Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes - Drucksache 7/1265 -, der in der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6. Dezember 1973 an den Ausschuß für Verkehr - federführend -, an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen wurde, nachträglich auch dem Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisungen von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({0}) des Rates zur vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Erzeugnisse der Kapitel 1 bis 24 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Malta.
- Drucksache 7/1556 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Verlängerung des Zeitraums für Übergangsmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse in den neuen Mitgliedstaaten.
- Drucksache 7/1557 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({1}) des Rates zur vollständigen Aussetzung des Zollsatzes für bestimmte industrielle Waren mit Ursprung in Malta.
- Drucksache 7/1559 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({2}) des Rates zur Eröffnung von Zollpräferenzen ({3}) für Fertigwaren aus Jute und Kokosfasern mit Ursprung in Indien und für Fertigwaren aus Jute mit Ursprung in Bangladesh.
- Drucksache 7/1558 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({4}) des Rates über den Abschluß eines Abkommens über handelspolitische Zusammenarbeit zwischen
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Indien.
- Drucksache 7/1560 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({5}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({6}) des Rates über die von den Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs befreite Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters.
Drucksache 7/1561 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({7}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland dienstlich verwendeten Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle.
Drucksache 7/1562 überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({8}) des Rates
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Textilwaren mit Ursprung in Jugoslawien
über die Eröffnung von Zollpräferenzen für bestimmte Textilwaren mit Ursprung in Jugoslawien.
- Drucksache 7/1568 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({9}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
- Drucksache 7/1569 überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({10}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Kakaobutter und löslichen Kaffee mit Ursprung in den Entwicklungsländern.
- Drucksache 7/1577 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({11}) des Rates über die Durchführung der Empfehlung Nr. 1/73 des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Zypern eingesetzten Assoziationsrates, die die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen auf dem Zollsektor festlegt.
- Drucksache 7/1578 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({12}) des Rates
zur Änderung der Verordnung ({13}) Nr. 816/70 in bezug auf
die Definition von Likörwein und bestimmten Traubenmost
zur Änderung der Verordnung ({14}) Nr. 948/70 zur Definition bestimmter aus Drittländern stammender Erzeugnisse der Nummern 20.07, 22.04 und 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs.
- Drucksache 7/1579 überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Vizepräsident Frau Funcke
Überweisung von Zollvorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Aufhebbare Dreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Drucksache 7/1574 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig zum Plenum am 15. Mai 1974
Aufhebbare Neunundzwangzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksache 7 1580 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Vorlage des Berichts rechtzeitig zum Plenum am 15. Mai 1974
Aufhebbare Siebenundvierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksache 7/1581 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Vorlage des Berichts rechtzeitig zum Plenum am 15. Mai 1974
Zur Geschäftsordnung Herr Häfele.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU beantrage ich, den Punkt 6 - Drittes Steuerreformgesetz - von der Tagesordnung abzusetzen.
({0})
Wir fordern die Regierung auf, statt dessen unverzüglich einen neuen Steuergesetzentwurf vorzulegen über das, was steuerlich unaufschiebbar ist, jedoch realistischerweise 1974 rechtzeitig bewältigt und ab 1975 in Kraft gesetzt werden kann.
({1})
Im Bundesrat haben am 20. Dezember letzten Jahres alle Länder, auch die von der SPD regierten, meine Damen und Herren,
({2})
das Dritte Steuerreformgesetz abgelehnt, schon weil aus praktischen Gründen die Voraussetzungen für ein Inkrafttreten insgesamt am 1. Januar 1975 fehlen. Dies gilt insbesondere, wie es SPD-Finanzminister Wertz vorgetragen hat, für so wesentliche Teile wie die Umstellung des Kinderlastenausgleichs und das Sparprämienrecht, ganz zu schweigen von der Kraftfahrzeugsteuer, bei der die Widersprüchlichkeit im Regierungslager bis zur Handlungsunfähigkeit gediehen ist,
({3})
sowie der Körperschaftsteuer und der geplanten Vermögensbildungsabgabe.
Staatssekretär Porzner, meine Damen und Herren - hören Sie zu, was Ihr eigener Staatssekretär Porzner damals gesagt hat -, mußte in der gleichen Bundesratssitzung außerdem einräumen, es sei auch aus Geldmangel zweifelhaft, ob das Gesetz wie vorgesehen bis 1975 zustande kommt. Meine Damen und Herren, fürwahr, die inflationäre Entwicklung hat einer wirklichen Steuerreform weitgehend den Boden entzogen.
({4})
Offiziell verkrallt sich die Bundesregierung dennoch nach wie vor in die Sprachregelung, das Dritte Steuerreformgesetz sei bis 1975 machbar.
Dabei erfahren wir aus der Presse, daß im Schoße der Regierung an Stelle des Dritten Steuerreformgesetzes schon der Entwurf eines stark verkürzten Ersatzgesetzes fertiggestellt worden ist.
({5})
Es soll den Titel tragen: „Erstes Gesetz zur Reform der Einkommensteuer". Nach stundenlangem Sichhin-und-her-Winden, meine Damen und Herren, mußte dies die Koalition im Finanzausschuß zugeben, wenn auch nur sehr versteckt. Trotzdem lehnte sie unseren Antrag ab, diesen Ersatzentwurf den Mitgliedern des Finanzausschusses auszuhändigen.
Meine Damen und Herren, was ist dies für eine Behandlung des Parlaments und der Öffentlichkeit!
({6}) So können Sie mit uns nicht verfahren.
({7})
Dem Bundestag und den anzuhörenden Verbänden kann nicht zugemutet werden, über ein Vorhaben zu beraten, das alle unvoreingenommenen Sachkundigen und der gesamte Bundesrat, selbst alle SPD-Landesregierungen, in diesem Jahr für nicht für durchführbar halten.
Wenn dieses Parlament überhaupt noch sinnvoll arbeiten soll, dann lehnt es die ihm zugemutete Beschäftigungstherapie ab. Wir sollten uns nicht mit überholten Gesetzentwürfen befassen, sondern mit machbaren.
({8})
Eine große Steuerreform ist nicht in drei bis vier Monaten durchzupeitschen.
({9})
Es genügt auch nicht, wenn der Bundeskanzler am 26. Oktober 1973 vor dem Bundestag voller Stolz verkündet -
Herr Kollege Häfele, wir sind in der Geschäftsordnungsdebatte, nicht in der Sachdebatte.
({0})
Bitte!
Frau Präsidentin, ich begründe, weshalb wir die Absetzung des Tagesordnungspunktes wünschen.
({0})
Ich wiederhole: Es genügt nicht, wenn der Bundeskanzler am 26. Oktober 1973 - ({1})
Meine Damen und Herren, wir wollen uns an die Geschäftsordnung halten. Die Geschäftsordnung besagt, daß der AnVizepräsident Frau Funcke
trag begründet wird. Die Geschäftsordnung sagt, daß erst - ({0})
- Meine Damen und Herren, wollen Sie vielleicht den Präsidenten wenigstens sprechen lassen; das ist doch an sich Übung dieses Hauses. - Die Geschäftsordnung sagt, daß darauf geantwortet werden kann. Aber es muß sich in beiden Fällen im Rahmen einer Geschäftsordnung halten, d. h. die Rede muß sich auf die prozessuale Art und Weise der Behandlung beziehen und darf nicht in Wertungen und eine Sachdebatte ausarten. Ich bitte, Herr Kollege Häfele, sich daran zu halten.
({1})
Frau Präsidentin, ich fahre fort in der Begründung unseres Antrags, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auf der linken Seite des Hauses, die hier systematisch stört, für Ordnung sorgen würden.
({0})
Es genügt nicht, wenn der Herr Bundeskanzler am 26. Oktober 1973 vor dem Bundestag voller Stolz verkündet, die Steuerreform sei auf den Weg gebracht. Zur politischen Führung gehört es, daß man sich realistische Ziele vornimmt und diese dann auch durchsetzt. Es reicht auch nicht aus, wenn der Bundeskanzler, wie schon einmal nach seinem Sommerurlaub, dieses Mal nach seinem Winterurlaub laut denkt und steuerliche Erleichterungen schon 1974 für möglich hält. Gestern mußte er offensichtlich wiederum hier etwas anderes sagen. Heute morgen lesen wir in der Zeitung, daß Herr Staatssekretär Porzner sagt, daß doch schon dieses Jahr steuerliche Erleichterungen fällig werden müßten. Dieser steuerpolitische Zickzackkurs ist unerträglich.
Herr Kollege Häfele, ich entziehe Ihnen das Wort.
({0})
Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Herr Kollege Offergeld!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Offergeld!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens der Koalitionsfraktionen, den Antrag der CDU/CSU abzulehnen. Wieweit die Opposition ihren Theaterdonner hier ernst nimmt, kann man aus der Präsenz 'der Abgeordneten der CDU/CSU ablesen.
({0})
Im übrigen, meine Herren von der Opposition, werden wir über die Sache anschließend in der ersten Lesung diskutieren. Ich kann Ihnen nur sagen: wir werden Sie nicht der Notwendigkeit entheben und Sie nicht aus der Verlegenheit entlassen, zur Steuerreform inhaltlich Stellung zu nehmen und zu sagen, was Sie wollen,
({1})
ob Sie den Kinderlastenausgleich wollen oder nicht.
({2})
Der Notwendigkeit, sich dazu zu äußern, werden wir Sie nicht entheben.
Wir lehnen darum den Antrag ab.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist der Antrag gestellt worden, Punkt 6 von der Tagesordnung abzusetzen. Ein Kollege hat dafür gesprochen, ein Kollege dagegen. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Antrag auf Absetzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0})
Gegenprobe! - Das zweite ist die Mehrheit; der Punkt bleibt auf der Tagesordnung.
Zur Geschäftsordnung, Herr Wagner!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist soeben eine Auslegung des § 34 der Geschäftsordnung erfolgt, die nach unserer Meinung nicht in Ordnung ist. In der Geschäftsordnung heißt es:
Die Bemerkungen dürfen sich nur auf den zur Verhandlung stehenden oder unmittelbar vorher verhandelten Gegenstand oder den Geschäftsplan des Hauses beziehen. Sie dürfen die Dauer von fünf Minuten nicht überschreiten.
Diese Regeln hat der Kollege Häfele eingehalten.
({0})
Wir sehen in der Handhabung der Geschäftsordnung eine Beschränkung der Möglichkeiten der Opposition und beantragen, daß die Sitzung auf 30 Minuten unterbrochen wird und daß sich der
4892 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Wagner ({1})
Ältestenrat des Bundestages mit dieser Frage beschäftigt.
({2})
Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Mertes.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wagner weiß genausogut wie jedes andere Mitglied des Ältestenrates, daß nicht jede Bestimmung unserer Geschäftsordnung so exakt gefaßt ist, daß sie für jede unvorhersehbare Situation, wie es heute morgen der Fall war, eine nicht auslegungsfähige Aussage treffen könnte. Es hat sich aber Gott sei Dank in den vergangenen 25 Jahren in diesem Parlament eine Praxis herausgebildet, und danach ist es eindeutig so, daß sich Herr Häfele nicht korrekt verhalten und die Frau Präsidentin ihm zu Recht das Wort entzogen hat, nachdem er wiederholt angemahnt worden war.
({0})
Um derartige Vorfälle in der Zukunft zu verhindern, werden sich die Koalitionsfraktionen überlegen,
({1})
wie sie die Geschäftsordnung ändern können, damit künftig derartige Fälle nicht mehr vorkommen, und sie werden das mit tunlicher Beschleunigung erledigen.
({2})
- Niemand will die Opposition verbieten.
({3}) - Das haben Sie gesagt.
({4})
- Vielleicht ist es Ihre Meinung, daß diese Opposition in diesem Hause fehl am Platze ist.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opposition hat, wie wir alle wissen, wiederholt den Vorwurf erhoben, mit dieser Steuerreform sei es gar nicht ernst gemeint; sie werde in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden können.
({6})
Da sie nun heute erkannt hat, daß sie mit dieser Einschätzung schief liegt, versucht sie, die erste Lesung dieses dritten Steuerreformpakets zu verhindern.
({7})
Meine Damen und Herren, wir sollten uns dadurch
nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern meines
Erachtens unverzüglich an die Arbeit gehen, die wir für den Wähler leisten müssen.
({8})
Meine Damen und Herren, von der CDU/CSU-Fraktion ist Unterbrechung um eine halbe Stunde beantragt worden. Ich würde meinen, wir geben dem Antrag statt. - Die Sitzung wird um Viertel vor zehn fortgesetzt.
Ich darf im Namen der Frau Präsidentin den Altestenrat für sofort einberufen.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Der Ältestenrat empfiehlt, in der Tagesordnung fortzufahren. Darüber hinaus möchte ich klarstellen, daß die Folgerungen aus § 41 der Geschäftsordnung, die bei Entziehung des Wortes eintreten könnten - die Geschäftsordnung ist hier nicht klar formuliert , auf Grund einer gegenseitigen Vereinbarung nicht eintreten sollten. Es heißt in § 41, daß ein Redner nach einer Wortentziehung am gleichen Tag zum selben Tagesordnungspunkt das Wort nicht mehr erhalten darf. Mir ist ein Fehler insofern unterlaufen, als ich bei der zweiten Ermahnung nicht auf diese Folgen aufmerksam gemacht habe. Das ist aber Voraussetzung für die genannte Folgewirkung. Ich glaube, wir sind alle der Meinung, daß wir diese Folgen deshalb auch nicht eintreten lassen sollten. Im übrigen wird sich der Geschäftsordnungsausschuß noch mit der Auslegung des § 34 der Geschäftsordnung beschäftigen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts
- Drucksache 7/656 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/1597 -
Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 7/1515 Berichterstatter: Abgeordneter Glombig ({2})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Herr Abgeordneter Maucher!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/ CSU habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Wir stehen nun vor der Verabschiedung des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts und können mit Genugtuung feststellen,
daß hier ein Gesetz verabschiedet werden soll, das im Grundsatz die uneingeschränkte Zustimmung - von Einzelheiten des vorliegenden Entwurfs abgesehen - des ganzen Hauses findet. Vor allem sind wir sehr befriedigt darüber, daß bei der Beratung dieses Gesetzes eine ganze Reihe von Anträgen der Opposition angenommen wurden und ebenso eine große Zahl der Anträge als gemeinsame Auffassung der Vertreter aller Fraktionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bezeichnet werden können. Wir hätten es für richtig gehalten, wenn das auch im Bericht entsprechend vermerkt worden wäre.
Dennoch hätten wir gewünscht, daß einige entscheidende Gesichtspunkte, die von der Opposition vorgetragen wurden, noch berücksichtigt worden wären. Das Gesetz als Ganzes kann unbestritten als ein gutes Egebnis gemeinsamer Arbeit - getragen vom guten Willen im Blick auf die Behinderten, um deren Situation erleichtern zu helfen - bezeichnet werden. Es kann gleichzeitig aber auch als die Konsequenz des jahrelangen Bemühens im Rahmen der Gesamtrehabilitation angesehen werden. Ich darf hierbei feststellen, daß ein wichtiger Punkt des Berliner Programms verwirklicht worden ist. Das starke Interesse, das sich in den vielen Eingaben der Verbände, Träger der Rehabilitation usw. äußert, beweist zwei Dinge: Erstens wird dadurch deutlich, was in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der Hilfe für den behinderten Menschen tatsächlich geleistet wurde, und damit die Behauptung vom Schattendasein widerlegt. Zweitens wird dadurch deutlich, daß bei vielen Organisationen und Trägern der Rehabilitationsstätten der ernste Wille vorhanden ist, die größtmögliche Hilfe für die Behinderten auf Grund eines brauchbaren, der Gegenwart angepaßten Gesetzes zu erreichen.
Mit diesem Gesetz wird ein weiterer Schritt zu einer sehr wichtigen, wirkungsvollen Koordinierung aller Rehabilitationsmaßnahmen im allgemeinen getan. Im Grundsatz muß man feststellen, daß mit dem bisherigen Schwerbeschädigtengesetz vom 1. Mai 1953 entsprechend den Verhältnissen Hervorragendes geleistet worden ist. Der nun vorliegende Gesetzentwurf stellt auf das finale Denken um, d. h., alle körperlich und geistig Behinderten mit einer MdE von 50 % erhalten nach diesem Gesetz Schutz und Hilfe.
Namens meiner Fraktion weise ich nochmals darauf hin, daß wir zu dieser Entwicklung ja sagen. Wir sind aber der Meinung, daß bisher praktiziertes Recht nicht aufgegeben werden darf. Aus diesem Grunde haben wir im Ausschuß darauf hingewiesen, daß es in den Fällen, in denen nach dem Bundesversorgungsgesetz auf Grund der beruflichen Betroffenheit eine MdE von 50 % festgestellt wurde, bei der Schwerbeschädigteneigenschaft und beim -ausweis verbleiben muß.
Wir begrüßen, daß der Wille des Ausschusses in dieser Frage entsprechend unserer Auffassung eindeutig zu erkennen war. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß in den Fällen, in denen in Zukunft auf Grund der beruflichen Betroffenheit eine MdE nach dem BVG von 50 % insgesamt erreicht wird, eine Gleichbehandlung sichergestellt wird.
Ich will mir ersparen, auf alle Einzelheiten einzugehen. Lassen Sie mich daher nur noch einige besonders wichtige Fragen anschneiden.
Die CDU/CSU-Fraktion hat es bedauert, daß ihrem Antrag, der auf die besondere Situation der mittelständischen Kleinbetriebe abstellte, nicht entsprochen wurde. Wir wollten, daß die Beschäftigungspflicht erst bei 20 Arbeitsplätzen einsetzt. Der Antrag sah jedoch nicht vor, daß sich das weiter fortsetzt, sondern daß der zweite Pflichtplatz bei 32 Arbeitsplätzen beginnt. Die Auswirkung auf die Beschäftigung der Behinderten wäre ohnehin unbedeutend. Wo es schwer ist, einen Behinderten zu beschäftigen, ist weder dem Betrieb noch dem Behinderten selbst ein guter Dienst erwiesen. Aber die besondere Situation der mittelständischen Kleinbetriebe, unter deren Inhabern sich auch Schwerbehinderte befinden, sollte nicht übersehen werden.
Auf der anderen Seite heißt „Beschäftigung behinderter Menschen" aber, daß sie so erfolgt, daß der Betreffende den Arbeitsplatz in voller Leistung entsprechend seiner Behinderung ausfüllen kann. Das wäre praktisch nicht zu verwirklichen gemäß § 12 dieses Gesetzes. Wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen, kann die Arbeitsvermittlung nicht als großer Dienst für den Behinderten bezeichnet werden. Ich bedauere, daß im Schriftlichen Bericht die Argumente hierzu nicht vermerkt sind.
Die Auffassung, daß die Ausgleichsabgabe in Höhe von 50 % dem Bund verbleiben sollte, können wir nicht teilen. Wir sind der Meinung, daß es im Grunde genommen notwendig wäre, den Hauptfürsorgestellen mehr Mittel für ihre Aufgaben zur Verfügung zu stellen, wie es von ihnen verlangt und vom Bundesrat vorgeschlagen worden ist. Deshalb bedauern wir, daß unser entsprechender Vorschlag abgelehnt wurde.
In diesem Zusammenhang darf ich gleichzeitig feststellen, daß der Beirat für die Rehabilitation bei der Verwendung der Mittel ein stärkeres Mitwirkungsrecht bekommen hat, als es der Regierungsentwurf vorsah. Wir hätten es jedoch lieber gesehen, wenn die bisherige Regelung beibehalten worden wäre. Hier muß ich leider zu der Feststellung kommen, daß im allgemeinen immer mehr Mitbestimmung verlangt wird, aber von der Regierungsseite ständig versucht wird, die Mitbestimmung und Mitwirkung - das gilt auch für die gesamte Entwicklung in der Selbstverwaltung - einzuschränken. Es ist jedoch sichergestellt, daß ohne die Zustimmung des Beirats für die Rehabilitation der Behinderten Ausgaben nicht erfolgen können.
Die Einrichtung der Beiräte und beratenden Ausschüsse bei den Landesarbeitsämtern bzw. Hauptfürsorgestellen begrüßen wir. Damit wird auch der Sachverstand aus der Praxis genützt. Die stärkere Stellung des Vertrauensmanns und die stärkere Beteiligung der Behinderten bei der Durchführung des Gesetzes haben wir mit unterstützt. Die Urlaubsregelung ist befriedigend und entspricht unserer Auffassung.
Nun zu einer grundsätzlichen Frage, dem Vergünstigungswesen. In § 34 a Abs. 2 heißt es:
Vergünstigungen, die auf Grund bisher geltender Rechtsvorschriften gewährt werden, bleiben unberührt.
Ich muß es gleich ankündigen: Hier liegt ein Pferdefuß in der Besitzstandswahrung in gleichgearteten Fällen. Wenn beispielsweise eine MdE von 50 % vorübergehend auf 40 % herabgesetzt und dann wieder auf 50 % infolge von Verschlimmerung heraufgesetzt wird, 'handelt es sich um einen neuen Fall, und der Betroffene kann dann die früheren Rechte, die er einmal hatte, nicht wieder erhalten. Ich weise jetzt schon darauf hin, daß eine solche Entwicklung große Unruhe und Schwierigkeiten unter den Betroffenen hervorrief.
Hierzu muß ich eine weitere Feststellung treffen. In der Vorlage des Entwurfs heißt es: Kosten für den Bundeshaushalt keine. Jeder, der heute diesem Gesetz zustimmt, muß wissen, daß es auf dem Gebiet der Kraftfahrzeug-, Fahr-, Steuerrechtsvergünstigungen und Vergünstigungen anderer Art, die bisher bestehen, einschließlich der flexibleren Altersgrenze in der Rentenversicherung, für den erweiterten Personenkreis angewendet werden muß. Bei der Einbringung dieses Gesetzes habe ich darauf hingewiesen, daß wir die Umstellung von kausalen zum finalen Denken bejahen, daß aber die Priorität der Kriegsopfer usw. nicht eines Tages durch das Gesetz der großen Zahl und der finanziellen Auswirkungen in Frage gestellt werden darf. Wenn beispielsweise erwogen wird, bei den Fahrvergünstigungen Einkommensgrenzen einzuführen, wäre das schon der erste Ansatz, um diesen Grundsatz zu durchbrechen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang gleichzeitig darauf hinweisen, daß wir uns bemüht haben, in Art. 2 § 3 zu erreichen, daß der Ausgleichsfonds als Sondervermögen vom Bundesausschuß für Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge gesondert verwaltet wird. Wir bedauern, daß diese unsere Bemühungen, auf dem Wege eines interfraktionellen Antrags eine entsprechende Regelung zu treffen, gescheitert sind. Damit ist keine Möglichkeit mehr gegeben, z. B. den Kriegs- und Arbeitsopfern, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, gewisse Hilfe zu verschaffen. Es bleibt nur zu wünschen, daß die Bundesregierung Maßnahmen ergreift, um die Einrichtungen für die Erholungsfürsorge wie bisher zu fördern, vor allem für unsere Schwerbeschädigten, Hinterbliebenen, Kriegerwitwen usw.
Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, daß gegenüber der Regierungsvorlage die Regelung für die Förderung der Behindertenwerkstätten neu gestaltet wurde. Wir sind dankbar, daß eine Reihe von Anträgen hierzu aufgenommen worden sind. Mit dieser Regelung wurde dem Anliegen der Träger der Behindertenwerkstätten weitgehend Rechnung getragen; ihre Bedenken wurden damit ausgeräumt.
Allerdings müssen wir bedauern, daß einige weitergehende Anträge nicht berücksichtigt werden. Ich füge hinzu: wir erwarten, daß die Verordnung entsprechend dem Willen des Gesetzgebers gestaltet wird.
An dieser Stelle möchte ich ganz besonders meinen Kollegen Frau Hürland, Burger und Geisenhofer für ihre intensiven Bemühungen und Besprechungen mit den verschiedenen Trägern der Behindertenwerkstätten herzlich danken. Sie haben zu dem positiven Ergebnis der Beratungen einen wesentlichen Beitrag geleistet.
({0})
Abschließend möchte ich betonen, daß wir trotz verschiedener Bedenken zu einzelnen Regelungen wünschen, daß dieses Gesetz auch vom Bundesrat akzeptiert wird und möglichst bald in Kraft treten kann. Ich darf allen, die mitgewirkt haben, die Anregungen gegeben haben, die bisher schon im Zusammenhang mit der Hilfe für die Behinderten hervorragende Arbeit geleistet haben - auch den Vertretern des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung -, für die Unterstützung und die gute Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung herzlich danken.
Dieses Gesetz betrachte ich gleichzeitig als einen Appell an die gesamte Öffentlichkeit, die behinderten Menschen in ihrer Bedrängnis zu unterstützen und sie zu gleichwertigen Gliedern unserer Gesellschaft zu machen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Jaschke.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion darf ich folgende Erklärung abgeben. In der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hat der Herr Bundeskanzler folgendes festgestellt - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -:
In dieser Legislaturperiode werden wir uns noch mehr d e n Menschen zuwenden, die durch persönliches Schicksal am Rande der Gesellschaft leben. Ich meine hier vor allem die Eingliederung der vielen Behinderten und Schwerbeschädigten.
Ein großer Meilenstein auf diesem Wege ist das Schwerbehindertengesetz, das wir heute zu verabschieden beabsichtigen. Nach vielen Jahren kontroverser Diskussion ist es nun endlich gelungen, alle Schwerbehinderten in dieses Gesetz einzubeziehen, d. h. wegzukommen vom kausalen Prinzip. Es gibt nach diesem Gesetz nun nicht mehr Behinderte erster, zweiter und dritter Klasse.
Der Kollege Maucher sagte zwar „Wir stimmen diesem Gesetz zu", aber dann kamen hinterher sofort wieder seine Bedenken und Einwände. Wir können feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion sicherlich nur mit halbem Herzen diesem Gesetz zustimmt.
Gerade weil ich selbst Schwerkriegsbeschädigter bin, bejahe ich das Finalprinzip und hoffe, daß dieses Gesetz im Gegensatz zur Meinung des Kollegen Maucher zu mehr Solidarität auch unter den Behinderten führen wird. Es ist doch nicht einzusehen - um nur ein Beispiel zu nennen -, daß bisher ein
Unfall, den ein Arbeitnehmer auf dem Weg von der Wohnung zum Arbeitsplatz erlitt, als Arbeits- bzw. Wegeunfall anerkannt wurde und der Arbeitnehmer dann, wenn er dabei Dauerschäden erlitt, Rente erhielt, Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen hatte und letztlich auch den Schutz und die Rechte aus dem bisherigen Schwerbeschädigtengesetz zugesprochen bekam, daß aber in dem Fall, in dem derselbe Arbeitnehmer denselben Weg an einem arbeitsfreien Tag zurücklegte und den gleichen Unfall an derselben Stelle und mit dem gleichen Schaden erlitt, nicht nur keine Rente, sondern bisher auch nicht der Schutz dieses Gesetzes gewährt wurde. Das ist nun vorbei. Auch dieser, an einem arbeitsfreien Tag erfolgte Unfall und die dabei erlittenen Schäden werden von dem Gesetz erfaßt.
Wir müssen aber gerade bei der jetzigen Konjunktur- und Wirtschaftslage auch an die älteren Arbeitnehmer denken, die sich frühzeitig im Arbeitsleben verschlissen und dadurch körperliche Schäden zugezogen haben und bei denen die Gefahr besteht, daß ihnen wegen verminderter Leistungsfähigkeit gekündigt wird. Auch diese Arbeitnehmer erhalten, wenn sie zum Personenkreis der Schwerbehinderten gehören, den besonderen Kündigungsschutz dieses Gesetzes. Ich glaube, das wird sich schon in der nächsten Zeit zum Wohle dieses Personenkreises sehr gut auswirken.
Man sagt, wir Deutschen seien kinder- und vor allen Dingen auch krüppelfeindlich eingestellt. Ich hoffe, daß sich durch die Gesetzesmaßnahmen der Regierung in den letzten vier Jahren für den Personenkreis der Behinderten in unserer Gesellschaft das Verständnis für diese wesentlich verstärkt und verbessert hat. Zu danken ist hier auch für die Arbeit der Massenmedien, die durch Veröffentlichungen und Sendungen für mehr Verständnis aufklärend geworben haben. Dazu gehören auch Veranstaltungen wie die „Aktion Sorgenkind".
Der Kollege Glombig hat in der ersten Lesung verschiedene Wünsche zur Verbesserung des Regierungsentwurfs vorgebracht. Alle diese Wünsche konnten durch Anträge der Regierungskoalition und auch dadurch, daß Anregungen des Bundesrates durch Anträge aufgenommen wurden, in den Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung übernommen und verwirklicht werden. Der Regierungsentwurf hat dadurch eine Reihe wesentlicher Verbesserungen erfahren.
Erstens. Die Position des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten wurde erheblich verstärkt. Der Arbeitgeber hat ihm gegenüber nicht nur eine Unterrichtungs- und Anhörungsverpflichtung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die gesamte Gruppe der Schwerbehinderten berühren, sondern auch die Verpflichtung, über getroffene Entscheidungen unverzüglich Mitteilung an den Vertrauensmann zu machen. Weiterhin ist vorgesehen, daß der Vertrauensmann auch an allen Sitzungen der Ausschüsse der kollektiven Interessenvertretungen beratend teilnehmen kann. Der freigestellte Vertrauensmann darf von Maßnahmen der Berufsförderung nicht ausgeschlossen werden. Auch nach Ende seiner Amtszeit ist ihm Gelegenheit gegeben, an
Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Es bleibt hinzuzufügen, daß nach dem Vorschlag des Ausschusses die Wahl von mehreren Stellvertretern des Vertrauensmannes vorgesehen ist, um bei größeren Betrieben und Verwaltungen die Vertretung in jedem Fall sicherzustellen.
Zweitens: weitgehende und unmittelbare Beteiligung der Behinderten an der Durchführung des Gesetzes. Die unmittelbare Beteiligung der Behinderten ist ein faktisches Stück des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft. Wir haben mehr demokratische Institutionen eingebaut, als vorher bestanden, und es ist nicht so wie der Kollege Maucher hier erklärt hat daß durch dieses Gesetz weniger Mitbestimmung geschaffen wird. Deshalb haben wir besonderen Wert darauf gelegt. Der Erfolg des Gesetzes hängt mit davon ab, ob es gelingt, die Betroffenen selbst aktiv in die Durchführung des Gesetzes einzubeziehen.
Der Ausschuß hat beschlossen, im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Aufgaben, die den Hauptfürsorgestellen im Rahmen der begleitenden und nachgehenden Hilfen im Arbeitsleben zukommt, bei diesen Beratende Ausschüsse für die Behindertenfragen einzurichten. Einen solchen Beratenden Ausschuß soll es künftig auch bei der Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit geben. Über seine bisherigen Aufgaben hinaus soll dieser Ausschuß die Bundesanstalt auch bei der Durchführung der beruflichen Rehabilitation nach dem Arbeitsförderungsgesetz unterstützen.
Beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird ein weiterer Beirat für Rehabiltation eingerichtet, dessen besondere Aufgabe es ist, bei der Vergabe der Mittel des Ausgleichsfonds mitzuwirken. Wir haben die Mitwirkungsrechte dieses Beirates wesentlich verstärkt. Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln können vom Bundesarbeitsminister nur auf Vorschlag des Beirats getroffen werden.
Drittens. Die verbesserten Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation und die Eingliederungshilfen werden nicht ausreichen, allen Schwerbehinderten einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verschaffen. Rund 100 000 bis 200 000 Schwerstbehinderte können ihr Recht auf Ausübung einer angemessenen Beschäftigung nur in einer Werkstatt für Behinderte verwirklichen. Wir sind zu der Auffassung gelangt, daß in Zukunft von einem einheitlichen und umfassenden Begriff der Werkstatt für Behinderte in allen Gesetzen, wie auch im Bundessozialhilfegesetz und im Arbeitsförderungsgesetz, auszugehen ist; denn nur so können die zwischen der Arbeitsverwaltung einerseits und den Trägern der Sozialhilfe andererseits bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zur Konzeption der Werkstätten für Behinderte überbrückt werden. Mit der von uns gewählten Definition nach der wirtschaftlichen Änderung ist sichergestellt, daß die Förderung nach dem BSHG nicht eingeschränkt wird und vernünftige Weiterentwicklungen, die notwendig werden, nicht ausgeschlossen sind.
Neben diesen drei wichtigsten Änderungen sind noch zu nennen:
Viertens. Der Zusatzurlaub für alle Schwerbehinderten ist auf sechs Arbeitstage erweitert worden. Der Begriff „Arbeitstag" wird exakt definiert. Dies war notwendig, weil die Auslegung in der Vergangenheit unterschiedlich war. In der Rechtsprechung führte das zu einander widersprechenden Urteilen. Mit der neuen Definition ist nun sichergestellt, daß der arbeitsfreie Samstag entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht auf den Zusatzurlaub angerechnet wird.
Fünftens. Dem Schwerbehinderten können Hilfen zur Beschaffung und Unterhaltung einer für ihn geeigneten Wohnung gegeben werden, die so beschaffen sein soll, daß sie den besonderen Bedürfnissen der Schwerbehinderten entspricht. Dieser Teil der nachgehenden Hilfe im Arbeitsleben wird damit besonders herausgehoben, was auch seiner Bedeutung entspricht, oder wird ein Mittel sein, die Schwerbehinderten mobiler zu machen. Im Regierungsentwurf war lediglich allgemein von Hilfen zur Wohnungsbeschaffung die Rede.
Vielleicht ist es mir erlaubt, an dieser Stelle gleichzeitig einen Appell an die Architekten und insbesondere an diejenigen zu richten, die über neue Bauten des Bundes zu entscheiden haben. Bitte, denken Sie bei Neubauten an die Schwerbehinderten und besonders an die Gehbehinderten. Schaffen Sie Modelle dafür, wie man Häuser mit Rücksicht auf diesen Personenkreis bauen kann. Hier in Bonn und besonders im Bundeshaus ist es doch ein Jammer, zu sehen, daß Gehbehinderte, die vom Eingang I zum Eingang IV und dann vielleicht noch zum Neuen Hochhaus gehen müssen, wie ich meine, unnötig Treppen und Treppchen zu bewältigen haben.
({0})
Darunter haben auch unsere älteren Kollegen zu leiden; das kann man des öfteren beobachten.
Mit den erhöhten Mitteln, die den Hauptfürsorgstellen aus der Ausgleichsabgabe zufließen werden, können sie künftig nicht nur die Wohnungsfürsorge, sondern auch die begleitenden und nachgehenden Hilfen am Arbeitsplatz, im Arbeitsleben überhaupt und in der Gesellschaft wesentlich verbessern.
In der ersten Lesung zu diesem Gesetz war von unserem Sprecher bereits begrüßt worden, daß jetzt der öffentliche Dienst ebenfalls zur Zahlung der Ausgleichsabgabe herangezogen wird. Auch hier sei mir noch einmal ein Appell erlaubt, und zwar an die Parlamentarier aller Gremien. Prüfen Sie, bitte, künftig die vorgelegten Haushaltspläne daraufhin, inwieweit dort Mittel für die Ausgleichsabgabe ausgewiesen sind, und fragen Sie danach, warum dafür Mittel eingestellt sind und nicht genügend Schwerbehinderte beschäftigt werden.
Zum Schluß kann festgestellt werden, daß durch dieses Gesetz die Ein- und Wiedereingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft wesentlich verbessert und gestärkt worden ist. Die Schwerbehinderten werden wiederum zu erkennen haben, daß diese Regierung und die sie tragenden Parteien keine leeren Versprechungen abgeben, sondern dem Versprechen die Tat folgen
lassen. Die Behinderten werden das, so bin ich sicher, zu danken wissen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hölscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten darf ich folgende Erklärung abgeben.
Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs haben wir angekündigt, wir würden uns für eine zügige Beratung in den Ausschüssen einsetzen. Heute kann man sagen, daß wir alle uns in den arbeitsreichen Wochen vor Weihnachten um eine zügige und gründliche Beratung dieses so wichtigen Gesetzes bemüht haben. Auch der heute noch vorgelegte Änderungsantrag der drei Fraktionen beweist, wie ernst wir die Aufgabe genommen haben, trotz komplizierter Materie ein möglichst optimales Gesetz zu schaffen. Unser besonderer Dank gilt der konstruktiven Unterstützung, ja, ich möchte sagen, der engagierten Mitarbeit der Herren des Arbeits-
und Sozialministeriums. Selbstverständlich waren uns auch viele Änderungsvorschläge des Bundesrats eine wertvolle Hilfe, und zum Teil sind diese ja auch in den Entwurf eingegangen.
Bei einem solch umfangreichen Gesetzentwurf ist es nur natürlich, wenn die Verbände uns Abgeordnete mit zahlreichen Stellungnahmen konfrontieren. Wir haben alle Vorschläge gewissenhaft geprüft; einiges haben wir bei der endgültigen Fassung des Entwurfs berücksichtigen können, anderes aus der Sicht des Ganzen wiederum nicht. Ich denke, die Mühe aller Beteiligten hat sich gelohnt; ein guter Entwurf konnte noch weiter verbessert werden.
Als dritter Redner will ich Ihnen ersparen, alle wichtigen Vorschriften der Regierungsvorlage und die Änderungen des Ausschusses noch einmal vor Ihnen auszubreiten. Ich will jedoch versuchen, die Fortschritte im Schwerbehindertenrecht schwerpunktartig zu umreißen und seine für manche verwirrenden Einzeländerungen unter die Leitgedanken zu stellen, die dafür bestimmend waren. Diese Leitgedanken kann man meiner Meinung nach mit den beiden Begriffen Solidarität und Liberalität bezeichnen. Das neue Schwerbehindertengesetz wird für die, auf die es Anwendung findet - Arbeitnehmer und Arbeitgeber -, mehr solidarische Gleichheit und einheitliche Vorschriften, aber auch ein liberales Maß an Mitsprache und Mitwirkung bei der Anwendung dieses Gesetzes bringen.
Der Solidaritätsgedanke drückt sich erstens in der Gleichstellung aller Behindertengruppen aus. Künftig stehen allen Schwerbehinderten, ohne Rücksicht auf die Ursache ihrer Behinderung, die Vorteile dieses Gesetzes zu; das Kausalprinzip wird zugunsten des Finalprinzips aufgehoben. Bei allen Schwerbehinderten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 50 % wird also, gleichgültig, ob Geburt, Unfall, Krankheit oder Krieg die Ursachen waren, aus der Gemeinsamkeit ihres Schicksals die Folgerung gezogen, daß sie in einer SolidargemeinHölscher
Schaft stehen und deshalb auch gleiche Rechte haben.
Der Solidaritätsgedanke drückt sich zweitens in der Gleichstellung aller Arbeitgeber aus. Grundsätzlich sollen alle Arbeitgeber ihren Beitrag zur Beschäftigung Schwerbehinderter leisten, und zwar entweder durch die Beschäftigung Schwerbehinderter oder durch die Zahlung einer Ausgleichsabgabe. Im Ausschußbericht wird diese, wir möchten sagen, Gleichwertigkeit von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe noch einmal unterstrichen. Die Koalitionsfraktionen konnten daher im Interesse der Gleichbehandlung der Arbeitgeber auch nicht die im Regierungsentwurf enthaltenen Freigrenzen für Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe heraufsetzen. Darüber hinaus wären - das haben uns die Fachleute gesagt - in den ländlichen Gebieten auch Schwierigkeiten für die Beschäftigung von Schwerbehinderten entstanden.
Meine Damen und Herren, die Pflicht zur Leistung eines solchen Solidarbeitrages - sei es nun durch Einstellung oder Ausgleichsabgabezahlung gilt in Zukunft auch - und das ist wesentlich - für den öffentlichen Bereich. Ich meine, das ist eine wichtige Voraussetzung, Schwerbehinderten nicht nur weiterhin im öffentlichen Bereich Arbeitsplätze zu verschaffen, sondern auch die gleiche Verantwortung aller Arbeitgeber privater und öffentlicher - klar zu dokumentieren.
Der dritte wichtige Gleichstellungsbereich betrifft die Werkstätten. Hier hat der Gedanke der solidarischen Gleichbehandlung zu einigen Neuregelungen geführt. Auf Anregung des Bundesrates und sehr eindringlicher Stellungnahmen der Verbände hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung den Werkstattbegriff, der ursprünglich ja nur an das Recht der Arbeitsförderung gebunden war, zu einem einheitlichen, umfassenden Begriff erweitert. Dieser Begriff - das ist wichtig - gilt auch für alle anderen Gesetze, also auch für das Bundessozialhilfegesetz. Dadurch werden die Förderung und der Schutz des Gesetzes auch den Werkstätten zugute kommen, in denen die besonders schwer betroffenen geistig Behinderten zwar wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbringen, aber dem Leistungsdruck einer vollwertigen Produktionsstätte mit Körperbehinderten nicht ausgesetzt werden können. Unseres Erachtens ist auch dies ein Gebot der Solidarität zwischen den verschiedenen hart betroffenen Behindertengruppen.
Viertens möchte ich die beabsichtigte Gleichstellung im Vergünstigungswesen ansprechen. In dem Entwurf wurde eine Bestimmung eingeführt, wonach das Begünstigungs- und Ausweiswesen so zu gertalten ist, daß, unabhängig von der ja nur zufälligen Ursache der Behinderung, allein der Art und Schwere der Behinderung Rechnung getragen wird.
Der zweite Leitgedanke des neuen Schwerbehindertengesetzes, meine Damen und Herren, ist unserer Meinung nach die Liberaliät, d. h. die verstärkte Mitwirkung der Behinderten, der Sozialpartner und anderer Gruppen der Gesellschaft bei der Anwendung des Gesetzes.
Erstens nenne ich hier den Beirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Im Ausschußbericht ist zu Recht hervorgehoben worden, daß bei der Beratung des Entwurfes besonderer Wert auf eine größtmögliche Beteiligung der Betroffenen - natürlich auch der Arbeitnehmer und Arbeitgeber - gelegt wurde. Hier galt es, zwei Zielvorstellungen in Einklang zu bringen: Einmal die berechtigten Anliegen der Verantwortlichen, draußen bei der Vergabe der Mittel des Ausgleichsfonds beteiligt zu sein, zum anderen aber auch die Verantwortung des Parlaments für die Kontrolle dieser Mittel zu verankern. Nach sehr eingehenden Beratungen gerade in diesem Punkte, in dem die Forderungen der Verbände und Institutionen besonders eindringlich vorgetragen wurden, weil es hier um das liebe Geld ging, haben wir einen Kompromiß gefunden, der wohl als optimal bezeichnet werden kann. Die parlamentarische Kontrolle ist durch die verwaltungsmäßige Zuordnung des Ausgleichsfonds beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gegeben. Aber auch den Verbänden wurden Mitwirkungsrechte bis an die Grenze des rechtlich Möglichen eingeräumt. Nunmehr hat der ursprünglich ja nicht einmal zwingend vorgeschriebene Beirat beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, in dem Vertreter der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber, der Behindertenorganisationen und der Träger sitzen werden, echte Mitwirkungsrechte. So kann vor allem die Entscheidung über die Vergabe der beträchtlich aufgestockten Mittel des Ausgleichsfonds nur auf Grund von Vorschlägen des Beirates getroffen werden.
Noch weitergehende Vorstellungen, die Funktionen des Beirats einem womöglich privaten Gremium der Rehabilitationsträger anzuvertrauen, hätten sich jedoch nicht mit der Notwendigkeit einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle des Ausgleichfonds vereinbaren lassen. Ich denke aber, meine Damen und Herren, im Grunde sind wir beiden Zielen gerecht geworden.
Zweitens haben wir unter dem Aspekt Liberalität die Mitwirkung der Beratenden Ausschüsse. Im Gegensatz zum geltenden Recht sah der Regierungsentwurf den sogenannten Beratenden Ausschuß bei der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr vor. Bei der Behandlung dieser Fragen hielten wir es jedoch für notwendig, die Mitwirkung der Betroffenen an der Durchführung des Gesetzes soweit wie möglich zu institutionalisieren und auf diese Weise den Entwurf durch den Einbau weiterer demokratischer Elemente zu liberalisieren. Ein Beratender Ausschuß wurde auch bei den Hauptfürsorgestellen vorgeschrieben, wo die Betroffenen unter anderem bei der Vergabe von Mitteln der Ausgleichsabgabe mitwirken werden. In den Beratenden Ausschüssen werden die Vertreter der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Behindertenorganisationen ein weites Feld der Mitwirkung erhalten.
Drittens haben wir mehr Mitwirkung der Vertrauensleute geschaffen. Der Ausschuß hat die Stellung des Vertrauensmannes, über die der Schwerbehinderte ja mittelbar an der Durchführung des Gesetzes mitwirkt, weiter ausgebaut. Er hat nicht nur
die Rechtsstellung des Vertrauensmannes im Betrieb gefestigt, sondern insbesondere den Katalog seiner Mitwirkungsrechte erweitert, vor allem durch das Recht auf Unterrichtung sowie auf Teilnahme an Sitzungen des Betriebs- und Personalrates und deren Ausschüssen. - Es ist bezeichnend für den Verlauf und die Tendenz der Beratungen, daß die meisten Anträge dem Ausbau der Aufgaben der Vertrauensleute galten. Nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß in den Beratungen die Mitwirkungsrechte der Betroffenen so nachhaltig verstärkt werden konnten, stimmen wir Freien Demokraten der Ausschußfassung des Gesetzentwurfes mit Befriedigung und sehr gutem Gewissen zu.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich aber noch einmal unterstreichen, daß bei aller Anerkennung der einstimmigen Verabschiedung des Gesetzentwurfes im Ausschuß hier eine Initiative der von der sozialliberalen Koalition getragenen Bundesregierung vorliegt, die im Rahmen des umfangreichen Aktionsprogramms der Bundesregierung zur Rehabilitation einen ganz bedeutenden Markstein setzt. Dieser Gesetzentwurf ist mit den anderen Vorhaben der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen im Bereich der Rehabilitation im Zusammenhang zu sehen, die zum Teil ja bereits abgeschlossen sind bzw. sich in der Beratung befinden. Ich nenne das Bundessozialhilfegesetz, das Gesetz über die Angleichung der Leistungen der Rehabilitation und auch die geplante Einführung der Sozialversicherung für Behinderte in Werkstätten. Es hat wohl noch nie eine Koalition und eine Bundesregierung gegeben, die in so kurzer Zeit so umfangreiche Reformen für Behinderte durchgeführt haben. Leider ist dies draußen in der Bevölkerung über den Kreis der Betroffenen hinaus nur ungenügend sichtbar zu machen. Wir meinen aber, gerade Reformen dieser Art, die nicht spektakulär sind und über die auch in den Massenmedien nur am Rande berichtet wird, liefern vielleicht den echtesten Beweis für den Willen dieser Koalition, eine humanere und gerechtere Gesellschaftsordnung zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit der Feststellung schließen: Nicht mit Verdrängung, nicht mit Mitleid ist den Behinderten geholfen, sondern mit der Anerkennung und Realisierung ihrer berechtigten Ansprüche - Ansprüche, die nicht nur die materielle Sicherheit garantieren sollen, sondern die die Schwerbehinderten in die Lage versetzen, als voll anerkannte Mitglieder unserer Gesellschaft akzeptiert zu werden. Wir haben mit diesem Schwerbehindertengesetz hierfür eine ganz wesentliche Voraussetzung geschaffen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung.
Ich rufe Art. I Nr. 1 bis 46 a auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Zu Nr. 47 liegt der Antrag aller Fraktionen dieses Hauses auf Änderung der §§ 38 b und 38 e vor. Die
Begründung dieses Antrages ist, glaube ich, in den Reden bereits gegeben worden. Können wir über die Anträge auf Drucksache 7/1592 gemeinsam abstimmen? - Kein Widerspruch.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir stimmen dann über Nr. 47 in der geänderten Fassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich urn das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Art. I Nr. 48 bis 54, Art. I a, Art. II sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich schließe die zweite Lesung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß es dank der intensiven Bemühungen der beteiligten Ausschüsse dieses Hohen Hauses und insbesondere des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung erreicht worden ist, das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts in zweiter und dritter Lesung zu beraten.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die schwerbehinderten Menschen in unserem Lande es Ihnen danken werden, daß Sie diesem Gesetz einen so hohen politischen Stellenwert beigemessen haben. Ein bedeutendes Teilstück des Reformprogramms der Bundesregierung auf dem Gebiete der Rehabilitation wird mit ihm verwirklicht werden.
Mehr soziale Gerechtigkeit sehen wir auch darin, daß allen schwerbehinderten Menschen ohne Rücksicht auf die Ursache ihrer Behinderung eine echte Chance gegeben wird, sich im Berufsleben behaupten zu können. Das Gesetz wird dieser Forderung gerecht und sollte gerade insoweit einen entscheidenden Schritt auf dem Wege der Verbesserung der Situation aller behinderten Menschen in unserem Lande sein. Ich glaube auch in Ihrem Sinne zu sprechen, wenn ich feststelle, daß diese Neuorientierung längst fällig war. Dabei darf kein Zweifel darüber bestehen, daß die bisher geschützten Schwerbeschädigten dadurch weder in ihren Rechten geschmälert noch sonst benachteiligt werden.
Die bei den Ausschußberatungen vorgenommenen Änderungen des Gesetzentwurfs werden von der Bundesregierung begrüßt. Ich bin sicher, daß sie mit dazu beitragen werden, das Gesetz in seiner ganzen Wirkungsbreite zu verstärken.
Nunmehr wird es aber darauf ankommen, daß alle Beteiligten willens sind, das Gesetz mit Leben zu erfüllen. Das gilt für Verpflichtete in gleicher Weise wie für Berechtigte. Diejenigen, denen Pflichten auferlegt worden sind, sollten diese erfüllen im Bewußtsein ihrer hohen Verantwortung, die sie im
Hinblick auf ihre Stellung innerhalb unserer Gesellschaft gerade den Mitbürgern gegenüber haben, die von einem schweren Schicksal betroffen worden sind. Aber auch die Behinderten, denen Rechte eingeräumt werden, müssen sich bewußt sein, daß die angebotenen Hilfen nur dann zur Wirkung kommen, wenn sie Lebensmut zeigen und ihre verbliebenen Kräfte voll einsetzen, um ihr Schicksal zu meistern. Nur durch ein fruchtbares Zusammenwirken aller wird der gewünschte Erfolg erreicht.
Eine große Aufgabe kommt hier den im Gesetz vorgesehenen Ausschüssen zu, die eine wirkungsvolle Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes sicherstellen sollen. Die Verstärkung der Rechte des Vertrauensmannes und seiner Stellung im Betrieb läßt mich hoffen, daß sich viele qualifizierte Persönlichkeiten finden, die bereit sind, das verantwortungsvolle Ehrenamt eines Vertrauensmannes zu übernehmen.
Ich bin mir aber auch bewußt, daß gerade meinem Ministerium bei der Durchführung des Gesetzes eine große Aufgabe zufällt. Dies gilt sowohl für die Erstellung der notwendigen Durchführungsverordnungen zu diesem Gesetz als auch für die Zusammenarbeit mit dem beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu errichtenden Beirat für Rehabilitation. Ich versichere Ihnen, daß wir von uns aus alles daran setzen werden, eine fruchtbare und erfolgreiche Arbeit dieses Beirates zu ermöglichen.
Die Schaffung einheitlicher gesetzlicher Grundlagen bezüglich der Werkstätten für Behinderte wird dem Aufbau eines bedarfsdeckenden Netzes leistungsfähiger Werkstätten sehr förderlich sein. Die Bundesregierung wird auch diesen Einrichtungen ihre besondere Aufmerksamkeit widmen.
Das vorliegende Gesetz gibt der Bundesregierung Veranlassung, auch die Neuordnung des Vergünstigungs- und Ausweiswesens in Angriff zu nehmmen - in konsequenter Weiterentwicklung der Grundsätze, die im neuen Schwerbehindertengesetz verankert worden sind.
Wir werden den bisher erfolgreich eingeschlagenen Weg zur Verbesserung der Situation unserer behinderten Mitbürger fortsetzen und wissen uns dabei der Unterstützung dieses Hohen Hauses sicher.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung in dritter Lesung. Wer zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Einstimmig beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Nr. 2 des Ausschußantrags, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich höre keinen Widerspruch, es ist so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung
und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes ({0})
- Drucksache 7/1094
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 7/1596 -
Berichterstatter: Abgeordneter Walther
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 7/1547 Berichterstatter: Abgeordneter Hofmann ({3})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. -- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Wir haben noch über Nr. 2 des Antrags des Ausschusses abzustimmen, die Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 6, 7 und 8 der Tagesordnung auf - nach Vereinbarung soll hier eine verbundene Debatte erfolgen -:
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes
- Drucksache 7/1470 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Steueränderungsgesetzes 1973
- Drucksache 7/1509 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
8. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer ({5})
- Drucksache 7/1543
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({6})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Vizepräsident Frau Funcke
Das Wort zur Begründung hat Bundesminister Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte zu dem 850 Gramm schweren wenn man es im Gewicht mißt; der Gehalt ist natürlich sehr viel schwerer , sehr umfangreichen Gesetzentwurf mit ein paar Bemerkungen beginnen, die, wie es heute zu sagen vielleicht modisch ist, ich einmal mit dem Stichwort „Nostalgie" überschreiben würde.
Die Ankündigung der umfassenden Steuerreform ist beinahe so alt wie die Bundesrepublik insgesamt.
({0})
Ich bin nun allerdings ziemlich sicher, daß der Hauptredner der Opposition nur den schwerwiegenden Arbeits- und Leidensweg nach seinem Amtsausscheiden darlegen wird.
({1})
Aber es ist insgesamt ein arbeitsreicher und leidvoller Weg gewesen, und wenn unsere alten Kollegen Franz Etzel oder Fritz Schäffer noch unter uns wären, so würden sie sich jedenfalls freuen,
({2})
daß nun endlich die Entwürfe, von denen sie schon gesprochen haben, vollständig auf den Tischen des Hauses liegen. Ich sage das ohne jeden Akzent, weil mir daran liegt, daß alle Beteiligten, nicht nur die Steuerfachleute, die natürlich längst in all diesen Jahren in alle möglichen Grabenkämpfe taktischer und auch strategischer Auseinandersetzung über diese Materie verwickelt waren, daß die politischen Gehirne in diesem Hause über den engeren Bereich der Steuerpolitik hinaus bitte in ihr Blickfeld aufnehmen mögen, daß es unabhängig von den auch jetzt aktuellen Tagesauseinandersetzungen, die unvermeidlich sein müssen, ein sehr schwerwiegendes Werk ist, an dem schon bisher im Laufe von mehr als einem Jahrzehnt alle Seiten des Hauses gedanklich und auch schriftlich vorbereitend mitgewirkt haben.
Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hat schließlich dann der damalige Finanzminister Strauß dem damaligen Durcheinander ein Ende machen wollen, indem er eine unabhängige Kommission einsetzte, die sich unabhängig von den Auseinandersetzungen dieses Hauses umfassend konzeptionell äußern sollte. Das Ergebnis hat er nicht mehr bearbeiten können.
({3})
Als es 1971 überreicht wurde, ist es unter der Federführung meines heute wegen einer nicht leichtwiegenden Operation leider nicht anwesenden Freundes Alex Möller durch die sozialliberale Koalition dazu gekommen, daß die Schlußfolgerungen aus diesem Bericht gezogen und in ein zusammenhängendes Konzept - Eckwerte seinerzeit genannt - umgesetzt wurden. Dieses Konzept der „Eckwerte" ist danach durch zwei weitere Amtsnachfolger mehrfach angepaßt, in unendlicher Arbeit der vielerlei
Beamten und Fachleute in Gesetzesform ausformuliert worden. Wir können heute sagen, daß die sozialliberale Koalition nicht nur „auch eine" der vielen Regierungen war, die die Steuerreform angekündigt hat, sondern jene Regierung ist, die das Gesetzeswerk vollständig, und zur Gänze in Paragraphen ausformuliert, hier vorlegt.
({4})
Daß Sie vielerlei auszusetzen haben mögen -das kann sich jeder vorstellen, der Parlament und parlamentarische Gesetzgebung kennt -, das halte ich für selbstverständlich. Aber ich bitte Sie, diesen langen Fluß zu sehen, der vorhergegangen ist, ehe am heutigen Tage wenigstens ein vollständiges Werk auf dem Tisch liegt.
Herr Kollege Carstens, ich rede jetzt zum Oppositionsführer, der, wie mir schien, vorhin eine Zeitlang gezögert hat, ob er ausziehen sollte oder nicht. Ich habe für das Zögern Verständnis gehabt. Denn man kann das geistige und Arbeitsergebnis eines so langen Weges, an dem Sie selber und Ihre Freunde beteiligt gewesen sind in früheren Legislaturperioden, nicht so behandeln, daß man meint, man setzt es von der Tagesordnung ab und berät es überhaupt nicht.
({5})
Aber ich bemühe mich, nicht zu polemisieren.
({6})
- Ich will nicht polemisieren, Herr Carstens.
Ich möchte eingangs ein wenig zu den Motiven und Ansprüchen sagen, die hinter dieser Umsetzung dessen, was wir alle miteinander aus den Erkenntnissen der Kommission gelernt haben, die hinter der Art der Umsetzung, hinter der Grundkonzeption stehen, die vor Ihnen in Paragraphen ausformuliert liegt, seitdem die sozialliberale Koalition die Hauptverantwortung - nicht die ausschließliche Verantwortung - für die Gesetzgebung dieses Staates übernommen hat.
Daß letztlich Steuergesetze nicht zustande gebracht werden können, wenn nicht auch die Mehrheit des Bundesrates zustimmt, ist mir und der Bundesregierung bewußt. Deswegen ist es nicht so, daß die CDU/CSU sich auf den Standpunkt stellen könnte: „Uns geht dies nichts an", sondern Ihre Freunde in den Landesregierungen und im Bundesrat tragen eine nicht abzustreifende Mitverantwortung für das, was zustande kommt.
({7})
Frühere Mehrheiten in diesem Hause haben, zum Teil mit großem Fleiß, zum Teil in wichtigen, zum Teil in unscheinbaren Ergänzungen und Änderungen unseres Einkommensteuerrechtes im Ergebnis die spezifischen Züge des wirtschaftlichen Aufbaues dieser Gesellschaft, dieses Staates nach den Zerstörungen des Krieges wesentlich beeinflußt. Das Steuerrecht war ein ganz wesentlicher Faktor - eine Vielfalt von Faktoren - für die Art, in der sich der wirtschaftliche Aufbau vollzog.
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Bundesminister Schmidt
Ich bitte, mir von seiten der Opposition nachzusehen, wenn ich sage, daß Ihre Steuergesetzgebung bis über die Mitte der 60er Jahre ganz gewiß einerseits dem Aufbau und, sagen wir es etwas präziser, den Investitionen in allen Bereichen sehr genützt hat, notabene infolgedessen auch den Gewinnen der Unternehmungen nicht geschadet hat. Aber so notwendig und so nützlich die Begünstigung gewisser wirtschaftlicher Prozesse war, so sehr ist es doch nun inzwischen notwendig, die verteilungspolitische Schlagseite, die unser Steuersystem im Laufe der Jahre bekommen hat, wieder in Ordnung zu bringen. Das ist genau das, was wir hier versuchen.
({8})
Denn auch das Lastenausgleichsgesetz hat dank der Verrentung der Lastenausgleichsabgaben diesen verteilungspolitischen Ausgleich tatsächlich nicht herbeiführen können.
Dies soziale Ergebnis 20jähriger Steuerpolitik belastet uns hinsichtlich der Gerechtigkeit in unserem Lande.
Es kommt hinzu - ich sage das mit inneren Hemmungen, weil ich weiß, daß auch diese Steuerreform nicht zu einer tief durchgreifenden Vereinfachung des Steuerrechts führen kann; aber ich will den Satz trotzdem aussprechen, den ich anfing-: Sie hat nicht nur ein soziales Ergebnis, das ich bedauere und jetzt korrigieren helfen muß, gehabt, sondern es kommt eben auch ein kaum noch überschaubares, in hohem Maße in sich selbst widersprüchliches Steuersystem hinzu, niedergelegt in einer Fülle von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsanweisungen, das inzwischen einen früher in diesem Lande nicht gekannten Steuerwiderstand in unserer Gesellschaft hervorgerufen hat. Diesen Widerstand glaubt die Oppositionsfraktion nutzen zu können, um bei Aufrechterhaltung der bisherigen Steuergesetzgebung im Prinzip einschließlich des undurchschaubaren Geflechts oder Dschungels von Bestimmungen bestimmte Begünstigungen, die das bisherige Steuersystem enthält, bei allgemeiner Steuersenkung gleichwohl aufrechterhalten zu können.
Hingegen hat sich die sozialliberale Koalition die Aufgabe gesetzt - ich zitiere -, „ein gerechtes, einfaches und überschaubares Steuersystem zu schaffen". Das war der Wortlaut der Regierungserklärung vom Oktober 1969. Ich gestehe Ihnen freimütig zu: so ganz einfach ist es nicht geworden und wird es auch nicht. Die Fachleute in allen Fraktionen wissen das, auch die Fachleute im Bundesrat.
Die Bundesregierung hat sich dabei an folgenden Leitgedanken orientiert und sich um ihre Verwirklichung bemüht.
Erstens. Eine solide Finanzierung der öffentlichen Ausgaben läßt es nicht zu, daß unter der Flagge von sogenannten Steuererleichterungen an jedermann kleinere Gefälligkeiten verteilt werden. Ein Einnahmeverzicht, wie er von uns für 1975 und für die Folgejahre beabsichtigt ist, läßt sich nur rechtfertigen, wenn er mit einer grundlegenden Reform der Struktur, mit einer grundlegenden Reform des Steuersystems einhergeht. Diese Reform der Struktur soll dazu führen, Entlastungen mit Schwergewicht dort zu gewähren, wo sie aus Gründen der Gerechtigkeit oder aus sozialen Gründen notwendig sind.
Zweitens. Jedermann wird erkennen können, daß die Steuerleistung von Spitzeneinkommen oder von Großvermögen in der Bundesrepublik allein sicherlich nicht ausreicht, um alle Leistungen und Investitionen der öffentlichen Hände zu finanzieren, ob in Gemeinden oder Städten, Ländern oder im Bund, auch dann nicht, wenn man die Spitzeneinkommen oder die Großvermögen mit wesentlich höheren Steuersätzen belasten wollte. Dieses kann niemals ausreichen.
Auf der anderen Seite sind jedoch bisher nach dem geltenden Recht die durchaus legalen Möglichkeiten der Steuervermeidung gerade für Großeinkommen und für Großvermögen allzu zahlreich, allzu umfassend - einige haben wir im Jahre 1973 beseitigt -, legale Möglichkeiten, der in Deutschland insgesamt keineswegs übertriebenen Steuerlast auszuweichen. Daß dieser Tatbestand der legalen Steuervermeidung gerade für große Einkommen, für große Vermögen so vielfältig gegeben ist, verleidet nun den Arbeitnehmern und verleidet den Verbrauchern ihre eigene Pflicht zum Steuerzahlen. Aber genau sie werden mit den Massensteuern gebraucht. Anders würde der moderne Sozialstaat seine Leistungen nicht erbringen können. Allerdings müssen die Lasten nun gerechter verteilt werden.
Drittens. Ich will zugestehen, daß wir einige Verbrauchsteuern maßvoll erhöht haben. Ich rufe in Erinnerung, daß sich die Bundesregierung den Zeitpunkt einer seit Jahren als Bestandteil der ganzen Steuerreform geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt ausdrücklich vorbehalten hat. Aber auch das muß deutlich hinzugefügt werden: Für uns ist die Mehrwertsteuer nicht etwa eine unerschöpfliche oder unlimitiert zu erweiternde Kasse zur Ausfüllung aktueller Verlegenheiten.
Viertens. Auch das gerechteste und ausgefeilteste Gesetz kann im Effekt nur so gut sein wie der Vollzug dieses Gesetzes durch die Steuerverwaltung, die Finanzämter und die steuerpflichtigen Bürger. Daher suchen die Reformentwürfe angesichts der sehr komplexen, komplizierten, verschiedenartigen Lebens-
und Wirtschaftsverhältnisse in unserer Gesellschaft nach einem gerade noch gangbaren Weg, der zur Vereinfachung und Erleichterung für Steuerzahler, Finanzämter und -beamte führen kann.
Das Reformkonzept, das wir nun vollständig vorgelegt haben, ist in sich ausgewogen und erfüllt die vier Ansprüche, die ich eben genannt habe. Das heißt nicht, wie ich schon sagte, daß es der sachlichen Kritik entzogen wäre. Wir werden ich sage das an die Adresse der Führung der Oppositionspartei und -fraktion - jeden Vorschlag dankbar aufnehmen, vor allem solche Vorschläge, die auf Verbesserung, Beschleunigung und Vereinfachung abzielen,
Auf der anderen Seite wird die Bundesregierung ihrerseits alles tun, um die Beratungen in den Ausschüssen und im Plenum dieses Hauses zu unterstützen; ich habe Anlaß, dies zu sagen, weil nach dem, was ich aus Interviews von Oppositionsabge4902
ordneten entnehme, offenbar einige Mißverständnisse eingetreten sein könnten. Dabei sind jede technische Hilfe, jede Ausarbeitung, jede Formulierungshilfe für den Finanzausschuß selbstverständlich eingeschlossen.
Wir werden uns allerdings nicht daran hindern lassen auch das bitte ich nicht mißzuverstehen -, die Arbeit an der Steuerreform wirklich zu vollenden. Wir wollen hier keine Verzögerung.
({9})
Wir haben uns aus unserer politischen Verantwortung heraus entschlossen, das, was an struktureller Reform des Systems notwendig ist, zum 1. Januar 1975 in Kraft zu setzen.
({10})
Da wird die Opposition zugestehen, daß die Minderheitsposition nicht ausreichen kann, um diese politische Zielsetzung einer regierenden Mehrheit zu zerstören oder auszuhebeln.
({11})
Die Steuerreform wird nicht scheitern. Wenn der Versuch, sie insgesamt zu verhindern, gemacht werden sollte, wird dieser Versuch scheitern. Dazu wird dann auch der Druck der öffentlichen Meinung in diesem Land beitragen. Die Koalition hat den festen Willen, dieses Vorhaben zu einem guten Ende zu bringen. Sie wird nicht zehn Meter vor dem Ziel liegen bleiben.
Übrigens ist es ja nicht so, daß nicht schon eine ganze Menge geschafft wäre. Nicht nur liegen alle Ausarbeitungen, alle formulierten Paragraphen bis ins letzte mit allen Anlagen vor, sondern von dem Gesamtpaket der Steuerreform sind wesentliche Etappen auch auf dem Wege der Gesetzgebung schon erreicht und überschritten worden.
Erstens. In Kraft getreten ist die besonders dringliche Reform unseres Außensteuerrechts; wenn Sie so wollen: die Steuerfluchtgesetzgebung. Niemand hat damals gesagt, das müsse warten, bis das ganze Paket auf einmal verabschiedet werden könne. Gegen die Steuerflucht haben wir zusätzliche, neue Dämme errichtet, und andererseits hat dieses Gesetz auch die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Wirtschaft bei Auslandsinvestitionen verbessert.
Zweitens. Das Grundsteuerreformgesetz ist bereits in Kraft getreten. Da gab es auch ein bißchen Widerstand bei den Ländern. Man muß auch da dann bereit sein, sich zu verständigen, wenn man Mehrheiten braucht; auch in dem anderen Haus, das ist sicher. Seit Beginn dieses Jahres gelten nun für den Grundbesitz endlich die Einheitswerte von 1964 und nicht die völlig überholten, die bis dahin galten, nämlich die von 1935, die doch nur ein Zehntel - etwa - des tatsächlichen Werts des Grundvermögens angegeben haben. Auch hier hat niemand gemeint, die Abschaffung der Einheitswerte von 1935 müsse nun noch länger warten, bis alles in einem großen Akt gemeinsam verabschiedet werden könne,
wobei man dann gar nicht weiß, ob nicht jemand kommt und sagt: Von der Tagesordnung absetzen.
({12})
Drittens. Dieses Haus hat im vergangenen Dezember das Gesetz zur Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer und, viertens, das Gesetz zur Reform der Vermögensteuer verabschiedet. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, auch bei diesen Steuern durch die Anwendung der neuen Einheitswerte alte Vorrechte wegzutun. Andererseits bringen gerade diese beiden Reformgesetze bei kleineren Vermögen spürbare Entlastungen. Ich gebe zu, daß Großvermögen durch diese Gesetze höher besteuert werden - allerdings maßvoll -, ohne daß ich irgendeine Legitimation sähe für die hier und da aufgestellte Behauptung vom konfiskatorischen Staat.
Diese beiden Gesetze hängen im Augenblick an der Bundesratsmehrheit von einer Stimme. Im Vermittlungsausschuß haben wir den Eindruck gewonnen, daß offenbar noch ein wenig Zeit gebraucht wird. Ich möchte in diesem Hause sagen - der Bundesrat ist heute morgen schlecht vertreten, nachdem er diese Gesetze dort angehalten hat -, daß ich, wenn die Sache gelten soll, Einigungsmöglichkeiten bei diesen beiden Gesetzen keineswegs ausschließe. Wenn allerdings gelten soll, daß überhaupt, unabhängig von der Sache, die Steuerreform zu Fall gebracht werden soll, dann sehe ich Einigungsmöglichkeiten nicht. Dann werden wir von der öffentlichen Meinung her eine große politische Kampagne brauchen;
({13})
auch für das Land des Ministerpräsidenten Kohl, Vorsitzenden einer Partei, die das soziale Epitheton doch ernst genommen wissen will, um ihm zu zeigen, daß man nicht auf der einen Seite auf Parteitagen so sprechen und auf der anderen Seite die Vermögen-
und Erbschaftssteuerreform zu Fall bringen kann.
({14})
Aber ich sage noch einmal: Ich sehe Einigungsmöglichkeiten, wenn man sich von der Sache her einigen will, und ich appelliere in diesem Hause auch an die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union als Parteien und an ihre Gesamtverantwortung, was das Steuersystem in unserem Lande angeht.
Fünftens. Von diesem Hause ist verabschiedet die Erhöhung des Freibetrags der Gewerbesteuer von 7200 DM auf 15 000 DM. Dadurch wird ab 1975 jeder zweite Gewerbetreibende von der Gewerbeertragsteuer befreit sein, d. h., von den insgesamt 1,6 Millionen werden 800 000, nämlich die schwächeren, die kleineren Gewerbetreibenden, in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt sein.
({15})
Außerdem wird dabei die Zone ermäßigter Steuern so ausgedehnt, daß die volle Steuer erst für Gewerbeerträge ab ungefähr 30 000 DM im Jahr zu zahlen ist.
Sechstens. Es liegt der Gesetzentwurf der neuen Abgabenordnung vor, welche das allgemeine Steuerrecht und die Verfahrensvorschriften reformiert. Die Beratung dieses umfangreichen Gesetzes in den beteiligten Ausschüssen ist inzwischen ganz gut vorangekommen. Da sind Sie ja schon sehr weit.
Siebtens. Die steuerlichen Regelungen zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, die ursprünglich ebenfalls Bestandteil der Reformgesetzgebung waren, sind in einen eigenen Gesetzentwurf gegossen und ebenfalls dem Deutschen Bundestag vorgelegt worden.
Soweit diese sieben Punkte bisher schon erreichter großer Fortschritte auf dem Wege zur Vollendung des Ganzen. Dazu kommen nun die Punkte 8, 9 und 10, die heute zur Debatte stehen. Der Punkt 8 betrifft die Ihnen vorliegende Reformierung der Einkommen- und Lohnsteuer, Punkt 9 betrifft die Reformierung der Sparförderung und Punkt 10 die Reform der Körperschaftsteuer. Das sind die Schlußsteine zu diesem umfassenden Werk der Steuerreform.
Ich darf nunmehr ins einzelne gehen. Wir haben bei der Einkommen- und Lohnsteuer nicht versucht, unsere Zielvorstellungen durch eine lineare Tarifänderung zu erreichen. Letzten Endes stehen verschiedene politische Grundphilosophien dahinter, wenn der eine linear helfen will, der andere aber die Gerechtigkeitsstruktur des Systems verändern will.
({16})
Darin wird es zwischen uns sicherlich auch so leicht keine Einigung geben. Das wird Sie nicht der Mitverantwortung entheben, insgesamt Ihre Gedanken so einfließen zu lassen, daß es so einfach wie möglich - es bleibt dann immer noch kompliziert - und in vielen Einzelheiten so gerecht wie möglich - das bleibt dann immer noch sehr schwierig - gemacht wird.
Wir haben den Tarif strukturell umgestaltet und nicht linear, weil nur so die steuerlichen Lasten gerechter zu verteilen sind. Dabei darf man sich nicht davon irremachen lassen, daß der Proportionalsteuersatz, der bisher bei 19 % liegt, in Zukunft bei 22 % liegen wird. Da die Proportionalzone bis zu einem Einkommen von 16 000 DM bzw. 32 000 DM bei Verheirateten ausgedehnt wird und erst oberhalb dieser 32 000 DM für ein Ehepaar die Steuerproportion beginnen wird,
({17})
da weiterhin der Grundfreibetrag auf 3000 DM bzw. für Verheiratete auf 6000 DM angehoben wird, ergeben sich für untere und mittlere Einkommensgrößen spürbare Steuersenkungen durch diese Reform.
({18})
Auf der anderen Seite wird der Spitzensteuersatz auf 56 % angehoben, so daß für weit über dem Durchschnitt liegende sehr hohe Einkommen in Zukunft mehr Steuern zu zahlen sein werden, obgleich
gleichzeitig die Ergänzungsabgabe wegfällt. Man kann das beklagen, wenn man der Bezieher eines sehr hohen Einkommens ist. Ich hätte Verständnis für die Klage, aber wir wollen trotzdem unseren Willen durchsetzen, Herr Professor Carstens, in dieser Sache ganz gewiß.
({19})
Bei hohen Einkommen wird sich übrigens auch auswirken - ich will das nicht vergessen, sondern hier mit erwähnen -, daß die Vermögensteuer, die einer gezahlt hat, künftig nicht mehr bei seiner Einkommensteuer abgesetzt werden kann. Großverdiener können also nicht mehr auf dem Umweg über die Einkommensteuer ihre Vermögensteuerbelastung wieder rückgängig machen, bis zur 'Hälfte vermindern. Das soll wegfallen. Damit nun aber in den unteren und mittleren Einkommensbereichen, also im Mittelstand, keine Verschlechterung eintritt, wird der Vermögensteuersatz von 1 % auf 0,7 % gesenkt.
Einer der wichtigsten Bereiche für die Koalition ist der Kinderlastenausgleich. Hier wird endlich ein entscheidender Schritt zu mehr Chancengleichheit im Steuerrecht getan. Die steuerlichen Kinderfreibeträge werden durch eine Kindergeldzahlung ersetzt, und wir schaffen damit diesen alten familienpoltischen Unfug aus der Welt, daß diejenigen den höchsten Steuervorteil für ihre Kinder haben, die ohnehin am meisten verdienen und es deshalb eigentlich am wenigsten nötig haben, während andererseits Familien mit niedrigen Einkommen nur einen geringen oder überhaupt keinen Steuervorteil für ihre Kinder genießen.
Ich gebe ein oder zwei ganz einfache Beispiele dafür. Nehmen wir einen verheirateten Arbeiter, nur ein Kind, Bruttomonatslohn 1600 DM. Bisher hat er aus dem Kinderfreibetrag für sein Kind einen monatlichen Steuervorteil von 19 DM. Nach der Reform erhält der gleiche Arbeiter - verheiratet, ein Kind - eine steuerliche Entlastung von monatlich 50 DM. Bei dem Generaldirektor oder Bundesminister mit einem Kind wirkt sich die Änderung natürlich negativ aus. Das wollen wir nicht verheimlichen; das ist sicherlich so. Es soll ja auch so sein.
({20})
Ich will ein anderes Beispiel geben: Derselbe Arbeitnehmer aber mit drei Kindern. Da muß ich die Wirkung des Steuerfreibetrags und das Kindergeld für das dritte Kind zusammenzählen; als Normalverdiener mit, sagen wir, weniger als 16 000 DM Einkommen im Jahr, hat er bisher einen Freibetrag von 74 DM gehabt, dazu 85 DM Kindergeld. Das macht zusammen 159 DM im Monat, die wir als Gesetzgeber ihm bisher für seine drei Kinder zugestanden haben. Jemand, den ich einmal als Großverdiener bezeichnen will, hatte aber von der Freibetragswirkung her 206 DM frei und ein bißchen weniger Kindergeld, zusammen 266 DM. Nach dem Reformgesetz wird der eine in Zukunft von 159 DM auf 240 DM steigen - das betrifft sehr viele - und der andere - das betrifft wenige - wird von 266 auf 240 DM absinken! Weil das erste so viele sind, führt dieser neue Kinderlastenausgleich immerhin dazu, daß der Gesamtaufwand für den KinderBundesminister Schmidt
lastenausgleich, der bisher 11 Milliarden DM betrug - ich bitte, sich das zu vergegenwärtigen -, nun auf 15 Milliarden DM ansteigen wird. Das sind gewaltige Summen.
Übrigens rechne ich damit, daß der Ablauf des heutigen Tages Frau Bundesministerin Focke Gelegenheit geben wird, auf dieses Kernstück der Einkommen- und Lohnsteuerreform noch etwas näher einzugehen, daß diese Regelung für viele von uns darstellt.
Bei den Vorsorgeaufwendungen wird es keine unterschiedlichen steuerlichen Wirkungen mehr geben. Um vor allem bei Arbeitnehmern die gestiegenen Sozialversicherungsbeiträge steuerlich wieder voll zu berücksichtigen, wird die Höchstgrenze für Versicherungsbeiträge praktisch verdreifacht, z. B. für eine Familie mit zwei Kindern von jetzt 6800 auf 20 400 DM. Darin sind dann auch die Vorsorgeleistungen enthalten, die etwa in der Form von Bausparbeiträgen oder privaten Lebensversicherungsprämien aufgebracht werden. Diese Aufwendungen werden sodann mit einem einheitlichen Steuersatz von 22 % von der Steuer abgezogen, so daß der steuerliche Vorteil, die Begünstigung der Vorsorge, in Zukunft mit steigendem Einkommen nicht mehr wachsen kann. Auch diese Lösung dient dem Mehr an Gerechtigkeit ebenso wie die Tatsache, daß der Arbeitnehmerfreibetrag auf das Zweieinhalbfache, nämlich auf 600 DM, erhöht werden und für alle Arbeitnehmer mit dem gleichen Prozentsatz von der Steuer abgezogen werden soll. Auch diese Lösung führt dazu, daß die große Masse stärker entlastet wird, als wenn man etwa das alte System beibehielte und nur den alten Freibetrag linear erhöhte oder verdoppelte.
Wir erhöhen weiter den Freibetrag für Alleinstehende mit Kindern auf das Zweieinhalbfache. Mit 3000 DM entspricht dieser Freibetrag für Alleinstehende mit Kindern künftig dem Grundfreibetrag, der den Alleinstehenden außerdem noch zusteht. So erhöht sich z. B. dann für eine alleinstehende Frau mit einem Kind, die etwa ein Jahreseinkommen von 15 000 DM zu versteuern hat, die monatliche Steuerentlastung auf 55 DM oder im Jahr auf beinahe 700 DM.
Der neue Altersentlastungsbetrag begünstigt nun zum erstenmal auch solche Altersbezüge, die nicht in Pensionen und nicht in Sozialrenten bestehen.
Körperbehinderten wird durch die Erhöhung der steuerlichen Pauschbeträge um mehr als 40 % geholfen.
Der Sparförderung dient ein neues Instrument, nämlich der Sparerfreibetrag; für Verheiratete sind das 600 DM. Wenn man den Werbungskosten-Pauschbetrag hinzurechnet, der weitgehend ja auch den Charakter eines Freibetrages hat, so bleiben bei Verheirateten in Zukunft im allgemeinen, wenn nicht sonst großes Einkommen noch nebenher besteht, Sparzinsen, Zinserträge von der Sparkasse bis zu 800 DM im Jahr steuerfrei, was bedeutet, daß die aller-, aller-, allermeisten Sparer in Deutschland keinerlei Steuer auf ihre Sparzinserträge mehr zu entrichten haben werden. 85 % aller Sparkassenbucher liegen unter 5000 DM, will ich hier erwähnen.
Wenn man alle diese Änderungen zusammenträgt und ausrechnet, was für den einzelnen Bürger und seine Familie dabei herauskommt, so muß man sehr viele verschiedene Rechnungen aufmachen; denn die Vielfalt des Lebens ist groß. Das hängt vom Alter ab, das hängt vom Familienstand ab, von der Zahl der Kinder, von vielerlei Einzelheiten.
Ich gebe Ihnen einige wenige Beispiele. Ein verheirateter Facharbeiter mit einem Kind hat heute, wenn die Frau nicht berufstätig ist, bei einem Bruttoarbeitslohn von 1600 DM 165,10 DM Lohnsteuer zu zahlen. Seine Lohnsteuer wird nach der Steuerreform pro Monat 42 % niedriger liegen.
Ein anderes Beispiel. Eine junge ledige Verkäuferin hat bei einem Bruttomonatslohn von 900 DM heute 104 DM Lohnsteuer zu zahlen. Nach der Reform wird ihre monatliche Lohnsteuer 23 % weniger betragen.
Ein verheirateter kaufmännischer Angestellter mit einem Kind, dessen Ehefrau nicht berufstätig ist, zahlt zur Zeit bei einem Bruttogehalt von 2500 DM 337,80 DM Lohnsteuer. Seine Steuer wird nach der Reform 22 % niedriger sein.
So wird man viele Beispiele für Familien mit vielen Kindern, mit Ehefrauen, die arbeiten, mit solchen, die nicht arbeiten, für Alleinstehende, Alte, Kriegsbeschädigte ausrechnen müssen, um zu verstehen, was die Gesamtwirkung dieses sehr komplizierten Gesetzeswerkes für die einzelnen bedeutet, für die Arbeitnehmer, für die Angestellten, für den Mittelstand, auch - das gebe ich zu -, was es bedeutet für die Bezieher ganz großer Einkommen und für ganz große Vermögen.
Übrigens noch ein Wort zur Sparförderung, die ja in dem Gesetzentwurf auch mit enthalten ist. Die staatlichen Prämien werden besser gezielt als bisher auf die sparförderungsbedürftigen Einkommensschichten ausgerichtet. Im Sparprämienrecht wird künftig eine Einkommensgrenze eingeführt, die bei Verheirateten bei 48 000 DM liegt und sich je Kind dann noch einmal um knapp 2000 DM erhöht. Prämien werden künftig einheitlich bis zu Sparleistungen von 1600 DM bei Verheirateten gewährt. In weiten Bereichen bedeutet das eine Verbesserung. Der Prämiensatz soll 20 % betragen, beim Bausparen 23 %, für jedes Kind weitere 2 %.
Ein kurzes Wort zur Reform der Körperschaftsteuer. Dies ist ein unendlich schwieriges, und sehr schwer darzustellendes, kompliziertes Netz von Funktionen nicht nur innerhalb der Bundesrepublik, sondern auch im Verhältnis zum Ausland; wir haben ja eine Reihe von Aktiengesellschaften, die im Ausland verschachtelt sind. Ich sehe davon ab, es hier im einzelnen darzustellen. Aber es braucht niemand mißzuverstehen; hier darf ich einmal im Augenblick nicht aus der Gesamtverantwortung der Regierung sprechen, sondern für die Sozialdemokraten allein reden. Wir gehen diesen Weg mit und beseitigen die Doppelbelastung der ausgeschütteten Erträge mit Körperschaftsteuer und mit Einkommensteuer. Aber es hat sich eben nach unserer übereinstimmenden Meinung in der Koalition auch nichts daran geBundesminister Schmidt
ändert, daß diese Reform nur zusammen mit dem Gesetz zur Beteiligung breiter Schichten am Produktivvermögen in Kraft treten kann, über das sich ja Gott sei Dank die Spitzen beider Fraktionen am letzten Wochenende in allen Grundzügen geeinigt haben.
Ich will auf ein paar Vereinfachungseffekte zu sprechen kommen, die mit dem Ganzen verbunden sein werden. Beim Lohnsteuerverfahren - das ist ja die größte Zahl der Verfahren, die die Finanzämter zu bewältigen haben und das auch die meisten Menschen als steuerpflichtige Bürger betrifft, die ihrerseits daran beteiligt sind - wird eine neue Vorsorgepauschale dafür sorgen, daß die regelmäßigen Versicherungsaufwendungen ohne jeden Arbeitsaufwand sofort beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt werden; der Arbeitnehmer braucht hierfür zukünftig keinen Ermäßigungsantrag mehr zu stellen. Von den 8 Millionen Lohnsteuerermäßigungsanträgen im Jahr werden infolgedessen 7 Millionen überflüssig werden
({21})
- ich sehe, daß Sie, Herr Carstens, das nicht für so wichtig halten, aber die Finanzbeamten sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit, und wenn wir im Wege der Gesetzgebung noch mehr Vereinfachung schaffen wollen, müssen wir uns sehr bemühen
({22})
- Ich habe Sie mißverstanden; wir nehmen es beide als gut.
Die Neugestaltung der Einkommensteuertarife und der Lohnsteuerklassen wird von bisher etwa 6,5 Millionen Veranlagungen von Arbeitnehmern 2,5 Millionen Veranlagungen entbehrlich machen können. In diesem Zusammenhang will ich daran erinnern, daß schon durch das 2. Steueränderungsgesetz 1973 die Veranlagungsgrenze der Einkommensteuer für Arbeitnehmerehepaare auf 48 000 DM angehoben wird, um auch hier von dem Veranlagungsverfahren, das natürlich sowohl von der Behörde als auch vom steuerpflichtigen Bürger sehr viel Aufwand erfordert, herunterzukommen.
Über Prämienanträge wird künftig zusammen mit der Steuerfestsetzung oder mit dem Lohnsteuerjahresausgleich entschieden werden, was ermöglichen wird, diese typische Massenarbeit maschinell durchzuführen.
Nun will ich bei der Beurteilung dieser Verfahrensänderungen nicht verschweigen, daß die vorgesehene Abwicklung des Kinderlastenausgleichs von den Finanzämtern aus - darüber gibt's einen Streit mit den Finanzverwaltungen der Länder
({23})
- der Länder! -, von den Finanzverwaltungen aus nicht mit großem Entzücken betrachtet wird. Das ist einer der Gründe für den Bundesrat gewesen, sich dagegen auszusprechen. Nun wird jeder verstehen, daß der Bundesfinanzminister, der mit den Finanzämtern, die Länder-Sache sind, gar nichts zu tun hat, hier gar keinen Ressortpatriotismus verfolgt, wenn er der Meinung ist, es sei doch besser, es bei den Finanzämtern als bei der Arbeitsverwaltung auszahlen zu lassen. Er hat dafür sachliche Gründe; die darf ich vortragen.
Mir geht es nur um das, was insgesamt am praktikabelsten und am einfachsten sein wird; eine Belastung ist die neue Kindergeldregelung verwaltungsmäßig immer - entweder für die Finanzverwaltung oder die Arbeitsverwaltung. Aus der Sicht der Bundesregierung ist aber die vom Bundesrat vorgeschlagene Auszahlung durch die Arbeitsverwaltung deswegen nicht sehr verlockend, weil dadurch die Zahl der Auszahlungsfälle bei den Arbeitsämtern von 2,5 Millionen auf 10 Millionen Fälle - die müssen dann dort alle bearbeitet werden - steigen würde. Die Arbeitsverwaltung würde in Zukunft also 10 Millionen Auszahlungsfälle haben, während die Finanzämter, wenn ich es richtig im Kopf habe, in mehr als 90 % der Fälle das Auszuzahlende einfach mit der Steuer - die Finanzämter nehmen ja die Steuern von den Steuerpflichtigen ein - verrechnen werden, so daß bei Auszahlung durch die Finanzämter höchstens 0,5 Millionen Fälle neu hinzukommen; Sie können gegenrechnen. 0,5 Millionen Auszahlungsfälle bei der Finanzverwaltung, 10 Millionen Auszahlungsfälle bei der Arbeitsverwaltung - dies ist der Hauptgrund. Niemand möchte diese Verwaltungsarbeit gerne übernehmen. Die Arbeitsverwaltung hat sich von Amts wegen außerstande erklärt, dies zu machen. Aber ich sage noch einmal: Es ist in keiner Weise ein politisches oder heiliges Prinzip des Bundes oder der Bundesregierung; das kann man so oder so machen! Es kommt doch darauf an, daß der Begünstigte hinterher das Geld bekommt.
({24})
Ich wehre mich dagegen, daraus einen Prinzipienstreit zu machen; das ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage.
({25})
Das beste wird wahrscheinlich sein, wenn die Vertreter der Arbeitsverwaltung und die der Finanzämter einmal zusammen an einem Tisch unter Beteiligung von Fachministern der Länder und des Bundes ihre Erfahrungen austauschen. Nach unserer Rechnung wird das durchschnittliche Finanzamt noch nicht einmal tausend Fälle haben, aber das durchschnittliche Arbeitsamt unendlich viel mehr.
Übrigens denke ich, daß nicht nur dieses Thema, sondern auch andere Themen der Verfahrensvereinfachung nicht nur eine Aufgabe dieser Reformgesetzgebung, sondern eine ständige Aufgabe bleibt; schon allein deswegen, weil dieses Parlament, egal wie die Mehrheiten verteilt sind, sowieso jedes Jahr das Steuerrecht mit einzelnen Novellen kompliziert. Deshalb müssen wir uns alle bewußt sein, daß es auch unsere ständige Aufgabe bleibt, zu vereinfachen, wo es nur irgend geht.
Ich habe lange Zeit gebraucht, um die Herren Kollegen Finanzminister der Länder davon zu über4906
zeugen, daß es wünschenswert ist, einmal zwei Tage lang eine große Diskussionstagung zu machen mit den Beamten aus den Finanzämtern, die unten mit der eigentlichen Last der Arbeit beschwert sind, um von ihnen zu hören, wie aus ihrer Sicht vereinfacht. werden kann. Aber Gott sei Dank ist nun inzwischen diese Absicht gemeinsam gefaßt worden. Wir hatten das mit den Zollbeamten, die ja Bundesbeamte sind, vor einiger Zeit schon mal gemacht. Das war sehr fruchtbar, und wir haben viel davon gelernt, übrigens auch die Beamten selber. Und man muß doch zugeben, wenn man Ministerialbeamter ist, ob des Landes oder des Bundes, daß es eigentlich ausgeschlossen ist, daß man bei einer solchen Tagung von den Praktikern nicht etwas dazulernt. Man sollte sich innerlich nicht zu erhaben vorkommen über die Erfahrungen des Oberinspektors oder des Amtmanns, des Finanzbeamten.
({26})
Ich wäre dankbar, wenn sich - wie bei der Zolltagung - vom Finanzausschuß des Bundestages ein paar Kollegen an diesen beiden Tagen beteiligten, um auch ihrerseits herauszufühlen, herauszuhören, was an Anregungen von der Front der Verwaltung, von .den eigentlichen Finanzbeamten auf uns zukommen mag.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf die Kontroverse mit dem Bundesrat zurück. Sie hat - wie auch die heute anstehende erste Lesung des Gesetzentwurfs - dazu geführt, daß sich viele Mitglieder dieses Hauses öffentlich geäußert haben. Immer, wenn es politische Streitfragen zu entscheiden gibt, müssen sich Politiker äußern. Das ist zum Beispiel in .den letzten Tagen auch zur Frage der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst der Fall gewesen. Mancher wird dann anders gedruckt als er meint, es gesagt zu haben. So wissen wir von Herrn Filbinger, daß er das nicht gesagt hat, wie tatsächlich eine Zeitung ihn gedruckt hat. So mag manches auch über die Auffassung gedruckt worden sein, die der eine oder andere Länderminister gar nicht hat, die ihm aber unterstellt wird. Das mag auf allen Seiten so sein, auch auf seiten von Koalitionsabgeordneten. Das mag so sein.
Trotzdem möchte ich noch einmal bitten, sich zu überlegen, ob etwas so Wichtiges, wie die seit mehr als anderthalb Jahrzehnten vorbereitete Steuerreform, wirklich bloß zu einer Sache der parteilichen Konfrontation gemacht werden darf. Ich bitte, das von unserem gemeinsamen Staatsverständnis her zu überlegen.
({27})
Aber es legt sich vielleicht auch nahe, es vom eigenen Parteiinteresse her noch einmal zu überdenken. Ich glaube nicht, daß letztlich jemandem damit gedient wäre.
Der Bundesrat hat zu dem heute hier vorliegenden Gesetzentwurf, den er schon behandelt hat, gesagt, nach seiner Auffassung könne das neue Einkommensteuergesetz und das neue Sparprämiengesetz nicht in seiner Gesamtheit am 1. Januar 1975 in Kraft treten. Das hat dazu geführt, daß man sich überlegt: Wie kann man sich mit dem Bundesrat
arrangieren, wenn der sagt: „Nicht in seiner Gesamtheit", sondern einzelne Dinge wollen wir weglassen; insbesondere wollen wir die prinzipiell nicht wichtigen Dinge nicht so schnell bearbeiten? Da muß man sich fragen, wie man sich mit ihm treffen kann; denn man braucht auch die Zustimmung der Mehrheit des Bundesrates, das ist ganz klar.
Daraus haben sich Spekulationen ergeben, als ob die Regierung diesen Gesetzentwurf aufgegeben hätte. Dies ist nun allerdings mindestens ein schwerwiegender Irrtum, wenn es nichts Böseres ist. Das haben wir nicht getan. Aber ich habe keine Hemmungen zu sagen - und das sage ich auch für die Frau Kollegin Funcke als Vorsitzende des zuständigen Ausschusses und auch für die Kollegen meiner Fraktion -: In diesem Entwurf ist vielerlei Aufholarbeit aus vergangenen Erlassen, Rechtsverordnungen, Gesetzgebung und Rechtsprechung drin. Diese Aufholarbeit muß nicht unbedingt zum 1. Januar 1975 vollendet sein. Was zum 1. 1. 1975 sein muß, ist die gesetzgeberische Verwirklichung dessen, was wir die Grundprinzipien der Strukturreform des Steuersystems genannt haben.
({28})
Nun bitte ich, aus den Vorstellungen des Bundesrates, der meint, er könne das alles mit den vielen Details nicht in einem Jahr bewältigen, und der Stellungnahme der Regierung oder der Koalitionsabgeordneten zu diesen Einlassungen nicht zu schließen, Herr Häfele, wir wollten die Steuerreform nicht. Das ist also mindestens ein böses Mißverständnis.
Sie werden auch nicht übersehen haben, daß der Bundesrat kein Veto eingelegt hat. Er hatte es sich sicherlich in einigen seiner Landesregierungen genau überlegt, db er etwa nein sagen sollte zur Steuerreform als ganzer. Deswegen - Sie sehen, welche Mühe ich mir gebe, das Klima wieder ein wenig zu normalisieren - sollten Sie bitte auch aufhören, der Freien Demokratischen Partei oder der Sozialdemokratie oder der Bundesregierung als ganzer zu unterstellen, sie wolle die Steuerreform nicht. Sie werden sich täuschen. Und ich sage Ihnen, wir werden die öffentliche Meinung gegen Sie mobilisieren, falls Sie die Steuerreform zu Fall bringen wollen. Sie werden sich täuschen!
({29})
Wir rechnen Ihnen nämlich an vielen einzelnen Beispielen vor, was Ihre Art der linearen Steuersenkung für die oberen und für die mittleren und unteren Gehälter bedeuten würde. Das rechnen wir öffentlich vor.
({30})
Wir würden dann genauso öffentlich vorrechnen, was dies hier für den einzelnen und seine Familie bedeutet.
({31})
- Ich muß doch einmal in meiner Rede auf die Polemik des Herrn Kollegen Häfele von heute morgen um 9 Uhr antworten dürfen, ein einziges Mal.
({32})
Nun lassen Sie mich bitte ganz generell, ohne dabei spezifisch auf die Steuersenkungsabsichten der CDU/CSU abzuheben, ein paar Bemerkungen über die aktuelle Steuersenkungsdiskussion machen, die im Augenblick im Zusammenhang mit der Weltkonjunktur- und der deutschen Konjunkturentwicklung im Schwange ist.
({33})
Ich halte diese allgemeine Steuersenkungsdiskussion wirklich für ein wichtiges innenpolitisches und auch wichtiges volkswirtschaftliches Thema, Herr Kollege. Man kann sie unter dem Aspekt sehen, daß, wenn man die Steuern allgemein linear senkt, dann wenigstens die Steuerreform der sozialliberalen Koalition hinterher nicht mehr käme, weil man das Geld nicht zweimal ausgeben kann. Das mag Ihr Gesichtspunkt sein. Ich will Ihnen das im Augenblick gar nicht unterstellen. Ich will Ihnen gar nicht unterstellen, daß Sie uns den Erfolg der Steuerreform, die Sie damals, als Sie viele Male nacheinander an der Regierung waren, zwar auch gewollt, aber eben nicht zustande gebracht haben, unmöglich machen wollen. Sie müssen sich aber fragen, was Sie selber eigentlich letztlich wollen.
Herr Professor Carstens, ich habe eine Aufstellung all der steuerlichen Gesetzesanträge vor mir liegen, die Sie im Laufe der letzten zwölf Monate, seit dieser Bundestag gewählt ist, gestellt haben und was sie damit an Ausgaben zusätzlich vorgeschlagen haben. Ihr Entwurf eines Inflationsentlastungsgesetzes der heute zur Beratung steht, kostet nach den gegenwärtigen Berechnungen 9,9 Milliarden DM. Das mag sich nach ein paar Monaten wieder nach oben oder nach unten verschieben. Die Erhöhung der Investitionszulagen von 7,5 auf 10 %, die Ihre Fraktion beantragt hat, kostet 180 Millionen DM. Der Antrag der CDU/CSU im Bundesrat - Bundesratsdrucksache 7/782 - zur Erbschaft- und Vermögensteuer kostet 290 Millionen DM. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Kraftfahrzeugsteuer - es sind zwei Steuerklassen vorgesehen, wobei dann der Bund Mehrwertsteuer hergeben soll, weil die Länder auf Kraftfahrzeugsteuer verzichten - kostet 1,1 Milliarden DM. Dann die Erhöhung des Lastenausgleichs, wie sie das CDU-Präsidium vorgeschlagen hat - soviel ich weiß, bisher nicht im Parlament eingebracht -, fürs erste Kind auf 60 DM, fürs zweite Kind auf 90 DM, fürs dritte Kind auf 130 DM und auf 150 DM für alle weiteren Kinder; das kostet zusätzlich weitere 3 Milliarden DM. Erziehungsgeld, bisher nicht hier eingebracht, aber von Ihrem Parteipräsidium angekündigt, kostet je nach Ausgestaltung - man kann das nicht ganz genau berechnen - bis über 3 Milliarden DM. Dann hat die CDU/CSU-Fraktion Senkung der Mineralölsteuer beantragt, Herr Stoltenberg hat Senkung oder Halbierung der Mehrwertsteuer bei Ölprodukten beantragt; das erste kostet 2 Milliarden DM, das zweite 11/2 Milliarden DM.
({34})
- Nein, das war ja konjunkturell notwendig. Um Arbeitsplätze zu erhalten, mußte die Investition wieder angereizt werden. Aber was Sie machen, sind konsumträchtige Ausgaben, Herr van Delden.
({35})
Dies ist ja alles nicht Wirtschaftsankurbelung, sondern Preisankurbelung. Sie schaffen monetäre Nachfrage, ohne dafür gleichzeitig Güter, reale Werte zu schaffen.
({36})
Das Bruttosozialprodukt wird in diesem Lande im Jahre 1974, wenn alles draußen in der Weltwirtschaft ganz gut geht, real vielleicht um 2 % zunehmen - wenn alles ganz gut geht. Es geht aber draußen in der Weltwirtschaft nicht ganz gut. Sie kriegen - wir haben doch vor ein paar Tagen darüber gesprochen - schwere währungspolitische Verwerfungen bei einer Reihe von Ländern, die in tiefe Zahlungsbilanzdefizite geraten. Sie müssen damit rechnen, daß die weltweite Arbeitsteilung auf eine schwere Probe gestellt wird, der internationale Handel genauso wie die internationale Finanzierungsmechanik. Wir sind in bezug auf die Weltwirtschaft weniger optimistisch als in bezug auf unsere eigene binnenwirtschaftliche Entwicklung. Deswegen muß man sich doch klarwerden, wenn maximal bei günstiger außenwirtschaftlicher Entwicklung real 2 % mehr erwirtschaftet werden sollten, daß es keinen Sinn hat, die Nominaleinkommen - sei es durch Steuerentlastung, sei es durch Lohnerhöhung von 15 oder 17 % - so zu steigern, obwohl doch real nicht mehr da ist. Das kann doch dann nur in die Preise gehen. Die Steuerentlastung kann doch auch nur in die Preise gehen, wenn man sie in diesem Ausmaße vornimmt. Deswegen muß ich das sagen.
({37})
- Ich bin weder stumm noch taub, ich habe Ihnen gut zugehört und habe Ihnen vorgerechnet, was Ihre Anträge bedeuten, nämlich insgesamt 35 Milliarden DM, Herr Carstens.
({38})
Nun können Sie sagen: Wir haben das nicht alles auf einmal gewollt; wir haben damit gerechnet, daß ihr das eine ablehnt und das andere auch, es kam uns nicht darauf an. Das können Sie sagen. Aber Sie müssen sich eines vorstellen - ich rede hier genauso für die Gemeinden, für die Länder oder für den Bund -: die Finanzlage dieser drei Gebietskörperschaften ist ähnlich. Ich führe den Bund als Beispiel an, weil ich dessen Zahlen besser im Kopf habe. Wir hatten einen relativ kleinen Betrag - etwa 2 Mil4908
liarden DM - an Nettokreditaufnahme des Bundes für 1974 vorgesehen, als wir den Bundeshaushalt vorgelegt haben. Das hat sich dadurch verdoppelt, daß uns die Länder in den endlosen Verhandlungen über die Mehrwertsteueranteile weitere 2 Milliarden DM abgeknöpft haben, macht 4 Milliarden DM. Jetzt kommt hinzu: ein wenig Arbeitslosigkeit, ein wenig Kurzarbeit, Abschwung der Weltkonjunktur, die Automobilindustrie, die nicht mehr die vielen großen Autos verkaufen kann; deshalb kommen jetzt hinzu Steuermindereingänge gegenüber den Haushaltsplänen - der Stadt Buxtehude genauso wie der Stadt Rosenheim oder des Landes Bayern genauso wie des Bundes - um Milliarden, die ich im Augenblick nicht beziffern will. Jetzt wollen Sie darüber hinaus noch auf weitere Milliarden durch lineare Steuersenkungen verzichten. Das kann man dann insgesamt nur noch kreditweise finanzieren. Uns stehen nach Gesetz und Recht, dem Bund besonders große, Konjunkturausgleichsrücklagen bei der Deutschen Bundesbank zur Verfügung. Die könnten wir zur Finanzierung solchen Kreditbedarfs verwenden. Nur, wenn wir etwa alle Konjunkturausgleichsrücklagen der Länder und des Bundes in diesem Jahr auflösen würden - ({39})
- Lassen Sie mich bitte den Satz zu Ende sprechen. Es ist wirklich ein Versuch, ein Problem auch für Nichtfachleute anzubieten.
({40})
- Ich sage das nicht in einer Richtung, ich sage das in Richtung des ganzen Hauses, auch in Richtung auf Herrn van Hüllen, auch in Richtung auf den Deutschen Gewerkschaftsbund, damit Sie mich ganz klar verstehen.
({41})
Ich versuche zu zeigen, daß nach Gesetz und Recht der Bund und die Länder zwar in den Konjunkturausgleichsrücklagen große Reserven zur Verfügung haben, die wir zum Teil zur Investitionsankurbelung auch brauchen werden; wenn wir sie aber, 'weil wir den Steuerverzicht nun noch zusätzlich hinzufügen, zur Gänze aus den Kellern der Bundesbank heraus und in den Kreislauf hineinschleusen würden, kann es nur, da sich das reale Bruttosozialprodukt dadurch nicht vergrößert, sondern bei einem Zuwachs von 1 %, maximal 2 % bleibt, in die Preisdynamik gehen.
({42})
Nicht so sehr die Haushaltsseite, sondern die volkswirtschaftliche Überzeugung, daß es nur in die Preise gehen kann, ist der Grund dafür,
({43})
weshalb der Wirtschaftsminister und der Finanzminister sich gegen diese scheinbar so naheliegende Idee wehren müssen. Herr van Hüllen und Gesamtmetall sind natürlich besonders fabelhaft: die machen ein Angebot auf einen Lohntarifvertrag zu Lasten Dritter,
({44})
nämlich zu Lasten des Staates und derjenigen, die von den Leistungen des Staates abhängen.
({45})
Daß dies sicherlich eine schwierige Periode ist, müssen Sie mir nicht sagen. Was glauben Sie, wie das auf beiden Seiten der Regierungskoalition und auf allen Seiten in der Regierung die Geister beschäftigt und auch - ich hoffe, Sie nehmen es mir ab- ({46})
- Auch vor Weihnachten habe ich mich absolut und eindeutig in diesem Haus wie auch auf einer großen Arbeitnehmertagung meiner eigenen Partei gegen Steuersenkungen in dieser Phase gewehrt. Wir haben sie nicht gemacht, und wir werden sie auch nicht machen, obwohl viele es uns übelnehmen und nicht verstehen werden, weil es letztlich im Effekt über die Kreditschöpfung, die zur Ausfüllung der Defizite, die entstehen würden, notwendig ist, doch nur in die Preise gehen kann. Wir sind glücklich, daß wir das Jahr 1974 mit einer Preisdynamik betreten haben, die kleiner ist als in Frankreich, Italien, England, Japan, Amerika und so weiter
({47})
Wir wollen uns weder durch unsere Währungspolitik - die Länder, die ich nannte, haben ja währungs- und kreditpolitisch zu ihrer eigenen Inflationsdynamik beigetragen - noch über unsere Haushalts- oder Steuerpolitik oder Kreditpolitik im Innern in diesen Sog ganz hineinziehen lassen, diesen gewaltigen Sog der inflatorischen Dynamik, der alle Welt und ganz Europa beherrscht. Ich mache Ihnen keine Vorhersagen über die Inflationsraten in einem Land, das aus dem Währungsverbund gerade ausgeschieden ist, aber es kann kein Zweifel bestehen, daß alle Entwicklungen in anderen Staaten Rückwirkungen auf uns haben werden, und daß wir im Preiszusammenhang mit diesen Ländern stehen und große Teile unserer Ex- und Importe von den Preisbildungen auf diesen Märkten drüben abhängen.
Es ist also nicht so sehr der Haushaltsminister, der sich hier gegen Steuersenkungen wehrt, die als Defizite zu Buche schlagen würden - das müßten sie ja -, sondern es ist einer, der weiß, daß, wenn die Preisdynamik eine große Kurve annimmt, infolgedessen die Unternehmen Arbeitnehmer entlassen werden, weil sie nicht alles mehr draußen und drinnen zu diesen Preisen absetzen können. Die Arbeitslosigkeit macht mir dann noch mehr Angst als die Preisdynamik, eine zunehmende Arbeitslosigkeit, die wir durch im Augenblick scheinbar sich anbietende Schritte, die im Frühjahr 1974 keine großen Bedenken verursachen, im weiteren Verlauf des Jahres auslösen können.
({48})
Der Kanzler hat gesagt, er schließe für den weiteren
Verlauf des Jahres 1974 nicht alles aus. Nichts kann
man ausschließen. Ich weiß gar nicht, wie im weiteren Verlauf des Jahres 1974 z. B.
-({49})
- Damit Sie mich nicht mißverstehen, müssen Sie den Satz zu Ende hören! Man weiß z. B. gar nicht, wie gegen Ende des Jahres 1974 etwa das Währungsgefüge der Welt - auch innerhalb des Westens - aussehen wird.
({50})
Es mag manches sich sehr ändern. Das ist ein sehr schwieriges Jahr für die ganze Weltwirtschaft. Aber bitte mißverstehen Sie den Bundeskanzler nicht dahin, daß er sagt: Zunächst nein, aber dann im Juli machen wir den Gesetzentwurf der Opposition! Wir machen auch nicht die Hälfte, auch nicht ein Viertel!
({51})
Ich muß zur Kraftfahrzeugsteuerreform heute wohl nicht viel sagen. Sie gehört eigentlich nicht zu dem ganzen Reformwerk und hat auch keinen inneren Zusammenhang. Das würde heute morgen nur unnötig Zeit kosten. Ich will dem Thema nicht ausweichen; ich denke nur daran, daß die Rede nicht zu lang werden darf.
Ich muß zu der gegenwärtigen Debatte über Lohntarifverbesserung mittels Steuerentlastung, diesem Lohntarifvertrag zu Lasten der öffentlichen Hand noch eine Zahl nachtragen, damit man eine Größenordnungsvorstellung hat. Wenn wir die Nettolohn-
und -gehaltsumme der deutschen Arbeitnehmer um 2 0/o von Staats wegen verbessern wollen - das ist das, was Herr van Hüllen von Gesamtmetall vorgeschlagen hat -, dann kostet das den Gesamtstaat - nicht den Bund allein - 7 Milliarden DM Steuern; die kommen noch oben drauf auf die Ihnen bisher schon vorgerechneten angedeuteten Größenordnungen der Kreditbedarfe für 1974. Ich bitte Sie, sich diese Zahl zu merken: für 2 % Nettolohn- und -gehaltsumme für alle Arbeitnehmer 7 Milliarden, die das die öffentlichen Hände kostet. Man kann dann vieles nicht mehr machen, was die Gemeinden und die Länder und der Bund leisten sollen. Insbesondere sollen sie ja möglicherweise im Laufe des Jahres 1974 zusätzliche Investitionsausgaben leisten, um die Beschäftigung zu stimulieren, mehr, als in den Haushaltsplänen der Städte und der Länder und des Bundes bisher vorgesehen ist; das kommt ja auch noch dazu.
Ich möchte am Schluß noch eines betonen, - bei aller Antwort auf Polemik, die ab und zu hier und draußen notwendig bleibt; Polemik wird ja auch von Ihrer Seite nicht ausbleiben. Herr Carstens hat gestern morgen hier einige Kabinettstückchen auf diesem Gebiet zum besten gegeben, andere haben darauf geantwortet.
({52})
- Das gehört zum politischen Geschäft. - Lassen Sie uns bitte darüber nicht übersehen, daß die wirtschaftliche Entwicklung dieses Jahres
({53})
und damit die innere soziale Stabilität und die politische Stabilität nicht zuletzt darauf beruhen, daß wir im Verhältnis zu manchen anderen, uns in bezug auf Technologie oder wirtschaftliche Entwicklung durchaus vergleichbaren Ländern in unserem Land den Arbeitnehmern das Gefühl und die Sicherheit haben geben können, daß das Maß an sozialer Sicherheit, die wir haben, kontinuierlich und stetig jedes Jahr, alle vier Jahre um einiges weiter ausgebaut wird. Daß die Situation in den Fabriken in unserem Lande sich so sehr von der Situation in den Fabriken anderer Länder unterscheidet, die ich mit Namen nicht nennen will, hängt doch damit zusammen, daß wir dieses Gefühl einer hohen sozialen Sicherheit haben können.
Dazu gehört nun aber auch Sicherheit gegen Übervorteilung durch den staatlichen Steuergesetzgeber.
({54})
Die Übervorteilung liegt nicht darin, daß die Steuern insgesamt zu hoch seien - sie sind ja nicht höher als in den uns benachbarten Ländern West- und Mitteleuropas -, sondern die Übervorteilung liegt darin, daß bei dem bisherigen Steuersystem einige besonders günstig und andere nicht so günstig weggekommen sind. Diese öffentlichen Lasten sind in unserem Lande insgesamt nicht zu hoch. Sie sind insgesamt ja doch niedriger als in manchen anderen europäischen Ländern; es gibt zwar auch noch ein, zwei oder drei Länder, wo sie ein bißchen niedriger sind als bei uns; aber wir liegen mit der Steuerlast doch in einer gesunden Mittelgruppe; da soll sich doch niemand was vormachen. Insgesamt ist sie nicht zu hoch. Aber sie muß richtig auf die Schultern verteilt werden, die diese Lasten tragen müssen. Diese Steuerreform schafft Begünstigungen und Vorrechte ab, die in einer Gesellschaft des Jahres 1974 nicht mehr akzeptiert werden können. Sie verstopft Quellen der Steuerumgehung; sie beseitigt Möglichkeiten des Mißbrauchs.
Diese Koalition und die Bundesregierung haben den Willen, dies auch alles nicht nur in einen Entwurf, sondern ins Bundesgesetzblatt zu schreiben und damit wirksam zu machen. Ich glaube, Sie werden sich selber im Laufe des Jahres fragen, ob Sie uns diesen Weg ernsthaft verlegen wollen. Ihn ernsthaft verlegen zu können, steht Ihnen eh nicht zu Gebote.
({55})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß. Die Fraktion der CDU/CSU hat eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Finanzen hat seine Ausführungen mit der Aufforderung geschlossen, die CDU/CSU solle sich überlegen, ob sie den Weg zur Steuerreform verlegen könne oder verlegen wolle. Ich darf darauf eine Antwort geben: Wenn jemand bisher den Weg zur Steuerreform verlegt hat, dann waren es die Bundesregierung selbst und die sie tragenden Parteien.
({0})
Dazu noch eine grundsätzliche Feststellung: eine rationale Steuerreform mit Verteilungsgerechtigkeit ist nur in einem relativ inflationsfreien Klima durchzuführen.
({1})
Daß dieses Klima heute nicht vorliegt, ist nicht die Schuld der „Sündenböcke", nach denen die Bundesregierung dauernd zu jagen sich bemüht, sondern das ist in erster Linie ihre eigene Schuld
({2})
wegen der Sünden, die im Laufe der Jahre, seit 1969, wider die Gebote normaler Stabilitätspolitik begangen worden sind.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat seine Ausführungen mit einem Kompliment an die Finanzpolitik der CDU/CSU-Regierungen eingeleitet. Aber dieses Kompliment war mit einem Pferdefuß versehen; es stank auch nach Schwefel.
({3})
Denn er heftete diesem Kompliment an, daß die Finanzpolitik, die Steuerpolitik der CDU/CSU-Regierungen gewisse wirtschaftliche Prozesse gefördert habe. Er kann die Zweckmäßigkeit dieser Prozesse nicht leugnen; denn die Bundesrepublik wäre heute nicht da, wo sie ist, und die SPD könnte nicht plakatieren: „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land", wenn wir nicht damals wider die Politik sozialistischen Neides diese Steuerpolitik betrieben hätten.
({4})
Wenn er aber heute sagt, nunmehr gelte es, die Verteilungsgerechtigkeit in 'den Vordergrund zu stellen, dann möchte ich ihm einmal fragen: Was heißt Verteilungsgerechtigkeit bei null Prozent Wachstum? Das ist der erste große Vorbehalt: daß diese Bundesregierung durch die Hektik ihrer Konjunkturpolitik, durch ihre Versäumnisse und Fehler die Voraussetzungen nicht nur einer rationalen Steuerreform, sondern auch echter Verteilungsgerechtigkeit weitgehend zunichte gemacht hat.
Wenn der Finanzminister darüber hinaus aber den Eindruck erwecken will, daß nunmehr das Zeitalter der Verteilungsgerechtigkeit beginne, dann darf ich ihm sagen, daß er hier Steuerfachleute seines Ministeriums bemühen muß; denn zum Steuerfachmann wird man nicht ernannt, sondern das kann man nur durch eigene Bemühungen werden.
({5})
- Ja, ich habe mich aber nie bemüht, der Cassius Clay der deutschen Finanzpolitik zu sein.
({6})
Ich darf in diesem Zusammenhang nur wenige Stichworte nennen. Im Jahre 1955 ist die Rentenbesteuerung geändert worden. Die Rentenbezüge werden seitdem lediglich mit dem Ertragsanteil und nicht mehr in voller Höhe wie vorher als Einkünfte erfaßt. Am 1. Januar 1958 ist ein neuer Progressionstarif bei der Einkommen- und Lohnsteuer mit einer vorgeschalteten Proportionalzone von 20 % Spitzensteuersatz bei einem Spitzensteuersatz von 53 % eingeführt worden. Damals fielen 95 % aller Steuerpflichtigen in die Proportionalzone von 20 %.
({7})
Heute fallen nur noch etwa 20 bis 30 % der Steuerzahler in diese Proportionalzone;
({8})
die anderen fallen in eine Progressionszone. Dieses Übel wird auch durch die heute hier vorgelegte Steuerreform nicht behoben, sondern in einigen Jahren eher noch verschärft werden.
Drittens. Damals, am 1. Januar 1958, ist auch die steuererhöhende Haushaltsbesteuerung zwischen Ehegatten aufgegeben und eine moderne Ehegattenbesteuerung in Form des sogenannten Splitting, bei dem das erzielte Einkommen jedem Ehegatten jeweils zur Hälfte zugerechnet wird, eingeführt worden. Am 1. Januar 1962 sind der Kinderfreibetrag für das erste Kind von 900 DM auf 1200 DM sowie der Altersfreibetrag erhöht und Höchstbeträge für außergewöhnliche Belastungen eingeführt worden. Am 1. Januar 1965 ist die Proportionalzone von 20 % auf 19 % gesenkt worden. Jetzt soll sie wieder auf 22 % bei Erhöhung des Grundfreibetrags, wie ich ausdrücklich bemerken möchte, ausgedehnt werden. Damals ist auch der sogenannte Mittelstandsbauch beseitigt worden, und zwar in der Progressionszone bei Einkommen zwischen 8000/16 000 DM bis 75 000/ 150 000 DM. Das trifft heute eine Schicht, die man nicht mehr als die Großverdiener bezeichnen kann, sondern deren größerer Teil bei der heutigen Kaufkraft unseres Geldes aus kleinen und mittleren Einkommen besteht. Damals ist die Altersgrenze für die Freibeträge für die in Ausbildung befindlichen Kinder von 25 auf 27 Jahre erhöht worden. Am 1. Januar 1965 ist gleichzeitig erstmalig der Arbeitnehmerfreibetrag in Höhe von 240 DM eingeführt worden, dessen Verdoppelung ab 1. Januar 1970 die erste Bundesregierung Brandt versprochen und bis heute nicht gehalten hat,
({9})
obwohl sie die Landtagswahlkämpfe des Jahres 1970 damit bestritten hat. Wir haben damals im Zuge unserer stabilitätspolitischen Vorstellungen in diesem Hause die unpopuläre Aufgabe übernommen - auch ich -, vor einer Steuersenkung zu warnen, weil sie zu jenem Zeitpunkt, zu dem es noch möglich gewesen wäre, die Inflation an der Wurzel zu packen, durch ihre Wirkungen tatsächlich inflationsfördernd gewesen wäre. Wir haben damals auch die
Einkommensgrenze für Steuerfreiheit bei Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen von 15 000 auf 24 000 DM erhöht.
Am 1. April 1965 ist eine wesentlich verbesserte Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand durch das 312-DM-Gesetz erfolgt. Am 1. Januar 1968 wurde die Mehrwertsteuer eingeführt; damit war die Ablösung der konzentrationsfördernden Allphasenbruttoumsatzsteuer erfolgt. Die Umstellung des Mehrwertsteuersystems hat sich seinerzeit laut Feststellung des Sachverständigengutachtens ähnlich wie eine Verminderung der direkten Steuern, vor allen Dingen für die kleineren und mittleren Selbständigen, ausgewirkt.
Im Jahre 1969 ist die Verbesserung der Sparförderung, der Wohnungsbauförderung erfolgt: die Gewährung einer Zusatzprämie für Sparer und Bausparer mit niedrigem Einkommen. Dazu ist eine zusätzliche Förderung des vermögenswirksamen Sparens erfolgt.
Ich habe hier nur einen wesentlichen Ausschnitt aus den gesetzlichen Änderungen angeführt, die seinerzeit unter CDU/CSU-Regierungen und CDU/CSUFinanzministern vorgenommen worden sind. Auch das ist ein Beitrag zur Herstellung der objektiven Wahrheit in diesem Hause, um damit der Schwarzweißmalerei zu begegnen. Es ist nicht so, daß die von Herrn Schmidt begrüßte Förderung der Wirtschaftsprozesse eine Begünstigung der Großen gewesen sei, denen gegenüber jetzt die Verteilungsgerechtigkeit nach 25 Jahren Verspätung einsetzen müsse. Mit diesem Stil, Herr Schmidt, wirken Sie in diesem Hause polarisierend und zerstören die Gemeinschaft, die Sie dann wieder verlangen.
({10})
Dazu noch ein weiteres Wort. Sie haben hier heute versucht, mit Warm-Kalt-Wechselbädern zu operieren. Die Methode ist nicht neu. Wer Sie so lange kennt wie wir, ist davon nicht überrascht. Nur Neulinge können davon noch überrascht werden. Wenn Sie von der Gemeinschaftsaufgabe Steuerreform sprechen, dann können Sie sich hier auf unsere volle Zustimmung verlassen. Wir haben die Reform nie anders aufgefaßt, auch ich als Bundesminister der Finanzen in den Jahren 1966 bis 1969 nicht. Sie können dann aber nicht zwei Dinge machen: gleichzeitig hier als drohender Jakobiner auftreten und sagen, Sie würden die Öffentlichkeit mobilisieren, wenn wir Ihnen nicht in allem zu Willen seien.
({11})
Das heißt nicht Gemeinsamkeit, sondern Aufwiegelei.
({12})
Wenn Sie eine Gemeinsamkeit gesucht hätten, dann hätten Sie im Vermittlungsausschuß, der ja vom Bundesrat angerufen worden ist, ernsthafte Bemühungen unternehmen oder auch nur sichtbare Zeichen guten Willens erbringen müssen, in den strittigen Punkten den Sinn des Vermittlungsausschusses zu erfüllen, nämlich zwischen zwei Standpunkten einen für beide Seiten brauchbaren, vertretbaren Kompromiß anzubieten oder zu ihm beizutragen, statt sich hinzustellen, wie es im Vermittlungsausschuß geschehen ist, und zu sagen: Entweder nehmen die Länder und die CDU/CSU das an, was wir wollen und mit unserer Mehrheit im Bundestag beschlossen haben, oder es gibt keine Vermittlung. Das ist doch geschehen.
({13})
Darum ist es sinnlos, hier einen Appell an das Gemeinschaftsbewußtsein zu richten, sich aber auf der anderen Seite im Vermittlungsausschuß so zu verhalten, wie ich es eben geschildert habe.
Was die strittigen Punkte beim Erbschaftsteuergesetz anlangt: sehr verehrter Herr Bundesminister der Finanzen, war es da denn wirklich so unzumutbar, die Freigrenzen für Kinder angesichts der Auswirkungen der Einheitswerte, wie sie sich jetzt mit dem Multiplikator 1,4 ergeben, von 70- auf 90 000 DM zu erhöhen? Ist es wirklich unzumutbar, Arbeitnehmerstiftungen von der Erbschaftsteuer freizustellen? Für alle möglichen Zwecke kann man Erbschaftsteuerfreiheit bei Stiftungen erreichen, aber bei Arbeitnehmerstiftungen nicht. Selbstverständlich schließe ich hier auch das Thema Familienstiftungen mit ein.
({14})
- Ich bin gern bereit, bei einer anderen Gelegenheit darüber zu reden. Heute habe ich die Zeit nicht dazu.
({15})
- Sie werden doch nicht glauben, daß i c h dem Thema aus dem Wege gehe.
Warum kommen Sie uns nicht entgegen in dem wichtigsten Punkte, der noch wichtiger ist als die eben genannten, nämlich in dem Punkte, daß das vorliegende Erbschaftsteuergesetz - ({16})
- Angesichts der Kürze der Zeit kann ich leider keine Fragen beantworten.
({17})
Dafür ist heute zuviel Redezeit infolge eines Fehlers im Präsidium sowie durch die Länge der Rede des Bundesfinanzministers, die ich ihm zubillige, leider weggenommen worden.
({18})
- Ich möchte nicht wissen, wie Sie sich verhalten hätten, wenn Ihnen im Widerspruch zu der Geschäftsordnung das Wort entzogen worden wäre.
({19})
Aber das ist nicht das Thema.
Der wichtigste Punkt war der vierte Punkt, nämlich daß wir bereits die Ankündigungen vorliegen
haben, wonach man beabsichtigt, die Einheitswerte von 1964 mit dem Multiplikator 1,4 demnächst wieder aufzugeben, in den Jahren 1974, 1975 eine Neubewertung durchzuführen, dieser Neubewertung die Verkehrswerte zugrunde zu legen und sie dann im Jahre 1976 einzuführen. Diese neuen Einheitswerte, automatisch angewandt auf Grund der Gesetzessystematik und -automatik auf das vorliegende Erbschaftsteuergesetz, würde dann eine so schwerwiegende Belastung auch der kleinen und mittleren Grundstückseigentümer bedeuten, daß ein großer Teil von ihnen im Erbschaftsfall nicht mehr in der Lage wäre, das väterlich erworbene und übernommene Eigentum noch erhalten zu können. Darum sind wir dagegen.
({20})
Wenn die sozialdemokratische und sogenannte freidemokratische Seite hierbei im Vermittlungsausschuß sagt: „Hier ist der Gesetzentwurf, Vogel, friß oder stirb, ihr könnt ihn nur so schlucken, wir sind zu keinerlei Kompromiß bereit", so ist das kein Anzeichen dafür, daß man Steuerreform als eine gemeinsame Aufgabe der demokratischen Kräfte in diesem Hause auffaßt und bereit ist, dafür auch entsprechende Konzessionen zu machen.
({21}) So viel zunächst.
({22})
Im Werdegang der Steuerreform gibt es wenig Glanz und viel Elend. Das hat auch der Herr Bundesminister der Finanzen eingestanden. Wenn ich an den Werdegang der Steuerreform nach Veröffentlichung des Gutachtens der noch von der Regierung Kiesinger eingesetzten Steuerreformkommission denke: Den Sternstunden, In denen von der Koalitionsregierung SPD/FDP die Geburt des Jahrhundertwerkes angekündigt wurde, der wichtigsten Reform im Gesamtgebäude aller Reformen, folgten Phasen tiefster Ratlosigkeit, verzweifelter Depressionen, in denen das gerade Verkündete als voller Absurditäten und Ungereimtheiten steckend bezeichnet wurde; so von dem offiziellen Regierungssprecher Conrad Ahlers, damals Staatssekretär, heute Bundestagsabgeordneter der SPD.
({23})
So geht es in dieser Koalition mehr oder minder mit allen groß angekündigten Reformvorhaben.
Die von mir als dem damaligen Finanzminister Ende 1968 einberufene Steuerreformkommission trat am 17. Dezember 1968 zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Dabei wurde ihr nachstehender Auftrag erteilt, und an diesem Auftrag ist die Vorlage auch heute noch zu messen:
Die Kommission erhält den Auftrag, ein Gutachten zur Vorbereitung einer umfassenden
Steuerreform auszuarbeiten, die sowohl die
direkten Steuern als auch die indirekten Steuern
- nicht zuletzt wegen des europäischen Zusammenhangs sowie die Prämiengesetze behandelt... .
Die Vorschläge der Kommission sollen zu einem Steuerrecht führen, das - ohne Aufgabe der allgemein gültigen Grundsätze des Steuerrechts - insbesondere den Zielsetzungen einer modernen Finanzpolitik entspricht sowie den Grundsatz der Gleichmäßigkeit und sozialen Gerechtigkeit der Besteuerung berücksichtigt. Dabei sollen auch Möglichkeiten zum weiteren Abbau von Steuervergünstigungen eingehend untersucht werden. Ganz besonderer Wert ist auf eine Vereinfachung des Steuerrechts zu legen. Es werden schließlich die Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der EWG berücksichtigt werden müssen, wobei u. a. auch das Verhältnis zwischen den direkten und den indirekten Steuern von Bedeutung sein wird.
Durch die Steuerreform soll das Volumen der Steuereinnahmen gegenüber dem jetzigen Rechtszustand einschließlich der Zuwachsquoten nicht verändert werden.
Wenn Sie sich - wenn ich diese Nebenbemerkung noch machen darf - über die Haltung der Unionsparteien und der von der Union regierten Länder im Zusammenhang mit den einheitswertabhängigen Steuern und ihrer Änderung so erregen, dann möchte ich hier in aller Deutlichkeit feststellen: Wir haben nicht die Absicht, die Erklärung des Bundestages vom Jahre 1965 zu einer reinen Farce werden zu lassen mit dem Ergebnis, daß das Ansehen des Parlaments und das Vertrauen der Öffentlichkeit in parlamentarische, damals einstimmige Erklärungen systematisch zunichte gemacht werden; denn damals wurde die steuerliche Neutralität der Einführung der neuen Einheitswerte in einer Vorspannerklärung vom ganzen Hause verkündet. Heute wird nach dem Grundsatz gehandelt: Was kümmert mich das dumme Geschwätz von damals!
({24})
Am 30. März 1971 überreichte die Kommission dem Bundeskanzler das Gutachten. Der zu dieser Zeit amtierende Bundesfinanzminister Dr. Alex Möller, dessen Abwesenheit aus dem von Herrn Schmidt mitgeteilten Grund wir alle sehr bedauern - auch wenn ich es ohne Auftrag tue, möchte ich sagen, daß wir alle, unabhängig von allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten, seine Rückkehr in voller Gesundheit von Herzen wünschen -,
({25})
kündigte in der sozialdemokratischen Wochenzeitung „Vorwärts" eine Steuerreform an, die in ihrem Ausmaß nur an der Erzbergerschen Finanzreform gemessen werden könnte.
({26})
Es heißt dort:
Was die Steuergeschichte der letzten fünf Jahrzehnte im Gründungsjahr der deutschen Demokratie unter Männern wie Friedrich Ebert
- der im übrigen nach der neuen Briefmarkenjubilarin Rosa Luxemburg ins Zuchthaus gehört hätte ({27})
und Gustav Bauer begonnen hat, muß heute in der Ära von Gustav Heinemann und Willy Brandt vollendet werden.
Hier weht uns der Hauch der großen Geschichte an. Damals, im Geburtsjahr der deutschen Demokratie, wurde wie heute die Regierungsverantwortung von einer Koalition mit einer SPD-Mehrheit getragen. Dem Zurück- und Vorwärtsblickenden drängen sich historisch-politische Parallelen auf, die den über fünfzigjährigen Zeitraum in einem großen Bogen überspannen und zugleich abzurunden scheinen.
Ob die 850 Gramm Teilwerk, von denen heute die Rede ist, die damalige Würdigung verdienen, überlasse ich mehr den Kabaretts als einer ernsthaften Betrachtungsweise.
({28})
In der am 10. Mai 1971 gehaltenen Rede des Kollegen Möller vor dem Deutschen Steuerkongreß in Bonn hat er folgendes angekündigt:
Den Schwerpunkt der Steuerreform bildet das 2. Steuerreformgesetz,
- damals war es noch das zweite das die Reform der Einkommensteuer, des Lohnsteuerverfahrens, der Sparförderung, der Körperschaft-, Gewerbe-, Vermögen-, Erbschaft-
und Grundsteuer umfaßt. Im 3. Steuerreformgesetz soll dann die Neuregelung der Verkehr-und Verbrauchsteuer erfolgen... Der Gesetzentwurf für das 2. Steuerreformgesetz wird so rechtzeitig fertiggestellt, daß er noch in diesem Jahr
- 1971! den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden kann. Für die politischen Beratungen steht das Jahr 1972 zur Verfügung. Im Anschluß an das 2. möchten wir das 3. Steuerreformgesetz einbringen. Es wäre im Interesse eines einheitlichen Inkrafttretens der gesamten Steuerreform zum 1. Januar 1974 zu begrüßen, wenn auch dieses Reformgesetz noch in der laufenden Legislaturperiode vom Deutschen
Bundestag verabschiedet werden könnte.
Drei Tage hernach, am 13. Mai 1971, trat der damalige Bundesfinanzminister zurück. Von einem Reformgesetz, das eine Neuregelung der Verkehr-
und Verbrauchsteuern enthalten sollte, war seitdem niemals mehr die Rede. Die Nichteinhaltung eines solchen Zeitplans - im Falle eines „Jahrhundertwerks" von besonderer Bedeutung - gehört sozusagen zum Gewohnheitsrecht dieser Regierung.
Die Nichteinbeziehung der Verkehr- und Verbrauchsteuern - die ich vorhin schon eine Sünde wider die Notwendigkeit der Harmonisierung des europäischen Steuerrechts bezeichnet habe - in das Reformvorhaben bedeutet ein wesentliches Abweichen von den Reformzielen, wie sie ursprünglich festgelegt und von Finanzminister Möller noch mit vollem Nachdruck getragen worden sind. Statt dessen wurden die Verbrauchsteuern durch ständige Erhöhungen und Vorverlegung der Zahlungsfristen zur Finanzierung der Inflationslöcher des Haushalts eingesetzt: 1971 durch die Verlängerung der Heizölsteuer 1 Milliarde jährlich, durch die Erhöhung der Branntwein-, Mineralöl- und Tabaksteuer 1972 mit ausmachendem Wert von 4 Milliarden DM jährlich, durch die zweite Mineralölsteuererhöhung 1973 mit 2 Milliarden DM jährlich. Damit hat die Bundesregierung eine Finanzmasse in Höhe von 7 Milliarden DM, die für eine Steuerreform hätte eingesetzt werden können und müssen, zur Deckung der Folgen ihrer Inflationspolitik verwandt und auch insoweit die Voraussetzungen für eine befriedigende Steuerreform versäumt und verspielt.
({29})
Sie hat damit den Umfang des Reformvorhabens wesentlich eingeschränkt. Würden die 7 Milliarden DM Verbrauchsteuern als Entlastungsmasse oder als Deckungsmasse für Entlastungen der immer schreiender werdenden Ungerechtigkeiten im Bereich der Lohnsteuer verwendet werden können, hätte es dieses ganze Theater nicht gegeben, mit dem wir uns in den letzten Monaten haben befassen müssen.
({30})
Gerade der Einsatz der speziellen Verbrauchsteuern zur Finanzierung von Verbesserungen des Einkommensteuerrechts, z. B. zur Verbesserung für untere und mittlere Einkommenschichten, wäre doch ein sinnvolles Reformvorhaben gewesen. Im übrigen bedeuten der - ich kann nur diesen Ausdruck gebrauchen - „Fleckerlteppich" - so sagt man bei uns -, der jetzt als Steuerreform ausgegeben wird, und die Ausklammerung der Verkehr- und Verbrauchsteuern aus den oben genannten Gründen, daß man sich nicht auf das Ziel der europäischen Steuerharmonisierung zubewegt hat, daß also dieser Orientierungspunkt unter dem Druck der Fehler und Versäumnisse und ihrer Wirkungen, jedenfalls zunächst einmal, aufgegeben worden ist.
Auch in der Steuerpolitik dieser Regierung stehen Versprechungen und Wirklichkeit in schroffem Gegensatz zueinander. In der Regierungserklärung 1969 wurden doch die sofortige Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages und der stufenweise Wegfall der Ergänzungsabgabe - Steuerausfall: 2,1 Milliarden DM jährlich - versprochen. Die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages wurde dem Arbeitnehmer immer als Zukunftsziel mit einer halbjährlichen Prolongation in Aussicht gestellt.
Der Wegfall der Ergänzungsabgaben ist selbstverständlich zu erwarten, weil sie in den Tarif eingebaut wird. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt - ich bin kein Archäologe, ich schleppe auch in meinem Koffer nicht so viele Notizen herum wie
Sie, Herr Wehner, und deshalb kann ich auch nicht immer in dem reichhaltigen Schatz eigener stenographischer Leistungen wühlen; ich habe ja von zahlreichen Sitzungen her in Erinnerung, daß Sie in der Lage waren, alle Sitzungen mit einem intensiven stenographischen Arbeitsprogramm aufzunehmen -, habe ich einmal gesagt: Die Ergänzungsabgabe wird gar nicht wegfallen - das habe ich in diesem Hause und von dieser Stelle aus einmal gesagt -, denn sie wird in den nächsten Tarif eingebaut werden. Lesen Sie einmal die Zwischenrufe nach, die mir damals entgegengeklungen sind! Der harmloseste war: „Jetzt spielt er den Propheten!" Es gab auch noch andere. Nur, der Prophet gilt Ihnen auf dieser Seite des Hauses nichts. Aber in diesem Falle hat er recht gehabt.
Statt dessen wurden laufend die oben genannten Steuererhöhungen - abgesehen von den noch zusätzlichen, konjunkturpolitisch motivierten - vollzogen. Wenn Sie heute fragen, ob die Steuerverwaltung in der Lage ist, das zu erfüllen, was Sie ihr zumuten, dann muß ich ein paar Stichworte sagen: die konjunkturpolitisch motivierten Steuererhöhungen, die Stabilitätsabgabe, die Aufhebung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen bei Sonderausgaben, die Investitionsteuer, die vorübergehende Aussetzung der degressiven Abschreibung, die wohl endgültige Aufhebung der degressiven Abschreibung bei Gebäuden, statt dessen Wiedereinführung des § 7 b, der auch vorübergehend ausgesetzt worden war. Die Ergänzungsabgabe wird jetzt nach dem Entwurf des sogenannten Dritten Steuerreformgesetzes in den Einkommensteuertarif eingearbeitet.
Dazu besteht offensichtlich sogar noch die Absicht - und das hätten wir von Ihnen, Herr Bundesminister der Finanzen, gern noch einmal etwas näher gehört -, den steuerlichen Stabilitätszuschlag von 1973, der auf Stottern eingeführt wurde - zunächst nur für eine kleine Schicht höherer Einkommen, ab 100 000 bzw. 200 000 DM jährlich, dann, unter dem Druck der Inflationsverhältnisse, für Einkommen ab 24 000 bzw. 48 000 DM jährlich, leider nicht rückzahlbar - nicht, wie im Gesetz vorgesehen, am 30. Juni. auslaufen zu lassen, sondern zu verlängern. Man hört so Zwischenklänge aus dem Bundesministerium der Finanzen und aus dem ideologisch befreundeten Kreisen, daß man ja doch nicht diese Stabilitätsausgabe auslaufen lassen könne, obwohl es im Gesetz steht, bevor die Erleichterungen für die kleinen und unteren Einkommen, die frühestens am 1. Januar 1975 zu erwarten sind, eintreten würden. Genau das, was ich damals hier sagte: Man wird dann, wenn die Frist kommt -30. 6. 1974 - sagen: Das ist eine Steuersenkung für die Reichen, eine Verminderung ihrer Steuerlast, die kann man doch jetzt nicht vornehmen. Hier warte ich einmal, ob die FDP, diesmal wenigstens, bei ihren Festlegungen bleibt.
({31})
Es hieß dann, der Vorschlag, die Stabilitätsabgabe
wenigstens einmal um ein halbes Jahr zu verlängern, ist doch in einer Vorlage des Bundesfinanzministeriums enthalten - nicht in einer Vorlage für das Kabinett; man muß sehr sorgfältig formulieren, weil hier kasuistisch-dialektische Antwortmöglichkeiten gegeben sind. Sicherlich ist der Vorschlag aber doch in einer für die Kenntnisnahme durch die anderen Ressorts bestimmten Frühwarnung enthalten.
Später hat man rundweg abgestritten, daß je ein solcher Vorschlag gemacht wurde. Man sieht also: Vorschlag ist nicht gleich Vorschlag. Es ist immer zu prüfen, was ein Vorschlag dann ist. Hier werden wir sehen, ob diese Regierung überhaupt noch gewillt und in der Lage ist, gegebene, gesetzlich fixierte Zusagen einzuhalten. Wir werden hier auch sehen, ob der Kollege Klaus Dieter Arndt oder Graf Lambsdorff ({32}), die beide völlig entgegengesetzte Standpunkte vertreten haben, recht behält. Arndt hat damals unverblühmt erklärt, daß der künftige Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer 60 % betragen wird, der Konjunkturzuschlag, der Stabilitätszuschlag also nicht mehr aufgehoben wird. Ich habe damals gesagt, es wäre eine Ausnahme, wenn das nicht käme; denn Herr Arndt pflegt immer - offiziell dementiert, aber als Vorreiter zukünftiger offizieller Maßnahmen - das tatsächlich anzukündigen, was dann später Wirklichkeit wird. Weil sich ja doch die Wahrheiten in dem Hause, laut unserem Bundeskanzler, täglich ändern, so ändern sich natürlich auch die Wahrheiten auf diesem Gebiet.
({33})
Graf Lambsdorff versicherte auf meine Frage in der Konjunkturdebatte vom 15. März - schade, er ist nicht da, sonst könnte er gleich seinen Standpunkt noch einmal bekräftigen -, daß die Stabilitätsabgabe kein Einstieg in die Steuerreform sein wird, also der Zuschlag am 30. Juni 1974 endgültig auslaufen und nicht in einem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 60 % einmünden werden.
Bei Verkündung der Eckwerte der Bundesregierung zum 3. Steuerreformgesetz am 11. Juli 1971 wurde die Steuerreform als das größte Reformvorhaben der deutschen Nachkriegsgeschichte bezeichnet; so damals Professor Schiller. Ich habe in einer Presseerklärung damals zum Ausdruck gebracht, daß, wenn diese Eckwerte Gesetz werden, eine von der CDU/CSU geführte Bundesregierung sie wegen ihrer unsozialen Härten für kinderreiche Familien, für Beamte, für den selbständigen und unselbständigen Mittelstand raschestens wieder ändern müsse. Am 28./29. 10. 1971 wurden diese mit soviel Feierlichkeit als Jahrhundertwert verkündeten Eckwerte von ihren Verkündern und Produzenten selbst wieder bestritten, selbst wieder geändert. Die Eckwerte wurden dann aber auch in der neuen Fassung, nach ihrer Korrektur im Oktober 1971 vom Regierungssprecher Ahlers in der Pressekonferenz am 1. April 1973 dahin gehend charakterisiert, daß auch sie noch voller „Absurditäten und Ungereimtheiten" steckten.
({34})
Am 12. September 1973 - man sieht, was das für ein pannenreiches Unternehmen ist - wurden die
Eckwerte zum drittenmal geändert. Ende Oktober legte die Bundesregierung das 3. Steuerrformgesetz vor.
Dieser Werdegang der Steuerreform - man verzeihe es mir wegen des zeitlichen Zusammenfallens dieser Debatte mit bedeutenden gesellschaftspolitischen Ereignissen in diesem Lande - gleicht einem steuerpolitischen Karnevalszug, der bereits im fünften Jahr unterwegs ist und dessen Figuren zum Teil bereits auf der Strecke geblieben sind. Ich nenne nur die Namen der Minister Möller und Schiller, der Staatssekretäre Haller und Offergeld. Vielleicht stehen Sie auch einmal auf der Liste, Herr Schmidt. Die Echternacher Springprozession ist demgegenüber ein zielstrebiges, erfolgreiches Unternehmen.
({35})
Dabei darf ich in Erinnerung rufen, daß diese Bundesregierung das erste Steuerreformgesetz, auf das sich Herr Schmidt heute mit viel Stolz berufen hat, nämlich die Abgabenordnung, gründlich vorbereitet und vorlagereif vorgefunden hat. Noch heute nach viereinhalb Jahren ist dieses Gesetz, dessen Gegenstand leichter zu regeln ist als die materiellen Vorschriften, wie ich zugebe, noch nicht vom Parlament verabschiedet. Warum? Denn der Steuerpflichtige wartet auch auf die Bundesabgabenordnung, die ihm mehr Rechtssicherheit verschaffen soll. Warum ist sie nicht verabschiedet worden? Ich sage es ohne Tadel, aber als Feststellung: weil im Strudel der regierungsamtlichen Inflationspolitik und der durch sie hervorgerufenen Steueränderungshektik der Finanzausschuß des Bundestages so viele Steuergesetze beraten mußte, daß für die Verabschiedung dieses im Jahre 1969 druckreif, vorlagereif übernommenen Vorhabens bis jetzt noch nicht genügend Zeit vorhanden war.
Das von Finanzminister Möller angekündigte zweite Steuerreformgesetz wurde nach dessen Rücktritt in ein zweites und drittes Steuerreformgesetz aufgeteilt. Das zweite befaßt sich mit der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer usw. Das dritte liegt heute, mit 850 Gramm soeben angekündigt, bei uns.
({36})
Darüber hinaus ist es noch in ein viertes aufgeteilt worden, nämlich in das verabschiedete Grundsteuerreformgesetz. Aus dem zweiten Steuerreformgesetz sind nunmehr drei Steuerreformgesetze geworden. Eines ist verabschiedet, die Grundsteuer, das zweite -- Erbschaft- und Vermögensteuer - ist strittig, das dritte haben wir beinahe kiloschwer vor uns liegen. „Habent sua fata libelli" kann man da nur sagen, auch zu dem; das wird sich sehr bald herausstellen.
Damit wurde aber der Wegfall des ursprünglich von Herrn Möller angekündigten dritten Steuerreformgesetzes, nämlich der Reform der Verkehr-
und Verbrauchsteuer, durch einen Zahlentransfer stillschweigend dem Bewußtsein entzogen. Man hat drei angekündigt, das eigentliche dritte in der Versenkung verschwinden lassen und das zweite nunmehr in vier Gesetze aufgeteilt. Man hat damit
mehr Steuerreform als früher, jedenfalls in der Betrachtungsweise dieser Regierung. Aber ein wesentlicher Teil ist dabei im Papierkorb verschwunden.
({37})
Ich kann nur sagen: Legen Sie Ihre sture Rechthaberei und Ihre ideologische Besessenheit ab, und Sie können sich mit dem Bundesrat, auch mit der Mehrheit des Bundesrats in der Frage der Vermögen- und Erbschaftsteuer einigen.
({38})
Und hier sollen Sie die Anklage nur an sich selber und nicht an die Adresse der CDU/CSU und der von ihr geführten Länder-Regierungen richten. Denn wir halten die Änderungen im Vermögen- und Erbschaftsteuerrecht, insbesondere die Erleichterungen, die höheren Freibeträge, angesichts der festgelegten Einheitswerte, wie sie notfalls auch durch Gerichtsurteil eingeführt werden würden, für eine dringende gesellschafts- und ordnungspolitische Notwendigkeit. Wenn das Vorhaben scheitert, dann nur dank Ihrer Sturheit und Rechthaberei, aber nicht wegen unseres bösen Willens.
({39})
Auch die Aufteilung des neuen dritten Steuerreformgesetzes - - Ich glaube, der normale Zuhörer kommt schon beinahe nicht mehr mit. Ursprünglich sollten es doch drei sein: erstens die Abgabenordnung, zweitens alle direkten Steuern und drittens alle indirekten Steuern. Die Abgabenordnung liegt vor und kommt in absehbarer Zeit. Das zweite Gesetz ist in der Zwischenzeit auf vier Gesetze aufgeteilt worden. Eines der vier heißt jetzt drittes Steuerreformgesetz. Auch die Aufteilung des dritten Steuerreformgesetzes ist schon in vollem Gange. So soll die Körperschaftsteuerreform wegen des angeblichen Zusammenhangs mit der Vermögensbildungsabgabe nicht am 1. Januar 1975, sondern später in Kraft treten. Dazu muß eines Tages wohl einiges gesagt werden.
Der Bundesrat hat am 20. Dezember in seinem Durchgang einstimmig - auch mit den Stimmen der SPD-geführten Landesregierungen - seine Stellungnahme abgegeben, wonach erstens das Einkommensteuergesetz 1975 und das Sparprämiengesetz 1975, also hier die 850 Gramm, nicht in ihrer Gesamtheit zum 1. Januar 1975 in Kraft treten können, zweitens der Familienlastenausgleich nicht von der Finanzverwaltung, sondern nur von der Arbeitsverwaltung durchgeführt werden kann, was ebenfalls seine Anwendung ab 1. Januar 1975 ausschließt. Ich lege Wert darauf, noch einmal zu sagen: einstimmig ist das vom Bundesrat festgestellt worden.
In seiner Rede vor dem Bundesrat am 20. Dezember 1973 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Porzner wörtlich:
Eine Reform in mehreren Stufen könnte sich noch aus anderen Gründen aufdrängen. Als die Bundesregierung im Oktober dieses Jahres ihre Beschlüsse faßte, konnte sie davon ausgehen, daß die wirtschaftliche Situation im Jahre 1975
eine Minderung der Steuereinnahmen erlauben werde. Deshalb muß über den Zeitpunkt des Inkrafttretens
- also 1. Januar 1975 des Gesetzes oder einzelner Teile davon im Laufe des nächsten halben Jahres entschieden werden.
Auch die Bundesregierung teilt in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates die Bedenken wegen des Inkrafttretens. Es heißt dort:
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wird zu prüfen sein, welche Reformmaßnahmen bereits am 1. Januar 1975 in Kraft gesetzt werden können.
Dagegen glaubt die Bundesregierung, daß der Kinderlastenausgleich in der von ihr vorgesehenen Form mit einer ungeheuren Mehrbelastung der ohnehin bis zum Zusammenbrechen überlasteten Finanzverwaltung in Kraft gesetzt werden könne, das aber entgegen der einstimmigen Stellungnahme des Bundesrates.
Herr Kollege Schmidt, es ist doch nicht entscheidend, wie viele Auszahlungsvorgänge es gibt, daß es bei der Finanzverwaltung weniger Auszahlungsvorgänge als bei der Arbeitsverwaltung gibt. Entscheidend ist doch die Zahl der Bearbeitungsvorgänge, und die ist bei der überlasteten Finanzverwaltung genauso groß wie bei der weniger überlasteten Arbeitsverwaltung. Wir sind doch nicht schuld daran, daß die Finanzverwaltung heute mit einer Fülle kurzfristig in Kraft gesetzter, bald wieder aufgehobener, zum Teil widersprüchlicher Vorschriften bis zur ihrer völligen Lähmung in Anspruch genommen worden ist.
({40})
Das ist doch ,diese dilettantische, stümperhafte Steuerpolitik, die hier betrieben worden ist.
Meine Damen und Herren, wir stehen hier vor einer einmaligen Situation.
({41})
- Wenn ich nichts davon verstehe, dann versteht Herr Wertz genausowenig wie ich davon, weil der als Sprecher der Länder den gleichen Standpunkt vertreten hat wie ich.
({42})
Und dazu noch: Das ist immer das billigste Argument, nichts davon verstehen. Mit Ihnen messe ich mich gern, wenn es um ,die intellektuelle Kapazität geht. Das möchte ich nur bei der Gelegenheit einmal gesagt haben. Aber noch ganz gern!
({43})
Im übrigen hat Herr Wertz festgestellt, daß die Bundesregierung, entgegen dem sonst angewandten und vorgeschriebenen Verfahren, gerade dieses, die Verwaltung besonders belastende, weil unerhört komplizierte, materielle und formelle Vorschriften enthaltende Gesetz mit den Ländern überhaupt nicht abgestimmt worden ist.
({44}) Ist das jetzt wahr oder ist das falsch?
({45})
- Ich habe mich nur auf das bezogen, was Herr Wertz sagte. Wenn es unwahr ist, dann hat Herr Wertz die Unwahrheit gesagt, und er als Landesfinanzminister müßte es besser wissen als ich. Dann allerdings ziehe ich es vor, mit Plato zu irren, als mit Unwissenden Recht zu haben.
({46})
Dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, das Kernstück der Steuerreform, wie wir heute gehört haben, ist schon jetzt überholt und nicht durchführbar. Wir reden doch über einen Nichtentwurf, wir reden doch hier über ein Phantom. Dieser Entwurf wird in seinen Kernstücken in dieser Form nicht Gesetz. Darüber besteht auch bei der Bundesregierung und bei den Koalitionsparteien kaum mehr ein Zweifel. Es besteht ein geheimgehaltener Entwurf; wieder unter Aufspaltung des dritten Steuerreformgesetzes, das eines von vieren ist, aus denen das ursprüngliche zweite zusammengesetzt ist. Von den vieren ist nunmehr ein Bestandteil, das dritte, wiederum bereits in der Gesamtheit nicht mehr verabschiedungsfähig.
Aus dem dritten Steuerreformgesetz, das Bestandteile des ehemaligen zweiten Steuerreformgesetzes enthält, ist nunmehr wiederum eine Aufgliederung erfolgt, und zwar ein erstes Gesetz zur Reform der Einkommensteuer. Und das wird als ängstlich gehütetes Staatsdokument ,den Mitgliedern der Opposition im Finanzausschuß vorenthalten. Zuerst wird bestritten, daß es das gibt. Dann wird ein verstohlener Blick hineingeworfen, was ,darin steht und was man vertreten kann. Das sagt man, es gebe das Dokument überhaupt nicht. Im Zweifelsfall dürfe man es nicht hergeben. Das Dokument gibt es doch. Wir kennen dieses Dokument. Die Spatzen pfeifen doch von den Dächern, daß es dieses Dokument gibt.
Das dritte Steuerreformgesetz wird nunmehr wiederum in drei Komponenten aufgeteilt werden: in ein erstes Gesetz zur Einkommensteuerreform, in ein Gesetz zur Körperschaftsteuerreform und in ein zweites Gesetz zur Einkommensteuerreform. Damit sind aus dem Zweiten Steuerreformgesetz von früher vier Bestandteile geworden, und von den vieren hat sich ein Bestandteil in drei aufgelöst oder schickt sich an, sich aufzulösen, weshalb aus dem Zweiten insgesamt sechs werden. Und das nennt man Steuerreform aus einem Guß, Jahrhundertwerk, nur vergleichbar mit den großen Vorbildern à la Miguel im 19. Jahrhundert, Erzberger 'bei Beginn der deutschen Demokratie, und dann von Alex Möller bis Helmut Schmidt in konsequenter Linie, wobei in diesem Falle nichts über Konsequenz geht. So ist doch die Wirklichkeit, wie sie sich hier zeigt.
({47})
Wir verwahren uns gegen diese Täuschung der Öffentlichkeit und des Parlamentes. Wir verwahren uns auch dagegen, daß man Oppositionsabgeordneten im Finanzausschuß dieses Dokument, das peinlich ist, weil es einen Offenbarungseid gegenüber der bisherigen Planung bedeutet, vorenthält. Der Bundeskanzler redet von mehr Durchsichtigkeit der Regierungsvorgänge, mehr Demokratie, mehr Information, mehr Öffnung aller Staatsvorgänge. Wir haben noch nie soviel Geheimniskrämerei, soviel Undurchsichtigkeit und Verschleierung erlebt, und zwar in zunehmendem Maße, wie in den letzten vier Jahre in diesem Hause und in der Öffentlichkeit.
({48})
Sicher kann am 1. Januar 1975 weder ein neuer Kinderlastenausgleich in Kraft gesetzt werden, noch läßt sich die Neuregelung der Sparförderung ab diesem Zeitpunkt praktizieren. Welche Regelungen am 1. Januar nächsten Jahres kommen, ist vollständig offen.
Die Verwirrung wurde aber weiter gesteigert, als die Frau Vorsitzende des Finanzausschusses, die Kollegin Funcke, am 16. Januar 1974 erklärte, daß nur die formalen Änderungen des Einkommensteuerrechts zurückgestellt werden sollten. Ich will ihre Erklärung der Kürze der Zeit halber nicht verlesen. Sie war der Meinung, daß sowohl die Reform des Einkommensteuerrechtes als auch der Familienlastenausgleich sowie all das, was in der Erklärung noch angeführt wird - Einkommensteuer: Tarifverlauf, Anhebung von Grundfreibetrag und Arbeitnehmerfreibetrag sowie der Freibeträge für Alleinstehende mit Kindern, Körperbehinderte; Neuregelung und Anhebung der Sonderausgaben, Entlastung der Sparerträge, Verbesserung der Altersbesteuerung usw. - in Kraft gesetzt werden können. So lautet also ihre Erklärung.
Der Kollege Porzner scheint mit anderen Teilen der Bundesregierung wiederum anderer Meinung zu sein. Der Kollege Schmidt sagt heute, nur die formellen Teile würden zurückgestellt werden. Der Bundesrat erklärt, daß eine Reihe der materiellen Teile nicht in Kraft gesetzt werden kann. Heißt denn das mehr Durchsichtigkeit? Heißt denn das Vereinfachung? Hier wird das Steuerrecht doch zu einem Sondermonopol für einen kleinen Kreis von Magiern, die die ihnen zugänglichen Dokumente den anderen, um deren Mitwirkung Sie hier bitten, vorenthalten, um den Offenbarungseid nicht leisten und ihre wirklichen Steuerreformpläne nicht öffentlich eingestehen zu müssen. Gegen diesen Stil wenden wir uns in diesem Hause und in der Öffentlichkeit.
({49})
Dabei hat Frau Funcke die Körperschaftsteuerreform offensichtlich zunächst schon begraben. Aber das hängt wohl mit höheren Weisheiten der Koalitionsmathematik zusammen.
Aus dieser heillosen Verwirrung ergibt sich für Steuerbürger und Finanzverwaltung, daß zunächst das geltende Einkommensteuergesetz einer Unzahl von Änderungen auch systematischer Art unterworfen wird. Das wird z. B. an dem noch geheimgehaltenen ersten Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, dem Geheimdokument, deutlich, wo die Paragraphenreihe - hören Sie! - schon bei § 34 p - wie Papa ({50})
angelangt ist. In einem zweiten Steueränderungsgesetz wird dann eine Neufassung mit neuer Paragraphenfolge vorgesehen, die die noch steckengebliebenen Reformteile aufnehmen soll. So sind z. B. in dem 850-Gramm-Dokument - das ist vielleicht als Definition klarer, als es Zahlen heute noch sein können - für die Einkommensteuer nunmehr 195 Paragraphen statt bisher 55 Paragraphen vorgesehen. Das ist ein klassischer Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechtes. Was heißt es denn, wenn der Steuerbürger und die Verwaltung in kurzem zeitlichem Abstand zwei neue Einkommensteuergesetze mit verschiedenem Aufbau und verschiedener Paragraphenfolge anzuwenden hätten? Meine Damen und Herren, was stellen Sie sich im Bundesfinanzministerium in diesem Zusammenhang eigentlich vor? Wir haben doch heute schon eine weitgehende Paragraphenverdrossenheit in unserem Lande. Der einzelne Bürger kennt sich in dem Dikkicht und Gestrüpp und Dschungel der Paragraphen und in den Auslegungen durch die Magier, die die höheren Weihen haben, doch schon überhaupt nicht mehr aus. Aus der Paragraphenverdrossenheit erwächst die Beamtenverdrossenheit. Aus der Beamtenverdrossenheit erwächst die Staatsverdrossenheit. Sie sind durch eine solche Behandlung des Steuerreformvorhabens die Mit- und Hauptschuldigen an dieser Entwicklung.
({51})
Ein Beamter des Bundesfinanzministeriums, der noch Humor hatte, sagte, man sollte einen neuen Narrenorden stiften, der zu Weiberfastnacht im Bundesfinanzministerium verteilt werden könnte. Wir haben in Aachen bereits den Orden wider den tierischen Ernst und in Nürnberg den Orden gegen die Neidhammel, heute besonders wichtig. Hinzu käme der Orden für den größten Steuerblödsinn, der in diesen Jahren produziert worden ist. Hier wird sich sicherlich auch ein Preisträger finden.
({52})
- Mehrere, das kann auch sein.
Einige Worte zu den Eckwerten der Bundesregierung.
({53})
Der Spielraum für eine umfassende Steuerreform, die ein sozial gerechtes Steuerrecht schafft, ist durch die Inflationspolitik dieser Regierung zerstört worden. Isolierte Steuererhöhungen bei den Verbrauchsteuern haben, wie erwähnt, eine Deckungsmasse von 7 Milliarden DM aufgefressen. Hier muß ich auch einmal den folgenden Gedanken zur Sprache bringen. Sind wir nicht von der Regierung und von Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ausgelacht worden, als wir im Zusammenhang mit den Mineralölsteuererhöhungen auf die Gefahr aufmerksam machten, daß die
ölverarbeitenden Länder sich nicht dauernd an der Melkkuh „Mineralöl" über die Mineralölsteuer bereichern könnten, ohne daß die ölproduzierenden Länder sich an dem Segen durch höhere Preise auf ihrem reinen Verkäufermarkt, den sie haben, beteiligten?
({54})
Es ist nicht allein die Ölkrise, es ist nicht allein der Krieg zwischen Israel und den arabischen Ländern, der diese Länder auf diesen Gedanken gebracht hat. Das Ganze schwelt schon seit Jahren. Seit Jahren sieht man in diesen Ländern mit steigendem Mißbehagen, daß das Mineralöl, das aus ihrem Boden fließt, zu einer immer stärker ausgebeuteten Melkkuh für die Bedienung der Staatsfinanzen geworden ist. Wie sollten sie, die doch auch nicht aufs Hirn gefallen sind, nicht auf den, Gedanken kommen, einen Teil des Segens in ihre eigenen Kassen abzuleiten! Wir sind damals ausgelacht und verhöhnt worden, als wir vor dieser Entwicklung gewarnt haben.
({55})
Wenn man sieht, daß z. B. im Jahre 1967 noch der Staat an einem Liter Normalbenzin 38 Pfennig verdiente, heute mit den Preisen von jetzt, Verbrauchsteuern und Mehrwertsteuer zusammengerechnet, 53 Pfennig verdient, dann muß ich allerdings in meiner Sprache sagen: Die Ölscheichs sitzen nicht nur in arabischen Ländern, sie sitzen auch auf den Ministerbänken der Finanzressorts, ganz besonders auch in Deutschland.
({56})
Was wir besonders beklagen, ist die Tatsache, daß diese unzureichende Pseudoreform nicht einmal die heimlichen Steuererhöhungen rückgängig macht. Der Vorschlag der CDU/CSU, mit einem Inflationslastenausgleichsgesetz wenigstens einen Einstieg in den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen zugunsten der kleinen und mittleren Einkommen zu erreichen, ist ja von Ihnen, Bundesregierung und Koalitionsparteien, zunichte gemacht worden mit der Begründung: Dafür fehlt das Geld. Ja, wissen Sie denn, ob Sie im Jahre 1975 das Geld haben werden, um die durch Ihre 'Steuerreform aufgetretenen Mindereinnahmen gegenüber den zugrunde gelegten Schätzungen verkraften zu können?
({57})
Dann müssen auch Sie zugeben, daß das auf Sand gebaut ist. Warum soll die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1975 bei der Ungewißheit, die Sie, Herr Schmidt, mit Recht geschildert haben - Zahlungsbilanzdefizite, Zahlungsbilanzstörungen, Zerrüttung des Weltwährungssystems, keine Hoffnung auf europäische Währungsunion, auf europäische Wirtschaftsunion, geschweige denn auf eine Reform des Weltwährungssystems - - Wenn Sie schon uns vorwerfen, das sei unseriös, dann müssen Sie zugeben, daß Ihr ganzes Reformvorhaben, nachdem Sie 7 Milliarden DM jährlich für Inflationsfinanzierung schon vorweggenommen haben, noch unseriöser ist als das, was wir uns vorgenommen haben.
Denn die große Lohnrunde und Tarifrunde findet in diesen Monaten statt. Unsere Absicht - nunmehr in der Konzertierten Aktion von beiden Seiten bestätigt - war es und ist es nicht, den Betrag von 8 Milliarden DM Steuermindereinnahmen auf die Löhne im Sinne mathematischer Gleichheit abzuwälzen. Aber das sind plus 3,4 O/o bei Bruttolöhnen und etwa 2,5 % bei Nettolöhnen. Wenn davon nur die Hälfte durch eine Minderung des Drucks an der Lohnfront aufgefangen wird, dann ist hier in einem Verfahren, das sich allerdings unkonventioneller Mittel bedient, ein Ziel erreicht worden, dem die Volkswirtschaft dann eine größere Beruhigung verdankt, als wenn man in den Lohnverhandlungen mit letzter Härte aufeinanderstößt, mit dem Ernst der Situation, den Sie durch Ihr Nein zu unserem steuerlichen Lastenausgleichsgesetz in erster Linie mit zu verantworten haben und nicht die Gewerkschaften.
({58})
Bei der Konzertierten Aktion haben beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer - die Bundesregierung stand allein -, auf die Bedeutung des Abbaus der heimlichen Steuererhöhungen und auf ihre nicht nur psychologische Wirkung für das Lohnklima bei den kommenden Runden hingewiesen. Wäre man uns vor Weihnachten gefolgt, statt wieder in sturer Rechthaberei und mit dieser üblichen Haltung „Ich bin der Größte" unsere Vorschläge unter den Teppich zu kehren und zunichte zu machen, dann wäre zwar heute das Problem nicht gelöst - ich male nicht schwarz und weiß -, aber wir hätten eine wesentliche Verminderung des Druckes, der in diesen Wochen und in den kommenden Wochen mit einer unerhörten Schärfe auch im öffentlichen Dienst auf uns zukommen wird.
({59})
Aber auch diese Steuerreform bringt ja gar nicht das, was Herr Schmidt hier von ihr versprochen hat, denn die Entlastungswirkung nimmt von Jahr zu Jahr ab. Binnen weniger Jahre wird das, was an Mindereinnahmen gegenüber dem bisherigen Steuerrecht aus dem neuen Einkommensteuerrecht zu erwarten ist, auf den Nullpunkt reduziert sein, und zwar gegenüber dem ersten Jahr bereits im zweiten um 2,5 Milliarden DM weniger und im dritten Jahr um 4 Milliarden DM weniger gegenüber dem ersten Jahr und bei der zu erwartenden - Gott sei es geklagt - anhaltenden hohen Inflationsrate und der dadurch bedingten starken Steigerung der Nominaleinkommen, ohne daß damit eine Steigerung der Realeinkommen verbunden ist, wachsen all diejenigen, die jetzt wenige Jahre von dem neuen Steuerrecht begünstigt werden - eine kleine Schicht der unteren Einkommen und der unteren mittleren Einkommen, zum Teil jedenfalls - sehr bald in eine Progressionszone hinein, in denen das neue Steuerrecht für sie mehr Belastung bringt, als wenn wir das alte, angeblich so unsoziale Steuerrecht beibehalten hätten. Wir wollen es aber gar nicht beibehalten. Das einzig Realistische ist doch der Einstieg mit unserem Vorschaltgesetz, das wir Ihnen jetzt in leicht veränderter Form, weil Weihnachten hinter uns liegt, wieder vorlegen mit dem Vorschlag, den Grundfreibetrag auf 3000 DM zu erStrauß
höhen, eine Verdoppelung der Sparkostenpauschale bei den Werbungskosten zu ermöglichen und den Arbeitnehmerfreibetrag zu verdoppeln. Es ist doch grotesk, daß wir uns für etwas schlagen, damit es im Jahre 1974 eingeführt wird, dessen Einführung Sie im Januar 1970 den Arbeitnehmern versprochen und bis heute nicht gehalten haben.
({60})
Wenn nunmehr der Bundesminister der Finanzen in diesem Zusammenhang wiederum auffordert, unseren Gesetzentwurf zu Fall zu bringen, dann weiß er doch ganz genau - so viel versteht er sicherlich von der Materie -, daß sein sogenanntes drittes Steuerreformgesetz so, wie es vorliegt, bestimmt nicht am 1. Januar 1975 in Kraft treten kann und daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen, ob es in Kraft treten kann, sehr unsicher zu beurteilen sind, daß aber bei gutem Willen aller Beteiligten, den wir anbieten, bei Annahme unserer einfachen Steuersenkungsvorschläge, die sozial geradezu horrende Ungerechtigkeit der schleichenden Steuererhöhungen durch die Lohnsteuerprogression erheblich gemildert wird, daß damit auch eine Entlastung an der Lohn- und Tariffront eintritt und daß wir dann in Ruhe überlegen können, welche Teile des Steuerreformgesetzes am 1. Januar 1975 - dazu gehören auch die Länder - in Kraft treten können. Es ist doch nicht Sabotage, wie Sie es darstellen, wenn die Länder sich gegen verwaltungsmäßig nicht durchführbare Mehrbelastungen wenden. Es ist ein zu billiges Spiel, hier den Ländern den Schwarzen Peter zuzuspielen und zu sagen: Wenn diese nicht wollen, dann werden . . .! Es erklären auch die sozialdemokratisch regierten Länder, daß sie sich außerstande sehen, das Gesetz in der Gesamtheit einzuführen.
Eines wünschte ich: Es wäre doch angenehm, wenn der Herr Bundeskanzler einmal hier laut denken würde statt im Bayerischen Wald oder im Sommerurlaub auf Sylt. Wie kommt denn überhaupt der Termin 1. Januar 1975 zustande, sehr verehrter Herr Bundesminister der Finanzen? Sie wollten ihn ja ursprünglich gar nicht, Sie wollten 1. Januar 1976 haben. Weil die Fraktion der CDU/CSU im Sommer letzten Jahres Steuersenkungen mit Wirkung vom 1. Januar 1974 beschlossen hat, erklärte der Bundeskanzler, man könne sehr wohl an Steuersenkungen ab 1. Januar 1974 denken. Daraufhin ist er doch von Ihnen zurückgepfiffen worden. Er durfte nicht mehr laut, sondern nur noch leise denken. Dann sind Sie aber, weil Sie merkten, was sich hier für ein soziales Unwetter zusammenbraut, mit dem Kompromißtermin 1. Januar 1975 gekommen, für den Sie ein Gesetz vorlegen, dessen Einführung am 1. Januar 1975 sie selber gar nicht so ernst nehmen, wie Sie es heute hier dargestellt haben. Dann hat der Herr Bundeskanzler noch einmal laut gedacht, jetzt im Zusammenhang mit der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages. Er meinte, auch im Laufe dieses Jahres könnte man das schon durchführen. Er ist von Ihnen wieder zurückgepfiffen worden.
Wie heißt es in der dpa-Meldung von heute?
Ich zerreiße Sie in der Luft, warnte Bundesfinanzminister Helmut Schmidt einen Fernsehreporter, wenn Sie mich nach Steuererleichterungen fragen.
({61})
Eine Woche später wurde der Minister konkreter:
Wenn Sie nach Steuern fragen, beschied er den
TV-Mann, dann muß ich den Kanzler bloßstellen.
Und in der gleichen Meldung heißt es:
Einig sind sich CDU/CSU, Gewerkschaften, Arbeitgeber und SPD-Arbeitnehmer, DAG und Conrad Ahlers,
({62})
der Bund der Steuerzahler, Brandt und ein beachtlicher Teil der SPD-Fraktion.
Da sind wir doch wahrlich in der besten Gesellschaft und haben diese Behandlung gar nicht verdient! Wenn jemand in der Isolierung ist, dann sind Sie es, Herr Schmidt. Wenn Sie den Kampf in der Offentlichkeit darüber führen wollen, so nehmen wir ihn mit allen Konsequenzen auf. Sie haben uns ja heute angedroht, Sie würden die öffentliche Meinung mobilisieren. Da sind Sie wohl angesteckt worden von Vorstellungen wie Holzen, Radikalisieren, Betriebe mobilisieren.
({63})
In weitesten Kreisen auch Ihrer Anhänger vom Herbst 1972 hat sich in der Zwischenzeit die Überzeugung von dem unerträglichen Widerspruch zwischen großmauligen Versprechungen und dürftiger Wirklichkeit so breit gemacht, daß wir in der öffentlichen Meinung nunmehr hinsichtlich dieser Probleme den Kampf gerne mit Ihnen aufnehmen. Da freuen wir uns drauf, wenn wir es tun können.
({64})
Hören Sie doch endlich mit diesen Drohungen auf!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte, der Bundeskanzler würde hier sein, um in dieser Debatte mal Stellung zu nehmen. Was haben wir denn vom lauten Denken draußen? Heute steht in der „Bild"-Zeitung auch wieder: „Aus dem Bundesfinanzministerium verlautet: Bonn plant noch in diesem Jahr weniger Steuern." Stimmt das oder stimmt das nicht, Herr Schmidt? Da werden 5 Millionen Leser - wahrscheinlich sind es 10 Millionen, mit Familienmitgliedern - die Überschrift lesen und meinen, welcher Segen aus dem Bundesfinanzministerium auf sie zuströmt.
({65})
Eine Minderheit hört die Rede hier und erfährt, daß es mit dem Segen in diesem Jahr Essig ist, daß es keinen Segen gibt; aber der Eindruck soll erweckt werden, daß aus dem Bundesfinanzministerium nunmehr die Milliarden auf das Volk zurollen. So einfach geht es nicht.
Die von Ihnen vorgelegten Eckwerte wollen Sie allein durchsetzen: ohne Familienlastenausgleich - denn das geht nicht -, ohne Regelung des Sparprämienwesens - denn das ist ausdrücklich wohl
mehr oder minder ausgeschlossen worden -, ohne Regelung der Sparförderung und des Prämienwesens, ohne Regelung der Körperschaftsteuerreform, die Sie vorsorglich ohnehin bereits für den 1. Januar 1976 und damit ad calendas Graecas unter Umständen verschoben haben; mein Kollege Kreile wird darauf zu sprechen kommen. Ich sage Ihnen: diese Eckwerte sind unsozial. Sie bringen nur vorübergehend eine kleine Entlastung für eine Schicht niedriger Einkommen. Sie werden die gleiche Entlastung bringen wie wir mit unseren Vorschlägen, aber darüber hinaus bringen sie eine Steuerprogression, bei der beim Verlassen des Freibetrags sofort statt 19 % 22 % kommen. Und das geht von 16 000 bis 32 000 DM. Die Durchschnittseinkommen sind heute 18 000 DM pro Kopf. Sie werden sehr bald 20 000 DM erreichen. Damit kommen Alleinstehende und Verheiratete sehr bald nunmehr in die Progression hinein. Und dann kommt nicht ein durchgezogener Tarif von 22 % hinauf, sondern dann kommt der volle Hammer mit 30,8 %, nominal mit 32 %, realiter mit 30,8 %. Binnen kurzem wird die Mehrheit der Arbeiter, der Angestellten, der Aufsteiger, der freien Berufe sowieso, der kleinen und mittleren Unternehmer - über die großen wollen wir gar nicht reden, denn die werden nicht mehr und nicht weniger davon betroffen - von Ihrer sozialistischen Steuerwalze erfaßt werden, die der Gleichmacherei und Nivellierung dient, die den Leistungswillen lähmt, aber ein Witz ist, wenn man an eine Steuerreform denkt, die sich leistungsgerecht und verteilungsgerecht auswirken soll.
({66})
Ich möchte nicht über die Frage des Familienlastenausgleichs reden. Aber auch hier muß die Frage noch einmal sehr überdacht werden. Denn Sie müssen doch bei den Annexsteuern, bei der Kirchensteuer z. B., dieselben Kinderfreibeträge, die Sie bei der Einkommensteuer gestrichen haben, fiktiv wieder einführen. Denn sonst tritt der paradoxe Fall ein, daß die Kirchen von Familien mit vielen Kindern genau soviel Kirchensteuer kriegen wie von Familien mit weniger Kindern oder mit keinem Kind - und das bei gleichem Nettoeinkommen. Das führt zu einer unerträglichen Lage. Die Kirchen verwahren sich auch mit allem Nachdruck dagegen, daß sie von den kinderreichen Familien genau soviel Geld kriegen sollen bei diesen Ihren Vorstellungen.
Dann folgendes! Einmal ziehen Sie die Sonderausgaben von der Bemessungsgrundlage ab, bezeichnenderweise nicht bei den Arbeitnehmern. So ziehen Sie z. B. bei dem Freibetrag für Landwirte und freie Berufe die Sonderausgaben von der Bemessungsgrundlage ab. Dann geht es von der Steuerschuld ab, wie bei den Arbeitnehmern. Da wirkt sich bei der Progression ein höheres Einkommen nicht günstiger aus, umgekehrt bei Landwirten und freien Berufen. Bei den Arbeitnehmern ziehen Sie nur von der Steuerschuld ab, d. h. 22 % werden pauschal zugrunde gelegt. Da die Mehrheit der Arbeitnehmer die 22 % bald in Richtung 30,8 und mehr verlassen wird, werden nicht einmal die Ausgaben für die Sozialversicherung in Zukunft als Sonderausgaben noch abgezogen werden können.
Ich könnte Ihnen, wenn ich die Zeit dazu hätte, zu diesem Ihrem „Jahrhundertwerk" nunmehr eine Gesamtwürdigung bieten. Dieses Werk dient weder der Vereinfachung noch der sozialen Gerechtigkeit noch dem Leistungswillen, noch ist es verteilungsgerecht. Es ist ein Flickwerk, es ist ein Machwerk, das Sie unter Zeitzwang, unter selbst gesetztem Erfolgszwang in die Welt gesetzt haben, aus drei Gesetzen; von denen haben Sie eines fallenlassen, aus den restlichen zwei sind bereits sechs geworden, weil aus einem fünf geworden sind. Das erste haben Sie nicht verabschieden können, weil der Finanzausschuß so „verstopft" ist, daß er das, was seit 1969 fertig ist, bis zum Frühjahr 1974 nicht bewältigen konnte. Und dann reden Sie hier, lieber Herr Schmidt, wie Cassius Clay von den großen Leistungen der Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung. Sie müssen ganz kleine Brötchen backen, bevor Sie angesichts der Wirklichkeit auf diesem Gebiet von uns wieder ernst genommen werden.
({67})
Herr Abgeordneter Strauß, - ({0})
Ich habe das jetzt zusammengefaßt gesagt; das kommt Ihnen sehr zugute. Wenn ich es im Detail brächte, liefe ich Gefahr, daß Sie es nicht verstehen, Herr Wehner,
({0})
weil Sie sich mit dieser Materie weniger als mit anderem befaßt haben; aber es wäre sehr heilsam auch für Sie, hier einmal tiefer einzudringen.
({1})
Wenn die Bundesregierung und die Koalition den Vorschlägen der CDU/CSU nicht folgen, und zwar offensichtlich nur deshalb nicht, weil sie von der Opposition kommen, weil man die Rechthaberei aufgeben müßte, weil man zugeben müßte, versagt zu haben, dann wird wieder einmal mehr eine Chance zu mehr Gerechtigkeit, aber auch zu mehr Stabilität durch Entschärfung der Lohn- und Tarifrunden verpaßt, wird ein längst überfälliger Akt sozialer und steuerlicher Gerechtigkeit unterlassen. Wir können Sie bei dem Ernst der Situation, auf den der Bundeskanzler gestern in den Gesprächen mit uns und mit den Ministerpräsidenten mit beschwörenden Worten hingewiesen hat, nur bitten: Folgen Sie jetzt endlich unserem Vorschlag! Sie tun es zum Wohle unseres Landes, zur Befriedung der Steuerzahler und zur Beschwichtigung der allmählich immer aufgewühlter werdenden Massen der Arbeitnehmer. Ich erinnere an die Streiks bei der Bahn und bei der Post, nicht an Herrn Kassebohm. Daran sind nicht wir schuld, sondern daran sind Sie mit Ihrer dilettantischen, amateurhaften, stümStrauß
perhaften Politik schuld, Herr Wehner, daß wir in diese Situation gekommen sind.
({2})
Aber lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich habe neulich in einer wissenschaftlichen Zeitung - solange die Postgebühren nicht erhöht werden, können solche Zeitungen, sofern sie nicht aus dem Postzeitungsdienst herausgenommen werden, noch erscheinen - eine fiktive - sie ist in Latein erschienen - Würdigung der Steuerreform von Kaiser Hadrian gelesen, eine Persiflage. Dort trägt Scaeferius, Finanzsenator des Kaisers Hadrian - also Helmut Schmidt -, seinen Kollegen vom römischen Senat die sogenannte große Steuerreform vor und bemüht sich, sie ihnen schmackhaft zu machen. Ihm antwortet Casparius, ein anderer Senator, mit folgenden Worten:
Lobend gleichzustellen ist diese deine Steuerreform, o Scaeferius, allen Steuerreformen, die da waren, sind oder je kommen werden. Sie ist modern, gerecht, erleichternd und kunstvollmodern, weil jede der alten Steuern einen neuen Namen trägt,
gerecht, weil sie alle Bürger des Römischen Reiches gleich benachteiligt,
erleichternd, weil sie keinem Steuerzahler mehr einen vollen Beutel läßt,
und kunstvoll, weil du in vielen Worten ihren kurzen Sinn verstecktest: Dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und dem Bürger zu nehmen, was des Bürgers ist.
({3})
Meine Damen und Herren, seit fast 25 Jahren hält sich dieses Haus auf Grund parlamentarischer Tradition an den Grundsatz, daß das Präsidium und seine Amtsführung nicht kritisiert werden, und wenn doch, dann nur unter Beachtung von § 43 unserer Geschäftsordnung. Ich bitte das gesamte Haus, diesen Grundsatz gemeinsam hochzuhalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Strauß hat mit einem lateinischen Zitat geendet. Zuvor hatte er von einem Karnevalsumzug gesprochen, in dem ich einer der Darsteller gewesen sein sollte. Ich kann ihn auf Grund des Schlusses seiner Rede, aber auch des gesamten Inhalts seiner Darlegungen nur einladen, als Büttenredner an diesem Karnevalsumzug teilzunehmen.
({0})
Es ist auch für Herrn Strauß heute eine einmalige Spitzenleistung gewesen, so viel an Unkenntnis, Verdrehungen und Halbwahrheiten in eine Rede hineinzupacken. Dazu bedarf es schon einiger Kunst. Herr Strauß hat eine Stunde Zeit gehabt, zum Thema zu sprechen. Was er über die
Eckwerte im einzelnen denkt, wissen wir nicht, ausgenommen ein paar Pauschalurteile wie „sozialistische Dampfwalze", „Steuerwalze", „Lähmung des Leistungswillens", „sozialistische Nivellierung", „Gleichmacherei". Woran er sich stößt, welches seine Kritik ist, das wissen wir bis zum jetzigen Augenblick noch nicht.
Ich glaube, es ist unbedingt erforderlich, hier noch eines richtigzustellen. Herr Strauß hat über das Vermittlungsverfahren gesprochen. Ich habe im Gegensatz zu ihm an der Sitzung des Vermittlungsausschusses nicht teilgenommen und kann daher daraus nicht berichten. Aber eines kann man natürlich feststellen: Herr Strauß, Sie haben hier die Wahrheit geradezu auf den Kopf gestellt.
({1})
Von den Punkten, die Sie hier bemängelt haben, ist von der Bundesratsmehrheit auch nicht einer zur Sprache gebracht worden. Die Bundesratsmehrheit hat uns doch ein Vorschaltgesetz vorgelegt und nichts anderes. Das, wovon Sie sprachen, stand überhaupt nicht zur Debatte, obwohl wir eine Frage nach den Punkten, die zu beanstanden seien, gestellt haben. Was Sie hier nannten, stand überhaupt nicht zur Debatte. Sie stellen die Wahrheit bewußt oder unbewußt auf den Kopf, Herr Strauß.
({2})
- Von einer Verdrehung der Tatsachen kann nur bei Ihnen die Rede sein.
Auch sonst stellen Sie einiges in die Welt. Sie fragten, ob denn die Stabilitätsabgabe wegfalle. Mir ist dies nicht die erste Sorge, Herr Strauß - für Ihre Kundschaft, für die hohen Einkommen, sicherlich.
({3})
Aber, Herr Strauß, das Auslaufen dieser Abgabe steht doch im Gesetz. Es gibt keinen Gesetzentwurf, der dies ändern würde. Was soll Ihre Frage denn eigentlich? Das ist doch eine bewußte Verunsicherungstaktik.
({4})
Das fügt sich nahtlos in die Linie ein, die wir aus Ihrer Rede gehört haben.
Wir müssen Sie also fragen: Was halten Sie von dieser Steuerreform? Wogegen richtet sich Ihre Kritik? Wenn man substantiiert, kritisiert und Bedenken hat wie der Bundesrat, kann man ja darüber reden. Dazu haben wir ein Gesetzgebungsverfahren. Wir haben bei Ihnen nur pauschale Kritik, pauschale Verdammung gehört. Wir haben gehört, daß die unteren Einkommen sozial zu entlasten seien. Wir haben gehört, daß natürlich die sozialen Aufsteiger zu begünstigen seien, und selbstverständlich müßten auch die hohen Einkommen - das ist Ihnen wohl besonders wichtig - für die Inflation entschädigt werden. Wo der Staat mit seinem Steueraufkommen bleibt, danach fragen Sie nicht.
Ein Wort zu Ihrem sogenannten Inflationsentlastungsgesetz. Sie versuchen hier alle Jahre wieder - es ist ja ein Evergreen -, mit der Gießkanne Vergünstigungen von 10 Milliarden DM unters Volk zu bringen. Sie verschweigen schamhaft, daß derjenige, der ein Millioneneinkommen bezieht, aus einer Verwirklichung Ihrer Vorschläge genau die gleiche Vergünstigung hätte wie der kleine Lohnsteuerzahler.
({5})
Sie versuchen damit offenkundig, die Manövriermasse der Steuerreform zu verringern.
({6})
- Es geht doch um die Auswirkungen, Herr Strauß. Sie kommen doch nicht darum herum, daß bei Ihren Vorschlägen der Millionenverdiener genau die gleichen Vorteile hat wie der kleine Lohnsteuerzahler.
({7})
Natürlich wollen 'Sie sich um diese Konsequenz durch alle möglichen sophistischen Einwände herummogeln.
({8})
Sie wissen doch auch, daß der Tarif nicht nur aus dem Grundfreibetrag besteht.
({9})
Sie versuchen mit diesem Manöver, meine Herren von der Opposition, Ihren Freunden von der Arbeitgeberseite Entlastung an der Tariffront zu verschaffen, und Sie versuchen, ihnen Entlastung auf Kosten der finanziellen Leistungsfähigkeit dieses Staates zu verschaffen. Sie versuchen da, einen Pakt zu Lasten Dritter abzuschließen.
({10})
Meine Herren von der Opposition, wir werden uns, egal, von welcher Seite der Vorschlag kommt, nach wie vor kategorisch gegen eine Saldierung von Steuer- und Tarifpolitik wenden. Wir werden dies nicht zulassen, und zwar auch im wohlverstandenen Interesse der Tarifvertragsparteien. Daß der Staat vom finanziellen Volumen her überhaupt nicht in der Lage ist, bei einer Bruttolohnsumme von fast 500 Milliarden DM im Jahr hier ausgleichend zu wirken, sei nur am Rande erwähnt. Daß Sie da bei Ihrem Gesetzentwurf wieder mit falschen Zahlen spielen - wen wundert's! -, sei auch nur am Rande vermerkt.
Dabei darf ich nicht verschweigen, daß wir durchaus Verständnis für die Arbeitnehmerschaft haben,
die sich über die steigende Lohnsteuerbelastung beklagt. Aber wir müssen andererseits auch um Verständnis bitten, daß eine wirkliche Beseitigung der Ungerechtigkeiten unseres heutigen Steuersystems natürlich einige Zeit braucht. Wenn es nach der CDU/CSU ginge, würde das ja noch sehr, sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Die wirksamste Maßnahme, um die Arbeitnehmer nachdrücklich und sozial gerecht zu entlasten, ist und bleibt die Steuerreform. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens einzelner Entlastungsmaßnahmen war für uns nie eine Weltanschauungsfrage. Ich kann es hier nur mit dem Bundesfinanzminister halten, der darauf hingewiesen hat, daß es sich niemals um die Größenordnungen des CDU/CSU-Vorschlags handeln könne und daß sich eine solche Maßnahme schließlich immer im System der Steuerreform bewegen müßte.
Wenn Sie ein Inflationsentlastungsgesetz vorlegen, Herr Strauß, dann müssen Sie sich natürlich auch ansprechen lassen auf all die anderen steuerpolitischen Pläne, die von der Opposition in Umlauf gebracht werden. Darüber haben Sie heute schamhaft geschwiegen. Man muß auch hier einmal reden über Ihren Vorschlag, die Mineralölsteuer herabzusetzen. Man muß über alle möglichen Vorschläge der Opposition sprechen: die Umsatzsteuer zu senken, die Gewerbesteuer abzuschaffen, die Grunderwerbsteuer abzuschaffen, das Aufkommen der Kfz-Steuer zu vermindern. Das alles muß doch in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden.
Das führt doch dazu, daß Sie die finanzielle Leistungsfähigkeit dieses Staates systematisch untergraben. Das scheint die Absicht der Opposition zu sein. Auf der anderen Seite kommen Sie stets mit exorbitant hohen Ausgabenforderungen, wobei Ihnen dann natürlich das Gesamtvolumen der Ausgaben des Staatshaushaltes jedesmal wieder zu hoch ist. Das ist eine unseriöse, unverantwortliche Finanzpolitik, die, wie gesagt, geeignet ist, die Grundlagen unseres Staatswesens zu untergraben. Man fragt sich, ob Herr Strauß oder andere, die hier systematisch staatsfeindlich operieren, tatsächlich die Rechten sind, die überall nach Verfassungsfeinden suchen müssen.
Herr Kollege, ich würde den Begriff „staatsfeindlich" in diesem Zusammenhang nicht verwenden.
({0})
Wir werden bei der Debatte um die Steuerreform draußen im Lande immer wieder klarzumachen versuchen, worum es bei der Steuerreform geht. Die Leitsätze sind durch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers abgesteckt. Es geht um mehr Gerechtigkeit bei der Besteuerung und um eine Vereinfachung des Steuerrechts.
Viele Steuerzahler - dafür haben wir Verständnis - können das kaum noch erwarten. Sie sind dann allerdings bestürzt, wenn die Opposition, die auch stets sehr lautstark nach Steuerreform gerufen
hat, jetzt im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages versucht, zu blockieren und mit ihrer ablehnenden Haltung auch die Sondersitzungen des Finanzausschusses zu verhindern.
({0})
Ich habe den Eindruck, daß die Opposition die Steuerreform jetzt, wo es ernst wird, einfach nicht wahrhaben will.
Wir haben von der Opposition - ich muß nochmals darauf hinweisen; wir werden diese Fragen immer wieder stellen - nur pauschale Forderungen nach Gerechtigkeit und Einfachheit gehört so auch immer das hohe C -, noch immer hat die Opposition aber kein Steuerreformkonzept zustande gebracht, es sei denn, man nähme die Vorschläge von Strauß von vor einiger Zeit und ,die aktuellen Vorschläge von Herrn Häfele ernst, die ja beide eine massive Erhöhung der Mehrwertsteuer verlangt haben.
({1})
Wenn man das, was Herr Strauß gesagt hat - es war ja geradezu rührend anzuhören, welche Reformmaßnahmen die CDU/CSU durchgeführt hat -, gehört hat und sich so richtig auf der Zunge zergehen läßt, müßte man ja meinen, unser heutiges Steuersystem sei völlig in Ordnung, sei korrekt und müsse auch auf alle Zeiten so bleiben. Ich kann Herrn Strauß hier mit einigen Zitaten dienen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Privilegierende Sondernormen sind also das besondere Kennzeichen der Einkommensbesteuerung seit der Währungsreform gewesen. In einem Ausmaß, wie es in der neueren deutschen Steuergeschichte bisher unbekannt war, wurde auf diese Weise die Belastung aus der Einkommensteuer manipuliert. Durch die speziellen Begünstigungen war es, namentlich im Falle von Unternehmensgewinnen, möglich, der Einkommensteuerbelastung in beachtlichem Umfang auszuweichen, soweit die einkommensmäßigen Voraussetzungen dazu gegeben waren.
Herr Strauß, das ist nicht ein Zitat vom SPD-Steuerparteitag, sondern aus einer Schrift von unserem CDU-Kollegen Dr. Zeitel, der hier unter uns sitzt. Wir werden sehen, ob er aus dieser seiner Auffassung bei den Beratungen im Finanzausschuß auch seine Konsequenzen zieht.
({2})
Ein weiteres Zitat der Schrift - das ist noch interessanter - spricht über die Vergünstigungen in der Steuerpolitik:
Indessen kamen die Vergünstigungen unmittelbar vor allem den Beziehern mittlerer und höherer Einkommen und hier wiederum denjenigen von Unternehmungseinkommen zugute. Diese Personenkreise konnten dadurch zeitweilig der hohen Progression bei der Einkommensteuer und dem hohen Niveau der Körperschaftsteuer weitgehend ausweichen. Deren Vermögensbildung wurde hierdurch in den vergangenen Jahren wesentlich erleichtert. In der gleichen Richtung wirkte die Senkung der allgemeinen Vermögen- und Erbschaftsteuersätze. Insoweit förderte die Steuerpolitik tendenziell eine Vermögenskonzentration.
Ich lese dies nicht vor, weil uns das neu wäre, sondern weil es so interessant ist, daß ausgerechnet Herr Zeitel so etwas geschrieben hat.
Wir meinen also, daß eine grundlegende Reform der Steuern, insbesondere der direkten Steuern, notwendig ist, und zwar nach den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Vereinfachung. Diese beiden Forderungen kommen einem natürlich leicht über die Lippen. In bezug auf diese Forderung herrscht Einigkeit bei links und rechts, bei Arbeitnehmern und Unternehmern, bei arm und reich, zwischen Herrn Strauß und auch dem Bundesfinanzminister. Problematisch wird es allerdings, wenn man den Versuch unternimmt, diese beiden Zielsetzungen zu konkretisieren. Man muß ja nicht unbedingt Marxist sein, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß die Gerechtigkeitsvorstellungen sehr stark von der Interessenlage der nach Gerechtigkeit Strebenden abhängig sind.
Für uns ist diese Interessenlage klar, und für uns ist auch klar, welche Interessen wir dabei zu vertreten haben. Privilegierte halten es in der Regel für ein sehr schlimmes Unrecht und meist auch für unsystematisch - das haben wir hier ja auch schon gehört -, wenn sie ihrer Privilegien beraubt werden. In der steuerpolitischen Situation stellen sie dann gern das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auf den Kopf und drohen, mit ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammenzubrechen, sobald ihnen Privilegien genommen bzw. gewisse Mehrbelastungen auferlegt werden. Ideologen von rechts - hier haben wir mit Herrn Strauß wieder ein schönes Beispiel gehört - sprechen von Konfiskation und Gleichmacherei, wenn es um mehr Gerechtigkeit im Interesse breiter Bevölkerungsschichten geht.
Wenn Herr Strauß das neue System des Familienlastenausgleichs und die neue Sonderausgabenregelung kritisiert hat, dann darf man ihm die Empfehlung mit auf den Weg geben, nach den sozialistischen Gleichmachern, nach den Nivellierern, nach der sozialistischen Dampfwalze und nach denen, welche die Lähmung des Leistungswillens betreiben, zunächst einmal in seiner eigenen Partei zu suchen. Gerade in diesen beiden Punkten - das ist sehr interessant, und das beweist natürlich wieder einmal mehr die Ohnmacht der Sozialausschüsse - können wir den Sozialausschüssen unseren Respekt dafür nicht versagen, daß sie weitgehend mit dem übereinstimmen, was die Bundesregierung und die Sozialdemokraten wollen. Das gilt sowohl für die Sonderausgaben, was den Abzug von der Steuerschuld anlangt, als auch für die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer; das gilt auch für das neue Kindergeldsystem, das ganz genau so im Jahre 1971 von den Sozialausschüssen gefordert wurde.
({3})
Auch hier wieder ein Beispiel für die Ohnmacht der sogenannten Arbeitnehmervertreter bei der Opposition, wenn Herr Strauß hier diese Regelungen kritisiert.
Für uns steht ganz konkret fest, was unter einer gerechteren Besteuerung zu verstehen ist. Sie bedeutet für uns, daß die Steuerlast zugunsten der kleineren und mittleren Einkommen umzuverteilen ist, was natürlich eine relative Mehrbelastung hoher Einkommen und Vermögen bedeuten muß. Diese Zielsetzungen wurden auf dem Sonderparteitag der SPD im Jahre 1971 konkretisiert, und diese Zielsetzungen haben sich auch in den von der Bundesregierung vorgelegten Steuerreformgesetzen niedergeschlagen. Nahezu sämtliche Eckwerte sind auf dieses Ziel hin ausgerichtet.
Genannt sei vor allem der neue Einkommensteuertarif, durch den Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wesentlich entlastet und die Bezieher hoher Einkommen durch die Erhöhung des Spitzensatzes auf 56 % stärker belastet werden. Wenn Herr Strauß auch hier den Einkommensteuertarif beklagt und kritisiert hat, ohne eine Alternative zu nennen, so kann ich sagen: Über die Vorschläge, die wir vom Bundesrat gehört haben, kann man natürlich sprechen. Auch wir sind über diese lange Proportionalzone nicht glücklich. Auch uns wäre selbstverständlich ein durchgehender Progressionstarif lieber. Nur sehen wir bis zum heutigen Tage, daß es einen Beschluß der Landesfinanzminister gibt, die sagen, daß dieser durchgehende progressive Tarif - wenn ich Herrn Strauß recht verstanden habe, hat er Sympathien dafür nicht zu administrieren sei.
Im geltenden Steuerrecht - ich komme damit zu einem weiteren wichtigen Element der Steuerreform - werden bestimmte Sachverhalte durch den Abzug eines bestimmten Betrages von der Bemessungsgrundlage, also von dem zu versteuernden Einkommen, berücksichtigt. Das führt zu dem Ergebnis, daß Bezieher hoher Einkommen bei der Berücksichtigung dieser Sachverhalte eine höhere Steuerersparnis erzielen als die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Diese verteilungspolitisch negative Wirkung soll durch die Reform dadurch beseitigt werden, daß an die Stelle des Abzugs von der Bemessungsgrundlage, also vom zu versteuernden Einkommen, der Abzug von der Steuerschuld tritt. Diese Systemänderung ist besonders bedeutsam für die Neuordnung des Familienlastenausgleichs. Bisher stieg die staatliche Leistung für das Kind durch die Steuerfreibeträge mit wachsendem Einkommen der Eltern. Künftig aber wird jedes Kind unabhängig davon, ob die Eltern viel, wenig oder gar keine Steuern zahlen, eine gleich hohe Leistung vom Staat erhalten. Diese neue Regelung wird etwa 90 °/o der Eltern in diesem Lande begünstigen, und sie führt - ganz im Gegensatz zu der von Herrn Strauß behaupteten Tendenz - dazu, daß beispielsweise Einkommen bis zu mehr als 100 000 DM jährlich bei Familien mit zwei Kindern begünstigt werden.
Auch bei den Vorsorgeaufwendungen wird der Generaldirektor gegenüber dem Arbeiter künftig nicht mehr begünstigt sein, da auch hier der Abzug von der Steuerschuld eingeführt werden soll. Darüber hinaus werden die Höchstbeträge, bis zu denen Versicherungsbeiträge und Bausparkassenbeiträge steuerlich berücksichtigt werden können, so erhöht, daß die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und zusätzliche freiwillige Leistungen steuerlich voll mit 22 v. H. berücksichtigt werden können.
Es ist hier sicherlich nicht möglich, sämtliche Eckwerte der Steuerreform unter verteilungspolitischen Aspekt zu würdigen oder überhaupt nur aufzuzählen. Kaum ein Bürger wird von der Umverteilung der Steuerlast unberührt bleiben. Als Arbeitnehmer kann der Bürger eine zusätzliche Entlastung durch Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrags auf 600 DM erwarten. Als Familienvater kann der Bürger nicht nur mit einer Gleichstellung sämtlicher Kinder unabhängig von der Höhe des elterlichen Einkommens rechnen, sondern auch mit verstärkten Leistungen im Familienlastenausgleich überhaupt, und zwar in Höhe von vielen Milliarden DM.
Hervorheben darf ich in diesem Zusammenhang, daß insbesondere den sogenannten Halbfamilien, also vor allem der alleinstehenden Mutter, steuerlich besonders geholfen wird. Durch den Haushaltsfreibetrag, der sehr stark erhöht wird, werden die Nachteile durch das Fehlen eines Splittings, die dieser Personenkreis bisher hatte, weitgehend ausgeglichen.
Als Sparer erhält der Steuerzahler künftig einen Sparerfreibetrag für Kapitaleinkünfte. Diejenigen, die keiner besonderen Förderung bedürfen, werden durch Festsetzung von Einkommensgrenzen bei 24 000 bzw. 48 000 DM bei Verheirateten aus der Sparförderung ausgeschieden.
Auch die Gewerbetreibenden und sonstigen Selbständigen im mittelständischen Bereich haben keinen Grund, sich über die Steuerreform zu beklagen. Schon bei der Erbschaftsteuer und bei der Vermögensteuer ist insbesondere durch die kräftige Heraufsetzung von Freibeträgen ihren Interessen weitgehend Rechnung getragen worden. Die Erhöhung des Gewerbesteuerfreibetrags ist bereits beschlossen und wird ebenfalls 1975 in Kraft treten. Auch die Entlastung im Tarif kommt den Selbständigen zugute. Außerdem soll auch das Sparen im eigenen Betrieb unter den Bedingungen der allgemeinen Sparförderung begünstigt werden.
Auch den älteren Mitbürgern soll mit steuerpolitischen Mitteln das Leben durch zahlreiche Maßnahmen leichter gemacht werden. Ich will hier gar nicht auf die Details eingehen.
Jeder Steuerzahler möchte verständlicherweise wissen, wie sich seine Belastungen durch die Steuerreform verändern. Sicherlich ist es schwer, generelle Aussagen über die künftige Besteuerung zu machen, da ja die Höhe der Steuer sehr stark von den individuellen Verhältnissen abhängig ist. Familienstand, Kinderzahl, Alter, Beruf, Umfang der Vorsorgeleistungen - dies alles sind Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Dennoch kann man die Beurteilung der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Reformmaßnahmen durch Beispielsrechnungen erleichtern. Um aufzuzeigen, daß die Steuerreform tatsächlich nennenswerte Entlastungen bis
Off ergeld
in den Bereich der mittleren Einkommen bringen
wird, möchte ich einige Belastungsbeispiele nennen,
bei denen folgende Sachverhalte berücksichtigt sind:
Eine Familie mit zwei Kindern, Tarifreform unter Wegfall der Ergänzungsabgabe, Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs und des Kindergelds. Wenn wir all diese Umstände berücksichtigen, zahlt heute ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern bei einem Bruttoarbeitslohn von 15 000 DM 956 DM Lohnsteuer im Jahr. Dazu erhält er vom Staat 300 DM Kindergeld. Nach dem Regierungsentwurf wird dieser Steuerzahler nochmals: 15 000 DM Jahreseinkommen - nicht nur keine Lohnsteuer mehr zu bezahlen haben, er wird vom Finanzamt bzw. vom Arbeitgeber über den Familienlastenausgleich eine sogenannte Negativsteuer von fast 500 DM, nämlich 479 DM, vergütet erhalten. Die Entlastung durch die Reform beträgt also bei diesem Beispiel 1135 DM.
Wandeln wir dieses Beispiel etwas ab auf einen Bruttolohn von 20 000 DM, so ergibt sich eine Entlastung von insgesamt 1278 DM.
Für die Bezieher sehr hoher Einkommen, die in der Regel ja auch hohes Vermögen haben, und für Selbständige lassen sich die Auswirkungen der Steuerreform wegen der Besonderheiten des Einzelfalles durch Beispielsrechnungen auch kaum allgemeingültig darstellen. Die Tarifentlastung geht zwar bis in hohe Einkommensgruppen, man muß allerdings dann berücksichtigen, daß die Steuerbelastung vor allem durch die Beseitigung der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer sehr stark ansteigen wird. Auch die neuen Einheitswerte werden sich in der Regel natürlich bei Beziehern hoher Einkommen, sehr hoher Einkommen stärker auswirken als bei Beziehern kleinerer Einkommen.
Um zu dem zweiten Stichwort - Gerechtigkeit und Einfachheit der Besteuerung - etwas zu sagen: Die meisten Experten wissen, wie schwer es ist, diese beiden Forderungen miteinander in Einklang zu bringen. Man kann allerdings nicht, wie Herr Strauß es hier versucht hat, die Vereinfachung an der Zahl der Paragraphen des Einkommensteuergesetzes messen; denn es geht ja auch darum, daß viel Rechtsprechung, daß viele Durchführungsvorschriftne, Verwaltungsanweisungen, Verordnungen in dieses Gesetz eingebaut werden, das dadurch sicherlich schon umfangreicher werden muß als das bisherige Einkommensteuergesetz. Aber auch bei bestem Bemühen lassen sich natürlich Gerechtigkeit und Einfachheit miteinander nur bis zu einem gewisen Grade verbinden und verwirklichen. Ganz einfach wäre z. B. eine sicherlich ungerechte - Kopfsteuer, und ganz gerecht wäre z. B. eine Besteuerung, die nach allerdings schwer zu findenden Maßstäben die individuellen Verhältnisse im Einzelfall bis zum Extrem zu berücksichtigen suchte. Dann wäre die Finanzverwaltung viel zu lange und ausschließlich nur damit beschäftigt, die individuellen Verhältnisse zu ermitteln. Eine solche Steuer wäre also äußerst kompliziert.
Die Vereinfachungsmöglichkeiten im vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung beschränken
sich daher im wesentlichen auf spürbare Vereinfachungen für den Steuerzahler und die Finanzverwaltung im Verfahren, insbesondere durch die Neuregelung des Lohnsteuerverfahrens. Dort kommt es ja in der Tat zu einem Rückgang von vielen Millionen Bearbeitungsfällen für die Finanzverwaltung. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß die Steuerreform zwar keine umwälzende Vereinfachung unseres Steuerrechts bringen wird, daß sie aber ein erhebliches Mehr an sozialer Gerechtigkeit bewirken wird.
Der Leistungswille und die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft werden sicherlich nicht beeinträchtigt werden. Ein internationaler Steuerbelastungsvergleich - den sollte die Opposition auch einmal anstellen - zeigt, daß die deutsche Wirtschaft auch nach der Steuerreform konkurrenzfähig bleiben wird, abgesehen davon, daß die Steuer nur ein Faktor unter vielen anderen ist, die die Wettbewerbsfähigkeit bestimmen.
Trotz der sozialen und wirtschaftlichen Ausgewogenheit des Reformprogramms versucht die Opposition -- und dieser Eindruck hat sich heute morgen verstärkt -, die Gesetzentwürfe zu Fall zu bringen. Aber vielleicht sollte man nicht sagen: trotz der sozialen Ausgewogenheit, sondern: gerade wegen der sozialen und wirtschaftlichen Ausgewogenheit.
Im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß - ich habe vorhin schon einige Sätze dazu gesagt - versuchen die von der CDU/CSU-geführten Bundesländer - offenkundig allein aus parteipolitischen Erwägungen -- die Inkraftsetzung der Vermögensteuer, der neuen Erbschaftsteuer und der reformierten Gewerbesteuer zu verhindern.
({4})
Statt dessen bieten sie uns ein Vorschaltgesetz an, das lediglich die aufkommensneutrale Anwendung der Einheitswerte gewährleistet, den Abbau von Steuervergünstigungen und Steuerumgehungsmöglichkeiten - dies war uns ja ein wesentliches Reformanliegen - aber wohl auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben soll.
Im Finanzausschuß des Bundestages wehrt sich die Opposition gegen Sondersitzungen, die erforderlich sind, damit der Gesetzentwurf zur Reform der Einkommensteuer in seinem materiellen Inhalt zum 1. Januar 1975 in Kraft treten kann. Im Bundestag bringt die Opposition einen Gesetzentwurf ein, der Steuerentlastungen in Höhe von 10 Milliarden DM im Jahr vorsieht, ohne daß etwas mehr für die gerechtere Verteilung der Steuerlast getan wird: der Einkommensteuer-Millionär soll, wie gesagt, genauso entlastet werden, wie der Kleinverdiener.
Wenn man nun dieses Verhalten der Opposition - ich erinnere an die Mineralölsteuer und all die anderen Steuern, die hier zur Senkung oder zur Abschaffung vorgeschlagen werden - zusammennimmt, so kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen, daß die Opposition - und hier speziell Herr Strauß - uns auf dieser Tribüne absurdes Theater vorspielt. Ich glaube, Herr Glistrup in Dänemark
Off ergeld
könnte noch einiges von der Opposition hier im Deutschen Bundestag lernen.
({5})
Die Gründe, aus denen die Opposition die Steuerreform ablehnt, sind unschwer zu erkennen. Die Opposition will nicht nur diese Steuerreform nicht, die Opposition will wohl überhaupt keine Steuerreform. Bereits vor etwa zwei Jahren - ich habe mir noch einmal eine Presseerklärung von Herrn Höcherl durchgesehen - teilte Herr Hörcherl in einer Presseerklärung mit, Meldungen über angebliche Steuerreformpläne der CDU/CSU seien reine Spekulationen. Ich habe diese Erklärung von vornherein sehr ernst genommen. In der gleichen Presseerklärung vom 13. Januar 1972 erklärte Herr Höcherl, die CDU/CSU könne zum Reformpaket erst Stellung nehmen, wenn dieses endgültig von der Bundesregierung verabschiedet und den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet sei. Nun, diese Stunde ist hier gekommen, doch haben wir bis zum jetzigen Augenblick von der Opposition keine Stellungnahme. Denn diese pauschalen Verdächtigungen und Abwertungen durch Herrn Strauß kann man ja wohl nicht als substantiierte Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf werten!
({6})
Eine wirkliche Stellungnahme kann nicht nur aus Negation bestehen. Wer etwas ablehnt, muß sagen, wie er denn eine Steuerreform haben möchte, und er muß, wenn er sie ankündigt - sie war ja schon von allen CDU/CSU-Bundeskanzlern angekündigt worden; die könnten sich in den „Karnevalszug" von Herrn Strauß einreihen -, sagen, wie er es machen will.
Es hat ja nun bei der Opposition eine Reihe von Kommissionen gegeben: eine Fraktionskommission, eine Parteikommission, eine Bodenrechtskommission; die Sozialausschüsse haben sich geäußert, die Experten haben in Rottach/Egern hinter verschlossenen Türen getagt - und was ist dabei herausgekommen?! Ich habe Verständnis dafür, daß es für die Mitglieder dieser Kommissionen sehr entmutigend ist, wenn die Addition der Ergebnisse aller dieser Kommissionen gleich Null ist. Die Mitglieder dieser Kommissionen verdienen unser Mitgefühl. Man kann nur sagen: die Arbeitsergebnisse der Kommissionsarbeit der Opposition heben sich gegenseitig auf, d. h. sie ergeben in ihrer Summierung die Zahl Null.
({7})
- Herr Becker, im Gegensatz zu Herrn Strauß will ich Ihnen gern antworten.
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat also der Abgeordnete Becker.
Herr Kollege Offergeld, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Tegernseer Beschlüsse vom 12./13. Februar 1973 auch veröffentlicht worden sind, so daß das eine
konkrete Grundlage für unsere Reformvorstellungen ist?
Selbstverständlich weiß ich, daß die veröffentlicht worden sind; mir fehlt nur die erste Aussage von Ihrer Seite auch von Herrn Strauß hat sie gefehlt -, was denn nun Ihr Programm ist. Wenn Sie uns sagen, daß dies Ihr Programm ist, dann kann man Sie ja einmal daran messen. Daran fehlt's doch bis heute; Sie spielen doch dauernd Versteck,
({0}) weil Sie versuchen, es allen recht zu tun.
({1})
Herr Becker, wenn Sie sagten, dies sei das Konzept der CDU/CSU, wäre ich ja froh; denn dann könnte man sich endlich einmal mit Ihnen auseinandersetzen, und Herrn Strauß fiele auch die Demagogie nicht mehr so leicht.
Denken Sie nur nicht, meine Damen und Herren, Herr Becker, daß wir über das Nullwachstum der steuerreformerischen Arbeit der Opposition glücklich sind. Wir müssen auf Grund des fehlenden Konzepts befürchten, daß Ihre reformerische Impotenz weiter laufend zu Störfeuer und Störmanövern bei der Steuerreform führen wird. Wir wissen auch, daß wir eine Bundesratsmehrheit haben, die jedenfalls - sagen wir mal - ein sehr offenes Ohr für parteitaktische Erwägungen hat.
Ich kann nur die Prognose stellen, daß Sie an vielen Einzelheiten herummäkeln, daß Sie zahlreiche sogenannte Verbesserungsvorschläge unterbreiten werden, die uns sehr viel Geld kosten würden. Ein finanziell ausgewogenes Alternativprogramm werden Sie uns - dies ist meine Prognose - auch weiterhin schuldig bleiben.
Um Ausreden und Ausflüchte werden Sie auch nicht verlegen sein, z. B. daß ein Inkrafttreten des Ganzen zum 1. Januar 1975 doch nicht möglich sei. Lassen Sie mich noch folgendes sagen, um wenigstens dieser Ausrede vorzubeugen.
Wir werden uns selbstverständlich mit den Einwendungen und den Bedenken des Bundesrates ernsthaft auseinandersetzen. Der Bundesrat - und dies wurde auch schief dargestellt - hat ja den neuen Familienlastenausgleich, gegen den Herr Strauß Bedenken hat, ausdrücklich begrüßt. Der Bundesrat hat lediglich gegen die technische Ausgestaltung Bedenken erhoben. Er hat gefragt, ob die Finanzverwaltung dies alles tatsächlich bewältigen könne. Wir werden uns mit diesen Einwendungen - das ist ja Aufgabe des Finanzausschusses - ernsthaft auseinandersetzen, und wir hoffen auch, bis zur Sommerpause zu einer Lösung zu kommen. Diese Bedenken des Bundesrates zum Vorwand zu nehmen, nun überhaupt nichts im Finanzausschuß des Bundestages zu beraten, halten wir tatsächlich nur für ein Manöver, das zur Verzögerung oder Verhinderung der Steuerreform führen soll.
Die Koalitionsfraktionen haben wiederholt erklärt, daß die Reform der Körperschaftsteuer im Zusammenhang mit dem Komplex Vermögensbildung beraten und verabschiedet werden soll. Die Beratung der Körperschaftsteuer wäre in der Tat bis zur Mitte dieses Jahres nicht zu bewältigen. Die Eckwerte zur Einkommensteuerreform können jedoch - das ist auch der feste Wille der Koalition - bis zum Sommer vom Bundestag verabschiedet werden. Es ist für den Steuerzahler unerheblich, wenn dabei einige rein formale Änderungen zunächst zurückgestellt werden müssen. In dem vorliegenden Reformentwurf sind ja zahlreiche Rechtsverordnungen, Verwaltungsanordnungen, Verwaltungsrichtlinien und höchstrichterliche Urteile eingearbeitet. Diese können aber selbstverständlich noch für einige Zeit außerhalb des Reformgesetzentwurfes bleiben, da es dem Bürger darum geht zu spüren, wie sich die Steuer für seinen Geldbeutel auswirkt. Die materiellen Änderungen, all das, was letzten Endes die Steuerschuld des Bürgers betrifft, wollen wir im ersten Halbjahr 1974 bewältigen.
Wenn Herr Strauß hier wieder den Pappkameraden eines Vorschaltgesetzes oder eines nachgeschobenen Gesetzentwurfs aufgebaut hat, muß man wiederholen: Es gibt keinen neuen Gesetzentwurf, es gibt lediglich Überlegungen und Feststellungen, welches jetzt die materiell bedeutsamen Teile - das heißt, die gesamten Eckwerte - in dieser viele hundert Seiten starken Vorlage des Dritten Steuerreformgesetzes sind.
Die SPD- und die FDP-Abgeordneten des Finanzausschusses sind bereit, die sicherlich nicht zu unterschätzende Arbeitsbelastung im Ausschuß in den nächsten Monaten auf sich zu nehmen, um die Voraussetzungen für das Inkraftsetzen der Steuerreform zum 1. Januar 1975 zu schaffen. Ich bin auch sicher, daß diese Steuerreform nicht an den internen Schwierigkeiten der Opposition scheitern darf. Ich bin überzeugt, daß das Fehlen einer Konzeption auf seiten der Opposition uns nicht daran hindern darf, die Reformarbeit zügig voranzutreiben. Ich bin weiter überzeugt, daß diese Steuerreform, zum 1. Januar 1975 in Kraft gesetzt, ein erhebliches Mehr an sozialer Gerechtigkeit in unserem Lande bringen wird.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Frau Funcke: ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem uns heute in diesem Hause vorgelegten dritten Steuerreformpaket wird der Ring geschlossen für die Gesamtreform, die sich diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen vorgenommen haben. Insgesamt umfaßt die Reform die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Grundsteuer, Änderungen im Bereich der Gewerbesteuer, die Reform des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung. Herr Kollege Strauß, das ist in der Tat eine gewaltige Aufgabe. Wir werden uns alle bemühen, sie zu bewältigen.
Ich habe mich bei Ihrer Rede, Herr Kollege Strauß, mit einer gewissen Befriedigung gefragt: Wie gut muß eigentlich dieser Gesetzentwurf sein, daß Sie als Hauptsprecher Ihrer Fraktion in der ersten Lesung 50 Minuten lang nichts anderes getan haben, als zum Verfahren zu sprechen und nicht etwa etwas an der Sache zu bemängeln.
({1})
Sie haben sich lediglich bemüht, etwas zu vernebeln, was an sich klar ist, um andere Leute glauben zu lassen, es sei wirklich etwas unklar.
({2})
Dieses dritte Paket, das dem Parlament nun vorliegt, ist in seinem materiellen Inhalt durch die Eckwerte bekannt gewesen. Es enthält - und dem stimmen wir voll zu - die Entlastung im Tarif, eine Anhebung des Grundfreibetrages und eine Verlängerung der Proportionalzone bei der Einkommensteuer. Diese Maßnahmen führen zu einer erheblichen Entlastung im Bereich der unteren und mittleren Einkommen. Gerade hier ist das Hineinwachsen in die Progression in besonderem Maße spürbar und fühlbar geworden. Wir sind uns alle in diesem Hause darüber einig - in dieser Hinsicht gibt es keine Meinungsunterschiede -, daß eine nennenswerte Entlastung vorgenommen werden muß.
Der Reformvorschlag beinhaltet weiter die Anhebung des Arbeitnehmerfreibetrags und die Beseitigung der Ergänzungsabgabe. Wie richtig vermerkt wurde, wurde eine entsprechende Zusage bereits in der vorigen Legislaturperiode gegeben. Doch konnte sie seinerzeit wegen der vorhandenen Überkonjunktur nicht verwirklicht werden, was die CDU/ CSU nicht nur gebilligt, sondern geradezu gefordert hatte. Die Verwirklichung wird deshalb jetzt zum frühestmöglich en Termin nachgeholt.
Der Reformvorschlag beinhaltet ferner eine Reform des Kindergeldes, das heute, wie wir alle wissen, in drei verschiedenen Formen gezahlt wird. Zum einen über die Steuern, zum zweiten in Form des direkt gezahlten Kindergeldes für jedes zweite und weitere Kind und schließlich in der Form der Ausbildungsförderung.
Meine Herren und Damen, ein Wort zum Prinzip, das draußen häufig angefochten wird. Man kann argumentieren: Kinder mindern die steuerliche Leistungsfähigkeit, darum müssen die Kosten, die Kinder verursachen, vorn Einkommen abgezogen werden, bevor die Steuertabelle anzulegen ist. - Das führte dazu, daß diese Entlastung auf die höchste Progressionsstufe entfällt und daher die hohen Einkommen stärker entlastet als die mittleren und kleinen Einkommen. Es gibt ein zweites Prinzip, das besagt: Alle Kinder sind dem Staat gleich lieb. Deswegen gibt er für alle das gleiche. Und es gibt schließlich ein drittes Prinzip, das da heißt: Jeder soll seine Kinder selbst großziehen; wer es aber nicht allein schafft, soll insoweit einen Zuschuß vom Staat bekommen. So ist es bei der Ausbildungsförderung.
Sie werden zugeben, daß alle drei Prinzipien - nicht nur hinsichtlich der Kinder - in unserem Steuerrecht vorkommen. Niemand kann sagen: Das eine Prinzip ist das einzig richtige, und das andere Prinzip ist das falsche. Ich glaube daher, es war klug, sich bezüglich des Kindergeldes auf die mittlere Linie zu einigen, nämlich allen Eltern - unabhängig von der Höhe ihres Einkommens - in gleicher Weise Entlastung für ihre Kinder zu gewähren, indem der gleiche Betrag angesetzt wird. Diese Regelung haben wir heute ja schon beim Kindergeld vom dritten Kind an.
Nun gibt es mit dem Bundesrat Streit - sofern Sie dies als Streit bezeichnen mögen - über die Form der Verwirklichung. Diese Meinungsverschiedenheit zum Verfahren kann aber nicht zu der Behauptung führen, der Bundesrat habe gesagt, das Ganze sei somit nicht machbar. Er hat zu diesem Punkt - und nur zu diesem Punkt - lediglich darauf hingewiesen, daß eine Übernahme in die Steuer und damit verbunden die Verwaltung der nicht über die Steuer abzuwickelnden Fälle beim Finanzamt Probleme aufwirft, die man bis zum Jahresende nicht bewältigen zu können glaubt. Das betrifft also kein Dogma und auch nicht den materiellen Inhalt der Reform -- die der 'Bundesrat beim Familienlastenausgleich voll bejaht -, sondern hier liegen verfahrenstechnische Fragen vor, die wir in aller Ruhe mit dem Bundesrat klären können. Ich könnte mir sehr wohl eine Kompromißlösung denken - Herr Kollege Strauß, wir sind durchaus für Kompromisse mit dem Bundesrat -, die etwa dahin geht, daß die Abwicklung bei allen Steuerpflichtigen beim Arbeitgeber und beim Finanzamt erfolgt und daß die Arbeitsverwaltung die nicht über die Steuer abzuwickelnden Fälle übernimmt. Eine solche Verzahnung scheint mir möglich zu sein. Damit wäre dieser besondere Angriffspunkt von Ihnen „die ganze Sache ist nicht machbar" relativ leicht vom Tisch.
Wir begrüßen und bejahen die Anhebung von Freibeträgen für die Behinderten und die Anhebung des Freibetrags für alleinstehende Personen mit Kindern, ,der praktisch in den allermeisten Fällen im Effekt die Anwendung des Splitting gleichkommt. Wir begrüßen insbesondere auch, daß die steuerliche Entlastung bei alten Menschen durch einen erhöhten Freibetrag bei den Beamtenpensionen verstärkt worden ist, weil hier die Diskrepanz gegenüber den Rentenbezügen der übrigen Bediensteten im öffentlichen Dienst steuerlich erkennbar ist, und bei den Menschen., die im Alter vom Vermögen leben und die gerade, wenn sie vom nominellen Sparkapital leben, finanzielle Einbußen haben. Hier soll ein Sonder-Altersfreibetrag eingeführt werden. Außerdem begrüßen wir den neuen besonderen Freibetrag für die Sparer.
Zur Neuregelung der Sonderausgaben ein Wort, und zwar zum Prinzip, weil es draußen angegriffen wird. Es ist richtig, daß unsere Form der Alterssicherung in drei verschiedenen Bahnen verläuft: Es gibt Mitbürger, die für das Alter nicht zu sorgen brauchen, weil sie vom Staat oder vom Arbeitgeber feste Pensionszusagen haben; es gibt solche, die mindestens die Hälfte der Beiträge in einem versicherungsähnlichen Institut, der Sozialversicherung, aufbringen müssen, die andere Hälfte wird vom Arbeitgeber aufgebracht; und es gibt halt Leute, die ihre gesamte Alterssicherung selbst ansparen müssen. Das bringt auch für die Besteuerung Schwierigkeiten. Eine Steuerreform kann diese prinzipiellen Unterschiedlichkeiten aber weder aufheben, noch kann sie sie leugnen. Nun wollen wir denjenigen, die für das Alter sparen müssen - sei es als Arbeitnehmer, sei es als Freiberufler oder Selbständiger -, eine Erleichterung für das Ansparen geben, weil dieses Ansparen für das Alter für sie lebensnotwendig ist. Aber wenn das so ist, dann gehören diese lebensnotwendigen Aufwendungen in jenen Bereich - und der ist erweitert -, in dem die proportionale Steuer greift.
Um es konkret zusagen: Wenn ein verheirateter Selbständiger für seine Alters- und Krankheitssicherung die Höchstbeträge, die hier vorgesehen sind - nunmehr wären das 20 000 DM -, aufwendet, dann fallen diese und der steuerfreie Grundbetrag von 6 000 DM, zusammen 26 000 DM, in die Proportional-zone -, die insgesamt bis 32 000 DM reicht. Das heißt praktisch : für die ersten 6 000 DM zahlt er überhaupt keine Steuer, für die 20 000 Sonderausgaben hat er 22 % Steuern zu zahlen, erhält aber zugleich 22 % zurück, ist also praktisch bis 26 000 DM steuerfrei und zahlt für weitere 6 000 DM 22 %, bis die proportionale Steuer einsetzt. Mir scheint es eine sehr plausible und berechtigte Form zu sein, wenn erst einmal die notwendigen Aufwendungen aus dem Grundstock der Einkünfte - und das sind die niedrig besteuerten - genommen werden und nicht aus dem letzten Luxusstock des Einkommens.
({3})
- Das mögen Sie gern hier sagen. Nur scheint mir dieses Prinzip logisch zu sein; denn wenn die Aufwendungen notwendig sind, werden die Menschen sie ja aufwenden, bevor sie ihre Segeljacht kaufen.
({4})
- Dafür ist erst einmal das Existenzminimum und noch ein bißchen mehr da. Zu diesem Leben gehört aber auch die Vorsorge, das werden Sie doch nicht 'bestreiten. Es wird doch gerade immer darauf hingewiesen, daß es hier um lebensnotwendige Aufwendungen geht. Sonst würden wir doch diese privaten Ausgaben völlig unberührt von der Steuerentlastung lassen. Nur wegen des Hinweises, daß sie lebensnotwendig sind, entlasten wir sie. Dann müssen sie aber auch aus dem Grundstock des Einkommens genommen werden und nicht aus der Einkommensspitze.
Wir wollen eine Verbesserung in der Sparförderung, und wir sehen besonders in der Körperschaftsteuerreform einen wesentlichen Ansatz einer Reform. Die Beseitigung der Doppelbelastung der Aktie führt dazu, daß nun der Aktionär mit seinem individuellen Steuersatz erfaßt wird und nicht die Körperschaft mit einem pauschalen, daß der Kleinaktionär steuerlich entlastet wird, daß die PrivileFrau Funcke
gien ausländischer Konzerne zurückgedrängt werden und daß die kleinen und mittleren Betriebe das scheint mir sehr wichtig - bei dieser Form der Besteuerung endlich die Umwandlung in die Gesellschaftsform vornehmen können, die der Struktur des Unternehmens entspricht, und ,sie nicht krampfhaft an einer personenbezogenen Gesellschaftsform festhalten müssen, wenn im Hinblick auf Erbgänge und Generationenfolge eine juristische Person angezeigter wäre. Hier werden wir auch eine gesunde Umstrukturierung gerade solcher Firmen ermöglichen können, die nur aus steuerlichen Gründen eine sehr komplizierte Gesellschaftsform beibehalten haben. Wir werden auch die Konzentrationsförderung beseitigen, die in dem Schachtelprivileg ganz zweifelsohne liegt.
Meine Damen und Herren, die Eckwerte, um die es sich hier 'handelt und die hier in eine systematisch aufgearbeitete Form gebracht worden sind, liegen seit zweieinhalb Jahren vor. Nun hat Herr Kollege Strauß gesagt, sie seien immer wieder geändert worden. Er möge doch bitte einmal die ersten Eckwerte durchlesen und uns ernsthaft sagen, an welcher Stelle denn fundamentale Änderungen vorgenommen worden sind. Natürlich sind Zahlen fortgeschrieben worden, genau wie zu der Zeit, als Herr Kollege Strauß einmal Finanzminister war, etwa die Steuereinnahmen von der Vorlage des Etats im Oktober bis zur Verabschiedung im März/ April immer fortgeschrieben wurden. Das ist eine ganz normale und vernünftige Sache. Im Prinzip ist jedoch nichts an den ursprünglichen Eckwerten geändert worden, und was materiell in den Zahlen geändert worden ist, Herr Kollege, haben doch die CDU und der Bundesrat in ihren sogenannten Vorschaltgesetzen immer haargenau abgeschrieben und damit ebenfalls geändert. Jedesmal sind doch ein paar Tage, nachdem die Änderungen der Eckwerte erfolgt waren, dann auch die Zahlen in den abgeschriebenen „Vorschaltgesetzen", von Bundesrat und Oppositionspartei entsprechend geändert worden in genau der gleichen Abgestimmtheit wie die Fortschreibung der Eckwerte.
Eine Steuerreform - das wissen wir alle - muß das schwierige Werk vollenden, ganz verschiedene Prinzipien gleichzeitig zu berücksichtigen. Das hat uns Herr Kollege Strauß noch zu seiner Zeit als Minister in einer Rede vor dem Steuerkongreß sehr deutlich gemacht. Das Steuersystem muß ergiebig sein, denn dafür ist es ja da, es soll gerecht und gleichzeitig einfach sein, es soll bestimmte politische Wünsche und Zielsetzungen erfüllen, und es soll sich in den europäischen Rahmen einfügen. Und nun hat Herr Strauß heute noch eine zusätzliche Anforderung gestellt: es muß in einer wirtschaftlich ausgeglichenen Lage eingebracht und verabschiedet werden. Du liebe Zeit, meine Herren und Damen, wenn allerdings das alles gleichzeitig verwirklicht werden soll,
({5})
wundert es mich nicht, daß bei Ihnen nie eine Steuerreform in Gang gekommen ist;
({6})
denn solche absoluten Forderungen alle zusammen können nur jede Reform verhindern.
Der Forderung, bestimmte politische Zielsetzungen durch steuerliche Maßnahmen zu fördern, sind wir in der Vergangenheit nur allzu leicht in unseren Steuergesetzen nachgekommen. Jeden politischen Wunsch, den man beim Finanzminister nicht durch direkte Zuschüsse verwirklichen konnte, haben alle Kollegen dieses Hauses über Steuervergünstigungen zu realisieren versucht. Die Finanzminister fühlten sich dadurch entlastet, sie meinten, dadurch entstünde ihnen nur ein geringerer Ausfall. In Wirklichkeit, meine Damen und Herren, sollten wir uns alle miteinander frei von jeder parteipolitischen Richtung klarmachen, daß Steuersubventionen die teuersten Subventionen sind, die es überhaupt gibt.
({7})
Denn man kann Steuervergünstigungen nicht gezielt verteilen, und so werden sie immer in größerem Maße von denjenigen in Anspruch genommen, die gar nicht gemeint sind - ich brauche hier nicht an die Finanzierungswerbungsschriften zu erinnern, die uns alle ins Haus kommen -, und diese nicht gemeinten Steuerpflichtigen halten begreiflicherweise am stärksten daran fest. Deshalb bekommt man sie so unendlich schwer wieder aus dem Steuerrecht heraus.
({8})
Wir kriegen in jeder Versammlung Applaus, egal
wer von uns spricht, wenn wir „nachdrücklich" fordern: Es müssen die Subventionen abgebaut werden.
({9})
Aber sobald die Diskussion bei einer solchen Versammlung losgeht, kommt sofort: aber dieses muß bleiben, und das muß verstärkt werden, und hier muß noch eine Sondervergünstigung in das Steuerrecht hinein. Auch der Bund der Steuerzahler hat uns gerade mit einem längeren Votum zur Steuerreform beglückt. Es beginnt mit dem Kernsatz, wir sollten zuerst die ganzen Steuersubventionen abbauen. Und dann kommt der zweite Teil, und der beschäftigt sich mit all den gewünschten Vergünstigungen, die das Steuerrecht nun wieder verstärkt und verbessert einführen möge. Nein, meine Herren und Damen, so kann man keine Steuerreform machen; hier muß man auch einmal hart sein. Wir sollten uns alle miteinander vornehmen, wenn wir schon nicht die Subventionen alle so schnell wegkriegen können, dann wenigstens keine neuen hineinzubringen.
Herr Kollege Strauß, mit Worten läßt sich tapfer streiten. Die Stabilitätsabgabe ist auf Vorschlag der Regierung durch ein Gesetz dieses Hauses genau auf ein Jahr fixiert worden, und zwar mit 10 %. Aber Sie sind in der Kenntnis des Steuerrechts wie wir doch wohl so weit fortgeschritten, daß Sie wissen, daß man zwar die Steuern beim Arbeitnehmer monatlich und beim Einkommensteuerpflichtigen vierteljährlich bei der Vorauszahlung erfaßt, daß aber das Steuerjahr ein Kalenderjahr ist. So wirken sich selbstverständlich diese 10 % auf das erste Halbjahr so aus wie 5 % auf das ganze Jahr; was sich dann beim Jahressteuerausgleich für den Arbeitnehmer
und bei der Veranlagung des Einkommensteuerpflichtigen zeigt. Insofern haben beide recht: diejenigen, die sagen, das Gesetz wirkt sich auch noch im September 1974 aus - nämlich mit 5 % -, und diejenigen, die sagen, die 10%ige Erhebung endet mit dem 30. Juni 1974. Es ist eine totale Übereinstimmung, auch wenn es mit Worten anders klingt. Die Wirkung der 10 % im ersten Halbjahr - und das heißt: 5 % für das ganze Jahr - läuft mit Ende des Jahres aus. Das ist genau der Zeitpunkt, zu dem nach unserem Willen die Steuerreform auch für die breiten, nicht der Abgabe unterliegenden Schichten eine Entlastung bringen soll. So ist die Gerechtigkeit gewahrt: beide werden zu diesem Zeitpunkt entlastet, die einen effektiv durch Senkung im Tarif, die anderen werden von einer Sonderbelastung befreit. Dabei soll es dann auch bleiben.
Wie werden wir nun das 3. Steuerpaket anfassen? Herr Kollege Offergeld hat gesagt: Wir werden im Finanzausschuß zu prüfen haben - das ist ja nicht so ganz neu, das haben andere Ausschüsse auch schon getan, wenn sie einen Riesenberg vor sich liegen hatten -, welche besonders dringlichen Sachen vorrangig beraten werden müssen. Die Vorschläge, die die Koalition Ihnen im Finanzausschuß vorlegen wird, umfassen den materiellen Teil des Einkommensteuerrechts, des Kindergelds und der Sparförderung als die noch bis zum Sommer dieses Jahres zu verabschiedenden wesentlichen Änderungen. Denn uns haben gerade die Herren auf der Bundesratsbank immer wieder klargemacht, daß sie eine hinreichende Zeit zwischen der Verabschiedung im Parlament und der Anwendung in der Praxis brauchen. Wir wollen sie ihnen auch so lange wie möglich zugestehen.
Sofort danach werden dann die anderen Dinge aufgegriffen, d. h. die Körperschaftsteuer und alle die formalen und systematischen Änderungen, die sowohl in der Sparförderung wie in der Einkommensteuer vorgesehen sind, die wir nicht verschleppen wollen, aber die nicht unbedingt zum Juli dieses Jahres fertig vorliegen müssen und die wir auch noch ein Jahr später ohne Mühe in Gang setzen können. Denn sie treffen nicht den Kern der zusammenhängenden Reform, sie beeinträchtigen nicht den materiellen Zusammenhang. Materieller Zusammenhang heißt für uns der systematische Zusammenhang und entscheidend die Aufkommensneutralität. Darüber war man sich bei der Konzeption der Eckwerte einig, und das ist durchgehalten worden. Allerdings ist die Aufkommensneutralität nicht auf ein bestimmtes einmaliges Datum bezogen, sondern, wie die letzten Eckwerte sehr deutlich gemacht haben, auf einen überschaubaren Zeitraum. Wir werden am Anfang sogar unter dem vergleichbaren Aufkommen des Vorjahrs bleiben und erst in den folgenden Jahren die entsprechende Höhe erreichen.
Der systematische und finanzielle Zusammenhang ist in der Tat das Kernstück der Reform. Genau dieser Zusammenhang, meine Damen und Herren von der CDU, fehlt bei Ihnen. Sie sagen: wir wollen eine Reform in einem Stück; aber das, was wir Ihnen anbieten, zerfleddern Sie in lauter kleine
Vorschaltgesetzentwürfe und sonstige Dinge, um dann zu sagen: das ist keine Reform mehr.
Warum Sie das tun, ist uns klar - Herr Offergeld hat soeben schon darauf hingewiesen -: Sie haben kein Konzept. Das ist eine ganz einfache Erklärung: Sie haben kein Konzept.
({10})
Es ist natürlich sehr viel einfacher, immer wieder Einzelvorschläge vorzulegen und Einzelkritiken anzubringen. Man kann sehr wirkungsvolle Anträge stellen, wenn man nicht gleichzeitig sagen muß, wie das im Gesamtkonzept wieder ausgeglichen werden kann.
Wir wissen alle, daß Herr Kollege Strauß seinerzeit als Finanzminister eine neutrale Kommission für die Steuerreform ins Leben gerufen hat. Diese Kommission hat vor drei Jahren ihr Werk vorgelegt. Es war selbstverständlich der Ausgangspunkt für jeden von uns, für jede verantwortliche Partei und Fraktion, an Hand der neutralen Vorschläge dieser Sachverständigen zu prüfen, was politisch gemacht werden sollte. Sie haben das auch gewollt und verschiedene Anläufe genommen. Sie haben z. B. Herrn Ministerialdirigent Vogel, einen qualifizierten Beamten aus dem Ministerium, dafür eingesetzt. Er hat sich sicher redlich bemüht. Dann haben Sie Herrn Höcherl zum Vorsitzenden irgendeiner Kommission gemacht. Er hat sich, nehme ich an, ebenfalls redlich bemüht. An den beiden hat es sicherlich nicht gelegen, vermute ich. Ich schätze sie beide.
({11})
- Ja, das dürfen Sie gerne tun. Ich sage das nicht nur in deren Abwesenheit, sondern ich würde es ihnen auch sagen, wenn ,sie hier wären; es ist ja etwas Gutes.
Nein, warum es trotzdem zu nichts führte und woran alle die vielen Kommissionen und Ausschüsse gescheitert sind, will ich Ihnen sagen: es gibt eben in diesen Fragen keine Union zwischen Herrn Strauß und Herrn Katzer, und das, was Herr Blüm für gerecht hält, ist nicht das gleiche, was Herr von Bismarck für machbar oder tragbar hält.
({12})
Es liegt einfach daran, daß alles das, was jemand in einer Gruppe Ihrer Fraktion für richtig hält, von einer anderen Gruppe nicht hingenommen werden kann. Der eine will mehr ausgeben und muß deswegen zwangsläufig Steuererhöhungen fordern, und der andere will Steuerentlastungen, will aber nicht präzisieren, wo Ausgaben eingespart werden sollen.
({13})
In den blumenreichen Aphorismen von Herrn Blüm gestern abend hat eigentlich etwas gefehlt. Nachdem er die vielen Forderungen der CDU nach noch mehr Sozialausgaben, noch mehr Familienausgaben und noch mehr Wohnungsbaumitteln vorgetragen hatte, dachte ich, er würde jetzt in einem
abschließenden Satz sagen: Und dies alles finanziert die CDU aus den vorgeschlagenen Steuerermäßigungen!
({14})
Das hätte eigentlich in den Kontext gepaßt. Er hat es nicht gesagt; aber mir scheint, daß Sie so denken. Denn anders ist es nicht zu erklären, daß Sie auf der einen Seite Steuerentlastungen in Milliardenhöhe fordern und gleichzeitig - der Herr Minister hat das soeben einmal schön vorgerechnet - Milliardenbeträge mehr ausgeben wollen. Das ist nach Adam Riese nur dadurch möglich, daß man einmal plus und minus verwechselt; sonst ist das eigentlich nicht zu schaffen.
Nein, meine Damen und Herren, wir werden uns nicht beirren lassen. Wir werden Sie fragen, ob Sie Alternativen haben oder ob Sie unseren Vorstellungen, den Vorstellungen der Regierung zustimmen.
Zum Bundesrat. Ich muß jetzt kurz darauf eingehen, Herr Kollege Strauß; ich wollte es ursprünglich in Abwesenheit der Herren, die das heutige Thema offensichtlich nicht für sehr wichtig halten, nicht tun. Doch nach dem Sie auf die Behandlung des Gesetzes zur Reform der Erbschaft- und der Vermögensteuer im Vermittlungsausschuß verwiesen haben, muß ich etwas dazu sagen. - Sie kritisieren, im Vermittlungsausschuß sei keine Kompromißbereitschaft gewesen. Da müssen Sie aber erstens einmal sagen, inwiefern es einen Kompromiß zwischen einem Vorschaltgesetz und einem fertigen Gesetz geben kann. Irgend etwas dazwischen kann es ja wohl nicht geben. Es gibt entweder ein fertiges oder ein Vorschaltgesetz.
({15})
Zweitens hat es der Bundesrat abgelehnt, konkrete Vorschläge zu machen, über die man konkret hätte reden können.
Nun dazu ein Wort zur Geschichte dieser Gesetzesberatung. Als im Sommer dieses Jahres Bundesregierung und Koalitionsfraktionen der Meinung waren, daß das gesamte Steuerpaket am gleichen Tag - etwa 1976 oder 1975 - als einheitliches Gesetzgebungswerk in Kraft treten sollte, kämpfte der Bundesrat nachdrücklich dafür, daß die Änderungen bei den einheitswertabhängigen Steuern vorgezogen und vorzeitig in Kraft gesetzt würden. Nun gut, nach langen Mühen haben wir dem zugestimmt. Das war der erste Kompromiß unsererseits.
Dann hat der Bundesrat gesagt: Es darf nicht sein, daß bei der Erbschaft- und der Vermögensteuer zwei verschiedene Werte angewendet werden; das ist nicht einmal für ein Jahr erträglich. Nun gut, wir sind ihm entgegenkommen und haben beide Gesetze fertiggemacht, mit gleichen Einheitswerten.
Und nun legt uns der Bundesrat einen Gesetzentwurf vor, in dem die Werte für Erbschaft- und Vermögensteuer verschieden sind. Was soll das? Und dazu erklärt die Bundesratsmehrheit: Es ist alles viel zu schnell gegangen.
Zu schnell? Die Eckwerte liegen seit zweieinhalb Jahren vor. Der fertige Entwurf für Erbschaft- und Vermögensteuer liegt seit zwei Jahren vor. Der Bundesrat hat vor knapp zwei Jahren im ersten Durchgang seine Anmerkungen gemacht. Dann haben wir den Gesetzentwurf von der Grundsteuer bis zur Vermögensteuer über acht bis neun Monate im Ausschuß beraten, übrigens ohne daß die Herren anwesend waren. Und nun erklären sie uns: Dies geht uns zu schnell; es ist über den Daumen gepeilt; es ist husch husch.
Meine Herren und Damen, hier kann man doch nur fragen, ob sich denn die Herren bis zu dem Augenblick, wo wir das Gesetz abgeschlossen haben, überhaupt mit der Materie beschäftigt haben.
({16})
Denn anders kann man diese Kritik doch einfach nicht verstehen. Auf unsere Frage, wo denn etwas zusammengehuscht ist und wo man noch etwas korrigieren müßte, antwortete man uns wieder mit Schweigen; kein konkretes Beispiel.
Ich glaube in der Tat, hier muß man sich ernstlich fragen, ob sachliche Kompromisse gesucht werden sollten - dann hätte man Änderungsanträge stellen müssen - oder ob Prinzipien geritten werden sollen. Wenn letzteres der Fall ist, dann ist ein Kompromiß allerdings nicht möglich,
({17})
sondern dann muß man vermuten, daß man hier etwas aus Grundsatz verhindern will. Dabei sage ich in Klammern: Wenn der Bundesrat das Gesetz verhindern will, muß er sich allerdings fragen, wie er zum nächsten Steuertermin die Vermögensteuer hereinbekommen will und wie er sich mit denen auseinandersetzt, die jetzt einen Erbfall bei offener Rechtslage haben.
Sicherlich sind wir grundsätzlich zu sachlichen Kompromissen bereit, wenn sachliche Anträge gestellt werden. Dies möge man dann tun.
Im Finanzausschuß werden wir die Beratungen des 3. Steueränderungsgesetzes jetzt aufnehmen. Auch vom Bundesrat habe wir interessante Änderungsanträge zur Sache bekommen, die es wert sind, beraten zu werden. Der Bundesrat will uns ja auch begleiten. Das sollten wir alle sehr fair machen. Wir werden uns im Ausschuß über viele Fragen unterhalten müssen, etwa über die Frage, wie Geschenke und Bewirtungsspesen zu behandeln sind. Man muß sehen, daß Betriebe, die keine Mittel haben, abends zu den Fernsehzeiten zu werben, steuerlich nicht schlechter behandelt werden dürfen, wenn sie mit bescheidenen handlichen Gebrauchsgegenständen werben. Wir werden uns auch darüber unterhalten müssen, inwieweit Bewirtungsspesen betrieblich unabweisbar sind und welche Möglichkeiten es gibt - das ist das Entscheidende -, Mißbräuche und Aus4932
wüchse zu verhindern. Wir werden uns auch über die Diätenbesteuerung unterhalten müssen, meine Damen und Herren.
({18})
Wir werden dabei die Frage sehr ernst nehmen müssen, wie alles verwaltungstechnisch durchgeführt werden kann. Denn das ist richtig: Gerechtigkeit so viel wie möglich; aber wo die Kompliziertheit so groß ist, daß die Gerechtigkeit, obwohl sie im Gesetz steht, praktisch nicht mehr verwirklicht werden kann, da hilft uns alle formale Gerechtigkeit nichts, sondern da muß ein möglichst guter Kompromiß zwischen Gerechtigkeit und Einfachheit gesucht werden.
({19})
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reform der Kinderentlastung ist ein wesentliches Kernstück der Einkommensteuerreform und gleichzeitig und gleichrangig ein wichtiger Beitrag zur Fortentwicklung und Verbesserung der Familienpolitik; Familienpolitik als Gesellschaftspolitik und in diesem Fall nun eingearbeitet in das Steuerrecht und die Steuerpolitik. Das ist auch der politisch entscheidende Grund, warum die Bundesregierung trotz mancher Bedenken des Bundesrates die steuerrechtliche Lösung bevorzugt.
Sicher geht es auch um die Frage der Kostenteilung, um das rationalste Verwaltungsverfahren; wenig um Zuständigkeiten. Sonst würde ich z. B. die Arbeitsverwaltung hinsichtlich der Auszahlung bevorzugen. Denn bei der steuerrechtlichen Lösung gebe ich die Zuständigkeit ab. Aber ich tue das gerne um der sachlichen Bedeutung dieser Lösung willen. Es geht entscheidend darum, ob und wie Familienpolitik in Wirtschafts- und Finanzpolitik wirklich integriert werden kann.
Gestern hat der Kollege Blüm der sozialliberalen Bundesregierung vorgeworfen, in der Familienpolitik mit leeren Händen dazustehen. Er hat als Maßstab für diese Kritik das Kindergeld für die kinderreiche Familie genannt und in seinen Ausführungen einzig und allein darauf abgehoben. Nun, hier heute die Antwort und unsere klare Forderung an die Kollegen von CDU/CSU: Sorgen Sie mit uns dafür, daß das Dritte Steuerreformgesetz mit dem Familienlastenausgleich zum 1. Januar 1975 in Kraft treten kann!
({0})
Sorgen Sie dafür, nicht indem Sie ausweichen auf Schwierigkeiten, auf die Sie sich zu berufen versuchen, sondern indem Sie, bitte, mitarbeiten in dem dafür zuständigen Ausschuß und Ihren Einfluß auf die von der CDU/CSU geführten Länderregierungen im Bundesrat entsprechend ausüben, statt hier schon von vornherein abdanken zu wollen.
Die mit diesem Gesetzentwurf vorgelegte Regelung des Kinderlastenausgleichs ist sorgfältig und mit allen Beteiligten vorbereitet und ausgearbeitet worden. Dabei, sind die Vorschläge der Verbände - und gerade auch der Familienverbände - berücksichtigt worden.
Bei allen Beteiligten gibt es, so meine ich, in zwei Dingen keine Meinungsverschiedenheit.
Erstens. Das derzeitige mehrgleisige System enthält gravierende Mängel. Es wird zunehmend als sozial ungerecht empfunden. Das System der Kinderfreibeträge im geltenden Einkommensteuerrecht begünstigt die höheren Einkommen, es benachteiligt die mittleren und unteren. Nur im öffentlichen Dienst gibt es mit dem Kinderzuschlag eine Leistung für Idas erste Kind, während beim Kindergeld erst für das zweite Kind - und nur bei gegebener Einkommensgrenze - eine Leistung von monatlich 25 DM gewährt wird.
Das zweite, worüber Einigkeit bestehen sollte, ist: Bei der Reform muß es eine Vereinheitlichung geben. Wir brauchen eine wesentlich verbesserte, sozial gerechtere Lösung und, soweit das dann noch mit diesen Maßstäben vereinbar ist, eine Vereinfachung.
Diesen Ansprüchen trägt der Vorschlag der Bundesregierung Rechnung. Das Nebeneinander von Kinderfreibeträgen, Kindergeld und Kinderzuschlag wird durch eine einkommensunabhängige Kinderentlastung ersetzt. Diese soll für das erste Kind 50 DM betragen, für das zweite 70 DM und für jedes weitere Kind 120 DM im Monat. Diese Regelung bringt entscheidende Veränderungen gegenüber dem bisherigen System. Der gestaffelte und für das dritte und jedes weitere Kind hohe Entlastungssatz von 120 DM monatlich berücksichtigt ganz gezielt die Mehrkinderfamilien. Ich sage das hier so deutlich, weil der Bundesregierung und insbesondere der SPD häufig der Vorwurf gemacht wurde, sie sei allein an den kleinen und jungen Familien interessiert.
Alle Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich, unabhängig von der Zahl der Kinder, werden durch diese Reformen Verbesserungen erhalten. Für alle geht es zukünftig um eine Entlastung vom ersten Kind an. Sie werden mir recht geben, daß es gerade auch beim ersten Kind um eine solche notwendige Entlastung geht. Einkommensteuergrenzen für den Bezug von Kindergeld und Zweitkindergeld werden entfallen. Der Mehraufwand für diese Verbesserungen gegenüber dem geltenden Recht beträgt 4 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung in diesem Bereich um 40 %.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist der Meinung, daß bei solchen Verbesserungen für die große Zahl unserer Familien einige Abstriche für Familien mit hohem Einkommen in Kauf genommen werden können und müssen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Beispiele, die mein Kollege Helmut Schmidt hier auch schon veranschaulicht hat.
Die hier vorgeschlagene Reform des Kinderlastenausgleichs ist ein Kernstück der FamilienBundesminister Frau Dr. Focke
politik. Aber das darf und sollte niemanden zu der Ansicht verleiten, Familienpolitik manifestiere sich in der Zahlung von Kindergeld oder erschöpfe sich allein darin.
({1})
Ich habe bereits bei anderen Gelegenheiten - sowohl vor diesem Hause als auch im Ausschuß und in der Öffentlichkeit - darauf hingewiesen, daß das Kindergeld einen wichtigen, aber auch nur einen Teilbereich notwendiger materieller Hilfen für die Familien darstellt, erst recht nur einen Teilbereich von Familienpolitik insgesamt. Andere Leistungen wie Wohngeld, Ausbildungsförderung, Ausdehnung der Unfallversicherung, aber auch allgemeine Einkommensverbesserungen, allgemeine Steuererleichterungen und nicht zuletzt die Sicherung der Arbeitsplätze sind wichtige gesellschaftspolitische Beiträge auch zur Sicherung der ökonomischen Grundlage der Familie.
Dieser Hinweis an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt ist mir deshalb wichtig, weil die CDU/CSU mit spektakulären Sozialprogrammen, mit abstrakten Milliardensummen und leider auch in alter Interpretation der Familie als Fluchtburg vor einer bösen Welt bedrohlicher Manipulation wiederum die Zielgruppe Familie zum Emotionsmedium ihrer Politik zu machen versucht.
({2})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie werden Änderungen des Images von Familienpolitik, Sie werden Ihre Fähigkeit zu konkreten Beiträgen im Rahmen von Familienpolitik, vor allen Dingen aber auch zu den Problemen besonderer einzelner Gruppen innerhalb des gesamten Bereichs der Familie, z. B. zu den Problemen einer alleinstehenden Frau mit Kind - das ist lange von Ihnen praktisch gar nicht unter dem Etikett „Familie" gesehen worden -,
({3})
erst wirksam werden lassen können, wenn Sie sich einfach einmal ganz nüchtern die Bedingungen der heutigen Familien ansehen, die Bedürfnisse, die sie wirklich haben. Sie dürfen nicht glauben, Ihre Vorschläge auf einem schmalen Ausschnitt aufbauen zu können, wobei Sie dann auch noch die Kosten nicht realistisch berechnen.
Sie werden erst dazu kommen, solche Beiträge zu liefern, wenn Sie von einer ideologischen Besetzung dieses Themas fortgehen bzw. von ideologischen Unterstellungen an die Adresse der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen in diesem Bereich.
({4})
Ich meine z. B. ideologische Unterstellungen unter dem Stichwort Privatisierung der Beziehungen zwischen den Ehepartnern, Sozialisierung bei der Erziehung der Kinder und Tendenzen zur Zersetzung unserer Familien in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt.
({5})
Sie werden versuchen müssen, solche Dinge wie das neue Ehe- und Familienrecht, das neue Gesetz in bezug auf die elterliche Sorge, unsere gesamte stufenweise Reform der Adoption und die in Vorbereitung befindliche Jugendhilfe
({6})
genauso ernst zu nehmen und als einen Bestandteil von Familienpolitik zu betrachten wie das Kindergeld und den Familienlastenausgleich.
({7})
Gerade diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien wissen natürlich, daß ungelöste Aufgaben in diesem weiten Bereich einer richtig und umfassend verstandenen Familienpolitik noch vor uns liegen: Verbesserung für die Erziehungsbedingungen, z. B. gerade bei berufstätigen Müttern, Hilfen bei Familienplanung, verstärkte Beratung, die ganzen Probleme, die uns im Zusammenhang mit der Reform des § 218 beschäftigen, die Qualifizierung im Bereich der frühkindlichen Erziehung, überhaupt der Ausbau familienergänzender Einrichtungen, und dies, meine Damen und Herren, jeweils und zuerst für jene Gruppen in unserer Bevölkerung, in denen Kinder in ihrer Entfaltung besonders benachteiligt oder behindert sind.
({8})
Ich komme zum Schluß. Trotz alledem - ich habe versucht, den Blick hier einmal einen Moment auszuweiten, nachdem ich gestern dazu nicht mehr gekommen bin -: Kinder kosten Geld, und Familienpolitik kostet auch Geld. Auch wenn diese Gesellschaft bereit und in der Lage ist, einen immer größeren Anteil der Kosten für die nachwachsende Generation als Allgemeinkosten zu übernehmen, bleiben Belastungen, die in der Familie entstehen und durch sie aus dem verfügbaren Einkommen getragen werden müssen. Deshalb ist eine Verbesserung der Entlastung der Familien mit Kindern in den unteren und mittleren Einkommensgruppen eine besonders vordringliche Aufgabe der Familienpolitik. Das Dritte Steuerreformgesetz ist dafür die geeignetste und gerechteste Form.
({9})
Auch an der Bereitschaft der CDU/CSU, zu seiner schnellen Verwirklichung zu dem vorgesehenen Termin 1. Januar 1975 beizutragen, werden wir sie in der Familienpolitik messen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem über den Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes nunmehr in vieler Hinsicht gesprochen worden ist, fehlt noch ein Teil, über den doch einige Worte gesagt werden müssen, nämlich das Körperschaftsteuergesetz.
Der Entwurf, der uns vorliegt, hat zwei Teile. Den ersten Teil, die Einkommensteuerreform, wird diese Regierung nicht verwirklichen können, den zweiten Teil, die Körperschaftsteuerreform, wird sie nicht verwirklichen wollen. Wenn ich mit dieser Prognose unrecht habe, werde ich gern der erste sein, der das hier zugibt und eingesteht. Die CDU/CSU will nicht nur eine Einkommensteuerreform, sondern sie will gerade die Reform der Körperschaftsteuer, sie will und begrüßt die Einführung des Anrechnungsverfahrens. Wenn gleichwohl Skepsis am Platze ist, hat dies vielfältige Gründe.
Die SPD erklärte in den letzten Tagen in vielfältigen Varianten, die wesentlichsten Eckwerte werde sie noch in dieser Legislaturperiode verwirklichen. Diese ebenso kühne wie auch muntere Behauptung besagt zweierlei: einmal, daß der Teil des Dritten Steuerreformgesetzes, der die Einkommensteuerreform vorsieht, nicht in der Form kommen wird, wie sie jetzt in dem Entwurf der Bundesregierung vorgesehen worden ist, sondern in irgendeiner anderen, verkleinerten, mit ziemlicher Sicherheit auch verkümmerten Form; zum anderen aber besagt diese Ankündigung, daß die Körperschaftsteuerreform wohl nicht kommen wird, weder zu dem Zeitpunkt, der ursprünglich vorgesehen war, nämlich zum gleichen Zeitpunkt wie die Einkommensteuerreform - das wäre der 1. Januar 1975 -, noch zum 1. Januar 1976, wie es im Gesetz vorgesehen ist, und wohl auch nicht später.
Das offensichtliche Desinteresse an der Körperschaftsteuerreform, die einmal, und zwar ganz zu Recht, regierungsamtlich als der echte Reformplan und ein Kernstück der Steuerreform insgesamt bezeichnet wurde, zeigt sich nun deutlich an der Art der Behandlung, die die Bundesregierung ihrem - zumindest formell - eigenen Entwurf im Bundesrat zunächst einmal angedeihen ließ. Die umfangreichen Ausführungen des Regierungsvertreters zum Dritten Steuerreformgesetz enthielten zur Körperschaftsteuer lediglich vier Sätze. Ich habe es im Protokoll nachgezählt: es waren neun Zeilen. Und auch diese neun Zeilen besagten nur, daß das neue Körperschaftsteuergesetz frühestens - ich wiederhole: frühestens - im Jahre 1976 wirksam werden könne. Wer dieses abwertende und die Verschiebung doch geradezu implizierende „frühestens" dann im Kontext mit Bemerkungen hoher Vertreter des Finanzministeriums hört, die Beratung des Körperschaftsteuerreformteils sei nicht dringend, für den ist das ein Beweis, daß es hier möglicherweise zu einer Verschiebung auf den St.-Nimmerleinstag kommen kann, wenn nicht alle diejenigen zusammenwirken, die diese grundlegende Reform der Körperschaftsteuer, diese entscheidende vermögenspolitische Maßnahme, verwirklichen wollen.
Dies ist von der SPD - bei aller Respektierung der Koalitionsdisziplin - nicht ohne weiteres zu erwarten. Denn in ihr ist doch ihr eigener Beschluß vom November 1971 auf ihrem Steuerparteitag lebendig, der - ich zitiere - „eine Änderung des derzeitigen Körperschaftsteuersystems" nicht für geboten erklärte, sondern lediglich die Erhöhung des
Körperschaftsteuersatzes für geboten hielt. Gewiß, in der Regierungskoalition hat sich die FDP gegen dieses Votum des SPD-Steuerparteitags durchgesetzt. Ob es aber nun wirklich zur Beseitigung der Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne von Kapitalgesellschaften mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer kommt, also zu der Steuerreform, die wirklich den Namen „Reform" verdient, wird sich erst bei den Beratungen des Entwurfs zeigen, und zwar bei den Beratungen sowohl innerhalb der Bundesrepublik, also vornehmlich im Finanzausschuß, als auch bei der Vertretung der Regierungsvorlage in Brüssel bei der EG durch die Bundesregierung selbst. Erst hier nämlich wird deutlich werden, ob die vom Kabinett unter Vorbehalten beschlossene Körperschaftsteuerreform auch ernsthaft angestrebt wird, und es wird sich auch zeigen, wer dies tut, oder ob sie nur zum Zwecke eines politischen Marketings hier angekündigt worden ist. Die Bundesregierung nämlich - oder man sollte wohl besser sagen: ihr SPD-Teil - hat mit der Körperschaftsteuerreform gleichzeitig die Hürden aufgebaut, über die die Körperschaftsteuerreform stolpern kann, gegebenenfalls dort stolpern soll. Da ist zunächst einmal das Junktim, die zeitliche Koppelung mit dem erst im Grundsatz festgelegten Gesetz zur Beteiligung breiter Schichten der Bevölkerung am Produktivvermögen. Ich versage mir jetzt in diesem Zusammenhang eine Kritik an den bekanntgewordenen Grundsätzen für diesen Vermögensbildungsplan, bei dem das, was ihn rechtfertigen soll, nämlich die breite Streuung des Vermögens, mir nicht so ohne weiteres gelungen zu sein scheint. Denn Vermögen, über das andere, und mögen sie auch noch so vordergründig dezentralisiert sein, verfügen und das andere verwalten, ist keines. Das Junktim aber zwischen einem Gesetz, dessen Schwierigkeiten sich doch erst bei der Gesetzesformulierung, bei der Detailarbeit ergeben werden, dieses Junktim zwischen dem überhaupt noch nicht bestehenden Gesetz und der Körperschaftsteuerreform, kann dazu führen, daß die Körperschaftsteuerreform ganz wesentlich verzögert wird. Dies ist deswegen so zu bedauern, weil gerade die Körperschaftsteuerreform selbst der erste Teil einer Vermögensbildungspolitik für breite Bevölkerungskreise ist. Wer Produktivvermögen - und Aktien sind eben eine Beteiligung am Produktivvermögen - einer breiten Schicht unseres Volkes zugänglich machen will, der muß die Diskriminierung der Aktie, ihre Doppelbelastung, beseitigen. Wie kann man dem Sparer, der an der Produktivwirtschaft durch eine Beteiligung, also in der Form von Aktien, teilhaben will und teilhaben soll, begreiflich machen, daß er, legt er séin Geld auf Sparkonto an, die Zinsen bekommt, die nur mit der Einkommensteuer belastet sind, legt er aber sein Geld in einem Beteiligungswert an, der Gewinn aus diesem Beteiligungswert, sozusagen die Zinsen, zunächst einmal mit der Körperschaftsteuer und dann mit der Einkommensteuer belastet wird? Diese Doppelbelastung, diese Doppelbesteuerung hat doch dazu geführt, daß bisher nur derjenige, der sich sozusagen diese Doppelbelastung leisten konnte, Anteile am Produktivvermögen hatte. Wer also Anteil breiter Schichten unseres Volkes am Produktivvermögen will, und das
wollen wir, der muß zunächst einmal diese Doppelbelastung beseitigen.
Zu Beginn der Diskussion über das Anrechnungsverfahren wurde gelegentlich behauptet, es begünstige die Großaktionäre. Daß dies unrichtig ist, ist längst nachgewiesen, nicht zuletzt durch die Ausarbeitungen und Berechnungen des Bundesfinanzministeriums selbst. Ohnehin aber konzentriert sich das Interesse der Großaktionäre, die am Wirtschaftsleben teilhabende und mitgestaltende Unternehmer sind, auf den Steuersatz, mit dem die nichtausgeschütteten, die für die Investition vorgesehenen Gewinne belastet werden. Nicht also die Dividende steht hier im Vordergrund, sondern die Wirtschaftskraft des Unternehmens überhaupt. Dies muß vornehmlich in einer Zeit gesehen werden, in der es darum geht, die Wirtschaftskraft der Unternehmen für die Erhaltung und Neugestaltung der Arbeitsplätze einzusetzen.
Hier aber kann man nicht verkennen, daß die Wirtschaftskraft der Unternehmen durch die Körperschaftsteuerreform etwas beeinträchtigt wird. Denn nichtausgeschüttete Gewinne werden künftig mit dem erhöhten Steuersatz, mit ,dem Satz von 56 %, besteuert. Damit finanziert sich die Körperschaftsteuerreform selbst, und zwar auf Kosten der unternehmerisch denkenden Großaktionäre. Dies hat durchaus seinen Sinn; dem soll hier auch gar nicht widersprochen werden. Aber ich finde, es muß einmal deutlich gesagt werden, daß sich die Körperschaftsteuerreform auf diese Weise selbst finanziert. Dies muß deswegen immer wieder erklärt werden, damit die Legende von der Begünstigung der Großaktionäre widerlegt ist und widerlegt bleibt.
Hier muß noch klar die Gesamtbelastung der von einer Kapitalgesellschaft erwirtschafteten Gewinne gesehen werden: zu der auf 56 % erhöhten Körperschaftsteuer kommen noch die Steuererhöhungen infolge der neu festgesetzten Einheitswerte, also vornehmlich die Grundsteuerbelastung, und die besonders beim Betriebsvermögen eminent zu Buche schlagende Vermögensteuerbelastung. Weiter kommt dazu noch die Vermögensbildungsabgabe in Höhe von bis zu 10 % des Gewinns.
Die von den Steuerexperten des Bundesfinanzministeriums und der Länderfinanzministerien angestellten Berechnungen kommen hier zu einer Gesamtsteuerbelastung bis an die Grenze von etwa 90 %.
({0})
- Nicht in jedem Fall, aber die Grenze kann erreicht werden. - Diese Gesamtsteuerbelastung trifft nicht nur das Unternehmen, sondern - über den Wert der Beteiligung - auch den Aktionär, also genau auch die breiten Schichten des Volkes, die nunmehr an das Produktivvermögen herangeführt werden sollen.
Noch eine zweite steuerpolitische Hürde ist aufgebaut, und alle werden sorgsam darauf achten müssen, daß die Körperschaftsteuerreform hierüber nicht stolpert bzw. daß nicht - präziser gesagt - die Bundesregierung ,selbst die Körperschaftsteuerreform hierüber stolpern läßt: es muß noch die Ha rmonisierungshürde im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft genommen werden.
Die EG-Kommission hat sich im Grundsatz bereits für ein Anrechnungsverfahren als Modell für ein europäisches Körperschaftssteuersystem ausgesprochen. Klar ist aber noch nicht, ob es sich hier um ein Vollanrechnungsverfahren oder ein Teilanrechnungsverfahren handelt. Es wird hier darauf ankommen, in welcher Phase die Europäische Gemeinschaft für neue und grundlegende Gedanken und Entwicklungen noch offen ist, das in dem deutschen Entwurf vorgesehene Vollanrechnungsmodell zum europäischen Modell zu erheben, zumindest aber in Brüssel eine Entscheidung zu erreichen, daß das deutsche Vollanrechnungsmodell integrationsfähig ist.
Würde nämlich das derzeitige System des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes nur durch ein Teilanrechnungsverfahren ersetzt werden, dann geschähe nichts anderes, als daß die zur Zeit geltenden Belastungsverhältnisse bei den ausgeschütteten Gewinnen in einem anderen gesetzestechnischen Gewand erhalten blieben. Die großangelegte Körperschaftsteuerreform liefe dann auf ein hochkompliziertes, aber sonst nichtssagendes Glasperlenspiel ohne. jede belastungspolitische Konsequenz hinaus; es wäre jeder Entlastungseffekt für die breite Mehrheit der Aktionäre genommen; es bliebe nur der erhöhte Körperschaftsteuersatz. Diesen Preis aber sollte man bei der Einführung eines neuen Systems in einem hochkomplizierten volkswirtschaftlichen System weder verlangen noch zahlen. Ein bloßer Wechsel des Gesetzesmechanismus ist keine Reform.
Alle diejenigen nun, welche die Körperschaftsteuerreform, also die Vollanrechnung, wirklich wollen, müssen damit rechnen, daß die Teilanrechnung als eine Versuchung an sie herantritt. Versuchung wird die Teilanrechnung insbesondere für diejenigen sein, die das Körperschaftsteuersystem nur als ein politisches Marketing begreifen, und sie werden jeden Vorwand, vor allem den der Teilanrechnung benutzen, um von der Vollanrechnung abzugehen. Wir aber - und ich gehe davon aus, daß dies auch für die FDP gilt - wollen das Voll-anrechnungsverfahren. Wir werden darauf achten müssen, daß die Bundesregierung bei den beginnenden Verhandlungen in Brüssel keine Lösung anstrebt und auch keine Lösung akzeptiert, 'die darauf hinausläuft, daß zwar verbal eine Körperschaftsteuerreform verwirklicht wird, zugleich aber die echte Körperschaftsteuerreform, nämlich die der Vollanrechnung, steigert.
Unsere positive Einlassung zu der vorgelegten Körperschaftsteuerreform und unsere Sorge um ihre tatsächliche Verwirklichung möchte ich mit einem Dank an. die Verfasser des Gesetzentwurfs beschließen. Hier ist von Grund auf und nahezu ohne jede Vorlage ein Gesetzeswerk entwickelt worden, das nicht nur Wirtschafts- und finanzpolitisch, sondern auch fachjuristisch höchste Anerkennung verdient.
Die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums unter der Leitung der Ministerialdirektoren
Vogel und Koch, die Steuerreformgruppe des Ministeriums unter der Leitung der Herren Klein und U11 und der eigentliche Verfasser dieses Entwurfs, Herr Wrede, und seine Mitarbeiter verdienen ebenso wie der Steuerreferent des Bundeswirtschaftsministeriums, Herr Fischer, der wesentliche Gedanken zu diesem Reformwerk beigetragen hat, unseren besonderen Respekt. Jetzt ist es unsere Sache, daß dieser Gesetzentwurf vom Bundestag zu einer lebendigen und - auch im Hinblick auf die europäische Steuerharmonisierung - richtungweisenden Realität gemacht wird. Bis jetzt haben wir Grund, daran zu zweifeln, daß die Koalition diese Körperschaftsteuerreform wirklich will. Es wird an SPD und FDP liegen, diese Zweifel zu beseitigen. Wir stehen auf jeden Fall zu dieser Körperschaftsteuerreform.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Rapp, der sich zu Wort gemeldet hatte, hat im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit seine Wortmeldung zurückgezogen und sich damit den Dank des Hauses verdient.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen vor, alle drei Entwürfe an den Finanzausschuß - federführend - zu überweisen sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Zudem wird das Steuerreformgesetz zur Mitberatung überwiesen an die Ausschüsse für Wirtschaft und für Jugend, Familie und Gesundheit, das Inflationsentlastungsgesetz an den Ausschuß für Wirtschaft. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen im Rahmen der Verordnung ({1}) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu-
und abwandern, und der Verordnung ({2}) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung ({3}) Nr. 1408/71
- Drucksache 7/1516 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Der Gesetzentwurf wird nicht begründet. Es ist keine Aussprache vorgesehen. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder ({4}),
Frau Dr. Walz, Weber ({5}) und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Verbund Kernenergie und Kohle - Drucksache 7/1319 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({6})
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post-
und Fernmeldewesen
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Engelsberger:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat am 30. November 1973 im Bundestag den Antrag Verbund Kernenergie und Kohle mit Bundestagsdrucksache 7/1319 eingebracht. Der Antrag hat zum Ziel, auf dem Gebiet der künftigen Entwicklung neuartiger Techniken der Energieerzeugung und der Energieverwendung eine Art Raumfahrtbehörde - wie die amerikanische NASA - im deutschen Energiesektor zu bilden.
Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und dem Saarland sowie interessierten Wirtschaftsverbänden und Unternehmern eine Gesellschaft „Verbundanlage Kernenergie und Kohle" zu gründen. Die Gesellschaft soll als Auftraggeber für eine großtechnische Anlage der Kohleveredlung mit Hilfe der Kernenergie auftreten. Nach dem Bau der Prototypanlage sind die Anteile der staatlichen Gesellschafter an Wirtschaftsunternehmen zu übertragen. Das primäre Ziel dieser Gesellschaft ist es, die nukleare Prozeßwärme in einem Verbundsystem zwischen dem Hochtemperaturreaktor und der Kohlevergasungsanlage einzusetzen. Die in diesem Verbund entstehenden Energieträger und Rohstoffe sollen zum Teil durch in den Verbund integrierte Unternehmen der Chemie und der Stahlerzeugung verwendet werden.
Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik Deutschland haben wir eine Vielzahl fähiger Forscher und Erfinder. Gerade im naturwissenschaftlich-technischen Bereich konnte die deutsche Wissenschaft und Technik bisher auf zahlreiche hervorragende Erfolge stolz sein. Auch zukünftige Probleme der Energieversorgung lassen sich lösen, wenn wir die gesamte wissenschaftlich-technische Kapazität zielgerecht einsetzen. Es geht nicht nur darum, daß Mittel bereitgestellt werden, damit verschiedene Forschergruppen sich speziellen Problemen widmen, sondern vielmehr darum, daß unter dem Aspekt der verstärkten Energieunabhängigkeit die vorhandenen Kapazitäten systematisch erfaßt und von einem einheitlichen Auftraggeber optimal eingesetzt werden. Wenn wir die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland im Auge behalten, so ist nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nur die Kernenergie in der Lage, die notwendigen Energiemengen, die unsere Volkswirtschaft in der Zukunft benötigen wird, bereitzustellen. Glücklicherweise haben wir in der Bundesrepublik Deutschland noch ausreichende Vorkommen von Braun- und Steinkohle. Diese Reserven sind aber zu wertvoll, um sie einfach zu verbrennen, sondern
sie müssen in Zukunft immer mehr als Rohstoffquelle eingesetzt werden.
Die Bundesregierung hat ein Energieforschungsprogramm vorgelegt, das wir an verschiedenen Stellen schon ausführlich begrüßt haben. Es ist die erste Wirkung auf die Forderungen der CDU/CSU-Fraktion. Die Vorschläge, für die ein Finanzvolumen von 800 Millionen DM zur Verfügung steht, decken sich zum Teil mit Einzelmaßnahmen in den Anträgen der CDU/CSU. Ich will es mir ersparen, an dieser Stelle auf die einzelnen Initiativen meiner Fraktion einzugehen. Das hat mein Kollege Lenzer bereits in der vergangenen Woche in der Energiedebatte getan.
({0})
- Umgekehrt, Herr Kollege!
Vielfältige Forschungen sollen auf Grund des Energieprogramms vor allem im Bereich der Kohleforschung stimuliert werden. Was in diesem Energieprogramm fehlt, ist der Auftraggeber, der die notwendigen Forschungen koordiniert. Hier setzt unser Antrag ein. Durch diesen Antrag wird auf dem neuartigen Gebiet der Anwendung der nuklearen Prozeßwärme in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft ein einheitlicher Koordinator geschaffen, um diese so lebenswichtigen Projekte mit größter Eile voranzutreiben. Was soll vor allem diese neue Gesellschaft unternehmen? Es geht primär darum, daß über die zu gründende Gesellschaft unverzüglich die Vorbereitungen für den Bau einer großtechnischen Verbundanlage in Nordrhein-Westfalen und im Saarland auf der Basis der Kernenergie und Kohle getroffen werden. In der ersten Phase sollte mit Hilfe konventioneller Techniken die Kohlevergasung in Angriff genommen werden. Der Standort dieser Anlage müßte so gewählt werden, daß später durch den Bau eines Hochtemperaturreaktors die nukleare Prozeßwärme zur Vergasung der Kohle eingesetzt werden kann.
Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Hochtemperaturreaktors sowohl zur nuklearen Prozeßwärme als auch zur Elektrizitätserzeugung lassen die Kombination dieses Reaktors mit dem Rohstoff Kohle zum Mittelpunkt eines großtechnischen Verbundsystems werden, in dem Kohle-, Stahl- und Chemie-Industrien neue Impulse erhalten. Gewiß wird die endgültige Durchführung und der Durchbruch der nuklearen Prozeßwärme erst für die Mitte der 80er Jahre erwartet, aber auch dies nur dann, wenn wir heute die entscheidenden Schritte dazu unternehmen. Da die Braunkohle mit niedrigeren Temperaturen vergast werden kann als die Steinkohle, sollte zunächst eine Prototyp-Anlage zur Braunkohlevergasung vorgesehen werden, wobei aber gleichzeitig die Arbeiten für die Steinkohlevergasung mit höchster Priorität weitergeführt werden müssen.
Die CDU/CSU legt Wert darauf, daß die wissenschaftlich-technische Kapazität der Bundesrepublik Deutschland unverzüglich in einer koordinierten Aktion zur Verminderung der Energieabhängigkeit eingesetzt wird. Uns geht es hier allein um die Sache, nicht um irgendwelche partei-politischen Überlegungen. Wichtig ist, daß wir gemeinsam versuchen, diesem Land auf dem Gebiet von Energie und Rohstoffen eine gewisse Unabhängigkeit zu gewährleisten. Warum war bisher nur der Krieg der Vater aller Dinge, warum werden nur in Kriegszeiten technische Entwicklungen mit außerordentlicher Schnelligkeit mobil gemacht? Ich glaube, in unserer Situation sollte das heute auch in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Energiesektor möglich sein.
Der Vorschlag der CDU/CSU hat zum Ziel, nunmehr durch staatliche Unterstützung unsere fähigen Forscher aufzurufen, an diesem großen Ziel der Verminderung der Energieabhängigkeit mitzuwirken. Deshalb ist es besonders wichtig, daß auch umgehend die Mittel für den Bau einer Demonstrationsanlage zur Erzeugung nuklearer Prozeßwärme bereitgestellt werden. Weder im Atomprogramm noch im Energieforschungsprogramm der Bundesregierung sind diese Mittel eingeplant. Da diese Programme bis 1976 bzw. 1977 laufen, ist es dringend erforderlich, daß dies nachgeholt wird.
Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich darf Sie bitten, im Interesse der Sache diesem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen und nicht auf Grund parteipolitischer Überlegungen ein anderes Votum zu fällen. Ich beantrage die Überweisung dieses Antrags an den Wirtschaftsausschuß.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die energiepolitischen Aktivitäten der CDU/CSU-Opposition zu dieser Stunde sind bemerkenswert. Sie kommen nur einige Jahre zu spät, Herr von Weizsäcker; denn Tatsache ist, verehrter Herr Kollege Engelsberger, daß an diesem Projekt seit Jahren in der Kernforschungsanstalt Jülich in Zusammenarbeit mit dem Steinkohlen- und Braunkohlenbergbau geforscht wird. Der Kern Ihres Antrags ist ja nichts anderes als die Gründung einer Gesellschaft. Das ist der dritte Schritt, und das kann nicht der erste Schritt sein.
Über die Sache kann man sprechen. Im Forschungsprogramm der Bundesregierung steht, daß die Forschung auf diesem Gebiet forciert und verstärkt wird. Es besteht gar kein Zweifel, daß es sicherlich im gemeinsamen Interesse des Hauses liegt, so schnell wie möglich Gas aus Kohle mit Hilfe des Hochtemperaturreaktors zu gewinnen, und die Bundesregierung wird sicherlich alles in ihren Kräften Stehende tun, um dieses Forschungsvorhaben zu fördern und zu beschleunigen. Ob man an den Anfang die Gründung einer Gesellschaft in der von Ihnen vorgeschlagenen Form setzt, ist nicht eine Frage der Parteipolitik, sondern eine Frage der Zweckmäßigkeit. Darüber können wir dann im Fachausschuß reden.
Unsere Fraktion schließt sich dem an: Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Forschung und Technologie.
({0})
Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage vor, den Antrag an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen - mitberatend - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Dr. Mikat, Pfeifer, Dr. Gölter, Vogel ({0}) und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Fernschulgesetz - Drucksache 7/1337 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({1}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen heute vorgelegte Entschließungsantrag, nach dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, mit den Ländern in Verhandlungen darüber einzutreten, daß das nachfolgende Fernschulgesetz von ihnen gleichzeitig erlassen wird, hat eine leidvolle und zum Teil spannende Geschichte.
Ursprünglich - bereits im April 1973 und systematisch richtiger, weil ein solches Gesetz der Natur der Sache nach ein Stück Bildungsreform ist, das die Ländergrenzen überschreitet und alle Formen der fernunterrichtlichen Weiterbildung umfaßt - war ein ganzes Gesetzespaket geplant:
1. Änderung des Art. 75 Nr. 1 a des Grundgesetzes,
2. Rahmengesetz des Bundes zur Regelung der allgemeinen Grundsätze der Aufsicht über das Fernschulwesen,
3. Änderung von § 60 Abs. 4 des Berufsbildungsgesetzes.
Dieses Gesetzespaket, das in den Fachzeitschriften, aber auch in der Tagespresse von rechts bis links allgemein lebhafte Zustimmung fand - wobei gelegentlich nur bedauert wurde, daß es von der CDU und nicht von der Koalition eingebracht worden war -, war politisch nicht durchzusetzen, nicht nur, weil ein Land aus verfassungsrechtlichen Gründen widersprach, sondern auch, weil Bildungsminister von Dohnanyi sich rühmte, auch ohne Verfassungsänderung den Schutz des Fernschülers zu sichern, und zwar über das Abzahlungsgesetz.
Daß unser Gesetz ein noch nicht eingehaltenes Versprechen der Regierungserklärung von 1970, die Weiterbildung als vierte Säule des gesamten Bildungswesens anzusehen und zu fördern, wahrmachen sollte, sah dieser Bildungsminister überhaupt nicht, und auch die Koalitionsfraktionen Waren nicht bereit, eine Gesamtregelung durch Grundgesetzänderung zu unterstützen.
So ist es nun zu diesem Entschließungsantrag gekommen, der jedenfalls das eigentliche Fernschulgesetz noch enthält und damit die vier wesentlichen Punkte der Neuordnung des Fernunterrichts:
1. Alle Kurse sind von Amts wegen zu prüfen.
2. Das pädagogische Personal muß über die entsprechende Ausbildung verfügen.
3. Bildung ist keine Ware, die durch Vertreter angeboten werden kann.
4. Der Schüler ist vor unlauteren Praktiken der Wirtschaftshaie und der kleineren Betrüger zu schützen.
Es kann doch wohl kein Zweifel daran bestehen - weder verfassungspolitisch noch verfassungsrechtlich -, daß die vom Bund aufzunehmenden Verhandlungen weder ein Initiativrecht hinsichtlich der Ländergesetzgebung beanspruchen noch etwa ein Gesetzgebungsauftrag an die Länder sind, sondern lediglich ein Angebot nach Art. 91 b des Grundgesetzes, das die Länder natürlich auch abschlagen können. Die Länder sollen keineswegs in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, noch soll ihnen gar ein Musterentwurf aufgedrängt werden. Wohl aber sollten Bund und Länder gemeinsam darauf hinwirken, den Fernunterricht in jeder Form zu einem glaubwürdigen Weiterbildungsangebot in der mobilen Arbeitswelt .der kommenden Jahrzehnte zu machen, zu einem Bildungsangebot, das persönlichen Aufstiegswillen ebenso berücksichtigt wie Umschulung und sinnvolle Freizeitgestaltung. Der Bund hat diese Möglichkeit nicht nur aus seiner Rolle im Gesamtgefüge unseres föderativen Systems, sondern auch ausdrücklich nach Art. 74 f und im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 b des Grundgesetzes.
Im übrigen haben Bund und Länder dieses Thema längst in der Bund-Länder-Planungskommission gemeinsam aufgegriffen, ohne daraus jedoch bisher die gesetzgeberischen Konsequenzen in ausreichendem Maße zu ziehen. Die Konsequenzen müssen für alle Bundesländer möglichst einheitlich sein, weil nur so gewährleistet ist, daß unseriöse Fernschulen nicht in die am wenigsten fordernden Länder ausweichen.
({0})
Die Einheitlichkeit ist auch zum Schutz derjenigen Fernschulen erforderlich, die schon seit Jahren die Anforderungen unseres Gesetzes erfüllen, wie etwa die im „Arbeitskreis korrektes Fernlehrwesen" zusammengeschlossenen Institute. Noch dringender aber ist diese Einheitlichkeit für die Fernschüler selbst, in deren Interesse die Aktion Bildungsinformation mittlerweile 7000 Beschwerden bearbeitet und zahlreiche Prozesse gewonnen hat.
Im Vordergrund unserer Überlegungen steht also die Absicht einer umfassenden Neugestaltung des gesamten Fernlehrwesens unseres Landes. Dabei werden als vordringliche Ziele verfolgt: Integration des gesamten Fernlehrwesens in das allgemeine Bildungswesen der Bundesrepublik, Schutz der zirka 260 000 Fernschüler vor unseriösen Methoden der Ferniehrinstitute und ihrer Vertreter, Abbau des Kompetenzkonfliktes zwischen den bisher bestehenden Institutionen zur Überwachung des Fernunterrichts, nämlich der staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht der Länder der Bundesrepublik Deutschland in Köln und des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin.
Dieser Konflikt wird zwar in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lattmann etc. - übrigens haben Sie die Kleine Anfrage sehr schön aus unseren Texten abgeschrieben, Herr Kollege; aber dies nur nebenbei -,
({1})
heruntergespielt, hat aber zu steigenden Spannungen geführt, die sich etwa durch folgendes Beispiel belegen lassen. Beide Institutionen vergeben Gütesiegel nach ähnlichen Richtlinien. Beim BBF, also dem Bundesinstitut, kann man sie aber kostenlos - der Bund zahlt ja - und wesentlich großzügiger gehandhabt erwerben. Die Zentralstelle der Länder zieht das Gütesiegel bei Nichterfüllung der Auflagen zurück. Das Berliner Institut läßt sich selbst dann Zeit, wenn ein sehr großes Fernschulinstitut wegen unlauteren Wettbewerbs schon zu 10 000 DM Geldstrafen verurteilt ist und weitere einstweilige Verfügungen wegen des Einsatzes von Vertretern durch Gerichte ausgesprochen worden sind. Der Schutz des Fernschülers ist bei dieser Lage nicht gewährleistet - entgegen der Antwort der Bundesregierung in der Kleinen Anfrage.
({2})
Die Verwirklichung dieser gegenüber dem Entwurf vom April bezüglich der Rahmenkompetenz zwar modifizierten, jedoch an einigen Stellen noch präziser formulierten gesetzlichen Bestimmungen für die Ordnung des Fernlehrwesens könnte den entscheidenden Fortschritt für die dringend erforderliche gesetzliche Regelung dieses erst am Beginn seiner Entwicklung stehenden Bildungssektors bedeuten: Alle Fernlehrgänge und alle Medien und Materialien des Fernunterrichts, schriftliches Lehrmaterial, Tonträger, Ton-Bild-Träger, Kassettenfernsehen, fallen dann unter die Bestimmung eines Gesetzes. Alle Fernlehrinstitute werden ohne Unterscheidung ihres staatlichen, öffentlich-rechtlichen oder privaten Charakters von diesen Regelungen betroffen. Alle Fernlehrgänge haben sich den gleichlautenden Auflagen zu fügen. Alle Fernlehrgänge werden weiter von einer einzigen staatlichen Stelle, der Zentralstelle der Länder für den Fernunterricht, die mit der Überprüfung und Beaufsichtigung des gesamten Fernlehrwesens beauftragt ist, begutachtet, ebenso diese Institute selbst. Alle Fernlehrinstitutionen werden auf die Qualität ihres pädagogischen Personals hin überprüft; das ist außerordentlich wichtig. Alle Fernlehrveranstaltungen werden vor dem kommerziellen Mißbrauch durch das Vertreterverbot, das in diesem Gesetz vorgesehen ist, und durch die Kündbarkeit des Fernlehrgangs durch den Fernschüler besonders geschützt und nicht nur in einem Abzahlungsgeschäft. Ein Studienvertrag darf nicht mehr mit einem Finanzierungsvertrag gekoppelt werden; auch das ist sehr wichtig.
Darüber hinaus werden sich die Bestimmungen dieser Gesetzesinitiative in die bereits geltenden gesetzlichen Regelungen auf europäischer Ebene, etwa in Frankreich und den Niederlanden, sinnvoll eingliedern und den Empfehlungen des Europarats entsprechen. Dennoch gewährleistet dieser Gesetzentwurf auch weiterhin, daß alle Träger von Fernlehrveranstaltungen, auch die privaten, über einen ausreichend großen Spielraum verfügen, um neue Unterrichtskonzeptionen und neue Lehrgänge entwickeln und erproben zu können.
Hier bei uns hat das Fernschulwesen noch nicht wie etwa in Schweden und den Niederlanden jenen Stellenwert, den es als ortsunabhängige und zeitlich sehr flexible Unterrichtsform der weiterführenden Bildung für Erwachsene haben könnte. Im Verbund mit Rundfunk, Fernsehen und anderen Medien und möglicherweise als ergänzende Unterrichtsmaßnahme des für die Zukunft angestrebten Bildungsurlaubs könnte der Fernunterricht so einen Beitrag dafür leisten, daß Bildung und Weiterbildung kontinuierlich und für jeden stets zugänglich nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert werden können.
Auf Grund dieser grundsätzlichen bildungspolitischen Überlegungen und wegen der dringend erforderlichen gesetzlichen Regelungen zur Ordnung des deutschen Fernlehrwesens ist zu hoffen, daß unser Antrag mit dem dazugehörigen Gesetzentwurf um der Sache willen quer durch alle Parteien eine breite Zustimmung findet. Die Verhandlungen im Deutschen Bundestag und auch in den Fachausschüssen hinterher werden zeigen, wie ernst es der Koalition mit der sachgerechten und vorausschauenden Lösung schwieriger und komplexer Probleme im Bereich des Bildungswesens ist. Dieser unser Antrag könnte zu einem Testfall dafür werden, ob es gelingt, Teile der versprochenen Reformen auf dem Bildungssektor auch mit Hilfe der Opposition zu verwirklichen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war vorauszusehen, daß zur Einbringung des Fernschulgesetzes hier um diese Zeit ein politisches Trio vor einer Gruppe von Hinterbliebenen oder Gebliebenen gesungen werden würde. Ich bedanke mich bei denen, die noch zuhören. Ich bin der Auffassung, daß es die Sorgfalt, mit der Frau Kollegin Walz dieses Gesetz über Monate hinweg vorbereitet hat, erfordert, daß auch die Fraktion der SPD hierzu ein paar Sachpunkte vorträgt. Ich bitte um Verständnis dafür und um einige
Minuten Geduld; denn wir haben - es läge nahe, sich das einmal zu überlegen - noch nicht die Möglichkeit, die Beratung eines Fernschulgesetzes in einer Ferndebatte stattfinden zu lassen.
({0})
Erstens. Die Fraktion der SPD begrüßt diese gesetzgeberische Initiative. Wir meinen das Trio, das hier anzustimmen ist, muß keinesfalls dissonant sein. Allerdings gibt es einige deutliche Unterscheidungen in den Tönen. Ich möchte kurz sagen, wo Gemeinsamkeiten und wo verschiedene Auffassungen liegen. Gemeinsamkeiten gibt es zweifellos im Bereich der Kontrolle, der Anzeige- und Genehmigungspflicht, der Richtlinien für die Mindestinhalte, des Vertreterverbots und des Kündigungsrechts.
Zweitens. Wir sehen wohl gemeinsam, daß all das was wir hier besprechen, nicht nur eine Gruppe von 260 000 oder 300 000 Teilnehmern an laufenden Fernlehrgängen betrifft, sondern daß in Zukunft eine Erweiterung auf den Berufsbildungs- und -fortbildungsbereich insgesamt erfolgen wird, daß hier das Recht der Wirtschaft wesentlich tangiert wird und daß es in den nächsten Jahren um mehrere Millionen junger und auch älterer Menschen geht, die von einem solchen Gesetz berührt werden. Darin liegt die politische Bedeutung.
Wie immer, so ist auch bei dieser Gesetzgebung - das ist mein dritter Punkt - ein Gutachten im Spiel. Dieses Gutachten zeugt von einer verhältnismäßig einseitigen Auffassung. Es ist auch im Gesetzestext zitiert. Es beruft sich auf Art. 30 und 70 des Grundgesetzes und sieht den ganzen Bereich nach unserer Auffassung allzu pauschal im Gefolge der Kulturhoheit der Bundesländer. Deswegen möchte ich - viertens - folgende These aufstellen: Das Land ist nahe, der Bund ist fern, aber manchmal liegt auch das Ferne näher.
Ich möchte Sie daran erinnern, daß in der ersten Fassung Ihres Gesetzentwurfs, Frau Kollegin Walz, noch eine grundgesetzliche Klippe artikuliert war, über die hier gesprochen werden muß; denn das vorliegende Gesetz scheint in mancher Hinsicht ein Bundesgesetz zu sein, hinter dem sich ein Bundesfernschulrahmengesetz mit grundgesetzändernder Wirkung verbirgt. In diesem Punkt kann ihm die Fraktion der SPD - jedenfalls in dieser Situation, bei der ersten Beratung - keinesfalls zustimmen. Zu vielen inhaltlichen Sachpunkten sagen wir Ihnen unsere kritische Mitarbeit in den zuständigen Ausschüssen, vor allen Dingen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, zu.
Wir glauben aber doch, daß die Frage der Kompetenz einer sehr, sehr gründlichen grundgesetzrechtlichen Abwägung bedarf. Wie Sie wissen, ist nach Art. 74 Nr. 11 des Grundgesetzes - Recht der Wirtschaft - eine erhebliche Kompetenz des Bundes gegeben. Hier liegt der kritische Punkt. Lassen Sie mich das ganz kurz durch ein Beispiel aufzeigen.
Ein Bürger unserer Republik wohnt in Rosenheim und bezieht einen beruflichen Fernkurs, der nicht mit irgendeinem gängigen Schulbereich zu tun hat, aus Hamburg. Was soll ihm dann die Zuständigkeit eines Kultusministeriums nützen? Welches Ministerium soll überhaupt zuständig sein? Bitte, sehen Sie auch, daß die Anwendung dessen, was wir hier machen werden, überwiegend im Bereich jener Berufsbildung liegt, die nicht das Schulische und nicht die Universität tangiert, also mehr im Recht der Wirtschaft.
Hier müssen wir auch sehen, daß wir bei der Entwicklung auf Europa hin bei all den vor uns stehenden Vereinbarungen über die Berufsausbildung im Rahmen von EG-Vereinbarungen, nicht nur ausschließlich die Bundesländer in den Blick fassen können. Hier erscheint tatsächlich eine Bundeskompetenz über das Recht der Wirtschaft sehr wichtig. Hier dürfte im Interesse der Betroffenen, im Interesse der Bevölkerung nichts geschmälert werden. Aber dies ist kein Gegenstand für politische Polemik, sondern für eine sehr sachliche Debatte. Noch in Ihrem Vorentwurf, Frau Kollegin, war ja eine Ergänzung des Art. 75 Nr. 1 a des Grundgesetzes vorgesehen. Dies war zumindest auch problematisch.
Ich will nicht noch einmal auf die Kleine Anfrage eingehen, die Sie schon erwähnt haben, aber abschließend sagen, daß die gesetzliche Regelung des Fernlehrwesens in der Bundesrepublik auch nach Auffassung unserer Fraktion dringend erforderlich ist. Allerdings bitten wir Sie, zu sehen, daß es sich hier um ein politisches Gebiet handelt, auf dem die Bundesregierung bereits sehr aktiv ist. Im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft arbeitet man intensiv an der Neufassung des Berufsbildungsgesetzes und wir sind dabei, uns von seiten des Parlaments daran zu beteiligen, gerade hinsichtlich des Abschnittes des Fernlehrwesens in der Bundesrepublik, den wir dort - bezogen auf Art. 74 Nr. 11 des Grundgesetzes, Recht der Wirtschaft - als Bundeskompetenz unterbringen wollen.
Geben Sie dieser Initiative der Bundesregierung deswegen also den nötigen Raum! Wir haben gesehen, daß es gestern im Kontaktausschuß zwischen Bund und Ländern über die Zuständigkeit von ZFU und BBF in Berlin nicht zu einer Vereinbarung gekommen ist. Wir sehen als die Schwierigkeiten. Wir müssen sie völlig realistisch in den Blick fassen. Aber es wäre nicht gut, wenn zu diesem Zeitpunkt, wenn in den allernächsten Monaten die Neufassung des Bildungsgesetzes auf den Tisch kommt und wir dort die Dinge regeln können, eine Bund-LänderKontaktstelle Fakten schaffte, die dann vielleicht eine durchgreifendere Gesetzgebung beeinträchtigen würde.
Abschließend folgendes. Was nottut - und hier, Frau Kollegin und meine Damen und Herren von der Opposition, liegt unsere Gemeinsamkeit -, ist das Ende der Freibeuterei auf Gebieten des Fernlehrwesens.
({1})
Aber das darf nicht auf Kosten einer Bundeskompetenz geschehen, die nach unserer Auffassung doch
mehr gegeben ist, als Ihr Gesetzentwurf sie beinhaltet.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sollte zu Anfang doch einmal mitteilen, worüber wir jetzt eigentlich beraten. Wir beraten über einen Ersuchensantrag der Opposition an die Bundesregierung, mit den Ländern in Verhandlungen einzutreten, damit diese die entsprechenden Gesetze verabschieden.
Nun kann man das gleiche natürlich auch für Schulgesetze und für alle möglichen anderen Gesetze einführen, für die der Bund leider nicht die Kompetenzen hat. Ich meine, insoweit sind eigentlich beide Beiträge, sowohl der Ihre, Frau Dr. Walz, als auch der von Herrn Lattmann, etwas zu stark ausgefallen - so möchte ich einmal sagen - im Hinblick auf das, was hier inhaltlich eigentlich bewirkt werden kann. Ich bedaure das; denn ich stimme Ihnen in den inhaltlichen Fragen zu.
Sie haben bereits selbst darauf hingewiesen, daß sich der eigentlich im letzten Jahr geplante Vorstoß, nämlich dem Bund wenigstens die Rahmenkompetenz über die Aufsicht des Fernunterrichts zu geben, nicht durchgesetzt hat. Nun können Sie natürlich gut sagen, daß das u. a. auch am Bundesminister für Bildung und Wissenschaft liegt. Ich will das gar nicht leugnen. Aber zunächst einmal handelt es sich hier um einen Antrag Ihrer Fraktion. Das ist ein Beweis dafür, daß Sie sich in Ihrer eigenen Fraktion offenbar nicht haben durchsetzen können. Das bedaure ich sehr.
Gerade für den Bereich des Fernunterrichts ist eine bundeseinheitliche Regelung ganz besonders erforderlich. Dieses Thema hat aber nicht nur einen rein verbrauchspolitischen, sondern eben auch einen bildungspolitischen Aspekt. Wenn auch ein paar Mal das Wort Bildungspolitik gefallen ist, so muß ich doch sagen, daß dieser Entwurf, so wie er vorgelegt ist, im Grunde genommen ein rein verbraucherpolitischer Gesetzentwurf ist.
({0})
Er betrifft z. B. nicht die Einordnung des Fernunterrichts in den gesamten Weiterbildungsbereich, die ja sehr wichtig wäre, um den Fernunterricht sehr viel wirksamer zu machen. Ich denke hier besonders an die Herstellung des Kontakts zwischen Lehrern und Studierenden.
Ich glaube, man sollte an dieser Stelle ruhig darauf hinweisen, daß es mit dem Fernunterricht in der Bundesrepublik noch schlechter bestellt wäre, wenn es nicht Privatinitiativen von Pädagogen, Unternehmern und verschiedenen Verbänden gegeben hätte. Denn die staatlichen Initiativen in diesem Bereich sind bisher vollkommen in Kompetenzstreitigkeiten erstickt. Deshalb ist es wichtig, hier verbraucherpolitisch tätig zu werden. Wir haben die bundesgesetzlichen Möglichkeiten, um die Privatinitiativen, die einmal entstanden sind, nicht durch üble Geschäftspraktiken überschatten zu lassen.
Bereits heute ist ja Kontrolle möglich, allerdings auf Wunsch der Fernlehrinstitute. Es ist nicht schwer zu erraten, daß natürlich nur ein solcher Lehrgang auf Wunsch kontrolliert wird, der auch tatsächlich Aussicht auf Erfolg hat. Das ist ein vergleichsweise geringer Teil der Lehrgänge; der größte Teil ist völlig unkontrolliert. Auch hier gibt es wieder eine geradezu erschreckende Kompetenzstreitigkeit zwischen zwei Institutionen: dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung und der Staatlichen Zentralstelle der Länder für Fernunterricht.
Man kann sich nicht einmal darüber einigen, wer welchen Lehrgang kontrollieren darf. Der eine - nämlich die Bundesstelle - behauptet: Wir dürfen alles kontrollieren, was berufsbildenden Inhalt hat. Und die Zentralstelle der Länder meint, das gehe nicht, denn sie überall dort zuständig, wo staatliche Prüfungen angestrebt würden. Hier zeigt sich, daß sich auch ein Großteil der Politiker und eben leider auch die beiden großen Parteien offenbar nicht zu dem endlich notwendigen Schritt zugunsten der Betroffenen entschließen können, nämlich zur Verlagerung der Kompetenzen auf den Bund.
Die verbraucherpolitischen Ansätze in Ihren Vorstellungen Frau Dr. Walz, sind zu begrüßen, die Anzeigepflicht und der Genehmigungszwang für Fernlehrgänge sind unbedingt erforderlich, und ,die Bedingungen, die an das Angebot und vor allem an den Vertragsabschluß gestellt werden, müssen selbstverständlich geregelt werden. Das sind aber primär verbraucherpolitische und nicht bildungspolitische Fragen.
Die Verzahnung mit dem Weiterbildungssystem haben Sie überhaupt nicht angesprochen. Insofern ist der Anspruch, das sei ein Bildungsgesetz, wohl ein bißchen zu hoch.
Wir sollten die Bundesregierung auffordern - das sollten wir auch im Ausschuß eingehend beraten -, zu versuchen, die verbraucherpolitischen Fragen durch Bundesgesetz zu regeln. Hier sollte nicht erst der Umweg über die Aufforderung an die Länder gegangen werden, das zu tun. Darüber hinaus sollten wir den Bund beauftragen, im Zusammenhang mit der Reform zur beruflichen Bildung gemeinsam mit den Ländern nach bildungspolitischen Lösungen zu suchen, um die Verzahnung von Fernunterricht und Weiterbildungseinrichtungen tatsächlich zu verbessern.
Zum Schluß möchte ich nur hinzufügen: Meine Partei wird nicht müde werden, die Bundeskompetenz für diesen Bereich zu fordern. Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, Sie bei den Ausschußberatungen nach und nach alle davon zu überzeugen.
({1})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - federführend -, an
Vizepräsident Dr. Jaeger
den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Arbeit
und Sozialordnung - mitberatend zu überweisen.
- Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schröder ({0}), Dreyer, Bremer, Seiters, Eigen, Sick, Dr. Ritz, Schröder ({1}), Lagershausen, Ey, Möller ({2}), Dr. Müller-Hermann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Sturmflutschäden an der deutschen Nordseeküste
Drucksache 7/1536 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Haushaltsausschuß ({3})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses ({4}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Aus- und Fortbildung der Unteroffiziere
- Drucksachen 7/1095, 7/1397 - Berichterstatter: Abgeordneter Horn
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Horn, für seinen schriftlichen Bericht und erteile ihm das Wort zu einer mündlichen Ergänzung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde Ihre Zeit nicht mehr strapazieren; ich werde nur noch vier Sätze sagen. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bericht über die Aus-
und Fortbildung der Unteroffiziere steht noch ein einstimmig gefaßter Entschließungsantrag des Verteidigungsausschusses an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß, den ich Ihnen hiermit zur Kenntnis geben möchte:
In Ergänzung der Konzeption zur Aus- und Fortbildung der Unteroffiziere wird ein neuer Spitzendienstgrad für Unteroffiziere gefordert, der ohne Prüfung nach entsprechender Zeit und Bewährung erreicht werden kann. Der Dienstgrad ist für diejenigen Hauptfeldwebel vorgesehen, die im Rahmen der Verzahnung in die Besoldungsgruppe A 9 eingewiesen wurden. Dieser Anteil muß erhöht werden.
({0})
Über diesen Antrag braucht das Haus ja nicht abzustimmen; wir
haben ihn zur Kenntnis genommen. Ich danke Ihnen.
Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Es ist also Beschluß zu fassen über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/1397 unter B. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe die Punkte 14 und 15 auf:
14. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Brot
- Drucksachen 7/136, 7/1514 - Berichterstatter: Abgeordneter Egert
15. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({1}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie ({2}) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Extrakte aus Kaffee, Tee und aus Kaffee- und Teemitteln einschließlich Zichorie sowie die Mischungen auf der Grundlage dieser Extrakte
- Drucksachen 7/474, 7/1534 Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? - Auch das ist nicht der Fall.
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über die beiden Tagesordnungspunkte gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/1514 und 7/1534. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? -- Keine Enthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen nun endlich am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Februar 1974, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.