Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Punkte ergänzt werden:
1. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Verkehrssicherheit im Straßenverkehr
Drucksache 7/1535
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr
2. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge ({0})
-- Drucksache 7/179
Bericht und Antrag des Innenausschusses ({1}) Drucksachen 7/1508, 7/1513
Berichterstatter: Abgeordneter Volmer
Abgeordneter Konrad
({2})
Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Der Bundesminister der Finanzen hat gemäß § 37 Abs. 4 'der Bundeshaushaltsordnung eine Vorlage betreffend Einwilligung in außerplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 08 06 Tit. 831 07 Erwerb von Beteiligungen an der Gelsenberg AG - übersandt, die als Drucksache 7/1512 verteilt ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung werden derartige Vorlagen dem Haushaltsausschuß überwiesen. - Ich sehe keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 3 'der Tagesordnung auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage der Energieversorgung
b) Beratung des Sondergutachtens des Sachverständigenrates „Zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Ölkrise"
- Drucksache 7/1456 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Bundesminister Friderichs.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Seit 'dem Ausbruch des Nahostkonflikts im Oktober vergangenen Jahres 'befinden sich die
Volkswirtschaften insbesondere der westlichen Welt in einem energiepolitischen Spannungsfeld. Form und Ausmaß dieser Belastungsprobe ,sind seit 1948 ohne Parallele. Den Grundlagen unserer Wirtschaft drohte Gefahr von außen. Sachliche und nüchterne Analyse, folgerichtige Konsequenzen und Angemessenheit der Mittel waren die Grundsätze unseres Handelns.
Sich kurzfristig verändernden Situationen konnte nur mit hoher Flexibilität begegnet werden. Zwangswirtschaftliche Eingriffe waren weder erforderlich noch gewollt. Die marktkonformen Mittel haben sich auch in dieser Lage als richtig erwiesen.
Mit Beginn des Jahres 1974 hat sich die mengenmäßige Versorgung der Bundesrepublik Deutschland entspannt. Dennoch ist übertriebener Optimismus jetzt ebenso falsch, wie es übertriebener Pessimismus im November und Dezember vergangenen Jahres war.
({0})
Die Unsicherheit über die künftige Versorgung besteht fort. Erhebliche Preissteigerungen für Mineralöl treten 'hinzu.
Der rasche Wandel der Versorgungsaussichten war für weite Teile der Bevölkerung schwer verständlich. Zweifel an der Richtigkeit der angewandten energiepolitischen Maßnahmen konnten daher nicht ausbleiben. Dennoch: die heutige Zwischenbilanz bestätigt den eingeschlagenen Weg. Ein Blick über die Grenzen sollte die letzten Zweifel beseitigen.
Zur Lage in der Bundesrepublik:
Die für Januar und Februar zur Verfügung stehenden Benzinmengen entsprechen etwa denen des Vorjahres. Der bisher üblichen Verbrauchssteigerung steht aber kein zusätzliches Angebot gegenüber. Daher kann auch jetzt auf Einsparungsmaßnahmen nicht ganz verzichtet werden. Bei der Alternative Wochenendfahrverbot oder Geschwindigkeitsbegrenzung 'hat sich 'die Bundesregierung für das kleinere Übel entschieden.
Die Versorgung mit Dieselkraftstoff ist vorerst gesichert.
Die Mindermengen bei leichtem Heizöl - zirka 12 % gegenüber dem Vorjahr - bereiten uns in diesem Winter keine großen Sorgen. Nach allen Erfahrungen wird sparsamer geheizt, die privaten Vorräte sind hoch.
Die zwischen. 10 und 14% geringeren Auslieferungen von schwerem Heizöl sollten durch Substitution und gezielte Einsparung in der Industrie ausgeglichen werden können. Vorübergehende und regionale Engpässe sind allerdings nicht auszuschließen. Die eingerichtete Vermittlungsstelle konnte bisher Schwierigkeiten einzelner Unternehmen beheben.
Die gesetzlichen Pflichtvorräte wurden nicht angetastet. Dies war von Anfang an unser Ziel. Die Vorräte reichen bei Benzin für 63 Tage, bei leichtem Heizöl für 75 Tage und bei schwerem Heizöl für 71 Tage; Datum: 1. Januar 1974. Sie entsprechen damit nahezu exakt den Vorräten am Beginn des Jahres 1973.
Zu dieser vergleichsweise günstigen Entwicklung haben nicht zuletzt die Menschen in unserem Lande durch ihr einsichtiges und besonnenes Verhalten beigetragen. Sie sind in einer schwierigen Lage dem Gebot der Vernunft gefolgt.
Die Preise für Mineralölprodukte in der Bundesrepublik, aber auch in anderen Ländern, sind seit November vergangenen Jahres in bisher kaum gekanntem Ausmaß gestiegen. Dies konnte angesichts der drastischen Erhöhung der Rohölpreise durch die Förderländer und der Marktanspannung im Inland nicht überraschen.
Die Einführung eines Höchstpreissystems hätte unsere Lage dennoch nicht verbessert. Bei einem derartigen Eingriff wäre zu befürchten gewesen, daß der mengenmäßige Zufluß des Rohöls abnehmen würde.
Die Bundesregierung hat sich jedoch Informationen über die Preis- und Kostensituation verschafft, um auch auf diese Weise einer mißbräuchlichen Ausnutzung einer Mangellage entgegenzuwirken. Die Überprüfung der diesbezüglichen Meldungen der Mineralölwirtschaft an Bundesregierung und Bundeskartellamt haben ergeben: Der Verdacht, daß die Mineralölversorgung - zumindest was die Preise anbelangt - durch eine gezielte Angebotsstrategie von Mineralölgesellschaften verschärft worden ist, wurde nicht bestätigt. Dieser Verdacht wurde aber bisher auch nicht ausgeräumt. Das ist unbefriedigend.
Nationale Mittel reichen bei multinationalen Gesellschaften zu abschließender Urteilsfindung nicht aus. Deshalb hat sich auf Initiative der Bundesregierung die Europäische Kommission in ihrer Eigenschaft als europäische Kartellbehörde in die Prüfung etwaiger Mißbräuche eingeschaltet.
Fest steht: In den ersten neun Monaten 1973 hat sich die Ertragssituation der auf dem deutschen Markt beteiligten Mineralölgesellschaften gegenüber der Verlustsituation in den Jahren 1971 und 1972 deutlich verbessert. Für das vierte Quartal, das entscheidende, gibt es bislang keine eindeutigen Anzeichen für eine weitere - ich unterstreiche: weitere! - Gewinnsteigerung.
An den Preiserhöhungen der vergangenen Monate sind alle am Markt beteiligten Gruppen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, beteiligt gewesen. Zu bemerken ist allerdings, daß die internationalen Gesellschaften in der Bundesrepublik die niedrigsten Preise, die freien Importeure die höchsten Preise verlangen. Dabei sind die unterschiedlichen Beschaffungskosten zu berücksichtigen. Die Preise für importierte Produkte haben sich weitgehend an den extrem hohen Notierungen in Rotterdam ausgerichtet. Ein großer Teil dieser Produkte dürfte aus europäischen Raffinerien stammen. Auch hier ist mit nationalen Mitteln nicht feststellbar, wer die angefallenen Gewinne gemacht hat.
Die Bundesregierung weist auf die deutliche Gefahr der gegenwärtigen Marktlage mit gespaltenen Preisen hin. Es besteht die Gefahr der Verdrängung wettbewerbsfördernder Strukturen auf dem deutschen Markt durch die Ausschaltung unabhängiger Marktteilnehmer. Dies entspricht nicht unserer wettbewerbspolitischen Zielsetzung.
Lassen Sie mich zusammenfassend wiederholen: Mit nationalen Mitteln allein läßt sich der Verdacht, daß Mineralölunternehmen mit marktstrategischen Mitteln die Situation zu ihren Gunsten ausgenutzt haben, leider weder belegen noch entkräften.
Was am Ölmarkt geschieht, beeinflußt aber unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Wir werden das Jahr 1974 nicht nur in einem geringeren Wirtschaftswachstum, sondern auch in größeren Risiken für die Beschäftigung und in einer zusätzlichen mineralölbedingten Preissteigerung von mindestens 2% zu spüren bekommen. Wir haben das schon in der heute veröffentlichten Zahl des Lebenshaltungskostenindex für den Monat Dezember 1973 gemerkt. Vor der Ölkrise wurde das realisierbare Wachstum allgemein mit rund 2 bis 3 % geschätzt. Aus heutiger Sicht dürfte nach weitgehend übereinstimmender Beurteilung aller Sachverständigen 1974 nur noch ein reales Wachstum des Sozialprodukts von O bis höchstens etwa 2% erreichbar sein.
Für diese verringerten Wachstumsmöglichkeiten sind vor allem folgende Faktoren verantwortlich: erstens die als Folge der drastischen Energiepreiserhöhung sich ergebende abrupte Verschiebung der Preisrelationen und damit der Nachfragestrukturen, zweitens die Tatsache, daß sich dieser Strukturwandel im Zeichen einer zunehmenden konjunkturellen Abschwächung vollziehen muß, drittens die Verlangsamung der Weltkonjunktur, die angesichts der Energiesituation voraussichtlich schneller und stärker vonstatten geht, als bisher angenommen.
Die Konsequenzen aus dieser neuen Lage liegen auf der Hand. Die Wirtschaftspolitik muß auf diese differenzierte Situation, die nicht durch eine globale Nachfragelücke gekennzeichnet ist und deswegen auch keine generelle Lockerung erlaubt, differenziert reagieren. Die Bundesregierung und die Bundesbank haben dies mit ihren Beschlüssen vom 19. Dezember 1973 und vom vergangenen Freitag getan. Jetzt ist eine Doppelstrategie notwendig: einerseits gezieltes Entgegenwirken gegen Beschäftigungseinbrüche, ohne dabei den notwendigen Strukturwandel zu verhindern, andererseits vorläufiges Beibehalten der generellen Restriktionen, um die Spielräume für Kosten- und Preiserhöhungen zu begrenzen.
Ein anderer Aspekt der jüngsten Entwicklung darf nicht unerwähnt bleiben. Er birgt nicht nur Probleme, sondern auch Chancen für die Zukunft. Ich meine die Versorgung mit Rohstoffen. Auch bei eingen anderen Rohstoffen, insbesondere bei NE-Metallen, sind wir in hohem Maße importabhängig, und auch dort sind die Preise in jüngster Zeit außergewöhnlich gestiegen. Allerdings möchte ich vor einer undifferenzierten Übertragung der MineralölProblematik auf alle anderen Rohstoffe warnen. Zwar dürften die Vorgänge im Mineralölbereich auch Auswirkungen auf das Verhalten anderer Rohstoffländer auslösen, doch liegen hier andere Voraussetzungen als bei 01 vor. Weder Angebotsstruktur noch Substitutionsmöglichkeiten dieser Rohstoffe noch die Finanzkraft der Exportländer sind mit den Gegebenheiten der Mineralölländer vergleichbar. Generell müssen wir unsere Politik der Rohstoffsicherung überprüfen. Die Bundesregierung hat für diese Fragen inzwischen einen besonderen Staatssekretärsausschuß eingesetzt.
Bei der Rohstoffpolitik beschränkt sich die Bundesregierung nicht auf defensive Strategien; sie nimmt die neue Situation zum Anlaß, die internationale Zusammenarbeit zwischen Industrie-, Rohstoffund Entwicklungsländern zu verbessern und auf eine neue Grundlage zu stellen. Niemand in diesem Lande kann die Augen vor der Tatsache verschließen, daß an den Beziehungen zwischen den entwikkelten und den weniger entwickelten Ländern, die ja in der Regel auch Rohstoffländer sind, manches nicht in Ordnung war und nicht in Ordnung ist.
Zu einem Umdenken in den weltwirtschaftlichen Beziehungen werden wir noch von einer anderen Seite her, nämlich dem Währungsbereich, gezwungen.
Es ist offenkundig, daß die Mineralölpreissteigerungen für das internationale Währungssystem und seine Reform neue Daten gesetzt haben und den Ausgleich der Zahlungsbilanzen vieler Länder zusätzlich gefährden. Wegen der Folgen der Ölpreissteigerungen für die deutsche Zahlungsbilanz sind vorerst erfreulicherweise besondere Befürchtungen nicht angebracht.
In der Öffentlichkeit ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die deutsche Handelsbilanz allein auf Grund der Verteuerung des Erdöls um rund 20 bis 25 Milliarden DM belastet werden könnte. Ich möchte hier nicht dazu Stellung nehmen, ob diese Annahme für die Verteuerung der deutschen Mineralölimporte realistisch ist oder nicht. Sicher ist aber, daß eine isolierte Betrachtung der Importverteuerung zu einem falschen Ergebnis führt. Der Verteuerung der Erdöleinfuhr steht nämlich in der Handelsbilanz eine Reihe kompensierender Faktoren gegenüber.
Dazu, weil das Thema in der Öffentlichkeit heiß diskutiert wird, einige Hinweise: Durch die Verteuerung des Erdöls und den dadurch bedingten Anstieg der Produktionskosten der deutschen Wirtschaft werden sich nicht nur die inländischen Erzeugerpreise, sondern tendenziell auch die Ausfuhrpreise erhöhen. Insoweit wird die Verteuerung zu mindest teilweise weitergegeben, und insoweit ist die Belastung des Handelsbilanzsaldos geringer.
Dennoch dürfte wegen der Ölverteuerung der Handelsbilanzüberschuß 1974 sicherlich niedriger ausfallen als 1973. Eine gewisse Reduzierung des extrem hohen Außenhandelsüberschusses ist aber gesamtwirtschaftlich durchaus nicht problematisch. Damit verringert sich zwar der Zuwachs der Forderungen der deutschen Wirtschaft gegenüber dem Ausland, aber soweit dies durch die Verteuerung der Erdöleinfuhren verursacht ist, wird der reale Warenaustausch mit dem Ausland davon zunächst einmal nicht berührt, denn die dem Export entsprechenden Güter standen ja auch schon bisher real der deutschen Volkswirtschaft nicht zur Verfügung.
Der Unterschied zur bisherigen Überschußentwicklung besteht allerdings darin, daß die entsprechenden nominalen Forderungen jetzt auf die Ölländer übergehen und nicht mehr in die Währungsreserven der Deutschen Bundesbank fließen.
Ich sage dies alles nicht, um die Problematik zu verniedlichen. Mir geht es vielmehr darum, eine unnötige Dramatisierung an der falschen Stelle zu verhindern. Natürlich wäre mir eine andere Art des Abbaus des extremen Handelsüberschusses lieber, z. B. ein Abbau durch größere reale Importe oder durch stärkere Produktion für das Inland, denn dann hätte ein solcher Abbau tatsächlich mehr Wohlstand für unser eigenes Land bedeutet. Worauf es mir aber letztlich ankam, ist, deutlich zu machen: Die Preiswirkungen der Ölpreissteigerungen sind für uns gewichtiger als die Handelsbilanzeffekte. Wir unterscheiden uns dabei sicher von manchen unserer Nachbarländer, die auch und gerade im Hinblick auf ihre Außenbilanz teilweise große Sorgen haben.
Die Schwierigkeiten der vergangenen Monate haben für jedermann deutlich gemacht, welche Priorität die Energieversorgung für unsere Volkswirtschaft besitzt, und sie haben weiterhin gezeigt, daß die Energieversorgung nicht nur ein wirtschaftspolitisches Problem ist, sondern auch unsere politische Handlungsfreiheit nach innen und außen bestimmt.
Niemand kann heute ernsthaft behaupten, er wisse, was am Welterdölmarkt in den nächsten Monaten geschieht, was die Ölländer wirklich tun und wie die Reaktionen hierauf sein werden. In dieser Situation der hohen Unsicherheit ist es natürlich sehr schwer, alle längerfristigen Konsequenzen schon jetzt zu ziehen. Daher ist heute und hier nicht der Zeitpunkt, um die umfassende Fortschreibung unseres Energieprogramms vom September 1973 vorzunehmen. Die Bundesregierung ist vielmehr der Ansicht, daß die Grundausrichtungen der Energiepolitik nicht revidiert zu werden brauchen. Wir hatten die im Mineralölbereich vorhandenen Gefahrenmomente, die jetzt Realität geworden sind, bereits gesehen. Nicht die allgemeine Problemlage unserer Energieversorgung, sondern vielmehr die Dimension hat sich nachhaltig gewandelt.
Andererseits wäre es unverantwortlich, nicht jene Schritte zu tun, die heute möglich und sinnvoll sind. Das bedeutet erstens: Die Bundesregierung wird weitere Maßnahmen ergreifen, um den Ölanteil an
unserer Energieversorgung zu reduzieren und andere Energieträger Erdgas, Kernenergie, Kohle - stärker zu entwickeln. Das Energieprogramm wies bereits deutlich in diese Richtung; jedoch ist der erzielte Effekt unter den heutigen Bedingungen zu gering. Wir müssen ihn deshalb verstärken.
Zweitens. Wir sind uns darüber im klaren, daß jeder einzelne Unternehmer bei der gesamtwirtschaftlich dringend erforderlichen Substitution von Öl vor einer risikoreichen Entscheidung stehen kann. Die Preisverhältnisse, mit denen in den kommenden Jahren gerechnet werden muß, sind noch unklar. Außerdem müssen im In- und Ausland zur Erhöhung des Energieangebots Investitionen vorgenommen werden, auch wenn sie höhere Kosten erfordern als bisher üblich. Die Rentabilität all dieser Investitionen hängt von dem politisch bestimmten Preis für Rohöl ab. Hier können Risiken entstehen, die mit ökonomischen Bedingungen nichts mehr zu tun haben. Die Bundesregierung prüft daher sehr sorgfältig, welche Instrumente geeignet sind, um diesen Gefahren zu begegnen oder sie auszugleichen.
Drittens. Die Bundesregierung wird die Möglichkeiten zur Kooperation mit den Rohölförderländern ausschöpfen und forcieren. Es ist kein Zufall, daß der Wirtschaftsminister dieser Regierung vor Ausbruch des Nahost-Konflikts diese Politik im Energieprogramm der Bundesregierung konzipiert und mit eben dieser Konzeption - beispielsweise in Persien - verhandelte. In der nächsten Woche wird ein weiteres Gespräch mit dem Wirtschaftsminister des Iran stattfinden; unsere Kontakte werden in den nächsten Monaten fortgesetzt. Mein zuständiger Staatssekretär, Dr. Rohwedder, wird in Kürze verschiedene arabische Länder aufsuchen, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit bilateraler Art zu prüfen.
Gestern ist im Bundesministerium für Wirtschaft ein Vertrag mit der norwegischen Regierung über die Lieferung von Erdgas aus dem norwegischen Festlandsockel unterzeichnet worden. Bei den gegenwärtigen Verhandlungen in der deutsch-sowjetischen Kommission für wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit haben wir die Durchleitung künftiger iranischer Erdgaslieferungen durch die Sowjetunion in die Bundesrepublik besprochen. Gleichzeitig haben wir mit den Vertretern der sowjetischen Regierung über Stromlieferungen aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik verhandelt. Wir haben mit Algerien Vereinbarungen über den Bezug großer Erdgasmengen getroffen.
Die Bundesregierung hat durch den Erwerb des Gelsenberg-Pakets die Zusammenfassung deutscher Mineralölinteressen, vor allem zum Zwecke der Erleichterung der Kooperation mit Erdölförderländern, eingeleitet. Lassen Sie mich hier bitte einfügen: Das Bundeskartellamt hatte bei seiner Entscheidung gegen den Erwerb des Gelsenberg-Pakets durch den Bund nur die wettbewerbspolitische Seite zu berücksichtigen. Es hatte nicht einzubeziehen - wie es das Kartellgesetz formuliert -, ob gesamtwirtschaftliche Vorteile Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen oder ob der Zusammenschluß durch ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Dieser Aspekt ist durch das Kartellgesetz in meinen Entscheidungs- und Abwägungsbereich verwiesen. Ich werde dieser Entscheidung - bis zur Stunde liegt die Begründung der Entscheidung des Bundeskartellamts noch nicht vor - unmittelbar nach der im Kartellgesetz zwingend vorgeschriebenen Anhörung der Länder-Wirtschaftsminister treffen. Danach ist gegebenenfalls über eine Zusammenfassung beider Unternehmen oder über andere denkbare Regelungen im Interesse einer Verbesserung unserer Versorgung zu entscheiden. Vor dieser Entscheidung beabsichtige ich, die Monopol-Kommission um eine Äußerung zu bitten.
Wir werden außer der Schaffung eines potenten Mineralölpartners auf deutscher Seite Anreize für Unternehmen aus anderen Bereichen unserer Wirtschaft zur industriellen Kooperation im Nichtölbereich schaffen. Ich bin mir bewußt, daß dies im Rahmen unserer Wirtschaftsordnung ein nicht einfaches Problem ist. Ich glaube aber, daß gerade unsere Wirtschaft über ein sehr hohes Potential und auch die entsprechende Initiative für eine sinnvolle Kooperation verfügt.
Für die Versorgung mit Energie und möglicherweise mit knappen Rohstoffen werden wir darüber hinaus die finanzielle Seite sehr großer Projekte überdenken müssen. Dabei geht es nicht nur um Kooperation und um Erdöl in den klassischen Förderländern, sondern auch um Erdöl aus anderen Bereichen, um Erdgas und auch um andere Energieträger. Für diese Kooperation werden Bundesregierung und Parlament die notwendigen erheblichen Finanzmittel bereitstellen müssen, damit ein wirksames Handeln in diesem Bereich möglich wird.
Wir werden darüber hinaus unser vorhandenes Förderinstrumentarium so ausbauen, daß es elastisch auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Einzelfalles einsetzbar ist. Die Bundesregierung wird die Bedingungen für die Übernahme von Gewährleistungen erleichtern, wenn wegen des überwiegenden Interesses an der Energieversorgung privatwirtschaftlich unzumutbare Risiken übernommen werden müssen. Außerdem werden die im Bundeshaushalt für die verschiedenen Bürgschafts- und Garantieinstrumente vorgesehenen Plafonds entsprechend erhöht werden müssen.
Viertens. Die Bundesregierung wird finanzielle Mittel für Anschlußmaßnahmen an das bisherige Deminex-Programm bereitstellen. Die Deminex muß gestrafft werden.
Fünftens. Im Energieprogramm hat die Bundesregierung ein Erdgas-Tiefbohrprogramm für die Bundesrepublik angekündigt. Sie wird dieses Programm beschleunigt verwirklichen und stellt die erforderlichen Mittel bereit.
Sechstens. Die Bundesregierung begrüßt alle Initiativen zu internationalen Verhandlungen zwischen Verbraucher- und Förderländern, um eine Verstetigung der Energieversorgung zu erreichen. Dabei muß von Anfang an klar sein, daß es nicht darum gehen kann, Frontstellungen aufzubauen, sondern
genau umgekehrt etwa vorhandene Gegensätzlichkeiten aufzulösen und auszugleichen.
Die Bundesregierung hat sich deshalb bei den Beratungen im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft am vergangenen Dienstag nachdrücklich für eine positive Antwort auf die Einladung von Präsident Nixon eingesetzt, am 11. Februar zu einer Konferenz der industriellen Energieverbraucherländer in Washington zusammenzutreffen. Die Bundesregierung führt gegenwärtig den Vorsitz im EG-Ministerrat. Daher wird der Herr Bundeskanzler dem Präsidenten der Vereinigten Staaten das Einverständnis der Gemeinschaft übermitteln, an dieser Tagung teilzunehmen. Die Gemeinschaft geht dabei davon aus, daß entsprechend dem amerikanischen Angebot nicht nur ihre großen in der Oil-HighLevel-Group der OECD vertretenen Mitgliedstaaten, sondern alle Mitgliedstaaten eingeladen werden. Die Bundesregierung sieht in der vertieften Zusammenarbeit zwischen den Verbraucherländern, den Verbraucherländern und den Erdölförderländern eine wichtige Voraussetzung für die erforderliche Verstetigung der Mengen- und Preisstruktur.
Andere wichtige Themen, die im Rahmen der vorgesehenen Zusammentreffen mit den Erdölproduzentenländern zu erörtern sein werden, sind nach unserer Meinung die Intensivierung der industriellen Kooperation, die Erörterung der Auswirkungen der Energielage auf die Weltwirtschaft und das Problem der Anlagemöglichkeiten der Erdöleinnahmen. Bei der Zusammenarbeit mit den anderen Verbraucherländern sollten nach unserer Meinung Forschung und Entwicklung neuer Energieträger im Vordergrund stehen.
Siebtens. Die Bundesregierung wird die Zeit ihrer Präsidentschaft in Brüssel dazu nutzen, um eine größere Gemeinsamkeit in der Europäischen Gemeinschaft im Energiebereich voranzutreiben. Schwerpunkte des Arbeitsprogramms der nächsten Monate auf dem Gebiet der gemeinsamen Energiepolitik werden die Entwicklung von verbesserten Instrumenten für ein europäisches Krisenmanagement sowie die Erarbeitung einer längerfristigen Politik im Erdölbereich sein.
Achtens. Die Existenz der deutschen Steinkohle hat die Auswirkungen der Ölsituation auf unser Land erheblich gemildert. Im Gegensatz zu anderen Ländern sind wir beispielsweise bei der Elektrizitätserzeugung in relativ geringem Umfange, nämlich nur zu etwa 15 %, auf 01 angewiesen. Ohne den einheimischen Steinkohlebergbau wäre eine kurzfristige Substitution von 01 durch Kohle nicht möglich gewesen.
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß sich nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch im deutschen Steinkohlebergbau durch die Ölkrise eine Veränderung zum Positiven vollzieht.
Natürlich wird heute die Frage nach der von der Bundesregierung im Energieprogramm genannten Zahl von 83 Millionen Tonnen für das Jahr 1978 gestellt. Es wäre fahrlässig, diese Zahl ohne hinreichende Grundlage zu ändern, bevor die Konsequenzen der gegenwärtigen Entwicklung deutlicher geworden sind. Dabei werden vor allem die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Kohle und anderen Energieträgern zu berücksichtigen sein.
Neuntens. Die Bundesregierung hat im EnergieProgramm die Neuregelung der Verstromung beschlossen und angekündigt, den hierfür erforderlichen Gesetzentwurf unverzüglich vorzulegen. Auch angesichts der jüngsten energiepolitischen Entwicklung hält sie an der Auffassung fest, daß das Energieprogramm auch in diesem Punkt verwirklicht werden soll. Das Kabinett wird den Gesetzentwurf in Kürze beraten. Selbstverständlich ist in diesem Gesetz Vorsorge getroffen, daß die Mehrkosten des Einsatzes der Steinkohle gegenüber dem Heizöl nur gewährt werden, wenn sie wirklich entstanden sind. Angesichts der Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse wird die Bundesregierung während des Gesetzgebungsverfahrens die Notwendigkeit einzelner Regelungen des Gesetzes überprüfen. Auch die zur Verstromung vorgesehene Kohlemenge von durchschnittlich 30 Millionen Tonnen pro Jahr wird zu bedenken sein.
Die Bundesregierung zieht mit diesem Gesetz auch die Konsequenz aus ihrer Aussage im Energieprogramm, daß der Einsatz des schweren Heizöls zur Stromerzeugung in Grenzen bleiben muß. Der Einsatz von Heizöl und Erdgas in Kraftwerken unterliegt einer Genehmigungspflicht, um diese umweltfreundliche Energie vor allem anderen Verbrauchsbereichen zuzuführen. Das Gesetz wird zusätzlich ein Bauverbot für reine Ölkraftwerke enthalten. Die Bundesregierung hält solche Eingriffe für notwendig, unter anderem deshalb, weil bei der Mineralölverarbeitung, wenn auch mit gewisser zeitlicher Verzögerung ,angesichts der Anspannungen auf die Ausbringung leichterer Produkte übergegangen werden muß.
Zehntens. Die Bundesregierung wird zum gegebenen Zeitpunkt, nämlich wenn die Lage klarer und übersichtlicher ist, entscheiden, ob und welche Möglichkeiten bestehen, Importkohle als Ersatz für Öl nutzbar zu machen. Ich möchte dies ausdrücklich unterstreichen. Die Position der deutschen Steinkohle darf durch Importkohle aber nicht zusätzlich belastet werden.
Elftens. Die Bundesregierung wird im ersten Halbjahr 1974 den Entwurf eines Nachfolgegesetzes zum Energiesicherungsgesetz den gesetzgebenden Körperschaften zuleiten, um ein dauerhaftes Instrument für Krisenzeiten zu erhalten. Dabei werden die Erfahrungen der vergangenen Monate mit verwertet.
Zwölftens. Wir werden die Maßnahmen gegen zeitweilige Versorgungskrisen vervollkommnen. Notwendig erscheinen vor allem verbesserte Bevorragungsbestimmungen auch für industrielle Verbraucher von schwerem Heizöl. Lassen Sie mich hier einfügen, daß die Situation in den letzten Monaten einem manche Frage aufgegeben hat, ob es bei Großverbrauchern vertretbar sein kann, nur für zwei, drei oder vier Tage selbst bevorratet zu sein.
({1})
Dabei muß die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie beachtet werden. Die Bundesregierung wird
außerdem untersuchen, wie die kurzfristigen Substitutionsmöglichkeiten zwischen den Energieträgern verbessert werden können.
Dreizehntens. Zur Sicherung unserer Energieversorgung ist die bedarfsgerechte Errichtung von Raffinerien, Kraftwerken und Leitungen unerläßlich. Auf die hier bestehenden Schwierigkeiten wurde im Energieprogramm hingewiesen. Ich habe den Eindruck, daß nunmehr allenthalben die Bereitschaft gewachsen ist, die Bemühungen um schnellere Genehmigungsverfahren und verbesserte Standortvorsorge voranzutreiben. Die zuständigen Ressorts arbeiten gegenwärtig ein Programm aus, um die Aktivitäten von Bund, Ländern und Gemeinden zu koordinieren und zu beschleunigen.
Vierzehntens. Die Bundesregierung hat beschlossen, die Forschung im Energiebereich zu intensivieren. Das vierte Atomprogramm ist inzwischen verabschiedet. Es sieht für die kommenden Jahre bis 1976 jeweils rund 1,5 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln vor. Es wird die Kernenergie weiterentwickeln und dadurch zur langfristigen Sicherung unserer Energieversorgung beitragen.
Die Forschungsförderung wird mit einem neuen Schwerpunkt auf den nichtnuklearen Energiebereich ausgedehnt. Die Bundesregierung hat deshalb am 9. Januar auf der Grundlage des Energieprogramms ein Rahmenprogramm zur nichtnuklearen Energieforschung verabschiedet. Es sieht von 1974 bis 1977 Gesamtaufwendungen von etwa 1,5 Milliarden DM vor. Diese Mittel sollen durch Bund, Länder und private Wirtschaft aufgebracht werden; dabei beträgt der Bundesanteil etwa 800 Millionen DM.
Im Zentrum des Programms steht die Kohle. Als eine der zukunftsträchtigen Möglichkeiten für die Verwendung und Veredelung von Kohle ist die Vergasung zu betrachten. Das Programm fördert verschiedene Techniken der Vergasung, von der Kohledruckvergasung über andere Techniken der konventionellen Kohlevergasung bis hin zur Herstellung von Synthesegas mit Hilfe von Hochtemperaturkernreaktoren. Gleichzeitig werden die Voraussetzungen für verbesserte Verfahrung zur Gewinnung von 01 aus Kohle gefördert.
Ein anderer Schwerpunkt ist der Bereich der Bergbautechnik und Aufbereitung. Gerade unter den Gesichtspunkten einer möglichst rationellen Kohlegewinnung sind Maßnahmen im Hinblick auf die verstärkte Einführung von vollmechanisierten Vortriebssystemen im Steinkohlebergbau zur Entwicklung von neuen Verbundausrüstungen für den Abbau der Kohle notwendig.
Darüber hinaus werden die Entwicklung und Erprobung verbesserter Prospektionsmethoden bei Erdöl und Erdgas, von Bohrsystemen für extreme Tiefen gefördert und neue Technologien der Energieumwandlung - zum Beispiel Brennstoffzellen - und des Energietransports - zum Beispiel Supraleitungskabel - sowie der Energiespeicherung entwickelt.
Fünfzehntes. Von besonderer Bedeutung ist außerdem die Entwicklung neuer oder die Verbesserung vorhandener Technologien mit dem Ziel der
rationelleren Nutzung von Energie. Bereits im Dezember hat das Bundeskabinett beschlossen, auch kurzfristig eine Reihe von Möglichkeiten zur Erhöhung des rationellen Energieeinsatzes zu prüfen. Diese Arbeiten sind im Gange. Hierzu gehören die Erarbeitung energiesparender Normen vor allem im Baubereich, die Fragen der Einrichtung von Heizungssystemen, Kesselanlagen für den Wechselbetrieb und anderes mehr.
Die Bundesregierung hat ihr Augenmerk nicht nur auf die kurzfristigen Aspekte gelegt und die hier notwendigen Maßnahmen getroffen; sie hat daneben auf der Grundlage ihres Energieprogramms vom September 1973 erste Konsequenzen für eine Beschleunigung und Intensivierung der mittelfristig wirksamen Maßnahmen eingeleitet. Sie ist überzeugt, daß mit diesen Maßnahmen und durch weiterhin entschlossenes Handeln im Energiebereich nachhaltiger Schaden von unserer Volkswirtschaft und damit von uns allen abgewendet werden kann.
Aber wir müssen auch erkennen: Nicht alles muß vom Staat gemacht werden, nicht alles kann vom Staat gemacht werden. Die Bundesregierung ist daher der Überzeugung, daß die Herausforderung der letzten Monate von allen Kräften in diesem Lande - von Arbeitnehmern, von Unternehmern, von Wissenschaftlern, letztlich von jedem einzelnen - angenommen und bewältigt wird.
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Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich eröffne die verbundene Debatte zu den Tagesordnungspunkten 3 a) und 3 b). Das Wort hat der Abgeordnete Russe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Bundesminister, Sie haben in einer umfassenden Form, in einer substantiierten Darstellung zu einer Fülle von Vorstellungen, die gerade von meiner Fraktion in diesem Hause in den letzten Wochen vorgetragen und der Regierung an die Hand gegeben worden sind, Aussagen gewagt, die uns natürlich nicht in allen Punkten befriedigen. Wie könnte es anders sein! Es ist selbstverständlich, daß in diesen Punkten zwischen uns eine Auseinandersetzung um die optimale Lösung dieser sehr wichtigen und bedeutenden Frage im Rahmen des gesamtwirtschaftlichen Geschehens und des gesamtwirtschaftlich Notwendigen ist und bleibt. Ich werde mir erlauben, im Laufe der Ausführungen, die ich zu der konkreten energiepolitischen Seite Ihrer Darlegungen hier für meine Fraktion zu machen habe, darauf im einzelnen noch einzugehen.
Ich stelle zunächst mit Genugtuung fest, daß das, was wir in der Auseinandersetzung um das Energiesicherungsgesetz in Kooperationsbereitschaft als Opposition Ihnen abgerungen haben, heute von Ihnen erneut zugestanden worden ist, nämlich: möglichst bald das Nachfolgegesetz zum Energiesicherungsgesetz vorzulegen. Damit folgen Sie also unserem Antrag aus dem vergangenen Jahr. Wir
werden mit großem Interesse dieser Vorlage nicht nur entgegensehen, sondern wiederum wie damals unseren Beitrag einzubringen bereit sein, um zu einer optimalen Lösung für die Zukunft dieses Gesamtbereiches zu gelangen.
Wir haben in den letzten Tagen in der bundesrepublikanischen Auseinandersetzung manches Überraschende im Bereich der Energiepolitik - wie auch in anderen Bereichen - erleben müssen. Ich würde sagen: der schmetternde Fanfarenstoß des Bundeskanzlers in der vergangenen Woche - bezeichnenderweise aus dem Bayerischen Wald - signalisierte einer weithin verblüfften Öffentlichkeit doch etwas Neues. Es hieß: „Da zur Zeit nur noch bedingt ein Mengenproblem im Mineralölsektor vorliegt, kann das in Aussicht genommene Fahrverbot ohne Rücksicht auf gerade oder ungerade Autonummern für Januar und Februar ausgesetzt werden". Dieser, darf ich sagen, einsame bayerische Beschluß ist nunmehr auch regierungsoffiziell verkündet , für Kenner der Materie nicht unerwartet. Für die engagierten Verfechter des ordnungspolitischen Konzepts der sozialen Marktwirtschaft, klang es, Herr Professor Erhard, wie eine nachträgliche Jubiläumsfanfare auf die 25 Jahre junge und funktionsfähige soziale Marktwirtschaft.
({0})
Im Jahreswechsel zu ihrem 26. Lebensjahr bestand sie eine ihrer härtesten Bewährungsproben trotz der Schmähungen und Angriffe aus der Nische system- überwindender Ideologen. Sie bestand sie auch, obwohl einige Mitglieder dieser Bundesregierung seit Jahr und Tag nicht zimperlich mit ihr umgingen oder umgegangen sind.
Das regierungsoffizielle Signal für freie Fahrt an den Wochenenden verdanken wir ja bekanntlich nicht einer unverhofften arabischen Großzügigkeit oder etwa dem Einfallsreichtum dieser Bundesregierung. Der mengenmäßig ausreichende Ölzufluß orientierte sich schlicht an der Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen. Also wich dieser Ölzustrom den mit staatlichen Höchstpreisen und/oder Rationierungen operierenden, waffenbewehrten Eilanden aus. Im Gegensatz zu gewichtigen Stimmen aus der Bundesregierung und aus der sie tragenden Koalition haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nachdruck davor gewarnt, mit dirigistischen Maßnahmen zu operieren, - nicht zuletzt aus der Erkenntnis, daß in einem Lande wie der Bundesrepublik Deutschland mit liberalem Handel und konvertibler Währung keine Modelle mit Dirigismen und verwaltungswirtschaftlichen Eingriffen funktionieren. Die Wirklichkeit dieser Tage, die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate widerlegen eindrucksvoll der ganzen breiten Öffentlichkeit sichtbar - die von einigen hoch gepriesenen planwirtschaftlichen Heilstheorien; sie dekuvrierten die Ideologen mit ihrer Forderung bis hin zur Verstaatlichung. Die Rücksicht auf die zugegeben engagierten Verfechter marktwirtschaftlicher Prinzipien auch in der Regierung und Koalition hindert mich daran, die Unschlüssigkeit der Regierung durch die sie blockierenden und widerstreitenden Meinungen
und Empfehlungen als Ursache für unterlassene Dirigismen zu werten.
Ich meine, als Fazit bleibt die Hoffnung festzuhalten, daß die ordnungspolitische Diskussion in der Bundesrepublik, wie zutreffend im „Handelsblatt" vom 31. Dezember 1973 ausgeführt wurde, eine „neue Qualität" bekommt oder bekommen hat. Das heißt für mich und meine politischen Freunde nach wie vor und bleibend: eine uneingeschränkte Zustimmung zum ordnungspolitischen Konzept der sozialen Marktwirtschaft.
({1})
Meine Freunde, wenn eine wirtschaftliche Ordnung zu Recht soziale Marktwirtschaft genannt werden will, muß sie aber nicht nur rechtliche, d. h. ordnungspolitische Sicherungen für einen marktwirtschaftlichen Ablauf bereitstellen, sondern auch einen sozialen Vollzug gewährleisten. Aus diesem grundsätzlichen Verständnis heraus haben wir Lösungsvorschläge erarbeitet - ich nehme das Stichwort Hilfen für soziale Härtefälle auf -, und die Koalition bzw. Regierung hat dankenswerterweise unsere Vorschläge hier übernommen. Deshalb konnten sie von diesem Hohen Hause relativ schnell verabschiedet werden.
Meine Damen und Herren, in diesen Wochen hatten wir - verkürzt dargestellt - folgenden Vorgang zu konstatieren. Das Pendel der Preise für Mineralöl und Mineralölprodukte überschritt teilweise und zugegeben für einige Zeit die Grenzen des marktwirtschaftlich Zulässigen unter dem einseitigen Druck tatsächlich kostenerhöhender Faktoren. Hinzu kamen psychologische Komponenten, Unsicherheit, Folgen auch des Krisengeredes, der widersprüchlichen Information der Bundesregierung über eine gewisse Zeit hinweg. Sie lösten verständliche, aber unvernünftige Hamsterkäufe aus, und diese wieder begünstigten die internationale Erdölspekulation. Die Marktmechanismen Wettbewerb und freie Preisbildung griffen jedoch bald wieder und führten die Preise auf in der Relation erträgliche Maße zurück. In diesem Ablauf, meine Damen und Herren, trat ein wirkliches Mengenproblem dann bald nicht mehr auf.
Was bleibt? Erdöl wird knapper und demzufolge zunehmend teurer; hier sind wir völlig einer Meinung mit Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wir haben uns also jetzt und künftig zwar auch, aber weniger als bisher mit dem Mengenproblem als mit dem Preisproblem zu befassen. Auch wenn die von Herrn Wehner falsch prognostizierte Rationierung über die Preise nicht eingetreten ist, wie es der Bundeswirtschaftsminister belegt hat, stellt sich dennoch das Preisproblem.
Der Zusammenschluß der Erdölförderländer in der OPEC mit einheitlicher Preisfestsetzung - wir wissen darum - hat den früheren Käufermarkt - auch dies ist nichts Neues, aber es muß der Vollständigkeit halber noch einmal erwähnt werden - zu einem Verkäufermarkt umgestaltet. In der nachfolgenden Stufe der Verteilung und auch der Verarbeitung sind hauptsächlich multinationale Mineralölgesell4546
schaften tätig, die auch im Weltmaßstab gewisse oligopolistische Marktpositionen halten.
Vor diesem Hintergrund ist einmal die Bildung einer potenten deutschen Erdölgruppe um so zwingender - wir stimmen Ihnen hier völlig zu, Herr Bundeswirtschaftsminister, auch Ihrer Auffassung am heutigen Tage --, um auf diese Art und Weise auch Einflußmöglichkeiten durch Wettbewerb und damit auf die Preisgestaltung - mit Unterstützung der politischen Seite durch die Bundesregierung auf Dauer - zu sichern.
Zum anderen, meine Damen und Herren, müssen Politik und Kartellbehörde - dies sowohl im nationalen als auch im europäischen Ebenenbereich - rigoros darüber wachen, daß in extremen Knappheitssituationen Marktmacht, wie sie einigen Großen zufällt, nicht zum Schaden der Verbraucher ausgenutzt wird. Solche Beispiele sind bekannt, und niemand in diesem Hause kann bereit sein, sie zu stützen. So hat z. B. mein Kollege Göke Frerichs im Auftrag der Fraktion spontan die Kartellbehörde eingeschaltet, als bekannt wurde, daß ein Tankstellenbesitzer von seinem Lieferanten gezwungen wurde, einen wesentlich höheren Preis zu verlangen, als er nach seiner eigenen Kalkulation ansetzte; ihm wurde Lieferboykott angedroht. Ähnliche Vorgänge sind aus anderen Bereichen, auch etwa aus dem Chemiebereich, bekanntgeworden. Meine Damen und Herren, wo diese Tatbestände eintreten - das muß mit aller Klarheit auch von unserer Seite in diesem Hause festgestellt werden -, gilt nur dies: Derartige Vorgänge werden durch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft nicht gedeckt. Auch wir sprechen uns deshalb dagegen aus.
({2})
Meine Damen und Herren, der Preisdruck wird ferner in dem Maße abzubauen sein, in dem Erdöl durch andere Energieträger substituiert werden kann bzw. die Zuwachsraten durch andere Energieträger gedeckt werden können. Die dazu im einzelnen erforderlichen Maßnahmen werde ich in anderem Zusamenhang noch ansprechen.
Bei dieser Sachlage und in dieser Situation - ich stelle das noch einmal ausdrücklich fest - staatlich verordnete Höchstpreise und/oder Rationierung zu fordern ist und bleibt die falsche Rezeptur. Auch hier, Herr Minister, haben Sie unsere Unterstützung. Warum ist es die falsche Rezeptur? Nun, mit der denkbaren Genugtuung allein, durch Höchstpreisregelung der internationalen Mineralölspekulation auf dem deutschen Markt keine Gewinnmöglichkeit zu bieten, wie das einmal von der anderen Seite des Hauses zum Ausdruck gebracht worden ist, läßt sich weder Dampf noch Wärme erzeugen. Es nützt niemandem, kalte Füße zu halben Preisen zu haben. Das ist, lapidar gesagt, ohne Wenn und Aber, das Ergebnis einer vernunftbezogenen Situationsanalyse.
Bei dem, was wir heute wissen - wir haben nunmehr hinreichend bekannte schlechte Erfahrungen, auch und gerade in anderen Ländern -, hätten staatliche Preisregulierungen fatale Auswirkungen erstens auf den Umfang der Versorgung --- das ist das Mengenproblem - und zweitens auf die künftige Markt- und Wettbewerbsstruktur. Bereits vor
der Nahost-Krise war der Mineralölmarkt gespalten.
Auslösendes Moment waren bekanntlich die Knappheitskäufe der USA.
Meine Damen und Herren, zugegeben und unbestritten war und ist, daß dadurch die zu fordernde Markttransparenz für den Verbraucher mehr als nur eingeschränkt ist. Auch wir bedauern und kritisieren dies. Die Preise für die verschiedenen Mineralölprodukte haben inzwischen ein Niveau erreicht, das für die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten und eine Reihe gewerblicher und industrieller Unternehmen der verschiedenen Branchen existenzbedrohende Probleme aufwirft. Hier Abhilfe zu schaffen ist Aufgabe und Auftrag der Politik.
Die amerikanische Energiepolitik mit ihren staatlichen Preisregulierungen in den vergangenen Jahren ist ein beredtes Beispiel für marktkonformes Handeln auf diesem Sektor und deshalb auch für Mißerfolg. Staatliche Billigpreispolitik z. B. mit dem umweltfreundlichen Erdgas führte zu einer ungenügenden Erlössituation bei Erdölprodukten. Das wiederum führte zu einem nicht zu vertretenden Verzicht auf weitere Exploration und den Bau zusätzlicher Produktionsstätten. Wir wissen um die Folgen; ich will sie hier nicht näher ansprechen. Wie gewichtig dieses Problem aber für uns alle ist, muß abschließend zu diesem Komplex mit dem Hinweis untermauert werden, daß die USA mit einem Sechzehntel der Weltbevölkerung ein Drittel der Weltenergie verbrauchen.
Meine Damen und Herren, eine Höchstpreisverordnung würde in dieser Situation das heute immer noch beschränkte Angebot freier Mengen drastisch gekürzt haben oder kürzen. Es ist eine Binsenweisheit, daß diese freien Mengen jederzeit Absatz unter Umgehung der Höchstpreisbestimmungen einzelner Länder suchen und finden. Ich brauche nur an das französische Beispiel zu erinnern.
Das Fazit einer Höchstpreisverordnung, also im Grunde genommen ein Preisstopp, ist kein probates Mittel. Dies stellen wir noch einmal fest. Der verfügte Preisstopp hätte eine zusätzliche Verknappung im Gefolge, die volkswirtschaftlich verheerend durchschlagen würde, auch auf dem Wege der Gefährdung weiterer Arbeitsplätze, z. B. in der chemischen Industrie.
Ein letztes in diesem Zusammenhang. So wie die Höchstpreisverordnung würde auch eine Rationierung über die Ausgabe von mengenbegrenzenden Bezugsscheinen ebenfalls ein systeminkonformer, dirigistischer Eingriff, zu Folgen führen, die ebenfalls katastrophal wären. Wir haben ja gerade aus den jüngsten Tagen die negativen Vorgänge in den Niederlanden plastisch vor Augen, die uns bewiesen haben, daß mit der Ausgabe der Bezugsscheine bereits ein schwunghafter Schwarzhandel einherging.
Für uns bleibt festzustellen: Die Ereignisse der letzten Monate müßten doch von einem naiven zu einem aufgeklärten Verständnis der sozialen Marktwirtschaft geführt haben, für die einen als exemplarische Einführung und für die anderen, so hoffe ich, als ein heilsames Repetitorium in Sachen ordnungsRusse
politische Funktionsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft.
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Um diesen kurzfristigen Erfolg nicht aufs Spiel zu setzen, bedarf es neben den systemkonformen flankierenden Maßnahmen weiterhin und verstärkt eines mittel- und langfristigen Konzepts zur Sicherung der Energieversorgung.
Dazu möchte ich zunächst zu der „Regierungserklärung" Stellung nehmen, die wir in der Pressekonferenz des Herrn Bundesministers Ehmke vom 9. dieses Monats erhalten haben. Sie wissen, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Regierungskoalition, daß Sie grundsätzlich dann mit der Unterstützung der Opposition rechnen können, wenn die Vorschläge der Bundesregierung dazu angetan sind, die Bundesrepublik aktuell und auf Dauer vom 01 unabhängiger zu machen. Ein Energieforschungs- und -entwicklungsprogramm hat notwendigerweise dieses Ziel. Deshalb begrüßen wir es im Grundsatz; dies sei deutlich gesagt. Allerdings sind wir der Meinung - und die Regierungserklärung hat daran bisher nichts geändert -, daß es sich bei den Vorhaben, die Minister Ehmke zu vertreten hat, um eine sagen wir: Heimarbeit seines Ministeriums handelt, eine Heimarbeit, die sich nicht so ohne weiteres in Ihr Konzept, Herr Bundesminister Friderichs, und damit in den übrigen Bereich der Energiepolitik einordnen läßt.
Lassen Sie mich das an einigen Punkten oder in Beispielen verdeutlichen. Der Forschungsminister widmet den größten Teil seines Entwicklungsprogramms der Kohleveredelung und der Verbesserung der Bergbautechnik. Er will dafür in den nächsten vier Jahren eine Milliarde DM ausgeben. Wir sind damit sehr einverstanden, und Sie wissen, daß wir Forderungen der hier beschriebenen Art seit Jahr und Tag im Deutschen Bundestag gestellt haben, zuletzt noch - und ich bitte Sie, sich das in Erinnerung zu rufen, meine Damen und Herren von der anderen Seite des Hauses - in unseren beiden Anträgen vom 29. November und 11. Dezember 1973. Beide Anträge befaßten sich detailliert mit der Verbesserung und der Verbreitung der Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet. Aber im Gegensatz zur Bundesregierung hat meine Fraktion daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen und gleich ein Wort zur Größenordnung der Kohlenförderung angefügt. Lesen Sie dazu bitte den Abs. II 3 unseres Antrags Drucksache 7/1401, in dem wir einmal eine Größenordnung des Steinkohlenbergbaus verlangen, die in etwa der heutigen entspricht, und in dem wir zum anderen die Bundesregierung aufgefordert haben, dazu die notwendige Orientierung zu geben.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen dazu eine Aussage gewagt. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hat er zum Ausdruck gebracht, daß die 83 Millionen Fördertonnen, bezogen auf das Jahr 1976, im Augenblick noch nicht revisibel erschienen. Ich frage Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, und Sie, Herr Minister Ehmke: Wie wollen Sie das denn mit Ihren vielleicht gegensätzlichen Auffassungen in Einklang bringen? Der Forschungsminister will mehr Kohle einsetzen und Kohle für
andere als für Wärmezwecke verwendet wissen. Das ist richtig. Aber die Bundesregierung sagt der Öffentlichkeit nicht oder nur mit diesem Vorbehalt, wie Herr Minister Friderichs das heute morgen tat , mit welchem Anteil der Steinkohlenproduktion dieses Programm verwirklicht werden soll und kann. Meine Damen und Herren, solange dies nicht geklärt ist, bleibt Ihr Forschungs- und Energieentwicklungsprogramm ein hehres Ziel. Es hilft uns auf dem Wege zu einer größeren energiepolitischen Unabhängigkeit keinen Schritt weiter, wenn dieser Dissens unter Ihnen bestehen bleibt bzw. wenn Sie ihn nicht möglichst bald auszuräumen versuchen. Sie müssen uns nun schon eindeutig sagen, welches Programm in diesem Bereich Gültigkeit haben soll, das von Ihnen, Herr Bundesminister Friderichs, oder das, was Herr Bundesforschungsminister Ehmke dazu zum Ausdruck gebracht hat.
Wir wissen - und das haben Sie selber festgestellt, Herr Minister Friderichs , daß das Energieprogramm in Teilbereichen überholt ist und deshalb fortgeschrieben werden soll. Sie haben heute morgen auch einen ersten Ansatz dazu unternommen. Aber wenn es richtig ist, wie wir die Dinge gelesen haben und wie wir sie verstanden haben, dann bleibt doch darüber hinaus festzuhalten, daß für beide Programme, für beide Entwicklungslinien die Jahre 1980/85 bzw. 1990 angepeilt sind. Sie müssen uns deshalb auch sagen, welche Vorstellungen und Ziele die Bundesregierung hinsichtlich der Anteile verfolgen will, die die einzelnen Energieträger bis dahin an der Gesamtversorgung haben sollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern.
Herr Kollege Russe, würden Sie daran interessiert sein, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Ihnen zuhört, wenn Sie ihn so intensiv antwortend ansprechen?
Herr Kollege von Bismarck, ich bedanke mich für diese Frage. Natürlich bin ich daran interessiert. Noch mehr aber sollte das ganze Haus daran interessiert sein, was zu dieser Tatsache des Dissenses zum guten Schluß von dem einen oder dem anderen Minister hier ergänzend vorgetragen wird. Darauf haben wir, glaube ich, alle einen Anspruch.
({0})
Ich bleibe dabei, Herr Minister Friderichs, daß Sie hier eine ausweichende Aussage gemacht haben. Wir stellen hier nicht - damit das ganz klar ist, meine Damen und Herren - die Forderung nach neuen Förderrichtzahlen auf, weil wir alle miteinander wissen, wie schwierig letztverbindliche Aussagen in diesem Bereich sind. Aber da Ihre beiden Programme schon in ihrer Tendenz so erheblich auseinanderfallen, erbitten wir Klarheit über die Richtung des Weges, den Sie beschreiten wollen. Herr
Minister Friderichs, wenn das, was Herr Ehmke, Ihr Kabinettskollege in seinem Teil- und Verantwortungsbereich beabsichtigt, realisiert werden soll, kommen Sie mit der Größenordnung von 83 Millionen Fördertonnen, bezogen auf das Jahr 1976, einfach nicht aus. Sie haben angedeutet, man müsse dann auf Importkohle zurückgreifen. A la bonne heure! Ihre Entscheidung! Wir möchten dies wissen, und die Kumpels an der Ruhr möchten nicht zuletzt darum wissen, was eigentlich die Zielsetzung der Regierung ist.
({1})
Diese Förderung ist geradezu zu untermauern mit der jüngsten Aussage publizistischer Art, die Herr Minister Schmidt, der heute leider nicht unter uns ist, in der Zeitung „einheit" der IG Bergbau veröffentlicht hat. Da wird uns der Vorwurf gemacht, daß wir in der Vergangenheit dem 01 nachgelaufen seien und daß wir aus diesem Grunde nicht zuletzt die Verantwortlichen für die jetzige Entwicklung seien. Nun, meine Damen und Herren, das ist ja nichts Neues; das kennen wir.
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Die 20 Jahre unserer Politik werden immer wieder aufgegriffen und immer dann aus der Schublade herausgeholt, wenn man im eigenen Bereich nicht mehr weiterkommt bzw. im eigenen Bereich nicht die Lösungsvorschläge hat, die notwendig sind, um zu einer dynamischen und optimalen Politik zu gelangen. Dem dient immer wieder diese Feststellung. Ich verzichte in diesem Augenblick darauf, näher darauf einzugehen, weil der Herr Minister Schmidt nicht unter uns ist, verweise aber auf meine diesbezügliche Presseerklärung, Herr Kollege Adolf Schmidt. Ich würde es sehr dankbar begrüßen, wenn nach der Erklärung des Herrn Ministers Schmidt nun auch diese Presseerklärung ebenso in der Zeitung „einheit" der IGBE veröffentlicht würde. Ich biete hiermit also offiziell diesen Text zur Veröffentlichung an.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine weitere grundsätzliche, kritische Anmerkung zu diesem Forschungsprogramm machen. Meine Fraktion ist froh darüber, daß Sie sich nun den Problemen der Kohleveredelung und der Verbesserung der Bergbautechnik gegenüber so aufgeschlossen zeigen, nachdem die Bundesregierung diese Probleme noch bis vor wenigen Wochen als unerheblich abgetan hat. Wenn wir Sie nun schon mit unseren beiden Anträgen zur Energiepolitik in die richtige Richtung gebracht haben, dann zeigt sich damit gleichzeitig, wie wenig planvoll Energie- und Energieforschungspolitik bei Ihnen bisher betrieben worden ist. Alles, was unter dem Druck der Ereignisse wie der Nahostkrise erarbeitet wird, trägt in sich den Makel der Unausgewogenheit; das wollen wir wohl anerkennen. So fordern Sie zwar im Augenblick für die angesprochenen Bereiche das Richtige, lassen aber völlig außer acht, welche industriepolitische Voraussetzung Sie schaffen müssen und wie Sie das tun wollen, um Ihr Programm zu verwirklichen, um die geforderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auch realisieren zu können. Das ist die
notwendige zweite Seite der Medaille. Solange wir uns darüber nicht hinreichend verständigen können, steht zu befürchten, daß das Programm Ihres Forschungsministers Papier bleibt. Daran kann Ihnen - aber ich sage freimütig: auch uns - nicht sonderlich gelegen sein.
Ein dritte Bemerkung. Herr Minister Friderichs, Sie haben praktisch nur wenig zur Kernenergie gesagt. Es blieb unklar, in welcher Form und in welcher Weise Kernenergie auf Dauer eingesetzt werden kann und wird, es sei denn Sie wollen das, was Sie in Ihrem Energieprogramm zum Ausdruck gebracht haben, auch weiterhin festgelegt wissen. Sie haben - nur am Rande, möchte ich sagen, und ohne ausreichende Aussage für das Hohe Haus -- das Problem der Genehmigungs- und Planungsverfahren angesprochen. Dabei blieb nach wie vor vieles offen. Allein die Tatsache, daß Sie sich nun darum bemühen, unseren Anträgen diesbezüglich zu folgen, reicht nicht. Wir möchten mehr wissen: was eigentlich inzwischen eingeleitet worden ist, ob Sie mit den Ländern schon gesprochen haben, wieweit diese Gespräche gediehen sind und einiges anderes mehr. Dazu gehört ebenso auch die Frage der Standortprobleme, die heute als unüberwindbare Hindernisse für Kraftwerkneubauten ganz allgemein auftreten. Wie sollen diese Probleme in Zukunft gelöst werden?
Jeder, der sich mit energiepolitischen Fragen befaßt, weiß, daß wir selbst mit sehr viel mehr Kohle, auch mit veredelter und breiter anwendungsfähiger Kohle, die bei dem Energiebedarfszuwachs der nächsten Jahre und Jahrzehnte zu befürchtenden Lücken nicht werden schließen können. Da sowohl Ö1 als auch Erdgas in Zukunft knapper werden, vor allem aber unter Preiskostengesichtspunkten eine andere Rolle einnehmen werden, als wir alle das bisher angenommen haben, müssen wir der Kernenergie ganz entscheidende Bedeutung zumessen.
Wir haben Sie früher ausführlich und mehrfach gebeten und tun das heute noch einmal ob Ihrer uns nicht befriedigenden Aussage, Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau von Kraftwerken und insbesondere von Kernkraftwerken zu vereinfachen und sie in ihren zeitlichen Abläufen zu verkürzen und darüber hinaus Standortpläne zu entwickeln, welche die notwendigen langfristigen Dispositionen möglich machen. Leider hat, wie gesagt, eben auch die heutige Vorstellung der Bundesregierung in diesem Bereich nichts konkretes Neues gebracht. Erneut erheben wir deshalb unsere Forderung, wie sie in unserem Antrag in der Drucksache 7/1401 unter B II Ziffer 2 nachzulesen ist.
Herr Minister, wir wären dankbar gewesen, wenn Sie in Ihrer Gesamtdarstellung auch eine Aussage zu dem Antrag gemacht hätten, der uns im Rahmen der Gesamtproblematik und ihrer Lösung unerläßlich zu sein scheint, möglichst unverzüglich einen Substitutionsbericht vorzulegen, damit wir nicht zuletzt die Informationsbasis haben, um die Frage nach entsprechenden Weiterungen alle miteinander beantworten zu können.
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Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben gestern im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages so am Rande vermerkt, eigentlich sei doch der Punkt 6 der Tagesordnung, d. h. also unser Antrag zur Energiepolitik, mit der heutigen Debatte als erledigt zu betrachten. Ich glaube, Sie müssen mit mir einverstanden sein, daß auch die Erklärung der Bundesregierung heute nicht dazu ausreichen kann, diesen Antrag nicht erneut auf die Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses zu setzen und sehr redlich und sehr substantiell zu diskutieren, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir kritisieren nicht, weil es uns Spaß macht oder weil es zur Auflage der Opposition gehört, Mängel der verantwortlichen Regierungspolitik nachzuweisen. Wir haben Ihnen vielmehr in der letzten energiepolitischen Debatte am 11. Dezember des vergangenen Jahres unser Konzept auf den Tisch gelegt. Ich bin nicht erpicht auf das Wort „Alternative", mit dem Sie so häufig im Lande umherziehen, weil aus meiner Sicht die Opposition die Aufgabe hat, das Fehlen oder die Fehler einer Regierungspolitik ständig durch eigene Vorschläge zu kompensieren. Aber wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nun ohne unsere Alternativen schon gar nicht mehr auskommen, dann haben wir Ihnen mit unseren beiden Anträgen vom 29. November und 11. Dezember eine faire Regierungshilfe geboten.
Damit die Regierung also besser regieren kann, erinnere ich Sie noch einmal an die wichtigsten Punkte unseres Konzepts.
Erstens. Wir gehen davon aus, daß die kurzfristige Beseitigung von Engpässen in der Energieversorgung durch größtmögliche Substitution von 01 erfolgen muß. Natürlich sind und bleiben wir mit Ihnen, Herr Minister, einig, daß ein Engpaß bleibt. Weil er bleibt, muß um so mehr in dieser Hinsicht etwas getan werden. Deshalb schlagen wir vor, in der Zukunft verstärkt darauf hinzuwirken, daß neugebaute Kraftwerke sowohl mit flüssigen als auch mit festen Brennstoffen befeuert werden können. Die von Ihnen am heutigen Vormittag hier angedeuteten Gesetze reichen, soweit wir sie kennen, dazu noch nicht aus; wir bitten um entsprechende Ergänzung und Überarbeitung dieser Entwürfe.
Gleichermaßen ist es möglich und notwendig, bivalent ausgelegte Kraftwerke durch geeignete Anreize zu veranlassen, von 01 auf andere Feuerungsarten umzusteigen. Daß wir hier hauptsächlich an Kohle und ihren verstärkten Einsatz auch bei Stahlwerken und sonstigen Großverbrauchern denken, dürfte wohl klar sein. Darüber hinaus sollten die Benutzungsstunden von Ölkraftwerken so gering wie möglich gehalten werden. Die Bundesregierung hat deshalb zu prüfen - wir fordern sie dazu auf; eigentlich hätte sie es schon längst tun müssen -, ob Kohlekraftwerke, die bisher fast ausschließlich im Spitzenlastbereich gefahren worden sind, nicht sofort Mittellast übernehmen können. Damit würden Ölkraftwerke ihren Ölverbrauch entsprechend mindern können.
Zweitens. Raffinerien, in denen schweres Heizöl zu Leichtprodukten gekrackt werden kann, müssen zur Sicherstellung der Versorgung der Industrie mit Chemiebenzin und zur Versorgung der Verkehrswirtschaft mit Kraftstoff möglichst voll ausgelastet werden. Dieses Problem bleibt auf der Tagesordnung.
Drittens. Wir fordern die Bundesregierung auf, uns zu sagen, wie sie in Zukunft das Verhältnis von Umweltschutz und Energieversorgung sehen will. Stillschweigen, meine Damen und Herren, nützt nichts. Die Bevölkerung und die Industrie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung in Zukunft etwa das Problem der Schwefelemission bei Raffinerien bzw. bei Kraftwerken auf 01-, aber auch auf Kohlebasis behandeln will.
Meine Damen und Herren, damit hier nichts Falsches bleibt: Weder ich selbst noch irgend jemand aus meiner Fraktion will hier etwa gegen die berechtigten Forderungen zum Umweltschutz eintreten. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Aber die Bundesregierung, die in dieser Situation zum Handeln verpflichtet ist, muß sich hier unzweideutig äußern.
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Viertens. Wir haben über diese Aspekte hinaus einen Katalog mittel- und langfristiger Maßnahmen aufgeführt, die unverzüglich eingeleitet werden müssen, wenn wir uns auf Dauer von Öl unabhängiger machen wollen. Über Selbstverständlichkeiten brauchen wir uns auch jetzt nicht zu unterhalten. Ich nenne deshalb nur Stichworte aus unserem Antrag: Förderung der Suche und Ausbeutung von neuen Erdöl- und Erdgasvorkommen. Herr Minister, Sie haben heute hier einige Feststellungen ergänzender Art getroffen; wir freuen uns, daß Sie in dieser Hinsicht unserem Antrag gefolgt sind. Es gilt darüber hinaus, die Frage der Ausbeutung von Ölschiefern und Ölsänden zu prüfen. Die Frage der Deminex ist angesprochen worden. Wir teilen die Auffassung, die Sie vorgetragen haben. Wir sind einverstanden, daß neue Erdgasvorkommen in der Form, wie Sie sie heute morgen hier zur Kenntnis gaben, in Angriff genommen werden. Wir vermissen allerdings - das steht auch in unserem Antrag - die beschleunigte Aufschließung weiterer Braunkohlevorkommen respektive deren entsprechende Unterstützung aus der Ebene der staatlichen Administration.
Die nachhaltige Steigerung des Kernenergieeinsatzes wird von uns ebenso gefordert. Ich darf das noch einmal feststellen. Zu all diesen Dingen gehören die nötigen Mittel. Sie deuteten an, sie würden bereitgestellt. Wir hoffen, daß das nicht nur eine Ankündigung aus Ihrem Munde bleibt, sondern daß die gesamte Bundesregierung, insbesondere natürlich der Bundesfinanzminister, Sie auch in dieser Hinsicht unterstützt. Wir sind diesbezüglich an Ihrer Seite.
Meine Damen und Herren, hier wäre eine weitere Feststellung noch einmal vonnöten, die Sie nicht angesprochen haben und die auch in meiner Auslassung bisher nicht zum Ausdruck kam. Es geht um jene Frage, die ich - das zur Kernenergie Gesagte
4550 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 73. Sitzung. B01111, Donnerstag, den 17. Januar 1914
nicht wiederholend, sondern dies nur ergänzend feststellend hier ansprechen muß: Was ist mit der entsprechenden Initiative der Bundesregierung gegenüber Ländern und Gemeinden, damit diese -über den Rahmen der Standortfrage und der Verfahrensfrage hinaus - über Landesentwicklungspläne dafür sorgen, daß die Energieversorgungsanlagen in der Tat möglichst bald gebaut werden können.
In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Minister, auch die Frage der entsprechenden Aufgabenstellung für die Forschung angesprochen, etwa was die Frage der wärmedämmenden Maßnahmen im Bau und insbesondere im Hochbau angeht. Auch hier sind Sie im Grunde genommen unserer Initiative gefolgt. Wir hätten es allerdings begrüßt, wenn eine entsprechende Konsequenz schon bei der Aufstockung der Mittel im sozialen Wohnungsbau, Herr Bundeswohnungsbauminister, praktisch mit zum Tragen gekommen wäre. Dies wäre nach unserer Auffassung ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Wir wissen ja doch miteinander, daß bei entsprechender Wärmedämmung im Hochbau 30 % Wärmeverlust vermieden werden können. Wenn das aber so ist und wenn wir uns in der Situation befinden, wie sie nun gegeben ist, dann sollten Sie, Herr Bundeswohnungsbauminister, auch in diesem Bereich unverzüglich alles tun, um die notwendigen Konsequenzen für die Zukunft sofort zu ziehen.
Herr Abgeordneter, ich habe Sie nicht an das Ende Ihrer angegebenen Redezeit erinnert. Ich wollte nur, weil die nachfolgenden Herren 45 Minuten Redezeit erbeten haben, sagen, daß Sie sich jetzt auch diesem Zeitraum nähern. Deswegen möchte ich Sie doch bitten, langsam zum Ende zu kommen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich bin gleich am Ende.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus erscheint uns und wir sagen dies auch heute wieder -- unabdingbar, daß in der Europäischen Gemeinschaft ein aufeinander abgestimmtes Konzept einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung erarbeitet wird. Herr Minister Friderichs, Sie haben dies angesprochen, und Sie haben hier unsere Unterstützung. Nur würden wir es dankbar begrüßen, wenn das eben wiederum aus Ihrem Munde --wenn ich das so feststelle, sind nicht Sie persönlich damit gemeint, sondern die Regierung ganz allgemein ist angesprochen - nicht nur gesagt würde, sondern wenn in der Tat alle Maßnahmen im Rahmen der EG und darüber hinaus ergriffen würden, die eine Chance beinhalten und von daher den Weg eröffnen und sicherstellen, daß ein gemeinsames Vorgehen in Europa gewährleistet werden kann.
Wenn wir ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit erreichen wollen, so gelingt dies in der Tat nur durch Risikoverteilung bei Suche, Aufschließung, Lieferung und Transport. Wir verkennen nicht, daß gerade dies in der gegenwärtigen Situation kein
leichtes Geschäft ist, und wir bedauern, daß uns erst der angedrohte Lieferboykott der arabischen Länder auf die Notwendigkeit einer solchen Kooperationspolitik so energisch aufmerksam machen mußte.
In dem Zusammenhang haben Sie, Herr Minister, auch hier wie bisher unsere Unterstützung, was Downstream-Projekte im weitesten Sinne des Wortes angeht. Wenn 01 von der anderen Seite als politische Waffe gebraucht wird, sollten wir dem technisches, wirtschaftliches und handelspolitisches Know-how entgegensetzen, weil dies eine reelle Chance der Verständigung auf Dauer bedeutet.
Die europäischen Länder können diesbezüglich von uns nur beeinflußt werden, wenn wir ein eigenes flexibles europäisches Konzept in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika praktizieren. Schon deshalb ist die Nixon-Runde im Februar zum Erfolg verpflichtet. Dabei muß der Inhalt des europäischen Konzepts eine breite Diversifizierung mit modernen handelspolitischen Kooperationsabkommen, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika dies mit einem gewaltigen Kraftakt bis zum Ende dieses Jahres unternehmen wollen, sein. Was wir als Bundesrepublik dazu tun können, sagen Ihnen unsere Anträge, und ich habe sie Ihnen heute in Auszügen noch einmal vorgetragen.
Wir sind mit unserer Fraktion kooperationsbereit, aber handeln, meine Damen und Herren, muß die Bundesregierung, und zwar schnell; dies können wir Ihnen nicht auch noch abnehmen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf, bevor ich Ihnen meine Gedanken für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion entwickle, zuzunächst ein zweifaches herzliches Dankeschön sagen. Das erste geht an die Bürger in unserem Lande, an die Frauen und die Männer, an die Autofahrer, an die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, an alle, die die Aufrufe der Bundesregierung und die Maßnahmen nach dem Energiesicherungsgesetz so eindrucksvoll, so willig, so freiwillig und, wie ich sehe, gelegentlich sogar so heiter befolgt und damit auch jene Voraussetzungen geschaffen haben, daß wir an den nächsten Sonntagen Auto fahren dürfen.
({0})
Das zweite Dankeschön geht an die Bundesregierung, und zwar dafür, daß heute morgen in der Regierungserklärung eine sehr nüchterne, ungeschminkte, logisch-kritische Analyse angestellt worden ist und ein umfangreicher Maßnahmenkatalog aufgezeigt wird, der uns aus den Schwierigkeiten, in denen wir ganz ohne Zweifel sind, ganz gewiß herausführen wird. Die Opposition kann ganz ohne Sorge sein: das Gesetz des Handelns wird sich die
Schmidt ({1})
Bundesregierung - wie bisher - ohnehin nicht aus der Hand nehmen lassen.
({2})
Vielleicht darf ich dann auch noch dies erledigen, verehrter Kollege Russe. Ich glaube nicht, daß wir beide wollen können, daß die Redaktion der Gewerkschaftszeitung „einheit" in dieses Parlament verlegt wird.
({3})
Wer für sie schreiben will, der wird sich dorthin wenden, und wer zum Schreiben eingeladen wird, wird von dortans eingeladen. Ich denke, so sollte das auch bleiben.
Herr Bundesminister Schmidt ist meines Wissens in unser aller Interesse dienstlich in Rom, um Währungsfragen zu behandeln.
({4})
Ich denke, dies ist ein Grund, der seine heutige Abwesenheit hier entschuldigt.
Damit man nicht zwischenfragen muß: Wer mich sitzend nicht ertragen kann, kann das ruhig stehend machen; ich bin nur dankbar, wenn man mir zuhört.
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Ich bin sehr froh, meine Damen und Herren, daß wir heute diese Debatte führen können - eine Debatte, bei der es in Wirklichkeit um existentielle Fragen wohl aller Menschen in diesem Lande geht; es ist gut, daß wir sie führen können. Es ist auch gut, daß wir sie ohne Illusion und, wie ich das Bisherige verstanden habe, nüchtern und verantwortungsbewußt führen werden.
Wir müssen mit einer Mittelpunktschwierigkeit aus der energiepolitischen Situation in unserer Bundesrepublik Deutschland fertig werden, die zugleich dreiteilige Wirkungen hat. Wir müssen mit einem ökonomischen Ölboykott, mit einem Ölembargo fertig werden, und wir müssen zugleich - das ist wohl der schwierigste Teil dieses Kapitels - mit der gewaltigsten Preiserhöhung für Erdöle fertig werden, die es in der Geschichte unserer Wirtschaft gibt, solange wir überhaupt Erdöle verwenden.
Der Bundeswirtschaftsminister hat, wie ich es sehe, dankenswerterweise auf die bedenkliche Entwicklung insbesondere bei den Preisen für Mineralölprodukte hingewiesen. Er hat auch gleichzeitig - das ist richtig und nötig - die vielfältigen Schwierigkeiten, die das Bundeskartellamt und sein Ministerium bei der Überwachung der Preisverfahren haben, deutlich gemacht. Ich beklage garade diesen Zustand sehr und bin sicher, viele meiner Freunde beklagen ihn mit mir.
Die deutschen Verbraucher fühlen sich, wie ich es empfinde, mit Recht entweder durch die Mineralölwirtschaft oder durch den Mineralölhandel oder gelegentlich auch durch beide übervorteilt. Wir möchten Preistreibereien auf Kosten der Verbraucher verhindert wissen, die nicht begründet sind, desgleichen Preistreibereien auf Kosten der Allgemeinheit, nämlich jener Maßnahmen, die wir in diesem Hause beschlossen haben.
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Deswegen bitte ich sehr, verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, daß sehr, sehr gründlich nicht nur noch einmal, sondern bitte ständig darüber nachgedacht wird, wie man diesem Phänomen beikommen kann. Gäbe es keine Alternative, gäbe es keine andere Wahl, wären mir im Interesse der Menschen dieses Landes und letzten Endes auch im Interesse der Wirtschaft dieses Landes durchgreifende Preiskontrollen jedenfalls lieber als vorgelegte Alibipapiere großer nationaler oder multinationaler Gesellschaften.
({7})
Trotz dieser Sorgen, mit denen wir, wie ich denke, fertig werden, haben wir für das Funktionieren unserer Volkswirtschaft zu sorgen, weil wir alle von ihr leben, nicht oder, wenn Sie so wollen, noch nicht alle gleich gut; aber wir leben alle vom Funktionieren dieser unserer Volkswirtschaft. Das gilt insbesondere für die Sicherheit der Arbeitsplätze, denn nur durch ihre Sicherheit wird es möglich sein, ein höchstmögliches Wachstum zu erreichen und damit unseren Wohlstand zu mehren. Ich denke, ein jeder weiß, daß sich die Strukturen unserer Volkswirtschaft nicht von heute auf morgen ändern lassen. Ein jeder weiß auch, daß sich die Strukturen der Energie und unserer Energieversorgung ebensowenig von heute auf morgen ändern lassen. Sie sind so, wie sie sind, und wir müssen sehen, daß wir mit ihnen fertig werden. Daß sie so sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt auch - und das weiß gewiß auch mein verehrter Kollege Russe an den Regierungs- und Parlamentsmehrheitsentscheidungen insbesondere in der Mitte der 50er Jahre. Hätte man, mein verehrter Kollege Russe, in jener Zeit - und Rat hat es genug gegeben - in vielleicht nur, wie Sie sagen, solcher „Heimarbeit" ein Forschungsprogramm für die Verwendung der Kohle in anderen Bereichen entwickelt, wären wir gewiß heute zwar nicht ohne, aber mit geringeren Sorgen vor dem gleichen Phänomen.
({8})
Diese „Heimarbeit" hätte sich, wie ich es sehe, gelohnt.
({9})
- In den letzten vier Jahren, verehrter Herr Kollege, ist jedenfalls sichergestellt worden, daß der Anpassungsprozeß in der Bergbauwirtschaft, von der die Rede ist, nicht mehr volkwirtschaftlich unvernünftig vor sich geht.
({10})
In diesen letzten vier Jahren ist jedenfalls sichergestellt, wenn ich Sie bitte daran erinnern darf, ohne das als Vorwurf zu sagen, aber die Geschichte darf doch nicht geklittert werden -
({11})
Schmidt ({12})
- Sie fragen mich doch nach den letzten vier Jahren.
({13})
Das hören Sie nicht gerne, das leuchtet mir ein.
({14})
In den letzten vier Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren - das ist doch stehende, heute unveränderbare Geschichte -, ist jedenfalls sichergestellt worden, daß Stillegungen von so leistungsfähigen Schachtanlagen wie beispielsweise Graf Bismarck nicht mehr möglich gewesen sind.
({15})
Es geht darum, zu überlegen, wie wir aus dieser Schwierigkeit herauskommen. Denn so sehr wir auch unsere Geschichte und insbesondere die Wirtschafts-und Sozialgeschichte nicht vergessen dürfen und nicht zulassen dürfen, von wo wir sie auch immer sehen, daß sie schon jetzt geklittert wird: ändern können wir an diesem Phänomen, das uns im Augenblick Sorge macht, durch die Rückbesinnung in die unveränderbare und nicht wiederbringbare Geschichte überhaupt nichts. Es kam mir nur darauf an, diesen Zusammenhang ein wenig deutlich zu machen. Ich muß da gar nicht nur an das denken, was von sozialdemokratischer Seite damals sehr, sehr häufig gesagt worden ist, nämlich, wenn ich es vereinfachen darf: Schütten wir unsere eigenen Energiequellen nicht schneller zu als unbedingt notwendig, und machen wir uns nicht in höherer Geschwindigkeit und mit solcher Absolutität auch noch von einem einzigen Energieträger von draußen abhängig! Ich denke an die leidenschaftlichen Debatten, die insbesondere hier in diesem Hause geführt wurden, auf der Seite der Sozialdemokraten an Heinrich Deist, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Walter Ahrendt; ich denke aber auch und ich bitte Sie, auch daran zu denken - an die Mahnungen und Warnungen beispielsweise von Herrn Professor Burgbacher, dessen Rat leider auch in den Wind geschrieben ist.
Es ist daran zu erinnern, daß die großen Proklamationen, wie sie durch den ersten Teil der Gedanken des Kollegen Russe liefen, die Marktwirtschaft sei in Gefahr, im Grunde durch das widerlegt wird, was Sie und Ihre Freunde selbst in jener Zeit - gelegentlich in Übereinstimmung mit uns - getan haben. Bei Energiepolitik geht es um mehr als eine Ware, die verkaufbar und ersetzbar ist.
({16})
Bei Energierpolitik geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren, darum, die Voraussetzung für diese unsere Volkswirtschaft zu erhalten, damit die Marktwirtschaft funktionieren kann, denn ohne ausreichende Energie und natürlich auch ohne leistungsfähige Arbeitnehmer und ohne ausreichende mineralische Rohstoffe ist eine Marktwirtschaft doch gar nicht denkbar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Ja, bitte!
Herr Kollege Schmidt, auch wenn wir uns alle sicherlich dazu bekennen müssen, daß wir dazugelernt haben, meinen Sie nicht auch, daß man die Tatsache nicht völlig übersehen sollte, daß von 1966 bis 1972 das Wirtschaftsministerium von einem Sozialdemokraten verwaltet wurde?
({0})
Das ist natürlich richtig, aber in dieser Zeit sind eben auch die Erkenntnisse nicht nur theoretisch proklamiert, sondern weitgehend, jedenfalls bei dem eigenen Energieträger, bei dem einzigen, den wir haben, bei der Kohle, volkswirtschaftlich vertretbar und verantwortbar angewendet worden. Aber ich will das gar nicht vertiefen, denn jedermann weiß, wie ich jedenfalls hoffe, daß unsere Volkswirtschaft ohne 01 nicht leistungsfähig und nicht wettbewerbsfähig gewesen wäre.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Schmidt, da Sie die Frage des Herrn Kollegen Müller-Hermann mit Ja beantwortet haben, darf ich Sie ergänzend fragen, ob Ihnen denn auch in Erinnerung ist, daß unsere Fraktion, unsere Partei bereits im Jahre 1972 der deutschen Öffentlichkeit bekanntgegeben hat, welche Kohlengrößenordnung zu erhalten ist, nämlich diejenige, die bis dato gefördert war, und ,daß das Energieprogramm dieser Bundesregierung aus jüng sten Tagen und Monaten auf 83 Millionen Tonnen zurückfahren will und daß dies auch heute nicht revidiert worden ist.
Herr Kollege Russe, Sie können davon ausgehen, daß ich zu diesem Vorgang im Verlauf meiner Ausführungen noch etwas sage. Vielleicht darf sich daraus dann die Antwort ergeben.
Die Schwierigkeiten, wie auch immer sie entstanden sind, wie und von welchen Kräften auch immer sie in der Geschichte getragen worden sind, müssen nun überwunden und beherrscht werden. Wir dürfen uns von diesen vorhandenen Schwierigkeiten nicht in die Knie zwingen lassen. Ich meine, daß ein geradezu hervorragendes Instrumentarium dafür, das Gesetz des Handelns in der Hand zu behalten und langfristig planen zu können, jenes energiepolitische Gesamtkonzept ist, das als erstes in der Geschichte der Bundesrepublik in der Regierungserklärung zur 7. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages verkündet und, wie der Bundeswirtschaftsminister wiederholt auch an anderer Stelle gesagt hat, im August dieses Jahres beschlossen wurde. Dieses Instrumentarium wurde damals lange vor den Ereignissen, die wir nun erleben, geschaffen.
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Diejenigen, welche jetzt sagen, das hätten sie zu diesem Zeitpunkt alles gewußt, sind diejenigen, welche alles gewußt haben wollen, aber im Grunde nichts wissen können. Wir mußten wohl mit diesen Schwierigkeiten rechnen, aber wir konnten, wie ich unsere wirtschaftliche Entwicklung sehe, zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit ihnen rechnen.
Der zweite Teil des Instrumentariums, dessen wir uns bedienen können, ist das Rahmenprogramm für die Energieforschung. Diese Regierung und die Fraktionen, die sie tragen, stehen dem, was zu bewältigen ist, nunmehr Gott sei Dank nicht ohne Werkzeuge gegenüber. Sie sind in kluger und weiser Voraussicht - jedenfalls der eine Teil - längst vor dieser Krise geschaffen worden. Wir werden diese Werkzeuge einsetzen; sie sind eine realistische Grundlage dieser sozialliberalen Koalition für das, was der Bundeswirtschaftsminister im Detail und sehr ausführlich beschrieben hat.
Es ist der Schluß zu ziehen, daß der Grad unserer Abhängigkeit von risikoreichen Mineralöleinfuhren auch durch technisch mögliche und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen zu verringern ist; wir werden diese Abhängigkeit aber nicht beseitigen können. Das bedeutet für mich - jedenfalls bezüglich des zweiten Teils - klar und unmißverständlich eine starke, eine stärkere Präsenz des Staates im energiewirtschaftlichen Bereich.
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Unsere Energieversorgung, meine Damen und Herren, darf nicht mehr dem Wechselspiel der jeweiligen Marktkräfte überlassen bleiben. Energie - ich sagte es schon einmal - ist mehr als eine bloße Ware; sie ist die Voraussetzung für das Funktionieren der Volkswirtschaft überhaupt. Auf das Lehrgeld für diese so sehr elementare Kenntnis zahlen wir soeben die erste Rate. Passen wir auf, wir alle, daß daraus nicht ein ständiger Tribut wird!
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Die Bundesregierung hat zunächst, wie in der Regierungserklärung beschrieben, als erste Ad-hocMaßnahme das Energiesicherungsgesetz vorgelegt. Ich bin mit dem Wirtschaftsminister der Auffassung, daß es notwendig sein wird, sein Instrumentarium zu überprüfen, damit die Regierung jederzeit in der Lage ist, unvorhergesehenen Ereignissen begegnen zu können. Ich bin froh, daß vom Kollegen Russe für die Opposition sinngemäß das gleiche gesagt wird. Ich wünsche mir sehr, daß es maßvoll und ausgewogen und vor allem im Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze in vielen Bereichen unserer Wirtschaft und zur Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern angewendet wird. Darin sehe ich die Hauptaufgabe dieses Gesetzes.
Darüber hinaus müssen die Bestrebungen der Bundesregierung, eine weitere Vorsorge gegen kurzfristige Störungen zu treffen, intensiviert werden. Ich meine, daß die Absicht, gerade die Pflichtvorratshaltung bei Herstellern und Verbrauchern zu erhöhen, richtig und gut ist. Das sollte aber auch für die Anlegung einer Bundesrohölreserve gelten, wobei überlegt werden sollte, ob die ursprünglich geplante Reserve von 10 Millionen t Rohöl nicht zügig realisiert werden kann.
Das Energieprogramm der Bundesregierung sieht für den Mineralölbereich neben der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Erdölländern die Schaffung einer bedeutenderen deutschen Mineralölgesellschaft vor. Ich bin sehr glücklich darüber, daß heute morgen für die und von der Bundesregierung erklärt werden konnte, daß die in den letzten Tagen geführten Gespräche erfolgreich das fortsetzen, was seit Monaten, zum Teil seit Jahren in Vorbereitung ist. Es ist gut, daß unsere Regierung uns heute morgen hier erklärt hat, daß sie zu der von Präsident Nixon eingeladenen Konferenz in die Vereinigten Staaten fährt. Ich wünsche ihr, sie begegnete dort vielen stolzen, selbstbewußten Europäern und es würde dort gelingen, mit einer europäischen Stimme zu reden.
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Wir müssen davon ausgehen, daß 75 % des deutschen Mineralölbedarfs durch wenige internationale Großgesellschaften gedeckt werden. Wir erkennen daran die Schwächen der Marktposition der deutschen Gesellschaften. Diese schwache Position der Bundesrepublik gegenüber den internationalen Gesellschaften mit allen Gefahren der Abhängigkeit verlangt geradezu, einer nationalen Gesellschaft mit weiterreichenden und bedeutenderen Aktivitäten eine Aufgabe zu übertragen. Ich wäre glücklich, würde die in Gang gesetzte Bewegung des VEBAGelsenberg-Instrumentes vor dem volkswirtschaftlichen Hintergrund seiner Bedeutung in absehbarer Zeit zu einer guten Lösung geführt. Ich denke dabei aber auch an die Verantwortung, die unser Staat in einer solchen von ihm geschaffenen Gesellschaft hat. Er sollte sie wahrnehmen. Ich hoffe, ich kränke nicht die Würde dieses Hauses, wenn ich damit den bescheidenen Wunsch verbinde: in Aufsichtsräte und Vorstände solcher Gesellschaften müssen nicht immer Ministerialbürokraten eintreten.
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Das Kartellamt hat sich mit diesem Vorhaben beschäftigt. Der Bundeswirtschaftsminister hat seine Betrachtungsweise vorgetragen. Ich trete ihr bei. Das Kartellamt hat das geprüft - aber auch nur das -, was es zu prüfen hatte, nämlich die innerdeutschen Wettbewerbsverhältnisse. Die Prüfung übergeordneter nationaler Interessen im Verhältnis zum internationalen Wettbewerb ist dagegen - so sieht es das Gesetz ausdrücklich vor - Angelegenheit des Wirtschaftsministers. Ich bin froh, daß der Bundeswirtschaftsminister uns nach Anhörung von Ratgebern seine Entscheidung in absehbarer Zeit bekanntmachen will.
In der letzten Zeit, in den letzten Monaten, sind die Gefahren der Unterversorgung mit Energie und Rohstoffen, die ein weiteres Wirtschaftswachstum unter Umständen in Frage stellen können, nicht nur uns in diesem Hause, sondern der gesamten Öffentlichkeit bewußt geworden. Der Öffentlichkeit ist aber auch bewußt geworden, daß wir
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alle Anstrengungen unternehmen müssen, andere verfügbare Energiequellen optimal zu nutzen. Deshalb ist es notwendig, alle Energiequellen je nach ihrem Vermögen und in sorgsamer Abstimmung aufeinander einzusetzen. Das gilt nicht nur für die intensivere Entwicklung der Kernenergie. Wer die Schwierigkeiten gerade auf diesem Sektor verfolgt hat, weiß, daß wir in der Bundesrepublik hinter der Planung zurück sind.
Aber bei allem großen Wert, den wir um des Funktionierens unserer Wirtschaft willen auch auf diesen Komplex zu legen haben, darf das Interesse der Menschen, der Bürger in diesem Lande an einer sauberen Umwelt nicht vernachlässigt werden. Ich wäre froh, wenn auch vor diesem Hintergrund Bund und Länder mit allen übrigen Verantwortlichen eine umfassende Rahmenstandortplanung miteinander verabreden könnten und in diesem Zusammenhang zugleich die Genehmigungsverfahren möglichst vereinheitlichten, möglichst unbürokratisch und möglichst kurzläufig machten, ohne daß die berechtigten Interessen der dort lebenden Menschen in Mitleidenschaft gezogen oder gar, wie es ganz ohne Zweifel bisher gelegentlich geschehen ist, vernachlässigt werden.
Die sozialdemokratische Fraktion verfolgt mit besonderer Aufmerksamkeit die Bemühungen, Braunkohlenfelder aufzuschließen; denn gerade ihr zukünftiger Einsatz in der Verstromung wird Sicherheitsrisiken in diesem wichtigen Bereich verhindern können. Insofern unterstütze ich gern die Zielsetzungen des Energieprogramms hinsichtlich dieses Energieträgers. Natürlich und selbstverständlich ist auch hier - vielleicht sogar insbesondere hier - ein besonderes Gewicht der Rekultivierung ausgekohlter Gebiete beizumessen. Aber ich glaube, daß im rheinischen Braunkohlengebiet eindrucksvolle Beispiele für eine Gestaltung interessanter Erholungsgebiete durch vernünftige Rekultivierung geschaffen worden sind, daß alle, die möglicherweise in diesem Zusammenhang Sorgen haben, sich hier vergewissern können, daß am Ende des 20. Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland dieses Problem lösbar ist. Wir sind bereit, es für die Menschen dort zu lösen.
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Das Energieprogramm weist im Rahmen einer Verbreiterung des Energieangebots dem Erdgas ebenfalls eine steigende Bedeutung zu. Auch diese Zielsetzung ist richtig. Wir sollten jedoch bedenken, daß das Erdgas ein umweltfreundlicher und im Vergleich zu den anderen ein hochedler Energieträger ist. Im übrigen - das können wir auch nicht unberücksichtigt lassen - sind Erdgasvorkommen beschränkt. Deshalb muß es Aufgabe der Regierung sein, besonders sorgfältig die Massenverwendung des Erdgases und hier insbesondere in Kraftwerken zu beobachten. Die beabsichtigte Genehmigungspflicht für den Bau neuer Erdgaskraftwerke ist ein geeignetes Instrumentarium dafür.
Zweifellos, meine Damen und Herren, verdienen die technischen Maßnahmen zur Auffindung neuer Erdgaslagerstätten eine besondere Bedeutung. Weiterhin sollte die Bundesregierung die vielfältigen
Möglichkeiten, z. B. Verbesserung der Kooperation auf dem Erdgassektor - ein interessantes Ergebnis konnten wir heute zur Kenntnis nehmen -, Abschluß langfristiger Lieferverträge mit ausländischen Anbietern, aber auch und vor allem die stärkere Nutzung deutschen Erdgases, zügig vorantreiben.
Zu dem Maßnahmenkatalog gehört nicht zuletzt die Rehabilitierung der Steinkohle, unseres größten Energieträgers.
Ich darf an dieser Stelle Ihre Frage, verehrter Kollege Russe, beantworten. Es ist ganz ohne Zweifel richtig, daß dieser Wirtschaftszweig mit seiner Schwerfälligkeit, die nicht an den dort tätigen Menschen liegt, sondern an den Bedingungen, die niemand verändern kann, langfristig planen muß. Sowohl investiv wie belegschaftspolitisch muß er sehr frühzeitig wissen, wohin die Reise geht. Es ist gut und richtig, daß diese Aufgabe in der energiepolitischen Gesamtkonzeption angenommen ist. Es ist gut und richtig, daß dort Eckwerte stehen. Die Eckwerte, die dort stehen, gilt es nun zu überlegen.
Ich warne Neugierige, und zwar aus unmittelbarer Erfahrung, allzu schnell und allzu hastig und infolgedessen allzu oberflächlich mit der Findung jenes neuen Eckwertes zu sein. Niemandem ist geholfen, am allerwenigsten, Herr Kollege Russe, den Kumpels an der Ruhr, natürlich auch denen in Aachen, an der Saar und in Ibbenbüren, wenn eine neue Illusion, eine neue Hoffnung entsteht nach dem Beispiel und dem Vorbild der 140 Millionen t, auf die sich der einzelne mit seiner Familie, auf die sich der Betrieb mit seiner Gesamtorganisation einrichtet, dann aber diese Werte nicht erfüllt werden.
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Aber ich bitte die Bundesregierung auch hier dringend darum, von den, wie es in der Regierungserklärung vorgetragen ist, unter den damaligen Kautelen und Wirklichkeiten angenommenen zirka 83 Millionen t bis zum Jahre 1978 abzukommen. Wir brauchen für unsere Volkswirtschaft, wie ich sie sehe, einen höheren Beitrag an deutscher Steinkohle.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Russe?
Herr Kollege Schmidt, gerade in diesem Moment haben Sie eine Aussage gemacht, die ich eigentlich vorhin als Frage stellen wollte. Ich darf sie noch einmal stellen. Sind Sie nicht mit mir der Meinung - dies ist ja unsere und meine Sorge -, und zwar eben in Ihrer Feststellung, daß wir einen höheren Beitrag der Kohle brauchen, daß unter den beiden Vorstellungen - altes Energieprogramm und jetziges Bundesforschungsprogramm für den Steinkohlebereich - ein echter Dissens besteht, der geklärt werden muß? Man kann hier nicht davon ausgehen, daß jenes Forschungsvorhaben mit der traditionellen Aufgabenstellung der Kohle letztlich bei 83 Millionen t stehenbleibt.
Ich sehe keinen Dissens, verehrter Herr Kollege Russe. Ich habe die Regierungserklärung so verstanden - und ich bin sicher, daß ich sie richtig verstanden habe -, daß auch die Regierung über diesen Punkt nachdenkt, sich aber selbst - offenbar aus ähnlichen Überlegungen wie ich mich - davor warnt, das zu früh zu tun, weil dieser Eckwert für Wirtschaft und Menschen glaubhaft, zuverlässig und sicher sein muß.
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Ich bin ganz gewiß, wenn ich mir die derzeitige Lage betrachte, daß unsere Volkswirtschaft mehr als 83 Millionen t Steinkohle braucht.
Schauen wir in unsere Geschichte: Wir hatten noch vor wenigen Monaten rund 18 Millionen t Koks und Kohle auf Halde. Es ist ein Abhaldungsvorgang im Gange. Der Steinkohlenbergbau verkauft die gesamte frische Förderung. Aber es darf nicht eine neue Enttäuschung für die Menschen in diesem Wirtschaftszweig geboren werden; sie sind schon zu oft enttäuscht worden.
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Ich denke, wenn wir dies so betrachten, erinnern wir uns alle daran, daß man bei solchen Werten vorsichtig sein muß. Wenn ich die Geschichte richtig behalten habe, sind die 140 Millionen t seinerzeit ja nicht aus dem Hause des Wirtschaftsministers der Bundesregierung unserer Bundesrepublik gekommen, sondern aus dem Gutachten der sogenannten fünf Weisen aus Luxemburg. Als das Ding dann auf dem Tisch lag, war es schon überholt. Man hat es hier nur als ein Gebetbuch hochgehalten, und darin lag der Fehler. Man hat auf diesem Wege - ich hoffe, ich darf das so sagen - eine normale strukturelle Veränderung zu einer Krise werden lassen,
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die zu hohen sozialen Spannungen und damit sogar zu einer Gefahr für unsere freiheitliche gesellschaftliche Ordnung in diesem Lande wurde.
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Denken wir bitte, wenn man sucht, wann und wodurch die richtige Zahl gefunden werden muß, an mancher Leute Rat. Da gab es den ersten Wirtschaftsminister in der Landesregierung unter Heinz Kühn, den früheren Chef des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts, Professor Gleitze. Er wurde sehr belächelt, als er, damals jung im Amt, von nationalen Energiereserven durch Kohlehalden sprach. Die, die ihn belächelt haben, hätten sich selbst fragen müssen - hoffentlich haben sie es getan -, worin der Grund für dieses Lächeln lag: in der ungewöhnlich hohen Konjunktur 1970/71, als 22 Millionen t in zehn Monaten wie Schnee unter der Sonne hinschmolzen. So schnell können sich die Meinungen ändern.
Ein anderer Mann macht im Augenblick von sich reden, der frühere Vorstandsvorsitzende der AugustThyssen-Hütte. Er predigt uns nun - da hat er
recht, und es ist auch sein gutes Recht -, man müsse den Bergbau mit unternehmerischen und marktwirtschaftlichen Mitteln erhalten und pflegen, damit er seiner Aufgabe gerecht werde. Wenn der gleiche Mann vor zwölf Monaten, als er seinen Brief an den Bundeswirtschaftsminister und on den Bundesfinanzminister geschrieben hatte, gefragt worden wäre, hätte die Antwort lauten müssen: Löst mir diese Last Bergbau vom Halse, und wir hätten heute gar nichts mehr unternehmerisch zu regeln und unternehmerisch zu retten.
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Ich bin ganz gewiß im Einklang mit allen meinen politischen Freunden in unserer Fraktion der Meinung, daß hier sehr gewissenhaft, sehr gründlich nach allen Möglichkeiten gesucht, daß aber auch so zuverlässig wie möglich der rechte Zeitpunkt und die rechte Größenordnung gefunden werden muß. Sie wird sich natürlich auch durch die technologiche Entwicklung bestimmen, die wir erleben. Die Zeit wird vorbei sein, in der Kohle als Rohstoff gewonnen und sogleich verbrannt und vernichtet wird.
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Sie muß veredelt werden. Kohle kann veredelt in wesentlichen Bereichen als Substituierer für Öl unsere Volkswirtschaft nach dem gegenwärtigen Preisgefüge sogar von daher entlasten. Ziel der Forschung muß also sein, in möglichst naher Zukunft, soweit man in Forschungen überhaupt Hoffnungen haben darf, was die Zeitpunkte betrifft, das mögliche Kohleöl zur Verfügung zu haben, um auf diesem Wege den Verbraucher von schwerem und leichtem Heizöl aus seinen Sorgen um die Mengen und um den Preis zu befreien und ihn um diese Sorgen zu entlasten. Es muß in einer Zeit, meine Damen und Herren, in der es uns gelingt, daß Menschen fast monatelang auf dem Mond leben, auch erreicht werden, das zu entwickeln, was schon die Generation vor uns - allerdings im Laboratorium - erforscht hat, nämlich die Kohle auf dem Hochdruckvergasungsweg zu vergasen. Dies ist, wie ich es sehe, die eigentliche Zukunft der Kohle, weil diese Anwendungsform zugleich in höchstem Maße umweltfreundlich ist, weil der Schwefel beherrscht werden kann und das Produkt leicht und schnell transportierbar ist.
Ich würde gern noch ein paar Bemerkungen mehr machen. Aber wenn ich auf die Uhr des Kollegen Russe schaue, die er mir freundlicherweise hier liegengelassen hat, mahnt mich der Zeiger.
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- Vielen Dank.
Ich bin der Bundesregierung für das, was sie in ihrer heutigen Regierungserklärung hat vortragen können, sehr dankbar. Ich erkenne dies alles als einen guten Weg, als den richtigen Schritt in der richtigen Richtung mit dem rechten Instrumentarium. Alle Menschen in unserem Lande, die bisher mög4556
Schmidt ({8})
licherweise ein bißchen zu gleichgültig und zu oberflächlich mit Energie umgegangen sind, für die es zu selbstverständlich war, daß sie auf den Schalter drückten und sich dann das ereignete, was man erwartete, können sicher sein, daß dieser Weg der Bundesregierung von den Koalitionsfraktionen mit Leidenschaft und mit Nachdruck mitgegangen wird, so daß wir hoffentlich in sehr naher Zukunft diesen Sorgenberg hinter uns gebracht haben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff. Die Fraktion der FDP hat eine Redezeit von 45 Minuten für ihn angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die Freie Demokratische Partei und ihre Bundestagsfraktion schließe ich mich dem Dank an die Bürger dieses Landes, den der Herr Kollege Schmidt ausgesprochen hat, ausdrücklich und gern an. Allerdings nehmen wir von diesem Dank die Bayerische Staatsregierung, die für ihre Regierungsmitglieder die Vorschriften über die Höchstgeschwindigkeit außer Kraft gesetzt hat, ausdrücklich aus.
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Herr Kollege Schmidt, wir sind mit Ihnen der Meinung, daß Energie mehr als eine bloße Ware ist. Wir haben von dieser Stelle aus schon vor Wochen vorgetragen, daß Energiepolitik im wahrsten Sinne Infrastrukturpolitik sein muß und ist. Dies, meine Damen und Herren, ist auch der Hintergrund, ist die Essenz des Energieprogramms, das die Bundesregierung vorgelegt hat.
Ich möchte wiederholen, worauf wir schon mehrfach hingewiesen haben, daß nämlich diese Bundesregierung das Energieprogramm vor Ausbruch der akuten Krise, vor Ausbruch der akuten Versorgungsschwierigkeiten auf den Tisch des Hauses gelegt hat und damit einen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet hat, womit sie ihrer Verpflichtung, vorausschauend und vorsorgend zu planen, gerecht geworden ist. Man hat manchmal den Eindruck - Herr Kollege Russe, ich kann diesen Eindruck auch heute nicht ganz unterdrücken, nachdem ich Ihren Ausführungen zugehört habe -, als gäbe es ein solches Energieprogramm gar nicht, als hätte sich die Bundesregierung nicht früh und rechtzeitig über diese Probleme den Kopf zerbrochen.
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So ist es auch nicht verwunderlich, daß Sie in dieser Diskussion wenig Neues, wenig neue Gesichtspunkte beitragen konnten.
Für meine Freunde darf ich zunächst feststellen, daß sich die marktwirtschaftlichen Mittel, mit denen wir die Bewältigung dieser Krise angegangen sind, bewährt haben. Ich will das nicht im einzelnen darlegen, aber ich glaube, wir können bei gerechter Würdigung der Sachlage übereinstimmend feststellen, daß die Versorgungslage der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Wochen besser gewesen ist als die Versorgungslage ihrer Nachbarn. Ich sage das nicht, um irgendwie Schadenfreude zu demonstrieren, wohl aber, um darzutun, daß sich das von uns angewandte und konsequent durchgeführte Instrumentarium bewährt hat und daß es uns geholfen hat, in besserer Weise über die Runden zu kommen, als es andere Mittel - darauf haben wir immer und rechtzeitig hingewiesen - getan hätten.
Die Freie Demokratische Partei ist von Anfang an der Überzeugung gewesen, daß die Bundesregierung auf dem richtigen Wege gewesen ist. Wir bedanken uns dafür, daß dieser Weg von den beiden zuständigen Ministern, nämlich dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesfinanzminister, konsequent gegangen worden ist. Wir bedanken uns selbstverständlich und ausdrücklich dafür, daß der Bundeskanzler, verantwortlich für die Richtlinien dieser Politik, mit seiner Regierung den Weg zu diesem Ergebnis gegangen ist.
Wir wissen auch heute noch nicht, ob wir einen wirklich zutreffenden weiten Überblick über die Folgen der energiepolitischen Situation, insbesondere auch in unserer außenwirtschaftlichen Sicht, haben. Meine Fraktion hat bei der ersten Beratung dieser Probleme, nämlich bei der Verabschiedung des Energiesicherungsgesetzes, bereits darauf hingewiesen, daß die Energiekrise uns alle ein Stück Konsummöglichkeit kosten und daß sie für uns alle ein Stück Wohlstandseinschränkung sein wird. Mir scheint, das ist in der Zwischenzeit klarer geworden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die Zahlen, wie ich meine, sehr vernünftig relativiert; denn der Mehraufwand, den wir in Zukunft für Energie aufzubringen haben, kann in der immer wieder behaupteten Größenordnung von 15, 17 oder 20 Mil-harden DM natürlich nicht nackt stehenbleiben. Aber es bleibt genug übrig, um klarzumachen, daß wir Mehrleistungen aufzubringen haben und daß diese Mehrleistungen einen Teil der Arbeitsleistung der Volkswirtschaft von uns abfordern werden.
Deswegen glauben wir, daß wir gut über die Runden gekommen sein werden, wenn wir am Ende des Jahres 1974 feststellen können, daß wir die Realeinkommen erhalten haben. Ich denke, daß wir uns in diesem Rahmen bescheiden müssen.
Wir werden währungspolitische Folgen auf uns zukommen sehen, die wir heute zwar der Größenordnung nach erahnen, vielleicht auch schon beziffern können. Ich will einen Versuch machen. Ihre Auswirkungen und Folgen, vor allen Dingen aber die Mittel, mit denen wir ihnen begegnen können, liegen noch - darf man das so sagen? - ziemlich im dunkeln. Ich hoffe, daß die heutige Tagung in Rom etwas mehr Aufschluß unter den Experten dar-. über bringt, wie man mit diesen neugestellten Problemen bei der Neuformulierung des Weltwährungssystems fertig werden kann.
Es ist, glaube ich, notwendig, sich einmal vor Augen zu halten, daß die zur Zeit liquiden Guthaben der ölproduzierenden arabischen Staaten nach SchätDr. Graf Lambsdorff
zung der Experten etwa 13 Milliarden Dollar betragen. Das wird auf der Basis der heutigen Preise, wobei das noch nicht die allerletzten Preiserhöhungen sind, im Jahre 1980 ein Betrag von 200 Milliarden Dollar sein, vielleicht aber auch mehr. Ich darf als Vergleich dazu anführen, daß die gesamte kurzfristige Auslandsverschuldung der Vereinigten Staaten 92 Milliarden Dollar beträgt, um klarzumachen, in welchen Größenordnungen sich das alles abspielt.
Die Konsequenz kann und wird nur sein, daß die Industrienationen weitgehend wenn nicht negative so doch vorn Positiven wesentlich herunterrutschende Leistungsbilanzen vorzeigen und daß die Industrienationen von ihrer strukturellen Gläubigerposition zu einem guten Teil in Schuldnerposition geraten werden.
Die Situation der Bundesrepublik in diesem Zusammenhang ist vielleicht nicht die allerschlechteste. Wir haben vor einigen Monaten noch den strukturellen Exportüberschuß beklagt. Wir müssen das heute revidieren. Und wenn der französische Staatspräsident in der Tat gesagt hat was ihm nachgesagt wird , daß die Bundesrepublik Deutschland mit den Problemen, die aus der Energiekrise erwachsen, und mit den aus der Energiekrise entstehenden Währungsproblemen, insbesondere den Zahlungsbilanzproblemen, vermutlich noch am ehesten fertig werden kann, dann hat er hoffentlich recht mit dieser Bemerkung.
Natürlich werden die Zahlungsbilanzen unterschiedlich beeinflußt werden. Das wird sich danach entscheiden, wohin diese riesigen Guthaben transferiert werden. Sie werden mit Sicherheit nicht alle in den arabischen Ländern investiert. Sie werden aber auch nicht einfach zurückgezogen. Es war eine ungewöhnlich alberne Formulierung, daß 'die arabischen Ölscheichs eines Tages ihre Gelder zurückziehen würden. Die kann man nicht zurückziehen; irgendwo bleiben sie immer. Im internationalen Geldkreislauf bleiben sie. Es wird wesentlich darauf ankommen, ob die internationale Währungsordnung, ob die Geldmärkte es fertigbringen, mit diesen Geldströmen und ihrer Umverteilung in Länder, die an sich aus diesen Bewegungen defizitär hervorgehen, fertig zu werden.
Dies sind offene Fragen. Heute ist, wie gesagt, eine Antwort nicht möglich. Aus Zeitgründen ist nicht einmal der Versuch einer Antwort möglich. Die Probleme müssen aber gesehen werden.
Aus der finanziellen Entwicklung folgt natürlich konsequent, daß die ölproduzierenden arabischen Staaten kein Interesse an einer sich uferlos ausweitenden Mehrproduktion haben können. Böse Zungen haben davon gesprochen, daß mehr Dollars für sie im Grunde genommen nur mehr grün bedrucktes Papier darstellen, mit dem sie nichts anfangen können. Der Schah von Persien hat in seinem Interview, das sehr lesenswert ist, sehr deutlich klargemacht, wohin die Angebotsstrategie der ölproduzierenden Länder gehen wird. Ich glaube, es ist uns inzwischen auch klargeworden: Man wird Mengen sparen und die Preise nach Möglichkeit unter der Substitutionsgrenze halten. Dies wird jedenfalls dami der Fall sein, wenn die emotionalen Beweggründe der Preispolitik einmal entfallen sind. Bei Abklingen des Nahost-Konflikts wird das hoffentlich bald der Fall sein. Dann wird man sich kaufmännisch verhalten und wird dafür sorgen, daß man immer kurz unter dem Preis etwa der deutschen Steinkohle oder anderer Substitutionsmöglichkeiten bleibt. Ob das immer erfolgreich sein wird, ist eine zweite Frage.
Wann der Zeitpunkt gekommen sein wird, zu dem das Konzept dieser Strategie nicht mehr aufgeht, zu dem die Substitution nicht mehr teurer ist, weil die industrialisierte Welt ihre technischen Fertigkeiten einmal zusammenrafft, ist eine Frage, die wir heute nicht beantworten können. Die zeitlichen Schätzungen laufen sehr auseinander. Die Untergrenze aber liegt - wenigstens in der Diskussion - bei fünf bis sechs Jahren; die mittlere Grenze scheint mir bei acht bis zehn Jahren zu liegen. Ich betone: nur in der Diskussion. Wer kann das heute schon abschließend beurteilen?
Eines jedenfalls muß uns klar sein: daß das Zeitalter der Ölausbeutung vorbei ist, daß es abgelöst wird durch einen rigorosen Monopolismus der ölproduzierenden Länder. Beides sind in höchstem Maße illiberale und deswegen in unseren Augen unerfreuliche Praktiken. Es ist aber der Tatbestand, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben und aus dem folgt, daß die hohen Preise bleiben.
Dies, meine Damen und Herren, hat nicht nur Folgen für uns, sondern es hat insbesondere auch I Folgen für die Entwicklungsländer. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vorhin das Thema der rohstoffproduzierenden Entwicklungsländer angesprochen. Wir sollten uns überlegen, ob es in der Tat so sein muß, wie es zur Zeit auf den Rohstoffmärkten der Welt noch aussieht. Mir scheint die gegenwärtige Lage eine Nachwirkung der Hochkonjunktur oder eine Auswirkung der teilweise noch andauernden Hochkonjunktur zu sein. Die Rohstoff-Hausse ist nicht vorprogrammiert. Im Gegenteil! Wenn es in der Tat so kommt, daß die Produktion in den industrialisierten Ländern zurückläuft, werden wir eine Rohstoff-Baisse weltweiten Ausmaßes erleben mit ganz schrecklichen Folgen für die Entwicklungsländer.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vorhin ausgeführt, daß wir die Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und den Rohstoff- und Entwicklungsländern verbessern und auf eine neue Grundlage stellen müßten. Hierzu, Herr Bundesminister, würde es uns sehr interessieren - nicht heute; dies ist kein Thema, das aus dem Armel geschüttelt werden könnte -, etwas über die weitergehenden Vorstellungen der Bundesregierung zu erfahren. Wir haben - um das gleich vorweg in die Diskussion einzuführen - Bedenken dagegen, eine solche neue Grundlage darin zu finden, daß man sich der sogenannten commodity agreements bedient, also weltweiter Handels- und Rohstoffabkommen. Wir haben auf einigen Gebieten keine guten Erfahrungen damit gemacht, und wir warnen im Interesse eines Landes, das so sehr auf den freien Welthandel an4558 Deutscher Bundestag - 7 Wahlperiode - 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 17. Januar 1974
gewiesen ist wie das unsere, davor, die Welt durch Abkommen in Rohstoffmärkte aufzuteilen und dadurch die Freizügigkeit immer mehr einzuschränken. Wir glauben nicht, daß dies der richtige Weg wäre.
Allerdings sind wir der Meinung, daß die vor uns liegenden Aufgaben in der Entwicklungspolitik - die natürlich hierdurch erneut erschwert werden, denn meine Damen und Herren, auch darüber machen wir uns nichts vor: diese Aufgaben werden nicht populärer werden, wenn die wirtschaftliche Situation in diesem Lande schwieriger wird - fortgesetzt werden müssen. Wir dürfen sie nicht unter den Tisch fallen lassen und müssen uns unserer Verpflichtungen gegenüber der Dritten Welt bewußt bleiben und sie erfüllen.
Immerhin sollten wir die Bundesregierung darum bitten, einmal nüchtern und ohne jede politische Wertung - ich betone das ausdrücklich, um nicht mißverstanden zu werden - zusammenzustellen, was wir uns, unter dem Strich addiert, an weltweiten Verpflichtungen unter Berücksichtigung unserer eigenen Notwendigkeiten, der erhöhten Aufwendungen für den Energieverbrauch und auch der Notwendigkeiten unserer Reformfinanzierung eigentlich leisten können. Dies sollte aufaddiert werden. Ich glaube, das ist notwendig, um dann die Möglichkeit zu haben, das, was ich hier ausdrücklich ausklammere, nämlich die politischen Prioritäten, zu sichern.
Eine politische Priorität, Herr Bundeskanzler, haben Sie in einer der letzten Debatten hier selber gesetzt, als Sie gesagt haben: Es kann durchaus dahin kommen, daß wir jeden Steuergroschen brauchen, um die Arbeitsplätze zu erhalten. - An dieser politischen Priorität der Arbeitsplatzsicherung ist überhaupt nicht zu zweifeln. Ich denke, daß das ganze Haus darin einig sein wird.
Die Bundesregierung hat in den Ihnen bekannten Beschlüssen vom 18. Dezember einige Maßnahmen getroffen. Ich will sie hier nicht etwa alle wiederholen, will aber doch für meine Fraktion ausdrücklich erklären, daß wir es begrüßen, wenn nunmehr erhöhte Mittel - 800 Millionen DM für die nächsten vier Jahre sind vorgesehen - für die Forschung in der Kohletechnologie oder der Energietechnologie zur Verfügung gestellt werden. Wenn ein vernünftiger und sinnvoller Einsatz größerer Mittel denkbar und möglich ist, so, glaube ich, wird meine Fraktion bereit sein, auch über eine Erhöhung dieses Ansatzes mit sich reden zu lassen und ihn zu tragen, denn dies ist - der Kollege Schmidt hat darauf hingewiesen - einer der Kernpunkte.
Zum zweiten sind wir der Auffassung - ich kann hier an das anschließen, was Sie, Herr Schmidt, eben gesagt haben -, daß die Bildung einer nationalen deutschen Mineralölgesellschaft kommen muß. Vielleicht darf ich mir in diesem Zusammenhang erlauben, darauf hinzuweisen, daß ich vor sechs Monaten in einem Zeitungsaufsatz ausgeführt habe, daß die kartellrechtlichen Bedenken, die jetzt wahrscheinlich auch in der Entscheidung des Bundeskartellamtes - deren Begründung wir ja noch nicht kennen - zum Vorschein kommen, auf Nebengebieten liegen, untergeordnete Bedeutung haben und ausgeräumt werden müssen; untergeordnete Bedeutung haben sie gegenüber der energiepolitischen und volkswirtschaftlichen Bedeutung eines solchen Zusammenschlusses.
Ich glaube, ich brauche nach dem, was der Herr Kollege Schmidt ausgeführt hat, nicht noch einmal auf die Einzelheiten einzugehen, um klarzumachen, daß es sich hier wahrlich nicht - wie es damals mit einem Stichwort bezeichnet worden ist um eine Fusion der Giganten, sondern im Maßstab des Ölgeschäfts um eine Fusion der Zwerge handelt. Diese Fusion ist keine Elefantenhochzeit. Sie ist notwendig, wir brauchen sie.
Es hilft uns nicht, meine Damen und Herren, wenn jetzt der Vorschlag gemacht wird, über staatliche Einkaufssyndikate dasselbe zu tun, nämlich den Öleinkauf zu sichern. Dies ist nicht die Organisation, mit der wir im internationalen Wettbewerb auftreten können; dies ist nicht das, was unsere Partner draußen von uns erwarten, sondern sie erwarten einen mit der Rückendeckung der Bundesrepublik und der Bundesregierung ausgerüsteten Verhandlungspartner, der nicht nur einkauft, sondern auch verarbeitet und letztlich bis zur Zapfsäule über die Absatzwege und Absatzmöglichkeiten verfügt. Das muß sichergestellt werden. In diesem Sinne sind wir für die Fusion und für die Bildung dieser Gesellschaft, und wir hoffen, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister in der Lage sehen wird, nach der Anhörung der Länder-Wirtschaftsminister den zunächst einmal ersten Schritt zu genehmigen: den Erwerb der 51 %igen Mehrheit der Gelsenberg-Aktiengesellschaft durch den Bund. Im übrigen haben wir gegen die Gründung von Einkaufssyndikaten ganz erhebliche kartellrechtliche Bedenken. Wettbewerbsrechtlich und wettbewerbspolitisch passen die erheblich schlechter in die Landschaft als das, was 'hier an Konzentrationsversuch gemacht wird.
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Wettbewerbsrechtliche Bedenken - wir sind zwar in der Lage, sie gemeinsam mit Ihnen zu überwinden -, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben wir auch gegen die Gründung sogenannter ClearingStellen für den Rohstoffeinkauf in der chemischen Industrie. Sie haben sie genehmigt. Wir sehen ein, daß das zur Zeit notwendig ist. Wir erwarten, daß das Kartellamt die Tätigkeit dieser Clearing-Stellen sorgfältig beobachtet und kontrolliert, und wir hoffen, daß sich nach der Frist von drei Monaten, für die sie zur Zeit genehmigt worden sind, eine Verlängerung als überflüssig erweist.
Ganz besonders schwierig - es steht ja auf der Tagesordnung auch der Punkt „Sondergutachten der Sachverständigen" - ist natürlich, meine Damen und Herren, die Beurteilung der konjunkturellen Situation. Die Prognosen weichen weit voneinander ab. Sie haben eine Talfahrt, etwa zum 31. Dezember hin, genommen, und seither geht es in der Prognosestellung wieder ein bißchen aufwärts. Wo werden wir landen? Wir schätzen - ich glaube, hier liegt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung richDr. Graf Lambsdorff
tig -, daß am Ende des Jahres 1974 ein reales Wachstum irgendwo zwischen 0 °/o und + 2 °/o übrigbleiben wird. Aber wir begrüßen unter dem Stichwort „Doppelstrategie", Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihre Ausführungen, in denen klar zu erkennen ist - ({3})
- Bei uns heißt das „Strategie der beiden Wege", bei Ihren Freunden heißt das „Doppelstrategie". Aber diesmal meinen wir etwas anderes, diesmal meinen wir etwas Vernünftiges.
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Die Bundesregierung sagt klar - das findet unsere Zustimmung -, daß sich zwei Aufgaben stellen: auf der einen Seite weiter anzugehen gegen die Preissteigerung, die durch die Energiesituation natürlich unvermeidlich einen neuen Schub erfahren hat
- der 7,8 %ige Anstieg des Verbraucherpreisindex würde nach den heutigen Zeitungsmeldungen ohne Energiekosten 5,9 °/o betragen - und auf der anderen Seite eine Aufrechterhaltung des Wachstums und der konjunkturellen Fortentwicklung, insbesondere in den Bereichen, in denen das zur Zeit etwas oder auch etwas mehr als etwas gefährdet aussieht. Diese Sicht der Bundesregierung hinsichtlich dieser zwei Aufgaben findet unsere Zustimmung.
Die Mahnung des Herrn Bundeswirtschaftsministers, die er öffentlich mehrfach ausgesprochen hat, daß wir nichts verteilen können, was nicht erwirtschaftet und also nicht vorhanden ist,
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sollte und muß sich jeder in diesem Lande in der gegenwärtigen Situation zu Herzen nehmen.
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- Herr Müller-Hermann, dies ist nicht „endlich", sondern wir sind auch bisher davon ausgegangen, daß nach dieser Devise verfahren wird. Ich werde mich, wenn Sie das erlauben, gleich noch dazu äußern. Sie dürfen davon ausgehen, daß ich mich auch noch mit dem beschäftige, was die Opposition zu dieser Debatte beizutragen hat.
Aber zunächst einmal muß die Stabilitätspolitik im Sinne dieser Doppelstrategie fortgesetzt werden, nämlich mit den Mitteln der Geld- und Kreditpolitik. Hier muß darauf hingewiesen werden, meine Damen und Herren, daß die letzten Beschlüsse der Deutschen Bundesbank keine Kehrtwendung, keine grundsätzliche Abkehr von dieser Restriktionspolitik bedeutet haben. Es ist nichts weiter geschehen - das haben wir gestern noch einmal im Wirtschaftsausschuß bestätigt erhalten - als der Ersatz von Liquidität, die infolge des steigenden Dollarkurses abgezogen worden ist. Durch Senkung der Mindestreservesätze sind zirka 4,5 Milliarden DM freigesetzt worden.
In diesem Zusammenhang ist davon gesprochen worden, daß das Bardepot gesenkt oder gar abgeschafft werden soll. Zumindest ist über die Frage diskutiert worden. Meine Damen und Herren, wir glauben, daß Bardepot und Hochzinspolitik in gewissem Sinne in ein System kommunizierender Röhren hineingehören. Wir können nicht bei der Hochzinspolitik bleiben, gleichzeitig aber das Bardepot abschaffen, weil uns das erneut dem Vorwurf aussetzt - mit „erneut" verweise ich auf die Periode 1966/67 -, daß die Großen, die sich im Ausland finanzieren können, die dort an billigere Finanzierungsmittel herankommen, begünstigt werden, während die Kleinen, die auf den heimischen Kreditmarkt angewiesen sind, das nicht können und die hohen Zinsen bezahlen müssen.
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Hier muß ein ausgewogenes Maß erhalten bleiben, und deswegen bitten wir alle Beteiligten, das in dem Zusammenhang zu sehen, den ich darzustellen versucht habe.
Wir begrüßen die Absicht des Herrn Bundesfinanzministers, die Kapitalverkehrskontrollen abzubauen. Die Bundesbank ist offensichtlich mit diesen Vorschlägen einverstanden. Dies wird nicht von heute auf morgen gehen, aber wir sind immer der Meinung gewesen, daß der Einsatz der Mittel nach § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes nur ein vorübergehender Notbehelf sein sollte und bleiben muß. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die damit wieder eingeleitet werden könnte, findet unsere Zustimmung.
Insgesamt darf ich unsere Beurteilung der konjunkturellen Situation vielleicht in eine Formulierung fassen, wie sie an den Wertpapierbörsen üblich ist: Zuversichtlich mit etwas Angst. Mehr läßt sich heute, so scheint mir, verantwortungsbewußterweise an Optimismus nicht verbreiten.
Herr Kollege Müller-Hermann, ich komme nunmehr zu der Frage, was denn die Opposition zu der Auseinandersetzung und der Diskussion in den letzten Wochen eigentlich beigetragen hat. Dazu fand ich ein gutes Stichwort in einer Zeitung, die von Ihnen sehr gerne zitiert wird, weil Sie immer meinen, wenn Sie sie lesen, stecke dahinter ein besonders kluger Kopf. Es gab dort eine schöne Karikatur, und zwar das Angebot der Opposition: „Alte Hüte, kleinkariert". Ich hoffe, es ist Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen.
({8})
Ich will versuchen, in aller Kürze nach diesen beiden Stichworten zu sortieren, was wir in letzter Zeit erlebt haben. Herr Kollege Russe, Sie haben heute die Absicht des Herrn Bundeswirtschaftsministers begrüßt, über eine Verlängerung oder eine Ablösung des Energiesicherungsgesetzes zu sprechen. Hätten Sie diese Einsicht doch nur gehabt, als wir uns hier um die Sechsmonatsfrist stritten, als Sie noch glaubten, nach einer Laufzeit der Rechtsverordnung von sechs Monaten sei das alles erledigt.
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- Herr Kollege Russe, Sie haben uns die Verlängerunsmöglichkeiten für die Rechtsverordnung im
4560 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17 Januar 1974
Energiesicherungsgesetz in einer Weise verweigert, aus der man deutlich schließen mußte, daß Sie meinten, nach sechs Monaten sei man mit dem Thema wieder am Ende. Nunmehr sehen wir alle, daß wir nicht am Ende sind.
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- Dieser Schluß ist zulässig, den müssen Sie aus Ihrem Verhalten herleiten.
({11})
Dieses, Herr Kollege Russe, steht unter dem Stichwort „kleinkariert".
({12})
Ein zweiter Punkt, Herr Kollege Russe - es tut mir leid, daß der Kollege Dollinger nicht da ist -, ist der, daß Sie die Diskussion um die Frage der Aufsichtsratsbesetzung im Zusammenhang mit der Konzentration VEBA-Gelsenberg für richtig gehalten haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Sie bereits wußten, daß die ursprünglich vorgesehene Besetzung des Vorsitzerpostens im Aufsichtsrat mit dem Bundeswirtschaftsminister nicht mehr auf der Tagesordnung stand. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was der Kollege Dollinger im „Handelsblatt" schreibt, und zwar zur Frage des Erwerbs der Gelsenberg-Beteiligung:
Ausgerechnet die Regierung nimmt nun für sich selbst eine vom Gesetz gebotene Ausnahmeregelung in Anspruch und zimmert sich einen Konzern zusammen.
Darf ich fragen, wie das mit Ihrer Darstellung in Übereinstimmung zu bringen ist, daß diese Fusion Ihre Zustimmung findet?
Zum zweiten halte ich es nicht für richtig, die Regelung, die hier im Gesetz vorgesehen ist, nämlich durch Ausnahmebeschluß von Kabinett und Bundestag einen Aufsichtsratsvorsitz auch durch einen Minister übernehmen zu lassen, nun grundsätzlich dahin auszulegen, daß damit eine Investitionslenkung durch Ämterhäufung erfolgen soll und ordnungspolitische Verstöße begangen werden. Darf ich einmal fragen, welchen Aufsichtsratsvorsitz er sich eigentlich genehmigen lassen soll, außer bei einer Bundesgesellschaft? Doch wohl nicht bei einer Gesellschaft für den Vertrieb von zweifelhaften Investment-Zertifikaten?
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Meine Damen und Herren, dann kommt hinzu, daß hier der Satz enthalten ist: „Wobei es nicht einmal so sehr um die Pfründe geht, die sich die Politiker hier schaffen." Stichwort: kleinkariert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Bitte, Herr Kollege Müller-Hermann!
Graf Lambsdorff, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß der Kollege Russe ausdrücklich zu diesem Problem für die Fraktion erklärt hat, daß wir den Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministers gegenüber sehr aufgeschlossen sind?
Ich habe das sogar eben so zitiert, Herr Müller-Hermann. Ich frage mich nur, was dann solche öffentlichen Äußerungen sollen. Dies widerspricht der Meinung, die ein bedeutendes Mitglied Ihrer Fraktion in der Öffentlichkeit zum besten gegeben hat.
({0})
- Die Äußerung stammt vom 14. Januar 1974. Das ist nicht allzu lange her, Herr Kollege Russe.
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Heute haben wir, wenn ich recht sehe, den 17. Januar.
({2})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen von Bismarck?
Würden Sie in Anbetracht der Tatsache, daß der Herr Kollege Dollinger nicht hier ist, der Versammlung vielleicht doch sagen, daß sich die Gedanken von Herrn Dollinger zu dem Thema Ämterhäufung auf den Kabinettsbeschluß beziehen, der zunächst vorlag und der beinhaltete, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister diese beiden Aufsichtsratsämter übernehmen sollte?
Herr Kollege von Bismarck, das ist doch genau meine Feststellung. Wie kann man denn die Inanspruchnahme dieser im Gesetz vorgesehenen Ausnahmeregelung, den Aufsichtsratsvorsitz bei einer Gesellschaft zu übernehmen, für schlichtweg ordnungspolitisch unzulässig halten, wenn dies bei einer Gesellschaft geschehen soll, die dem Bund gehört? Dafür sind doch solche Ausnahmebestimmungen in das Gesetz aufgenommen worden. Wieso ist es dann bedenklich, wenn man diese in Anspruch nimmt und sie dem ordnungsgemäßen Verfahren unterwirft?
Es ist Ihnen aber nicht entgangen, daß Sie dies gerade in Ihrem eigenen Artikel für bedenklich erklärt haben?
Nein. Ich habe es nur dann für bedenklich erklärt, wenn der Bundeswirtschaftsminister, was er eben nicht getan hat, dabei geblieben wäre, nachdem für den Fall dieser Fusion die Ministergenehmigung notwendig war.
Dieses aber, verehrter Herr von Bismarck, war zu dem Zeitpunkt des Artikels von Herrn Dollinger bereits zwei Tage vorher im Handelsblatt nachzulesen.
({0})
Ein weiteres, meine Damen und Herren. Wir finden heute erneut eine Antrag auf Steuersenkung, der 8 Milliarden DM ausmacht. Darüber haben wir hier nun schon sehr häufig miteinander debattiert. Gestern hat uns die Bundesbank im Wirtschaftsausschuß noch einmal durch ihren Vertreter sagen lassen, daß sie aus stabilitäts- und konjunkturpolitischen Gründen gegen eine solche Steuersenkung ist. Dadurch, daß der Antrag immer wiederholt wird, wird er natürlich konjunkturpolitisch und stabilitätspolitisch nicht besser. Vielleicht wird er optisch günstiger und werbewirksamer; dennoch bleibt es dabei, daß dies inzwischen ein alter Hut geworden ist.
({1})
- Herr Professor Carstens, er wird sich zum 1. Januar 1975 durchsetzen, wie es die sozialliberale Koalition, die Regierung und die sie tragenden Fraktionen, seit langem besprochen, beschlossen und verkündet haben.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, kommt ein nächster Punkt. Sie erinnern sich sicherlich alle daran, daß wir hier bei der Beratung des Einzeletats des Herrn Bundeswirtschaftsministers auch über die Frage gesprochen haben, ob man die Lohnentwicklung an Indexklauseln festhalten sollte. Wir haben das mit dem Kollegen Arndt diskutiert, und ich darf im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir es außerordentlich bedauern, daß Herr Arndt durch seine schwere Erkrankung heute nicht hier sein kann und an diesen für ihn und uns wichtigen Beratungen nicht teilnehmen kann, und daß wir ihm von Herzen gute Besserung wünschen.
({3})
Damals, meine Damen und Herren, habe ich der Index-Bemerkung des Kollegen Arndt widersprochen und Ihre Zustimmung gefunden. Inzwischen hat nun Herr Professor Giersch eine Theorie entwikkelt, ob man nicht vielleicht doch zu einer Index-Regelung kommen könne, und flugs hat sich der Bundesausschuß für Wirtschaft der CDU - ebenfalls nachzulesen im „Handelsblatt" - diese Theorie und Thesen, die eine Annäherung an die Index-Lösung in der Tarifpolitik vorschlagen, zu eigen gemacht.
Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß dies nach wie vor nach unserer Auffassung ordnungspolitisch unvertretbar ist. Sie können aber die ordnungspolitische Belehrung, die Sie in diesem Falle offenbar brauchen, von dem Kollegen Nölling entgegennehmen; ich freue mich besonders, Sie darauf hinweisen zu können. Wenn Sie die Fundstelle
wissen wollen, dann darf ich Ihnen sagen, daß es der „Vorwärts" vom 27. Dezember 1973 ist. Dort steht es ordnungspolitisch richtig. In Ihrem Bundesausschuß für Wirtschaftspolitik steht es falsch.
({4})
Die Einführung von Indizes in die Tarif- und Preisentwicklung ist und bleibt mit stabilitätspolitischen Überlegungen unvereinbar. Ich darf, um das kurz zu machen, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Absätze aus einer Stellungnahme der Sparerschutzgemeinschaft zitieren. Das erste Zitat lautet:
Es gibt also erfreulicherweise bisher keinen zwingenden Grund für die Annahme, daß sich die Reagibilität des Lohn- und Preissystems gegenüber konjunkturellen Schwankungen entscheidend verschlechtert hätte. Damit fehlt aber auch der Forderung, wirtschaftspolitisch neue Wege zu gehen, um eine Stabilisierung ohne Stabilisierungskrise überhaupt erst möglich zu machen, jede Überzeugungskraft. Selbst wenn die Gefahr einer Stabilisierungskrise wirklich bestünde, wären Indexklauseln kein geeignetes Mittel, um für eine reibungslose Anpassung der Löhne an den jeweiligen Konjunkturtrend zu sorgen. Sie wären es schon deshalb nicht, weil die Sozialpartner nur die Tariflöhne bestimmen,
- dies ist für mich der entscheidende Gesichtspunkt die letztlich entscheidenden Effektivlöhne dagegen bilden sich am Markt. Sie aber lassen sich nicht in ein Indexsystem einbinden.
Des weiteren haben wir schon damals darauf hingewiesen - dies gilt heute nach wie vor -, daß das Anbinden an Indexklauseln natürlich nicht bei den Löhnen haltmachen kann und wird, sondern daß dann Zinsen und andere Dinge ebenfalls angehangen werden, daß der gesamte Kapitalmarkt einer Indexlösung unterworfen werden müßte. Dies ist wirtschaftspolitisch und stabilitätspolitisch völlig unvertretbar.
Ich darf noch einmal die Sparerschutzgemeinschaft zitieren:
Auch unter der Prämisse einer stabilitätsgerechten Geldpolitik wäre eine Indexierung der Zinsen, Löhne und Steuern schädlich, da sie die Wirksamkeit der Stabilitätspolitik in Frage stellte. Außerdem wäre die Gefahr groß, daß der politische Wille zur Stabilitätspolitik erlahmt. Ohne Zweifel würden Indexklauseln dem Inflationsdenken Vorschub leisten.
Dabei bleibt es, und dies ist richtig.
({5})
- Ich bin erstaunt über Ihre Zustimmung. Dann
äußern Sie doch diese Ansicht mal im Bundesfachausschuß für Wirtschaftspolitik Ihrer Partei! Ich darf
Sie darauf hinweisen, daß es sich auch um eine „Handelsblatt"-Veröffentlichung handelt.
({6})
Dies ist kein alter Hut; es ist ein neuer Hut, aber der ist so groß, daß er gleich über Augen und Ohren geht!
({7})
Wenn wir ernsthaft auf diesen Weg gerieten, beträten wir einen gefährlichen Irrweg. Meine Freunde bleiben dabei, daß die Einführung einer Indexlösung unvertretbar ist und unsere Zustimmung nicht finden kann.
Lassen Sie mich abschließend bemerken: Herr Bundeskanzler, sie haben seinerzeit - ich glaube, es war in der Ansprache zur energiepolitischen Versorgungsschwierigkeit - gesagt, daß die Energiekrise eine Chance für uns alle werden könne. Ich darf hinzufügen, daß sie eine Chance für und eine Herausforderung an die Marktwirtschaft und alle an ihr Beteiligten und in ihr Tätigen ist. Dies hat der Herr Bundeswirtschaftsminister auch' schon gesagt.
Die Energiekrise ist auch eine Herausforderung an den Einfallsreichtum, an die Geschicklichkeit und an die Führungskraft der Bundesregierung. Ich darf für meine Fraktion feststellen: Die Bundesregierung hat diese erste Runde der Herausforderung gut überstanden. Die Freie Demokratische Partei und ihre Bundestagsfraktion sprechen der Bundesregierung, zuvörderst dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, für diese Aktivitäten in der Energiepolitik ihr uneingeschränktes Vertrauen aus.
({8})
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen zwei große Forschungsprogramme für den Energiebereich gebilligt: das 4. Atomprogramm für die Jahre 1973 bis 1976 und das Rahmenprogramm „Energieforschung" für die Jahre 1974 bis einschließlich 1977. Das Rahmenprogramm baut das schon vorhandene Programm der nicht-nuklearen Energieforschung aus.
Wir haben kein sensationelles „Sofortprogramm" gemacht das habe ich hier in diesem Hause schon begründet -; wir haben uns etwas Zeit gelassen für gründliche Gespräche mit der Wissenschaft und mit der Industrie. So können wir ein Programm vorlegen, das Hand und Fuß hat.
Nach diesen beiden aufeinander abgestimmten Programmen werden, wenn das Parlament die Mittel jeweils bewilligt, in den kommenden Jahren rund 1,75 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln für die Energieforschung aufgewendet werden. Damit gibt es in der Bundesrepublik erstmals ein geschlossenes Energieforschungsprogramm. Die Ziele dieses Konzepts orientieren sich dabei sowohl an den akuten Problemen wie an den grundsätzlichen Problemen der langfristigen Entwicklung.
Ich habe nicht ganz verstanden, Herr Kollege Russe, was an dem Programm „heimgemacht" gewesen sein soll. Ich weiß auch nicht, warum Sie meinen, daß hier ein Widerspruch zum Kollegen Friderichs besteht. Sie haben schon gesehen, wie einig wir uns sind; Sie haben es daran gesehen, daß er den forschungspolitischen Teil des Problems hier mit vorgetragen hat. In bezug auf die Fragen der Mengen der Kohlenförderung im Energieprogramm besteht auch kein Widerspruch. Ich darf mich nach dem, was Adolf Schmidt hier gesagt hat, ganz kurz fassen: auch dies werden wir mit Zeit und mit Sorgfalt überlegen. Wir gehen doch jetzt überhaupt erst ins Forschungs- und Entwicklungsprogramm. Wir sind ja noch nicht dabei, morgen Milliarden in Anlagen zu stecken. Die Frage wird sorgfältig überlegt werden müssen, auch nach der Importkohlenseite hin, die der Kollege Friderichs schon angesprochen hat, und dies auch wiederum mit einem Blick auf die Situation in der Stahlindustrie und die Kohlesubventionen, die wir im Augenblick dort zahlen. Alles dies verdient, gründlich überlegt, es braucht aber heute noch nicht gemacht zu werden. Ich bin dem Kollegen Schmidt dankbar, daß er uns in dieser Haltung unterstützt hat.
Das neue Rahmenprogramm möchte ergänzend zur Kernenergie als langfristiger Lösung unserer Energieprobleme vor allem zwei Dinge lösen helfen: einmal die rationellere Verwendung von Energie und zweitens die optimale Nutzung unserer Kohlevorräte.
Dabei muß ich noch einmal betonen, daß kurzfristig nicht mit Auswirkungen gerechnet werden kann; das ist bei Forschungsprogrammen so. Man muß es immer wieder sagen, damit wir keine falschen Hoffnungen erwecken. Mittelfristig, d. h. in den achtziger Jahren, wird sich durch die Energieforschung einiges verändern lassen. Die Stichworte lauten:
- Elektrizität verstärkt aus Kernenergiekraftwerken,
- industrielle Prozeßwärme und Heizwärme aus Hochtemperaturreaktoren,
- Heizöl und Synthesegas zum Teil aus Kohle, übrigens auch als Ausgangsbasis für die chemische Industrie.
Damit kann eine erhebliche Erleichterung zur Zeit drängender Probleme erreicht werden. Denn diese Veränderung der Energiemarktstruktur führt zur Entlastung im Mineralölbereich durch Verminderung des Mineralöleinsatzes in der Industrie und teilweise Substitution von Mineralölprodukten durch Kohle, ferner zu einer wesentlichen Entlastung im Umweltbereich. Denn alle diese neuen Technologien sind wesentlich umweltfreundlicher als die heutigen Technologien. Schließlich tritt eine Entlastung im
wirtschaftlichen Bereich durch die Verminderung der Abhängigkeit von Erdölimporten ein. Eine wirkliche Unabhängigkeit - etwas, was man so bezeichnen kann - von Erdgas und Erdöl werden wir nur langfristig erreichen können durch den Ausbau der Kernenergie. Ich glaube, da darf man den Zeitraum nicht kürzer als etwa 30 Jahre ansetzen. Das ist also ein sehr langfristiges Programm, bis wir mit dem Ausbau so weit sind.
Nun wird mir oft entgegengehalten, daß die Kernenergiepolitik eigentlich nur einen Austausch der Abhängigkeiten darstelle; wir seien jetzt von Erdölimporten abhängig und würden dann von Uranimporten abhängig sein. In der Tat verlangt dieses Problem unsere Aufmerksamkeit. Solange nicht der Schnelle Brüter eines Tages unseren Bedarf an Uran erheblich reduziert und etwa die Nutzung der Kernfusion zur Energiegewinnung - falls das gelingt - uns überhaupt vom Uran unabhängig macht, so lange besteht in der Tat eine Abhängigkeit von Uranimporten, da wir, soweit wir heute wissen, im eigenen Land keine nennenswerten Vorkommen haben.
Andererseits ist es so, daß die Uranvorräte weit über die Welt verteilt sind. Wir haben uns rechtzeitig um eine eigene Beteiligung draußen bemüht. Wir werden die für diesen Zweck vorgesehenen Mittel aber erheblich aufstocken, um zu vermeiden, daß wir langfristig in eine Mangelsituation kommen. Also die Lage ist anders als beim Erdöl; aber das Problem besteht. Einen Vorteil hat im übrigen dieser Austausch. Da die Erzeugungskosten von Kernenergie in viel geringerem Maße als die Energieerzeugung mit fossilen Rohstoffen von den Rohstoffkosten abhängig sind, ist dieser Wechsel wirtschaftlich günstig. Zusammen mit dem hohen Stand der Technologie und Fertigung von Kernenergieanlagen in unserem Land und mit der Entwicklung einer eigenen Technologie für die Urananreicherung leistet die Forschungs- und Entwicklungspolitik hier einen erheblichen Beitrag zur Entlastung unserer Zahlungsbilanz, was in Zukunft angesichts der steigenden Erdölpreise interessanter sein wird.
Die wirtschaftliche Auswirkung der neuen Vorhaben zum Einsatz von Kohle zur Substitution von Erdöl als Energieträger und als Rohstoff für die chemische Industrie ist dagegen noch unsicher, nicht weil die Kosten nicht abschätzbar wären, für die übrigens auch die Frage des Verhältnisses von Importkohle zur einheimischen Kohle eine Rolle spielt, sondern weil niemand abschätzen oder voraussagen kann, wie sich die Kosten für Erdöl entwickeln werden. Diese Kosten werden ja in erheblichem Umfang den wirtschaftlichen Einsatz der zu entwickelnden Verfahren mit bestimmen. Bisher hatten die niedrigen Erdölpreise den Einsatz solcher Verfahren als wirtschaftlich nicht vertretbar erscheinen lassen. Herr von Bismarck hat vorhin gefragt, was wir eigentlich in den letzten vier Jahren gemacht hätten. Das kann ich Ihnen genau sagen. Wir haben in den letzten vier Jahren, Herr von Bismarck, eine große Studie über die Frage der Kohleverflüssigung
und der Kohlevergasung gemacht. Die Studie wurde Ende 1971 abgeschlossen.
({0})
Aber bei den damaligen niedrigen Erdölpreisen kamen wir zusammen mit der Wirtschaft zu dem Ergebnis, daß es keinen Zweck hätte, diese Verfahren anzuwenden. Aber man hat auf diesem Gebiet nicht etwa nichts getan, sondern es sind wesentliche Vorarbeiten geleistet worden. Nur hat man damals gesagt: das hat wirtschaftlich keinen Sinn.
Die Lage hat sich nun grundsätzlich geändert, denn zu den niedrigen Erdölpreisen werden wir nicht zurückkehren. Der Erdölpreis mag sogar in Zukunft von dem Preis mit bestimmt werden, zu dem wir die Substitute für Erdöl produzieren. Das mag ein wichtiger Faktor werden. Dennoch könnte eine Preisdifferenz zuungunsten der Kohleprodukte bleiben. Hier kann ich nur das unterstreichen, was Herr Kollege Friderichs schon gesagt hat: Wollen wir mit den neuen Technologien einen Teil unseres Verbrauchs an Erdöl durch Kohle ersetzen, so müssen wir notfalls auch bereit sein, diese Preisdifferenz zu tragen. Wir müssen wissen, was uns dieses Stück Unabhängigkeit wert ist. Wir können jedenfalls nicht - mit „wir" meine ich den Staat ebenso wie die Wirtschaft - eine mit hohen Kosten verbundene technologische Entwicklung einleiten, um dann aus ihr auszusteigen, wenn - aus welchen Gründen auch immer - die Erdölpreise eines Tages vorübergehend wieder sehr verlockend billig sein sollten. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe von Fragen, die auch noch, Herr Russe, sehr gründlicher und eingehender Erörterung mit der Industrie bedürfen; Herr Kollege Friderichs hat darauf schon hingewiesen.
Im übrigen dürfen wir diese Fragen langfristig nicht nur unter Energiegesichtspunkten sehen. Wir müssen die Kohlefrage gerade auch unter Rohstoffgesichtspunkten sehen. Im Grunde ist es eine Verlegenheitslösung, wenn wir die Kohle jetzt in diese Energielücke schieben; denn an sich ist Kohle ein so wertvoller Rohstoff, daß er zum Verbrennen viel zu schade ist. Langfristig müssen Elektrizität und Wärme in erster Linie aus Kernenergieanlagen gewonnen, die Kohle dagegen als Rohstoff genutzt werden. Solange wir bei der Kernenergie nicht so weit sind, müssen wir die Kohle allerdings auch für Energiezwecke nutzen.
Dabei genügt es im übrigen nicht, immer neue Ernergiequellen zu erschließen, wenn wir nicht auch bei den Energieverlusten ansetzen, bei der Umwandlung, beim Transport und bei der Speicherung von Energie. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Hälfte der Primärenergie, die wir in diesem Land erzeugen, ungenutzt verlorengeht, dann wird deutlich, welche beachtlichen Reserven durch rationellere Energieanwendung erschlossen werden könnten. Gleichzeitig würden dadurch auch viele Umweltprobleme erleichtert. Darum beschäftigen sich Teile des Programms mit der Energieeinparung bei Umwandlung und Transport und mit der rationelleren Verwendung von Energie.
Unser Ziel darf in Zukunft nicht der Überfluß, sondern muß die Vermeidung von Verschwendung
sein. Wir müssen lernen, sparsam und verantwortungsbewußt mit den Naturvorräten hauszuhalten. Die Energiekrise hat uns diese Wahrheit nur noch einmal drastisch vor Augen geführt.
Gestatten Sie, daß ich hier noch ein Wort an den Kollegen Strauß - er ist im Augenblick nicht im Raum - hinzufüge. Herr Strauß hat mehrfach gefordert, wir sollten doch in dieser Situation einen Energieforschungspreis aussetzen. Ich halte diese Idee für grundsätzlich richtig. Ich darf Ihnen aber sagen, daß hier der Ruf nach dem Staat nicht erforderlich ist. Die „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung" Essen wird bereits in Kürze die Vergabe eines Preises für Energieforschung veröffentlichen, wofür ich mich auch an dieser Stelle bedanken möchte. Die Ausstattung dieses Preises wird der Bedeutung des Themas gerecht werden.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Berner-kung, die über die Energieforschung hinausgeht, zur allgemeinen Technologiepolitik. Denn abgesehen von den Änderungen im Kosten und Preisgefüge, die auf dem Energiesektor ja handfest genug sein werden, dürfen wir uns generell nicht vormachen, es sei eigentlich gar nichts Entscheidendes passiert. Ich persönlich bin der Meinung, daß das, was wir an veränderter Haltung der ölproduzierenden Länder erleben - über die sich moralisch zu entrüsten die Industrieländer meines Erachtens keinen Grund haben -, ein sehr tiefer Einschnitt in unsere allgemeine Politik sein wird. Die neue Haltung der Erdölländer dürfte auch bei anderen Rohstoffländern Schule machen und zusammen mit der zunehmenden Verbreitung industrieller Technik in heute noch weniger entwickelten oder unterentwickelten Niedriglohnländern zu einer neuen Arbeitsteilung in der Welt führen. Dies stellt die Bundesrepublik und die Forschungspolitik vor besondere Probleme.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Herr Wolff von Amerongen, hat kürzlich darauf hingewiesen er hat dabei Zustimmung und Widerspruch gefunden , daß wir uns bei steigenden Rohstoffpreisen und hohem Lohnniveau auch in den herkömmlichen Industriesektoren und nicht nur, wie es bereits der Fall ist, in der Textil-, der Bekleidungs- und der Schuhindustrie in Zukunft einer Verdrängungskonkurrenz der Niedriglohnländer ausgesetz sehen können, wie wir sie uns bisher nicht vorgestellt haben.
Darüber kann man im einzelnen streiten. Wir sollten aber diese Möglichkeiten wegen des relativ hohen Industrieanteils in der Bundesrepublik, dessen in starkem Maße auf Forschungen und Innovationen der dreißiger Jahre beruhende Technologien im wesentlichen durchentwickelt sind, besonders im Auge behalten. Die Folgerung, die wir daraus ziehen müssen, ist, daß wir künftig noch mehr als bisher auf die Entwicklung forschrittlicherer Technologien, neuen technischen Wissens, von Know-how im weitesten Sinne angewiesen sein werden. Wenn wir diese Herausforderung meistern wollen, werden wir künftig noch mehr als bisher eine unserer größten Ressourcen nutzen müssen: den Erfindungsgeist und die Forschungs- und Entwicklungskapazität unserer Wissenschaftler, unserer Techniker und unseren Facharbeiter. Dazu werden wir u. a. systematischer als bisher prüfen müssen, wie wir Ergebnisse der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung in die Praxis überführen, um damit zur technologischen Innovation beizutragen.
Sie haben gesehen, daß wir auf dem Innovations-gebiet einen ersten Schritt getan haben mit einem Beschluß der Bundesregierung über die Gründung einer Wagnisfinanzierungsgesellschaft. Sie soll das meines Erachtens vernachlässigte Innovationspotential gerade auch der kleineren und mittleren Unternehmen fruchtbar machen helfen.
In ganz besonderem Maße ist dazu neben den Bemühungen der staatlichen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationspolitik aber auch eine höhere Innovationsbereitschaft der Industrie und der deutschen Wirtschaft überhaupt nötig, als wir sie in den letzten Jahren in vielen Bereichen gesehen haben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich glaube, die Erfahrungen der letzten Wochen haben weit über den Bereich der Energiekrise und der Energieforschung hinaus unterstrichen, wie sehr wir in unserer Gesamtentwicklung mit abhängig sind von einer aktiven Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationspolitik. Ich wäre glücklich, wenn ich für diese wichtige Aufgabe die Unterstützung des Hohen Hauses fände.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller-Hermann. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 25 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sachliche und nüchterne Stil dieser Debatte entspricht, wie ich meine, dem Thema, mit dem wir uns heute zu beschäftigen haben.
Kollege Graf Lambsdorff hat in der ihm eigenen Art versucht, einige, allerdings inhaltlich schwache Seitenhiebe an die Adresse der Opposition auszuteilen. Ich freue mich aber, daß er mir selbst grünes Licht gegeben hat, sie als „kleinkarierte Bissigkeiten" abzutun. Ich werde auf einige seiner Ausführungen noch im Laufe meiner Bemerkungen zu sprechen kommen. Ich möchte am Anfang nur noch einmal klarstellen, daß wir bei der Verabschiedung des Energiesicherungsgesetzes auf nichts anderes so sehr geachtet haben, als darauf, daß bei den weitgehenden Vollmachten, die der Bundestag der Regierung übertragen hat, ein angemessenes Recht zur Kontrolle und Mitsprache gewährleistet bleibt. Ich glaube, wir haben in der Praxis sehr wohl bewiesen, daß wir der Regierung in dieser schwierigen Situation, soweit das in unseren Kräften liegt und wo es sich als zweckmäßig erweist, in jeder Form Hilfestellung geben.
({0})
Ich möchte jetzt nicht auf das eingehen, was herr Minister Ehmke gesagt hat - das wird noch mein Kollege Lenzer tun -, sondern ich möchte mich
in erster Linie mit dem Themenbereich beschäftigen, den das von uns mit angeforderte Sondergutachten der Sachverständigen zu den gesamtwirtschaftlichen Folgen der sogenannten Ölkrise Mitte Dezember angesprochen hat. Ohne jede Überheblichkeit darf man wohl feststellen, daß das Gutachten die Eile, mit der es angefertigt worden ist, ebenso ausweist, wie eine gewisse Ratlosigkeit. Ich sage das ohne jede Überheblichkeit, denn ich meine, daß die Sachverständigen überfordert gewesen wären, wenn sie in diesem Gutachten mehr hätten tun wollen, als gewisse Trends mit Risiken, Möglichkeiten und vielleicht auch Chancen aufzuweisen. Der mit Recht vom Kollegen Lambsdorff aufgezeigte Bereich der Folgewirkungen für den Währungsbereich, für die Außenhandelsbeziehungen konnte in dieser Zeit nur sehr sporadisch und oberflächlich behandelt werden. Am treffendsten in diesem immerhin 40seitigen Gutachten ist nach einem ganzseitigen Fragenkatalog die Feststellung - ich darf zitieren -:
Wir können nicht sagen, daß wir auf all diese Fragen eine Antwort wissen, die wir ausreichend fänden.
Es kommt später noch eine Feststellung, die mir zur Einleitung dessen, was ich sagen will, auch ganz treffend scheint. Es heißt:
Mehr denn je besteht Anlaß zu der Einsicht, daß es nicht die Machbarkeit der gesamtwirtschaftlichen Größen ist, die der Wirtschaftspolitik Führung gibt, sondern die Einsicht in die Zusammenhänge, wobei Quanten nur das Gerüst sind, die das relative Gewicht von Problemen zu erkennen erlauben.
Ich möchte mich jetzt bei meinen Überlegungen auf drei Themenbereiche beschränken, von denen ich annehme, daß sie wirklich einer schnellen Meinungsbildung bedürfen und daß sie uns Anlaß geben, daß wir alle darüber nachdenken. Das erste ist das Thema Globalsteuerung. Wenn ich davon ausgehe, mit welchen Erwartungen man 1966 an diese Globalsteuerung als eine Art Wunderwaffe herangegangen war, so muß man nach den inzwischen gemachten Erfahrungen simpel feststellen, daß die Globalsteuerung ihre Bewährungsprobe zumindest bisher nicht bestanden hat. Ich darf daran erinnern, daß der damalige Wirtschaftsminister eine Verstetigung der Konjunktur versprach und eine Wiederherstellung und Sicherung der Stabilität. Er sprach von dem Aufschwung nach Maß, und er meinte, daß er mit der Konzertierten Aktion entscheidend zur Objektivierung des sicherlich immer schwieriger werdenden Verteilungskampfs beitragen könnte. Wenn wir dann auch daran denken, von welchen Erwartungen die Regierungserklärungen von 1969 und von 1972 bei der Globalsteuerung ausgingen, und wenn wir das an den jetzt eingetretenen Tatsachen mit verringertem Wirtschaftswachstum, mit Gefahren für die Vollbeschäftigung, mit einem weiteren Preisauftrieb messen, dann ist das Ergebnis wirklich sehr mager, wenn nicht besorgniserregend.
Nun möchte ich damit in keiner Weise etwa sagen, daß dem Staat ebenso wie dem Markt in unserer sozialen Marktwirtschaft keine Aufgaben zufielen. Die Aufgabe des Staates ist und bleibt es, den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich in einem geordneten Wettbewerb die vielen autonomen Kräfte der Wirtschaft entwickeln können. Der Staat hat eine ganz wichtige Funktion bei der gerechten Verteilung des Sozialprodukts wahrzunehmen. Er muß die Infrastruktur vorhalten, die die Wirtschaft für ihre weitere Entwicklung und die Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse brauchen, und der Staat ist schließlich der größte Auftraggeber und der größte Arbeitgeber. Trotzdem meine ich, daß wir alle Anlaß haben, darüber nachzudenken, ob das Instrumentarium, das sicherlich in den letzten Jahren auch nicht richtig, nicht ausgewogen genug oder nicht rechtzeitig genung eingesetzt worden ist, wirklich den Erfahrungen gerecht wird, die wir im Laufe der Zeit seit 1966 gemacht haben.
Eines scheint mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig zu sein. Die These von der Machbarkeit wirtschaftspolitischer Prozesse, die besonders von der SPD als eine Art Glaubensbekenntnis vertreten wurde, geht an der Wirklichkeit völlig vorbei. Entscheidend ist und bleibt vielmehr, daß sich die Ansprüche der Gesellschaft an der Leistungskraft der Wirtschaft orientieren und daß sich die zusätzlichen Ansprüche aller Gruppen der Gesellschaft in dem Rahmen halten müssen, der durch die Produktivitätsentwicklung der Wirtschaft abgesteckt ist.
Ich glaube, eine ganz entscheidende Ursache für die inflationäre Entwicklung ist, daß gerade diese Regierung einen Erwartungshorizont in der deutschen Öffentlichkeit gesetzt hat, der von vornherein unerreichbar und unerfüllbar gewesen ist, und daß sie dem deutschen Volk suggeriert hat, man könne mit der Politik der inneren Reformen in einer beliebigen Zeit das deutsche Schlaraffenland schaffen. Meine Damen und Herren, ich sage das jetzt hier ohne jede Polemik. Ich glaube, daß im Jahre 1973 in der ganzen deutschen Öffentlichkeit und in allen Gruppen unserer Gesellschaft ein Ernüchterungsprozeß eingesetzt hat, der jetzt durch die Schwierigkeiten der Ölkrise verstärkt wird, und daß dieser Ernüchterungsprozeß durchaus eine Chance bietet, daß wir auf neuen Grundlagen wieder an der Weiterentwicklung des wirtschaftlichen Wachstums mit sich in diesem Rahmen bewegenden weiteren Ansprüchen der Gesellschaft arbeiten können.
Eine weitere Illusion ist mit eine Ursache dieser inflationären Entwicklung: daß man glaubt, mit der Politik der Globalsteuerung praktisch das Fehlverhalten gesellschaftlicher Gruppen wieder korrigieren zu können. Ich meine, es ist wichtig, unseren Mitbürgern zu sagen, daß wir nur dann Stabilität wiedergewinnen und Vollbeschäftigung sichern können, wenn sich jeder an seinem Platz von Vernunft und von der Verantwortung für das Ganze leiten läßt. Nur so werden wir die Probleme der Gegenwart und der Zukunft meistern. Gerade mit der Globalsteuerung ist auf der einen Seite so etwas wie ein Fatalismus erzeugt worden, daß man sich dem, was der Staat an Daten anbietet, unausweichlich gegenübergestellt sieht, und auf der anderen Seite die
4566 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 73. Sitzung_ Bonn, Donnnerstag den 17. Januar 1974
Erwartung, daß unabhängig davon, was die einzelnen für Fehler in ihrem Verhalten an den Tag legen, die Globalsteuerung alles schon wieder ausbügeln werde.
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Ein ganz besonderes Übel ist die ewige Prognosemacherei. Wir alle wissen, daß man sich heute zur Erfüllung der Funktionen des Staates wie der gesellschaftlichen Gruppen natürlich bemühen muß, für einen überschaubaren Zeitraum auch die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt zu bekommen. Aber ich glaube, wir müssen von den Prognosen mit den Daten hinter dem Komma abgehen und statt dessen ein Instrument entwickeln, das unter bestimmten Prämissen mögliche Entwicklungen aufzeigt, aber eben immer wieder deutlich macht, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dieses oder jenes Ziel zu erreichen, und daß ein Fehlverhalten der einzelnen oder des Staates es unmöglich macht, die gesetzten Ziele zu erreichen.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte!
Herr Kollege Müller-Hermann, wie verträgt sich Ihre Ablehnung von Prognosen damit, daß gestern Ihre Freunde im Wirtschaftsausschuß erneut die Offenlegung von Orientierungsdaten verlangt haben?
Die Frage ist sicherlich geschickt gestellt, Graf Lambsdorff. Aber wir haben ja ein Gesetz, das die Regierung dazu verpflichtet, Orientierungsdaten zu geben.
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- Ich sage ja, wir brauchen für einen überschaubaren Zeitraum Daten unter bestimmten Prämissen. Aber wir sollten uns nicht dem Irrtum hingeben - das gilt für die Regierung wie für unser Parlament wie für die Öffentlichkeit -, daß die Regierung oder Sachverständige mit der Superweisheit ausgestattet seien und angesichts der völlig unüberschaubaren Entwicklung und der nie vorauskalkulierbaren Verhaltensweise der Menschen, die auf die Volkswirtschaft Einfluß nehmen, in der Lage sein könnten, die Entwicklung eines vor uns liegenden Jahres oder gar eines Fünfjahreszeitraumes mit Daten hinter dem Komma vorauszusagen.
Worauf ich im Zusammenhang mit der Prognosemacherei noch einmal zurückkommen will: Wir müssen die psychologischen Wirkungen sehen und ihre Gefahren erkennen, die darin bestehen, daß Daten von amtlichen Sachverständigen oder von der Regierung von unseren Bürgern und den Gruppen sofort als Daten mit einem amtlichen Siegel in ihre Kalkulationen eingesetzt werden. Das gilt für die
Verbraucher ebenso wie für die Unternehmer und die Gewerkschaften. Wenn etwa eine Inflationsrate von x für das Jahr 1974 oder 1975 vorausgesagt wird, dann ist das für diese Gruppen sofort eine feste Kalkulationsgrundlage. Wenn diese Kalkulationsgrundlage dann noch zusätzlich mit den egoistischen Interessen verbunden wird, treiben wir damit eben im Grunde die Inflation immer weiter vor uns her.
Zweitens. Es ist sicherlich falsch, wenn wir am Anfang des Jahres 1974 nun alles, was auf uns zukommt, nur schwarz in schwarz malen. Ich glaube, hier können wir den Bundeswirtschaftsminister nur unterstützen, wenn er das sagt. Aber sehr verehrter Herr Minister, von wem ist denn nun eigentlich diese Dramatisierungswoge in den letzten Wochen ausgegangen?
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Doch von Mitgliedern der Regierung, vom Bundeskanzler selbst und vor allem von Ihrem Koalitionspartner, den Sozialdemokraten. Die ganze Verunsicherung, mit der die Regierung ebenso wie wir heute fertig werden müssen, ist doch nicht alleine durch die Konjunkturabschwächung, sondern sie ist verursacht worden durch das öffentliche Reden von Weltuntergangssituationen, das aus den Reihen der Koalition die Öffentlichkeit schockiert und erschreckt hat.
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Sie werden es uns nicht verübeln, wenn bei uns - nicht nur bei uns, sondern in weiten Teilen der Öffentlichkeit - der Eindruck aufkommen mußte, daß hier im Zusammenhang mit den Versorgungsschwierigkeiten auf dem Ölsektor eine Krisenstimmung erzeugt werden sollte, um einmal von den Fehlern und Versäumnissen der Regierung abzulenken und um zum anderen mit leichten Argumenten von dem Stabilitätskurs der Regierung abgehen zu können. Im Grunde ist das ein einmaliger Vorgang in der Nachkriegsgeschichte.
Allerdings meinen wir, daß die Regierung mit dem nötigen Ernst immer wieder auf die Risiken der jetzigen wirtschaftlichen Entwicklung hinweisen muß. Der Konjunkturabschwung, der ja nach unserer Auffassung auf ein weitgehendes Versagen der Regierungspolitik zurückzuführen ist - ein Sprecher der SPD, wäre er in der Opposition, spräche sicherlich von einer gewollten Rezession -,
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wird verschärft und zusätzlich problematisiert durch die internationale Entwicklung. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß das, was uns heute bei der Rohstoffversorgung mit 01 passiert, möglicherweise auch bei der Versorgung mit anderen Rohstoffen passieren könnte. Ich teile aber die Meinung, die auch Graf Lambsdorff geäußert hat, daß die rohstofferzeugenden Länder sich sehr wohl überlegen müßten, ob sie ihre Möglichkeiten auf die Dauer und mit Interesse für sich selbst ausschöpfen dürfen. Denn natürlich wird die Möglichkeit der Rohstoffproduzenten, ihre Markt- und Machtposition rücksichtslos auszunutzen, auch weitgehend von der internationalen Konjunktur bestimmt werden.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt, der in der Öffentlichkeit angesprochen werden muß. Wir haben im Jahre 1973 - das galt ja übrigens auch für die Abschwungphase 1966/67 - dank der internationalen Hochkonjunktur das Glück gehabt, das große Teile der Kapazitäten unserer Wirtschaft für den Export ausgenutzt und ausgeschöpft werden konnten. Ich meine, wir haben Anlaß, allen in der Öffentlichkeit zu sagen, daß das 1974 nicht mit Selbstverständlichkeit der Fall sein wird; es hängt davon ab, ob die internationale Hochkonjunktur - nicht zuletzt durch die Energieprobleme - eine weltweite Abflachung erfährt. Und letztlich wird unsere eigene Konkurrenzfähigkeit in einem verschärften internationalen Wettbewerb unter erschwerten Außenhandelsbedingungen entscheidend davon abhängen, wie die Kostensituation in unserer eigenen Wirtschaft aussieht.
Ich komme zum letzten Punkt: den Konsequenzen, die wir daraus zu ziehen haben.
Das erste: Es ist unsere feste Überzeugung, daß sich die Soziale Marktwirtschaft immer noch und immer wieder als das am besten geeignete System erwiesen hat und erweisen wird, mit Mangelerscheinungen und Wirtschaftsschwankungen fertigzuwerden und für ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit zu sorgen. Es hat sich aber auch gezeigt, daß die Soziale Marktwirtschaft einer kraftvollen politischen Führung durch die Bundesregierung bedarf. Und - entschuldigen Sie, daß ich das in dieser Offenheit sage - es ist gerade deshalb schlimm, daß die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit und Autorität durch eigene Fehler und durch ihre innere Zerstrittenheit zu einem gut Teil verloren hat.
Das zweite: Was Graf Lambsdorff und auch, glaube ich, der Herr Bundeswirtschaftsminister als die Doppelstrategie bezeichnet haben, unterstützen wir im Prinzip. An der Bemühung um die Wiedergewinnung der Stabilität muß nicht zuletzt im Interesse der Arbeitsplätze unter allen Umständen festgehalten werden. Um so wichtiger aber ist es, gezielt und schnell in den strukturgefährdeten Gebieten und Sektoren unserer Wirtschaft zu helfen. Wir bleiben daher dabei, daß unsere Vorschläge zur regionalen und sektoralen Strukturpolitik, unser Arbeitsplatz-Sicherungsprogramm, von der Regierung konsequent übernommen werden sollten. Zu einem Teil ist dies geschehen; aber hier gibt es noch weiteres nachzuholen.
Das dritte: Die von der Regierung immer wieder im Stich gelassene Bundesbank muß sicherlich grundsätzlich daran festhalten, mit ihrem Instrumentarium zur Wiedergewinnung der Stabilität beizutragen. Sie muß sich aber von der Illusion lösen, daß sie mit einem überzogenen Restriktionskurs fehlende Regierungsmaßnahmen kompensieren oder ihrerseits mit Aussicht auf Erfolg die Tarifpartner disziplinieren könne.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Müller-Hermann, halten Sie es wirklich für richtig, der Bundesregierung immer wieder vorzuwerfen, sie lasse die Bundesbank im Stich, und im gleichen Atemzüge gegen den erklärten Willen der Bundesbank dafür sorgen zu wollen, daß 8 Milliarden DM im Jahre 1974 an zusätzlicher Liquidität freigesetzt werden?
Ich bin durchaus auch offen für manche Kritik gegenüber der Bundesbank. Ich wollte gerade noch darauf hinweisen, daß ihre Restriktionspolitik ja weite Teile unserer mittelständischen Wirtschaft in ihrer Substanz bedroht und einen Konzentrationsprozeß beschleunigt hat, der nicht in unser aller Interesse liegen kann. Aber ich wiederhole, daß die Bundesbank sich ja deshalb zu dieser harten Kurspolitik hat entschließen müssen, weil sie bei der Regierung nicht auf Verständnis für die Forderung gestoßen ist, die Bundesregierung müsse sich in ihren Ausgaben einer angemessenen, antizyklischen Politik befleißigen.
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Insofern wiederhole ich, daß die Bundesbank von dieser Regierung im Stich gelassen worden ist.
Der vierte und für uns entscheidendste Punkt: Alle Gutachten und die Regierung selbst weisen immer wieder mit Recht darauf hin, daß für die weitere wirtschaftliche Entwicklung, sowohl für die Stabilität als auch für die Sicherung der Arbeitsplätze, Entscheidendes von dem Ausgang der Tarifverhandlungen abhängt. Aber, meine Damen und Herren, wir warnen die Koalition und die Regierung nachdrücklichst vor der Vorstellung, daß eine Disziplin bei den Tarifpartnern, daß die Opferbereitschaft der Tarifpartner erreichbar sei, wenn nicht der Staat selbst auch einen angemessenen Beitrag zur Wiedergewinnung der Stabilität leistet. Dieser Beitrag, meine Damen und Herren, muß eben darin bestehen, daß gerade in der jetzigen Situation der Bund, der Staat, auf Steuermehreinnahmen verzichtet, die inflationsbedingt sind, daß er darauf verzichtet, bei jeder Lohnerhöhung mehr zu kassieren und einen progressiv wachsenden Teil der privaten Einkommen wieder wegzusteuern.
Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß die Gewerkschaften, die sich sicherlich bei dem Bemühen um die Erhaltung der Realeinkommen in einer schwierigen Situation befinden, nur dann in der Lage sein werden, sich mit ihren Lohnforderungen maßvoller zu engagieren, wenn ihnen der Staat über ein entsprechendes Steuerentlastungsprogramm dafür die angemessene Hilfestellung gibt. Es war doch wohl für alle sehr überzeugend, daß gestern in einer Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens, die ich zufällig auch verfolgen konnte, nicht nur der Präsident der Arbeitgeberverbände - wo das vielleicht noch verständlich erscheinen könnte -, sondern auch der Vorsitzende des DGB, Herr Vetter, eindeutig erklärt hat: Jawohl, das ist ein vernünftiges Angebot; ich kann die Regierung nur auffordern, daß sie jetzt und schnell handelt,
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damit sich diese Aktion noch ini Bewußtsein der Arbeitnehmer niederschlagt.
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Meine Damen und Herren, seien Sie davon überzeugt und seien Sie sich dessen sicher: Wir werden dieses Steuerentlastungsprogramm das wir ja entsprechend der neuen Situation etwas modifiziert haben, nachdem Sie das Gesetz 1973 nicht verabschiedet haben - so lange propagieren, bis Regierung und Koalition - wie wir meinen - zur Vernunft gekommen sind.
Der Bundesfinanzminister argumentiert nun damit, er brauche ja diese Steuereinnahmen, um damit Konjunkturspritzen geben zu können.
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Das ist durchaus kein durchschlagendes Argument, Graf Lambsdorff, denn dafür hat er ja in den letzten Jahren Konjunkturrücklagen bilden können, um gezielte Spritzen geben zu können.
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Ich darf auch ohne jede Übertreibung und ohne jede Gehässigkeit anmerken, daß man wohl davon ausgehen darf, daß der Bürger im allgemeinen sorgsamer mit dem Geld umgeht als der Staat und daß wir auch aus dieser Sicht ein gutes Werk tun, wenn wir mehr Finanzmasse beim Bürger belassen. Und natürlich kann ich nicht umhin, hinzuzufügen, daß viel wichtiger als vermehrtes Geldausgeben im Augenblick die Wiederherstellung des Vertrauens in die Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit der Regierung ist. Und hieran fehlt es gegenwärtig am allermeisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in dieser Situation, wo es um die Sicherung der Arbeitsplätze ebenso geht wie um die Wiedergewinnung der Stabilität, in unserer eigenen Verantwortung unbeirrt das tun, was wir für richtig halten, aber wir werden im Interesse der Menschen in unserem Lande auch die Regierung dort unterstützen - das darf ich hier eindeutig feststellen -, wo wir es für richtig und für möglich halten.
Wir können der Bundesregierung allerdings das für sie sicherlich beschwerliche Bemühen nicht abnehmen, das verlorengegangene Vertrauen wiederzugewinnen. Und ich wiederhole, das Vertrauen in die Leistungskraft und Glaubwürdigkeit der Regierung ist ein ganz entscheidendes Element in einer Zeit, in der die Menschen unsicher geworden sind. Denn Tatsache ist, meine Damen und Herren, daß vieles, was als Energiekrise oder als Wirtschaftskrise dargestellt wird, im Grunde eine Vertrauenskrise dieser Regierung ist.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Müller-Hermann, als mein Partner im Ausschuß, Graf Lambsdorff, hier u. a. davon sprach, daß wir alle
lernen müßten, daß nicht mehr verteilt werden könne, als erwirtschaftet werde, da machten Sie den Zuruf: „Endlich! Endlich!". Ich habe diesen Ihren Zuruf mit großer Genugtuung gehört, weil ich daran die Hoffnung knüpfte - und fast 23 Minuten Ihrer Rede habe ich diese Hoffnung durchgehalten , daß Sie darauf verzichten würden, jenen aufgewärmten Vorschlag der Steuersenkungen wieder zum Vorschein zu bringen.
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Leider hat diese Hoffnung getrogen. Ganz zum Schluß, wie das Kaninchen aus dem Hut, kam dann nach diesem Zuruf und nach einer Reihe von Äußerungen Ihrerseits - auch Äußerungen Ihres Kollegen Russe von heute vormittag, die zutreffend die gegenwärtige Situation schilderten - der Vorschlag wieder, die öffentlichen Einnahmen 1974 um rund 8 Milliarden DM zu verringern. Wie sich das miteinander vereinbaren soll, wie das Rechenkunststück aufgehen soll, die öffentlichen Einnahmen um 8 Milliarden DM zu verringern, obgleich eine Fülle von öffentlichen Investitionen zusätzlich notwendig ist, gleichzeitig aber die Doppelstrategie der Bundesregierung auf ihrem schmalen Wege zwischen notwendiger genereller Stabilitätspolitik und differenzierter Expansionspolitik noch zu unterstützen, was Sie ja auch wollen, das hätte ich wenigstens gern in den letzten zwei Minuten Ihrer Ausführungen gehört, nachdem Sie 23 Minuten darauf verzichtet haben; leider haben wir, wie gesagt, darüber gar nichts gehört.
Auch Ihr Arbeitsplatzsicherungsprogramm, das Sie mehrmals zitiert haben, enthält weiterhin zusätzliche öffentliche Aufgaben - öffentliche Aufgaben, die auch im gleichen Umfang öffentliche Ausgaben erfordern.
Herr Abgeordneter Ehrenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Bitte!
Herr Dr. Ehrenberg, sind Sie bereit, zu sagen, um wieviel Prozent oder -in absoluter Summe - um wieviel D-Mark die Einnahmen des Staates infolge inflationärer Entwicklung gestiegen sind? Anders ausgedrückt: Um wieviel Prozent oder - in absoluter Summe - um wieviel D-Mark sind die Einnahmen des Staates infolge höherer Steueraufkommen gestiegen?
Ich habe meinen TaschenComputer nicht hier, sonst könnte ich Ihnen das in Prozentzahlen beantworten. Aber ich habe mir die Lehren von Herrn Müller-Hermann zu Herzen genommen, Prognosen möglichst nicht auf die Kommastelle genau abzugeben.
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- Nein, entschuldigen Sie, das sind keine Fakten; Ihre Frage zeigt eine völlige Faktenunkenntnis. Auch Sie sollten wissen, daß der Bundeshaushalt aus zwei Seiten besteht und daß Preissteigerungsraten nicht nur auf die eine, sondern auch auf die andere Seite durchschlagen. Deshalb stößt Ihre Frage völlig ins Leere und ist keine Fakten-, sondern eine rein rhetorische Frage, die Ihnen, wie die ganze Behauptung dessen, daß der Staat an dieser Entwicklung verdiene, in einer uninformierten Öffentlichkeit sicher immer großen Beifall bringen wird.
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Und nur dieses großen Beifalls wegen stellen Sie ja auch Ihre Forderung, die Sie doch selber, wenn Sie die Aufgaben, die vor der Wirtschaftspolitik 1974 liegen sehen, gar nicht ernst nehmen können.
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Herr Abgeordneter Ehrenberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Auch das.
Herr Kollege Ehrenberg, meinen Sie wirklich, daß diese Art der Behandlung dieses Themas dem Ernst gerecht wird, mit dem die Gewerkschaften jetzt konfrontiert sind? Haben Sie sich nicht einmal ausgerechnet, daß Sie,
wenn Sie diese 8 Milliarden DM auf der Lohnsteuerseite einbüßen, durch die Kostensenkung, die das gleichzeitig in den Unternehmen bedeutet, an Körperschaft- und Umsatzsteuer gewinnen, weil die ja ausgegeben werden? Haben Sie das in Vergleich gesetzt und dann festgestellt, daß die 8 Milliarden DM, die Sie hier im Munde führen, um einen erheblichen Prozentsatz zurückgehen?
Herr von Bismarck, Sie unterstellen hier einen Zusammenhang, der durch nichts bewiesen ist.
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- Das ist keine Alternative, weil das an der Realität der Tarifautonomie in diesem Lande völlig vorbeigeht. Doch ich glaube, daß wir darüber nicht länger debattieren sollten. Dieses Thema haben wir im Wirtschaftsausschuß wiederholt sehr ausführlich und, wie ich glaube, sehr gründlich behandelt; ich darf Sie an den gestrigen Beitrag des Vorsitzenden der Industiegewerkschaft Bergbau und Energie erinnern. Ich glaube nicht, daß Sie in der Lage sein werden, jetzt durch Zwischenfragen im Plenum zu beweisen, was zu beweisen Ihnen im Ausschuß mit Ihren Argumenten nicht gelungen ist.
Herr Abgeordneter Ehrenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller- Hermann?
Bitte!
Herr Kol- lege Ehrenberg, wollen Sie denn wirklich an der Tatsache vorbeigehen, daß eine Steuerentlastung, die sich um 3 % oder 4 °/o der Bruttolohnsumme bewegen würde, es den Gewerkschaften außergewöhnlich erleichtern würde, sich mit ihren Lohnforderungen mehr zurückzuhalten und damit auch den Kostendruck auf die Wirtschaft zu mindern?
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Ich bezweifle, daß das bei dem gegenwärtigen Zustand der Tarifvertragsverhandlungen so wirken kann. Aber selbst wenn diese Frage positiv zu beantworten wäre, was ich aus meiner nicht geringen Kenntnis von Tarifverhandlungen bezweifle, so befreit Sie dies nicht davon, zu beantworten, wie die staatlichen Ausgaben, die ja steigen und nicht sinken, finanziert werden sollen, wenn diese 8 Milliarden DM fehlen.
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- Die fehlen! Sie werden sich noch wundern, wenn Sie die Zahlen der nächsten Steuervorausschätzungen sehen, wie die wirtschaftliche Entwicklung auf die Steuereinnahmen durchschlägt.
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Gerade Sie, Herr Müller-Hermann, würde ich gerne an etwas erinnern. Sie haben vorhin sehr massiv davon gesprochen, daß die Bundesregierung die Schwierigkeiten, die jetzt bestehen, selbst zu verantworten habe, denn sie habe zu wenig Stabilitätspolitik betrieben. Sie selbst waren es, der am 16. Mai vergangenen .Jahres zum Stabilitätsprogramm gesagt hat, die vorgesehene Drosselung der privaten Konsumnachfrage reiche nicht aus. Sie wollten also damals mehr und massivere Maßnahmen. Es ist noch keine neun Monate her, daß Sie selsbt das gefordert haben, und jetzt fordern Sie genau das Gegenteil davon. Entschuldigen Sie, ich kann diese Forderung nicht ernst nehmen.
Sie haben vorhin sehr oft auf das Sondergutachten des Sachverständigenrates hingewiesen. Ich möchte einen Satz daraus zitieren - ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten tun -, der lautet:
Zurückhaltung in allen Bereichen ist unumgänglich; bei den privaten und öffentlichen Investitionen allerdings weniger als beim privaten Verbrauch.
Vor dieser vom Sachverständigenrat sehr richtig gesehenen Notwendigkeit des Vorrangs der Investitionen kann doch wohl kein Ökonom und kein Wirtschaftspolitiker Ihren Vorschlag ernst nehmen.
Herr Abgeordneter Ehrenberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Zu diesem Thema die letzte.
Sehr verehrter Herr Kollege Ehrenberg, wir müssen das Thema weiter ausdiskutieren, aber dafür ist hier nicht der Platz. Wollen Sie mir nicht wenigstens darin recht geben und mir das entsprechend den Tatsachen bestätigen, daß leider trotz der Geldschwemme, in der der Staat in den letzten Jahren gelebt hat, der Anteil der investiven Ausgaben ständig zurückgegangen ist?
Der Anteil der investiven Ausgaben ist nicht ständig zurückgegangen, sondern hat in den letzten Jahren stagniert und ist dann etwas abgeflacht,
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aber genau auf Grund einer Entwicklung, Herr
Müller-Hermann, die Sie jetzt noch fördern wollen.
Lassen Sie mich nun von diesem auch von Ihnen nicht ernst gemeinten Thema abgehen.
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Ich halte Sie für einen viel zu guten Ökonomen, als daß Sie so etwas kreislauftheoretisch Unsinniges ernst nähmen. Lassen Sie mich zu dem zurückkehren, was Kollege Graf Lambsdorff hier schon als Doppelstrategie der Bundesregierung bezeichnet hat. Ich meine, daß diese Doppelstrategie, dieser Versuch gezielter Investitionsförderung bei genereller Aufrechterhaltung der Stabilitätspolitik sehr notwendig ist. Ich meine aber, daß es genauso notwendig ist, daß die Bundesregierung ihre Beschlüsse vom 19. Dezember 1973 jetzt beschleunigt und forciert durchführt. Das kann die Bundesregierung nicht allein. Sie braucht für jene über die Aufhebung eines Teils des Stabilitätsprogramms hinausgehende Maßnahmen die aktive, schnelle und zügige Unterstützung der Landesregierungen, vor allen Dingen, wie ich glaube, für die sehr wichtigen Programme, das Zusatzprogramm zur Aufhebung der Streckung der Mittel aus den Gemeinschaftsaufgaben, das Programm zur Vorbereitung von gezielten Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur in strukturschwachen Gebieten und die Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Gewährung zinsgünstiger Kredite. Dies ist nur in sehr engem Zusammenwirken von Bund und Ländern durchzuführen. Ich möchte die Landesregierungen darum bitten - dies dringt vielleicht trotz der leeren Bundesratsbank in die Landesregierungen -, bei diesen Programmen jetzt nicht länger auf der Referentenebene um Quoten und Konditionen zu feilschen, sondern sehr schnell an die Durchführung der Programme zu gehen. Das ist zur Zeit eine der vorrangigsten und wichtigsten Aufgaben. Diese sektorale und regionale Differenzierung der Globalsteuerung, die mit diesen beiden Programmen angesetzt ist, muß sehr schnell durchgeführt werden.
Ebenso schnell muß die Deutsche Bundesbank, glaube ich, ihren Part innerhalb dieser Doppelstrategie etwas deutlicher übernehmen, als sie es
bisher getan hat. Es ist richtig, daß generell die Zeit für eine völlig expansive Geldpolitik zu früh wäre. Andererseits muß die Bundesbank sich in ihrer eigenen Verantwortung, die ihr durch Gesetz gegeben ist, sehr sorgfältig überlegen, daß sie nicht nur für den Geldwert, sondern in gleichem Maße für alle Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes verantwortlich ist. Die regionalen Arbeitslosenzahlen - in Niedersachsen gibt es eine Schwankungsbreite von Osnabrück bis Ostfriesland von 1,5 bis 7,5 % -, die die Bundesregierung veranlaßt haben, diese regional gezielten Programme vorzubereiten, müssen auch der Bundesbank deutlich machen, daß mehr als im vergangenen Jahr der Kostencharakter eines hohen Zinsniveaus zu beachten ist und daß es bei aller Rücksichtnahme auf das Weltzinsniveau, von dem sich die Bundesrepublik Deutschland nicht in einem großen Abstand entfernen kann, richtig sein dürfte, zumindest im kurzfristigen Bereich ein deutliches Signal zu geben, daß in den nächsten Wochen Zinsen nach unten und Liquidität nach oben zu tendieren haben. Das würde ich gerne von dieser Stelle an die Adresse der Deutschen Bundesbank aussprechen.
Gestatten Sie mir zum Abschluß noch eine Berner-kung zu Herrn Russe, der in seinen Ausführungen hier gesagt hat, er begrüße es, daß die ordnungspolitische Diskussion eine neue Qualität bekommen hat. Ich begrüße das auch; ich meine aber, wir sind einen Schritt weiter. Es hat nicht nur die ordnungspolitische Diskussion eine neue Qualität bekommen, sondern diese Marktwirtschaft muß eine neue Qualität bekommen, eine Qualität, in der langfristige Planung und staatliche Datensetzung nicht mit Mißtrauen und als am Rande liegend betrachtet werden, sondern als unabdingbarer Bestandteil dieser marktwirtschaftlichen, aber sozial gebundenen Wirtschaftsordnung. Das, glaube ich, ist notwendig.
Ich würde in diesem Zusammenhang gerne zwei Sätze zitieren, die ich für diese neue Qualität der Marktwirtschaft, gerade bezogen auf die Energieversorgung, für sehr beachtlich halte. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus einem mir vorliegenden Manuskript zitieren:
Auch ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft und des liberalen Welthandels muß sich überzeugen lassen, daß die Energien aller Art nicht Waren im üblichen Sinne sind.
Es heißt dann weiter:
Energie kann deshalb nicht ausschließlich nach den Grundsätzen des freien Wettbewerbs und der Marktwirtschaft behandelt werden.
Ein Zitat, meine Damen und Herren, aus einer kürzlich gehaltenen Rede des sicher doch auch bei Ihnen hochgeschätzten Kollegen Professor Burgbacher, ein Zitat, das ich voll unterschreibe. Die Bundesregierung wird sich bei der Fortschreibung ihres Energieprogramms aus guten Gründen danach richten können, daß Energieversorgung nicht etwas ist, was man den Kräften des Marktes allein überlassen kann, sondern daß hierzu mehr notwendig ist. Dazu gehört auch der im Entstehen begriffene nationale Ölkonzern. Gestatten Sie mir, da heute schon einiges über vergangene Sünden gesagt wurde, hierzu eine
letzte Bemerkung: Dieser Ölkonzern wäre leichter zusammengekommen, wenn Ihre Mehrheit nicht 1965 die Veba unter 50 % herunterprivatisiert hätte.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn wir in einem Zeitraum von nur zwei Monaten bereits zum zweiten Mal über Energie- und Wirtschaftspolitik diskutieren, scheinen mir zwei Begriffe, die nicht ganz identisch sind, wechselweise als Synonym verwendet worden zu sein, nämlich die Begriffe „Energie" und „Öl". Es ist abwechselnd von einer Energiekrise und einer Ölkrise die Rede.
Meiner Meinung nach ist es wichtig festzuhalten, daß ein Unterschied besteht; denn Energie - auch das ist bereits sehr deutlich geworden - ist etwas fundamental Wichtiges, Erforderliches für das Funktionieren einer jeden Volkswirtschaft. Sie ist neben den bekannten Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Rohstoffen - ganz allgemein gesprochen - so etwas wie ein neuer, der vierte Produktionsfaktor, auf den man nicht verzichten kann.
Auf der anderen Seite leistet das 01 als Energieträger einen Beitrag zur Energieerzeugung, ist aber gleichzeitig auch ein Rohstoff unter anderen, im Hinblick insbesondere auf die Produktion in der Chemie gesagt werden muß, damit man in der Analyse so klar vorgeht, daß Denkfolgerungen und politische Aktionen entsprechend deutlich werden.
In der ersten Energiedebatte - sie fand, wenn ich mich recht erinnere, am 19. November statt standen mehr die kurzfristigen Maßnahmen im Vordergrund, nämlich die Maßnahmen einer effektiven Krisenbewältigung, und das Grundsätzliche, die weltweiten Aspekte schimmerten nur hier und da durch. Das ist in der heutigen Debatte nach meinem Dafürhalten sehr viel deutlicher herausgekommen, und zwar auf der Grundlage der Unterlagen, die uns zwischenzeitlich zugegangen sind: Sondergutachten und umfassende Information in einer abgeklärten Regierungserklärung.
Aber im Hintergrund steht und stand unerwähnt das Energieprogramm der Regierung. Wenn man Herrn Kollegen Russe heute morgen hier sprechen hörte, konnte man den Eindruck haben, daß von seiten der CDU in den letzten Wochen viel Neues und Sensationelles vorgebracht worden sei. Aber wenn man genau hinsieht, stellt man fest, daß die meisten Dinge bereits im Energieprogramm der Regierung verankert waren.
Das vorliegende Sondergutachten wird von der FDP als sehr hilfreich bewertet, wenn es auch, wie es gar nicht anders sein konnte, eine sehr schnelle Arbeit ist. Dieses Sondergutachten hat nach meiner Meinung für diejenigen, die in der Politik Entscheidungen treffen müssen, die Situation sehr verdeutlicht. Wir dürfen aber nicht verkennen, daß in diesem Gutachten aus einem bestimmten Krisenbild
heraus Annahmen gemacht worden sind, die für die weitere Analyse und Prognose über ein ganzes Jahr hinweg zugrunde gelegt wurden. Wir können heute Gott sei Dank feststellen, daß es Anzeichen dafür gibt, daß dieses Krisenbild nicht unbedingt für ein ganzes Jahr als gültig unterstellt werden kann.
Hilfreich sind aber die Darstellung der Wirkungen eines abnehmenden Wirtschaftswachstums durch Verringerung der Produktionsmöglichkeiten und der Hinweis auf die Gefahr eines höheren Preisniveaus. Die Antwort darauf sie ist heute mehrfach erwähnt worden - kann nur eine Doppelstrategie sein; denn sowohl Wirtschaftswachstum als auch ein stabiles Preisniveau sind zwei ganz bedeutende gesamtwirtschatliche Zielsetzungen.
Was aber in diesem Gutachten nicht enthalten sein konnte, ist eine detaillierte Analyse beispielsweise der regionalen und sektoralen Wirkungen. Da wir in einem föderalistisch strukturierten Bundesstaat leben, liegt hier, wie ich meine, ein gedankliches und praktisches Betätigungsfeld für alle Länderminister, um das Denkangebot regional und sektoral weiter auszuformen. Meiner Meinung nach sollte man nicht allzu gebannt auf den Bundeswirtschaftsminister schauen, sondern mit der Arbeit in den einzelnen Bundesländern zügig und ergänzend vorankommen.
Überhaupt habe ich den Eindruck, daß nach einer leichten Entspannung der Versorgungssituation, für die es Anzeichen gibt, das Denken in Richtung einer sicheren und preiswerten Energieversorgung keineswegs eingestellt werden sollte. Die Debatte hat auch weitere Beispiele dafür geliefert. Mir erscheint es recht erfreulich, daß vielleicht auch das Ministerium von mancher Ad-hoc-Arbeit - Sonntagsfahrverbot und vieles andere - etwas stärker entlastet wird, um sich den grundsätzlichen und für die zukünftige politische Verhaltensweise wichtigen Entscheidungen widmen zu können. Denn nach wie vor sehen wir uns ja einer ungleichgewichtigen Machtstruktur mit einem sehr strikten staatlichen Angebotskartell auf der einen Seite und sehr uneinigen Verbraucherländern auf der anderen Seite, aber auch nationalen und internationalen Konzernen mit anderen Verhaltensweisen gegenüber. Mir scheint das ein kräftemäßiges Mißverhältnis zu sein, das zur Zeit für die Verbraucherländer, für die großen Abnehmerstaaten negativ zu Buch schlägt. Das betrachte ich als grundsätzliche Problematik, die noch weit genauer analysiert werden muß, damit man auch zu einer Antwortstrategie kommt.
Kollege Graf Lambsdorff hat ja bereits auf einen zweiten wesentlichen Faktor hingewiesen: daß vermutlich die Preisstrategie der Ölförderländer bis hart an die Untergrenze des Substitutionspreises für andere Energieträger hochgezogen werden kann. Ich halte das für richtig. Nur, glaube ich, muß auch hier weiter gedacht werden: welche Bedeutung beispielsweise der Zeitfaktor bei solchen Entscheidungen haben kann. Man könnte vielleicht vom Preis her den Gedanken haben, zu substituieren. Weil aber das Umstellen auf andere Anlagen, auf andere Energieträger auch Zeit erfordert, läßt man es möglicherweise, so daß von daher doch immer ein bißchen
höher als nur unterhalb dieser Grenze operiert werden kann. Wie sich das im längerfristigen Trend einmal auswirkt, scheint mir schon eine besondere Analyse wert zu sein, um zu passablen Antworten zu kommen.
Ein Drittes, vielleicht als Anregung - das kann gar nicht anders sein, wenn man hier als einer der letzten Redner am Pult steht und vieles Gute schon gesagt worden ist -: die Analogie zu anderen Rohstoffen. Ich erwähnte eingangs: Ö1 ist nur e i n Rohstoff, wenn auch ein ganz besonders wichtiger. Aber ich glaube, es wäre nicht nur für das Funktionieren unserer Wirtschaft, sondern auch für die Bewußtseinshaltung unserer Bevölkerung sehr wichtig, umfassend darüber informiert zu werden, von welchen anderen „Schwellenrohstoffen", wie ich sie einmal nennen möchte, wir in welchem Maße abhängig sind und wie sich dort möglicherweise Angebots- und Reaktionsverhalten entwickeln könnten. Ich glaube, daß solch eine ehrliche Informationspolitik, wie sie ja gerade in den letzten Wochen im Bereich der Energiepolitik betrieben worden ist, in der Bevölkerung eine sehr wohltuende Wirkung ausüben kann.
Bei dem Thema der Rohstoffe, auf die ein Industriestaat intensiv angewiesen ist, gibt es ja, wie mir scheint, zwei Problemrichtungen: einmal die Frage der generellen Knappheit von Rohstoffen, die ja in einem populären Werk sehr deutlich beschrieben worden ist, zum anderen aber auch die Frage der politisch gemachten Knappheit von Rohstoffen. Dieser zweite Problembereich ist ja insbesondere in der politischen Dimension von besonderer Bedeutung. Ich vermute, daß 01- und Energiepolitik und Rohstoffpolitik überhaupt in der Außenpolitik und in den entwicklungspolitischen Aktivitäten aller Staaten in Zukunft einen noch gewichtigeren Platz erhalten werden. Auch wir werden unsere Entwicklungshilfepolitik, wie ich meine, unter diesen gegenseitigen Abhängigkeiten zu überdenken haben. Es steht nirgends geschrieben, daß es nur arme und reiche Länder auf der Welt geben kann oder auch nur Rohstoff- und -produzentenländer auf der anderen Seite. Ich meine, diese simple Einteilung der Staaten auf diesem Globus nähert sich dem Ende. Wir tun wohl gut daran, im Hinblick auf die richtig verstandenen gegenseitigen Interessen sowohl der Entwicklungsländer als auch der Industriestaaten diesen Problembereich etwas genauer zu durchdenken.
Herr Müller-Hermann, Sie haben, glaube ich, gesagt, man könne nie wissen, wie die Entwicklungsländer einmal die Konjunkturlage im Rohstoffbereich ausnutzen würden. Ich meine, dies ist nicht nur eine Funktion der Konjunktur, sondern überhaupt des gesamten weltpolitischen Klimas, in dem die Entwicklungshilfe, so unpopulär sie für den einen oder anderen auch immer sein mag, eine bedeutende Rolle zu spielen scheint. Gerade weil sie manchmal noch so unpopulär ist, müßten wir gemeinsam dafür eintreten; denn für Entwicklungshilfe gibt es keine Alternative. Aber wir müssen genauer darüber nachdenken, wie sie realistisch und den jeweiligen Interessenlagen entsprechend ausgeformt und praktiziert werden sollte. Das scheint mir die entscheidende Fragestellung der zweiten Entwicklungsdekade zu sein: nicht das Ob, sondern das Wie.
Aber auf dem Wege zu einer Besserung der energiepolitischen Situation wird es sicherlich einer ganzen Portion Solidarität bedürfen, allerdings keiner Solidarität, die in eine Konfrontation mit Rohstoffländern ausarten darf. Wir müssen vielmehr über die Solidarität zur Kooperation kommen. Das gilt sowohl für die Politik in der Europäischen Gemeinschaft als auch für die Initiativen, die hoffentlich von der Energiegipfelkonferenz in Washington ausgehen werden. Daß man nicht auf eine solche Konfrontation aus ist, muß, glaube ich, deutlich gemacht werden. Das erfordert aber zuvor Solidarität. Es wäre nicht gut, wenn es bei der Verknappung eines eminent wichtigen Rohstoffes weltweit zu einem Wettbewerb von Gunstbeweisen gegenüber einigen Ländern mit dem Ziel kurzfristiger Erfolgshascherei käme. Es macht auf mich auch einen etwa. merkwürdigen Eindruck, wenn auf der einen Seite bei den Verhandlungen über den Regionalfonds von Europa gesprochen und der europäische Gedanke zu Recht sehr betont wird, aber auf der anderen Seite Energiepolitik, wie mir scheint, noch egoistisch, national und recht kleinkariert betrieben wird, vielleicht nicht zuletzt auch auf dem Hintergrund, daß man in seiner Position auf den Weltmärkten graduelle Vorteile zu erzielen hofft.
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- Wenn ich recht haben sollte, würde ich aus meiner Sicht nicht „leider" sagen.
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Auf dem Wege, wie ich ihn mir denken könnte, nämlich über verstärkte Solidarität zu einer Kooperation in Energie- und Rohstoffangelegenheiten zu kommen, kann allerdings Sparen keineswegs etwas Verkehrtes sein; im Gegenteil. Dem Sparen sollten wir in Zukunft stärkere Aufmerksamkeit widmen; das ist von einigen meiner Vorredner bereits angesprochen worden. Ich glaube, es gibt vielfältige Möglichkeiten zu sparen, ohne daß das Wohlstandsniveau, an das wir bisher gewöhnt waren, vernachlässigt wird. Wir würden vielmehr durch einen pfleglicheren, sorgfältigeren und technisch durchdachteren Umgang mit manchen Maschinen und Apparaten einiges erreichen. Allerdings hat Herr Russe, wie ich glaube, bei dem Beispiel, das er erwähnte, nämlich die Isolierung im Baugewerbe zu verbessern, mit dem Appell an den Bonner Wirtschaftsminister den verkehrten Adressaten gewählt.
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Mir scheint das in erster Linie, soweit ich aus der Kommunal- und Landespolitik darüber informiert bin, eine Aufgabe der Landespolitik - die Bauordnungen werden in der Kompetenz der Länder verabschiedet - zu sein, wobei ich nicht bestreiten möchte, daß der ganze Komplex, das ganze Thema, weitaus vielschichtiger ist. Aber auch das wäre ein Bereich, wo man nicht nur gebannt auf die Hauptstadt schauen sollte, sondern wo man vielleicht
auch einmal in den einzelnen Länderhauptstädten, Länderparlamenten und -regierungen etwas aktiver werden könnte.
Zum anderen scheint es mir begrüßenswert zu sein, daß in der jetzigen, etwas entspannten Energieversorgungssituation das Fahrverbot aufgehoben wurde; denn ich habe den Eindruck, daß Fahrverbote, die die Neigung zu haben schienen, immer sophistischer zu werden, nicht mehr den Spareffekt hätten erzielen können, den sie zunächst einmal gehabt hatten. Angesichts einer leicht verbesserten Versorgungssituation erscheint eine klare Entscheidung hier sehr begrüßenswert. Sie ist mit der Hoffnung verbunden, daß die Bevölkerung den bisherigen Grad an sparsamer Energieverwendung freiwillig beibehalten wird. Es stünde ja schlecht um diese Gesellschaft, um diesen Staat, wenn alles nur per Verbot dekretitiert werden müßte und nicht auch aus Einsicht das eine oder andere Vernünftige geleistet werden könnte.
Ein letztes zu dem Thema Sparen, und zwar zur Frage der Bevorratung. Ich halte es für richtig, daß das Bevorratungsgesetz, das wir hier ja bereits in erster Lesung beraten haben, schnell weiterberaten wird, daß aber auch der ursprüngliche Gedanke, eine eigene Bundesrohölreserve von 10 Millionen t aufzubauen die zwischenzeitlich nur 4 Millionen t
betragen soll , im Lichte dieser neuen Situation und Erkenntnisse wieder überprüft werden sollte.
Herr Kollege, ich muß Sie an den Ablauf der Redezeit erinnern.
Ja, vielen Dank. Ich komme zum Schluß.
Ich habe den Eindruck, daß sich eine Energieära wirklich dem Ende zuneigt, daß, wie umfangreich auch immer die sogenannte Krise gewesen sein mag, eine Rückversetzung in den alten Stand nicht mehr möglich sein wird und daß die Energiepolitik der Zukunft sehr stark unter den Leitgedanken sowohl verstärkter Technologie als auch der Diversifikation der Energieträger, als auch der Diversifikation der Bezugsländer für die einzelnen Energiearten stehen wird.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Friderichs.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte kurz auf einige Beiträge aus der Debatte antworten und vorab bemerken, Herr Abgeordneter Russe, daß mein Ressort an der Erarbeitung des nichtnuklearen Forschungsprogramms unter der Federführung des Kollegen Ehmke selbstverständlich beteiligt war, daß dieses Programm nicht nur meine volle Zustimmung findet, sondern auch vom Kabinett abgesegnet wurde und damit ein Programm dieser Bundesregierung ist. Schon daher ist eine Besorgnis, daß es mit Zahlen aus dem alten
Energieprogramm und deren möglichen Fortschreibungen nicht kongruent sein könne, gegenstandslos.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle, daß ich mich hinsichtlich der Frage der Förderzahl auf das berufe und beziehe - außer dem, was ich selbst eingangs gesagt habe -, was Herr Abgeordneter Schmidt gesagt hat, als er ausführte, er habe die Regierungserklärung so verstanden, daß auch die Regierung über diesen Punkt nachdenke, aber auch offenbar davor zurückscheue, zu früh etwas zu tun, weil dieser Eckwert - so sagte er wörtlich - für Wirtschaft und Menschen glaubhaft, zuverlässig und sicher sein müsse.
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Er fügte hinzu: Aber es darf nicht eine neue Enttäuschung sein für die Menschen, die in diesem Wirtschaftszweig geboren werden; sie sind schon zu oft enttäuscht worden. Ich kann dem nur uneingeschränkt zustimmen. Deswegen lehne ich es auch ab, jeweils die Zahl zu nennen, die gerade die Förderzahl ist. Das ist nicht verantwortlich. Wir sind in der Vergangenheit damit nicht gut gefahren.
Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß sich hinter dem Disput der beiden Abgeordneten dieses Hohen Hauses eigentlich mehr als ein bißchen Energiepolitik verbirgt, nämlich die Philosophie des Politikmachens in diesen Tagen. Was meine ich damit? Ich finde es eine herausragende, beachtenswerte respektable Leistung, daß der Vorsitzende der zuständigen Einzelgewerkschaft in einer solchen Form der Versuchung widerstanden hat, hier mit populären, aber mittelfristig falschen Ausführungen um die Gunst der Massen zu buhlen.
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Dies muß hier deutlich gesagt werden. Ich finde, es ist eine unvorstellbare Leistung, sich hierher zu stellen und angesichts einer schon mit einem kleinen Funken entzündbaren Kohleeuphorie dazu beizutragen, daß auch in dieser Lage die Beurteilung mit Vernunft geschieht, unter bewußtem Verzicht auf einen vordergründigen und daher meistens falschen Beitrag. Ich habe die Hoffnung, daß alle in diesem Hause, einschließlich der Opposition, der Versuchung widerstehen, jeweils die Zahl zu nennen, die im Augenblick gerade angenehm ist. Das waren einmal 140 Millionen t, und das waren - nun muß ich das sagen, was ich mir heute morgen verkniffen habe - wenige Wochen vor der Bundestagswahl --- ich bin bereit, Roß und Reiter und Ort zu nennen, aus denselben Reihen - 100 Millionen t. Es ist eben immer die Zahl, die gerade gern gehört wird, weil sie nichts an Schwierigkeit beinhaltet.
Ich bin der Meinung, daß wir mit großer Sorgfalt an die Frage herangehen müssen, ob diese Zahl energiepolitisch und gesamtwirtschaftlich stimmt. In diesem Prozeß wird die Bundesregierung angesichts der Ungewißheit der Preisentwicklung für Konkurrenzprodukte - denn davon hängt es doch auch ab, ob der Ölpreis sich bei 10, 12, 15, 17 oder noch mehr Dollar pro barrel irgendwann einmal einpendelt - dies beobachten müssen, bevor sie an die Fortschrei4574
bung geht. Deswegen konnte in einer Regierungserklärung dazu keine neue Zahl enthalten sein, es sei denn eine fahrlässig zustande gekommene.
Aber der Bundeswirtschaftsminister selbst ist gerne bereit, Ihnen zu sagen, worüber er in diesem Zusammenhang nachdenkt. Er denkt einmal darüber nach, daß die seinerzeitige Zahl von 83 Millionen t unter der damaligen Situation eine ehrgeizige Zahl war, zwar von unten aufgebaut - Elektrizitätswirtschaft, Hausbrand, Kokskohle-Export aber nur erreichbar mit einem beachtlichen Ausmaß an staatlicher Subvention damals - ich betone: damals - angesichts der Wärmepreisdifferenz zwischen Kohle und den Konkurrenzenergien. Dies hat sich nachhaltig geändert, und wir werden bei der Überprüfung dieser Zahl - Überprüfung kann ja wohl nur heißen, Überprüfung in Richtung einer möglichen Erhöhung - berücksichtigen müssen, welche Absatzbereiche und Einsatzbereiche der deutschen Steinkohle echte Versorgungssicherheitsbereiche sind und welche volkswirtschaftlich anders zu bewerten sind.
Was will ich damit sagen? Wenn wir eine bestimmte Menge exportieren, über 20 Millionen t, und zum Export subventionieren, dann trägt diese Menge zur Sicherheit der Versorgung in unserem Lande nicht bei. Seien wir doch ehrlich: Wir haben doch die 83 Millionen t einschließlich des staatlich gestützten Exports nicht nur und so habe ich das damals gesagt - aus Gründen der Energiesicherheit gemacht, sondern auch aus regional- und sozialpolitischen Gründen, insbesondere in einer schwierigen Region unseres Landes. Das will ich damit sagen.
In diesem Zusammenhang wird bezüglich der deutschen Stahlindustrie, die wir bisher vom Weltmarkt bewußt fernhalten und bewußt ferngehalten haben und dieses bewußte Fernhalten müssen wir aus dem Bundeshaushalt insgesamt 1973 mit 535 Millionen DM an die Stahlindustrie honorieren, das sind die Fakten! , auch die Frage zu prüfen sein, ob man dieses Fernhalten unter Umständen etwas auflockern kann, und diese halbe Milliarde DM zur Sicherung der eigenen Energieversorgung zu nutzen, z. B. durch einen verstärkten Einsatz deutscher Steinkohle zur Verstromung, unter Umständen im Zusammenhang mit dem Programm des Kollegen Ehmke, nämlich über die Vergasung sei es Druckvergasung oder etwas anderes - einen rationelleren, einen umweltfreundlicheren Einsatz zu bieten, ja vielleicht sogar - ich schließe das alles gar nicht mehr aus - von der Wettbewerbsseite her mit diesen neuen Verfahren - die nämlich billiger sein können, nicht nur umweltfreundlicher - in der Lage zu sein, dem hoch gestiegenen Preis für schweres Heizöl ohne staatliche Subventionen eine echte Konkurrenz entgegenzusetzen und damit Einsatzverschiebungen vorzunehmen. Das alles ist in der Diskussion.
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Ich bin dankbar, daß der Abgeordnete Schmidt ich sage noch einmal: für einen Vorsitzenden der betroffenen Gewerkschaft weiß Gott nicht einfach
in dieser bemerkenswerten Verantwortung für die mittelfristig richtige Politik auf vordergründigen Beifall verzichtet hat.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung. In der Presse ist heute zum Teil zu lesen, daß die Zufuhren in die Bundesrepublik an Mineralöl und Erdgas aus der Sowjetunion den getroffenen Vereinbarungen nicht entsprechen. Im Hinblick auf die Tatsache, daß sich der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des sowjetischen Teils der gemischten deutsch-sowjetischen Kommission für wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit in der Bundesrepublik aufhält, möchte ich dazu etwas sagen.
Auch wir hatten derartige Meldungen, und zwar auch widersprüchlicher Art. Wir haben uns daraufhin bemüht, die Dinge aufzuklären. Im Hinblick auf die Anwesenheit dieses hohen Gastes aus der Sowjetunion möchte ich mir erlauben, das zu sagen, was wir heute ermitteln konnten.
Nach Auskunft des Alleinimporteurs sind von der Kontraktmenge in Höhe von 3,5 Millionen t 1973 insgesamt 3 263 000 t in die Bundesrepublik geliefert worden. Die Fehlmenge beträgt nach dieser Auskunft des Alleinimporteurs 6,77%.
Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft hat die Direkteinfuhr aus der UdSSR nur mit 2 241 000 t angegeben. Dazu kommen aber Einfuhren in Höhe von 493 565 t über sowjetische Vertretungen in London und Paris, so daß sich die Gesamtmenge auf 2 734 000 t beläuft. Die dann noch verbleibende Diskrepanz zwischen der vom Alleinimporteur angegebenen Zahl und der Zahl, die das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft festgestellt hat, in Höhe von 529 000 t erklärt sich durch Tauschgeschäfte: russisches Ö1 gegen 01 aus einem anderen Land in Finnland. Daher sind entgegen Pressemeldungen auch im November 272 000 t und im Dezember 279 000 t Rohöl aus der UdSSR geliefert worden.
Ich möchte gleich sagen: Wir sind in den letzten Tagen ähnlichen Informationen erlegen wie ein Kollege dieses Hauses, der sich ebenfalls dazu geäußert hat. Das lag eben daran, daß die Informationen vom Verarbeiter und vom Alleinimporteur und vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft unterschiedlich waren, weil insbesondere die im Ausland ausgetauschten Mengen in der Statistik unterschiedlich erschienen sind. Ich möchte den Vorgang nicht bewerten. Aber ich fühlte mich verpflichtet, anläßlich der Anwesenheit des stellvertretenden Ministerpräsidenten dieses Landes in unserem Land und angesichts schwebender Energieverhandlungen dies hier schlicht und einfach zur Kenntnis zu bringen.
Zweitens. Bei den sowjetischen Erdgaslieferungen, die am 1. Oktober 1973 termingerecht aufgenommen worden sind, haben sich im letzten Quartal 1973 Anlaufschwierigkeiten ergeben. Die Firma, die damit befaßt ist, sagt, sie seien eindeutig technisch bedingt gewesen - ich gebe das hier wieder - und bei derartigen Kontrakten auch durchaus nicht ungewöhnlich. Die sowjetischen Erdgaslieferungen erfolgten in diesem Zeitraum nicht immer zu dem vertragsgemäßen Druck der Leitung. Dies hat im Jahr
1973 zu einer mengenmäßigen Minderbelieferung von etwa 10 % der Vertragsmengen geführt. Die Anlaufprobleme hatten auf deutscher Seite keine Versorgungsschwierigkeiten zur Folge. Soweit überhaupt Ausfälle eintraten, konnten sie aus anderen Quellen gedeckt werden. Nach Meinung des Importeurs, der Ruhrgas, und der angeschlossenen Gesellschaften ist dies bei einem solchen Geschäft nicht ungewöhnlich.
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Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Wir fahren dann mit der Fragestunde fort.
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Vizepräsident von Hassel: Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 7/1510
Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zunächst rufe ich die Frage 103 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
welche Betrage hat die Bundesregierung in welchem Haushaltsjahr für die einzelneu Aufträge ausgegeben, die sie im Zusammenhang mit der vorn Presse- und Informationsamt in verschiedenen Zeitungen zum Jahreswechsel veröffentlichten persönlichen Anzeige des Bundeskanzlers erteilt hat?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär von Wechmar.
Herr Abgeordneter, die Kosten für die Anzeige werden voraussichtlich 972 000 D-Mark betragen. Eine Endabrechnung liegt noch nicht vor. Zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 - Kap. 04 03 Tit. 531 03 wurden rund 772 000 D-Mark bereits verausgabt.
Zumindest zur Klarstellung, Herr Abgeordneter, muß ich noch darauf hinweisen, daß es sich nicht um eine „persönliche Anzeige des Bundeskanzlers" handelt, sondern um eine optimale Form der Unterrichtung der Bevölkerung durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung,
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wie es nach seiner Aufgabenstellung und dem Vorspruch aus dem Haushaltsgesetz seine Pflicht ist.
Zur Gesamtproblematik, die sich in Ihrer Frage niederschlägt, möchte ich die von einem meiner Vorgänger im Amt vorgetragene Auffassung der Regierung Ludwig Erhard zitieren, die 1965 zu einer Anzeigenaktion unter dem Titel „Mitbürger fragen der Kanzler antwortet" auf Fragen der damaligen Opposition meinte - ich zitiere jetzt den damligen Statssekretär Karl-Günther von Hase -:
Ich glaube, es gibt keine klarere und keine offenere Informationstätigkeit als diese, die sich jeder nach den bekannten Anzeigenpreisen selbst berechnen kann und die außerdem mit Bild und Unterschrift des Regierungschefs klar identifiziert ist.
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So nachzulesen im Protokoll des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, 183. Sitzung vom 14. Mai I 1965, Seite 9161.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, ist die Verwendung des Bildklischees in dieser Anzeigenserie, die ja nun offensichtlich Parallelen oder Verbindungen zu den Wahlkampfmaterialien der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aus dem Jahre 1972 herstellt, zufällig oder ist es aus anderen Gründen, etwa aus Sparsamkeitsgründen, herangezogen worden?
Bei der Auswahl von Fotografien von Persönlichkeiten, Herr Abgeordneter, die der Bundesregierung angehören, geht das Presse- und Informationsamt immer davon aus, welchen Aufmerksamkeitswert eine Fotografie für den Leser haben kann, der sich orientieren möchte. Sie nahmen eben Bezug
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- nein! - auf die publizistische Tätigkeit der Sozialdemokratischen Partei im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf 1972. Erlauben Sie mir bitte den Hinweis, daß in diesem Jahr kein Bundestagswahlkampf stattfindet, daß aber die von mir soeben zitierte Anzeigenaktion Bundeskanzler Erhards - damals sechs Anzeigen - im Jahre 1965 stattgefunden hat, zu einer Zeit, in der Bundestagswahlen bevorstanden.
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Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich glaube, daß meine Frage nach den Gründen der Verwendung dieses Bildes nicht ganz beantwortet worden ist. Ich darf die Frage noch einmal stellen: Waren es gewissermaßen werbemäßige Gründe, die zu dieser parallelen Verwendung des gleichen Fotos geführt haben, oder waren es etwa Sparsamkeitsgründe, z. B. weil das Presse- und Informationsamt. die Klischees, die vorhanden waren, kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen hat? Oder mußten die noch einmal extra bezahlt werden?
Den zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeord4576
peter, ob wir uns des gleichen Klischees bedient haben, kann ich nicht beantworten. Mit Sicherheit aber ist die Auswahl getroffen worden, weil wir wissen, daß dieses Foto einen großen Aufmerksamkeitsgrad erzielt hatte und immer noch erzielt, wie wir inzwischen aus der hohen Zahl der Zuschriften erkennen konnten, die wir auf Grund dieser Anzeige bekommen haben. Es wird Sie interessieren, daß ein Meinungsforschungsinstitut, über dessen Qualität in diesem Hause sicherrlich nicht gestritten wird, uns am Montag dieser Woche mitgeteilt hat, daß diese Anzeige von jedem vierten Leser der insgesamt 370 überregionalen und regionalen Tageszeitungen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern gelesen worden ist.
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Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie zur Erfolgskontrolle dieses Inserats noch ein demoskopisches Unternehmen eingeschaltet haben, und falls ja: welche Kosten sind dabei entstanden?
Herr Abgeordneter, wir haben kein demoskopisches Unternehmen eigens zur Erfolgskontrolle dieser Anzeige eingeschaltet, sondern wir haben im Rahmen einer laufenden Befragung, welche das Institut Allensbach für das Presse- und Informationsamt durchführt, die Meinung der Bevölkerung zum Thema Energiekrise ermitteln lassen. Sie werden sich erinnern, daß im Zusammenhang mit der hier zur Rede stehenden Anzeige im Monat Dezember zwei Informationsanzeigen meines Amtes in deutschen Zeitungen zu lesen waren, die sich mit der Ölversorgung beschäftigten, und wir haben in diesem Zusammenhang den Erfolg dieser drei soeben genannten Anzeigen ohne zusätzliche Kosten im Rahmen der üblichen Vereinbarung mit dem Institut Allensbach prüfen lassen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Ausgabe eines Betrages von einer runden Million Deutsche Mark für die Darstellung der Ziele der Bundesregierung und in Anbetracht der Haushaltslage in einem Zeitpunkt für erforderlich, wo der Herr Bundeskanzler in Weihnachts- und Neujahrsansprachen und bei verschiedenen anderen Gelegenheiten genügend Möglichkeiten hatte, seine Politik dem deutschen Volk verständlich zu machen?
Herr Abgeordneter, die Antwort lautet ja. Zunächst einmal ist das Presse- und Informationsamt durch Gesetz dazu verpflichtet. Mein Amtsvorgänger - das hatte ich vorhin zitiert - hat darauf ja auch schon in der Fragestunde, die ein ähnliches Thema behandelt hat, hingewiesen. Zum anderen möchte ich darauf aufmerksam machen, daß uns auch die Erfahrungen der Werbewirtschaft sagen, daß man sich verschiedener Medien bedient, um Informationen dem Leser oder Zuschauer zu vermitteln. Es wird Sie interessieren, daß diese Anzeige, umgerechnet auf die Zahl der Auflagenhöhe und der möglichen oder - wie wir jetzt wissen - sicheren Leser dieser Anzeige, genau 2,5 Pf pro Leser gekostet hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Ist es - bei allem Respekt vor der Kreativität Ihres Amtes, Herr Staatssekretär - möglich, daß Ihr Amt die Anregung zu diesen Neujahrsanzeigen von den Landesregierungen Schleswig-Holsteins und Baden-Württembergs bekommen hat, die in diesem Jahr wieder mit großen Neujahrsanzeigen aufgetreten sind?
Herr Abgeordneter, dies ist mir bekannt. Ich darf noch einmal darauf zurückkommen, daß eine ganz ähnliche Diskussion vor acht Jahren hier im gleichen Hause stattgefunden hat wegen einer Anzeigenaktion, die eine damalige Bundesregierung veranstaltet hat. Es ist auch damals darauf verwiesen worden, daß Landesregierungen regelmäßig - nicht nur zum Jahresende, sondern auch immer dann, wenn sich Landtagswahlen nähern - sich des Mittels der Informationsanzeige, auch durch die Regierungschefs von deutschen Ländern unterzeichnet, bedienen, um den Leser, den Bürger, den Wähler, zu informieren. Ich komme noch einmal darauf zurück: Das Haushaltsgesetz schreibt dem Amt, dem vorzustehen ich die Ehre habe, vor, pflichtgemäß über die Arbeit der Regierung zu informieren.
Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage des Abgeordneten Biermann.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß, wenn zwei das gleiche tun, dies für einige noch lange nicht dasselbe ist?
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Herr Abgeordneter, ich kann eine gleiche Antwort erteilen, wie mein Amtsvorgänger, der Staatssekretär von Hase, der hier schon einmal zitiert worden ist, auf eine ganz ähnlich gelagerte Frage, im Protokoll des Deutschen Bundestages nachzulesen, gegeben hat: Ja.
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Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Welche konkreten Informationen sollten mit dieser Anzeige dem Bürger vermittelt werden, und inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung diese Information tatsächlich erreicht worden?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär von Wechmar.
Es gehört - wie schon dargelegt -- zu den legitimen Aufgaben des Presseamtes, in organischer zeitlicher Reihenfolge die Arbeit der Bundesregierung zusammenfassend darzustellen. Dies ist geschehen.
Dem Bürger war für das Verständnis und die Disziplin, die er den von der Bundesregierung angeordneten Maßnahmen zur Einsparung von Energie im privaten Bereich entgegengebracht hat, zu danken. Der Bürger sollte auch durch konkrete Information erkennen, daß von seiner Einsicht und Vernunft die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft nicht unbeeinflußt bleiben kann. Schließlich sollte er wissen, was innen- und außenpolitisch im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht wurde und welche wichtigen innenpolitischen Reformen 174 zur parlamentarischen Entscheidung anstehen.
Nach den Erfahrungen, die insbesondere auch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung mit Anzeigen gemacht hat, wird ein hoher Aufmerksamkeitsgrad erreicht. Außerdem ist die Anzeige hinsichtlich der möglichen Zahl der Kontaktpersonen das billigste Werbemittel zur Information der Bevölkerung.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, Sie entschuldigen, daß ich den Eindruck habe, daß meine Frage nur zur Hälfte beantwortet ist. Die zweite Hälfte lautete:
inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung diese Information tatsächlich erreicht worden?
Herr Abgeordneter, ich bin sicher, daß Sie, wenn Sie sich den Wortlaut der Anzeige noch einmal vornehmen, mit mir zu der Überzeugung kommen, daß hier der Leser, der an diesem Thema interessiert ist - und wir wissen, wie viele Leser interessiert gewesen sind -, in der Tat -- sozusagen aus dem Munde des Regierungschefs eine unmittelbare Information erhalten konnte.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, nachdem wir nun hören, daß Sie durch ein demoskopisches Institut den Wirkungsgrad dieser Anzeige festgestellt haben, frage ich Sie: Haben Sie dabei auch festgestellt, inwieweit nun die Leser der Tageszeitungen - jeder vierte, wenn ich es richtig verstanden habe - auch tatsächlich ihr Informationsbedürfnis durch diese Anzeige befriedigt gesehen haben?
Nein, das Gegenteil ist der Fall, Herr Abgeordneter. Die Anzeige hat - und ich sagte schon, in großer Zahl - Zuschriften von Bürgern ausgelöst, die gemeint haben, daß diese Information sie anregt, weitere Informationen der Bundesregierung anzufordern. Dies bewegt sich im Augenblick in einer Größenordnung von 4 000 bis 6 000 Zuschriften auf Grund einer einzigen Anzeige, die vor inzwischen knapp drei Wochen erschienen ist.
Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär von Wechmar.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen und rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 106 des Herrn Abgeordneten Röhner auf:
Hat die Bundesregierung im Ergebnis in ihren Verhandlungen mit dem Außenminister der Volksrepublik Polen am 6. und 7. Dezember 1973 auch sichergestellt, daß die zu erwartenden neuen 50 000 Umsiedler aus Polen ihre Vermögenswerte bei der Umsiedlung ungehindert und ohne Beschränkung in die Bundesrepublik Deutschland transferieren können?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Herr Abgeordneter, die Frage des Transfers von Vermögen der Umsiedler richtet sich nach polnischen Rechtsvorschriften, die allgemeiner Natur sind und auf Umsiedler in andere Länder als die Bundesrepublik Deutschland Anwendung finden.
Was z. B. die bewegliche Habe anlangt, so ist mit der Verfügung des polnischen Außenhandelsministeriums vom 21. Mai 1973 über die Befreiung von Zollgebühren und Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr, die im entsprechenden polnischen Gesetzblatt abgedruckt ist, eine gegenüber früher verbesserte, d. h. großzügigere Regelung eingeführt worden.
Auf Einzelheiten möchte ich hier nicht eingehen. Ich bin gern bereit, Ihnen diese Unterlagen zu geben. Wohl aber möchte ich darauf hinweisen, daß der Erlaß solcher Bestimmungen eine innere Angelegenheit der Volksrepublik Polen ist, auf die die Bundesregierung keinen Einfluß hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Röhner.
Herr Staatssekretär, können Sie in etwa - in Prozentzahlen z. B. - quantifizieren, inwieweit die von Ihnen angesprochene Verbesserung bei den derzeit Ausreisenden ihren Niederschlag findet?
Das ist sehr schwer, weil es sich um einzelne Güter handelt, die in dieser Verordnung aufgezählt sind. Aber der Vergleich mit den früheren restriktiven Regelungen erlaubt in jedem Fall den Schluß, daß eine deutliche Verbesserung eingetreten ist. Ich stelle Ihnen gern die Unterlage, die ich aus Warschau habe, zur Verfügung.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Kollege Moersch, Sie sagten, die Bundesregierung habe keinen Einfluß darauf; das ist formell sicher richtig. Aber ich möchte gern fragen: Gab es nicht bei den jüngsten Gesprächen mit der polnischen Seite vielfältige Möglichkeiten, auf die Zustände, die hier der Kollege Röhner in seiner Frage beschrieben hat, und auf den Wunsch - nicht nur der Regierung, sondern von uns allen - hinzuweisen, daß diese Dinge abgestellt werden?
Herr Abgeordneter, ich habe zu diesem Problemkreis hier eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten. Ich bedauere, daß die erste schriftlich beantwortet wurde; denn sonst hätte sich sicher ein Teil Ihrer Frage schon erübrigt. Das ist ja eine Regelung, die nicht nur in Polen, sondern die in Staatshandelsländern ganz allgemeiner Natur ist, wie übrigens auch in anderen Staaten der Welt.
Sie können immer davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung selbstverständlich bemüht, hier Verbesserungen zu erreichen. Aber das ist ein Gebiet, in dem man bei der bekannten Einstellung dieser Staaten - was ihre Hoheit in inneren Angelegenheiten betrifft sehr stark abzuwägen hat, ob nicht durch ein besonderes Insistieren in bestimmten Fällen dieser Art, nämlich in solchen, in denen es sich um materielle Erwägungen handelt, um materielle Transfers, restriktive Maßnahmen zur anderen Seite hin ausgelöst werden könnten; das muß man abwägen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, da Sie das nur als innere Angelegenheit der Volksrepublik Polen bezeichnen, frage ich Sie, ob die persönliche Habe nicht durch die Grundrechte geschützt ist, und ob da -- wie das Bundesverfassungsgericht und übrigens Sie selbst hier in diesem
Hause zu Recht erklärt haben -- die Bundesrepublik Deutschland zur wirksamen Unterstützung der Grundrechte, für jeden einzelnen, im In- und Ausland verpflichtet ist, diese nicht jedem einzelnen deutschen Staatsangehörigen zu gewährleisten sind, ob es nicht zu den Vertragsgrundlagen des Warschauer Vertrages gehört, daß die humanitären Verpflichtungen erfüllt werden.
Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, Ihnen eine Aufzeichnung über theoretische, rechtliche Positionen und die praktische Wirksamkeit zu überlassen; Sie haben soeben selbst von „wirksam" in der Politik gesprochen. Es ist Ihnen sicherlich nicht entgangen, daß sich die polnische Rechtsauffassung über Staatsangehörigkeit nicht mit der deutschen deckt; sonst gäbe es auf diesem Gebiet keine Probleme.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß andererseits der deutsche Steuerzahler zur Kasse gebeten wird, weil für die Aussiedler, denen es nicht möglich ist, ihr Eigentum zu transferieren, nunmehr der Lastenausgleich wirksam werden muß?
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Herr Abgeordneter, es sind olle deutschen Bürger, die beim Lastenausgleich zur Kasse gebeten werden. Das Wesen eines verlorenen Krieges besteht darin, daß sehr viele zur Kasse gebeten werden.
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- Ja, Sie haben hier von Kriegsfolgen gesprochen;
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das Lastenausgleichsgesetz ist eine Kriegsfolge.
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Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Röhner auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß die Umsiedler ihre Arbeitnehmerersparnisse nicht voll in die Bundesrepublik Deutschland transferieren dürfen, obwohl die Bundesregierung der Volksrepublik Polen erhebliche sogenannte Wirtschaftshilfe zugesagt hat?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, zur Beantwortung der Frage!
Es trifft zu, Herr Abgeordneter, daß die Umsiedler ihre Ersparnisse nicht transferieren können. Sie haben diese Beträge auf ein Sperrkonto einzuzahlen, über das nur in Polen verParl. Staatssekretär Moersch
fügt werden kann, weil auf Grund allgemeiner devisenrechtlicher Vorschriften jegliche Ausfuhr von Zlotys verboten ist. Diese Regelung ist in der Tat unbefriedigend; sie entspricht allerdings den Vorschriften, die im wesentlichen in allen osteuropäischen Staaten gelten.
Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, darauf Einfluß zu nehmen, zumal auch der Erlaß von Devisenvorschriften eine innere Angelegenheit der Volksrepublik Polen ist. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß sich die Bundesregierung bereit erklärt hat, Polen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einen Kredit einzuräumen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Röhner.
Herr Staatssekretär, da Sie die jetzige Regelung soeben selbst als unbefriedigend bezeichnet haben, frage ich Sie: Sehen Sie in diesem Zustand eine besondere, eine zusätzliche Verpflichtung der Bundesregierung, bei den anstehenden und fortzusetzenden Wirtschaftsverhandlungen eine entsprechende Einwirkung mit dem Ziel vorzunehmen, diesen unbefriedigenden Zustand zufriedenstellender zu gestalten?
Ich habe vorhin schon versucht, anzudeuten, daß es der Bundesregierung in erster Linie darum gehen muß, dabei die Lösung der menschlichen Probleme im Vordergrund zu sehen; das hat sie bisher getan, und zwar, wie ich meine, mit Erfolg. Denn es gab ja durchaus Ausgangspositionen, nach denen ursprünglich nicht zu erwarten war, daß es hier überhaupt zu einer Verbesserung käme.
Die Bundesregierung will im Interesse der betroffenen Menschen vermeiden, daß diese erzielten Ergebnisse durch vermögensrechtliche Forderungen wieder in Frage gestellt werden. Selbstverständlich bemühen wir uns um Verständnis für unseren Standpunkt. Ich glaube, daß ohne unser Bemühen die verbesserte Verordnung vom Mai vergangenen Jahres sicherlich nicht erlassen worden wäre.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, ist es nicht die Absicht, durch den Warschauer Vertrag die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zu normalisieren? Ich frage mich, in welchem Zusammenhang dann immer wieder Ihr Hinweis auf Kriegsfolgen und den verlorenen Krieg steht. Es sollten doch damit die Kriegsfolgen überwunden sein und ein neues normales Verhältnis eintreten.
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Herr Abgeordneter, es ist ein Prozeß, den wir einzuleiten versuchen ({0})
- Ich glaube nicht, daß die Betroffenen, die auf Grund dieses Prozesses in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, Ihre Meinung teilen werden.
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Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Czaja.
Wenn Sie, Herr Staatssekretär, ständig die besondere Rechtsauffassung der anderen Vertragsparteien nennen, möchte ich Sie doch fragen, welche Anstrengungen die Bundesregierung und die Organe der Bundesrepublik Deutschland zur Durchsetzung des für alle Verfassungsorgane verbindlichen Rechtsstandpunkts, nachdem auch der Schutz der Eigentumsrechte der Betroffenen zu gewährleisten ist, unternommen haben, und um Auskunft bitten, durch welches legale aktive Handeln, beispielsweise die Nichtgewährung von Vorteilen, bis die Grundrechte gesichert sind, Sie tätig geworden sind.
Herr Abgeordneter, ich muß die Antwort in zwei Teilen geben. Einmal hat die Bundesregierung hier laufend über diese Bemühungen berichtet. Zum anderen muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ein Verfassungsgerichtsurteil selbstverständlich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bindet, daß aber ein Verfassungsgerichtsurteil nichts daran ändern kann, daß die Staatsgewalt in der Volksrepublik Polen nicht von der Bundesrepublik ausgeübt wird.
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Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt hatten, auch unser Angebot eines hohen Kredits ändere nichts an den, wie ich hoffe, allgemein beklagten Zuständen, frage ich: Warum bietet die Bundesregierung denn einen solchen Kredit an, ohne versucht zu haben, diese Frage vorher zu klären?
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Die Bundesregierung hat eine Reihe von Fragen nicht nur zu klären versucht, sondern hat sie geklärt. Wenn wir einen Kredit dieser Art geben, wird er im beiderseitigen Interesse gegeben. Wenn die Bundesregierung nicht der Meinung wäre, daß die Hergabe eines solchen Kredits zu begünstigten Bedingungen den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht, hätte sie keine Vereinbarung dieser Art ins Auge gefaßt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, da Sie die Folgen des Zweiten Weltkrieges angesprochen haben: Teilen Sie meine Auffassung, daß das ganze deutsche Volk in den Grenzen der heutigen DDR und der Bundesrepublik Deutschland - damals gehörte in vergleichbarer Verantwortung auch die Bevölkerung der Republik Österreich zum deutschen Volk - diesen Krieg verloren hat, und teilen Sie weiterhin meine Auffassung, daß nicht der Eindruck entstehen darf, als ob die Bundesregierung dabei sei, die Alleinvertretung des deutschen Volkes im Sinne des Londoner Schlußprotokolls durch eine Alleinzahlungsverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland abzulösen?
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Herr Abgeordneter Dr. Mertes, das ist völlig unbestritten. Die Politik dieser Bundesregierung ist es ja, unter anderem dafür zu sorgen, daß sich dieser Eindruck nicht verfestigt, daß Menschen deutscher Volkszugehörigkeit, die bisher in Polen waren, sich als die hauptsächlichen Verlierer dieses Krieges fühlen mußten, sondern daß sie die Möglichkeit bekamen, in diesen Teil Deutschlands zu gehen, in dem wir leben.
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Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie, wenn ich das richtig verstanden habe, vorher gesagt haben, daß die Hergabe von Krediten zu günstigen Bedingungen an die Volksrepublik Polen im Interesse der Bundesrepublik Deutschland sei, möchte ich Sie fragen, oh es Ihnen möglich ist, dieses Interesse der Bundesrepublik Deutschland in kurzen Sätzen aus Ihrer Sicht zu formulieren.
Ich bin der Meinung, daß im Gegensatz zu Empfehlungen, die auch früher von Ihren Freunden gegeben worden sind, eine Embargopolitik gegenüber diesen Ländern zu betreiben, eine Politik, die die Kooperation auf wirtschaftlichem und technischem Gebiet stärkt, insgesamt zu einer Entwicklung beiträgt, die zu einem verbesserten Kontakt und auch zu menschlichen Erleichterungen führen kann und führen wird.
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Selbstverständlich bei einer verünftigen Politik. Das setze ich voraus, meine Herren Zwischenrufer von der CDU/CSU.
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Diese Politik ist im einzelnen in dieser Verlautbarung definiert. Wir glauben, daß man das, was in
der Vergangenheit geschehen ist, nicht mit einem Kredit oder mit einer einzigen Handlung wieder aus der Welt schaffen kann. Wir bedauern, daß es keinen Friedensvertrag für alle Deutschen und für ganz Europa gibt. Wir sind aber auch nicht in der Lage, eine Tatsache zu verändern, die nicht durch das Zutun der Bundesregierung geschaffen worden ist.
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Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Breidbach.
Herr Staatssekretär, halten Sie auch Folgen, wie sie etwa im Bereich der Textilindustrie laufend in der öffentlichen Diskussion stehen, als Folgen dieser Ostpolitik für die Folgen einer vernünftigen Politik?
Vizepräsident von Hassel: Eine Sekunde! Verehrter Herr Kollege Breidbach, ich darf nur Zusatzfragen zulassen, die im Zusammenhang mit der eigentlichen Frage stehen. Ich glaube, wir beide sind uns darüber klar, daß diese Zusatzfrage mit der eigentlichen Frage nichts zu tun hat.
Ich gehe weiter und rufe die Frage 108 des Abgeordneten Biehle auf. Der Fragesteller hat schriftliche Beantwortung erbeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 109 des Abgeordneten Hösl auf. Ist der Abgeordnete im Saal? - Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Schedl auf. -- Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 111 der Abgeordneten Frau Schuchardt auf:
Trifft es zu, daß mindestens 40 chilenische Flüchtlinge sich z. Z. in der deutschen Botschaft befinden, denen die Ausreisegenehmigung verweigert wird, u. a. deshalb, weil man durch die Geiselnahme von Familienangehörigen bereits diese in Sicherheit befindlichen Flüchtlinge zwecks ihrer Festnahme aus der Botschaft locken will, und was gedenkt die Bundesregierung in diesen Fällen zum Schutz der Asylsuchenden zu unternehmen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Frau Abgeordnete, am 10. Januar 1974 befanden sich in der deutschen Botschaft in Santiago 24 Personen, denen das chilenische Außenministerium die von der Botschaft beantragte Ausreisegenehmigung, die Salvoconductos, noch nicht erteilt hatte. Es trifft zu, daß die Angehörigen einiger dieser Flüchtlinge vorübergehend verhaftet waren. Die Botschaft hat in allen Fällen erfolgreich interveniert und die Freilassung der Inhaftierten erreicht.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schuchardt.
Herr Staatssekretär, die Flüchtlinge in der deutschen Botschaft haben am 28. Dezember 1973 einen Brief an den Bundeskanzler geschrieben. Ist darauf reagiert worden, und ist es möglich, daß Sie uns hier sagen, in welcher Weise?
Frau Abgeordnete, die Tatsache, die ich Ihnen soeben mitgeteilt habe, ist die Reaktion.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß viele Kinder von Chile-Flüchtlingen keine Ausreisegenehmigung aus Chile erhalten, und welche Möglichkeiten bestehen für die Bundesregierung darauf hinzuwirken, daß Familien, die Chile verlassen müssen, nicht auseinandergerissen werden?
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Herr Abgeordneter, wenn Sie diese Angaben haben, bitte ich Sie, mir diese zu geben. Mir ist das aus den Unterlagen - ich habe mir einen Status über den jüngsten Stand geben lassen nicht bekannt.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen etwas darüber bekannt, ob der Abgeordnete Wohlrabe mit den Flüchtlingen in der deutschen Botschaft Gespräche geführt und sich bei ihnen einmal über die Verhältnisse orientiert hat?
Das weiß ich nicht. Der Abgeordnete Wohlrabe hat mich darüber nicht unterrichtet, aber ich habe gelesen, daß er dort gewesen sei.
Vizepräsident von Hassel: Darf ich in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, daß es nicht üblich ist, in Fragestunden Dreiecksfragen über andere Kollegen zu stellen. Aber ich hatte die Frage zugelassen; sie ist beantwortet worden.
Bitte schön, zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Conradi.
Herr Staatssekretär, sind die Schwierigkeiten, die wir mit dem Abtransport von Flüchtlingen aus Chile in die Bundesrepublik verglichen mit Schweden haben, darauf zurückzuführen, daß die Bearbeitung dieser Vorgänge durch das Bundesinnenministerium außerordentlich hinhaltend vorgenommen worden ist?
Herr Abgeordneter, ich habe hier noch eine Serie von Fragen. Nach Beantwortung aller dieser Fragen werden Sie sicher zu der Meinung kommen, daß die Bundesrepublik Deutschland, was diesen Bereich betrifft, an der Spitze aller Staaten steht, die sich in positivem Sinne urn Flüchtlinge bemüht haben. Das ist auch die Meinung der Betroffenen selbst. Die Zahlen werde ich Ihnen nachher gleich nennen.
Vizepräsident von Hassel: Der Herr Abgeordnete Werner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da wir gerade über die Ablehnung von Ausreiseanträgen aus Chile in die Bundesrepublik hier diskutieren: Können Sie Gerüchte bestätigen, daß nachweislich Tupamaros ebenfalls sogenannte Anträge auf Asyl gestellt haben, obwohl bekanntlicherweise - das nebenbei bemerkt dergleichen Anträge eigentlich nur hier in diesem Lande gestellt werden könnten? Sind tatsächlich Tupamaros, auch vom Verfassungsschutz identifizierte Tupamaros, nachweislich unter denen, die in die Bundesrepublik einreisen wollen?
Herr Abgeordneter, ich kann solche Gerüchte nicht bestätigen. Im übrigen ist es sehr schwer zu sagen, wer ein Tupamaro ist, weil er ihnen das kaum mitteilen wird.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 112 der Abgeordneten Frau Schuchardt auf:
Trifft es zu, daß die Ausreisegenehmigungen zum Teil nur für 48 Stunden gelten und die Ausreise in dieser kurzen Zeit erfolgen muß, ansonsten die Genehmigung verfällt und neu beantragt werden muß, und wenn ja, wie wird eine termingerechte Ausreise für diese Fälle sichergestellt?
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Allein die Tatsache, daß wir diese Dinge prüfen, führt dazu, daß solche Anträge nicht gestellt werden. Das ist doch eine alte Erfahrung!
Vizepräsident von Hassel: Darf ich darauf aufmerksam machen, daß ich die Frage 112 aufgerufen habe. Frau Abgeordnete Schuchardt hat die Frage 112 gestellt. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Bei der Erteilung des Salvoconducto sind zwei Etappen, Frau Abgeordnete, zu unterscheiden. Zunächst erhält die Botschaft auf ihren Antrag hin eine Mitteilung des chilenischen Außenministeriums, daß es zur Ausstellung des Salvoconducto ermächtigt sei. Die Inanspruchnahme dieser Ermächtigung ist nicht an einen Ter4582
min gebunden. Nachdem alle übrigen Ausreiseformalitäten, auch für die mitreisenden Familienangehörigen, geregelt und auch die Flugkarten beschafft sind sowie die Buchung durch die Fluggesellschaft erfolgt ist, holt die Botschaft frühestens 48 Stunden vor dem Abflug den Salvoconducto im Außenministerium ab. Der Salvoconducto selbst hat eine Gültigkeitsdauer von 48 Stunden. In den wenigen Fällen, in denen einige mit Salvoconductos ausgestattete Flüchtlinge ihr Flugzeug verpaßt haben und diese verfielen, wurden vom Außenministerium unverzüglich neue Salvoconductos ausgestellt, mit denen die Flüchtlinge tatsächlich abgeflogen sind.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schuchardt.
Herr Staatssekretär, können Sie die Frage beantworten, warum in der Regel immer mehr Flüchtlinge avisiert werden, als dann tatsächlich hier eintreffen? Woran liegt das im wesentlichen?
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die auch in solchen Verzögerungen liegen, die ich vorhin genannt habe, daß eben Familienangehörige mitsollten. Offensichtlich klappt die Organisation auf diese Entfernung nicht immer so perfekt, wie man sich das hier vorstellt. Das ist aber kein Wunder; das hängt mit revolutionären Entwicklungen im allgemeinen zusammen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 113 des Abgeordneten Hölscher auf:
Trifft es zu, daß die Angebote von Condor für Charterflüge zur Ausreise von Asylsuchenden aus Chile von der Bundesregierung nicht angenommen wurden, weil der Ausreisetermin auf den 31. Januar 1974 neu festgelegt worden war, und hält die Bundesregierung eine damit verbundene Verschiebung der Ausreise nicht für ein unnötiges Risiko für die Betroffenen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Unaufgefordert hatte Amnesty International ({0}) dem Auswärtigen Amt fernschriftlich am 20. Dezember 1973 ein Angebot der Gesellschaft Condor übermittelt, in dem sich Condor bereit erklärte, etwa am 26. Dezember zwei Charterflugzeuge von Santiago nach Frankfurt fliegen zu lassen. Es handelte sich um eine Boeing 707 mit einem Fassungsvermögen von 182 Personen und eine Boeing 747 mit einer Kapazität von 482 Personen. Der Nettopreis der kleineren Maschine betrug 182 260 DM, der des Jumbo-Jets 380 400 DM.
Amnesty International unterbreitete dieses Angebot in der Annahme, die Flüchtlingslager in Chile würden am 31. 12. geschlossen und somit sei höchste Eile zum Abtransport geboten. Tatsächlich war jedoch der Termin für die Schließung der Lager inzwischen auf den 3. Februar verschoben und der Generalsekretär von Amnesty International hiervon vor Abgabe des Condor-Angebots unterrichtet worden.
Zu dein vorgesehenen Abflugtermin vorn 26. 12. waren nur 89 Flüchtlinge ausreisefertig. Die Inanspruchnahme einer Boeing 707 hätte, da dieses Flugzeug nur knapp zur Hälfte hätte besetzt werden können, Mehrkosten in Höhe von 100 000 DM gegenüber den Kosten verursacht, die für einen Flug dieser 89 Personen mit normalen Linienmaschinen entstanden wären. Derartige Linienflüge standen am 29. 12. und 1. 1. zur Verfügung. Irgendein Risiko entstand den Betroffenen durch die Verschiebung der Ausreise um einige Tage nicht. In Übereinstimmung mit der Botschaft hielt es das Auswärtige Amt daher für vertretbar, den 89 Flüchtlingen diese geringfügige Wartezeit zuzumuten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Breidbach.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auch für die Zukunft unabhängig davon, ob man kurzfristig Maschinen chartern kann, sichergestellt werden kann, daß im Rahmen des normalen Linienflugverkehrs Flüchtlinge ausgeflogen werden können, selbst unter Terminschwierigkeiten, die ja im Rahmen revolutionärer Prozesse immer wieder auftreten können?
Ich denke, das Wort „Prozesse" habe ich nicht als juristisches Verfahren zu verstehen.
({0})
Herr Abgeordneter, Sie können davon ausgehen, daß die Luftlinien in diesem Falle zu besonderer Improvisationskunst angespornt worden sind und auch künftig angespornt werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schwencke.
Herr Staatssekretär, da Sie den 31. Januar 1974 hier auch als letzten Ausreisetermin genannt haben, frage ich: Ist seitens der Bundesregierung irgend etwas geschehen, daß dieser Termin aufgehoben wird? Sind also die Interventionen, die von vielen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, etwa in den Tagen vor Weihnachten, erhoben worden sind, so aufgegriffen worden, daß dort etwas bei der chilenischen Regierung in Gang gebracht wurde?
Herr Abgeordneter, ich habe den ersten Teil Ihrer Frage bezüglich des Termins akustisch nicht verstanden. Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen.
Ist seitens der Bundesregierung in irgendeiner geeigneten Weise darauf hingewirkt worden, daß die jetzige Regierung in
Dr. Schwenke
Chile diesen Zeitpunkt, den 31. Januar 1974, aufhebt?
Sie meinen den 31. Dezember?
Nein, diesen 31. Januar 1974, diesen Termin, der in drei Wochen abläuft.
Herr Abgeordneter, ich bin der Auffassung, daß wir immer darauf hinwirken - wir haben das auch getan -, daß die Inhaftierungen überhaupt aufgehoben werden. Selbstverständlich werden wir uns bemühen, die Flüchtlinge herauszubekommen, die sich bis dahin gemeldet haben. Wir haben Grund zu der Annahme, daß deren Ausreise bis zu diesem Termin möglich ist.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß sowohl die Notwendigkeit zur Beschaffung von Ausreisegenehmigungen als auch die Schwierigkeiten, sie erteilt zu bekommen, nicht durch revolutionäre, sondern durch reaktionäre Prozesse verursacht worden sind?
({0})
Durch beides. Die reaktionären Prozesse, die Sie meinen, werden von den Betroffenen jeweils als revolutionär bezeichnet; das hat sich noch nie geändert.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 114 des Abgeordneten Hölscher auf:
Wäre die Bundesregierung bereit, Charterflüge für die Überführung bereitzustellen bzw. die Charterflüge von Hilfsorganisationen u. a. für die Überführung der Asylsuchenden zu unterstützen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär!
Sollte zu irgendeiner Zeit die Zahl der ausreisefertigen Flüchtlinge größer sein als die Zahl der von Linienmaschinen angebotenen Plätze, wird die Bundesregierung unverzüglich den Einsatz von Chartermaschinen in die Wege leiten. Auch wird sie selbstverständlich Charterflüge von Hilfsorganisationen im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Frage 115 des Abgeordneten Christ:
Sind die Angaben der Arbeitsgemeinschaft Chile von Amnesty International zutreffend, nach denen 300 Flüchtlinge ab 8. Januar 1974 in Santiago mit Ausreisegenehmigungen bereitstehen und in den nächsten drei Wochen wieder jeweils 300 Personen pro
Woche abflugbereil sein werden, und wenn nein, wie viele sind
es tatsächlich und wie wird die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland sichergestellt?
Die Angaben der Arbeitsgemeinschaft „Chile" von Amnesty International treffen nicht zu. Am 8. Januar befanden sich noch 1250 Ausländer in Chile, die das Land auf Verlangen der chilenischen Regierung verlassen müssen. Von ihnen übernimmt die Bundesregierung etwa 800. Die restlichen 450 verteilen sich auf eine Anzahl anderer Länder, darunter Holland, Schweden, Jugoslawien, Kuba und Costa Rica. Von den 800 Drittausländern, die in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden, hatten sich bis zum 8. Januar 300 bei der nach Santiago entsandten deutschen Arbeitsgruppe und bei der Botschaft registrieren lassen. Von ihnen werden bis zum 16., also bis gestern, 149 mit Linienflugzeugen ausgereist sein; die sind unterwegs. Die restlichen 151 Personen reisen aus, sobald das für die Ausreisevorbereitungen zuständige Intergovernmental Comitee for European Migration - ICEM - die häufig langwierigen Ausreiseformalitäten geregelt hat. Um die Übernahme von 200 Drittausländern ist die Bundesregierung erst Ende Dezember und um die der weiteren 300 am 8. Januar gebeten worden. Sie hat dieser Bitte entsprochen, deren Erfüllung die restlose Evakuierung aller Drittausländer sicherstellt, die zum Verlassen Chiles gezwungen werden. Die Einleitung der Registrierung dieser 500 Personen durch die beteiligten deutschen Stellen hat am 7. Januar 1974 begonnen. Ihre Ausreise, die durch die Erledigung der chilenischen Ausreiseformalitäten erheblich verzögert wird, ist erst in einigen Wochen zu erwarten. Die Ausreise ist sichergestellt, da laut ICEM bis zum 3. Februar 1 000 Plätze in Linienmaschinen zur Verfügung stehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Christ.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie zum Ausdruck brachten, daß die Angaben von Amnesty International nicht zutreffen, möchte ich Sie fragen: haben Sie den Versuch unternommen, in einem Kontakt mit dieser Organisation festzustellen, auf Grund welcher Informationsquellen sie zu diesen Zahlen kommt, um zu recherchieren, ob die Angaben möglicherweise doch zutreffen?
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Herr Abgeordneter, die Beweislast ist selbstverständlich umgekehrt. Ich habe vorhin gesagt, daß wir dieser Organisation mitgeteilt haben, wie der Sachstand ist. Sie wollte das nicht wahrhaben und hat trotzdem andere Behauptungen in die Welt gesetzt. Auf solchen Behauptungen basieren diese Fragen. Diese Organisation muß, wenn sie unsere Zahlen anzweifelt, von sich aus die Beweise vorlegen, nicht wir.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, wieso hat die Botschaft die von Ihnen hier genannten Zahlen und die daraus sich entwickelnden Vorgänge erst im Januar dieses Jahres vorgelegt und nicht bereits im letzten Jahr, im Dezember oder November, wo wesentlich mehr Zeit gewesen wäre, die entsprechenden Prozeduren einzuleiten?
Herr Abgeordneter, ich muß offen gestehen, daß ich den Sinn Ihrer Frage nicht verstehe. Ich hatte vorhin hier dargelegt, daß wir erst vor wenigen Tagen auf die notwendige Übernahme von Drittausländern angesprochen worden sind. Wie kann ein Verlangen, das am 8. Januar gestellt wird, im Dezember von uns beantwortet werden?
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, trifft die Meldung zu, daß eine der uruguayanischen Tupamaros, die vor einiger Zeit den britischen Botschafter in Montevideo entführt haben, unter den Personen ist, die um sogenanntes Asyl in der Bundesrepublik Deutschland ersucht haben?
Das ist ein Gerücht gewesen. Ich habe keine Bestätigung dieses Gerüchtes in den Akten gefunden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es nicht darum geht, ob Amnesty International oder Sie uns die richtigen Zahlen vorlegen, sondern daß es darum geht, in Zusammenarbeit mit Amnesty International möglichst konsequent und schnell den Betroffenen Hilfe zu leisten?
Gnädige Frau, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Diese Zusammenarbeit wird außerordentlich erleichtert, wenn Amnesty International nicht mit falschen Behauptungen in die Öffentlichkeit geht.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 116 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Trifft es zu, daß verfolgte Chilenen, die nach dem 11. Dezember 1973 - dem Termin der Schließung der Botschaft für Asylsuchende - noch versuchten, in der deutschen Botschaft in Santiago Zuflucht zu finden, beschattet wurden und daß die Tiir der Botschaft noch Einschüsse der Verfolger aufweist, und wenn ja, was hat die Bundesregierung für diese Asylsuchenden getan?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Moersch!
Seit dem 11. 12. haben nach Kenntnis der Bundesregierung keine Flüchtlinge versucht, die Deutsche Botschaft zu betreten. Es trifft zu, daß die Zugänge zur Botschaft bewacht werden. Die Bundesregierung hat keine rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung dieser Bewachung zu erwirken, da die chilenische Regierung das Recht hat, auf ihrem Territorium derartige Maßnahmen anzuordnen.
Im übrigen dürfte den Interessenten bekannt sein, daß die Regierung Personen, die sich nach dem 11. 12. in einer nichtlateinamerikanischen Botschaft melden oder sich dorthin begeben, kein Salvoconducto für die Ausreise gewährt wird.
Es trifft zu, daß die Stahltür des seitlichen Eingangs zum Garten der Botschafterresidenz einen Einschuß erhalten hat. Das ist auf einen Vorfall am 10. 12. am späteren Abend zurückzuführen, bei welchem eine Person durch diesen Eingang in die Residenz hereingelassen wurde. Der Schuß wurde danach auf die sich schließende Tür abgegeben.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wird die Bundesregierung ihren Einfluß dahin gehend geltend machen, daß auch die auf 25 000 bis 30 000 geschätzten politischen Häftlinge in Gefangenenlagern, die unter akuter Lebensgefahr stehen - durch Folterungen, Erschießungen, Militärprozesse, außerordentliche klimatische und andere Bedingungen - -, freigelassen werden sowie die Verfolgung Andersdenkender eingestellt wird, und ist die Bundesregierung bereit, ihre Wirtschaftshilfe oder auch die Verlängerung der Rückzahlungsverpflichtungen Chiles davon abhängig zu machen?
Die Bundesregierung hat sowohl über die chilenische Botschaft in Bonn als auch durch die deutsche Botschaft in Santiago der chilenischen Regierung ihre Sorge wegen deren Vorgehens gegen ihren politischen Gegner zum Ausdruck gebracht. Aus dieser Sorge heraus setzt sich die Bundesregierung bei der chilenischen Regierung laufend in humanitärem Sinne ein. Sie hat zugunsten zahlreicher Verhafteter interveniert. Die Schätzungen, Herr Abgeordneter, über die Zahlenangaben gehen auseinander; es handelt sich nicht um nachprüfbare Zahlen, wie Sie wissen. Die Bitten unsererseits hatten bisher in verschiedenen Fällen Erfolg. Dies ist nicht selbstverständlich, da es sich nicht um deutsche Staatsbürger handelt und somit die Bundesregierung keine völkerrechtliche Grundlage für ihr Tätigwerden besitzt.
Bezüglich der Haltung der Bundesregierung zur Gewährung von Entwicklungshilfe an Chile darf ich auf meine entsprechende Erklärung in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am S. Oktober verweisen. Bei den Umschuldungsverhandlungen mit Chile geht es um multilaterale Gespräche, denen die Bundesregierung durch einseitige Erklärungen nicht vorgreifen möchte und auch nicht vorgreifen sollte. Ich will nur darauf hinweisen, daß eine Vereinbarung nicht nur im Interesse des Schuldnerlandes, sondern auch der deutschen Gläubiger liegt, da die Durchsetzung ihrer Ansprüche ohne ZustandekomParl. Staatssekretär Moersch
men einer Umschuldungsregelung gefährdet ist. In Gewährleistungsfällen würde dies dann zu Lasten des deutschen Steuerzahlers gehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung alle ihr zu Gebote stehenden Mittel, also auch die in dieser Frage erwähnten, nutzen, falls die chilenische Regierung gegen Ende des Ausreisetermins noch Schwierigkeiten mit den Salvoconductos gegenüber Personen machen wird, die sich etwa in der deutschen Botschaft oder noch in den UN-Lagern befinden könnten?
Herr Abgeordneter, ich habe das vorhin bereits bejahend beantwortet.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 118 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es in Anbetracht der knappen Studienplätze in der Bundesrepublik Deutschland nicht angeht, ausländische Studenten vor Abschluß ihrer Ausbildung durch Paßentzug am Weiterstudieren zu hindern, weil diese Studenten bei der Regierung ihres Heimatlands in Mißkredit geraten sind?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß ausländischen Studierenden die Möglichkeit offenstehen muß, ihr Studium in der Bundesrepublik Deutschland zu einem sinnvollen Abschluß zu bringen. Die Bundesregierung legt andererseits entsprechend ihrer entwicklungspolitischen Konzeption Wert darauf, daß vor allem Studierende aus Entwicklungsländern in der Regel in ihr Heimatland zurückkehren, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Über diese Grundsätze, die im übrigen von internationalen Organisationen allgemein als gul-tig anerkannt und auch beschlossen worden sind, besteht Einvernehmen zwischen den Beteiligten in diesem Falle. Dabei ist es in der Sache unerheblich, ob Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Betreffenden und den Behörden seines Landes bestehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es nach Ihrer Auffassung für die Entscheidungen der deutschen Behörden völlig unerheblich ist, ob der betreffende Student bei den Behörden seines Heimatlandes in Mißkredit gekommen ist, und wenn ich Sie richtig verstanden habe, gedenkt die Bundesregierung die betreffenden Botschaften und die befaßten deutschen Behörden über ihre Rechtsauffassung zu informieren?
Das tut sie und hat sie auch
getan. Ich darf wiederholen, was ich gesagt habe: diese Männer und Frauen sind hier, um ein Studium abzuschließen. In dem Fall, den Sie offensichtlich im Auge haben, handelt es sich nach meinen Unterlagen darum, daß über das Wesen des Abschlusses einer Berufsausbildung zwischen dem Betroffenen und der Regierung, die ihm dieses Studium finanziert hat, nämlich seine eigene, unterschiedliche Auffassungen bestanden haben oder bestehen. Die Frage war, ob eine zusätzliche Promotion, die das Studium von sechs auf neun Jahre verlängert, dazugehört oder nicht. Es kann nicht Sache der Bundesregierung sein, das zu entscheiden oder hier den Schiedsrichter zu spielen.
Die Bundesregierung hält sich aber generell an die, wie ich meine, richtige Auffassung der Entsendeländer solcher Studierender, daß diese nicht mit Stipendien ihres eigenen Landes in die Bundesrepublik Deutschland kommen, um dann hier etwa wissenschaftlich weiterhin tätig zu sein und hier zu bleiben, sondern, daß sie in ihr Heimatland zurückkehren und dort z. B. zur Verbesserung der Landwirtschaftsstruktur beitragen. Das ist eine generelle Auffassung. In diesem Fall ist ja wohl inzwischen entschieden worden, daß der Abschluß der Promotion möglich ist.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, das, was Sie uns gerade erzählt haben, lag als Sachverhalt der Frage 119 zugrunde. Ich hatte nicht danach gefragt; ich danke Ihnen dennoch.
Ich habe eine Zusatzfrage zur Frage 118 zu stellen, die sich tatsächlich auf die Frage des Mißkredits in politischer Hinsicht bezieht: Sind Sie der Auffassung, daß ein Sich-Einsetzen für das Pariser Übereinkommen über Vietnam bei uns dazu führen darf, daß irgendwelche Folgerungen im Hinblick auf ausländerrechtliche Maßnahmen gezogen werden?
Moersch, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Frau Abgeordnete, das ist zunächst einmal der Standpunkt des Landes, das Studierende entsendet und ihnen Stipendien zahlt. Darauf haben wir keine Einwirkungsmöglichkeit. Ich darf hier sagen, daß in diesem Fall die Entscheidung nicht bei der Bundesregierung liegt, weder beim Auswärtigen Amt noch beim Innenministerium. Das Auswärtige Amt hat bis heute keine Antwort von dem zuständigen Landesministerium in Stuttgart bezüglich dieses Falles erhalten, obwohl wir die Sache schon vor Monaten auf dem Dienstwege dorthin gegeben hatten. Die Bundesregierung hat hier also überhaupt nicht Stellung genommen, und sie kann zu dieser Frage auch deswegen nicht Stellung nehmen, weil sie den Sachverhalt zunächst einmal von den zuständigen Behörden mitgeteilt haben wollte. Ob es sich tatsächlich um den Grund handelt, der hier für die Entziehung der Aufenthaltserlaubnis durch die Südvietnamesen angegeben wird, oder nicht, das alles können wir erst sagen, wenn wir den Fall wirklich auf amtliche Weise zur Kenntnis gebracht bekommen haben.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, werden die Belange der Bundesrepublik dadurch beeinträchtigt, daß sich ein südvietnamesischer Student in der Bundesrepublik für die Einhaltung des Pariser Abkommens einsetzt?
Nein, die Belange der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland werden dadurch nicht beeinträchtigt. Aber auf der anderen Seite ist die Bundesregierung gehalten, eine Note der südvietnamesischen Regierung in einem solchen Fall entgegenzunehmen. Mehr hat sie nicht getan.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 119 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß eine deutsche Ausländerbehörde sich als Folge eines Schreibens der südvietnamesischen Botschaft in Bonn an das Auswärtige Amt, das offenbar mit der Bitte um Stellungnahme weitergeleitet worden ist, zur Einleitung ausländerrechtlicher Maßnahmen gegen in der Bundesrepublik Deutschland studierende südvietnamesische Studenten veranlaßt sah?
Der Bundesregierung sind Fälle, in denen gegen südvietnamesische Studenten als Folge eines Schreibens der südvietnamesischen Botschaft in Bonn ausländerrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden sind, bis jetzt offiziell nicht bekannt. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß dem Bund ein eigenes Aufsichtsrecht über die Ausländerbehörden nicht zusteht und daß das Ausländergesetz von den Ländern in eigener Zuständigkeit und Verantwortung durchgeführt wird.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, sind Sie meiner Auffassung, daß die Artikel in der Presse, insbesondere in der überregionalen Stuttgarter Presse, dazu ausreichen sollten, auch die Bundesregierung in den Stand zu setzen, sich über den Fall des vietnamesischen Studenten in Stuttgart zu informieren?
Das hat die Bundesregierung getan, und zwar auf dem Wege, der ihr nach der Verfassung vorgeschrieben ist. Die Antwort der baden-württembergischen Behörde, nämlich des zuständigen Innenministeriums, das die Sachen erst von der Stadt Stuttgart anfordern muß, steht bis zum heutigen Tage aus. Ich habe mir eine Chronologie dieses Schriftverkehrs machen lassen. Ich bin gern bereit, Ihnen diese einmal zu geben. Die Bundesregierung ist hier nicht im Obligo; das muß klar gesagt werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, diese Antwort kann mich nicht befriedigen, weil ich von den betreffenden Behörden, durch die ich ebenfalls informiert wurde, sehr viel mehr Information erhalten habe, als Sie uns jetzt geben können. Deswegen frage ich Sie: Ist die Bundesregierung erst dann in der Lage, in vergleichbaren Fällen einzuschreiten, wenn bereits ausländerrechtliche Maßnahmen als Folge von Stellungnahmeersuchen der Bundesregierung selbst eingeleitet und durchgeführt wurden?
Frau Abgeordnete, es gibt keinen Bundeszwang. Die Bundesregierung ist überhaupt nicht in der Lage, bei ausländerrechtlichen Maßnahmen einzuschreiten, weil der Vollzug dieses Gesetzes Ländersache ist. Die Länder sind hier nicht etwa die Untergebenen des Bundes. Das können Sie bedauern oder nicht; es ist eine Tatsache.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, es ist Ihnen bekannt, daß das Auswärtige Amt in der Sache des südvietnamesischen Studenten in Stuttgart im Juli an das Bundesinnenministerium eine Anfrage gerichtet hat, die, wie Sie richtig sagen, an die Landesbehörden weitergeleitet wurde. Ist Ihnen bekannt, ob das Innenministerium diese Anfrage mit einem Zusatz weitergeleitet hat, der die Stuttgarter Ausländerbehörden veranlaßt hat, diesen Mann abzuschieben, was nur durch das Eingreifen von Abgeordneten verhindert werden konnte?
Mir ist ein solcher Vermerk nicht bekannt. Ich habe die Akten durchgesehen. Es ist eine Entscheidung, die in Stuttgart getroffen worden ist. Das Bundesinnenministerium hatte um Stellungnahme gebeten, mehr nicht.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Biermann.
Herr Staatssekretär, wenn das Auswärtige Amt nicht zuständig ist, wie beurteilt die Bundesregierung dann beispielsweise das Vorgehen der Stuttgarter Ausländerbehörde, eine Aufenthaltserlaubnis in diesem Fall auf den 30. November 1973 zu befristen und diese Entscheidung dem Betroffenen genau vier Tage vor diesem Termin zuzustellen unter Androhung der Abschiebung für den Fall, daß der Betreffende diese Aufforderung nicht befolgt?
Herr Abgeordneter, da die Bundesregierung nicht das Aufsichtsorgan einer Landesregierung ist, würde ich vorschlagen, daß ein
Kollege von Ihnen diese Frage im Landtag stellt. Ich halte sie für sehr berechtigt.
Vizepräsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, liest die Bundesregierung auch Stuttgarter Zeitungen, und fühlt sie sich nicht bemüßigt, etwas zu tun, wenn sie den Zeitungen entnehmen kann, daß das eigene Ersuchen um Auskunft von dem baden-württembergischen Innenministerium völlig mißverstanden und zum Vorwand gemacht wird, jemanden abzuschieben?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat wiederholt eine Stellungnahme angemahnt. Sie mögen sagen, daß das vielleicht zuwenig gewesen sei. Aber mehr ist im Bundesstaat leider nicht möglich.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 120 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Welche westlichen Sender werden im Bereich der WarschauerPakt-Staaten gestört?
Herr Dr. Marx, darf ich beide Fragen im Zusammenhang beantworten?
Ja.
Vizepräsident von Hassel: Dann rufe ich auch die Frage 121 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Treffen Feststellungen zu, wonach durch die intensive Tätigkeit von Störsendern es der Bevölkerung in der Tschechoslowakei nicht möglich war, die Erklärungen des Bundeskanzlers während und nach seinem offiziellen Besuch in der Tschechoslowakei über deutsche Sender zu empfangen?
Nach den dem Auswärtigen Amt vorliegenden Informationen ist die Störtätigkeit gegen westliche Sender im Bereich der Staaten des Warschauer Pakts Anfang September 1973 stark eingeschränkt worden. Nicht mehr gestört werden, soweit mir bekannt, Voice of America, BBC und die Sendungen der Deutschen Welle in russischer Sprache. Weiterhin gestört werden die Sendungen von Radio Free Europe, Radio Liberty sowie die Sendungen der Deutschen Welle in tschechischer, slowakischer und bulgarischer Sprache. Die deutschsprachigen Sendungen der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks werden nach wie vor nicht gestört. Dies trifft auch für die Sendungen in der Zeit während und nach dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers in der Tschechoslowakei zu. Informationen, nach denen der Empfang anderer deutscher Sender in der fraglichen Zeit in der Tschechoslowakei gestört worden sei, sind dem Auswärtigen Amt nicht zugegangen.
Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 122 des Abgeordneten Reddemann auf:
Wieviel Störsender im Bereich der Warschauer-Pakt-Staaten werden für die Störungen politischer Sendungen und Nachrichtensendungen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung eingesetzt?
Nach den dem Auswärtigen Amt vorliegenden Informationen ist die Zahl der Störsender im Bereich der Warschauer-Pakt-Staaten nicht festzustellen, da auch Programmsender über Störvorrichtungen verfügen. Störungen können auch dadurch hervorgerufen werden, daß die jeweils dominanten Regionalsender gebündelt auf die von westlichen Sendern benutzten Frequenzen gerichtet werden, so daß die westlichen Sendungen durch die stärkeren heimischen Sender überlagert werden. Anfang September 1973 ist die Störtätigkeit weitgehend eingeschränkt worden. Soweit mir bekannt, werden, was deutsche Sender anbetrifft, noch die Sendungen der Deutschen Welle in tschechischer, slowakischer und bulgarischer Sprache gestört; ich habe eben schon darauf hingewiesen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei ihren Verhandlungen mit Staaten des sozialistischen Lagers dieses Thema anzusprechen?
Wir haben in der KSZE und bei ähnlichen Veranstaltungen selbstverständlich auf diese allgemeine Frage hingewiesen. Ich möchte aber hier noch hinzufügen: Es gibt auch bei uns tätige Sender, die nicht in vollem Umfang den internationalen Bedingungen über Sendelizenzen entsprechen, und es gibt dann in den Abendstunden bekanntlich sehr große Störungen.
Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 123 und 124 des Abgeordneten Schröder ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 125 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie viele Aussiedler aus dem Bereich der Volksrepublik Pulen konnten 1973 in Auswirkung der „Information" zum Warschauer Vertrag in der Bundesrepublik Deutschland registriert werden, wie verhält sich die Zahl von 1973 zu den Zahlen der Jahre 1972 und 1971, und wie viele Aussiedler kamen 1973 auf Grund einer Familienzusammenführung und wie viele unter Beiufung auf „unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit"?
Im Jahre 1973 kamen aus der Volksrepublik Polen 8 903 Umsiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl für das Jahr 1972 lautet 13 476, für das Jahr 1971 25 243. Bei den eintreffenden Umsiedlern wird statistisch nicht er4588
faßt, ob sie auf Grund einer Familienzusammenführung oder auf Grund ihrer unbestreitbaren deutschen Volkszugehörigkeit ausgereist sind. Im übrigen verweise ich auf meine Antwort, die ich am 15. Juni 1973 an dieser Stelle auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Dr. Hauser gegeben habe.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka!
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Zahlenangaben? In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war zu lesen, daß lediglich 6 200 Aussiedler im Jahre 1973 zu uns gekommen sind. Wäre es denkbar, daß in den Zahlen, die Sie genannt haben, auch diejenigen mit registriert worden sind, die nicht auf Grund der Familienzusammenführung und auf Grund der Information hier registriert werden, sondern diejenigen, die gleichsam illegal hierbleiben?
Herr Abgeordneter, wir erfassen bei unseren Zahlen alle, die früher in Polen waren und die jetzt hier sind. Ich weiß nicht, auf Grund welcher Angaben die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Zahlen veröffentlicht hat.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Ich darf zu Ihrer Bemerkung ergänzen: die Zahlen beziehen sich auf Angaben aus dem Grenzdurchgangslager Friedland. Herr Staatssekretär, warum läßt die Bundesregierung nicht getrennt registrieren, wer auf Grund der Familienzusammenführung hierherkommt und wer auf Grund unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit, zumal das zwei unterschiedliche Posten in der Information sind, damit man weiß, wie viele von unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit bis heute noch nicht die Chance erhalten haben, zu uns zu kommen?
Herr Abgeordneter, statistisch können Sie grundsätzlich nicht die erfassen, die nicht da sind und auch nicht erfaßt werden. Aber in der Regel treffen beide Merkmale auf die Aussiedler zu, und deswegen wird die Statistik nicht getrennt geführt.
Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 126 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Sind zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei verbindliche Absprachen darüber getroffen worden, wie groß die Zahl der Deutschen ist, die von der Möglichkeit der Aussiedlung Gebrauch machen können, und oh alle diese Deutschen in einem Jahr oder in welchem Zeitraum die Erlaubnis zur Aussiedlung erhalten werden?
Verbindliche deutsch-tschechoslowakische Absprachen über die Zahl der aussiedlungsberechtigten Deutschen und über den Aussiedlungszeitraum gibt es nicht. Solche Absprachen konnte es auch nicht geben, weil es zunächst die betroffenen Personen selbst sind, die über die Ausreiseabsicht zu entscheiden haben. Beim Deutschen Roten Kreuz selbst waren am 1. Januar 1973 insgesamt 24 474 Ausreisewünsche aus der CSSR in die Bundesrepublik Deutschland registriert.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht auf Grund der schlechten Erfahrungen mit den unterschiedlichen Zahlenangaben bezüglich der Aussiedlung aus dem Bereich der Volksrepublik Polen richtig gewesen, die Tschechoslowakei davon in Kenntnis zu setzen, daß wir von einer Zahl von 24 500 ausgehen?
Das haben wir gemacht. Aber Sie werden verstehen, daß es nicht gut gewesen wäre, wenn wir verbindliche Vereinbarungen über Zahlen zu treffen versucht hätten; denn es mag sein, daß sich die Zahl derer, die sich zu den deutschen Volkszugehörigen rechnen und die bisher nicht ausreisewillig sind, verändert. Die Zahl derer, die sich zu dem deutschen Volk zählen, ist auch hier schon angegeben worden. Ich muß sie aus dem Kopf wiederholen; ich glaube, etwa 85 000 war die letzte Zahl. Der Fall liegt ganz anders als in Polen insgesamt, wie Sie wissen.
Vizepräsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, besteht aber dann zumindest eine Übereinkunft, in welchem Zeitraum die Deutschen, die das Begehren auf Aussiedlung stellen, auch aussiedeln können? All das drängt sich auf, nachdem wir diese sehr schlechten Erfahrungen mit den ständig rückläufigen Zahlen der Aussiedlung aus dem Bereich der Volksrepublik Polen haben; Sie selber haben das eben hier erwähnt.
Herr Abgeordneter, ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß hier Unterschiede zwischen beiden Staaten bestehen. Die Aufzeichnungen über die Gespräche in Prag, die zuletzt geführt worden sind, veranlassen mich zu der Feststellung daß wir hier, glaube ich, mit einiger Zuversicht davon ausgehen können, daß die tschechoslowakische Seite, die die Volkszugehörigkeit der deutschen Volkszugehörigen nie angezweifelt hat, entsprechende Konsequenzen ziehen wird.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Werner auf;
Welchen Umfang und welche konkrete Einordnung in internationale Hilfsmaßnahmen hat die von der Bundesregierung bisher für Äthiopien und die sogenannten Sahel-Länder bisher geleistete bilaterale und multilaterale Hilfe?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Der Umfang der bilateralen Hilfsmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland für die von der Dürrekatastrophe betroffenen Länder der Sahel-Zone im Rechnungsjahr 1973 ist mit etwa 150 Millionen DM zu beziffern. Davon sind 75 Millionen DM für Soforthilfemaßnahmen - Nahrungs- und Produktionsmittel, Lastwagen, Lagerhallen - bereitgestellt worden. Für multilaterale Hilfsmaßnahmen - FAO und Europäische Gemeinschaft etwa - wurden seitens der Bundesrepublik Deutschland im gleichen Zeitraum weitere 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Der Gesamtumfang der Hilfe beläuft sich somit einschließlich der Transportmittelhilfe des Auswärtigen Amts, die mit zirka 2,5 Millionen DM zu beziffern ist, auf 202 Millionen DM. Die internationale Hilfe für die Sahel-Länder wird durch einen zwischenstaatlichen Ausschuß der Empfängerländer koordiniert. Auf seiten der Geberländer und Geberorganisationen erfolgt eine Abstimmung innerhalb der Welternährungsorganisation und der Europäischen Gemeinschaft.
Zur Linderung der Dürrekatastrophe in Äthiopien sind in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund eines sehr verdienstvollen Spendenaufrufs der Zeitschrift „Der Stern" Geld- und Sachspenden aufgebracht worden, Für Kosten des Transports und der Verteilung von Hilfsgütern hat die Bundesregierung im Rechnungsjahr 1973 einen Betrag von 3 Millionen DM geleistet; ich erinnere an die Luftbrücke und den Hubschraubereinsatz. Im Rahmen der gesamten bilateralen Hilfsmaßnahmen für Äthiopien, die im gesamten Zeitraum einen Umfang von 33 Millionen DM haben, wurden weitere 2 Millionen DM als Gemeinschaftshilfe für Nahrungs- und Produktionsmittel und zur Beschaffung von Lastkraftwagen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland mit fast 7 Millionen DM an multilateralen Hilfsmaßnahmen zugunsten Äthiopiens. Der Gesamtumfang der gewährten Hilfe einschließlich der Beträge aus dem Katastrophenfonds des Auswärtigen Amts in Höhe von zirka 3 Millionen DM beträgt somit 40 Millionen DM. Für die internationalen Hilfsmaßnahmen zugunsten der von der Dürrekatastrophe betroffenen Provinzen hat die äthiopische Regierung einen interministeriellen Ausschuß gebildet, der unter der Leitung eines Ministers steht und die erforderlichen Koordinierungsmaßnahmen durchführt.
Vizepräsident von Hassel: Eine t von Hassel: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wie viele Tage bzw. Wochen die hungernde Bevölkerung in der Sahel-Zone und in Äthiopien von den Millionenbeträgen ernährt werden könnte, die in der EWG zur Denaturierung von Weizen und zur Vernichtung von Obstbäumen aufgewendet werden und die ein Mehrfaches der Beträge ausmachen, die Sie genannt haben?
({0})
Herr Abgeordneter, Sie erwarten sicherlich keine Antwort auf diese Frage, weil ich nicht im Landwirtschaftsministerium diese Fragen bearbeite. Ich kann das nicht übersehen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß es die beiden christlichen Kirchen gewesen sind, die als erste auf die Not in Äthiopien hingewiesen haben und sich als erste aktiv um die Behebung dieser Not bemüht haben?
Herr Abgeordneter, ich bin nicht imstande, jetzt genaue Angaben darüber zu machen. Ich habe nur selber erfahren, daß sich in einem Nachbargebiet die Caritas ganz besonders eingesetzt hat. Ich gehe davon aus, daß das auch für die übrigen Gebiete und auch für das Evangelische Hilfswerk und „Brot für die Welt" zutrifft.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 128 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf:
Hält die Bundesregierung die Angriffe, die von offiziellen Vertretern der DDR, der UdSSR, der CSSR und Polens sowie über clic Rundfunksender dieser Staaten in offiziellem Auftrag gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 gerichtet werden, für eklatante Einmischungen in die inneren Angelegenheiten unseres Staats, und auf welche Weise beabsichtigt die Bundesregierung, den Angriffen wirksam zu begegnen, denen dieses Verfassungsgerichtsurteil. in Osteuropa ausgesetzt ist?
Herr Abgeordneter, wenn die polemischen Äußerungen, mit denen auf östlicher Seite das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 kritisiert wurde, offiziell gegenüber der Bundesregierung gemacht worden wären, hätte die Bundesregierung das sicherlich als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurückgewiesen. Die Bundesregierung sieht jedoch keine Veranlassung, sich im einzelnen mit dem Inhalt von Presseveröffentlichungen auseinanderzusetzen. Schließlich wollen wir auch unserer eigenen Presse nicht das Recht bestreiten, Vorgänge in einem anderen Land kritisch zu untersuchen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß sich die Ostblockländer ihrer Presse ja auch jeweils im regierungsamtlichen Sinne zu bedienen pflegen, muß da nicht die schweigende Hinnahme diese Vorwürfe an ein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland, es betreibe eine revanchistische Auslegung des Grundlagenvertrages, die Gefahr heraufbeschwören, daß die Bundesrepublik Deutschland der Vertragsverletzung geziehen werden kann?
Herr Abgeordneter, zunächst sind mir die Unterschiede - ich darf hier auf den Zwischenruf eingehen - zwischen Presse und Presse durchaus bewußt. Dennoch hält die Bundesregierung aus guten Gründen - das bitte ich Sie zu bedenken, meine Herren Zwischenrufer - an der Übung fest, Presseveröffentlichungen und andere publizistische Äußerungen, gleichgültig wo sie erfolgen, nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland anzusehen.
Diese Haltung berechtigt die Bundesregierung nämlich zu dem Umkehrschluß, daß auch ihr niemand die Verantwortung für publizistische Äußerungen zuschieben kann, die anderswo als Bulletin der Bundesregierung erscheinen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Reaktion des Herrn Bundesministers Franke auf die Moskauer und Ostberliner Urteilsschelte für angebracht, in der er dem Bundesverfassungsgericht praktisch unterstellt, es wolle bestimmen, wie sich die Sowjetunion und die DDR zu diesem Urteil stelle?
Herr Abgeordneter, Sie hatten in Ihrer schriftlich eingereichten Frage nach Äußerungen auf sowjetischer Seite gefragt. Ich kann nicht erkennen, was eine Äußerung des Bundesministers damit zu tun haben soll.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würde sich die Bundesregierung nicht geradezu einer eklatanten Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten schuldig machen, wenn sie den Vorstellungen des Abgeordneten Jäger ({0}) folgte?
Herr Abgeordneter, es ist doch das Recht des Abgeordneten Jäger, hier von dem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch zu machen. Säße er auf einer anderen Bank, hätte er diese Frage sicherlich nicht gestellt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatssekretär, muß das bisherige Schweigen der Bundesregierung nicht den Eindruck erweckt haben, die Kritik aus
Moskau werde hingenommen, weil man sie in gewisser Weise doch für berechtigt halte?
Herr Abgeordneter, dieser Eindruck kann deswegen nicht entstehen, weil die Bundesregierung in diesem Hause - und das ist der Ort der Handlung - ihren Standpunkt dargelegt hat und weil bisher niemand in der Lage war, etwa die Verfassungstreue der Bundesregierung anzuzweifeln.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts alle Verfassungs- und Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland bindet, frage ich Sie, wie sich die Bundesregierung verhalten hat und verhält, wenn nicht nur ausländische, beispielsweise russische, Rundfunksender, sondern auch Teile anderer Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland schärfste und herabwürdigende Kritik am Bundesverfassungsgerichtsurteil üben?
Herr Abgeordneter, ich habe diese Frage, die der Abgeordnete Jäger in anderer Form gestellt hat, glaube ich, beantwortet. Es steht Ihnen völlig frei, Ihrerseits von dem Recht der freien Meinungsäußerung gegenüber solchen Äußerungen Gebrauch zu machen. Das ist die richtige Gesprächsebene, nicht die zwischen Regierung und Rundfunkanstalten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wäre nicht aber die Reaktion denkbar und auch notwendig, daß die Bundesregierung dafür Sorge trägt, daß das Urteil von Karlsruhe in möglichst vielen fremden Sprachen, etwa am Sitz der Vereinten Nationen, mitgeteilt wird, um hier die Antwort auf die Sowjetunion zu erteilen?
({0})
Herr Abgeordneter, Ihnen ist doch sicher bei Ihrer großen Kenntnis der Geschichte und der Philologie östlicher Völker nicht verborgen geblieben, daß die in Frage kommenden Personen im allgemeinen sogar der deutschen Sprache mächtig sind. Dieses Urteil verdient im Urtext gelesen zu werden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Herr Staatssekretär, ich wollte noch einmal zurückkommen auf Ihre Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Jäger. Halten Sie es eigentlich mit dem Inhalt und dem Sinn des Grundlagenvertrages, der ja festlegt, gutnachbarliche Beziehungen zu entwickeln, für vereinbar, wenn von der Regierung der DDR gesteuerte Presseorgane in zunehmender Art und Weise und in zunehmender Schärfe Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland angreifen?
Herr Abgeordneter, ich bin in meiner amtlichen Tätigkeit wiederholt gezwungen, gegenüber Interventionen ausländischer Vertreter, und zwar aus allen Richtungen, die auf dieser Erde überhaupt bestehen, Veröffentlichungen der deutschen Presse als ,das zu charakterisieren, was sie sind, nämlich Veröffentlichungen der Presse auf Grund unseres Grundgesetzes und nicht Veröffentlichungen der Regierung. Ich würde dringend davon abraten, von diesem Verfahren selber abzuweichen, indem ich Ihrem Ratschlag folgte.
Vizepräsident von Hassel: Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung es, wenn ein nicht unbedingt prominentes Mitglied dieses Hauses in einem Interview mit dem sowjetischen Staatsrundfunk eine Urteilsschelte gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ausspricht?
Ich kenne den Vorgang nicht.
({0})
Herr Abgeordneter, die freie Meinungsäußerung ist weltweit.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir müssen mit den Zusatzfragen jetzt etwas sparsamer umgehen, sonst kommen wir nicht von der Stelle. Ich habe das Gefühl, daß wir zuletzt ein bißchen von den Grundlagen der ursprünglichen Frage abgewichen sind.
Ich teile mit, daß die Frage 129 des Kollegen Jäger bereits bei den Fragen an den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen beantwortet worden ist.
Ich rufe die Frage 130 des Abgeordneten Dr. Schwencke auf:
In welcher Höhe unterstützte und unterstützt 1974 die Bundesregierung die Arbeit des Council for Cultural Co-Operation des Europarats, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, dieses Institut weiter zu entwickeln, um die Gesamt-Westeuropäischen Fragen der Erziehung und Kultur außerhalb der Europäischen Gemeinschaften zu realisieren?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Herr Abgeordneter, die dem Rat für kulturelle Zusammenarbeit des Europarats aus dem Haushalt des Europarats zur Verfügung gestellten Mittel „Garantiesumme des Kulturfonds" betragen 1973 2,86 Millionen Französische Francs; für 1974 sind sie auf 3,85 Millionen Französische Francs festgesetzt worden. Nach dem gültigen Beitragsschlüssel der Mitgliedstaaten des Europarats entfallen hiervon auf die Bundesrepublik Deutschland zirka 18 0/0. Die Bundesregierung mißt der kulturellen Zusammenarbeit im Rahmen des Europarats große Bedeutung bei. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die sich hierdurch ergebende Verknüpfung zwischen den neun Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft und den übrigen westeuropäischen Staaten. Die Bundesregierung hat sich schon seit längerem für eine Intensivierung und Schwerpunktbildung im Rat für kulturelle Zusammenarbeit des Europarats eingesetzt und demgemäß auch einer beträchtlichen Mittelerhöhung um rund 35 % für 1974 zugestimmt.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schwencke.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, darauf hinzuwirken, daß das wissenschaftlich und bildungspolitisch allgemein anerkannte europäische Institut so weiterentwickelt wird, daß es möglicherweise keine Neugründung ähnlicher Art in Brüssel für die neun EG-Staaten geben muß?
Ich kann das jetzt nicht im einzelnen beurteilen. Ich kann Ihnen nur generell sagen: Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir die Mehrheit von 21 Staaten gewinnen. Das ist das Problem.
Vizepräsident von Hassel : Zweite Zusatzfrage, bitte schön!
Diese Möglichkeit, Herr Staatssekretär, scheint es nicht zu ergeben, zumal die 17 Staaten des Europarats dieses Institut einerseits weiterentwickeln wollen, dazu aber nicht die Mittel haben, und andererseits jetzt von den neun Staaten in ein neues EG-Institut etabliert werden soll. Würden Sie mir daher zustimmen, daß die europäische Proklamation von politischen Zielvorstellungen und die Realität so weit auseinanderklaffen, wie Ihre Antwort im Blick auf diese Frage?
Herr Abgeordneter, diese Feststellung ist im Prinzip überhaupt keine Neuigkeit. Sie wird noch oft hier getroffen werden müssen. Sie sagen: 17 Staaten haben das Ziel. Dann müssen sie natürlich auch das Geld dafür bereitstellen, wenn sie ehrlich dieses Ziel haben.
Vizepräsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 131 des Abgeordneten Conradi auf:
Sind die Genehmigungen des Bundessicherheitsrats vom 10. September 1973 für den Export von 130 000 Schnellfeuergewehren und 3000 Maschinengewehren nach Griechenland in der Zwischenzeit zurückgenommen worden?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Zu der Frage, welche Beschlüsse vom Bundessicherheitsrat hinsichtlich des Exports von Kriegswaffen in NATO-Länder gefaßt worden sind, kann vor dem Plenum nicht in Einzelheiten Stellung genommen werden, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung ist bereit, sich hierzu im einzelnen vor dem zuständigen Ausschuß zu äußern.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Betreffen die Lieferungen von Handfeuerwaffen an die griechische Regierung die Sicherheit der Bundesrepublik?
Herr Abgeordneter, ich weise auf meine vorherige Antwort hin. Das sind Gegenstände, die in einer nichtöffentlichen Sitzung behandelt werden können.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reiser.
Herr Staatssekretär, schließt denn die genehmigte Teilnahme an einer Waffenausschreibung für Griechenland durch eine Firma der Bundesrepublik ein, daß bei Auftragserteilung damit gleichzeitig die Ausfuhrgenehmigung gegeben ist?
Herr Abgeordneter, ich habe zu der Frage selbst nicht Stellung genommen; deswegen kann ich auch zu der Zusatzfrage hier nicht Stellung nehmen.
Vizepräsident von Hassel: Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Welche Ergebnisse haben sich aus der Zweiten Konferenz der Rheinanliegerstaaten für die zukünftige Salzbelastung, die chemische und die thermische Verunreinigung des Rheins bis zur nächsten Konferenz im Oktober 1974 ergeben?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Baum, bitte schön!
Herr Abgeordneter, die Zweite Ministerkonferenz über den Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen brachte eine Reihe greifbarer Fortschritte, die geeignet sind, die Arbeit der internationalen Kommission zum Schutz des Rheins weiter zu aktivieren und den Willen der Vertragstaaten zu einer gemeinsamen Politik zu stärken.
Zu den einzelnen von Ihnen aufgeworfenen Fragen ist zu bemerken: Auf der Grundlage der Beschlüsse der Ersten Ministerkonferenz, die im Jahre 1972 in Den Haag stattgefunden hat, hat die Bonner Konferenz vom 4. und 5. Dezember 1973 die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Salzbelastung des Rheins schon ab 1975 auf ein vertretbares Maß reduziert wird.
Im Hinblick auf die Verringerung der chemischen Verunreinigung des Rheins hat die Zweite Konferenz der Rheinanliegerstaaten wesentliche Fortschritte gebracht. Auf Vorschlag der deutschen und der französischen Delegation haben die Minister ein Sofortprogramm zur Verringerung der Verunreinigung des Rheins durch Quecksilber und Cadmium beschlossen.
Die Minister haben die von der internationalen Rheinschutzkommission erarbeiteten Grundsätze zur Verringerung der chemischen Belastung, insbesondere die drei Listen der Stoffe, deren Einleitung zu verbieten, einzuschränken oder mit bestimmten Auflagen zu verbinden ist, gebilligt und die Kommission beauftragt, ein internationales Übereinkommen möglichst noch vor der nächsten Ministerkonferenz vorzulegen.
Noch vor Billigung eines internationalen Übereinkommens zur Verringerung der chemischen Belastung werden von den einzelnen Vertragstaaten die erforderlichen Schritte unternommen, um die chemische Verunreinigung zu verringern, keinesfalls jedoch zunehmen zu lassen.
Zur thermischen Verunreinigung des Rheins haben die Minister den Beschluß von Den Haag bekräftigt, nach dem alle künftigen Kraftwerke mit geschlossenen Kühlsystemen oder gleichwertigen Systemen ausgerüstet werden sollen. Sie haben die Kommission beauftragt, bis zur nächsten Ministerkonferenz Regelungen vorzuschlagen, die eine unzulässige Erwärmung des Rheins verhindern, und Vorschläge für eine wirksame Kontrolle der Wärmeeinleitung auszuarbeiten. Die hierfür notwendigen Grundlagen sind in Arbeit und werden in Kürze vorliegen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, zur thermischen Belastung des Rheins: Das französische Kraftwerk Fessenheim wird meines Wissens ohne Kühltürme gebaut. Ist das nicht ein offenkundiger Verstoß gegen die eben von Ihnen genannte Vereinbarung, daß Kraftwerke nur noch mit geschlossenen Kühlsystemen gebaut werden dürfen?
Herr Abgeordneter, die beiden ersten Blöcke des Kraftwerkes Fessenheim, das Sie hier ansprechen, waren bereits im Bau, als der von mir zitierte Beschluß gefaßt wurde. Wir gehen aber davon aus, daß sich die französische Regierung an die jetzt getroffenen Beschlüsse halten wird.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Sie sagen, Sie gehen davon aus. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, falls sie erkennt, daß die dritte Stufe auch ohne Kühltürme gebaut wird?
Herr Abgeordneter, diese Problematik ist Gegenstand der letzten Konferenz gewesen und wird, wenn es notwendig sein sollte, auf der nächsten Konferenz, die im Herbst dieses Jahres stattfindet, wieder angesprochen werden.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe Frage 35 des Herrn Abgeordneeten Dr. Hirsch auf:
Sind konkrete Vereinbarungen hinsichtlich des Rheins über die Verminderung der derzeitigen Tagesfracht von 30 000 t Salz und die Verminderung der Verunreinigung durch Quecksilber und Cadmium innerhalb eines bestimmten Zeitraumes getroffen worden?
Bitte zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Hinsichtlich der Verringerung der Salzbelastung hat bereits die Erste Ministerkonferenz eine Absprache getroffen, daß ab 1. Januar 1975 im Elsaß eine Menge von 60 kg Chlorid-Ionen je Sekunde aufzuhalden ist. Bei Aufhaldung dieser 60 kg je Sekunde - das sind ca. 5 000 t je Tag -- verringert sich die Salzfracht so weit, daß die an der deutsch-niederländischen Grenze geforderte ChloridIonen-Konzentration im allgemeinen nicht überschritten wird. Es ist noch notwendig, diese Absprache in die Form eines Übereinkommens zu bringen. Dieses Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen durch Chloridsalze wird von der internationalen Rheinschutzkommission erarbeitet und soll von der für Herbst 1974 vorgesehenen Ministerkonferenz beraten werden. Ich gehe davon aus, daß die französische Regierung alles tun wird, den Termin des 1. Januar 1975 nicht zu überschreiten.
Zur Verminderung der Verunreinigung des Rheins durch Quecksilber und Cadmium sind bestimmte Fristen oder zulässige Höchstmengen international noch nicht vereinbart worden. Hierzu bedarf es noch einer gründlichen Bestandsaufnahme, zu der die Ministerkonferenz die internationale Rheinschutzkommission veranlaßt hat. Insbesondere ist beschlossen worden, eine Liste der Hauptverunreinigungsquellen am Rhein und an seinen Nebenflüssen aufzustellen. Außerdem hat die Ministerkonferenz die Aufstellung nationaler Programme zur Verringerung der Verunreinigung in den Industriebereichen beschlossen, die Quecksilber und Cadmium in besonderem Maße verwenden.
Es kann davon ausgegangen werden, daß die nächste Ministerkonferenz bereits bestimmte Fristen für die Verringerung dieser Stoffe setzen wird.
Im übrigen haben die Minister ferner Vorschläge der internationalen Rheinschutzkommission für ein langfristiges Sanierungsprogramm gebilligt, das weitgehend auf deutsche Anregungen zurückgeht.
Alle diese Bemühungen, Herr Abgeordneter, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei dem Kampf gegen die Verschmutzung des Rheins um einen langfristigen Prozeß handelt, der erhebliche Anstrengungen und hohe Aufwendungen erfordert. Insbesondere wird es notwendig sein, daß auch auf diesem Gebiet nationale Eigeninteressen zurücktreten.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.
Sie haben von einer Liste der Hauptverschmutzer gesprochen, die in Vorbereitung ist. Wären Sie bereit, diese Liste, wenn sie zur Verfügung steht, dem Innenausschuß vorzulegen?
Dazu bin ich gern bereit.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 36 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Welche kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die katastrophale Nachwuchslage der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, wo im Bundesdurchschnitt nur noch ungefähr 8 % der Ärzte unter 40 Jahre alt sind, nachhaltig zu verbessern?
Bitte schön, zur Beantwortung Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung mißt der Tätigkeit der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst wegen ihrer Bedeutung für die Volksgesundheit großes Gewicht bei. Sie hat zu diesem Problem in ihrer Antwort vom 4. Mai 1972 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Burger und Genossen eingehend Stellung genommen.
Die Bundesregierung ist in enger Zusammenarbeit mit den Ländern bemüht, durch gezielte Maßnahmen die angespannte Personalsituation zu verbessern. Dieses Ziel wird in erster Linie durch eine bevorzugte Nachwuchsförderung für das öffentliche Gesundheitswesen erreicht werden. Ein wichtiger Schritt auf diesem Wege ist die im Staatsvertrag der Länder der Bundesrepublik Deutschland über die Vergabe von Studienplätzen vom 20. Oktober 1972 enthaltene Verpflichtung, bis zu 2 v. H. der Studienplätze den Bewerbern für den öffentlichen Gesundheitsdienst vorzubehalten.
Die Ministerpräsidenten der Länder haben auf ihrer Sitzung am 29. November 1973 weitere flankierende Maßnahmen beschlossen. Es handelt sich hierbei insbesondere um die Einführung einer auf
die künftige Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen ausgerichteten Ausbildung sowie um die Gewährung von Studiendarlehen bis zu 750 DM monatlich.
Über die Auswirkungen der eingeleiteten Maßnahmen können angesichts der Kürze der verstrichenen Zeit noch keine Angaben gemacht werden. Es ist aber zu erwarten, daß dadurch eine fühlbare Verbesserung der Personalsituation erreicht werden kann.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu den Beschlüssen der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, die am 30. November 1973 im Bundesrat im Rahmen der Beratung der Erschwerniszulagenverordnung bezüglich der unbesetzten Planstellen der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst diskutiert wurden?
Baum, Parl Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Abgeordnete, darf ich diese Frage im Zusammenhang mit Ihrer nächsten Frage beantworten?
Ja, gern.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe also die Frage 37 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine Verbesserung der Personalsituation im öffentlichen Gesundheitsdienst auch durch Besoldungsmaßnahmen ({0}) im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern jetzt herbeigeführt werden muß?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung!
Baum, Parl Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der Bundesrat hat anläßlich der Beratung zur Erschwerniszulagenverordnung in seiner 399. Sitzung am 30. November 1973 die Bundesregierung gebeten, für diese Beamten im Rahmen des Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes eine Stellenzulage von 350 DM vorzusehen. Nach Auffassung der Bundesregierung muß eine Besoldungsregelung für die Ärzte im öffentlichen Dienst gefunden werden, die sowohl der Funktion dieser Beamten angemessen ist als auch die Belange des übrigen öffentlichen Dienstes nicht außer acht läßt. Dieses Ziel wird in erster Linie durch die Überprüfung der Besoldungsstruktur der Ärzte im öffentlichen Dienst im Rahmen einer funktionsgerechten Besoldung erreicht werden.
Die Ministerpräsidenten der Länder haben in ihrer Sitzung am 29. November 1973 einen gleichlautenden Beschluß gefaßt. Der Entwurf des Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes schafft die notwendigen Voraussetzungen für die Ausgestaltung der funktionsgerechten Besoldung. Nach Vorliegen der auf dieser Grundlage ermittelten Bewertungsergebnisse wird über die gegebenenfalls zu treffenden Maßnahmen zu entscheiden sein.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung mit den Maßnahmen des Ersten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes von 1971, mit der Rückstufung von A 14 a nach Gruppe A 14, heute nicht mehr einverstanden ist und also diese Maßnahme von damals zu korrigieren beabsichtigt?
Baum, Parl Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Abgeordnete, aus meinen Ausführungen ergibt sich, meine ich, daß die Bundesregierung jetzt einen weiteren Schritt zur Verbesserung der Besoldung dieses Personenkreises erwägt.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, wie gedenkt die Bundesregierung die Personalsituation bei den Sanitätsoffizieren der Bundeswehr, für die Sie ja die Personalhoheit haben, zu verbessern?
Baum, Parl Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Hier ist eine andere Situation gegeben, weil dort die von Ihnen erwähnte Erschwerniszulage gezahlt wird. Man wird diesen Komplex im Zusammenhang mit dem soeben behandelten Komplex weiter dahin gehend überprüfen müssen, ob man es bei der Regelung der Erschwerniszulage läßt oder ob man die Regelung in die Novellierungsüberlegungen zum Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz einbezieht.
Danke schön!
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner auf:
ist die Bundesregierung bereit, dafür die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, daß das Tragen von Identitätskarten für Kinder, die außer Namen, Geburtsdatum und Anschrift auch medizinische Angaben enthalten, die bei Unfällen von Bedeutung sind, ebenso zur gesetzlichen Pflicht wird wie in Belgien und Dänemark?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Baum!
Baum, Parl Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, Ihre Frage betrifft zwei verschiedene Problemkreise, nämlich ob Kinder ständig einen Identitätsausweis mit sich tragen und ob sie darüber hinaus auch noch besondere medizinische Angaben mit sich führen sollen. Da somit nicht nur mein Ressort zuständig ist, beantworte ich Ihre Frage mit Zustimmung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit.
Nach Ansicht der Bundesregierung besteht ganz allgemein kein öffentliches Interesse, die Bevölkerung zu verpflichten, ständig einen Identitätsausweis mitzuführen. Kinder sind zwar besonders schutzbedürftig, gleichwohl ist nach den bisherigen Erfahrungen auch bei ihnen die Notwendigkeit einer sofortigen Identifizierung so selten, daß es nicht erforderlich erscheint, speziell für Kinder eine Pflicht zum ständigen Mitführen eines Ausweises zu schaffen. Falls Eltern jedoch wünschen, daß ihre Kinder einen amtlichen Identitätsausweis erhalten, können sie für die Kinder einen Personalausweis oder einen Kinderausweis als Paßersatz ausstellen lassen.
Was die von Ihnen angesprochenen medizinischen Angaben betrifft, so ist der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in Zusammenarbeit mit den Ländern damit befaßt, einen bundeseinheitlichen Notfallausweis einzuführen, der auf freiwilliger Basis der Bevölkerung angeboten werden soll und in dem medizinische Risikofaktoren des Trägers dokumentiert werden können. Falls solche Risikofaktoren bei Kindern vorliegen, kann für diese ein Notfallausweis ausgestellt werden. Es bleibt den Eltern überlassen, gefährdete Kinder zur ständigen Mitführung des Notfallausweises anzuhalten. An eine gesetzliche Verpflichtung dazu ist nicht gedacht.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Geßner.
Können Sie mir sagen, was für die freiwillige Führung des Notfallausweises spricht? Ist es nicht sinnvoll, so etwas gesetzlich zu verlangen?
Die Bundesregierung geht davon aus, daß jeder Bürger, wenn diese Voraussetzungen zutreffen, ein Interesse daran hat, einen solchen Ausweis mitzuführen. Die Überprüfung einer Pflicht wäre ohnehin schwer möglich. Hier ist wirklich auf das Interesse des einzelnen Bürgers selbst abzustellen.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, können Sie sich nicht vorstellen, daß die Regelung, wie sie in Belgien und Dänemark getroffen worden ist, durchaus sinnvoll sein könnte? Ich verstehe nicht, warum man auf der Grundlage der Erfahrung, die dort gemacht worden ist, eine derartige Regelung in der Bundesrepublik nicht einzuführen gedenkt.
Herr Abgeordneter, die Erfahrungen, die dort gemacht wurden, sind nicht eindeutig. Es gibt also keine Bewertung, die eindeutig positiv wäre und uns veranlassen könnte, diese Regelung zu übernehmen.
Vizepräsident von Hassel: Frage 39 des Abgeordneten Reiser:
Trifft es zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland mit hohen Kosten ein besonderes Luftrettungssystem mit Hubschraubern aufgebaut wird und teilweise schon realisiert ist, obschon seit langem die Bereitschaft in der Bundeswehr vorhanden ist, diese Aufgaben mit entsprechenden Einheiten komplett wahrzunehmen?
Bitte schön, zur Beantwortung Herr Staatssekretär Baum.
Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Verteidigung beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
1. Es trifft nicht zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Luftrettungssystem mit Hubschraubern aufgebaut wird. Es handelt sich vielmehr um den Einsatz der Hubschrauber des Katastrophenschutzes. Wie das gesamte Bundespotential des Katastrophenschutzes stehen auch dessen Hubschrauber dem Einsatz im Rettungsdienst zur Verfügung. Die Ausstattung des Katastrophenschutzes mit Hubschraubern ist der Kosten wegen lange zurückgestellt worden. Erst als der Einsatz im Rettungswesen eine sinnvolle effektive und rationelle Verwendung der Hubschrauber ermöglichte, hat die Bundesregierung im Anschluß an ein Projekt des ADAC in drei Modellversuchen die Doppelverwendung im Katastrophenschutz und im Rettungswesen erprobt. Nach dem erfolgreichen Abschluß dieser mehrjährigen Versuche hat der Bundesminister des Innern den zuständigen Ausschüssen des Bundestages berichtet und den Ausbau des Netzes entsprechend den Erfordernissen des Katastrophenschutzes und Rettungswesens auf rund 17 bis 20 Stationen im Bundesgebiet vorgeschlagen. Maßgebend hierfür sind einmal die schon erwähnten Vorteile der Doppelverwendung, zum anderen die Notwendigkeit, sich im Rettungsdienst modernster technischer Hilfsmittel zu bedienen. Die Hubschrauber fliegen im Rettungsdienst durchschnittlich über 1 000 Einsätze im Jahr. Nach dem Urteil der mitwirkenden Ärzte werden dadurch jährlich pro Station 80 bis 100 Menschenleben gerettet. Daneben werden durch den schnellen Einsatz des Hubschraubers in einer Vielzahl von Fällen die nachteiligen Folgen des Notfalls gemindert.
2. Die Bundeswehr war und ist weder bereit noch in der Lage, die Aufgabe der Luftrettung wahrzunehmen. Sie kann dies weder umfassend noch zu einem wesentlichen Teil. Ihr Sanitätsdienst verfügt nicht über Hubschrauber, die speziell für den Rettungsdienst ausgerüstet sind. Die Maschinen des militärischen Such- und Rettungsdienstes haben primär die Aufgabe, abgestürzte Flugzeuge zu suchen und deren Besatzungen zu retten. Sie können im allgemeinen Rettungsdienst nur insoweit eingesetzt werden, als dadurch ihre Hauptaufgabe nicht beeinträchtigt wird. Das bedeutet, daß sie nur unterstützend mitwirken können, soweit das Potential des zivilen Rettungsdienstes entweder nicht ausreicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Lediglich drei Hubschrauber des militärischen Such-und Rettungsdienstes, die an den sogenannten Rettungszentren der Bundeswehr stationiert sind, sind für den zivilen Rettungsdienst abgestellt. Es ist nicht vorgesehen, diese Zahl zu erhöhen.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordneten Reiser.
Herr Staatssekretär, kennen Sie denn einige Vorschläge aus dem Bereich der Hubschrauberpiloten selber, der Marine beispielsweise, die im Rahmen ihrer Ausbildung dieses Luftrettungssystem übernehmen können und wollen?
Herr Abgeordneter, diese Vorschläge sind mir nicht bekannt, aber ich habe Ihnen darzustellen versucht, daß dieses System, das wir aufbauen, zu einer hohen Wirksamkeit gelangen wird, wenn es einmal auf die Hauptzentren im ganzen Bundesgebiet ausgedehnt ist.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Reiser.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, welche Dimensionen ein solches Luftrettungssystem im Bundesgebiet einnehmen soll und wieviel Kosten es verursachen wird?
Es ist an rund 17 bis 20 Stationen im Bundesgebiet gedacht. Genaue Kosten kann ich Ihnen jetzt hier nicht nennen; ich kann Ihnen die Zahlen gern schriftlich zur Verfügung stellen. Es sind hier auch Aufwendungen zu berücksichtigen, die die Länder leisten.
Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Brandt ({0}) werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, nach der der neuen KPD die Eigenschaft einer politischen Partei zuerkannt wurde, und welche Konsequenzen zieht sie aus dieser Entscheidung?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Baum!
Herr Abgeordneter, der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluß vom 9. Januar 1974 bezweifelt, ob die KPD eine Partei ist. Es heißt dazu im Beschluß:
Die Eigenschaft der KPD als einer politischen Partei kann daher nicht mit ausreichender Sicherheit verneint werden.
Deswegen hat der Bundesgerichtshof eine Beschlagnahme von Gegenständen der KPD in dem Ermittlungsverfahren gegen führende Funktionäre der KPD wegen des Verdachts, diese Organisation sei eine kriminelle Vereinigung, für nicht zulässig erklärt. § 129 StGB sei auf Vereinigungen, die eine politische Partei sind, nicht anzuwenden.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der KPD hat in dem Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof keine Rolle gespielt. Der Bundesgerichtshof hat sie ausdrücklich offengelassen.
Der Beschluß des Bundesgerichtshofs ist im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen bestimmte Einzelpersonen ergangen. Es hat daher nur beschränkte rechtliche Wirkung. In den Gründen enthält er jedoch eine ausführliche und sorgfältige Auseinandersetzung mit der Frage einer Parteieigenschaft der KPD. Bei allen Entscheidungen, für die diese Frage von Bedeutung ist, wird er daher künftig besonders beachtet werden müssen. Das gilt zum Beispiel für den Bundeswahlausschuß, der gemäß § 19 Bundeswahlgesetz vor einer Bundestagswahl verbindlich festzustellen hat, welche Vereinigungen für die Wahl als Parteien anzuerkennen sind.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, sieht sich die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die KPD nach ihren eigenen programmatischen Erklärungen für die Bolschewisierung unseres Staates kämpft, veranlaßt, beim Bundesverfassungsgericht eine Verbotsklage gegen die KPD einzureichen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat diese Organisation eingehend dargestellt und auch zu dieser Frage Stellung genommen in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Kollegen Vogel, Dr. Miltner und der Fraktion der CDU/CSU im Mai vorigen Jahres. Darin hat die Bundesregierung erklärt, Zielsetzung und Tätigkeit der KPD seien gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet und verfassungsfeindlich. Daran hält die Bundesregierung fest. Sie hält es jedoch für untunlich, eine öffentliche Verbotsdiskussion zu führen.
Vizepräsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schneider.
Wenn die Bundesregierung es für untunlich hält, eine öffentliche Verbotsdiskussion zu führen, frage ich Sie, ob sie es mit ihren Verfassungspflichten vereinbaren möchte oder könnte, daß die KPD nunmehr mit dem Parteienprivileg ausgestattet weiterhin unter Ausnutzung dieses Privilegs ihren Kampf für die Bolschewisierung unseres Staates ungestört fortsetzen kann.
Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst Ihrer Feststellung widersprechen, daß die KPD mit dem Parteienprivileg ausgestattet worden ist. Das Urteil hat nur festgestellt ich wiederhole diese
Feststellung :
Die Eigenschaft der KPD als einer politischen Partei kann daher nicht mit ausreichender Sicherheit verneint werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich hier um ein strafprozessuales Verfahren mit den üblichen Vermutungen zugunsten des Angeklagten handelt.
Es wird im übrigen die Frage sein, die in ständigem Kontakt mit den Landesinnenministern geprüft wird, welche Aktionen diese Organisation unternimmt. Diese Aktionen werden laufend beobachtet. Die Bundesregierung ist nicht und war nie der Meinung, daß das Parteiverbot ein erstes Mittel ist; es sollte vielmehr ein äußerstes Mittel bleiben.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Bundesregierung unabhängig vom Verfahren des Art. 21 des Grundgesetzes, von dem Sie sprachen, auch die Möglichkeit und wohl auch die Pflicht hat, zu prüfen, ob eine solche Partei als Nachfolge- oder Ersatzorganisation der verbotenen KPD nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1956 anzusehen ist? Hat die Bundesregierung - gegebenenfalls mit welchem Ergebnis - eine solche Prüfung bereits vorgenommen?
Herr Abgeordneter, dazu hat die Bundesregierung eingehend in der von mir schon zitierten Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion Stellung genommen.
Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Immer auf:
In welcher Weise hat die Bundesregierung darauf hingewirkt, daß der Gebrauch von Dienstfahrzeugen ({0}) auf ein Mindestmaß reduziert wird, und welche Mengen Treibstoff bzw. welche Kosten konnten gegebenenfalls eingespart werden?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Am 13. November 1973 hat der Bundeskanzler alle Bundesressorts aufgefordert, unter anderem auch im Bereich des Dienstkraftfahrzeugwesens Maßnahmen zur Einsparung von Energie zu treffen. In gleicher Weise hat sich der Bundeskanzler an die Ministerpräsidenten der Länder gewandt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat die Wirtschaftsminister der Länder und die Verbände der Wirtschaft ebenfalls zu Sparmaßnahmen aufgerufen. Der Bundesminister des Innern hat bei den Innenministern der Länder und den kommunalen Spitzenverbänden entsprechende Maßnahmen angeregt. Für die Bundeswehr hat der Bundesminister der Verteidigung und für den Bundesgrenzschutz das Bundesinnenministerium gezielte Maßnahmen angeordnet.
Einsparungen im Bereich des Kraftfahrzeugwesens sollen unter anderem vor allem durch weitgehende Einschränkungen von Dienstfahrten mit Dienstkraftwagen, Beschränkungen von Übungsfahrten im Bereich der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes und optimale Nutzung des Kraftstoffes erreicht werden. So wurde empfohlen, für Dienstfahrten so weit wie möglich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder zumindest verschiedene Dienstfahrten zu Sammelfahrten zusammenzulegen.
Soweit überschaubar, ist diesen Anregungen gefolgt worden. Eine exakte Zahl für die eingesparte Kraftstoffmenge läßt sich wegen der im Vergleichszeitraum teilweise recht unterschiedlichen Ausgangswerte noch nicht ermittelt. Jedoch lassen die mir in der Kürze der Zeit erreichbaren Angaben bereits jetzt überschlägige Berechnungen zu. Danach liegt die Kraftstoffersparnis der Bundesministerien bei durchschnittlich 15%. Dies bedeutet, bezogen auf einen Monat, eine Einsparung von ca. 20 000 Litern Kraftstoff.
Die Einsparungen beim Bundesgrenzschutz betragen ebenfalls annähernd 15 %. Dies entspricht monatlich einer Menge von ca. 50 000 Litern Kraftstoff. Die Einsparungen bei dem Betrieb von Luftfahrzeugen des Bundesgrenzschutzes liegen sogar bei etwa 30%, d. h. bezogen auf einen Monat bei ca. 55 000 Litern.
Für den Bereich der Bundeswehr werden die getroffenen Maßnahmen voraussichtlich eine Einsparung von ebenfalls 15% des gesamten Betriebsstoffverbrauchs erbringen. Konkrete Zahlen über die Betriebsstoffeinsparungen bei Kraftfahrzeugen können aber frühestens nach Vorliegen der Quartalsergebnisse zum 1. April 1974 genannt werden. Auf besondere Erhebungen ist wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwands verzichtet worden.
Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, ich möchte nur fragen, ob Sie bereit sind, diese Zahlen zur Verfügung zu stellen, wenn sie vorliegen.
Ich bin gern bereit, Ihnen diese Zahlen zur Verfügung zu stellen.
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der für die Fragestunde vorgesehenen 90 Minuten angelangt. Die Fragen
A 52, 53, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 63, 64, 65, 66, 67, 69,
B 33, 36, 37, 38, 39 und 43 sind nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig weil sie die Tagesordnungspunkte 3 a) und b) betreffen.
Die Fragen A 85. 86 und B 20 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht mehr beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir fahren in der Tagesordnung fort mit der Fortsetzung der Aussprache zu den Tagensordnungspunkten 3 a und b, die uns heute vormittag beschäftigten. Nach der mir vorliegenden Rednerliste hat sich der Abgeordnete Lenzer zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf die energiepolitische Debatte von heute morgen zurück4598
kommen. Der Bundesminister für Forschung und Technologie, Herr Professor Ehmke, hat diese Gelegenheit benutzt, um das von ihm am 8. Januar 1974 der Öffentlichkeit vorgestellte Rahmenprogramm „Energieforschung für die Jahre 1974 his 1977" besonders herauszustellen.
Dies ist für uns nicht überraschend; denn bisher hat die Regierung diese Probleme vor sich hergeschoben und sich immer wieder nur auf Gutachten und Studien zur Vorbereitung berufen.
Die CDU/CSU begrüßt jedoch grundsätzlich dieses vorgelegte Energieforschungsprogramm der Bundesregierung und wertet dies als einen ersten Ansatz zur Erforschung und Entwicklung neuer Energiequellen und der Energieverwendung. Es kann also nur ein Schritt auf diesem Wege sein.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vermerkt weiter mit Genugtuung, daß in diesem Programm offensichtlich eine Fülle ihrer eigenen Anregungen übernommen worden ist, die sie seit geraumer Zeit sowohl im Deutschen Bundestag als aber auch der Öffentlichkeit vorgelegt hat.
Gestatten Sie mir, bevor ich mich damit beschäftige, eine kleine Zwischenbemerkung. Es ist doch geradezu grotesk und äußerst verwunderlich, wenn in ,der Pressemitteilung des BMFT vom 4. Januar 1974 von den - so wörtlich -- „sattsam bekannten CDU/CSU-Angriffen gegen Kernforschung und Kerntechnik" zu lesen ist. Ich glaube, es handelt sich hierbei um eine Freudsche Fehlleistung, oder aber in dem BMFT werden die Initiativen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schamhaft verschwiegen, anstatt sich mit ihnen konstruktiv auseinanderzusetzen. Überhauppt verrät der ganze Stil, auf Kritik zu reagieren, das schlechte Gewissen.
Lassen Sie mich nun zur Untermauerung meiner Argumentation aus der Fülle der CDU/CSU-Vorschläge einige besonders markante Beispiele herausgreifen.
Erstens. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode haben wir einen Antrag in diesem Haus eingebracht - es handelt sich dabei um die Drucksache VI/3394 -, der der Förderung des Hochtemperaturreaktors galt und besonders auch auf die Verwendungsmöglichkeit dieses fortgeschrittenen Reaktors zur Erzeugung nuklearer Prozeßwärme hinwies. Auch damals wurde von den Koalitionsfraktionen zunächst versucht, diesen Antrag als gegenstandslos darzustellen. Später stimmte man jedoch im damals federführenden Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu. Jedoch konnte wegen des frühzeitigen Endes der Legilaturperiode der Antrag nicht mehr abschließend beraten werden. Von seiten der Bundesregierung wurden aber zur damaligen Zeit keinerlei Konsequenzen aus diesen Diskussionen gezogen.
Zweiter Punkt. Am 30. November 1973 hat meine Fraktion mit der Drucksache 7/1319 erneut den Gedanken der umfassenden Nutzung des Hochtemperaturreaktors in ihrem Antrag „Verbund Kernenergie und Kohle" aufgegriffen und präzise Vorschläge gemacht. Die CDU/CSU-Fraktion fordert darin die Bundesregierung auf, in Zusammenarbeit
mit den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Saarland sowie interessierten Unternehmen mit der Gründung einer Gesellschaft den Schritt zum Bau einer großtechnischen Anlage der Kohleveredelung mit Hilfe der Kernenergie zu tun. Die Verbindung von Kernenergie und Kohle in einem Verbundsystem gestattet es, sowohl Elektrizität zu erzeugen als auch Kohle zu veredeln und chemische Prozesse einzuleiten. Uns schwebt bei diesen Überlegungen vor, ähnlich dem amerikanischen NASA-Weltraumprogramm unverzüglich ein großtechnisches Entwicklungsprogramm in Angriff zu nehmen, das geeignet ist, in absehbarer Zeit einen Beitrag zur Lösung der Energieprobleme, zur Schließung der Energielücke und zur Substituierung der besonders teuren und risikoreichen Energieträger zu leisten.
Drittens. Auch die energiepolitische Fachkonferenz unserer Fraktion am 26. und 27. Oktober 1973 in Wiesbaden unter der Federführung des Kollegen Russe und der CDU-Bundesparteitag vom 18. bis 20. November 1973 in Hamburg haben die Bundesregierung erneut auf ihre Verantwortung in diesem Bereich hingewiesen und sie aufgefordert, endlich einmal ein Gesamtkonzept einer Energiepolitik vorzulegen. Ich möchte aus den zehn verschiedenen Punkten, die dort verabschiedet worden sind, nur den hervorheben, der den verstärkten Bau von Kernreaktoren durch eine drastische Abkürzung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Kernreaktoren und andere Energieanlagen betrifft. Weiterhin erwähne ich den Bau von Urananreicherungsanlagen auch auf deutschem Boden, die Ausweitung der bestehenden Forschungsprogramme, die Vergasung und Verflüssigung von Braun- und Steinkohle sowie die bessere Ausnutzung und Verwendung der verfügbaren Energieträger.
Ich möchte Sie, Herr Minister, in diesem Zusammenhange fragen, wo z. B. Ihre Vorschläge zur Vereinheitlichung, Rationalisierung und Straffung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens bleiben. Sollte es nicht möglich sein, durch Typengenehmigungen oder durch die Genehmigung einzelner Komponenten - ich weiß, daß das Innenministerium zuständig ist; aber das muß doch sowieso durch das Kabinett gehen; bitte, ergreifen Sie doch einmal als federführender Minister die Initiative und sorgen Sie dafür, daß das Bundesinnenministerium hier einen Vorschlag unterbreitet;
({0})
wir wollen diesem Vorschlag dann in diesem Hause gern zustimmen.
Der Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang am 3. Dezember 1973 vor der Belegschaft der BASF in Ludwigshafen folgendes erklärt - ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren -:
Auch mit der Nutzung der Atomenergie müssen wir rascher als bisher geplant vorankommen, und deshalb muß über Genehmigungen - dies gilt übrigens auch für Kraftwerke konventioneller Art - rascher entschieden werden ... Meine Aufgabe kann es nicht sein, die Prüfung der Sicherheitsfragen beim Reaktorbau zu übernehmen. Eine solche Prüfung ist bestimmt notLenzer
wendig; aber bürokratische Langsamkeit, wie wir sie vielfach erlebt haben, können wir uns nicht mehr leisten.
Ich darf Sie fragen, ob dies nur eine Sonntagsrede war, die auf dem Hintergrund der augenblicklichen Energiekrise des Beifalls gewiß sein konnte, oder ob demnächst nun wirklich eine Initiative kommt. Dies würde natürlich bedeuten, daß nicht immer wieder mit allen Einwänden gegenüber der Kernenergie und ihrer friedlichen Nutzung kokettiert und den Protestierern nach dem Munde geredet wird, sondern daß auch einmal von seiten des Bundesministeriums für Forschung und Technologie auf die extremen Sicherheitsanforderungen und die damit verbundene geringe Belastung der Bevölkerung und der Umwelt hingewiesen wird.
Vierter Punkt. Die CDU/CSU-Fraktion hat die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, Kernforschung und Kerntechnik einen höheren Stellenwert einzuräumen. Dazu gehören sowohl eine angemessene Mittelaufstockung beim Vierten Atomprogramm als auch unsere Vorschläge zur Energieforschung, die ebenfalls in der Debatte am 29. November 1973 in der 67. Sitzung des Deutschen Bundestages vorgebracht wurden. So sollten nach unserer Auffassung unter anderem im Einzelplan 30 ein besonderer Haushaltstitel „Energieforschung" geschaffen und die Mittel für folgende Projekte verwendet werden wir hatten dafür 1974 zunächst einmal die Summe von 140 Millionen DM vorgesehen - einmal zur Förderung der Forschung und Entwicklung im Bereich der Energieerzeugung, des Energietransports und der Energieumwandlung, ferner für den Einsatz der nuklearen Prozeßwärme aus Hochtemperaturreaktoren im Bereich der Kohle-, der Stahl- und der chemischen Industrie, darüber hinaus für die Entwicklung von Verfahren der Kohleveredelung, insbesondere der Kohlevergasung und der Kohleverflüssigung, und schließlich zur Anfertigung von Studien und Gutachten über neue Energiequellen und neue Möglichkeiten der zukünftigen Energieerzeugung und der Energieversorgung. Hierzu gehört selbstverständlich auch das Sich-Beschäftigen mit dem rationelleren Einsatz der Energie.
Noch in der gleichen Sitzung des Deutschen Bundestages - auch daran möchte ich Sie, Herr Minister, erinnern - haben Sie etwa sinngemäß ausgeführt, daß man mit mehr Geld im Moment ohnehin nicht mehr anfangen könnte und daß Sie deswegen kein Sofortprogramm vorlegen wollten. Sie haben das auch heute morgen wieder in Ihren Ausführungen bekräftigt. Damals haben Sie wörtlich erklärt:
Ich möchte einfach in der Öffentlichkeit nicht das Mißverständnis erwecken, Forschung und Technologie könnten, wenn man nur genug Geld hineinpumpt, die Schwierigkeiten der nächsten Monate beheben.
Nun, ich möchte dazu sagen: das ist nach unserer Auffassung überhaupt nicht das Problem, sondern uns geht es darum, deutlich zu machen, daß man bei einem größeren finanziellen Einsatz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schneller zu Ergebnissen kommen wird.
Wir begrüßen es also, daß die Bundesregierung nach langem Anlauf nun offensichtlich doch zum Sprung angesetzt hat. Sie ist ja ziemlich lange in den Startlöchern hocken geblieben. Aber diese grundsätzliche Zustimmung und unser Angebot zu konstruktiver Zusammenarbeit, das auch der Kollege Russe heute morgen bekräftigt hat, verpflichten uns zu einer sorgfältigen und kritischen Überprüfung Ihrer Vorschläge. Gestatten Sie mir deshalb, ganz kurz auf einige nach unserer Auffassung bestehende Mängel in Ihrem Rahmenprogramm „Energieforschung" hinzuweisen.
Erstens. Es wäre der politischen Diskussion dienlich, wenn der Forschungsminister mit den Zahlen operierte, die wirklich auch von diesem öffentlichen Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Sonst muß man unterstellen, daß er wieder versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob die Bundesregierung für diesen Bereich 1,5 Milliarden DM im Rahmen dieses Programms ausgeben will. Dieses Mißverständnis hat schon einmal in einem ähnlichen Fall zu Diskussionen geführt. Für die Industrie bleiben 550 Millionen DM übrig. 800 Millionen DM beträgt der Anteil des Bundes, und schließlich hofft das BMFT noch auf eine Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen von 150 Millionen DM. In der Vergangenheit war es jedenfalls immer so, daß nur das als Gesamtausgabe ausgewiesen wurde, was auch tatsächlich an echter Leistung in dem Haushalt des Bundes eingestellt war.
Nun legt also auch der Forschungsminister erstmals ein Programm vor, in dem er schon die voraussichtlichen Ausgaben der Wirtschaft verplant. Wir halten diese Methode für unseriös und verlangen, daß die bisherige Praxis wiedereingeführt wird, d. h. daß nur die staatlichen Ausgaben als Gesamtausgaben deklariert werden.
({1})
Zweitens. Ein entscheidender Fehler des vorgelegten Forschungsprogramms liegt darin, daß keine Prioritäten und Ziele festgelegt werden, an denen sich die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ausrichten. Wir wissen, daß vor allem im Wärmesektor und auch im Verkehrssektor eine Substitution des Mineralöls erfolgen muß, wenn wir auf diesen Gebieten eine größere Unabhängigkeit erreichen wollen. Ausgehend von der anzustrebenden Verteilung der Nutzenergie sollte deshalb auch das Energieforschungsprogramm zielstrebiger ausgerichtet werden. Was nunmehr vorliegt, meine Damen und Herren, ist ein primär an der Kohle orientierter Rahmen, wobei aber die anzustrebenden Ziele nicht klar genug herausgestellt werden.
Drittens. Auf Grund des Programms soll eine Vielzahl von Verfahren der Kohleveredelung gefördert werden. Woher die Kohle kommt, wird aber an keiner Stelle gesagt. Minister Friderichs Energieprogramm mit seinen Zahlen für die Kohleförderung ist bis heute noch offiziell gültig. Ich kann es an dieser Stelle ganz kurz machen. Herr Kollege Russe hat bereits heute morgen auf die Widersprüche hingewiesen. Wir können auf der einen Seite nicht zusätzliche kohleverbrauchende Maßnahmen in einem
Energieforschungsprogramm ausweisen, wenn wir uns auf der anderen Seite plötzlich Gedanken machen müssen, woher der zugrunde gelegte Rohstoff überhaupt kommen soll. Sie haben versucht, darauf zu antworten. Was Sie dazu gesagt haben, war für uns trotzdem nicht ganz überzeugend. Hätten Sie Ihr Programm früher vorgelegt, hätten Sie Ihre Schularbeiten früher gemacht - so möchte ich es einmal etwas flapsig formulieren -, dann wäre es möglich gewesen, die beiden Programme aufeinander abzustimmen. Das muß jetzt nachgeholt werden.
Viertens. Der Forschungsminister legt in diesem Programm ein Paket von Förderungsmaßnhmen vor, das in aller Eile zusammengestellt wurde. Es ist nicht ersichtlich, was mittel- und längerfristig mit dem Forschungsprogramm überhaupt erreicht werden soll. Welche Rolle soll die Kohle spielen? Auch andere Fragen müssen gestellt werden: Welche Entwicklungen sind notwendig, um neue Energieträger an Stelle der Kohle für die Jahrhundertwende zu entwickeln? Was geschieht mit der Abwärme aus den Kraftwerken? Das sind alles Fragen, die beim Energieforschungsprogramm, obwohl eine Fülle von Vorschlägen und Maßnahmen geschildert werden, nicht genügend berücksichtigt sind. Gerade der Einsatz von Fernwärme durch ein rezyklierendes Verfahren mit Hilfe der Kernenergie könnte zu einer erheblichen Entlastung im Wärmesektor führen. Die CDU/CSU hat auf die Bedeutung der nuklearen Prozeßwärme schon verschiedene Male hingewiesen. Mit Hilfe der Kernenergie läßt sich im Wärmesektor das Mineralöl substituieren und damit auch der entscheidende Durchbruch erzielen.
So begrüßenswert auch die Aktivitäten auf dem Gebiet der Kohleflüssigung sind, so müssen wir doch im Auge behalten, daß eine Verminderung des Mineralölverbrauchs auf die Dauer nur durch eine Substitution im Wärmesektor vor allem bei den Kleinverbrauchern, bei den privaten Haushalten erreicht werden kann.
Fünftens. Die industriepolitischen Aspekte der Energieversorgung sind zu wenig berücksichtigt. In Deutschland ist sehr viel entwickelt worden, und es besteht eine große technisch-wissenschaftliche Kapazität, die bei der Lösung dieser Probleme in Zukunft mithelfen kann. Was fehlt, ist eine Koordinierung des gesamten Sachverstands und der zielgerichtete Einsatz der Kapazitäten. Dazu müssen Projektträger, dazu müssen Gesellschaften gegründet werden. Es muß also eine Koordination auch im industriepolitischen Bereich stattfinden.
Lassen Sie mich zum Schluß zusammenfassend feststellen: Das Energieforschungsprogramm bietet zwar eine ganze Reihe von Maßnahmen an, vermeidet jedoch die Festsetzung von Prioritäten sowie eine klare Zielbestimmung in der Gesamtschau. Der Einfluß der Energieversorgung auf die Umwelt, das Problem der Standortbeschaffung der Anlagen, die Nutzung der Abwärme - z. B. aus Kernreaktoren - zur Deckung des Bedarfs der Kleinverbraucher und der Einsatz der nuklearen Prozeßwärme sind nicht ausreichend berücksichtigt. Das Energieforschungsprogramm kann deshalb nur ein Anfang einer großen Anstrengung und Zusammenfassung aller Kräfte
sein, um die Energieversorgung auch in Zukunft sicherzustellen. Es sollte unverzüglich erweitert und mit dem Wirtschaftsminister abgestimmt werden. Darüber hinaus sollten wir über eine europäische und atlantische Kooperation zu einer internationalen Arbeitsteilung kommen und versuchen, auch die Energieforschungsprobleme gemeinsam - das möchte ich sagen: in erster Linie gemeinsam mit unseren Freunden - zu lösen.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordnete Stahl ({3}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausgangslage der heutigen Debatte zum Energieproblem, ausgelöst durch die steigenden Preise und die weiterhin gegebene Unsicherheit der gegenwärtigen Versorgung, hat den Druck verstärkt, die Abhängigkeit vom Energieträger Mineralöl zu lockern. Es gilt also, auch mittels der Forschung im Energiebereich die Versorgung auf mehrere sichere Energieträger für unser Land langfristig zu verlagern. Hierbei werden künftig meiner Ansicht nach zwei Tatsachen eine große Rolle spielen: Erstens. Durch verstärkte Verlagerung auf den einheimischen Energieträger Kohle kann kurz- und mittelfristig eine Verbesserung der jetzigen Situation erreicht werden. Zweitens. Langfristig wird und kann nur die Kernenergie die jetzige dominierende Rolle des Mineralöls übernehmen.
Die Bundesregierung hat in aller Öffentlichkeit deutlich gemacht, von welchen Planungen und Überlegungen sie ausgeht, um Versorgungsschwierigkeiten zu begegnen. Im vorigen Jahr hat zum erstenmal und das muß einmal besonders hervorgehoben werden - eine Bundesregierung ein Energieprogramm vorgelegt, das durch das Vierte Atomprogramm und das nun auch vorliegende Energieforschungsprogramm ergänzt wird.
Unter dem etwas angestaubten Motto - Herr Kollege Lenzer, Sie haben es eben wieder ausgeführt „So nicht, und wir wissen vieles besser" hat die Opposition versucht, die Aktivitäten der Bundesregierung auf dem Gebiet der Forschungs-und Energiepolitik in Frage zu stellen. Sie hat immer wieder in der Öffentlichkeit und auch heute in diesem Hause den Eindruck zu erwecken versucht, als sei die Regierung und besonders Herr Bundesforschungsminister Ehmke untätig, er verkenne dabei den Ernst der jetzigen Lage. Ein Beispiel dafür
Herr Kollege Lenzer, Sie haben eben auch dazu einiges ausgeführt - ist der Antrag der Opposition über den Verbund Kernenergie - Kohle, wie eben nochmals vom Sprecher der Opposition hervorgehoben wurde. Mit diesem Antrag erweckt die Opposition nicht nur den Eindruck, als wäre dieser Verbund etwas völlig Unerhörtes und Neues und würde dank der Genialität der Opposition alle künftigen Schwierigkeiten der Energieversorgung beheben können. Der Gedanke, Herr Kollege Lenzer, einen derartigen Verbund zu schaffen, ist bereits vor mehreren Jahren durch den sozialdemokratischen Staatssekretär des Landes Nordrhein-Westfalen,
Stahl ({0})
Herrn Professor Leo Brand, geäußert und durch Versuchsanlagen in der Kernforschungsanlage Jülich erprobt worden. Diese seit Jahren laufenden Versuche dienen dem Zweck, mittel- und langfristig die Energieversorgung durch Kohlevergasung, Kohleverflüssigung und Gewinnung von Rohstoffen für die chemische Industrie die Energie- und Rohstoffversorgung insgesamt sicherer zu gestalten.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenzer?
Bitte schön!
Herr Kollege Stahl, können Sie dem Hause vielleicht mitteilen, wie es zu erklären ist, wenn dieser Vorschlag von dem ehemaligen 'Staatssekretär Brand in Nordrhein-Westfalen bereits vor so langer Zeit gemacht wurde, daß dies dem jetzigen Bundesminister für Forschung und Technologie, der auch noch für die Post zuständig ist, die da hätte mithelfen können, verborgen geblieben i st?
Herr Kollege Lenzer, ich glaube nicht, daß das dem Bundesminister Ehmke verborgen geblieben ist. Aber ich bitte Sie zu berücksichtigen, wie vor einem Jahr die Energiesituation auf dem Markt der Bundesrepublik tatsächlich war. Wenn Sie das berücksichtigten, würden Sie wahrscheinlich nicht derartige Zwischenfragen stellen.
Meine Damen und Herren, was die Opposition an wirklich Neuem bringt, ist der Vorschlag, eine besondere Gesellschaft zur praktischen Verwertung dieser Erkenntnisse zu gründen, die - wie von der CDU/CSU-Fraktion selbst zugegeben - nicht vor 1990 mit dem Betrieb einer Verbundanlage Kernenergie-Kohle beginnen könnte. Die Gesellschaft soll durch den Bund, die Länder und die Wirtschaftsunternehmen finanziert werden. Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion heißt es - und die Aussage spricht für sich selbst
Nach dem Bau der Prototypanlagen sind die Anteile der staatlichen Gesellschafter an Wirtschaftsunternehmen zu übertragen.
Nichts anderes war zu erwarten. Dabei muß doch einmal die Frage gestellt werden: Warum soll, wenn die Millionen und Abermillionen verschlingende erste Phase der Forschung und Erprobung, die voller Risiken ist, abgeschlossen wurde, die private Wirtschaft das nun gebaute Haus ganz zur freien Nutzung erhalten? Meine Damen und Herren, es stünde der Opposition besser an, sachliche und konstruktive Alternativen zu entwickeln.
Die Bundesregierung hat auf den wachsenden Druck der Erdölförderländer kurzfristig, bedachtsam sowie energisch reagiert. Sie hat erkannt, daß der Bereich Energieforschung, der die einzige Möglichkeit bietet, sich aus der Abhängigkeit von der Übermacht des Erdöls schrittweise zu lösen, schnell zu einem schlüssigen Rahmenprogramm zusammengefaßt werden muß.
Besondere Bedeutung kommt der Förderung der Verwendung von einheimischer Steinkohle im neuen Rahmenprogramm Energieforschung zu. Da die Kohlenvorräte im Gegensatz zum Erdöl noch für zirka 200 Jahre ausreichen, wird diesem Energieträger künftig ein wesentlich größeres Schwergewicht beigemessen werden müssen. Die letzten Preissteigerungen beim Erdöl geben deutlich der Kohle auch im Preiswettbewerb am Markt wieder eine echte Chance, die vom deutschen Steinkohlebergbau sicherlich genutzt werden wird.
Der Schwerpunkt des Rahmenprogramms Energieforschung ist die Druckvergasung von Steinkohle, mit einem Finanzaufwand im Programm von zirka 616 Millionen DM ausgewiesen. In einem 170-Megawatt-Kraftwerk in Lünen ist ein derartiges Verfahren schon erprobt worden. Ziel dieses Verfahrens ist es, künftig die Kohledruckvergasung auch für Großkraftwerke weiterzuentwickeln. Der Wirkungsgrad der Energieausnutzung soll dabei deutlich von zur Zeit 38 auf 45 % erhöht werden. Außerdem soll eine preiswerte Entschwefelung des Kohlegases erfolgen, die den Erfordernissen des Umweltschutzes besser als bisher Rechnung tragen wird.
Ein zweites wichtiges Forschungsvorhaben des Programms sieht vor, aus Steinkohle mit Hilfe von Kernreaktorwärme ein Synthesegas zu erzeugen, das als Erdgasersatz benutzt werden kann. Hierbei soll Kernwärme aus einem Hochtemperaturreaktor, wie er zur Zeit in Schmehausen bei Unna errichtet wird, zur Kohlevergasung benutzt werden. Auf diese Weise können gegenüber herkömmlichen Vergasungsmethoden 30 bis 40 % Steinkohle eingespart werden.
Das breit gefächerte Programm, das für den Zeitraum 1974 bis 1977 Mittel in Höhe von zirka 1,5 Milliarden DM erfordert, wird außerdem der Kohlehydrierung sowie der Bergbau- und Tiefbohrtechnik neue Impulse geben. Ferner sollen verbesserte Methoden der Energieumwandlung, des Energietransports, der Energiespeicherung und der Energieverwendung gefördert werden. Die benötigten Finanzmittel sollen vom Bund, den Ländern und den beteiligten Wirtschaftsunternehmen aufgebracht werden. Im Haushalt des Bundes 1974 wird ein Betrag von etwa 160 Millionen DM veranschlagt.
Meine Damen und Herren, die Opposition hatte der Bundesregierung mehrfach vorgeworfen, daß sie im Bereich der nichtnuklearen Energieforschung untätig gewesen sei.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hätte der Anstöße der Opposition nicht bedurft. Sie hat innerhalb kürzester Zeit ein Energieforschungsprogramm zusammengestellt, das ausländischen Vorbildern ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann, und es finanziell großzügiger konzipiert als von der Opposition in Anträgen gefordert. Sie hat damit deutlich gemacht, wie unberechtigt die Vorwürfe der Opposition sind.
Erlauben Sie mir, das noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Kurzfristig werden wir mit der Energieverknappung nur durch wirtschafts- und
Stahl ({1})
außenpolitische Maßnahmen fertig. Vom Rahmenprogramm Energieforschung dürfen wir keine Sofortwirkungen im Hinblick auf die Verminderung unserer Abhängigkeit vorn Mineralöl erwarten, wohl aber können und werden sich in einigen Jahren erste praktische positive Auswirkungen zeigen. Da sich das Forschungsprogramm auf technologisch bereits weitgehend vorbereitete Entwicklungen deutscher Firmen und der Bergbauforschung bezieht, die in diesem Bereich einen weltweiten guten Ruf genießen, und an diese anknüpfen kann, ist mit greifbaren Erfolgen zu rechnen. Die Stellung der heimischen Kohle als sicherer und jetzt auch preiswerter Energieträger wird durch dieses Programm bestätigt und gestärkt.
({2})
Um die Kernenergie im erforderlichen Maße einsetzen zu können und ihr Potential voll auszunutzen, ist noch ein großer Forschungs- und Entwicklungsaufwand notwendig. Die staatlichen Förderungsmaßnahmen sind im Vierten Atomprogramm zusammengefaßt, das von der Bundesregierung inzwischen ebenfalls verabschiedet worden ist und für die Weiterentwicklung der Kerntechnik in den Jahren 1973 bis 1976 über 6 Milliarden DM an staatlichen Aufwendungen vorsieht.
Das Vierte Atomprogramm hat zum Ziel, durch Forschung und Entwicklung auf lange Sicht die Energieversorgung auf umweltfreundliche Energieträger umzustellen, die Bevölkerung vor Schäden und Gefahren, die bei der Nutzung von Kernenergie entstehen können, zu bewahren. Dein Punkt Sicherheit der Kernreaktoren ist auch ein sehr wesentlicher Abschnitt in diesem Programm mit einer enormen Summe gewidmet. Diese Ziele entsprechen den forschungs- und gesellschaftspolitischen Prioritäten, die in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers am 18. Januar 1973 gesetzt und in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Forschungspolitik konkretisiert wurden.
Die Opposition hat versucht, zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Vierten Atomprogramms einen unhaltbaren Widerspruch zu konstruieren. Sie fordert wirtschaftspolitische Maßnahmen im Zusammenhang mit der Energiekrise, während doch das Vierte Atomprogramm in erster Linie ein langfristiges Forschungs- und Entwicklungsprogramm ist. Die Opposition sollte nicht auf der einen Seite kritisieren, Minister Ehmke habe sich nicht ausreichend um das Vierte Atomprogramm gekümmert, und auf der anderen Seite erklären, sie stimme mit dem Vierten Atomprogramm grundsätzlich überein. Sie macht sich mit dieser Kritik unglaubwürdig. Ihre Forderung nach Mehraufwendungen von 1 Milliarde DM sind haushalts- und finanzpolitisch unreal.
Abschließend sei folgendes festgestellt. Die Bundesregierung hat durch das Vierte Atomprogramm und durch das Rahmenprogramm Energieforschung in der Bundesrepublik für den Ausbau und die Sicherung der Energieversorgung eine tragfähige Grundlage geschaffen. Es gilt, sie nach Kräften zu fördern. Ich kann nur hoffen, daß die Opposition bei den anstehenden Beratungen an der Realisierung der Programme konstruktiv mitarbeiten wird. Das wäre im Interesse unserer Bürger und unserer Wirtschaftsunternehmen und gleichzeitig zur Arbeitsplatzsicherung notwendig.
Mein Dank gilt der Bundesregierung, daß sie so schnell geschaltet hat, und vor allen Dingen auch all den Forschern und ihren Mitarbeitern in den Forschungseinrichtungen unseres Landes, die sich darum bemühen, mit uns gemeinsam das Problem der Energieversorgung, das künftig sehr schwerwiegend sein wird und große Priorität besitzt, zu lösen.
({3})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß vor. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Verkehrspolitik
Drucksachen 7/614, 7/985 -
b) Beratung des Bundesverkehrswegeplans der Bundesregierung ({0})
- Drucksache 7/1045 -
c) Beratung des Programms der Bundesregierung zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr „Mehr Sicherheit auf unseren
Straßen"
Drucksache 7/1283 -Das Wort hat Herr Abgeordneter Schulte ({1}).
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die Fraktion der CDU/CSU im letzten Frühjahr ihre Große Anfrage zur Verkehrspolitik stellte, brachte sie ihre Bedenken zum verkehrspolitischen Kurs der Bundesregierung zum Ausdruck und wies auf eine Reihe gravierender Fehlentwicklungen hin. Heute, mehr als ein halbes Jahr später, finden sich die damaligen Bedenken bestätigt. Die damals ersichtlichen Tendenzen haben sich fortgesetzt. In zentralen Bereichen hat die Bundesregierung zwar wohlklingende Programme vorgelegt, Absichtserklärungen abgegeben, Broschüren verteilt, die verkehrspolitisch interessierte Öffentlichkeit zu beruhigen versucht; die Wirklichkeit, ihr konkretes Handeln und die Ergebnisse sehen jedoch anders aus.
({0})
Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben für den Verkehr ist rückläufig. Es werden weniger Straßen gebaut, und die Deutsche Bundesbahn kann relativ weniger investieren. Die Fehlbeträge beim öffentlichen Personennahverkehr steiSchulte ({1})
gen. Das Defizit der Deutschen Bundesbahn und die Bundesleistungen an dieses Unternehmen gehen ebenfalls in die Höhe. Im öffentlichen Personennahverkehr sollte besonders stark investiert werden. In Wahrheit sind die Mehrleistungen für Investitionen gering. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander, und nur bei der Fertigung von Broschüren scheint die Bundesregierung von ihrer Energiekrise verschont geblieben.
({2})
In drei Jahren ist der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben für Verkehr um 6 °/o abgesunken.
Auch in der mittelfristigen Finanzplanung - um einmal die eigenen Angaben der Bundesregierung zu übernehmen - setzt sich diese Tendenz fort. Der Schrumpfungsprozeß bei den realen Reformen im Verkehrsbereich ist bedenklich, besonders bedenklich, nachdem es die Bundesregierung fertiggebracht hat, innerhalb von 16 Monaten die Mineralölsteuer um 9 Pf zu erhöhen. Das sind pro Jahr 3,6 Milliarden DM an Mehreinnahmen.
({3})
Wir haben noch die Erklärung von Herrn Bundesminister Lauritzen im Ohr, als er meinte, mit den zusätzlichen Geldern würde nun das große Investieren beginnen. Genau das Gegenteil, meine Damen und Herren, ist eingetreten.
({4})
So hat die Bundesregierung die Mittel für den Straßenbau gekürzt. Statt 6,6 Milliarden DM, wie in der Finanzplanung vorgesehen, sollen in diesem Jahr nur 5,5 Milliarden DM, also 1,1 Milliarden DM weniger, verbaut werden. Das ist eine Kürzung um ein Sechstel. Dafür wird der Autofahrer stärker zur Kasse gebeten, und zwar seit 1972 um ein Viertel. Während Georg Leber noch stolz von sich behauptete: „Man nennt mich auch ,Straßenbauminister'", soll es jetzt Ausdruck besonders fortschrittlicher Gesellschafts- und Verkehrspolitik sein, wenn der Straßenbau drastisch eingeschränkt wird.
Von der in der Regierungserklärung angekündigten „Priorität Schiene" ist bei den Investitionen real nur wenig zu sehen.
({5})
Bei der Bahn sank die Investitionsquote von 30 % im Jahre 1964 auf 18,1 0/o im Jahre 1973.
({6})
Ich glaube, das sagt alles. Dabei müssen mehr als 90 % allein für Ersatzbeschaffungen ausgegeben werden. Ohne Investitionen wird es aber eine Bahn der Zukunft nicht geben, und die Zukunftsinvestitionen entscheiden darüber, ob wir das moderne Deutschland haben oder ob die richtigen Männer nur in den Presseabteilungen der Ministerien sitzen.
({7})
Die CDU/CSU hat dagegen verlangt, die zweckgebundene Mineralölsteuer nur für Investitionen zu verwenden. Wir haben verlangt, 2 Pf aus der
letzten Erhöhung der Mineralölsteuer für den Verkehrsausbau in den Gemeinden zu verwenden. Wir haben verlangt, einen eigenen Titel im Haushalt - aber auch in der mittelfristigen Finanzplanung - für den Neubau von Strecken der Deutschen Bundesbahn einzusetzen. All das wurde abgelehnt.
Dafür hat die Regierungsmehrheit die Zweckbindung der Mineralölsteuer praktisch kaputtgemacht, und das, obwohl der jetzige Parlamentarische Staatssekretär Haar noch im Frühjahr 1970 erklärte:
An den Grundlagen der Mineralölsteuerbindung werden wir nicht rütteln lassen. Diese Beträge sind im Hinblick auf die Finanzierungsprobleme des zweiten Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen keine Reservekasse für andere Bedürfnisse.
So weit das Zitat.
({8})
Wir müssen fragen, wie man bei sinkender Investitionsquote die gewaltigen Investitionen, die in
den Programmen angekündigt sind, finanzieren will.
({9})
Wenn wir die Wirklichkeit betrachten, meine Damen und Herren, dann sieht die anders aus als die durch viel Lebensqualität angereicherte Vorstellungswelt von Herrn Minister Lauritzen.
({10})
Jedermann weiß, daß wir die Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs verbessern müssen. Die Bundesregierung hat hier ein Mehr an Leistungen angekündigt und wurde auch in der öffentlichen Diskussion entsprechend gefeiert. Gerade hier hat sie sich auch theoretisch - um ein anderes Wort zu vermeiden - engagiert, und neben dem Herrn Verkehrsminister haben uns auch andere führende SPD-Mitglieder - quasi als Hobby - ihre Erkenntnisse angeboten.
Durchleuchtet man aber diesen Bereich einmal näher, so stellt man fest, daß gerade hier die Ankündigungen und die Realität am weitesten auseinandergehen.
({11})
Und all das wird dann verpackt in gesellschaftspolitische Erkenntnisse, die jedem Juso das Herz höher schlagen lassen.
({12})
Wer in der Öffentlichkeit weiß denn, daß die Verlagerung vom Straßenbau zu den Investitionen im öffentlichen Personenverkehr nur in geringem Ausmaß stattgefunden hat? Wer weiß denn, daß man statt dessen mit den Straßenbaumitteln Löcher in anderen Bereichen stopfen muß? Nach den vorliegenden Fakten kann man nur eines feststellen: Der Durchbruch im öffentlichen Personennahverkehr kann bei dieser Politik nicht gelingen.
({13})
Schulte ({14})
Wir dürfen in diesem Bereich aber nicht nur die Investitionen sehen. Im öffentlichen Personennahverkehr zeichnen sich auf Dauer finanzielle Konsequenzen ab, die von der Bundesregierung bisher praktisch nicht bemerkt worden sind. Das Münchner Modell, ein Verkehrsverbund zwischen U-Bahn, S-Bahn und Omnibus, kann seine Kosten nicht einmal zu 40 °/o decken.
({15})
Und dabei ist ein großer Teil der Investitionen noch nicht einmal in die Rechnung in Form einer Amortisierung aufgenommen. 300 Millionen DM Fehlbetrag im letzten Jahr - wie soll das weitergehen? Wir dürfen, Herr Bundesminister für Verkehr, nicht nur die Einweihungsfeierlichkeiten sehen, sondern müssen auch an die Alimente denken.
({16})
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, über die Folgelasten im öffentlichen Personennahverkehr ein Konzept zu erstellen. Und wir fordern die Bundesregierung auf, unter den denkbaren Möglichkeiten die wirtschaftlichste auch unter diesem Gesichtspunkt zu ermitteln. Wir geben gerne zu, daß die Folgelasten eines der ganz großen Probleme der heutigen Politik sind, egal, ob bei Bund, Ländern oder Gemeinden, egal, ob im Hochschul- oder im Kindergartenbereich. Aber im Verkehr werden ja Gutachten erstellt, es werden die sozialen Kosten des Straßenverkehrs ermittelt; man spricht von Stauungskosten, von Krankenhauskosten, von Polizeikosten. Niemand, meine Damen und Herren, spricht in diesem Zusammenhang von der Subvention der Ballungsräume, niemand spricht von den Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs. Hier genügt einfach die Feststellung, es handele sich um Gesellschaftspolitik. Aber diese Generalabsolution für unterlassenes Denken, meine Damen und Herren, wird die Stadtkämmerer noch bald vor große und möglicherweise unlösbare Probleme stellen.
({17})
Bei der Deutschen Bundesbahn ist die finanzielle Lage ernster denn je, und nicht einmal mehr in der Werbung gibt es „Rosa Zeiten". Das echte Defizit ist im Jahre 1973 auf 2,7 Milliarden DM zu beziffern, die Bundesleistungen auf 7,5 Milliarden DM. Wir haben den berühmten Satz von Georg Leber an dieser Stelle schon so oft wiederholt, daß ich es mir heute versagen kann, aber jedenfalls waren wir noch nie so tief in den „roten Zahlen".
Die Abgeltung betriebsfremder Lasten, Liquiditätszuwendungen, nötige Investitionsbeihilfen, Fremdverschuldung, Zinsaufwand sind so hoch wie nie zuvor - allein ein Zinsaufwand von 1 Milliarde DM pro Jahr. Es gibt Modelle und Äußerungen zur Gesundung der Bahn vom Unternehmensvorstand, vom Verkehrsminister, aber auch, wenn man das einmal richtig liest, vom Finanzminister. So geht das hin und her wie beim Stückgutverkehr.
({18})
Wenn wir aber so weitermachen, dann wird letztlich
über die Verkehrspolitik nicht mehr der Verkehrsminister, sondern nur noch der Finanzminister entscheiden.
({19})
Wir glauben nicht, meine Damen und Herren, daß es Aufgabe der Verkehrspolitik ist, Eisenbahner zu spielen. Wir haben die Aufgabe, den politischen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen die Bahn arbeiten soll. Der politische Einfluß auf die Bahn muß innerhalb dieses vorher fixierten Rahmens weg, und außer im öffentlichen Personennahverkehr ist die Bundesbahn zur Eigenwirtschaftlichkeit zu verpflichten, und sie soll sich dort als kaufmännisch geführtes Unternehmen entfalten können.
Wir meinen auch, daß der Haushalt der Bahn im Rahmen des Einzelplans 12 von den nichteisenbahnspezifschen Bundesleistungen zu säubern ist.
({20})
Hier war doch immer der große Topf, in den sozialpolitische, bildungspolitische, wirtschaftspolitische und regionalpolitische Auflagen bequem eingebracht werden konnten - und das ohne Rücksicht auf die unternehmerischen Interessen der Bahn. Gerade wegen der dann eröffneten Möglichkeit der politischen Alternative handelt es sich bei diesem unseren Bestreben nicht um eine Umbuchung, sondern um eine echte Chance, den Investitionsspielraum der Bahn zu verbessern. Denn erst dann wird die entscheidende Frage gelöst, wodurch einer bestimmten Region oder einem bestimmten Benutzer am ehesten geholfen wird: durch Subvention oder durch Investition.
Vor diesem großen Problem stehen wir doch gerade in weiten Bereichen der Verkehrspolitik. Nur durch klare politische Zielsetzungen, nur durch klare Rechnung kann der Bahn der unternehmerische Arbeitsspielraum gegeben werden, den sie braucht.
({21}) : Wie bei den Flug-
lotsen!)
Heute verhält sich aber ihr Handlungsspielraum genau umgekehrt proportional zu den gesellschaftspolitischen Beschwörungen durch die Bundesregierung.
({22})
Im Bereich des Güterverkehrsmarktes müssen wir immer wieder eine seltsame Neigung der Bundesregierung feststellen. Pläne für die Umlenkung von der Straße zur Schiene aus der Schublade herauszuholen, die längst überholt sein sollten - im Zuge der Energiekrise hat es auch hier nutzlose Hektik gegeben -, die bei einigen falsche Hoffnungen geweckt hat, bei anderen aber nur Verunsicherung auslösen konnte. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ist das ein Spiel, das nicht zur Verkehrspolitik gehört.
Der Güterverkehrsmarkt, meine Damen und Herren, ist in weiten Teilen europäisch. Aber die Bundesregierung erweist den deutschen Unternehmern keinen guten Dienst, wenn sie trotz der schon bestehenden Wettbewerbsverzerrungen deren Belastungen - teils im nationalen Alleingang, teils als europäischer Musterknabe - erhöht.
Schulte ({23})
Notwendig erscheint in diesem Zusammenhang aber auch der Hinweis, daß die Bundesregierung mit ihrem Verkehrswegeplan möglicherweise das Ende einer europäischen Wegekostenregelung eingeleitet haben könnte.
({24})
Auf der heutigen Tagesordnung steht auch die Verkehrssicherheit. Hier hat die Bundesregierung ein Programm vorgelegt, in dem fast alle denkbaren Möglichkeiten enthalten sind. Eigentlich, Herr Minister Lauritzen, fehlt in diesem Programm nur noch Tempo 100 auf Autobahnen, aber das haben Sie ja dafür am letzten Wochenende in die Debatte eingebracht. Wir als Verkehrspolitiker fragen nach der zeitlichen Abfolge dieser Programmpunkte. Wo sind in dem breiten Katalog der möglichen Maßnahmen die Schwerpunkte? Wie hoch sind die Belastungen der Wirtschaft, des Autofahrers? Wie will der Bund all diese Maßnahmen finanzieren? Das sind die Fragen des Politikers. Sie aber, Herr Minister, haben praktisch einen Katalog, einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann vorgelegt.
({25})
Die CDU/CSU bringt deshalb in der heutigen Debatte einen Entschließungsantrag zur Verkehrssicherheit ein, mit dem die politischen Akzente gesetzt werden sollen. Nur durch solche Akzente, nur durch Auswahl, durch einen Zeitplan, kann man aus dem abgeschriebenen Programm, das ja in Wirklichkeit die Experten des deutschen Verkehrssicherheitsrates erarbeitet haben, ein politisches Programm machen, und ich glaube, das brauchen wir.
Die heutige Debatte darf aber nicht vorübergehen, ohne daß auch noch ein Wort zu Tempo 100 auf den Autobahnen gesagt wird. Zu groß ist die Verwirrung in der Öffentlichkeit geworden, und der Minister hat wie immer seinen Teil dazu beigetragen. Wir erinnern uns ja noch gut an seine Haltung im Fluglotsenstreik.
Die CDU/CSU meint zu dieser Frage, daß man die Energiekrise nicht benutzen sollte, um Dinge durchzusetzen, die man ohne Energiekrise nicht hätte durchsetzen können.
({26})
Wir meinen deshalb, daß man nach Ablauf der Energiemaßnahmen zum alten Zustand zurückkehren sollte.
({27})
Für die Bundesstraßen läuft ein mehrjähriges Programm mit Tempo 100. Wir vermögen deshalb nicht einzusehen, weshalb man für die Autobahnen praktisch aus dem Stand entscheiden soll. Sicher wäre es unverantwortlich, wollte man sich neuen Erkenntnissen verschließen. Genauso unverständlich ist es aber, wenn man uns vor zwei Monaten ein großes Programm für die Verkehrssicherheit vorlegt und darin kein Wort über eine Tempobeschränkung auf den Autobahnen verliert.
Meine Damen und Herren, man kann auf Anhieb keinen Bereich der Politik nennen, wo die Probleme geringer geworden wären. Wenn ich aber die Verkehrspolitik der Bundesregierung betrachte, so ist
die von ihr zu verantwortende Verschärfung der Probleme frappierend. Programm und harte Wirklichkeit sind nicht mehr auf einen Nenner zu bringen. Die CDU/CSU hat ihre Ansichten zur Verkehrspolitik dargelegt, in Arbeitspapieren, in Anträgen. Ich habe versucht, einen kurzen Überblick zu geben, und meine Fraktionskollegen werden hier noch näher ins Detail gehen.
Meine Damen und Herren, ich gebe gern zu, daß sich die Stellung des Verkehrsministers im Kabinett relativ verbessert hat, aber das doch nur deshalb, weil sich die Bundesregierung in ihrer Gesamtleistung den politischen Leistungen von Herrn Lauritzen angenähert hat.
({28})
Das Wort hat Herr Bundesminister Lauritzen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden sicherlich nicht erwarten, daß ich mich zu dem letzten persönlichen Werturteil äußere, wie es eben in den Äußerungen des Herrn Kollegen Schulte zum Ausdruck gekommen ist. Die Opposition ist mit Werturteilen dieser Art in letzter Zeit sehr freigiebig gewesen,
({0})
und der Kurs ist deshalb auch sehr gering.
Meine Damen und Herren, ich glaube, so wie Herr Kollege Schulte bei seinem Spaziergang durch die Verkehrspolitik eben versucht hat, die Problematik darzustellen, reicht es wohl wirklich nicht aus, wenn man mit den Problemen fertig werden will.
({1})
- Es genügt nicht, meine Damen und Herren, daß man einerseits sagt, beim Straßenbau wurden nicht genügend Mittel zur Verfügung gestellt, die Aufstockung beim öffentlichen Personenverkehr reiche nicht aus, die Bundesbahn bekomme nicht genügend Investitionsmittel, die Erhöhung der Mineralölsteuer sei falsch gewesen, man müsse sie senken, und heute morgen haben wir gehört, es müsse überhaupt eine allgemeine Steuersenkung kommen.
({2})
Wenn, meine Damen und Herren, die finanziellen und die technischen Ressourcen nicht ausreichen, um alles gleichzeitig zu tun, dann muß der Einsatz von Investitionsmitteln doch sehr sorgfältig geprüft werden, und man muß über Prioritäten entscheiden. Daher meine Frage an Sie, Herr Schulte: Wo sind denn Ihre Prioritäten?
({3})
Sie sind in Ihren Ausführungen eben doch in keiner Weise in Erscheinung getreten.
Wenn Sie nun meinen, in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeitsarbeit meines Hauses kritisieren zu sollen,
({4})
so sage ich sehr deutlich: wir bemühen uns, die Verkehrspolitik durchsichtig in Erscheinung treten zu lassen und den Bürger ausreichend zu informieren.
({5})
- Ich habe gerade gefragt, wo Ihre Prioritäten sind. Nun lassen Sie mich jetzt unsere darstellen, um damit deutlich zu zeigen, wie wir Verkehrspolitik betrieben haben und wie wir sie weiter betreiben wollen.
({6}) - Das freut mich.
Meine Damen und Herren, fast auf den Tag genau ist es ein Jahr her, daß der Herr Bundeskanzler hier seine Regierungserklärung abgegeben hat, und ich glaube, es ist Zeit, jetzt einmal Zwischenbilanz zu ziehen.
({7})
Das verkehrspolitische Konzept dieser Regierung ist gekennzeichnet erstens durch den verkehrspolitischen Teil der Regierungserklärung, zweitens das Kursbuch für die Verkehrspolitik, drittens den Bundesverkehrswegeplan, der heute auf der Tagesordnung steht,
({8})
und viertens das umfassende Verkehrssicherheitsprogramm. Anscheinend haben Sie es noch nicht gelesen!
({9})
Das alles, meine Damen und Herren, sind nun weiß Gott keine Zufälligkeiten, sondern sind ganz bewußt konzipierte Schritte, um den Weg fortzusetzen, den Herr Kollege Leber bereits begonnen hat, von einer konservierenden zu einer konzeptionellen, zu einer aufgeklärten Verkehrspolitik zu kommen.
({10})
Damit wird ein wesentlicher Beitrag - das ist mir besonders wichtig - zum Reformkurs der Bundesregierung zur Verbesserung der Qualität des Lebens geleistet.
({11})
Verkehrspolitik ist aus unserer Sicht - vielleicht
unterscheiden wir uns darin - nicht in erster Linie
ein technisches Problem, sondern Bestandteil der Gesellschaftspolitik.
({12})
Die Zwischenbilanz, die ich hier kurz skizzieren möchte, macht deutlich, daß in diesem Jahr etwas Entscheidendes auch im Bereich der Verkehrspolitik geschehen ist.
Erstens. Das „Kursbuch", das ich am 8. Juni 1973 der Öffentlichkeit vorgelegt habe, ist eine konsequente Weiterentwicklung der bereits in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommenen verkehrspolitischen Schwerpunkte. Dieses Kursbuch, wie ich es genannt habe, soll eine Orientierungshilfe dafür sein, was an verkehrspolitischen Problemen vor uns liegt, welche Ziele erkannt und welche Lösungsmöglichkeiten angestrebt werden. Es geht von der heutigen Lage im Verkehrsbereich aus und macht bei einem Vergleich mit den uns zur Zeit zur Verfügung stehenden Prognosen deutlich: Ohne die Prioritäten: öffentlicher Nahverkehr, Deutsche Bundesbahn, Verkehrssicherheit und Straßenbau werden wir die Verkehrssituation in unserem Lande schon in wenigen Jahren nicht mehr im Griff haben, und deswegen muß einer solchen Entwicklung Einhalt geboten werden. Vielleicht haben Sie das nicht beachtet, meine Herren von der Opposition.
({13})
- Ich komme gleich auf die Ergebnisse. Ich stelle zunächst einmal unsere Konzeption dar; dann wollen wir nachher sehen, was dabei herausgekommen ist.
({14})
Diese Konzeption - ich weiß nicht, ob das Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist - hat international Beachtung gefunden.
({15})
Das beweist das neue verkehrspolitische Programm der Europäischen Gemeinschaften, denn da sind dieselben Grundzüge für die Verkehrspolitik zum Ausdruck gekommen: der gesellschaftspolitische Bezug, die Verpflichtung zu Umweltschutz und zur Verbesserung der Qualität des Lebens und die zentrale Rolle der Infrastrukturpolitik. Wie notwendig aber und wie richtig unsere Konzeption ist, ergibt sich doch angesichts der gegenwärtigen Energieverknappung und ihrer langfristigen Wirkung sehr deutlich; denn die in der Verkehrspolitik eingeschlagene Richtung und die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen werden durch diese Situation doch voll bestätigt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön!
Herr Bundesverkehrsminister, halten Sie dieses gerade als Bundestagsdrucksache veröffentlichte verkehrspolitische Programm der Europäischen Gemeinschaften wirklich für so eindrucksvoll, nachdem es in 15 JahMursch ({0})
ren in der Europäischen Gemeinschaft nicht einmal gelungen ist, die Frage der Abmessungen der Lastkraftwagen zu regeln?
Ich habe darauf hingewiesen, daß in der Grundkonzeption eine weitgehende Übereinstimmung zwischen unserer Auffassung und der der Europäischen Gemeinschaft besteht. Es ist nicht zu verkennen, daß in vielen technischen Fragen, insbesondere bei der Abmessung der LKWs, bisher nicht sehr viel erreicht worden ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Mursch?
Herr Bundesverkehrsminister, würden Sie nicht zugeben, daß bei einem sorgfältigen Studium dieses verkehrspolitischen Programms der Europäischen Gemeinschaften festzustellen ist, daß es sich in erster Linie um theoretische Absichtserklärungen und theoretische Zielsetzungen handelt, daß aber in diesem verkehrspolitischen Programm viele konkrete Vorschläge und konkrete Angaben fehlen, wie man diese sehr schön klingenden Zielsetzungen erreichen kann, mit Ausnahme von einigem Stückwerk, das in dem Programm von 1974 bis 1976 dargestellt ist? Ich nehme an, Sie haben das genauso sorgfältig gelesen wie ich.
Insofern geht unser Programm eben weiter, weil wir neben diesen allgemeinen Grundsätzen gesellschafts- und strukturpolitischer Art ganz konkrete Maßnahmen vorgeschlagen und eingeleitet haben.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lemmrich?
Herr Bundesminister, haben Sie bei Ihrer europäischen Politik nicht auch den Eindruck, daß es so ähnlich ist wie mit Ihrem Kursbuch: Beim Redeschwall, bei den Worten, da ist man sich einig; wenn es um die Taten geht, gibt es nur Fehlanzeige?
({0})
Vielleicht erlauben Sie mir, zu den Taten anschließend zu kommen. Ich werde gleich darauf Bezug nehmen.
Meine Damen und Herren, ich habe bei der Vorlage des Verkehrsbuches in der Öffentlichkeit auch besonders darauf hingewiesen, daß ich dieses Kursbuch auch als einen Appell zur verkehrspolitischen Diskussion verstanden wissen möchte. Die ist ja schon sehr munter in Gang gekommen, wie wir eben gesehen haben. Dies ist von den Bürgern, von den beteiligten Interessengruppen und von der Wirtschaft lebhaft und zum Teil auch sehr konstruktiv erwidert worden.
Zweitens. Bei unserer Bundesverkehrswegeplanung wird erstmals von einer Regierung der Versuch unternommen, eine Infrastrukturplanung aufzustellen, die alle Verkehrsträger eines Staatsgebietes umfaßt - ein Projekt, das Mitarbeit und Sachverstand aller Beteiligten verlangt. Mit der Vorlage dieses Bundesverkehrswegeplanes hat die Bundesregierung termingerecht eine Verpflichtung erfüllt, die sie im verkehrspolitischen Programm für die Jahre 1968 bis 1972 übernommen und in ihrem Kursbuch Mitte vergangenen Jahres noch einmal bekräftigt hat.
({0})
Dieser Bericht gibt einen Überblick über Stand und Ergebnisse der Wegeplanung des Bundes aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Er enthält insbesondere eine Orientierung für die künftige Gestaltung der Bundesverkehrswege nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand unter Berücksichtigung auch neuer Technologien. Damit ist eine Darstellung der finanziellen Erfordernisse und der Finanzierungsmöglichkeiten als eine sehr konkrete Aussage verbunden. Dieser Bericht stellt damit gleichzeitig die notwendige finanzielle Leitlinie für die im Kursbuch für die Verkehrspolitik vorgeschlagenen investitionspolitischen Maßnahmen dar.
Wir haben festgestellt - ich darf das nur ganz kurz wiederholen -: Gesamtwirtschaftlich ist dieser Infrastrukturplan realisierbar. Er sieht vor, die Bauprogramme für die Jahre 1973 bis 1975 - wie beabsichtigt - weiterzuführen. Für den Zeitraum 1976 bis 1985 wird folgendes Investitionsvolumen angestrebt: Deutsche Bundesbahn 41,9 Milliarden DM, Bundesfernstraßen 64,6 Milliarden DM, Bundeswasserstraßen 10,5 Milliarden DM, Flugsicherung 1,6 Milliarden DM. Insgesamt sind es also rund 120 Milliarden DM.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch einen Hinweis. Wir haben diesen vorgelegten Bericht, wie er heute auf der Tagesordnung steht, ganz bewußt als erste Stufe bezeichnet und wollen damit zum Ausdruck bringen, daß das anspruchsvolle Ziel einer Integration der Verkehrswegeplanung des Bundes noch nicht erreicht ist, sondern erst eine erste Koordination auf Bundesebene. Sie wird künftig verstärkt werden und auf weiteren Stufen dann auch zum Endziel einer Integration führen.
Drittens. Verkehrspolitik mit dem Anspruch „Der Mensch hat Vorfahrt" ist nicht vollständig, wenn wir dem Komplex Verkehrssicherheit nicht Beachtung, ja besondere Anstrengungen widmen, denn der Unfalltod, die Zerstörung der Gesundheit und wirtschaftlicher Werte sind nun einmal die bedenklichsten sozialen Nachteile in unserem Verkehrswesen. Ich meine, hier sind alle Parteien gleichermaßen aufgerufen, mitzuhelfen, Abhilfe zu schaffen. Es war diese Bundesregierung, die erstmals in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat ein umfassendes Konzept zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen aufge4608
stellt hat. Ich glaube, das ist ein Programm, das nicht nur sich sehen lassen kann, sondern auch viel Zustimmung gefunden hat. Es enthält ungeachtet der verschiedenen Zuständigkeiten kurz- und mittelfristig zu realisierende ganz konkrete Maßnahmen auf allen in Betracht kommenden Gebieten: der Mensch, das Kraftfahrzeug, die Straße. Es sind Maßnahmen, die nach dem heutigen Erkenntnisstand in den nächsten Jahren möglich und geeignet sind, die Zahl der Unfälle und die Schwere der Folgen zu verringern.
Die Schwerpunkte dieses Programmes, das wir jährlich fortschreiben wollen und das jeweils dem Hohen Hause wieder vorgelegt wird, sind: verstärkte Verkehrsaufklärung und Verkehrserziehung, neue Sicherheitsvorschriften für die Fahrzeuge, sichere Straßen einschließlich Verbesserung der Verkehrslenkung, wirksamere Gestaltung des Rettungswesens und nicht zuletzt alle jene Maßnahmen, die der Bundesverkehrsminister selber in Angriff nehmen kann und wird, z. B. Verbesserung der Fahrschulausbildung und Anlegepflicht für Sicherheitsgurte. Die bisherigen Reaktionen auf verkehrssichernde Maßnahmen der Bundesregierung, z. B. das 0,8-Promille-Gesetz, die Einbaupflicht für Sicherheitsgurte und der Großversuch Tempo 100 stimmen, glaube ich, durchaus optimistisch.
Nach den ersten vorläufigen Ergebnissen ist auch die Zahl der Unfälle gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen, obwohl die Gesamtzahl der Fahrzeuge sich erhöht hat. Ich bin davon überzeugt, daß unser Verkehrssicherheitsprogramm diese positive Entwicklung weiter verstärken wird. Hier kann jeder seinen Beitrag leisten.
({1})
Ich meine, die Regierung geht dabei mit gutem Beispiel voran, wenn sie im laufenden und im nächsten Jahr zwei großangelegte Aufklärungskampagnen zu den Bereichen „Mißbrauch von Alkohol im Straßenverkehr" und zum Gebrauch der Sicherheitsgurte startet und der bereits verordneten Einbaupflicht von Sicherheitsgurten in Neuwagen auch die Anlegepflicht folgen läßt. Das soll durch eine Aufklärungskampagne geschehen. Ich beabsichtige - und hoffe, damit die allgemeine Zustimmung zu finden -, die Verordnung über die Anlegepflicht im nächsten Jahr auf den Weg zu bringen, so daß die Pflicht zum Anlegen vorgeschriebener Gurte vom 1. Juni 1976 an wirksam werden kann. Bis dahin müßte es dann auch möglich sein, eine Vereinheitlichung der Sicherheitsgurte, den Einbau von Kopfstützen und die Verwendung eines besonderen Sicherheitsglases in Kraftfahrzeugen technisch zu klären und zu regeln.
Nun zur Realisierung dieser verkehrspolitischen Prioritäten!
Erstens. Sie alle kennen die in der Regierungserklärung und im Verkehrskonzept zum Ausdruck gebrachte Priorität: der öffentliche Personennahverkehr hat Vorrang vor dem Individualverkehr. In diese doch klare Aussage ist viel hineininterpretiert worden. Tatsache ist: Die Bundesregierung hat immer wieder betont - ich auch wiederholt von dieser
Stelle aus -, daß es für uns kein Entweder-Oder im Verhältnis öffentlicher Personennahverkehr und Individualverkehr geben wird, sondern nur ein gesamtwirtschaftlich ausgewogenes Sowohl-Als-auch.
({2})
Es wird also angestrebt, daß Netz des öffentlichen Personennahverkehrs dort auszubauen, wo es gesamtwirtschaftlich notwendig und sinnvoll ist, nämlich in den Verdichtungsräumen, hingegen verbesserte Möglichkeiten für den Individualverkehr, z. B. durch Verstärkung des Straßenbaues, in ländlichen und schwach strukturierten Räumen.
Es sind bereits erste Schritte in dieser Richtung im Jahre 1973 eingeleitet worden, Maßnahmen, die zum Teil bereits 1973 wirksam wurden, die aber verstärkt in diesem und in den darauffolgenden Jahren greifen. Ich nenne im einzelnen: die Verbreitung der Finanzierungsbasis durch die Erhöhung der Mineralölsteuer, die Ausweitung der Zweckbindung bei der Mineralölsteuer auf andere verkehrspolitische Zwecke, die Erweiterung der Mineralölsteuerrückerstattung im öffentlichen Personennahverkehr bei Bahn- und Postbussen sowie die Angleichung der Erstattung an die erhöhte Mineralölsteuer.
Eine Frage, die Sie soeben angeschnitten haben, Herr Kollege Schulte, ist schon geltendes Recht: die Ermächtigung der Länder im Steueränderungsgesetz, bis zu 10 % der nach dem Gemeindeverkehrsfinanzgesetz für den kommunalen Straßenbau bestimmten Mittel für Vorhaben des öffentlichen Personennahverkehrs zu verwenden. Das können die Länder jetzt schon tun. Dann kommt hinzu: die Aufstockung der dem öffentlichen Personennahverkehr zu Investitionszwecken zur Verfügung stehenden Haushaltsbeträge um weitere 200 Millionen DM im Haushaltsjahr 1974, Neuregelungen zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs in der Straßenverkehrsgesetzgebung, die z. B. den Gemeinden einen größeren finanziellen Spielraum bei der Parkplatzbewirtschaftung schaffen sollen. Hinzu kommen auch unsere Bemühungen in der Frage der Ausgleichszahlungen für den Ausbildungs- und Berufsverkehr an die öffentlichen Personennahverkehrsbetriebe. Ich erinnere an den diesbezüglichen Kabinettsbeschluß vom 12. September und an meine am 12. Dezember vom Kabinett gebilligten Entwürfe der Novellen zum Personenbeförderungs- und zum Allgemeinen Eisenbahngesetz.
Zweitens. Wir sind mit der Aussage angetreten: Die Bedeutung des Schienenverkehrs wird wieder zunehmen. Aber auch hier sind wir im vergangenen Jahr ein erhebliches Stück weitergekommen.
({3})
- Die fahren ja noch nicht mit der Eisenbahn.
({4})
Auf dem Tisch liegen hierzu das Kursbuch der Verkehrspolitik
({5})
- fanden Sie Ihren Einwurf wesentlich stärker? -,
({6})
die neue Verkehrsunternehmenskonzeption des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, die Kabinettsbeschlüsse vom 5. September und der Haushaltsentwurf von 1974.
Alle Beteiligten sind sich darüber einig: die quantitative und die qualitative Leistungsfähgket der Deutschen Bundesbahn muß verbessert werden. Wir müssen auch zumindest langfristig zu einer Stabilisierung der den Haushalt belastenden Bundesleistungen an das Unternehmen kommen. Wir werden den gewünschten Erfolg nur in einer zeitgemäßen Angebotspolitik der Deutschen Bundesbahn erzielen können, und das bedeutet: Schaffung eines optimal dimensionierten Streckennetzes, ausgestattet mit modernen technischen Einrichtungen, um eine größtmögliche Sicherheit und hohe Verkehrsleistung zu erzielen, ausgestattet auch mit Einrichtungen der Automation, um die Personalintensität zu verringern. Das erfordert zunächst auch erhebliche Investitionen im Ausbau neuer Strecken. 1973 wurde mit dem Streckenneubau Hannover-Gemünden begonnen. Zum erstenmal seit 100 Jahren wird wieder eine neue Eisenbahnstrecke gebaut.
({7})
Damit ist die Expansionsphase eingeleitet worden.
({8})
Sie wird von der Bundesregierung uneingeschränkt befürwortet, ist von ihr wiederholt gefordert worden und wird von ihr auch nach Kräften finanziell unterstützt. Die Haushalte 1973 und 1974 beginnen mit 25 und 50 Millionen DM, mit denen die gegenwärtig verbaubaren Beträge der Deutschen Bundesbahn abgestimmt sind. Wir sind uns darüber im klaren, daß der Bund in den nächsten Jahren erhebliche zusätzliche Investitionsmittel für die Deutsche Bundesbahn wird aufbringen müssen.
Zu diesem Konzept gehören weiter die Neuordnung unrentabler Betriebszweige, wie Stückgut- und Expreßgutverkehr, die Rationalisierung der Busdienste von Bahn und Post durch eine Zusammenlegung dieser Dienste, die weitere Konzentration des Streckennetzes durch Stillegungen, die Schluß macht mit einem Eisenbahnnetz, das wir aus dem vorigen Jahrhundert übernommen haben. Dazu gehört auch der Abbau der hohen Personalkostenintensität durch natürlichen Abgang und Umschichtung des Personals in produktive Bereiche ohne soziale Härten für die Beteiligten.
Die langfristige Verbesserung des Leistungsbildes durch Investitionen muß, so meine ich, in Zukunft vielleicht noch mehr und konsequenter als bisher von einer Verbesserung des Kosten-Ertrags-Verhältnisses begleitet werden. Dazu gehört auch die Entlastung der Deutschen Bundesbahn von solchen Kosten, die in die eigentliche Betriebsrechnung nicht hineingehören, wie die Verlustvorfinanzierung und die Altschulden. Bei den Verlustvorfinanzierungen trat eine wesentliche Entlastung bereits dadurch ein, daß der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1972 überplanmäßig 1,2 Milliarden DM und im Jahre 1973 eine weitere Milliarde DM zur Verfügung gestellt werden konnten. Beides zusammengenommen, meine Damen und Herren, brachte für die Deutsche Bundesbahn eine jährliche Zinsentlastung von 200 Millionen DM, und zusammen mit der im Jahre 1973 erstmalig eingeführten Abnahme der Zinsleistungen für die Altschulden in Höhe von 837 Millionen DM konnte damit die Rechnung der Deutschen Bundesbahn jährlich um 1 Milliarde DM entlastet werden. Mir scheint, daß das ein entscheidender Schritt ist, um zur Kostenstabilisierung bei der Deutschen Bundesbahn zu kommen.
Ich betone ausdrücklich, der Weg zu einer betriebs- und volkswirtschaftlich sinnvollen Unternehmensstruktur der Bahn wird schwierig sein. Er wird auch Probleme für die Mitarbeiter des Unternehmens aufwerfen. Diese Probleme gilt es in enger Zusammenarbeit mit den Eisenbahnern zu lösen. Ich habe hierzu bereits eine Reihe von Informationstagungen mit Eisenbahnern aller Betriebszweige begonnen und werde sie auch fortsetzen. Aber ich möchte mit aller Klarheit sagen: Die notwendigen Maßnahmen im personellen Bereich werden und müssen ohne soziale Härten für die Eisenbahner durchgeführt werden.
({9})
Diese Maßnahmen, davon bin ich überzeugt, werden dann auch sogar noch Möglichkeiten für schnelleres berufliches Fortkommen bedeuten.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Ich will Ihnen und mir nichts vormachen. Bei der Lösung der Bahnprobleme wird man nicht auf schnelle Erfolge rechnen können. Daher bitte ich um konstruktive Mitarbeit aller Beteiligten bei der Lösung dieser Fragen, die uns allen doch auf den Nägeln brennen.
Drittens. Meine Damen und Herren, was den Straßenbau angeht, sprechen das Kursbuch und der Bundesverkehrswegeplan eine eindeutige Sprache. Der Fernstraßenbau wird auf der Basis des vorliegenden Bedarfsplans für die Jahre 1971 bis 1985 weitergehen. Dabei sind jedoch die durch die neuen Prioritäten geänderten finanziellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß es sich bei dem Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 um ein Planungs- und nicht um ein Finanzierungsgesetz handelt. Der Bedarfsplan, der dem Gesetz beigegeben ist, läßt ausdrücklich offen, in. welchem Zeitraum er erfüllt werden soll. Eine Festlegung nach dieser Art wäre ökonomisch und politisch auch wenig sinnvoll; denn sie würde langfristig eine konstante Datenkonstellation für die Gesamtwirtschaft unterstellen.
Vor diesem Hintergrund ist die zeitweilig eingeleitete Einschränkung des Straßenbauvolumens nicht nur Ausdruck des politischen Entscheidungswillens dieser Bundesregierung, sondern durch die konsequente und maßvolle Ausgestaltung der Nahverkehrs- und Schienenpriorität in unserer Gesamtverkehrspolitik.
Daraus ergeben sich nun im einzelnen für den Bundesfernstraßenbau folgende Konsequenzen: Trotz der Kürzungen in den Jahren 1973 bis 1975 wird das bei der Aufstellung des Finanzplans für die Jahre 1971 bis 1975 eingeplante Gesamtvolumen von 29,5 Milliarden DM gehalten. Soweit dennoch reale Kürzungen bzw. Minderleistungen auftreten, halten sich diese in Grenzen.
({10})
Die bereits bei der Aufstellung der jetzt laufenden Straßenbaupläne vorgesehenen Maßnahmen zur inneren Verkehrserschließung und äußeren Anbindung der ländlichen und strukturschwachen Regionen werden nicht nur voll, sondern verstärkt weitergeführt. Weitergehende Programmumstellungen sind kurzfristig nicht möglich, da sonst bereits begonnene Vorhaben als Investitionsruinen stehenbleiben würden.
Die neue Schwerpunktbildung zugunsten des öffentlichen Verkehrs wird bei der gesetzlich vorgeschriebenen ersten Überprüfung des Bedarfsplans und bei der Vorbereitung des zweiten Fünfjahresplans für die Jahre 1976 bis 1980 besonders beachtet. Wir streben an, bis 1985 die Maßnahmen der ersten Dringlichkeitsstufe voll zu bewältigen.
Die oft geäußerte Befürchtung, mit dem Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs vor dem Individualverkehr werde der Straßenbau in ländlichen und strukturschwachen Gebieten benachteiligt, ist nicht begründet. In der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage - Drucksache 7/1409 - ist im einzelnen dargelegt, daß die Kürzung der Straßenbaumittel im wesentlichen zu Lasten der Ballungsgebiete geht; in den ländlichen und strukturschwachen Gebieten wird der Straßenbau planmäßig weitergeführt. Das bleibt auch unsere zukünftige Zielsetzung.
Allerdings meine ich, darüber hinaus wird es künftig mehr als bisher notwendig sein, die Substanz des vorhandenen Straßennetzes zu erhalten und zu verbessern, um damit auch Unfallschwerpunkte zu entschärfen.
Sie sehen also, von einer drastischen Reduktion des Straßenbaus kann nicht die Rede sein, wohl aber - und das ist beabsichtigt - von einer schrittweisen Orientierung des Verkehrs an einer gesamtwirtschaftlich sinnvollen Arbeitsteilung. Das ist das Ziel unserer Maßnahmen.
Von den gegenwärtigen Mineralölproblemen ist der Verkehr naturgemäß stark betroffen. Aber er ist ja nicht nur der Leidtragende dieser Entwicklung, sondern er ist auch gleichzeitig in der Lage, einen Beitrag zur Bewältigung der akuten Energieprobleme zu leisten. Denken Sie beispielsweise an die Substitution von schwerem Heizöl durch Kohle: Sie wäre ohne die Transportleistungen der Eisenbahn und der Binnenschiffahrt gar nicht möglich. Ich möchte die nachteiligen Auswirkungen hier nicht im einzelnen darstellen und darf insoweit auf die Debatte von heute morgen Bezug nehmen.
Welche verkehrspolitischen Schlußfolgerungen sind nun aus dem Mineralölproblem zu ziehen?
1. Die Ölverknappung hat deutlich gemacht, daß der von uns eingeschlagene verkehrspolitische Kurs richtig ist. Wir werden daher fortfahren, das verkehrspolitische Instrumentarium in dieser Richtung auszubauen. Es überläßt dem einzelnen grundsätzlich die freie Wahl des Verkehrsmittels, schafft aber mit Hilfe eines Bündels von aufeinander abgestimmten investitions- und ordnungspolitischen Maßnahmen verstärkte Anreize zu einer Nutzung des gesamtwirtschaftlich günstigsten Verkehrsmittels.
2. Falls die konjunkturelle Lage, die von den energiewirtschaftlichen Problemen nicht zu trennen ist, ein besonderes Konjunkturprogramm notwendig machen sollte, so werden im Verkehrsbereich Investitionen für den öffentlichen Verkehr im Vordergrund stehen. Die dafür erforderlichen Vorbereitungen sind in meinem Hause abgeschlossen. 3. Das Ölproblem hat uns wieder einmal und diesmal sehr drastisch gezeigt, daß die internationale Zusammenarbeit im Transportbereich erweitert werden muß. Insbesondere auch die von der Bundesregierung nicht ohne Sorge beobachteten Probleme der Seeschiffahrt und Luftfahrt lassen sich mit nationalen Maßnahmen allein nicht mehr lösen.
In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu der Frage, die auch von Herrn Schulte angeschnitten wurde, ob die aus Anlaß der Energieverknappung eingeführten Geschwindigkeitsbegrenzungen in dieser oder in einer anderen Form aus Gründen der Verkehrssicherheit weitergeführt werden sollen. Ich meine, heute dazu eine Aussage zu treffen, wäre einfach verfrüht. Wir beobachten die Entwicklung der Unfälle und den Ablauf des Verkehrs in diesen Monaten jedoch sehr sorgfältig. Wir werden sie genau analysieren und möglicherweise auch die erforderlichen Konsequenzen vorschlagen. Denn die bisher bekanntgewordenen Zahlen verlangen doch unsere ganze Aufmerksamkeit. Die Zahlen der Verkehrstoten im gesamten Bundesgebiet sind 1973 nach den jetzt vorliegenden Ergebnissen auf 16 500 gesunken. Das ist ein Rückgang von absolut 2 200 oder von 12 %. Das ist eine Zahl, die nachdenklich macht, denn sie liegt auf der Höhe von 1964, einer Zeit, als wir 13 Millionen Kraftfahrzeuge hatten, und heute haben wir 21 Millionen. Die Gründe dafür können sein: Tempo 100, 0,8-Promille-Gesetz, die ersten Fahrverbote und die Geschwindigkeitsbegrenzung in den Monaten November und Dezember.
Bei allem Vorbehalt gegenüber solchen vorläufigen Zahlen, dessen Berechtigung ich voll und ganz respektiere, läßt sich jedenfalls eines feststellen: Die fallende Tendenz der Unfallhäufigkeit hat sich auch im Monat Dezember verstärkt fortgesetzt. Ich möchte eines sagen dürfen, ohne einer endgültigen Entscheidung vorzugreifen: Wenn es um das menschliche Leben geht, kann es keine Diskussion geben; dann müssen ökonomische und Gruppeninteressen zurückstehen.
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Aber ich möchte in diesem Zusammenhang - und vielleicht in Ihrer aller Namen, meine Damen und Herren - ein Wort des Dankes an unsere Autofahrer sagen. Sie haben großes Verständnis für die Sparmaßnahmen und die damit verbundeBundesminister Dr. Lauritzen
nen Beschränkungen aufgebracht und in anerkennenswerter Weise Selbstdisziplin in ihrem Fahrverhalten an den Tag gelegt. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.
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Meine Damen und Herren, die Große Anfrage der Opposition ist ebenfalls Gegenstand der heutigen Debatte. Eine ausführliche Beantwortung liegt dem Hohen Hause schriftlich vor. Inzwischen haben sich jedoch bei den Haushaltszahlen auf Grund unserer Bemühungen Verbesserungen ergeben, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
Erstens. Die Opposition hat in den Fragen 3 und 5 entsprechend der damals noch geltenden mittelfristigen Finanzplanung die geringe Zunahme des Verkehrshaushaltes kritisiert, ebenso die gemäß der damaligen mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Steigerungsbeträge für 1975 und 1976. Sowohl der Haushalt 1974 als auch die fortgeschriebene mittelfristige Finanzplanung tragen jedoch nunmehr den geänderten Prioritäten Rechnung, und es ergeben sich wesentlich höhere Zunahmen. Im Haushaltsentwurf 1974 ist für den Einzelplan 12, den Verkehrshaushalt, ein Ansatz von 18,2 Milliarden DM vorgesehen. Das bedeutet gegenüber dem Haushaltssoll 1973 eine Zunahme von rund 1,4 Milliarden DM oder 8,3%. In 'der vorher geltenden mittelfristigen Finanzplanung betrug die Zunahme nur 3,2%. Gegenüber der bisherigen Finanzplanung weist die fortgeschriebene mittelfristige Finanzplanung für den Verkehrsbereich durchgehend ebenfalls höhere Ansätze aus: 1975 20,4 Milliarden DM an Stelle von 18,4 Milliarden, 1976 20,9 Milliarden DM an Stelle von 19 Milliarden DM, 1977 22 Milliarden DM. Während die frühere Finanzplanung für 1972 bis 1976 für den Verkehrshaushalt eine durchschnittliche jährliche Steigerungsrate von 3,5 % vorsah, ist für den neuen Planungszeitraum bis 1977 eine durchschnittliche Steigerungsrate von 6% vorgesehen. Damit sind also wesentliche Verbesserungen in der Finanzierung, insbesondere bei ,den Investitionen, ermöglicht.
Zweitens. Die Opposition hat bei Frage 6 laut Finanzplan für 1972 bis 1976 jährliche Steigerungsraten für die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1,8 % unterstellt. Auch diese Zahl ist überholt. Die jährlichen Steigerungsraten für die Deutsche Bundesbahn liegen nunmehr bei durchschnittlich 7,4%.
Drittens. Die Opposition hat bei Frage 7 kritisiert, daß der Anteil der Verkehrsinvestitionen am Verkehrshaushalt auf 47 % im Jahre 1973 gesunken sei. Im Haushaltsentwurf für 1974 haben wir jedoch die Investitionsquote auf 48,8% erhöhen können.
Das sind doch überzeugende Beispiele dafür, wie ernst es die Bundesregierung mit der Verwirklichung ihrer verkehrspolitischen Vorstellungen meint und welche finanziellen Voraussetzungen sie dafür auch zu schaffen bereit ist.
Nun, ob sich das auch für die Opposition in derselben Zeit behaupten läßt, scheint mir mindestens zweifelhaft zu sein. Wir haben zwar immer noch das verkehrspolitische Programm der CDU vom 24. Oktober 1972. Aber, meine Damen und Herren,
was nicht besonders gut ist, wird auch durch langes (I Liegenlassen nicht besser.
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Was wir damals in der 6. Legislaturperiode gesagt haben, gilt auch heute noch.
Die Vorstellungen der Union enthalten keine Alternativen zur Verkehrspolitik der Bundesregierung. Hier fehlen einfach eigenständige Gedanken, und vielfach werden Maßnahmen und Zielsetzungen der Bundesregierung übernommen. Daß sich diese Tendenz fortzusetzen scheint - ich finde, die Rede von Herrn Kollegen Schulte hat insofern nichts wesentlich Neues erbracht -, ist, glaube ich, nicht sehr erfreulich.
Ich frage Sie deshalb: Was hat die CDU/CSU denn 1973 im Bereich der Verkehrspolitik darstellen können?
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Sie hat 14 Tage vor der Veröffentlichung des „Kursbuches" ihre Große Anfrage eingebracht und schließlich am 22. November 1973 ein Acht-Seiten-Papier zur Deutschen Bundesbahn präsentiert. Es fehlt jede gründliche Auseinandersetzung mit dem „Kursbuch der Verkehrspolitik", es fehlt eine fundierte Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan, und es fehlt auch eine nennenswerte Reaktion auf das Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung. Unsere ausführliche Antwort zur Großen Anfrage liegt seit Monaten schriftlich vor; auf das Bundesbahnpapier darf ich noch eingehen.
Aber ich glaube, der Gesamteindruck ist doch der: Es fehlen einfach klare Aussagen darüber, wo die Probleme der Gesellschaft und die Bedürfnisse jedes einzelnen Bürgers liegen und wie daher die Prioritäten zu setzen sind, von Alternativen zur Verkehrspolitik der Bundesregierung ganz zu schweigen. Ich glaube, dieser Eindruck wird auch noch verstärkt durch die Äußerungen Ihres verkehrspolitischen Sprechers Schulte zur Gesellschaftspolitik und zum Finanzierungsrahmen in unserem „Kursbuch" vom 8. Juni des vergangenen Jahres sowie auch durch seine Ausführungen anläßlich der Vorlage des Bundesbahnpapiers.
Ich sage dazu folgendes. Erstens. Die sozialliberale Regierung ist angetreten, den gesellschaftlichen Anspruch auf Mobilität aller Bürger gegen eine schrankenlose individuelle Nutzung des Automobils durchzusetzen, das Recht des Bürgers auf Leben und körperliche Unversehrtheit vor der permanenten Gefährdung der Sicherheit im Verkehr zu schützen, den Existenzanspruch und das Recht auf höhere Lebensqualität gegen eine unkontrollierte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, wie beispielsweise Energiequellen und Boden, zu verteidigen. Wer nun allerdings meint, einen solchen gesellschaftspolitischen Auftrag als ideologisch abqualifizieren zu müssen oder zu können, der hat, glaube ich, leider noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt und der bleibt dem Konservativen verhaftet.
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Zweitens. Es verwundert deshalb auch wenig, daß der enge Zusammenhang zwischen Verkehrskonzept und Bundesverkehrswegeplan von der Opposition noch nicht erkannt wurde, nämlich die enge Verzahnung von Programm, d. h. „Kursbuch", und Finanzierung, d. h. Bundesverkehrswegeplan. Der Vorwurf, dem „Kursbuch" mangele es an der Berechnung des nötigen Finanzbedarfes, war daher voreilig. Er ist unbegründet; denn wir haben festgestellt - das weist der Bundesverkehrswegeplan aus -: Gesamtwirtschaftlich sind solche Pläne realisierbar.
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Drittens. Mit dem Bundesbahnpapier der CDU/ CSU-Fraktion vom 22. November 1973 werden die eisenbahnpolitischen Grundziele unseres „Kursbuches", soweit es Investitionen und Konzentrationen angeht, doch weitgehend bestätigt. Die klare Abgrenzung gegenüber politischer Einflußnahme sowie klare Zielsetzungen für die Deutsche Bundesbahn waren ja doch leider unter 20 Jahren CDU/ CSU-Regierung noch unbewältigte Schlagworte. Unsere klaren Zielvorgaben im „Kursbuch" für die einzelnen Leistungsbereiche der Deutschen Bundesbahn einerseits und der unternehmenspolitische Spielraum für die Deutsche Bundesbahn andererseits zeigen hingegen: Verantwortung von Parlament und Regierung sowie unternehmerisches Selbstverständnis der Bahn haben den ihnen gebührenden klaren Stellenwert. Von einem Kompetenzwirrwarr ist deshalb nichts zu sehen.
Eine Stellungnahme zu den Forderungen 2, 3 und 4, Kostendeckung, Gleichung der Wettbewerbsbedingungen und Verkehrswegeprogramm - das steht ja heute auf der Tagesordnung -, darf ich mir ersparen; sie entsprechen den Absichten der Bundesregierung, und im Hinblick auf den dritten Punkt liegt der fertige Bericht auf dem Tisch des Hohen Hauses.
Das von der Opposition in der Forderung 5 angesprochene 31-Milliarden-Programm der Deutschen Bundesbahn enthält nicht nur Streckenneubauten, sondern auch sonstige bundesbahneigene Investitionen. Ich halte diese Forderung daher für überzogen. Die Bundesregierung hat ihren Willen zur Hilfe beim Ausbau und bei der Modernisierung der Bahn hinreichend bekundet und bisher schon bedarfsgerecht konkretisiert.
Mit der Forderung 6 läuft die Opposition wiederum offene Türen ein. In die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sind derzeit die notwendigen Ansätze für die Deutsche Bundesbahn bereits eingebracht.
Und schließlich - das hat mich am meisten verwundert - fordert die Opposition in ihrem Eisenbahn-Papier die Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Auflagen aus den Haushalten der vorrangig interessierten Ressorts. Das habe ich nun wirklich nicht verstanden. Ich muß hier doch ganz klar feststellen: Dieser Schritt brächte in der Tat einen Kompetenzwirrwarr und damit doch eine Verzögerung wichtiger Entscheidungen, der Bahn keinen Pfennig mehr,
dem Bürger keine verbesserte Leistung und dem Bundeshaushalt insgesamt keine Entlastung.
Ich möchte diesen Katalog mangelnder Konzeption und Alternativen der Opposition nicht fortsetzen; es geht mir weder um Polemik noch um Verteufelung, sondern es geht mir um die Sache. Das hat Ihnen, so meine ich, auch die verkehrspolitische Bilanz des ersten Jahres der Legislaturperiode gezeigt.
Lassen Sie mich daher abschließend feststellen: Die aktuelle Verkehrspolitik wird getragen von einer mit Konzept und Weitsicht handelnden Bundesregierung. Es geht ihr darum, gesellschaftspolitische Konfliktsituationen, die auch im Verkehrsbereich einer für alle gerechten Lösung im Wege stehen können, zu entschärfen. Und schließlich möchte sie auch im Verkehrsbereich zu einer Politik kommen, bei der die Gesellschaft ihre Wandlung selbst gestaltet und nicht lediglich erleidet. Der Bürger in unserem Lande hat, so meine ich, die Zeichen der Zeit erkannt, und das haben doch die Ereignisse der letzten Wochen sehr deutlich gemacht - der Bürger honoriert dies mit einem gemeinschaftsbezogenen Verhalten. Das bestärkt die Bundesregierung in ihrer Entschlossenheit, ihre Verkehrspolitik konsequent fortzusetzen.
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Meine Damen und Herren, um Mißverständnisse auszuschließen: Selbstverständlich ist der Zusatzpunkt 1 als Punkt 4 d in die verbundene Debatte eingeschlossen:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Verkehrssicherheit im Straßenverkehr
-- Drucksache 7/1535
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Ich glaube, das haben wir auch alle so verstanden. Das Wort hat der Abgeordnete Wrede.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der sehr umfassenden Darlegung der verkehrspolitischen Initiativen dieser sozialliberalen Koalition durch den Herrn Verkehrsminister hoffe ich, die für mich beantragte Redezeit nicht voll in Anspruch nehmen zu müssen und so den Kollegen, die nach mir noch zu reden haben, Zeit abgeben zu können.
Bevor ich mich zu den Themen der Verkehrspolitik aus der Sicht der SPD-Fraktion äußere, möchte ich doch einige Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Schulte eingangs gesagt hat. Dank Ihrer Freundlichkeit bei der CDU-Fraktion sehe ich mich auch in der Lage, einige Bemerkungen zu dem zu machen, was anschließend noch gesagt werden wird. Da die Kurzfassung Ihrer Reden der Öffentlichkeit schon vorliegt, bin ich dazu in der Lage.
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Ich darf mit dem beginnen, was wir nachher noch zu hören bekommen, ohne mich auf Einzelheiten einzulassen; denn dies wäre sicher unfair; das sollte den nachfolgenden Kollegen überlassen bleiben.
Zur Tendenz der Bemerkungen, die hier gemacht werden sollen, darf ich folgendes feststellen: Sie zeichnen sich dadurch aus, daß es erstens kaum einen Beitrag gibt, in dem nicht in sehr deutlicher und scharfer Form persönliche Angriffe auf den Verkehrsminister gestartet werden. Der Hintergrund dieser Bemühungen ist so klar, daß es sich wirklich nicht lohnt, darauf einzugehen. Zum zweiten ziehen sich durch alle Beiträge zu den verschiedensten Punkten der Verkehrspolitik Forderungen mit erheblichen finanziellen Konsequenzen, und darauf werde ich jetzt im Zusammenhang mit meinen Bemerkungen zum Kollegen Schulte noch eingehen.
Zunächst, Herr Kollege Schulte, beklagen Sie, wie Sie dies auch schon im Verkehrsausschuß getan haben, das Sinken der Investitionsrate im Verkehrshaushalt. Nun will ich mit Ihnen nicht über Prozente streiten. Diese Auseinandersetzung gab es schon im Verkehrsausschuß, und so recht einig ist man sich über die Zahlen nicht geworden. Aber im Prinzip will ich gar nicht bestreiten, daß dies so ist. Ich habe schon im Verkehrsausschuß zum Ausdruck gebracht - und ich will das hier in aller Deutlichkeit wiederholen -: Ich bin der Meinung, dies kann auch gar nicht anders sein. Je mehr Verkehrseinrichtungen durch Investitionen in Betrieb genommen werden, um so größer muß doch zwangsläufig der Anteil der Folgekosten werden. Langfristig kann die Entwicklung gar nicht anders sein, als daß die Folgekosten der getroffenen Investitionen die Investitionsraten selbst übersteigen müssen. Das ist doch gar nicht zu bestreiten. Und weil das so ist, hat sich ja die Bundesregierung auch über das Gedanken gemacht, was Sie, Herr Kollege Schulte, gefordert haben, nämlich über Folgekosten; Sie haben das allerdings speziell auf den Verkehr der Bahn und auf den öffentlichen Personennahverkehr bezogen. Das hat die Bundesregierung getan, und sie hat daraus Konsequenzen gezogen.
Auch wir haben diese Konsequenzen gezogen, indem wir - der Herr Minister ist auch schon darauf eingegangen - den Anteil der Mineralölsteuer, der für Verkehrsinvestitionen zweckgebunden war, auf verkehrspolitische Zwecke ausgeweitet haben, weil wir gesehen haben, das anders die Ausgaben im Verkehrshaushalt nicht zu bestreiten sind. Denn woher soll das Geld kommen? Diese Frage muß ich an Sie stellen.
Auch dies will ich noch einmal ansprechen. Wir haben in den letzten Tagen häufig und haben auch heute morgen vernommen: Sie fordern ja nicht nur mehr Ausgaben im Verkehrsbereich, Sie fordern überhaupt mehr Ausgaben. Sie fordern auf der anderen Seite aber, wie wir heute wieder hören konnten, Steuersenkungen in Milliardenhöhe. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie müßten uns wirklich einmal auflösen, wie das denn gehen soll: Steuersenkungen auf der einen Seite, d. h. weniger Geld für den öffentlichen Haushalt insgesamt, aber
auf der anderen Seite mehr Ausgaben bei allen möglichen Einzelhaushalten und speziell hier beim Verkehrshaushalt. Diese Logik vermag ich nicht zu begreifen. Ich meine, darüber sollten Sie einmal nachdenken.
({1})
Sie sollten das vor allen Dingen jetzt tun, solange Sie sich in der Opposition befinden. Sollten Sie jemals Gelegenheit haben, wieder zu regieren, werden Sie ohnehin gezwungen sein, diese Überlegungen anzustellen.
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Und während Sie, meine Damen und Herren - so hoffe ich sehr -, sich diesen Rat zu Herzen nehmen und einmal ein wenig über diese Zusammenhänge nachdenken, möchte ich mich den Problemen der Verkehrspolitik aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion zuwenden.
Lassen Sie mich dabei eingangs eine Bemerkung machen, der hoffentlich von niemandem widersprochen wird, die Bemerkung nämlich, daß die Verkehrspolitik seit dem Beginn der 50er Jahre ganz eindeutig vom rasanten Vordringen des Automobils bestimmt war. Dies läßt sich nicht nur am Steigen der Produktions- und Zulassungszahlen beim Automobil ablesen; dies läßt sich auch durch den Straßenbau der vergangenen 20 Jahre belegen. Man kann es auch belegen, wenn man einmal die Regierungserklärungen der 50er und der 60er Jahre durchliest und dort die Teile, die sich mit der Verkehrspolitik befassen, analysiert; dort ist nämlich sehr wenig von der Bundesbahn, aber desto mehr vom Straßenbau die Rede.
Nun sage ich das nicht in Form eines Vorwurfs; Herr Kollege Waffenschmidt, Sie schauen mich so strafend an. Ich habe dies als Feststellung gemeint, denn die Entwicklung ist so gelaufen, und das muß jeder hinnehmen. Ich glaube, wenn wir das gemeinsam betrachten, dann kommen wir sicher gemeinsam zu der Auffassung - das haben wir auch längst erkannt -, daß wir mit dem Bau von mehr und breiteren Straßen allein oder überwiegend der steigenden Bedeutung des Verkehrs nicht gerecht werden, daß wir dem Verkehrszuwachs auf diese Weise nicht beikommen.
({3})
- Aber Herr Kollege Lemmrich, nach meiner Auffassung ist niemand daran gehindert, klüger zu werden.
({4})
- Ich weiß nicht, ob Sie das anders sehen. Aber da Sie sich auf eine Äußerung des Kollegen Leber aus dem Jahre 1969 beziehen und da Sie heute - in einem Beitrag klang es schon an; wie gesagt, ich hatte die Gelegenheit die nachfolgenden Beiträge nachzulesen - dies auch weiter tun werden, habe
ich den Eindruck, daß Sie heute mit Ihren verkehrspolitischen Vorstellungen noch auf dem Stand von 1969 sind.
({5})
- Nun, Herr Kollege Lemmrich, zur Zweckbindung habe ich Ihnen im Verkehrsausschuß - zugegebenermaßen - meine sehr persönliche Meinung gesagt. Ich kann nur hoffen, daß sie sich mehr und mehr auch in Ihrem Kreise durchsetzt; dann ist es vielleicht leichter, Haushalts- und Finanzpolitik zu betreiben.
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Aber lassen Sie mich fortfahren. Eine Änderung in der Schwerpunktbeurteilung der Verkehrspolitik hat erstmals - aus der Sicht von Regierungserklärungen - im Jahre 1969 eingesetzt; dort ist erstmalig mehr und konkreter über die Bundesbahn gesprochen worden,
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und wir haben versucht, daraus auch Konsequenzen zu ziehen. Es ist doch ganz eindeutig - auch das wird niemand von Ihnen bestreiten wollen -, daß das Automobil, soviel Freizügigkeit, Mobilität und auch Freude es allen Menschen, die in der Lage waren, sich eines zu kaufen, gebracht hat - bei weitem sind es ja nicht alle -, bei allen seinen Vorzügen in den Ballungsbereichen unserer dichtbesiedelten Räume all diese Vorzüge langsam verliert, daß es dort oft zu einer Behinderung für die Menschen wird. Darum sagen wir, daß in diesen Bereichen der Vorrang der Bahn und dem öffentlichen Personennahverkehr gebührt.
Dies hat - auch das will ich in aller Deutlichkeit ansprechen, weil der Kollege Schulte so einige Anmerkungen in diese Richtung machte - nichts mit einer Antiautoideologie zu tun. Das möchte ich noch einmal ganz deutlich herausstellen. Es geht darum, daß das Auto bei aller Bedeutung, die es haben kann, dort, wo es sich zu einer Belastung für die Menschen entwickelt hat, durch andere Verkehrssysteme ersetzt wird, soweit das überhaupt möglich ist. Dabei bin ich frei von der Vorstellung, daß es möglich wäre, das Auto aus unseren Städten zu verbannen; auch dies will ich sehr deutlich sagen.
Diese Vorstellung vom Vorrang für Bahn und öffentlichen Verkehr heißt nicht, daß andere am Verkehr beteiligte Verkehrsträger, wie etwa der gewerbliche Güterverkehr, verdrängt werden sollen. Auch diese Formulierung konnte ich beim Herrn Kollegen Schulte durchhören. Es geht doch um nicht mehr und um nicht weniger als darum, durch die Verkehrspolitik die Voraussetzungen zu schaffen, daß alle am Verkehr Beteiligten die Verkehrsleistungen erbringen, die sie volkswirtschaftlich am sinnvollsten erbringen können - dies allerdings unter Berücksichtigung nicht nur der Gesichtspunkte von Wirtschafts- und Strukturpolitik, sondern auch unter Berücksichtigung und Einbeziehung der stärkeren Beachtung des Umweltschutzes und der Gesichtspunkte der Verkehrssicherheit, wie sie im Verkehrssicherheitsprogramm der Regierung auch angesprochen sind.
Um aber diesen Leistungsforderungen entsprechen zu können, muß der öffentliche Verkehr in die Lage versetzt werden, seinen Aufgaben gerecht zu werden. Das heißt: Dort, wo er im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern seine Aufgabe zu erfüllen hat, muß er in die Lage versetzt werden, sich diesem Wettbewerb auch gleichgewichtig zu stellen, und dort, wo er Aufgaben für die Allgemeinheit, z. B. im Personenverkehr, im Personennahverkehr zu erfüllen hat, muß er in die Lage versetzt werden, den Ansprüchen, die die Bürger an ihn zu stellen haben, gerecht zu werden.
Deshalb finden sich in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 18. Januar 1973 die Sätze, daß der öffentliche Personennahverkehr in den Städten Vorrang vor dem Individualverkehr habe, die Bemerkung, daß mehr Geld dafür zur Verfügung stehen müsse sowie die anschließende, auf die ich schon eingegangen bin, daß deswegen die Zweckbindung bei der Mineralölsteuer ausgeweitet werde. Sie finden dort weiter die Bemerkung von der zunehmenden Bedeutung des Schienenverkehrs und die Bemerkung, daß die Bundesregierung der Bahn beim Ausbau und der Modernisierung ihres Schienennetzes zu helfen habe. Alles, was der Bundesverkehrsminister inzwischen an Programmen - er hat es vorhin erläutert - vorgelegt hat, liegt auf dieser Linie, entspricht den Bemerkungen der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 18. Januar 1973.
Lassen Sie mich zu dem Problem der Bundesbahnpolitik überleiten. Herr Kollege Schulte hat hier die rückläufige Entwicklung der Bundesbahn und die steigenden Defizite angesprochen. Ich glaube, man sollte auch hier den Zusammenhang zwischen dem, was ich eingangs von der Verkehrspolitik bezüglich der Schwerpunktbildung Straßenbahn gesagt habe, und der Situation der Bundesbahn, wie wir sie heute sehen, nicht außer acht lassen. Mit zunehmendem Straßenbau haben wir nicht nur die Möglichkeit gehabt, auch mit mehr Autos auf diesen Straßen zu fahren, sondern ganz zwangsläufig ist doch hier der Bundesbahn auch ein echter Konkurrent entstanden, der ihr wesentliche Verkehrsleistungen, die sie sonst bewältigt hat, abgenommen hat. Die Tendenz ging dahin, daß bei einer rückläufigen Leistungsbilanz der Bundesbahn durch die Verlagerung von Verkehrsleistungen auf die Straße und bei allerdings steigenden Kosten - bei der Bundesbahn wie anderswo - ihre finanzielle Situation immer schlechter wurde. Wir sind heute eben an dem Punkt, wo die Zuschüsse des öffentlichen Haushalts für die Bundesbahn ein Ausmaß angenommen haben, das es notwendig erscheinen läßt, über die Problematik der Deutschen Bundesbahn gründlicher nachzudenken, als dies früher der Fall gewesen ist. Wir haben die Vorstellungen des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn auf dem Tisch liegen, wie sie im verkehrspolitischen Programm des Verkehrsministers niedergelegt sind.
Ich möchte allerdings hier keinen Zweifel daran lassen, daß das Problem Bundesbahn aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zwei Seiten hat. Auf der einen Seite geht es um das, was der Vorstand der Bundesbahn in eigener Verantwortung zu tun hat, um die Ertragslage der Bundesbahn zu verbessern. Hier liegen konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Ich will nicht in die Einzelheiten gehen; der Herr Verkehrsminister hat sie angesprochen. Durch die Konzentration innerhalb des Unternehmens soll dazu beigetragen werden, das Defizit abzubauen.
Auf der anderen Seite ist die sogenannte Investitions- oder Expansionsphase zu sehen. Hier geht es vorrangig um den Bau neuer Eisenbahnstrecken und um Rationalisierungsinvestitionen, damit die Bundesbahn in die Lage versetzt wird, durch ein verbessertes und vergrößertes Verkehrsangebot zusätzliche Leistungen zu übernehmen. Dies soll auch unter dem Gesichtspunkt geschehen, der heute morgen schon in der Diskussion war und den der Herr Verkehrsminister angesprochen hat; ich will deswegen auch nicht mehr sehr viel dazu sagen. Es ist auch unter dem Gesichtspunkt der Energieverlagerung notwendig, daß die Bundesbahn in der Zukunft in stärkerem Maße Transporte übernimmt. Darum braucht die Bundesbahn - dies läßt sich ganz einfach und schlicht sagen - einen größeren finanziellen Spielraum für ihre Investitionen.
Ich darf Ihnen deswegen in aller Deutlichkeit sagen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion geht davon aus, daß der Haushaltsausschuß bei seinen Beratungen des Bundeshaushalts 1974 bei der Stelle des Verkehrshaushaltes, wo der Zuschuß von 50 Millionen DM an die Bundesbahn für den Bau neuer Wegstrecken ausgewiesen ist, eine Bindungsermächtigung zu Lasten der Haushalte 1975 und 1976 ausbringt, und zwar in einer solchen Größenordnung, daß die Bundesbahn in der Lage ist, ihr Ausbauprogramm so fortzuführen, daß es im Bereich des Technischen und auch wirtschaftlich verkraftbar ist und nicht an nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten scheitert.
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- Was ich gesagt habe, sollen Sie nicht in den Haushalt schreiben, Herr Kollege, sondern in den Haushalt soll nach den Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine Bindungsermächtigung; die gehört allerdings in den Haushalt.
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- Im Haushaltsausschuß wird darüber beraten. Der ist dafür zuständig, in welcher Weise das nun genau formuliert wird, ist nicht unsere Sache. Wir Verkehrspolitiker maßen uns nicht an, dem Haushaltsausschuß, dem Sie angehören, in sein Geschäft reinreden zu wollen. Wir möchten hier deutlich unseren politischen Willen zum Ausdruck bringen und durch das Anbringen einer Bindungsermächtigung sicherstellen, daß die Bundesbahn in Verfolgung ihres
Konzepts des Ausbaus von neuen Strecken nicht durch finanzielle Beschränkung daran gehindert ist, das zu tun, was technisch, bauplanerisch usw. möglich ist.
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Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Diese Bemerkung geht an die Adresse der Bundesregierung. Wir möchten Sie sehr ermuntern, Herr Verkehrsminister, sicherzustellen, daß der Investitionsspielraum der deutschen Bundesbahn auch in einem anderen Bereich dadurch erweitert wird, daß neben den Zinsleistungen für die Altschulden, die aus dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Anlagen resultieren, auch die fälligen Tilgungsbeträge ab 1975 möglichst auf den Bundeshaushalt übernommen werden. Auch dies möchte ich sehr deutlich als politische Feststellung aus der Sicht der SPD-Fraktion treffen.
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- Aber ich brauche es ja nicht. Wenn ich das so deutlich sage, Herr Kollege Jobst, und die Bundesregierung kommt dem nach, was ich hier zum Ausdruck gebracht habe, dann sind wir schon wieder in der Lage, einen Punkt aus der Regierungserklärung - natürlich der vorigen; ich weiß, worauf Sie hinauswollen - abzuhaken. Sehen Sie, wir kommen irgendwann immer dahin, wohin wir möchten. Wir versuchen jedenfalls unsere Vorstellung zu realisieren, und, wie Sie sehen, es gelingt uns auch; zeitlich nicht immer so schnell, wie wir möchten, aber dieses Problem haben Sie sicherlich auch.
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Lassen Sie mich fortfahren und einige Bemerkungen zum Problem des öffentlichen Personennahverkehrs machen. Ich glaube, auch hier besteht völlige Übereinstimmung, daß es die autogerechte Stadt nicht geben wird und daß es notwendig ist - dies hat Herr Kollege Schulte auch schon mit kurzen Sätzen angesprochen -, in unseren Städten und Ballungsräumen dem öffentlichen Personennahverkehr jedenfalls die Chance einzuräumen, einen stärkeren Verkehrsanteil auf sich zu ziehen, damit wir zu einer Entlastung unserer total verstopften Städte kommen.
Die Situation der öffentlichen Personennahverkehrsbetriebe muß verbessert werden. Wir alle wissen, daß sie ebenso wie die Bundesbahn sehr tief in den roten Zahlen stecken, weil die Einnahmen ganz einfach nicht so sind, daß sie die Kosten decken. Deshalb begrüßen wir einmal neben allem, was in der Vergangenheit geschehen ist, die beiden Regierungsvoriagen der Bundesregierung zur Übernahme gemeinwirtschaftlicher Lasten im Bereich des Berufs- und Schülerverkehrs. Wir gehen davon aus, ,daß dies zu einer weiteren nicht unerheblichen Entlastung der Verkehrsbetriebe im Bereich der Betriebskosten führt.
Wir möchten die Bundesregierung sehr deutlich ermuntern, das, was im „Kursbuch", im verkehrspolitischen Programm des Herrn Verkehrsministers
steht, baldmöglichst zu realisieren, nämlich die Vorschläge zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer wirksam werden zu lassen.
Wir möchten weiterhin sehr deutlich folgendes ansprechen: Wir erwarten, daß die Bundesregierung sobald wie möglich einen Vorschlag zur Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes vorliegt. Aus unserer Sicht wäre es notwendig, in diesem Gesetz das rollende Material zu berücksichtigen, soweit damit eine echte Verbesserung der Verkehrsbedienung erreicht wird, das heißt Neuanschaffungen für Linienverdichtung oder für die Einrichtung neuer Linien. Im Zusammenhang damit - das ergibt sich eigentlich logisch aus dieser Forderung - sollte eine Änderung des Verteilungsschlüssels zwischen Straßenbau und öffentlichem Personennahverkehr von jetzt 50 zu 50 auf 60 zu 40 zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs vorgenommen werden. Dies fordern wir - Herr Kollege Lemmrich, ich kenne Ihr Lieblingsthema - ganz einfach mit der Begründung, daß öffentlicher Personennahverkehr nicht nur -
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- Ich sage dies als unseren Willen, und ob im Bundesrat eine Bauchlandung gemacht wurde oder beim nächsten Mal gemacht wird, das vermögen Sie doch jetzt auch nicht zu beurteilen, Herr Kollege Lemmrich.
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Dies fordern wir, weil wir sehr wohl wissen, daß öffentlicher Personennahverkehr nicht nur dort stattfindet, wo S-Bahnen betrieben und wo U-Bahnen gebaut werden, sondern auch in den übrigen Bereichen. Ich nehme an, dieser Feststellung treten doch sicher auch Sie aus den Reihen der Opposition bei.
Jetzt komme ich wieder auf die Forderungen zurück, Herr Kollege Schulte, die Sie erhoben haben, nämlich die Bundesregierung solle sich Gedanken über die Folgekosten machen. Ich meine, der Bund hat im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs das getan, was er tun kann, und zwar immer unter Berücksichtigung der Riesenlasten, die dem Bund durch ,den Zuschuß zum öffentlichen Personennahverkehr der Deutschen Bundesbahn erwachsen. Dann allerdings sind die Länder gefordert einzutreten, wenn die Gemeinden dazu allein nicht in der Lage sind. Das möchte ich auch mit aller Deutlichkeit ansprechen.
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Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Verkehrsfinanzierung machen; auch das beschäftigt uns ja immer wieder. Ich bin vorhin bei meinen Eingangsbemerkungen schon auf die Vorstellungen der CDU eingegangen. Alle verkehrspolitischen Vorstellungen, die wir entwickeln -- ob wir oder Sie, ist in diesem Zusammenhang uninteressant , stehen natürlich unter dem Vorbehalt der finanziellen Möglichkeiten; denn niemand von uns vermag zur Zeit zu übersehen, wie ,die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre ist und wie sich die Steuereinnahmen ausnehmen werden.
Ich will jetzt nicht noch einmal Ihre Steuersenkungsanträge ins Gespräch bringen. Ich meine ganz einfach, daß man sehen muß, daß Verkehrspolitik ein Teil der Gesamtpolitik der öffentlichen Hand ist und daß der Verkehrshaushalt ein Teil des Gesamthaushalts ist. Will man also im Rahmen der insgesamt zur Verfügung stehenden Masse, die Sie und wir nicht verändern können, umschichten, muß man sagen, wenn man Anträge stellt, zu wessen Lasten das gehen soll. 'Dann müßten Sie sich aus der Sicht der Verkehrspolitik mit Ihren Fraktionskollegen in anderen Ausschüssen, wo über die Haushalte anderer Ressort beraten wird, unterhalten, ob die vielleicht bereit sind, von (ihren Raten etwas abzugeben. Dann werden Sie sehr schnell feststellen, daß den Möglichkeiten der Verkehrspolitik auch hier Grenzen gesetzt sind.
Weil wir diese Situation sehr wohl sehen, übernehmen wir uns nicht. Aus diesem 'Grund meinen wir, daß es um so notwendiger ist, nicht nur im Haushalt insgesamt, sondern auch im Rahmen der Verkehrspolitik Schwerpunkte 'zu bilden. Wir haben gesagt, wo wir die Schwerpunkte sehen. Wir werden uns bemühen, sie entsprechend unseren Möglichkeiten zu realisieren.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Verkehrspolitik ist ein Teil Gesellschaftspolitik und hat sich an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren und nicht umgekehrt, wie es wohl hier und da manchmal geglaubt wird, daß der Mensch dazu da ist, sich dem Verkehr unterzuordnen. Wir meinen aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, daß die verkehrspolitischen Vorstellungen dieser Regierung, wie sie in der Regierungserklärung und in den verschiedenen Programmen des Verkehrsministers niedergelegt sind, dieser Forderung gerecht werden. Wir werden uns bemühen, sie, wenn auch unter erschwerten finanziellen Bedingungen, fortzuführen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Geldner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich für die Fraktion der Freien Demokraten zur Großen Anfrage der CDU/CSU vom Mai vergangenen Jahres Stellung nehmen. Ich möchte aber eingangs doch noch einmal kurz auf die Ausführungen des Kollegen Schulte zurückkommen. Es war, so möchte ich sagen, eine etwas schwache Ouvertüre für Ihr Konzept heute. Es war wieder wie in der Vergangenheit nichts anderes als Kritik, ohne echte Gegenpositionen aufzuweisen.
Herr Minister Lauritzen hat ja erklärt, daß im letzten Jahr sehr wenig Positives aus Ihrer Richtung gekommen ist, mit Ausnahme der, wie Sie sagen, positiven Kritik. Ich möchte sagen, daß man seit dem Jahre 1969 von den Unionsparteien keine weGeldner
sentlichen Akzente in Fragen der Verkehrspolitik mehr bekommen hat.
({0})
Sie haben zwar zu Zeiten der Großen Koalition eine Alternative zum Leber-Plan gebracht, aber in erster Linie bestand Ihre Aktivität bezüglich der Verkehrspolitik in Großen, Kleinen und mündlichen Anfragen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte?
Bitte sehr!
Herr Kollege Geldner, waren Sie nicht dabei - und diese Frage gilt genauso dem Herrn Bundesverkehrsminister, der vorher unberechtigterweise diesen Vorwurf erhoben hat -, als wir beim Haushalt Anträge gestellt haben, daß man zwei Pfennige den Gemeinden gibt, als wir verlangt haben, daß die Zweckbindung für die Investitionen ausgeweitet wird - und nicht nur für den Verbrauch gilt -, als wir beantragt haben, einen Haushaltstitel für den Neubau von Bundesbahnstrecken zu schaffen, als wir beantragt haben, den Verkehrssicherheitsrat anders auszustatten, . . .
Herr Kollege, wenn Sie ein Programm entwickeln wollen, dann melden Sie sich bitte zu Wort. Diese Frage geht zu weit. Kommen Sie bitte zum Abschluß der Frage!
... als wir im Ausschuß darüber sprachen, daß wir ein Bundesbahnkonzept, ein Fluglotsenkonzept vorgelegt und ein Konzept zur Verkehrssicherheit angekündigt haben?
Herr Kollege Schulte, ich komme noch darauf zu sprechen, daß Sie hier eine gewisse Alternative entwickelt haben; so fair will ich auch in meinen Ausführungen sein. Aber insgesamt gesehen - das muß man doch feststellen - sind seit 1969 keine echten Impulse mehr gekommen. LeberPlan-Alternative im Zeichen der Großen Koalition, okay. Aber man kann sich hier doch des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Große Anfrage in erster Linie deshalb gestellt worden ist, um Ihren Informationsstand wieder etwas zu verbessern. Wir Freien Demokraten haben dagegen mit einem Bruchteil an personeller Kapazität der Unionsparteien in dieser Zeit und das will ich Ihnen - ({0})
- Aber, Herr Lemmrich, Sie wissen doch ganz genau, daß das nicht das Problem ist.
({1})
Denn auch Sie haben im Verkehrsministerium noch Ihre Leute sitzen, und Sie haben ja zu Ihrer Zeit sehr aktive Personalpolitik betrieben. Sie können uns doch heute nicht vorwerfen, daß wir nun einige Freunde in diesem Ressort haben. Nein, die Partei und die Fraktion sind für das verantwortlich, was an Verkehrspolitik gemacht wird.
({2})
-- Ihre lauten Zwischenrufe machen Ihre Argumente auch nicht besser, Herr Lemmrich.
({3})
Die Bundesregierung und der Bundesverkehrsminister haben sehr wichtige Akzente gesetzt. Aber auch wir Freien Demokraten - Hören Sie gut zu, Herr Lemmrich! Sie mögen nun sagen, das käme vom Bundesverkehrsministerium - und die Fraktion der Freien Demokraten haben immerhin die Thesen zum öffentlichen Personennahverkehr erbracht, schiffahrtspolitische Leitlinien, die Leitsätze der Freien Demokraten zur Gesundung der Deutschen Bundesbahn, eine sehr wichtige Reform zum Stückgutverkehr, zur Verkehrswegeinvestitionspolitik, und was nicht - ({4})
- Aber Herr Kollege, Sie wissen doch ganz genau, daß jede Fraktion und jede Partei geradezu verpflichtet ist, auch eigene Gedanken zu haben, und die haben wir hier entwickelt. Gestatten Sie, daß ich die Ihnen heute einmal etwas vortrage.
({5})
Denn wir haben uns des Eindrucks nicht erwehren können, Herr Kollege Lemmrich, daß Sie in der Vergangenheit unsere Vorschläge entweder nicht zur Kenntnis genommen oder zu ihnen nicht Stellung genommen haben.
({6})
Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze eingangs darlegen. Wir hätten es gerne gesehen - das habe ich Ihnen schon gesagt -, wenn Sie zu diesen Vorstellungen, die wir als Fraktion entwickelt haben, Stellung genommen hätten. Aber Sie können es ja im Laufe der Debatte noch tun. Die Öffentlichkeit hat nämlich auch ein Anrecht darauf, zu erfahren, welche Gegenvorstellungen die Opposition, die Union, zum Vorhaben der Regierung hat. Ich nehme an, daß Sie in einer Vielzahl von Beiträgen sich dazu noch äußern werden. Wenn man politisch ernstgenommen werden will, kann man sich nicht damit begnügen, die Regierung ständig zu kritisieren, ohne eigene Vorstellungen zu entwickeln. Man macht es sich leicht, meine Damen und Herren, wenn man einerseits nach der Gesundung der Deutschen Bundesbahn ruft, andererseits aber lauthals lamentiert, wenn die Regierung bzw. die Deutsche Bundesbahn in ihrem weitaus defizitärsten Bereich, nämlich im Stückgut- und Expreßgutverkehr, Einsparungen vornehmen will. Wenn ich die Frage
4618 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 17. Januar 1974
des Kollegen Dr. Müller-Hermann in der heutigen Fragestunde betrachte, stelle ich mir wiederum die Frage, was er denn wohl damit bezweckt. Will er versuchen, die Zahl der Stückgutbahnhöfe zu reduzieren, oder will er das nicht? Sicherlich, meine Damen und Herren von der Opposition, ist es für uns alle nicht leicht, wenn in unserem Wahlkreis Stückgutbahnhöfe geschlossen werden sollen. Aber wenn bei gleichwertiger Bedienung auf der Straße eine erhebliche Defizitursache beseitigt werden kann, liegt das im Interesse des Steuerzahlers, dem wir ja letztlich alle verpflichtet sind.
Außerdem muß auf folgendes mit allem Nachdruck hingewiesen werden: Die der Deutschen Bundesbahn noch verbliebenen knapp 10 % der Stückgutbeförderung - über 90)/o werden schon ohne Schwierigkeiten auf der Straße befördert - können beim besten Willen nicht der Daseinsvorsorge zugerechnet werden. Die Regierung hat ebenfalls schon vor langer Zeit erklärt, daß dieser Bereich nicht zur Daseinsvorsorge gehöre, und sie hat hier die volle Unterstützung von uns Freien Demokraten. Von daher gesehen war auch Ihre Frage Nr. 2 weitgehend überflüssig, in der Sie die Befürchtung ausdrückten, die Regierung könnte mehr Bereiche als bisher zu Lasten des Steuerzahlers zu der Daseinsvorsorge erklären. Das Gegenteil ist der Fall, wie unsere Politik zeigt; Sie haben das vielleicht noch nicht ganz mitbekommen. Für Ihr im November eilig aufgestelltes Bundesbahnkonzept gilt ein bißchen das Motto vom Hasen und vom Igel: „Ich war zuerst da." Wir waren schon da; aber, mein Gott, darüber ließe sich streiten. Wir würden uns freuen, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie konsequent zu Ihren Grundsätzen stünden und uns bei unserem Bemühen, die Deutsche Bundesbahn zu sanieren, unterstützten. Über Einzelheiten ließe sich reden.
({7})
- Ja, gut! Über Ihre konkreten Vorstellungen läßt sich ja reden, Herr Kollege.
Herr Kollege Geldner, sind Sie sich über die Sanierung der Bahn mit Ihrem Koalitionspartner einig? Wenn ich an die Ausführungen des hochverehrten Kollegen Börner vor den Vertretern der nicht bundeseigenen Eisenbahnen in Münster denke, finde ich darin einige Unterschiede zu Ihren Auffassungen.
Herr Kollege Lemmrich, ist es denn anormal, wenn zwei Partner in einer Koalition nicht absolut wortgetreu d'accord sind? Ist es nicht in unserem demokratischen Staat geradezu notwendig, auch in einer Koalition den Mut zu unterschiedlichen Auffassungen zu haben, um sie dann zu einem brauchbaren Konzept zusammenzuschweißen?
Herr Kollege Geldner, Sie haben gefragt, ob das anormal sei. Ich habe den Eindruck, daß es zwischen der FDP und der SPD immer normaler wird, daß man nicht mehr einer Meinung ist.
({0})
Herr Kollege Lemmrich, mit solchen einfachen, um nicht zu sagen, primitiven Zwischenfragen können Sie uns mit Sicherheit nicht auseinanderdividieren.
({0})
- Lassen Sie mich in meinen Ausführungen fortfahren, denn ich weiß, daß noch sehr viele Ihrer Kollegen zu Wort kommen wollen. Es ist Ihr Problem, wenn Sie derartige Zwischenfragen stellen.
In Ihrer Frage 4 auf Drucksache 7/614 bringen Sie die Sorge zum Ausdruck, „daß der finanzielle Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen in Zukunft verstärkt von Ländern und Kommunen zu tragen sein wird". Auf der anderen Seite - hören Sie jetzt gut zu, Herr Lemmrich - erklärte Ihr Kollege Dr. Müller-Hermann - ich sehe ihn im Augenblick nicht -, der verhinderte Verkehrsminister, am 23. November 1973 in Stuttgart vor der Hauptversammlung der baden-württembergischen Omnibusunternehmer, die volle Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Lasten müsse analog § 28 a des Bundesbahngesetzes durchgeführt werden. Bei nicht bundeseigenen Unternehmen müsse der Ausgleich durch die Länder und Kommunen erfolgen. Ich kann an die Adresse von Herrn Dr. Müller-Hermann nur sagen: Ihr Wort in das Ohr der Ministerpräsidenten der Bundesländer!
Lassen Sie mich jetzt einmal ein bißchen auf die Einzelfragen eingehen. Wir Freien Demokraten stimmen der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage grundsätzlich zu. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit gleich feststellen, daß der öffentliche Personennahverkehr in Zukunft besondere Priorität genießen muß. Sollten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Ihnen vorliegende Drucksache 7/1045 aufmerksam gelesen haben, dann dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß auch im Bundesverkehrswegeplan die Priorität der Investitionspolitik im Zusammenhang mit dem ÖPNV an vielen Stellen betont wird. Außerdem hat die freie demokratische Fraktion schon Anfang 1970 im Deutschen Bundestag die Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Lasten für alle Bereiche und alle Betriebe - sowohl kommunaler als auch privater, die öffentlichen Nahverkehr betreiben - gefordert.
Im Güterverkehr muß in größtmöglichem Rahmen nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gearbeitet werden. Allerdings ist auch hier eine völlige Liberalisierung nicht möglich. Eine gewisse staatliche Kontrolle muß gewährleistet bleiben, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Wir Freien Demokraten teilen die Auffassung der Bundesregierung, wie sie im Bundesverkehrswegeplan als einem langfristigen investitions- und ordnungspolitischen Orientierungsrahmen dargestellt ist, daß im Güterverkehr eine kontrollierte Wettbewerbsordnung am besten geeignet ist, ein Gleichgewicht zwischen den nach Qualität und Quantität
sehr unterschiedlichen Anforderungen der Verlader einerseits und dem Leistungsangebot der Verkehrsträger andererseits herzustellen. Grundbedingung für das Funktionieren des Wettbewerbs ist natürlich die freie Wahl des Transportmittels, an der im Güterverkehr grundsätzlich festzuhalten ist. Eine staatliche Verkehrslenkung wäre nicht in der Lage, Entscheidungen so zu treffen, wie sie aus gemeinwirtschaftlicher Sicht erforderlich wären.
Ich nehme an, daß Sie das alles aufmerksam gelesen haben. Ich meine die Drucksache 7/1045. Um die Erkenntnisse der Bundesregierung bzw. des Bundesverkehrsministers zu demonstrieren, darf ich hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren: Unter Punkt 25 - „Personenverkehr auf der Straße" - heißt es:
Insbesondere in den verkehrsfernen Gebieten und Randzonen der Bundesrepublik Deutschland verlangt die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen eine am Verkehrsbedürfnis orientierte Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Dazu ist der Omnibuslinienverkehr ein besonders geeignetes Mittel.
Es gibt Gebiete, in denen die Forderung nach einem aufwendigen Neu- oder Ausbau öffentlicher Verkehrsanlagen und -netze gesamtwirtschaftlich nicht zu vertreten wäre. Hier müssen Verkehrserschließung und -bedienung weiterhin durch entsprechende Straßenbaumaßnahmen angemessen gewährleistet sein.
Daraus können Sie sehen, daß sich die Prioritäten in Zukunft nicht absolut in dem Sinne verändern, daß eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene erfolgt. Zum Güterverkehr auf der Schiene gibt es auch noch sehr interessante Ausführungen in der Drucksache 7/1045.
Aber noch einige Anmerkungen zur Frage 2. Ich habe sie schon in meinen allgemeinen Ausführungen angesprochen. Auch für uns Freie Demokraten gibt es außer dem Personennahverkehr keinen Bereich, der unter den Begriff der Daseinsvorsorge fällt. So sind wir auch nicht gewillt, den Stückgutverkehr der Deutschen Bundesbahn auf längere Sicht zu subventionieren. Bei einem Marktanteil der Deutschen Bundesbahn von rund 104)/o am gesamten Kleingutverkehr kann man nicht mehr von Daseinsvorsorge sprechen. Deshalb haben wir das Vorhaben der Deutschen Bundesbahn begrüßt, die Anzahl der Stückgutbahnhöfe drastisch zu reduzieren. Allerdings muß bei dieser Gelegenheit auch einmal die soziale Komponente ins Kalkül einbezogen werden, um keine sozialen Härten für die Arbeitnehmer in diesem Bereich aufkommen zu lassen. Wir sind allerdings skeptisch, ob dies ausreichen wird - nämlich der Plan 400 -, um vom Defizit in diesem Bereich wegzukommen. Wir sind der Auffassung, daß die Vorschläge des Vorstands der Deutschen Bundesbahn noch nicht weit genug gehen - ich weiß, daß ich hier etwas vielleicht für manche Ketzerisches sage -, um tatsächlich zu einer nachhaltigen Verbesserung des Wirtschaftsergebnisses im Kleingutverkehr zu kommen. Wir fordern daher den Herrn Bundesminister für Verkehr auf, seine im „Kursbuch für die Verkehrspolitik" angekündigten Vorstellungen zur weiteren Rationalisierung des Stückgutverkehrs ohne Zeitverlust zu konkretisieren. Weiterhin sind wir der Ansicht, daß preispolitisch kurzfristig die Voraussetzung zu schaffen ist, daß die Deutsche Bundesbahn über saisonale Zuschläge, z. B. im Expreßgutverkehr, durch Tariferhöhungen bei Leer- und Sperrgut sowie durch Senkungen für kurze Entfernungen im Streugutverkehr, die Erträge im Kleingutverkehr marktgerecht verbessern und unrentable Verkehre abstoßen kann. Ebenso sind wir der Meinung - das ist vielleicht auch eine etwas ketzerische Auffassung -, daß die Beförderungspflicht der Deutschen Bundesbahn im Stückgut- und Expreßgutverkehr aufgehoben werden muß. Dies erfordert eine Änderung der Eisenbahnverkehrsordnung. Hier sollten umgehend die notwendigen Schritte eingeleitet werden. Längerfristig sollte sich die Deutsche Bundesbahn im Kleingutverkehr auf die reine Transportfunktion beschränken.
Wir schlagen deshalb vor, ein Modell der Kooperation zwischen Schiene und Straße in einem Großversuch zu testen, ähnlich wie dies vor Jahren schon einmal durch einen Kooperationsvertrag mit einem Privatunternehmen geschehen ist. Ich weiß nicht, wieweit Ihnen das sogenannte Wortmann-Modell in Hameln geläufig ist. Dort war es schon in den 50er Jahren der Fall. Auch hier wurde der Versuch gemacht, eine Kooperation herbeizuführen.
Die Deutsche Bundesbahn hat zur Stückgutreform ihre eigenen Vorstellungen. Sie hat z. B. Ende Dezember - das muß ich kritisch vermerken - dem Bundesminister für Verkehr einen Ausnahmetarif für den Städte-Stückgut-Verkehr zur Genehmigung vorgelegt, der Ermäßigungen bis zu 29 % gegenüber dem Stückgut-Regeltarif vorsah. Ich kann und will hier keineswegs der Bundesregierung vorgreifen, die den vorgelegten Tarif daraufhin zu prüfen hat, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungstatbestände erfüllt sind oder nicht. Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Fragen stellen: 1. Ist die Deutsche Bundesbahn tatsächlich gut beraten, wenn sie sich zu diesem Zeitpunkt mit denjenigen Unternehmen anlegt, auf deren Kooperation sie später angewiesen ist? Es ist völlig ausgeschlossen, daß die Spedition sich ohne Kampf Transporte einfach abnehmen läßt. 2. Ist die Bundesbahn wirklich gut beraten, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, mit anderen Worten, die tarifpolitischen Schritte bereits zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem kaum die Konturen ihres Modells 400 festgelegt sind?
Wir haben als Fraktion zum Kleingutverkehr bereits am 28. September 1973 hier unsere Vorstellungen dargelegt. Sie wissen, daß 1972 im Stückgutverkehr ein Defizit von 712 Millionen DM und im Expreßgutverkehr ein solches von 345 Millionen DM vorhanden war. Wenn man einmal von diesen Perspektiven ausgeht, muß man sich Gedanken machen, wie man das echt und nachhaltig ändern kann. Die von der Deutschen Bundesbahn durchgeführte Stückgutreform sah insbesondere die Schließung unrentabler Stückgutabfertigungen vor, von 3 000 auf 1 000, von 1 000 auf 400, die Schließung von Umladestellen sowie eine engere Koope4620
ration mit dem Straßengüterverkehr. Die Stückgutreform 1970 hat jedoch nicht das erwartete Ergebnis gebracht; das wissen Sie. Wir haben es begrüßt, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn in seinem Unternehmenskonzept vom 24. Mai 1973 weitere Rationalisierungsmaßnahmen angekündigt hat. Wir sind damit einverstanden, daß sich auch der Bundesminister für Verkehr in seinem „Kursbuch für die Verkehrspolitik" für eine weitere erhebliche Verminderung der Abfertigungs- und Umlagestellen und für eine stärkere marktorientierte Anpassung der Preise an die Kosten einsetzt.
Deshalb fordern wir - ich möchte Ihnen das hier einmal für uns Freie Demokraten darlegen -, daß der Bundesminister für Verkehr seine im „Kursbuch für die Verkehrspolitik" angekündigten Vorstellungen zur weiteren Rationalisierung des Stückgutverkehrs ohne Zeitverlust konkretisiert. Preispolitisch sind kurzfristig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, 'daß die Deutsche Bundesbahn über saisonale Zuschläge, durch Tariferhöhungen für Leer-und Sperrgut, wie ich schon sagte, sowie für Sendungen über kurze Entfernungen und im Streuverkehr Erträge marktgerecht verbessern und unrentable Verkehre abstoßen kann. Die Beförderungspflicht für die Deutsche Bundesbahn im Stückgut-und Expreßgutverkehr ist aufzuheben. Das erfordert eine Änderung der Eisenbahnverkehrsordnung; das ist mir klar. Der Bundesminister für Verkehr wird gebeten, umgehend auch hier die notwendigen Schritte einzuleiten. Längerfristig sollte sich die Deutsche Bundesbahn im Kleingutverkehr auf reine Transportfunktionen beschränken. Wir Freien Demokraten schlagen vor, die Umstellung in einem Großversuch einmal zu testen. Hier ist die Gründung eines Unternehmens im Straßengüterverkehr ähnlich wie im Kombiverkehr notwendig, in dem die Straßengüterverkehrsspeditionen und die Deutsche Bundesbahn eng zusammenarbeiten und das die Funktion des Sammelns und Verteilens des Kleinguts übernimmt.
Lassen Sie mich ein paar Anmerkungen zu Ihrer nächsten Frage, zu Frage 3 darlegen. Wir gehen davon aus, daß die Abgeltungszahlungen des Bundes in Zukunft nicht überdurchschnittlich steigen werden. Wir fordern auch die Umstellung und die Einbeziehung von mehr Autobussen in die Verkehrsträgerschaft. Wir haben auch hier unsere Vorstellungen entwickelt; denn die Verkehrsbedienung in der Fläche teilen sich die Bundesbahn und die Deutsche Bundespost, die nicht bundeseigenen Eisenbahnen sowie kommunale und private Verkehrsträger. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Beschluß der Bundesregierung vom 13. Oktober 1973, den Postreisedienst in die Deutsche Bundesbahn einzugliedern. Damit werden 4 000 Linien mit einer Gesamtlänge von 170 000 km zusammengefaßt. Das sind 54% des gesamten Überlandnetzes. Auch hier ergeben sich Perspektiven, die wir Freien Demokraten gern bereit sind Ihnen vorzutragen; denn wir haben auch hier ein eigenes Konzept zur Verkehrsbedienung in der Fläche. Wir unterstreichen die Forderung nach Zuschüssen für die Beschaffung von Fahrzeugen im öffentlichen
Personennahverkehr, die insbesondere den Omnibuslinienverkehr in der Fläche zugute kommen.
Lassen Sie mich zur Frage 4 einige Anmerkungen machen. Wir Freien Demokraten vertreten die Auffassung, 'daß der Bund nur für die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen in seinen eigenen Unternehmen zuständig ist. Hier müssen Länder und Kommunen in ihrem eigenen Bereich tätig werden. Ich bin sehr froh darüber, daß Nordrhein-Westfalen dem bereits Rechnung getragen hat. Hier gibt es schon seit langem die Abgeltung im Schüler- und Berufsverkehr auch für private Unternehmen. Der Bund hat neben seinen bisherigen Leistungen in Milliardenhöhe mit dem Kabinettsbeschluß von Anfang Dezember 135 Millionen DM für die Abgeltung in diesem Bereich zur Verfügung gestellt. Wir begrüßen das außerordentlich.
Und nun, meine Damen und Herren der Opposition, hören Sie gut zu! Leider ist es so, daß Rheinland-Pfalz - bis vor kurzer Zeit auch Schleswig-Holstein - diese Abgeltung nur für die öffentlichen und die kommunalen Verkehrsträger zahlt. Wir halten diese Auffassung für sehr bemerkenswert. Gerade die von der CDU geführten Länder, deren Spitzenpolitiker immer wieder warnend von der Sozialisierung und Diskriminierung von Privatunternehmern reden, diskriminieren in ihrem eigenen Bereich private Unternehmer, die die gleiche Leistung im Nahverkehr erbringen wie die öffentlichen Unternehmen.
({1})
- Natürlich ist das in Rheinland-Pfalz der Fall!
({2})
- Ja gut, Herr Jenninger, Sie können ja hierherkommen und den Beweis des Gegenteils antreten.
Ähnliches gilt auch für Gelder aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Die größten Schwierigkeiten, Gelder für den Bau von Betriebshöfen usw. zu erhalten, entstehen Privatunternehmern in den von Ihnen geführten Ländern, obwohl der Gesetzgeber in Bonn eine völlige Gleichbehandlung von privaten und öffentlichen Verkehrsträgern beschlossen hat. Ich frage mich, was es zu bedeuten hat, wenn Privatunternehmer vom Ministerium für Mittelstand und Verkehr in Baden-Württemberg, Herr Jenninger, die Auskunft erhalten, man könne ihnen 1974 leider keine Mittel mehr für diesen Zweck zur Verfügung stellen, da von Bonn kein Geld mehr komme, gleichzeitig aber die Mittel von 1973 noch nicht einmal voll ausgeschöpft wurden. Es sind nämlich 12 Millionen DM nach Bonn zurückgeflossen, die nicht ausgegeben worden sind.
Hier stellt sich die Frage, ob die Opposition in Bonn mit einer gewissen Vorstellung argumentiert, die nicht sehr fair ist, oder ob die von der Union geführten Länder bewußt blockieren und der Regierung in Bonn die Schuld in die Schuhe schieben wollen. Das sind doch die Tatbestände.
In der Debatte wurde vom Kollegen Schulte auch die Frage der Investitionspolitik angeschnitten. Die Überlegungen, die sich zur Verkehrswege-Investitionspolitik stellen, sind bereits am 20. Oktober 1973 von uns konzipiert worden. Der Bundesminister für Verkehr -- wir Freien Demokraten begrüßen das - hat das angekündigte Bundesverkehrswegeprogramm dem Deutschen Bundestag vorgelegt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Aber lassen Sie mich zu den investitionspolitischen Leitlinien doch noch einiges Grundsätzliches ausführen. Das Finanzvolumen für öffentliche Verkehrsinvestitionen darf nicht geschmälert werden. Es muß vielmehr im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote angemessen gesteigert werden. Die spezielle Bindung von Investitionsmitteln für einzelne Verkehrswege steht im Widerspruch zu einer integrierten Verkehrswegeplanung. Sie setzt eine integrierte Finanzierung voraus. Die Investitionen für alle Verkehrswege einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs sollten daher aus einer erweiterten Zweckbindung von Haushaltsmitteln finanziert werden. Das wurde heute auch schon angesprochen; wir Freien Demokraten unterstützen das. Investitionshilfen zur Finanzierung von Bussen und Schienenfahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs aus diesen Mitteln sollten nicht ausgeschlossen sein. In dieser Richtung wird ja einiges getan.
({3})
Wenn es um die Investitionen geht, müssen wir aber auch auf etwas anderes zu sprechen kommen. In der Frage 6 fragen Sie nach dem steigenden Defizit der Deutschen Bundesbahn. Auch uns bewegt das mit größter Sorge. Grundsätzlich sind wir der Auffassung, daß sich die Deutsche Bundesbahn in Zukunft auf eisenbahnspezifische Verkehre beschränken soll. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich war eigentümlich berührt, als ich in der „Deutschen Verkehrszeitung" vom 6. Januar dieses Jahres die Annonce las, in der es u. a. heißt:
Service heißt weiter Vermietung oder Vermittlung von Lagerräumen in Gleisnähe oder Hilfe bei deren Baufinanzierung.
Ich bin der Meinung, daß die Bundesbahn kein Finanzierungsinstitut ist und bei ihrer desolaten Finanzlage nicht noch zur Baufinanzierung Hilfen geben sollte.
Auch wir haben zur Gesundung der Deutschen Bundesbahn unsere Leitlinien aufgestellt und der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Denn auf die Deutsche Bundesbahn kann nicht verzichtet werden. Darüber sind wir uns alle im klaren. Die Deutsche Bundesbahn kann jedoch - das möchte ich bei dieser Gelegenheit betonen - kein Universalunternehmen sein. Sie muß sich stärker auf Bereiche konzentrieren, in denen sie langfristig im Wettbewerb bestehen kann. Nur auf diese Weise kann eine Deutsche Bundesbahn entstehen, die, mit Ausnahme des Personennahverkehrs, kostendeckend arbeiten kann. Der Zuschußbedarf aus öffentlichen
Mitteln würde sich dann auch in vertretbaren Grenzen halten.
Nun noch ein Wort zur Stillegung von Strecken, Bahnhöfen und Umladestellen. Sie erfordert gleichzeitig eine Sanierung, eine ausreichende Verkehrsbedienung der betroffenen Regionen durch andere Verkehrsunternehmen oder eine Kooperation. Im Kleingutverkehr sind vor allem die Speditionen, im Personennahverkehr die Omnibusunternehmen angesprochen. Um einen echten wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen, muß die notwendige Konzentration der Deutschen Bundesbahn alle Bereiche des Unternehmens erfassen. Dabei müssen die Maßnahmen aufeinander abgestimmt sein und dürfen nicht isoliert voneinander getroffen werden.
Hauptursache für die sich ständig erweiternde Schere der Kosten und Erträge ist der hohe Personalkostenanteil: 72 % der Gesamtkosten im Jahre 1972, weit über 100% der Betriebskosten. Ein erheblicher Teil des Personals ist in unrentablen Verkehrsbereichen gebunden. Eine moderne Eisenbahn muß mit erheblich weniger Personal auskommen. Das ist allen klar. Aber es bedarf natürlich gerade bei dieser Vorstellung immer wieder der Rücksichtnahme auf die soziale Komponente für die Arbeitnehmer in diesem Bereich. Wir können es uns nicht leisten, daß man hier ad hoc darangeht, Personaleinsparungen vorzunehmen, sondern das ist ein Problem - ({4})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege, Sie wissen genau: Wenn man rationalisierte ich habe Ihnen ja vorgetragen, welche Bereiche man auf andere Bereiche verlegen kann -, dann könnte man eine gewisse Einsparung vornehmen, die aber nicht darin enden darf, daß man morgen dadurch neue Arbeitslose bekommt. Das ist ein längerfristiges Problem, für ein Jahrzehnt; es ist, wenn Sie so wollen, fast ein Generationsproblem.
Herr Abgeordneter Geldner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich?
Herr Kollege Geldner, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß bei der Deutschen Bundesbahn zur Zeit 600 000 Überstunden geleistet worden sind, während der Durchschnitt sonst bei 200 000 liegt, und würden Sie Ihre Ausführungen vielleicht etwas an diesen Sachverhalten orientieren?
Herr Kollege Lemmrich, selbstverständlich hat die Deutsche Bundesbahn in der letzten Zeit mehr Leistungen erbracht. Sie hat auch - nicht nur durch den Fluglotsenstreik, sondern auch durch die verschiedensten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ölkrise - verstärkte Fahrleistungen gehabt. Die Deutsche Bundesbahn hat deshalb Überstunden, und sie wird mit dem Überstundenproblem auch fertig werden. Ich habe doch
ausdrücklich gesagt, daß man in Zukunft neue Leitlinien setzen muß, daß man gewisse Verkehre wie z. B. den Stückgutverkehr abstoßen muß, wie man es auf der anderen Seite bei der Post - ich will darauf auch noch kurz zu sprechen kommen - in Zukunft mit dem Postreisedienst auch machen wird.
Lassen Sie mich zu den Fragen 8 und 9 Ihrer großen Anfrage - es sind eben 14 Fragen, und ich will dazu noch etwas sagen - kommen. Wir Freien Demokraten gehen hier mit dem Bundesverkehrsminister sehr einig, der vor der Automobilmesse des letzten Jahres erklärt hat: auch er ist gegen eine Verteufelung des Pkw. In diesem Zusammenhang muß man wissen, daß eben jeder siebente Arbeitnehmer heute direkt oder indirekt vom Fahrzeug abhängig ist. Wir unterstützen allerdings jede Maßnahme, um den öffentlichen Personennahverkehr attraktiver zu machen. Wir sind gegen Zwangsmaßnahmen, die den Autofahrer zum Verzicht auf das Auto zwingen sollen. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem Bemühen, den Kraftverkehr in den Verdichtungsräumen nicht in dem gleichen Maße wie bisher anwachsen zu lassen, sondern den Pkw-Besitzer dazu zu bringen, sein Auto sinnvoll zu nutzen. Dies kann allerdings nur erreicht werden, wenn der öffentliche Personennahverkehr attraktiver wird.
Ich freue mich, daß auch hier wieder das Land Nordrhein-Westfalen Zuschüsse für den Kauf von Bussen bis zu 30 000 DM mit einer Gesamtsumme von 90 Millionen DM aufwendet, um Mittel für die Unterstützung des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung zu stellen.
Ich möchte dann noch auf Frage 11 zu sprechen kommen. Wir Freien Demokraten begrüßen die Steigerung des prozentualen Anteils im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz von bisher 50 auf 55 % zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs. Wir sind der Auffassung, daß im Rahmen der Zuschüsse nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz eine größere Priorität auch dem Bau von Umgehungsstraßen eingeräumt werden muß, um den innerstädtischen Verkehr so weit wie möglich vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Ich kenne in meinem engeren Heimatbereich z. B. eine Kleinstadt - ich meine Feuchtwangen -, in der zwei Bundesstraßen durch ein Nadelöhr müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waffenschmidt?
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Geldner, Sie haben eben gerade gesagt und das möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Frage machen -, Sie wollten die Mittel für den innerstädtischen Straßenbau zugunsten anderer Maßnahmen verringern. Sie haben gesagt, Sie begrüßen es, wenn man mehr für den PNV tun kann. Zugleich fordern Sie aber weitere Programme für den Straßenbau. Wie können Sie das miteinander vereinbaren?
Herr Kollege Waffenschmidt, die Mittelkürzung beinhaltet nicht, daß man so vorgeht. Ich frage Sie, was im Endeffekt billiger sein wird. Ich meine, die Sanierung der Altstädte, und Sie wissen wie ich , daß es eine autogerechte Stadt nicht geben wird. Dieser Illusion brauchen wir uns nicht hinzugeben.
Deshalb muß bei steigenden Mitteln im Verkehrsbereich - wobei selbstverständlich der öffentliche Nahverkehr prozentual stärker gefördert werden muß -natürlich auch für die Umgehungsstraßen eine gewisse Priorität gesetzt werden. Und wenn wir das erreichen, nachdem wir die autogerechte Stadt nicht erreichen können, sind wir, glaube ich, hier auf dem richtigen Wege, die Dinge zu meistern.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Frage 14 eine für mich noch sehr wichtige Frage ansprechen, nämlich das Problem des grenzüberschreitenden Verkehrs. Ich möchte hier zur europäischen Verkehrspolitik Stellung nehmen.
Sie wissen, daß gerade der grenzüberschreitende Güterverkehr in der Bundesrepublik enormen Belastungen ausgesetzt ist. Es bestehen Wettbewerbsverzerrungen z. B. durch die teilweise beträchlich höheren fiskalischen Belastungen deutscher Unternehmer etwa durch die Kraftfahrzeugsteuer; daneben gibt es die unterschiedliche Rückerstattung der Mehrwertsteuer, und es gibt die unterschiedliche Anwendung und das Fehlen der Überwachung der EG-Sozialvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten. Dies alles führt zu einer Benachteiligung gegenüber ausländischen Konkurrenten.
Ich bin der Meinung, daß die Sozialvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland richtig sind. Ich bin aber auch der Meinung, daß die Überprüfung in allen EG-Staaten gleichermaßen vorgenommen werden muß, damit nicht unserem Güterverkehr Nachteile erwachsen, indem sich unsere Unternehmen nach Gesetz und Recht verhalten, in den übrigen EG-Staaten diese Ordnung aber permanent durchbrochen wird.
Ich nenne weiter die uneinheitliche Handhabung der Tarifüberwachung innerhalb der EG. In der Bundesrepublik ist die Überwachung intensiv und wirksam. Des weiteren existiert eine einseitige Belastung im Güterkraftverkehr durch die einseitige Festsetzung der spezifischen Motorleistung von 8 PS pro Tonne. Mir ist bekannt, daß im letzen Jahr eine Verkehrszählung vorgenommen wurde. Hier hieß es, daß die Motorisierung auch in den übrigen EG-Staaten schon weit fortgeschritten ist und daß ein hoher Prozentsatz der Fahrzeuge bereits bei 7 bis 8 PS pro Tonne liegt. Ich weiß aber, daß wir bereits seit 1. Januar 1972 eine Vorschrift haben, nach der jeder neu angeschaffte Lkw eine Leistung von 8 PS pro Tonne bringen muß. Das beinhaltet zunächst einmal eine wesentlich höhere finanzielle Belastung.
Ich stelle mir, um auf diese Verkehrszählung zurückzukommen, die Frage, welche Arten von Lkw hier geprüft worden sind. Denn entscheidend ist doch die Größenordnung von 32 bis 38 Tonnen, und ich weiß, daß die kleineren Tonnagen - wahrscheinlich auch in anderen EG-Ländern - übermotorisert sind.
Wir wissen, daß das Fernziel der EG ist, bis 1985 die 7 PS pro Tonne zu erreichen. Was hilft mir ein zügiger Verkehr auf der Autobahn oder Bundesstraße, wenn der Langsamste im Geleitzug das Tempo angibt, nämlich der Untermotoriserte mit 5 bis 6 PS pro Tonne! Deshalb würde ich den Herrn Bundesverkehrsminister bitten, dieses Problem einmal ernsthaft zu überprüfen. Ich würde Sie bitten, Herr Bundesminister, hier bis zu einer gemeinsamen Regelung in der Europäischen Gemeinschaft eine Aussetzung vorzunehmen, um eine Gleichbehandlung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft herbeiführen zu können.
Ein letztes Problem dürfte die eindeutige Bevorzugung heimischer Unternehmen insbesondere durch die Staatshandelsländer sein. Hier müßte in Zukunft bei Verhandlungen über bilaterale Kontingente eine hinreichende Beteiligung deutscher Unternehmen sichergestellt werden. Im Verkehr mit den Staatshandelsländern ist es notwendig, über ein Quotensystem zu einer angemessenen Beteiligung der deutschen Unternehmen zu gelangen. Ich glaube, daß dieses Anliegen berechtigt ist, damit man auch in Zukunft in dieser Richtung einen Schritt vorankommt.
Lassen Sie mich zum Schluß für meine Fraktion feststellen, meine Damen und Herren: Wir haben in dieser Legislaturperiode bewiesen, daß wir an den Vorstellungen und am Fortschritt der Verkehrspolitik maßgebend Anteil haben. Lassen Sie mich aber auch feststellen, daß die sozialliberale Koalition und der Bundesverkehrsminister gerade im Jahre 1973 Prioritäten gesetzt haben, die sich uns als eine erfolgversprechende Zukunftsperspektive darstellen. Sie zeigen, daß die Verkehrsfrage in dieser Bundesregierung nicht stiefkindlich behandelt wird, sondern daß wir dem Verkehr die Beachtung schenken, die ihm in Zukunft, egal welcher Natur, auf der Schiene oder auf der Straße, zukommt.
Ich beglückwünsche den Bundesverkehrsminster zu der erfolgreichen Arbeit des letzten Jahres in dieser Frage.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Verkehr hat hier eine Rede gehalten, die, gemessen an dem, was wir in seinen Papieren gelesen haben, auch nicht einen einzigen neuen Aspekt gebracht hat. Wenn er meinem Kollegen Schulte vorwarf, er habe auch nichts Neues gebracht, so möchte ich ihm doch empfehlen, das ein bißchen genauer nachzulesen; vielleicht hat er nicht richtig hingehört.
({0}) - Diese Rede.
Wenn ich die Ergebnisse dieser Regierungspolitik einmal anschaue, dann kann ich nur sagen: Eine so
vernichtende Bilanz der Verkehrspolitik hat es noch nie gegeben.
({1})
Die Deutsche Bundesbahn hat mit 2,7 Milliarden DM das höchste Defizit, das es je gab. Der Herr Bundesminister für Verkehr hat sich zugute getan, daß die Bahn noch einmal 500 Millionen DM bekommen hat. Noch nie mußte die Deutsche Bundesbahn einen so horrenden Betrag ihrer Verluste vorfinanzieren wie unter dieser Regierung, die nicht fähig ist, die Finanzen intakt zu halten, weil Sozialdemokraten augenscheinlich mit Geld nicht umgehen können.
({2})
Die Deutsche Bundesbahn mußte zum 31. Dezember 1973 immerhin einen Verlustbetrag von 2,4 Milliarden DM vorfinanzieren, weil diese Regierung das Unternehmen finanziell nicht so ausgestattet hat, wie es notwendig ist. Das sind in der Tat „beeindrukkende Leistungen" eines Bundesverkehrsministers, genauso beeindruckend, wie er es hat zulassen können, daß die Zweckbindung der Mineralölsteuer praktisch beseitigt worden ist. Alle Schönrednerei ist doch nur dazu angetan, den Bürger hinters Licht zu führen.
({3})
Dies ist ja nicht der einzige Bereich, wo Täuschung Trumpf ist.
Wenn wir schauen, wieweit Sie in der Europapolitik in der EWG vorangekommen sind, dann ist dort auch Fehlanzeige zu erstatten. Gut, Herr Minister, ich weiß, wie schwer es ist, aber dann sollten Sie hier bei Ihren Reden nicht so auf den Putz hauen, wie Sie das versucht haben.
({4})
Wenn wir an das große Problem der Wegekosten denken, wo in Ihrem „Kursbuch" mit pseudowissenschaftlichen Redensarten und eingefärbter Ideologie Gemeinplätze verkauft worden sind, muß ich fragen: Wieweit sind Sie mit der Frage der Wegekosten? Wie haben Sie denn an den Dingen gearbeitet, an denen unter Ihrem Vorgänger, Herrn Minister Leber gearbeitet worden ist, die Ergebnisse jedoch so unzureichend waren, daß Minister Leber es nicht für zweckmäßig hielt, sie dem Deutschen Bundestag, geschweige der deutschen Öffentlichkeit vorzulegen. Wo sind all diese Dinge? Nichts ist da; schöne Worte, Worte an Stelle von Taten, Worte, mit denen alles nur vernebelt worden ist. Und dieser Minister hat dann hier den traurigen Mut, uns nach unseren Alternativen zu fragen! Wir haben in der vorigen Periode eine Reihe von Alternativen eingebracht, einen Gesetzentwurf für den Ausbau der Fernstraßen, Vorschläge zur Finanzierung über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, und alle Vorschläge werden mit der Guillotine der Mehrheit dieser Koalition enthauptet. Lesen Sie doch einmal genau nach, was wir auch jetzt alles unternommen haben. Ich möchte das gar nicht alles noch einmal im einzelnen aufführen, weil die Liste so lang ist. Ich möchte aber einmal fragen: Was ist denn zu den Problemen der Verkehrspolitik in Ihren Vorschlägen
wirklich neu? Wer die Probleme der Verkehrspolitik
lange kennt, kennt die Problematik, die überall darin
steckt und kann dann nicht so leichtfüßig daherreden.
({5})
- Nun, Herr Wehner, da Sie darüber lachen: wir freuen uns ja, wenn Sie wieder einmal lachen. Es gibt ja die verschiedensten Versionen, warum Sie lachen oder warum Sie traurig sind. Aber ich meine, darüber brauche ich mich jetzt nicht zu äußern. Ich bin Ihre rüden Zwischenrufe, wenn ich hier rede, von Ihnen ohnehin gewöhnt. Wissen Sie, Herr Wehner, Sie sind doch der Hauptmeister der Täuschung und der Irreführung.
({6})
- Ich zähle wohl zu denen, die Sie in Ihrer Mentalität, was mit Ihnen wirklich los ist, immer intuitiv richtig erkannt haben. Leider haben das nicht alle meine politischen Freunde rechtzeitig erkannt.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu noch einiges sagen. Wenn man fragt, welches unsere Prioritäten sind: die Prioritäten unserer Verkehrspolitik sind Kooperation und vernünftige Koordination aller Verkehrsträger zum Wohle der Gesamtheit. Dies vertreter wir nicht mit schrägen pseudoideologischen Argumenten. Wenn man im „Kursbuch" zum Thema Straßen liest, wird man an Orwells Buch „Animal Farm" erinnert, wo er den Sozialismus so klassifiziert: Sozialismus, das heißt, alle sind gleich, nur ein paar sind gleicher. Verehrter Herr Wehner, Sie wissen ja, wie das so ist.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Minister Lauritzen hat auch noch an die Informationspolitik erinnert, und die kennen wir doch so gut. Hier mit diesem Faltblatt haben wir die Informationspolitik des Herrn Minister Leber; hier sind alle Straßen eingezeichnet, die bis 1985 fertig sein sollen. Hier steht, daß wir bis zur nächsten Autobahn jeweils nur noch 10 km zurückzulegen haben werden, jedenfalls in 85 % des Bundesgebietes, und daß für den Autobahnbau alleine bis 1985 100 Milliarden DM ausgegeben werden sollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke schön. Wir können das vielleicht machen, wenn ich ein Stückchen weiter bin.
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- Meine Herren, hören Sie doch mit den Mätzchen auf, die kenne ich doch. Ich habe bei Kollegen von Ihnen auch Zwischenfragen stellen wollen, aber es
wurde auch abgewunken. Wo ich es für zweckmäßig erachte, werde ich Zwischenfragen annehmen, ansonsten halte ich mich an meine Rede. Sie machen es, Herr Wehner, zum Teil ja auch so.
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Meine Damen und Herren, wenn man nun sagt, das „Kursbuch" gehe von den heutigen Realitäten aus: ja, gut, soviel anders sind die eigentlich auch nicht. Es gibt aber eine Realität, auf die Sie Rücksicht haben nehmen müssen. Das ist die Ebbe in der Kasse gewesen, ausgelöst durch die von Ihnen seit 1969 betriebene Inflationspolitik, die die Problematik Bahn ausgelöst hat. Das Unternehmen Bundesbahn ist der Hauptgeschädigte Ihrer Inflationspolitik.
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Davon allerdings, kann man sagen, daß es in der Tat neue Realitäten sind.
Was den öffentlichen Personennahverkehr angeht, so war es meine Fraktion, die dieses Gutachten veranlaßt hat.
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Gegen Sie von der SPD haben wir im bayerischen Landtagswahlkampf kämpfen müssen, als wir drei Pfennig Mineralölsteuererhöhung für den Verkehrsausbau in den Gemeinden haben wollten. Das ist doch alles nicht neu. Erwecken Sie doch nicht den Eindruck, daß Sie der Erfinder einer Sache sind, mit der Sie früher, Herr Minister Lauritzen, überhaupt nichts zu tun gehabt haben.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ganz kurz einiges nur zu dem, was der Herr Minister hier zum Schienenverkehr der Bundesbahn gesagt hat; hierzu werden meine Kollegen sich noch äußern. Zwanzig Jahre habe die CDU/CSU nichts getan, behaupteten Sie. Woher ist denn dieses Unternehmen aufgebaut worden, wodurch wurde denn die DB das modernste Eisenbahnunternehmen der Welt? Weil man nichts getan hat? Meine verehrten Damen und Herren, erzählen Sie doch nicht diese Ammenmärchen. Sie wissen es genau und wollen bewußt die Unwahrheit an den Mann bringen, um uns ins Unrecht zu setzen. Und was die klaren Kompetenzen anlangt, so wollen wir doch einmal sagen: die Harmonisierung der Kosten bei der Bahn ist doch ein altes verkehrspolitisches Problem, über das wir uns jahrelang unterhalten haben. Herr Minister, da waren Sie von der Verkehrspolitik noch ganz ganz weit weg. Und wenn sie davon sprechen, die Lage des Haushalts hätte sich verbessert, so haben Sie diese verbessern müssen. Warum mußten Sie sie denn verbessern? Weil die Finanzlage des Unternehmens Bundesbahn durch Ihre Politik so katastrophal geworden ist, daß Sie einfach aufmörteln mußten! Das ist doch der Sachverhalt,
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und da haben Sie noch den traurigen Mut, sich hierherzustellen und das als Ihre Leistung darzustellen!
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So sind doch die Dinge. Sie wollen vernebeln, Sie wollen täuschen, und da liegt doch der Hund begraben.
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- Ach, Herr Wehner, wissen Sie, mit Ihnen brauche ich mich gar nicht mehr anzulegen. Ich kann Ihnen nur sagen, ich freue mich, daß Sie - ({7})
- Wo ich her bin, Herr Wehner, weiß ich ganz genau. Wir stammen tatsächlich aus demselben Teil Deutschlands, wo wir nicht ohne weiteres mehr hin können. Das haben wir vielleicht gemeinsam, aber sonst haben wir, Herr Wehner, wirklich nichts gemeinsam.
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Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat noch der Herr Bundesminister für Verkehr es für opportun befunden, uns den Konservativismus anzuhängen. Wir sind der Meinung, daß man auf dem, was gut ist, aufbauen soll,
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und wir gehören nicht zu den Leuten, die aus einer krankhaften Neuerungssucht heraus meinen, man müßte alles über Bord schmeißen.
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Aber mit unserem Rezept, auf bewährten Fundamenten weiterzubauen, ist unser Land bestens gefahren, besser als mit Ihren hektischen Neuerungssüchten.
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Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein Wort zum Kollegen Wrede und seinen Steuersenkungen. Herr Kollege, ich meine, das Unterscheiden werden Sie, so nehme ich an, im Laufe Ihrer parlamentarischen Tätigkeit gelernt haben, und ich weiß, daß Sie im Grunde - das zeigt Ihre Arbeit im Ausschuß - doch zu sachbezogen sind, als daß Sie die Unterschiede unserer Anträge von dem, was hier zur Debatte steht, nicht zu erkennen wüßten. Aber ich verstehe, daß Sie natürlich auch Ihr Soll in dieser Hinsicht erfüllen müssen. Als solches sehe ich es nur an, denn bei so einem Zuchtmeister muß man natürlich immer ein bißchen Kummer haben, daß man da ungeschoren davonkommt. Bei uns geht das etwas freiheitlicher, legerer und freundlicher zu.
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Meine verehrten Damen und Herren, der Herr Bundesminister für Verkehr hat sich sehr viel auf den Bundesverkehrswegeplan zugute getan.
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Die Vorlage des Bundesverkehrswegeplanes wurde uns immerhin vor sechs Jahren vom Herrn Minister Leber angekündigt.
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Wirklich eine lange Zeit bis zur Vorlage der ersten
Stufe! Wo der Minister eigentlich den Mut hernimmt, wieder zu sagen „termingerecht", möchte ich wirklich einmal wissen. Die Bedeutung dieses Berichts wird dadurch begrenzt, daß er für eine integrierte Verkehrswegeplanung, selbst für eine Planungskoordinierung, nur Vorarbeiten enthält.
Wenn der Herr Minister eben gesagt hat - so hat es der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ausgeführt -, die Bedeutung der Bundesbahn werde zunehmen, dann muß ich eigentlich fragen, welches die Quelle ,seiner Feststellung ist. Nach dem Bundesverkehrswegeplan und den dort vorgesehenen Verkehrszuwächsen sind bei dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn die geringsten Zuwächse veranschlagt.
Also: Irgendwo stimmt da etwas nicht, Herr Minister. Ich habe den Eindruck, die Koordinierungsapparatur bei Ihnen ist noch nicht ganz in Ordnung. Vielleicht liegt es am Ölmangel, daß Sie sie nicht richtig ölen können. Wenn es wieder welches gibt, kann man das vielleicht revidieren.
Der eigentliche, integrierte Bundesverkehrswegeplan wird als Fernziel bezeichnet. Für uns ist das, es als Fernziel zu bezeichnen, zu wenig. Ein Versuch, übergreifende Konsequenzen zu ziehen, wird nur in den sogenannten Korridoruntersuchungen unternommen.
Im Hinblick auf die große Bedeutung der Verkehrsinvestitionen für die Zukunft unseres Landes ist für die CDU/CSU die Frage der Rangordnung der Verkehrsinvestitionen in allen ihren Aspekten insgesamt gestellt.
Wir sind uns einig, daß nur eine umfassende rationale Betrachtung der Notwendigkeiten in allen Verkehrsbereichen, die in Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten gebracht wird, letztlich zu volkswirtschaftlich sinnvollen und auf den Menschen ausgerichteten Lösungen führen kann.
Trotz der relativ bescheidenen Aufgabenstellung der ersten Stufe des Wegeplanes enthält sie - das möchte ich auch feststellen - neben Ansätzen, die durchaus weiterführen können, auch Widersprüchliches, Überholtes sowie Aussagen, deren Tendenz wir als für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik schädlich ansehen. Widersprüchlich ist, daß die Bundesregierung einerseits behauptet, sie könne die erste Dringlichkeitsstufe zum Ausbau der Bundesfernstraßen bis 1985 realisieren; so in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage. Im Wegeplan spricht die Bundesregierung aber davon, daß eine Verwirklichung bei der ersten Dringlichkeitsstufe nur zu 85 °/o möglich sei.
Was gilt nun, Herr Minister? Immerhin machen diese fraglichen 15 % einen Betrag von 10,8 Milliarden DM ans.
Überholt ist in diesem Plan, ,daß ,die Bundesbahn in den Jahren 1973 bis 1975 1 Milliarde DM für neue Eisenbahnstrecken verbauen soll. Für 1973 und 1974 werden es aber ganze 75 Millionen DM sein, und es werden im nächsten Jahr sicherlich auch nicht mehr als 200 Millionen DM - wenn es gutgeht: 300 Millionen DM - sein. Hier sollten Sie die Unterlagen auf 'das Laufende bringen.
Für falsch halten wir aber die Aussage des
Wegeplanes, daß beim Urlaubs- und Wochenendverkehr nicht die gleiche Qualitätsstufe des Verkehrsflusses erforderlich sei, sondern eine Kolonnenbildung in Kauf genommen werden könne. Wer das sommerliche Verkehrschaos auf den Autobahnen und Bundesstraßen in Süddeutschland 1973 erlebt hat, dem klingt das wie Hohn in den Ohren. Oder ist das vielleicht die vielgepriesene Lebensqualität des Herrn Bundeskanzlers?
Nach einer straßenpolitischen Euphorie der Regierung Brandt, die in der Begründung zum Fern-straßenplan für die Jahre 1971 bis 1985 ihren Höhepunkt fand, stürzt die Bundesregierung mit ihrem etwas glücklosen Verkehrsminister Dr. Lauritzen nun in eine abrupte Demontage der Straßenbauleistungen des Bundes. Dazu müssen dann noch pseudowissenschaftliche Behauptungen herhalten, die gegriffen werden; Zahlen, die man nicht beweist und nicht beweisen kann. Dies geschieht unter der Verantwortung eines Bundesverkehrsministers, dessen Partei bis zum Ende 'der sechziger Jahre unentwegt die hundertprozentige Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Straßenbau gefordert hat. Herr Kollege Börner, Sie können unbesorgt sein, ich nenne im Moment keine Namen und keine Zitate.
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Nun haben wir aber nicht einmal mehr die fünfzigprozentige Zweckbindung.
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Hier wird deutlich, wie sich Worte und Taten sozialdemokratischer Politiker unterscheiden.
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So wird der Bürger von der Regierung Brandt unter dem Deckmantel verbaler Lebensqualität hinters Licht geführt.
Für die schrittweise Aushöhlung der Zweckbindung der Mineralölsteuer könnte man dann Verständnis haben, wenn mit diesen Mitteln weiterhin Verkehrsinvestitionen finanziert werden würden und nicht alles, was es im Verkehrshaushalt gibt. Wir haben diesen Antrag gestellt und wurden niedergestimmt; auch eine Alternative, Herr Minister! Aber Sie können es natürlich nicht wissen, weil Sie ja sehr selten im Ausschuß sind. Wir sind allerdings sehr glücklich, daß wir in Ihrem Parlamentarischen Staatssekretär einen Mann der Regierung haben, der uns immer zur Verfügung steht.
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Aber diese Mittel aus der Zweckbindung stehen eben nicht für Verkehrsinvestitionen zur Verfügung. 1973 und 1974 wurden aus der Zweckbindung 1,8 Milliarden D-Mark entnommen; für den Neubau von Eisenbahnstrecken wurden ganze 75 Millionen DM, das sind 4 %, zur Verfügung gestellt. Da haben sie von der SPD noch den Mut, zu sagen: „Damit werden andere Investitionen finanziert", wie Sie in der Antwort auf unsere Große Anfrage antworteten. Diese Frage ist unwahr beantwortet worden, selbst wenn man die 200 Millionen für den ÖPNV noch hinzuzieht. Aber dazu wird mein Kollege Waffenschmidt noch das Entsprechende sagen. Wir können jedenfalls nur feststellen: das Geld geht nicht in die Investitionen, sondern es wird gebraucht, um die Inflationslöcher im Bundeshaushalt zu stopfen. Weder die 1,5 Milliarden noch die Mehreinnahmen aus der drastischen Mineralölsteuererhöhung des vorigen Jahres kommen realen Reformen zugute. Wenn die unsolide Politik der Bundesregierung weiter anhält, dann wird der Schrumpfungsprozeß, der sich heute im Straßenbau vollzieht, bald auch fühlbarer auf die Investitionen der Bundesbahn und auf die Investitionen im öffentlichen Personennahverkehr übergreifen. Mit mehr Geld werden weniger Reformen 'bewerkstelligt. Das ist heute das Ergebnis der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mahne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bisherige Verlauf dieser Verkehrsdebatte hat, glaube ich, sehr eindeutig bewiesen, daß sich die CDU/CSU-Fraktion in der Verkehrspolitik nur auf kritische Beiträge beschränkt, ohne daß bisher ihre eigenen Vorstellungen in der Verkehrspolitik erkennbar geworden wären. Herr Kollege Lemmrich, ich wurde eben bei Ihren mit so großer Lautstärke und mit einem geringen Inhalt vorgetragenen Ausführungen an ein Wort von Rolf Zundel in der „Zeit" erinnert, der geschrieben hat, daß die Opposition mehr und mehr in Gefahr gerät, anstatt Alternative zur Regierung deren protestierende Begleitung zu werden.
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Ich glaube, dieser Eindruck ist heute mehr und mehr bestätigt worden.
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- Ich weiß nicht, Herr Lemmrich, warum Sie so böse und warum Sie in Ihrer Rede so aggressiv waren. Ich habe 'das zwar schon einige Male erlebt. Aber im Ausschuß sind wir eigentlich etwas anderes gewöhnt. Ich weiß nicht, ob Sie hier nicht gemerkt haben, daß das Fernsehen gar nicht mehr da war.
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Wenigstens haben Sie es verstanden, mit Ihren Ausführungen, mit Ihrer Rede, unsere Erinnerung an den Verkehrsfachmann Lemmrich heute hier auszuradieren.
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Gezeter und Geschimpfe, Herr Lemmrich, ist kein Ersatz für konstruktive Politik, und das bringt uns sicherlich in der Politik auch keinen Schritt weiter. So behauptet die Opposition - Sie haben es soeben auch wieder getan - landauf, landab, der StraßenMahne
bau in der Fläche würde in einem Maße eingeschränkt, daß die notwendigen Strukturverbesserungen ausblieben und die Zielsetzungen des Bundesraumordnungsgesetzes in Frage gestellt würden.
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- Darauf komme ich noch.
Die verkehrspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, der Haushaltsplanentwurf 1974 das behaupte ich jetzt, weil ich Ihnen das gleich belegen werde - und der Bundesverkehrswegeplan, Herr Lemmrich, widerlegen Ihre getroffenen Feststellungen. Sie haben in Ihren Ausführungen selbst darauf hingewiesen, daß es in diesem Bundesverkehrswegeplan durchaus positive Ansätze gebe, mit denen man weiterarbeiten könne, und es ist immerhin interessant, wenn das von jemandem, der eigentlich nur Kritik übt, festgestellt werden muß.
In der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler dem öffentlichen Personennahverkehr bei den Verkehrsinvestitionen besondere Priorität eingeräumt. Andererseits hat er jedoch betont, daß der Bau von Bundesfernstraßen selbstverständlich weitergehe. Hieraus ergibt sich doch wohl die logische Schlußfolgerung, daß in den Ballungszentren die öffentlichen Verkehrsmittel verstärkt ausgebaut und in der Fläche die Mittel vorrangig für den Straßenbau eingesetzt werden. Sicher besteht Übereinstimmung in diesem Hause, daß in den Verdichtungsräumen bereits begonnene Straßenbaumaßnahmen beendet werden müssen, damit keine Investitionsruinen entstehen. Dort, wo z. B. der Grunderwerb bereits getätigt und Brückenbauwerke hergestellt sind, muß natürlich auch die Straße fertiggestellt werden.
Ich meine, daß bei der Neuorientierung der Verkehrspolitik ein Umdenken in der Verkehrspolitik erforderlich ist, natürlich nicht nur ein Umdenken, sondern auch eine Übergangsphase für das volle Wirksamwerden der veränderten Prioritäten. Von drastisch reduziertem Straßenbau kann aber trotzdem nicht die Rede sein. Zur Deckung des Straßenbauplans sind 1974 über 5,5 Milliarden DM im Haushaltsplan vorgesehen. Unter Berücksichtigung des Ersatzes der Öffa-Kredite durch Haushaltsmittel und des damit verbundenen Wegfalls des Kapitaldienstes aus dem Verkehrshaushalt wird für den Bundesfernstraßenbau nicht weniger ausgegeben als im Vorjahr.
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Bei den Bundesstraßen sollen es sogar 50 Millionen DM mehr sein.
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Da im Gegensatz zu den Jahren 1969 bis 1971 seit 1972 eine gewisse Preisstabilität im Straßenbau festzustellen ist, werden mit diesen Mitteln auch 1974 Bauleistungen im Straßenbau wie im Vorjahr erbracht werden können. - Wenn Sie sagen: Donnerwetter, 50 Millionen sind ja nicht viel, dann müssen Sie auch hier ganz klar sagen, wie Sie die vielfältigen Aufgaben der Politik finanzieren wollen.
Ich meine deshalb, daß die von Herrn Schulte angesprochene Minderausgabe durch die im vergangenen Jahr und im Haushaltsgesetz dieses Jahres wieder vorgesehene Ausweitung der Zweckbindung der Mineralölsteuer auch auf andere verkehrspolitische Zwecke gewollt ist.
Somit sind die Bestrebungen der Bundesregierung, so meinen wir, richtig, durch den verstärkten Ausbau, d. h. Erhaltung und Verbesserung des vorhandenen Bundesfernstraßennetzes, eine bessere Verkehrsbedienung in der Fläche und durch den Neubau von Bundesfernstraßen in strukturschwachen Gebieten, insbesondere im Zonenrandgebiet, eine verbesserte Verkehrserschließung zu erreichen. Damit werden die raumordnerischen Ziele und Grundsätze im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten erfüllt. In dem von der Bundesregierung vorgelegten Bundesverkehrswegeplan heißt es:
Es gibt Gebiete, in denen die Forderung nach einem aufwendigen Neu- und Ausbau öffentlicher Verkehrsanlagen und Verkehrsnetze gesamtwirtschaftlich nicht zu vertreten wäre.
Meine Damen und Herren, hier ist es erforderlich, in Zukunft der Erhaltung und Verbesserung des vorhandenen Bundesstraßennetzes erhöhte Beachtung zu schenken. Auch hiermit wird eine angemessene Verkehrsbedienung mit einem geringeren Einsatz an Mitteln in der Fläche erreicht werden. Gerade in den ländlichen strukturierten Gebieten ist durch den verstärkten Ausbau vorhandener Straßen ein viel größerer verkehrspolitischer Effekt zu erreichen als durch die Planungen und die Ausführungen von Neubauvorhaben.
Die Antwort, Herr Kollege Lemmrich, auf Ihre Kleine Anfrage über die Fahrbahnbreite und den frostgefährdeten Unterbau der vorhandenen Bundesstraßen zeigt doch, wie richtig die von mir aus dem Bundesverkehrswegeplan zitierte Auffassung der Bundesregierung ist. Nur werden Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, den Zustand dieser Bundesstraßen sicherlich nicht dieser Bundesregierung anlasten können. Sie waren immerhin bis 1966 allein in der Verantwortung für den Straßenbau, und bis 1969 haben Sie diese Verantwortung mit getragen.
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- Aber Sie, Herr Müller-Hermann, brauchen keine Sorge zu haben; ich will keine Vergangenheitsschelte betreiben. Insofern sollte man manchmal warten, was kommt.
Durch die großen Zuwachsraten in der Motorisierung hatte die Erweiterung des Straßennetzes bis dahin sicher Priorität. Aber es gehört auch zum Unidenken in der Verkehrspoklitik, meine Damen und Herren, daß wir im Rahmen des Straßenbaues dem verkehrsgerechten Ausbau des vorhandenen Straßennetzes diese Priorität einräumen. Wir sind hierzu bereit. Dabei brauchen die Leute in unterversorgten Räumen selbstverständlich keine Befürchtung zu haben, nun auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet zu werden, sondern in diesen Räumen, in denen eine Verkehrserschließung unbedingt not4628
wendig ist, werden auch in Zukunft Neubaumaßnahmen durchgeführt werden.
Die SPD-Fraktion ist zu dem Umdenken in der Verkehrspolitik nicht nur bereit, sondern gibt darüber hinaus der Verkehrserschließung und der Verkehrsbedienung der Fläche eine sehr hohe verkehrspolitische Bedeutung. Gut ausgebaute Verkehrsnetze tragen zur Erhöhung der Mobilität der Arbeitnehmer bei und sind wichtige Voraussetzungen für die Strukturverbesserung und die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen auch in den ländlichen Räumen. Ich selbst komme aus einer ländlichen Gegend und weiß allzu gut um die Bedeutung eines gut ausgebauten Straßennetzes in diesen Bereichen. Das ist notwendig zur Verbesserung der Infrastruktur, für die Arbeitnehmer, die über weite Strecken zu ihren Betriebsstätten fahren müssen, für Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe, die den Transport der notwendigen Rohstoffe und Halbfabrikate und den Versand ihrer Produkte nur über die Straße vornehmen können. Das ist auch für die gesamte Bevölkerung notwendig, die am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben nur teilhaben kann, wenn ein ausgebautes Straßennetz da ist.
Ich will nicht verkennen, meine Damen und Herren, daß die Forderung für den Aus- und Neubau von Bundesstraßen, die im Lande insgesamt gestellt werden - einschließlich in dem Bereich, aus dem ich komme -, die finanziellen Möglichkeiten des Bundes bei weitem übersteigen. Das ist aber nicht nur zur Zeit der sozialliberalen Koalition so gewesen, sondern das ist auch der Fall gewesen, als die heutige Opposition in der Regierungsverantwortung gestanden hatte. So haben Sie, Herr Kollege Lemmrich, am 2. Dezember in der Debatte zum Verkehrsbericht erklärt, daß die Ziele des ersten Ausbauplans für das Bundesfernstraßennetz im Bereich der Bundesstraßen nur zu 70 % erfüllt werden konnten.
Für den derzeitigen ersten Fünfjahresplan zum Ausbau des Bundesfernstraßennetzes kann man sicherlich bis heute eine positivere Bilanz ziehen; denn von den Bauzielen bis 1975 sind immerhin bis Ende 1972 in den ersten zwei Jahren also 38% und bei Bundesstraßen allein sogar 44 °/o erbracht worden.
Herr Abgeordneter Mahne, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich?
Nein. Ich bitte um Verständnis dafür. Es ist eine Gepflogenheit in diesem Hause, so daß ich das selbstverständlich gemacht hätte. Aber ich möchte mich in diesem Falle so verhalten, wie es Herr Kollege Lemmrich eben getan hat.
({0})
Herr Kollege Lemmrich, hier wird eindeutig die These von der Vernachlässigung der Verkehrsvorhaben in der Fläche widerlegt. Die Bedeutung des Individualverkehrs in den ländlichen Bereichen ist unumstritten. Daneben hat der Omnibuslinienverkehr eine wichtige Aufgabe in der Verkehrsbedienung der Fläche. Die geplante Zusammenlegung der Busdienste von Bahn und Post wird sich hier nicht negativ, sondern positiv auswirken. Die durch diesen Zusammenschluß angestrebte und notwendige Rationalisierung durch straffere Umlaufgestaltung der Omnibusse, durch rationellere Gestaltung der Fahrpläne und durch personelle Einsparung im Verkehrs- und Verwaltungsbereich der Busdienste wird die Wirtschaftlichkeit erhöhen und sicher auch zu einem verbesserten, koordinierten Angebot im Busreisedienst führen. Wir möchten die Bundesregierung ermutigen, in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Personalvertretern die Voraussetzungen für einen baldigen Zusammenschluß der bundeseigenen Busdienste zu schaffen. Hierbei gehen wir davon aus, daß sich für die Beschäftigten im Postreisedienst bei der Übernahme durch die Deutsche Bundesbahn keine Nachteile ergeben und erreichte Besitzstände selbstverständlich gewahrt werden.
Verkehrspolitik ist - ganz gleich wie immer Sie dazu stehen - ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaftspolitik, aber eben nur ein Bestandteil. Die Fortsetzung des Neu- und Ausbaus von Bundesfernstraßen ist selbstverständlich genauso ein unverzichtbarer Bestandteil auch der neuen Verkehrspolitik, aber eben auch nur ein Bestandteil im Rahmen der gesamten Verkehrsnetze. Wer in der Verkehrspolitik keine Kurskorrekturen will, wer starr an bisherigen Konzepten festhält, der will nicht oder kann nicht die sich ständig ändernden Faktoren erkennen, die den Verkehrsbedarf bestimmen. Er will auch nicht die Grenzen der finanziellen Möglichkeiten wahrhaben, die uns in allen Bereichen gesetzt sind. Seine Devise lautet: „Nichts ändern, und wenn schon, dann nur so, daß es mir in den Kram paßt; und im übrigen brauchen wir mehr Geld". Wir verstehen unsere Aufgabe in der Verkehrspolitik anders. Das Kursbuch für die Verkehrspolitik hat die vielfältigen heutigen Aufgaben in diesem Bereich und auch die Prioritäten umrissen: zum Vorteil der Menschen in den Ballungszentren, in den Ballungsrandzonen, aber auch in gleicher Weise für die Menschen in den ländlichen Bereichen.
({1})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wir hatten an sich gehofft, daß zumindest zu Beginn der zweiten Runde dieser Verkehrsdebatte die Opposition einen Problemkreis ansprechen würde, der uns alle tagtäglich unmittelbar berührt, nämlich die Verkehrssicherheit. Das zeigt in etwa, welchen Stellenwert Sie diesem Problem möglicherweise zuordnen, was auch deutlich wird, wenn man Ihre Presseveröffentlichungen betrachtet, die jetzt geschlossen vorliegen; denn da wird dieses Thema auch nicht - jedenfalls nicht vorweg - mit
Hof fie
einbezogen. Herr Schulte, Sie haben zwei oder drei Sätze dazu gesagt und haben hier erklärt, daß eigentlich alles Wesentliche und alles Mögliche abgedeckt wäre und haben letztlich dieses Programm nicht kritisiert.
({0})
- Ich möchte den gleichen Brauch fortsetzen, keine Zwischenfragen zu beantworten, schon gar nicht jetzt zu Beginn, weil das offenbar durch Herrn Lemmrich, der eine ebenso typische Lemmrich-Rede wie Jämmerlich-Rede gehalten hat, hier so eingeführt wurde.
Ich möchte namens der FDP-Fraktion zu Beginn meiner Ausführungen in dieser Debatte der Bundesregierung Dank aussprechen, daß sie mit dem Ende November 1973 vorgelegten Programm zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr erstmals in der Geschichte auch dieses Parlaments ein Gesamtkonzept vorgelegt hat, das präzise, detailliert und umfassend den Weg zu mehr Sicherheit auf unseren Straßen aufzeigt. Keine Regierung zuvor hat in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat so schnell und so konkret gehandelt und eine Konzeption erarbeitet, die frei von reinen Wunschvorstellungen und Lippenbekenntnissen ist und sich ausschließlich daran orientiert, was im Verhältnis zu Aufwand und Wirksamkeit vernünftig und in kürzester Zeit umsetzbar ist. Ungeachtet der unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund und Ländern faßt dieses Programm alle nach heutigem Erkenntnisstand wesentlichen Maßnahmen und Aktivitäten zusammen, um mehr Verkehrssicherheit zu erreichen.
Herr Schulte, Sie haben vorhin gesagt, dieses Programm sei im wesentlichen beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat abgeschrieben. Ich würde sagen: Daß hier eine so deckungsgleiche Darstellung möglich war und daß die Fachleute hier gemeinsam zu gleichen Ergebnissen kommen, ist eine sehr positive Sache. Nicht zuletzt ist auch der Vizepräsident des Verkehrssicherheitsrates aus dem Bundesverkehrsministerium. Allein dies zeigt schon die unmittelbare Nähe und Abstimmung der Programme, die hier tatsächlich gelungen ist.
Sie haben vorhin kritisiert, daß man nichts darüber aussage, wie man denn dies Gesamtprogramm finanzieren will. Ich würde empfehlen, die einzelnen Punkte dieses Programms noch einmal etwas genauer anzusehen und zu überlegen, ob Sie tatsächlich meinen, daß der Bund künftig Anschnallgurte und Windschutzverbundglasscheiben finanzieren sollte, und welche Kosten eigentlich durch Geschwindigkeitsbegrenzungen, durch die 0,8-Promille-Grenze und ähnliches entstehen. Wenn Sie dies alles Punkt für Punkt durchgehen, dann können Sie sich einige dieser Fragen selbst beantworten.
Ich meine, daß das Programm, das vorgelegt wird, in erster Linie den Verkehrsteilnehmer mit der angesprochenen Verkehrsaufklärung, der Verkehrserziehung und mit der Zulassung zum Kraftfahrzeugverkehr betrifft. Das Programm betrifft auch das Kraftfahrzeug mit Bau- und Ausrüstungsvorschriften,
und es betrifft die Straße mit baulichen Maßnahmen ebenso wie die Verkehrslenkung, das Rettungswesen und letztlich die Forschung.
Dieses in 64 Überschriften gegliederte Konzept gibt eine sehr nüchterne und in der breiten Öffentlichkeit durchweg positiv aufgenommene Darstellung des Notwendigen und des Möglichen und beantwortet gleichzeitig Punkt 13 der Oppositionsanfrage, die sich ohnehin erübrigt hätte, nachdem die Arbeit an diesem Programm - wie wir alle wissen bereits zum Jahresbeginn 1973 einsetzte. Ich meine, der Verkehrspolitik der Opposition, die sich seit Jahren im wesentlichen auf das Fragenstellen beschränkt, ist damit nicht nur Genüge getan, sondern es erspart eigenes Nachdenken, womit ohnehin kaum noch jemand gerechnet hätte. Als Mann, der aus dem Luftverkehr kommt, kann ich eigentlich mit Genugtuung feststellen, daß der dort geltende Grundsatz „Safety first" nun auch im wahrsten Sinne des Wortes Boden gewinnt.
Lassen Sie mich aus der Vielzahl der in diesem Programm angesprochenen Themen nur zu den wichtigsten Stellung nehmen, die auch in der breiten Öffentlichkeit am stärksten diskutiert werden. Ich glaube, daß man sagen kann, daß auch ohne dieses Regierungsprogramm und ohne die energiebedingte Einschränkung das Jahr 1973 eine Wende in der Verkehrsunfallstatistik gebracht hätte. Die Zahl der Unfälle hat sich im Verhältnis zur Anzahl unserer Autos auf den Straßen verringert, und die schweren Unfälle nehmen ab. Von Januar bis Oktober 1973 verminderte sich die Zahl der Verkehrsunfälle gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 2,9 %, und es gab in dieser Zeit 9,6 % weniger tödliche Unfälle und 5,4% weniger Verletzte.
Hier zeigen, wie ich meine, zwei wichtige Maßnahmen der Bundesregierung positive Auswirkungen, nämlich das im Juli 1973 in Kraft getretene 0,8Promille-Gesetz, das von meiner Fraktion unterstützt wurde, und die seit 1. Oktober 1972 versuchsweise eingeführte Geschwindigkeitsbegrenzung auf einbahnigen Straßen außerhalb von Ortschraften. Daß die Regierung mit Tempo 100 auf solchen Landstraßen richtig gehandelt hat, zeigt die Statistik: In den ersten sechs Monaten, von Oktober 1972 bis März 1973, ist die Zahl der Verkehrstoten auf den betreffenden Straßen gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 13 °/o heruntergegangen.
Unabhängig von den endgültigen Ergebnissen, zu denen die Projektgruppe „Tempo 100" bei der Bundesanstalt für Straßenwesen kommen wird, kann sicher schon heute davon ausgegangen werden, daß 100 Stundenkilometer auf Landstraßen eine vernünftige Regelung darstellt, obwohl niemand zu sagen vermag, ob diese willkürlich festgelegte Geschwindigkeitsbegrenzung das absolute Optimum ist, weil niemand Vergleichswerte dafür geben kann, wie sich eine Begrenzung auf z. B. 90 oder 110 Stundenkilometer auswirken würde.
Weniger sinnvoll wäre es, die jetzige energiebedingte 80-Stundenkilometer-Begrenzung für diese Straßen aufrechtzuerhalten. Denn die tägliche Praxis zeigt, daß sie mehr Unfälle heraufbeschwört als ver4630
Hoff ie
hindert, insbesondere deshalb, weil zusätzliche Unfallgefahren von langen Überholvorgängen ausgehen, ganz abgesehen davon, daß der Verkehrsfluß erheblich behindert wird.
Diese Aspekte sprechen auch dafür, daß die Bundesregierung nochmals überdenken sollte, inwieweit die Begrenzung auf 80 Stundenkilometer selbst während der Dauer der Energieverknappung auch auf den autobahnähnlichen Straßen wirkungsvoll ist, auf denen ja seit Oktober 1972 ohnehin schneller als 100 gefahren werden durfte.
Heiß diskutiert und weniger akademisch, als manche offizielle Sprecher das beurteilen, ist, wie ich meine, die Frage, ob die derzeitigen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf unseren Autobahnen auch dann fortbestehen sollen, wenn es dafür energiepolitisch keine zwingende Notwendigkeit mehr gäbe. Ich glaube, die deutsche Öffentlichkeit, die sich in den letzten Wochen ja überaus energiebewußt verhalten hat, hat tasächlich Anspruch darauf zu erfahren, wie es weitergeht, wie die politischen Parteien dieses Problem beurteilen. Es wäre recht aufschlußreich gewesen, Herr Schulte, wenn Sie, für Ihre Fraktion, dazu auch einige Bemerkungen gemacht hätten, bevor Sie dann später eine mögliche Regelung wiederum nur zu kritisieren hätten.
Die jetzige Verordnung läuft Mitte Mai dieses Jahres aus. Bei einer Normalisierung der Energieversorgung wird wegen der erforderlichen Zustimmung des Bundesrates für eine Verlängerung schon vorher zu entscheiden sein, ob Verkehrssicherheitsgründe, nicht aber energiepolitische Aspekte für eine Beibehaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf unseren Autobahnen sprechen, ob geänderte Höchstgeschwindigkeiten festgelegt werden oder ob wir zur völligen Freigabe der Geschwindigkeit zurückkehren können.
Lassen Sie mich an dieser Stelle für meine Fraktion ganz unmißverständlich erklären, daß auch Tempo 100 auf Autobahnen bei einer Normalisierung der Energieversorgung fallen muß. Sosehr man in den weiteren Monaten Erfahrungen sammeln kann, so unumstritten steht heute schon fest, daß diese Geschwindigkeitsbegrenzung spätestens in der Urlaubszeit zu chaotischen Zuständen führen wird, weil unsere Autobahnen nicht für ,diese Geschwindigkeit ausgelegt sind und die überwiegende Zweispurigkeit eine fließende Entmischung des Lkw-Verkehrs, der 80 Stundenkilometer fahren darf, und des Pkw-Verkehrs mit Tempo 100 verhindert. Bedenkt man dabei noch, daß für den Lkw-Verkehr bei Radarkontrollen eine Tachoabweichung von 5 Stundenkilometern zu den für alle Autofahrer anrechenbaren 3 Stundenkilometern Radarschwankung geltend gemacht werden kann, dann nimmt es sicher nicht wunder, daß es bei voller Auschöpfung solcher Toleranzen schließlich zu den unliebsamen Kopf-an-Kopf-Kolonnen auf beiden Spuren kommt.
Im übrigen sollten wir uns alle ins Gedächtnis zurückrufen, welche unmöglichen Zustände auf den Autobahnen herrschten, als der damalige Bundesverkehrsminister Seebohm eine Tempo-HundertBegrenzung während der Oster- und Pfingstfeiertage verordnete. Und der Erfahrungsschatz aus der gleichen Geschwindigkeitsbegrenzung, die jahrelang auf der Autobahn Frankfurt---Mannheim praktiziert wurde, die ich selbst täglich zu befahren hatte, sollte eigentlich die Diskussion um dieses Limit beenden.
Ich meine, unsere Autobahnen können nach wie vor als die relativ sichersten Verkehrswege gelten. Hier geschehen lediglich 3,5% der Unfälle, und dies sind in der Mehrzahl Auffahrunfälle in unteren Geschwindigkeitsbereichen. Andererseits wird jeder denkende und verantwortungsbewußt handelnde Mensch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen akzeptieren, ja fordern müssen, wenn die Verkehrssicherheit - was eigentlich schon jetzt außer Frage steht - durch eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit spürbar vergrößert wird. Sich jedoch heute auf eine sogenannte goldene Geschwindigkeit festzulegen, ist ohne gründliche Auswertung aller Erfahrungswerte ebenso unsinnig wie verantwortungslos.
({1})
Man wird jedoch davon ausgehen müssen, daß sich der sogenannte Fließbandeffekt, daß sich an der mangelnden Entmischung des Verkehrs, an der langen Verweildauer auf Autobahnen mit den daraus folgenden Konzentrationsmängeln, an den langen Überholvorgängen und den übelsten Verkehrsstauungen in Wellenbewegung auch bei Geschwindigkeitsbegrenzungen, die 10 bis 20 Stundenkilometer über 100 liegen, nichts Wesentliches ändern wird. Deshalb meine ganz persönliche Meinung, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf weniger als 130 Stundenkilometer alles in allem gesehen keine Verbesserung bringen kann.
Sinnvoll erscheint es jedoch, die in Hessen ursprünglich begonnene und auch in Nordrhein-Westfalen bestehende Angabe von Richtgeschwindigkeiten weiter auszubauen.
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und auch in die Überlegungen einzubeziehen, ob gleichzeitig mit der möglichen Festsetzung von Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen die jetzige Mindestgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern spürbar erhöht werden muß.
Eines aber, meine ich, muß unberührt bleiben: die Entwicklung von Autos, die mehr Sicherheit gewährleisten. Obwohl technische Mängel bei Bau und Ausrüstung unserer Kraftfahrzeuge weniger als 2 % der Unfallursachen ausmachen und in dieser Zahl sogar mangelhafte Bremsen und Reifen enthalten sind, muß die technische Verbesserung der Fahrzeuge weiter vorangetrieben werden. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung die Weiterentwicklung der sogenannten aktiven Sicherheit verbessern will, z. B. durch Weiterentwicklung von Bremssystemen, durch Verbesserung der Sichtverhältnisse in unseren Autos, durch verbesserte Lenksäulensysteme oder durch Regelungen der Leuchtweite der Scheinwerfer um nur einige Punkte herauszugreifen.
Gleichzeitig teilt meine Fraktion die Ansicht der Bundesregierung, daß der Schwerpunkt der technischen Fortentwicklung bei der Verbesserung der passiven Sicherheit, also beim Schutz der Fahrzeuginsassen, liegen muß. Die Harmonisierung der Vorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist angesichts des wachsenden grenzüberschreitenden Verkehrs und des Wettbewerbs im Kfz-Handel dringend geboten. In diesem Zusammenhang sei nur daran erinnert, daß die Bundesrepublik fast 60 % ihrer Automobilproduktion exportiert und sich den unterschiedlichsten Bedingungen unterwerfen muß.
Die Ausrüstung der ab 1. Januar dieses Jahres neu zugelassenen Pkw und leichten Lkw mit Sicherheitsgurten, der eine breit angelegte Aufklärungsaktion des Bundes folgen soll, ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn Vorurteile gegen das Anlegen der Gurte abgebaut werden können und wenn es gelingt, die unterschiedlichen Bedienungseinrichtungen bei Gurtschlössern zu vereinheitlichen.
Wir hoffen, daß sich die vieldiskutierte Frage einer Anlegepflicht für Sicherheitsgurte dann weniger emotional stellt. Hier scheint uns der Vorschlag einer Versicherungsgesellschaft tatsächlich hilfreich, eigeninitiativ Leistungssteigerungen für diejenigen zu gewähren, die bereit sind, sich anzuschnallen. Experten haben errechnet, daß 4 000 tödlich verunglückte Autoinsassen 1972 ihren Unfall wahrscheinlich überlebt hätten, wären sie angegurtet gewesen.
Auch die Einbaupflicht für Kopfstützen muß so schnell wie möglich eingeführt werden. Es sind alle Anstrengungen zu unternehmen, um durch Wirkvorschriften sicherzustellen, daß Gefährdung anderer Fahrzeuginsassen und Sichtbehinderung vermieden werden. Die Verwendung von Kopfstützen, die eher hindern oder gefährden als schützen, ist nämlich unverantwortlich.
Etwas mehr Courage wünschen wir der Bundesregierung bei der zögernden Haltung in Sachen Verbundglas für Windschutzscheiben. Auch wir wissen, Herr Minister, daß ein wirksames Sicherheitsglas noch nicht auf dem Markt ist, und die Diskussion zeigt eigentlich, daß im Grunde genommen nichts undurchsichtiger ist als Glas. Die Experten aber sind sich heute schon darüber einig, daß das Verbundglas, insgesamt gesehen, sicherer ist als das Einscheibenglas. Nicht zuletzt sind alle teuren Fahrzeuge mit Verbundglas ausgestattet. Namhafte Augenärzte haben im November in Genf nochmals gefordert, Verletzungsgrad und Invalidität durch die relativ billige Lösung des Verbundglases zu reduzieren, durch eine Lösung, die je nach Fahrzeug zwischen 100 und möglicherweise 200 DM Aufpreis liegen würde.
Die Stellungnahme der Bundesregierung im vorgelegten Sicherheitsprogramm und die Antwort auch auf meine diesbezügliche mündliche Anfrage zuvor können mich nicht befriedigen. Erfolge der Bemühungen um die Entwicklung eines besseren Sicherheitsglases, auf das die Regierung noch warten will, sind in den kommenden zwei Jahren sicher kaum zu erwarten. Dann aber kommt ohnehin der Richtlinienvorschlag der EG-Kommission für schnelle Fahr-
zeuge, die Verbundglas haben müssen. Ich glaube, der leidige Streit um Krümel und Splitter würde sich weitgehend dann erledigt haben, wenn der Sicherheitsgurt möglichst auch nachträglich in solche Autos eingebaut werden könnte, die noch nicht serienmäßig mit Gurten ausgestattet sind. Hier erwarten wir auch die nachträgliche Aktivität der Automobilhersteller.
Meine Fraktion begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, im Rettungswesen endlich Schluß zu machen mit dem unseligen Nebeneinander und Gegeneinander der zahlreichen Organisationen, die sich vor allen Dingen in ländlichen Gebieten bei effizienter Hilfeleistung geradezu im Wege stehen. Das liegt sicher nicht an der Zuständigkeit der Länder. Wir sind aber der Meinung, daß der Bund im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit entscheidend bei der überregionalen Verbesserung und Koordinierung der Unfallrettung mithelfen muß. Die in Vorbereitung befindlichen Landesgesetze entsprechen dem vom Bund und den Ländern gemeinsam erarbeiteten Muster. Die ins Auge gefaßten Modellversuche, die alle Etappen der Unfallrettung - vom Notruf bis zu ärztlicher Behandlung - in einem System zusammenfassen - der Einsatz von Rettungshubschraubern von bis zu etwa 20 Stationen im ganzen Bundesgebiet aus, der vorgesehene Entwurf eines Gesetzes über die Förderung von Krankenwagen wie auch das Gesetz über den Rettungssanitäterberuf -, sind wesentliche Merkmale eines verbesserten Rettungswesens.
Das Notrufsystem wird durch den Ausbau des einheitlichen und münzfreien Rufs 110 erheblich effizienter. Auch die Aufwertung autobahnähnlicher Bundesstraßen wird dazu führen, daß dann fast 5 000 km schnelle Straßen mit Notrufsäulen ausgestattet sind.
Die FDP-Fraktion setzt sich weitgehend dafür ein, auch die Ausrüstung der Bundesstraßen mit Notrufsäulen, besonders in dünnbesiedelten Gebieten, endlich planmäßig in Angriff zu nehmen. Wir meinen, diese Aufgabe darf nicht länger nur der vorbildlichen Privatiniative der Björn-Steiger-Stiftung überlassen bleiben. Bund und Länder müssen hier zu einer schnellen Entscheidung über Art und Umfang der Finanzierung kommen.
Ein wesentlicher Faktor zur Verbesserung der Verkehrssicherheit im Straßenverkehr ist die Sach- und die Fachkunde der am Verkehr teilnehmenden Berufsfahrer und gewerblichen Unternehmer. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung die Berufskraftfahrerausbildungsordnung mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in Kraft gesetzt und damit ein altes Anliegen der FDP realisiert hat.
Die Anhebung des gewerblichen Kraftfahrerberufs zu einem anerkannten Lehrberuf wird nach unserer Meinung und nach allen guten Erfahrungen, die man z. B. mit dem Omnibusführerschein bei Busfahrern gemacht hat, wesentlich zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen. Zur Zeit läuft ein erster Modellehrgang für eine solche in der Regel zwei Jahre umfassende Berufsausbildung. Wir halten es für notwendig, daß der Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung, der den Modellehrgang für Lkw-Fahrer fördert, auch einen Modellehrgang für Busfahrer mit seiner wesentlich intensiveren Ausbildung gemeinsam mit Verkehrsverbänden und Gewerkschaften startet.
Die von FDP-Politikern geführten Landesministerien in Nordrhein-Westfalen und Hessen haben im Interesse der Verkehrssicherheit schon seit Jahren mit gutem Erfolg die Fachausbildung von Busfahrern gefördert, die ihren Zusatzschein, den sogenannten Omnibusführerschein, in einem geschlossenen vierwöchigen Lehrgang erwarben und nachweislich die geringsten Unfallquoten hatten, was von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung ja auch ausdrücklich bestätigt wurde.
Wir begrüßen es hier - vor allem aus Gründen verbesserter Verkehrssicherheit , daß das Bundesverkehrsministerium zur Zeit die Einführung einer Unternehmersachkundeprüfung für den Personenverkehr einführen will. Diese Sachkundeprüfung besteht heute nur für den Güterverkehr. Es ist aus Sicherheitsgründen einfach nicht mehr zu vertreten, wie wir glauben, daß für den Transport z. B. von Sand und Kies eine Sachkunde vor der Industrie-und Handelskammer nachgewiesen werden muß, während der Transport von Personen keiner Sachkundeprüfung bedarf.
Die FDP fordert darüber hinaus, auch den immer umfangreicher werdenden Schulbusverkehr den Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes zu unterwerfen. Es ist wenig befriedigend, daß heute
I) der Besitz eines Omnibusses oder eines Kombiwagens genügt, um Schülerverkehr zu betreiben, während z. B. der geschlossene Berufsverkehr nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes strengen Bestimmungen unterworfen ist. Die Einbeziehung in die Genehmigungspflicht würde übrigens die Schulbusse im ländlichen Raum auch für Eltern benutzbar machen, wodurch nicht zuletzt im Interesse der Sicherheit die Disziplin und die Sicherheit in den Bussen verstärkt würden.
Vorsorglich weisen wir dabei darauf hin, daß die Genehmigungspflicht auch die Benutzung geeigneter Straßen und sichere Haltestellen beinhalten muß.
Die Stellungnahme der Bundesregierung zur Beförderung von Kindern in Kraftfahrzeugen überzeugt mich ebensowenig wie die Antwort der Bundesregierung auf meine diesbezügliche Mündliche Anfrage vom September vergangenen Jahres. Unsere Forderung, das Befördern von Kindern nur auf den Rücksitzen der Fahrzeuge zuzulassen, sollte nicht dadurch verhindert oder verzögert werden, daß argumentiert wird, nicht alle Autos verfügten über Rücksitze, kinderreiche Familien würden benachteiligt oder Schulsammelfahrten in privaten Pkws würden unmöglich gemacht. Hier sind gegebenenfalls die notwendigen Ausnahmeregelungen zu treffen.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Problemkreis herausgreifen: Meine Fraktion unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, gezielter gegen diejenigen Kraftfahrer vorzugehen, die sich notorisch verkehrswidrig verhalten. Die vom Bundesrat im Dezember 1973 verabschiedete allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Einführung eines bundeseinheitlichen Mehrfachertäterpunktsystems fordert jedoch auch zu einigen kritischen Betrachtungen heraus. Diese am 1. Mai 1974 wirksam werdende Vorschrift der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, die Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Verkehr mit ein bis sieben Punkten bewertet, bei neun Punkten eine Verwarnung, bei 14 Punkten eine Führerscheinwiederholungsprüfung sowie bei 18 Punkten innerhalb von zwei Jahren den Entzug der Fahrerlaubnis vorsieht, bringt eine juristisch sicher leicht handhabbare Pauschalregelung, läßt aber die bisherige individuelle Beurteilung der Delikte nicht mehr zu. Das neue Schema trifft z. B. mit aller Härte den Berufskraftfahrer, und so kommentiert die „Frankfurter Neue Presse" am 12. Januar 1974 - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Wohlgemerkt, Iden schwarzen Schafen unter den Berufskraftfahrern soll hier nicht das Wort geredet werden. Wer als Profi wiederholt leichtsinnig und verantwortungslos handelt und dabei sich und andere gefährdet, verdient gewiß keine Milde und Nachsicht, insbesondere dann nicht, wenn er über 30 t auf Straße und Autobahn bewegt oder wenn von seinem Verhalten Leben und Gesundheit anderer Menschen abhängen. Wer aber der Meinung ist, daß der Berufskraftfahrer schlechthin das leuchtende Beispiel in der Turbulenz des heutigen Verkehrsgeschehens zu sein hat, sollte andererseits nicht ignorieren, daß, an der durchschnittlichen Jahresfahrleistung des Pkw-Fahrers gemessen, Lkw-, Bus- und Taxifahrer das Zehn- und Fünfzehnfache der Kilometerleistungen erbringen müssen und damit auch dementsprechend wesentlich mehr dem Risiko ausgesetzt sind, in den Maschen der Paragraphen hängenzubleiben. Ein kurzfristiges Überschreiten der vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbegrenzung, das unter Umständen aus Verkehrssicherheitsgründen sogar sinnvoll sein kann, die Aufnahme eines behinderten Fahrgastes im Halteverbot, das geringfügige Überschreiten der erlaubten Parkzeit beim Be- und Entladen, für das der Lkw-Fahrer in vielen Fällen überhaupt nicht verantwortlich gemacht werden kann, werden unerbittlich als Minuspunkte von der Automatik des Mehrfachtäterkatalogs erfaßt und in die Flensburger Zentralkartei eingetragen.
Herr Kollege, ich darf Sie auf den Zeitablauf aufmerksam machen.
Weiterhin erfaßt man zwar schließlich auch Ausländer, denen man nach Erreichen der entsprechenden Punktzahl das Fahren in der Bundesrepublik Deutschland untersagt, die man aber letztlich ungeschoren läßt, weil eine entsprechende Grenzkontrolle praktisch nicht möglich ist. Solange es keine europäische Zentralkartei gibt, wird man dieses Problem nicht in den Griff bekommen.
Hof fie
Es ist bedauerlich, daß diesbezüglich auch die Bedenken aller Fraktionen im Verkehrsausschuß in der Sitzung vom 21. März nicht genügend gewürdigt worden sind. Insgesamt gesehen bringt die neue Vorschrift jedoch auch Verbesserungen, weil sie für jeden einzelnen von uns objektive Kriterien liefert, die das Verfahren vorausschaubar gestalten und die Mehrzahl der Verkehrsteilnehmer besser vor Verkehrsrowdies schützt. Man wird sicherer in dem Wissen, was man sich heute im Verkehr leisten darf und was nicht, um seine Fahrerlaubnis zu behalten. Letztlich werden alle Bemühungen um Verkehrssicherheit bei der Verkehrsaufklärung und der Verkehrserziehung beginnen müssen, und so legt das Konzept den Schwerpunkt auf das menschliche Verhalten im Straßenverkehr.
Konsequenterweise beabsichtigt die Bundesregierung deshalb, in diesem Jahr 20 Millionen DM und damit mehr als das Dreifache gegenüber den Ansätzen des letzten Jahres für Verkehrsaufklärung und Verkehrserziehung bereitzustellen.
Ich komme zum Schluß. Nachdem im Straßenverkehr in den letzten 20 Jahren 300 00 Menschen umgekommen sind und 8,6 Millionen Mitbürger verletzt oder zeitlebens zu Krüppeln geworden sind, begrüßen wir, daß diese Regierung ein Programm vorlegt, das Ernst macht mit mehr Sicherheit auf unseren Straßen.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Lauritzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte zu dem bisherigen Verlauf der Debatte ein paar ergänzende Mitteilungen.
Zunächst zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Wrede zur Bundesbahn und zum öffentlichen Personennahverkehr. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen mitteilen, daß mit dem Bundesfinanzminister ein Einvernehmen erzielt worden ist, dem Haushaltsausschuß vorzuschlagen, noch im Haushaltsplan 1974 für die Neubaustrecken der Bundesbahn eine entsprechende Verpflichtungsermächtigung einzubringen, damit die Arbeit zügig vorangehen kann. Die Regierung unterstützt insofern Ihr Anliegen.
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Wir haben mit dem Finanzminister ein weiteres Einvernehmen dahin erzielt, daß angestrebt wird, ab 1975 eine Lösung dahin gehend zu finden, daß auch die Tilgung der Altschulden vom Bund getragen wird. Das würde bedeuten, daß dann die Deutsche Bundesbahn vom gesamten Kapitaldienst der Altschulden entlastet wird. Das waren Ihre beiden wichtigsten Anliegen. Insofern stimmen Finanz- und Verkehrsministerium mit überein.
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Was die anderen Anliegen zum öffentlichen Personennahverkehr angeht, so bleibt es für mich ein ganz entscheidendes Anliegen, die Mehrwertsteuerrückerstattung für den öffentlichen Personennahverkehr zu erreichen. Das bedeutet eine entsprechende Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, muß man sehen. Aber ich bleibe dran; ich meine, daß es notwendig ist.
Genauso neige ich dazu, das Verlangen, Mittel zur Fördrung des öffentlichen Personennahverkehr auch für rollendes Material einzusetzen, zu unterstützen. Denn, meine Damen und Herren, es ist einfach nicht einzusehen, daß in den öffentlichen Nahverkehrsunternehmen, insbesondere in Ballungsräumen, die Schienenbetriebe, ob es nun U-Bahn oder S-Bahn ist, unterstützt werden, daß aber dort, wo in der Fläche der öffentliche Personennahverkehr mit Omnibussen betrieben wird, praktisch eine Unterstützung ausfällt; denn hier müßte die Unterstützung in der Subventionierung des rollenden Materials liegen. Nun sollte man mit rollendem Material nicht U- und S-Bahn-Wagen meinen, denn dann kommen wir ins Uferlose. Aber um eine etwa gleichmäßige Behandlung zu erreichen, wäre es, meine ich, gerecht, auch in der Flächenbedienung das rollende Material der Omnibusbetriebe mit einzubeziehen.
Beim Gemeindeverkehrsfinanzgesetz, Herr Kollege Wrede, hatten wir schon beim letzten Steueränderungsgesetz den Ländern vorgeschlagen, das Anteilsverhältnis zwischen Straße und öffentlichem Personennahverkehr von 50 : 50 auf 60 : 40 zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs zu ändern. Die Länder sind da nicht mitgegangen. Aber dieses Gesetz bedarf nun einmal der Zustimmung des Bundesrates, und die Länder waren nur bereit mitzugehen, falls wir ihnen die Ermächtigung gaben, daß sie selber jeweils eine solche Umschichtung vornehmen können. Ich meine, wir sollten mit den Ländern versuchen, auch dieses Problem noch zu lösen.
Eine kurze Bemerkung zu Ihren Darlegungen, Herr Kollege Lemmrich, zur Bundesbahn. Ich habe mich etwas darüber gewundert. Sie sind ja nun lange genug Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundesbahn und kennen die Zahlen genauso wie ich. Lassen Sie sich einmal zwei Zahlen nennen. Sie wissen, daß die Bruttoinvestitionen der Deutschen Bundesbahn 1963 2,9 Milliarden und 1973 3,6 Milliarden DM betrugen. In derselben Zeit, also von 1963 bis 1973 - und das ist die entscheidende Ziffer, Herr Lemmrich, über die man nicht hinwegkommt - sind die Personalkosten von 5,9 auf 12,9 Milliarden DM gestiegen. Da liegt doch die Diskrepanz; das wissen Sie genauso wie ich. Deswegen ist Ihre so lebhafte Kritik an die falsche Stelle gerichtet worden. Oder wollen Sie noch weiter rationalisieren, noch weiter konzentrieren, oder haben Sie sich im Verwaltungsrat einmal gegen die Erhöhung der Personalkosten ausgesprochen?
({2}) Dies ist doch der Punkt, den man sehen muß.
Eine letzte Bemerkung zu der Frage nach den Alternativen. Ich habe nach den Alternativen der Opposition gefragt. Ich habe mir zwei Antworten
gemerkt. Die eine ging dahin: Wir haben im Haushaltsausschuß eine ganze Reihe von Anträgen zur Verbesserung der Finanzausstattung des Verkehrs gestellt. Das haben Sie in derselben Zeit getan, in der die Opposition der Bundesregierung permanent den Vorwurf gemacht hat, daß das Volumen des Haushalts zu groß sei. Da sehe ich einen Widerspruch, den Sie auch nicht aufklären können.
({3}) Das müssen Sie sehen.
Ihre Antwort, Herr Kollege Lemmrich, ging allerdings weitgehend ins Ideologische. Ihre Priorität lautet: Koordination und Kooperation. Damit kann man nun eine ganze Menge anfangen. Das ist eine sehr konkrete Aussage!
({4})
Ich möchte noch eine Schlußbemerkung machen; ich möchte vorsichtig sein. Die Art, wie die Opposition etwas, glaube ich, reichlich hektisch die Diskussion geführt hat, verbirgt doch im Grunde genommen nur einen Mangel an Argumenten. Die Diskussionsbeiträge waren leider ein bißchen mager.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hochverehrter Herr Bundesminister, ich meine, wenn hier heute etwas mager war, dann nichts anderes als die Darstellung Ihrer bisher verfehlten Verkehrspolitik. Wir können uns über einzelne technische Probleme durchaus unterhalten, Herr Minister. Die Frage für den Bürger dieses Landes lautet: Wohin geht denn die Reise?
({0})
Sie haben davon gesprochen, Verkehrspolitik müsse für den Menschen gemacht werden. Darin stimme ich voll mit Ihnen überein. Nur dürfen Sie nicht vergessen, daß Menschen ja schließlich im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und nicht nur in Ballungsgebieten leben.
Was Sie falsch machen, Herr Minister, ist folgendes. Sie haben zwar gesagt - das ist Ihre Theorie -, man müsse beides tun, sowohl öffentlicher Personennahverkehr als auch Individualverkehr. Nur, was haben Sie gemacht? Sie haben die Polarisierung herbeigeführt, und zwar nur zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs. Das ist falsch. Sie haben nicht die Politik des Sowohl/Als-auch, sondern nur noch die Politik des Weder/Noch betrieben.
Ich möchte Ihnen, Herr Minister, und Ihnen von der Koalition, sagen, daß die Verkehrspolitik in dieser Art und Weise für die ländlichen Räume zur Katastrophe führt, und zwar deswegen, Herr Minister - und ich meine, dieser Hinweis ist konstruktiv -, weil bisher die Verbindung zwischen Verkehrspolitik, regionaler Strukturpolitik und Raumordnungspolitik, die wir herstellen müssen,
zumindest nicht sichtbar ist. Hier muß eine durch- gehende Verbindung hergestellt werden; denn Sie haben recht mit Ihrer Feststellung, daß man Verkehrspolitik heute nicht mehr allein für sich betreiben kann, sondern die Verkehrspolitik in den gesamten Zusammenhang hineinstellen muß. Ich meine, dieses fehlt.
Herr Minister, über die absoluten Zahlen und die absoluten Steigerungen in Ihrem Verkehrswegeplan kann man sich unterhalten. Nimmt man aber einmal die Investitionserwartung, die man voraussetzt, dann stellt man fest, daß Sie die Investitionen hei der Deutschen Bundesbahn zu gut 90 % in dem in Betracht kommenden Zeitraum erfüllen. Bei der Binnenschiffahrt sind es etwa 88 %, bei der Luftfahrt, lieber Herr Kollege Hoffie, 100 %, ,und beim Fernstraßenbau sind es gut 40%.
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Wenn es richtig ist - und es ist sicher richtig, Herr Minister -, daß auf vorläufig unabsehbare Zeit der ländliche Raum ohne den Individualverkehr nicht auskommen kann, dann sehen wir, wohin die Reise für diese Räume geht. Auf diese Hinweise möchte ich mich in meinem kurzen Beitrag beschränken.
Sagen Sie, weil ich jetzt auf die Kinder am Steuer und auf all diese Dinge nicht eingehe, bitte nicht, das sei ja wieder einmal so höchst typisch destruktiv für die Opposition. Nein, meine Damen und Herren, diese Linie, das Herausarbeiten dieser Zusammenhänge, die Koordinierung zwischen den Ministerien mit dem Ziele, für die Menschen das Beste zu schaffen, das fehlt. Ich hoffe, daß wir das bei der Debatte über die Raumordnung etwas nachholen können, wo wir ja sicher wieder auf die Verkehrspolitik zurückkommen müssen. Vielleicht können wir uns darin einig werden, daß das Wegekostendeckungsprinzip vorbei ist - leider, Herr Minister; aber damit passiert folgendes: Die armen Räume, sprich: die ländlichen, die Individualverkehr ausführen müssen, subventionieren den ÖPNV, die Bundesbahn. Daß wir uns mit unserer Mineralölsteuerpolitik von Europa entfernen, das sei am Rande erwähnt. Das kann man aber vielleicht noch bessern. Die schwierige Lage des grenzüberschreitenden Verkehrs ist erwähnt worden.
Nur das, Herr Minister, sollte zum Abschluß gesagt werden: wenn wir darauf in Zukunft stärker als bisher Gewicht legen können, die Beziehungen herzustellen, auch den vernünftigen Ausgleich - hier öffentlicher Personennahverkehr, dort Individualverkehr; Schiene, Straße, Binnenschiffahrt -, und das in den gesamten Zusammenhang stellen, dann, meine ich, dienen wir den Menschen, und darin sind wir uns letzten Endes ja wieder alle einig.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Ein Wort
ganz kurz zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Hoffie. Haben Sie keine Sorge, Herr Hoffie, daß wir der Verkehrssicherheit keine hohe Bedeutung beimessen. Sie haben offenbar in der Erwartung, Ihre breite Rede nun loszuwerden, übersehen, was der Herr Kollege Schulte bereits gesagt hat, und wir werden dazu heute in dieser Debatte noch eingehender Stellung nehmen.
Herr Bundesminister Lauritzen hat heute in seinem Beitrag angekündigt, er werde sein Verkehrskonzept noch einmal darlegen. Was haben wir gehört? Eine Aufzählung altbekannter, zum Teil gewiß akzeptierbarer verkehrspolitischer Forderungen, deren Verwirklichung aber bisher gescheitert ist, nämlich deshalb gescheitert ist, weil kein Geld zur Verfügung stand.
({0})
Sie meinen, Herr Minister Lauritzen, daß Sie Prioritäten gesetzt hätten. Prioritäten sind Makulatur,
wenn nicht gesagt wird, wie sie finanziert werden.
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Hier haben Sie heute erneut eine konkrete Aussage vermissen lassen. Sie haben zwar auf die Mineralölsteuer hingewiesen. Aber, Herr Lauritzen, die Mehreinnahmen, die Einnahmen aus der Erhöhung der Mineralölsteuer sind doch größtenteils in die Schlaglöcher der Inflation Ihrer Regierungspolitik gegangen, in erster Linie in die Konsumsubventionen, nicht aber in die notwendigen Investitionen. In Ihrer polemischen Argumentation warfen Sie der Opposition mangelnde Alternativen vor. Wir haben Alternativen vorgetragen, und ich werde für einen speziellen Bereich heute noch einiges dazu sagen. Aber, Herr Minister Lauritzen, trägt denn neuerdings die Opposition die Verantwortung für die Fehler dieser Regierung?
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Im übrigen hat ja die FDP für das, was Sie aufgezählt haben, Herr Minister Lauritzen, mehrfach das Urheberrecht angemeldet.
Wie angebracht die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zu der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung war, hat die Debatte heute bewiesen. In der Verkehrspolitik fehlt nach wie vor der klare Kurs. Die Regierung glaubt mit gesellschaftspolitischen Phrasen die verkehrspolitische Situation vernebeln zu können. Sie meint, großspurige Ankündigungen allein ließen sich bereits als erfolgte Weichenstellung verkaufen. Lichtet man den Nebel, dann tritt der krasse Widerspruch zwischen dem Schein und der harten Wirklichkeit jäh zutage.
Die Verkehrspolitik der letzten .Jahre ist durch krasse Fehleinschätzungen gekennzeichnet. Es gab einen „Leber-Plan". Erinnern Sie sich an die großspurigen Ankündigungen bei der Einführung dieses Planes! Der „Leber-Plan" war ein Schlag ins Wasser; darüber sind wir uns doch alle einig. Mit dem viel-gepriesenen Straßenausbauplan sollte bis 1985 ein leistungsfähiges Straßennetz, das dem Motorisierungsgrad entspricht, geschaffen werden. Es sollte Dieser mit viel Vorschußlorbeeren verkaufte Stradie notwendige Infrastruktur bereitgestellt werden.
ßenausbauplan ist heute mit hohen Hypotheken gepflastert. Auf seiten dieser Regierung glaubt man offenbar, man müsse nur einen Plan haben, dann lasse sich bereits alles machen.
Herr Leber, Ihr Vorgänger, Herr Lauritzen, hat sich schleunigst aus der Verkehrspolitik abgesetzt. Er hat die Konsequenzen gezogen. Die Verkehrsprobleme sind aber nach wie vor geblieben, und zwar in einer viel, viel schärferen Form.
Der zentrale Nerv in der Verkehrspolitik ist die Bundesbahn. Sie ist ein wichtiger Faktor in der Verkehrswirtschaft. Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß die Bundesbahn ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Verkehrswesens bleiben muß. Die Bedeutung der anderen Verkehrsträger wird dabei keineswegs übersehen. Aber lassen Sie mich zu dem Problem Bundesbahn hier nur einige Aussagen machen.
Die Bahn macht uns Sorge, nicht weil sie nicht leistungfähig wäre, sondern weil die laufend gestiegenen Zahlungen aus dem Bundeshaushalt an die Bahn jede Finanzplanung sprengen. Die Verluste sind astronomisch gestiegen. Lassen Sie mich mit ein paar Zahlen die derzeitige Situation noch einmal illustrieren. Die Zahlungen aus dem Bundeshaushalt an die Bahn sind 1973 auf 7,6 Milliarden DM angestiegen. 1974 wird die Bahn über 8 Milliarden DM benötigen. In den sechs Jahren von 1962 bis 1967 leistete der Bund an die Bahn insgesamt 12 Milliarden DM. In den sechs Jahren von 1968 bis 1973 betrugen die Zuleistungen aus dem Bundeshaushalt an die Bahn bereits 28 Milliarden DM. Während der Anteil der Bundesleistungen an den Gesamterträgen der Bahn 1960 noch bei 5 °!o lag, wurden 1972 35 % aller Bundesbahnerträge vom Steuerzahler und nicht von den Benutzern der Bahn aufgebracht. Die Fremdverschuldung beträgt inzwischen 19 Milliarden DM. Der Personalkostenanteil an den Gesamtkosten ist bei der Bahn inzwischen von 64 % im Jahre 1960 auf 72% im Jahre 1973 angestiegen.
Diese Zahlen, meine Damen und Herren, dokumentieren eine Verkehrspolitik unter der Verantwortung von Verkehrsministern der SPD, die nach diesem erschütternden Ergebnis nur als verfehlt bezeichnet werden kann.
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Mit bombastischen Plänen allein läßt sich eben keine wirksame Verkehrspolitik machen. Die Bahn hat trotz ihrer unerfreulichen wirtschaftlichen Situation beachtliche Leistungen erbracht; das darf hier nicht unerwähnt bleiben. Sie hat nicht nur ihre Produktivität erheblich gesteigert, sondern in den letzten Jahren der wirtschaftlichen Hochkonjunktur dank des Einsatzes ihrer Mitarbeiter Anforderungen erfüllt, die an den Rand ihrer Kapazitäten gingen.
Alle Anstrengungen reichten jedoch nicht aus, das Unternehmen auf gesunde Füße zu stellen. Im Gegenteil, jede neue Lohn- und Gehaltserhöhung verschlechterte das Jahresergebnis, jedes Prozent Lohn-und Gehaltserhöhung bringt ihr heute jährlich Mehrkosten von 140 Millionen DM. Die Bahn wurde von der Inflationspolitik dieser Regierung überrollt. Sie
meinen, Herr Minister Lauritzen, daß Sie dafür keine Schuld tragen, und versuchen, in die gleichen Fußstapfen zu schlüpfen und sich in die gleichen Scheinargumente wie Ihr Vorgänger zu flüchten. Wer ist denn für das horrende Ansteigen der Personalkosten verantwortlich? Allein die Inflationspolitik dieser Regierung, die ein Nachziehen auf der Lohnseite in den öffentlichen und auch in den privaten Betrieben zur Folge hatte.
Die Forderung des Bundesbahngesetzes, die Bahn wie ein Wirtschaftsunternehmen nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen, hat sich mit den bisherigen Mitteln als nicht realisierbar erwiesen. Die Bahn konnte die erforderlichen Investitionen für ihre Zukunftsaufgaben nicht vornehmen.
Was ist in dieser Situation geboten? Notwendig ist ein realistisches Konzept an Stelle von visionären Fernvorstellungen, wie sie uns diese Regierung dauernd offeriert.
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Es muß wirklich einmal Bier und nicht nur lauter Schaum eingeschenkt werden. Ich bin nicht so vermessen, daß ich von dieser Bundesregierung bayerisches Bier erwarten würde, nachdem sie für den Freistaat Bayern sowieso so wenig übrig hat.
Auch wenn der Vorstand der Deutschen Bundesbahn neuerdings laufend die Regierungserklärung zitiert und erwartungsvoll von grundlegenden verkehrspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung spricht, läßt sich in das sogenannte Kursbuch der Bundesregierung für die Bahn nicht mehr hineinzaubern. Es bleibt eine Aufzählung altbekannter, zum Teil auch allgemein akzeptierter verkehrspolitischer Forderungen, deren Verwirklichung bisher an den wirtschaftlichen Problemen gescheitert ist.
Das Hauptproblem sind die gewaltigen Personalkosten bei der Bahn. Eine wirtschaftliche Gesundung, eine Bahn der Zukunft, wie wir sie uns vorstellen, lassen sich nur erreichen, wenn die Bahn in die Lage versetzt wird, zukunftsorientierte Investitionen vorzunehmen, damit sie ihre hohe Personalkostenintensität vermindern kann. Hierzu ist eine gezielte Investitionsstrategie erforderlich. Die Deckung der dafür notwendigen Aufwendungen bleibt nach wie vor im dunklen. Die Finanzplanung der Bundesregierung von 1973 bis 1977 bietet keine Grundlage dafür, daß die in den Vorstellungen der Bundesbahnführung geforderte Investitionsphase in Angriff genommen werden kann. Ihr Kursbuch, Herr Minister Lauritzen, ist ein Fahrplan, dem weitgehend die Züge fehlen. Die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands sprach in ihren „Verkehrswirtschaftlichen Informationen" zu Recht von einer unglaubwürdigen Verkehrspolitik.
Auf die Eisenbahn sind Bevölkerung wie auch Wirtschaft künftig noch viel, viel stärker angewiesen; die Entwicklung auf dem Energiesektor hat uns dies noch deutlicher werden lassen. Unsere Zielvorstellung ist die Schaffung einer Bahn der Zukunft auf einer gesunden finanziellen Basis. Die Bahn muß leistungsfähiger und schneller werden. Sie muß finanziell auf festen Beinen stehen und in die Lage versetzt werden, weiter zu rationalisieren, ihr Strekkennetz zu modernisieren und das Streckenneubauprogramm, von dem heute schon viel gesprochen wurde, zu verwirklichen. Wir wissen, daß diese Ziele nicht alle kurzfristig erreicht werden können. Neben den Sofortmaßnahmen ist dazu ein langfristiges Konzept erforderlich.
Es muß doch alarmieren, wenn die Bundesbahn 1972 bei Bruttoinvestitionen von 3,6 Milliarden DM nur 8 % für Verbesserungen aufwenden konnte, weil 92 % der Investitionen für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit notwendig waren und somit die überfälligen Erweiterungsinvestitionen nicht finanziert werden konnten.
Die CDU/CSU-Fraktion hat ein Konzept zur Verbesserung der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Bahn vorgelegt. Unsere Auffassung lege ich in folgenden Punkten dar.
1. Die Bahn braucht bei ihren Entscheidungen eine klare Abgrenzung gegenüber der politischen Einflußnahme. In der Vergangenheit hat sich die Vermischung der Aufgabenbereiche zwischen Politik und Unternehmensführung als für die Bahn nachteilig erwiesen. Die Verkehrspolitik griff laufend in die unternehmerischen Dispositionen ein, oft als Alibi für mangelnden Mut bei der Durchsetzung der politisch notwendigen Entscheidungen. Die Bahn ging immer mehr dazu über, politische Entscheidungen zu formulieren. Herr Lauritzen betätigte sich auf diesem Verschiebebahnhof sehr eifrig als Rangierer. Das Verhältnis der Bahn zum Bund sowie das Unternehmensziel der Bahn müssen neu bestimmt werden. Hier ist sicherlich angebracht, die Beibehaltung der Beförderungspflicht zu überprüfen. Auch die Tarifpflicht muß neu überdacht werden.
2. Der eigenwirtschaftliche Bereich und die Aufgaben der Daseinsvorsorge müssen deutlicher festgelegt und abgegrenzt werden. Die öffentlichen Aufgaben der Bahn kosten ihren Preis. Die CDU/ CSU ist der Auffassung, soweit die Bundesbahn gemeinwirtschaftliche Leistungen erbringt, müssen ihr diese gemeinwirtschaftlichen Lasten abgenommen werden. Personenfernverkehr und Güterverkehr sind kostendeckend abzuwickeln. Der Stückgutverkehr ist diesem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen. Hier halten wir eine Kooperation der Bahn mit dem privaten Gewerbe für eine sinnvolle Methode. Wenn die Bundesbahn heute, wie sie angekündigt hat, einen scharfen Wettbewerb mit dem Speditionsgewerbe beginnt, so ist das nach unserem Verständnis für die Verantwortlichkeiten bei der Bahn i h r Entscheidungsbereich. Aber es muß heute die hypothetische Frage erlaubt sein - und dies ist eine politische Frage, auf die die Bundesregierung antworten muß -: Was passiert, wenn die Bahn in diesem Preiskampf zweiter Sieger bleibt? Wird dann eine neue finanzielle Runde beim Bundesfinanzminister eingeleitet? Bei diesem Preiswettbewerb im Stückgut-Knotenpunktverkehr darf nicht übersehen werden, daß unter dem Gesichtspunkt der regionalen Strukturpolitik eine weitere Verschärfung der Wettbewerbssituation der gewerblichen Wirtschaft in den ländlichen Räumen eintritt.
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Jobst
3. Die Bahn braucht gleiche Wettbewerbsbedingungen. Dazu gehört die Bereinigung der Kapitalstruktur und die Umschuldung ihrer langfristigen Verbindlichkeiten. Was bisher geschehen ist, Herr Minister Lauritzen, bleibt meilenweit hinter dem zurück, was vom Bundeskanzler 1969 in der Regierungserklärung angekündigt wurde.
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Der Herr Bundeskanzler hat 1969 in der Regierungserklärung angekündigt: In der Legislaturperiode 1969 werden der Bahn die Altschulden abgenommen.
4. Mit den bisherigen Rationalisierungsmaßnahmen kann die Bahn keine großen Einsparungsbrocken mehr herausholen. Der Treibsatz sind die Personalkosten. Das Personal ist überwiegend auf den Hauptstrecken eingesetzt. Dort muß deshalb in erster Linie angesetzt werden. Bei den von der Bundesregierung geforderten Einschränkungsmaßnahmen dürfen aber auch die regionalpolitischen Gesichtspunkte nicht übersehen werden. Für die CDU/ CSU steht im Vordergrund die Aufrechterhaltung einer wenigstens gleichwertigen Verkehrsbedienung. Wir meinen, daß die Lebensqualität nicht teilbar ist, daß sie nicht abgestuft werden darf, sondern sie muß gleich verteilt werden. Damit die Bundesbahn den erforderlichen Investitionsspielraum bekommt, muß das Straßenneubau- und -ausbauprogramm in der Finanzplanung des Bundes abgesichert werden.
Herr Kollege Jobst, ich mache Sie auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam.
Ich komme sofort zum Schluß, Herr Präsident.
5. Als Kontrollinstrument für die Bundesleistungen der Bahn in der mittelfristigen Finanzplanung fordert die CDU/CSU von der Bundesbahn die Vorlage einer eigenen mittelfristigen Finanzplanung. Die Bahn muß sich bemühen, weiterhin sinnvoll zu rationalisieren und alle Möglichkeiten für einen optimalen Einsatz von Arbeitskräften auszuschöpfen. Der jüngste Bericht des Bundesrechnungshofs hat gezeigt, daß dies nicht in allen Fällen geschehen ist.
6. Wir fordern eine klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten, um den nötigen Investitionsspielraum zu schaffen. Aus diesem Grunde halten wir es für erforderlich, daß die gemeinwirtschaftlichen Leistungen aus dem Bundeshaushalt an die Bahn künftig vorrangig den Ressorts übertragen werden, die dafür in erster Linie interessiert sind: dem Bundesminister für Arbeit die Ausgaben für sozialpolitische Aufgaben, dem Bundesminister für Bildung die Ausgaben für bildungspolitische Aufgaben, dem Bundesminister für Wirtschaft die Ausgaben für regionalpolitische Aufgaben. Diese funktionsgerechte Zuordnung bietet einen verstärkten Schutz, daß eine Ausdehnung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben nicht zwangsläufig zu Lasten der notwendigen Investitionen der Bahn geht.
Zum Schluß: Die Verkehrspolitik dieser Regierung hat sich zu weit in das Spannungsfeld zwischen Illusionen und Wirklichkeit begeben. Verkehrspolitik ist eine harte und schwierige Sache. Mit schönen Absichten kann man hier nicht weiterkommen. Herr Minister Lauritzen, Sie sollten aus dem Schicksal der Pläne Ihres Vorgängers, des Herrn Leber, gelernt haben. Wir sind sicher alle gemeinsam der Auffassung, daß es ohne Bahn nicht ginge. Es ist deshalb höchste Zeit, Herr Minister, daß die Bundesregierung endlich handelt und die Weichen für unsere Bahn endlich richtig stellt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seibert.
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- Zunächst, Herr Kollege, ist das Gleis freigegeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige von Ihnen werden in der Lage sein, Vergleiche zwischen der Bahn 1945 und der Bahn 1974 zu ziehen.
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Sie werden sich dabei aber auch erinnern, daß die Bahn damals, kurz nach dem Krieg, der einzige entscheidende, zuverlässige Verkehrsträger für die Bevölkerung und für die Wirtschaft war, obwohl die deutsche Bahn sehr stark zerzaust war. Aus dieser arg geschundenen Bahn wurde im Laufe der Jahre bis heute eine moderne, zuverlässige, komfortable, mit einem guten Image versehene Einrichtung, auf die nicht nur die Eisenbahner, sondern der Eigentümer Bund und das Parlament stolz sein können.
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Aber diese moderne Eisenbahn mit einem guten Image hat zwei Schönheitsfehler, um die wir uns streiten und die deshalb weg müssen. Der eine Schönheitsfehler ist der Eintrag im Grundbuch mit 12,8 Milliarden DM Schulden, herrührend zum entscheidenden Teil aus der Beseitigung der Kriegsschäden. Ich glaube, heute wie auch in der Vergangenheit hat sich herauskristallisiert, daß die Umschuldung der Bundesbahn als notwendig anerkannt wird. Wir sehen, daß die Bundesregierung, in diesem Fall unterstützt von der Opposition, dabei ist, diesen einen Schönheitsfehler zu beseitigen, um damit eine Gleichstellung mit allen Bahnen Europas, wo das schon erfolgt ist, vorzunehmen. Diese Schulden, dieser Grundbucheintrag als Hypothek-ich
sage es mal symbolisch , haben mit anderen
Fremdverschuldungen im Laufe der Debatte, die wir geführt haben, in vier Stunden die Deutsche Bundesbahn wiederum fast eine Million DM Zinslasten gekostet, die sie im Laufe von vier Stunden aus den Betriebseinnahmen einfahren muß.
Wir haben einen zweiten Schönheitsfehler, und das sind die roten Zahlen. Sehen Sie, meine Kollegen von der Opposition, was ich nicht ganz verstanden habe, ist, daß wir uns jetzt gestritten und, so4638
weit es sich um die Sprecher der Opposition handelt, sie sich in einem Vorwurf gegenüber der jetzigen Bundesregierung im Zusammenhang mit den roten Zahlen erschöpft haben. Diese roten Zahlen werden uns noch sehr lange beschäftigen, wenn es weitergeht wie bisher.
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Damit es nicht weitergeht wie bisher, müssen wir gemeinsame Anstrengungen auf der Grundlage des Kursbuches machen.
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Wenn z. B. der Herr Kollege Schulte, der von seinem Charakter her zu großer Fairneß neigt, dazu übergeht, die Bundesregierung für die roten Zahlen verantwortlich zu machen, finde ich das nicht in Ordnung. Es ist heute das Wort „Folgewirkung" gefallen. Die jetzigen roten Zahlen der Deutschen Bundesbahn sind die Folgewirkung der Verkehrspolitik der letzten 20 Jahre. Ich 'habe den Eindruck, daß in dieser Zeit keine richtige Verkehrspolitik gemacht wurde, sondern Politik um den Verkehr. Wir haben auch heute in der Diskussion teilweise wieder erlebt, daß eine Politik um den Verkehr gemacht wurde und keine Verkehrspolitik.
Damit dieser Streit, wer die roten Zahlen verursacht hat, etwas aus den Partei- bzw. Fraktionsschußlinie kommt, möchte ich mir erlauben, einige Punkte aus der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, Punkte, die entscheidend zu diesen roten Zahlen geführt haben. Ein Unternehmer, ein Eigentümer, der für seinen Betrieb verantwortlich ist, sorgt dafür, daß dieser Betrieb mehr Aufträge bekommt und mehr verdienen kann. Wir müssen uns fragen: Hat der Eigentümer Bund für seine Bahn gleiche Voraussetzungen geschaffen? Hat er eine Politik gemacht, um mehr Aufträge und mehr Einnahmen zu bekommen? Die Antwort ist negativ.
Das fing 1952 beim Abschluß des Montanvertrages an. Damals haben wir uns zur Stützung der lothringischen Industrie politisch verpflichten müssen, Montantarife einzuführen, die der Deutschen Bundesbahn auch heute noch 300 Millionen DM Einnahmeverluste bringen. In Verbindung mit dem Montanvertrag ,haben wir den Moselkanal gebaut, der seit 1963 schiffbar ist und der Bahn jährlich etwa 100 Millionen DM Einnahmeverluste einbringt.
Die Deutsche Bundesbahn hat jahrelang den Bund den Eigentümer entlastet , indem sie die Kriegsschäden durch eine Vorfinanzierung auf dem Kapitalmarkt beseitigte, weil sie das über den Preis nicht einfahren konnte. Nur für die Binnenschiffahrt hat der Bund in der Vergangenheit die Kosten der Kriegsschäden voll übernommen; nicht für die Bahn.
Weiterhin hat die Politik in den vergangenen Jahren dazu geführt, daß die Bahn gezwungen wurde, sich mittelstandsfreundlich zu verhalten. Man hat ja von ihr verlangt, im Interesse der mittelständischen Unternehmen ihre Tarifpolitik zu gestalten. Sie wissen -- oder Sie wissen es nicht; dann sage ich es Ihnen , daß die Bundesbahn nie in der Lage war, gegen den Konkurrenten Binnenschiffahrt eine
echte Tarifpolitik zu machen. Die Deutsche Bundesbahn kann heute noch nicht im Wettbewerb gegen die Binnenschiffahrt die erforderlichen Tarife einführen. Das ist ihr verboten.
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Außerdem hat es die Wirtschaft sehr gut verstanden, durch einen paritätischen Tarifausschuß Tarife zu bekommen, die erst einmal genehmigungspflichtig und dann im Interesse der Wirtschaft zu sehen waren. Ich wünschte mir in mancher Preissituation eine solche paritätische Zusammensetzung, um die Preise in der Wirtschaft kalkulieren zu können. Aber das dürfen wir nicht übersehen: Es gibt kein Unternehmen, das eine paritätische Kommission im Hause hat, die seine Preise diktiert.
Weiterhin haben wir bei ungleichen Wettbewerbsbedingungen eine systematische Anheizung des Wettbewerbs gehabt. Ich erinnere: März 1964 Erhöhung der Konzessionen im Güterfernverkehr um 3 327 Konzessionen. 1. Oktober 1964 Beförderungsteuer im Werkfernverkehr um 3 Pfennige je Tonne/ Kilometer gesenkt. März 1965 höchstzulässige Abmessung für Lastwagen von 16,5 auf 18 Meter durchgeführt; Gesamtgewicht von 32 Tonnen auf 38 Tonnen erhöht. Den Nahzonenradius haben wir um 25 Kilometer erweitert.
Alles politische Entscheidungen, die wir gemeinsam getroffen haben ich erinnere an unsere Diskussion im Verkehrsausschuß mit dem Ergebnis,
daß die Bundesbahn damit um jährlich 600 Millionen DM Einnahmen gebracht wurde. Auf eine Anfrage, die ich gegenüber Herrn Seebohm vorgebracht habe, wurde von der Regierung bestätigt, daß allein diese vier Punkte bei der Bahn Einnahmeverluste um 600 Millionen DM verursacht haben.
Dann wurde die Bundesbahn von früheren Regierungen als ein preisregulierendes Instrument gesehen. Man hat sie als Stabilitätsinstrument benutzt. 1960: Tariferhöhungsanträge der Bundesbahn wurden nicht genehmigt.
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1964: Steuerliche Bevorzugung des Huckepack-Verkehrs wurde abgelehnt.
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- - 1965: Tariferhöhungsantrag der DB für den Berufsverkehr abgelehnt.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das war eine Tarifpolitik früherer Regierungen mit der Absicht, auf Kosten der DB-Einnahmen auf die Preisentwicklung Einfluß zu nehmen. Das sagt auch - wenn ich das zitieren darf - das Presse- und Informationsamt im Jahre 1966:
Da es mit den üblichen wirtschafts- und kreditpolitischen Mitteln nicht gelang, den Anstieg des allgemeinen Preisniveaus aufzuhalten, wurden Tarife und Gebühren für öffentliche Dienste vielfach zum Ausgleich der steigenden Preistendenzen herangezogen und ohne Rücksicht auf die Kostenentwicklung gebunden.
Weiterer Punkt: Die finanzielle Entlastung der Bundesbahn ist zu spät eingetreten. Heute unterhalten wir uns über die Verordnung 1191 von Brüssel mit den Vergütungen für die Bundesbahn, die vom Bund gezahlt werden. Das war doch zu den damaligen Zeiten überhaupt nicht. Erst in den letzten Jahren funktioniert das. Ich will nicht die fehlenden Leistungen der früheren Bundesregierungen und der früheren Parlamente im einzelnen aufführen, aber erst 1966 hat der Bund nach dem Brand-Bericht von 1955 - also sieben Jahre später - die 30 % übersteigenden Versorgungslasten übernommen. Erst 1972 hat der Bund die Zinsen aus der Kapitalverschuldung in Höhe von 900 Millionen DM auf sich genommen.
Eine andere Bemerkung zur Teildemontage der Deutschen Bundesbahn. - Ich wollte mich nicht mit Herrn Geldner auseinandersetzen; das werden wir einmal im Verkehrsausschuß tun. - Die Finanzminister aller Couleurs in der Vergangenheit haben der Deutschen Bundesbahn immer den Rat gegeben, sich von ihren defizitären Verkehren zu trennen. 1958: Die Punktrationalisierung und die Streckenstillegungen wurden in Gang gesetzt. Die Folge war eine Demolierung des Flächenverkehrs. Am 15. Juli 1964 wurde die Deutsche Bundesbahn von Herrn Seebohm zu Selbsthilfemaßnahmen aufgerufen. Keine Hilfen vom Bund! Streckenstillegungen, Rückzug aus der Fläche standen auf dem Plan. 1964 erfolgte die Verstärkung der Punktrationalisierung, und 1965 erfolgte die Kürzung der Anpassungshilfe für den Personennahverkehr um 50 Millionen DM. Genau das Gegenteil also von dem, was wir jetzt gemeinsam wollen und beschließen, wurde damals gemacht: keine Investitionen, sondern Kürzungen, Kürzung der Ausgleichsbeträge um 100 Millionen DM.
Der Katalog läßt sich beliebig erweitern; ich könnte noch eine halbe Stunde darüber erzählen. Alle sogenannten Gesundschrumpfungsempfehlungen, die auch heute bei dem einen oder anderen Kollegen durchgedrungen sind - auch bei den Kollegen von der FDP -, haben doch zu nichts geführt als zum Krankschrumpfen. Diese Maßnahmen führten alle zu negativen Ergebnissen.
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Eine Zwischenfrage! Herr Kollege Seibert, machen Sie es sich nicht ein bißchen zu einfach, wenn Sie bei Ihrer Aufzählung mit dem Jahre 1955 beginnen.
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und 1965 aufhören? Darf ich Sie darauf hinweisen, daß auch nach 1969 Konzessionen für das Fernverkehrsgewerbe zusätzlich eingeführt wurden,
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und sind Sie nicht der Meinung, daß das Ansteigen der roten Zahlen der Bundesbahn der eigentliche Beweis der entsprechenden Politik ist, nämlich wenn von -
Die Frage war, glaube ich, zu Ende.
Ich darf darauf antworten. Ich habe einige Dinge nicht angesprochen, weil sie auf das Bundesbahnanpassungsgesetz von Herrn Seebohm zurückzuführen sind. Daraus datieren die vorgenommenen Maßnahmen. Zweitens zeigt sich doch, daß alles das, was in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist, sich erst jetzt voll auswirkt und daß die roten Zahlen in den kommenden Jahren automatisch immer größer werden.
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- Es geht mir nun darum, Herr Lemmrich, Sie davon abzuhalten, bei künftigen Diskussionen über die roten Zahlen immer nur zu sehen und in Erinnerung zu rufen, wie das gewachsen ist. Ich freue mich daher, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, und insbesondere Sie, Herr Lemmrich, mit erkannt haben, daß die früheren Wege einfach nicht zu dem Ziel führten, das wir gemeinsam erreichen wollen, das Ziel nämlich, die Bahn möglichst aus den roten Zahlen herauszubringen. Darum geht es mir.
Ich möchte also künftig zumindest unter uns, die wir glauben, davon etwas zu verstehen, diese polemischen und manchmal sogar demagogischen Diskussionen in das richtige Licht rücken und möglichst sogar vermeiden helfen.
Es ist jetzt also, wenn der alte Weg nicht in Ordnung war, ein neuer, richtiger Weg notwendig. Und ich glaube immer noch, daß in dem, was jetzt die letzte Regierungserklärung und das „Kursbuch" andeuten, ein richtiger Weg zu sehen ist. Dort wird gesagt, daß eine weitere Modernisierung in Angriff genommen werden muß, daß sinnvolle, zusätzliche Investitionen mit der Absicht erfolgen müssen, die Leistungen zu verbessern und eine Vermehrung der Einnahmen zu erreichen. Daneben muß die Umschuldung kommen, daneben muß die Wegekostenerstattung erfolgen, und es muß auch die volle Erstattung der Beträge kommen, die uns nach den Verordnungen 1191 und 1192 zustehen.
Seit 90 Jahren das dürfte unbestritten sein, wurde keine Strecke mehr gebaut. Nunmehr werden neue Strecken gebaut. Die Bahn hat jetzt im Rahmen der Wegeplanung und des Wegeprogramms die Möglichkeit, ihren Beitrag zu leisten.
Aber nicht nur Investitionen sind notwendig, sondern auch flankierende Maßnahmen.
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- - Das Geld werden wir dann gemeinsam beschließen müssen, Herr Jobst. Dafür müssen wir uns stark machen, da müssen wir uns durchsetzen. -- Ich wünsche das deshalb, weil ich in der Eisenbahn ein sicheres Verkehrsunternehmen sehe, ein Unternehmen, das volkswirtschaftlich preiswert, umweltfreundlich und energiesparend ist. Die Opposition sollte sich entschließen, diesen Weg mitzugehen und die Vorschläge der Bundesregierung unterstützen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beantwortung einer Großen Anfrage sowie die Debatte über sie und die beiden Berichte der Bundesregierung wären sicherlich für die Opposition Gelegenheit für eine allumfassende Abrechnung mit der Bundesregierung über angebliche Fehlleistungen gewesen; sie wären Gelegenheit gewesen, aufzuzeigen, wo es unterschiedliche Meinungen zwischen der Regierung, den Regierungsfraktionen und der Opposition gibt. Sie wären aber auch Gelegenheit gewesen, eigene Überlegungen
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zu einer besseren Verkehrspolitik
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vorzutragen.
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Die Debatte begann aber, wie gehabt, mit Trompetenstößen und mit überwiegend schrillen Tönen.
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-- Nein, nein, der erste war gar nicht der Bundesminister Lauritzen, der erste war der Kollege Schulte, und der nächste bei Ihnen war der Kollege Lemmrich.
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Und da gab es wieder die globale Kritik mit Ausdrücken wie „vernichtende Bilanz",
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„totales Versagen", „Fehlen von Sachvorschlägen" und „nur immer lauter Wortschwall".
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Und Sie haben behauptet, daß Sie in der Vergangenheit zureichende Initiativen entwickelt und Alternativvorschläge gemacht hätten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Kollege Ollesch, wenn die Töne der Kollegen schrill sind, darf man dann bei Ihnen „etwas rauchzart" sagen?
Da ich das letzte Wort nicht verstanden habe, möchte ich Sie bitten, es zu wiederholen, Herr Kollege Franke.
Wenn die Beiträge der Kollegen schrill sind, darf man dann Ihren Beitrag als „rauchzart" bezeichnen?
„Rauchzart" will ich nicht sagen - ich will nicht in den Verdacht geraten, für bestimmte Produkte Propaganda zu machen ,
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aber ich würde sagen: sanft, so wie ich mich immer bemühe, mit der Opposition sanft zu verfahren.
Nun haben Sie in den Beratungen des Verkehrsausschusses auch Initiativen entwickelt und Vorschläge gemacht. Ich darf einmal bekanntgeben, wie diese aussahen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, in Zukunft sowohl in der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung als auch in den Haushaltsentwürfen die Ansätze für das Streckenbauprogramm der Deutschen Bundesbahn gesondert auszuweisen.
Ja, meine Damen und Herren, was haben wir denn damit gewonnen? - Ein Nichts! Ist denn mit dieser gesonderten Ausweisung das Problem der ständigen Finanzhilfen für die Bundesbahn aus der Welt geschafft? Wird ein Kilometer Strecke mehr gebaut, wenn ich gesondert ausweise? Es kommt darauf an, ob ich bereit bin, Beträge, finanzielle Mittel für den Ausbau bereitzustellen. Dazu waren wir im vergangenen Jahr bereit, und dazu sind wir in diesem Haushaltsjahr bereit.
Sie haben dann weiterhin das soll ja auch wohl
ein Beitrag sein, das Defizit bei der Deutschen Bundesbahn und die hohe Zuschußleistung durch den Bund abzubauen beantragt, der Verkehrsausschuß solle dafür sorgen, daß bei gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die die Bundesbahn erbringt und erbringen muß, weil wir ja Auflagen machen, die Bewirtschaftung der Mittel, die aus dem Bundeshaushalt an die Bundesbahn gegeben werden, in Zukunft bei sozialpolitischen Auflagen dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, bei bildungspolitischen Auflagen - Schülerfahrkarten und dergleichen - dem Bundesminister für Bildung und bei regionalpolitisch bedingten Auflagen - Aufrechterhaltung von Strekken und Bahnhöfen - dem Bundesminister für Wirtschaft übertragen wird. Da wird, meine Damen und Herren, keine D-Mark von den 8,6 Milliarden DM, die uns die Bundesbahn zur Zeit kostet, eingespart, wenn ich die Beträge nur auf andere Haushalte als die des Verkehrshaushalts überweise.
Sie haben dann noch einige andere Anträge gestellt; einem davon können wir sogar in gewisser Hinsicht für die Zukunft zustimmen, nämlich dem, Mittel aus der Mineralölsteuer, zweckgebundene Mittel, für Investitionen und nur für Investitionen im verkehrspolitischen Bereich vorzusehen und das sogenannte Lebegeld aus dem Haushalt heraus den einzelnen Unternehmen zuzuführen. Darüber mit Ihnen zu reden, meine Damen und Herren, sind wir durchaus bereit.
Nun ist in Ihrer Großen Anfrage eingangs gesagt, daß ein klarer verkehrspolitischer Kurs der Bundesregierung nicht mehr erkennbar sei; das ist Ihre Behauptung. Auch heute haben Sie wieder davon gesprochen, daß bei der Politik der Bundesregierung und den diese Politik tragenden Fraktionen - SoOllesch
zialdemokraten und Freie Demokraten, für die ich ja hier spreche, und nur für diese Prioritäten nicht erkennbar seien. Es wird also wieder nach Prioritäten gerufen.
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Wo gibt es überhaupt Prioritäten, meine Damen und Herren!?
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Für uns Freie Demokraten gibt es Prioritäten im verkehrspolitischen Bereich nur für den öffentlichen Personennahverkehr in Ballungsräumen. Hier genießt die Lösung der Probleme des öffentlichen Personennahverkehrs absoluten Vorrang
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gegenüber der Lösung anderer Verkehrsprobleme in den Ballungsräumen. Aber, Herr Kollege Lemmrich, Sie sind ja immer sehr schnell mit der Kritik bei der Hand: Wer hat denn eigentlich die ersten Initiativen entwickelt, und wer hat die Gesetze gemacht, die dazu dienten, den ÖPNV in Ballungsräumen überhaupt lebensfähig zu erhalten?
({4}) Das waren doch wir.
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Na, wer hat denn dafür gesorgt, daß die Mineralölsteuer-Rückgewähr, von der immer wieder gesprochen wurde, Wirklichkeit wurde? Die Koalition hat das Verkehrsfinanzgesetz 1971 in dieser Richtung ausgestaltet, und Sie haben dem nicht zustimmen können. Das ist doch die Wahrheit.
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Ansonsten, meine Damen und Herren, kann ich keine Prioritäten sehen.
Sie wissen, die Deutsche Bundesbahn hat in der Vergangenheit Unerhörtes in der Bewältigung der ihr übertragenen Aufgaben und in der Erbringung von Verkehrsleistungen geleistet. Ohne sie wären in den Jahren 1945/48 Tausende von Menschen verhungert, in einer Zeit, in der die Bundesbahn mit unzulänglichen Mitteln bis an die Personalsubstanz, bis zur Auszehrung hin die Menschen transportiert hat. Dafür haben wir ihr immer gedankt. Sie hat aber auch heute ganz bestimmte Aufgaben, die ihr kein anderer Verkehrsträger abnehmen kann und abnehmen darf.
Meine Damen und Herren, ohne den Straßenverkehr hätten wir nicht den wirtschaftlichen Standard, den wir erreicht haben. Von daher gilt es gar nicht zu überlegen, wer vor wem Vorrang genießt, sondern beide Verkehrsträger, Bundesbahn und Straßenverkehr verdienen Förderung und ungeteilte Aufmerksamkeit bei der Lösung unserer verkehrspolitischen Fragen.
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Allerdings ist zu überlegen, meine Damen und Herren, wie wir ein zureichendes Angebot von Verkehrsleistungen für den Verbraucher aufrechterhalten. Er soll nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen entscheiden können, welchem Verkehrsträger er den Vorzug gibt und welcher wirtschaftlicher ist. Wir haben darauf zu achten, daß sich Verkehre verändern können und daß bestimmte Aufgaben, die früher der einzelne Verkehrsträger hatte, von ihm heute zweckmäßigerweise vielleicht nicht mehr wahrgenommen werden sollten. Die Bundesbahn wird für die Bewältigung von längeren Strecken unbedingt notwendig sein. Sie richtet sich in ihrer Geschäftspolitik darauf ein. Priorität hat bei ihr der Fernreisezugverkehr, die Bewältigung längerer Strecken -- auch hier bedarf es unerhörter Investitionen -, der Transport von Massengütern über längere Strecken in wiederkehrender Folge. Eines Rückzuges bedarf es dort, wo die Bahn mit anderen Verkehrsträgern einfach von der Kostenseite her nicht konkurrieren kann, d. h. auf der Fläche, allerdings keines ungeordneten Rückzuges, sondern eines geordneten. Dieses Verfahren ist seit einigen Jahren in Gang und wird fortgesetzt. Dies hat zur Folge, daß dafür Ersatzverkehre angeboten werden müssen. Das wird so sein.
Der Straßenverkehr, meine Damen und Herren, wird dort nicht mehr so forciert hingenommen werden können, wo er der Bevölkerung unzumutbare Lasten auferlegt, d. h. also in den Stadtkernen und in den Ballungsräumen. Hier bleibt zu überlegen, wie man Verkehrsgewohnheiten nicht nur durch Verkehrsverbote, sondern durch gezielte Investitionen verändert.
Hier wurde bedauert und der Bundesregierung als Fehler angelastet, daß in den letzten Jahren eine unerhörte Kürzung von Straßenbaumitteln zugunsten der verstärkten Mittelzuweisung an die Bundesbahn vorgenommen worden sei. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch, denn die Straßenbaumittel sind nicht in der absoluten Höhe exorbitant gekürzt worden; dort gibt es sogar einen leichten Anstieg in der Mittelzuweisung. Allerdings haben sie nicht am Wachstum des Haushalts entsprechend teilgenommen.
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Ich darf Ihnen einmal zum Straßenbau eine Erklärung eines zuständigen Beamten der Straßenbauverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinland mit Genehmigung der Frau Präsidentin vortragen. Das ist eine Meldung vom 12., 13., Januar 1974. Er kündigte die Fertigstellung zahlreicher neuer Schnellstraßen und Landstraßen in Nordrhein-Westfalen an und stellte fest, daß im Raum Westfalen-Lippe 200 Millionen DM in Autobahnneubauten investiert würden und die rheinischen Summen, das heißt die Summen für den Landesteil Rheinland, sogar noch höher seien.
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Allerdings würden in den Jahren danach die Mittel sicherlich schrumpfen. Dann zählt dieser Landesrat eine ganze Reihe von Baumaßnahmen im Lande Nordrhein-Westfalen auf.
So schlimm kann es also nicht sein, und ich weise Ihre Befürchtungen zurück, als würde durch die
Politik dieser Regierung notwendiger Straßenbau in schwachstrukturierten Gebieten vernachlässigt zugunsten von Maßnahmen zur Regelung der Verkehrsprobleme in Ballungsgebieten.
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Aus der Tatsache und aus der Erkenntnis heraus, daß Straßen nicht nur dazu da sind, den vorhandenen Verkehr aufzunehmen, sondern auch dazu da sind, Verkehr zu erzeugen, also Strukturen zu verändern, notwendigerweise zum Besseren zu verändern, wird der Straßenbau nach Meinung der Freien Demokraten und nach dem Willen der Freien Demokraten in den unterstrukturierten Gebieten keineswegs vernachlässigt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Gerne!
Herr Kollege Ollesch, ist Ihnen bekannt, daß im Straßenausbauplan von 1971 bis 1985 die Maßnahmen für die ländlichen unterstrukturierten Räume, die Sie eben angesprochen haben, vorwiegend in der zweiten und dritten Dringlichkeitsstufe sind und daß diese keine Chance haben, bis 1985 in Angriff genommen, geschweige denn verwirklicht zu werden?
Herr Kollege Dr. Jobst, Sie wissen auch, daß die Einstufung in Dringlichkeitsstufen im Einvernehmen mit den Ländern an Hand der vorliegenden Generalverkehrspläne der Länder vorgenommen wird und daß die Bundesregierung für die Wenigerberücksichtigung strukturschwacher Gebiete in einzelnen Ländern nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Jobst?
Gerne!
Herr Kollege Ollesch, stimmen Sie mir zu, daß diese Übereinstimmung, von der Sie sprechen, zwischen den Ländern und dem Bund damals nur in der Erwartung hergestellt werden konnte, daß alle drei Dringlichkeitsstufen bis 1985 erfüllt sein werden? Von dieser Voraussetzung ist der frühere Bundesverkehrsminister Leber doch ausgegangen.
Herr Kollege Dr. Jobst, selbst wenn in der Erwartung voller Durchführung des Bedarfsplanes bis 1985 die betreffenden Länder diese Straßen in die zweite und dritte Stufe eingestuft haben, dann kann ich nur den Ländern den Vorwurf machen, weshalb sie eigentlich diese Straßen, die notwendiger sind als die in den Ballungsräumen, in die zweite und dritte Kategorie eingeordnet haben, warum nicht gleichzeitig in die erste.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen - ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen -: Wir bemühen uns, nicht dort Prioritäten zu setzen, wo es keine Prioritäten geben darf. Wir verändern die Mittelzuweisung je nachdem, wo diese Mittel zur Zeit am notwendigsten zur Bewältigung der Verkehrsaufgaben gebraucht werden. Das kann für einen bestimmten Zeitraum die Bundesbahn mit Vorrang sein, das kann zu bestimmten Zeiten der Straßenbau mit Vorrang sein; aber niemand kommt an der Tatsache vorbei, daß die Deutsche Bundesbahn, was Investitionen anbelangt, in den letzten zwei Jahrzehnten zu kurz gekommen ist. Es ist unsere Aufgabe, hier auszugleichen. Da nicht wahllos Mittel zur Verfügung stehen - Sie stellen ja auch Erhöhungs- und Änderungsanträge zu anderen Haushalten und kritisieren ja auch, daß in anderen Haushalten nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen -, müssen wir uns bei der Mittelzuweisung mit den für uns bestimmten Mitteln bescheiden. Daran geht kein Weg vorbei.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waffenschmidt. Er hat gesagt, er redet nur fünf Minuten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch ein paar Worte zum öffentlichen Personennahverkehr. Herr Minister Lauritzen, ich muß mit Ihren Ausführungen beginnen. Wenn ich berücksichtige, daß die Regierung doch unter der Devise angetreten ist, öffentlicher Personennahverkehr solle eine Vorrangsache sein, muß ich sagen, daß das, was Sie uns heute dazu geboten haben, sehr, sehr mager und enttäuschend war.
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Ich will drei Dinge nennen, um das zu begründen. Sie berufen sich auf den Ansatz von 200 Millionen DM im Haushalt, der jetzt für 1974 zusätzlich vorgesehen ist. Ich habe eben noch einmal nachgelesen: Als es darum ging, den Leuten draußen im Lande die Mineralölsteuererhöhung schmackhaft zu machen - die Bürger wurden mit fünf Pfennig erneut zur Kasse gebeten -, da haben Sie in der Sendung „Echo des Tages" und in „Heute" gesagt: „Also, liebe Leute, das müßt Ihr jetzt bezahlen; damit werden wir dann ganz groß im öffentlichen Personennahverkehr einsteigen! Das sind präter propter 2 Milliarden DM." Jetzt haben Sie ganze 10%, nämlich 200 Millionen DM, gerettet. Das wird jetzt als eine große Sache ausgegeben.
Ich muß Ihnen sagen: Das war damals eine Irreführung der Bürger, die zur Kasse gebeten worden sind!
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Dann sagen Sie hier, Sie wollten sich künftig um das bemühen, was kommen sollte; es sollte rollendes Material gefördert werden, es sollte die Rückvergütung der Mehrwertsteuer kommen. Ich meine, Herr Minister Lauritzen, es wäre prima gewesen, wenn Sie heute von den Ergebnissen Ihrer BemüDr. Waffenschmidt
hungen gesprochen und nicht nur wieder Glaubensbekenntnisse für die Zukunft abgegeben hätten.
({2})
Gerade mit Richtung auf die Koalitionsfraktionen muß auch noch einmal folgendes gesagt werden. Wenn Ihnen, wie. Sie das auch hier wieder in der Debatte dargestellt haben, so viel an der innerstädtischen und innergemeindlichen Verkehrsverbesserung gelegen war und ist, dann gab es in den letzten Monaten drei Prüfsteine, um das zu beweisen.
Erstens. Wir haben im Ausschuß beantragt, zwei Pfennig zusätzlich an die Gemeinden zur Verbesserung der innergemeindlichen Verkehrssituation zu geben. Sie haben das abgelehnt. Hier hätten Sie Butter bei die Fische tun können! Dann könnte etwas im öffentlichen Personennahverkehr geschehen.
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Zweitens. In der Broschüre, die das Ministerium Lauritzen herausgegeben hat und in ,der der Investitionsbedarf für den öffentlichen Personennahverkehr zusammengestellt ist - rund 41 Milliarden DM -, wird selber geschildert, daß Deckungslücken bis zu 21 Milliarden DM vorhanden seien. Herr Minister Lauritzen, es wäre Ihre Aufgabe und die Aufgabe der Koalition in den letzten Monaten gewesen, draußen für die Städte und Gemeinden und alle Beteiligten klarzumachen, wie man denn diese Dekkungslücke auffüllen will, wie man dafür Finanzmittel bereitstellen will. Wenn wir weiter einfach nur Versprechungen hören, wenn draußen die Kämmerei- hören „Wir haben etwas ganz Großes vor!", aber dann kommt kein Geld, so ist das eine einzige Investition ins Defizit hinein.
({4}) Da machen wir nicht mit.
Drittens. Die Folgekosten sind heute wieder einmal in einer Weise angesprochen worden, als seien sie eine quantité négligeable, als könnte man darüber ganz schnell hinwegkommen. Hier hatten einige Sprecher der Koalition schon wieder Patentrezepte: Wir werden vom Bund aus ein bißchen hei der Bundesbahn entschädigen und ausgleichen, und das andere sollen die Länder und Gemeinden machen!
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Was Sie hier machen, nämlich den Bundesstraßenbau und damit auch die künftigen Unterhaltungslasten einschränken, große Versprechungen beim öffentlichen Personennahverkehr machen und dann sagen: „Demnächst müssen die Folgekosten, die vielleicht 10, 15 Milliarden DM pro Jahr ausmachen, die Länder und Gemeinden tragen", das ist eine unsolide Politik zu Lasten Dritter. Im Hinblick auf eine klare Konzeption für die Folgekosten haben Sie auch versagt.
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Ich möchte im Blick auf die vorgeschrittene Zeit in bezug auf unsere Vorschläge folgendes sagen. Wir wünschen für die Zukunft dies: daß nun wirklich Ernst gemacht wird mit dem Einsatz der zusätzlichen Mineralölsteuermittel, die uns durch die Erhöhung im Jahre 1973 zur Verfügung stehen, für die Zwecke, mit denen die Erhöhung begründet wurde. Wir werden bei der Etatdebatte erneut fordern: zwei Pfennig zusätzlich für die Städte und Gemeinden. Dann kann die Koalition und kann auch die Bundesregierung hier Farbe bekennen, ob es ihr damit ernst ist. Wenn Sie das wieder ablehnen, beweisen Sie damit, daß Sie nur Versprechungen machen, aber ohne finanzielle Deckung.
Zweitens! Wir fordern einen Folgekostenbericht. Wer öffentlichen Personennahverkehr in großer Form verspricht und als Lösung vorschlägt, der muß sich in dieser Frage zu den Folgekosten ein Finanzkonzept machen. Wir verlangen, daß künftig mit der mittelfristigen Finanzplanung ein Folgekostenbericht vorgelegt wird, aus dem auch klar ersichtlich ist, wie die Finanzierung dieser großen Folgekosten geschieht. Das ist eine Sache, die nicht nach Ländern und Gemeinden abgeschoben werden darf, sondern wo der Bund mit zuständig ist, wenn er diese Sache in großer Weise anspricht.
Ich komme zum Schluß. Wir sind bereit, bei dieser großen Gemeinschaftsaufgabe „Öffentlicher Personennahverkehr" mitzumachen, aber nur unter der Devise, daß es realisierbare Planungen sind, nicht schwammige und wolkige große Versprechungen. Für uns ist Priorität finanzierte Priorität. Unter realen Gesichtspunkten, wenn unsere Vorschläge auch einmal von Ihnen unterstützt werden, sind wir bereit mitzumachen. Ansonsten müssen wir sagen: hier sind nur Versprechungen gemacht worden ohne realen Hintergrund.
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Danke schön, vor allem dafür, daß Sie sich an die Zeit gehalten haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Straßmeir.
Fiat] Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesverkehrsminister hat heute mehrmals davon gesprochen, daß Verkchrspolitik für ihn nicht nur ein technisches Problem sei, sondern auch ein gesellschaftspolitisches. Ich habe selten einen weniger sachlichen Zusammenhang vernommen als diesen. Das eigentliche Spannungsfeld ist doch die Frage, ob es Wirtschaftspolitik allein oder auch Gesellschaftspolitik ist, und dazu, Herr Bundesminister, haben Sie sich in der Öffentlichkeit eigentlich doch recht anders geäußert.
Für die CDU/CSU-Fraktion ist Verkehrspolitik ebenso Wirtschafts- wie Gesellschaftspolitik. Bei Ihnen ist doch der Eindruck zwingend, daß für Sie in der Zukunft die Gesellschaftspolitik mit der Verkehrspolitik deckungsgleich sein soll. Wie anders ist es denn möglich, daß Sie Ihren Amtsvorgängern vorwerfen, sie hätten bei ihrer Politik der Nachfrageentwicklung zu weitgehend Raum gelassen. Ich frage Sie: was ist Nachfrage denn eigentlich anderes als der sichtbare Ausdruck für die Lebensqualität des von Ihnen so oft zitierten mündigen Bürgers?
({0})
Da wir gerade bei der Lebensqualität sind: Sie beklagen auch, daß der Individualverkehr ein teures System sei; darauf komme ich gleich noch. Aber Sie sagen auch, und zwar in dem Bundesverkehrswegeplan, daß neben dem qualitativen Unterschied zwischen dem Individualverkehr und Massenverkehr eben der Pkw-Halter auch die Kosten vernachlässige. Ich glaube, auch das ist wieder ein Indikator für Lebensqualität. Aber Sie hätten sich viel mehr an Ihre Ministerkollegen halten sollen, Herr Minister. Die haben sich nämlich ganz wunderbare Limousinen genehmigt --- mit allen Extras als Ausdruck ihrer Lebensqualität. Der Herr Minister Ehmke hat mit Standheizung und Telefon seine Lebensqualität auf 37 000 Mark gesteigert.
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Aber vielleicht ist das am Ende immer noch preiswerter als ein Salonwagen nach Stuttgart.
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Teuer, vielleicht. Aber Sie haben dem auch nicht cien gesamtwirtschaftlichen Nutzen gegenübergestellt. Das ist ausschlaggebend für die Beurteilung eines Verkehrssystems.
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Ich frage Sie: wo ist Ihre Kostenrechnung für einen öffentlichen Personennahverkehr, der eine echte Alternative zum Individualverkehr ist, der von der öffentlichen Hand betrieben, schneller, sicherer und bequemer ist und nicht den Stau zu den Verkehrsspitzenzeiten durch endlose Wartezeiten oder durch böse Zusammenpferchungen ersetzt? Genau genommen ist der öffentliche Personennahverkehr eben auch nur eine Notwendigkeit in den Ballungszentren, nicht mehr und nicht weniger. Ich kann Ihnen sagen: es ist einfach unredlich, wenn Sie den ÖPNV als Steigerung der Lebensqualität den Bürgern im Lande anpreisen wollen. Ich frage Sie: was tun Sie dafür? Es ist Ihnen überzeugend nachgewiesen worden, daß Sie eben nichts für den öffentlichen Personennahverkehr tun. Ganze 200 Millionen DM zusätzlich fließen dorthin, obwohl Sie Milliarden an Mehreinnahmen haben.
Kurzum, Ihre Gesellschaftspolitik im Verkehrsbereich bedeutet in der Praxis Subventionen statt zukunftsorientierter Investitionen und in der Theorie die bewußte Veränderung der Verkehrsstrukturen zugunsten gemeinwirtschaftlicher Grundsätze. Wir werden uns dagegen wehren, daß Sie unter dem Deckmantel einer sogenannten kollektiven Lebensqualität einen Langzeithebel gegen das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft ansetzen,
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und wir werden uns dagegen wehren, daß Sie unter dem Vorwand, hier etwas Gutes zu tun, im Grunde genommen kollektive Lebensqualität predigen, an deren Ende die Individualität auf der Strecke bleibt.
({5})
Herr Bundesminister, Sie haben heute mehrmals gesprochen, Sie haben Ihre Ergebnisse dargelegt. Mir ist abgenommen worden, Ihre Leistungen in der
Verkehrspolitik zu würdigen. Das können Sie heute in der Zeitschrift „Stern" nachlesen. Da steht es geschrieben: „Note 5".
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Oetting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Straßmeier, ich möchte mich zunächst Ihnen zuwenden. Ich glaube, es ist der späten Stunde zuzuschreiben, daß Sie so gesprochen haben, wie Sie hier geredet haben.
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Sie wissen ganz genau, daß wir Sozialdemokraten und daß der Verkehrsminister die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs nie als eine Alternative zum Individualverkehr angesehen oder dargestellt haben. Dies wäre hirnverbrannter Unsinn. Dies tun wir nicht, und deswegen ist es unredlich, wenn Sie versuchen, dies hier so darzustellen.
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Aber angesichts der späten Stunde sei es Ihnen gestattet.
Sie wissen genausogut wie wir, daß man mit dem Individualverkehr angesichts der Anforderungen, die er insbesondere in den Ballungszentren an unsere Städte stellt, die Verkehrsprobleme in diesen Städten à la longue nicht mehr lösen kann. Deswegen brauchen wir für die zuwachsenden Verkehre die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs. Das ist unser Konzept. Wenn Sie sagen, unsere Gesellschaftspolitik sei deckungsgleich mit der Verkehrspolitik
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gut, okay, unsere Verkehrspolitik sei neuerdings deckungsgleich mit der Gesellschaftspolitik -, dann dürfen Sie in die sozialdemokratische Richtung des Hauses keine Jungsozialisten mehr kritisieren, die nach meinem Dafürhalten in der Tat Gesellschaftspolitik machen; die machen nicht nur Verkehrspolitik, Herr Straßmeir, sondern eine weit darüber hinausgehende Politik. Ihre Aussage ist also in dem Moment widerlegt, wo Sie in diese Richtung des Hauses die Politik der Jungsozialisten und anderer in der SPD kritisieren.
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Meine Damen und Herren, ich will mich jetzt noch in zwei Sätzen den Ausführungen des Kollegen Waffenschmidt widmen. Die Länder legen sich doch schon bei der Finanzierung der gemeinschaftschaftlichen Lasten im Schülerverkehr quer; da geht es doch schon los. Nun stellen Sie das doch einmal dar, wenn Sie hier in die „Butt" gehen und in diesem Hohen Hause dazu sprechen. Tun Sie das doch einmal! Sagen Sie doch ganz klar, daß es dort und in diesem Monet auch im Deutschen Bundesrat schon losgeht! Wenn Sie das tun, dann fällt Ihre ganze Argumentation in sich zusammen. Sie wissen genau,
daß die Bundesregierung Mittel in der Hand hält, um den öffentlichen Personennahverkehr dort zu beeinflussen, wo er in erster Linie von Bundesbahn und Bundespost getragen wird. Finanzielle Einwirkungsmöglichkeiten in anderen Bereichen hat die Bundesregierung nicht. Diese muß sie sich erkämpfen, dafür muß sie das Placet von den Ländern kriegen, und darum kämpfen wir. Tun Sie uns den Gefallen, unterstützen Sie diese politische Arbeit, und sprechen Sie mit Ihren politischen Freunden in den Ländern, damit das klargeht!
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Aber, meine Damen und Herren, ich bin hier eigentlich angetreten, um von seiten der SPD-Fraktion einige Worte zum Thema Verkehrssicherheit zu sagen. Herr Vehar wird ja heute noch Gelegenheit haben, dazu zu später Stunde etwas beizutragen.
Ich will hier nur mal Herrn Schulte apostrophieren. Er hat gesagt, es sei eine allgemeine Verschärfung der verkehrspolitischen Lage eingetreten, insbesondere auch im Bereich der Verkehrssicherheit; so mußte man jedenfalls schließen, wenn man seiner Rede zuhörte. Wissen Sie denn nicht und freuen Sie sich denn nicht mit uns, daß in diesem Land in den ersten neun Monaten des Jahres 1973 4,2 % weniger Personenschäden zu verzeichnen waren, unabhängig von Ölkrise und Sonntagsfahrverbot? Es gab 5,3 % weniger Verletzte, 9,2% weniger Getötete. Das müssen Sie doch einfach einmal akzeptieren. Das ist der Bundesregierung bzw. diesem
Verkehrsminister nicht ins Schuldkonto, sondern ins Habenkonto zu schreiben. Das müssen Sie einfach akzeptieren.
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Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 18. Januar gesagt: Die Verkehrssicherheit verlangt unsere besondere Aufmerksamkeit. Die Verkehrssicherheit hat die besondere Aufmerksamkeit dieser Bundesregierung so sehr gefunden, daß wir ganz nachhaltige Erfolge vorzuweisen haben. Ich bedaure, daß ich das hier zu so später Stunde und vor so schlecht besetztem Hause sagen muß.
Wir dürfen nicht in dieser Situation verharren, sondern müssen fortschreiten. Wir müssen analysieren, woher denn diese Erfolge gekommen sind. Auf dem Straßennetz außerorts hat die Zahl der Getöteten um 13,3% abgenommen. Das gilt für Bundesstraßen. Bei Kreisstraßen betrug die Abnahme sogar 14,8% Die Zahl der außerorts getöteten Pkw-Insassen ist um 9,5% zurückgegangen und die der innerorts und außerorts getöteten Fußgänger um 10,9%. Das heißt, gegenüber den entsprechenden Vorjahreszeiträumen leben noch 401 Pkw-Insassen und 309 Fußgänger mehr. Auch Sie sollten das begrüßen.
Der Rückgang ist zum Teil sicher auf „Tempo 100" zurückzuführen. Ich will hier nicht in leichtfertiger Art der wissenschaftlichen Begleitung dieses Experiments vorgreifen. Mit Sicherheit ist es auch nicht allein darauf zurückzuführen. Der Rückgang ist auf die insgesamt entspannte Haltung im
ganzen Verkehrsbereich, die mit der Politik dieser Bundesregierung zusammenhängt, und auch auf die Kritik am Individualverkehr zurückzuführen. Sie sollten dieses Ergebnis wie ich begrüßen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls sind dem Bundeskanzler, der diese Politik in seiner Regierungserklärung eingeleitet hat, und dem Verkehrsminister, der sie durchgeführt hat, dankbar.
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- Vielleicht! Warten Sie ab!
Wie es auch sei, im Moment stehen wir vor einer anderen Situation. Es ist notwendig, in dieser Verkehrsdebatte auch von unserer Fraktion dazu einiges zu sagen. Angesichts der von mir genannten Rückgänge bei den Verletzten und Getöteten im Individualverkehr können wir am heutigen Tage nicht darüber diskutieren, ohne die Energiekrise und die daraus zu ziehenden Konsequenzen anzurühren.
Ich gehöre nicht zu denen, die schon immer für die Geschwindigkeitsbeschränkung waren. Ich bin sogar in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit dagegen aufgetreten. Ich habe gegen jede Geschwindigkeitsbeschränkung auf den bundesrepublikanischen Autobahnen polemisiert.
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- Ich habe gegen Geschwindigkeitsbeschränkung polemisiert. Ich gebe das zu, Herr Ollesch!
Wenn sich nun in der Entwicklung, die mit der Ölkrise eingeleitet ist, zeigen sollte, daß die geringeren Zahlen an Toten und Verletzten in diesem Lande tatsächlich auf die Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen und Landstraßen zurückzuführen sind es geht hier nur um die Geschwindigkeitsbeschränkung, die Einflüsse aus dem Sonntagsfahrverbot müssen wir also auf jeden Fall eliminieren -, dann muß das für uns Konsequenzen haben. Ich sage nun nicht, daß dies als Konsequenz haben muß, von Tempo 100 auf 120 zu gehen. Ich halte jedes Operieren mit Zahlen in der gegenwärtigen Phase für ganz unzulässig. Aber die Bundesregierung muß und das ist unser Wunsch, Herr Minister - spätestens im April - vielleicht können wir aus energetischen Gründen die Geschwindigkeitsbeschränkung früher auslaufen lassen - die Daten zur Hand haben. Ich meine, sie sollte heute schon die Fachleute kennen, die dann in einem Konklave zur Wahl einer Übergangsgeschwindigkeitsbeschränkung gewissermaßen mit diesen Daten eingeschlossen werden müssen, bis sie eine solche Übergangsgeschwindigkeitsbeschränkung erfunden. haben.
„Übergangsgeschwindigkeitsbeschränkung" sage ich, weil wir ja nicht ohne Grund ein Dreijahresprogramm für Tempo 100 initiiert haben, ein Dreijahresprogramm mit wissenschaftlicher Begleitung. Wir können, Herr Kollege Lemmrich, jetzt nicht einfach mit einem Handstreich aus einer kurzfristigen Erfahrung eine langfristige Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen machen. Das ist meine Meinung. Aber wir können auch nicht leichtfertig, wenn
sich Indizien dafür zeigen, daß hiermit Todesfälle und Verletzungen eingespart werden können, davon wieder herunter. Wir müssen hier eine Übergangslösung finden, die uns gestattet, in korrekter Weise, wissenschaftlich fundiert, nach breiter öffentlicher Diskussion eine Dauerlösung einzuführen, wenn sich aus den Experimenten - und wir müssen auch hier ein Experiment wagen ergeben sollte, daß eine Geschwindigkeitsbeschränkung im Sinne der Menschen nützlich ist. Der Mensch hat Vorfahrt.
Ich möchte hier Herrn Schulte anführen, der gefragt hat: Warum steht das nicht in dem Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung? Es steht ganz einfach deswegen nicht im Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung, weil doch bis zum heutigen Zeitpunkt niemand ernsthaft geglaubt hat, zu hoffen gewagt hat, daß eine Geschwindigkeitsbeschränkung bei den vergleichsweise geringen Zahlen von Toten und Verletzten auf Autobahnen, einen wesentlichen Effekt haben würde. Wenn sich dies aber nun angesichts der Energiekrise zeigen sollte, müssen wir daraus Konsequenzen ziehen, und wir sollten im Verkehrsausschuß in allen Details darüber diskutieren, wie das richtig und vernünftig zu machen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ganz kurz zu einem anderen Punkt kommen. Ich werde mich streng bemühen, meine Zeit einzuhalten. Unter den Vorbemerkungen zur Ausgangslage und 7u den Grundsätzen des Verkehrssicherheitsprogramms der Bundesregierung spielt der Gedanke von Aufwand und Wirksamkeit von Verkehrssicherheitsmaßnahmen eine besondere Rolle; das ist hier heute überhaupt noch nicht genannt worden. Ich möchte dies hier unterstreichen. Ich warne eindringlich davor, daß man glaubt, diese Rechnung könne man aufmachen, indem man Menschenleben, Menschengesundheit etwa gegen materiellen Aufwand stellt. Es gibt aber Alternativen. Als berechtigtste Frage erscheint mir, bei welcher von zwei Maßnahmen, die wir im Verkehrssicherheitsbereich mit dem gleichen Aufwand einführen, der höchste Effekt für Leib und Leben der betroffenen Verkehrsteilnehmer erzielt werden kann. Ich meine, daß diese Frage uns notwendigerweise ganz schnell zum Sicherheitsgurt lenkt, weil der Sicherheitsgurt und der Anlegezwang, zu dem sich die Bundesregierung nun Gott sei Dank endlich durchgerungen hat, sicherlich die effektivste Maßnahme ist, Menschenleben und Menschengesundheit im Verkehr zu schützen. Sie kennen möglicherweise die Ergebnisse aus dem australischen Staat Victoria. Dort ist dieser Anlegezwang zuerst eingeführt worden. Bei denen, die den Gurt angelegt hatten, ist die Zahl der getöteten Pkw-Insassen um über 50 % zurückgegangen. Keine andere Maßnahme, keine Geschwindigkeitsbeschränkung kann dergleichen bewirken wie dieser Anlegezwang beim Sicherheitsgurt. Ich möchte den Bundesverkehrsminister bitten, damit nicht bis zum Juni oder Juli 1976 zu warten, sondern dies früher einzuführen, so früh wie irgend möglich; um so mehr Menschenleben können wir in diesem Lande bewahren.
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-Wenn das keine politisch strittige Frage ist, bin ich Ihnen sehr dankbar, daß Sie das hier deutlich gemacht haben. Ich appelliere hier an den Verkehrsminister, das noch früher einzuführen. Ich kann mich erinnern, daß sich irgend jemand - ich glaube, Herr Schulte - sehr kritisch damit auseinandergesetzt hat.
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- Nein? Hat sich denn nicht jemand hier sehr kritisch damit auseinandergesetzt? Ich kann jetzt leider keinen Namen sagen. Aber wir können das im Protokoll feststellen. Ich habe es in der Tat für eine strittige Frage gehalten.
Ich möchte unterstreichen, was Herr Hoffie hier gesagt hat. Man sollte sich überlegen, ob man nicht verbieten kann, daß Kinder in Automobilen vorn befördert werden. Das möchte ich unterstreichen, Herr Minister. Es gibt nämlich nur eine Bedingung. Im Verkehrssicherheitsprogramm stehen zwar drei Bedingungen, unter denen eine Beförderung von Kindern auf Vordersitzen zulässig sein soll. In Wirklichkeit ist das aber nur eine, nämlich die: wenn hinten nicht genug Plätze zur Verfügung stehen. Dann soll man das doch in Gottes Namen ausnehmen, aber zumindest vorschreiben, daß die Kinder, die vorn sitzen, angeschnallt sind. Immer, wenn ich ein Auto an mir vorbeihuschen sehe, in dem ein Kind traumverloren an der Windschutzscheibe spielt, fährt mir der Schreck in die Glieder; ich kann es nicht anders sagen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur noch ein Wort sagen. Die CDU hat in der öffentlichen Diskussion die Meinung vertreten, wir brauchten einen Bundesbeauftragten für Verkehrssicherheit. Gibt es denn personalpolitische Probleme bei Ihnen? Wenn das der Fall ist, sagen Sie uns das. Der Herr Müller-Hermann wird Ihnen verkehrspolitisch wohl ein bißchen unbequem? Wenn das so ist, müssen Sie da mal Laut geben darüber kann man vielleicht reden, ob man so einen Mann unterbringen kann -, aber Sie müssen nicht gleich so eine Institution verlangen. Ich bin dafür, daß wir das Geld vernünftig ansetzen, daß wir insbesondere die Bundesanstalt für Straßenwesen damit unterstützen. Wenn ich höre, daß die Unfallforschung dort in Vorbereitung, Durchführung eigener Forschungsprojekte und Koordination von 15 Hanseln gemacht wird, kann ich nur sagen: Da muß Geld hin, da müssen Personalstellen bewilligt werden, damit die Daten herankommen, auf denen wir hier unsere Verkehrspolitik aufbauen können. Bitte unterstützen Sie dies gegenüber den Kollegen im Haushaltsausschuß!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vehar. Er hat um fünf Minuten gebeten.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte ohne jegliche ausschmückende Floskel mit meinem kurzen Diskussionsbeitrag zum Thema Verkehrssicherheit die Auffassung der CDU vortragen. Nur einen Satz
möchte ich mir vorweg gestatten. ich mochte Ihnen, Frau Präsidentin, dafür danken, daß Sie großzügigerweise bereit sind, sich nicht an die strengen Regeln des Hauses zu halten und auch die Zeit 21 Uhr um einige Minuten zu überschreiten.
Ich bin mit dem Verkehrssicherheitsrat der Überzeugung, daß Sicherheit nicht von oben angeordnet werden kann. Sie kann vielmehr nur das Ergebnis einer ganzen Reihe von Maßnahmen sein. Dazu gehören ausreichende und verkehrssichere Straßen von der Dorfstraße bis zur Autobahn. Dazu gehören Autos, deren Ausstattung und Bauweise dem Fahrer und seinem Beifahrer ein Höchstmaß an Sicherheit bieten. Dazu gehört schließlich - das ist entscheidend - das Verhalten der Verkehrsteilnehmer selbst. Aus diesem Grunde messen wir auch den seit Jahren zielstrebig und mit wachsendem Erfolg betriebenen positiven Aktionen zur Aufklärung der Verkehrsteilnehmer sowie der möglichst frühzeitig beginnenden Verkehrserziehung von Kindern und der heranwachsenden Jugend besondere Bedeutung bei.
Wirklich bahnbrechende Erfolge aber werden davon abhängen, inwieweit all diese Anstrengungen Hand in Hand gehen mit unablässigen Bemühungen des Staates auf allen Gebieten, für die er zuständig ist: Straßenbau und Straßenführung, notwendige, sinnvolle Ordnungsmaßnahmen, Gesetze, Gebote und Verbote, die der Autofahrer versteht und akzeptiert. Mit einem Wort, der Verkehrsteilnehmer muß von der Glaubwürdigkeit der Maßnahmen des Staates überzeugt sein. Er muß davon überzeugt sein, daß der Staat ihm verkehrsgerechtes Verhalten nicht erschweren, sondern erleichtern will. Wenn ich von Staat spreche, denke ich natürlich an Bund, Länder, Gemeinden.
Lassen Sie mich das in einer kritischen Würdigung des vorliegenden Programms der Bundesregierung an einigen Beispielen darlegen. Der Herr Kollege Schulte hat zu dem aktuellsten Problem, nämlich der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen und Autobahnen, ein Problem, das 20 Millionen Autofahrer brennend interessiert, bereits das Wichtigste gesagt, wie sich unsere Fraktion zu den widersprechenden, sich von Woche zu Woche ändernden Aussagen des Herrn Bundesverkehrsministers stellt.
Lassen Sie mich dem nur folgendes hinzufügen. Die vergangenen Wochen haben eines bewiesen. Der deutsche Autofahrer ist in seiner überwiegenden Mehrheit viel besser als sein Ruf. Die aus der Notlage in der Rohölversorgung resultierenden einschränkenden Maßnahmen hat er aus eigener Einsicht akzeptiert und respektiert, in einem Maße respektiert, wie es für viele sicherlich eine Überraschung war. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie sehr das Verhalten des Kraftfahrers, das doch so wichtig ist, von seiner Überzeugung abhängt, daß die ihm auferlegten Gebote und Verbote berechtigt und sinnvoll sind.
Zu dem Thema Geschwindigkeitsbegrenzung möchte ich meinerseits nur zwei Bemerkungen anführen. Für die CDU/CSU-Fraktion möchte ich erklären: Wir haben dem Beschluß der Bundesregierung zugestimmt, die Geschwindigkeiten aus Gründen der Treibstoffersparnis für ein halbes Jahr drastisch zu reduzieren. Was danach kommt, ist eine andere Sache. Dazu wird unsere Fraktion rechtzeitig eine Stellungnahme erarbeiten. Hier und heute möchte ich dazu nur eines sagen. 100 Stundenkilometer für die deutschen Autobahnen als Dauerregelung, dazu bekommen Sie unsere Zustimmung nicht.
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Ich möchte dem ein persönliches Wort hinzufügen. Ich spreche nicht vom grünen Tisch, sondern als ein Mann der Praxis, der mehr als 35 Jahre eigene Fahrpraxis und mehr als 20jährige praktische Tätigkeit auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit nachzuweisen hat. Ich könnte eine solche generelle Vorschrift, 100 Studenkilometer als Dauerlösung auf den Autobahnen, nicht als eine Maßnahme zur Hebung der Verkehrssicherheit ansehen. Ich meine, Herr Bundesverkehrsminister, das könnten auch Sie nicht tun, nachdem Sie in dem Bericht, den Sie vorlegen, Lobeshymnen auf den Versuch mit 100 Stundenkilometern auf Land- und Bundesstraßen mit Gegenverkehr angestimmt haben. Man kann doch nicht sagen, daß die Regelungen für die Land- und Bundesstraßen die gleichen sein können wie auf unseren Autobahnen. Wo aber die Glaubwürdigkeit einer staatlichen Maßnahme in Zweifel gezogen werden muß, wäre der Erfolg - das sage ich Ihnen schon jetzt - von vornherein in Frage gestellt.
Sie sagen, Herr Minister, daß nach den polizeilichen Feststellungen am Unfallort von zehn Unfällen neun auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmer zurückzuführen seien. Sie wissen selbst müßten es jedenfalls wissen -, daß das nur die halbe Wahrheit ist; denn bei näherer Prüfung - dazu geben Hunderte von Gerichtsverhandlungen immer wieder den Hinweis - kommt man bei objektiver Beurteilung zu der Überzeugung, daß daneben auch staatliches Versagen wesentlich zu diesen Unfällen beigetragen hat.
Lassen Sie mich das an zwei Beispielen erläutern. Das erste Beispiel betrifft die Bestimmung in der Straßenverkehrsordnung über das Verhalten des Fahrers an Fußgängerüberwegen. Nach der am Parlament und am Verkehrsausschuß glatt vorbeigegangenen Regelung des neuen Punktsystems - bei neun Punkten schriftliche Verwarnung, bei achtzehn Punkten unter Umständen Verlust des Führerscheins auf Lebenszeit - wird in Zukunft u. a. neben Bußgeld mit einer Eintragung von vier Punkten in der Verkehrssünderkartei bedacht: verbotenes Überholen oder Vorbeifahren an Fußgängerüberwegen unter Gefährdung von Fußgängern.
Diese geltende Bestimmung der Straßenverkehrsordnung ist nicht geeignet, Fehlverhalten von Autofahrern auszuschließen. Wenn der Staat bereit wäre, diese Straßenverkehrsordnungsbestimmung zu ändern in eine klare Aussage, daß an Fußgängerüberwegen ganz einfach grundsätzlich nicht überholt und nicht vorbeigefahren werden darf, ließen sich die Unfallzahlen an diesen Stellen wesentlich reduzieren.
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Das zweite Beispiel betrifft das Überholen bei Unübersichtlichkeit oder bei unklarer Verkehrslage. Auch hier drohen dem Fahrer nach den neuen Bestimmungen in Zukunft drei oder vier Punkte in der Verkehrssünderkartei. Würde der Staat für eine bessere Markierung auf der Straße sorgen, könnten auch in diesem Fall wesentlich mehr Unfälle verhindert werden. Der verschärften Androhung von Strafmaßnahmen bis hin zum Entzug des Führerscheins bedürfte es in diesem Falle nicht. Jeder, der viel im Ausland fährt, kann bestätigen, daß dort Überholverbote grundsätzlich nicht nur durch ein Schild am Straßenrand angezeigt werden, sondern auch durch eine durchgehende Trennungslinie in der gesamten Zone des Überholverbots praktisch auf die Straße geschrieben sind,
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eine Möglichkeit, von der bei uns in Deutschland viel zuwenig Gebrauch gemacht wird.
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Ein Wort zu den Sicherheitsgurten. Gestatten Sie mir ein Wort zu den Ausführungen der Regierung hinsichtlich der Ausrüstung der Pkw mit Gurten und der Absicht der Regierung, den Anlegungszwang gesetzlich zu verankern. Ich habe den Eindruck, hier möchte man den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Jahrelang hat die Opposition die Regierung gebeten und durch Anfragen geradezu herausgefordert, die Ausrüstung von fabrikneuen Pkw mit Gurten für die Vordersitze vorzuschreiben. Ich habe hier Unterlagen, Herr Minister, bis in die Zeit von vor vier Jahren. Ständig hat die Regierung die Regelung hinausgeschoben, obwohl auch sie wußte, daß durch das Anlegen von Sicherheitsgurten Menschenleben geschützt und Verletzungen wesentlich gemildert werden können. Nachdem nun endlich zum 1. Januar 1974 die Ausrüstung von Pkw mit Gurten vorgeschrieben ist, möchten Sie, Herr Minister, auch sofort einen gesetzlichen Anlegungszwang. Vorhin haben Sie vom 1. 7. 1976 gesprochen. Ich betrachte dies als einen Versuch, ausgerechnet die Kraftfahrer zu bevormunden, die längst vor Ihrer Erleuchtung so vernünftig und so verantwortungsvoll waren, ihre Fahrzeuge ohne gesetzlichen Zwang mit Gurten ausrüsten zu lassen.
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Verehrter Herr Kollege, ich muß Sie dennoch bitten, zum Ende zu kommen. Die Redezeit ist schon abgelaufen, und wir haben schon zehn Minuten nach neun.
Das beruht auf einem Mißverständnis, Frau Präsidentin. Ich werde mich bemühen, in zwei Sätzen Schluß zu machen.
Ich wollte gern noch etwas zum Thema Kinder auf Vordersitzen sagen. Ich kann das ganz kurz tun, indem ich mich dem anschließe, was die Kollegen Oetting und Hoffie gesagt haben. Ich bin der Überzeugung, wir werden hier eine Lösung finden.
Ich hätte auch gerne noch etwas gesagt zu dem wichtigen Thema Verkehrsaufklärung und Verkehrserziehung. Aber ich glaube, ich muß mich wohl der Ordnung fügen. Ich werde mir erlauben, meine Damen und Herren, diese Ausführungen bei den Beratungen im Verkehrsausschuß zu machen, wo ich für die CDU/CSU-Fraktion schon jetzt zusagen kann, daß wir unser Bestes tun werden, mit unserem Beitrag zu den Beratungen dazu beizutragen, daß die Zahl der Toten und der Verletzten auf unseren Straßen wesentlich reduziert werden kann.
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Ich danke Ihnen, Herr Kollege.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreyer. Auch hier sind fünf Minuten beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, daß ein Kapitel, das auch eine bedeutende Rolle in der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion gespielt hat, hier noch kurz behandelt und angesprochen werden sollte. Seit Jahren unterhält man sich in diesem Hause über die Notwendigkeit der Verwirklichung einer gemeinsamen Verkehrspolitik in der Europäischen Gemeinschaft. Durch die Vergrößerung der Gemeinschaft durch die neuen Mitgliedsländer sowie durch Fortschritte, die auf anderen Gebieten erreicht werden konnten, wird dieses Problem immer dringlicher. Aber wir müssen heute feststellen, daß wir in der Verkehrspolitik den größten Rückstand im Vergleich zu anderen Bereichen haben.
Das uns vor einigen Tagen vorgelegte Dokument der Mitteilung der Kommission an den Rat über die Weiterentwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik ist ein eindeutiger Beweis für die bisher erfolglosen Bemühungen um einen Fortschritt in dieser Richtung. Praktisch hat nach dem Kommissionsbericht die gemeinsame Verkehrspolitik in den letzten Jahren stillgestanden. Nur partielle und begrenzte Maßnahmen, die aus einer Gesamtkonzeption wahllos herausgelöst waren, wurden ergriffen. Die zwischen den Mitgliedern bestehenden Interessen- und Meinungsverschiedenheiten sind groß und die Gefahr einer Abkapselung der verkehrswirtschaftlichen Systeme ist heute größer als je zuvor, und dies, obwohl 15 Jahre hindurch der Versuch unternommen wurde, eine gemeinsame Verkehrspolitik zu verwirklichen. Auf diese Weise werden die weiteren Bemühungen um eine Integration Europas gefährdet, werden Wirtschaftswachstum und Lebensqualität der Bevölkerung beeinträchtigt.
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Die Bundesregierung trägt zur Zeit nichts dazu bei, diese gefährliche Entwicklung aufzuhalten. Von ihr gehen zur Zeit keine Impulse und keine Initiativen aus, um aus diesem fatalen Stillstand herauszukommen. Wie auch auf anderen Gebieten der Europapolitik ist in diesem Falle die Bundesregierung matt und kraftlos, so darf man feststellen.
Es genügt, um auf die Situation hinzuweisen, hier den grenzüberschreitenden Straßenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten darzustellen. Die gemeinsame Verkehrspolitik sah vor, daß es zwischen den einzelnen Binnenverkehrsträgern zu einer Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen insbesondere auf fiskalischem und sozialem Gebiet kommen sollte. Auf diesem Wege wollte man die Voraussetzungen für eine spätere gewisse Liberalisierung auf dem Verkehrsmarkt schaffen.
Zwar sind eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht worden - wir haben sie hier und zum Teil auch im Ausschuß erörtert -, bis zum heutigen Tage ist aber ,die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen noch keineswegs verwirklicht, ja, durch Alleingänge vor allem auch unserer deutschen Bundesregierung haben sich die Wettbewerbsbedingungen sogar zum Teil noch mehr verzerrt.
Wir haben von der CDU/CSU-Fraktion durch eine Kleine Anfrage über die Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr versucht, auf diese Dinge hinzuweisen und die Bundesregierung zu aktiven Maßnahmen zu veranlassen. Die Reaktion ist allerdings sehr enttäuschend. In der Antwort wird zum Teil bagatellisiert, verniedlicht und auch beschönigt. So wird z. B. geantwortet, daß die Bundesregierung bereit sei, durch eine Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer für Lkw im Rahmen einer Kraftahrzeugsteuerreform die extreme deutsche Position in der Gemeinschaft abzubauen und dem europäischen Durchschnitt anzugleichen.
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Tatsache ist aber, daß die Erleichterung für Sattelauflieger nur einen für die Herbeiführung der Wettbewerbsneutralität geringfügigen Faktor darstellt, der praktisch keinen Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Transportunternehmen innerhalb der EG besitzt.
Der deutsche Alleingang in der Frage der Mindestmotorleistung wird mit Sicherheitsargumenten begründet, obwohl es objektiv in der Verkehrssicherheit keinen Unterschied zwischen Fahrzeugen mit 7 und solchen mit 8 PS Motorleistung pro Tonne gibt
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und eine europäische Gemeinschaftslösung ohnehin höchstens 7 PS pro Tonne vorschreiben wird.
Schließlich möchte ich noch auf die Rückerstattung im Ausland gezahlter Mehrwertsteuer verweisen. Hier sagt die Bundesregierung, daß grundsätzlich die Rückerstattung möglich sei, obwohl in Italien und Luxemburg ausdrücklich Gesetze einem ausländischen Unternehmer die Vorsteuerrückvergütung verweigern.
Es werden so lange keine Fortschritte bei der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen zu verzeichnen sein, wie die Bundesregierung auf ihren extremen Positionen beharrt und erwartet, daß sich die Gemeinschaft den Vorschriften und Gesetzen der Bundesrepublik anpaßt.
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Vielmehr muß die Bundesregierung von sich aus geeignete Schritte unternehmen, um eine Gemeinschaftslösung zu ermöglichen.
Das größte Hindernis für angeglichene Wettbewerbsbedingungen sind die hohen deutschen Kraftfahrzeugsteuern. Sie sind für Lastkraftwagen die höchsten in der Welt, sie sind drei- bis vier- oder fünfmal so hoch wie die in unseren wichtigen Nachbarländern. Eine Verringerung dieser hohen Kraftfahrzeugsteuer wäre der wichtigste und wirksamste Schritt zur Angleichung dr europäischen Wettbewerbsbedingungen.
Völlig unzureichend ist der Integrationsstand bei den Maßen, Gewichten und kraftfahrzeugtechnischen Vorschriten. Auch hier behindern extreme deutsche Positionen eine vernünftige Gemeinschaftslösung. Gleichzeitig wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Transportunternehmen beeinträchtigt mit dem Ergebnis, daß deren Marktanteil von Jahr zu Jahr sinkt und heute noch bei rund 34 0/o im grenzüberschreitenden Straßenverkehr liegt.
Unterschiedliche Durchführung und Kontrolle nominell gleicher Vorschriften führt auch zu Wettbewerbsverzerrungen und zur Disharmonisierung. Dies ist vor allem bei den Sozialvorschriften für den Güterverkehr der Fall. Die Zeit erlaubt es nicht, daß ich darauf näher eingehe. Aber nicht nur bei den einzelnen verkehrspolitischen Maßnahmen ist die Bundesregierung in die verkehrte Richtung gelaufen, sondern auch in Grundsatzfragen.
Somit läßt sich nur mit aller Deutlichkeit feststellen, daß die Bemühungen um eine gemeinsame Verkehrspolitik in der Bundesrepublik nicht erfolgreich waren und sich die gemeinsame Verkehrspolitik in einer Sackgasse befindet.
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Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewen. Er hat versprochen, sich ebenfalls an die kurze Redezeit zu halten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre ein schlechtes Zeichen für die Diskussion in diesem Deutschen Bundestag, wenn bei der Behandlung u. a. des Bundesverkehrswegeplanes die Seeschiffahrt nicht berücksichtigt würde. Ich meine, daß die Bundesregierung unter Unterstützung der SPD-Fraktion auf diesem Sektor zum Bundesverkehrswegeplan ja sagen kann, insbesondere soweit es um den Ausbau der Wasserstraßen für die Binnenschiffahrt und für die Seeverkehrswirtschaft geht.
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Eine Volkswirtschaft wie die unsrige, die in so hohem Maße auf den Export angewiesen ist, kann nicht umhin, dafür zu sorgen, daß die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dazu führen, daß auf Grundlage eines freien Unternehmertums eine leistungsfähige Binnen- und Seeschiffahrt getrieben werden kann.
Herr Kollege Lemmrich, Sie haben danach gefragt, wo die Mittel aus der Mineralölsteuer geblieben sind. Dazu darf ich auf folgendes hinweisen. Ich glaube, daß Sie, wenn Sie nicht nur den Titel für die Bundesbahn und den Titel für den Bundesfernstraßenbau im Bundesverkehrswegeplan durchgelesen hätten, sondern sich auch die Summen, die für die Wasserstraßen vorgesehen sind, angeschaut und das in Vergleich zum Haushaltsplanentwurf 1974 gesetzt hätten, dann gemerkt hätten, daß hier im investiven Bereich eine Zunahme von 27 % zu verzeichnen ist: 666 Millionen DM sollen verbaut werden von 10 Milliarden DM, die im Zeitraum von 1976 bis 1985 verbaut werden sollen. Hier wird deutlich, daß die Bundesregierung im „Kursbuch" das Ziel gesetzt hat und im Bundesverkehrswegeplan die Einzelkurse festgelegt hat, so daß wir jetzt dafür zu sorgen haben, daß die Vorhaben bei den jeweiligen Haushaltsvollzügen mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden; das ist hinsichtlich der Seeschiffahrtsstraßen geschehen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Vertiefung der Elbe. Hierfür sind in diesem Jahr zusätzlich 20 Millionen DM eingesetzt. Ich erinnere an die Vertiefung der Weser; hier sind ebenfalls zusätzlich 20 Millionen DM eingesetzt. Damit sind Programme angeleiert worden, die mit den Ländern abgesprochen waren: auf der Elbe für 350 Millionen DM, auf der Weser für 210 Millionen DM. Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch Ems und Jade, die noch weiter ausgebaut werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege, könnten Sie dem Hohen Haus vielleicht auch sagen, wieviel von den 666 Millionen auf den Elbe-Seitenkanal entfallen?
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Ich kann Ihnen die Globalzahlen sagen: Von den 666 Millionen DM entfallen 533 Millionen DM auf die Binnenschiffahrtstraßen; davon ein hoher Teil auf den Elbe-Seitenkanal, der 1976 in Verkehr genommen werden soll.
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Ich verstehe Ihr „eben, eben" nicht ganz. Ich gehe davon aus, daß es ein gutes Zeichen ist, wenn dieser Kanal dann in Verbindung mit dem Mittellandkanal, für den ebenfalls ein Schwerpunktprogramm angesetzt wird, voll dem Verkehr übergeben werden kann und Salzgitter an Hamburg angeschlossen werden kann.
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- Danke schön!
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß die Bedingungen für eine leistungsfähige Binnenschiffahrt im Kanalbauprogramm verbessert werden. Der Elbe-Seitenkanal ist bereits angesprochen. Der südliche Teil des Rhein-Main-Donau-Kanals, der DortmundEms-Kanal, Mittelland-Kanal und vor allen Dingen - für die Schiffahrt besonders bedeutungsvoll - die Vertiefung und Verbreiterung der Schiffahrtsrinne am Binger Loch sind für den Ausbau vorgesehen. Ich meine, daß hier Bedingungen gesetzt werden, daß auch in Zukunft die Binnenschiffahrt zum Verkehrsvolumen insgesamt beitragen kann; prognostiziert für 1985 sind 25 °/o. Hier wird es darauf ankommen, diese Zielzahlen auch zu erreichen.
Wegen der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, will ich auch auf weitere Einzelheiten nicht eingehen, sondern nur noch drei Dinge ansprechen. Wir wissen, daß es in der Seeschiffahrt schwierig war, mit dem Bardepot-Gesetz zu leben. Die Bundesregierung hat es aus konjunkturpolitischen Gründen aufheben können und damit den berechigten Wünschen der Seeschiffahrt Rechnung getragen. Wir haben im Werfthilfeprogramm - sowohl im Siebten wie auch im vorgesehenen Achten - Mittel bereitgestellt, die es ermöglichen, eine unter nationaler Flagge fungierende Tankerflotte aufzubauen. Hier sind die ersten Schritte 1972, ohne akute Ölkrise, eingeleitet worden. Hieran wird deutlich, daß diese Bundesregierung langfristig plant, zielbewußt ist und dafür sorgen wird, daß auch in Zukunft die Versorgung der deutschen Volkswirtschaft mit den notwendigen Rohstoffen ebenso sichergestellt wird wie die Möglichkeit, Exportgüter zu exportieren.
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Für die Verkehrspolitiker in diesem Bundeshaus wird es darauf ankommen - und das möchte ich auf Plattdeutsch sagen -, nach dem Grundsatz zu verfahren: Hol fast, wat du hest, un griep, wat du kriegen kannst.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die verbundene Debatte.
Die Überweisungsvorschläge liegen Ihnen vor. Zum Tagesordnungspunkt 4 b) wird die Überweisung an den Ausschuß für Verkehr - federführend - und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Zu Tagesordnungspunkt 4 c) wird die Überweisung an den Ausschuß für Verkehr vorgeschlagen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen.
Zu Tagesordnungspunkt 4 d) - das ist der CDU/ CSU-Antrag - wird ebenfalls Überweisung an den Ausschuß für Verkehr vorgeschlagen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. - Danke schön. - Keine Gegenstimmen; so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Absprache rufe ich noch Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Präsident Frau Renger
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung ds Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 7/1489
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({0})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Hier ist zwischen den Fraktionen ebenfalls vereinbart worden, daß keine Debatte erfolgt.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Ich bedanke mich.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 18. Januar 1974, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.