbar bei der IG-Metall, die früher schon einmal ähnliches gefordert hat, einiges entliehen hat.
Wie man aber Einfluß auf die Fernsehprogramme nimmt, haben wir ja in diesen Tagen nicht nur bei der ARD erlebt. Auch Herr Ministerpräsident Kohl und seine Freunde betrachten das ZDF, wie Ereignisse aus den allerjüngsten Tagen zeigen, anscheinend immer mehr als ihren Selbstbedienungsladen.
Jeder Fernsehredakteur hätte ihnen bereits vor Monaten die Frage, die in dieser Drucksache gestellt wird, positiv beantworten können, ob es Vormittagsaufzeichnungen von Spielen der Fußballweltmeisterschaft 1974 gibt. Im Wechsel werden nämlich ARD und ZDF am folgenden Vormittag ein Spiel und eine Zusammenfassung oder ein Spiel des vorausgegangenen Tages senden. Mit solchen ausschließlich redaktionellen Programmgestaltungsfragen den Bundestag und die Bundesregierung zu befassen, halten wir für wenig sinnvoll.
Wir sind sicher, daß man in den Rundfunk- und Fernsehanstalten sehr genau weiß, daß auf die Gegebenheiten der berufstätigen Bevölkerung bei den Übertragungen der Spiele der Fußballweltmeisterschaft 1974 angemessen Rücksicht zu nehmen ist. Dies wird nach unserer Erfahrung ebenso zufriedenstellend wie bei den letzten Olympischen Spielen geschehen. Insofern halte ich also Ihren Antrag für überflüssig.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffie.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind der Stunde nicht mehr fern, daß Deutschland und die ganze Welt dem Fußballsport die Daumen hält. Schon heute klingt's auf allen Wegen :,,Ja, Fußball, das ist unser Leben." Und selbst bei der Opposition zog man den Nutzen schnell davon: Mit Antrag Siebzehn-Fünfundzwanzig macht populär man und bekannt sich, weil Carstens, Stücklen und so weiter sich sorgen um die Schichtarbeiter, die doch die Meisterschaft verschwitzen, wenn nachts sie an der Werkbank sitzen. Wobei man übersah noch rüde: Wer nächtens schafft, ist morgens müde! Doch Blüm und Zink, Orgaß und Russe, die kamen wieder nicht zum Schusse: Das Fernsehn selbst kam Euch zuvor, und wieder gab's ein Eigentor! Denn Wolfgang Mischnick war der Mann, der das vor langem schon ersann. ({0}) Euch hat ins Abseits nun getrieben, was Ihr ganz einfach abgeschrieben. Und die Moral von der Geschieht: Selbst mit dem Fußball schafft Ihr's nicht! So macht sich jeder seinen Vers. - Frau Präsident, das wär's!
({1})
Wird danach das Wort noch gewünscht? ({0})
Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Sportausschuß. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung und unserer Sitzung. Ich berufe das Haus auf nächsten Mittwoch, den 20. März, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.