Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/15/1974

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Die Sitzung ist eröffnet. Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat mit Schreiben vom 8. Februar 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Damm, Dr. Wörner, Dr. Marx, Haase ({0}), Frau Tübler, Wohlrabe und Genossen betr. Waffenexporte nach Chile - Drucksache 7/1616 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 711699 verteilt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 11. Februar 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Kroll-Schlüter, Frau Stommel und Genossen betr. Europäisches Jugendwerk - Drucksache 7/1608 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1684 verteilt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 12. Februar 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Meermann, Frau Filers ({1}), Frau Schlei, Frau Dr. Timm, Frau Dr. Lepsius, Liedtke, Frau Funcke, Groß, Frau Lüdemann und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst - Drucksache 7/1609 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1689 verteilt. Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. und 13. Februar 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat: Verordnung ({2}) des Rates betreffend die Anwendung der Wirtschaftsregeln und der Regeln über die Überwachung des Internationalen Kakaoabkommens von 1972 - Drucksache 7/1109 Verordnung ({3}) des Rates zur Erhöhung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs - Drucksache 7/1225 Verordnung ({4}) des Rates zur zeitweiligen Aussetzung von autonomen Zollsätzen des gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Waren - Drucksache 7/1226 Verordnung ({5}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Haselnüsse, frisch oder getrocknet, auch ohne äußere Schalen oder enthäutet, der Tarifstelle ex 08.05 G des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Türkei - Drucksache 7/1270 -Verordnung ({6}) des Rates über die Durchführung des Beschlusses Nr. 9/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Osterreich eingesetzten Gemischten Ausschusses zur Ergänzung und Änderung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung 1n" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen über die Durchführung des Beschlusses Nr. 9/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Island eingesetzten Gemischtten Ausschusses zur Ergänzung und Änderung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen über die Durchführung des Beschlusses Nr. 9/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Portugal eingesetzten Gemischten Ausschusses zur Ergänzung und Änderung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen über die Durchführung des Beschlusses Nr. 9/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Schweden eingesetzten Gemischten Ausschusses zur Ergänzung und Änderung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen über die Durchführung des Beschlusses Nr. 9/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingesetzten Gemischten Ausschusses zur Ergänzung und Änderung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen über die Durchführung des Beschlusses Nr. 7/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Norwegen eingesetzten Gemischten Ausschusses zur Ergänzung und Änderung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen - Drucksache 7/1274 Verordnung ({7}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Kolophonium, einschließlich „Brais résineux", der Tarifstelle 38.08 A des Gemeinsamen Zolltarifs - Drucksache 7/1300 Verordnung ({8}) des Rates zur Berichtigung von Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 zum Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Norwegen und zur Festlegung entsprechender Durchführungsbestimmungen - Drucksache 7/1275 - Verordnung ({9}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Grége, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnummer 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Seide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifs zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Schappeseide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.05 des Gemeinsamen Zolltarifs - Drucksache 7/1327 Beschluß des Assoziationsrates EWG-Griecheniand über die Anwendung von Artikel 8 des Assoziierungsabkommens auf die In den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hergestellten Waren Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({10}) Nr. 610/72 über die Anwendung von im Rahmen der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Griechenland erlassenen Vorschriften betreffend den Verkehr von Waren, die unter Verwendung von Waren aus dritten Ländern hergestellt sind, welche sich weder in der Gemeinschaft noch in Griechenland im freien Verkehr befanden - Drucksache 7/1243 Verordnung ({11}) des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die im Anhang I der Verordnung ({12}) Nr. 1025/70 zur Vizepräsident Frau Funcke Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus dritten Ländern aufgeführte Liste - Drucksache 7/1372 Verordnung ({13}) des Rates zur Eröffnung eines Zollkontingentes für Frühkartoffeln mit Ursprung in Zypern - Drucksache 7/1424 -Verordnung ({14}) des Rates zur vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in der Türkei - Drucksache 7/1447 Verordnung ({15}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosilizium mit einem Gehalt an Silizium von mehr als 75 Gewichtshundertteilen der Tarifstelle 73.02 C des Gemeinsamen Zolltarifs - Drucksache 7/1469 -Verordnung ({16}) des Rates zur Verlängerung der mit der Verordnung ({17}) Nr. 1253/73 getroffenen Einfuhrregelung für das Weinbauerzeugnis mit Ursprung in und Herkunft aus Zypern, das unter der Bezeichnung „Cyprus sherry" ausgeführt wird, sowie der Beihilferegelung für gleichartige Weinbauerzeugnisse, die In der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung erzeugt und nach Irland und dem Vereinigten Königreich ausgeführt werden - Drucksache 7/1529 - Verordnung ({18}) des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Finnland sowie zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zu diesem Abkommen über die im Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Finnland vorgesehenen Schutzmaßnahmen - Drucksache 7/1288 Überweisung von Zollvorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen: Einunddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksache 7/1640 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig zum Plenum am 15. Mai 1974 Überweisungen von EG-Vorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Verordnung ({19}) des Rates über die Gemeinschaftsfinanzierung der Ausgaben für die Lieferung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe - Drucksache 7/1604 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nebelscheinwerfer für Kraftfahrzeuge - Drucksache 7/1605 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Verfahren für die Überführung von Waren in den zollrechtlichen freien Verkehr - Drucksache 7/1606 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts reditzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({20}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({21}) Nr. 922/72 über die Grundregeln für die Gewährung der Beihilfe für Seidenraupen - Drucksache 7;1607 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Erstes Programm der Gemeinschaft zur Unterrichtung und zum Schutz der Verbraucher - Drucksache 7/1610 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({22}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates betreffend die Verlängerung der Frist für die Inkraftsetzung der Richtlinie des Rates Nr. 72/160/ EWG zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und der Verwendung der landwirtschaftlich genutzten Fläche für Zwecke der Strukturverbesserung vom 17. April 1972 im Königreich Dänemark - Drucksache 7/1611 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die vorstehenden Außenkanten - Drucksache 7/1612 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über eine Regelung des Handels mit Verarbeitungserzeugnissen aus Obst und Gemüse mit Drittländern - Drucksache 7/1629 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richlinie des Rates zur Ergänzung der Richtlinie Nr. 71/286/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die von den Mitgliedstaaten durchzuführenden statistischen Erhebungen zur Ermittlung des Produktionspotentials bestimmter Baumobstanlagen - Drucksache 7/1630 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie ({23}) des Rates zur Abänderung der Richtlinien, mit denen die Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen festgelegt wurden - Drucksache 7/1637 -überwiesen an den Innenausschuß ({24}), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Entscheidung des Rates über den innergemeinschaftlichen Handel mit Erdöl und Erdölerzeugnissen Entscheidung des Rates über die Ausfuhr von Erdölerzeugnissen nach Drittländern Empfehlung des Rates an die Mitgliedstaaten betreffend die Aufrechterhaltung und Harmonisierung der Maßnahmen zur freiwilligen Beschränkung des Energieverbrauchs in der Gemeinschaft Entscheidung des Rates über die von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Maßnahmen zur konzertierten und harmonisierten Einschränkung des Verbrauchs von Erdölerzeugnissen Beschluß des Rates über die Einsetzung eines Energieausschusses Verordnung des Rates betreffend die für die Aufstellung einer umfassenden Energiebilanz für die Gemeinschaft bestimmten Informationen - Drucksache 7/1638 - überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung EWG) des Rates zur Änderung einiger Verordnungen über die Finanzierung der Interventionen des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie - Drucksache 7/1639 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Europäische Kooperationsvereinigung ({25}) - Drucksache 7/1644 überwiesen an den Rechtsausschuß ({26}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Vorschlag der Kommission an den Rat betreffend die Festsetzung der Preise für verschiedene landwirtschaftliche Erzeugnisse und bestimmte im Memorandum über die Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik genannte Maßnahmen - Drucksache 7,1647 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({27}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts reditzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Vizepräsident Frau Funcke Verordnung ({28}) des Rates zur Änderung der Verordnungen ({29}) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf die Arbeitnehmer und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern - Drucksache 7/1648 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie ({30}) des Rates betreffend Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten - Drucksache 7/1649 überwiesen an den Innenausschuß ({31}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({32}) des Rates zur Festsetzung für das Jahr 1974 der mengenmäßigen Ausfuhrkontingente der Gemeinschaft für bestimmte Aschen und Rückstände von Kupfer sowie für bestimmte Bearbeitungsabfälle und bestimmten Schrott aus Kupfer, Aluminium und Blei - Drucksache 7/1653 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte mit Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Rückstrahler für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger - Drucksache 7/1654 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie ({33}) des Rates zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in der Lebens-Direktversicherung - Drucksache 7/1655 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Brennstoffen bei den Wärmekraftwerken zu halten - Drucksache 7/1656 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte uns Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen - Drucksache 7/1669 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Ratsbeschluß über die Beteiligung des Europäischen Sozialfonds an Maßnahmen zugunsten der im Schlafbau Beschäftigten - Drucksache 7/1672 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({34}) des Rates zur Anwendung der Verordnung ({35}) Nr. 1055/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über die Mitteilung der Einfuhr von Kohlenwasserstoffen an die Kommission auf die Erdölerzeugnisse der Tarifstellen 27.10 A, B, C I und C II des Gemeinsamen Zolltarifs über ein gemeinschaftliches und vorübergehendes System der Überwachung der Preise für Erdölerzeugnisse - Drucksache 7/1673 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Wir fahren in der Aussprache über den Tagesordnungspunkt 2 fort: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland -Drucksache 7/1481 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({36}) Innenausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1974 - Drucksache 7/1670 -Überweisungswunsch: Rechtsausschuß ({37}) Innenausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Das Wort hat Herr Bundesminister Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hatte ursprünglich vorgeschlagen, diese Debatte am Reichsgründungstag zu führen. Ich habe das für einen sehr interessanten Vorschlag gehalten, weil man sich fragen konnte, ob die CDU diesen Tag nutzen wollte, um von Bismarck zu lernen, sei es von seinem außenpolitischen Realismus, sei es von seinen innenpolitischen Fehlern. Eine kurze Überlegung hat mir dann natürlich gezeigt, daß wir in der Außenpolitik nichts zu erwarten haben; denn der von Herrn Kollegen Barzel unternommene Versuch, die Opposition von den Restbeständen an Wilhelminismus in ihrem Denken, an Realitätsferne und Überheblichkeit wegzuführen, ist ja in seiner eigenen Partei gescheitert und hat zu seiner Ablösung geführt. Daß es unter denjenigen besser werden würde, die ihn abgelöst haben, den Herren Carstens und Strauß, war nicht zu erwarten, wobei die Abstimmung in ihrer Fraktion über den Atomwaffensperrvertrag noch einmal gezeigt hat, daß Herr Strauß der Koch und Herr Carstens der Kellner ist. Auf außenpolitischem Gebiet kann man also eigentlich nur hoffen, daß nicht wieder eine Rückkehr zu dem Mißbrauch stattfindet, den wir schon oft von Ihnen erlebt haben, daß nämlich die Leiden der Teilung Deutschlands für das parteipolitische Geschäft mißbraucht werden. ({0}) Es bleibt also die Frage, ob Sie innenpolitisch aus den Fehlern Bismarcks lernen wollen. Sie wissen, daß es große deutsche Geister gegeben hat, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Max Weber hat die Klage einmal dahin zusammengefaßt, Bismarck habe das deutsche Volk und vor allen Dingen das deutsche Bürgertum ohne politische Erziehung gelassen, und die Mischung von Obrigkeitsstaat und Rechtsstaat, wie sie für die deutsche Entwicklung typisch war, habe zu einem verkürzten Freiheitsverständnis des deutschen Bürgertums geführt. Die Geschichte des deutschen Bürgertums ist ohne diesen Widerspruch von 1848 und 1871 nicht zu verstehen, einschließlich der verhängnisvollen Verfolgung des demokratischen Sozialismus und des politischen Katholizismus im Bismarck-Reich. Über diese Fragen, meine Herren von der Opposition, ist übrigens nach 1945 auch von Ihnen mehr gesprochen worden, als 1974 davon gesprochen wird. Wir dürfen ja nicht vergessen, daß wir das Grundgesetz nicht nur im formalen Sinne gemeinsam beschlossen haben, sondern daß damals, als die CDU noch auf dem Boden des Ahlener Programms stand, eben auch in der Sache größere Gemeinsamkeit vorhanden war. Dabei nehme ich den föderativen Aufbau des Grundgesetzes aus, der ja dazu geführt hat, daß die CSU diesem Grundgesetz, dessen Vierteljahrhundert-Jubiläum wir in diesem Jahr feiern, nicht zugestimmt hat. Ich glaube, auch Sie werden zugeben: daß dieser Staat mit seiner Finanzverfassung und in den Bundeskompetenzen überhaupt handlungsfähig ist, verdankt er den Sozialdemokraten unter Kurt Schumacher. ({1}) Wie gesagt, die Zeit des gemeinsamen Beschlusses des Grundgesetzes war die Zeit Ihres Ahlener Programms. Eines der Probleme in der heutigen Verfassungsdebatte besteht darin, daß der Weg der CDU nach 1945 ein steter Weg nach rechts gewesen ist. ({2}) - Das meine ich keineswegs ganz allgemein, Herr Heck; sonst hätte ich nicht immer noch persönliche Freunde auch in Ihren Reihen. Aber, Herr Heck, da Sie so empört sind, darf ich Ihnen das einmal an einem Beispiel zeigen. 1946 schrieb Ferdinand Friedensburg, sicher ein konservativer Vertreter der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, in seinem Buch über die Weimarer Republik über die Ermordung von Rosa Luxemburg folgendes: Das Ende von Rosa Luxemburg beraubte das deutsche Volk einer Persönlichkeit von hohem geistigen und sittlichen Rang. So schrieb ein konservativer Vertreter der CDU im Jahre 1946. Wenn wir im Jahre 1974 eine RosaLuxemburg-Marke herausbringen, erklärt Herr Stücklen: der Postminister, der das tue, marschiere im Geiste bei der SED mit. Wenn das nicht für den Weg symbolisch ist, den die CDU/CSU in den letz, ten 25 Jahren genommen hat! ({3}) Das Ironische dabei ist, Herr Heck, daß Herr Stücklen das, was er mir hier unqualifiziert vorwirft, selber tut. Er selber hilft der SED mit dieser Bemerkung, diese Frau für sich in Anspruch zu nehmen. Da Sie im Gegensatz zu Richard Stücklen sicher ihre Schriften kennen und wissen, mit welcher Schärfe sie sich über die russischen Bolschewisten geäußert hat, wissen Sie auch, was sie über diese SED sagen würde. Sie würde vielleicht in ihr die Traditionen des obrigkeitsstaatlichen Bürokratismus in diesem Lande wiederentdecken, aber sicher nichts von dem Sozialismus, wie sie ihn selbst verstand. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist doch nun sicher auch kein Zeichen gegen eine Bewegung nach rechts, daß für Sie in dieser Verfassungsdebatte ausgerechnet Ihr rechter Flügelmann - ich glaube, er versteht sich selbst so - Alfred Dregger sprach. Gestatten Sie mir hier eine persönliche Anmerkung: Seine Rede hat mir allerdings in einem geholfen. Ich bin kürzlich von einer Zeitung gefragt worden, was ich von Alfred Tetzlaff halte, weil er mich in seiner Fernsehsendung neulich so zwischengenommen hat. Ich habe geantwortet, eigentlich hätte ich mir noch kein festes Urteil gebildet, weil manche meiner Freunde die Sendung ganz hervorragend und manche meiner Freunde die Sendung ganz schlimm fanden. Nachdem ich gestern Alfred Dregger zugehört habe, bin ich aber zu einem Urteil gekommen. Ich finde Alfred Tetzlaff - verglichen mit Alfred Dregger - eigentlich ganz sympathisch, ({5}) vor allem deshalb, weil er unverblümt und unverstellt sagt, was er eigentlich meint. Nun möchte ich mich hier nicht mit Alfred Dregger beschäftigen. Ich möchte vielmehr dem Vorbild meines früheren Freiburger Kollegen, des bayerischen Kultusministers Hans Maier, folgen, der hier gestern eine sehr beachtenswerte Rede gehalten hat, mit der ich natürlich keineswegs in allen Punkten übereinstimme, in der aber doch der Versuch gemacht wurde, einmal die gemeinsame Problematik für beide Parteien zu zeigen. Ich will nun einmal umgekehrt so verfahren und sagen: Der Weg der CDU/CSU nach rechts war natürlich auch in vielem geschichtlich bedingt, unter anderem dadurch, daß man in einem Land Politik machen und regieren mußte, das zwölf Jahre Hitler hinter sich hatte. Deswegen sind sicher manche Kompromisse geschlossen worden, vielleicht mußten sie geschlossen werden, die - hierin liegt auch ein Grund für die Unruhe der Jugend - von der nachfolgenden Generation mit Recht nicht akzeptiert werden. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn wir heute über Verfassung reden, dürfen wir aber auch nicht vergessen, in welch zynischer Weise von Adenauer, der sonst ein großer Mann war, zum Teil mit der Verfassung in diesem Lande umgegangen worden ist: ({6}) ob es das Bund-Länder-Verhältnis war - ich erinnere nur an den Fernsehstreit -, ob es das schlimme Spiel mit dem Bundespräsidentenamt war, im Übergang von Adenauer zu Erhard, ob es der schlimme Versuch der Verschiebung der Gewichte vom Parlament zur Exekutive in den ersten Notstandsentwürfen war - Herr Schröder sagte damals, der Notstand sei die Stunde der Exekutive; es hat lange gedauert, bis die Rechte des Parlaments dann wieder zur Geltung gebracht wurden - oder ob es um die Grundrechte ging, die im SpiegelProzeß zum Cour célèbre einer die Verfassung nicht achtenden Politik der Unionsparteien geworden sind. Daß die sozialliberale Koalition mit den Jahren so viel Zustimmung im Volke gefunden hat, beruht doch unter anderem darauf, daß die Menschen dieses Landes den zynischen Umgang mit der Macht und mit der Verfassung durch die Unionsparteien satt hatten. ({7}) Da dies so ist, müssen Sie verstehen, wenn wir etwas erheitert zur Kenntnis nehmen, daß ausgeBundesminister Dr. Ehmke rechnet Sie uns heute ein schiefes oder problematisches Verhältnis zur Verfassung unterstellen wollen. ({8}) - Herr Heck, dann kam die Große Koalition. Sie hatte erhebliche pädagogische Wirkungen auf die Union. Wir haben uns z. B. - Ausgangspunkt war dabei der Spiegel-Prozeß - hingesetzt und das Staatsschutzrecht reformiert. Das war eine gemeinsame Leistung, an der auch Herr Güde wesentlich beteiligt war. Damals gab es Kollegen unter Ihnen - z. B. Herrn Jaeger -, die der Meinung waren: Ihr geht viel zu weit. Ihr dürft das Staatsschutzrecht nicht so abbauen; es müßte viel härter sein. ({9}) - Aber, Herr Vogel, Sie sind voreilig. Wir haben in der Großen Koalition damals zusammen mit dem liberalen Teil der CDU die Reform gemacht. Die Konservativen, der rechte Flügel von Ihnen, war dagegen. Gucken Sie einmal, jetzt passiert etwas ganz Seltsames. Jetzt sind Sie eines Tages nicht mehr mit in der Regierung. Jetzt wird eine Außenpolitik gemacht, die Ihnen nicht paßt, und jetzt findet die Veröffentlichung von Dokumenten statt, von der keine Frage ist, daß sie unter diese liberalisierten, Ihrem rechten Flügel nicht weit genug gehenden Staatsschutzbestimmungen fällt. Ich habe von der CDU nichts dahin gehend gehört, daß sie sich energisch dagegen verwahrt hätte. Ja, dieser Tage haben Sie einen Kommentar über einen Journalisten gemacht, der damals Material in dieser Frage an die Staatsanwaltschaft gegeben hatte. Ich habe nicht vernommen, daß Sie da aufgestanden wären und gesagt hätten: Jawohl, der Staat muß geschützt werden; es geht nicht an, daß so in seine Geheimnissphäre eingebrochen wird. Es war alles nicht mehr wahr. ({10}) - Ach, Herr Heck! Die CDU ist für mich auf diesem Gebiet so lange unglaubwürdig, solange es z. B. in Fragen des Staatsschutzes für Sie immer nur der CDU-Staat ist, der diesen Schutz verdient. ({11}) Jemand, der kein Sozialdemokrat ist, nämlich der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Paul Frank, hat am 9. August 1971 einen Artikel zu dieser Frage im Bulletin geschrieben, den ich Ihrer Erinnerung empfehle. Meine Herren, es war aber nicht nur so, daß wir zu Ihren Regierungszeiten einen ständig leichtfertigen Umgang mit der Verfassung erlebt haben. Es war auch so, daß die CDU mitverantwortlich für das ist, was der verstorbene Adolf Arndt, dessen das Hohe Haus gestern morgen gedacht hat, „das nichterfüllt Grundgesetz" genannt hat. Der Auftrag für ein Parteiengesetz stand seit 1949 im Grundgesetz. Erst in der Großen Koalition, 1967, ist dieser Auftrag erfüllt worden. Das gleiche gilt für das Recht der außerehelichen Kinder. Sie nennen sich eine christliche Partei. Aber was auf dem Gebiet des Außerehelichenrechts passiert ist, hatte damit nichts zu tun, sondern da waren Sie eine Partei zur Erhaltung bürgerlicher Vorurteile gegen unterprivilegierte Menschen in diesem Land, ({12}) und das nicht nur gegen den Geist, sondern gegen den ausdrücklichen Auftrag der Verfassung. Es bedurfte des ersten sozialdemokratischen Justizministers, unseres heutigen Bundespräsidenten, um das in Ordnung zu bringen. Das gilt erst recht - es ist gestern schon gesagt worden - für die Sozialstaatsverfassung. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin ein Zitat verlesen, dem ich voll zustimme; es lautet: Man sollte wirklich die Verfassung nicht nehmen als Abwehrinstrument in erster Linie gegen Verfassungsfeinde, sondern eben als Auftrag, selbst die Gesellschaft zu gestalten und vor allem eines zu gestalten und zu verändern, nämlich die große Lücke, die nach wie vor besteht zwischen dem Anspruch der Verfassung auf der einen Seite und der Verfassungswirklichkeit auf der anderen Seite. Dies hat jetzt der Vorsitzende der Jungen Union, Herr Wissmann, gesagt. Von diesem Verfassungsverständnis sind Sie bisher nicht geleitet gewesen, egal, ob es um Fragen der Betriebsverfassung, der Mitbestimmung, des Bodensrechts, der Städteentwicklung, des Umweltschutzes, der Vermögensbildung, der Steuerreform oder der Bildungsreform ging. ({13}) Herr Heck, ich denke noch daran, wie lange Sie über die katholische Kirche hinaus die Konfessionsschulen in diesem Lande als hohes Prinzip verteidigt haben, und ich erinnere mich auch noch der Nacht, wo in Baden-Württemberg die Große Koalition gebildet wurde und dieses hehre Prinzip in zwei Minuten weg war, damit man zur Koalition kam. ({14}) Aber über diesen Mangel an Entwicklung der Verfassung, an Erfüllung seines Auftrag hinaus gibt es auch noch etwas anderes, nämlich den Versuch, das Grundgesetz reaktionär auszulegen und auf diese Weise zu mißbrauchen. Sie tun immer wieder so, als ob das Gundgesetz eine bestimmte Wirtschaftsordnung garantiere. Das ist nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen die einhellige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ({15}) und zwar nicht nur was Art. 15 GG betrifft. Ich muß schon sagen: Was gestern hier der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg an Unkenntnis auf diesem Gebiet produziert hat, war erschreckend. ({16}) Ich stelle als baden-württembergischer Bundestagsabgeordneter mit Entsetzen fest: Wir haben einen Ministerpräsidenten, den man wohl als „Reaktionär im öffentlichen Dienst" bezeichnen muß. Ich will allerdings auch ihm gegenüber bei der Linie bleiben, daß man im wesentlichen mit Diskussionen weiterkommen sollte. Ich habe daher meinem Kollegen Eppler nach der gestrigen Debatte empfohlen, Herrn Filbinger nicht nur ein Exemplar des Godesberger Programms, sondern auch ein Exemplar des Grundgesetzes zu schicken, damit er sich einmal ansehen kann, was eigentlich in Art. 14 und Art. 15 steht. ({17}) - Ja, meine Herren, diese Einschränkung der Verfassung durch den Versuch, bestimmte wirtschaftliche Positionen abzusichern, die nicht durch die Verfassung gesichert sind, ist ein verfassungswidriges Verfassungsverständnis und als solches nicht besser als eines, das die Verfassung pneumatisch aufzuweichen sucht. ({18}) Wenn ich jetzt einmal zu den Auseinandersetzungen mit den Jungsozialisten kommen darf, so müssen Sie bei dem Gummibegriff „Radikalität" zunächst einmal sehr sauber unterscheiden: Will man die politische Ordnung ändern oder will man die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ändern? Die Jungsozialisten machen keinen Hehl daraus: Sie wollen die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ändern; damit befinden sie sich in Übereinstimmung mit dem Godesberger Programm und auch mit dem Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes. Es wäre gut, Herr Dregger, wenn Sie schon den Münchener Kongreß zitieren, wenn Sie auch zitiert hätten, was dort über Freiheitswerte, die Informationsfreiheit, den Pluralismus, die Nichteinparteienherrschaft usw. gesagt worden ist, und zwar auch in sehr deutlicher Abgrenzung gegen die unfreiheitlichen Systeme im Osten. Es wäre sehr gut, wenn Sie das auch nennen und mit diskutieren würden. ({19}) - Ich komme noch auf die Investitionslenkung. Sie wollen doch nicht erzählen, daß die verfassungswidrig ist!? Sie wollen eine Verfassungsauslegung, die so aussieht, daß sich der Staat gegenüber den Kapitalinteressen überhaupt nicht mehr bewegen kann, und meinen, das sei konform mit der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes. ({20}) Und gucken Sie mal, wenn Sie die Kritik aufnehmen: Ich bin gegen jedes imperative Mandat. Es gibt übrigens auch gar keinen Beschluß der Jungsozialisten dazu. ({21}) - Es gibt keinen, Herr Vogel. Zeigen Sie ihn mir. Es gibt aber etwas anderes: Es gibt nämlich auf der einen Seite die Ablehnung des imperativen Mandats; aber auf der anderen Seite muß es dann auch geben die Ablehnung des zum Teil recht zynischen Umgangs mit Mandaten, mit dem Willen des Wählers und auch mit Parteitagsbeschlüssen. Das ist die andere Seite der Medaille. ({22}) Wenn wir es auch mit Art. 21 des Grundgesetzes ernst nehmen, der den Parteien bei der Willensbildung eine wichtige Rolle zuweist, kann man das nicht einfach von der Hand weisen, als ob das keine Frage sei. Es gibt auch andere Dinge. Sehen Sie mal: Wir müssen uns doch selbst überlegen, wieviel Handlungsfähigkeit diese Regierung und wieviel Handlungsfähigkeit dieses Parlament haben, mit den Problemen dieses Landes fertig zu werden. Was haben Sie über die Jungsozialisten gesagt, als sie das Problem der multinationalen Konzerne aufbrachten? Was haben Sie alles gesagt? Ich nehme an, die Ölkonzerne, von denen wir ja noch gar nicht wissen, was sie alles gemacht haben, werden Sie inzwischen belehrt haben, daß hier wenigstens ein Problem liegt. Man soll doch nicht immer versuchen, Probleme, weil sie einem unangenehm sind, wegzuschieben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Nicht von Herrn Müller. ({0}) - Stellen Sie doch eine Frage, Herr Kollege, statt zu schreien. Bitte. ({1}) Nun möchte ich mich an die gestern ausgesprochene Ermahnung von Hans Maier halten, der gesagt hat, man müsse doch auch die andere Seite sehen und man dürfe hier nichts verniedlichen. Ich verniedliche nichts. Meine Herren von der Opposition, es ist gar keine Frage: In der Diskussion unter den jungen Leuten, in der Diskussion auf dem linken Spektrum unserer Politik, auch in der Diskussion bei den Jungsozialisten, werden Meinungen vertreten, die ich nicht billigen kann, die ich nicht für vereinbar halte mit den Grundvoraussetzungen des demokratischen Sozialismus. Es ist ein weiter Weg von der kritischen Befragung der Handlungsfähigkeit des Staates zu einer simplen Theorie, der Staat sei doch nur die Agentur der Monopole; in der ganz einfachen Form wird das allerdings selbst von den extremen Gruppen der Jungsozialisten noch nicht einmal vertreten. Aber das gibt es und daher muß man sich damit auseinandersetzen. Daraus mache ich gar kein Hehl. Ich mache auch kein Hehl daraus, daß in bezug auf die Verletzung des Gesetzes und der Gewalt in diesem Lande nicht alles in Ordnung ist. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Ich möchte nun allerdings auch nicht in die Pose von Herrn Filbinger verfallen, der sich - ich muß sagen: in einer unBundesminister Dr. Ehmke gewöhnlichen Weise - hier als Ministerpräsident eines Landes hingestellt hat, um über die Zustände in anderen Ländern und im Bund zu urteilen. Der soll sich um sein eigenes Land kümmern. ({2}) Darum bleibe ich beim Bund. Sicher waren wir, als der Bombenterror mit Baader-Meinhof losging, nicht ausgerüstet - zum Teil auf Grund Ihrer früheren Versäumnisse damit fertig zu werden. Aber Sie werden doch wohl zugeben - ein Verdienst unseres Kollegen Genscher -, daß wir die Zeit seitdem genutzt haben. Die Aktionen der letzten Tage haben gezeigt, wie sehr unsere Schlagkraft und die Kooperation von Bund und Ländern gewachsen sind, mit solchen Terrordingen fertig zu werden. ({3}) Ich habe in APO-Zeiten gesagt - ich bin von dieser Meinung nicht abgewichen; ich wiederhole sie -: Gesetz ist Gesetz; wir dürfen weder Gewalt noch irgendeine Gesetzesverletzung dulden. Ich mache dabei auch keinen Unterschied zwischen der Gewaltanwendung gegen Personen und der Gewaltanwendung gegen Sachen. Einen Unterschied macht das Gesetz selbst, aber in bezug auf die Anwendung des Gesetzes kann es keinen Unterschied geben. Es ist zuzugeben, daß es hier Probleme gibt. Kein Mensch behauptet, daß die Zustände an den Universitäten alle in Ordnung sind, am allerwenigsten diejenigen, die sehen, wie die Reformergruppen in den Universitäten immer in der Gefahr sind, eingeschnürt zu werden zwischen Radikalinskis auf der einen Seite und unbeweglichen Konservativen auf der anderen Seite. Natürlich gibt es hier Probleme, und kein Mensch bestreitet das. Das möchte ich Hans Maier hier noch einmal sagen. Es hat aber keinen Zweck, es sich damit so einfach zu machen, wie es ein Teil von Ihnen tut. Ich glaube, daß es von der CDU falsch wäre zu meinen, dieser große Veränderungsdruck, der in unserer Gesellschaft da ist, würde abnehmen. Ich bin der Meinung, es wäre richtiger, die CDU entwikkelte sachlich-politische Alternativen zu unserer Reformpolitik, statt den Versuch zu machen, auf der Welle der Angstreaktionen zu schwimmen, die natürlich gegenüber dem stärker werdenden Veränderungsdruck in dieser Gesellschaft zunehmen werden. Es ist völlig richtig, und das gebe ich zu - ich glaube, Herr Dregger hat es gesagt, aber auch von unserer Seite wurde darauf hingewiesen , daß in diesem Land die Gefahr einer ganz starken Polarisierung besteht. Wir müssen hier auch zugeben ich weiß nicht, ob es Herr Dregger war, der mich gestern insoweit zitierte , daß der Problemdruck größer wird als unsere Möglichkeit, Probleme zu lösen. Nur: Das sollte die CDU nicht zum Anlaß von Kritik nehmen, denn den großen Stau dieser Probleme hat sie zu verantworten. ({4}) Wir sind der Meinung: Es hat keinen Zweck, diese Probleme so lösen zu wollen, daß man auf das kochende Wasser - auch auf der linken Seite wird mit Wasser gekocht - den Deckel hält. Das kann doch nur zum Druck und zur Explosion führen. Das Problem ist, die Flamme unter dem Wasserkessel wegzukriegen. Das heißt, die Probleme zu lösen, vor denen dieses Land steht. ({5}) Sehen Sie, meine Herren, ich sage auch das hier ganz offen: Natürlich ist die Reformpolitik nicht so gelaufen, wie wir das gedacht haben. ({6}) - Das ist doch wieder nicht wahr. Warum so einseitig? Ich sage Ihnen: Sicher haben wir in vier Jahren Regierungszeit gelernt, daß es schwieriger ist, in diesem Lande etwas zu verändern, als wir uns das in unseren Jugendträumen gedacht haben. Warum sollte man das nicht zugeben? Natürlich ist das so. Ich sehe eine ganz andere Gefahr. Wir haben noch nicht diejenigen Probleme gelöst, die Sie uns aus Ihrer Regierungszeit hinterlassen haben, und schon kommen ganz andere Probleme noch größerer Dimension auf uns zu: Krise des Weltwährungssystems, Energiekrise, Industriestruktur, Weltwirtschaftssystem. Natürlich sehen wir das. Ich weiß gar nicht, warum das für Sie ein Grund zum Lachen ist, wenn ich von den Problemen spreche, vor denen dieses Land stehen wird. Die Probleme, die sich aus der Energiekrise ergeben, sind noch gar nicht ausgelotet. ({7}) - Wenn uns jemand in die Energiekrise hineinmanövriert hat, dann eine CDU-Regierung, die der Marktwirtschaft nachgelaufen ist. Das ist doch kindisch, Probleme, die von außen auf uns zukommen, so zu behandeln. Lassen Sie das doch! ({8}) Wenn man Sie hört, dann hat man den Eindruck, Sie wissen, daß Sie überhaupt nicht fertig würden mit den Problemen, die wir heute schon haben, und daß Sie deshalb sehr froh sind, daß wir weiter in diesem Land regieren. Und dabei soll es auch bleiben! ({9}) Über die Punkte, an denen Sie allergisch werden, wenn die Jungen, aber auch andere, fragen, was der Markt eigentlich bringt, etwa auf dem Energiesektor, muß man in Wirklichkeit in Ruhe reden. Ist es nicht so, daß das, was dieses Land braucht, das Geltendmachen von gesamtgesellschaftlichen Interessen gegenüber den reinen Marktmechanismen ist? Sollte das kein Thema sein, über das Sie selbst mit nachdenken? Und wie ist es mit den Wahlen? Es gibt zwei Arten von Kritik. Die einen sagen, alle vier Jahre Wahlen sei zuviel, wie könne man dann mit einem Parlament und einer Regierung, die unter dem ständigen Druck der Interessen stünden, überhaupt eine langfristige Planung und Politik betreiben. Die anderen sagen: Alle vier Jahre Wahlen ist ja viel zuwenig; wir müssen mehr Beteiligung des Bürgers haben. Das sind doch kritische Fragen, die wir ernst nehmen und über die wir nicht nur grinsen sollten. Es gibt ja glücklicherweise auch bei Ihnen viele - ich komme noch darauf -, die das ernst nehmen. Eine der besten Arbeiten - wenn ich das sagen darf - zu diesem ganzen Problem, Herr von Weizsäcker, ist Ihr zweiter Bericht der CDU-Grundsatzkommission über die Arbeit an einem Grundsatzprogramm, die Sie für den Hamburger Parteitag vorgelegt haben. Ich darf mich vor dieser Leistung verbeugen und muß sagen: Wenn die CDU eine Partei wäre, die dieses Programm annimmt und an diesem Programm arbeitet, würden wir in diesem Hause nicht diese Debatten führen, die wir jetzt wieder seit einem Jahr führen, sondern wir würden Debatten darum führen, wie wir gemeinsam mit den Problemen dieser Gesellschaft am besten fertig werden. ({10}) - Meine Herren, ich höre aus Ihren Bemerkungen: Sie haben Herrn von Weizsäcker noch nicht gelesen. Herr von Weizsäcker wird mir erlauben, daß ich einiges zitiere. In diesem Papier steht: Der fortschreitende Konzentrationsprozeß in unserer Wirtschaft verstärkt bestehende Ungleichgewichte. Die Unterschiede dürfen nicht unter mißbräuchlicher Verwendung des Gedankens der sozialen Partnerschaft verharmlost und verleugnet werden. Wenn man den Hamburger Parteitag verfolgt hat, muß man sagen: sehr richtig! Oder, was die selbstkritische Einschätzung der Unionsparteien angeht - Zitat -: Die CDU kann die soziale Herausforderung unserer Zeit nicht mit bloßen Appellen beantworten. Und weiter unten heißt es: Wir - gemeint sind die Unionsparteien -haben uns in der Vergangenheit zuweilen in den Verdacht bloßer Gruppenpolitik gebracht und die wirtschaftliche Leistung überbetont. Und weiter: Die CDU ist an den Mängeln und Zweifeln im Staatsverständnis nicht unbeteiligt. Wir haben kein klares Bild vom Staat entwickelt. ({11}) Das ist richtig, Herr von Weizsäcker; diese Feststellung ehrt Sie. Sie steht nur im Widerspruch zu der Selbstgewißheit, mit der Sie meinen, uns hier beibringen zu können, was ein Staat und was eine Verfassung ist. ({12}) Es ist auch sehr interessant, einmal auf die programmatischen Bemühungen der CDU einzugehen. Hier machen Sie eine große Verfassungsdebatte, und auf der anderen Seite findet ein ganz anderer Prozeß statt: Sie sind nämlich dabei, Godesberg nachzuarbeiten. ({13}) - Es tut mir leid, Herr von Weizsäcker, feststellen zu müssen, daß Ihre Kollegen Ihren Bemühungen offenbar mit viel geringerer Aufmerksamkeit folgen, als wir das tun. Was in der Grundsatzkommission passiert, ist die Übernahme des Godesberger Programms. Schon im ersten Entwurf der Grundsatzkommission stand ja, die drei Grundwerte der CDU seien die drei Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. So fängt bekanntlich das Godesberger Programm an. ({14}) - Herr Kiesinger, auf die Interpretation komme ich noch; Sie kennen mich doch. ({15}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie so nervös sind, wenn ich Herrn von Weizsäcker lobe. ({16}) Ich muß zunächst einmal sagen: Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß wir offenbar mit dem Godesberger Programm Ihren Überlegungen so weit voraus waren, daß Sie nun, nach so vielen Jahren, das nacharbeiten müssen. Darauf sind wir stolz. ({17}) Nun komme ich auf die Interpretation, Herr Kiesinger. Ich darf hier etwas sagen, was ich schon bei anderer Gelegenheit gesagt habe. Herr von Weizsäcker, wenn Sie sagen, Freiheit und Verantwortung müßten zusammen betrachtet werden, so ist das natürlich richtig. Aber sagen Sie das bitte doch einmal denjenigen Besitzenden in unserem Lande, die ihre Freiheit für Steuerflucht, Grundstücksspekulation, Subventionsschwindel und ausgekochte Wirtschaftsverbrechen mißbrauchen ({18}) und aus der Sozialbindung des Eigentums ausbrechen, wann immer sie nur können! Und noch besser wäre es, wenn Sie es diesen Herrschaften nicht nur sagten, sondern mit der SPD zusammen etwas dagegen täten. ({19}) Natürlich ist es so, Herr von Weizsäcker, daß ein Zusammenhang besteht zwischen Gerechtigkeit und Leistung. Sie könnten z. B. auf dem Gebiet der Reform des Bodenrechts diese Einsicht praktisch werden lassen, indem Sie mit dazu beitragen, daß Grundstücksspekulanten nicht - wie zu CDU-Regierungszeiten - enorme Gewinne ohne eigene Leistung auf Kosten der Gemeinden und der Mieter machen. ({20}) Dabei gebe ich zu, daß ja der Vorstand in Hamburg probiert hat, die Partei auf diesem Gebiet etwas vorwärtszubringen. Nur ist der Hamburger Parteitag dem Vorstand da leider nicht gefolgt. ({21}) - Herr Müller, es ist interessant, daß Sie für die Politik eigentlich immer nur dann Interesse haben, wenn es um Korruptionsgeschichten geht. ({22}) Ich finde es sehr interessant, daß auf den Ruf „Bodenrecht", das uns alle beschäftigt, Herrn Müller nichts einfiel als der „Steglitzer Kreisel". Das finde ich wirklich interessant, Herr Müller. Ein bißchen weiter muß man bei den Problemen dieser Gesellschaft schon denken. ({23}) Herr von Weizsäcker, Chancengleichheit und Solidarität ja, aber Sie haben die Solidarität nicht nur den außerehelichen Kindern jahrelang vorenthalten, sondern jahrelang auch all den Gruppen, die - wie z. B. die katholischen Kinder - vom geltenden Bildungsrecht diffamiert werden. Herr von Weizsäcker, wenn Sie sagen, der Grundwert der Solidarität erfordere einen Ausbau der sozialen Dienste, so haben Sie ganz recht. Nur muß ich Sie auf eines aufmerksam machen: man darf sich nicht wundern über den Mangel an sozialen Diensten in diesem Lande, wenn man seit 20 Jahren die Profitmaxime zum eigentlichen Lebensprinzip dieser Gesellschaft erklärt hat. ({24}) Aber, Herr von Weizsäcker, ich gebe zu - ich habe ja schon in der Haushaltsdebatte am 25. Oktober 1973 den Versuch gemacht, zu einer Diskussion zu kommen -: Ihr Grundsatzpapier ist ein sehr interessanter Ansatz. Ich habe eigentlich nur eine Bitte: daß all das, was Sie dort entwickeln, nun vor sich gehen könnte ohne eine Verballhornung des demokratischen Sozialismus und ohne unterschwellige Unterstellungen, wie sie zwar der Tradition der deutschen Rechten entsprechen, aber seit Hitler eigentlich nicht mehr möglich sein sollten, insbesondere für eine Partei, die die Solidarität der Demokraten so stark auf den Lippen zu tragen pflegt, wie Sie das tun. Meine Herren, Sie hätten nichts davon, und dieses Land hätte nichts davon, wenn Sie den Versuch machten, das alte Hetzwort von den „vaterlandslosen Gesellen" durch das Hetzwort von den „verfassungslosen Gesellen" zu ersetzen. ({25}) Herr von Weizsäcker, beides können Sie nicht machen: auf der einen Seite unser Programm abschreiben und auf der anderen Seite uns als undemokratisch diffamieren. Da muß ich mit Fritz Reuter sagen: „Ich habe ja sehr viel Gefühl, doch was zuviel ist, ist zuviel". ({26}) Nun könnte man natürlich fragen - Herr von Weizsäcker, ich bin da leider ganz skeptisch -, wie weit Sie mit Ihrem Programm kommen. Ich bin da vor allen Dingen ganz skeptisch und beunruhigt, wenn ich sehe, was der Generalsekretär der CDU auf diesen Gebieten sagt. Ich stehe hier, meine Kollegen von der CDU, offen gesagt vor einem Problem: Ich möchte mich hier kritisch mit Herrn Biedenkopf auseinandersetzen. Er ist aber nicht Mitglied des Bundestages. Ich habe mir überlegt, ob es fair ist, das zu machen, wenn er hier nicht antworten kann. Ich bin der Meinung, bei seiner Position in Ihrer Partei muß man das hier können. Aber ich sage hierzu, daß ich gern bereit bin, mich an jeder anderen Stelle, wo er will, einer Diskussion mit ihm zu stellen. ({27}) - Im Gegensatz zu Ihnen ja. Sehen Sie, als Herr Kollege Biedenkopf Generalsekretär der CDU wurde, habe ich mich gefreut, wie sich übrigens viele bei uns gefreut haben, weil wir glaubten, einen interessanten, im meinem Fall auch noch gleichaltrigen und aus der gleichen Profession kommender Partner zu bekommen, nicht nur für Probleme der CDU, sondern auch für Probleme der SPD und zwischen den Parteien. Seine Premiere, der Artikel in der „Wirtschaftswoche" vom 11. Mai 1973, „Eine Volksfront in der SPD", war kein sehr verheißender Auftakt. ({28}) Die Primitivität des Zerrbildes von Sozialismus, das er dort gezeichnet hat, war nicht nur bestürzend, sondern leider ging das bis zu einer taktischen Art der Argumentation, ja bis zur Manipulation von Zitaten. Unser Kollege Peter Glotz hat das in der Beilage zum „Parlament" vom 9. Juni 1973 im einzelnen auseinandergenommen. Ich kann darauf verweisen. Nun komme ich aber mit Herrn Biedenkopf noch einmal zurück auf eine Diskussion, Herr Dregger, die gestern geführt worden ist, denn leider scheint das Manipulieren von Zitaten, das Herrn Professor Biedenkopf nun weiß Gott nicht ausgezeichnet hat, zum Stil des Generalsekretärs der CDU zu werden. Er schreibt in seinem viel zitierten Münchener Vortrag, auf den ich jetzt im einzelnen eingehe: Das Godesberger Programm erklärt: Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht. Die Demokratie wird durch den Sozialismus erfüllt. Bundesminister Dr. Ehmke Weiter Biedenkopf: Gerade diese Formel ist ein typisches Beispiel für die Unbestimmtheit sozialdemokratischer Grundsatzaussagen. Sie läßt offen, ob sie die Ausschließlichkeit des Wortes „nur" lediglich auf den ersten Teil oder die ganze Aussage bezieht. Ich muß wirklich sagen: das ist eine Art von Argumentation, die so mies ist, daß sie Herrn Biedenkopf wirklich schlecht zu Gesicht steht. ({29}) Wenn ich einen Satz mit zwei Satzteilen habe und im einen Satzteil „nur" steht und im zweiten nichts, dann kann ich nicht sagen, dieser Satz läßt es unklar, ob das „nur" auch im zweiten Satzteil steht. ({30}) Das ist doch wohl keine Art, miteinander umzugehen. ({31}) -- Nein, es ist keine Art. ({32}) - Ich meine die von Ihnen, die überhaupt ernsthaft mit uns diskutieren können, aber doch nicht die, die sich hier nur durch Zwischenrufe auszeichnen. Das Programm sagt im zweiten Satzteil aus seinem Verständnis der pluralistischen Demokratie heraus - Fritz Schäfer hat dazu gestern das Nötige gesagt - gerade nicht „nur". Ich als individueller Sozialdemokrat mache keinen Hehl daraus: Für mich kann sich die Demokratie nur im Sozialismus erfüllen; sonst wäre ich ja gar nicht in dieser Partei. Ich selbst, als Person, bin überzeugt: nur dieser Weg wird uns dazu führen, die Demokratie wirklich sozial zu verankern, genau wie Sie doch eine andere feste Überzeugung haben. ({33}) Aber ich respektiere andere Meinungen. ({34}) - Ich respektiere natürlich andere Meinungen, wie ich ,die Meinung von Hans Maier hier ausdrücklich respektiert habe. Machen Sie doch diesen Krampf nicht! Das Land hat andere Probleme, als Krampf zu machen. ({35}) Und ich sage nur: dann muß auch auf Ihrer Seite nicht so mit Zitaten umgegangen werden. Lesen Sie doch einmal die Kunststücke von Herrn Biedenkopf auf Seite 3! Er sagt da in einem Satz etwas über Jochen Steffen, was es leider im Ungewissen läßt, ob er ihn zum freiheitlichen Sozialismus zählt oder nicht. ({36}) Ich will darauf nicht weiter eingehen. Das Problem, vor dem die CDU/CSU steht - Fritz Schäfer hat es gestern gesagt -, ist, daß sie nun das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze zusammenbringen muß, während Herr Biedenkopf die programmatische Unfruchtbarkeit der CDU seit dem Ahlener Programm damit entschuldigt, daß Sie in der Regierungsverantwortung gewesen wären. Die im ständigen Kampf von Wirtschaftsausschüssen und Sozialausschüssen der CDU ({37}) ganz klar zutage tretende Unvereinbarkeit ({38}) von christlicher Soziallehre und Neoliberalismus versucht Herr Biedenkopf nun auf der einen Seite, nach außen, zu verkleistern und auf der anderen Seite, nach innen, im Sinne der neoliberalen Konzepte zu entscheiden, wie auch auf dem Hamburger Parteitag, der in dieser Hinsicht ein Anfang vom Ende der Sozialausschüsse dargestellt hat. Alles dies geschieht im übrigen auch bei Herrn Biedenkopf unter Übernahme der drei Grundwerte des Godesberger Programms. Hier muß ich nun einmal etwas Kritisches - man sollte es ja nicht tun, aber ich muß es sagen - zur Presse sagen. Wenn ich sehe, welche Aufmerksamkeit bisher das Weizsäcker-Programm erreicht hat, nämlich keine große, und dann sehe, daß eine, wie ich meinte, liberale und so angesehene Zeitung wie die „Süddeutsche Zeitung" diesen schlimmen Vortrag voller Banalitäten - so kann ich es nur nennen - von Herrn Biedenkopf ({39}) als höchste Weisheit des politischen Gebiets auf einer ganzen Seite bringt, dann fange ich an, sowohl an der Liberalität als auch am Qualitätssinn dieser Zeitung zu zweifeln. ({40}) - Herr Strauß, zu Ihnen komme ich noch; Sie brauchen sich nicht zu melden; ich vergesse Sie nie! ({41}) Nun will ich das aber auch noch ein bißchen begründen. Bei der Solidarität wird von Herrn Biedenkopf „christlich" argumentiert, und zwar in einer metaphysisch-primitiven Weise, wie ich es lange von einem führenden CDU-Mann nicht gehört habe. Von der Diskussion, die in den Kirchen darüber geführt wird, scheint Herr Biedenkopf nicht viel zu wissen. Im Grunde ist das, was er dazu sagt - im Gegensatz zu dem, was bei Ihnen, Herr von Weizsäcker, steht -, nicht viel mehr als pastorales Gerede, das seine neoliberalen Ansichten von der Marktwirtschaft christlich verbrämen soll. Was Herr Biedenkopf hier aus der Solidarität herausholt, besteht vor allem darin, etwas christliches Erbgut zu zitieren, um den Kirchgängern klarzumachen, daß es doch besser ist, weiter CDU zu wählen. Was er dann als Abgrenzung, als Schreckbild der Soldidarität der Sozialisten darstellt, übertrifft in seiner Primitivität die Stalinisten. Im Grunde scheint es so zu sein, daß Herr Biedenkopf weder von der Geschichte des Sozialismus noch von der der christlichen Soziallehre allzu viel kennt. Bei der Gleichheit ist dann mit dem Christentum auch gleich Schluß. Von der fundamentalen Gleichheit aller, die Menschenantlitz tragen, die Gottes Kinder sind, ist nicht die Rede. Nein, da kommt der publikumswirksame Satz, die CDU wolle Gleichheit der Chancen, und die SPD wolle Gleichheit der Resultate - was ein gut formulierter Satz ist, der aber zwei Dinge verdeckt. Erstens geht es in vielen Bereichen der Gleichheit tatsächlich um die Gleichheit der Resultate. Und Herr von Weizsäcker, eines der interessantesten Teile ihres Programms ist das, was Sie über Lohngleichheit gesagt haben. Vielleicht sollte man das einmal zusammen etwa mit dem zweiten schwedischen Gleichheitsbericht diskutieren. Was da drinsteht, ist beachtenswert; ich kann dem fast in allem zustimmen. Zweitens geht es in Bereichen, wie etwa der Bildung und der Ausbildung, wo es wirklich auf individuelle Talente und Fähigkeiten ankommt, um das Problem der wirklichen Chancengleichheit. Natürlich haben die Menschen verschiedene Talente, und kein Mensch ist für stupide Gleichmacherei; aber die Gleichheitschance, die eigenen Talente auch voll zu verwirklichen, haben im heutigen Schulsystem nicht alle. Das müssen wir doch zugeben. Es reicht ja nicht aus, daß die Schulen allen offenstehen. Es ist auch noch keine Gleichheit, daß kein Schulgeld bezahlt wird. Die Arbeiterkinder sind schon von Hause aus, von der Sprache her im Nachteil. Es ist doch auch für viele von Ihnen, die auf diesem Gebiet fortschrittlich tätig sind, keine Frage: Unser Bildungssystem privilegiert und diskriminiert bestimmte Klassen. Ich darf hier noch einmal auf die hessischen Rahmenrichtlinen zurückkommen. Die sollte man doch in dem Teil, der den Deutschunterricht betrifft, gerade unter diesem Gesichtspunkt auch von Ihnen ernster nehmen, wenn ich auch persönlich nicht mit meiner Meinung zurückhalte, daß sie in diesem Teil, dem ich kritischer gegenüberstehe als dem gesellschaftspolitischen Teil, den Sie vor allem kritisieren, einen berechtigten kritischen Ansatz etwas überzogen haben. Wenn man nun zum Begriff der Freiheit im Vortrag von Herrn Biedenkopf kommt, so erschöpft sich das im wesentlichen in seiner Lieblingsidee als Rechtslehrer, die ich als Kollege respektiere, daß das Privatrecht sehr viel liberaler sei als das öffentliche Recht. An dieser These finde ich zweierlei interessant, nämlich einerseits die Art, in der der Herr Generalsekretär aus seiner professoralen Meinung einen CDU-Programmsatz macht - ich habe das im CDU-Programm nie gefunden -, und außerdem die Art, in der er diese Meinung des Neoliberalismus hier zum besten gibt, obgleich sie rechtsgeschichtlich in nichts fundiert ist. Wir alle in diesem Hause erlassen ja Gesetze und beschließen Gesetze sowohl des privaten wie auch des öffentlichen Rechts, und wir wissen, daß wir nicht im Privatrecht freiheitlicher sind als im öffentlichen Recht. Interessant ist dies auch im Hinblick auf die Abgrenzung zur FDP, daß hier konservative neoliberale Positionen aufgenommen werden, die die FDP mit ihrem Freiburger Programm hinter sich gelassen hat, ein Verdienst des Kollegen Maihofer, der noch einmal am Dreikönigstag in Stuttgart klargemacht hat auch das sollte man für die Lage in diesem Lande sehen -, daß die FDP auf dem Wege zum sozialen Liberalismus auch den Weg vom demokratischen Rechtsstaat zum demokratischen Sozialstaat geht. Dazu wird Herr Maihofer sich gleich selbst noch äußern. Meine Herren, ich finde es recht bestürzend, daß im Kapitel über Freiheit bei dem Herrn Generalsekretär nur zwei praktische Vorschläge stehen und diese Freiheitseinschränkungen darstellen, und zwar einmal in Richtung auf die Gewerkschaften und zum anderen in Richtung auf die Meinungsfreiheit von Angestellten in Rundfunkanstalten, die übrigens keine staatlichen Anstalten sind, wie Herr Biedenkopf wissen sollte. ({42}) Die zu den Bemühungen der Grundsatzkommission in Widerspruch stehenden Thesen - es sind ja mehr Werbethesen, die von Herrn Biedenkopf hier verkauft werden - erreichen ihren intellektuellen und politischen Höhepunkt, wenn er zum Schluß in bezug auf unsere Bemühungen, das Langzeitprogramm zu quantifizieren, sagt, der Versuch der SPD zu quantifizieren zeige, daß die SPD Wachstum brauche für die Verwirklichung ihrer Vorstellungen, während die CDU „ihre Werte nicht quantifiziert, sondern glaubt und lebt". Meine Herren, da kann ich nur sagen, das ist so gut, das könnte von Margot Kalinke sein. ({43}) Entweder weiß der Generalsekretär der CDU nicht, was Nullwachstum für dieses Land bedeuten würde, oder aber er sieht darin eine besondere Chance, weiter die Politik zu betreiben, den Status quo der Besitzenden auf Kosten der breiten Schichten der abhängig Tätigen in diesem Volk zu sichern. ({44}) Die eigentliche Frage - und damit komme ich zum Schluß - ({45}) - Ich verstehe ja, daß Sie nervös sind. ({46}) Ich wäre aber doch dankbar, wenn Sie zuhörten. ({47}) Ich bin auch sicher, Herr von Weizsäcker wird hierauf schon antworten und vielleicht in einer Weise antworten, die das weitere Gespräch möglich macht. Eines unserer wirklichen Probleme, Herr von Weizsäcker, liegt doch in der Auffassung von Freiheit und gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen der Freiheit. Hier ist die Union nun dabei, dem falschen Propheten Schelsky ganz auf den Leim zu gehen. Ich habe das schon einmal in der Haushaltsdebatte am 25. Oktober skizziert und darf hier auf die hervorragenden Äußerungen von Richard Löwenthal in der „Zeit" vom 2. und 9. November letzten Jahres verweisen. Ich komme jetzt noch einmal auf die Mitbestimmung, um das Problem „Der einzelne und die gesamtgesellschaftliche Ordnung" zu erörtern. Wie sieht denn Ihr Mitbestimmungsbeschluß aus? Ich bedauere, daß Herr Kollege Katzer nicht hier ist. Das sieht folgendermaßen aus: Formell macht man Parität. Aber der Aufsichtsratsvorsitzende - erster Schritt - wird bei paritätischem Patt von den Kapitaleignern gewählt. Dieser Aufsichtsratsvorsitzende wählt unter den gleichen Voraussetzungen den Vorstand, und dieser Vorstand braucht bei paritätischem Patt keine Zustimmung des Aufsichtsrats, d. h. er ist freier gestellt als nach geltendem Aktienrecht. Wenn die beiden sich gegenseitig paralysieren, dann kann er ohne Zustimmung entscheiden, dann braucht er es hinterher nur im Geschäftsbericht zu sagen. Ich sage Ihnen: ich habe noch nie eine so perfekte Camouflage für ein Mitbestimmungsmodell gesehen, das allein die Interessen der Kapitaleigner deckt. ({48}) Die Sozialausschüsse waren gut beraten, dem nicht zuzustimmen. - Meine Herren, wir kommen in diesem Haus ja noch zu dem Thema. Ich freue mich schon, dann zu sehen, wie die Sozialausschüsse stimmen werden. Nicht nur ich, sondern auch die Kollegen von der FDP, wir freuen uns schon, dann zu sehen, wie sie stimmen werden, wenn unser Entwurf hier im Parlament ist. Weiter mit dem Thema „Der einzelne und die gesamtgesellschaftlichen Freiheitsvoraussetzungen"! Da wird uns jetzt vertröstend gesagt: Wir machen ein ganz neues Unternehmensrecht und da kriegt der Arbeitnehmer Mitgliedschaftsrechte. Ja, meine Herren, das sieht so aus, als ob man nun endgültig den Industriefeudalismus in so einer Art industrieller Hintersassenschaft befestigen will. Ich muß sagen: Walter Arendt hat mit seinem Gesetz über die Mitnahmemöglichkeit von Betriebsrenten mehr für die Rechte der Arbeitnehmer getan, als Sie mit irgendeinem Mitgliedschaftsrecht werden machen können. ({49}) Gucken Sie sich doch die Mitgliedschaftsrechte der Kleinaktionäre an! Formaler Schein, ohne daß es wirklich etwas an Mitbestimmung bringt! Unser Problem ist ein anderes, und ich stimme Ihnen da zu, Herr Weizsäcker: wir müssen mit der Mitbestimmung noch herunter an den Arbeitsplatz, aber das muß man dann im Ausbau des Betriebsverfassungsgesetzes machen. ({50}) Die Problemstellung ist nämlich nicht die: „Der einzelne oder das Kollektiv", sondern die Problemstellung ist: „Der einzelne in Solidarität mit seinen Arbeitskollegen". Solidarität ist nämlich nichts Metaphysisches oder Karitatives, wie uns die CDU erzählen will. Solidarität ist etwas sehr Handfestes, nämlich das Bewußtsein des Aufeinander-angewiesen-Seins freier Menschen. ({51}) Meine Herren von der CDU, wir müssen eben Schluß machen mit dieser Mischung, die die deutsche Geschichte, insbesondere die unseres Bürgertums, bestimmt hat, der Beschränkung der Freiheit auf einen rechtsstaatlich gezähmten Obrigkeitsstaat. Wenn die deutsche Geschichte eines bewiesen hat, dann das, daß es ein Irrtum des Bürgertums war, ohne Demokratie, ohne politische Freiheit private Freiheit sichern zu können. Das sollten wir doch 1933 ein für allemal gelernt haben. Und das heißt: der einzelne hat nur dann genügend Freiheit und Rechte, wenn wir unsere Gesellschaft weiter demokratisieren. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Rechten des einzelnen und mehr Demokratisierung. ({52}) Freiheit als soziale Wirklichkeit, meine Damen und Herren von 'der Opposition, ist keine individuelle Naturgegebenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Leistung. Statt den demokratischen Sozialismus zu verballhornen, sollten Sie doch in ,der Lage sein, Herr von Weizsäcker, zuzugeben, daß er in den 110 Jahren seines Bestehens nur eine Grundfrage gehabt hat, wie man nämlich dem Menschen auch in der aufkommenden und sich entwickelnden Industriegesellschaft zu Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung verhelfen kann. Das war unsere Frage. ({53}) Es war nicht die Frage, ihn zu verorganisieren, ihn zu verplanen und ihn zu bürokratisieren. Es wäre gut, wenn Sie das einmal anerkennen würden. ({54}) Um lebensfähig zu bleiben, braucht unser Gemeinwesen mehr demokratische Teilhabe, mehr Teilhabe an den gemeinsam und das heißt: gesellschaftlich produzierten materiellen Werten dieser Gesellschaft, mehr Teilhabe aber auch an den Entscheidungen, die das Leben eines jeden einzelnen betreffen, und das heißt: Demokratisierung der Verfügungsgewalten in dieser Gesellschaft. Zusammenfassend, meine Herren von der Opposition: Feste Wahrung des Gesetzes - ja, obrigkeitsstaatliche Maßregeleien - nein. Auseinandersetzung mit allen Meinungen und Kampf um jeden jungen Bürger in diesen Staat - ja, hochmütiges Einordnen kritischer und suchender junger Menschen in selbstgebastelte Schubladen - entschieden nein! ({55}) In diesem Sinne um die bessere Fundierung der Demokratie zu kämpfen, das, meine Herren von der Opposition, und nicht der Mißbrauch der Verfassung als parteipolitische Waffe ist der gemeinsame Auftrag des Grundgesetzes. Uns darin in dieser Debatte wieder einig zu werden, wäre ein angemessenes GeBundesminister Dr. Ehmke schenk an unser Land zum 25. Geburtstag unseres Grundgesetzes. ({56})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete von Weizsäcker.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst zu den Bemerkungen des Kollegen Ehmke ein paar Anmerkungen machen, zunächst nur, um damit fertig zu werden, und dann auf die Sachfragen kommen. Herr Ehmke, was Sie persönlich an die Adresse von anwesenden und abwesenden Kollegen sagen - Herrn Müller, Frau Kalinke -, was Sie über die Sozialausschüsse oder über die Kapitalistenverfassung oder über die Haltung der CDU/CSU gegenüber den Problemen der Unterprivilegierten sagen, - nun, wissen Sie, wenn Sie die Post so gut verwalteten, wie Sie polemisieren können, ({0}) dann wären die Bürger im Lande gewiß beruhigt angesichts der großen Lasten, die wir alle auf diesem Gebiet zu tragen haben. Aber darum geht es ja hier heute nicht. Dann möchte ich auf das eingehen, was Sie zu der Grundsatzarbeit in der CDU gesagt haben. Sie haben gesagt, wir hätten mit einigem zeitlichen Verzug dem Godesberger Programm nachgelernt. Nun, wenn ich mich daran erinnere, daß Sie auf dem Dortmunder Parteitag der SPD das Wort aus einem einzigen Grund ergriffen haben, nämlich um sich kritisch und polemisch mit unserem ersten Grundsatzbericht auseinanderzusetzen, dann freue ich mich über den Nachlernprozeß bei Ihnen in bezug auf den zweiten Bericht. ({1}) Aber vielleicht erinnern Sie sich auch noch daran, Herr Ehmke, daß Sie mir nach dem ersten Bericht gesagt haben, der eigentliche Fehler, den wir gemacht hätten, bestehe darin, daß wir zuwenig die konservativen Positionen betont hätten; ({2}) was wir täten, bestehe viel zu sehr darin, daß wir Dinge von Ihnen übernähmen. Wissen Sie, Sie haben das sicher nett gemeint, als Sie mir das sagten. Aber es hat mich doch an eine sehr ernste Erfahrung in meinem Leben erinnert, Ich habe einmal einen sehr nahen Verwandten von mir vor Gericht mit verteidigt, weil ich von seiner Unschuld überzeugt war und bin. Eines Tages hat sich der Ankläger in diesem Verfahren zu mir gewandt und gesagt: Ist ja alles sehr schön und gut, was Sie da machen; Sie haben nur einen Fehler gemacht: Sie hätten mich zum Verteidiger machen müssen. Ich möchte jetzt auf die Fragen selber eingehen, die Sie im Zusammenhang mit den Grundwerten hier gestellt haben. Solidarität, Gleichheit, Freiheit, das sind Begriffe, die weder im Godesberger Programm noch in dem Programm der CDU erfunden wurden, sondern das sind Werte, die durch den Kampf der Menschheit um ihre Freiheit und Gerechtigkeit entwickelt wurden. Ich finde, es ist überhaupt kein Fehler, wenn wir uns in bezug auf die Werte als solche in Übereinstimmung befinden, dann uns aber darüber auseinandersetzen, was sie denn konkret bedeuten. ({3}) Daß Herr Biedenkopf begonnen hat, von der Solidarität zu sprechen, das entspricht in der Tat unserer Überzeugung; denn der Mensch ist ein auf Gemeinschaft angelegtes Wesen. Und deswegen verstehen wir unter Solidarität, daß der Mensch Anspruch auf Hilfe hat, daß er Anspruch hat auf Mitwirkung an den Angelegenheiten des Gemeinwesens, daß er aber auch die Pflicht zur Mitwirkung hat an diesen Angelegenheiten. Bei Ihnen sehe ich in bezug auf die Verwirklichung der Solidarität aber zwei andere Schwerpunkte, nämlich erstens die Übernahme aller Aufgaben durch den Staat für den einzelnen, von der Geburt bis zum Tode, und zweitens - denn das ist ja eine von Ihnen wohl auch nicht bestrittene Analyse von Herrn Biedenkopf über die marxistische Entwicklung - Solidarität, das heißt Solidarität des einzelnen in seiner Klasse, bis diese Klasse sich durchgesetzt hat. Das ist die Solidarität des Gleichen mit dem Gleichen gegen die Ungleichen. Und wenn Sie sich dann allzu häufig auch auf die christlichen Wurzeln dieser Solidarität berufen, dann kann ich nur wiederholen, was hier schon einmal gesagt wurde: Diese Solidarität mit dem Nächsten beruht ja gerade darauf, daß der Nächste nicht gleich ist wie ich, sondern daß er ungleich ist, ({4}) und daß es so schwierig ist, mit ihm solidarisch zu sein, und daß man deshalb die Aufgabe hat, mit ihm solidarisch zu sein, und nicht gleich mit gleich gegen ungleich. ({5}) Und was die Gleichheit selber anbetrifft: Natürlich sind wir uns darin einig, daß ihr Fundament die gleiche Würde jedes Menschen und das gleiche Recht jedes Menschen ist. Aber die gleiche Chance ihm zu geben und das ist unser Programm -, das erfordert die Bereitschaft, auch die unterschiedlichen Ergebnisse dieser gleichen Chance entgegenzunehmen. ({6}) Wenn Sie von dem schwedischen Programm sprechen, über das wir uns mal unterhalten sollten - ich bin dazu natürlich gern bereit -, dann kann ich auch hier nur wiederholen, was an anderer Stelle schon gesagt wurde: Wenn man die Gleichheit anstrebt, nämlich die Gleichheit der Existenzen, dann wird man am Ende dazu genötigt sein, diese Gleichheit der Chancen wieder abzuschaffen, weil man nämlich im Namen der Gleichheit der Existenzen es gar nicht erträgt, daß durch Gleichheit der Chancen Leistungsdifferenz, Konkurrenz und Unterschiede zutage treten, die mit unserer Existenz verbunden sind. ({7}) Selbstverständlich ist die Gleichheit der Chancen ihrerseits mit der Notwendigkeit für uns alle verbunden, Maßnahmen ausgleichender Gerechtigkeit zu treffen; denn nicht alle Menschen haben dieselben Gaben. Aber es bedarf schon des Mutes, die Konsequenz der Chancengleichheit auch zu akzeptieren, nicht aber beides zu wollen: Chancengleichheit und Gleichheit der Existenz. ({8}) Aus alledem ergibt sich dann der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung. Aus dem ergibt es sich eben, daß selbstverständlich das Individuum nicht allein für eine menschenwürdige Existenz in der technischen Welt sorgen kann, aber daß, wenn der Mensch den Blick für den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung verliert, am Ende die Freiheit vollkommen auf der Strecke bleibt. Denn er darf sich eben nicht fügen in eine Situation, in der er nun verwaltet wird, sondern er muß überall, wo es ihm möglich ist, selber die Mitverantwortung übernehmen. Lassen Sie mich nun noch einen Satz zu der Auseinandersetzung über das Godesberger Programm sagen; Sie, Herr Ehmke, sind darauf ja auch noch einmal eingegangen. Ich bin Herrn Schäfer und Herrn Dürr und auch Herrn von Oertzen dankbar dafür, daß sie dazu gestern Verschiedenes gesagt haben. Freilich, was Herr Dürr gestern in bezug auf die Zitierungen gesagt hat, das hat mit der Wahrheit wenig zu tun, auch als er in dem ihm eigenen Taktverständnis verstorbenen Kollegen Zitatenfälschung nachrief. Es ist doch umgekehrt: Wir bedauern, daß noch immer nach 15 Jahren das Mißverständnis nicht beseitigt ist, das mit diesem Satz im Godesberger Programm verbunden war, sondern noch da und dort verstärkt wird. Diese Formulierung ist nun einmal doppeldeutig. Sie haben sie vorhin ja vorgelesen, Herr Ehmke, aus dem Referat von Herrn Biedenkopf. Und der Genießer der Doppelstrategie, Herr von Oertzen, hat ja selber gesagt, man müsse sie auf der Zunge zergehen lassen. Das hat er hier gestern abend gesagt; ich weiß nicht, ob Sie es gehört haben. Bitte, verstehen Sie doch: Die soziale Demokratie ist auch mein Ziel. Aber wenn der Bundeskanzler Brandt in Anlehnung an Bruno Kreisky sagt: „Soziale Demokratie und demokratischer Sozialismus sind ein und dasselbe", oder wenn der „relativ führende" SPD-Mann von Oertzen ({9}) davon spricht, daß Sozialismus und vollendete Demokratie gleichbedeutend seien, dann, meine Damen und Herren, entstehen eben die Mißverständnisse in verstärkter Form, anstatt daß Sie sie ausräumen. Es verübelt Ihnen doch niemand, daß Sie Ihr eigenes Programm für das beste unter allen Angeboten halten; das tun wir ja mit dem unsrigen auch. Aber wer sein Programm mit dem Ziel der Demokratie gleichsetzt, der erklärt nun einmal jeden Nichtsozialdemokraten schlechthin zum Verhinderer der Demokratie. Noch vor drei Wochen, als mein Kollege Norbert Blüm Ihnen hier diesen Glaubenssatz vorhielt, registrierte das Protokoll lediglich lebhaften Beifall bei der SPD. Wieder einmal war eine Klarstellung versäumt worden, daß Sie nicht Religionskrieger für den alleinseligmachenden Sozialismus sein wollen. Eine solche Anmaßung, die mit dem Mißverständnis verbunden wird, ist ja dort in Gefahr, eine ganz konkrete Bedrohung zu werden, wo ein solcher Glaubenssatz in direkte Beziehung zu den Spielregeln der Demokratie gesetzt wird. Das geschah ja, wie wir alle wissen, im vergangenen Jahr etwa in den Rahmenrichtlinien zum Unterricht des Landes Nordrhein-Westfalen, wo es hieß, unsere Kinder müßten lernen, daß zur Verbesserung demokratischer Verhältnisse formatdemokratische Spielregeln und Rechte vorübergehend außer Kraft zu setzen sind. Hier also wurde das vernünftige Ziel, junge Menschen zu kritisch-mündigen Bürgern heranzubilden, in eine antidemokratische Verführung verfälscht. ({10}) Denn unsere Verfassung kennt ein Widerstandsrecht nur gegen den, welcher die verfassungsmäßige Ordnung beseitigen will. Niemand aber hat einen Verfassungsanspruch oder ein Widerstandsrecht zur Durchsetzung des eigenen Programms. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Wir sind uns darüber einig, daß wir das Grundgesetz gemeinsam geschaffen haben und daß wir die Demokratie so verstehen: nicht Kampf um die Verfassung, sondern Wettbewerb der Parteien auf ihrem Boden. Natürlich ist dieser Wettbewerb schwierig; denn eine Verfassung ist nicht statisch. Die Ausgestaltung des sozialen Rechtsstaates, Kernstück unserer Aufgabe und unseres legitimen Streites, ist schwierig, weil sich die Interessen der Menschen und Gruppen nicht decken. So kommt es also für uns hier darauf an, mit welcher Folge für die Verfassung wir diesen Streit führen: Wollen wir die grundsätzliche Gemeinsamkeit erhalten und zurückgewinnen, wo sie bedroht ist, oder wollen wir nur unter uns den Gegensatz markieren und dafür Schuldige finden? Diese Frage, muß ich sagen, hat sich mir noch nie in der gleichen Schärfe gestellt wir vor drei Wochen, als Sie, Herr Wehner, hier in diesem Hause das Grab der zweiten Republik beschworen. Das darf doch ein Demokrat nicht sagen, es sei denn, er habe resigniert. ({11}) Wer anfängt, die Republiken wie früher die untergehenden Reiche zu numerieren, der beschwört die Gefahren herauf, vor denen das Volk zu bewahren Aufgabe dieses Hauses ist. ({12}) Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu einem weiteren Gedanken kommen, der sich mit einer Gefahr beschäftigt, die ich jedenfalls als die größte für unser Gemeinwesen ansehe und die in der Tat zunächst mit rechts und links nichts zu tun hat. Die Energiekrise - Herr Ehmke hat sie in die Debatte eingeführt - hat sich der schon verbreiteten Inflation hinzugesellt. Beides zusammen führt uns in eine Phase der Teuerung, des NullDr. Freiherr von Weizsäcker wachstums und zunehmender Bedrohung der Arbeitsplätze. Selbst der vorsichtige Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung läßt uns darüber nicht im Zweifel. Wie werden wir damit fertig? Gewiß nicht durch eine Hochkonjunktur der Systemveränderer, von deren Aktivitäten hier schon die Rede war. Nun melden sich auch Geschichtsphilosophen mit ihren Vorschlägen zu Wort. Arnold Toynbee sagte zum Jahreswechsel, Adam Smith habe uns die Philosophie des Eigennnutzes und damit eine Unwahrheit gelehrt. Nach 150 Jahren sei die westliche Welt so weit, daran zugrunde zu gehen, wenn sie es nicht fertigbringe, diese Philosophie umzukehren. - Jeder ist ernst zu nehmen, der uns mahnt, uns zu bescheiden und Rücksicht zu nehmen, um miteinander leben zu können. Den Angriff Toynbees halte ich freilich für ein Mißverständnis, wohl schon gegenüber Adam Smith, gewiß aber gegenüber der sozialen Marktwirtschaft. Denn unter ihr verstehen wir ja nicht die Philosophie des Eigennutzes, sondern die der größten Effektivität für das Ganze, welche die eigene Initiative und Leistung belohnt, allerdings nur dort, wo sie sich im Rahmen von Recht und Gesetz, von Ordnungspolitik und Sozialpflichtigkeit betätigt. ({13}) Das gilt für alle. Das gilt für den Unternehmer, für die Arbeitnehmer, für die Fluglotsen und für andere Spezialisten im öffentlichen Dienst. Nun bekenne ich mich ganz ausdrücklich zu einem Gemeinwesen, das sich nicht auf den Staat und auf das Individuum allein reduzieren läßt. Die autonomen Verbände und vor allem auch die Gruppen haben in der Gesellschaft eine wichtige eigene gestaltende Aufgabe. Ohne sie können wir den sozialen Rechtsstaat im industriellen Zeitalter gar nicht verwirklichen. Deshalb schützen wir sie und fördern ihre Entwicklung. Die Verantwortung für die Spielregeln ihrer Tätigkeit, für die Ordnungspolitik, für die Integration des Ganzen hat aber der Staat. Für diese Verantwortung bedarf er heute mehr als je der Kraft und Entschlossenheit. Damit sind wir beim zentralen Problem unserer heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Der Staat besitzt heute nicht die Kraft, gemäß dieser Verantwortung zu handeln. Macht und Verantwortung sind auseinandergefallen. Niemand entläßt den Staat aus der Verantwortung für das Gemeinwohl, aber die Macht geht mehr und mehr auf die Gruppen über. Bei Stabilität und Wachstum war das weniger spürbar. Die meisten Bürger waren irgendwo „dabei", wenn der Kuchen verteilt wurde. Bei Nullwachstum und Teuerung geraten wir aber in verschärfte Verteilungskämpfe, die sich selbst überlassen sind und daher zu entarten drohen. Es sind nicht, wie die Marxisten meinen, die Kämpfe zwischen Kapitalisten und der Arbeiterklasse, sondern es sind die Kämpfe unter den Beschäftigungszweigen und unter den Gruppen. Sie nehmen sich gegenseitig die Anteile weg, weil ja Zusätzliches zur Verteilung gar nicht bereitsteht. ({14}) In der Krise sucht dann jede Gruppe ihren Vorteil ohne Rücksicht auf die Folgelasten für andere. Jede tritt mit ihrer ganzen Macht an. Das integrierte allgemeine Beste ist nicht ihre Zuständigkeit. Es bleibt auf der Strecke. Es ist, wie die Zeitung „Le Monde" es für die Lage in Westeuropa beschrieb, jeder für sich und Gott für den Stärksten. Wir haben alle miteinander, jeder zu seinem Teil, zu dieser Entwicklung beigetragen. Wir tragen dafür gemeinsam die Verantwortung. Die Folgen betreffen uns alle. Wir sind nahe daran, an ihnen zu scheitern. Nun erklärt Herr von Oertzen, der Vorsitzende der Langzeitkommission und Grundsatzsprecher Ihres Parteivorstandes, über die Ziele des Sozialismus, sozialistische Politik könne nur durch vollständige Selbstverwaltung und Selbstregelung der Gesellschaft durchgesetzt werden. Wer aber einerseits die öffentlichen Mittel vergrößern will und andererseits die Politik der Selbstregelung gesellschaftlichen Gruppen überläßt, wird nur allzuoft erleben, wie die Gruppen unter der Fahne von Reformen eigene Interessen zu Lasten des Ganzen durchsetzen. Es gibt keine Reformen ohne einen starken Staat. ({15}) Meine Damen und Herren, es gibt auch keine Demokratisierung ohne einen starken Staat. Herr von Oertzen erklärt, sozialistische Politik erfordere die Doppelstrategie, nämlich im Staatsapparat und außerhalb desselben, in den Parlamenten und im außerparlamentarischen Kampffeld. Weiß Herr von Oertzen eigentlich, wie recht er hat - freilich auf eine etwas makabre Weise -, wenn z. B. der gewählte Bürgermeister einer Stadt die Aufgaben der öffentliche Hand einfach gleich selber in die andere Hand nimmt, mit der er als Ortsvorsitzender der OTV kämpft? ({16}) Demokratisierung ist ein vieldeutiger Begriff. Er deckt Gutes und Bedenkliches. ({17}) Er fördert die Freiheit, wenn er zu mehr Beteiligung und Mitverantwortung der Bürger und ihrer Gruppen führt. Aber der Bürger, den die Verfassung gegen die Willkür des Staates rundherum schützt, bedarf zu seiner Freiheit sowohl als einzelner wie in der Minderheit auch des Schutzes gegenüber den Zwängen der Gruppe. Die Demokratisierung ist auch keine Rechtfertigung für die Übernahme von Staatsmacht durch Funktionäre der Gruppen, die zur besseren Durchsetzung ihrer Interessen auf allen Seiten des Tisches gleichzeitig Platz genommen haben. ({18}) Das Ergebnis ist die Gefährdung der Demokratie, weil, wie Conrad Ahlers es in seiner gestrigen Kolumne gesagt hat, der Staat am Ende ist, weil er vergesellschaftet wird. Der Markt ist verstopft, die Spielregeln sind durch Doppelstrategie pervertiert, die Integrationskraft ist dahin, das Gemeinwohl ist ohne Anwalt. ({19}) Eine Lösung im Wege der Selbsterkenntnis und der Selbstbescheidung des Menschen können wir von der Politik nicht erwarten. Gewiß spielt dies alles eine wichtige Rolle, vielleicht weniger die Kraft zum Altruismus als die Fähigkeit zur Vernunft. Es gibt ja neue Einsichten, die sich langsam und sicher durchsetzen und dann eine große Bedeutung haben. Ich denke nicht nur an die Entwicklung der Menschenrechte, ich denke in der heutigen Zeit an Mitverantwortung und Mitbestimmung, um deren richtige Formen wir uns ganz mit Recht im Ringen miteinander um den besten Weg bemühen. Ich denke auch an scheinbar kleinere Themen - Herr Ehmke hat sie schon genannt -, z. B. an die Bereitschaft, im Rahmen des wachsenden Dienstleistungsgewerbes soziale Dienste zu übernehmen, weil immer mehr Menschen erkennen, daß sie dabei eine stärkere Erfüllung und Befriedigung ihres Lebens finden können als z. B. im Gewerbe der Konsumsteigerung. Aber Krisen, meine Damen und Herren, werden auf diesem Wege nicht gelöst. Es gibt keine Volksbewegung des Altruismus oder der Vernunft. Wohl aber gibt es die wachsende Verführbarkeit verdrossener und unzufriedener Bürger. Dies ist die eigentliche Gefahr, der Wegbereiter für die Radikalen von rechts und links. ({20}) Nicht Werbekampagnen um eine neue Mitte, die zwar parteitaktisch ganz verständlich sein mögen, aber der Sache nach doch einen Etikettenschwindel darstellen, ({21}) sondern die klare Einsicht ist vonnöten, daß die demokratischen Parteien alle miteinander gefragt sind, ob sie die Schwächen überwinden werden, die solchen Tendenzen Vorschub leisten. Denn die Verantwortung und die Initiative liegen weder bei selbsternannten Eliten noch bei Volksbewegungen, sie liegen bei uns. Von unseren Programmen, von unserer Handlungskraft, von unserer Fähigkeit, den Ernst der Lage nicht zu beschönigen, und von unserem Beispiel wird die Zukunft bestimmt. Meine Damen und Herren, verschärfte Kämpfe um die Verteilung der Folgen von Teuerung und Nullwachstum werden die Lage krisenhaft zuspitzen. Dies bringt die Chance, aber auch die entscheidende Prüfung für uns mit sich, ob wir gemäß der Verfassung in der Lage und gewillt sind, Macht und Verantwortung einander zuzuordnen. Ohne sie gibt es kein Gemeinwohl, ohne sie gibt es keine Reformen, und ohne sie gibt es keine Demokratie. Wir können darauf zählen, daß in der Bevölkerung neben Anspruchsdenken und Eigennutz auch die Bereitschaft zur Nüchternheit, zur Vernunft und zur Rücksichtnahme aufeinander besteht. Aber politisch verfügbar wird diese Bereitschaft nur für eine überzeugende und kräftige politische Richtung und Führung. Hier warten nicht Triumphe der einen Seite der Demokraten über die andere, hier wartet eine Aufgabe für uns alle. Hier steht eine große Gefahr vor der Tür. Die Wahlen in Dänemark haben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden. Aber die Deutschen haben vielleicht nicht das Talent zu einer liebenswürdigen Bewältigung von Problemverweigerern. Wir müssen gemeinsam mit dieser krisenhaften Zuspitzung fertig werden. Wir müssen Macht und Verantwortung einander zuordnen. Viel Zeit und Spielraum ist uns allen miteinander dafür nicht gewährt. ({22})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema dieser Debatte lautet: Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Bundesrepublik. Hinter diesem Thema scheinen sich Sorge und ein hohes Verantwortungsbewußtsein zu verbergen. Herr von Weizsäcker hat dieser Sorge auch Ausdruck verliehen. Aber schließlich ist er doch wieder zum ursprünglichen Anliegen Herrn Dreggers zurückgekehrt, als er nämlich von „Gefährdung der Demokratie", von „Radikalen", ({0}) von „Etikettenschwindel" und von „krisenhafter Zuspitzung" sprach. Das führt auch uns wieder zu ,den ursprünglichen Zielen des Herrn Dregger zurück, ({1}) die wohl beide so lauten: die CDU/CSU als einzige Gralshüterin des Grundgesetzes ,darzustellen und der Sozialdemokratie bei dieser Gelegenheit das Etikett „verfassungsrechtlich unzuverlässig" auf den Bauch zu kleben. ({2}) Das alles kommt uns sehr bekannt vor. Der Versuch ist nicht neu; er entspricht alter konservativer Tradition. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich bedauere. ({0}) Altdeutsche und Deutschnationale, Freikonservative und schlichte Konservative, Hansabünde und Industriellenbünde, Stahlhelmer und Hugenberger haben zu allen Zeiten versucht, ({1}) sich als einzig wahre und verfassungstreue Deutsche darzustellen und andere, vornehmlich die Vertreter der Arbeiterbewegung, aus der Verfassung und, wenn es möglich war, aus der Nation hinauszudrängen. ({2}) Auch die Methode hat sich kaum geändert. Der Wertekatalog der Konservativen ist immer der alte geblieben; auch das Vokabular ist allbekannt. ({3}) Ruhe und Ordnung, Disziplin und Zucht, Autorität und Gehorsam, Ehre und Pflicht wurden als höchste Bürgertugenden gehandelt. Von Freiheit und Gleichheit, von Demokratie und Menschlichkeit, von Brüderlichkeit, ja sogar von Nächstenliebe und Solidarität ist nur selten die Rede. ({4}) - Ich empfehle Ihnen dringend, sich um Ihre eigene Partei zu bemühen, nachdem selbst die Junge Union feststellt, daß ,der Führungsstil und die Diskussionsmöglichkeiten in der CDU/CSU unerträglich und nicht gegeben sind. ({5}) Denn wie Ihre gestrengen geistigen Vorfahren - ich meine die mit den Vatermördern und die mit dem Rohrstock - bedauern auch Sie als heutige Konservative die Unordnung im allgemeinen, die Disziplinlosigkeit der Jugend im besonderen, den aufrührerischen Geist, das Schwinden von Autorität, die Auflösung hergebrachter Werte und den Verlust an Zucht und Pflichtbewußtsein. Bei Ihren Reden hat man immer das Gefühl, daß der Untergang des christlichen Abendlandes kurz bevorsteht. Wenn man Herrn Dregger und Herrn Filbinger hört, weiß man nie, ob das Abendland schon vor oder erst nach Ostern unterzugehen droht. ({6}) Professor Adorno hat in seinen zehn Strukturmerkmalen der autoritären Persönlichkeit - Herr Strauß, hören Sie genau zu - vor allem eines herausgestellt, ({7}) nämlich die Neigung, stets zu glauben, daß wilde und gefährliche Dinge in der Welt vor sich gehen. Im Grunde ist Ihr Verfassungstag der 31. Mai, ein Tag, an dem man früher den Weltuntergang erwartete. ({8}) Eine Portion Untergangstimmung, eine Portion Selbstgerechtigkeit und ein Hauch von Inquisition und Hexenjagd gehören offenbar auch heute noch zum dauerhaften Rüstzeug deutscher Konservativer. ({9}) Bei zunehmender Gesellschaftsdynamik - ({10}) - Soll ich ein bißchen warten, bis Sie sich ausgetobt haben? - Nein. Gut. ({11}) Bei zunehmender Gesellschaftsdynamik wächst Ihre Existenzangst. Wirkliche oder eingebildete Krisen dienen Ihnen als Transmissionsriemen für die Angstmechanismen, und diese Angstmechanismen brauchen Sie offenbar, um Ihre politische Ernte in die Scheune zu bringen. Dies ist bis heute so geblieben. Ihre Verfassungsdebatte beweist es bis zum Überdruß, aber auch mit erfreulicher Klarheit. ({12}) Zwei Dinge, meine Herren, werden Ihnen allerdings nicht gelingen: Sie werden aus der Identität mit dem deutschen Konservativismus nicht hinauskommen. Spätestens nach dieser Verfassungsdebatte ist diese Identität wiederhergestellt. Zweimal mußten die deutschen Konservativen wegen eines politischen Konkurses in der deutschen Geschichte das Firmenschild wechseln, damit die Leute wieder bei ihnen einkaufen mögen, aber die ideologischen Restposten und Ladenhüter werden immer noch gehandelt. ({13}) Es wird Ihnen auch nicht gelingen, die Sozialdemokratie oder Teile von ihr - und die Jungsozialisten sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Sozialdemokratie ({14}) als verfassungsmäßig unzuverlässig oder gar als verfassungsuntreu aus dem Grundgesetz hinauszudrängen. ({15}) Denn die Sozialdemokratie - ich zitiere Sebastian Haffner - ist 111 Jahre lang nicht nur zu ihrem Namen, sondern auch zu ihrer Idee gestanden, sie ist die eigentliche Traditionspartei der demokratischen Verfassungstreue. ({16}) Sebastian Haffner fährt fort: „Sie hat die Fähigkeit längst bewiesen, auch unter schwierigsten Bedingungen und unter schwersten Opfern an der geltenden Verfassung festzuhalten." ({17})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedaure sehr, nein. ({0}) - Weil ich Sie jetzt bitte, sehr gut aufzumerken. Es wird Sie betreffen. Die Sozialdemokratie hat schon zu einer Zeit für elementare Menschen- und Bürgerrechte, für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für Chancengleichheit und Demokratie gekämpft und geopfert, ({1}) als sich Ihre geistigen Vorfahren, Herr Dregger und andere, aus dem konservativen und deutschnationalen Lager noch in Kniefällen vor Kaisern und in Heilrufen vor Despoten erschöpften. ({2}) Deswegen meine ich, daß diese Sozialdemokratie von Ihrer Seite keiner Belehrung bedarf. ({3}) Sie stand zur verfassungsmäßigen Ordnung, sie steht zur verfassungsmäßigen Ordnung, und sie wird auch in Zukunft zu ihr stehen. ({4}) Meine Damen und Herren, was Bismarck nicht geschafft hat, wird Herr Dregger auch nicht schaffen, nämlich die Sozialdemokratie aus diesem Grundgesetz hinauszudrängen. ({5}) - Nein, da täuschen Sie sich. ({6}) Sie werden gestatten, daß ich mich etwas näher - Sie können dann anschließend das Gegenteil tun - mit dem konservativen Verfassungsverständnis auseinandersetze. Sie sind immer versucht, Ihr statisches Gesellschaftsbild auf die bestehende Verfassung zu übertragen, und kommen damit in einen ernsten Widerspruch zur Verfassungsdynamik. ({7}) Das Bundesverfassungsgericht, dem Sie vielleicht noch eine gewisse Aufmerksamkeit zuwenden könnten, ({8}) hat zur Frage der Verfassungsdynamik folgendes festgestellt - ich zitiere mit Genehmigung -: Eine Verfassungsbestimmung kann einen Bedeutungswandel dann erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch Einordnung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen. Wir Sozialdemokraten gehen von dieser Verfassungsdynamik aus. Das Grundgesetz eignet sich weiß Gott nicht als tote Reliquie im konservativen Heiligenschrein. ({9}) Demgegenüber meine ich, daß Sie sich leider zu oft und zu gründlich an das jeweils Vorhandene und an das jeweils Vorgegebene klammern, auch dann, wenn dies den normsetzenden Ansprüchen der Verfassung zuwiderläuft. Im Grunde, meine Damen und Herren, suchen Sie immer noch nach dem alten Art. 2 der Mecklenburgischen Verfassung kurz nach den Karlsbader Beschlüssen, der da lautete: „Es bleibt alles beim alten." ({10}) - Herr Carstens, Sie werden vergeblich danach suchen: Dieser Artikel wurde nicht rezipiert. ({11}) Weil Sie nach diesem Artikel suchen, haben Sie auch eine tiefgründige Abneigung gegen alle gedanklichen Konstruktionen eines künftigen besseren Zustandes in Gesellschaft und Politik. Gestern war von der neu veröffentlichten infasUmfrage die Rede. Da haben Sie vorgegeben, es beunruhige Sie, daß 10 % der Studenten radikale Neigungen haben. Das beunruhigt uns auch, ({12}) aber ich darf Ihnen sagen, was Sie noch mehr beunruhigt. Es beunruhigt Sie wahrscheinlich sehr viel mehr, daß nach dieser Umfrage 45 % der Studenten politische Auffassungen haben, wie sie in der Sozialdemokratie vertreten werden, ({13}) und daß Sie nur 16 % auf Ihre Häupter vereinigen konnten. ({14}) So weit kommt es, Herr Strauß, wenn man allein beim Kanzlerwort „Wir wollen mehr Demokratie wagen" schon Magenkrämpfe und Zuckungen bekommt. ({15}) Das hervorstechende Merkmal konservativen Verfassungsdenkens scheint mir dies zu sein: Die CDU/ CSU hat in diesem Hause und draußen schon so oft und so sehr die Interessen der Reichen und der Einflußreichen vertreten und für diese Interessen Partei ergriffen, sie hat so sehr diese Interessen verinnerlicht, daß sie ständig der Gefahr unterliegt, diese Interessen und ihre Durchsetzung als Verfassungspostulate auszugeben und gegen tatsächliche Grundsatzentscheidungen der Verfassung - denken Sie an das Sozialstaatsprinzip - auszuspieDr. Schöfberger len. Ich möchte das erläutern, wiewohl es schon mehrmals in dieser Debatte angesprochen wurde. ({16}) Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsgestaltung sind im Grundgesetz nicht ausgeprägt. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß das Grundgesetz in solchen Fragen eine weitgehende Zurückhaltung übt. Aus diesen Gründen können Sie nicht ständig behaupten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung umfasse und gebiete auch das aktuelle Wirtschaftssystem der Bundesrepublik und die konkrete Ballung und Ausübung wirtschaftlicher Macht. ({17}) - Sie, laufend. ({18}) Die Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen einer dünnen Schicht, der Preiswucher auf dem Rücken eines ganzen Volkes, die Einkommens- und Vermögensverzerrung, Mietwucher und Bodenspekulation, ({19}) auch Kinderarbeit und Frühinvalidität, Umweltgroßverschmutzung und Wirtschaftskriminalität sind keine Gebote dieses Grundgesetzes, auch wenn Sie dies hier wieder hartnäckig verteidigen. ({20}) Meine Damen und Herren, diese Strukturfehler und Mißstände einer kapitalistischen Gesellschaft gehören nicht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. ({21}) Auch wenn Sie sich als Gralshüter dieser Zustände betätigen wollen - und das tun Sie offenbar -, müssen Sie sich zumindest eines in der öffentlichen politischen Diskussion abgewöhnen: ({22}) die Unart, all jene als Verfassungsfeinde an den Pranger zu stellen, die die skandalösen Gewinne etwa der Mineralölgesellschaften mißbilligen, ({23}) die nach wirksamen demokratischen Kontrollen gegen wirtschaftliche Allmacht suchen ({24}) - ja, das steht z. B. in der hessischen Verfassung, Art. 41, von der Sie aber nichts halten ({25}) und die über Möglichkeiten der Vergesellschaftung einzelner Wirtschaftszweige nachdenken. ({26}) Das Nachdenken über Möglichkeiten der Vergesellschaftung von Produktionsmitteln hat jedenfalls den Vorteil, daß es durch die Verfassung abgesichert ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön!

Ferdinand Breidbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schöfberger, könnten Sie mir einmal sagen, welch eine Regierung in der Bundesrepublik Deutschland diese skandalösen Zustände und vor allen Dingen die skandalösen Gewinne der Mineralölgesellschaften zuläßt? ({0})

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wissen Sie, Herr Kollege, diese Strukturfehler und diese Auswirkungen sind nicht im Jahre 1973 vom Himmel gefallen, sie sind nur aktualisiert worden. ({0}) Das hat tiefere Ursachen. Dies liegt an gesellschaftspolitischen Weichenstellungen, die ohne Zweifel Sie selbst zu vertreten haben. ({1}) Ich weiß nicht, woher Sie gegenüber der Bevölkerung immer wieder diesen unerschöpflichen Mut nehmen, das auch noch zu verteidigen, was sich in der Energiekrise abspielt. ({2}) Alles in allem würde ich sagen, meine Damen und Herren: Die heutigen Konservativen haben im macht- und ordnungspolitischen Bereich unseres Grundgesetzes ein groß überbelichtetes, im egalitären, demokratischen und sozialen Bereich ein grob unterbelichtetes Verfassungsbild. Darf ich mich zum Abschluß ({3}) vielleicht kommen wir hier ins Gespräch, meine Damen und Herren; aber das scheinen Sie ja abzulehnen, was mich im übrigen nicht stört -, ({4}) vielleicht in Form einer kleinen Zugabe ({5}) mit dem Demokratieverständnis einiger aus Ihren Reihen auseinanderzusetzen. ({6}) - Ja, ich glaube, das haben Sie nötig, Herr Strauß. Bruno Heck, der Herr Kollege Heck, Ihr langjähriger Geschäftsführer, sprach wohl auch für Sie, Herr Strauß ({7}) - ausnahmsweise, sonst ist es immer umgekehrt gewesen; da gebe ich Ihnen recht -, ({8}) wenn er meinte: Die CDU bejaht die Demokratie als Organisationsform des Staates, - das tun wir auch aber nicht für die Gesellschaft. Demokratisierung der Gesellschaft ist ein negatives Prinzip. Ich möchte Sie fragen: Ist also nach Ihrer Auffassung Demokratie eine bloße überhöhte Geschäftsordnung des Staates, eine bloße Formelsammlung, und ist sie nicht auch ein Lebensprinzip, das alle Bereiche dieser Gesellschaft durchdringen soll? ({9}) - Bitte schön, Herr Jäger.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schöfberger, sind Sie der Auffassung, daß das Verhalten Ihres Bundesparteischatzmeisters Nau gegenüber den Belegschaften verschiedener sozialdemokratischer Zeitungen ein besonders hervorstechendes Merkmal sozialdemokratischer Handhabung der Demokratisierung der Gesellschaft ist? ({0})

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sollten bei solchen Gelegenheiten zum ersten die Zuständigen selbst fragen, ({0}) weil ich mir nicht anmaße, über alles Auskunft geben zu können. ({1}) Zum zweiten dürfen Sie davon ausgehen, daß auch die sozialdemokratische Presse unter den Schwierigkeiten der Pressekonzentration zu leiden hat. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke? - Bitte!

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schöfberger, wenn Sie schon darüber keine Auskunft geben können, können Sie mir dann sagen, ob Sie derjenige sind, der den Kollegen Vogel aus München vertrieben hat? ({0})

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Ihr Demokratieverständnis möchte ich haben! Sie schließen wohl aus den Vorgängen in Ihrer Partei auf Vorgänge in der Sozialdemokratie. Bei uns ist es jedenfalls üblich, demokratische Wahlen abzuhalten, zu kandidieren, gewählt und nicht bestellt zu werden. ({0}) Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit mitteilen, daß mich die Münchener Sozialdemokraten mit 75 % gewählt haben. ({1}) Aber ich darf wieder anknüpfen an das, was Herr Bruno Heck gesagt hat. Von dieser Haltung ist es nämlich nicht weit zu dem, was der „Industriekurier" vor einigen Jahren festgestellt hat. Er hat damals festgestellt - ich zitiere mit Genehmigung -: ({2}) - Ja, da bin ich vorsichtig. Die Demokratisierung der Wirtschaft ist so unsinnig wie die Demokratisierung der Schulen, der Kasernen und der Zuchthäuser. Und weil wir schon bei den Zuchthäusern sind, meine ich auch auf den unwiderlegten Ausdruck und Ausspruch des Herrn Heck bei dieser Gelegenheit zurückkommen zu müssen, der da meinte, daß der Aufenthalt in den Konzentrationslagern ,der chilenischen Faschisten bei sonnigem Frühlingswetter recht angenehm sei. ({3}) Dies ist ein Demokratieverständnis, meine Damen und Herren, das auf unser Verständnis nicht mehr trifft. Ich darf fortfahren: Der Herr bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel meinte zum vergangenen bayerischen Verfassungstag folgendes: Ich muß in diesem Zusammenhang auf die verderbliche Auffassung und Lehre ({4}) von der Demokratie als ständigem Prozeß eingehen. ({5}) Prozesse haben immer eine Entscheidung und ein Ziel für sich. Ständiger Prozeß bedeutet ständige Auseinandersetzung. Staat aber ist Stand, Zustand. Wir wollen keine permanente Revolution. Ich will auch keine permanente Revolution. ({6}) Mit dem Beharrungsvermögen, das hier zum Ausdruck kommt, wird aber auch eines erreicht: hier wird der Wunsch vieler Bürger nach mehr Demokratie, hier wird der Wunsch vieler Bürger nach mehr Mitsprache und im Grunde nach mehr VolkssouveDr. Schöfberger ränität als permanente Revolution verdammt und verketzert. Dies machen wir nicht mit. ({7}) Ich darf Ihnen noch etwas vortragen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich bedauere. Ich darf Ihnen noch etwas vortragen, das der Herr bayrische Kultusminister Maier gestern vorzutragen unterlassen hat. Er schreibt: Eine Freiheitsideologie, ({0}) - das ist jetzt sehr interessant -die den individualistischen Anspruch des Grundrechtsteils der Verfassung in ultrakonkretem Realismus beim Worte nimmt, zerstört dabei unvermeidlich das Ganze der Verfassung. ({1}) Dies, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als konservativer Hohn auf die geschriebene Verfassung und auf das Wort des Grundgesetzes. ({2}) Wenn ein Minister vorgibt oder auffordert, man dürfe den Grundrechtsteil der Verfassung nicht beim Worte nehmen, würde ich ihn, wenn dieser Titel nicht schon anderweitig vergeben wäre, als „Radikalen im öffentlichen Dienst" bezeichnen. ({3}) Schließlich darf ich auf das zurückkommen, was Herr Dregger auf dem Unternehmertag in Bad Pyrmont von sich gegeben hat. ({4}) Dort sagte er - ich zitiere wieder mit Genehmigung -: Was die sogenannte Demokratisierung bei uns angeht, so sei zunächst darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine kommunistische Vokabel handelt. ({5}) Und er fügte hinzu: Die kommunistische Unterwanderung hat sogar in der Kirche eingesetzt. ({6}) So stand es in der „Fuldaer Volkszeitung" vom 29. März 1971. ({7}) Herr Dregger, Sie müssen sich vorsehen, daß Sie nicht der deutsche McCarthy werden. ({8}) Ich darf mit einer Betonung dessen abschließen, ({9}) was wir Sozialdemokraten an Verfassungsverständnis in diese Debatte einzubringen haben: Im Gegensatz zum bayerischen Kultusminister nehmen wir die Verfassung wörtlich. Wir wollen mit dem Grundgesetz Ernst machen. ({10}) Wir sehen in diesem Grundgesetz - auch Herr Minister Vogel - nicht nur eine stabilisierende Ordnung, die es zu bewahren und zu verteidigen gilt, sondern auch einen Auftrag, den man in vielen Bereichen unserer Gesellschaft noch erfüllen muß. ({11}) Bei diesem Auftrag und mit diesem Auftrag wollen wir auch Reformen verwirklichen, die Sie während Ihrer Regierungszeit in stolzer Unbekümmertheit und mit lernpathologischer Unwilligkeit auf dem geduldigen Papier der Verfassung stehengelassen haben. ({12}) Dabei gehen wir von den tragenden Grundwerten aus, die Sie bisher vernachlässigt haben, von der Freiheit und von der Chancengleichheit, vom Eigentum und von der Sozialpflichtigkeit, von den Grundrechten und von ihrer Gemeinverträglichkeit, vom Rechtsstaats- und vom Sozialstaatsgedanken, von der Gewissensfreiheit der Abgeordneten und vom Mitwirkungsauftrag des Grundgesetzes für die politischen Parteien in Art. 21, von der repräsentativen Demokratie und von der Volkssouveränität, von der im Grundgesetz auch die Rede ist. ({13}) Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet dies als Spannungslagen des Grundgesetzes: Die verfassungspolitische Aufgabe ist es, in diesen Spannungslagen eine Lösung zu finden, die dem Menschenbild des Grundgesetzes gerecht wird. ({14}) Wir werden Chancengleichheit schaffen, indem wir allen Bürgern die Chance eröffnen, an den Gütern der Bildung, der Ausbildung, der Gesundheit und der gesicherten Umwelt teilzuhaben, ohne auf ihre wirtschaftliche Kraft zurückgreifen zu müssen. Chancengleichheit ist Chance zur Teilhabe. Weil wir diese Chancengleichheit im Interesse der Selbstverwirklichung anstreben, wollen wir auch die von Ihnen so tapfer verteidigten Privilegien und Sondervorteile der Reichen und Einflußreichen Stück für Stück abbauen: im Steuerrecht, im Bodenrecht, im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, in der Rechtspflege und wo immer sich solche Privilegien verstecken und wo immer sie fortgeschleppt werden. ({15}) Wir Sozialdemokraten - und damit komme ich zum Schluß ({16}) haben uns vorgenommen, den Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes zu erfüllen. Der klassische Rechtsstaat, den das Grundgesetz postuliert, muß durch die Solidargemeinschaft ergänzt werden. ({17}) Bei unseren Gesetzesvorhaben zur Humanisierung der Arbeitswelt, zur Hilfe für Behinderte und Kranke, für junge und alte Menschen in den Heimen, beim neuen Strafvollzugsgesetz ({18}) und bei vielen anderen Gelegenheiten sind Sie eingeladen, ({19}) an der Verwirklichung des Grundgesetzes mitzuhelfen. Niemand, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wird Sie daran hindern können, Ihr konservatives, starres und verkrampftes Verfassungsbild beizubehalten. Niemand wird Sie daran hindern können, gegen die Chancengleichheit anzurennen. Niemand wird Sie daran hindern können, Demokratie als Lebensprinzip abzulehnen. ({20}) Aber ob Sie damit sich, unserem Grundgesetz und unserem Volk einen Dienst erweisen, das bezweifle ich. ({21})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat es im Jubiläumsjahr unseres Grundgesetzes für richtig gehalten, eine Verfassungsdebatte in diesem Hause zu führen, nicht etwa, wie man, dem hohen Anlaß entsprechend, voraussetzen dürfte, um nach 25 Jahren in einem nüchternen Vergleich ({0}) von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit - Sie werden schon noch ruhiger werden da hinten! - die kritische Bilanz aufzumachen, inwieweit dieses Grundgesetz - und das wäre die Aufgabe gewesen - in diesen Jahren erfüllt worden ist und wieweit es unerfüllt geblieben ist. Das wäre eine für Regierung und Opposition nützliche Anstrengung gewesen. Statt dessen hat es die Opposition für nützlich befunden, uns einen Katalog von Allgemeinheiten, an den ich noch einmal erinnern darf, und Selbstverständlichkeiten zu präsentieren, offenbar - denn sonst kann ich ihn überhaupt nicht erklären und verstehen - um in der Öffentlichkeit den Anschein zu erwecken, es könne zwischen den Demokraten in diesem Hause überhaupt eine Debatte darüber geben, ob sie Trivialitäten zustimmen können wie den folgenden: „Demokratische Parteien und Verbände dürfen keine gemeinsame Sache mit Verfassungsfeinden machen" oder „Gewaltenteilung und Gegenmacht gewährleisten die Bürgerfreiheit". Nun, „ja, ja, ja", könnte man dazu nur überall sagen. ({1}) Nur, hinter diesen Banalitäten beginnt doch jeweils, wie Sie so gut wissen wie wir, überhaupt erst das Problem, wenn wir nämlich fragen: Was bedeutet das, was fordert das? Auf diese eigentlichen Fragen, über die es unter Demokraten in diesem Lande wirklich zu debattieren lohnte, haben Sie in dieser Debatte - ich sage es ganz scharf - nicht die mindeste Antwort beigebracht, ja, Sie haben sie überhaupt nicht gestellt. ({2}) Mein Kollege Hirsch hat dazu schon gestern manches, wie ich meine, ins Schwarze Treffende gesagt. Aber selbst diese Ihre wahre Absicht, hier eine rein parteipolitisch gezielte Verfassungskampagne gegen die Regierungsparteien zu führen, statt in eine staatspolitische Verfassungsdebatte zwischen Regierung und Opposition einzutreten, haben Sie nicht erreicht, und dazu möchte ich einige deutliche Worte sagen. Der einzige wirklich förderliche Beitrag -

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Aber gern.

Ferdinand Breidbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, da Sie gerade bei einer Wertung sind, möchte ich Sie fragen, ob es nicht sinnvoller ist, im 25. Jahre des Grundgesetzes eine Verfassungsdebatte zu veranstalten, als den Vorschlag des Kanzlers zu realisieren, ein Volksfest mit Würstchenbuden und Trallala aus diesem Anlaß durchzuführen, wie es der Bundeskanzler vorgeschlagen hat. ({0})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Nun, Sie machen hier allerdings gelegentlich einen Trubel, der mehr einem Volksfest entspräche. Das muß ich sagen. ({0}) - Ich komme gleich zur Sache. Sie werden schon gleich hören, wovon hier die Rede sein müßte. Der einzige wirklich förderliche Beitrag zur Sache der Verfassung kam - auch ich möchte das festBundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer stellen - vom bayerischen Staatsminister Hans Maier, dem Sie gestern so kräftig zujubelten. Ich stimme mit ihm ganz überein - das wird Sie freuen -, daß wir alle besser daran getan hätten, nicht so zu tun, als gebe es dies oder jenes nicht in unserem Lande. Aber selbst in seinem ernüchternden Beitrag blieb es bei vordergründigen Feststellungen, was es da unter Studenten und an Universitäten alles gibt. Auch bei ihm habe ich keine Frage ,danach gehört - geschweige denn eine Antwort vernommen -, warum das alles so ist. Auch bei ihm waren mir zuviel selbstverständliche Unterstellungen: daß es in München an der Universität nur deshalb so friedlich hergeht - wenn ich das einmal so sagen darf -, weil München eben nicht in Hessen liegt oder in Berlin, wo die SPD regiert. Auch er hat so getan, als ob diese Revolte an unseren Universitäten nur einfach eine Sache des Versagens bestimmter Parteien wäre. Auch er hat so die schonungslose Analyse der Situation nicht geliefert, die uns allen vielleicht weitergeholfen hätte oder uns doch jedenfalls besser verstehbar gemacht hätte, was hier eigentlich vorgeht. Das kann ich hier nicht nachholen. Ich will das hier geforderte nur mit einigen knappen Strichen umreißen, damit Sie merken, worum es hier geht: um eine epochale Krise nämlich - sie ist der wahre Grund -, in der wir um die Mitte dieses Jahrhunderts wie andere stehen, mitten in einem Umbruch der Werte, wie er sich nur in Jahrhunderten ereignet, ({1}) in einer Zeit, in der fast über Nacht weltanschaulich begründete Strafnormen gegenstandslos werden, die zweitausend Jahre gegolten haben, ob sie Ehebruch oder Homosexualität, ob sie Gotteslästerung oder Sodomie heißen. Ja, in der in einer einzigen Generation - ich weiß, wovon ich hier rede - an die Stelle des zweitausend Jahre in unserem christlichen Abendland vorherrschenden Vergeltungsstrafrechts ein modernes Resozialisierungsstraftrecht tritt. Wir stehen mitten in einem Wandel des Bewußtseins, nicht zuletzt in den nachwachsenden Generationen, wie sich in der so viel verlästerten Revolte der Jugend in Ost und West - in einem seismischen Beben gleichsam - anzeigt. In der eben mehr steckt, als nur der übliche Konflikt der Generationen, die übliche Revolte gegen die Etablierten; in der uralte Sehnsüchte nach menschlicherer Gesellschaft neu aufbrechen. In der plötzlich weltweit von Demokratie nicht mehr nur im Staat, sondern ebenso auch in der Gesellschaft, ja selbst in der Wirtschaft, die Rede ist, von demokratischer Teilhabe also und Mitbestimmung nicht mehr nur, wie bisher, an der verfassungsmäßigen Organisation des Staates, sondern auch in der arbeitsteiligen Organisation der Gesellschaft, in Schule und Hochschule, in Betrieb und Unternehmen. Was Wunder, daß sich diese Jugend wieder grundsätzlichere Fragen stellt, worauf es denn überhaupt in Staat und Recht und Wirtschaft und Gesellschaft mit den Menschen hinaus soll! Geht es da überall so weiter wie bisher, in Ehe und Familie, in Beruf und Arbeit, in unseren wachsenden Städten, in unserem sich entvölkernden Land? Offenbar geht es da doch um mehr als darum - ich zitiere nochmals aus Ihrer Vorlage -, die „natürlichen Ordnungen" in einer „sich wandelnden Welt" zu sichern und auszubauen. Aber nicht nur in Hinsicht auf die Grundsätze unserer Verfassung, sondern, was ich noch mehr beklage, auch auf das sie heute tragende Bewußtsein unserer Gesellschaft sind von der CDU/ CSU die eigentlichen Fragen, um die sich eine Debatte unter Demokraten sehr wohl gelohnt hätte, überhaupt nicht gestellt worden. Geradezu bedrückend erscheint mir nach dem Eindruck dieser beiden Tage das Fehlen jeder tieferen Einsicht auf seiten der CDU/CSU in das, was in unserer Zeit in unserem Land geistig wirklich vorgeht, von dem Sie uns hier ein verzerrtes und vergröbertes Bild vor Augen stellen, von dem man sich fragt, ob das eigentlich das Land ist, von dem hier die Rede sein soll, das man selbst tagtäglich vor Augen hat. Ich meine, man hätte in der Verfassungsdebatte eigentlich erwarten dürfen, daß die Opposition - denn das wäre ihre Aufgabe gewesen - auf eine Klärung der Unklarheiten, auf eine Beantwortung des Fraglichen gedrängt hätte. Statt dessen hat sie selbst mit ihren eigenen Aussagen über die Verfassung eine Wirrnis der Begriffe offenbart, die beängstigend ist. ({2}) Es mag noch - und auch ich möchte das noch einmal aufnehmen - als landsmannschaftliche Eigentümlichkeit hingehen, wenn Ministerpräsident Filbinger allen Ernstes erklärt, es gebe so etwas wie - ich zitiere - die „Garantie unserer verfassungsmäßigen Wirtschaftsordnung", also der sogenannten sozialen Marktwirtschaft, worüber er sich schon an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts leicht eines Besseren hätte belehren lassen können. Gefährlich aber wird eine solche Nichtkenntnis unseres eigenen Grundgesetzes, über das wir hier doch unter Demokraten debattieren wollen, wenn er - ich zitiere nochmals - die „Kommualisierung von Grund und Boden" schlicht als verfassungswidrig bezeichnet. Denn eben dieses Fehlverständnis - und das ist das Bedenkliche daran - ist der geistige Hintergrund für die Verketzerung von Bürgern, die nur fordern, was nach Art. 15 unserer Verfassung mit der einfachen Mehrheit des Bundestages hier jederzeit beschlossen werden könnte, nämlich die Vergesellschaftung von Grund und Boden. Einem ähnlichen Fehlverständnis der Verfassung scheint auch die CDU/CSU in grundlegender Hinsicht zu erliegen. Man mag es noch als ein Versehen gelten lassen, daß sie in ihrem Prinzipienkatalog unter dem Vorzeichen „Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung" zwar in Andeutungen von Demokratie, auch von Rechtsstaat redet, den Sozialstaat dabei aber ganz einfach unterschlägt. Andererseits aber die „soziale Marktwirtschaft" in Ziffer 8 plötzlich in die Nachbarschaft von Verfassungspostulaten rückt und so den falschen Schein - ich kann es nicht anders sagen - verbreitet, als ob die Debatte um diese von uns Liberalen durchgesetzte Wirtschaftsordnung in unserem Lande nicht eine Frage politischer Entscheidung, sondern der juridischen Ordnung wäre. Nich weniger bedenklich, aber wohl auch bezeichnend ist der Mangel an klaren Begriffen und deutlichem Verständnis schon der obersten Verfassungsziele, der sich in der einleitenden Rede des Kollegen Dregger offenbart hat, mit der ich mich doch noch einmal einen Augenblick beschäftigen muß. Darin war in einer erstaunlichen Weise von Dingen die Rede das muß man anerkennen -, die es für die CDU/CSU bis zu ihrem Hamburger Parteitag nicht gab, nämlich nicht nur von Demokratie und Rechtsstaat, sondern auch - im Unterschied zu ihrem Entschließungsentwurf - von Sozialstaat. ({3}) Jawohl. Insoweit ist diese Partei in der Tat dabei - denn das ist ja in dieser Rede nachzulesen , sich selbst von früheren, zur bloßen Formel „verknorpelten Begriffen" wie „sozialer Rechtsstaat" zu lösen, mit denen man die sogenannte Sozialstaatsklausel unseres Grundgesetzes auf ein bloßes Beiwort, nämlich „sozial", zum Rechtsstaat reduzieren wollte. ({4}) „Das Rechtsstaatsprinzip", so heißt es in der Rede von Dregger, „kann das Sozialstaatsprinzip nicht ersetzen; umgekehrt gilt das gleiche." ({5}) So weit, so gut. Sie werden gleich merken, warum ich das aufgreife. Das steht ungefähr schon so in den Freiburger Thesen der Liberalen. ({6}) Darin steht auch, daß es bei der Ergänzung und Vollendung des freiheitlichen Rechtsstaats in einem ebenso freiheitlichen Sozialstaat darum gehe, aus gesetzlich gesicherten Freiheiten gesellschaftlich erfüllte Freiheit zu machen, aus formalen Garantien der Freiheit also reale Chancen der Freiheit usw. All das ist jetzt auch bei Ihnen zu lesen. Das freut uns; ich sage das ohne Ironie. Nur was hier Sozialstaat genannt wird, bleibt dennoch ein grundsätzliches Mißverständnis. Man versteht den Rechtsstaat seit Kant - um daran noch einmal zu erinnern - als einen Staat der größten möglichen Freiheit und Sicherheit aller Bürger. Bleibt man nicht bei einem bloß formalen Verständnis der Freiheit und Sicherheit stehen, so ist Rechtsstaat in der Tat etwas, das mit realer Freiheit und realer Sicherheit zu tun hat. Wenn Dregger darum jetzt sagt: „Unser Maßstab für die Verwirklichung des Sozialstaates sind die realen Lebensverhältnisse, die reale Freiheit, die reale Sicherheit", dann ist er damit in Wahrheit nicht beim Sozialstaat angelangt, sondern er ist noch immer bei dem, was wir Liberale, in einem viel umfassenderen Sinne als bisher, Rechtsstaat nennen, nämlich nicht nur den formalen, sondern auch den materiellen Rechtsstaat. Dieses Mißverständnis ist nicht ohne Belang. Daraus ergibt sich, daß hier ein wirklicher Begriff vom Sozialstaat überhaupt noch nicht durchgedrungen ist. Der Sozialstaat, auch und gerade ein freiheitlicher, zielt nämlich weit darüber hinaus. Sein Ziel ist es, der im freiheitlichen Rechtsstaat erreichten oder doch erstrebten größtmöglichen Freiheit und Sicherheit die größte mögliche Wohlfahrt und Gerechtigkeit für alle Bürger hinzuzufügen, und zwar in der Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse wie auch in der Entfaltung ihrer persönlichen Fähigkeiten. Wenn wir uns heute, nach 25 Jahren Grundgesetz, fragen, was dieses insoweit noch nicht erfüllte Grundgesetz für uns alle bedeutet und fordert, so stellen sich Fragen, die von der CDU/CSU bei allem geistigen Aufwand, mit dem diese Debatte vorbereitet wurde, als Verfassungsfragen offenbar noch nicht einmal gesehen worden sind. ({7}) Damit Sie sich das beispielhaft vergegenwärtigen können, will ich zum Abschluß hier nur zwei dieser Fragen herausgreifen. Sei kreisen um das, was als die Verfassungspolitik eines freiheitlichen Rechts- und Sozialstaates auf ,der Tagesordnung der nächsten Jahrzehnte stehen wird. ({8}) Erstes Beispiel: Förderung - und zwar in allen Bereichen - einer nicht mehr nur rechtsstaatlichen, sondern sozialstaatlichen Interpretation aller individualen Grundrechte, wie sich ,dies beispielhaft an der Verfassungsgarantie .der Bildung in Art. 12 und der Verfassungsgarantie des Eigentums in Art. 14 des Grundgesetzes zeigen läßt. Was heißt das? In der bisherigen rechtsstaatlichen Interpretation wurden diese Freiheiten und Rechte als bloß formale Garantien ({9}) gesetzlich gesicherter Freiheiten, etwa ,der „Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufes" in Art. 12 oder des gesetzlich gesicherten Rechts am Eigentum in Art. 14 verstanden. In beiden Hinsichten geht es einer heutigen - dies auch hier nur exemplarisch gesagt, es gilt für alle individualen Grundrechte zugleich sozialstaatlichen Interpretation solcher Grundrechte, darüber hinaus, um die reale Chance gesellschaftlich erfüllter Freiheiten und Rechte, und zwar vor dem Hintergrund all der tatsächlichen Ungleichgewichte der Vorteile und der tatsächlichen Ungleichgewichte der Abhängigkeiten in unserer Gesellschaft. ({10}) Das heißt - andersherum gesagt , es geht um die Herstellung ,der gesellschaftlichen Voraussetzung, eben gerade im Gegenzug gegen diese UngleichheiBundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer ten, für eine tatsächliche Verwirklichung des Bürgerrechts auf Bildung; einschließlich familienunabhängiger Ausbildungsförderung, einschließlich integrierter Gesamt- und Ganztagsschule, die dem Jugendlichen bei mangelndem Bildungshintergrund des Elternhauses überhaupt erst die faire, die reale Chance zur Verwirklichung dieses seines Bürgerrechts auf Bildung geben. ({11}) Nicht anders ist es bei der von uns Liberalen erstmals in den Freiburger Thesen versuchten, nicht nur wie bisher rechtsstaatlichen Interpretation des Art. 14 im Sinne eines verfassungsmäßig gesicherten Rechts am Eigentum, das jemand hat, sondern zugleich im Sinne eines sozialstaatlich verbürgten Rechtes auf Eigentum, 'das jemand eben gerade noch nicht hat, sondern erwerben will. Auch die Folgerungen aus einem so verstandenen Bürgerrecht auf Eigentum kann ich hier nur kurz andeuten; etwa die Folgerungen im Hinblick auf den durch die bisherige Hortungssituation an Grund und Boden unangemessen erschwerten Erwerb von Eigentum an Grund und Boden, die zu beseitigen oder doch abzubauen die sozialliberale Koalition in der anstehenden Bodenrechtsreform unternimmt, oder etwa die Folgerungen in Hinsicht auf den durch die bisherige Konzentration des Eigentums an Produktionsmitteln unangemessen erschwerten Erwerb an Eigentum an Produktionsmitteln. Auf dem Wege der von dieser sozialliberalen Koalition vorbereiteten überbetrieblichen Vermögensbildung sollen breite Schichten unserer Bevölkerung Zugang zu dem Produktivvermögen der Großunternehmen finden. Bei allen diesen sozialen Reformen unseres demokratischen Systems vollzieht sich nicht einfach nur eine theoretische Interpretation unserer individuellen Grundrechte, und zwar Punkt für Punkt, unter neuen, zugleich sozialstaatlichen Gesichtspunkten, sondern entsteht neue rechts- und sozialstaatliche Praxis der Politik. Zweites Beispiel: die Forderung nach einer Ergänzung des bisherigen Katalogs individualer Grundrechte unseres freiheitlichen Rechtsstaats durch den zwar in einigen Landesverfassungen angedeuteten, im Grundgesetz aber bisher fehlenden Katalog sozialer Grundrechte eines freiheitlichen Sozialstaats. Daß Sie hier den Kopf schütteln, zeigt mir, ({12}) daß Sie nichts verstanden haben. Geht doch jede sozialstaatliche Interpretation unseres Verfassungstextes da ins Leere - das ist eine Tatsache -, wo für bestimmte Bereiche solche Grundrechtsgarantien für die Bürger unter bisher rechtsstaatlichen Vorzeichen überhaupt nicht ausgebracht worden sind. Denn, wir haben es ja gerade gesehen: Zwar läßt sich das soziale Grundrecht auf Bildung oder Eigentum aus einer sozialstaatlichen Interpretation der vorhandenen individualen Grundrechte des freiheitlichen Rechtsstaates herleiten, nicht aber etwa neben diesem Bürgerrecht auf Bildung oder Eigentum auch das für einen freiheitlichen Sozialstaat unverzichtbare Bürgerrecht auf Arbeit, aber auch das Bürgerrecht auf Wohnung, wie es in ersten Andeutungen im vorliegenden Allgemeinen Teil eines Sozialgesetzes enthalten ist. ({13}) - Das ist doch wirklich belangloses Gerede am Rande, wenn Sie in diesem Zusammenhang so etwas sagen. ({14}) Sie sind sich des Ernstes dieser Sache überhaupt nicht bewußt; sonst könnten Sie solche Bemerkungen nicht machen. ({15})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes ({0})?

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ist das Thema, das Sie jetzt behandeln, nicht das uralte Thema der in der politisch-wirtschaftlichen Wirklichkeit so schwer zu erreichenden Vereinbarkeit von sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit? Weiß nicht jeder Erfahrene von der Gefahr, daß das eine gegenüber dem anderen jeweils zur kurz kommt? Aber liegt das konkrete und aktuelle Problem, das doch viele von uns heute sehen, nicht darin, daß zur Zeit im Ringen der Werte die Sicherung der Freiheit zu kurz kommen könnte? Und ist von daher diese Verfassungsdebatte nicht geboten?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Sie müssen aber doch sehen, daß es zwar um individuale Freiheit und Sicherheit geht, zugleich aber immer auch um soziale Wohlfahrt und Gerechtigkeit. ({0}) Nur wenn Sie die ganze Fülle dieser in unserem Grundgesetz steckenden und nicht in es hineingedachten Verfassungspostulate erfassen, können Sie überhaupt Verfassungspolitik eines freiheitlichen Rechts- und Sozialstaats machen, nur dann. ({1}) Das bedeutet: Wenn wir mit dem wirklich Ernst machen, was heute schon in der Sozialgesetzgebung für die Bereiche ebenso der Arbeitswelt wie des Wohnungswesens an Freiheiten und Rechten des Bürgers fast zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden ist, bis zur Mutterschutzgesetzgebung hier oder zum Kündigungsschutz dort, dann sollten wir uns - das sage ich mit großem Nachdruck - auch nicht scheuen, diesen neuen Freiheiten und Rechten auch ihren verfassungsmäßigen Rang und Ort zuzuweisen: Als erste Verwirklichungen eines Bürgerrechts auf Arbeit oder eines Bürgerrechts auf Wohnung in einem freiheitlichen Sozialstaat und damit eine Verpflichtung dieses unseres Rechts- und Sozialstaats nicht nur zum Schutz der Freiheiten und Rechte des Bürgers, sondern ebenso zur Gestaltung der Verhältnisse, sowohl der staatlichen als auch der gesellschaftlichen. Daß all diese Rechtsverbürgungen wahrhaft zur realen Chance für jeden Bürger werden. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Herrn Vogel besonders gerne.

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Maihofer, wenn wir schon diese sehr komplizierten verfassungstheoretischen Probleme behandeln: ({0}) - Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Kollege. Sind Sie sich nicht darüber im klaren, daß es eine andere Frage ist, ob wir die bisherige Abwehrfunktion der Grundrechte zusätzlich mit sozialen Teilhaberrechten füllen oder ob wir neben diesen so vom Sozialstaatsgebot her aufgefüllten Grundrechten neue Grundrechte auf soziale Teilhabe schaffen, was etwa bedeuten könnte, daß der einzelne einen Anspruch auf den Bau von so viel Plätzen an Universitäten hat, daß er seinen persönlichen Anspruch auf Bildung dort erfüllen kann - denken Sie etwa an das, was das Bundesverfassungsgericht im Numerusclausus-Urteil gesagt hat -, und sehen Sie nicht die Gefahr, daß durch eine Neuinterpretation der Grundrechte die bisherige Abwehrfunktion der Grundrechte abgelöst werden kann - ich habe es gestern so bezeichnet, sage es jetzt etwas vergröbert -durch eine Vergesellschaftung dieser Grundrechte, und sehen Sie das nicht in der aktuellen verfassungstheoretischen Diskussion?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Das ist mir sehr wohl bekannt, und dessen bin ich mir bewußt. Aber nehmen Sie ein anderes Beispiel. Wir haben in unserer Verfassung die Garantie von Leben und Gesundheit. Dennoch: mit uns streben ja wohl auch Sie wahrscheinlich eine verfassungsmäßige Verbürgung dessen an, was man heute gerne die menschenwürdige Umwelt nennt. Das hat ebenso wiederum mit den Verhältnissen in unserer Gesellschaft zu tun, von denen noch viel mehr als von persönlichem Verhalten einzelner abhängt, ob jemandes Leben und Gesundheit tatsächlich gewährleistet sind. ({0}) Ich habe nur einige wenige Punkte - wo Sie jetzt schon so allergisch reagieren - angeschnitten. Es war in diesem Rahmen nicht anders möglich. Aber ich meine, hier überall hätte es für diese Debatte Themen übergenug gegeben, die eines gemeinsamen öffentlichen Wettstreits der politischen Ideen würdig gewesen wären: um vage Generalklauseln unserer Verfassung, wie etwa in Art. 15 des Grundgesetzes, präziser zu artikulieren. Oder um ganz einfach auf die bewußt von den Verfassungsvätern offengehaltenen Fragen unserer staatlichen Verfassung und gesellschaftlichen Ordnung gemeinsame Antworten zu suchen: wohin es denn mit dieser res publica, dieser Republik, aus dem Konsens der Demokraten in diesem Haus und in diesem Land in den nächsten 25 Jahren bis zum Jahre 2 000 hinaus soll. Das hätte, wie ich meine, die staatspolitischen Anstrengungen aller Parteien gelohnt. Statt dessen hat es die Opposition für richtig gehalten, diese Debatte zu einem parteitaktischen Manöver zu denaturieren, das der müßigen Anstrengung galt, den Konsens der Demokraten in unserem Lande, auf den wir doch alle so stolz sein sollten, in Zweifel zu ziehen. ({1}) Das ist etwas - ich will Ihnen das ehrlich sagen; ich bin ganz neu in diesem Hause -, was mich zutiefst stört und enttäuscht. ({2}) Die diese Regierung tragenden Parteien sind aus dieser Debatte mit dem gestärkten Bewußtsein hervorgegangen, daß die Opposition auf die wahren Fragen unserer Verfassung keine Antwort hat. Sie hat diese Fragen noch nicht einmal gestellt. ({3}) -- Es gebe keine Reformen ohne einen starken Staat, hat Herr von Weizsäcker gesagt. Dem werden wir alle zustimmen. Auch dem, daß ein moderner Staat, als ein Bürgerstaat, die Kraft und die Macht haben muß, oder sich erkämpfen wird, sich selbst gegen stärkste Verbandsmacht mit einer Politik im wohlverstandenen Interesse aller Bürger durchzusetzen. ({4}) Aber es gibt auch keinen starken Staat - und das ist die unverzichtbare Umkehrung - ohne vernünftige Reformen. Deshalb heißt die politische Devise für diesesozialliberale Koalition, ganz anders, als es über Jahrzehnte von Ihren Bänken herüberklang: nicht Ordnung statt Reform, sondern Ordnung durch Reform. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bürgermeister Koschnick von der Freien Hansestadt Bremen.

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich nicht gestern das Wort nehmen konnte, als der Kollege Dr. Filbinger sprach; aber da hatten wir Ministerpräsidentenkonferenz. Ich muß heute etwas nachholen. Ich darf Ihnen sagen, daß wir mit etwas Skepsis nach Bonn gekommen sind, um der gestrigen und heutigen Debatte zu folgen, und zwar deshalb, weil wir befürchten mußten - und die Befürchtungen haben sich erfüllt -, daß diese Debatte Senatspräsident Koschnick nicht ein ernsthafter Versuch sein würde, die Probleme der Verfassungswirklichkeit, die Entwicklung unserer Verfassung und auch die Probleme der Gesellschaft so zu behandeln, daß wir draußen, insbesondere für eine kritische Jugend, glaubwürdige Antworten haben würden. Herr Minister Maihofer hat eben zu Recht darauf hingewiesen, wo heute in der jungen Generation - und nicht nur in der akademischen Generation die besonderen Schwierigkeiten liegen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Jugend mit einem relativ großen Unbehagen auf das zurückschaut, was seit 1949 entwickelt worden ist, daß sie nicht anerkennen will - ich meine, es müßte anerkannt werden -, was an Leistungen in diesen 25 Jahren auch in diesem Staate erbracht worden ist. Die Jugendlichen flüchten ein bißchen zurück in eine heile Welt, die es früher nicht gegeben hat, die es heute nicht gibt und die es morgen nicht geben wird. Interessanterweise gilt das an den Universitäten für die jungen Ideologen auf der linken Seite gleichermaßen wie für die Ideologen auf der rechten Seite. Beide möchten die heile Welt, beide möchten die geschlossene Ordnung, beide möchten das einheitliche Weltsystem, zwar von unterschiedlichen Positionen aus, aber alle träumen sie von dieser heilen Welt. Ich verhehle hier nicht, daß wir Sorgen haben um die Entwicklung in unseren Universitäten, daß ich insbesondere Sorgen habe über Entwicklungen in der Bremer Universität. Es wäre völlig unredlich, hier zu sagen, alles sei in Ordnung. Nein, es ist noch vieles zu tun. Nur eines weiß ich: daß die alten klassischen Universitäten ungenügende Antworten auf unsere Probleme waren und daß wir heute versuchen müssen, zu neuen Modellen, zu neuen Formen zu kommen. Jedes neue Modell ist mit der Gefahr behaftet, auch negative Auswüchse zu zeigen. Im Kampf gegen diese negativen Auswüchse stellen wir uns, die wir in unserem Land Verantwortung tragen. Wir wären sehr dankbar, wenn wir uns in dieser Auseinandersetzung nicht allein stellen würden, wenn hier nicht von der „roten Kaderschmiede" gesprochen würde, sondern wenn die Christlichen Demokraten in unserem Lande auch in unserer Universität die Auseinandersetzung beginnen würden. ({0}) Ich darf Ihnen aber sagen: Es ist bereits geschehen. Herr Kollege Vogel aus Rheinland-Pfalz hat sich vor etwa 14 Tagen einer ersten Auseinandersetzung gestellt. Ich muß Ihnen sagen: wir haben das außerordentlich begrüßt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Werner Schmöle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bürgermeister Koschnick, würden Sie zugestehen, daß sich an den Universitäten unsere Freunde vom RCDS durchaus der Auseinandersetzung mit den linksextremen und auch rechtsextremen Kräften stellen?

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Ich gebe gern zu, daß sich jetzt auch in Bremen der RCDS bemüht, in eine kritische, politische Auseinandersetzung einzutreten. Ich erkläre genauso eindeutig, daß er darin bisher keine Unterstützung von der eigenen Partei und der eigenen Fraktion erhalten hat. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bürgermeister, ich habe noch zwei Zwischenfragen. Ich frage Sie, lassen Sie diese Zwischenfragen zu?

Not found (Gast)

Diese beiden, ja.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Die nächste Frage ist die von Herrn Abgeordneten Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Koschnick, können Sie mir sagen, ob sich vor Kultusminister Vogel ein der SPD angehörender Kultusminister der Diskussion in der Bremer Universität gestellt hat? Wenn ja, wann?

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Das will ich Ihnen gern sagen. Wir, mein Kollege Thape und ich, stehen seit mehr als drei Jahren in der konkreten realen Auseinandersetzung in dieser und mit dieser Universität. ({0})

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage: Eine Veranstaltung in der Universität?

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Nein. ({0}) - Verzeihen Sie, „eine Veranstaltung in der Universität" heißt doch nicht, daß der Regierungschef etwa zum Akademischen Senat gehen muß, wenn der Akademische Senat Verfassungsfragen diskutieren will. Wir diskutieren nicht nur im Parlament, sondern auch in der Öffentlichkeit in all den Fragen, die wir heute in Bremen haben, und wir nehmen jede Einladung an. Und wie Sie wissen, haben wir in dieser Universität auch einige chaotische Kräfte, die natürlich immer wieder versuchen werden, unsere Auseinandersetzung umzufunktionieren. Wir gehen trotzdem in diese Universität. Wie Sie wissen, ging es bei dem großen Krach in der Bremer Universität um einen Auftritt von Koschnick und nicht um Vogel. Wir haben uns nicht mit staatlichen Machtmitteln durchgesetzt, sondern die Professoren, der Dienstleistungsbereich und die Studenten erklärten: „Wir sorgen dafür, daß an dieser Bremer Universität jeder ungestört sprechen kann, um seine Meinung zu Senatspräsident Koschnick vertreten, auch wenn wir die Meinung nicht billigen." Das ist die entscheidende Voraussetzung, nicht mit Mitteln der Polizei vorzugehen, sondern die Universität für diese Auseinandersetzung zu gewinnen. ({1}) Bitte sehr!

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Koschnick, halten Sie es für ein Zeichen der Bereitschaft zu theoretischer Auseinandersetzung, wenn der Vorsitzende des RCDS an der Bremer Universität gehindert wird zu sprechen und statt dessen verprügelt wird?

Not found (Gast)

Zunächst einmal muß ich Ihnen sagen, Herr Vogel, er ist nicht verprügelt worden, aber es gab einen körperlichen Angriff, bei dem wir sofort gehandelt haben. ({0}) - Entschuldigen Sie bitte, doch nicht an der Universität! Wenn Sie in der Universität oder auf der Straße von zwei Chaoten belästigt werden, können Sie draußen die Bürger auch nicht verantwortlich machen. Die Antwort der Universität war die, daß sie ankündigte, jeden zu relegieren, der es noch einmal wage, mit Gewalt vorzugehen. Und das haben linke Professoren gesagt. Verzeihen Sie, das muß doch einmal gesagt werden. ({1}) Und die Antwort war: „Wir wollen es doch einmal mit Herrn Vogel versuchen." Sie werden Herrn Vogel fragen können: Er kann nicht an jeder anderen deutschen Universität so ungestört sprechen, wie es in Bremen möglich ist. Gehen Sie nur einmal nach Heidelberg, und versuchen Sie es einmal dort! ({2}) - Ich spreche von den Sorgen, die wir an allen Universitäten gleichermaßen haben. Denn es gibt kein typisches studentisches Problem, das sich nur im Norden Deutschlands abspielt, es gibt kein typisches Problem, das sich nur im Süden abspielt. Es gibt höchstens andere Antworten darauf, wie wir mit den Problemen fertig werden. Denn die jungen Menschen, die dort studieren, sind die Kinder aus den gleichen Bevölkerungsschichten. In den Antworten unterscheiden wir uns. Da aber - ,das muß ich Ihnen allerdings sagen - glaube ich, daß die kritische Auseinandersetzung durch die gesellschaftlichen Kräfte in unserem Lande eine bessere Antwort ist, als zunächst immer nur nach der staatlichen Ordnungsmacht zu rufen, obwohl ich die staatliche Ordnungsmacht auch brauche. Es geht nicht ohne staatliche Macht, aber am Anfang müßte die Bereitschaft zur Auseinandersetzung stehen. Natürlich werden wir in den weiterhin erfolgenden Berufungen der Professoren auch weiterhin darauf achten, daß wir keine einseitig ausgewählten Professoren, keine einseitige Festlegung haben. ({3}) Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben diese Universität bewußt mit der Zielsetzung gegründet, die wissenschaftliche Pluralität an unserer Universität zu ermöglichen. Jetzt haben wir bei jungen Wissenschaftlern heute in einem sehr viel stärkeren Maße, als es Konservativen lieb ist, Tendenzen und Strömungen, die heute eben nicht der Ordnung liberaler Wirtschaft zuneigen, sondern in sehr viel stärkerem Maße modernen, progressiveren gesellschaftlichen Überlegungen. Wir werden dennoch mit aller Macht und mit den Möglichkeiten des Senats - hierfür stehen wir ein - dafür sorgen, daß die Verbreiterung der wissenschaftlichen Basis garantiert wird, und zwar in Übereinstimmung mit der Universität und nicht gegen sie. Auch das muß einmal gesagt werden. Im übrigen ist es ganz interessant, daß, nachdem an den deutschen Hochschulen hundert Jahre lang konservative Orthodoxie einen wissenschaftlichen Pluralismus nicht erlaubte, wir heute angegriffen werden mit der Begründung, wir würden einen solchen verhindern. Nein, wir wollen ihn erst einmal realisieren, möglichst an allen Universitäten, ({4}) allerdings - das gebe ich zu - auch mit unterschiedlichen Gesichtspunkten. Es kann nicht so sein, daß eine Hochschule wie die andere ist. Wir brauchen Strukturen, die wir entwickeln müssen. Wir brauchen Modelle, die beweiskräftig sind. Deswegen haben wir uns in Bremen so mit Nachdruck dafür eingesetzt, im Hochschulrahmenrecht eine Experimentierklausel für Modellversuche zu bekommen, zeitlich begrenzt möglicherweise, um deutlich werden zu lassen, was man an Universitäten machen kann; um deutlich werden zu lassen, daß die eigene Reform der Hochschulen nicht aus dem gesellschaftspolitischen Prozeß herausgelöst werden darf. Auf der anderen Seite erkläre ich hier vor dem Parlament: Das Verfassungsurteil von Karlsruhe ist auch für uns verbindlich. Wenn wir im Hochschulrahmenrecht keine Bremer Klausel bekommen, werde ich, wird meine Regierung noch vor Beendigung der Legislaturperiode dafür sorgen, daß das Urteil von Karlsruhe realisiert wird. Aber Sie müssen mir das Recht einräumen, in diesem Hause um Modellbeispiele zu ringen. Ich hoffe auf Unterstützung. Wenn Sie es verwerfen, werde ich auch damit fertig, meine Universität weniger. ({5}) - Verzeihung, ich identifiziere mich mit dem Staat und spreche deswegen von meiner Universität als Staatsbürger und als Verantwortlicher im Lande. ({6}) - Nein, das bin ich nicht, und ich lege auch keinen Wert darauf, Monarch von Bremen zu werden. In Senatspräsident Koschnick dieser Frage haben wir in Bremen ein recht ungestörtes Verhältnis. Wir waren nie monarchistisch, sondern immer Republikaner. ({7}) - Ich habe ja nichts dagegen. Im übrigen bin ich es gewohnt, so angegriffen zu werden. Ich kenne einen bestimmten Teil von Argumenten, die leider nicht das Niveau von Herrn Weizsäcker erreichen. Ich gebe zu, das gibt es überall, ({8}) daß Schwierigkeiten in der Artikulation gegeben sind. Aber es wäre doch wirklich sehr schön, wenn wir Jüngeren, ,die, als wir aus dem Kriege zurückkamen und kritisch gefragt haben, warum es denn zum Jahre 1933 und zum Jahre 1945 kam, auch zwei Lehren gemeinsam mit beachten würden: daß es nicht die Nazis und die Kommunisten waren, die uns 1933 den Garaus gemacht haben, sondern daß die Schwäche der demokratischen Parteien, ihren eigenen Staat zu verteidigen, erst zu den Nazis führte. ({9}) - Wenn ich diesen Beifall richtig deuten darf, müßten Sie jetzt auch die gleiche Schlußfolgerung ziehen, nämlich die Bereitschaft zu zeigen, in den wesentlichen Prinzipien unserer Verfassung und des Staates gemeinsam zu arbeiten und nicht aus wahltaktischen Gesichtspunkten eine Verfassungsdebatte hier anzufangen. ({10}) Die Rede von Herrn Dregger hätte gehalten sein können von Herrn Helfferich im Jahre 1921. ({11}) Ich sage Ihnen: wenn Sie wirklich eine gemeinsame Hilfe wollen, dann kooperieren Sie mit den demokratischen Parteien in den wichtigen Fragen und stellen Sie sich der gemeinsamen Auseinandersetzung, aber fangen Sie doch nicht im Freund-FeindVerhältnis an. ({12}) Wo leben wir eigentlich? Haben wir alles vergessen? Ich warne auch aus meiner Position: Lassen Sie es nicht zu, ,daß durch Ihre Argumentation Bonn auch Weimar werden kann, sondern kämpfen Sie wirklich für die Demokratie! ({13})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte, was immer man sich von ihr versprochen haben mag, hat meiner Meinung nach eines bewiesen: Unser Grundgesetz ist kein toter Buchstabe, und das ist gut so. ({0}) Die Debatte hat, wenn ich es richtig sehe, auch bewiesen: Das Grundgesetz sollte und dürfte nicht für engere parteipolitische Zwecke in Anspruch genommen werden. ({1}) Ich stelle nicht ohne Befriedigung fest, daß sich hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland am Text und an der Realität einer freiheitlichen und demokratischen Verfassung bis zu einem gewissen Grade Leidenschaften entzünden und ,daß sich an diesem Text und an dieser Realität bis zu einem gewissen Grade - wie sollte es anders sein - die Geister scheiden. Meiner Meinung nach hat sich bestätigt: Ein Teil der Mitglieder dieses Hauses sieht im Grundgesetz vor allem die Elemente der Bewahrung, der Verteidigung des Bestehenden. ({2}) Das ist eine respektable Haltung, und niemand darf es hier am Respekt fehlen lassen. Aber auch innerhalb der Unionsparteien gibt es nicht wenige, sondern, wie ich sehr wohl weiß, viele - das ist in dieser Debatte auch gesagt worden -, die mit anderen meinen, mit dem Bewahren kann es nicht genug sein. ({3}) Ein anderer Teil der Mitglieder des Hauses sieht nicht nur die Verbote, sondern vor allem auch die Gebote des Grundgesetzes, unserer Verfassung, nicht nur den mehr defensiven Auftrag der Bewahrung, sondern vor allem auch die offensive Aufgabe der Weiterentwicklung. ({4}) Mir aber ist es, meine 'Damen und Herren, bei allem Streit der Meinungen wichtig, klar zu sagen, wie ich das Gemeinsame sehe - Herr Koschnick hat es soeben aus seiner Sicht leidenschaftlich gesagt - oder was nach meiner Einsicht - jeder kann nur aus seiner Einsicht sprechen - das Gemeinsame sein sollte. Erstens. Unser Grundgesetz hat sich in einem Vierteljahrhundert, zumal, wenn man den Hintergrund und die Art seines Zustandekommens bedenkt, als eine beispielhafte Verfassung bewährt; darauf können wir bauen, und das sollten wir uns dann 'bitte auch nicht zerreden lassen! ({5}) Zweitens. Das Grundgesetz garantiert die strikte Rechtsstaatlichkeit; dies ist ein hohes Gut. Wir dürfen es nicht antasten, geschweige denn zerstören lassen. Dies erfordert, auch wenn die Meinung über das Wie auseinandergehen 'mag, die ständige Be5166 reitschaft, das Recht kraftvoll zu schützen; darüber sollten wir auch einer Meinung sein. ({6}) Dazu gehört: Extremistischen Gruppen darf es nicht erlaubt sein, die Grundrechte gegen die freiheitlichrechtsstaatliche Ordnung zu mißbrauchen. ({7}) Grundrechte und Grundfreiheiten dürfen auch nicht durch Liebäugeln mit Ideen eines undemokratischen Obrigkeitsstaates ausgehöhlt werden; das gehört auch dazu. ({8}) Drittens. Das Grundgesetz garantiert die bundesstaatliche Ordnung unseres Landes, und diese hat sich - im ganzen gesehen - bewährt. Ich bin - wenn ich das einmal offen sagen darf, zumal man mich in Bayern leicht für einen Preußen hält, was ein Irrtum ist, ich kam ja aus Lübeck, wo man einmal antipreußisch aufwuchs, ich betrachte das auch nicht nur als einen Vorteil; ({9}) denn es gibt preußische Tugenden, wenn man so etwas Altmodisches auch einmal sagen darf; aber davon abgesehen -, ich bin für die föderative Ordnung nicht nur, weil sie, die föderative Ordnung, den Reichtum der Landschaften und des Landsmännischen besser zum Ausdruck bringt, sondern ich bin für die föderative Ordnung auch, weil sie nach aller Erkenntnis die Freiheit in dieser Zeit sichern hilft. ({10}) Aber es gilt dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, daß der Bundesrat Verfassungsorgan des Bundes ist - nicht gegen die beiden anderen Organe, mit denen zusammen er für den Bund insgesamt die Verantwortung trägt -, daß er die Interessen des Gesamtstaats zu fördern und zu wahren hat - gewiß, wiederum aus der Sicht seiner Erfahrungen; Interessen mögen auch eine Rolle spielen. Es darf also nicht dazu kommen - das muß man immer bedenken, unter welchen Regierungskonstellationen auch immer -, daß der Bundesrat Instrument parteipolitischer Obstruktion werden könnte; sonst macht man die bundesstaatliche Ordnung unglaubwürdig und schwächt die Gemeinschaft der Länder, statt sie zu stärken. ({11}) Viertens. Unser Grundgesetz - davon war mehrfach die Rede - bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen und sozialen Bundesstaat. Die Sozialstaatlichkeit darf also nicht vernachlässigt, sie darf schon gar nicht unterschlagen werden. Verfassungstreue verlangt in meinem Verständnis den Schutz der sozial Schwachen, ({12}) die Hilfe für Benachteiligte, den Abbau von Privilegien. Sie ist auf die Verwirklichung der Chancengleichheit angelegt. Verfassungstreue verlangt die Mitsprache des Bürgers. Mitbestimmung und Mitverantwortung sind unser Weg zur Lösung sozialer Konflikte und nicht, wie man uns gern unterstellt, der Klassenkampf. Auch der Klassenkampf von oben ist entschieden abzulehnen. ({13}) Fünftens. Der freiheitliche Charakter unseres Gemeinwesens basiert auf den Grundrechten. Es lohnt sich, diese Rechte immer wieder einmal genau anzuschauen, nicht nur dann, wenn man den Schulkindern staatsbürgerliche Kenntnisse vermittelt. Ich nenne Artikel 2 Absatz 1: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, ..." Das enthält den dauernden, über diesen Bundestag und diese Generation hinauswirkenden Auftrag für uns und die, die nach uns kommen, Gleichheit der Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen, wo immer ihr Fehlen den Bürger benachteiligt. Hier und an anderer Stelle begegnen wir dem, was ich die Dynamik des Grundgesetzes nenne, jener Dynamik, der unser Regierungsprogramm gerecht zu werden versucht. Und so versteht auch meine Partei ihre Aufgabe, wenn sie sagt, wie sie es auf ihrem letzten Parteitag in Hannover als Motto, als Losung des ganzen Parteitages gesagt hat: Das Grundgesetz verwirklichen. ({14}) Ich nenne Artikel 3 Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Davon war in der Debatte kaum die Rede. Diesem Verfassungsgebot sind wir weithin noch die Erfüllung schuldig geblieben, meine Damen und Herren. ({15}) Das künftige Familienrecht soll einen wichtigen Schritt weiterführen, aber in der Arbeitswelt wer wollte es bestreiten? - wird vielen Frauen die eigentliche, die volle Gleichberechtigung noch weitgehend vorenthalten. Das ist doch die Wahrheit. ({16}) Das Grundgesetz verwirklichen heißt für mich, dem rascher zu entsprechen, so rasch wir es miteinander vermögen. ({17}) was die Verfassung uns hier aufgetragen hat. Ich nenne Artikel 5 Absatz 1: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern ...". Dieses ist auf andere Weise, ist zusätzlich zu der Weise bedroht, die wir aus früheren Zeiten kennen, ({18}) Es ist nämlich auch bedroht durch Monopolisierung, durch wirtschaftlichen Druck, ({19}) durch mißbräuchlichen Einfluß auf Massenmedien. ({20}) Das Grundgesetz verwirklichen muß heißen, die Meinungsvielfalt nicht oder möglichst wenig verfälschen lassen. ({21}) Ich nenne Artikel 12 Absatz 1: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." ({22}) Dieses Verfassungsgebot fordert, soziale Ungleichheit durch Gleichheit der Bildungschancen zu unterbinden. Herr Professor Maihofer hat hierüber das gesagt, was zu sagen war. Hier geht es, wenn von der Bildungsreform die Rede ist, ich will das einmal in aller Offenheit hinzufügen unkonventionell, wie der eine und andere meinen mag, und nicht genau in das Parteischema hineinpassend -, auch um eine realistische Anerkennung dessen, was ich die Bildungspflichten nennen muß; es gibt nicht nur ein Recht auf Bildung, es gibt auch die sich daraus ableitenden Bildungspflichten. ({23}) Es lohnt sich, das Grundgesetz Satz für Satz zu prüfen. Fast keiner erlaubt uns stehenzubleiben. Fast jeder sagt uns, wieviel getan werden muß, damit die Verfassungstreue nicht bloßes Lippenbekenntnis bleibt, ({24}) sondern sich als konkrete Wirklichkeit deutscher Politik bestätigt. ({25}) Ich nenne also über das eben skizzierte hinaus noch einmal Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." ({26}) Verfassungstreue in meinem Verständnis fordert also z. B. ein besseres Bodenrecht, als wir es bisher haben. ({27}) Ich will das nicht weiter illustrieren. ({28}) Ich habe in diesen Punkten nur noch einmal andeuten wollen, wie groß der Katalog der Aufgaben ist, zu denen uns das Grundgesetz in Wirklichkeit auffordert. Wenn wir mit der Verwirklichung des Grundgesetzes weiterhin ernst machen, dann zeigt sich erst, wie stark die Verfassung ist - ich bin davon überzeugt, sie ist stark - und wie stark das Gemeinwesen der Bürger sein kann, an dem wir miteinander, wenn auch zuweilen miteinander streitend, bauen. Darum haben wir guten Anlaß, den 25. Jahrestag des Grundgesetzes im Mai festlich zu begehen. Ich sage dies noch einmal so, wie ich es meine. ({29}) Ich weiß, daß die von Ihnen zur CDU/CSU geführten Länder dies nicht anders sehen als die Bundesregierung. Wer sich dem Gemeinsamen entziehen wollte, der ließe die Kraft vermissen, dort ja zu sagen, wo ein Ja unumstritten sein sollte. Er bewiese, daß ihm Vertrauen nicht ins Konzept paßt oder daß er die Angst als politisches Werkzeug nicht entbehren mag und daß er deshalb lieber das Trennende will - auch dort, wo es nicht sein muß. Ich sage hier für die Regierung: wir werden das Gemeinsame dort und soweit es im Grundgesetz angelegt ist nicht preisgeben. ({30}) Wir werden dem Appell an die Angst und wir werden dem zerstörenden Geist des Unfriedens entgegentreten. Das Grundgesetz will selbstbewußte Bürger. Jetzt sage ich - obwohl Herr von Weizsäcker aus etwas anderer Sicht, das ist vielleicht gar kein Schaden, diesen Terminus aufgriff, ohne daß ich dies wissen konnte, und nachdem Herr Professor Maihofer seine Meinung dazu gesagt hat -: das Grundgesetz will, so sage ich aus meiner Sicht, selbstbewußte Bürger und nicht einen schwachen, sondern einen starken demokratischen Staat. Das will das Grundgesetz. ({31}) Keiner soll das unterschätzen, und ich lasse daran, wir lassen daran, nicht rütteln, meine Damen und Herren. ({32}) Die Entschließung der Koalitionsfraktionen, die ich namens der Regierung ausdrücklich begrüße, sagt klar - ich darf zitieren : Die freiheitlich-demokratische Grundordnung unserer Verfassung ist mit allen Kräften gegen jeden Versuch zu verteidigen, diese Grundordnung zu beeinträchtigen oder gar zu beseitigen. Ich unterstreiche das - und ich hoffe, wir alle unterstreichen dies - Wort für Wort, meine Damen und Herren. ({33}) Die Rechte und die Pflichten des Grundgesetzes gelten auch, aber natürlich nicht nur, für Gruppen, die Sonderstandpunkte und, wenn man so sagen darf, Avantgardismen vertreten, sondern sie, die Grundrechte, gelten natürlich auch für jene Mitbürger, deren Pflicht es ist, dem entgegenzutreten, was die Rechte anderer verletzt. Daran darf es keinen Zweifel geben. Hier war nun wiederholt in dieser Debatte gestern und heute von der jungen Generation die Rede. Das ist gut so. Denn man darf die Jugend nicht aus der Gesellschaft aussperren. Überraschung hat sich bei mir eingestellt, als Herr Dregger gestern den bisherigen Juso-Vorsitzenden Roth mit lobenden Worten bedachte. ({34}) Womit hat Wolfgang Roth das verdient? ({35}) Ich füge hinzu: Wer hätte denn, Herr Dregger, den bisherigen Vorsitzenden der jungen Sozialdemokraten in dieser Debatte loben können, ({36}) wenn ich mich vor ein paar Jahren von ihm und seinen Freunden getrennt hätte? Wer hätte ihn dann hier heute loben können? ({37}) Davon abgesehen, meine Damen und Herren, Rechtsbrecher darf man nicht gewähren lassen. Der demokratische Staat muß sich gegen Unterwanderung sichern, und eine demokratische Partei - ich sage auch dies in aller Unbefangenheit - muß sich in Fällen, in denen es nicht anders geht, von Leuten trennen, die nicht zu ihr gehören, und da kehre jeder vor seiner eigenen Tür! ({38}) Ich meine, es war richtig und es bleibt vernünftig, daß wir den Herausforderungen der jungen Generation vor allem mit dem Bemühen um Integration begegnen, durch Gespräch, Diskussion, Überzeugung. Hätten wir anders gehandelt, stünden heute nicht nur einige Gruppen von Außenseitern gegen diesen Staat, sondern in falscher Solidarisierung ein großer Teil der jungen Generation und, meine Herren aus der Union, ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer eigenen Söhne und Töchter dabei. ({39}) Hier ist versucht worden, die Jugendarbeitsgemeinschaften der beiden Koalitionsparteien kollektiv, ja, ich sage: zu verteufeln und gewissermaßen außerhalb unserer Gesellschaft zu stellen. ({40}) Dies halte ich für eine verwerfliche Methode. ({41}) Das erleichtert nicht, sondern erschwert die Auseinandersetzung mit dem, worum es wirklich geht und was mir ganz gewiß an mehr als einem Tag Sorgen bereitet. Nun hat man noch ein bißchen weiter gegriffen und in einem Teil der Debatte auch versucht, wie es hieß, Teile der SPD als außerhalb der Verfassung stehend hinzustellen. Das muß mißlingen, und zwar sage ich Ihnen, das muß mißlingen zu Lasten, auf Kosten derer, die dieses Unternehmen Verfassungsdebatte gestartet haben. ({42}) Wobei ich gleich hinzufügen will: Ich unterstelle nicht, daß die Auffassungen des Herrn Dregger das wiedergeben, was die Union in ihrer Gesamtheit denkt. Was soll es aber bedeuten, wenn hier angefangen wurde, die Verfassungsqualität des Programms meiner Partei, die Verfassungsqualität des Godesberger Programms in Zweifel zu stellen? Oder, Herr Kollege Kiesinger, haben Sie mit Verfassungsfeinden am Kabinettstisch gesessen? ({43}) Sie haben 1966 mit der Partei des Godesberger Programms koaliert. Aus Godesberg wurde der Satz zitiert in dieser Debatte, daß sich die Demokratie im Sozialismus erfülle, und man hat gestern auch meinen Satz vorgebracht, zuerst in einer Zwischenfrage, meinen Satz, den ich in Übereinstimmung mit dem österreichischen Bundeskanzlei und mit skandinavischen Sozialdemokraten formuliert habe, den Satz nämlich, daß freiheitlicher demokratischer Sozialismus sehr wohl als vollendete, nämlich als konsequent durchgeführte und sinngemäß angewandte Demokratie verstanden werden könne. Niemand muß sich doch diese Aussage zu eigen machen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Nein, ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen. Niemand muß sich doch diesen Gedanken zu eigen machen. Aber niemand wird ernsthaft behaupten, diese These sei undemokratisch oder gar, sie sei gegen das Grundgesetz gerichtet. Das Gegenteil ist der Fall. Darin hat mich auch diese Debatte bestärkt, meine Damen und Herren. ({0}) Leider habe ich gestern abend, weil ich einer Einladung des Herrn Bundespräsidenten folgen mußte, die, wie ich nachlesen konnte, bemerkenswerte Rede des bayerischen Kultusministers Professor Maier nicht selbst hören können. Er räumte ein, wie ich nachgelesen habe, daß wir in der Diagnose mancher Probleme übereinstimmen. Ja, er sprach von Großzügigkeit und Gelassenheit, die hier die Richtschnur sein müßten. Ich wünschte, er hätte diesen Rat zu Anfang der Debatte Herrn Dregger und im Verlauf der Debatte Herrn Filbinger gegeben. ({1}) Ich folge Herrn Professor Maier keineswegs unbesehen, wo es um seine wenn auch interessante Interpretation der Dinge an den Schulen und an den Hochschulen geht; ich will auch diesen Teil der Debatte nicht wieder aufgreifen. Aber ich möchte doch von der Definition der Bundesrepublik Deutschland als sozialer Bundesstaat in diesem Zusammenhang noch einmal sprechen dürfen; denn sie enthält nach seinen - Professor Maiers - Worten kein Gebot zur Ausfüllung der Sozialstaatlichkeit, neben die er in einem Atemzug das stellte, was er Sozialismus nennt oder was sich ihm als Sozialismus darstellt. Ich bin demokratischer Sozialist, wie man weiß, und verberge es nicht. Ich wünschte mir, es würde mit der Ausfüllung der Sozialstaatlichkeit möglich sein, tatsächlich im Laufe der Zeit in unserem Land das zu etablieren, was meine Partei in ihrem Grundsatzprogramm skizziert hat. Wozu gibt man sich sonst ein Programm, wenn man nicht hofft, es im Laufe der Zeit durchsetzen zu können? ({2}) Aber so einfach wird es nicht sein, wie Herr Professor Maier meint, weil nämlich beides gar nicht zusammenfällt. Sozialstaatlichkeit und das, was das Godesberger Programm als demokratischen Sozialismus auffaßt, sind nicht ein und dasselbe. Meine Damen und Herren, ich meine, es ist, was diesen Teil angeht, nicht ermutigend gewesen, daß selbst ein Mann des gemäßigten Konservatismus wie Professor Maier nicht nur seine Aversion gegenüber dem Sozialismus bekundet hat - das war bekannt -, sondern daß er diesseits jener Linie, die er als eine Trennungslinie sieht, auch eine so starke Reserve - so darf ich es nennen - gegenüber dem sozialstaatlichen Auftrag des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht hat. ({3}) Wie dem auch sei, wir haben riesige Aufgaben vor uns, und wir können es uns im Grunde nicht leisten, unsere Kräfte so zu verzetteln und zu zerfasern, wie es hier in mehr als einer Rede angekündigt worden ist. ({4}) Wer sich umschaut in Europa und in der Welt, der weiß oder der ahnt zumindest, daß eine ganze Menge auf uns zukommt, ({5}) da wir nun einmal nicht auf einer Insel der Seligen leben. ({6}) Wer die Lage in einer Reihe unserer Nachbarländer verfolgt, wird das Wort von einer Krise der europäischen Demokratien - auch bei von Weizsäcker klang es an - nicht mehr für sehr übertrieben halten. Wir müssen also damit rechnen, daß es diese Republik in den nächsten Jahren nicht leichter haben wird. ({7}) Wer gewisse Entwicklungen in unserem eigenen Land unter die Lupe nimmt, der wird sich fragen, ob auch nur in den führenden und meinungsbildenden Schichten schon einigermaßen verstanden worden ist, daß uns ökonomisch, technologisch, gesellschaftspolitisch - und ich vermute, auch was die Effektivität und die Beweglichkeit der staatlichen Organisation angeht - neue Einsichten aufgezwungen und veränderte Verhaltensweisen abverlangt werden. ({8}) Bei von Weizsäcker, wenn ich ihn recht verstanden habe, klang etwas davon an; Maihofer hat es auf seine Weise gesagt. ({9}) Können wir es uns, so frage ich, leisten, in einer solchen Lage mehr trennende Gräben zu schaufeln, als auf Grund unterschiedlicher Interessen und Überzeugungen ohnehin vorhanden sind? Das ist meine Frage. ({10}) Nein, ich meine, wir können uns das nicht leisten. ({11}) Können wir es uns leisten, dem Gegenüber die Verfassungstreue abzusprechen oder zu bestreiten? Nein, ich meine, wir können und wir dürfen uns dies nicht leisten, meine Damen und Herren. ({12}) Das Grundgesetz ist nicht nur zum Feiern da. ({13}) - Danke schön! Es ist gut, wenn Sie nicht nur wie das vorige Mal höhnisch lachen können, sondern einem vernünftigen Gedanken Beifall spenden. ({14}) Das Grundgesetz ist Grundlage und Orientierung zugleich, und dies in einer Zeit, in der wirklicher Fortschritt nur erzielt werden kann, wenn man sich weder durch objektive Schwierigkeiten, an denen es nicht mangelt, noch durch Unvernunft noch durch Ungeduld schrecken läßt und wenn alle, die politische Verantwortung tragen, dafür sorgen, daß unsere Demokratie krisenfest bleibt und lebendig erhalten wird - lebendig in des Wortes doppelter Bedeutung. ({15})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Carstens.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die zweitägige Debatte, die wir in diesem Hohen Hause über das Grundgesetz und die Grundprinzipien unserer Verfassung geführt haben, hat eine Übereinstimmung in vielen Erklärungen, die hier abgegeben worden sind, zutage gefördert. Das ist zu begrüßen. Redner aller Parteien, die hier gesprochen haben, haben die Grundbegriffe und die Grundprinzipien unserer Verfassung - die persönliche Freiheit, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die Gewaltenteilung, auch den Föderalismus, die reprä5170 Dr. Carstens ({0}) sentative Demokratie, die rechtsstaatlichen Garantien und das sozialstaatliche Prinzip - bekräftigt und bestätigt. Das hat auch der Bundeskanzler getan. Ich begrüße das. All den Rednern, die von seiten der Regierung und von seiten der Koalitionsparteien gesprochen haben, muß ich aber entgegenhalten, daß die Reden, die sie hier gehalten haben, in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem stehen, was sich in unserem Lande ereignet. ({1}) Es ist ganz ausgezeichnet, wenn wir hier sagen: Wir stehen zu diesen Grundsätzen. Es ist aber bedenklich, ich würde sagen, es ist gefährlich, wenn wir gleichzeitig von diesem Rednerpult aus all das, was an verfassungsfeindlichen, verfassungsgegnerischen Bestrebungen in unserem Lande im Gange ist, beschönigen, bagatellisieren oder ignorieren. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte den Versuch machen, diese Debatte doch für einige Augenblicke auf die nüchternen Realitäten, mit denen wir es zu tun haben, zurückzuführen. ({3}) Herr Ministerpräsident Osswald aus Hessen hat, wenn ich das richtig gehört habe, das Problem hier mit dem Stichwort der Revolutionsschauspieler abzutun versucht. Meine Damen und Herren, das ist ein groteskes Understatement! Die Schauspieler auf der Bühne schlagen zum Schein aufeinander ein. Professoren an den deutschen Universitäten werden aber physisch zusammengeschlagen. Wir kennen ihre Namen. ({4}) Die Freiheit der Lehre und Forschung ist an Teilen der deutschen Universitäten aufgehoben. Das ist eine traurige Tatsache. Man schafft sie nicht dadurch aus der Welt, daß man sie verschweigt. ({5}) Herr Bürgermeister Koschnick - er ist zu meinem Bedauern schon gegangen - hat uns hier etwas über die bremischen Universitätsverhältnisse vorgetragen. Ich möchte Herrn Koschnick ein Zitat von einem Professor der bremischen Universität entgegenhalten, den der bremische Senat vor kurzem an diese Universität berufen hat, übrigens gegen den Widerspruch sowohl von CDU als auch FDP. Dieser Professor - es ist Professor Immanuel Geis - hat versucht, die Bedenken, die ihm inzwischen angesichts des bremischen Modells gekommen sind, in einem Vortrag vor der bremischen Universität darzulegen. Daran hat ihn die Studentenschaft gehindert. Daraufhin hat er diesen Vortrag in einer der bremischen Zeitungen veröffentlicht. Ich will Ihnen nur zwei Sätze daraus vorlesen. Herr Geis sagt: Viele Angehörige der Universität Bremen fühlen sich von den ultralinken Gruppen schon derartig eingeschüchtert, daß sie Angst haben, überhaupt noch öffentlich gegen KSB und KSO Stellung zu nehmen. Zweites Zitat: Wenn ich gewußt hätte, daß als einzig mögliche inhaltliche Ausfüllung des Bremer Modells nur der sogenannte wissenschaftliche Sozialismus marxistisch-leninistischer - heute würde ich hinzufügen: in Wahrheit stalinistischer - Observanz zugelassen wird, ({6}) so hätte ich mich weder für diese Universität beworben noch mich an ihrer Gründung beteiligt. ({7}) Allmählich komme ich mir mit meiner Beteiligung an der Gründung dieser Universität nur als nützlicher Idiot für politische Kräfte vor, von deren Existenz ich im Frühjahr 1970 noch nichts wußte und nach Lage der Dinge nichts wissen konnte. Dies, meine Damen und Herren, ist die Stimme eines, wie ich annehme, sachverständigen Kenners der Verhältnisse an der bremischen Universität. ({8}) - Ich zitiere ja Ihre eigenen Leute, die von Ihnen berufenen Professoren. Dazu sagte Herr Kollege Grobecker von der SPD-Fraktion am 24. Januar im Pressedienst seiner Fraktion folgendes: Die im Bremer Modell vorhandenen Reformen und Reformbemühungen sichern bei aller Härte der hochschulpolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der Universität gerade die Freiheit von Forschung und Lehre. Meine Damen und Herren, es ist schlimm, daß an der bremischen Universität Zustände bestehen, wie sie Herr Professor Geis schildert. Aber, glauben Sie mir, es ist schlimmer, daß sich die SPD-Fraktion hinstellt und sagt: Das stimmt alles nicht; hier wird die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert. ({9}) Typisch für Beschönigungsversuche, deren Zeugen wir seit langer Zeit sind, waren die gestrigen Ausführungen des Herrn Ministers von Oertzen aus Hannover. Er hat über die niedersächsischen „Handreichungen" gesprochen. Ich habe sie mir besorgt, weil ich der Meinung war, daß es vielleicht doch nützlich sein könnte, dem Hohen Hause daraus ebenfalls einige Sätze vorzulesen. Es handelt sich um die „Handreichungen für Lernziele, Kurse und Projekte im Sekundarbereich II für das gesellschaftswissenschaftliche Aufgabenfeld". Herr von Oertzen hat gesagt, die Behauptung, hier werde Indoktrination betrieben, sei übertrieben. Ein Unterrichtsfach nach diesen „Handreichungen" ist der Marxismus, wogegen selbstverständlich gar nichts einzuwenden ist. Ihm sollen 17 Unterrichtsstunden gewidmet werden. Ob das unbedingt die Dr. Carstens ({10}) richtige Relation ist, darüber kann man verschiedener Meinung sein. Aber meinetwegen! Ich würde mich anheischig machen, 17 Stunden Unterricht über den Marxismus zu erteilen. Aber das Material, das hier den Lehrern, die über Marxismus unterrichten sollen, zur Verfügung gestellt wird, ist ausschließlich marxistisches oder neomarxistisches Material: Karl Marx, Engels, Ernest Mandel, Karl Marx usw. Die 11. und die 12. Stunde dieses 17stündigen Programms sind dem Klassenkampf und dem Klassenbewußtsein gewidmet, und hierzu wird auf das Kommunistische Manifest als Material Bezug genommen. Nun ist das Kommunistische Manifest ohne Zweifel ein bedeutendes historisches Dokument - ich würde sagen: bedeutender wegen seiner Folgen als wegen seines Inhalts. ({11}) Aber ich weiß nicht, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, die Sie sich hier so stark eingesetzt haben für die Reformen, die Freiheit und die Entfaltungsmöglichkeit der Schulen und auch der dissentierenden Gruppen, wann Sie das letzte Mal Gelegenheit gehabt haben, sich das Kommunistische Manifest anzusehen. Ich möchte doch nur einmal in Erinnerung zurückrufen, daß in dem Kommunistischen Manifest Sätze stehen wie der: Die Arbeiter haben kein Vaterland. Oder Sätze wie: Die Kommunisten brauchen die Weibergemeinschaft nicht einzuführen, sie hat fast immer existiert. Unsere Bourgeois, nicht zufrieden damit, daß ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar nicht zu sprechen, finden ein Hauptvergnügen darin, ({12}) - ich lese aus dem Kommunistischen Manifest ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen. Und schließlich die These, daß der Klassenkampf das unausweichliche Schicksal der Menschheit ist, daß, solange es Geschichte gibt, Unterdrückte und Unterdrücker bald in einem versteckten, bald in einem offenen Kampf stehen, „einem Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endet oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen".

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Professor Carstens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, heute morgen haben sieben Redner nacheinander gesprochen; davon waren fünf solche der Regierung und der Regierungskoalition. Vielleicht ist es jetzt möglich, daß ich einige Zeit ungestört spreche. ({0}) Wenn also an den Schulen über Marxismus gelehrt wird, sollte gesagt werden, daß der Satz, der Arbeiter habe kein Vaterland, unter Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse eine Beleidigung für den Arbeiter ist. ({1}) Es sollte vielleicht auch gesagt werden, daß die Ehe und die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen ({2}) und daß ,die Verbindung von Mann und Frau zu einer grundsätzlich lebenslangen Ehegemeinschaft und die Erziehung der Kinder in dieser Ehe eine der Grundlagen unserer Verfassungsordnung ist. ({3}) Es sollte vor allem gesagt werden, daß Klassenkampf mit dem Ziel gewaltsamer Revolution das genaue Gegenteil unserer freiheitlichen Ordnung ist und daß da, wo dieser Weg beschritten worden ist, er in unendlichem Leid und in der Unterdrückung der Freiheit geendet hat und daß das jüngst ein großer Dichter in einem großen Buch, nämlich „Archipel GULag", dargestellt hat. ({4}) Nach meiner Überzeugung sollte auch gesagt werden, daß sich die Sozialdemokratische Partei in Deutschland frühzeitig von dem Weg der gewaltsamen Revolution distanziert hat ({5}) und es sollten Namen wie Ebert, Noske, Wels, und ich meine, aus der jüngeren Vergangenheit vielleicht auch Namen wie Wilhelm Kaisen genannt werden. Ich könnte mir vorstellen, daß eine solche Behandlung des Themas Marxismus ein nützlicher Gegenstand des Schulunterrichts sein könnte. ({6}) Aber das Ziel der von Oertzenschen Handreichungen für die elfte und zwölfte Stunde, Klassenkampf und Klassenbewußtsein, lautet: „Notwendigkeit der aktiven Organisation erkennen." Das ist Indoktrination, ich sage: Das ist raffinierte Indoktrination. ({7}) Es liegt mir auf der Zunge, ein noch kräftigeres Wort zu gebrauchen. Leider ist auch Herr von Oertzen nicht da. ({8}) Ich muß sagen, Herr Präsident: ({9}) Herr Präsident, ich bedaure es sehr, daß die Herren, die hier zu uns gesprochen haben, weggehen, Dr. Carstens ({10}) nachdem sie ihre Reden absolvierten, und sich nicht anhören, was man auf sie zu erwidern hätte. ({11}) Ich meine, ein wesentliches Ziel des Schulunterrichts in unserem Lande sollte die Vermittlung der Wertvorstellungen unserer freiheitlichen Ordnung, über die wir doch offenbar alle übereinstimmen, an die Schüler unseres Landes sein, nicht aber die Vermittlung von Zerrbildern des historischen Ablaufs und ihre systematische Indoktrinierung mit marxistischer, neomarxistischer Ideologie, wie es in den sogenannten Handreichungen des Herrn von Oertzen beschrieben wird. Dann verlangen Sie doch bitte nicht von mir, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, daß ich mich hinstellen und sagen soll: Die Sozialdemokratische Partei tut alles, um dem Vordringen verfassungsfeindlicher Kräfte in unserem Lande entgegenzutreten. ({12}) Meine sehr verehrten Herren von der Bundesregierung, gehen Sie doch bitte auch etwas vorsichtiger mit den politischen Kernworten und Kernbegriffen um. Der Herr Bundeskanzler hat sich hier mit aller Deutlichkeit gegen den Klassenkampf gewandt. Aber ich möchte daran erinnern, daß vor gar nicht langer Zeit Herr Bundesminister Eppler -nun will ich ihn genau zitieren, weil er einer derjenigen ist, die, wenn in dem Zitat ein Komma fehlt, sagen, ich hätte ihn falsch zitiert ({13}) nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom 10. Oktober 1973 gesagt hat, weder Wirtschaftswachstum noch die Verhinderung solchen Wachstums könne Ziel von Politik sein, genauso-wenig könne Klassenkampf Inhalt oder sogar Ziel eines politischen Programms sein. „Doch wenn wir das Konzept ,Lebensqualität' ernsthaft durchsetzen wollen, müssen wir die Möglichkeit von Auseinandersetzungen mit Klassenkampfcharakter realistisch einkalkulieren". ({14}) Solche Äußerungen - es tut mir sehr leid - rühren an die Grundelemente der Verfassungsordnung, in der wir stehen. ({15}) - Ja, dann werden Sie unruhig. Wenn Sie mich hören, dann werden Sie unruhig. Das verstehe ich; ich würde an Ihrer Stelle auch unruhig werden, Herr Kollege, denn Sie können sicher sein, daß mehr und mehr Bürger in dem Land, in dem wir leben, ähnliche Unruhe empfinden, wie ich sie empfinde. Sie können sicher sein, daß ich, wenn ich hier spreche, für sehr viele Bürger unseres Landes spreche, und daran werde ich mich nicht hindern lassen, auch durch Sie nicht! ({16}) Ein besonders schweres Schicksal erleidet, seitdem die gegenwärtige Regierung und Koalition unser Land regiert, der Demokratiebegriff selbst. „Wir wollen mehr Demokratie wagen" hat der Bundeskanzler gesagt - ein Ausspruch, den man als solchen sicherlich nur voll unterstützen kann. Aber dann legt uns diese Regierung ein Mitbestimmungsmodell vor, das mit dem Verständnis moderner Demokratie etwa soviel zu tun und gleich hat wie das preußische Dreiklassenwahlrecht im 19. Jahrhundert mit unserer modernen Form der direkten Wahl zum Parlament. ({17}) Dies ist ein raffinierter Versuch, durch indirekte Wahl, durch Zwischenschaltung von Wahlmännergremien, den Willen des Wählers zu manipulieren. ({18}) Das hat man auch in der Verfassungsgeschichte unseres Landes gemacht; wir haben das inzwischen überwunden, wir haben uns inzwischen zu dem Grundsatz bekannt, daß direkte repräsentative Demokratie die Form der Demokratie ist, die wir haben wollen, und mit dieser Demokratie und diesem Demokratieverständnis hat Ihr Mitbestimmungsmodell nichts zu tun. Da verfälschen Sie doch. ({19}) Ich darf noch einmal auf die niedersächsischen „Handreichungen" zurückkommen. Da ist von der Diktatur des Proletariats die Rede - natürlich ein unbequemer Begriff für jemanden, der sich, jedenfalls nach außen, demokratisch geriert. ({20}) - Ich meine ja nicht Herrn von Oertzen damit, sondern ich meine den Verfasser dieser „Handreichungen" ; ich weiß gar nicht, wer das ist. ({21}) Ich mache Ihnen allen, auch Ihnen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, den Vorschlag: Lesen Sie einmal die „Handreichungen" durch! Es ist eine Qual, eine wirkliche Qual schon allein deswegen, weil nur jedes sechste oder siebente Wort dem deutschen Sprachschatz entnommen ist. ({22}) Aber da steht nun dem Sinne nach folgendes: Marx meint mit „Diktatur des Proletariats" die Herrschaft der Mehrheit, also Demokratie. ({23}) Da werden also nun Karl Marx und die Herrschaft des Proletariats als Kronzeugen für den heute geltenden und wirkenden Demokratiebegriff herangezogen. Das ist ein starkes Stück, Herr Kollege, das geben Sie mir doch zu. ({24}) Dr. Carstens ({25}) Ich möchte aber noch ein Wort am Rande dieser Diskussion über die Frage sagen, wie wir uns in dieser sicherlich ganz entscheidenden und wichtigen Frage miteinander auseinandersetzen sollten. Ich habe zu Beginn dieses Jahres in der Tat gesagt - ich habe soeben schon kurz darauf angespielt -, daß SPD und FDP dem Vordringen linksradikaler Gruppen nicht geschlossen und nicht entschlossen genug Widerstand leisten. Dies ist ein Satz, der nichts damit zu tun hat, daß ich die Sozialdemokratische Partei oder die Freie Demokratische Partei als verfassungsfeindlich bezeichnet hätte. Es gibt eine Reihe von Kritikern aus dem sozialdemokratischen Lager, die mir dies unterstellen. Ich empfinde dies als eine böswillige Unterstellung. ({26}) Aber der Satz als solcher und der Inhalt dieses Satzes sind richtig. Die Diskussion, die wir hier geführt haben, hat es gezeigt: Es ist die Schwäche Ihrer Position - die Sie nicht leugnen können -, daß Sie große Schwierigkeiten haben, sich mit den verfassungsfeindlichen Kräften, die Sie sicherlich als solche erkennen, in einer klaren und eindeutigen Form auseinanderzusetzen. Sie sind in dieser Frage gespalten. Es gibt Stimmen, die sich für eine entschiedene Form der Auseinandersetzung bei Ihnen aussprechen, es gibt andere Stimmen, die entweder diese Gegensätze bagatellisieren oder die einer, sagen wir mal, mehr diplomatischen Behandlung das Wort reden. Es ist ja gar kein Zweifel, daß das so ist, und die besorgten Stimmen, die aus Ihrem eigenen Lager laut werden, lassen das ja klar erkennen. Ich meine nur, daß die Aussage, die ich gemacht habe, erstens sachlich richtig war - lassen Sie uns miteinander streiten, wenn Sie mit mir darüber streiten wollen - und daß sie zweitens in der Form völlig korrekt war. Ich habe keinerlei in der Form beleidigenden Ton in meine Äußerungen hineingebracht. Nun muß ich Sie doch einmal bitten, sich zu vergegenwärtigen, was von Ihrer Seite - hiermit richte ich mich besonders an die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses - über die christlich-demokratische und die christlich-soziale Fraktion im Laufe der letzten Wochen an schweren Beschimpfungen - so muß ich schon sagen - geäußert worden ist: „Ungeziefer", „Bankrotteur", „Sie werden noch feixen am Grabe der Zweiten Republik", „Sie würden am liebsten wieder Leute ausbürgern" und dergleichen Dinge mehr. Und gestern hat der Abgeordnete Schäfer in einer Zwischenfrage die CSU mit der NPD in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht und damit indirekt die CSU in die Nähe einer verfassungsfeindlichen Haltung gestellt. Diese Äußerung gehört zu den übelsten und verwerflichsten, die ich in diesem Hause gehört habe. ({27}) Ich weise sie auf das entschiedenste zurück. Wir haben dann weiter festgestellt - eine Feststellung, die wir immer wieder machen -, daß, wenn wir ein Thema ansprechen, welches der Koalition oder der Regierung unbequem ist, Sie der Diskussion über das von uns gestellte Thema ausweichen und zu mehr oder minder wohlgezielten Angriffen gegen uns ansetzen, wobei Sie dann mit der Geschichte Bismarcks und ähnlich weit zurückliegenden Ereignissen beginnen, über das Ahlener Programm bis zu anderen Fragen führen, ({28}) die mit dem, was wir hier diskutieren müssen, meine Damen und Herren, nichts zu tun haben. ({29}) Denn der Sinn dieser Debatte sollte meiner Meinung nach vor allem darin liegen, und die Öffentlichkeitswirkung dieser Debatte sollte nach meiner Auffassung vor allem darin bestehen, daß wir unserer Bevölkerung, unseren Bürgern, insbesondere unseren jungen Bürgern die Gründe darlegen, weswegen wir an dieser freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialstaatlichen Ordnung unter allen Umständen festhalten wollen. ({30}) Für mich stehen zwei Gründe im Vordergrund, von denen der eine ohne weiteres einsichtig ist: die Überzeugung, die wir, soweit ich sehe, alle miteinander teilen, daß diese Ordnung die beste Gewähr für die Wahrung der Freiheit und der Würde des Menschen bildet. Aber ich glaube, wenn man die Entwicklung in unserem Lande und in anderen Ländern analysiert, kommt man zu der Überzeugung, daß wir diese freiheitlich-demokratische, rechtsstaatliche und sozialstaatliche Ordnung noch aus einem anderen Grunde verteidigen müssen: weil sie nämlich von allen bekannten Staatsordnungen und Staatssystemen am meisten die Möglichkeit und am ehesten die Gewähr dafür bietet, daß sich eine Gesellschaft und ein Staat auf friedliche Weise reformieren und erneuern kann. ({31}) Wir wissen über die Zukunft wenig, ({32}) ungeachtet der vielen Prognosen, die wir alle miteinander uns anzustellen bemühen. Das eine wissen wir sicher: daß die Menschheit weiterhin und unser Volk und unser Land ganz besonders in einem ständigen Wandel der technischen Gegebenheiten, der Bewußtseinsinhalte, der gesellschaftlichen Gegebenheiten stehen wird. Wir müssen eine Verfassung behalten, die in der Lage ist, die notwendigen Reformen, Erneuerungen, Anpassungen an diesen Prozeß auf friedlichem Wege zu verwirklichen. Wir sehen, daß alle anderen Verfassungssysteme - wir können dabei in das sozialistische Lager ebenso wie in das Lager von Diktaturen anderer Provenienz blicken - im Vergleich zu unserem System, zu unserer Ordnung durch ein hohes Maß an Starrheit ausgezeichnet sind, daß ihnen die für das Überleben eines Landes unter friedlichen Verhältnissen entscheidende Fähigkeit fehlt, sich selbst von innen her zu erneuern und anzupassen. Die freiheitlich-demokratische, rechtsstaatliche und sozialstaatliche Ordnung in unserem Lande hat während der zwei Jahrzehnte von 1949 bis 1969 den Dr. Carstens ({33}) großartigen Beweis dafür geliefert, daß sie imstande war, sich den Erfordernissen der sich wandelnden Gesellschaft anzupassen. Der Versuch, den jetzt einige von Ihnen machen, diese großen Leistungen der gesellschaftspolitischen Reform der 20 Jahre zwischen 1949 und 1969 zu verkleinern, muß bei jedem scheitern, der sich die Mühe macht, sich zu vergegenwärtigen, was damals geschehen ist. ({34}) Wir haben 12 Millionen Heimatvertriebene eingegliedert und mit Ihnen den Lastenausgleich durchgeführt; wir haben unsere Kriegsopfer versorgt; wir haben die dynamische Rente eingeführt ({35}) und damit eine säkulare Leistung auf dem Gebiet der Sozialpolitik vollbracht. ({36}) Die Mitbestimmung in Montan-Betrieben haben wir eingeführt, während Sie immer noch an Ihren Mitbestimmungsmodellen herumkrebsen, meine Herren. ({37}) Das gleiche gilt von der Personalvertretung, dem Betriebsverfassungsgesetz. ({38}) Wir haben das Kindergeld und die Ausbildungsförderung eingeführt, und wir haben die Grundlage einer Vermögensbildung, die Grundlage für den sozialen Wohnungsbau gelegt, mit dessen Hilfe Hunderttausende, Millionen von Menschen in diesem Lande Eigentum haben erwerben können ({39}) und das alles gleichzeitig mit einem kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung und einer kräftigen Steigerung des Realeinkommens der Arbeiter. ({40}) Seit 1969 geht nun allerdings - das muß man sagen - das Reformwerk wesentlich weniger zügig voran. ({41}) Das aber liegt, meine Damen und Herren, nicht etwa an unserer Verfassungsordnung, sondern das liegt an der Unzulänglichkeit der Regierung und der sie tragenden Parteien. ({42}) Es liegt zu einem ganz wesentlichen Teil - darüber wollen wir uns gar keine Illusionen machen - an der Inflation; aber für diese Inflation trägt die Regierung und tragen die sie tragenden Parteien ein hohes Maß an Verantwortung. ({43}) Aber es liegt auch daran, daß die Regierung in sich zerstritten ist, ({44}) daß sie bei den entscheidenden großen Reformen nicht zu eindeutigen Aussagen kommt. Wir werden in aller Ruhe abwarten, welches Modell uns in der so oft beschworenen Frage der Mitbestimmung und der Vermögensbildung nun schließlich auf den Tisch gelegt wird. ({45}) - Wer hat wen reingelegt? Ja, das weiß ich nicht; das müssen die Herren untereinander ausmachen. Ich möchte nun doch noch ein Wort zu der Frage sagen, die hier eine große Rolle gespielt hat: Inwieweit sind sozialistische Prinzipien, die Verstaatlichung oder Vergesellschaftung der Produktionsmittel, mit unserer grundgesetzlichen Ordnung vereinbar? Ich will mich hier nicht auf verfassungsrechtliche Argumente stützen; das möchte ich ganz deutlich sagen. Ich finde die Diskussion, die hier gestern darüber stattgefunden hat, ob Banken im Sinne des Art. 15 Produktionsmittel sind oder nicht, wichtig, aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, wenn Sie mir gestatten, das in aller Ruhe zu sagen, nach meiner Auffassung folgendes. Wir, meine Freunde und ich, sind der Meinung, daß eine Sozialisierung keine Reform, sondern einen außerordentlichen Rückschritt darstellen würde, weil wir befürchten, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zurückgehen würde - Herr Osswald ist ebenfalls nicht mehr hier, sonst könnte man vielleicht noch kurz einen kleinen Seitenblick auf die Hessische Landesbank werfen ; ({46}) wir glauben, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zurückgehen wird, wir glauben, daß der Freiheitsspielraum des einzelnen Menschen dadurch eingeengt werden würde, weil sich der einzelne kolossalen Organisationen, Apparaten gegenübergestellt sehen würde, denen gegenüber er machtlos wäre. Aber was wir noch mehr befürchten, ist, daß, falls man diese sozialistische Reform, die, wie gesagt, nach unserer Meinung keine Reform wäre, in unserem Lande einführte, dies dann allerdings die letzte Reform wäre, ({47}) zu der unser Land mit friedlichen Mitteln in der Lage wäre. Denn dann würde das einsetzen, was ich vorhin beschrieben habe, dann würde ein riesiger Apparat, sei es ein staatlicher, sei es ein Apparat anderer Organisationen, sich über unser Land, über unsere Wirtschaft, über unsere Gesellschaft stülpen, und es würde zu der Erstarrung durch den Apparat führen, deren Zeugnis wir in all den Ländern finden, die seit 10, 20, 30 oder 40 Jahren mit Versuchen dieser Art experimentieren. Ich unterstelle Ihnen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, in gar keiner Weise, daß Sie das wollen, ich bin aber davon überzeugt, daß das der Erfolg Ihrer Bemühungen wäre. Wenn Sie davor die Augen verschließen, so erweisen Sie sich nach meiner Überzeugung auch in dieser Frage als Illusionäre, die Sie in so vielen anderen vitalen politischen Fragen unseres Landes Dr. Carstens ({48}) z. B. den Fragen der auswärtigen Politik, erwiesenermaßen sind. ({49}) Und so kämpfen wir mit politischen Waffen in der Auseinandersetzung, wie wir sie hoffentlich hier in diesem Parlament führen können, gegen die Verwirklichung sozialistischer Modelle in unserem Lande, weil wir glauben, daß ein solches Reformwerk auf Kosten unser aller Wohlstand, einschließlich des Wohlstands der deutschen Arbeiterschaft, gehen würde, weil wir glauben, daß der Freiheitsspielraum des einzelnen Bürgers einschließlich des einzelnen Arbeitnehmers durch ein solches Modell eingeengt statt erweitert werden würde, und weil wir drittens davon überzeugt sind, daß im Falle der Realisierung eines solchen Modells die Chancen einer weiteren sicherlich notwendigen Reform, denn niemand von Ihnen wird glauben, daß im Jahre 1975 oder 1980 die Weltgeschichte zu Ende ist, die Chancen für eine friedliche Durchführung und Realisierung weiterer Reformen außerordentlich erschwert sein würden, weil sich der erstarrte Apparat jeder Reform widersetzen würde. Meine Damen und Herren, die heute zu Ende gehende Debatte hat in einer Reihe von Feststellungen und Aussagen zum Grundgesetz Übereinstimmung ergeben. Das begrüße ich. Sie hat gezeigt, daß weder die Bundesregierung noch die sie tragenden politischen Parteien gewillt sind, sich den Problemen, den drängenden, brennenden Problemen zu stellen, wie wir nämlich unsere Verfassungsordnung gegen diejenigen, die sie zweifellos beseitigen wollen, schützen und verteidigen können. Wir haben keine Antwort auf die Fragen gehört, die unser Kollege Dregger zu Beginn dieser Diskussion gestellt hat. Ich möchte Ihnen, Herr Bundeskanzler sagen, daß Sie bitte davon ausgehen können, daß der Herr Kollege Dregger namens der CDU/CSU-Fraktion gesprochen hat und daß das, was er gesagt hat, unsere Meinung ist. ({50}) Wir haben keine Antwort auf die Frage bekommen: Wie soll der Staatsdienst von Verfassungsfeinden freigehalten werden? Wie sollen sich die demokratischen Parteien in ihrem Innern von versassungsfeindlichen Kräften abgrenzen? Wir haben keine klaren, sondern nur ausweichende Antworten zur Frage des imperativen Mandats bekommen. Wir haben ganz unzulängliche, bagatellisierende, ausweichende Erklärungen zu der Frage gehört, wie die rechtsstaatliche Ordnung an den Universitäten unseres Landes wiederhergestellt werden kann. Niemand, der von seiten der Koalition oder der Regierung hier gesprochen hat, hat die meiner Ansicht nach entscheidende Aufgabe klar gekennzeichnet, daß wir nämlich in diesem Jahre der Verfassung, daß wir anläßlich der 25sten Wiederkehr des Inkrafttretens unseres Grundgesetzes unserer Jugend an den Schulen und an den Universitäten das Verständnis dafür vermitteln müssen, warum wir diese Ordnung behalten wollen und warum wir sie verteidigen. ({51}) Diese Fragen werden uns weiter beschäftigen während des vor uns liegenden Jahres. Wir werden sie mit Sicherheit hier im Parlament erneut stellen. Diese Fragen werden nicht dadurch gelöst, daß wir Feste feiern. So gern wir Feste feiern - bitte, unterstellen Sie nicht, daß auch wir nicht Freude an Festen hätten -, nur hat es keinen Zweck, Feste zu feiern, wenn man nicht gleichzeitig das Notwendige tut, damit unsere Kinder in weiteren 25 Jahren die 50jährige Wiederkehr dieser freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Ordnung feiern können, auf die wir alle mit Recht so stolz sind. ({52})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte hat es zwei Eckwerte, zwei Markierungspunkte der Opposition gegeben. Den einen hat Herr Dregger gesetzt, den anderen Flerr von Weizsäcker. Herr Carstens hat keinen neuen Eckwert gesetzt, aber er war ganz nah bei Herrn Dregger. ({0}) Insoweit bin ich Ihnen dankbar, Herr Carstens, für das, was Sie auch zu Ihrer Selbstdarstellung über Karl Marx gesagt haben. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine sehr geehrten Damen und Herren, soweit Sie das Plenum verlassen wollen, bitte ich Sie, das freundlichst ohne Geräusche zu tun, damit der Redner sprechen kann.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es hat einen Ordinarius gegeben, der hat gesagt: „Wir alle stehen auf den Schultern von Karl Marx". Dieser Mann heißt Professor Oswald von Nell-Breuning. Was Sie hier über Karl Marx gesagt haben, war nicht das Niveau eines deutschen Ordinarius, sondern eines Geschäftsführers des Volkswartbundes oder eines, der dort Geschäftsführer werden will. ({0}) Das andere, das hier eingangs der Debatte gesagt werden muß, betrifft Herrn von Weizsäcker, der für uns immer sehr nachdenkenswert ist. Aber die geschmeidige Süße seiner Stimme erspart ihm nicht, daß ich ihm vorwerfen muß, daß er sich mit schleichender Freundlichkeit auch, wie alle anderen hier, mit einer Verfälschung unseres Programms davongestohlen hat. Wir Sozialdemokraten betrauern in diesen Tagen Adolf Arndt. Herr von Weizsäcker hat vorhin gefordert, wir sollten doch eindlich einmal klarstellen, daß Demokratie nicht nur durch Sozialismus erfüllt wäre; wir hätten diese Klarstellung bis jetzt nicht gegeben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Adolf Arndt zitieren: ({1}) hat das Godesberger Programm als Totalitätsanspruch mißdeutet durch die Unterstellung des Anspruchs, nur durch Sozialismus könne Demokratie erfüllt werden. Erstens - sagt Adolf Arndt -ist das eine Verfälschung des Wortlauts und seines Sinnes, der im Gegenteil feststellt, daß Sozialismus zum Dienst an der Demokratie verpflichtet ist. Zweitens hat die Sozialdemokratische Partei den Sozialismus nicht gepachtet. Ebenso, wie aus dem niemals nur an eine Partei gebundenen Liberalismus freiheitliche Überzeugungen auch im Denken anderer Parteien ihren Platz fanden, gibt es schon heute keine demokratische Partei mehr, die nicht von Einsichten aus dem freiheitlichen Sozialismus beeinflußt ist. Drittens würde die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich selber aufgeben, wollte sie zur Monopol- oder Staatspartei werden. Diese Klarstellung - und ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie Herr von Weizsäcker, der in Programmfragen beschlagen ist, diese bedeutende Rede Adolf Arndts nicht kennt -, diese bedeutende Feststellung ist vor 15 Jahren getroffen worden. Es wäre an der Zeit, daß Sie Ihre Fälschungen endlich aufgeben. ({2}) Es wäre falsch, davon auszugehen, die Opposition habe Sorge um die Verfassung und wolle nun von der Regierung erfahren, ob diese Sorge begründet sei. Sie als Opposition sind mit einem Vorurteil, mit einer gefälschten Verfassungswirklichkeit in diese Debatte gegangen. Herr Dregger, Anfälle von Demagogie sind keine Gründe. Wir bestreiten Ihnen die Aufrichtigkeit Ihrer Besorgnis. ({3}) Dies ist die Situation. Richtig ist, daß eine mit ihrer Oppositionsrolle nicht ins reine gekommene CDU/ CSU einen Einstieg in die Landtagswahlkämpfe sucht. Dies ist doch die Ursache dieser Debatte. ({4}) Warum braucht die Opposition diese Debatte? Ich gebe freimütig zu: die Lage der Regierung war in den letzten Monaten nicht immer rosig. ({5}) Warum soll man das nicht sagen? Aber verglichen mit der Situation der Koalition ist die Lage der Opposition mies, und ich will Ihnen auch sagen, warum. ({6}) Zunächst einmal haben Sie Ihre Führungsprobleme nicht gelöst. Es hat sich herumgesprochen, daß Herr Kohl zwar anders, aber nicht besser ist als Herr Barzel. Und das zweite: Sie, Herr Professor Carstens, können von sich sagen, daß Sie als Fraktionsvorsitzender ein richtiges, ausgereiftes Neunmonatskind sind; denn genau neun Monate hat es gedauert, bis Sie von Ihrer Fraktion so behandelt worden sind wie vor neun Monaten Herr Barzel. ({7}) Sie hätten vielleicht, ehe Sie Fraktionsvorsitzender wurden, Herr Carstens, ein wenig bei Herbert Wehner hospitieren sollen, um zu lernen, wie man eine Fraktion hinter sich bringt. Jetzt haben Sie die halbe Fraktion im Rücken. Da Sie etwas von Pferden verstehen: Ein Königreich für ein Pferd, mit dem man eine Fraktion reitet! Aber Herr Strauß wird Ihnen dieses Pferd mit Sicherheit nicht geben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme die gleiche Bescheidenheit wie der Fraktionsvorsitzende der Union in Anspruch, mit Rücksicht auf die Zeit, ohne Zwischenfragen zu sprechen. ({0}) Da Sie also in der Opposition weder Ihre personellen Probleme noch die Frage von Sachprogrammen lösen konnten ({1}) - das kommt, das kommt -, um sich in der Offentlichkeit als Alternative zur Koalition anzubieten, sind Sie in diese Diskussion gegangen - und beruhigen Sie sich, ich komme jetzt zum Thema - um das, was uns alle hier in diesem Hause verbinden sollte, das Grundgesetz, zum Trennenden zwischen den Parteien zu machen. Sie wollen fortsetzen, was Bismarck versucht hat, was man auch nach 1945 versucht hat. ({2}) - Herr Carstens, Ihre Verfassungszerklüftungsstrategie hat drei Schwerpunkte. Einmal behauptet die Union, die SPD gehe von der Parteilichkeit der Verfassung aus. Dies ist hier klargestellt worden. Was Sie verschweigen oder vergessen, vielleicht auch verdrängt haben, ist - und dies gehört in eine Jubiläumsdebatte über die Verfassung -, daß es die Sozialdemokratische Partei war, die den Art. 21 unseres Grundgesetzes initiiert hat. Wie hat Bismarck gesagt? Die Parteien sind der Verderb unserer Zukunft und der Verderb unserer Verfassung! Hier war es notwendig, nach dem, was man unter Hitler über die Parteien gesagt hat, den Parteien einen demokratischen Rang zu geben. Wo ist denn ein Programm in diesem Land, das vor dem Godesberger Grundsatzprogramm die staatliche Funktion der Opposition als eine politische GrundFriedrich forderung dargestellt hat? Mit welchen Pappkameraden wollen Sie eigentlich diese Verfassungsdiskussion bestreiten? ({3}) Die anderen zwei Argumente, die Sie gegen uns ins Feld führen, kann ich miteinander verknüpfen. Sie sagen, die Politik dieser Koalition bewirke einen schlappen Staat, führe zur Schlappheit der Staatsgesinnung. Sie sagen außerdem, unser Wille, alle Lebensbereiche zu demokratisieren, sei eine Gefahr für die Freiheit. Das erste berührt das Verhältnis zur jungen Generation, das zweite ist die Frage nach einer erst noch zu entwickelnden fundamentalen Demokratie in unserer Gesellschaft. Und hier haben die Parteien eine Aufgabe. Das ist natürlich etwas anderes für eine Partei, die sich ihre Parteitage von einem Wirtschaftsbeirat manipulieren läßt, wie man über Fernsehen in Farbe in jedem Haushalt sehen konnte. ({4}) - Das ist nicht lächerlich. Hier sitzen ja Herr Katzer und Herr Blüm. Mir tun sie leid, aber sie erinnern mich an das Märchen aus Tausendundeine Nacht von dem Geist in der Flasche. In Hamburg hat Herr Biedenkopf sie in die Flasche zurückgeholt. ({5}) Hier, wenn die Mitbestimmung kommt, dann dürfen Sie als großer Geist über diesem Hause schweben. Aber entscheidend wird sein, wie Sie abstimmen werden, wo Sie Ihre Arbeitnehmerhände aufheben bei der Abstimmung über die Mitbestimmung. ({6}) - Auf Sie komme ich nachher wieder zurück, wenn Sie vielleicht einige Minuten warten. Womit diese Union nicht fertig wird, das ist das Verhältnis zur jungen Generation. Als einer, der am Ende des zweiten Weltkriegs 18 Jahre alt war, erlaube ich mir die Frage: haben wir als die Generation einer verpfuschten Jugend und eines total mißbrauchten Idealismus hier Zugang im Denken zu unseren Söhnen und zu unseren Enkeln? ({7}) Wir sollten uns - und manchmal klang dies an - nicht verspätet dafür rächen an einer andersdenkenden jungen Generation, daß wir im Kadavergehorsam erzogen worden sind. ({8}) Mit dieser Feststellung ist es mir ernst. Ich bin so ehrlich: Haben nicht die meisten der HJ-Generation - es darf ja nicht mehr darüber gesprochen werden - dieses Scheusal Hitler verehrt? Und sind nicht die meisten daran zerbrochen? Und war es nicht so: Als wir nach Hause kamen, war da Wohlstandsgesellschaft, ({9}) und das C, das Sie boten, war ein ganz weiter Mantel? Und die Ablösung des „C" war auch eine Frage der Praxis. Und plötzlich kommt eine junge Generation, die nicht mehr mitmacht, die fragt. Warum ist denn in dieser Woche die junge Generation in Frankfurt zu Erzbischof Helder Camara gekommen? Sie will mehr als Wohlstandsgesellschaft und Konsum, ({10}) wenn in der Welt Millionen von Menschen hungern. ({11}) - Herr Wörner, sich selber hier zu belügen und vor seinem guten Gewissen strammzustehen - ich traue Ihnen das zu, und ich nehme es Ihnen nicht übel -, hilft uns nicht weiter. ({12}) Diese junge Generation hat sich doch auch einmal gefragt: Was war eigentlich mit unseren Eltern los? Wo ein Jude verhaftet wurde, wo ein Führer gefeiert wurde, wo rassisch gereinigt wurde, wo ein kleines Nachbarland überfallen wurde, überall hatte diese HJ-Generation dabeizustehen, „Heil" zu schreien und „Jawohl" zu sagen. Soll in einer Verfassungsdebatte die deutsche Vergangenheit ausgeschlossen werden? ({13}) - Herr Czaja, wenn Sie schon den 18. Januar, die kaiserliche Reichsgeburtstagsfeier, begehen, was ja auf Ihr Verfassungsdenken schließen läßt - ich nehme Ihnen nicht übel, daß sie ein geschwächtes Verhältnis zur Weimarer Republik haben, weil die Verfassung der Weimarer Republik von demokratischen Marxisten geschaffen wurde -, wenn Sie also schon die Bismarcksche Reichsgeburtstagsfeier begehen -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes? - Nein. ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir werden darüber sprechen. ({0}) - Herr Wörner, niemand nimmt Ihnen das Recht - und dafür muß man nicht Bundestagsabgeordneter werden -, mit einer Lebenslüge, die man jung empfangen hat, auch alt zu werden und damit zu sterben. Das nehmen wir Ihnen nicht ab. ({1}) Dann kam das Jahr 1968. Ich gebe Ihnen eine Antwort. ({2}) - Wer hier Herrn Dregger gehört hat Sie stehen in der Tradition des deutschen Konservativismus -, und hier können Sie nicht davonlaufen - ({3}) - Ja, ja. ({4}) - Ja, ja. ({5}) - Herr Wörner, diese Debatte und Sie machen deutlich, so wie Sie hier das Wort „Marxisten", wie Sie das Wort „Jungsozialisten" aussprechen, warum die Deutschnationalen 1933 lieber mit Hitler paktierten, als im März 1933 zusammen mit Sozialdemokraten diese Republik zu verteidigen. ({6}) Die Union war in den 50er und 60er Jahren ({7}) weder fähig, ({8}) die Kritik junger Menschen zu ertragen, ({9}) noch war sie fähig, bei jungen Menschen Glaubwürdigkeit zu verbreiten. ({10}) - Aber, Herr Wörner, ich muß Sie ja heute hier furchtbar getroffen haben. ({11}) - Sie waren nicht in der Lage, diesem Volk nach einem verlorenen Krieg die Wirklichkeit unserer internationalen Situation darzustellen. ({12}) Aus dieser Situation entstand keine Glaubwürdigkeit. Warum gab es denn in diesem Lande so viel Zustimmung zur Friedenspolitik Willy Brandts? ({13}) Doch nicht deshalb, weil die Menschen meinten, daß diese Regierung einen verlorenen Krieg gewinnen könnte. Die Menschen in der Bundesrepublik wollten 1969 endlich eine Regierung mit der Fähigkeit, die Bundesrepublik Deutschland aus einer Situation der inneren Unwahrhaftigkeit in internationalen Fragen herauszuführen in die moralische Glaubwürdigkeit. ({14}) Deshalb hatten wir in dieser Frage nicht nur die junge Generation, sondern auch die große Mehrheit des deutschen Volkes hinter uns. Sonst gäbe es nicht diese Mehrheit in diesem Hause. Sonst wären Sie hier nicht in der Opposition. ({15}) Für den mangelnden Mut zur Glaubwürdigkeit sind Sie 1972 vom Wähler bestraft worden. ({16}) Sie von der Union haben uns bei dem ernsten Bemühen, die junge Generation zu integrieren, alleingelassen. ({17}) Aber nicht nur das. Da Sie politisch in dieser Frage sozusagen nicht laufen können, meinen Sie, schon dadurch schneller als der andere zu sein, daß man dem anderen die Kniesehnen durchschneidet. ({18}) Wir haben seit 1968 Hunderttausende junger Menschen in diesen Staat integriert. ({19}) - Ich bestreite es doch gar nicht, Her Mertes, wenn Sie hier sagen, daß es Probleme in der Sozialdemokratischen Partei gebe. ({20}) Ich habe dies oft genug offen dargestellt. Aber ehe wir jene, die zur DKP hinneigen, in diese Partei schicken, werden wir um jeden einzelnen jungen Menschen für diese Demokratie ringen; ({21}) wir werden ihn nicht „amputieren" und dadurch die DKP und KPD/ML verstärken. Dies ist unser Ziel. ({22}) Wenn Sie Herrn Maier, der mich als einen, den man beachten sollte, ({23}) zitiert hat, gestern zugehört haben, wissen Sie doch genau, daß diese Welle des Protestes zu Ende geht. Sie, die Sie sich in den letzten Jahren in den Schützengräben der Vergangenheit versteckt haben und Sperrfeuer geschossen haben, wollen jetzt, da diese Bewegung zu Ende geht, schnell auch noch abkassieren. Das ist doch die Wirklichkeit; so ist die Situation. ({24}) Wir werden das durchstehen, und wir werden als eine Partei aus dieser Auseinandersetzung herausgehen, die bewiesen hat, daß sie auch mit dem Problem der jungen Generation fertig geworden ist. ({25}) - Herr Wörner, was kann denn eine Partei, die sich in ihrer Zusammensetzung - analysieren Sie doch einmal die soziale Struktur Ihrer Fraktion - aus Bauernverbänden, Aufsichtsräten, Mittelstandsstuben und einigen Syndikussen rekrutiert, für den kleinen Mieter in Großstädten empfinden? Wenn Herr Strauß in München einige Mietshäuser hat, weiß er doch noch nicht, wie ein kleiner Mieter denkt, dem die Miete erhöht wird. ({26}) Ich bitte unsere Freunde, draußen im Lande einmal nachzuprüfen: Wo sind denn sozialdemokratische Mandatsträger, die bereit sind, mit den Linksradikalen einen Pakt abzuschließen? Was würden Sie sagen, wenn es hier in diesem Hause eine DKP-Fraktion gäbe und die Sozialdemokratie sich anschickte, mit Hilfe dieser DKP die höchsten Staatsämter zu besetzen? Sie waren 1968 bereit, mit Hilfe der NPD-Stimmen das höchste Staatsamt in diesem Land zu besetzen. ({27}) Dies hätte neben jedem internationalen Vertrag einen braunen Fleck bedeutet. ({28}) Insoweit werden wir Sozialdemokraten der FDP ihr Einstehen für die Demokratie und für die internationale Glaubwürdigkeit dieser jungen Demokratie, die Sie aufzugeben bereit waren, nicht vergessen. Wir werden es nicht vergessen, wenn Walter Scheel im Mai dieses Jahres, so hoffe ich, die Nachfolge des großen Demokraten Gustav Heinemann antritt. ({29}) Jetzt müßte noch einiges zu Herrn Dregger gesagt werden. Er ist nicht mehr da. Aber, Herr Carstens, es ist ganz gut, daß Sie sich voll zu Herrn Dregger bekannt haben. Jedoch sind Sie von Ihrem Fraktionskollegen offensichtlich nicht oder schlecht informiert worden. Insoweit wäre ich Ihnen dankbar, Herr Carstens, wenn Sie sagten, ob Sie noch aufrechterhalten, daß Sie zu dem stehen, was Herr Dregger ausführte. Hier habe ich die „Kieler Nachrichten" Nr. 37 vom 13. Februar, einem Tag vor der Verfassungsdebatte. Da finde ich die Überschrift: „Dregger: Jusos sind nicht die einzigen Verfassungsfeinde", nicht etwa: nicht alle Juso sind Verfassungsfeinde, sondern: „Jusos sind nicht die einzigen Verfassungsfeinde". Das ist ein Interview. Ich will Ihnen etwas sagen: Es ist eine Ungeheuerlichkeit, daß sich ein Mann erdreistet, 250 000 bis 300 000 Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei in diesem Hause zu Verfassungsfeinden zu erklären. ({30})' Wir werden dies in den unglaubwürdigen Hals des Herrn Dregger so oft hineinstoßen, bis er hierhertritt und es korrigiert; dies muß vom Tisch. ({31}) Sie haben hier zweimal den Namen des Nobelpreisträgers Solschenizyn genannt. Herr Dregger nannte ihn gestern einen russischen Patrioten. Ich halte ihn für einen der großen Moralisten dieses Jahrhunderts. Aber alles, was Herr Dregger von sich gibt, geht ja immer in die nationale Rinne. ({32}) Herr Carstens, Sie haben hier Solschenizyn genannt. Keine politische Partei kann das Schicksal eines Solschenizyn tiefer empfinden als die Sozialdemokratische Partei Deutschlands - dies nehmen wir für uns in Anspruch -, deren Parteiführer von 1878, von Bismarck bis hin zu Willy Brandt ständig ausgebürgert worden sind. Wir wissen, daß man das Vaterland nicht an seinen Schuhsohlen davontragen kann. Wir wissen, was Emigration ist. Ich weiß, Sie erinnern sich jetzt an Ihre üblen Anti-EmigrantenSchmutzkampagnen. ({33}) Vielleicht denken Sie bei der Emigration Solschenizyns jetzt einmal darüber nach, was Sie 1957, 1961 und 1965 gegen Willy Brandt und Herbert Wehner gesagt haben. Nachher hat es Ihnen Gott sei Dank niemand mehr abgenommen. Ich gehe davon aus, daß dieses Hohe Haus in der Auffassung übereinstimmt, daß eine dauerhafte Friedensregelung - und deshalb muß für uns Solschenizyn mehr sein als nur ein Einzelschicksal - zunächst in Europa nicht nur davon abhängig ist, daß die Staaten in ihrem Willen zum Frieden übereinstimmen und in Verträgen die Balance der militäri5180 schen Kräfte und deren Reduzierung anstreben. Ein dauerhafter Frieden in Europa muß mehr sein. Es ist schlimm, wenn auf der Welt die Staaten des europäischen Geistes - dazu gehören die des Ostblocks - in der Respektierung der Freiheitsrechte des einzelnen nicht übereinstimmen; denn dies ist tiefste europäische geistige Tradition. ({34}) - Aber, Herr Wörner, hören Sie mal auf zu schwätzen! Sie sind hier ja allmählich ein Schwätzer geworden. - Deshalb ist dem Kommunismus zu wünschen, daß er in nicht allzu ferner Zeit -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Friedrich, ich bitte Sie, sich der üblichen parlamentarischen Formen zu bedienen. ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb ist dem Kommunismus zu wünschen, daß er in nicht allzu ferner Zeit durch die endgültige Überwindung der Stalinschen Ara zu dem zurückkehren möge, was dereinst der humanistische Ansatz eines Karl Marx und Friedrich Engels war. Ich meine die freie Selbstverwirklichung des Menschen, die sich vor allem in der Selbstverwirklichung und in der Freiheit des Andersdenkenden bestätigt. Um dieses Problem geht es bei der Ausbürgerung Solschenizyns. Ich muß hier einmal sagen: Machen Sie es sich nicht zu leicht. Dieser Riß geht auch mitten durch das kommunistische Lager. So nannte Georg Lukacs im Zusammenhang mit Solschenizyn die kritische Aufarbeitung der Stalinzeit nicht nur das zentrale Thema der sozialistischen Literatur. Lukacs, dieser Mann auch des europäischen Geistes - das werden Sie nicht bestreiten -, sah in der Überwindung der Stalinära die Hauptaufgabe der gesamten marxistisch-leninistischen Ideologie. ({0}) - Sie sollten doch zumindest ein wenig Respekt haben, wenn ich dem Manne hier Respekt zolle. Sie sollten sich doch nicht von Solschenizyn getroffen fühlen. Ihnen tut es doch weh, daß sich Sozialdemokraten zu dem humanistischen Ansatz eines Solschenizyn in dieser Debatte bekennen. Das tut Ihnen weh, das können Sie nicht ertragen. ({1}) Wenn Solschenizyn die Wahrheit sagt und die Lüge aufdeckt, dann ist das der Vollzug des höchsten Auftrages, den ein Intellektueller auf sich nehmen kann. Es ist der Mut zur Wahrheit. Für demokratische Sozialisten kann es keine politische Gemeinsamkeit mit einem Sozialismus geben, der die Selbstverwirklichung des Menschen in freier personaler Verantwortung nicht erlaubt und die freie Sprache des Gewissens nicht duldet. Auch das stellen wir fest. ({2}) Wir zweifeln aber auch an der Glaubwürdigkeit jener auf Solschenizyn hinweisenden CDU-Politiker - und jetzt können Sie sich gleich erregen -, deren christliches Selbstverständnis es zugleich zuläßt, Geld und Spenden für die Generale in Chile zu sammeln, wie wir vorgestern in der Zeitung lesen konnten. Wer mit Solschenizyn die Opfer der Stalinära beklagt, muß als Christ und Politiker auch um Allende trauern. Nur dann wird er glaubwürdig sein. ({3})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Friedrich, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, in der Frage des Sozialstaats stehen wir vor einer grundsätzlichen Auseinandersetzung, die mit dieser Debatte erst beginnen wird. Für uns Sozialdemokraten ist die Verbindung von Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit untrennbar. Das Freiheitspostulat ist das erste Postulat unseres Godesberger Grundsatzprogramms. Ihr Parteivorsitzender, Herr Kohl, hat in seinen veröffentlichten Markierungspunkten zu dieser Debatte in der „Deutschen Zeitung" erklärt - ich darf zitieren, Herr Präsident -: Auch die CDU nimmt in mitmenschlicher Solidarität und Verantwortung Partei für die Schwachen. Aber dies ist - sagt Herr Kohl für uns kein Demokratieproblem. Ich sage Ihnen ganz offen, daß das ein Gegensatz im Verfassungsdenken von Union und Sozialdemokratie ist. ({0}) Sie verweigern sich der Einsicht, daß die Gerechtigkeit für den sozial Schwachen die Voraussetzung seiner Freiheit ist. Wer für die Freiheit des Schreibens des Schriftstellers ist, muß auch für demokratische Mitbestimmung am Arbeitsplatz sein. ({1}) Hier zahlen Sie als Union doch den Preis der Glaubwürdigkeit dafür, daß Herr Biedenkopf in Hamburg die Sozialausschüsse in der kommenden Mitbestimmungsdiskussion in diesem Hause unglaubwürdig gemacht hat. Herr Biedenkopf entwickelt zur Zeit das, was ich den Scheinkonstitutionalismus des 20. Jahrhunderts nennen möchte.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin gleich zu Ende, Herr Präsident. Darüber werden wir im kommenden Jahr die Auseinandersetzung führen. Einer Sache bin ich mir sicher: Diese Koalition wird den Ausbau des sozialen Staates, des Rechtsstaates bis 1976 fortsetzen, und Sie werden uns nicht daran hindern, denn Überläufer gibt es keine mehr. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine merkwürdige Strategie der sozialdemokratischen Fraktion hier den Kollegen Schöfberger zum Grundgesetz reden zu lassen, während die Genossen in München unter ihm und seiner Knute innerparteilich leiden. Es sind ja keine Gespenster und keine Illusionen, wenn man nachliest, was Herr Preißinger und Herr Kronawitter über unerträglichen Druck sagen, wenn sie davon sprechen, sie wollten keine Marionetten sein, wenn sie beschwörende Appelle an die Partei erlassen und Herr Vogel seine Bittgänge nach Grafenau und ins Bundeskanzleramt machen muß, um hier die entsprechende Unterstützung der Gesamtpartei zu bekommen. ({0}) Herr Bundesminister Ehmke hat vorher in seinen Ausführungen einen Satz vergessen, den man nachholen sollte, nämlich das, was - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten - Rosa Luxemburg wörtlich gesagt hat: Wir können es ruhig aussprechen, daß die deutschen Gewerkschaftsführer und die deutschen Sozialdemokraten die infamsten Halunken, die in der Welt gelebt haben, sind. Wissen Sie, wohin diese Leute - Winnig, Friedrich Ebert, Scheidemann - gehören? Nach dem deutschen Strafkodex, den sie ja selbst in voller Gültigkeit erklären und nach dem sie selbst Recht sprechen lassen, gehören diese Leute ins Zuchthaus. ({1}) Es ist eine Frage der geistigen Selbstbehauptung und der geistigen Ehre, ob man dann eine solche Frau auf eine Briefmarke bringt. ({2}) Der Herr Kollege Friedrich hat gemeint, wir seien nicht bereit, hier die Vergangenheit mit zu bewältigen. Dazu sind wir sehr gern bereit, Herr Kollege Friedrich; wir sind aber auch der Meinung, daß wir die Gegenwart nicht ausschließen sollen, indem man den Antikommunismus in diesem Land als antiquiert und unmodern bezeichnet, obwohl es, weiß Gott, genügend Anhaltspunkte gibt, sich gegen den Kommunismus zu wehren und die Gefahren zu sehen. ({3}) Sie haben vorhin gemeint, auch die Junge Union ansprechen zu sollen. Ich kann Ihnen nur eines sagen - und das freut uns bebesonders -: Wir haben zwischenzeitlich in der Jungen Union mehr Arbeitnehmer als die Jungsozialisten, und das ist gut so! ({4}) Ich sage Ihnen eines: Auch wenn wir es kurzfristig mit der Jugend einmal schwer haben, wir werden keinen billigen Opportunismus gegenüber der Jugend steuern, sondern uns mit ihr auseinandersetzen und nicht allem nachfolgen, was einmal als Modernismus gefordert wird. ({5}) Sie haben gemeint, wieder diesen miserablen Stil mit der Bundespräsidentenwahl beim letzten Mal bringen zu müssen mit der Unterstützung der NPD, um die wir uns nie bemüht haben und mit der wir in dieser Frage nie etwas zu tun hatten. ({6}) Es stünde Ihnen auch einmal gut an, ein Wort dazu zu sagen, daß sozialdemokratische Regierungen in Europa sich von Kommunisten stützen lassen müssen, damit sie noch regieren können. ({7}) Sie hätten auch ein Wort darüber verlieren können, daß die „rote Heidi", die neue Juso-Vorsitzende, erklärt hat, man könne es den sozialistischen Kräften nicht zumuten, an den Universitäten mit dem RCDS eine Koalition einzugehen; da seien - sinngemäß - Koalitionen mit den Radikalen immer noch besser. Da fehlt es an der Solidarität mit den Demokraten. Das ist der Punkt, weswegen hier auch gesprochen werden muß. ({8}) Herr Friedrich, Sie haben auch noch einmal Solschenizyn angesprochen. ({9}) Sie haben leider vergessen, daß die Jungsozialisten sich auf ihrem letzten Kongreß geweigert haben, sich mit Solschenizyn solidarisch zu erklären. ({10}) Ich sage Ihnen eines: Ich mache das den Jusos nicht zum Vorwurf. Das ist eine konsequente Entscheidung. Denn es wäre eine Schande für diesen Mann, sich mit diesen Leuten solidarisch erklären zu müssen. ({11}) Es wäre eine Schande, wenn er in die gleiche Reihe gestellt würde - wie es Herr Roth in OstBerlin getan hat - mit Herrn Honecker, Herrn Breschnew und diese Leute als friedliebend bezeichnet werden müßten. Es wäre wirklich eine Schande, wenn ihm die gleichen Leute ein Telegramm ge5182 schickt hätten. Gott sei Dank haben sie es nicht getan. Insofern sind sie wenigstens ehrlich und anständig. ({12}) Einige Worte zu dem Thema Jugend und Verfassung. Die Frage nach dem Verhältnis der Jugend zur Verfassung ist ein zentrales Problem dieser Debatte und klang immer wieder durch. Diese Aussprache wäre sinnlos, das Grundgesetz ein historisches Papier, Grundwerte und Verfassungsziele wären irrelevante Aussagen, wenn die Jugend dieses Volkes keine Beziehung zum Grundgesetz hätte. Bestand und Zukunft dieser staatlichen Ordnung sind abhängig von der Identifikation der nachwachsenden Generation mit Worten und Zielen der Verfassung. Gerade ein freiheitlich-demokratisches Staatswesen bedarf in besonderer Weise dieser Zustimmung und der dauerhaften Legitimation aller. Vergangenheitserfahrungen sind für die Jugend nicht zwingend. Der Schrecken des Nationalsozialismus verblaßt durch die historische Distanz, und die Gefahr des Kommunismus verliert ihren Schrecken durch eine verharmlosende Konvergenzpolitik, wie sie durch Bahr und andere in diesem Lande betrieben wird. Eine Gesellschaft bedarf der individuellen Identifikation, und das Grundgesetz muß, um bei der Jugend bestehen zu können, sich immer wieder als die bessere Lösung anbieten. Wie aber denkt nun die große Mehrheit in der Jugend? Wir kennen die Umfragen, wir kennen die empirischen Erfahrungen. Doch stellt sich gerade heute die Frage, ob nicht ein spürbarer neuer Trend in der Jugend zu vermerken ist. Ist nicht eine stärkere Skepsis gegenüber radikalen Heilslehren zu verspüren? Es waren ja mehrere Sozialdemokraten, die in den letzten Wochen von einer Renaissance des modernen, fortschrittlichen Konservatismus sprachen und sich hurtig bemühten, diesen neuen Zug der Entwicklung nicht zu verpassen. Einstellung und Verhaltensweisen der Jugend ergeben sich als Antwort auf eine bestimmte Situation, in der sich Jugend befindet. Dies gilt auch für den Bereich der Politik. Wer nach dem politischen Verhalten der Jugend fragt, muß feststellen, daß Jugend auf das politische Verhalten der Erwachsenen antwortet. Die Kritik am politischen Verhalten der Jugend bedingt auch eine Kritik an der politischen Einstellung der älteren Generation.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Groß?

Rötger Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Waigel, halten Sie es für sehr überzeugend, wenn die CDU/CSU hier mit viel Aufwand behauptet vorausgesetzt, die These, die Sie soeben aufgestellt haben, stimmt -, die Grundfesten dieses Staates seien in Gefahr, wenn, wie Sie sagen, die Jugend angeblich einem neuen Trend zu folgen bereit ist?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieser Trend hat sich noch nicht ganz durchgezogen. Aber er wird zu unseren Gunsten laufen und nicht zu Ihren Gunsten. Das werden Sie sehen. ({0}) Wenn wir die Sorgen sehen - und das ist gleich meine nächste These -, so antwortet die Jugend in ihren Parteien auf das Verhalten der Erwachsenen, der älteren Generation in ihren Parteien. Darum ist das, was Jusos und Judos heute von sich geben, die Antwort auf Ihr unbefriedigendes Verhalten in der Politik. ({1}) Gerade die Situation der Jungsozialisten ist die Antwort auf eine unklare, widersprüchliche, trügerische politische Hoffnung, die die Mutterpartei genährt und geweckt hat, die sie aber nicht realisieren kann. Eine Abgrenzung zwischen SPD und Jungsozialisten kann nur noch verbaler Art sein, da beide auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind und miteinander agieren müssen. Die SPD wäre sonst ohne Vertretung im Bereich der Jugend, wie sie bereits ohne Vertretung im Bereich der Hochschulen ist. Deswegen ist das Problem der Jungsozialisten ein zentrales Problem der SPD, weil sie einen Trennungsstrich zur mehrheitlichen Meinung der Jungsozialisten gar nicht mehr ziehen kann. Die Antwort der Jugend im gesellschaftlichen und politischen Bereich vollzieht sich in mehreren Formen. Ein Teil verhält sich konform und anerkennt Ziele und Normen, andere passen sich äußerlich an, wieder andere wählen den sozialen Rückzug, eine nächste Gruppe fordert die radikale Verwirklichung von Grundwerten und Programmen, und eine letzte Gruppe bemüht sich um ein neues System an Stelle des alten, auch mit revolutionären Mitteln. Es ist nicht überraschend, wenn man feststellt, daß die große Mehrheit der Jugend die Form der Anpassung eher bevorzugt als die Möglichkeit der radikalen Ablehnung. Es genügt aber nicht, wenn die zentralen Werte und Normen unserer Gesellschaft nur in Form von Regeln anerkannt werden. Gerade eine moderne Gesellschaft ist darauf angewiesen, daß die neu in diese Gesellschaft eintretenden Mitglieder produktiv und aktiv auf diese Probleme der Gesellschaft reagieren. Eine Gesellschaft wie die unsrige lebt von der Bejahung der zentralen Werte dieser Gesellschaft und verlangt diese individuelle Identifikation. Meine Damen und Herren, die politische Interessiertheit ist in den letzten Jahren bei der Jugend, insbesondere bei Oberschülern und Studenten, kontinuierlich gestiegen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dürr?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir wenigstens darin zustimmen, daß die von Ihnen so propagierte Methode des ständig lehrhaft erhobenen Zeigefingers nicht die beste Form von Jugenderziehung ist?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wähle hier die Form der selbstkritischen Darstellung, auch gegenüber der eigenen Partei, und habe damit bisher jedenfalls gute Erfolge im Bereich der Jugend gehabt. ({0}) Das politische Faktenwissen läßt allerdings in erheblichem Maße noch zu wünschen übrig, ({1}) und die Politik wird von den Jugendlichen zunächst nicht als ein zentraler, unmittelbar bedeutsamer Lebensbereich angesehen. Pienzunka schließt seine Untersuchung zu diesem Bereich mit den Worten: Es handelt sich offenbar um die Ablehnung eines absolut totalitären Regimes als um eine Zustimmung zum demokratischen Rechtsstaat. Und Schelsky spricht von der „vorpolitischen Haltung der Jugend". Es ist sehr gefährlich, wozu alle Parteien manchmal neigen, im politischen Bereich Schlagworte zu gebrauchen wie: „Wer die Jugend besitzt, besitzt die Zukunft", weil hier die junge Generation skeptisch reagiert und eine Verführbarkeit befürchtet. Ideologie und Engagement ohne Urteil sind die Folgen mangelhafter politischer Information. Politisches Engagement und Informationsgrad laufen parallel. Das ist die Aufgabe auch an unseren Schulen, das ist die Aufgabe der politischen Bildung, die das noch nicht in zureichendem Maße durchgesetzt hat. Um so mehr besteht Veranlassung, dafür Sorge zu tragen, daß nicht die Gegner dieser Demokratie das politische Bewußtsein von Schülern verformen. Ein Wort zu dem, was Vico Graf Blücher zum Wehrdienst gesagt hat: „Diese Jugend nimmt den Wehrdienst als Gegebenheit hin, wenn auch nicht begeistert. Er gehört zu den Selbstverständlichkeiten der heutigen Lebensformen". Wenn jedoch Politiker zunehmend die Funktion der Verteidigung und ihre Notwendigkeit in Frage stellen, kann niemand von der Jugend verlangen, daß sie dieses notwendige Opfer begreift. ({2}) Was hier manche Politiker der SPD inszenieren, muß notwendigerweise verheerende Wirkungen auf die Einstellungen der Jugend haben. Wir müssen feststellen, daß etwa 15 bis 20 % gegen diesen Staat eingestellt sind. Es gibt eine Gruppe von jungen Leuten, die Ablehnung und Nichtidentifikation durch sozialen Rückzug in vielerlei Formen dokumentieren. Und es gibt die zahlenmäßig größte Gruppe derer, die weder protestierend noch ablehnend dem politischen und staatlichen Geschehen gegenüberstehen. Welche Schlüsse können wir politisch Verantwortliche aus diesen Tatsachen ziehen? Um diese Jugend für den Staat, das politische Geschehen zu gewinnen, bedarf es der Formulierung und Realisierung einer Politik, die als konsequente Verwirklichung der Verfassungsgrundsätze darstellbar ist und insofern überzeugend wirkt - einer Politik, die sich von dem Anliegen und von dem Anspruch der nachwachsenden Generation her legitimiert und die den Zukunftsperspektiven junger Menschen eine glaubwürdige Chance gibt. ({3}) Hierzu gehört lassen Sie mich das am Schluß sagen - eine produktive Auseinandersetzung der Jugend auch mit den Werten der Tradition, die es ermöglichen, daß die Jugend ihre eigenen Perspektiven in den Prozeß der Weiterentwicklung von Kultur einbringen kann. Wir wissen, daß die Sollwerte hinsichtlich des National- und Staatsbewußtseins problematisch und diskussionswürdig geworden sind. Dennoch sind Nationen und Staaten geschichtliche Realitäten. Es wäre bedenklich, wenn der einzelne ohne Zwischenschaltung der Nation unmittelbar mit Europa oder einer noch größeren Einheit in Beziehung gesetzt würde und die Verpflichtung gegenüber der Nation als etwas Antiquiertes, Unzeitgemäßes bezeichnet würde. ({4}) Das, meine Damen und Herren, gibt zu denken in einer Zeit, in der in manchen Ländern des Westens, vor allem aber in den Ländern des Ostens, die Nation und ein betonter Nationalismus in Erscheinung treten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie äußerten sich soeben über die Frage der Wehrfreudigkeit. Ich finde nun im „Handbuch des Deutschen Bundestages" nicht die Angabe, wann Sie Ihren Wehrdienst geleistet haben. Haben Sie das übersehen, oder haben Sie keinen Wehrdienst geleistet? ({0})

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gern bereit, auf diese Frage zu antworten. Da mein einziger Bruder im letzten Krieg gefallen ist, hatte ich die Möglichkeit, mich vom Wehrdienst befreien zu lassen. Das ändert aber nichts daran, daß ich dazu meine Einstellung haben kann. Im übrigen betrachte ich diese Frage als ausgesprochen gehässig und persönlich unfair. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter die Geschäftsordnung gibt dem Herrn Abgeordneten Gansel die Möglichkeit, eine weitere Zwischenfrage zu stellen.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jedem anderen, aber nicht dem Herrn Abgeordneten Gansel. ({0}) Auf die Frage „Ist denn die Nation das Vaterland, dem wir unsere Kraft widmen", antwortet Dolf Sternberger: Das Vaterland ist die Republik, die wir schaffen. Das Vaterland ist die Verfassung, die wir lebendig machen. Das Vaterland ist die Freiheit, deren wir uns wehrhaft erfreuen, wenn wir sie selber fördern, nutzen und bewachen. Ich glaube, das ist der Auftrag, den wir in dem Sinne erfüllen müssen, wie es hier Sternberger gesagt hat. Zum ungläubigen Staunen der ganzen Welt hat Stalin bei seinem letzten öffentlichen Auftritt im Oktober 1952 auf dem 19. Parteitag der KPdSU folgenden Satz gesagt: Früher wurde die Bourgeoisie als das Haupt der Nation betrachtet, sie trat für die Rechte und die Unabhängigkeit der Nation ein, sie stellte sie über alles. Jetzt ist vom nationalen Prinzip nicht die Spur übriggeblieben. Und er fährt fort: Das Banner der nationalen Unabhängigkeit und der nationalen Souveränität ist über Bord geworfen. Ohne Zweifel werdet Ihr Vertreter der kommunistischen und demokratischen Parteien dieses Banner erheben und vorantragen müssen, wenn Ihr Patrioten Eures Landes sein, wenn Ihr die führende Kraft der Nation werden wollt. Es gibt sonst niemand, der es erheben könnte. So liegen die Dinge gegenwärtig. Angesichts dieser Sätze, meine Damen und Herren, mutet das, was der frühere Juso-Vorsitzende Wolfgang Roth in Berlin gesagt hat, wie Hohn und Blasphemie an. Seine gleichzeitigen schamlosen Angriffe gegen die demokratische Opposition sind allerdings noch durch das übertroffen worden, was gestern durch den Zwischenruf des SPD-Abgeordneten Schäfer über das Verhältnis von CSU und NPD gesagt wurde. ({1}) Darüber ist schon gesprochen worden. Als Vorsitzender der größten politischen Jugendorganisation in Bayern weise ich diesen Angriff auch als eine Beleidigung der Mehrheit der bayerischen Jungwähler entschieden zurück. ({2}) Es scheint dem Herrn Abgeordneten Schäfer entgangen zu sein, daß bei der Bundestagswahl 1972 über 50 °/o der bayrischen Jungwähler ihre Stimme der CSU gegeben haben. Ich bin gern bereit, ihm die diesbezüglichen Untersuchungen des Bayrischen Statistischen Landesamtes zukommen zu lassen, damit er das nachliest oder, um mit Herrn Wehner zu sprechen, nachlesen lassen kann. ({3}) Wenn der Herr Bundeskanzler - ich habe es heute früh in den Nachrichten gehört - die CDU/ CSU aufgefordert hat, sich nach rechts abzugrenzen, ({4}) dann kann ich nur sagen, er ist der Profiteur unserer permanenten Abgrenzung gegenüber der Rechtspartei, sonst säße er heute nicht auf diesem Stuhl. ({5}) Der Kollege Dr. Glotz hat in der „Deutschen Zeitung" vom 25. Januar 1974 seine Vermutung darüber, wie die Union des Verfassungstages gedenken wolle, wie folgt formuliert: Am Schluß werden die Herren die Nationalhymne singen, natürlich die dritte Strophe. Ich jedenfalls, meine Damen und Herren ziehe diese dritte Strophe des Deutschlandliedes der Internationale allemal noch vor. ({6}) Ich glaube auch nicht, daß die Neuinterpretation des Volksliedes „Hoch auf dem roten Wagen" die notwendig integrative Wirkung ausübt. ({7}) Doch der Kollege Glotz kann aufatmen, denn der Westdeutsche Rundfunk hat die täglich gespielte deutsche Nationalhymne aus dem Programm gestrichen. Wir tun jedenfalls nicht gut daran, alle Symbole aus dem politisch-staatlichen Bereich zu streichen, während in der Erziehung in der DDR die Kontinuität der Geschichte eine überragende Rolle spielt. ({8})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich jetzt hier nicht an der bayrischen Restaufräumung oder an einer Briefmarkendebatte beteiligen. ({0}) - Wir bagatellisieren gar nicht. Wir haben nur keine Lust, etwas hochzustilisieren und dazu Mittel zu benutzen, die eben untauglich sind. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein kurzes Wort über die verschiedenen Zitierungen, Auslegungen und Meinungsäußerungen zu dem bitteren Schicksal von Solschenizyn sagen, die wir hier gehört haben. Heinrich Böll hat am Mittwoch abend - ich habe das zufällig im Fernsehen sehen können - zu den wartenden Jouralisten gesagt: Gebt ihm jetzt Ruhe. Ich habe Verständnis dafür. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns alle davor hüten würden, jetzt Solschenizyn zu parteitaktischen Zwecken zum Beweis oder Gegenbeweis für eigene Auffassungen hier zu mißbrauchen. Das wäre der Sache sehr angemessen. ({2}) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Waigel hat davon gesprochen, daß innerhalb der jungen Generation eine etwas skeptischere Haltung gegenüber radikalen Thesen vorhanden sei. Ich teile diese Meinung. Nur, Herr Kollege Dr. Waigel, worum geht es denn? Wir wollen uns doch gemeinsam beMischnick mühen zu erkennen - und das war ein Teilbeitrag dieser Debatte -, daß eine falsche Solidarisierung mit diesen radikalen Gruppen deshalb erfolgt, weil wir nicht zum rechten Zeitpunkt die notwendigen Reformen durchführen. ({3}) Um diese Frage geht es doch.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg?

Franz Ludwig Schenk Stauffenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002222, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen entgangen, daß Solschenizyn, solange er noch in der Sowjetunion war, gerade dem Westen vorgeworfen hat, daß er zu sehr sich dem Schweigen hingebe und daß es die Aufgabe des Westens sei, zu reden und deutlich zu machen, wie es um die Dinge dort drüben bestellt ist, und daß es deswegen gerade das Falscheste wäre und ihm nicht gerecht würde, wenn wir nun anfingen, seine Deportierung dazu zu benutzen, ihn unter den Tisch fallen zu lassen und ihn dem Grab des Schweigens auszuliefern?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedauere sehr, Herr Kollege, daß Sie offensichtlich überhaupt nicht verstanden haben, was ich hier gesagt habe. Ich habe mich dagegen gewandt, daß sein Schicksal parteitaktisch verwendet wird. Daß wir in der Freiheit für die Freiheit immer einstehen und einstehen werden, das haben wir von der Koalition immer wieder bewiesen, zu jedem Zeitpunkt. Das brauchen Sie uns nicht vorzumachen hier. ({0}) Hier ist von dem Kollegen Dr. Waigel noch davon gesprochen worden, der Herr Bundeskanzler Brandt sei ein Profiteur der Rechtsabgrenzung der CDU/ CSU. Hoffentlich haben Sie sich das bis ins Letzte überlegt, was das, in Mandate übersetzt, bedeuten kann! Ich hoffe, Sie überlegen es sich noch einmal genau. Ich will es nicht so verstanden wissen, wie man es auch verstehen könnte, nachdem wir die Bundespräsidentenwahl erlebt haben. ({1}) Der Herr Kollege von Weizsäcker hat hier in seinem Referat eine Darlegung seines Verfassungsverständnisses gebracht, das nach meiner Überzeugung - ich teile nicht alle Auffassungen, die er vorgetragen hat - in vielen Passagen eine bessere Grundlage für eine offene Diskussion über Verfassungsprobleme gegeben hätte als das, was Herr Kollege Dregger sagte. Allerdings schienen mir viele Passagen des Kollegen von Weizsäcker eher in die Richtung seiner eigenen Freunde gesprochen zu sein als etwa an die Koalitionsparteien. ({2}) - Das waren schon eine ganze Reihe konkrete Punkte. Wenn Sie z. B. das nicht als konkret angesehen haben, welche Gefahren in den Äußerungen von Waigel lagen, dann tut es mir herzlich leid. Dann haben Sie bis heute noch nicht begriffen, in welcher Gefahr Sie 1969 standen, mit den Stimmen der NPD einen Bundespräsidenten zu wählen. ({3}) Wenn Sie das nicht begreifen, dann tut es mir leid. ({4}) Der Herr Kollege Carstens hat davon gesprochen, daß wir, die Koalition, hier anders als im Lande draußen redeten. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn ich an das denke, was Sie hier über die Solidarität der demokratischen Parteien sagten, und daran, wie Sie dann draußen gegenüber den Koalitionsfraktionen Stellung nehmen, dann muß ich leider feststellen: wenn schon, dann ist das leider eine beiderseitige Krankheit, die wir uns sehr schnell abgewöhnen sollten. Hier in diesem Hause haben Sie bestätigt, daß wir offensichtlich in entscheidenden Fragen von der gleichen Grundauffassung ausgehen. Im Lande draußen müssen wir von Ihren Kollegen hören, daß das eben nicht der Fall sei. ({6}) Das ist doch die Unterschiedlichkeit der Diskussion hier und draußen, wie sie leider draußen von Ihren Kollegen immer wieder praktiziert wird. Sie selbst sprachen ja davon, daß Sie sich als einzige politische Partei, politische Kraft empfinden, die treu zur Verfassung steht und sie verteidigt. Das ist eben genau die Unterstellung, die wir zurückweisen müssen. ({7}) Dann reden Sie wieder vom falschen Zitat. Wenn Sie hier eingeschränkt haben, hier, entgegen Ihrer Erklärung in der Öffentlichkeit von „geschlossen" sprachen, ({8}) wenn Sie dabei immer wieder die Freien Demokraten so als die im Schlepptau Befindlichen der furchtbar bösen Sozialdemokraten dargestellt haben, so kann ich mich nur dem anschließen, was der Herr Bundeskanzler heute über Ihre Entscheidung von 1966, die Große Koalition zu bilden, gesagt hat. Eines fiel mir auf: Sie sprachen heute, als Sie versuchten, Ihr Demokratieverständnis über Wahlen an den Vorschlägen deutlich zu machen, die in der Koalition für die Mitbestimmung in der Diskussion sind, davon, daß dieses Wahlrecht Manipulation sei. ({9}) Dann können Sie doch wohl nur das Montanmitbestimmungsmodell von 1952 gemeint haben, wo niemand wählt, sondern der Betriebsrat bestimmt. Das würde ich dann allerdings eher als Manipulation betrachten als das Wahlmännergremium, das wir hier vorgesehen haben. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Mischnick, könnten Sie mir einmal erklären, wie die FDP es miteinander vereinbart, auf der einen Seite im weiten Land herumzulaufen und die Urwahl von Bürgermeistern z. B. auch in Großstädten zu fordern und auf der anderen Seite ein Modell mitzumachen, wo noch nicht einmal innerhalb eines Betriebes den Arbeitnehmern die Möglichkeit zugestanden wird, unmittelbar die Betriebsratsmitglieder zu wählen? Könnten Sie mir dieses widersprüchliche Verhalten einmal klarmachen?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Daß ausgerechnet von Ihrer Seite diese Frage kommt, verwundert mich um so mehr, als beispielsweise Ihr Kollege Kohl in Rheinland-Pfalz nicht einmal bereit ist, für die kleinen Gemeinden die Urwahl für den Bürgermeister einzuführen. Sie haben den geringsten Grund, sich darüber zu beschweren. ({0}) Sie haben davon gesprochen, daß diese Frage des Wahlmännergremiums - ({1}) - Also, je lauter Sie schreien, um so länger müssen Sie warten, bis die Antwort kommt. - Sie haben sich hier darüber aufgeregt und haben Kritik daran geübt, daß bei einem Wahlmännergremium praktisch eine Manipulationsgefahr bestehe, und haben das in die Nähe anderer Überlegungen gestellt. Herr Kollege Carstens, Sie können ganz beruhigt sein. Wir werden bei der Debatte über die Mitbestimmung, über die einzelnen Bestimmungen der Mitbestimmung zu den einzelnen Positionen unsere Gründe natürlich im Detail darlegen. Eines aber dürfte doch wohl auch Ihnen klar sein: Man kann nicht auf der einen Seite bei einem direkt gewählten Gremium, das eine weitere Wahl vornehmen soll, wenn es beispielsweise bei der Mitbestimmung zur Diskussion steht, von vornherein von Manipulation sprechen, aber beispielsweise die Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, als eine verfassungsmäßige Institution bezeichnen. Hier ist doch eine Diskrepanz in der Art der Diskussion, wie Sie sie führen. ({2}) Ich kann das nicht auf der einen Seite für richtig halten und es, wenn es in einem anderen Bereich zur Diskussion gestellt wird, von vornherein als Manipulation bezeichnen. Hier haben Sie sich in der Diskussion doch einfach vergriffen. ({3}) - Ach, Herr Kollege Dregger, Sie hätten leitende Angestellte in Ihrem Modell mit Sicherheit nie gehabt, wenn wir das nicht 1971 auf unserem Parteitag als eine Grundsatzforderung beschlossen hätten. Sie sind erst viel später auf diese Idee gekommen als wir Freien Demokraten. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber natürlich, Herr Franke.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mischnick, warum haben Sie dann 1971 bei der Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes unserem § 18 und der Einsetzung von Sprecherausschüssen für die leitenden Angestellten nicht zugestimmt? ({0})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Einfach deshalb - das wissen Sie doch ganz genau, und deshalb brauchen wir doch jetzt keine Mitbestimmungs- oder Betriebsverfassungsgesetzdebatte zu führen -, weil die genaue Abgrenzung dieses Begriffes noch mitten in der Diskussion ist. Wir werden darüber bei der Mitbestimmungsdiskussion miteinander zu reden haben. Vielleicht liegt uns dann - was Ihnen als Fachmann ja bekannt ist - das Urteil, das am 5. März ergehen soll, vor, so daß wir das mit verwenden können. Daraus können sich für die Zukunft weitere Konsequenzen ergeben. Für die sind wir immer offen. Nur haben wir nie den Fehler gemacht, zu sagen: Ich muß an einer bestimmten Stelle - das gilt für diesen Spezialfall wie für die gesamte Verfassungsdebatte - etwas festschreiben, wo die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Das unterscheidet uns eben. Sie meinen immer, alles festschreiben zu müssen. Wir sind offen für weitere Entwicklungen in unserer Gesellschaft. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber die letzte; dann wollen wir mit diesem Dialog aufhören.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Mischnick, sind Sie sich darüber im klaren, daß dieses Bundesarbeitsgerichtsurteil überflüssig gewesen wäre, wenn wir in § 5 des Betriebsverfassungsgesetzes etwas deutlicher definiert hätten?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber, Herr Kollege Franke, damit huldigen Sie doch dem Irrglauben, daß es jeMischnick mals möglich sein wird, durch eine Gesetzesbestimmung auszuschließen, ({0}) daß der oder jener noch versuchen wird, über einen Gerichtsentscheid klarzustellen, ob alles erfaßt ist, was man selbst darin sehen will. Das werden Sie nie schaffen, daß Sie das von vornherein ausschalten. ({1}) Nun aber zurück zu den anderen Punkten, die hier von Herrn Carstens noch angesprochen worden sind und zu denen ich kurz Stellung nehmen werde. Herr Kollege Carstens, Sie haben davon gesprochen, daß wir hier keine klare Antwort gegeben hätten, wie wir es mit den Gegnern der Verfassung im öffentlichen Dienst, im Staatsdienst, halten. Herr Kollege Carstens, Sie wissen doch genausogut wie alle anderen in diesem Hause, daß zu dieser Stunde - oder vielleicht eine Stunde später; ich will mich nicht genau auf die Minute festlegen das Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten über den Gesetzentwurf stattfindet. ({2}) Wenn wir zugesagt haben - das unterscheidet uns vielleicht , nicht vorher im Detail hier darüber zu sprechen, dann halten wir es auch durch. Ich bedauere sehr, daß die von Ihnen und Ihren Freunden beschworene Solidarität, in diesen Fragen gemeinsam zu handeln, von Ihren beiden Ministerpräsidenten durchbrochen worden ist, nur aus dem Opportunitätsgrund heraus, für diese Debatte irgend etwas auf den Tisch zu legen, ohne Rücksicht darauf, ob das dann auch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gut und richtig ist. Das halten wir für falsch. ({3}) Sie sprachen auch davon, daß in der Frage des imperativen Mandats keine volle Klarheit geschaffen worden sei. ({4}) Herr Kollege Carstens, hier ist in aller Deutlichkeit von meinen Kollegen - dem Kollegen Dr. Hirsch, dem Kollegen Groß und dem Kollegen Maihofer - zu diesen Grundsatzfragen Stellung genommen worden. Wir lehnen das imperative Mandat ab. ({5}) Wir haben es abgelehnt, wir werden es ablehnen. Wir meinen allerdings damit nicht nur das direkte imperative Mandat, sondern auch das indirekte imperative Mandat, ({6}) was sich beispielsweise in diesem Hause bei der Diskussion um den § 218 sehr deutlich zeigen wird. In beiden Fällen lehnen wir das imperative Mandat ab. ({7}) - Wenn Sie das nicht verstehen, Herr Kollege Dregger, dann muß ich sagen, daß Sie die letzten drei Jahre, die letzte Legislaturperiode offensichtlich nicht voll miterlebt haben. Ich habe ja Verständnis dafür, daß nicht jede Nuance von damals in Ihrer Erinnerung ist. ({8}) Aber es ist doch sehr deutlich geworden, daß neben dem, was Sie als imperatives Mandat mit Recht ablehnen, was auch wir ablehnen, nicht die gleiche Härte der Auseinandersetzung und der Ablehnung kommt, wenn es um das indirekte imperative Mandat geht, ({9}) wenn es Kollegen gibt, die möglicherweise mit ihrer eigenen Meinung anders stehen, als das von bestimmten Institutionen ihnen gegenüber für richtig gehalten wird. ({10}) Daß es da Schwierigkeiten gibt, das werden wir bei dieser Debatte noch erleben. Die Diskussionen in diesem Hause haben das gezeigt. ({11}) Sie haben hier manchmal versucht, einen Teil der Koalition und ihre Absichten zu verketzern, sie seien nicht in allen Auffassungen ganz verfassungskonform. ({12}) Das ist etwa die gleiche Masche, die man lange Zeit draußen versucht hat mit der Behauptung, diese Koalition mache eine sozialistische Politik, und sie habe sich außenpolitisch an kommunistische Ideen verkauft. So wird das doch draußen dargestellt. Offensichtlich zieht das jetzt nicht mehr so ganz. Nun versucht man, hier einen neuen Popanz aufzubauen, ({13}) daß nämlich diese Koalition nicht verfassungstreu sei, sich nicht verfassungsgemäß verhalte. Vielleicht verspricht man sich einen Erfolg davon. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren: Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß es das Schlechteste für unsere Verfassung wäre, wenn mit dieser Unterstellung die Bereitschaft, zu dieser Verfassung draußen zu stehen, bei den Kräften in Frage gestellt wird, die bereit sind, mit uns die Verfassung gegen wirkliche Verfassungsfeinde zu verteidigen. Wenn man diese Trennung vornimmt, wird die Solidarität in Frage gestellt, aber nicht dadurch, daß man in der einen oder anderen Frage zu unterschiedlichen Beurteilungen kommt. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir haben in dieser Debatte mehrfach über Art. 14 und 15 diskutiert. Es gab dazu die unterschiedlichsten Meinungen, zu meiner Überraschung allerdings bei prominentesten Ländervertretern auch sehr viel Sachunkenntnis. Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Wir Freien Demokraten sind gegen die Verstaatlichung der Banken. ({14}) Auch wenn das Grundgesetz in der Fassung von Art. 14 und 15, wie manche meinen, eine solche Möglichkeit böte, sind wir anderer Meinung, sind wir dagegen. Wenn man daraus aber einen Verfassungskonflikt machen will, ist das ein Punkt, in dem wir uns voneinander unterscheiden. ({15}) Ich habe von Herrn Kollegen Ehmke hier gehört, daß er der Meinung ist, daß seine Freunde der Meinung sind, Demokratie könne sich nur im Sozialismus verwirklichen. Nun, das ist ihre Auffassung. Ich halte diese Aussage für eine Zielaussage der Sozialdemokratischen Partei. Ich bin anderer Meinung. Ich bin der Meinung, daß die Verwirklichung der Demokratie unter verschiedenen Gesichtspunkten möglich ist, nicht nur auf Grund von sozialistischen oder sozialdemokratischen Vorstellungen und auch nicht nur auf Grund von christlich-demokratischen oder liberalen Vorstellungen. ({16}) Aber gemeinsam sollten wir uns doch darin einig sein, daß unser Grundgesetz einen liberalen Rechtsstaat will, ({17}) zu dem wir stehen, der Meinungsfreiheit allen Seiten garantiert, und nicht nur dann, wenn es einem paßt. ({18}) Herr Kollege Vogel hat davon gesprochen, daß inzwischen gewisse Änderungen oder ein gewisser Wandel im Grundrechtsverständnis eingetreten seien. Das mag, gemessen an der Situation vor zehn, zwanzig Jahren, richtig sein. Aber ich würde damit doch nicht die Meinung verbinden - wenn das nicht geschieht, bin ich um so froher -, eine Veränderung, ein Wandel des Grundrechtsverständnisses müsse von vornherein etwas Falsches, etwas Schlechtes sein. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß dies nicht so ist. Es geht doch immer nur darum, daß man sich bei der Wahrung unserer Grundrechte an das, was sich in unserem Leben weiterentwickelt, auch in seinem Verständnis anpaßt, ohne dabei die Grundformen dieser Grundrechte in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Wenn wir uns darüber verständigen können, ist schon eine Basis gefunden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Vogel?

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen vielleicht entgangen, daß ich nicht etwa die Auffassung auch nur anzudeuten versucht habe, wir sollten das bisherige Verständnis der Grundrechte in ihrem Kern aufgeben, sondern daß ich vor, sagen wir einmal, nicht mehr nur theoretischen Interpretationen dieser Grundrechte gewarnt habe, die in ihrer Tendenz - ich glaube, darüber müssen wir reden - dazu führen können, daß das liberale Grundrechtsverständnis verschüttet wird?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Vogel, ich wollte Ihnen überhaupt nicht unterstellen, daß Sie von diesen Grundrechten abweichen wollen. Ganz im Gegenteil! Nur wollte ich auch davor warnen, diese Grundrechte als statische Buchstaben zu betrachten. Sie müssen vielmehr immer in der Gesamtentwicklung, projiziert auf neue Entwicklungen, die wir beobachten, betrachtet werden. ({0}) Davon gehe ich aus, von nichts anderem. ({1}) - Sie sagen, das sei selbstverständlich. Wenn das selbstverständlich wäre, ({2}) dann ist es für mich um so unbegreiflicher, wieso manche Positionen innerhalb der Diskussion zwischen Koalition und Opposition so umstritten sind. Ich will jetzt nicht mehr in die Tiefe gehen. Ich erinnere nur an zwei Probleme, die hier kaum angesprochen worden sind; ich glaube, nur einmal vom Kollegen Hirsch. Ich denke z. B. an Art. 29 des Grundgesetzes, an die Neugliederung, die aufs engste mit dem Funktionieren unseres Föderalismus zusammenhängt, und ich denke an Art. 72, an die Gleichheit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und an Ihren Widerstand beispielsweise bei Verfassungsänderungen bezüglich der Wassergesetzgebung. An diesen beiden Beispielen wird mir deutlich, daß zwar Sie eine Verfassungsdebatte, soweit sie in der Öffentlichkeit propagandistisch auswertbar ist, führen wollen, daß Sie aber dann, wenn es um die praktische Verwirklichung entscheidender Punkte geht, in denen Sie selbst keine feste Meinung haben oder von Ihrer ursprünglichen Meinung heute nichts mehr wissen wollen, vor diesen Fragen zurückzucken. Dies unterscheidet uns eben. Wir sehen in einer Verfassungsdebatte die gesamte Verfassung aufgerufen - nicht um sie zu verändern, sondern um die VerMischnick wirklichung voranzutreiben, und zwar auch in den Punkten, bei denen es Ihnen offensichtlich nicht paßt, wenn man sie hier zur Diskussion stellt. ({3}) - Wenn Sie sagen, das sei eine Binsenwahrheit, ({4}) dann wundere ich mich, weshalb Sie sich bis zur Stunde gegen die Verfassungsänderung im Hinblick auf das Wasserrecht wehren, obwohl dieser Punkt im CDU-Programm steht. ({5}) Sie sprechen hier von Binsenwahrheit. Ich kann dazu nur mit Bedauern feststellen, daß Sie eben nicht einmal Binsenwahrheiten in die Tat umsetzen. Das ist bedauerlich für die CDU/CSU. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ey?

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mischnick, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß im Zusammenhang mit der Frage der Verbesserung und Verwirklichung des Wasserrechts zunächst zu klären ist, wie man die Dinge technisch und fachlich verwirklichen kann, und daß sich erst dann, also in zweiter Linie die Frage einer eventuell notwendigen Verfassungsänderung stellt?

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber lieber Herr Kollege, daß man vor der Entscheidung darüber im Detail über technische Dinge, über Voraussetzungen diskutiert haben muß, bestreitet doch kein Mensch. Hier geht es doch aber um folgendes. Sie versuchen immer, jene Punkte der Verfassung, die in Ihre eigene Politik hineinpassen, herauszunehmen. Wenn ein Punkt nicht in Ihre Politik hineinpaßt, tun Sie so, als handle es sich um eine technische Frage, als gehöre das nicht zur Politik. Solche Fragen gehören aber genauso zur Politik wie die Fragen, die Sie immer gern behandelt wissen wollen. ({0}) Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine kurze Bemerkung zu der Frage machen, die eine, wie ich meine, vielleicht zu geringe Rolle in der Diskussion gespielt hat. Ich meine, wir müssen im Zusammenhang mit der Bekämpfung negativer Erscheinungen an unseren Universitäten und Schulen auch prüfen, inwieweit hier Art. 72 des Grundgesetzes nicht die Einheitlichkeit der Gesetzgebung für den ganzen Bund von Bedeutung ist. Es gab große Einigkeit im Klagen und Beklagen hinsichtlich dessen, was in diesem Bereich geschieht. Kaum ist der Entwurf des Hochschulrahmengesetzes der Bundesregierung in der Diskussion, in dem wir nur - nach meiner Meinung: in zu bescheidenem Maße - versuchen, die Möglichkeiten, die wir haben, auszuschöpfen, schon kommt es zum Widerstand aus den Reihen der CDU,/ CSU-regierten Länder. Das ginge zu weit. Sie sollten sich nicht darauf beschränken, bestimmte Dinge, die wir übrigens gemeinsam beklagen, zu beklagen, sondern auch bereit sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein gemeinsames, übereinstimmendes Handeln im ganzen Bundesgebiet ermöglicht wird. ({1}) Erst dann wird sich erweisen, ob Ihre Klagen nur Klagen sind oder ob Sie auch zur Tat bereit sind. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Wenn ich mir so manche Äußerungen und vor allen Dingen manche sehr wenig qualifizierten Zwischenrufe - wir sitzen ja an einer Stelle im Saal, wo wir mit solchen Zwischenrufen besonders gut bedient werden - vor Augen führe, scheint mir für viele Demokratie nur eine Gebrauchsanweisung, aber keine Lebensform zu sein. Anwendung und Ausfüllung unserer Verfassung in der Weise, daß die Demokratie von uns in allen Fällen als Lebensform gelebt wird und nicht nur eine Gebrauchsanweisung darstellt - dies sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klein ({0}).

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte einleitend drei Bemerkungen machen. Erstens. Sowohl in der publizistischen Vorbereitung der Debatte als auch während der Debatte ist mehrfach kritisch darauf hingewiesen worden, daß wir diese ursprünglich für den Reichsgründungstag, den 18. Januar, geplant hätten. Dies war nicht unmittelbar unsere Absicht, sondern wir wollten die erste Sitzungswoche dieses 25. Jahres des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland mit dieser Debatte beginnen. Abgesehen davon stellt sich aber doch die Frage, woher eigentlich das Unbehagen am 18. Januar bei der Regierungskoalition kommen könnte. ({0}) Kommt es vielleicht daher, daß dieser Tag der Gründungstag eines Deutschen Reiches ist, das nicht an der Elbe endete? ({1}) Zweitens. Herr Bundesminister Ehmke hat heute morgen vom zynischen Umgang mit der Macht und mit Mandaten gesprochen. ({2}) Wie nennen Sie es denn, meine Damen und Herren von der Koalition, insbesondere von der SPD, wenn Dr. Klein ({3}) Herr Bahr hier erklärt, vor der Bundestagswahl 1969 seien die Verhältnisse nicht so gewesen, daß es möglich gewesen wäre, dem Volk die Wahrheit zu sagen? ({4}) Ist es denn Zynismus oder ist es Prinzipientreue, wenn Abgeordnete nach der Wahl bei der Wahrheit bleiben, die vor der Wahl gegolten hat? ({5}) Drittens. Meine Damen und Herren, ich habe mich einigermaßen darüber gewundert, daß hier immer wieder das Argument vorgetragen worden ist, wir mißbrauchten das Grundgesetz als parteipolitische Waffe. ({6}) Natürlich sind wir uns darüber einig, daß das Grundgesetz nicht zur kleinen Münze werden darf, die im parteipolitischen Gezänk täglich ausgegeben wird. Aber ist es denn nicht legitim, das politische Handeln auch dieser Regierung und der diese Regierung tragenden Parteien an den Maßstäben des Grundgesetzes zu messen? Und ist es denn nicht ein Zeichen zynischen Umgangs mit der Macht, daß gewisse Tendenzen vorhanden sind, sich diesem Maßstab zunehmend zu entziehen? ({7}) Nun, meine Damen und Herren, zu einem anderen Problemkreis. Herr von Oertzen hat sich gestern auf sein Referat vor dem Unterbezirksparteitag der SPD in Frankfurt bezogen und daraus eine zweifellos auch unseren Beifall verdienende Passage zitiert. Leider gibt es in diesem Referat auch eine ganze Reihe anderer Formulierungen, die die Doppelstrategie von schönen Worten und Lippenbekenntnissen einerseits und davon abweichendem kritischem Handeln andererseits bestürzend deutlich machen. Lassen Sie mich an die Formulierungen dieses Referats, die, wie ich meine, unseren Anstoß erregen müssen, einige kritische Fragen knüpfen. Erstens. Was meint Herr von Oertzen, wenn er sagt, daß sich das sozialistische Ziel einer Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität verwirklichenden neuen Gesellschaftsordnung nur durch vollständige - ich betone: vollständige - Selbstverwaltung und Selbstregierung der Gesellschaft erreichen lasse? Wird hier nicht die Rolle des Staates geleugnet, dessen Stärke der Bundeskanzler soeben noch gefordert hat, des Staates, der doch aus der historischen Erfahrung erwachsen ist, daß in einer sich selbst überlassenen Gesellschaft unweigerlich der Starke über den Schwachen triumphiert und das Prinzip der gleichen Freiheit für alle Chimäre bleibt? Zweitens. Gesellschaftliche Demokratisierung, so schreibt Herr von Oertzen, heißt Teilnahme möglichst vieler Bürger an der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse. Wer wollte das nicht! Aber übersieht die undifferenziert - ich betone: undifferenziert - vorgetragene Demokratisierungsforderung nicht, daß sie nicht etwa notwendig immer zusätzliche Freiheitsräume schafft, sondern Gefahr läuft, verbliebene individuelle Freiheitsräume zu kollektivieren und damit zur Disposition aktivistischer Minderheiten zu stellen? ({8}) Die Universitäten liefern dafür, Herr Kollege Schulte, doch sprechende Beispiele. Drittens. Was meint Herr von Oertzen, wenn er vor der falschen Alternative von Revolution im Sinne des gewaltsamen Umsturzes und Evolution bzw. Reform warnt und darauf hinweist, daß die Epoche sozialer Revolution auch oder sogar überwiegend lange Phasen der Evolution umfassen kann? Was folgt nach seiner Meinung, wenn diese Phasen der „friedlichen, legalen Reform" abgeschlossen sind, und was liegt für ihn zwischen jener nach seiner Ansicht Verwirrung stiftenden Alternative von Revolution und Evolution? Viertens. Wie haben wir es zu verstehen, wenn Herr von Oertzen mit unverkennbar drohendem Unterton erklärt, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung würden auch den gewaltsamen Kampf nicht scheuen, sollten reaktionäre Kräfte in der Bundesrepublik jemals den Boden der Demokratie und des Rechtsstaats verlassen? Wie haben wir das zu verstehen auf dem Hintergrund seiner Behauptung, die Union sei aus der Gemeinschaft der Demokraten ausgebrochen, und auf dem Hintergrund von in gewissen Kreisen ja immer wieder genährten Putschgerüchten von reaktionären, revanchistischen und ähnlichen Kreisen, wie sie beispielsweise ja auch in der Bundeswehr zu suchen sein sollen? Fünftens. Als den zentralen systematischen Einwand gegen die kapitalistische, sprich: marktwirtschaftliche Produktionsweise benennt Herr von Oertzen in diesem Referat den Umstand, daß in der Marktwirtschaft die Produktivkräfte nicht entsprechend den realen menschlichen Bedürfnissen, sondern nach den Gesetzen der Kapitalverwertung mit dem Ziel der Profitmaximierung entwickelt werden. Als Therapie empfiehlt Herr von Oertzen, gemeinsam mit Johann Strasser, die demokratische Entscheidung über Investitionen, Organisation der Arbeitsprozesse und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen. Aber welche Erfahrung eigentlich sofern Ideologen auf Erfahrungen reagieren können - berechtigt zu der Annahme, eine staatliche Planungsinstanz, welcher Art auch immer, vermöchte besser als die Nachfrager am Markt zu entscheiden, welches ihre realen Bedürfnisse sind? Siebtens. Wie haben wir es schließlich zu verstehen, wenn Herr von Oertzen der sozialistischen Bewegung - nebenbei: ich meine, demokratische Parteien sind keine Bewegungen das Ziel weist, den Staat nicht bloß zu bekämpfen, sondern ihn zu erobern? Wie haben wir dieses „sowohl - als auch" zu verstehen? Was gedenkt Herr von Oertzen mit dem Eroberten zu tun, das er bekämpfen will, und wie vereinbart er das demokratische Prinzip mit der Erfahrungstatsache, daß man doch eroberte Festungen nicht mehr freiwillig zu räumen pflegt? Von ganz besonderem Interesse ist es aber, daß Herr von Oertzen in dem erwähnten Referat darauf Dr. Klein ({9}) hinweist, in einem Aufsatz, der kürzlich in der Zeitschrift „Kritische Justiz" erschienen ist, seien differenzierter und ausführlicher, als er es gekonnt habe, seine eigenen Thesen untermauert worden, und dieser Aufsatz enthalte wertvolle Anregungen. Es handelt sich um einen Aufsatz des italienischen Sozialisten Lelio Basso. Lelio Basso macht dort auf Möglichkeiten legaler Ausnutzung der im bürgerlichen Staat vorhandenen Chancen zur Vorbereitung der sozialistischen Machtergreifung aufmerksam. ({10}) Unter anderem meint er - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin -: Es geht um das, was wir die stillschweigende Veränderung der Rechtsordnung nennen, die auf der Veränderung der Wortbedeutungen beruht. Als Beispiel dafür nennt er auch den Begriff der Demokratie. Und das ist doch genau die Beobachtung, die wir machen, und die Befürchtung, die wir hegen, daß wir zwar mit den gleichen Worten reden, aber Verschiedenes damit meinen. ({11}) Rechtsstaat, Demokratie, Sozialstaat, Freiheit alles das sind zentrale Begriffe unserer verfassungsmäßigen Ordnung, die wir gemeinsam, aber vielfach leider nicht mehr im gleichen Sinne, gebrauchen. ({12}) Die Verfassung ist gewiß in erster Linie eine Summe von Regeln für ein geordnetes Verfahren der politischen Willensbildung. Aber darüber hinaus ist in ihr auch eine Festschreibung bestimmter Inhalte und Werte enthalten, die nicht beliebig veränderbar sind. ({13}) Es ist nicht möglich, auf legalem Wege - ich gebrauche hier einmal Worte Salvador Allendes - eine bürgerliche Demokratie in eine authentische sozialistische Demokratie zu verwandeln, ({14}) indem man den Inhalt der Verfassungsbegriffe austauscht. Mich erinnert das an Max Adler, einen marxistischen Staatstheoretiker der 20er Jahre, der einmal schrieb - ich zitiere noch einmal mit Erlaubnis der Frau Präsidentin - : So ergibt sich also, daß die Gleichheitskomponente der Demokratie durchaus nicht im Widerspruch zu ihrer Freiheitskomponente stehen muß, wenn nur erst sowohl die Freiheit wie die Gleichheit aus der Sphäre des Liberalismus, d. h. aus der individualistischen Auffassung herausgehoben und in die ihnen eigene Sphäre der Vergesellschaftung des menschlichen Daseins eingestellt sind, deren politischer Ausdruck die soziale Demokratie ist. Das ist es, was nicht geht: liberale Begriffe mit sozialistischem Inhalt zu erfüllen. Das liegt außerhalb der Legalität. ({15}) Aber das ist es auch, was Herr von Oertzen als „wertvolle Anregung" bezeichnet. ({16}) - Das habe ich gelesen; Sie könne es nachlesen, Frau Kollegin. Nun noch einige Bemerkungen zur Begründung der Ziffer 7 unseres Entschließungsantrags. Macht kann nur durch Gegenmacht kontrolliert und gebändigt werden. Wer die freiheitliche Demokratie in ihrem Wesen recht versteht, wird das Spannungsverhältnis von Macht und Gegenmacht als fruchtbar und nicht als störend empfinden. Zu allen zur Kontrolle dieser Regierungsmacht aufgerufenen Gegenmächten - ob es sich nun um die Presse, um die Opposition, um das Bundesverfassungsgericht oder um den Bundesrechnungshof handelt - unterhält die SPD ein problematisches Verhältnis. Da wir gerade vom Bundesverfassungsgericht reden, Herr Kollege Schäfer, darf ich auf eine Berner-kung zurückkommen, die Sie gestern in Erwiderung auf die Erinnerung von Herrn Kollegen Dregger an jene bekannte Verbalinjurie gemacht haben, mit der das Bundesverfassungsgericht bedacht worden ist; „bedacht worden ist" sage ich. Sie haben Bezug genommen auf die Erklärung des Bundesminister der Justiz und des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juli 1973. Sie haben gesagt, darin stehe, diese Erklärung gebe es nicht bzw. habe es nicht gegeben. Ich habe diese Erklärung im Wortlaut vor mir liegen. Ich bin gern bereit, sie auch vorzulesen, erspare mir das aber im Hinblick auf die Zeit. ({17}) - Der letzte Absatz lautet: Die am Gespräch beteiligten Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts betrachten die Angelegenheit damit als für das Gericht erledigt. ({18}) Der vorhergehende Absatz lautet: Die Gesprächsteilnehmer bedauerten, daß auf Grund von Presseveröffentlichungen der Eindruck entstehen konnte, daß die Beziehungen zwischen beiden Verfassungsorganen nicht von dem Respekt bestimmt seien, der für das Funktionieren des Rechtsstaates unerläßlich ist. Sie sehen gegenseitige Loyalität als selbstverständlich an. ({19}) Dr. Klein ({20}) - Soll ich noch einen Absatz davor verlesen, Herr Kollege Schäfer? Vielleicht finden wir dann doch noch die von Ihnen zitierte Formulierung. Wir finden sie nicht, und deshalb muß ich leider sagen, daß Sie in diesem Punkt - natürlich ganz unabsichtlich! - das Parlament nicht wahrheitsgemäß informiert haben. ({21}) - Welche Formulierung meinen Sie? Herr Carstens schreibt ja viel. ({22}) Sie meinen die Geschichte über die Zeitwahl der Bundesverfassungsrichter? ({23}) - Ich freue mich, daß Sie mich darauf ansprechen; das gibt mir Gelegenheit, dazu etwas zu sagen. ({24}) Herr Kollege Schäfer, vielleicht erinnern Sie sich, daß das Bundesverfassungsgerichtsgesetz - soweit ich es weiß; ich war damals noch nicht Mitglied des I Hauses - einstimmig geändert worden ist mit dem Ergebnis, daß die Bundesverfassungsrichter nunmehr nur noch für 12 Jahre gewählt werden und keine Wiederwahl mehr möglich ist. Jetzt frage ich Sie, welches wohl das Motiv dieser Gesetzesänderung war. ({25})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Schäfer?

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Klein, muß ich Sie so verstehen, daß Sie die Verdächtigung des Herrn Carstens wiederholen?

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weder in der Veröffentlichung von Herrn Carstens noch in meinen Äußerungen ist eine Verdächtigung enthalten, Herr Kollege Schäfer. Aber mit menschlichen Schwächen muß man natürlich bei jedermann rechnen, auch bei Bundesverfassungsrichtern, auch bei Politikern.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Klein, sind Sie bereit, Herrn Kollegen Schäfer zu bitten, einmal die Beratungen im Rechtsausschuß nachzulesen, um sich Klarheit über das gesetzgeberische Motiv für die jetzt vorgenommene Änderung zu verschaffen?

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme an, daß die Protokolle des Rechtsausschusses das bestätigen, was ich hier als Motiv nur vermutet habe. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einiges sagen zu dem Verhältnis der Regierung zur Opposition, wie es sich namentlich in Worten des Herrn Bundeskanzlers widerspiegelt. Die Zwiespältigkeit des Verhältnisses des Bundeskanzlers zur Opposition wird schon daran sichtbar, daß er beispielsweise in seiner Rede auf Otto Wels die Union einer Absage an das beschuldigte - übrigens lange, bevor von dieser Verfassungsdebatte die Rede war -, „was allen demokratischen Parteien gemeinsam zu sein schien und sein sollte". - Übrigens, Frau Präsidentin, ich bitte um Generalgenehmigung für eine Reihe wörtlicher Zitate, die ich jetzt bringen möchte. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte schön!

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Andererseits erhebt er aber den Vorwurf der Heuchelei, wenn die Opposition, etwa in der Berlin-Frage, die gleiche Position wie die Mehrheit dieses Hauses bezieht. Die Blütenlese einschlägiger Äußerungen möchte ich gern noch etwas fortsetzen, wie angekündigt. Der Bundeskanzler bezeichnet die Opposition als das „rückschrittliche Lager", ihre Vertreter haben „Bildungslücken" , „Scheuklappen", „Charakterschwächen", und natürlich ist, wenn sie dem Bundeskanzler zu nahe treten, „Korruption im Spiel". ({0}) Von solchen Leuten muß man sich natürlich „dümmliche und anmaßende Belehrungen in Sachen Demokratie und Sozialismus" verbitten, und überdies fällt ihnen meistens nichts Besseres ein, als „dümmer zu lachen, als sie sind". Kritik an der Regierung ist in den Augen des Bundeskanzlers „unverantwortliches Gerede", das „nahezu einer staatsfeindlichen Kampagne gleichkommt". ({1}) Mit Recht hat die FAZ diese Äußerung des Bundeskanzlers als ein „beklemmendes Stück politischer Demagogie" bezeichnet. ({2}) Wen wundert es vor diesem Hintergrund noch, daß die in der Opposition versammelten „rückwärts gewandten Kräfte" nach Meinung des Herrn Bundeskanzlers nichts anderes im Sinne haben, als das 19. Jahrhundert zu restaurieren und Privilegien zu verteidigen, in deren Dienst sie ihre „stiernackige und grobschlächtige Polemik" und deren „scheinheilige Varianten" stellen. ({3}) Dr. Klein ({4}) Aber - so sagte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung von 1969 -: „Die strikte Beachtung der Formen parlamentarischer Demokratie ist selbstverständlich." ({5}) Wenn es darum geht, sein Feindbild von der Opposition aufzubauen, scheut der Kanzler auch nicht davor zurück, ihr Widersprüchliches vorzuwerfen. Während es noch in der Rede zum 20. Todestag Kurt Schumachers der „Dogmatismus der Rechten" war, der bei uns in der Bundesrepublik das „eigentliche Hindernis zu einem breiten Consensus über die angemessene Erneuerung von Staat und Gesellschaft" darstellen sollte, lautet der Vorwurf in Bad Segeberg - ein Jahr später -, die CDU habe 20 Jahre lang einen „verzerrten und übersteigerten Pragmatismus als oberstes Prinzip der Politik vergötzt". Das wiederum hindert den Kanzler nicht, wenig später in seiner Rede auf Otto Wels zustimmend und auf die SPD gemünzt Immanuel Kant zu zitieren: „Pragmatisches Handeln ist Handeln zu sittlichen Zwecken". ({6}) Den angeblichen Pragmatismus der Opposition übrigens hat der sich hier als Sozialphilosoph gebende Kanzler ausgerechnet für die theoretischen Leerräume in seiner eigenen Partei verantwortlich gemacht, in die linke Ideologien so sichtbar und erfolgreich einströmen. Wer die Freiheit will, meine Damen und Herren, muß mit Spannungen und Konflikten leben können. Die vorgeführten Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers signalisieren mehr als nur die Empfindlichkeit eines von berechtigter Kritik Getroffenen. Sie legitimieren die Disqualifizierung der Opposition und erweisen sich objektiv als Teil einer wohlbedachten Strategie. Hier droht - ich gebrauche noch einmal Worte des Herrn Bundeskanzlers „aus unverantwortlicher Polemik eine böse Saat aufzugehen". Mochte doch z. B. der jüngste Juso-Kongreß jene berühmte Resolution nicht akzeptieren, in der auch gefordert war, die Möglichkeit organisierter Opposition zu erhalten. Wenn die Bundesregierung Friedenspolitik betreibt, dann muß eine Opposition, die daran Kritik zu üben wagt, dankbar sein, wenn der Kanzler ihr zugesteht, daß es wenigstens unter ihren Wählern noch einige gibt, die für den Frieden eintreten. ({7}) Der Rest freilich sieht sich als moralisch entlarvt. ({8}) So setzt denn auch nach den Worten des Kanzlers die SPD „gegen die bequeme Neigung" sprich: der Opposition - „ihren Willen zu Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit". In der Tat, die SPD zelebriert, wie „Die Zeit" einmal schrieb, „ihre Politik mit fast abgründiger Moralität", und - so füge ich hinzu diese Moral hat doppelten Boden. ({9}) Denn hier wird doch bewußt eine emotionsgeladene Atmosphäre geschaffen, in der die politische Auseinandersetzung entrationalisiert, in der Politik zur Glaubenssache wird und in der der so viel und gern zitierte mündige Bürger, und das heißt doch wohl: der rational und nicht emotional reagierende Bürger, auf der Strecke bleibt. Mit Recht hat Hans Buchheim angesichts dieser Entwicklung gesagt, die Moralität der Politik bestehe darin, „um des öffentlichen Friedens und der allgemeinen Freiheit willen darauf zu verzichten, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden", und Karl Steinbuch bemerkt mit Recht: „Wer Humanität will, kann nicht Aggressivität betreiben." ({10}) Hat nicht der Herr Bundeskanzler, nachdem er soeben noch die CDU beschuldigt hatte, ein systemgefährdendes Feindbild von der SPD zu entwerfen, am 3. Oktober 1973 hier von diesem Platze aus uns als die „Feinde der Politik der Regierung" bezeichnet? Statt einer Kommentierung zitiere ich aus dem Artikel Friedrich Karl Frommes in der „FAZ" vom 5. Oktober 1973: Feind, das ist die gröbste Beschimpfung, da das Wort den Betroffenen aussperrt aus dem Kreis derer, die guten, verfassungstreuen, friedliebenden Willens sind. ({11}) Meine Damen und Herren, hier paßt doch eins zum anderen: Wer könnte übersehen, daß die von mir geschilderte Praxis des Bundeskanzlers im Umgang mit der Opposition in völliger Übereinstimmung steht mit den theoretischen Reflexionen seiner für die Kulturpolitik in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verantwortlichen Genossen? Die Hessischen Rahmenrichtlinien zur Gesellschaftslehre etwa - und der Kanzler hat ja nach eigener Aussage kaum etwas Unrichtiges darin finden können - vermitteln dem Schüler von der Bundesrepublik das Bild einer Gesellschaft, in der Gute und Böse miteinander in ständigem Konflikt leben, ein Bild, in dem die Möglichkeiten der Konfliktlösung so wenig vorkommen wie die auch vorhandenen Übereinstimmungen. ({12}) Die Rückführung aller sozialen Zustände und allen sozialen Geschehens - ich betone: aller sozialen Zustände und allen sozialen Geschehens - auf bestimmte Interessen führt zu einem Freund-FeindModell der Gesellschaft, genau wie es der Kanzler der Opposition gegenüber praktiziert, über deren Rolle im demokratischen Staat übrigens der hessische Schüler auch nichts erfahren soll. ({13}) Die Opposition, meine Damen und Herren, kann kein Akklamationsorgan sein, das die Majestät des Kanzlers beweihräuchert. ({14}) Dr. Klein ({15}) Sie ist die notwendige Gegenmacht zur Macht der Regierung und keine Ketzerei. Wer sie verunglimpft, schädigt die Demokratie. Mehrheit und Minderheit sind Partner, nicht Feinde. Die Demokratie setzt die Opposition nicht nur begrifflich voraus, sie anerkennt sie auch politisch. Eine Mehrheit, die zu solcher Anerkennung nicht die Kraft hat, beweist nicht nur ein problematisches Demokratieverstännis, sondern auch Schwäche. Der politische Alleinvertretungsanspruch einer Partei ist mit der Demokratie so unvereinbar wie der moralische Absolutismus der Regierenden. Eine Regierung aber und ein Bundeskanzler, die der Opposition den schuldigen Respekt erweisen, beweisen dadurch Achtung vor sich selbst. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister von Dohnanyi.

Dr. Klaus Dohnanyi (Minister:in)

Politiker ID: 11000401

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ergreife hier lediglich deshalb das Wort - und werde nur wenige Minuten sprechen -, um etwas zum Kollegen Carstens zu sagen, der leider gerade den Saal verläßt. ({0}) Herr Kollege Carstens hat sich, wie andere auch, hier mit Zitaten zu Rahmenrichtlinien und ähnlichen Dingen ausgezeichnet; das hat soeben auch Herr Kollege Klein hier getan. Man kann Zitate so aus dem Zusammenhang reißen, überdies noch aus einer überholten Fassung, daß sie keinerlei Auskunft mehr über das geben, was wirklich gesagt ist. ({1}) Ich will das jetzt an Hand einer Stelle hier darstellen, und ich glaube, die Schlußfolgerung kann man dann jedem überlassen. Herr Kollege Carstens hat vorhin unter Bezugnahme auf die Handreichungen für die Oberstufe in Niedersachsen gesagt: „Lesen Sie sich doch einmal diese Handreichungen durch." Dann hat er mit Recht auf den Sprachschatz dort verwiesen; das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle „Heiterkeit". Und dann sagte er: Aber da steht nun folgendes: „Marx meint mit Diktatur des Proletariats die Herrschaft der Mehrheit, also Demokratie." In Wahrheit, meine Damen und Herren, lautet dieses Zitat - es ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen - ganz anders. Dort steht: Genau erörtert werden muß ferner der Begriff Diktatur des Proletariats. Der moderne Diktaturbegriff kann als Ausgangspunkt genommen werden. Es muß deutlich werden, daß Marx mit Diktatur die Herrschaft der Mehrheit, also Demokratie meint. ({2}) In anderen Worten: Es ist ganz klar aus dem Zusammenhang zu erkennen, Herr Kollege Carstens, daß es hier auch für diejenigen, die diese Richtlinien geschrieben haben, darum geht, den modernen Diktaturbegriff als Ausgangspunkt zu nehmen, allerdings deutlich zu machen, daß Marx selber damals einen anderen Begriff der „Diktatur des Proletariats" hatte. ({3}) Ich will es noch einmal vorlesen: Genau erörtert werden muß ferner der Begriff Diktatur des Proletariats. Der moderne Diktaturbegriff kann als Ausgangspunkt genommen werden. ({4}) Das heißt, ({5}) man muß ihn dem modernen Begriff „Diktatur" gegenüberstellen. Und dann heißt es weiter: Es muß deutlich werden, daß Marx mit Diktatur die Herrschaft der Mehrheit, also Demokratie meint. ({6}) Meine Damen und Herren, es ist doch absolut klar: der Text ungeachtet des ständigen Versuchs, den Sie hier unternommen haben, Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen ({7}) wollte deutlich machen, daß man bei der Verwendung des Diktaturbegriffs durch Marx auch dessen damalige Voraussetzungen verstehen muß. ({8}) Und dies, Herr Carstens, geht durch alle Ihre Zitate. Deswegen wollte ich das hier noch einmal deutlich machen. Dies ist eine grobe Verfälschung des Zusammenhangs. ({9}) Und, Herr Kollege Carstens, Sie haben auch nicht darauf hingewiesen, daß in diesen Richtlinien bzw. Handreichungen seitenlange Zitate aus CDU-Protokollen zur Frage der Vermögensbildung zu finden sind. Sie haben nicht gesagt, daß Ludwig Erhard dort als Autor aufgeführt wird. ({10}) Alles das haben Sie verschwiegen, weil Sie ständig die Zusammenhänge verschweigen. Ich meine, die Ziele, die die Kollegen Dregger und Carstens hier mit der Debatte verfolgt haben, gerade in der Diffamierung der Bildungspolitik, sind dann deutlich, wenn man weiß, daß es der Verfälschung bedarf, um die Oppositionsargumente vorzutragen. Das wollte ich hier noch einmal gesagt haben. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Metzger.

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war nicht. anders zu erwarten, daß Herr Kollege Dr. Klein die breite Palette der Verdächtigungen, Verleumdungen ({0}) und Diffamierungen, die von Rednern der Opposition mit einigen wenigen Ausnahmen ({1}) in dieser Debatte gegen die Bundesregierung und auch gegen die sozialliberale Koalition vorgebracht worden sind, ({2}) entsprechend anreichern wird. Herr Kollege von Dohnanyi hat eben bereits darauf hingewiesen, ({3}) mit welchen Methoden und mit welchen Mitteln hier versucht wird, die Regierung und die sozialliberale Koalition zu diffamieren. ({4}) Falschzitate, Halbzitate, das Umstellen von Zitaten: ich könnte die Beispiele, die Herr Kollege von Dohnanyi hier vorgebracht hat, noch um einiges anreichern, aber im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit will ich mir das versagen. Herr Kollege Carstens hat davon gesprochen, daß die Gemeinsamkeit der Demokraten, daß die Solidarität der Demokraten notwendig ist, um diesen Staat zu verteidigen. Nach der Rede des Kollegen Dregger und nach der Rede des Kollegen Dr. Klein ist das einfach nicht mehr möglich, ({5}) weil hier der Versuch unternommen wird, den Sozialdemokraten und 'dem Koalitionspartner, den Freien Demokraten, zu unterstellen, daß sie nicht mehr auf dem Boden der Verfassung, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Metzger, würden Sie vielleicht freundlicherweise, wenn das offenbar alles nicht in Ordnung ist, was hier von uns vorgetragen wurde, Ihre Meinung dazu sagen, wenn sechs Elmshorner Sozialdemokraten, davon drei Vorstandsmitglieder und ein Kandidat für die Kommunalwahl, gerade jüngst wieder einen Wahlaufruf der DKP unterschrieben haben. Vielleicht könnten Sie sich dazu einmal äußern.

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, Sie sind ja bekannt dafür, daß Sie mit Fälschungen arbeiten. Was Sie eben gesagt haben, ist genau so eine Fälschung. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, das Wort Fälschung scheint mir hier nicht angebracht zu sein. ({0})

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß genau, ({0}) daß Sie sehr empfindlich sind, wenn man Ihnen nachweist., daß Sie Fälschungen begehen und Verleumdungen ({1}) - Ich verstehe Ihre Aufregung gar nicht. Wir können doch in aller Ruhe hier über diese Dinge disk utieren. ({2}) Ich bin gerne bereit, mit Ihnen auch über die Fragen zu diskutieren, die gestern und heute in der Debatte angeschnitten worden sind. ({3}) - Wie wäre es, wenn Sie einmal abwarteten, was ich hier im einzelnen ausführe! Das hätte nämlich den Vorteil, daß wir die Debatte zu einem Zeitpunkt abschließen könnten, zu dem wir alle noch in der Lage sind, auch unsere Arbeit zu Hause im Wahlkreis zu verrichten. ({4}) Von der Opposition wurde hier ein Bild ,der Bundesrepublik an die Wand gemalt, das einfach nicht den Tatsachen entspricht. ({5}) Es wurde der Versuch unternommen, der sozialliberalen Koalition und dieser Bundesregierung vorzuwerfen, daß sie gegen diese Verfassung, gegen dieses Grundgesetz und gegen unsere grundgesetzliche Ordnung arbeiten. ({6}) Das ist ein unglaublicher Vorwurf. ({7}) Ich will dazu - -({8}) Ich will dazu ein Zitat bringen -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter - Metzger ({0}) : Ich lasse jetzt keine Zwischenfragen mehr zu. ({1}) Ich will dazu ein Zitat des Kollegen Dr. Klein bringen, das gestern oder vorgestern in einer Presseveröffentlichung enthalten war. ({2}) Herr Dr. Klein hat von der mangelnden Verfassungstreue sozialdemokratischer Politik und den Ländern gesprochen. Herr Kollege Klein hat hinzugefügt, daß es beispielsweise erst des Verfassungsgerichtes bedurfte, „um der Regierung und namentlich den sozialistischen Protagonisten ihrer Ostpolitik die Unabdingbarkeit des Verfassungsgebotes der Wiedervereinigung in Freiheit in Erinnerung zu rufen". ({3}) Herr Kollege Klein, das ist eine bodenlose Provokation all derjenigen, die vor zwei Jahren die Sozialdemokratische Partei in ihrer großen Mehr heit gewählt haben und dieser Bundesregierung den Auftrag gegeben haben, von 1972 bis 1976 dieses Land zu regieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klein?

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine Zwischenfrage. ({0}) Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort in Ihrer Rede. ({1}) Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort.

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Neben diesen Falschzitaten, ({0}) neben diesen Halbwahrheiten, die Sie hier vorgetragen haben, haben Sie eine Reihe von Einzelfällen vorgebracht, um ein verfassungswidriges Handeln dieser Bundesregierung und ein verfassungswidriges Handeln der sozialliberalen Koalition zu behaupten. ({1}) Es wäre verhältnismäßig einfach, durch ähnliche Einzelbeispiele, durch ähnliche Zitate in umgekehrter Weise Ihnen den Vorwurf zu machen, Sie arbeiteten mit Rechtsextremisten zusammen und machten mit Rechtsextremisten gemeinsame Sache. In der Ausgabe der Zeitschrift „Stern" ist gestern ein Beitrag veröffentlicht worden, der bereits in anderen Zeitungen vor einigen Tagen eine Rolle gespielt hat. Dabei ist davon die Rede, daß sich am 18. Dezember des vergangenen Jahres ein führendes CDU-Mitglied, ein Herr Friedrich Grau, in Frankfurt mit NPD-Mitgliedern getroffen hat, um die Landtagswahlen in Hessen vorzubereiten. ({2}) Auch hier, Herr Kollege - -({3}) - Entschuldigen Sie mal, Herr Kollege Dregger, ist Herr Grau nicht führendes Mitglied der CDU in Frankfurt? ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte doch, den Redner in Ruhe anzuhören. - Bitte, stellen Sie Zwischenfragen. Aber lassen Sie den Redner fortfahren! ({0}) - Das ist nicht meine Sache. ({1}) Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage mehr. ({0}) - Ist Herr Grau - ({1}) - Meine Damen und Herren von der Opposition, wäre es nicht möglich, auch die Dinge in Ruhe zu diskutieren, die für Sie unangenehm sind? Damit würden Sie deutlich machen, ({2}) daß Sie in fairer Weise bereit sind, sich auch mit Ihren politischen Froblemen auseinanderzusetzen. ({3}) Die Frage ist doch, ob das, was hier an Fakten vorgetragen wird, Ihnen paßt, Ihnen angenehm oder unangenehm ist. Deshalb reagieren Sie doch so heftig, weil Ihnen diese Fakten, die ich hier vortrage, unangenehm sind, ({4}) Diese Fakten machen deutlich, daß erneut der Versuch unternommen wird - in Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Hessen -, wie das auch bereits im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg der Fall war, ({5}) mit Rechtsradikalen ein Bündnis einzugehen, ({6}) um gemeinsam mit diesen Rechtsradikalen die sozialliberale Regierung zum Sturz zu bringen. Es gibt, meine Damen und Herren - und das will ich noch einmal ganz klar und deutlich sagen -, in der Sozialdemokratischen Partei keinen ernst zu nehmenden Politiker, ({7}) der unsere verfassungsmäßige Ordnung ändern und aus der Bundesrepublik einen Klassenstaat machen will. Bundespräsident Heinemann hat in einer Rede vor dem Wissenschafts- und Bildungsrat in Berlin am 24. Januar 1974 dazu erklärt: Mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen sind alle Bestrebungen, auf dem Weg über Schule und Hochschule aus der Bundesrepublik einen Klassenstaat oder einen Weltanschauungsstaat zu machen. ({8}) Das Grundgesetz schützt die Koalitionsfreiheit, die Freiheit des Gewissens und das Recht auf die eigene Meinung. ({9}) Aber es gibt keinem einzelnen und keiner Gruppe das Recht, ihre Meinung, ihren Glauben oder ihre Weltanschauung zur verbindlichen Staatslehre zu erheben. ({10}) Ich darf hinzufügen: Die Sozialdemokratische Partei hat seit ihrem Bestehen, seit über 100 Jahren, den Staat immer als Organisationsform des menschlichen Zusammenlebens anerkannt, auch zu einer Zeit, meine Damen und Herren von der Opposition, als dieser Staat Machtinstrument der herrschenden Klasse und gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft gerichtet war. Die deutschen Sozialdemokraten kämpften und kämpfen auch heute zielstrebig und beharrlich für die Verwirklichung der politischen Grund- und Freiheitsrechte in diesem Staat. Dieser Kampf wurde von den Sozialdemokraten bereits zu einem Zeitpunkt geführt, als er noch mit Gefahren und auch mit Risiken für den Beruf, für die eigene Existenz und für das Lebensrecht der Familie verbunden war. Ohne die deutschen Sozialdemokraten - auch darüber sollte man sich im klaren sein, und das sollte man hier aussprechen - und die freiheitliche Gewerkschaftsbewegung wäre diese Verfassungsordnung, über die wir heute diskutieren, um die wir heute streiten, gar nicht möglich gewesen. ({11}) Trotz der Verfolgungen und auch der Anfeindungen, trotz großer materieller und auch persönlicher Opfer waren es die Sozialdemokraten, die sowohl vor dem ersten Weltkrieg als auch nach der Überwindung des nationalsozialistischen Terrorregimes und der Selbstzerstörung Deutschlands bereit waren, ohne Vorbehalt an dem Neubau des Staatswesens mitzuarbeiten, ({12}) wenn sie auch - völig richtig, Herr Kollege - in dem sowjetisch besetzten Teil Deutschlands hiervon ausgeschlossen waren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön!

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Metzger, wissen Sie denn nicht, daß wir diesen Respekt vor der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Bedeutung in der deutschen Geschichte immer praktiziert haben, daß sich aber diese Debatte auf die Frage bezieht, ob die Grundlagen dieser großen sozialdemokratischen Geschichte heute in Gefahr geraten können? ({0})

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Leider ist das in den Diskussionsbeiträgen der Redner der Opposition gestern und heute nicht zum Ausdruck gekommen. ({0}) Die Weimarer Reichsverfassung, die Verfassung der Länder und ,der Bundesrepublik wurden doch weitgehend und ganz entscheidend von Sozialdemokraten mitgestaltet, und es bedeutet einfach eine unglaubliche Provokation - ich will es hier noch einmal sagen: eine unglaubliche Provokation - und zeugt auch von einer maßlosen Arroganz, wenn immer wieder, und von dem Kollegen Dr. Klein mit ganz besonderer Verve, der Versuch unternommen worden ist, den Sozialdemokraten und damit auch der Arbeiterklasse den Vorwurf zu machen, daß sie nicht mehr auf dem Boden dieser Verfassung, auf dem Boden ,dieser Demokratie stehen. ({1}) Ich will darauf noch einmal eingehen, weil die Geschichte ja eine große Rolle gespielt hat in dieser Debatte: Sehen wir uns die Verfassungsgeschichte der letzten 50 Jahre an. Wer bildete denn die unheilige Allianz, die sich in der Weimarer Republik in dem Ziel einig war, den demokratischen Staat und damit auch die schwer erkämpften Freiheitsrechte für die arbeitenden Menschen wieder zu beseitigen, um jeder für sich und für seine eigenen Profite die Machtinteressen durchzusetzen? Das war eine Allianz aus Kapitalisten, Geldaristokratie, Faschisten und Kommunisten, die diesen Weimarer Staat kaputtgemacht haben. ({2}) Und Verlierer waren Freiheit, Menschlichkeit und Solidarität.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, ich darf Sie an das Ende Ihrer Redezeit erinnern.

Günther Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Sozialdemokraten, stehen zu diesem Staat, den sie mitgeschaffen haben, so wie es der Bundeskanzler wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, „ohne Wenn und Aber". Sie bejahen in ihrem Godesberger Programm, das hier ja wiederholt Gegenstand von falschen Zitaten der Oppositionsredner war, das Grundgesetz und damit den demokratischen und sozialen Rechtsstaat. In Übereinstimmung mit den Grundrechten in der Verfassung wird festgestellt, daß das Leben des Menschen, seine Würde und sein Gewissen dem Staat vorgegeben sind. Der Staat soll Vorbedingungen dafür schaffen, daß der einzelne sich in freier Selbstverantwortung und gesellschaftlicher Verpflichtung entfalten kann. Die Grundrechte sollen nicht nur die Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staat sichern, sie sollen als gemeinschaftsbildende Rechte den Staat mit begründen. Wir werden in diesem Parlament mit dieser Bundesregierung unbeirrt den eingeschlagenen Weg weitergehen, trotz aller Anfeindungen, trotz aller Verleumdungen der Opposition, die wir hier in den letzten beiden Tagen wieder erleben mußten. Wir werden auch den Verfassungsauftrag erfüllen: Schaffung und Ausbau eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates, und wir können nur hoffen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Opposition aus dieser Debatte die notwendigen Konsequenzen ziehen wird, ({0}) um die Gemeinschaft der Demokraten und, wie ich hinzufügen möchte, die Gemeinschaft der sozialen Demokraten wiederherzustellen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Zimmermann.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es wäre an sich besser gewesen, Herr Kollege Metzger, wenn Sie diese Rede für sich behalten hätten. ({0}) Wir haben in diesem Haus schon manches erlebt: Erregtheit, Leidenschaft, harte Worte, alles: Das ist auch immer möglich. Nur: zu sagen zu einem Kollegen, zu einem bestimmten Kollegen: Sie sind bekannt dafür, daß Sie mit Fälschungen arbeiten!, und dann nicht einen einzigen Beweis dafür zu liefern, das ist ein starkes Stück. ({1}) Aber wenn jemand wie Sie fast im gleichen Atemzug von der Verfassungswidrigkeit der Bundesregierung und der Sozialdemokratie und damit der Arbeiterklasse spricht, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie sich Ihr eigenes Manuskript nachher sorgfältig durch und sind Sie mit Streichungen so großzügig, wie der Herr Kollege Wehner Herrn Kollegen Apel gegenüber es war. ({2}) Dann werden Sie das Manuskript schon richtig bereinigen. Meine Damen und Herren, diese Verfassungsdebatte sollte nicht zu Ende gehen, ohne daß wir einen Schlußgedanken auf eines der wichtigsten Instrumente verfassungsmäßigen Handelns, Denkens und Ausprägens verwenden, nämlich die Pressefreiheit, die einmal gegen den Herrschaftsanspruch des Staates erkämpft worden ist und die heute auf der anderen Seite, im Ostblock, - Stalin sagte einmal: „Der Zeitungsapparat ist eine unmittelbare Verlängerung ,des Parteiapparates" - im Kommunismus nach wie vor fehlt. Aber wir sahen es bei Djilas in Jugoslawien, bei Vaculič in der CSSR, am Schluß bei Solschenizyn in der Sowjetunion, daß es immer wieder durchbricht: Je stärker die Unterdrückung, desto mehr richten sich die Hoffnungen der Menschen auf die Pressefreiheit, auf das freie Veröffentlichen-Können von Worten, Gedanken und Meinungen. Beim Sieg der Reaktion in Prag richtete sich folgerichtig der erste Schritt gegen die Presse; der tschechische KP-Funktionär Bilak stellte die Uhren wieder rückwärts. Die Freiheit, Meinung zu äußern und Meinung aufzunehmen, gehört zu den Grundelementen der Demokratie. Art. 5 des Grundgesetzes enthält nicht nur das Recht auf Informationsfreiheit, sondern auch die Verpflichtung der Medien gegenüber dem Burger. Schon Theodor Heuss warnte vor dem Irrweg der Frage, ob nun der Verleger oder der Journalist das Recht auf Pressefreiheit habe. Er sagte - Zitat -: Sie haben es beide nicht, sondern beide haben die Pflicht zur Freiheit der Information und der Meinungsaussage, und der Bürger hat den Anspruch auf diese Freiheit, richtig und vollständig informiert zu werden und seine Meinung zu sagen und zu schreiben. Die Wirklichkeit sieht gegenwärtig anders aus. Zum erstenmal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist die Diskussion um die Prinzipien der Pressefreiheit neu aufgebrochen. In dem freiesten und demokratischsten Staat der deutschen Geschichte muß die Pressefreiheit heute gegen den Druck von Gruppenegoismen, aber auch gegen den Machtanspruch des Staates selbst erneut verteidigt werden. Das ist eine kuriose Umkehrung. - Schritt um Schritt wurde die Pressefreiheit einst durchgesetzt. Soll sie heute Schritt um Schritt zurückgeschraubt werden? Sie werden fragen: Geschieht denn das, gibt es solche Absichten? Ich werde es in den nächsten zehn Minuten an ein paar Beispielen belegen. Der frühere Vorsitzende der SPD-Kommission „Massenmedien", der ehemalige Hamburger Innensenator Ruhnau, hat einmal in schöner Offenheit festgestellt - Zitat - : Es hat 17 Millionen Wähler für unsere Partei gegeben, und es gab in diesem Jahr auch 17 Millionen Fernsehteilnehmer. Vielleicht lohnt es sich, auch darüber nachzudenken, was das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem bei uns für ,die politische Bewußtseinsbildung ausgemacht hat. ({3}) Die Freie Demokratische Partei, einmal die liberale Hüterin der Grundrechte und besonders der Pressefreiheit, hat bei ihrem Medienpapier nach dem Wahlspruch: „Schneller, höher, weiter" gehandelt. Sie hat versucht, die SPD an Perfektionismus noch zu übertreffen, nämlich: schneller zur Staatsreglementierung, höher den Gruppeneinfluß und weiter weg vom Liberalismus. Die Forderung der SPD nach einer Bundeskommission für das Kommunikationswesen - ein wunderbares Wort - und Landespresseausschüsse sind der Beginn der Reglementierung der freien Presse. ({4}) Diese Organe sollen eine Mißbrauchsaufsicht ausüben, d. h. eine ständige Kontrolle, die eine Nachzensur bedeutet und daher dem Art. 5 des Grundgesetzes ganz klar widerspricht. Die sogenannten gesellschaftlich relevanten Kräfte ({5}) sind eine durchsichtige Umschreibung für politische Einflußversuche. Auch die „Süddeutsche Zeitung" sieht in der im SPD-Medienpapier vorgeschlagenen Beschwerdeinstanz - so wörtlich - „ein ausgesprochenes Kuckucksei" und wirft der SPD vor, für die Landespresseausschüsse nur das Etikett gewechselt zu haben. ({6}) : Dafür kriegen Sie eine Rüge von Ehmke!) Wieder einmal zeigt sich, daß die SPD unter dem Druck massiver öffentlicher Kritik - diese gab es im Falle der Landespresseausschüsse in hohem Maße - zwar zurückweicht, aber die eigentlichen Ziele nicht etwa aufgibt, sondern unter einer neuen Tarnkappe einen neuen Vorstoß wagt. Die Hamburger SPD hat im vorigen Jahr die Streichung des Tendenzschutzparagraphen im Be5200 triebsverfassungsgesetz, der die Einwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrats in den Redaktionsstuben begrenzt, gefordert. Der Kollege Glotz hat mehrfach von einer notwendigen Reformierung des Tendenzschutzes gesprochen. Die FDP hat sich in ihrem Medienpapier zwar um die Frage des Tendenzschutzes herumgewunden, aber einzelne Gliederungen der FDP - dies gilt z. B. für Hessen - fordern ebenfalls die Abschaffung des Tendenzschutzparagraphen. Wie es in der Praxis aussehen könnte, zeigte im vorigen Jahr die IG Druck und Papier. In Köln hatten Drucker der SPD-nahen „Neuen Ruhrzeitung" den Leitartikel von Chefredakteur Jens Feddersen schlicht aus der Druckplatte gefräst, weil er sich kritisch mit gewerkschaftlichen Lohnforderungen befaßte. Heute haben wir in mehreren Zeitungen lesen können, daß einer Zeitung in Saarbrücken für zwölf Stunden einfach der Strom abgeschaltet worden ist, weil sich diese Zeitung erlaubt hatte, in mehreren Artikeln vorher kritisch die Forderungen der Gewerkschaft ÖTV zu beleuchten. Daß sie dabei auf die Stabilitätspolitik der Bundesregierung verwiesen hatte, war der ÖTV offenbar gleichgültig. Es liegen also mehrere ganz klare Verstöße und Tatbestände der Zensurausübung vor. Die Gewerkschaftsführer haben im Fall Jens Feddersen in schöner Offenheit gesagt, Pressefreiheit sei - ich zitiere - „schließlich nicht das Privileg von Verlegern und Journalisten". Die Herrschaft von Gewerkschaftsfunktionären in den Redaktionsstuben ist wirklich ein Alptraum für jeden Journalisten, ganz gleich, wo er parteipolitisch hingehört. ({7}) Für Jens Feddersen ist die Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland - er sagte wörtlich: „von der Basis her" - heute schon bedroht. Die SPD möchte in Teilen die mit der FDP vereinbarte paritätische Mitbestimmung in der Unternehmensführung auch auf Presseunternehmen anwenden. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Pauls-Telegramme gab es im letzten Jahr eine Massenvorführung von Journalisten durch die Bonner Staatsanwaltschaft. Diese extensive Auslegung des Geheimnisschutzparagraphen macht deutlich, daß § 353 c StGB überholt ist. Presserat und alle journalistischen Verbände können unserer Unterstützung sicher sein: Wir sind mit diesen Verbänden für eine ersatzlose Streichung dieses Paragraphen. ({8}) Bei dieser Bundesregierung, die ja selbst die Worte „Demokratie" und „Transparenz" häufig verwendet, ist aber offenbar die Geheimdiplomatie des vorigen Jahrhunderts wieder eingekehrt. Wenn zwei, wie Sir mir zugeben werden - ganz anders, als es Herr Ehmke gesagt hat -, in der Substanz belanglose Telegramme veröffentlicht werden, werden bei uns die Journalisten vor den Kadi gezerrt. In den Vereinigten Staaten erhalten sie den Pulitzer-Preis. Das ist das Gefälle der Pressefreiheit hier und dort. ({9}) - Auf Augstein komme ich noch zu sprechen. Es gibt einige schöne Sätze von ihm, die er auf Ihrem Medienkongreß gesprochen hat. Ich weiß nicht, ob es Ihnen sehr angenehm ist, wenn ich diese Zitate bringen werde. In der nötigen bundeseinheitlichen Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten - § 53 StPO - plant die Bundesregierung eine Begrenzung auf bestimmte Delikte, und gerade bei typischen Delikten soll künftig das Zeugnisverweigerungsrecht gestrichen werden. Weiterhin soll, wenn die schweren Folgen der Tat es gebieten, das Zeugnisverweigerungsrecht völlig wegfallen. Dadurch würden, so meinen wir, die Gerichte in unerträgliche Auslegungszwänge gebracht. Einen Gummiparagraphen darf es gerade hier nicht geben. Denn gerade durch das Zeugnisverweigerungsrecht - es mag im einzelnen für den Betroffenen angenehm sein oder nicht - wird die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit erst zur vollen Entfaltung gebracht. Redaktionsstatute in den Zeitungshäusern können durchaus sinnvoll sein. Gerade deshalb müssen sie aber auch individuell zugeschnitten sein, weil Größe, Charakter und Aufgabenbereich einer Zeitung eben unterschiedlich sind. Eine Kollektivierung von Redaktionen, wie sie z. B. die Hamburger SPD vorgeschlagen hat, ist sicher nicht praktikabel und würde Gefahren des Mißbrauchs der Meinungsfreiheit erst hervorbringen. Für den Sprecher der Bundesregierung, Staatssekretär von Wechmar, sind Redaktionsstatute sogar gänzlich überflüssig. „Zeit"-Verleger Gerd Bucerius nannte in diesem Zusammenhang den Hamburger SPD-Entwurf - ich zitiere - ein genauso blödsinniges Papier wie den Plan der hessischen SPD. „Die Zeit" schrieb: Die Räte werden wohl verhindern, daß einem Journalisten Unrecht geschieht, freilich auch, daß eine Zeitung erscheint. Friedrich Engels, der 1848 als Redakteur unter dem Chefredakteur Karl Marx bei der „Neuen Rheinischen Zeitung" arbeitete, sagte später einmal wörtlich: Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Karl Marx. Ein großes Tageblatt, das zur bestimmten Stunde fertig sein muß, kann bei keiner anderen Verfassung eine folgegerechte Haltung bewahren. Ein bezeichnendes Wort aus der Praxis, würde ich sagen. ({10}) Bei der Beschreibung der Rolle von Verleger und Chefredakteure stehen sich SPD und FDP in der Produktion von Unsinn und vielleicht sogar von verfassungswidrigen Regelungen nicht nach. Vergeblich appellierten beim FDP-Parteitag Staatssekretär von Wechmar und „Spiegel"-Verleger Rudolf Augstein an die Vernunft und traten für das Recht des Verlegers ein, den Chefredakteur seiner Wahl zu berufen. Mit den verabschiedeten Vorschlägen der FDP ist der Verleger jedoch wirklich nur noch ein Popanz, ausgestattet mit einer formlosen Richtlinienkompetenz, mit geschmälertem Einfluß auf die Grundhaltung seines Blattes und bei Einstellung wie Abrufung des Chefredakteurs von der Redaktion abhängig. Das wirtschaftliche Risiko allerdings darf der Verleger allein tragen, obwohl jeder weiß: Erfolg und Mißerfolg hängen entscheidend am Chefredakteur, und ein guter Mann kann auf diesem Posten kein bequemer Mann sein, sicher auch nicht für die Redakteure.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich halte es für zu spät, jetzt eine medienpolitische Debatte zu beginnen. Aber müßte Ihnen nicht eigentlich schon bei auch nur oberflächigster Lektüre unseres Medienpapieres klar sein, daß wir die Grundsatzkompetenz allein dem Verleger zuerkennen, so daß es völlig bei ihm selbst liegt, ob er ein Popanz ist oder nicht?

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch bei sorgfältiger Befassung mit Ihrem Medienpapier geht für mich aus den Formulierungen, die Sie über den Verleger getroffen haben - und der Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger hat mit Recht darauf hingewiesen , genau das Gegenteil dessen hervor, Herr Kollege Hirsch, was Sie hier gerade darzustellen versuchten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ostman von der Leye?

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem bei mir bereits die gelbe Lampe brennt, Frau Präsidentin, bin ich dazu leider nicht mehr in der Lage, und ich fahre deswegen in meinem Referat fort. Die Existenzbedrohung der freien Presse geht heute nicht von der Konkurrenz aus, nicht von den großen Verlegern, sondern zum größten Teil von der Bundesregierung selbst; denn die drohende Beschränkung des Postzeitungsdienstes und die Abschaffung der Samstagszustellung sind es, die die Pressefreiheit wirklich gefährden. ({0}) Der Deutsche Presserat hat am 7. Februar mit einer nicht zu überbietenden Deutlichkeit der Bundesregierung folgendes gesagt: Die beabsichtigten Maßnahmen bringen publizistische und wirtschaftliche Gefahren für die ganze deutsche Presse. Es werden Informationsfluß und Meinungsvielfalt entscheidend beeinträchtigt. Durch die vorgesehene Reduzierung der zum Postzeitungsdienst zugelassenen Titel werden nicht nur Arbeitsplätze gefährdert, sondern auch Möglichkeiten einer verfassungswidrigen Zensur durch Selektion eröffnet. Dieses Gremium setzt sich bekanntlich aus Verlegern und Journalisten zusammen. Kann man noch deutlicher und treffender beschreiben, was die Bundesregierung mit den vorgesehenen Beschränkungen auf dem Postsektor wirklich beabsichtigt? Wenn der Herr Postminister statt Polemik ein Wort dazu gesagt hätte, ob es denn richtig ist, daß er die Faksimilezeitungen als ein neues staatliches\ Medium ansiedeln will ein Medium, für das er die richtige Organisationsform erst noch finden will, anstatt es zu einem Dienstleistungsmedium zu machen -, wäre das hilfreicher gewesen als das, was er sonst zur Debatte beigetragen hat. Die SPD-Zeitung „Vorwärts" selbst war es, die die Einstellungen mancher sozialdemokratischer Spitzenpolitiker bedenklich gefunden hat, und der Kollege Ahlers war es, der bedauert hat, daß sich die Einstellung vieler führender SPD-Politiker zur Presse in bedauerlicher Weise verschlechtert habe. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, ich darf Sie an das Ende Ihrer Redezeit erinnern.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. Der sozialdemokratische Pressezar Alfred Nau hat noch vor zehn Jahren einmal verkünden können: Fünf Millionen Deutsche Bürger lesen SPD-nahe Zeitungen. Der Kollege Wehner hat später das ist noch nicht so lange her - einmal feststellen müssen - Zitat -: Wenn wir selbstkritisch die Entwicklung unserer sozialdemokratischen Presse betrachten, so fehlen unternehmerischer Geist und unternehmerische Fähigkeiten, um in der Konkurrenz mit anderen sich durchzusetzen. Nun, Kurt Tucholsky hatte schon recht, wenn er sagte - Zitat -: Der liebe Gott schuf Kluge, Dumme und SPD-Funktionäre, die für die Presse verantwortlich sind. Das heißt, die Konzentration, die Sie manchmal so beklagen, die Sie aber nicht stört in bestimmten deutschen Gebieten, wo Sie auch regional an ihr kräftig beteiligt sind, ist leider oft ein Ergebnis der wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese Konzentration wird sich fortsetzen, wenn Sie diese Postpläne Ehmkes durchgehen lassen, meine Herren von der SPD.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich erinnere Sie noch einmal an das Ende Ihrer Redezeit. ({0})

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die rote Lampe hat die Bedeutung, daß ich zum Ende kommen soll. Ich teile die Meinung zahlreicher Kollegen Ihrer Fraktion, die vorher gesprochen haben und die diese rote Lampe genauso stört wie mich, die aber trotzdem auch nicht gleich zum Ende gekommen sind. Aber ganz zum Schluß vielleicht einen Satz, den Sie beherzigen sollten. Das letzte Wort über Zeitung sollte der Verleger haben, das letzte Wort in der Zeitung der Chefredakteur, das letzte Wort im Artikel der Verfasser, aber das allerletzte Wort der Käufer der Zeitung am Kiosk. Das ist Freiheit des Wettbewerbs, das ist Pressefreiheit. Wir werden dafür sorgen und darüber wachen, daß das auch in Zukunft möglich sein wird. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte, daß ich zum Schluß dieser Debatte noch vier Bemerkungen mache. Von vielen Rednern ist mehrfach - das ist ja ganz verständlich - auf Entwicklungen gerade in der jungen Generation hingewiesen worden, die bedenklich sind. Herr Professor Carstens hat das mit dem Stichwort Jungsozialisten belegt und hat dann einzelne Zitate gebracht. Ich glaube, auch eine Reihe von sozialdemokratischen Rednern hat deutlich gemacht, daß es in der Tat Thesen und Äußerungen in dieser Gesellschaft und auch am Rand der Sozialdemokratischen Partei gibt das bestreitet niemand -, die die Gesamtpartei nicht abdeckt, mit denen sie nicht einverstanden ist. Was aber meiner Meinung nach nicht diskutiert wurde - oder nur schlaglichtartig bei dem, was gestern Professor Maier aus Bayern gesagt hat , ist - wenn Sie an die Umfrage denken, die Sie zitiert haben, nach der jeder zehnte Student revolutionäre Veränderungen der Gesellschaft befürworten würde; wie fragwürdig das auch alles ist, es weist mich doch darauf hin -, daß es in unserer Gesellschaft eine Legitimations- und Motivationskrise gibt. Wir sollten uns das nur nicht gegenseitig vorwerfen, sondern wir müssen überlegen, worauf diese Motivations-und Legitimationskrise eigentlich beruht. ({0}) Ich glaube, daß ein Grund dafür in der Tat die Geschwindigkeit unserer gesellschaftlichen Entwicklung ist, an der Sie nicht schuld sind, wir nicht schuld sind, die Unüberschaubarkeit der gesellschaftlichen Strukturen. Der dritte Grund ist allerdings auch ein Reformstau, den 1969 diese sozialliberale Koalition vorgefunden hat. ({1}) Mißverstehen Sie das nicht als einseitigen Vorwurf gegen die Union. Kein vernünftiger Politiker wird bestreiten, daß einiges von dem, was Sie, Herr Professor Carstens, genannt haben, Errungenschaften sind, für die Sie geleistet und gearbeitet haben. Sie werden Ihrerseits nicht bestreiten, daß auch in den ersten 20 Jahren der Unionsregierung die damalige Opposition zu diesen Leistungen etwas beigetragen hat, ({2}) genausowenig, wie wir bestreiten sollten, daß auch die Opposition heute zu der einen oder anderen Reformleistung beiträgt. ({3}) Ich meine folgendes. Es gibt unserer Meinung nach zwei mögliche Antworten auf diese Legitimationskrise. Eine mögliche Antwort wäre - ich meine das jetzt nicht aktiv oder bösartig gegen die Union - die Antwort mit dem Repressionsapparat des Staates. Die andere mögliche Antwort ist die Demokratisierung der Gesellschaft, Mitbestimmung in allen Bereichen, und die vertreten wir Sozialdemokraten. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich!

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Glotz, könnten wir uns nicht vielleicht darauf einigen, daß es Situationen gibt, in denen die Reform allein nicht ausreicht, sondern auch die Machtmittel des Staates zur Sicherung der demokratischen Freiheit notwendig sind, wie umgekehrt?

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Reddemann, darauf können wir uns einigen. Auch Sozialdemokraten würden nie behaupten - das hat der Herr Bundeswissenschaftsminister heute klargestellt -, daß es nicht Situationen geben kann, in denen dieser Staat in der Tat gegen Übergriffe sich auch mit den Machtmitteln des Staates verteidigen muß. Dies ist keine absolute Alternative, aber wir sagen: Wenn wir nicht auch den Mitbestimmungsgedanken vom Staat in die Gesellschaft hineintragen, dann reicht das andere nicht aus. Wir verkrusten sonst in einer autoritären Gesellschaft, was wir alle nicht wollen. Das ist die Gefahr. ({0}) Mit meiner zweiten Bemerkung möchte ich das aufgreifen, Herr Professor Carstens, was der Bundeskanzler vorhin gesagt hat. Bitte mißverstehen Sie es jetzt nicht wieder als einen polemischen Angriff auf die große konservative Partei in diesem Land. Der 'Bundeskanzler hat darauf hingewiesen - ich glaube, das ist richtig -, daß diejenigen, die Sie hier immer wieder zitiert haben, beispielsweise diejenigen, die an den Universitäten Unruhe bereiten und stiften, weniger - ich kann das aus meiner eigenen Erfahrung sagen - .die Söhne und Töchter der Mehrheit der Arbeitnehmer, sondern eher die Söhne und Töchter der oberen Mittelschichten sind. ({1}) - Herr Professor Carstens, wir sollten nicht aufrechnen, wessen Söhne und Töchter aus der Opposition oder der Regierung was an welchen Universitäten tun. Das könnte für alle schlecht ausgehen! Ich rechne Ihnen als konservativen Parteien nicht die oberen Mittelschichten zu und uns die Mehrheit der Arbeitnehmer. Ich weiß zu gut, wieviel Arbeitnehmer - Sie werden verstehen, daß ich das bedaure - auch die CDU/CSU wählen, Herr Blüm. ({2}) Nur: Wenn manche - ich möchte noch einmal sagen, daß ich das nicht als gegen eine Person gerichtet sage - Professoren, Pastoren oder Politiker uns Sozialdemokraten vorwerfen, die jungen Leute in der SPD stellten unakzeptable Thesen auf - das ist manchmal auch meine Meinung , dann antworte ich ihnen manchmal: Liebe Professoren oder Pastoren, es sind eure Söhne und Töchter, die in unserer Partei gegen euer Milieu protestieren und die wir meistens - wenn auch nicht immer - in diesen Staat, in diese Gesellschaft und in diese Verfassung integrieren. ({3}) Meine dritte Bemerkung bezieht sich auf das, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Zimmermann. Wie Herr Hirsch schon sagte, wollen wir hier heute ja keine medienpolitische Debatte im einzelnen anfangen; dazu wird es noch viel Gelegenheit geben, und zwar, wie ich annehme, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bei der baldigen Einbringung des Presserechtsrahmengesetzes in diesem Hause, über die ja zwischen den Koalitionsparteien Vereinbarungen bestehen. ({4}) - Ich will diesen Rat gerne weitergeben, Herr Kollege Hirsch. Ich möchte zu vier Einzelpunkten aus dem, was Sie, Herr Kollege Zimmermann, gesagt haben, kurz Stellung nehmen. Erstens. Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, Herr Kollege Zimmermann, daß in diesem Presserechtsrahmengesetz Landespresseausschüsse, wie immer sie aussehen werden, nicht vorgesehen sind und nicht vorkommen werden. Ich darf dazu, weil wir zwei schon so viele Diskussionen zu diesem Thema geführt haben, folgendes sagen. Da diese Ausschüsse keine anderen Rechte haben sollten, ais Kritik und Konflikt deutlich zu machen, da sie nach dem Beschluß des SPD-Parteitags keinerlei Exekutivrecht haben sollten, kann man sie, wenn man redlich diskutiert, einfach nicht als Zensurinstanz bezeichnen. Sie haben mit Zensurinstanzen nie etwas zu tun gehabt. ({5}) Sie wissen das, Herr Kollege Zimmermann, und stellen die Behauptung immer wieder auf, weil sie populär ist, auch - das gebe ich zu - bei Journalisten. Aber lassen Sie das doch endlich einmal! Glauben Sie mir: Dies war nie Zensurinstanz.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Glotz, könnten wir uns nicht darauf einigen, daß Journalisten automatisch dann, wenn bestimmte Institutionen existieren, in die Gefahr geraten, zwar keine direkte, aber eine indirekte Abhängigkeit von diesen Institutionen zu bekommen, und daß deswegen die Kritik an diesen Ausschüssen mit Recht mit dem Begriff der Nachzensur in Verbindung gebracht wird?

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Reddemann, während wir uns bei Ihrer vorigen Frage einigen konnten, muß ich Ihnen sagen, daß wir uns in diesem Punkte nicht einigen werden. Der Presserat - und das ist eine Lösung, der wir zustimmen - hat einen Beschwerdeausschuß gegründet, und dieser Beschwerdeausschuß des Presserates wird jetzt Beschwerden aufnehmen, diskutieren, die entsprechenden Redakteure einladen und damit den Konflikt deutlich machen. Das ist ein Selbstkontrollorgan der Presse, in dem Verleger und Journalisten sitzen und dies einvernehmlich beschlossen haben. Wäre wirklich die Gefahr gegeben, daß irgendein Organ dieser Art, wie Sie gesagt haben, die Kollegen in Abhängigkeit bringen würde, müßte dies - genauso wie für unsere Landespresseausschüsse - gelten etwa für den Beschwerdeausschuß des Presserates. ({0}) Was wir wollen, ist, eine Antwort zu finden - und darüber wollten und wollen wir mit Ihnen produktiv diskutieren - auf das Problem der lokalen Monopole, bei denen rund 35 % der Menschen in diesem Lande einer einzigen Zeitung ausgesetzt sind. Finden Sie bitte eine bessere Antwort darauf, dann sind wir bereit, alle diese Fragen zu diskutieren. ({1}) Eine zweite Bemerkung: zum Tendenzschutz. Herr Kollege Zimmermann, nur zur Orientierung: Wir werden dafür eintreten, daß die großen Unternehmen bei der Unternehmensmitbestimmung zwar in die Mitbestimmung einbezogen sind, daß aber tendenzbezogene Maßnahmen ausgeklammert bleiben, d. h. daß das Recht, die publizistische Grundhaltung zu bestimmen, weiterhin beim Anteilseigner verbleibt. Dies gilt für die Unternehmensebene. Gleichzeitig sage ich aber - das habe ich immer vertreten, und das vertrete ich nicht als Person, sondern das vertritt diese Partei -: Das Betriebsverfassungsgesetz hat heutzutage einen Tendenzschutz, der zwar nicht vollständig beseitigt werden kann, in dem aber Elemente stecken, die hunderttausende Arbeitnehmer aus der Druck- und Presseindustrie gegenüber den anderen Arbeitnehmern benachteiligen. Das aber darf nicht sein. Es gibt überhaupt keinen Grund, daß in einem Presseunternehmen nicht wie in jedem anderen Unternehmen ein Wirtschaftsausschuß -, der gar keine Exekutiv-, sondern nur Informationsrechte hat - bestehen sollte. In diese Richtung - nicht völlige Streichung, sondern Gleichberechtigung auch für die Arbeitnehmer in der Druckindustrie - werden unsere sehr gemäßigten Vorschläge für die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes gehen. Bitte unterstützen Sie uns in dieser Richtung, meine Damen und Herren! ({2}) Und die letzte Bemerkung im Rahmen der Diskussion um die Presse und dessen, was Sie, Herr Kollege Zimmermann, gesagt haben: Sie wissen von unserem Parteitag - es gibt einzelne, die anderes sagen -, daß die überwiegende Mehrheit dieser SPD beschlossen hat, das Pressewesen solle im Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesen privat organisiert sein. Dabei bleiben wir. Wir sind allerdings der Meinung, daß der Art. 5 nicht nur ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat darstellt - und da sind wir bei der Verfassungsdebatte -, sondern eine Teilhabegarantie ist und daß es sein kann, daß das in der Verfassung niedergeschriebene Grundrecht der Meinungsfreiheit durch die ökonomische Situation im Pressewesen kaputtgemacht wird. Deswegen müssen wir Medien-und Kommunikationspolitik betreiben. Deswegen ist sie notwendig: zum Schutz dieses Grundrechtes der Meinungsfreiheit für die vielen draußen im Lande. Deswegen machen wir Medienpolitik. ({3}) Ich sage also: Wir treten für ein privates Pressewesen ein, aber das unbeschränkte Eigentumsrecht an den Produktionsmitteln im Pressebereich - ob das jetzt in Regionalmonopolen ist, Herr Kollege Zimmermann, oder aber in Großkonzernen - findet dort seine Grenze, wo durch Mißbrauch der Besitztitel die freie und kontroverse Diskussion und Information der Bürger unterbunden wird. Das ist die Richtschnur unserer Medienpolitik. ({4}) Damit komme ich schon zu meiner letzten Bemerkung. Ich glaube, es war der Kollege Klein, der Peter von Oertzen von gestern zitiert und gesagt hat, Oertzen habe darauf hingewiesen, daß diese SPD sich gemeinsam mit den Gewerkschaften gegen alle reaktionären Klassenkampfversuche von oben zur Wehr setzen werde. Darauf haben Sie gefragt: Was ist damit eigentlich gemeint? Das ist eine berechtigte Frage. Ich möchte Ihnen als ein Beispiel - glauben Sie mir, ich könnte Ihnen viele solcher Beispiele bringen - den Absatz - dies ist jetzt wieder nicht die Behauptung, das sei die CDU/ CSU - aus einem Leserbrief, der unkommentiert vor wenigen Wochen in der „Frankfurter Allgemeinen" stand, zitieren. ({5}) Da stand folgendes: Ich wünsche niemandem das Schicksal - schrieb hier ein Bürger dieses Staates -des chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende. Aber wenn die Saat, die von den Schul- und Studienräten in Wiesbaden gesät wird, - damit ist Ludwig von Friedeburg gemeint und all die, die mit ihm dies erarbeitet haben allgemein aufgehen sollte, dann könnte man nur hoffen, daß sich auch bei uns einige Generäle finden, die solchem Fortschritt mit Hilfe der noch unverdorbenen Jugend ein unsanftes Ende bereiten. ({6}) Meine Damen und Herren, dies war die Äußerung eines Ordentlichen Professors der Jurisprudenz in Deutschland, mit vollem Namen gezeichnet in der „Frankfurter Allgemeinen". ({7}) - Professor Dr. Harold Rasch. ({8}) Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, noch einmal wiederholen: Nichts wäre alberner und kindischer, als nun zu sagen, die große andere Partei denkt so wie dieser Professor Rasch. Dies räume ich selbstverständlich sofort ein, Herr Marx. ({9}) - Ich zitiere es, weil ich sage, daß, wer solche Gedanken im Kopf herumträgt, diese Verfassung gefährdet, und weil Sie das zur Kenntnis nehmen sollten, ({10}) und weil ich zweitens befürchte, daß manches von dem, was mancher Redner in dieser Debatte gesagt hat, solche Leute ermutigen könnte, und weil ich das nicht will, meine Damen und Herren. ({11}) Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen: Herr Kollege Maier hat gestern gesagt, er sei sehr dafür - damit hat er den Ministerpräsidenten von Hessen, Albert Osswald, zitiert -, daß man die Fahne zeige, aber - so sagte er unter großem Beifall von Ihnen - es sollte nicht die weiße Fahne sein. ({12}) Meine Damen und Herren, ich stimme Ihnen zu, es sollte weder die weiße Fahne sein noch sollte es die rote Fahne sein. Ich würde überhaupt den Vorschlag machen: Lassen Sie uns gemeinsam weniger Fahnen flattern und Musik dazu spielen, ({13}) lassen Sie uns Reformen durchführen! Dann könnten wir uns vieles und auch viele kontroverse Diskussionen ersparen. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wird noch weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Debatte. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen für den Antrag der CDU/CSU - Drucksache 7/1481 - und den Antrag der SPD und FDP - Drucksache 7/1670 - Überweisung an folgende Ausschüsse vor: Rechtsausschuß - federführend -, Innenausschuß und Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - mitberatend -. - Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes - Drucksachen 7/226, 7/365 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 7/1586 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wittmann ({1}) Abgeordneter Lambinus ({2}) Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe in der Fassung des Ausschußantrages Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. - Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe bitte! - Enthaltungen? - Einstimmig verabschiedet in zweiter Beratung. Ich eröffne die dritte Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir haben noch über Nr. 2 des Ausschußantrags abzustimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von Verfahrensmängeln beim Erlaß einiger Gesetze - Drucksache 7/1000 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 7/1587 Berichterstatter: Abgeordneter Dürr Abgeordneter Erhard ({4}) ({5}) Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe die §§ 1 und 2 in der Fassung des Ausschußantrages, den § 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimmungen sind in der zweiten Lesung einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung des von den Abgeordneten Mick, Dr. Schneider und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Belegung der Sozialwohnungen - Drucksache 7/843 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/1544 - Berichterstatter: Abgeordneter Simpfendörfer b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7}) - Drucksache 7/1445 Berichterstatter: Abgeordneter Polkehn ({8}) Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß der Ausschuß vorgeschlagen hat, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 9 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer den aufgerufenen Bestim5206 Präsident Frau Renger mungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit Mehrheit abgelehnt; dadurch erübrigen sich nach § 84 der Geschäftsordnung die weitere Beratung und Abstimmung. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Juni 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien über das Einlaufen von Reaktorschiffen in brasilianische Gewässer und ihren Aufenthalt in brasilianischen Häfen - Drucksache 7/903 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({9}) - Drucksache 7/1548 Berichterstatter: Abgeordneter Ewen ({10}) Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen "vom 1. September 1970 über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind ({11}) - Drucksache 7/876 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({12}) - Drucksache 7/1549 Berichterstatter: Abgeordneter Geldner ({13}) Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1, 2 - in der Fassung des Ausschußantrags -, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird ebenfalls mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Statistiken des Personenverkehrs und der Kraftfahrzeugfahrleistungen 1974 - Drucksache 7/1005 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({14}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/1598 -Berichterstatter: Abgeordneter Möller ({15}) b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({16}) - Drucksache 7/1564 Berichterstatter: Abgeordneter Vehar ({17}) Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 11 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Beratung angenommen. Ich eröffne die dritte Beratung. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Geflügelstatistik - Drucksache 7/1141 - a) Bericht ides Haushaltsausschusses ({18}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/1683 -Berichterstatter: Abgeordneter Möller ({19}) b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({20}) - Drucksache 7/1602 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Orth ({21}) Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1, 2 und 3, sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Präsident Frau Renger Wir kommen zur dritten Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({22}) - Drucksache 7/1575 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({23}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Zu einer Erklärung der Herr Abgeordnete Hofmann.

Karl Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn auf das Kuriosum dieser beiden 27. Lastenausgleichsnovellen eingehen. Die erste 27. Lastenausgleichsnovelle haben wir am 8. November 1973 in der dritten Lesung hier einstimmig verabschiedet. Die zweite 27. Änderung des Lastenausgleichsgesetzes liegt nun heute am 15. Februar 1974 zur ersten Lesung vor. Dies ist in der Tat ein Kuriosum. Beide Änderungsgesetzentwürfe werden von der CDU/CSU bzw. von der Landesregierung BadenWürttemberg eingebracht. Die Antragsflut der Opposition scheint etwas von der Karnevalswelle des Rheinlandes überspült worden zu sein. Das wirkt sich auf die Novelle zum Lastenausgleichsgesetz folgendermaßen aus: Am 22. März 1973 brachte das Land Baden-Württemberg die erste 27. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz im Bundesrat ein. Am 11. April 1973 folgte von der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag die zweite 27. Lastenausgleichsnovelle. ({0}) Am 19. Oktober 1973 endlich kommt das Land Baden-Württemberg mit der dritten 27. Lastenausgleichs-novelle im Bundesrat. - Das ist nicht polemisch, Herr Kollege. Das sind Tatsachen. Ich kann das nicht ändern. ({1}) Eine Novelle überrollte die andere Novelle. Wenn Sie jetzt meinen, ich sage etwas Polemisches, dann will ich das zugeben. Ich sage hier klipp und klar: Vier Wahlen im Lande verpflichten eben. Doch lassen Sie mich zum Inhalt dieser vorerst letzten 27. Novelle kommen, die ja die erste war, aber vom federführenden Ausschuß für innere Angelegenheiten und vom Finanzausschuß des Bundesrates abgelehnt worden war. Mit dieser nun trotzdem neu vorliegenden Novelle versucht das Land Baden-Württemberg, eine Änderung bei der Unterhaltshilfeanpassung, Stichtagsänderungen und eine Nachversicherung der Unterhaltshilfeempfänger zu erreichen. Zur Unterhaltshilfe ist folgendes zu erwähnen. Die CDU/CSU versucht nun zum wiederholten Male, die Dynamisierung der Unterhaltshilfeanpassung auf den 1. Juli 1973 vorzuziehen, obwohl der Deutsche Bundestag am 8. November 1973 einstimmig beschlossen hat, nach dem Stufenplan 1. Januar 1974, 1. Oktober 1974 und 1. Juli 1975 die Unterhaltshilfe wie die Kriegsopferrenten anzupassen. Dieser Anpassung stimmte der Vermittlungsausschuß, angerufen vom Land Baden-Württemberg, am 12. Dezember 1973 zu, und am 20. Dezember 1973 bestätigte der Bundesrat mit Mehrheit diese vorangegangenen Beschlüsse. Ungeachtet dessen bringt vier Wochen später das Land Baden-Württemberg erneut den Antrag ein, die Unterhaltshilfeanpassung auf den 1. Juli 1973 vorzuziehen. Wie oft noch, muß ich fragen, werden Mehrheitsentscheidungen ohne Beachtung bleiben? Damit werden nicht nur der Bundestag, sondern auch die Demokratie strapaziert. ({2}) - Ja, das Demokratieverständnis kann sich geändert haben, wenn Mehrheitsbeschlüsse dieses Hauses und des Vermittlungsausschusses und des Bunderates nicht mehr gelten. Dann hat sich, weiß Gott, was geändert hier. ({3}) Hinzu kommt, daß die Verkündung der Änderung der Anpassung in dem genannten Stufenplan bereits ansteht. In Art. 1 Nr. 6 wird eine Nachversicherung von Unterhaltshilfeempfängern angestrebt. Das wäre vielleicht vor 15 Jahren angebracht gewesen. Heute hat ein Teil der Vermögensgeschädigten seine Hauptentschädigung für die Nachversicherung verwandt. Soll das auch nachträglich vom Bund übernommen werden, oder trifft das nur die zukünftigen Antragstellungen? War die Nachversicherung aber auch immer ein Vorteil? Der Gedanke muß durchdacht werden. Sinnvoll wäre es nur, wenn sie 10- bis 12 000 Mark betrüge. Dieser nachgezahlte Betrag ist rasch verlustig gegangen, wie die Erfahrung zeigt, wenn der Nachversicherte und sein Ehegatte nach verhältnismäßig kurzer Zeit sterben. Die Rente wurde eingestellt, und die Hauptentschädigung war weg. Hätten diese Geschädigten zu ihrem Altersruhegeld Unterhaltshilfe bezogen, würden im Falle des Ablebens beider Ehegatten nur 10 % der bis dahin gewährten Unterhaltshilfe auf die Hauptentschädigung angerechnet und die Erben erhielten den Rest der Hauptentschädigung. Folgt man nun diesen Gedankengängen, müßte der Ausgleichsfonds bzw. der Bund Gelder bewilligen, die für die Betroffenen völlig widersinnig oder unzweckmäßig angelegt wären. Der dritte Kernpunkt dieses Gesetzentwurfes betrifft die Stichtagsänderungen. Die Mehraufwendungen beim Reparationsschädengesetz belaufen ,ich nach Angabe des Landes Baden-Württemberg auf etwa 50 Millionen DM, die im Bundeshaushalt untergebracht werden müßten. Damit bin ich bei der Finanzierung bzw. bei den Mehraufwendungen, die dieser Gesetzentwurf mit sich brächte. Interessant dabei ist, daß im Gesetzentwurf die Mehranforderungen für die Vorziehung der Unterhaltshilfeanpassung als Gesamtsumme fehlen. Warum? Die Antragsteller kennen diese Zahl. Der Finanzausschuß des Bundesrates hat bereits am 28. Juni 1973 die dafür nötigen 700 Millionen DM genannt. Warum fehlen sie in diesem Antrag? Für die angestrebten Stichtagsänderungen werden im Gesetzentwurf 300 Millionen bis 500 Millionen geschätzt. Der Finanzausschuß des Bundesrates gibt 600 Millionen an und fügt hinzu, daß damit der Ausgleichsfonds frühzeitig erschöpft werde, was Rückwirkungen auf vergleichbare Gesetzesbereiche hätte. Zur Nachversicherung der Unterhaltshilfeempfänger! Dazu heißt es im Gesetzentwurf: Die Nachversicherung von Unterhaltshilfeempfängern verursacht dem Ausgleichsfonds keine Kosten, sondern eine Entlastung. Offen und unausgesprochen bleibt, für wen diese Entlastung zur Belastung wird. Warum wird das verschwiegen? Woher kommen die Gelder für diese Entlastung? Der Finanzausschuß des Bundesrates stellt dazu erstens fest - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -: Die finanziellen Auswirkungen dieses Vorhabens können zur Zeit weder von den zuständigen Bundesressorts noch von den zuständigen Länderressorts geschätzt. werden. Zweitens heißt es: Das Vorhaben ist daher nach den Grundsätzen einer geordneten Finanzpolitik nicht vertretbar. - Meine Damen und Herren, noch deutlicher kann das wohl nicht ausgesprochen werden. Dennoch wird der Gesetzentwurf vorgelegt. Zusammenfassend kann zu der Finanzierung dieser 27. Änderung festgestellt werden: Auf den Bundeshaushalt kommen direkt 50 Millionen DM zu und auf den Ausgleichsfonds, d. h. indirekt auf den Bundeshaushalt, 1300 Millionen DM, zusammen also 1 350 Millionen DM. Dazu ist die unbekannte Summe zu rechnen, die zur Zeit von niemandem geschätzt werden kann. Das alles kommt zu der Milliardensumme, die durch die CDU/CSU-Anträge dem Haushalt aufgepackt werden soll, von dem die Opposition andererseits ständig behauptet, daß er zu groß sei. Um die tatsächliche Situation im Lastenausgleichsbereich darzustellen, verweise ich auf die Niederschrift der Sitzung des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt vom 13. Dezember 1973, in der es heißt - und ich bitte, noch einmal zitieren zu dürfen , daß der Ausgleichsfonds, jedenfalls auf der Grundlage der geltenden Gesetzesfassung, bis 1978 seinen Verpflichtungen aus eigener Kraft wird nachkommen können. Ich wiederhole: Auf der Grundlage der geltenden Gesetzesfassung. Weiter heißt es: ..., während ab 1979 die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen mit insgesamt hohen Milliardenbeträgen aus dem Bundeshaushalt wird ausgeglichen werden müssen. Ich komme nicht umhin, hier auf einen Zeitpunkt hinzuweisen. Der heutige Antrag beläuft sich auf 1 350 Millionen DM ohne die nicht schätzbaren Beträge. Dann liegt ein Antrag aus dem Lande Schleswig-Holstein mit 720 Millionen DM vor. Damit hätten wir bereits 2 Milliarden DM. Legen Sie nun diese 2 Milliarden DM zugrunde und nehmen Sie hinzu, was im Kontrollausschuß gesagt wurde, dann kann man davon ausgehen, daß wir nicht mehr bis zum Jahre 1978 aus eigener Kraft des Ausgleichsfonds hinkommen, sondern daß wir vielleicht im Jahre 1976, dem Zieljahr, Einschränkungen werden machen müssen. Meine Damen und Herren, selbst das scheint die Antragsteller nicht zu beeindrucken. Die CDU/CSU-Antragsinflation geht weiter. Deshalb bitten wir zur weiteren Überprüfung dieses Gesetzentwurfs um Überweisung an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Haushaltsausschuß. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete von Fircks.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, bevor ich zur Erklärung der Fraktion komme, ganz wenige Sätze zu den Ausführungen des Kollegen Hofmann zu machen. Herr Kollege Hofmann, es wird die Betroffenen besonders interessieren, daß Sie hier nicht nur als Sprecher Ihrer Fraktion, sondern, soweit ich weiß, auch als Mitglied des Vorstands Ihrer Partei das Bemühen des Bundesrates, für den betroffenen Personenkreis eine Verbesserung zu schaffen, als karnevalistischen Scherz abgetan haben. Ich glaube, daß Sie sich damit selbst einen Dienst geleistet haben, den Sie bedauern werden, der aber vielleicht nicht ganz unzutreffend ist. Sie haben auch vergessen, das Haus wahrheitsgemäß davon zu informieren - denn es können nicht alle das wissen -, daß die einstimmige Annahme des Stufenplans, von der Sie sprachen, erst geschah, nachdem der Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt worden war, die Leistungen termingleich mit den Sozialrenten anzuheben, wie es den Betroffenen von nicht unwesentlichen Ministern Ihrer Fraktion zugesagt worden war; ich darf an die von mir damals wörtlich zitierte Aussage des Bundesministers Franke erinnern. Ich glaube, daß die nochmalige Forderung des Bundesrates nach Überprüfung dieser Gesetzgebung eigentlich doch uns allen - und ich bitte Sie sehr darum, das so zu verstehen - nur deutlich machen sollte, daß dort näher an der Basis, bei den Ländern erkannt worden ist, daß hier noch eine Dringlichkeit vorliegt, die durch die bisherige Gesetzgebung nicht gut berücksichtigt worden ist. Aber ich glaube doch auch, Sie sollten überlegen, ob Ihre Bemerkungen in Richtung des Bundesrats angebracht waren, daß er nun noch einmal versuche, mit einem Antrag hier ein Gesetz, das vom Bundestag verabschiedet war, zu korrigieren, und daß das ein, wie Sie sagten, sehr merkwürdiges oder dubioses Vorhaben sei. Wollten Sie damit dem Bundesrat vorwerfen, ,daß er die Demokratie mißbrauche, wie Sie, glaube ich, sagten? Wir sollten hier doch wohl lieber die Dringlichkeit und das drängende Anliegen des Bundesrats und der Länder sehen und wirklich noch einmal ernsthaft miteinander überlegen, was getan werden muß. Ich möchte dazu noch mein Bedauern zum Ausdruck bringen, daß anscheinend die Verbesserung der Situation (der Menschen, der Vertriebenen und Flüchtlinge und gerade derer, die von diesem Gesetz betroffen sind, auch das zuständige Ministerium oder die zuständigen Ministerien so wenig interessiert, daß keines dieser Ministerien heute bei der Aussprache vertreten ist. Sie sprachen von den vielen Milliarden, die fehlen. Lassen Sie mich Sie daran erinnern, daß diese Bundesregierung ja schließlich Ende 1973 immerhin noch, soweit ich mich erinnere, 2,8 Milliarden DM ausgeben konnte, die im Haushalt 1973 zunächst einmal gar nicht vorgesehen waren. Es gibt also doch offensichtlich noch Möglichkeiten, die heute vom Haushalt allein und von der Haushaltsvorlage allein nicht ohne weiteres im voraus abzulesen sind. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Initiative des Bundesrats, mit dieser Gesetzesvorlage zur Verbesserung des Lastenausgleichsgesetzes selbst auf die schleppende Gesetzgebung einzuwirken. Die vorliegende Novelle zur Änderung und Ergänzung des Lastenausgleichsgesetzes fordert Verbesserungen bzw. Ergänzungen des Gesetzes, die die CDU/ CSU-Fraktion schon in dieser und in der vorigen Legislaturperiode hier und im Ausschuß gefordert hatte, aber eben leider vergeblich. Die Initiative auch des Bundesrates wird nun, so hoffe ich - ich darf das noch einmal unterstreichen -, allen deutlich machen, daß wir gemeinsam überlegen, gemeinsam beraten und gemeinsam zugunsten dieses Personenkreises handeln müssen. Es wird auch hoffentlich allen deutlich, daß das Problem sich durch Verzögern und Verschieben, wie es die Regierung mit diesen und anderen im Bereich des Lastenausgleichsgesetzes seit vier Jahren getan hat, nicht lösen läßt, sondern nur die soziale Gerechtigkeitsbalance in unserem Staat verschlechtert. In seinen vier Kernpunkten spricht das Gesetz, wie der Kollege Hofmann schon ausführte, einmal die Vorziehung des Anpassungstermins für die Unterhaltshilfe-Empfänger an, zweitens die Verbesserung der Stichtagregelung für den Anwesenheitsstichtag und den Erbschaft-Nichtantrittsstichtag zum 31. Dezember 1974, drittens die Bereitstellung von Mitteln aus dem Härtefonds zur Nachversicherung von Unterhaltshilfe-Empfängern in der gesetzlichen Rentenversicherung und schließlich viertens die Einbeziehung ,der ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht in Südosteuropa in die Leistungen des Reparationsschädengesetzes. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß das in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 gegebene Wort der Regierung, das vom Innenminister hier und draußen im Land bekräftigt wurde und das von den Artikel- und Nachrichtenschreibern der SPD im besonderen auch immer wieder propagandistisch vertreten und unterstrichen wird, und zwar ebenfalls seit vier Jahren stereotyp, endlich durch Taten abgedeckt wird, die mehr sind als ein Nachziehen der Inflationskurve. Der Bundeskanzler erklärte damals - und er hat in seiner Regierungserklärung von 1972 auch ausdrücklich seine Aussagen von 1969 ja mit einbezogen; ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren -: Die Bundesregierung bleibt sich ihrer Verantwortung für die Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten bewußt. Sie wird den Lastenausgleich und die Kriegsfolgengesetzgebung ... zu einem gerechten Abschluß bringen. Diese schönen, väterlichen Worte, meine Damen und Herren, kann sich keiner anziehen, mit denen kann keiner seine sehr viel teurer gewordene Heizung bezahlen, die kann sich keiner aufs Brot schmieren, um auch nur den Lebensstandard zu halten, den er gestern gehabt hat, geschweige denn damit die versprochene Verbesserung der Lebensqualität vornehmen, falls darunter nicht nur ein Leben unter mehr sozialistischer Ideologie bei weniger sozialer Wirklichkeit verstanden werden soll. ({0}) Dieser Personenkreis soll anscheinend bei den Taten für eine Verbesserung der Lebensqualität unberücksichtigt bleiben. Wie handlungswillig diese Bundesregierung im Gesamtbereich der Kriegsfolgengesetzgebung ist, demonstriert sie dadurch, daß sie den vom ganzen Hohen Hause geforderten, vom Innenausschuß mehrfach mündlich und schriftlich angemahnten Bericht zur Kriegsfolgengesetzgebung zum 1. Oktober 1973 nicht vorgelegt hat. Wie lange, so frage ich Sie, soll sich das Parlament eine solche Behandlung noch gefallen lassen, ohne ein deutliches Wort als Ganzes dazu zu sagen, so wie es der Vorsitzende des Innenausschusses namens des Innenausschusses dankenswerterweise mehrfach getan hat? Aber vielleicht ist der Jahrestag der gemeinsamen Entschließung dieses Hohen Hauses, der sehr bald ansteht, ein geeigneter Termin, um hierzu noch einmal etwas zu sagen. Ich werde wegen der Zeit- und Geschäftslage im Hause auf die Begründung der Dringlichkeit der vier Kernpunkte des Antrags nicht näher eingehen; wir werden das im Ausschuß und notfalls in der zweiten Lesung nachholen. Aber eine Grundfrage aller Leistungsgesetze muß für alle hier im Hause heute schon klargestellt werden, damit wir nicht wieder von Experten sozusagen überrollt werden. Hier liegt ein Gesetzentwurf vor, dessen Verwirklichung im ganzen weder den Bund noch die Länder auch nur eine D-Mark kostet, sondern dabei werden sogar noch Mittel für den Fonds und damit für den Bundeshaushalt eingespart. Wenn dem nun, wie es der Kollege Hofmann versucht hat, entgegengehalten werden sollte, daß der Lastenausgleichsfonds zur Nachversicherung erst einmal in Vorlage gehen müsse, müßte ich hier feststellen, daß weder die CDU/CSU-Fraktion noch die Betroffenen Verständnis dafür haben würden, wenn die Regierung erst einmal den Fonds leerfegt, ja, ausplündert, um die inflationäre Entwicklung bei der Unterhaltshilferente zu finanzieren, und dann die eingetretene Misere als Ausrede dafür benutzt, daß sie diese Vorfinanzierung, die am Ende über 300 Millionen DM an Einsparungen bringt, nicht leisten kann. Lassen Sie mich abschließend gerade heute, zwei Tage nach Abschluß der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst mit der Bereitschaft innerhalb von vier Verhandlungstagen, ca. 5 Milliarden DM mehr auszugeben, und zwar Jahr für Jahr, zur Geldfrage bei den noch notwendigen Verbesserungen im Lastenausgleich - ich denke besonders an die seit Jahren den Sowjetzonenflüchtlingen versprochene Frühverzinsung und den Entwurzelungszuschlag, an die Verbesserung der Entschädigungsrente und die Verbesserung der Hauptentschädigung, um nur die dringendsten Probleme zu nennen - noch ein persönliches Wort sagen. Die Bundesregierung und die Kommission werden jetzt sehr schnell und sehr konsequent zu beweisen haben, ob sie bereit sind, nur dort soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, wo hinter den Forderungen Menschen in einem Lebensalter und an einem Arbeitsplatz stehen, die durch Machtdemonstration ihre Forderungen nach gerechtem Lohn oder sozial notwendiger Anhebung einer Ausbildungsförderung erzwingen können, wie jetzt bei den Streiks im öffentlichen Dienst oder bei der Gewaltandrohung während der Studentendemonstrationen, oder ob sie aus moralischer Verantwortung gewillt sind, auch gegenüber denjenigen sozial zu handeln, denen, weil sie ihr Arbeitsleben bereits hinter sich haben und weil sie es aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen, Gewalt anzudrohen oder auch nur eine Fensterscheibe zu zerschlagen, solche Mittel nicht zur Verfügung stehen. Ich beantrage namens der Fraktion der CDU/CSU Überweisung des Gesetzentwurfs gemäß dem Vorschlag des Ältestenrates. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke den Sprechern der Fraktionen für ihre Erklärungen. Auf Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Innenausschuß - federführend -, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung - Drucksache 7/1550 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Auf Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung - Drucksache 7/1590 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Rechtsausschuß Hierzu wünscht der Herr Abgeordnete Scheu eine Erklärung abzugeben. Wir wären alle sehr dankbar, wenn sie möglichst kurz wäre.

Adolf Scheu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001961, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, diesem Wunsche nachzukommen. Das ganze Paket meiner Unterlagen habe ich ohnehin auf meinem Platz gelassen. Es gibt aber bestimmte Gründe dafür, zu diesem Gesetzentwurf ein paar Bemerkungen zu machen. Eine etwas intensivere Aufklärung über die Gesamtzusammenhänge und über das in der Offentlichkeit vieldiskutierte Thema des Maklerunwesens kann ja noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll nichts anderes bewirken, als die Möglichkeit zu schaffen, das Maklergesetz, das wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben, endlich zur vollen Durchführung zu bringen. Die Durchführung des Maklergesetzes von 1972 bereitet den Behörden vor allem in vier Punkten noch Schwierigkeiten, weil das Gesetz keine genügende Rechtsgrundlage gibt. Ich möchte diese vier Punkte hier in aller Kürze herausstellen. Erstens. Der Makler muß das ihm anvertraute Geld auf ein Sonderkonto bei einem Kreditinstitut einlegen. Zweitens. Der Makler ist zur Buchführung verpflichtet und muß jederzeit bereit sein, die Bücher durch einen Wirtschafts- oder Steuerprüfer prüfen zu lassen. Im Hinblick auf diese Regelung gab es in den Verhandlungen mit den Ländern Schwierigkeiten, was sich dann bei der Durchführung des Gesetzes auswirkte. Drittens. Der Makler wird verpflichtet, seinen Klienten Sicherheit zu geben oder eine Versicherung für sie abzuschließen. Viertens. Der Makler darf Gelder in Zukunft nur noch objektgebunden verwenden. Er darf also nicht mehr das bekannte Revolving-System anwenden, bei dem Millionen von D-Mark von kleinen Leuten für ein bestimmtes Objekt eingezogen und dann für ein anderes Objekt verwendet werden. Ich will die Einzelheiten jetzt gar nicht näher ausführen. Um diese scharfe Geißel gegen unseriöse Geschäftemacher unter den Maklern, die vorwiegend Bauträger, Bauvermittler und Anleihevermittler sind, einsetzen zu können, ist dieses Gesetz mit einer gewissen Dringlichkeit zu beraten. Im Namen der Koalitionsfraktionen bitte ich darum, daß die beiden Ausschüsse, denen der Gesetzentwurf auf Vorschlag des Ältestenrates überwiesen werden soll, zügig arbeiten, damit das Maklergesetz von 1972 voll angewendet . werden kann, die unseriösen Elemente aus diesem Berufskreis herauskommen und der Maklerberuf so wieder zu seinen alten Ehren kommen kann. Kürzer konnte ich es bei bestem Willen nicht machen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir bedanken uns ausdrücklich für die Kürze der Ausführungen. Weitere Wortmeldungen hierzu? - Das ist nicht der Fall. Auf Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 13 bis 15 sowie den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf: 13. Erste Beratung des von den Abgeordneten Hölscher, von Schoeler, Biermann, Glombig und den Fraktionen der FDP, SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - Drucksache 7/1588 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes - Drucksache 7/1570 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 15. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl ({1}), Schmidhuber, Dr. Wittmann ({2}), Dr. Kreile, Dr. Müller ({3}), Dr. Probst, Höcherl, Orgaß, Damm, Rollmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg - Drucksache 7/1576 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Zusatzpunkt 2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt ({4}), Bredl, Marschall, Vahlberg, Frau Dr. Riedel-Martiny, Staak ({5}), Dr. Apel, Pawelczyk, Glombig, Engelhard, Frau Schuchardt und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften in der kreisfreien Stadt München und im Landkreis München sowie in der Freien und Hansestadt Hamburg - Drucksache 7/1671 Überweisungswunsch: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Das Wort hierzu wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: Beratung des Vierten Wohngeldberichts der Bundesregierung - Drucksache 7/1563 -Überweisunqsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({6}) Haushaltsausschuß Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Auf Vorschlag des Ältestenrates soll der Bericht dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - federführend - und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Novellierung des Tierzuchtgesetzes - Drucksachen 7/1090, 7/1603 Berichterstatter: Abgeordneter Schröder ({8}) Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen. Ich rufe die Punkte 18 bis 20 der Tagesordnung auf: 18. Beratung des Antrags des Innenausschusses ({9}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Italien dienstlich verwendet werden - Drucksachen 7/1286, 7/1552 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer ({11}) 19. Beratung des Antrags des Innenausschusses ({12}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({13}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in Belgien dienstlich verwendet werden - Drucksachen 7/1276, 7/1553 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer ({14}) Präsident Frau Renger 20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr ({15}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Innenausstattung von Kraftfahrzeugen ({16}) - Drucksachen 7/856, 7/1565 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Oetting Wünscht ein Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. - Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über die Punkte gemeinsam abstimmen? - Das ist der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Danke schön. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 20. Februar 1974, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.