Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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In den Abendstunden des 12. November 1973 riß ein plötzlicher Tod unseren Kollegen Dr. Berthold Martin aus unseren Reihen. Er hatte erst am 23. Juni dieses Jahres sein 60. Lebensjahr vollendet. Wir haben einen Kollegen verloren, der in diesem Hause hoch angesehen war und von dem man wußte, daß er Politik machte, weil er sich verpflichtet fühlte, den Menschen zu helfen.
So hat er sich auch immer als Arzt gerade derjenigen angenommen, die seine Hilfe am meisten brauchten, der psychisch kranken Kinder. Er leitete als Arzt und Direktor ein in seiner Art einmaliges Heim für psychisch kranke Kinder vom Säuglingsalter bis zum 21. Lebensjahr. Als Mitinitiator der „Aktion Psychisch Kranke" hat er sich ganz besonders für die Verbesserung der Lage dieses Personenkreises eingesetzt.
Wir nehmen Abschied von einem Mann, der sich bald nach dem Kriege erst auf kommunaler Ebene, seit 1954 bis 1957 als Mitglied des Hessischen Landtages und von 1957 an als Mitglied des Deutschen Bundestages große Verdienste erworben hat. Der Herr Bundespräsident hat ihm das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Er war in der 5. Legislaturperiode Vorsitzender des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik, dann Arbeitskreisvorsitzender seiner Fraktion und zuletzt Vorsitzender der Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik. Durch ,seine Tätigkeit hat die Kulturpolitik der Bundesrepublik entscheidende Impulse erfahren. Vor wenigen Tagen hatte er noch mit einer Delegation Polen besucht und Gespräche geführt, die die Möglichkeiten der künftigen kulturellen Beziehungen zum Inhalt hatten.
Dr. Berthold Martin hat seinen Auftrag aus christlicher Verantwortung verstanden, und er war überzeugt, daß Humanität über jeden Ungeist siegen würde. Wir haben ihm zu danken.
Ich spreche den Angehörigen des Verstorbenen und der Fraktion der CDU/CSU das aufrichtige Beileid des ganzen Hauses aus.
Als Nachfolger für den verstorbenen. Abgeordneten Dr. Martin hat der Abgeordnete Hussing am 16. November 1973 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den uns bekannten Kollegen und wünsche ihm im Hause alles Gute.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden:
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder ({2}), Frau Dr. Walz, Weber ({3}) und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Rationalisierung Kosten- und Erfolgskontrolle im Bundesministerium für Forschung und Technologie
- Drucksache 7/865 Überweisungswunsch:
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post-und Fernmeldewesen
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder ({4}), Frau Dr. Walz, Weber ({5}) und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Förderung der „Technologischen Forschung und Entwicklung" im Bundesministerium für Forschung und Technologie
- Drucksache 7/890 Überweisungswunsch:
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post-und Fernmeldewesen
3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht
- Drucksache 7/118 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({6}) - Drucksache 7/1285 Berichterstatter: Abgeordneter Kunz ({7})
Abgeordneter Gnädinger
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4. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1972 über die Errichtung des Afrikanischen Entwicklungsfonds
- Drucksache 7/1177 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/1310 -
Berichterstatter: Abgeordneter Esters
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({10})
- Drucksache 7/1296 -Berichterstatter: Abgeordneter Kaffka
Abgeordneter Roser
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5. Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({12}) zu dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Drucksache 7/1294 Berichterstatter: Abgeordneter Höcherl
Präsident Frau Renger
Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist somit beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vermittlungsausschuß hat das vom Deutschen Bundestag in seiner 58. Sitzung am 19. Oktober 1973 beschlossene
Fünfte Gesetz über die Anpassung dèr Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes ({13})
bestätigt.
Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1295 verteilt.
Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 26. November 1973 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehende bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({14}) des Rates zur Änderung der Bedingungen betreffend Dienstbezüge und soziale Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
- Drucksache 7/495 Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat mit Schreiben vom 23. November 1973 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister der Verteidigung die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wehner, Metzger, Wienand, Schulte ({15}), Mischnick, Kleinert, Mertens ({16}) und Genossen betr. Behandlung von Kriegsgefangenen nach der Feuereinstellung im Nahost-Konflikt - Drucksache 7/1233 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1297 verteilt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Situation und Entwicklung der Energieversorgung sind das beherrschende Thema dieser Tage und Wochen: nicht nur bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus in nahezu allen Industriestaaten der Welt. Die Lage ist schwierig, und sie kann sich noch verschärfen. Wir sehen jedoch nicht tatenlos zu, sondern wir stellen uns den Schwierigkeiten und sind entschlossen, sie zu meistern, auch wenn wir wissen, daß die Probleme der Rohölverknappung von keinem Verbraucherland allein gelöst oder gar beseitigt werden können. Mehrere europäische Länder, darunter wir hier in der Bundesrepublik Deutschland, haben erste Sparmaßnahmen getroffen. Die Vereinigten Staaten bereiten solche vor, wie die Erklärung des Präsidenten der USA vor wenigen Tagen deutlich machte. Bei meinen Gesprächen mit Staatspräsident Pompidou Anfang dieser Woche in Paris haben uns die Energiefragen vorrangig beschäftigt. Mein dringlicher Appell an die Solidarität der Europäer ist nicht ohne ein positives Echo geblieben. Die Europäische Gemeinschaft wird - davon bin ich jetzt überzeugt - der Energieversorgung einen zentralen Platz in ihrer Politik zuweisen. Auch die bevorstehende Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Kopenhagen wird daran nicht vorbeigehen können.
Inzwischen haben wir die vielfältigen bilateralen Kontakte zwischen Erdölförder- und Erdölverbraucherländern ebenso aufmerksam verfolgt wie die
jüngste Konferenz arabischer Staaten in Algier. Für die deutsche Öffentlichkeit ist es klargeworden, wie stark wir zum einen von der Erdölversorgung abhängig sind und daß es zum anderen ganz überwiegend internationale Gesellschaften sind, die uns diesen Rohstoff vermitteln.
Mir erscheint es nicht verwunderlich, daß es nicht nur Sorgen und hier und da Empfindungen einer gewissen Ratlosigkeit gibt, sondern daß es auch an meist gutgemeinten Ratschlägen, Rezepten und zuweilen übertriebenen Prognosen nicht fehlt. Ich will auf solche Ratschläge, die häufig in dem Bereich angesiedelt sind, den man als Biertisch-Strategie bezeichnet, nicht näher eingehen. Lassen Sie mich nur darauf hinweisen, daß Nahostkonflikt und Energiekrise nicht einfach, wie häufig angenommen wird, dasselbe sind. Ich will meine Vermutung einmal so ausdrücken: Das eine, nämlich die Erdölkrise, wird noch länger dauern als das andere, nämlich der Nahostkonflikt. Ich kann und will natürlich niemanden daran hindern, die Debatte draußen auf die ihm richtig erscheinende Weise zu beleben. Aber ich meine, dies sei nicht die Zeit, in der uns -ismen weiterhelfen. Für uns in der Regierung und, wie ich meine, für uns alle hier im Bundestag muß es darum gehen, was heute und morgen und für die überschaubare Zukunft sinnvoll getan werden kann.
Zunächst möchte ich ein Wort des Dankes sagen: Wir haben das erste Sonntagsfahrverbot hinter uns. Wir haben mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen erste Erfahrungen sammeln können. Die Ergebnisse sind, so meine ich, durchaus erfreulich. Anpassungsfähigkeit und eine Bereitschaft zu einem gewissen Verzicht - diese Eigenschaften sind bei den Menschen in unserem Lande lebendig, wenn es notwendig ist, und es ist gut zu wissen, daß es so ist.
Die Fragen, die jetzt zu beantworten sind, lauten: Wie wird es in der Erdölversorgung und in ,der Erdölpolitik, in der Energiepolitik weitergehen? Wie können sich die augenblicklichen Schwierigkeiten auf die Arbeitsplätze und auf die Preise auswirken? Was tut die Bundesregierung, was kann sie in dieser Situation tun?
Da gibt es - um das bei dieser Gelegenheit zu sagen - diejenigen, die dem Wirtschaftsminister ankreiden, er halbe die Situation zu günstig dargestellt. Aber, so frage ich, seit wann ist es denn die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, für eine Dramatisierung der Lage zu sorgen?
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Seine Aufgabe war es, die beruhigenden Faktoren hervorzuheben, und ich hoffe, er wird bald darauf zurückkommen können.
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- Meine Damen und Herren, wir können darüber ja in aller Ruhe reden. Wer auch nur einen Funken von Einsicht in die Entwicklung dieser Wochen hat, weiß, daß sich !die Wahrheit, die Sie wissen möchBundeskanzler Brandt
ten, allein im Laufe der letzten drei, vier Wochen fast von Tag zu Tag verändert hat.
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Über den Zusammenhang von Konjunktur und Energie hatte ich mich am 9. November im Bundesrat selber geäußert. Ich hatte besonders darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung Schwierigkeiten bei der Energieversorgung in ihrer Konjunkturpolitik selbstverständlich berücksichtigen werde. Seither - ich knüpfe an den eben nicht beifällig aufgenommenen Satz an - hat sich die Lage rasch entwickelt. Bevor ich daraus ableitend einiges präzisiere, möchte ich auf zwei Punkte allgemeinerer Art hinweisen.
Erstens. In einer Lage wie dieser sollten die Antworten der politischen Kräfte, also gerade auch in diesem Haus, so übereinstimmend sein, wie es nur irgend möglich ist. Die Zustimmung der Opposition zum Energiesicherungsgesetz vor drei Wochen war eine wichtige Hilfe, und das Gespräch vom Dienstagabend mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden läßt mich hoffen, daß wir bei allem, was umstritten ist und bleibt, auf diesem lebenswichtigen Gebiet zusammenwirken können.
Zweitens. Bei aller Entschlossenheit zum Handeln werden uns weder Patentrezepte noch bloße Polemik weiterhelfen. Die hieraus resultierende Selbstbeschränkung mag dem einen oder anderen unbefriedigend erscheinen; aber daran ist im Augenblick nichts zu ändern.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat sich nicht erst seit ein paar Wochen um die gesicherte Energieversorgung zu erträglichen Bedingungen gemüht. In der Regierungserklärung vom 18. Januar dieses Jahres hatte ich angekündigt, daß wir ein eigenes Energiekonzept unterbreiten würden. Wir konnten es, unvollkommen, wie es heute manchem erscheinen mag - aber andere hatten diese Aufgabe gar nicht erst angepackt, sondern vor sich hergeschoben -,
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im Sommer verabschieden. Es war von Anfang an auf Präzisierung und Fortentwicklung angelegt. Und genau darum geht es jetzt. Unsere Arbeit stützt sich auf eine gute Grundlage.
Ich erinnere im übrigen daran, daß ich schon als Außenminister der vorvorigen Regierung an der Ausweitung des geographischen Bereiches, aus dem wir Energie beziehen, zielstrebig mitgearbeitet habe. Dabei denke ich nicht nur - aber nicht zuletzt auch
an das Erdgasgeschäft mit der Sowjetunion.
Ich weise auch darauf hin, ,daß ich Anfang vorigen Jahres, unbeschadet mancher Kritik zu Hause, den Iran besucht habe, um selbst mit den dort Verantwortlichen vertrauensvolle Gespräche zu führen. Nach dem, was der Bundeswirtschaftsminister kürzlich konkretisieren konnte, dürfen wir darauf hoffen, daß dort demnächst mit dem Bau einer großen, einer sehr großen Raffinerie für unsere Versorgung begonnen werden kann.
So haben wir manches in die Wege geleitet oder günstig zu beeinflussen versucht, von Norwegen über West-Afrika bis in andere Teile der Welt.
In der vergangenen Legislaturperiode hat meine Regierung, auch wenn es der vermeintlich reinen Lehre nicht ganz entsprechen mochte, durch erhebliche Finanzierungsmittel die Sanierung unseres Steinkohlenbergbaus vorangetrieben. Im gleichen Zeitraum 'haben wir einen gesicherten Rahmen für die Entwicklung der Kernenergie geschaffen. Was die angeblich drastischen Kürzungen in diesem Bereich angeht, von denen dieser Tage in polemischen Bemerkungen die Rede war, so kann es sich nur um das Ergebnis einer nicht ausreichenden Information handeln.
Zur leider gebotenen Einschränkung des Bedarfs haben wir mit dem Energiesicherungsgesetz das getan, was uns - wie den meisten Nachbarländern zunächst notwendig erschien. Bis zum Ende dieses Jahres braucht der Endverbraucher von Energie keine zusätzlichen Verordnungen zu erwarten. Dies kann nicht heißen, daß wir mit dem Überdenken der Situation und mit dem weiteren Nachdenken aufhören können. Dazu zwingt uns schon - ich sage es noch einmal - die sich ständig wandelnde Versorgungslage.
Wenn im Januar oder in den darauffolgenden Monaten neue Sparmaßnahmen notwendig werden sollten, dann - und darauf können sich alle verlassen wird wie bisher mit Augenmaß und nicht aus bürokratischem Übermut gehandelt werden; dann werden wir rechtzeitig und klar sagen, was zu tun ist; und dann werden wir weiterhin davon ausgehen, daß die Sicherung von Arbeitsplätzen durch ausreichende Energieversorgung doch noch wichtiger ist als die Sicherung privaten Komforts.
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Und um dies gleich hinzuzufügen: So schwierig das im einzelnen sein mag und sein wird, Gerechtigkeit muß groß geschrieben werden.
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Das wird in der Praxis, wie wir schon erfuhren und erneut erfahren werden, nicht leicht sein. Aber wir dürfen uns von dieser Orientierung nicht abbringen lassen.
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In der Folge darf und wird es nicht nur um eine Einschränkung der Nachfrage an Energie gehen. Ebenso bedeutsam sind Ausweitung und höhere Elastizität des Angebots sowie die Befriedigung des vordringlichen Bedarfs. Erste Entscheidungen wurden getroffen. Ich nenne:
Erstens. Die Vorrangigkeit der Belieferung mit Dieselkraftstoff ist sichergestellt.
Zweitens. Kurz- und mittelfristig wird Kohle, Steinkohle und Braunkohle in einem gewissen Umfang Erdöl ersetzen: in der Elektrizitätswirtschaft, bei der Rohstahlproduktion, auch bei 'der Wärmeerzeugung. Es sollen - um das hinzuzufügen - in den nächsten Jahren, aber rascher, als ursprünglich
geplant, zehn neue Kraftwerke errichtet werden, die mit deutscher Kohle arbeiten.
Drittens. Die Mittel für Energieforschung, für das Aufsuchen neuer Brennstoffquellen und für die rationellere Nutzung der vorhandenen Energie werden erneut ausgeweitet. Vieles wirkt hier erst mittelfristig; das versteht sich von selbst. Aber gerade deshalb gilt es, keine Zeit zu verlieren.
Ob es sich nun um Kohlevergasung oder Kohleverflüssigung handelt auf dem Hintergrund stark veränderter Rentabilität - manches, was vor einem Jahr keinen Sinn ergab, kann jetzt und in Zukunft sehr wohl einen Sinn ergeben -, ob es um Tiefbohrungen, bessere Bergbautechnik oder neue Isolierverfahren im Hochbau geht: was immer davon wirksam ist und unter den veränderten Bedingungen - denen des hohen Ölpreises - von Nutzen sein kann, wir werden es nutzen, und es wird, wo es wirkt, unsere Abhängigkeit weniger drückend machen.
Niemand von uns kann allerdings die Geologie verändern. Und weil wir das nicht können, wird die Bundesrepublik Deutschland weiterhin auf EnergieImporte angewiesen sein.
Die politische Motivation der Verknappung und Verteuerung des Öls auf der Welt, ihre Begleitumstände und ihre Konsequenzen sind eine Herausforderung an die Vernunft. Sie sind auch eine Herausforderung an die schöpferische Phantasie. Wir sagen, daß Not erfinderisch mache, und dies heißt: Europa muß zum technologischen Sprung entschlossen sein. Was zum Beispiel auf anderhalb Jahrzehnte berechnet war, läßt sich, wenn es sein muß, auch in drei oder vier Jahren machen.
Sorge macht uns die Entwicklung der Energiepreise. Sie sind von großer Bedeutung für die allgemeine Preisentwicklung. Mit unserer Preissteigerungsrate von zuletzt 6,6 °/o liegen wir eindeutig am Ende des internationalen Geleitzuges. Dies allein schon war ein nicht gering zu schätzender Teilerfolg unserer Stabilitätsbemühungen. Außerhalb unserer Grenzen wird dies, wie ich erst vor wenigen Tagen ebenso wie der Finanz- und der Wirtschaftsminister feststellen konnte, stärker erkannt und anerkannt als im eigenen Land. Rechnen wir die großen Preissteigerungen für Benzin, Dieselkraftstoff und Heizöl heraus, liegen wir statt 6,6 bei 5,9 °/o. Das wäre jene Tendenzwende, die wir im Februar und Mai mit unseren Stabilisierungsprogrammen angestrebt haben.
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Die Lage hat sich jedoch verändert. Die neuen Rohölpreise machen uns zum Teil einen Strich durch die Rechnung, und das kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, genauso wenig Spaß machen wie uns in der Regierung und in der Koalition.
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Es kann nicht ausgeschlossen werden, ja es ist eher wahrscheinlich, daß 1974 etwa 1,5 bis 2 %Preissteigerung allein auf die Energiepreise zurückzuführen sein werden. Darauf haben wir praktisch keinen Einfluß. - Ich denke, Sie wollten die Wahrheit hören, meine Damen und Herren, und dies ist ein Stück der Wahrheit.
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In diesem Zusammenhang auch ein klares Wort zu den Steuern: Aus zwei Gründen kann eine Senkung der Steuern auf Mineralölprodukte nicht in Frage kommen:
Erstens: In der jetzigen Situation - das heißt in einer, auf dieses entscheidende Gebiet bezogen, Mangelsituation - würden Steuersenkungen nicht zu Preissenkungen, sondern zu höheren Gewinnen bei den Ölförderländern, bei den Mineralölgesellschaften oder beim Handel führen, und das kann nicht der Sinn der Sache sein.
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Zweitens. Unsere Aufgabe heißt unverändert: Sicherung der Arbeitsplätze, gerade und besonders jetzt. Wir werden vielleicht jeden Steuergroschen nötig haben, um zusätzliche öffentliche Aufgaben leisten zu können.
Noch einmal zu den Erdölpreisen: Sicher - und dies weiß die Regierung - haben die Erdölförderländer die Preise ganz erheblich heraufgesetzt. Das konnte nicht ohne Auswirkung auf die Kosten und damit auf die Preise der deutschen Mineralölwirtschaft bleiben. Damit läßt sich aber keinesfalls jeder Preis rechtfertigen, der im Augenblick verlangt wird.
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Deshalb können und werden wir der Mineralölwirtschaft in dieser Situation die Beweispflicht für die
Notwendigkeit von Preiserhöhungen nicht ersparen.
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Aus diesem Grunde ist zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Bundeskartellamt und der Mineralölwirtschaft ein System der Offenlegung und der Prüfung vereinbart worden, das nicht hinter den kartellrechtlichen Vorschriften zurückbleibt, sondern - ich will das 'hier ausdrücklich feststellen -auf dem Wege der Vereinbarung über die kartellrechtlichen Vorschriften hinausgeht. Diesem System, in das die zuständigen Behörden der Länder einbezogen sind, sollten wir eine faire Chance geben. Ich selbst behalte mir weitergehende Schritte vor, wenn sich diese Vereinbarung als unwirksam erweisen sollte. Das Energiesicherungsgesetz müßte dann gegebenenfalls weiter ausgeschöpft werden.
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Noch in der vergangenen Woche hat die Bundesregierung beschlossen, einige mit der Energieversorgung direkt zusammenhängende Fragen beschleunigt zu prüfen und geeignete Lösungen zu entwickeln. Unsere besondere Sorge gilt dabei den sozial Schwachen. Empfänger von Sozialhilfe und Kriegsopferfürsorge haben nach den geltenden Bestimmungen einen Anspruch auf Erstattung ihrer
Heizkosten. Ich möchte den betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern - es geht ja zumal um die Alten - sagen, sie sollten keine falsche Scham zeigen, sondern ihre Rechte wahrnehmen. Und an die Länder und Gemeinden appelliere ich, schnell und unbürokratisch zu helfen, wo immer es möglich ist.
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Für diejenigen, die nicht zu dem eben erwähnten Personenkreis gehören und doch, gemessen an ihrem Einkommen, besonders hart betroffen sind, versuchen wir geeignete Hilfen vorzubereiten. Ich erwarte, daß geeignete Empfehlungen in den nächsten Tagen vorliegen werden. Wir können uns - wem sage ich es? - dabei immer nur bemühen, das größtmögliche Maß an Gerechtigkeit und Fairneß zu erreichen, und wir dürfen dabei auch jetzt nicht vergessen, daß auch das erarbeitet und verdient sein will, was dem sozialen Ausgleich zugute kommt.
Andere Vorhaben, an denen wir arbeiten, betreffen eine gewisse - sie ist nur bedingt möglich - Verlagerung von Transportkapazität von der Straße auf die Bundesbahn, eine weitergehende Rationalisierung des Luftverkehrs sowie die Beschleunigung der Prüfungs- und Genehmigungsverfahren für Energieinvestitionen, Kraftwerke konventionellen oder neueren Typs. Hierzu und darüber hinaus erwarte ich von meiner Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Länder morgen nachmittag weitere Ergebnisse.
Ich darf noch einige zusätzliche Bemerkungen zur europäischen und internationalen Dimension des Energieproblems machen.
Die Bundesrepublik Deutschland bezieht ihr Erdöl und ihr Uran überwiegend von weither, aus Übersee. Die für unsere Versorgung wichtigen Fernleitungen beginnen in Rotterdam, Triest, Marseille oder in der Sowjetunion. Die großen Energiekonzerne haben ihren Sitz außerhalb unseres Landes. Im deutschen Teil der Nordsee gibt es praktisch kein Erdöl.
Daraus ergibt sich die grundlegende Notwendigkeit für unsere Volkswirtschaft, um den möglichst freien, ungehinderten Zugang zum Weltmarkt ebenso bemüht zu bleiben wie um den einheitlichen Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft. Ich darf hier unterstreichen: An der Energiefrage wird sich zeigen, was die Europäische Gemeinschaft wirklich wert ist.
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Wir haben für die Gemeinschaft selbst Opfer gebracht. Wir haben sie gern gebracht und wiederholt unsere Bereitschaft zur Solidarität gezeigt. Dabei sind wir davon ausgegangen, daß diese Solidarität nach innen und nach außen in Wirklichkeit unteilbar ist. Dies habe ich auch bei meinen jüngsten Gesprächen in Paris unterstrichen, ebenso wie wir es anderswo in aller Offenheit dargelegt haben.
Meine Damen und Herren, ich spreche hier nicht verallgemeinernd von „den" Arabern, zumal dies der Sache nicht gerecht werden würde. Ich wiederhole auch, daß Erdöl und Nahost nicht ganz dasselbe sind, und ich rate davon ab, zumal auf grobschlächtige Weise, nach Sanktionen zu rufen, sosehr die
Beteiligten wissen sollten, daß sie irren, wenn sie uns für Schlappiers halten.
International gilt weiterhin unser Angebot auf faire und ausgewogene Zusammenarbeit mit allen Regionen der Welt, seien sie nun Energieerzeuger oder Energieverbraucher. Unsere politischen Bemühungen richten sich auf diese Zusammenarbeit, ebenso die vielfältigen Anstrengungen deutscher Unternehmen im Ausland. Diese Anstrengungen gilt es verstärkt zu stützen. Aber - auch dieser Satz hat eine Adresse außerhalb unserer Grenzen - wer bereit ist zur Kooperation, muß auch zur Kooperation fähig sein.
Erwähnen darf ich die weitgehend unbeachtet gebliebene Tatsache, daß der Bund durch die Übernahme eines maßgebenden Anteils an dem Energieunternehmen Gelsenberg seinen Einfluß im Mineralölbereich verstärkt hat. In Richtung auf ein voll handlungsfähiges deutsches Ölunternehmen ist dies aber nur der erste Schritt gewesen; weitere werden folgen. Dabei hat es jetzt wenig Sinn, über das zu jammern, was besser schon vor 10, 15 oder 20 Jahren eingeleitet worden wäre.
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Um Wachstum und Wohlfahrt auch bei uns zu sichern, brauchen wir Zusammenarbeit und Arbeitsteilung. Deshalb darf, so meine ich, 1974 nicht zum Jahre des Protektionismus werden.
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Die Bemühungen um die Weiterentwicklung des internationalen Handels und um die Reform des Weltwährungssystems müssen sich gerade und besonders auf dem Hintergrund einer abflachenden Weltkonjunktur bewähren. Diese Abflachung, aus der die Energiekrise einen Abschwung machen kann, stellt unsere Wirtschaftspolitik vor neue und erhöhte Anforderungen.
In meinen Ausführungen bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1974 und in der jüngsten Stellungnahme der Bundesregierung zum Sachverständigengutachten der vorigen Woche haben wir die Grundlinien der Konjunkturpolitik beschrieben, die ohne eine tiefgreifende Energiekrise zu berücksichtigen angezeigt gewesen wäre. Wir haben ferner deutlich gemacht, daß und wie sehr diese Ölversorgungskrise unsere wirtschaftspolitischen Überlegungen beeinflussen muß. Noch in diesen Wochen vor Weihnachten wird die Bundesregierung deshalb ihre konjunkturpolitischen Überlegungen fortentwickeln und in ein möglichst geschlossenes Konzept einbringen.
Schon heute, meine Damen und Herren, läßt sich sagen: Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Wachstumsrate im kommenden Jahr statt der von uns und auch von den Sachverständigen vermuteten realen plus drei Punkte gegen Null sinken wird und eine Tendenzwende bei den Preisen noch schwerer als bisher zu erreichen sein wird. Wir werden unsere Anstrengungen darauf zu konzentrieren haben, einen hohen Beschäftigungsstand zu sichern, die Wachstumschancen zu erhalten und soviel wie irgend möglich an Preisstabilität zu erreichen. In
3912 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode
Nicht jeder wird in dieser Lage seinen Arbeitsplatz behalten können; aber wir wollen gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften alle Anstrengungen unternehmen, damit jeder einen Arbeitsplatz haben wird.
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Mit Interesse habe ich gelesen, daß ich nun nicht mehr wegen dessen kritisiert werde, was einige die Vollbeschäftigungsgarantie nannten und zu schelten beliebten. Nun hat die Opposition ihrerseits hierzu Vorschläge eingebracht, zu denen ich allerdings sagen kann: Teils hat die Regierung bereits getan, was ihr vorgeschlagen wird und was getan werden mußte, teils sind die neuen Programme fertig; sie werden Wirklichkeit - sehr rasch oder auch erst dann, wenn die Lage es erfordert. Und vielleicht noch dies: Wir sollten uns alle sehr hüten, durch Überspitzungen in der Wortwahl bestimmte Schwierigkeiten zu suggerieren,
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die in Wirklichkeit nicht eintreten müssen, oder gar in Verbindung mit bestimmten Maßnahmen den Eindruck eines engen Nationalismus zu erwecken.
Der Zeitpunkt ist im übrigen nicht gekommen, um gewissermaßen global den Fuß von der Bremse zu nehmen. In gewissen Bereichen und Branchen gilt es allerdings, jetzt Besonderes zu tun. Gezielte Erleichterungen und Hilfen sollen insbesondere die Investitionen im Energiebereich sowie eine verbesserte regionale und sektorale Struktur sichern. Dies meine ich, wenn ich von der Notwendigkeit spreche, unserer Wirtschaft in der sich verändernden Lage sinnvoll beizustehen. Erste Entscheidungen hierzu sind getroffen worden.
Gestern hat sich die Bundesregierung dafür ausgesprochen, die Investitionssteuer für Energieanlagen unverzüglich aufzuheben. Damit wird ein erster Beitrag zur Energieversorgung und zur Stabilisierung der Konjunktur gleichzeitig geleistet. Zur schnellen Durchsetzung dieses Vorhabens werden Verständnis und Hilfe dieses Hauses wie auch des Bundesrates benötigt, und darum möchte ich bitten. Abgesehen von dieser Ausnahme wird die Investitionssteuer beibehalten werden.
Wir haben im übrigen erste konkrete Maßnahmen in den Bereichen Bau und Textil in die Wege geleitet. So hat die Bundesregierung beschlossen, 1974 die Importkontingente für Textilien nicht zu erhöhen. In begründeten Fällen werden wir Liquiditätshilfen geben müssen.
In den vergangenen Wochen haben wir verstärkt öffentliche Bauaufträge des Bundes vergeben. Um den sozialen Wohnungsbau zu fördern, hat die Bundesregierung in der vergangenen Woche ein besonderes Programm für 50 000 Wohnungen beschlossen. Auch das stärkt die Bauwirtschaft, deren Schwierigkeiten mir durchaus bewußt sind.
Meine Damen und Herren, wie ich erwähnte, werden morgen die Ministerpräsidenten der Bundesländer bei mir sein. In dieser Besprechung werden wir über eine teilweise oder vollständige Aufhebung der Streckung der Mittel für Gemeinschaftsaufgaben zu reden haben. Dieses Gespräch war seit längerem vereinbart. Dabei muß deutlich sein: Bemühungen des Bundes müssen durch Bemühungen der Länder ergänzt werden. Überdies sollten wir zu gegebener Zeit die Sperre bei den ERP-Mitteln aufheben. Damit werden wir insbesondere cien kleinen und mittleren Unternehmen helfen können.
Ich darf schließlich daran erinnern, daß wir in der vergangenen Woche einen Anwerbestopp für Arbeitnehmer aus Ländern außerhalb der Europäischen Gemeinschaft beschlossen haben. Wir hoffen, damit dauerhaft zur Stabilisierung des deutschen Arbeitsmarktes beizutragen.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund werden wir jedoch auch, so schwer es sein mag, unsere Bemühungen um Preisstabilisierung fortzusetzen haben. Eine abrupte Lockerung der Geld- und Kreditpolitik ist ebenso wenig zu empfehlen wie eine generelle Ausweitung der öffentlichen konsumtiven Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Deshalb muß es nach gestrigem Kabinettsbeschluß zunächst auch beim Schuldendeckel bleiben, den ich gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister noch vor wenigen Tagen in einem beauftragten Kreis von Länderchefs besprochen habe.
Im übrigen heißt mein Hinweis auf konsumtive Ausgaben des Bundes auch im Klartext folgendes. Vorstellungen und Wünsche, wie wir sie in diesen Tagen zugunsten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes gehört haben, können nicht verwirklicht werden.
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Über 10 0/0, gar 15 0/o, nachdem soeben erst das 13. Monatsgehalt beschlossen wurde, - dies läßt sich vernünftigerweise nicht darstellen.
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Man sollte dabei bitte auch die qualifizierte Sicherheit der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst nicht übersehen.
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Wir stehen vor einer Entwicklung, die nicht frei ist von Risiken und Schwierigkeiten. Manche von uns Alteren haben in ihrem Leben gelernt, mit Krisen umzugehen. Andere in unserem Land, zumal die Jüngeren, sind dabei, ihre eigenen zusätzlichen Erfahrungen zu machen. Ich bin sicher, wir werden uns miteinander nicht unterkriegen lassen. Herausforderungen wie die der Erdölkrise setzten auch neue Kräfte frei, und ich vertraue darauf, daß Europa noch über unverbrauchte Kräfte im doppelten Sinne des Wortes verfügt.
Wir haben die Pflicht, zäh und zielbewußt zu handeln, selbst wenn manche Maßnahmen unpopulär erscheinen müssen. Ich weiß, wir haben dabei, über schwankende Stimmungen des Augenblicks hinaus,
die Unterstützung der großen Mehrheit unserer Bürger. Deshalb sage ich ohne Aufregung, sondern mit voller Zuversicht: wir werden nicht nur gut über den Winter kommen,
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sondern unser Volk wird wie seine europäischen Nachbarn beweisen, daß es seine neue Bewährungsprobe gut zu bestehen weiß, und dies wird dann für alle miteinander zu einer wertvollen Erfahrung werden.
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Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Irgendwo habe ich vor einigen Tagen in der Fülle der Texte, die auf unseren Schreibtisch gekommen sind, gelesen, daß dem Herrn Bundeskanzler für diese seine, wie er sagte, Regierungserklärung zwei Entwürfe vorgelegt worden seien, sozusagen zur Wahl. Der eine sei ein nüchterner, sachlicher, pragmatischer Entwurf gewesen - es wurde auch der Name des Beamten genannt, der ihn ausgearbeitet haben soll -, das andere war der lyrische Entwurf, der von dem Verfasser sonstiger Reden zu stammen behauptet wurde. Der Bundeskanzler sollte sich über das Wochenende entscheiden, welchen der beiden Entwürfe er vortragen würde. Er scheint sich für den lyrischen Entwurf entschlossen zu haben.
({0})
Er scheint allerdings aus dein anderen Entwurf in letzter Stunde - wie bei Textvergleich festzustellen wäre -, was sein gutes Recht ist, einige Passagen eingearbeitet zu haben. Deshalb müßte man gerechterweise von einer Zebra-Erklärung sprechen.
({1})
Mir fällt es schwer, in dem Zusammenhang das Wort „Lyrik" zu gebrauchen. Denn diese Dichtungsart verdient es natürlich nicht,
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im Zusammenhang mit den Formulierungen dieser Regierungserklärung als eine neue poetische Literaturgattung angesehen zu werden. Ich denke an Ausdrücke wie „den Fuß global von der Bremse nehmen" und ähnliches.
({3})
Diese Regierungserklärung
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- Sie wissen ja nicht, was alles noch kommt ,
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ist aber schon ein besonderes Stück in der langen Reihe wortreicher Kraft- oder auch Schwächeakte,
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die wir hier in diesem Hause erlebt haben. Ich darf das, was ich mindestens schon einmal gesagt habe, wiederholen: Es gibt zwar eine normative Kraft des Faktischen, aber keine Fakten ersetzende oder Fakten verändernde Kraft des Phraseologischen.
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- Ach, begeistern Sie sich doch nicht an Ihren eigenen Phrasen!
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Zu manchem, was ich hier gehört habe, möchte ich mit Kortum sagen:
Über die Antwort des Kandidaten Jobses
Geschah allgemeines Schütteln des Kopses.
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- Ach, die Art Ihrer Reaktion beweist ja nur, wie unerhört reizbar Sie sind,
({10}) welch schlechtes Gewissen Sie haben.
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Nur werden Sie mit diesen Methoden die von Ihnen gewünschte Kooperation mit der Opposition nicht erreichen.
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In der gegebenen Situation steht Ihnen Hochmut dieser Art am wenigsten zu.
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Ich möchte das mit folgenden Punkten ausdrücken. Erstens: Diese Regierungserklärung enthält leider sehr wenig - ich hätte beinahe gesagt, nach dem schriftlichen Text fast nichts, aber nach dem mündlichen Text sehr wenig - an klarer und harter Sachinformation. Der Bundeskanzler hat die Gespräche begrüßt, zu denen er die Opposition am Dienstagabend eingeladen hatte. Wir haben ihm auch dafür gedankt. Wir mußten aber am nächsten Tag der Zeitung entnehmen, daß an anderem Orte und anschei3914
nend öffentlicher Publikation zugänglich mehr und zum Teil anderes gesagt worden ist,
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jedenfalls mehr, als wir an diesem Abend erfahren haben.
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Herr Bundeskanzler, wir würden es sehr begrüßen, wenn bei solchen Zusammenkünften weniger Fernsehkameras und mehr Informationen geboten würden.
({16})
Denn hier geht es um die Bewältigung uns gemeinsam bewegender, unser Schicksal in starkem Maße beeinflussender, man kann ruhig sagen, nationaler Probleme, die natürlich weit über den Rahmen einer Nation hinausgehen. Darum dienen solche Begegnungen nicht dem Zweck, der Öffentlichkeit sozusagen den optischen Eindruck zu vermitteln, wie ernst hier Regierung und Opposition verhandeln und zusammenarbeiten, obwohl dahinter nicht das steckt, was die rote Lampe im wahrsten Sinne des Wortes zunächst versprochen zu haben schien.
Denn wenn von Sachinformation gesprochen wird, hätte gerade in dieser Regierungserklärung nach der verwirrenden, widersprüchlichen und zum Teil unklaren oder unwahren Informationspolitik der letzten Wochen einmal ein deutliches Wort gesagt werden müssen, z. B. zu den Fragen: Wie hoch ist der Bedarf an Energie in den Jahren 1973 - aufgeschlüsselt auf die verschiedenen Energieträger -, 1974 und 1975? Wie wird sich dieser Bedarf in den nächsten Jahren angesichts der von der Bundesregierung ursprünglich zugrunde gelegten Wachstumsraten entwickeln, wie sie noch in der Erklärung des Bundeswirtschaftsministers vom 22. November aufgeführt waren, nämlich mit 2 bis 3 % Wieviel von dieser Energie kann ohne Wachstumsverzicht eingespart oder durch Wechsel der Energieträger mit Sicherheit ersetzt werden? Wie sieht die Rechnung aus, wenn das Wachstum für 1974 null wird? Wieviel Minus an Energie bedeutet Wachstum null für 1974, für 1975? Welche Minderungen des realen Bruttosozialproduktes treten ein, wenn eine Menge X ausfällt, welche Minderungen treten ein, wenn eine Menge Y ausfällt und nicht ersetzt werden kann? Sie, Herr Bundeskanzler - und der Herr Bundeswirtschaftsminister noch besser -, kennen doch sicher die darüber angestellten Berechnungen.
Wenn man der Öffentlichkeit darüber einmal reinen Wein einschenkte, würde das viel mehr zur Beruhigung beitragen als Ihre Erklärung von heute, es sei nicht die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers zu dramatisieren. Niemand von uns sagt, der Bundeswirtschaftsminister solle dramatisieren. Niemand wirft ihm auch vor, er habe dramatisiert. Was wir vom Bundeswirtschaftsminister wollen, ist weder Beschwichtigung, die nicht auf konkreten Tatsachen beruht, noch Dramatisierung, die unberechtigterweise zu Panik und Hektik führt. Wir wollen die Wahrheit wissen.
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Ich weiß nicht, ob es ein Versprechen war, daß Sie von den täglich wechselnden Wahrheiten gesprochen haben.
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Es könnte vielleicht in mancherlei Hinsicht für die Regierungspolitik zutreffen, daß ihre Wahrheiten täglich wechseln. Hier dürfte es sich im günstigsten Fall um subjektive Wahrheiten handeln. Es gibt sicherlich Änderungen der Lage. Aber es gibt nicht eine tägliche Änderung der Lage, die es erlauben würde, von täglich wechselnden Wahrheiten zu reden. Manche der Erscheinungen, die wir haben, sind sehr langfristiger Art und sind hausgemacht, manche sind nicht hausgemacht, aber langfristig vorhersehbar, und manche sind wie ein Naturereignis, aber auch nicht ganz unerwartet über uns gekommen, so der Krieg, der am 6. Oktober dieses Jahres im Nahen Osten begonnen hat.
In diesem Zusammenhang wäre es auch besser, der Öffentlichkeit zu sagen, was bei den von mir zugrunde gelegten Eventualfällen, die vom Bundeskanzler selber in seiner Regierungserklärung nicht ausgeschlossen werden, aber nur sehr „global" behandelt werden, die Folgen auf dem Arbeitsmarkt sein werden. Versicherungen, daß man gut über den Winter kommen werde, oder Versicherungen, daß einem die Arbeitskräfte sehr am Herzen liegen und daß man Sorge um sie habe und daß hier keine Minderung eintreten werde, nützen doch nichts.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben doch Ihre Regierungserklärung im Jahre 1969 mit dem Motto überschrieben: Mehr Demokratie, mehr Information für den mündigen Burger. Sie und Ihr Bundeskanzleramt haben von einer Verwissenschaftlichung der Politik gesprochen. Was wir hier erleben, ist nicht eine Verwissenschaftlichung der Politik, sondern ein Spruchwortstil. Das ist ein Stil: Not macht erfinderisch. Man könnte auch sagen: In der Not frißt der Teufel Fliegen. Das trifft für die Bundesregierung sicherlich öfters zu.
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Wir wollen doch eine wissenschaftlich fundierte, substantiierte Analyse der technischen und wirtschaftlichen Fakten und ihrer sozialen Auswirkungen haben. Das kann man doch nach so langer Zeit planmäßiger Vorbereitung in Ihrem Planungsstab allgemein und langer Zeit seit Ausbruch der Krise vom 6. Oktober wahrlich erwarten. Leider ist das hier nicht geschehen.
Warum sagen Sie nicht, welche Vorräte wirklich vorhanden sind? Ich habe Verständnis dafür, daß die Bundesregierung längere Zeit selber nicht genau wußte, wieviel Vorräte auf den jeweiligen Gebieten vorhanden sind, obwohl es eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre, sich darüber konkrete Informationen zu verschaffen, nicht nur wegen des Kriegsausbruchs und der damit verbundenen Folgen. Die Öffentlichkeit ist interessiert daran, zu wissen, welche Vorräte auf den jeweiligen Gebieten - Motorentreibstoff, leichtes Heizöl, schweres Heizöl usw. - vorhanden sind. Wie lange reichen diese Vorräte? Welche Einsparungen ergeben sich durch welche Maßnahmen, die bereits ergriffen sind, oder Maßnahmen, die noch
beabsichtigt und vorbereitet, aber nicht ergriffen sind?
In diesem Zusammenhang habe ich einen neuen Begriff von einem Regierungssprecher gehört. Ich glaube, es war Herr Grünewald, der von den kommenden Maßnahmen im Sinne eines „Unbeschlusses" sprach. Zunächst habe ich gemeint, es heißt „United Nations".
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Dann bin ich aber bei näherer Prüfung des Textes belehrt worden, daß es sich hier um eine Überlegung handelt, die man einen „Unbeschluß" nennt. Welche Umstände müssen denn eintreten, damit aus dem Unbeschluß ein Beschluß wird? Auch hierüber sind wir bei der Unterredung zwischen Koalition und Opposition unzulänglich informiert worden; denn z. B. ist das Fahrverbot für Zweitfahrzeuge, wofür es noch keine klare Definition und viele Umgehungsmöglichkeiten gibt, bei dieser Besprechung meines Wissens nicht erwähnt worden. Wie sieht die Prognose für die Zeit nach dem 1. Januar 1974 aus? Oder muß der Bundeswirtschaftsminister - wofür er nichts könnte; das möchte ich ausdrücklich sagen - hier erklären, er sei außerstande, heute dazu etwas zu sagen, er könne erst im Laufe des Monats Dezember - wie ich der Presse entnommen habe - für die Zeit nach dem 31. Dezember 1973 nähere Aussagen machen? Angeblich laufen manche Ölkontrakte aus, die verlängert oder neu abgeschlossen werden sollen. Dabei ergeben sich nicht nur Fragen der Liefermenge, sondern auch Fragen der Preise.
Herr Bundeskanzler, wir hätten auch gern etwas im einzelnen von den Forschungsprogrammen für Energiegewinnung gehört. Wir hätten sehr gern etwas über das Ergebnis der außenpolitischen Erkundungen, der bilateralen und multilateralen Gespräche gehört, auf die heute hingewiesen worden ist und worüber sich die Bundesregierung absolut in Schweigen hüllt. Wir hätten gern etwas über Hintergründe, Abläufe und Zusammenhänge gehört. Dann wäre vielleicht manches, was in der Öffentlichkeit naturgemäß sehr ungereimt erscheinen mußte, verständlicher geworden. Wenn darüber aber nichts geboten wird, muß man davon ausgehen, daß Grund dafür besteht, nichts zu bieten.
All das war um so notwendiger, weil die bisherige Informationspolitik der Bundesregierung mehr als verwirrend, zum Teil ausgesprochen windig war. Zum Beispiel hat Bundesminister Friderichs am 12. Oktober pauschal jede Möglichkeit von Beeinträchtigung abgestritten. Er sagte: „Die Versorgung für diesen Winter ist gesichert, egal, was passiert". Am fünften Tag des Nahostkrieges, als die Drohung der Araber auf dem Tisch lag und sich die Gewichte des Krieges zugunsten der Israelis verschoben, wollte er nicht glauben - wörtlich zitiert -, „daß es zu einer fühlbaren Drosselung der Erdöleinfuhren kommt". Außenminister Scheel antwortete am 17. Oktober auf die Frage, ob die Gefahr einer Ausdehnung der Ölsperre bestünde: „Warum sollten die Araber dies tun, und wem wäre damit gedient?" Die Frage ist an sich schon berechtigt, wenn man rationale Verhaltensweise bei allen Beteiligten oder Erkenntnis ihrer eigenen langfristigen Interessen voraussetzt. Der Bundesminister für Wirtschaft hat sich am 21. Oktober seinem Parteivorsitzenden mit der Aussage angeschlossen: „Wir haben keinen Anlaß, mit Benzin- und Heizölknappheit zu rechnen". Später hieß es: Wir konnten nicht anders reagieren; wir wollten eine Panikreaktion vermeiden; wir wären in des Teufels Küche gekommen, wenn wir die Wahrheit gesagt hätten.
Das kann man sich höchstens nur einmal erlauben. Schon beim zweitenmal muß jede regierungsamtliche Ankündigung, auch wenn sie wahrheitsgemäß sein sollte, zu falschen Reaktionen von seiten der am Wirtschafts- und Verbrauchsprozeß Beteiligten führen.
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Darum kann man Informationspolitik nicht so mit der leichten Hand machen.
Am 29. November 1973 lese ich im Nachrichtenspiegel der Bundesregierung: „Im ZDF erklärte Bundesminister Friderichs, die Verwirrung über den Unterschied zwischen alarmierenden Ankündigungen und beschlossenen Maßnahmen sei durch Pressemeldungen entstanden. Das Kabinett sei übereinstimmend der Meinung, daß bei der derzeitigen Situation Rationierung und Höchstpreise nicht am Platze seien." Ich teile die Auffassung des Kabinetts, und die Opposition unterstützt diese Auffassung. Aber dann soll man uns auch sagen, welche Kriterien zugrunde gelegt werden, damit diese Haltung beibehalten wird, und welche Kriterien oder Ereignisse eintreten müssen, wenn weitergehende Maßnahmen ins Auge gefaßt werden sollen. Die allgemeinen Erklärungen des Bundeskanzlers, daß die Bundesregierung, lang vorausschauend, rechtzeitig sagen werde, was kommt, kann doch bei dieser Vorgeschichte niemand mehr glauben, der sich bisher auf regierungsamtliche Erklärungen verlassen hat.
Gestern, also am 28. November, lese ich in einer dpa-Erklärung, daß das Bundeswirtschaftsministerium den Mineralölgesellschaften einen umfangreichen Fragenkatalog über Bestände, Mengen und Preise zugestellt hat, um mehr Klarheit über den Mineralölmarkt in der Bundesrepublik und vor allem über die Preise zu erhalten. Wäre es nicht richtig gewesen, sich diese Auskunft zu dem Zeitpunkt, als die Lage zumindest so weit übersichtlich war, daß die kommende Verknappung mit Sicherheit als Tatsache vorausgesehen werden konnte, einzuholen und auf der Grundlage des dabei zustande kommenden Bildes dann die Gespräche mit der Opposition zu führen und die Öffentlichkeit -wie heute - durch eine Regierungserklärung im Parlament zu unterrichten? Es ist ja 'fast ein Witz, wenn man am 28. November liest, daß die Regierung über eine Fragebogenaktion die Lage feststellen will, um am 29. dann über die Lage zu berichten, an einem Tag also, an dem die Fragebogen den Adressaten noch nicht einmal zugegangen sind. Daher ist die Öffentlichkeit mißtrauisch und auch ungläubig geworden.
In der Erklärung sind aber nicht nur offene Fragen - und zwar mehr offene Fragen als Antworten Strauß
enthalten. Es sind auch irreführende Informationen und Halbwahrheiten enthalten. So heißt es z. B.: „Mehrere europäische Länder, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, haben Sparmaßnahmen getroffen." - Das stimmt. Dann heißt es aber weiter: „Die Vereinigten Staaten bereiten sie vor, wie die Erklärung des Präsidenten der USA vor wenigen Tagen deutlich machte." - Herr Bundeskanzler, dies ist eine offenkundige Unwahrheit. Sind Ihnen denn nicht die Sonderbotschaft Nixons vorn 18. April dieses Jahres und sein Aufruf vom 29. Juni dieses Jahres bekannt? Damals konnte auch Nixon nicht die leiseste Ahnung haben, daß am 6. Oktober ein Krieg ausbricht. Von dem Ausbruch dieses Krieges wußten die Beteiligten selbst wohl erst wenige Tage vorher. Gerade diese beiden Erklärungen - der Appell Nixons vom 18. April, in dem er ein nationales Energiegewinnungsprogramm zur Deckung des kommenden Bedarfs und zur Verminderung der in Amerika aufkommenden Abhängigkeit von Belieferungen aus dem mittleren Osten ankündigte, und der Aufruf vom 29. Juni, in dem er Sparmaßnahmen ankündigte - beweisen doch, daß diese Energiekrise nicht allein mit dem Ausbruch kriegerischer Ereignisse und den damit verbundenen Folgen zusammenhängt, sondern daß sie ein langfristiges Problem darstellt. Die Feststellung - es ist nicht meine Aufgabe, hier für die Vereinigten Staaten zu sprechen - daß, nachdem die Bundesregierung gehandelt habe, jetzt auch die USA daran dächten, etwas zu tun, ist schlechterdings falsch. Man hätte die Erkenntnisse aus den Vorgängen in den USA und aus den Diskussionen darüber - dies müßte doch für eine verwissenschaftlichte Regierung, die über so umfassende Informationen verfügt, wie sie behauptet, selbstverständlich sein - auf das eigene Energieprogramm - es wurde im Januar angekündigt, sollte im Sommer vorgelegt und Ende September verabschiedet werden ({22}) - abstellen müssen. Statt dessen beruht dieses Energieprogramm noch auf Voraussetzungen, die schon nicht mit 'den damaligen Gegebenheiten, geschweige denn mit etwaigen kriegerischen Ereignissen in Einklang zu bringen waren.
Des weiteren möchte ich ein besonders lobendes Wort - ich meine es zur Hälfte sogar ernst, zur anderen Hälfte nicht so ernst - über die guten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Iran, von denen in Ihrer Rede gesprochen wurde, sagen. Es wäre sehr hilfreich gewesen, wenn diese Bundesregierung, vor allen Dingen aber die sozialdemokratischen Mitglieder einer früheren Bundesregierung die iranische Regierung und den iranischen Monarchen besser behandelt hätten, als sie es getan haben.
({23})
Ich brauche hier nur an das unwürdige Spiel im Zusammenhang mit der deutschen Repräsentation bei der 2 500-Jahr-Feier zu erinnern.
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Ich brauche nur daran zu erinnern, daß bei dem Besuch von Ministerpräsident Hoveida in der Zeit
der Großen Koalition wir, die Kabinettsmitglieder der CDU/CSU, allein mit dem Gast saßen. Von der anderen Seite waren höchstens Parlamentarische Staatssekretäre anwesend. Man wagte es nicht, sich in der Öffentlichkeit mit dem iranischen Ministerpräsidenten bei offiziellen Anlässen zu zeigen - dies gilt für die Abholung und für die Verabschiedung , weil man damals noch Grand zu haben glaubte, mit gewissen Kreisen, die man später wohl integrieren wollte, keinen Ärger dadurch bekommen zu dürfen, daß man sich mit einem Vertreter dieser iranischen Regierung „Unter den Linden" grüßt. Heute ist man dafür dankbar, daß die iranische Regierung nicht ebenso emotional und leidenschaftlich, sondern sachbezogen und durchaus ihre ,eigenen Interessen vertretend, aber für uns jedenfalls berechenbar wenigstens einen Teil dessen ausgleicht, was uns anderswo durch diese Liefersperre auferlegt wird.
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Sie werden sagen, Herr Bundeskanzler: Ich bin ja hinübergefahren. Das stimmt. Dafür möchte ich, wie ich es damals getan habe, Ihnen auch heute hier die Anerkennung aussprechen, weil manches von dem, was durch Sie und Ihre politischen Freunde an Scherben angerichtet worden war, durch diesen Besuch wenigstens teilweise wieder in Ordnung gebracht worden ist.
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Ich darf hier aber auch darauf hinweisen, daß wir nicht auf :dem allzu hohen Roß sitzen sollten, wenn die Iranier nicht damit einverstanden sind, daß bei der gemeinsamen Raffinerie nur die Entschwefelung ihres Rohöls erfolgt, wie wir es verlangen, während die Weiterverarbeitung dann in der Bundesrepublik erfolgen soll. Ich glaube, hier sollten wir großzügiger sein, wie wir unsere Freunde in der Welt überhaupt besser behandeln sollten, als es häufig in diesen Jahren geschehen ist.
({27})
Ich möchte hier auch von einer irreführenden Information über einen gesicherten Rahmen für die Entwicklung der Kernenergie sprechen. So gesichert ist der Rahmen nicht! Wenn ich verfolge, wie die Ansätze der mehrjährigen Finanzplanung für ein nationales Kernenergieprogramm :das natürlich auch in einen internationalen Forschungsrahmen eingespannt werden kann - herabgesetzt worden sind, dann habe ich nicht den Eindruck, als ob sich die Bundesregierung hier etwa mit besonderer Vorliebe den Problemen der modernen naturwissenschaftlichen Forschung und ihrer technischen Entwicklung gewidmet hätte. Wir hatten schon den Eindruck, daß die meisten Energien mit der Vorlage von Bildungsmodellen ungereimter sozialdemokratischer Schulpolitik und mit der Vorlage von Rahmenplänen und Hochschulplänen erschöpft worden sind, die alle wieder in der Versenkung verschwunden sind mit dem Ergebnis, daß dann neue zutage getreten sind.
Diese Regierungserklärung enthält auch eine ganze Reihe von Gemeinplätzen und Selbstverständlichkeiten oder Unklarheiten. Sie sagen: Das kann
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Strauß
nicht heißen, daß wir mit dem Nachdenken aufhören. Es hat Ihnen aber niemand unterstellt, daß Sie etwa mit dem Nachdenken aufhören wollten.
({28})
Was heißt es, daß die Vorrangigkeit der Belieferung mit Dieselkraftstoff sichergestellt ist? Für wen? ich nehme an, vor allen Dingen wohl für den öffentlichen Verkehr. Das bedeutet sicher nicht Ausschließlichkeit, aber doch einen gewissen Vorrang.
Auf Seite 15 der Vorlage lese
Ich selbst behalte mit weitergehende Schritte vor, wenn diese Vereinbarung
mit der Mineralölwirtschaft -
unwirksam sein sollte.
Sagen Sie hier doch, was diese „weitergehenden Schritte" sind! Man sollte doch nicht solche Drohungen ungeklärt im Raum stehen lassen. Dann heißt es weiter:
Das Energiesicherungsgesetz müßte gegebenenfalls weiter ausgeschöpft werden.
Sie können sich auch hier bei allen Maßnahmen, die von der Sache her gerechtfertigt, sinnvoll, zweckmäßig und geeignet sind, dem deutschen Volk diese Lage zu erleichtern, gleichgültig, ob sie populär sind oder nicht - wahrscheinlich das letztere -, auf die Bereitschaft der Opposition zur Verantwortung und zur Mittragung dieser Lasten
) verlassen.
({29})
Gerade aus diesem Grunde erlauben wir uns natürlich auch ein kritisches Wort, das ich hier gleich anfügen möchte - bis jetzt befinden wir uns, wie ich hoffe, in weitgehender Übereinstimmung mit Ihnen oder Sie mit uns -, nämlich die Feststellung, daß wir natürlich nicht schweigen können und äußersten Widerstand leisten würden, wenn man nun, statt Folgen langfristiger Versäumnisse oder jüngst eingetretener Ereignisse durch sachbezogene Lösungen zu mildern oder zu beseitigen, versuchen sollte, das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu ändern. Einer Ihrer Bundesminister hat dafür schon - ich darf sagen: wieder einmal auf den falschen Fuß „hurra!" schreiend; ich meine HansJochen Vogel - Vorarbeit geleistet. Er ist von Ihnen zurückgepfiffen worden. Der Anführer Ihrer jugendlichen Arbeitsgemeinschaft hat gleich die Verstaatlichung der einschlägigen Wirtschaft als Heilmittel empfohlen. Das wäre der sicherste Weg - die Einführung von Höchstpreisen -, Importöle, auch wenn sie teurer sind, fernzuhalten. Es ist schrecklich, wenn man sagen muß: Lieber teures Öl als kein 01. Aber kein 01 ist noch schlimmer. Dann kann man wenigstens im Innern des Landes ausgleichen, wenn man eine gewisse verfügbare Dispositionsmasse hat. Mit der Verstaatlichung der Mineralölwirtschaft würden wir mit Sicherheit eines erreichen: daß unsere Wirtschaft in absehbarer Zeit einen gewaltigen Rückgang am Wachstum erleiden, aber auch eine in die Millionen gehende Massenarbeitslosigkeit auf unbestimmte Zeit hinnehmen müßte.
Sie haben manches in dieser Regierungserklärung gesagt - wenn Sie sich gegen Ismen usw. wenden -, was Sie eigentlich parteiintern erledigen könnten; denn weder Ihr Koalitionspartner FDP noch Ihre Opposition CDU/CSU brauchen diesen Hinweis. Diese Ismen, mit denen Sie zu kämpfen haben, diese Vorstellungen, mit denen Sie fertig zu werden haben, sind nicht ohne Ihre Mitwirkung oder ohne Ihre Toleranz innerhalb Ihrer eigenen Reihen entstanden, und sie brechen gerade bei solchen Gelegenheiten aus.
({30})
Im übrigen enthält diese Regierungserklärung auch noch einige Enttäuschungen, wenn ich daran denke, was Sie über die sozial Schwachen, Sozial- und Kriegsopferfürsorgeempfänger zu sagen haben. Die Verweisung an das Sozialhilfeamt und der Appell an die einschlägigen Behörden, unbürokratisch und schnell zu verfahren, ist in der Sache sicherlich berechtigt, löst das Problem aber nur zum Teil. Wir verzichten darauf, die Anregung von früher jetzt, wo die Situation in sozialer Hinsicht noch schwieriger geworden ist, weiterzuverfolgen, nämlich entweder die Mehrwertsteuer auszusetzen oder zu halbieren, zumindest auf den Mehrertrag zu verzichten, den der Verbraucher deshalb zu zahlen hat, weil ohne seine Schuld, auch ohne Schuld der Bundesregierung, die Preise gestiegen sind, aber mit der Maßgabe, daß die Regierung hier unberechtigte Gewinne für ihre Haushaltskasse einsteckt. Es soll ja keiner daran profitieren, auch nicht die Bundesregierung. Wir haben das deshalb getan, weil wir davon ausgehen, daß diese Mehreinnahmen - bei der Mineralölsteuer kann man wohl eine Höhe von einer Milliarde DM annehmen - dafür verwendet werden, gezielte Hilfen für diejenigen zu leisten, deren Einkommen in der realen Kaufkraft durch Inflation gebremst oder geschädigt ist, und denjenigen eine Entlastung, einen Ausgleich zukommen zu lassen, deren tägliche Lebenshaltung durch diese abnormen Erhöhungen infolge der Heizölkosten usw. - weiterhin erheblich in Mitleidenschaft geraten ist.
({31})
Hier verweisen Sie nur auf die Beschlüsse der nächsten Tage. Wir erwarten diese Beschlüsse. Wir werden sie prüfen. Wir sehen ihnen mit großer Aufmerksamkeit entgegen.
Sie sagen, die Bundesregierung habe beschlossen, die Importkontingente für Textilien 1974 nicht zu erhöhen. Ja, das ist allerdings wenig genug! Denn gerade in diesem Bereich der Wirtschaft - lesen Sie das, was die zuständige einschlägige Gewerkschaft in diesen Tagen und Monaten dazu zu sagen hat ({32})
geht es nicht nur darum, daß die Regierung großmütig auf die Erhöhung der Kontingente verzichtet. Hier geht es auch darum, ob eine Strukturbereinigung durch buchstäbliche Austrocknung zahlreicher,
hauptsächlich mittelständischer, Industriebetriebe angestrebt oder zumindest hingenommen wird.
({33})
Dann sagen Sie noch: In den vergangenen Wochen haben wir die öffentlichen Bauaufträge des Bundes verstärkt vergeben. Ich habe noch am 25. Oktober 1973 einen Brief Ihres zuständigen Bundesministers bekommen, in dem er mir klarmacht, daß aus konjunkturpolitisch zwingenden Gründen die Vergabe eines Bauauftrags für Bedienstetenwohnungen - zufällig in Garmisch-Partenkirchen - an eine rumänische Staatsbaufirma vergeben werden müsse, weil diese um eine halbe Million DM im Angebot niedriger liege als die einschlägigen deutschen Anbieter. Ich hoffe, daß diese Entscheidung in der Zwischenzeit korrigiert worden ist; denn wer rumänische Löhne zahlt, kann auch billiger bieten. Wer deutsche Löhne zu zahlen hat, ist anderem Kostendruck unterworfen als Firmen dieser Art.
({34})
Ihr Programm, Herr Bundeskanzler, mit den 50 000 Wohnungen ist ja auch so ein „alter Türke". Die waren ja schon einmal da. Die sind damals nur zurückgestellt worden, weil der Kreditmarkt erstens die Vergabe dieser Kredite nicht ermöglicht hat, zweitens die hohen Zinssätze nicht in Kauf genommen wurden. Jetzt sind dafür 60 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt worden, um diesen „alten Türken" wieder flottzumachen und in Marsch zu setzen, aber eine einschneidende neue Maßnahme ist das natürlich nicht.
Ich habe mich schon über das schöne Sprichwort, daß die Not erfinderisch mache, geäußert. Ich hoffe, daß die Not vor allen Dingen die Bundesregierung erfinderisch macht. Aus der gegenwärtigen Regierungserklärung kann man die Wahrheit dieses Sprichwortes noch nicht mit zwingendem Nachweis ablesen.
({35})
Es sind drei Probleme, um die es sich hier handelt und die man voneinander trennen muß. Das ist einmal die Konjunkturlage ohne die langfristige Energieproblematik und ohne die Folgen der kriegerischen Zeitereignisse. Wir wenden uns dagegen und sagen es auch hier, daß Folgen einer verfehlten Konjunkturpolitik, einer Politik, die zuerst die Inflation nicht erkannt hat, die Inflation hat laufen lassen, zum Teil gefördert hat, dann zu spät eingegriffen hat, zum Teil an der falschen Stelle eingegriffen hat, nunmehr unter den großen Teppich „Energiekrise" gekehrt werden sollen.
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Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg hat in der bekannten Sendung vor einigen Tagen sehr klar zum Ausdruck gebracht, daß die z. B. in der Automobilindustrie eingetretenen Auftragsrückgänge, die eingetretene Kurzarbeit noch nichts mit den Folgen der Ölkrise zu tun haben, sondern daß das bis jetzt nur die Folgen der Bremsmaßnahmen der Bundesregierung seien.
({37})
Das gilt nicht nur für den Bereich des Automobilbaus, der beinahe ideologisiert worden ist von denen, die früher die „autofreundliche Stadt" verlangt haben, damit auch der kleine Mann sich der Freude des Autofahrens hingeben kann, und die jetzt die „autofreie Stadt" mit demselben Fanatismus, mit demselben glaubenskriegsartigen Eifer verlangen, wie sie damals die autofreundliche Stadt verlangt haben. Aber das, was hier an Beschäftigungseinbrüchen zu verzeichnen ist, ist nicht nur in der Automobilindustrie festzustellen, sondern das gibt es auch in anderen Bereichen: Baubereich, Textilbereich usw. Das gibt es aber nicht nur sektoral, sondern auch regional. Die Verhältnisse, wie wir sie in den Grenz- und Randregionen der Bundesrepublik haben, und - wenn ich an mein Heimatland denke - die Schließung von Betriebsstätten und die zunehmenden Einnahmerückgänge der örtlichen Finanzämter im bayerischen Norden und im bayerischen Osten beweisen schon seit Monaten und seit Wochen in verstärktem Maße, daß man hier mit der Holzhammerpolitik hätte aufhören und eine differenziertere und im einzelnen präziser angewandte Konjunktursteuerungspolitik hätte vornehmen müssen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem der Preisstabilität ist jahrelang nicht entschlossen angepackt worden. Sie kennen die Diskussionen, die wir hier in diesem Hause Jahre hindurch geführt haben. Es hat auch keinen Sinn, nach den Sachverständigenberichten bis in die jüngste Zeit herein immer wieder das alte Märchen zu verbreiten, daran sei das Ausland schuld oder - für den innenpolitischen Hausgebrauch; Aktion gelber Punkt - daran seien mehr oder minder ausschließlich die Unternehmer, die Produzenten und die Händler schuld.
Die Verantwortung der Bundesregierung wird auch im neuen Sachverständigengutachten hervorgehoben. Wir werden es demnächst einmal ausführlich diskutieren. Dort heißt es:
Es ist keine Frage, daß diese inflationäre Entwicklung eingebettet war in einen internationalen Prozeß gleicher Art. Doch so wenig der Sachverständigenrat dies zu unterschätzen neigt, so wenig ist die Gesamtentwicklung, wie sie verlief, unvermeidlich gewesen.
Der Sachverständigenrat beruft sich hierbei auf frühere Gutachten und auch auf Nachtragsgutachten, in denen von den nationalen Maßnahmen und von der nationalen Stabilitätspolitik unmißverständlich gesprochen worden ist. Ich habe heute keine Zeit, darauf im einzelnen einzugehen; dies wird noch geschehen. Wogegen wir uns in diesem Zusammenhang wenden, ist, daß man der Öffentlichkeit vorzumachen versucht, daß Beschäftigungsrückgänge, daß Betriebsstillegungen, daß wirtschaftliche Rückschläge eine Folge des nicht vorhersehbaren Kriegsausbruchs gewesen seien. Solche Folgen werden noch eintreten, aber das, was sich bisher abzeichnet, sind Folgen, die nur von der Regierungspolitik herbeigeführt worden sind.
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Weitere Krisenerscheinungen werden das Ergebnis kumulierter, das Ergebnis gehäufter Auswirkungen sein, das Ergebnis sowohl einer verfehlten Konjunkturpolitik über lange Zeit hinweg, die ja erst im Sommer 1973 wirksam geändert worden ist - und da war es zu spät -, als auch der Auswirkungen der Energiekrise, der Erdölkrise. Deshalb ist die Ölkrise kein Alibi für wirtschaftspolitische Versäumnisse. Das ist der eine Problemkreis, den wir hier sehr deutlch herausstellen wollen.
Der zweite Problemkreis ist trotz aller gegenteiligen Beteuerungen des Herrn Bundeskanzlers das verspätete Handeln in der Energiepolitik. Vor der SPD-Fraktion hat Bundeskanzler Brandt von den schweren Versäumnissen der 50er und 60er Jahre gesprochen; in dieser Zeit habe man versäumt, eine eigene Ölindustrie aufzubauen. Er hat diesen Vorwurf von seiner Fraktion ausgesprochen; die entsprechenden Ausführungen sind im Pressedienst verteilt worden. Der Vorwurf ist hier aus gutem Grunde nicht wiederholt worden, weil der Bundeskanzler wußte, daß das eine sehr eingehende Diskussion und dann schon eine gründliche Vergangenheitserforschung erforderlich gemacht hätte.
Es geht auch nicht darum, jetzt Vergangenheitsforschung zu betreiben, obwohl wir uns der selbstverständlich stellen. Richtig ist, daß die Energieprobleme früher von allen Seiten nur zum Teil richtig und zum Teil nicht richtig gesehen worden sind, weil man sich auf die Vernunft aller Beteiligten, auf die Unerschöpflichkeit der Rohstoffquellen - die allen früheren Prognosen immer wieder widersprochen hat, die alle früheren langfristigen Prognosen Lügen gestraft hat - und auf eine volle weltweite Liberalisierung bei rationalem, vernunftgemäßem Handeln aller Beteiligten verlassen hat. Diese Voraussetzungen waren falsch. Diese Fehler sind auf allen Seiten gemacht worden. Ich schließe hier selbstverständlich auch uns mit ein.
Ich darf aber darauf hinweisen, daß der Kollege Klaus Dieter Arndt seinerzeit erklärt hat, die Konservierung der deutschen Steinkohle z. B. auf dem damaligen Förderungsstand von 140 Millionen t und dann von 110 Millionen t hätte so gewaltige Milliardenbeträge erfordert, daß sie von der Öffentlichkeit nicht hingenommen worden wäre.
Ich darf weiter daran erinnern, daß nach der Sinai-Krise, nach dem Krieg des Jahres 1967, die Gefahren doch sehr deutlich geworden sind. Ich möchte einmal wissen, was sich die Bundesregierung eigentlich - auch wenn sie die Öffentlichkeit aus gutem Grunde nicht mit Überlegungen dieser Art beunruhigen wollte; das billige ich ihr zu - gedacht hat. Nachträglich kann sie das doch sagen. Sie mußte doch spätestens nach dem Jahre 1970 damit rechnen, daß über kurz oder lang wieder militärische Aktionen zur Bereinigung einer offensichtlich diplomatisch nicht lösbaren Frage einsetzen würden. Sie mußte damit rechnen, daß angesichts der Zuspitzung der Situation solche militärischen Aktionen zu größeren Störungen führen würden, als es 1956 oder 1967 der Fall war. Sie mußte wissen, daß 1956 und 1967 die Amerikaner zum Teil hilfreich eingesprungen sind, und sie konnte nicht annehmen, daß die
Amerikaner angesichts des Verhaltens der Bundesregierung von derselben Begeisterung besessen wären, den Europäern auch diesmal wieder teilweise aus der Klemme zu helfen.
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Was hat die Bundesregierung hier langfristig politisch gedacht? Was hat sie diplomatisch auf beiden Seiten vorbereitet, um für diesen Fall gerüstet zu sein?
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Ich möchte gern eine Antwort hören. Ich fürchte, die Antwort wird lauten: nichts. Aber wir lassen uns hier gern eines Besseren belehren.
Ich darf auch, Herr Bundeskanzler, entgegen Ihrer Darstellung darauf hinweisen, daß wir seinerzeit noch in gemeinsamer Arbeit in der letzten mehrjährigen Finanzplanung 575 Millionen DM bereitgestellt haben, die ab 1970 in Jahresraten von 115 Millionen DM geleistet werden sollten für den Aufschluß neuer Erdölfelder, für den Kauf von Erdölfeldern und für den Erwerb von Anteilen an Erdölförderungsgesellschaften; da fragt es sich allerdings wieder, wo in der Welt dies einen Sinn hätte.
In den Bundeshaushalten 1970 und 1971, den beiden ersten Ihrer Regierungszeit, wurden diese Beträge auch in voller Höhe vorgesehen. 1972 und 1973 wurden sie - gegenüber 115 Millionen vorher - auf je 60 Millionen und im Haushaltsentwurf 1974 auf 72 Millionen festgesetzt. Das heißt, daß die früher in der gemeinsamen Planung der Großen Koalition ausgewiesenen Summen, die für diesen Zweck ausgegeben werden sollten, unter Ihrer Alleinregierung erheblich vermindert worden sind und auch weiterhin vermindert bleiben. Im Hause des Gehenkten pflegt man nicht vom Strick zu reden. Auch das ist ein Sprichwort, das man in diesem Zusammenhang verwenden könnte.
Außer dem Rohölbevorratungsprogramm durch den Bund, dem sogenannten Kavernenprogramm, ist nichts Ernsthaftes geschehen. Ich habe darauf in meinem Beitrag am 24. Januar hingewiesen. Der Bundeskanzler sprach von dem Energieprogramm, das im Sommer vorgelegt worden sei. Für ihn scheint der Sommer sehr lange zu dauern. Es wäre auch gut, wenn er länger dauerte oder wenn wir hier ein Sonnenlichtverlängerungsprogramm einführen könnten. Das Sommerprogramm ist im September dieses Jahres beraten worden und beruhte auf Voraussetzungen früherer Jahre. Sicherlich eine wertvolle Vorarbeit, aber sie entsprach doch schon nicht mehr dem Stand, der im September dieses Jahres - obendrein nach den amerikanischen Warnungen, Erfahrungen und Ereignissen - festzustellen war. Ich habe vorhin hingewiesen auf die Botschaft Nixons vom 18. April dieses Jahres, auf seinen Aufruf vom 29. Juni dieses Jahres, auf seine Verfügung für alle amerikanischen Bundesbehörden, eine 7%ige Reduzierung ihres für die nächsten 12 Monate vorgesehenen Energieverbrauchs vorzunehmen. Ich darf die Maßnahmen erwähnen, die Kanada getroffen hat, und zwar bevor der Krieg ausgebrochen war. Ich darf das Energieprogramm der Sowjetunion erwähnen. Ich darf auf die britische Regierung hinwei3920
sen. Das Energieprogramm der Bundesregierung kam im Oktober 1973. Die Maßnahmen dieses Programms müssen doch heute sofort überarbeitet werden, weil sie schon mit den damaligen Gegebenheiten nicht übereinstimmen, geschweige denn mit den in der Zwischenzeit eingetretenen.
Die widersprüchlichen Prognosen und falschen Voraussagen der Bundesregierung habe ich erwähnt. Die Bundesregierung hat es in nachträglicher Wiedergutmachung gegenüber Altbundeskanzler Erhard an Maßhalteappellen in dieser Zeit ja nicht gerade fehlen lassen. Aber sie zögerte sehr lange, selber mit gutem Beispiel voranzugehen. Herr Bundeskanzler, was ich hier sage, beruht auf vielen Vorgängen. Es muß von dieser Seite aus einmal gesagt werden, ohne daß ich Einzelheiten biete; aber wenn Sie es wünschen, bin ich auch dazu gerne bereit. Die Bundesregierung sollte wirklich damit aufhören, durch die Minister, die Parlamentarischen Staatssekretäre, Staatsminister, beamteten Staatssekretäre, Ministerialdirektoren, Viersterne-, Dreisterne-, Zweisterne-, Einsterngeneräle und Chargen darunter, zum Teil auch Abgeordnete, die nach Schwaben fliegen, um dort bestimmte Sondierungen vorzunehmen ich denke an Schelklingen -, einen großzügigen, den Gesetzen der Haushaltsordnung widersprechenden Gebrauch von Dienstfahrzeugen des Bundes und einen noch unzulässigeren Gebrauch von der Luftflotte des Bundes zu machen.
({42})
Es ist ,für den normalen Bürger einfach unerträglich, zu lesen oder zu hören, daß kleine Teams mit der Boeing 707 zum Teil Weltreisen unternehmen, in ferne Kontinente fliegen. Dafür kann man auch Linienflüge benutzen.
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Dabei kann man auch die Sicherheitsprobleme lösen, die mit Linienflügen verbunden sind.
Ich habe zum Energieprogramm gesprochen.
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Herr Bundeskanzler, wenige Hinweise dazu. Der Zeitraum, auf den sich das Energieprogramm erstreckt, ist zu kurz. Das Programm reicht bei Kohle bis 1978/80, für die übrige Energiepolitik bis höchstens 1985. Alle Experten stimmen darin überein, daß Energiepolitik ein Denken in Jahrzehnten erfordert. Kurzfristig ist der Zeitraum bis 1985. Das ist kurzatmige Energiepolitik. Mittelfristige Energiepolitik bezieht sich auf die letzten fünfzehn Jahre dieses Jahrhunderts. Langfristig bedeutet: über das Jahr 2000 hinaus. So die Definition des Ifo-Instituts.
In außenpolitischer Hinsicht ist das Programm so arglos, wie die Welt für unseren Bundesaußenminister immer in Ordnung ist. Die Kernfrage des künftigen Verhältnisses zu den erdölfördernden Ländern - gerade Nahost, Mittlerer Osten, Afrika - wird zu leicht genommen, wird praktisch ignoriert. Die Gefahr, daß neben der Abhängigkeit von arabischen und afrikanischen Ländern auch Abhängigkeiten bei der Belieferung aus den Ländern des Warschauer Paktes bei unerfreulicher politischer Situation eintreten können, wird überhaupt nicht ernst genommen. Sie erscheint nicht einmal als Hypothese. Die Risiken, die sich aus der hohen Abhängigkeit von Mineralölimporten für die gesamte Problematik des Weltwährungssystems ergeben, werden völlig verschwiegen. Die Überschüsse machen heute 30, 35 Milliarden Dollar im Jahr für die OPEC-Länder aus, in wenigen Jahren 50 Milliarden, im Jahre 1985 voraussichtlich 80 Milliarden Dollar - für Länder, bei denen die wenig 01 erzeugenden einen Devisenbedarf haben, die viel 01 erzeugenden mit ihren Einkünften, was die Entwicklung ihres Landes betrifft, kaum etwas anzufangen wissen. Solange diese Fragen nicht in die sonstigen Ungeklärtheiten des Weltwährungssystems einbezogen sind, können wir hier auch keine Beruhigung erwarten. Es mag bei künftigen Weltwährungskonferenzen herauskommen, was auch immer: diesem Problem aber ist man bisher praktisch aus dem Wege gegangen - auch unser eigenes Programm.
Das Energieprogramm läßt klare Prioritäten vermissen. Die Bundesregierung muß auch einmal ihren Zielkonflikt Umweltschutz - Energieversorgung in der Öffentlichkeit klarlegen. Da wird auf der einen Seite das berechtigte Umweltschutzdenken manchmal zu einem Umweltschutzfanatismus - mit ideologischen Vorzeichen - entwickelt, auf der anderen Seite wird über die langen Fristen des Bewilligungsverfahrens beim Bau von neuen Kraftwerken geklagt. Hier muß die Bundesregierung den politischen Mut haben, dem Volke die Grenzen aufzuzeigen, die hier einem noch so berechtigten Umweltschutzdenken gezogen sind, sie kann aber nicht auf beiden Hochzeiten tanzen.
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Hinsichtlich der Forschung und Entwicklung beschränkt sich das Energieprogramm auf verbale Absichtserklärungen. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich dagegen gewendet, daß die Opposition kritische Bemerkungen zum Programm der Kernforschung und der Kerntechnik macht. Die Bundesregierung hat im Entwurf eines 4. Atomprogramms für die Jahre 1973 bis 1977 zu Beginn des Jahres 1972 ein Volumen von 9 Milliarden DM angekündigt. Im Herbst vor den Wahlen wurde noch ein Entwurf vorgelegt, wobei ein Gesamtausgabevolumen von 6,5 Milliarden DM angegeben wurde. Im Februar des Jahres ist der Entwurf diskutiert, 14 Tage später nicht mehr als Basis akzeptiert worden, weil die Mittel der mittelfristigen Finanzplanung geändert worden sind. Daraufhin ließ sich die Bundesregierung bis heute Zeit, das 4. Atomprogramm umzuarbeiten. Die endgültige Fassung ist, obwohl mehrfach gefordert, dem Bundestag noch nicht zugeleitet.
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Entscheidend sind folgende Punkte: Die Ausgaben für Kernforschung und Kerntechnik sollen in den nächsten Jahren nur um 4 % pro anno steigen. Die Zahl der Wissenschaftler in den Forschungszentren des Bundes wird abgebaut. Kernforschung und Kerntechnik wurden im Rahmen der sogenannten Neuorientierung der Forschungspolitik erheblich vernachlässigt, weil sie angeblich nicht an den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert sind. Das ResulStrauß
tat ist: In den Forschungszentren große Unruhe, die Motivation für qualifizierte Wissenschaftler nimmt ab - sie verlassen ihre Arbeitsstätte -, die Entwicklung fortgeschrittener Kernreaktoren wird verzögert, die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors wird verzögert und vernachlässigt. Ich muß auch sagen, wenn es auch an anderer Stelle mit noch mehr Zuständigkeit gesagt werden muß: Es fehlt dem Forschungsminister an dem notwendigen Engagement; er beschäftigt sich viel zu sehr mit anderen Problemen.
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Sie reichen von der Erforschung des „reaktionären Konservativismus" über die Gebührenerhöhung bis hin zu gesellschaftspolitischen Höhenflügen von morgen. Er sollte sich um das kümmern, was gerade in seinem Bereich an Lebensfragen für unsere wirtschaftliche und soziale Zukunft langfristig anfällt; da jedoch erleben wir viel zu wenig.
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Ich darf mit den letzten Worten meiner Ausführungen etwas über die Mitwirkung der Opposition an der Lösung der Energiekrise sagen. Die Opposition ist bereit, an einer Lösung der Energiekrise mitzuarbeiten und, wie bereits betont - ich wiederhole es hier am Ende meiner Ausführungen -, Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen zu übernehmen. Das setzt aber voraus, daß sie von der Bundesregierung rechtzeitig und voll über die Tatsachen und über die Absichten dieser Regierung informiert wird.
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Eine Information - sozusagen zur Unterrichtung der Öffentlichkeit - über die Gespräche Bundesregierung - Opposition im Sinne einer allgemeinen staatspolitischen Werbeaktion ist für uns uninteressant. Wir wollen Fakten wissen, wir wollen Absichten wissen. Dann sind wir bereit, in dieser Lage gemeinsam Verantwortung zu tragen; die Voraussetzungen dafür habe ich genannt.
Die Opposition kann nicht die Rolle der Regierung übernehmen, aber sie ist bereit, jede von der Regierung vorgeschlagene Maßnahme zu prüfen, ob sie sachlich gerechtfertigt und notwendig ist; danach wird sie ihre eigene Einstellung festlegen. Wir werden es nicht dulden, daß Krisenmanagement als eine Art Mogelverpackung für Absichten dient, die soziale Marktwirtschaft schrittweise zu demontieren, wofür es ja innerhalb einer Regierungspartei schon sehr lautstark gewordene Ansätze und Fortschritte gibt. Festpreise und Höchstpreise sind nach allen bitteren Erfahrungen leider kein Mittel, mit dem man dieser Energiekrise begegnen kann. Die Opposition begrüßt den Beschluß des Bundeskabinetts vom Mittwoch dieser Woche, die 10 %ige Investitionssteuer für Bereiche der Energiewirtschaft und Energieinvestitionen aufzuheben. Dies ist ein erster, aber nicht ausreichender Schritt. Neben der Entlastung von der zusätzlichen Investitionssteuer schlagen wir vor, Maßnahmen zu ergreifen, die die Umstellung vom Energieträger Öl auf den Energieträger Kohle beschleunigen. In Betracht kommen hier steuerliche Begtinstigungen solcher Umstellungsmaßnahmen durch erhöhte Abschreibungen, wie sie bereits im Kohle- und Erzbergbau und für Anlagen des Umweltschutzes gewährt werden, aber nicht für Maßnahmen dieser Art. Derartige steuerliche Begünstigungen brauchten nicht auf die gewerblichen Unternehmen beschränkt zu werden, sie könnten auch den privaten Haushalten eingeräumt werden, die in der Lage sind, Ölheizung durch Koksheizung zu ersetzen.
Herr Bundeskanzler, wir fordern Sie in allem Ernste auf, ein nationales Forschungsprogramm für Energiegewinnung europäisch und - bei Wiederherstellung besserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten - atlantisch abgestimmt, durch Gewährung von Steuerhilfen und durch Gewährung von Prämien einzuführen, zu beschleunigen und möglichst bald sichtbaren Ergebnissen zuzuführen.
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Wir fordern Sie weiterhin auf, in diesem Zusammenhang einen Nationalpreis auszusetzen, mit dem jeweils jedes .Jahr der um die Gewinnung neuer Energie, um die Erforschung neuer Energietechniken besonders verdiente Forscher öffentlich ausgezeichnet und entsprechend honoriert werden soll.
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Wir fordern Sie auch auf, längerfristige steuerliche Anreize für die Automobilindustrie zu geben, beschleunigt andere Antriebsaggregate für Pkws im Rahmen dieses Forschungsprogramms zu entwickeln.
Unseren sozial schwachen Bevölkerungsteilen muß sofort geholfen werden. Die Absichtserklärung der Kabinettssitzung von gestern und die vage Umschreibung kommender Beschlüsse der nächsten Tage reichen hier nicht aus. Die durch die jahrelang verfehlte Konjunkturpolitik verursachte Gefahr für die Sicherheit der Arbeitsplätze, ,die durch die Energiekrise jetzt noch rapide verstärkt wird, muß in wirtschaftsschwachen Gebieten und wirtschaftlich benachteiligten Sektoren durch Sofortmaßnahmen abgebaut werden. Die CDU/CSU wird heute noch einen Antrag vorlegen, der zum Teil auf der gleichen Linie liegt, wie sie in Ihrem Programm enthalten ist, das Wesentliches von dem übernommen hat, was als Absichten der Opposition in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit verkündet worden ist, nämlich gewisse Ausgabenkürzungen aufzuheben, vor allen Dingen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", die Wiederherstellung des Investitionszulagengesetzes mit einer Zulage von 10% für die wirtschaftsschwachen Gebiete, die unverzügliche Erhöhung der ERP-Mittel für diese Gebiete, gezielte Maßnahmen für den Wohnungsbau, Aufhebung von Importerleichterungen auf Grund der Stabilitätsmaßnahmen der Bundesregierung in den Sektoren Textil, Bekleidung, Leder, Schuhe und anderes. Dieses Programm, dieser Antrag wird heute noch durch unseren Fraktionsvorsitzenden vorgelegt werden.
Erlauben Sie mir, Herr Bundeskanzler, noch ein letztes Wort im Zusammenhang mit der Gesamtpro3922
blematik, die von Ihnen hier sehr eng dargestellt worden ist und auch in der engen Darstellung nur mit sehr dürftigen Informationen und Sachdarstellungen ausgestattet worden ist. Wenn es nicht möglich ist, die Überlegungen der Bundesregierung zur außenpolitischen Problematik sowohl der langfristigen Energiekrise wie der kurzfristigen Energiekrise darzulegen, dann sollten Sie die Opposition über Hintergründe, Zusammenhänge und Tatsachen informieren, wie die Bundesregierung sie sieht. Wir haben selbstverständlich nicht die Absicht und auch nicht das Recht, etwa von uns aus Vorschläge für die Lösung der israelisch-arabischen Frage zu machen. Es genügt aber auch nicht, daß sie hier nur von der Neutralität der Bundesregierung sprechen, daß Sie sagen, jeder habe das Recht, in Anerkennung gesicherter Grenzen zu leben. Dann, Herr Bundeskanzler, sagen Sie doch bitte auch: Was sind nach Ihrer Meinung diese gesicherten Grenzen, und was tut die Bundesregierung dazu, um beide Seiten davon zu überzeugen und dazu zu bringen - gemeinsam mit dem stärkeren Partner, Amerika -, daß die beiden Seiten auch diese so anerkannt gesicherten Grenzen tatsächlich als eine gerechte Lösung empfinden. Was, Herr Bundeskanzler, verstehen Sie unter „Regelung der Sache der Palästinenser", wie Sie es in Ihrem Telegramm Boumedienne zum Ausdruck gebracht haben? Wir sind immer für gerechte Regelungen. Wir sind dafür, daß alle Beteiligten in gesicherten Grenzen leben können, ,die von allen Seiten anerkannt werden. Wir sind für gerechte Regelungen ungelöster Fragen. Aber was stellen Sie sich darunter vor? Sagen Sie doch: meinen Sie damit die Rückkehr der eineinhalb Millionen Menschen in ihre früheren Wohnungsgebiete, oder meinen Sie etwas anderes damit? Es genügt hier nicht, irgendwelche Spruchbänder in die Landschaft zu setzen, die infolge ihrer Unverbindlichkeit zwar richtig sind, aber trotzdem nicht weiterhelfen, nur die Verwirrung zu erhöhen, geeignet sind.
In diesem Zusammenhang: was war denn eigentlich los mit der Reise des stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD, des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Kühn nach Israel? Wir haben gehört, daß er dort die Maßnahmen der Bundesregierung - nämlich Sperrung des Luftraums, Sperrung der Häfen, Sperrung der amerikanischen Depots - als einen bedauerlichen Irrtum der Bundesregierung bezeichnet hat. Die Bundesregierung habe diesen Irrtum eingesehen und bedauert und bereits Wiedergutmachung dafür geleistet. Hat die Bundesregierung jetzt hier einen Irrtum begangen, hat sie ihn bedauert, in welcher Form hat sie Wiedergutmachung geleistet? Wir können uns nicht damit abspeisen lassen, daß ein Sprecher der Bundesregierung, darauf angesprochen, sagt: „Die Äußerung des Herrn Kühn ist die Meinung eines Privatmannes, mit der wir uns nicht weiter zu beschäftigen brauchen." Es hätte bloß noch gefehlt, daß er gesagt hätte: „Eines Herrn Kühn? Den kennen wir gar nicht. Wen meinen Sie denn eigentlich damit?"
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Wenn die deutsche Außenpolitik in beiden Lagern glaubhaft sein soll, wenn sie die moralische Kraft haben soll, daß wir als Freund beider Seiten gelten, und wenn sie ihr moralisches, wirtschaftliches und politisches Gewicht zur Lösung dieser sonst wieder blutig werdenden Frage einsetzen will, dann geht es nicht an, daß man in den jeweils konträren Lagern mit unterschiedlichen Zungen spricht und Botschaften der einen Art da und entgegengesetzter Art dort verkünden läßt. Das kann man sich nur ganz kurze Zeit erlauben.
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Wir drücken auch unser Bedauern darüber aus, Herr Bundeskanzler, daß - unbeschadet, welche Motivation und welche Rechtfertigung oberflächlicher oder tiefgründiger Art man für bestimmte Entscheidungen der Bundesregierung immer finden und vor der Öffentlichkeit darlegen kann - hier die Europäer und am stärksten die Deutschen es versäumt haben, an der Seite des größten unserer Bundesgenossen zu stehen, von dem immer noch unsere Sicherheit so gut wie allein abhängt, in einer Krise, in der es um Leben oder Tod für uns alle gehen konnte.
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Ich meine damit nicht, daß wir mit denselben Maßnahmen hätten eingreifen können wie die USA. Ich unterstelle Ihnen nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie etwa mit der Neutralität gewollt haben, daß die eine Seite zum Schluß die andere Seite erdrückt; Sie wissen, wen ich meine. Wenn man es aber den Amerikanern überläßt, diese Frage so zu regeln, daß ein Waffenstillstand und dann ein Friede zustandekommt, dann ist es ein Gebot der Allianzloyalität, diese Seite auch moralisch und politisch so zu behandeln, daß sie sich nicht alleingelassen fühlt, - mit Reaktionen und Konsequenzen, deren Tragweite wir heute noch nicht zu übersehen vermögen. Ich weiß: als damals, im Frühjahr dieses Jahres, der Außenminister Kissinger - damals noch Berater - in seiner atlantischen Doktrin in der Rede bei Associated Press am 25. April in New York davon sprach, daß drei Mächte globale Verantwortung und zwei regionale Verantwortung haben, darunter die Europäer, da haben die Europäer empfindlich reagiert, und es sind ganz merkwürdige Ausdrücke gefallen: daß die Amerikaner mit ihrer niedergehenden Macht es noch nicht verstünden, daß die Europäer eine aufgehende Macht seien; man müsse mit dem Selbstbewußtsein einer im Werden befindlichen emanzipierten europäischen Großmacht rechnen. In der Zwischenzeit haben wir Europäer bewiesen, daß wir nicht einmal in der Lage sind, regionale Verantwortung zu übernehmen, - es sei denn, man versteht verbale Kraftakte schon als politische Lösungen.
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Wir haben bewiesen, daß wir mit all unserem politischen und wirtschaftlichen Können nicht in der Lage sind, bei einem Brand vor unserer Haustür, der in einen Flächenbrand umschlagen kann, etwas anderes als beschwichtigende Redensarten, ablenkende Phrasen und fromme Sprüche aufzubieten.
Wenn die Energiekrise einen Sinn gehabt haben soll, wenn etwas Gutes aus ihr werden soll, dann muß sie der Anlaß dafür sein, daß die Europäer wenigstens in diesem Jahrzehnt lernen, regionale Verantwortung zu übernehmen und etwas aufzubieten. Was haben wir aufgeboten, um die Israelis zu Konzessionen und beide Seiten zur Einstellung ihrer militärischen Operationen zu bewegen? Der Exponent des Hauptfeindes der Araber in diesem Fall, des Hauptlieferanten für die Israelis, flog nach Kairo und konnte innerhalb weniger Stunden die diplomatischen Beziehungen mit den USA und Ägypten wiederherstellen. Warum? Weil die Ägypter begriffen haben, daß ihnen auf die Dauer nicht die russischen Raketen, sondern die amerikanische Intervention mehr helfen wird, eine friedliche Lösung zu erreichen, als die Hoffnung auf den Endsieg.
Wie standen wir Europäer da? Nach den großmauligen Erklärungen vom April dieses Jahres haben wir gesehen, daß eine Macht, die in schwerste innere Schwierigkeiten verwickelt ist, in der Stunde der Not handlungsfähig ist, während wir uns nach wie vor mit Geschwätz begnügen müssen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Nachdem gestern bekanntgeworden war, daß der erste Redner der Opposition Herr Kollege Strauß sein würde, der heute früh eine Stunde Redezeit beantragt hat, haben sicher manche in diesem Hause und vielleicht noch mehr in der Öffentlichkeit eine, ich will einmal sagen, „Kohle-Schweiß-und-TränenRede" erwartet. Nachdem die Stunde vorbei ist und wir vieles sehr Buntes, viel Verwirrendes gehört haben, kann man sagen: eine „Kohle-Schweiß-und-
Tränen-Rede" war es jedenfalls nicht, und es war auch kein Beitrag zur Energiepolitik.
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Nach dieser Rede scheint mir ein Gerücht, das mir zugetragen wurde - das ich aber anfangs nicht glauben wollte , wahr zu sein. Nach dieser Rede scheint es nämlich möglich zu sein, daß Herr Strauß in der Informationsrunde beim Bundeskanzler mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden nichts anderes als dringliche Fragen nach der von der Frau Präsidentin vernünftigerweise nicht getroffenen Ausnahmeregelung für Abgeordnete gestellt
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und sich sonst nicht weiter nach der Energiepolitik erkundigt hat. Nach Ihrer Rede, Herr Kollege Strauß, können Sie mir diese Bemerkung nicht übelnehmen.
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Eines sollte in diesem Hause wie in der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, nämlich daß die gegenwärtige Situation keine Dramatisierungen, aber auch keine Verniedlichungen verträgt. Dieser
Forderung, in der gegebenen Situation weder zu dramatisieren noch zu verniedlichen, hat die Regierungserklärung des Bundeskanzlers in wohlabgewogener Weise Rechnung getragen.
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- Ihr ging das voraus, Herr Müller-Hermann, was jeder Regierungserklärung vorauszugehen hat, nämlich eine vernünftige, sachliche und umfassende Vorbereitung, sogar unter Einbeziehung der Opposition.
Es kann wohl auch kein Zweifel daran bestehen, daß die gegenwärtige Ölkrise, ausgelöst durch den Nahost-Konflikt, die Schwierigkeiten verschärft, aktualisiert hat, daß aber das Energieproblem schon lange vorher bekannt war. Herr Strauß, ich habe auch Ihren Hinweis und Ihre Polemik bezüglich der Energiebotschaft von Präsident Nixon im Verhältnis zu dem, was der Bundeskanzler gesagt hat, nicht verstehen können. Auch Sie haben doch zur Kenntnis genommen, daß in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 ein energiepolitisches Gesamtkonzept angekündigt und daß dieses Konzept vor der akuten Ölkrise vorgelegt worden ist. Ich glaube, es muß hier einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden, daß seit Bestehen der Bundesrepublik - ich habe mir die Mühe gemacht, das im Detail nachzulesen 8 Regierungserklärungen zu Beginn einer neuen Bundesregierung abgegeben worden sind, also die Leitlinien für die Politik einer neu zusammengesetzten Bundesregierung, und daß die Regierungserklärung vom 18. Januar die erste in diesem Lande gewesen ist, in der die Notwendigkeit eines energiepolitischen Gesamtkonzepts deutlich und präzis angesprochen worden ist.
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Da kann man nun von Ihrer Seite wohl kaum von Versäumnissen reden, ohne sich selber in der früheren Regierungsverantwortung zu meinen. Das allerdings zu tun ist guten Gewissens möglich.
Daß aus dieser Krise, aus dieser Zuspitzung der Energiesituation, die auch in Zukunft eine Situation der Verknappung sein wird, Konsequenzen zu ziehen sind, hat die Regierung ausgesprochen und einiges getan. Kurzfristige Maßnahmen sind eingeleitet, und ich glaube, man kann nach dem letzten Wochenende sagen: erfolgreich eingeleitet. Mittelfristig wirksame Umschichtungen der Energiequellen sind ebenfalls eingeleitet. Sie werden natürlich nicht von heute auf morgen gelingen. An der notwendigen Konkretisierung, Präzisierung und in einigen Teilbereichen auch Umschichtung des vorliegenden Energiekonzepts wird gearbeitet. Dazu wird mein Kollege Karl Ahrens hier im Laufe der Debatte noch im einzelnen etwas sagen.
Ich würde mich hier gern darauf beschränken, im Anschluß an die Rede des CSU-Vorsitzenden Strauß zwei Problemkreise anzusprechen, die in seiner Rede immer wieder, wenn auch ohne konkretes Konzept, durchgeschimmert sind. Das ist zum einen die gegenwärtig notwendige Orientierung der Konjunkturpolitik auf noch mehr Differenzierung der Global3924
Steuerung, als schon in den vergangenen Wochen eingeleitet, und das ist zum anderen die Chance der Strukturpolitik, die vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Energieverknappungen deutlicher und notwendiger wird als bisher.
Die Konjunkturpolitik muß sich nicht grundsätzlich neu orientieren. Nichts wäre der Situation und den Möglichkeiten der Wirtschaft dieses Landes weniger angemessen als jetzt ein völliges Umschalten, ein völliges Herumwerfen der Konjunkturpolitik. Aber was bereits vor einigen Wochen eingeleitet wurde, das ist in Zukunft noch notwendiger, nämlich eine wohlabgerundete Differenzierung der Konjunkturpolitik vorzunehmen. Das wird allerdings nicht mit jenen schrillen Tönen möglich sein, die in den Begleittexten zu dem Arbeitsplatzsicherungsprogramm der CDU/CSU enthalten sind, das hier vorgelegt worden ist. Herr Strauß hat angekündigt, es wird noch ein Antrag folgen, von dem ich annehme, daß er dem gestern von Ihrer Fraktion verabschiedeten Neun-Punkte-Programm entsprechen wird. Dieses Neun-Punkte-Programm enthält eine Reihe von vernünftigen Maßnahmen, Maßnahmen, die in den Arbeitskreisen bei uns bereits vor der Verabschiedung dieses Programms ausgiebig diskutiert worden sind. Nur wäre es der gegenwärtigen Situation in keiner Weise angemessen, diesen Neun-Punkte-Katalog nun als Ad-hoc-Programm in die Wirtschaft zu werfen, sondern dieses Programm, vielmehr ein Teil der dort vorgeschlagenen Maßnahmen und andere mehr sind in ein konjunktur- und strukturpolitisches Gesamtkonzept einzubetten. Die Bundesregierung hat aus gutem Grund beschlossen und angekündigt, daß noch vor Weihnachten nach gründlicher Vorbereitung ein solches geschlossenes, abgestuftes Konzept vorgelegt werden wird. Das halten wir für vernünftig, und daran werden wir entsprechend mitarbeiten. Die Programmtextbegleitung, die gestern mit dem Arbeitsplatzsicherungsprogramm der CDU/CSU vorgelegt wurde, erinnert aber in dieser Massivität an folgendes. Herr Warnke, entschuldigen Sie, mit diesen Tönen, die Sie auf der zweiten Seite zum Ausdruck gebracht haben, unterstellen Sie z. B. der Bundesregierung eine bewußte und gewollte Vernichtung von Arbeitsplätzen. Sie werden doch wohl nicht im Ernst glauben, daß irgendein Arbeitnehmer in diesem Lande Ihnen solche Töne und solche Unterstellungen abnehmen wird. Es bleibt der Verdacht, daß diese aufgeregten Töne, die Sie mit diesem Programm verbinden, lediglich vor dem Hintergrund der Mitbestimmungsbeschlüsse - besser gesagt: Nicht-MitbestimmungsBeschlüsse - Ihres Parteitages notwendig sind.
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Sonst vermag ich nicht zu verstehen, warum Sie sich bei teilweise so konkreten Maßnahmen hier mit solch schrillen Tönen an die Arbeitnehmer wenden müssen. Das ist, verzeihen Sie es mir, kein Programm der Arbeitsplatzsicherung, sondern hier wird versucht, in publizitätswirksamer Form, nach Beifall schielend, Stimmungen ausnutzend, gesamtwirtschaftliche Tendenzen, die schädlich sind, noch zu verschärfen und nicht zur notwendigen Beruhigung und der notwendigen Sorgfalt beizutragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte sehr.
Herr Kollege Ehrenberg, beziehen Sie Ihre Information, daß die Aufgeregtheit der Arbeitnehmer draußen nicht festzustellen sei, etwa von den vielen entlassenen Arbeitnehmern in der Textilindustrie?
Ich habe nicht von der Nichtaufgeregtheit der Arbeitnehmer gesprochen, sondern davon, daß es schädlich ist, wenn Sie mit so schrillen Tönen wie hier dieser Bundesregierung bewußte und gewollte Vernichtung von Arbeitsplätzen unterstellen und damit die unruhige Situation wider besseres Wissen anheizen. Darum geht es.
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Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte.
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Worauf führen Sie das Nachlassen der Beschäftigungsmöglichkeiten z. B. in der Bauindustrie, in der Baumaschinenindustrie und in der Textilindustrie zurück, wenn nicht auf die Maßnahmen dieser Bundesregierung?
Die Bundesregierung hat
mit ihrem wirksamen Stabilitätsprogramm ein Stahllitätsprogramm, das Ihnen ständig nicht weit genug ging, verehrter Herr Kollege Franke. Man muß einmal daran erinnern, daß die Opposition zu jeder Zeit gesagt hat: Das Stabilitätsprogramm ist viel zu klein und nicht weitgehend genug.
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Die Bundesregierung hat sehr bewußt - das war sehr notwendig - zu einer Konjunkturberuhigung beigetragen, und sie hat auch mit der Differenzierung der Globalsteuerung begonnen, um dort, wo diese Einbrüche erfolgten, entsprechend gegenzusteuern. Aber dieses Stabilitätsprogramm kann man doch nur in diskriminierender und diffamierender Weise als bewußte und gewollte Vernichtung von Arbeitsplätzen bezeichnen. Das würden Sie ja auch nicht tun, Herr Franke.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Warnke?
Er hat es getan. Darum gestatte ich sie auch.
Herr Kollege Ehrenberg, würden Sie auch die Äußerung des Vorsitzenden der Gewerkschaft Textil und Bekleidung, Herrn
Buschmann, daß die Gefährdung der Arbeitsplätze in der Textil- und Bekleidungsindustrie durch die Osteinfuhrpolitik der Bundesregierung nicht im Einklang mit der Arbeitsplatzgarantie des Bundeskanzlers steht, als bewußt wahrheitswidriges Anheizen der Gefühle bezeichnen?
Das, was Herr Buschmann gesagt hat, klingt anders als das, was Sie gesagt haben, Herr Warnke.
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Ich überlasse es Ihrem philologischen Geschick, die feinen Unterschiede dort herauszufinden. Übrigens hat die von Herrn Buschmann mit Recht vorgebrachte Forderung auch zu der vorn Bundeskanzler selbst angesprochenen weiteren Verkürzung der Einfuhrkontingente geführt. Aber ich glaube nicht, daß wir Ihr Zonenrandtextilproblem, über das wir gelegentlich reden, Herr Warnke, noch weiter hier im Plenum erörtern sollten. Dafür gibt es sicher noch sehr viel mehr Gelegenheiten, vielleicht auch sogar noch heute bei einem der späteren Tagesordnungspunkte, wenn ich Ihren Antrag richtig verstanden habe.
Das, was hier vorgelegt wird, enthält eine Reihe von nützlichen Dingen. Es nützt nichts, jetzt im Wege der Panikmache, im Wege des Anheizens an an die Sache heranzugehen. Hier ist vielmehr wohlabgewogene Besonnenheit nötig. Zur Panikmache gehört es auch, wenn Franz Josef Strauß hier von diesem Pult aus das Sachverständigengutachten, das der Stabilitätspolitik der Bundesregierung hohe Anerkennung zollt,
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so interpretiert, wie es geschehen ist. Davon zu reden, daß das Sachverständigengutachten der Bundesregierung die Schuld anlastet, und zu verschweigen, daß an vielen Stellen des Sachverständigengutachtens die hervorragende Position der Bundesrepublik im europäischen und internationalen Preisvergleich sehr deutlich hervorgehoben wird, dies kann nur jemand tun, der glaubt, andere hätten dieses Sachverständigengutachten nicht gelesen. Wir haben es aber gelesen. Deshalb sind diese Ausführungen wohl genausowenig ernst zu nehmen wie jener Teil der Rede von Herrn Strauß, in dem er sich für die in der Öffentlichkeit mangels Informiertheit verständlicherweise lautgewordenen Forderungen nach einer Senkung der Mehrwertsteuer, damit der Staat nicht an den steigenden Steuereinnahmen profitiere, einsetzen zu können glaubte. Herr Strauß ist leider nicht mehr im Saal. Ich würde ihn gerne darauf aufmerksam machen, daß höhere Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, die auf gestiegene Preise eines einzelnen Produktes oder einer Produkten-Menge zurückgehen, dem Staat nicht einen Pfennig mehr in die Kasse bringen, weil sich jene Kaufkraft, die durch nicht immer sehr freundliche Maßnahmen der Mineralölindustrie bei den Verbrauchern abgeschöpft worden ist, schließlich nicht noch einmal mehrwertsteigernd auswirken kann. Es ist vielmehr so, daß bei anderen Produkten mindestens der gleiche Betrag, wenn nicht - auf Grund der zu erwartenden Verknappungen und der damit gebotenen Angebotsreduzierungen in anderen Bereichen - sogar ein höherer Betrag an Mehrwertsteuer ausfällt. Ich hatte gehofft, daß in diesem Hause nicht darüber diskutiert zu werden braucht, daß man die Mehrwertsteuer nicht isoliert betrachten und nur auf den Mineralölbereich allein beziehen kann, wenn man davon ausgeht, daß der Staat angeblich davon profitiert. Man muß doch gleichzeitig sehen, daß die Mehrwertsteuer mindestens in gleicher Höhe der Mehreinnahmen, leider wahrscheinlich sogar in größerem Umfang anderswo ausfällt. Insofern kann dem Bundeskanzler nur beigepflichtet werden, wenn er hier sagt: Dies kann für die Bundesregierung kein Instrument sein. Wenn die Bundesregierung sich dieses Instruments bediente, führte dies auch nur dazu, daß der Preiserhöhungsspielraum auf diesem knappen Markt noch rigoroser ausgenutzt werden würde als bisher.
Es ist sehr zu begrüßen, daß das Bundeswirtschaftsministerium über die Landeswirtschaftsminister mit den Landeskartellämtern bereits eine breite Aktion zur Überprüfung der Kalkulationsgrundlagen in der Mineralölindustrie eingeleitet hat. So richtig es ist, Höchstpreisfestsetzungen wegen der möglichen Verdrängung des Öls vom deutschen Markt zu problematisieren, so richtig und notwendig ist es auch, genau hinzusehen, wer im Bereich der Mineralölwirtschaft ohne zwingenden Kalkulationsgrund einen Engpaß auf dem Markt rigoros zu Lasten der wirtschaftlich Schwächeren ausgenutzt hat. Das neue Kartellrecht eröffnet glücklicherweise die Möglichkeit, hier entsprechend einzuschreiten. Ich hoffe sehr, daß im Rahmen der notwendigen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern die Landeskartellämter durch die entsprechenden Ministerien personell so verstärkt und ausgerüstet werden, daß die notwendige Überwachung und Kontrolle der offen-zulegenden Kalkulationen schnell und präzise durchgeführt werden kann. Sollte es, was wir alle nicht hoffen, notwendig werden, daß den jetzigen Maßnahmen eine zweite Stufe folgt - sei es nun in Gestalt einer Mindestmengenrationierung oder in Gestalt anderer Maßnahmen -, so sind die jetzt vom Bundeswirtschaftsministerium eingeleiteten Arbeiten zu mehr Markttransparenz, zu mehr Preisübersicht eine gute Grundlage, auf der dann weiteres - von dem wir hoffen, daß es nicht notwendig sein wird - beschlossen werden kann.
Aber, meine Damen und Herren, mir erscheint es wichtig, hier heute noch einmal darauf einzugehen, daß die eingeleitete Differenzierung der Globalsteuerung fortzusetzen sein wird. Die Aussetzung der Investitionssteuer für mit der Energieversorgung zusammenhängende Anlagen ist hier ein guter Anfang. Der Bundeswirtschaftsminister erwartet von diesem Hause mit Recht schnelle Mithilfe, um diese partielle Aussetzung erreichen zu können. Ich glaube, wir tun gut daran, bei dieser notwendigen gesetzlichen Regelung gleich auch eine Möglichkeit für die Regierung vorzusehen, die aus der Investitionssteuer und der Stabilitätsabgabe angesammelten Mittel gezielt zu Strukturverbesserungen im Sinne der Energieeinsparung, der Energiesicherung und der Schaffung von Arbeitsplätzen auszugeben.
Damit wird aus der notwendigerweise breiteren Differenzierung der Globalsteuerung so etwas wie die Stunde der Strukturpolitik.
Vor der Konjunkturpolitik wird in den nächsten Monaten die schwierige Aufgabe liegen, die generell noch anhaltende Restriktionspolitik, die bei dem gegenwärtigen Preisüberhang - wegen des ja nicht größer werdenden, sondern sich wahrscheinlich partiell verknappenden Angebots - notwendig ist, weiter fortzuführen, während wir mit der anderen Hand schon expansive, Arbeitsplätze schaffende und Investitionen vergrößernde Maßnahmen einleiten müssen.
Dafür zwei Beispiele:
Der deutsche Steinkohlenbergbau kann dem Stand der möglichen Technik nach sehr viel leistungsfähiger gemacht werden, allerdings unter gewaltigen Investitionsaufwendungen. Ich würde es für möglich halten, trotz Aufrechterhaltung der generellen Investitionssteuer aus den bei der Bundesbank stillgelegten Mitteln hier gezielt Finanzierungshilfen zur Einführung modernster Technik zu geben, und zwar in wohldosierter Abstufung der Möglichkeiten im Hinblick auf die beschäftigungspolitischen Konsequenzen für die Maschinenbauindustrie. Parallel damit müßte gleichzeitig eine durchdachte Standortplanung für neue Kraftwerke vorgenommen werden, wobei freilich auch die Möglichkeiten der preisgünstigen Importkohle zu berücksichtigen sind. Diese angepaßte, zu beschleunigende Standortplanung für neue Kraftwerke wird ebenfalls ihre beschäftigungspolitischen und energiesichernden Konsequenzen haben.
Ähnliches - ich greife das aus einer Reihe weiterer Beispiele heraus - gilt für die Deutsche Bundesbahn. Diese hat noch erhebliche Rationalisierungsmöglichkeiten in einer weiteren Elektrifizierung ihrer Strecken. Diese Umstellung wird auch heute im Rahmen der nicht sehr großen Finanzmöglichkeiten der Deutschen Bundesbahn vorangetrieben. Auch hier würden massierte Investitionsanstrengungen, die aus den Mitteln der Investitionssteuer zu finanzieren ich auch für legitim halten würde, in Zukunft größere Möglichkeiten zur Entlastung des Straßennetzes und auch der notwendigen Verlagerung von der Nutzung von Dieselkraftstoff zur Nutzung heimischer Energiequellen bringen. Ein solches Programm wäre in das wohlsortierte, gemischt konjunktur- und strukturpolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung einzubetten.
Es ließen sich weitere Beispiele 'anführen, doch damit sollte das Plenum nicht aufgehalten werden. Die Situation, die vor uns liegt, macht es erforderlich, behutsam und unter Beachtung ,der branchenmäßig und regional sehr unterschiedlichen Rückwirkungen an 'ein solches Konzept ,heranzugehen, aber nicht im Sinne eines pauschal vorgebrachten Forderungskatalogs.
Der Bundeskanzler hat bereits angekündigt, daß mit den Ministerpräsidenten ein Gespräch über die notwendige Veränderung der vorgesehenen Strekkung der Gemeinschaftsaufgabe stattfinden wird. Wir begrüßen dieses Gespräch mit den Ministerpräsidenten und die dahinterliegende Absicht sehr, haben allerdings auch Verständnis dafür, daß die Bundesregierung diesen Weg wählt, weil die Gemeinschaftsaufgabe ja nicht zu Unrecht Gemeinschaftsaufgabe heißt und nur in einem engen Miteinander von Bundesregierung und Landesregierungen - und nicht von der Bundesregierung alleine - durchgeführt werden kann. Sie erfordert ja auch die gleichgewichtige Bereitstellung von Mitteln in den Bundesländern und nicht beim Bund alleine. Auch das gehört nach der notwendigen Abstimmung mit den Ministerpräsidenten der Länder in jenes energiepolitische Gesamtkonzept, von dem hier gesprochen worden ist.
Insgesamt wird die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik in den nächsten Monaten wohl vor ihrer schwierigsten Phase stehen. Sie muß jene Gratwanderung zwischen einer immer noch notwendigen Restriktionspolitik - aber ich möchte sagen: einer Restriktionspolitik mit leichter Hand - und den erkennbaren strukturellen Engpässen, den erkennbaren strukturellen Schwierigkeiten führen. Das wird möglich sein, aber es wird Schwierigkeiten mit sich bringen. Diese neue Vorrangstellung der Strukturpolitik wird an Arbeitnehmer wie Unternehmer hohe Anforderungen an Mobilität und Umstellungsbereitschaft stellen. Ich habe keinen Zweifel, daß die deutschen Arbeitnehmer wie die deutschen Unternehmer leistungsfähig und einsatzbereit genug sind, um das zu schaffen.
Es macht diesen Prozeß allerdings nicht leichter, wenn er mit schrillen Tönen, mit Panikmache oder mit einer nur der Verwirrung dienenden angeblichen Energierede begleitet wird.
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Was wir brauchen, ist Besonnenheit. Was wir brauchen, ist Bereitschaft, mit weniger privater Wohlstandssteigerung auszukommen und um so mehr die zur Verfügung stehenden Mittel auf öffentliche Investitionen, auf arbeitsplatzsichernde oder -schaffende und energiesparende Investitionen zu konzentrieren.
Diese Umstellung ist möglich, und es wäre sehr gut, wenn die Fraktionen dieses Hauses die Bundesregierung bei diesem schwierigen Unterfangen gemeinsam unterstützten und nicht aus kurzsichtigen Publizitätsgründen hier und dort den Fuß dazwischen hielten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Strauß, Sie haben heute zunächst einmal die Prosa oder Lyrik des Herrn Bundeskanzlers beanstandet, sind aber selber unter Heranziehung einer Reihe von Sprichworten aus altdeutschem Brauchtum - ich will sie nicht wieder zitieren - leider in wenigen Vorschlägen und, wie ich sagen muß,
auch in Ihrer Kritik konkret gewesen, so daß ich eigentlich bedauere, daß wir heute nur wenig Nützliches und wenig der Sache Dienliches aus dem Munde der Opposition, jedenfalls bisher, gehört haben.
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- Nein, das werden Sie von mir sicherlich nicht alles hören, Herr Kollege Strauß. Ich bilde mir nicht ein, in dieser Sache - ich komme darauf noch im Rahmen der Informationspolitik zurück - Patentrezepte, so wie Sie sie fordern, an der Hand zu haben und aus dem Armel schütteln können. Das kann in der ganzen Welt niemand, auch keiner hier in der Bundesrepublik.
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- Herr Franke, das mag durchaus sein. Aber hier ist eine Lage gegeben, bei der ich mich bemühe, diesen Eindruck nicht mehr zu erwecken. Wenn Sie das vielleicht zur Kenntnis nehmen möchten.
({2})
Meine Damen und Herren, wir stellen diesen merkwürdigen Wandel in der Betrachtungsweise der Dinge auch fest - ich werde in meinen Ausführungen noch darauf zurückkommen -, wenn wir das gestern im Hause verteilte Arbeitsplatzsicherungsprogramm mit dem heute vorgelegten Entschließungsantrag vergleichen. Was gestern vorgeschlagen wurde, werde ich noch zu erörtern haben; dem, was Sie heute hier verteilen, werden wir sicherlich nicht in allen Punkten und in allen Anregungen folgen und all die Gedanken aufgreifen können, aber dies scheint mir jedenfalls eine Diskussionsgrundlage für die Beratung im Wirtschaftsausschuß zu sein, worüber wir uns dort in Ruhe und ergiebig unterhalten können.
Es sind jedoch wesentliche Unterschiede über Nacht entstanden, und dies hat sich auch in der Diskussion der vergangenen Tage - auf vielen Seiten übrigens, nicht nur bei Ihnen - ergeben, weil auch der Informationsstand von Stunde zu Stunde - das wissen Sie sehr genau - sich verändert hat. Dies, Herr Kollege Strauß, muß doch gesagt werden, wenn Sie die Informationspolitik der Bundesregierung, wie Sie es hier getan haben, kritisieren. Von „täglich wechselnden Wahrheiten" hat der Herr Bundeskanzler gesprochen. Und in der Tat änderte sich die Situation täglich oder geradezu stündlich. Erinnern Sie sich nur an die Fernschreiben, die gestern im Laufe des Tages über den Stand der Beratung der Erdölminister in Algier unid ihre Haltung zur Bundesrepublik eingingen. Das wechselte von Stunde zu Stunde, so daß also die Fakten, von denen man bei der Beurteilung der Situation auszugehen hatte und, wie ich meine, auch auszugehen hat, einer stündlichen Überprüfung unterzogen werden müssen.
Der Bundeswirtschaftsminister ist sicherlich nicht dazu da - insofern spricht meine Fraktion ihm gerade in diesem Punkte ihr Vertrauen aus -, Tartarennachrichten in die Welt zu setzen, und er ist auch nicht dazu da, Herr Kollege Strauß, auf der Basis von Hochrechnungen, die immer auf Annahmen basieren müssen und letztlich irgendwo Spekulationen bleiben, Fakten an die Öffentlichkeit zu vermitteln, von deren Richtigkeit er selber beim besten Willen und bei Einsatz aller Mitarbeiter seines Hauses nicht überzeugt sein kann. Er hat je nach Sachstand - dieser wechselt, und er wechselte schnell - unbestritten umfassend und richtig informiert, er hat keine Spekulationen veröffentlicht und psychologisch genau die richtige Haltung getroffen, die man mit dem Wort „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" umschreiben kann.
In diesem Land und in diesem Volke ist nun einmal auf Grund geschichtlicher Erfahrungen - das wissen wir doch alle, meine Damen und Herren die Neigung zu Vorrats-, Angst- und Hortungskäufen - das ist ja nicht die erste Krise, die wir hinter uns haben, wenn auch nicht in diesem Ausmaß - unbestreitbar vorhanden, und es muß die Pflicht des verantwortlichen Mitglieds der Bundesregierung sein, einer solchen Neigung entgegenzuwirken.
Wenn wir uns über die Probleme der Energiepolitik unterhalten, so stellt sich die Frage nach den langfristigen Auswirkungen, und die schlichte Antwort darauf muß lauten: In der gegenwärtigen Situation ist die Frage nicht zu beantworten. Hier fehlen die notwendigen Kenntnisse; wir wissen über die Maßnahmen der Länder, die uns Ö1 liefern wollen, sollen oder sollten, nicht Bescheid, und wir können doch nicht von der Überlegung ausgehen, daß es eines Tages zu einem vollständigen Stopp in der Öllieferung kommen sollte, denn mit dem Weltuntergang - wenn ich das einmal so nennen darf -, jedenfalls mit dem wirtschaftlichen und politischen Weltuntergang kann man einfach nicht rechnen, und diesen kann man nicht in seine Argumentation einbeziehen. Aber daß dies das Ende dieser Wirtschaft und dieser Gesellschaftsordnung und des Gedeihens in dieser Bundesrepublik, von den Arbeitsplätzen ganz zu schweigen, wäre, läßt sich nicht bestreiten.
Wenn man das nicht übersehen kann, so muß doch eines auch klar gesagt werden: Alle Gedanken, meine Damen und Herren, an Autarkie, alle Gedanken, sich kurz- oder auch nur mittelfristig von der Erdölversorgung in diesem Lande ganz unabhängig machen zu können, führen nach meiner Überzeugung auf den Holzweg. Dies wird nicht möglich sein. Wir können versuchen, Abhängigkeiten zu mildern, und wir können und müssen versuchen, Abhängigkeiten regional zu verteilen. Dies wird sicherlich auch wegen der damit verbundenen außenpolitischen Aspekte wichtig sein. Aber daß wir die Abhängigkeit abschaffen könnten, ist angesichts der Rohstoffsituation dieses Landes auf diesem Sektor, zur Zeit jedenfalls, nicht gegeben. Was mittelfristig oder kurzfristig möglich ist, meine Damen und Herren, ist natürlich eine andere Frage.
Herr Strauß, Sie haben recht, daß das Energieprogramm der Bundesregierung fortgeschrieben werden muß, wie man das heute nennt, meinethal3928
ben auch überarbeitet werden muß. Dies ist angesichts der zum Teil völlig veränderten Lage selbstverständlich und wird natürlich auch geschehen. Sie haben nicht recht, wenn Sie meinen, die in der Welt angestellten Betrachtungen über eine sich abzeichnende Energiekrise - Sie haben den Präsidenten Nixon vom 18. April und die Kissinger-Rede, in der das auch vorkam, vom 25. April vor dem National Press Club in New York zitiert seien in die Überlegungen hier nicht eingeschlossen. Der ganze Teil über die Kernenergieversorgung und ähnliches bezieht sich doch ganz wesentlich auf diese Position. Selbstverständlich ist das ein integraler Bestandteil der Überlegungen gewesen, die zur Verabschiedung und Vorlage des energiepolitischen Programms geführt haben.
Eines, meine Damen und Herren, möchte ich denn doch für diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sagen: Wir sollten froh sein, heilfroh sein, daß wir überhaupt in dieser Situation ein Energieprogramm auf dem Tisch liegen haben.
({3})
Interessant auch wieder im Hinblick auf die amerikanischen Überlegungen ist mir Ihre Bemerkung gewesen, Herr Kollege Strauß, daß man im Jahre 1967 nach Beendigung des damaligen Sinai-Krieges hätte wissen sollen oder wissen müssen, daß der nächste Krieg unmittelbar bevorstehe.
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- Herr Kollege Strauß, Sie haben vorhin 1967 gesagt. 1970 sieht schon etwas anders aus. Ich wollte mich erkundigen, ob der 1967 zuständige und verantwortliche Finanzminister damals schon die Vorsorge dafür getroffen hat. Das war offensichtlich nicht der Fall. Sie meinen jetzt also 1970.
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Meine Damen und Herren, zur Frage der Steinkohle, die hier angeschnitten worden ist und zu Recht in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielt, auch in diesem Hause, hat der Generalsekretär der OPEC hier in einem eindrucksvollen Vortrag vor kurzem erst gesagt: Eines Tages wird eure Steinkohle wieder wettbewerbsfähig sein, nicht weil ihr sie billiger produzieren könnt, sondern weil das Erdöl das Preisniveau der hier geförderten Steinkohle erreicht hat. Wenn sich diese Kurven einander annähern - sie brauchen sich gar nicht zu schneiden, es genügt eine Annäherung -, wenn wir in puncto Steinkohle auf dem Weltmarkt - denn Energiemarkt ist Weltmarkt - einen wettbewerbsfähigen Preis haben, dann sieht die Lage auch auf diesem Sektor anders aus. Wir müssen unsere Politik darauf einrichten.
Daß das zur Zeit bei Saar- und Ruhrkohle noch nicht der Fall ist, wird nicht bestritten. So meine ich nach wie vor, daß z. B. der im Rahmen des Energieprogramms oder im Rahmen von Rationalisierungsbemühungen vom Aufsichtsrat der Ruhrkohle getroffene Beschluß über die Zechenstillegung richtig war. Denn die Verhinderung dieser Zechenstilllegung hätte nicht eine einzige Tonne mehr Produktion bedeutet, sorgt aber dafür, daß an anderer Stelle rationeller und kostengünstiger produziert und gefördert werden kann.
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- Ich bin Ihnen sehr dankbar für die an dieser Stelle erwartete Zwischenfrage, Herr Russe. Aus der Diskussion der letzten 20 Jahre wissen wir, daß die Kohlebeurteilung des Landes Nordrhein-Westfalen und die des Bundes unterschiedlich sind. Das Land Nordrhein-Westfalen nimmt seine speziellen Interessen wahr, und der Bund hat bundesweite Interessen wahrzunehmen. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob die Regierungschefs Kühn und Brandt heißen oder ob sie Meyers und Erhard heißen. Nur, wir wollen nicht hergehen und 140 Millionen t Jahresförderung in den blauen Himmel schreiben, sondern wir wollen bei den 83 Millionen t zunächst einmal bleiben und in aller Sorgfalt die Frage prüfen, ob wir uns eine Erhöhung dieser Menge vornehmen können unter dem Gesichtspunkt, daß wir die dafür notwendigen Subventionen im Haushalt aufbringen müssen. Im übrigen möchte ich die Frage aufwerfen - ich könnte mir vorstellen, daß das eine etwas verwegene Frage ist an diejenigen, die nicht aus Nordrhein-Westfalen stammen -, ob das nicht inzwischen eine bundesweite infrastrukturelle Aufgabe geworden ist - da bin ich mit meinem Freund Riemer völlig einig - und ob sich an der Finanzierung und Subventionierung der Steinkohle nicht auch andere beteiligen sollten als diejenigen, die zufällig dort wohnen, wo die Steinkohle liegt.
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Was die Frage der Substitution angeht, werden wir natürlich gerade die Mittel für die technologische Forschung auf dem Gebiet der Steinkohle verstärken müssen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn dies noch im nächsten Bundeshaushalt möglich wäre. Ich meine, die Mittel, die dafür vorgesehen sind, sollten nicht nur, sondern müßten unter den Gegebenheiten der jetzigen Lage aufgestockt werden. Dies kann sicherlich noch in Ruhe beraten werden. Hier sind Ansatzpunkte vorhanden. Der Herr Bundeskanzler hat sie auch erwähnt, und wir sollten sie aufgreifen.
Ob man das mit einem Nationalpreis, wie Herr Kollege Strauß ihn vorgeschlagen hat, nun wirklich fördern kann, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich weiß nicht, ob den die Deutschland-Stiftung durch Herrn Ziesel verleihen soll oder wie das gehandhabt werden muß.
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Dies ist mir in diesem Zusammenhang nun wirklich ein etwas kabarettistischer Vorschlag.
Die Aussetzung der Investitionssteuer in diesem Bereich ist unter diesen Gegebenheiten - nämlich gerade um Substitution zu schaffen, um Umrüstung zu ermöglichen - ganz sicherlich ein richtiger und vernünftiger Schritt.
Aber das, was wir jetzt besprochen haben, sind ja mindestens mittelfristige Überlegungen. Was tun wir nun in der jetzigen akuten Krise? Niemand wird die Frage beantworten können, wie lange diese Krise noch dauern könne, und so ganz teile ich den Optimismus, den der Sachverständigenrat in dieser Frage der Beurteiung der Dauer der aktuellen Krisensituation an den Tag gelegt hat, nicht. Ich könnte mir schon vorstellen, daß wir mindestens noch eine Reihe von Monaten mit den gekürzten Mengen und mit den daraus folgenden Einschränkungen leben müssen, mit denen wir es im Augenblick zu tun haben.
Nur eines - und darin sind wir, meine Damen und Herren, so scheint mir, einig - möchte ich hier für meine Fraktion mit aller Deutlichkeit erklären: Wir sehen in der Einführung von Höchstpreisen kein Mittel zur Lösung der akuten Krise.
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Der Herr Bundeskanzler hat es erwähnt, und es ist völlig richtig: Der gespaltene Markt, den wir zur Zeit auf diesem Gebiet im Lande haben, hätte zur Folge, daß die Einführung von Höchstpreisen entweder die noch etwas niedrigeren Preise aus der nationalen Produktion auf das internationale Niveau hochjubelte, oder aber man würde versuchen, den Preis auf dem nationalen Niveau zu halten, was bedeutete, daß man die internationalen Mengen total vom Markt verdrängte; dies würde die Verknappung nur noch vergrößern.
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Steigende Preise haben im übrigen, meine Damen und Herren, auch in einer solchen Situation in einer marktwirtschaftlichen Ordnung immer noch den Effekt, daß sie den Verbrauch und die Verbrauchsneigung senken und dämpfend beeinflussen. Dies kann uns in der gegenwärtigen Situation nur recht sein. - Herr Professor Carstens, Sie schütteln den Kopf, und ich füge hinzu, es kann uns nur dann recht sein, wenn wir auch an die sozialen Auswirkungen denken. Das ist völlig selbstverständlich; dabei gibt es doch ganz offenbar auf allen Seiten dieses Hauses nicht die geringsten Meinungsverschiedenheiten.
Die Verteilungsfunktion des Marktes aber würde man eben mit der Einführung von Höchstpreisen außer Kraft setzen, und dies, Herr Carstens, würde in erster Linie und am allerhärtesten den sozial schwachen Endverbraucher treffen. Der ist von Kontingentierung und Bezugscheinsystem am meisten benachteiligt.
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Wir unterhalten uns gerade über ,den sozial Schwachen, Herr Müller-Hermann, und ich muß das in diesem Hause offensichtlich niemandem mit besonderem Nachdruck sagen.
({12})
Darüber sind wir uns doch weitgehend einig. Und man muß doch die, deren Erinnerungsvermögen in bezug auf die Jahre vor 1948 entweder fehlt, weil sie nicht so alt sind, oder aber geschwächt ist, fragen, wer denn in Zeiten der Bezugsscheinwirtschaft und der Rationierung wirklich ohne Benzin und ohne notwendige Güter sein wird und ob sich jemals die - zugegeben auch grausame - Funktion des Geldes stärker ausgewirkt hat als in einem System der Bewirtschaftung und der Bezugsscheinverteilung.
({13})
Dies heißt nicht - da bin ich mit dem Kollegen Ehrenberg vollständig einig -, daß wir uns hinsetzten und die Preise dahin laufen ließen, wohin sie laufen wollen. Dies kann nicht richtig sein; dies kann nicht das Ziel unserer Politik sein. Vielmehr wollen wir - und wir sind froh, daß wir dafür die Kartellnovelle und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen haben - das Wettbewerbsrecht so scharf wie möglich und so scharf wie nötig anwenden. Wir wollen die Mißbrauchsaufsicht nunmehr auch durch die Vorschrift des § 12 des Energiegesetzes wirksam handhaben und verbessern. Wir brauchen dazu - Herr Ehrenberg, Sie haben vollständig recht - die Zusammenarbeit mit den Kartellbehörden auch der Länder. Wir wollen die ohne Zweifel sinnvollerweise eingerichtete Clearingstelle für Mineralölerzeugnisse in Hamburg selbstverständlich - übrigens in Zusammenarbeit mit den beteiligten Gesellschaften - zwecks Aufsicht in eine Form bringen, in der sie kartellrechtlichen Anforderungen in vollem Umfange entspricht. Und wir wollen und können feststellen, daß wir diese Maßnahmen in Kooperation mit den internationalen Mineralölgesellschaften zur Zeit vernünftig betreiben können, worüber ich mich nicht wundere, denn diese Gesellschaften müssen ja über den Tag hinausdenken und aus Gründen ihres eigenen Standing daran interessiert sein - wo sie es nicht sind, werden wir ihnen auf die Finger sehen oder mehr tun -, die kartellrechtliche Unbedenklichkeit jederzeit nachweisen zu können und sich in diesem Markte angemessen und vernünftig zu verhalten. Und dies hat der Herr Bundeskanzler mit Recht so zitiert. Geben wir diesem Verfahren und dieser Möglichkeit eine faire Chance! Dabei sind wir.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat den von Ihnen, Herr Kollege Strauß, zitierten Fragebogen mit den Mineralölgesellschaften ausgearbeitet. Das haben Sie übrigens nicht in der Zeitung gelesen, sondern darüber ist Ihnen am Montagabend berichtet worden. Daß der Fragebogen nicht am ersten Tage da sein kann, liegt daran, daß man zunächst einmal mit den Betroffenen ein Verfahren und eine Abstimmung über deren Computereinsatzmöglichkeiten -anders ist der nämlich nicht auszufüllen - herbeiführen mußte. Diese Abstimmung ist kooperativ herbeigeführt worden. Die Angaben, die wir auf diese Weise erhalten, dürften ausreichend sein, um den Erfordernissen der wettbewerbsrechtlichen Aufsicht gerecht zu werden.
Mit größtem Vergnügen, meine Herren von der CDU/CSU, habe ich hier zur Kenntnis genommen,
daß nunmehr - auch dies ist ein sehr schneller Wechsel; er ist der Lage angemessen - innerhalb von 48 Stunden nicht mehr die Rede davon ist, die Mineralölsteuer zu senken.
({14})
- Wie bitte?! - Die letzte Erhöhung der Mineralölsteuer wollten Sie senken.
({15})
- Sie!
({16})
- Ich habe Sie am Montagabend noch danach gefragt, und Sie haben einhellig gesagt: Jawohl, das wollen wir tun.
({17})
- Gut, danke sehr. Dann bin ich sehr zufrieden; denn dies würde ein völliges Unverständnis gegen-fiber der Funktion des Preises bedeutet haben; es geht also nur noch um die Mehrwertsteuer. Da, Herr Kollege Strauß, muß ich mich nun allerdings fragen: Wenn Sie die Mehrwertsteuer wegen dieser Sondersituation mit einer solchen Begründung senken wollen - leider waren Sie nicht da, als Herr Ehrenberg auf die vielen anderen Auswirkungen, die die Mineralölsteuer und die damit steigende Mehrwertsteuer in vielen anderen Bereichen hat, hinwies; das kann man gar nicht erfassen -, warum tun Sie das denn eigentlich nicht auch bei anderen Produkten? Wo fängt das an?
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- Bei der Mehrwertsteuer? ({19})
- Also keine Mehrwertsteuersenkung. Wie gesagt.: die Einlassungen wechseln ständig,
({20})
und man kommt da ebensowenig mit, wie sie es bei der Informationspolitik meinen.
Über eines, meine Damen und Herren, besteht jedenfalls Einigkeit: daß die soziale Komponente dieser Preissteigerungen, die wir jetzt erleben, aufgefangen und zufriedenstellend beantwortet werden muß. Der Herr Bundeskanzler hat das hier noch einmal mit aller Deutlichkeit unterstrichen; Herr Strauß, Sie haben das selber auch getan. Und der Bundeswirtschaftsminister ist, wenn ich mich recht erinnere, der erste gewesen, der eine direkte und zeitlich begrenzte Subventionierung derjenigen vorgeschlagen hat - wie immer man das darstellen will -, die hier in Not geraten und die von dieser Erhöhung in unzumutbarem Maße betroffen werden.
Dies sollte von niemandem angezweifelt werden, was erfreulicherweise auch nicht geschieht.
Eines aber darf ich hier aus meiner persönlichen Sicht hinzufügen: Die Energiepreissteigerung - ich glaube, auch darüber sind wir uns einig, daß Energie auf die Dauer in der Welt teurer wird; daran werden wir gar nicht vorbeikommen - wird uns allen, auf lange Sicht gesehen, ein Stück persönlichen Wohlstands und ein Stück persönlicher Konsummöglichkeit abfordern. Wenn wir glauben, daß wir das durch Einzelaktionen -- wie immer die aussehen mögen und auf was immer sie sich erstrecken mögen -kompensieren und auffangen können, werden wir uns in einen tödlichen Kreislauf hineinbegeben; dies kann nicht gehen. Wir müssen sehen, daß wir hier bisher auf einer Basis gelebt, gearbeitet und verdient haben, die wahrscheinlich unrealistisch war. Dies muß man jetzt zur Kenntnis nehmen - mit sicherlich sehr bedauerlichen und schmerzlichen Folgen - nicht allzu schmerzlichen, wenn es vernünftig bleibt -, die jeder einzelne in unserem Lande spüren kann.
({21})
Herr Müller-Hermann, dies ist zunächst einmal meine Feststellung, die ich gar nicht an die Adresse irgend jemandes - wie ich hoffe: auch nicht in polemischer Form - richte, sondern das ist eine Feststellung, über die wir uns unterhalten müssen und wo ich nur die Anregung gebe, darüber nachzudenken und das weiter zu diskutieren. Das ist keine Frage, die nur die Regierung angeht, sondern sie geht, so meine ich, uns alle an, wenn wir diese Erkenntnis für richtig halten, was ich ja gar nicht voraussetzen und erwarten kann.
Nun noch ein Wort zur Stabilitätspolitik. Herr Bundeskanzler, meine Freunde und ich sind Ihnen dankbar dafür, daß Sie sich noch einmal uneingeschränkt dafür ausgesprochen haben, daß die Stabilitätspolitik aufrechterhalten bleibt. Wir halten das für richtig. Das Ziel, das wir uns im Frühjahr oder im Frühsommer gesetzt hatten, ist trotz Energiekrise bisher noch nicht erreicht. Wir sind ihm nähergekommen, aber es ist noch nicht erreicht. Wir sind auch mit dem zusätzlichen Einfluß der Energiekrise wahrscheinlich der Gefahr der Übersteuerung zeitlich nähergerückt. Das heißt, unsere Aufmerksamkeit, daß wir den Zeitpunkt nicht verpassen, zu dem wir dort hineinrücken könnten, wird, wenn das überhaupt noch möglich ist, noch größer werden müssen, als sie es bisher gewesen ist.
Die Fortsetzung dieser Stabilitätspolitik, die uns ja im übrigen vom Sachverständigengutachten empfohlen worden ist, wobei die Sachverständigen über die Auswirkungen der Energiekrise nicht viel weniger wußten, als wir heute wissen - man muß das einmal sagen, um dem immer wiederholten Einwand zu begegnen, die hätten ja die Energiekrise nicht eingerechnet -, liegt in allererster Linie im Interesse der Arbeitnehmer, nämlich im Sinne der Sicherung der Arbeitsplätze. Dies muß doch eigentlich von der Opposition unterstrichen werden, nachdem sie das in diesem Hause das Jahr über immer wieder vorgetragen hat. Inflation, meine Damen und
Herren, frißt ja auf die Dauer insbesondere an der sozialen Lage der Arbeitnehmer.
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Massive Stagflation plus Beschäftigungsrisiko, die uns drohten, wenn wir jetzt falschen Rezepten folgten, wären - davon bin ich überzeugt - zu allerletzt - zu allerletzt! - im Interesse der arbeitnehmenden Bevölkerung.
Herr Kollege Strauß, ich weiß nicht, ob ich mich heute an dieser Stelle mit Ihren Ausführungen zum Sachverständigengutachten auseinandersetzen soll. Sie haben selbst darauf verwiesen, daß das vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen könne. Herr Ehrenberg hat ein paar Worte zum Gutachten gesagt. Ich weiß nicht, ob Sie die mithören konnten. Sie haben sich aus dem Gutachten die Teile herausgesucht, bei denen man Maßnahmen der Bundesregierung kritisieren kann. Das betrifft drei, vier oder fünf Seiten des Gutachtens. Die anderen 340 Seiten erwähnen Sie überhaupt nicht. Das ist, finde ich, eine vereinfachende Darstellung - ich will hier nicht von verzerrend sprechen -, die die Essenz und den Extrakt dieses Gutachtens nicht wiedergibt. Die Essenz dieses Gutachtens liegt doch nun einmal darin, daß der Bundesregierung bestätigt wird, daß sie - allerdings zu spät eingesetzt; das ist unbestritten - Stabilitätspolitik betreibt.
({23})
- Meine Damen und Herren, Sie haben diese Stabilitätspolitik nicht nur nach dem Zeitpunkt, sondern auch nach Inhalt und Maßnahmen immer wieder in Grund und Boden verdonnert und kritisiert.
({24})
- Natürlich! Wir werden uns gleich darüber unterhalten, daß Sie schon wieder von ihr herunter wollen, und das zu einem Zeitpunkt, in dem das nach unserer Überzeugung für den wirtschaftlichen Ablauf und angesichts der Entwicklung der Preissteigerungen lebensgefährlich wäre. In diesem Gutachten wird der Bundesregierung im Grunde genommen bestätigt, daß es noch nie eine so erfolgreiche harte und konsequente Stabilitätspolitik mit so guten Ergebnissen gegeben hat.,
({25})
Meine Damen und Herren, ebenso wie im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank in den Auslassungen über die Möglichkeiten der Gebietskörperschaften wird der Bundesregierung bestätigt, daß und ,das haben wir immer gesagt - die Möglichkeiten der Gebietskörperschaften, steuernd im konjunkturellen Ablauf eingesetzt zu werden, äußerst bescheiden und gering sind. Dies wird von den Sachverständigen zwar nicht begrüßt, aber als Tatsache hingenommen.
So einfach, wie Sie es sich zum Thema Jahresgutachten gemacht haben, Herr Kollege Strauß, dürfen wir es uns, wie ich meine, damit nicht machen. Im übrigen wissen Sie, daß die Forderung, die von Ihnen erhoben worden ist, hinter den Ereignissen herhinkt. Ich meine die Forderung, die Bundesregierung solle von den Sachverständigen sofort ein Sondergutachten erbitten, das die durch die Energiekrise entstandene Situation einbeziehe. Es muß noch einmal gesagt werden, Herr Strauß, ,daß dies natürlich in kurzer Frist nicht möglich ist. Ich kann mir nicht vorstellen - nach den ersten Reaktionen der Sachverständigen, von denen wir hören, wird es wohl so sein -, daß wir es vor Februar/ März auf dem Tisch haben können, einfach weil die Erhebung der Fakten zu schwierig ist, um darauf auch nur ein einigermaßen verläßliches Gebäude von Beurteilungen oder gar Voraussagen und Prophezeiungen aufbauen zu können.
({26})
- Ich habe mich mit dem Thema vorhin auseinandergesetzt. Ich hänge mich nicht an einzelne Worte. Daß die Fakten und der Erkenntnisstand täglich wechseln - ich wiederhole das -, ist doch wohl wirklich von niemandem im Ernst zu bestreiten. Das hat doch jeder in den letzten zehn, vierzehn Tagen hier im Hause und in der Öffentlichkeit miterlebt.
Wir empfehlen gemeinsam mit den Sachverständigen die Fortsetzung der Stabilitätspolitik als die zur Zeit einzig mögliche und richtige Haltung. Dabei sind wir völlig einverstanden mit den Erleichterungsmaßnahmen, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat und die der Kollege Ehrenberg hier unterstützt und begrüßt hat. Diese gezielten, den einzelnen Notwendigkeiten entsprechenden Lockerungsmaßnahmen halten wir für völlig richtig.
Aber was nun in Ihrem Arbeitsplatzsicherungsprogramm - das ist vom 28. November vorgeschlagen wird - am 29. November findet sich
das zum Glück nicht mehr -, kann ich eigentlich nur „Inflationsförderungsgesetz - zweite, erweiterte und verschlechterte Auflage" nennen. Wer diesen Katalog liest, muß natürlich zunächst einmal fragen, wie der eigentlich finanziert werden soll in einem System, in dem die Hochzinspolitik, also die Geld- und Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank, so fortgesetzt werden soll, wie das zur Zeit der Fall ist. Wer das alles liest und dann zum Schluß den Satz liest: „Das Arbeitsplatzsicherungsprogramm stellt keine Abkehr vom Stabilitätskurs dar", muß zu der Auffassung kommen, daß der Schreiber die erste Seite nicht gelesen hat, als er das auf der zweiten Seite geschrieben hat -, ich nehme ja an, es war e i n Verfasser. Dies ist doch überhaupt nicht auf einen Nenner zu bringen.
({27})
Wem wollen Sie denn nun weismachen, daß dieser ganze Katalog gleichzeitig noch unter dem Tenor „Fortsetzung der Stabilitätspolitik" irgend jemandem verkauft werden könne, der auch nur die blasseste Ahnung von den Problemen hat, mit denen wir uns hier herumzuschlagen haben? Ich meine Feinsteuerung, Differenzierung, Globalsteuerung. Das Abgehen von der Globalsteuerung muß sehr sorgfältig und darf nur in bestimmten Situationen erwogen werden. Sie kennen unsere sehr ausgeprägte und deutlich ausgesprochene Haltung in dieDr. Graf Lambsdorff
ser Frage. Das, was Sie hier vorschlagen, ist natürlich ein massives Abgehen von der Globalsteuerung. Darüber werden wir sicherlich noch über die ganze Breite des Hauses miteinander diskutieren müssen.
({28})
- Herr Kollege Müller-Hermann, natürlich sind das zu einem guten Teil Einzelmaßnahmen, die eingesetzt werden können. Das erinnert doch alles an Eventualhaushalt und - darf ich das so sagen - an „Plisch und Plum" aus den Jahren 1966 und 1967. Wenn Sie die Stabilitätspolitik ernsthaft beenden wollen, so ist darüber mit uns sicherlich zu reden. Darüber ist auch mit den Koalitionsfraktionen zu reden. Aber Sie können doch nicht unter das, was Sie vorschlagen, schreiben: Dies Ganze bedeutet Fortsetzung der Stabilitätspolitik. Darüber ist allerdings nicht zu reden, weil es einfach nicht stimmt.
({29})
Lassen Sie mich, bevor ich zum Ende komme, noch ein Wort zu den Währungsproblemen sagen.
({30})
- Herr Franke, ich will im Augenblick noch ein paar Worte zu den Problemen sagen, die sich aus dem Weltwährungssystem ergeben. Wir wissen ja, daß sich ernste Schwierigkeiten nicht nur für die Neuordnung eines Weltwährungssystems, sondern erst recht für das existierende Weltwährungssystem kumulieren, wenn diese Dollarmilliarden sich in den ölproduzierenden Ländern weiter aufhäufen. Das heißt für uns, praktisch gesprochen: das Floating wird fortgesetzt werden müssen, auf welche Zeit auch immer. Wir können nach den Erfahrungen der letzten Monate einigermaßen zuversichtlich sein, daß dieses System hält. Aber davon wird es zur Zeit keine Abkehr geben können. Wir könnten diese Gelder ja nur anbinden, wenn wir in der Lage wären, denjenigen, denen sie zustehen, ein Interesse an Investitionen in ihrem eigenen Lande beizubringen. Das ist schwierig, wie wir wissen. In einigen dieser Länder wird es überhaupt nicht möglich sein, weil ein solches Interesse nicht einmal im Grundansatz vorhanden ist. In anderen hingegen ist es möglich. Hier können wir doch nur heilfroh sein, Herr Kollege Strauß, daß der Bundeswirtschaftsminister vor dem Ausbruch dieser Krise über solche Möglichkeiten mit aller Intensität mit dem Iran verhandelt hat, diese Gespräche aufgenommen hat und genau auf dem richtigen Wege gelandet ist, nämlich joint ventures, gemeinsame Kapitalinvestitionen in einem dieser ölproduzierenden Länder. Wenn wir das auch in anderen Ländern erreichen könnten, wäre das sicherlich ein sehr hilfreicher und in der Sache vernünftiger Weg.
Graf Lambsdorff, darf ich - obwohl der Bundeswirtschaftsminister für die Beanwortung kompetenter wäre als Sie -, dein entnehmen, daß die Bundesregierung bei diesen joints ventures nunmehr bereit ist, es dem Iran zu ermöglichen, nicht nur die Entschwefelung des Erdöls vorzunehmen, sondern darüber hinaus Fertigprodukte aus Erdöl herzustellen, die dann in die Bundesrepublik eingeführt werden?
({0})
- Das war eine Frage.
Herr Kollege Strauß, nachdem Sie mit vollem Recht die größere Kompetenz des Bundeswirtschaftsministers in ihre Frage eingeflochten haben, will ich ihm auch die Beantwortung überlassen.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend zweierlei feststellen. Erstens: Jede andere Bundesregierung in der Vergangenheit wäre von dieser akuten Ölkrise schlechter vorbereitet getroffen worden, als diese Bundesregierung von ihr getroffen wird.
({0})
Zweitens: Meine Fraktion bedankt sich ausdrücklich bei dem Herrn Bundeskanzler dafür, daß er in seiner Fernsehansprache wie auch heute noch einmal im Schlußteil seiner Rede genau den Ton getroffen hat,
({1})
der der Bedeutung und dem Ernst dieser Situation angemessen ist, andererseits aber nichts dramatisiert und unserer Zuversicht entspricht, daß dieses Problem in einer gemeinsamen Anstrengung hoffentlich auch dieses Hauses, sicherlich aber unserer Bevölkerung draußen gemeistert werden kann.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Darf ich eingangs und, wenn Sie so wollen, vorab ein Beispiel für die heute vormittag zitierten wechselnden Wahrheiten liefern. Noch vor einer Stunde ging ich davon aus, daß wir am Montag in Bonn mit zwei arabischen Erdölministern verhandeln würden, die am Montag und Dienstag in Paris und dann in London waren und anschließend hierherkommen wollten. Vor wenigen Minuten wurde mir gesagt, sie kämen nicht; das hätten sie soeben mitgeteilt. Sie sehen allein an dieser einen Tatsache, wie sich die Ereignisse und damit auch die Wahrheiten unablässig verändern.
({0})
Ein Wort vorab noch zur Frage der kritisierten Informationspolitik, die, Herr Abgeordneter Dr. Strauß, insbesondere von Ihnen kritisiert worden
ist. Ich möchte mich zunächst auf die Information beschränken, die die Regierung und die ihr angehörenden Mitglieder den Fraktionen dieses Hohen Hauses meines Erachtens zuteil werden lassen sollten und müssen. Ich bin der Einladung der Klausurkonferenz Ihrer Fraktion über energiepolitische Fragen in Wiesbaden unverzüglich gefolgt, weil ich es für einen guten Stil gehalten habe, daß auch die Oppositionsfraktion über diese wichtige Frage mit der Regierung und dem dafür zuständigen Minister spricht.
Zweitens. Ich habe am 23. November einen Brief an den Vorsitzenden Ihrer Fraktion geschrieben. Da er sehr kurz ist, möchte ich ihn mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren:
Sehr geehrter Herr Carstens!
In der Anlage übersende ich Ihnen die Stellungnahme der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1973/74 des Sachverständigenrates, wie sie am heutigen Morgen vom Kabinett verabschiedet worden ist.
Beigefügt ist ferner die Tischvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums zur aktuellen Situation im Mineralölbereich, über die das Kabinett in der heutigen Sitzung beraten hat.
Ich stehe jederzeit zur Verfügung, Ihre Fraktion über die aktuelle Versorgungssituation in der Bundesrepublik persönlich zu unterrichten.
Mehr habe ich nicht zu sagen. Allerdings pflege ich nicht mehr zu tun, als mich anzubieten. Die Frage der Einladung liegt dann auf der anderen Seite.
({1})
- Ich habe, Herr Professor Carstens, gesagt: ich spreche zunächst zur Information der Mitglieder dieses Hohen Hauses.
Ich bin aber gern bereit, auch ein Wort zur Information der deutschen Öffentlichkeit zu sagen und, da die Möglichkeit hier gegeben ist, auch Dinge zu sagen, von denen ich angenommen habe, man könnte sie im Arbeitskreis oder in Ihrer Gesamtfraktion vortragen.
Es ist der deutschen Öffentlichkeit auch nicht damit gedient, daß der Abgeordnete Dr. Strauß unter Hinweis auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom heutigen Tage falsch eine Zeitung zitiert, die falsch berichtet hat; denn zweimal falsch, Herr Abgeordneter, gibt noch nicht richtig. Ich möchte Ihnen auch belegen, was ich meine. Sie haben die „Welt am Sonntag" zitiert, als Sie sich mit der Frage der Regierungserklärung und ihres Stils, ob Lyrik oder Fakten, auseinandergesetzt haben. Erstens. Die von Ihnen zitierte Zeitung hat überhaupt nicht die Regierungserklärung gemeint, sondern hat sich mit der Fernsehansprache des Bundeskanzlers vom vergangenen Samstag befaßt. Denn es war die Zeitung vom letzten Sonntag; die haben Sie zitiert. Zweitens. Diese Zeitung hat in der Tat falsch berichtet, weil es für diese Fernsehansprache keine
zwei Texte gegeben hat, sondern nur einen. Dies wollte ich hier nur richtigstellen.
({2})
- Dies wird häufiger behauptet. Allein, es zu glauben müßten Sie mir überlassen.
({3})
Sie haben weiterhin Kritik daran geübt, daß im Bundeskanzleramt das Fernsehen anwesend war, als vorgestern abend das Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und einigen Ressortministern und Vertretern der Parteien und der Fraktionen stattgefunden hat. Ich habe festgestellt, daß vor den Fernsehkameras im Anschluß an dieses Gespräch vier Interviews abgegeben worden sind, drei Interviews von Unionspolitikern, eins von mir, keins vom Bundeskanzler, keins von einem anderen Minister.
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Ich glaube, man muß doch, wenn man das zu Beginn so schön und ein bißchen gaghaft und emotional macht, sofort die Fakten nachliefern. Es steht also in der Frage der Interviews im Bundeskanzleramt für die Opposition 3:1.
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- Wer waren sie? Ich glaube, es war Herr Kohl, es war Herr Strauß, wenn ich mich recht entsinne - ich war einer, der nicht der Opposition angehört, wie ich zugebe ({6})
und es war ein dritter. Ich werde sofort durch das Presseamt feststellen lassen, wer der dritte war.
({7})
- Ich hoffe nicht, Herr Professor Carstens.
({8})
Doch zur Information und damit auch zu meiner Informationspolitik gegenüber der Öffentlichkeit. Meine Damen und Herren, die Rohölzufuhr in die Bundesrepublik war bis zum 20. November, genau gesagt: bis zum 19. November normal, bei Rohöl gänzlich ungekürzt, bei Fertigprodukten gekürzt um eine minimale Menge. Ab. 20. November haben sich die Einfuhren in die Bundesrepublik vermindert bei Rohöl um 15 %, bei Fertigprodukten um 15 bis 20 %. Dies habe ich jederzeit der Öffentlichkeit mitgeteilt, und zwar sofort nach dieser Erkenntnis. Die Mineralölwirtschaft rechnet daher insgesamt ab November mit Lieferausfällen von zirka 15 bis 20 %, unterteilt nach den Produktarten.
Dieses Bild dürfte bis zum 31. Dezember 1973 feststehen. Ein darüber hinausgehendes sicheres Bild hat weder die Mineralölwirtschaft noch die Bundesregierung selbst. Ich glaube aber, wir täten gut dar3934
an, uns darauf einzurichten, daß diese Kürzungen voraussichtlich auch in den Beginn des Jahres 1974 reichen werden. Über die exakten Mengen des Januar werden wir voraussichtlich am 11. Dezember Klarheit haben, weil etwa bis 11. Dezember die für den nächsten Monat abgerufenen und zu liefernden Mengen feststehen.
Zur Situation in den Produktbereichen: Bei Benzin haben wir relativ geringe kommerzielle Bestände bei den Raffinerien. Die bisher eingeleiteten Sparmaßnahmen werden nach Auffassung der Mineralölwirtschaft, die wir teilen, voraussichtlich die Anpassung an die geringere Benzinproduktion ermöglichen. Die Gesellschaften haben die Auslieferung an die Tankstellen etwa in dieser Größenordnung, nämlich um zirka 15 %, zurückgenommen. Ein Wort zu diesen Prozentzahlen: Diese Prozentzahlen beziehen sich nicht auf die Referenzperiode 1972, sondern sie beziehen sich auf das Soll 1973. Dieses Soll liegt im Durchschnitt um 7 % über den Ist-Mengen des Vorjahres. Die Rechnung heißt also: Dezember 1972 plus 7 minus 15. Das ist die voraussichtlich zur Verfügung stehende Menge.
Das Sonntagsfahrverbot soll nach übereinstimmenden Berechnungen zweier wirtschaftswissenschaftlicher Institute, des Bundeswirtschaftsministeriums und der Mineralölindustrie einen Minderverbrauch von ca. 7 % erbringen. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 bzw. 100 km/h soll einem Minderverbrauch von zirka 6 % entsprechen. Das ergibt zusammen zirka 13 %. Die Erfahrungen in Holland haben gezeigt, daß der Minderverbrauch größer ist. In Holland ist allein durch das Sonntagsfahrverbot eine Mindermenge von 10 % verbraucht worden, offensichtlich weil sich in der Bevölkerung die Bewußtseinslage so geändert hat, daß vom Automobil generell ein sparsamerer Gebrauch gemacht wird.
Ein Wort zu den Versorgungsengpässen zu einem Zeitpunkt, in dem die Belieferung in die Bundesrepublik und die Auslieferung der Mineralölgesellschaften noch voll geflossen ist. Zu diesem Zeitpunkt gab es nämlich die Verknappungserscheinungen an den Tankstellen und die bevorzugte Behandlung von Stammkunden. Die Mineralölwirtschaft konnte uns nachweisen, daß in diesen Tagen durch die aufgekommenen Diskussionen des Problems etwa 10 %, teilweise bis zu 20 %, mehr Benzin getankt worden ist, als an sich geplant war. Das war zu einem Zeitpunkt, in dem überhaupt noch keine Lieferausfälle da waren. Das beruht mit darauf- auch hier will ich Ihnen eine statistische Zahl geben -, daß die Tanks der Automobile, die im Schnitt der letzten Jahre mit etwa 40 % gefüllt waren, im Augenblick mit etwa 80 % ihres Fassungsvermögens gefüllt sind. Wir haben 17 Millionen zugelassene Pkw. Hinzu kommt der Versuch, mit Kanistern und ähnlichem eine private Vorratshaltung aufzubauen.
Herr Bundesminster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Carstens?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, würden Sie mit Bezug auf den Brief vom 23. November, den Sie soeben erwähnten, bereit sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieser Brief bei mir nicht eingegangen ist, sondern lediglich die Anlagen, von denen Sie sprachen, und würden Sie bereit sein, den Umständen nachzugehen, die zu dieser irrtümlichen Aussage von Ihnen geführt haben?
Herr Professor Carstens, ich bin bereit, dem nachzugehen.
({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Strauß, daran kann es kaum liegen, weil Post zwischen den Ministerien und dem Deutschen Bundestag normalerweise per Kurier befördert wird.
({1})
Ich darf allerdings die beiden anderen Fraktionsvorsitzenden bitten zu überprüfen, da sie Bleichlautende Schreiben am gleichen Tage erhalten haben, ob diese bei Ihnen auch nicht eingegangen sind. Vielleicht ließe sich das dann - ({2})
- Wollen wir es wirklich auf dieses Niveau bringen? Ich denke, Sie hatten eine Information erwartet.
({3})
Vielleicht schauen Sie auch einmal in dem Umschlag nach!
({4})
Das kann doch vorkommen; das kommt bei uns im
Büro auch vor. Man kann es doch einmal überprüfen.
Die Beschränkung bei Benzin ist ab sofort aufgehoben, d. h. die Mineralölgesellschaften haben die Tankstellen angewiesen, ohne Bevorzugung der Stammkunden voll zu betanken, mit Ausnahme der Tankstellen an den Bundesautobahnen, bei denen die Begrenzung auf 20 Liter aufrechterhalten bleibt. Diese Begrenzung beibt bewußt aufrechterhalten, weil wir durch die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit und die mit der Abgabe geringerer Mengen verbundenen Unbequemlichkeiten den Versuch machen wollen, einen Teil des individuellen Fernverkehrs auf diese Weise während der Mangelsituation auf andere Verkehrsträger zu verlagern.
Zum Dieselkraftstoff. Es hat bei Dieselkraftstoff eine Verengung gegeben, die zu Lieferproblemen geführt hat, und zwar sowohl für den öffentlichen Personenverkehr als auch für den Güternah- und -fernverkehr. Ich habe der Mineralölwirtschaft gesagt, daß ich die volle Belieferung mit Dieselkraftstoff für eine hohe Priorität hielte und bäte darum, die Versorgung mit Dieselkraftstoff voll durchzuführen. Die Mineralölwirtschaft hat dies zugesagt und behaupBundesminister Dr. Friderichs
tet, daß etwa ab 1. Dezember mit einer vollen Belieferung der einzelnen Verbrauchergruppen mit Dieselkraftstoff zu rechnen sei.
Dies bedeutet, daß die dafür erforderlichen Mehrmengen aus einem anderen Bereich genommen werden müssen. Daher sind wir gezwungen, die Auslieferung bei leichtem Heizöl von bisher 15 % auf etwa 20 % zu vermindern. Dies ist möglich, weil leichtes Heizöl und Dieselkraftstoff dieselbe Fraktion haben. Diese Lieferkürzungen sind unseres Erachtens vertretbar, weil gerade bei leichtem Heizöl die Bevorratung der privaten Haushaltungen, insbesondere soweit sie Großbehältnisse haben, hervorragend ist und weil wir durch Vereinbarungen mit der Mineralölwirtschaft dafür sorgen, daß ein anderes Ablaufschema im Nachfüllen etc. gefunden wird, und zwar ein Ablaufschema, das dem früherer Jahre entspricht, das nur außer Kraft gesetzt war, weil in den letzten Wochen jeder, dem in seinem Tank auch nur ein Fünftel fehlte, sofort wieder aufgetankt hat. Wir hoffen, daß wir mit diesem System die volle Belieferung mit Dieselkraftstoff und gleichzeitig eine angemessene, allerdings nicht volle Belieferung der privaten Haushalte mit leichtem Heizöl gewährleisten können.
Aus alledem entnehmen Sie, daß wir der Belieferung der gewerblichen Wirtschaft die eindeutige Priorität einräumen, weil hieran für die Gesamtvolkswirtschaft und damit für die Arbeitsplätze mehr hängt als am privaten, teilweise verzichtbaren Verbrauch.
Wir haben in den letzten Tagen ein Problem bei Flüssiggas, das allerdings in erster Linie die öffentlichen Gaswerke und die Glasindustrie betrifft. Hierfür ist eine Clearingstelle besonderer Art unter Federführung der ARAL eingerichtet worden. Ich hoffe, daß es uns gelingt, Engpässe zu vermeiden, die zu Produktionsausfällen führen.
Nun zum schweren Heizöl. Wir sind in die Mangelsituation in der Annahme hineingegangen, daß schweres Heizöl in ausreichender Menge zur Verfügung stünde oder, anders gesagt, daß die Verengungen bei schwerem Heizöl erst zuallerletzt spürbar würden. Diese Annahme hat sich nicht als richtig erwiesen, weil plötzlich aus dem Land, aus dem wir die größten Mengen beziehen, große Mengen an Erdöl hereinkamen, das in seiner qualitativen Zusammensetzung anders war als bisher. Dieses Erdöl enthält mehr leichte Fraktionen, so daß wir mehr Benzin, Dieselkraftstoff und leichtes Heizöl, aber wenig schweres Heizöl gewinnen können. Diese Situation, die zu Umstellungen führt, ist uns aber nicht unangenehm. Es ist eine Vermittlungsstelle unter Federführung der Gelsenkirchener Bergwerks-AG eingerichtet. Um die Lieferkürzungen bei schwerem Heizöl um ca. 20 % ausgleichen zu können, obwohl nur 15 % im Augenblick feststehen, ist es erforderlich, 6 Millionen t schweres Heizöl durch Kohle zu substituieren. Die Gespräche haben ergeben, daß bei den Hauptabnehmern, nämlich in erster Linie bei der Kraftwirtschaft und der Stahlindustrie, kurzfristig eine Umstellung erreicht werden kann, mit der 3,5 bis 4 Millionen t schweres Heizöl substituiert werden, und zwar bei der Kraftwirtschaft etwa 2,5 bis 3 Millionen t und in der Stahlindustrie 0,7 Millionen t. In der Stahlindustrie ist mittelfristig durch Veränderungen im Produktionsprozeß eine weitere Substituierung möglich, so daß der angestrebte Satz von zirka 6 Millionen t erreicht werden dürfte.
Die von Ihnen, Herr Dr. Strauß, angeführte Frage des Meldesystems, des Preissystems, will ich wie folgt beantworten. Wir haben nicht, wie Sie gesagt haben, den Mineralölfirmen in dieser Woche einen Bogen so etwa nach dem Motto: Guckt mal, wie der aussieht! überstellt. Wir haben mit der Mineralölindustrie einen langen Bogen mit Fragen hinsichtlich des Lagerbestandes, Abgangs, Zugangs, welcher Pipelines, welcher Preise usw. erarbeitet, der so gestaltet werden mußte, daß er ihren eigenen Computerbedingungen entspricht. Wir hatten die Absicht, dieses Meldeverfahren wöchentlich durchzuführen. Unser Ziel war es, wöchentlich einen exakten Überblick über die Zugänge, Abgänge, kontrahierten Mengen und die Lieferwege zu bekommen. Dazu war die Mineralölwirtschaft nicht in der Lage, weil ihre eigenen EDV-Anlagen auf den 1. und 15. eines jeden Monats programmiert sind. Die Meldungen erfolgen nunmehr zum erstenmal per 1. Dezember, in der Folge jeweils am 1. und 15. eines jeden Monats. Darüber hinaus hat sich die Mineralölwirtschaft bereit erklärt, uns in diesem Zusammenhang auch ihre eigenen Kalkulationen darzulegen, und zwar sowohl gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium als auch gegenüber dem Bundeskartellamt. Damit ist eine Kontrolle des Verhaltens dieses Teils der Erzeuger und der Verteiler möglich geworden.
Mein Schreiben an die Länderwirtschaftsminister betrifft den anderen Teil, nämlich den der Händler. Hier soll dafür gesorgt werden, daß nicht unter dem Vorwand der Mischung deutscher Raffinerieprodukte mit Importware bei den Preisen mehr zugelangt wird, als es auf Grund der Kostenentwicklung erforderlich ist. Anders ausgedrückt: Wir wollen nicht eine Mischung des Preises, wenn dem keine Mischung des Öls gegenübersteht. Was ich damit sagen will, ist hoffenlich klar.
Ich stelle soeben fest, daß bei Herrn Mischnick der Brief eingegangen ist und sogar mit einer Heftklammer verbunden war.
({5})
- Das war aber nicht als ein Diskriminierung der Opposition gedacht.
Ich bin aufgefordert worden, nun endlich etwas zu den verfügbaren Mengen zu sagen. Herr Abgeordneter Dr. Stauß, ich habe das zwar seit längerer Zeit getan, bin aber bereit, es für Sie hier zu wiederholen.
({6})
Der Vorrat an Rohöl betrug am 15. November 1973 rund 8,9 Millionen gegenüber 7,4 Millionen t am 1. Januar 1973. In der Produktgruppe I - Benzin - waren es 1,9 Millionen t, d. h. 59 Tage Vollversorgung, gegenüber 2,1 Millionen t am 1. Ja3936
nuar, was 63 Tagen Vollversorgung entspricht. In der Produktgruppe II - leichtes Heizöl und Dieselkraftstoff - waren es am 15. November 9 Millionen t entsprechend 74 Tagen Vollversorgung gegenüber 9,5 Millionen t bzw. 77 Tagen Vollversorgung am 1. Januar. In der Produktgruppe III schweres Heizöl - waren es am 15. November 3,5 Millionen t entsprechend 75 Tagen Vollversorgung gegenüber 3,2 Millionen t bzw. 71 Tagen Vollversorgung am 1. Januar dieses Jahres. In diesen Beträgen sind die Pflichtvorräte eingeschlossen. Dies ergibt zusammen rund 24 Millionen t.
In diesen Mengen sind die privaten Lagerbestände nicht eingeschlossen. Sie betragen bei leichtem Heizöl im Privatbereich 18 Millionen t, bei den industriellen Verbrauchern ganze 0,8 Millionen t, im Brennstoffhandel ganze 0,3 Millionen t. Die Benzinlagerbestände bei den Tankstellen machen ca. i Million t aus. An schwerem Heizöl befinden sich bei der Industrie ca. 1,5 Millionen t.
Damit ist eine wohl sehr umfassende Darstellung gegeben. Wir sind bemüht, sie im Zwei-WochenRhythmus fortzuschreiben, um genau zu wissen, ob wir die bisherige Politik, nämlich die Pflichtvorräte nicht anzuknabbern, auf längere Sicht durchhalten können oder nicht. Ziel der Bundesregierung ist es, die Pflichtvorräte für Situationen zurückzuhalten, in denen unter Umständen mehr als 15 % fehlen könnten.
Ich kann aber nicht ausschließen, daß wegen der besonderen Schwierigkeit einer bestimmten Raffinerie, die als einzige deutsche Raffinerie an nur einer Pipeline hängt, nämlich an der Pipeline Rotterdam - ich meine die Caltex in Raunheim bei Höchst -, eine Ausnahme gemacht werden muß. Es kann sein, daß diese Raffinerie, weil sie bisher nur an dem Rotterdam-Strang hing, in eine besonders schwierige Versorgungssituation kommt, so daß wir unter Umständen gezwungen würden, in regionaler Hinsicht für diesen einen Fall von der Freigabe der Pflichtvorräte Gebrauch zu machen; denn an dieser Raffinerie hängt die Rohstoffversorgung der Farbwerke Hoechst und hängen damit 29 000 Arbeitsplätze. Ich glaube, es wäre nicht zu rechtfertigen, hier nicht flexibel zu handeln.
Wir haben Koordinierungsstellen für Vergaser- und Dieselkraftstoff, für leichtes Heizöl, für schweres Heizöl, eine Vermittlungsstelle für Flüssiggas sowie einen Kontaktausschuß zur Substituierung von schwerem Heizöl in erster Linie durch Kohle - eingerichtet. Die Clearingstellen unterstehen der Aufsicht des Bundesministers für Wirtschaft und des Kartellamts. Denn, meine Damen und Herren, ich möchte es nicht hinnehmen, daß diese Mangellage dazu benutzt wird, endlich abgeschaffte Praktiken wettbewerbswidrigen Verhaltens erneut entstehen zu lassen.
({7})
Ich gebe zu, daß man bereit sein muß, zur Beseitigung der Mangellage auch einmal etwas hinzunehmen. Aber dort, wo Verfestigung in Richtung Normalsituation droht, werden wir mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen. Das gilt auch, wenn der Versuch gemacht werden sollte, bislang
unliebsame Wettbewerber - ich meine freie Händler
und freie Tankstellen - bei dieser Gelegenheit zur Strecke zu bringen, damit sie sich nachher nicht wieder als Wettbewerber im Markt betätigen.
({8})
Aber die Bundesregierung muß einen sehr schmalen Grat wandern. Sie muß darauf achten, daß das Interesse auch und insbesondere der internationalen Konzerne am deutschen Markt erhalten bleibt; denn wir haben kein Interesse daran, die Mengen in andere Länder abfließen zu sehen. Insofern begrüßt die Bundesregierung die Erklärung der Konzerne, daß sie die Lieferkürzungen, die sie wegen niedrigerer Rohölzufuhren vornehmen müssen, auf ihre Abnehmerländer in gleichem Ausmaß verteilen. Ich finde diese Erklärung, insbesondere auch von Firmen, die beispielsweise ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben, beachtlich: daß sie dieselben Kürzungen, die sie bei uns vornehmen, auch in ihrem Heimatlande vorzunehmen bereit sind. Das ändert alles nichts daran, daß wir sehr aufpassen müssen, damit die Dinge an der Preisfront einigermaßen im Lot bleiben.
Graf Lambsdorff hat sich zur Frage der Höchstpreisfestsetzung, die ja lange diskutiert worden ist, geäußert. Ich will folgendes dazu sagen. Die derzeitige Versorgungs- und Administrierungssituation rechtfertigt meines Erachtens nicht die Festsetzung von Höchstpreisen. Ich betone: die derzeitige. Warum? Wir haben einen gespaltenen Preis. Das leichte Heizöl beispielsweise kostet den Verbraucher, wenn es ausschließlich aus Raffinerien innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kommt, zwischen 27 und 32 Pfennige. Das leichte Heizöl kostet den Verbraucher, wenn es ausschließlich importierte Ware ist, etwa zwischen 50 und 60 Pfennige. Dazwischen gibt es dann die bekannten Mischungen.
Bei dieser Marktspaltung halte ich es nicht für möglich, ohne Gefährdung der Mengen Höchstpreise festzusetzen; denn es gibt nur zwei Möglichkeiten:
Entweder man setzt sie fest auf der Basis des Rotterdam-Niveaus. Dann werden die inländischen Gesellschaften das mit großer Freude feststellen und selbstverständlich versuchen, ihre Preise so schnell wie möglich diesem Niveau wenigstens anzunähern. Aber die internationalen Gesellschaften haben einen Marktanteil von 59,7 %. Das würde also einen Preisauftrieb bei etwa 60 % der Produktion bedeuten.
Oder aber man setzt die Preise auf dem Niveau der in Deutschland tätigen Gesellschaften fest. Dann müssen Sie auf die Mengen, die aus Rotterdam kommen - das sind etwa 27 Prozent der Gesamtprodukte - schlicht und einfach verzichten. Das halte ich ebenso nicht für vertretbar; denn die Marktanteile betragen: internationale Gesellschaften 59,7 %, europäische Gesellschaften - also Agip, Fina, Elf etc. - 6,7 %, die deutschen Raffineriegesellschaften 22,1 %. Zu letzteren ist zu bemerken: Sie könnten zu dem Preis der internationalen auch nicht liefern; denn ihre Rohöleinstandskosten sind stärker gestiegen als die der internationalen, weil sie leider über sehr viel weniger Erdölquellen in eigenem Besitz verfügen. Ich bin gerne bereit, der Opposition auch dieses Material zur Verfügung zu stellen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte!
Herr Bundesminister, das ist für mich sehr einleuchtend. Meine Frage ist nur - falls Sie das nicht noch an anderer Stelle behandeln -: Was macht der Endverbraucher, z. B. ich als Mieter, dem durch den Schlitz gesteckt wird, daß ich vom 1. Dezember 1973 an 30 % mehr für Heizung zu bezahlen habe? Wie kann man dem Endverbraucher helfen?
Dr. Friderichs. Bundesminister für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, dem Endverbraucher kann einmal dadurch geholfen werden, daß wir über das Kartellamt und andere Möglichkeiten des Wirtschaftsstrafrechts den Versuch machen, die Preise in den Grenzen zu halten, wie sie kostenbedingt gerechtfertigt sind. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die zweite Seite der Medaille ist - hier gibt es wohl keine Meinungsverschiedenheiten -, daß in den Fällen, in denen diese Mehrkosten für die Endverbraucher eine nicht tragbare Belastung darstellen - diese Fälle gibt es zweifellos: Rentner, Bezieher von Wohngeld und ähnliches mehr -, auf andere Weise, nämlich auf dem direkten Subventionswege, geholfen wird. Ich sehe im Augenblick keine Möglichkeit, bei dieser Marktspaltung anders vorzugehen, möchte aber klar und deutlich sagen: Wenn wir gezwungen sein sollten, irgendwann zu Rationierungen überzugehen, weil die Ausfallmengen größer sind als bisher und damit die Versorgung der Gesamtwirtschaft nicht mehr sichergestellt ist, dann stellt sich auch die Frage nach preisreglementierenden Maßnahmen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Herr Bundesminister, wissen Sie, daß die Beratungen zum Sozialhilfegesetz in dieser Woche unterbrochen werden mußten, weil die Frage der finanziellen Auswirkungen auf die Gemeinden zur Diskussion steht, und sind Sie bereit, in Ihrem Ministerium darüber nachdenken zu lassen, ob es sinnvoll ist, wie der Bundeskanzler empfohlen hat, nun zu empfehlen, die Folgen dieser schwierigen Situation für Rentner und Kriegsbeschädigte und andere sozial Schwache allein den Gemeinden aufzuhalsen?
({0})
Der Tatbestand der Unterbrechung war mir nicht bekannt. Ich bitte um Verständnis; ich habe mich in dieser Woche mit anderen Dingen beschäftigt. Wir sind in ausgeprägt intensiven Verhandlungen mit den übrigen beteiligten Ressorts, die dafür die Federführung haben, um die Dinge so zu regeln, daß nach meiner Meinung eins nicht eintreten darf: daß in einer solchen Situation in erster Linie - ich will nicht sagen ausschließlich - schwache Einkommensgruppen davon unerträglich betroffen werden. Das darf nicht das Ergebnis einer Mangelsituation sein.
Ein Wort zum Energieprogramm, das auch kritisiert worden ist. Im Energieprogramm, Herr Abgeordneter Dr. Strauß, das von uns begriffen worden ist als ein langfristiges Programm in der Grundausrichtung und ein konkretisiertes Programm in den kurzfristigen Zeiträumen - dazu stehe ich nach wie vor, denn wenn Sie ein Langfristprogramm mit quantifizierten Einzelheiten ausstatten, dann ist es im Grunde genommen weitgehend Wahrsagerei -, ist die Langfristausrichtung in ihrer Tendenz festgelegt, und die Kurzfristausrichtung ist quantifiziert und selbstverständlich der jeweiligen Situation weiter anzupassen. Aber in diesem Programm stand am 5. September oder 29. August schon, daß es sich bei der Gefährdung der Mineralölversorgung nicht nur um irgendeine abstrakte Möglichkeit, sondern um einen konkreten Gefährdungstatbestand handle, denn die Drohungen eines Teils der Förderländer sind seit langem bekannt.
Wir haben daher all die Fragen, von der Bundesrohölreserve bis zur Festsetzung eines nicht zu überschreitenden Satzes der Erzeugung von elektrischer Energie aus Öl, in diesem Programm behandelt. Richtig ist, daß wir natürlich darüber nachdenken und im Augenblick prüfen, ob z. B. die Aussage, der Anteil des Mineralöls an der Stromerzeugung von jetzt 15 % dürfe nicht noch gesteigert werden, zutreffend ist oder ob wir sie umwandeln, indem wir nicht den relativen Anteil bestimmen, sondern den jetzigen Anteil als absoluten festsetzen, eine Frage, die damals schon im Ministerium mit den Beteiligten diskutiert wurde, wobei damals aber die Mineralölgesellschaften uns gebeten haben: Macht das nicht, denn die schwere Ware muß abfließen, und sie kann nur dorthin abfließen, weil sie in einem bestimmten Ausmaß anfällt. Ich neige sehr dazu, jetzt eine andere Position einzunehmen, nämlich den Anteil absolut zu binden. Das bedeutet, daß der Anteil des Mineralöls an der Stromerzeugung relativ sinkt.
Diese Fragen werden selbstverständlich geprüft, und ich habe seinerzeit auch hier gesagt, dieses Programm ist kein Jahrhundertprogramm mit einer einmaligen Blitzaufnahme, sondern ist der erste Versuch, die Energiepolitik langfristig zu strukturieren und auf der anderen Seite kurzfristig zu quantifizieren und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Es ist ebenso selbstverständlich, daß wir über die bisherigen Absichten hinaus insbesondere auf dem Gebiete der Forschung - ich nenne die Kohledruckvergasung - mehr Mittel werden einsetzen müssen, als bisher zur Verfügung standen, da die Dinge, die im Programm konzipiert sind, nun in Einzelheiten ausgeführt werden müssen.
Dazu gehört auch, daß wir unsere Bemühungen um die Erdgastiefbohrungen im Bereich der Bundesrepublik Deutschland verstärken und diese Bohrungen auf Tiefen von etwa 6 000 Metern ausdeh3938
nen müssen, was natürlich alles Haushaltsmittel erfordert. Aber nach meiner Meinung kommen wir um diese Dinge einfach nicht mehr herum. Dasselbe gilt für die Substituierung. Dasselbe gilt für den forcierten Ausbau der Kernenergie. Ich meine jetzt nicht die Forschung, sondern die Anwendung der bereits erforschten Technologien in der Praxis. Dasselbe gilt für die Aufschließung des Hambacher Forstes zur Gewinnung von Braunkohle.
Erlauben Sie, daß ich noch ein Wort zur Steinkohle sage. Meine Damen und Herren, ich halte die Konzeption, die in Übereinstimmung mit der Bundesregierung vom Vorstand und vom Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG gefahren wird, nach wie vor uneingeschränkt für richtig, nämlich ertragsschwache Zechen zugunsten von Verbundanlagen und ertragsstarken Zechen zu schließen. Damit wird eine größere Flexibilität nicht nur bei den Kosten, sondern insbesondere auch bei eventuell erforderlichen Mengen erreicht.
Meine Damen und Herren, es ist für den Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG nicht leicht gewesen, just während einer Energiekrise vier Zechenstilllegungen, die lange geplant und betriebswirtschaftlich begründet waren, zuzustimmen. Es ist vielleicht am schwersten gewesen für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG, die den Belegschaften und den Einzelbetriebsräten dies in einer sehr schwierigen Situation erklären mußten. Das war nicht leicht.
Ich halte es nicht für vertretbar, daß die Bundesregierung dem Vorstand und dem Aufsichtsrat vorher erklärt, sie stimme diesen Maßnahmen zu, weil sie ihrer eigenen Konzeption entsprächen, und daß sie, wenn der Wind draußen sich ein bißchen geändert hat, die Betroffenen am Ende hängenläßt, indem sie sich von ihnen distanziert. So kann man auf Dauer nicht Politik machen.
Was vor Wochen richtig war, was mit Gewerkschafts- und Unternehmensseite besprochen und abgesprochen war, dazu möchte ich hier stehen, auch wenn die Öffentlichkeit dies im Augenblick vielleicht nicht in vollem Umfange erkennen kann, weil sie die Hintergründe dieser speziellen Maßnahme nicht voll überschaut hat.
({0})
Den Männern, die mit höchster persönlicher Leistung und unter großem Risiko den Versuch gemacht haben, diesen Anpassungsprozeß ohne soziale Friktionen und ohne vermeidbare Unruhe in der Arbeitnehmerschaft zu steuern - dazu gehört beispielsweise auch der Vorsitzende dieser betreffenden Gewerkschaft, nämlich Herr Adolf Schmidt -, kann man das Handwerk nicht dadurch erschweren, daß man sie in einer kritischen Situation, nachdem man mit ihnen bis dahin einen gemeinsamen Weg gegangen ist, schlicht und einfach im Stich läßt. So kann man auf Dauer keine Politik betreiben.
({1})
Ich glaube, wir haben allen Anlaß, dafür Dank
zu sagen, daß diejenigen, die für die Kohle verantwortlich sind, die zum Teil erzeugte Hysterie nicht ausnutzen, um uns jetzt in eine falsche Richtung zu treiben, sondern daß sie mit einem Höchstmaß an Nüchternheit sehen, wie die Entwicklung in diesem Lande weitergeht.
Herr Abgeordneter Dr. Strauß, Sie haben eine Information erwartet und verlangt über die Auswirkungen der Mineralölkrise auf die Wirtschaftsentwicklung des Jahres 1974. Ich will versuchen, dazu etwas zu sagen. Ich möchte aber, ähnlich wie bei der Ansage der Lotto-Quoten im Fernsehen sagen: ohne Obligo. Nicht weil ich mich scheue, sondern einfach weil jeder in diesem Augenblick - Graf Lambsdorff hat es ausgedrückt - überfordert wäre. Aber ich will versuchen, meine Meinung zu sagen.
Bei nachhaltiger Einschränkung und Verteuerung der Erdöllieferungen sind nach meiner Meinung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung zu befürchten, nämlich unter Umständen in der Form einer Reduzierung des gesamtwirtschaftlichen Angebots. Auf der anderen Seite kann - nicht muß - es zu einer Dämpfung der Nachfrage nach bestimmten Produkten kommen. Plötzliche Verschiebungen von Angebots- und Nachfragestruktur lösen zusätzliche Friktionen aus. Quantitativ lassen sich gesamtwirtschaftliche Auswirkungen durch die Ölverknappung nach meiner Meinung jetzt noch nicht mit hinreichender Sicherheit darstellen, da erstens das quantitative Ausmaß der gesamten Kürzungen für 1974 nicht bekannt ist, zweitens Substitutionsmöglichkeiten bisher für Teilbereiche, nicht jedoch für die Wirtschaft insgesamt überschaubar sind und drittens schließlich Sekundärwirkungen wie z. B. Nachfrageausfall und Nachfrageverschiebungen bisher kaum zu überblicken sind. Die Erdölverknappung ist ein einmaliger Vorgang, und daher ist ein Rückgriff auf Verhaltensmuster der Vergangenheit, die man hochrechnen könnte, nicht möglich.
In jedem Fall muß man damit rechnen, daß das gesamtwirtschaftliche Wachstum 1974 bei Anhalten dieser Situation erheblich niedriger sein wird, als sonst zu erwarten. Das bedeutet: beim realen Bruttosozialprodukt, für das jetzt, ohne Krise, eine Steigerung um 2 bis 3 % vorausgeschätzt wird, kann es durchaus zu einem Rückgang der Steigerung auf Null oder gar darunter kommen.
Diese Möglichkeit muß bei allen Entscheidungen, die die Einkommensverteilung des kommenden Jahres berühren, berücksichtigt werden, da im Jahre 1974 dann kein realer Einkommenszuwachs zu verteilen ist. Nominale Ansprüche müssen sich den begrenzten realen Angebotsmöglichkeiten anpassen. Ein verschärfter Zielkonflikt zwischen Preisstabilisierung und hohem Beschäftigungsstand ist entstanden. Auch wenn das quantitative Ausmaß insgesamt noch nicht abschätzbar ist, ist gewiß, daß die Wirkungen branchenmäßig und regional sehr unterschiedlich sein werden.
Wir sind auf Grund der jetzigen Erkenntnisbasis zu hypothetischen Berechnungen übergegangen, von denen wir hoffen, daß wir sie in wenigen Wochen
durch bessere Modelle ersetzen können, die auf mehr Realität beruhen. Bei der Schätzung bin ich von folgenden Hypothesen ausgegangen:
Erstens Reduzierung der Erdölversorgung im warenproduzierenden Bereich sowie im gewerblichen Verkehr um 10 °/o für ein volles Jahr. Ich betone: im warenproduzierenden Bereich und im Verkehr um 10 °/o für ein volles Jahr. Das einmal einfach als Hypothese. Niemand kann ja sagen, wie die Entwicklung kommt. Zweitens. Ein Viertel bis ein Drittel der verringerten Versorgung kann entweder durch Einsparungen oder durch Substitutionen und Ähnliches kompensiert werden.
Unter diesen beiden Hypothesen kommen wir zu folgendem Zirka-Ergebnis. Gewichtet man die Ausfälle mit dem jeweiligen Anteil der genannten Bereiche - wir haben das sektoral durchgerechnet - im Bruttosozialprodukt, so ergibt sich formal eine Minderung des gesamtwirtschaftlichen Angebots um 2 bis 21/2 %. Das hieße: von jetzt 2 bis 3 % real gegen 0 % real - bei dieser Hypothese. Hinzu kommen jedoch noch mögliche Produktionsausfälle in den anderen Wirtschaftsbereichen und andere Folgeeffekte auf Grund der Primärwirkungen sowie unter Umständen nachfrageinduzierende Produktionseinschränkungen, z. B. bei Automobilen, und Rückwirkungen aus einer verminderten Auslandsnachfrage.
Die durch eine anhaltende Mineralölverknappung entstehende Strukturverschiebung könnte unter Umständen zusätzlich zu Friktionsverlusten führen. Auf der anderen Seite - und das ist so wahnsinnig schwierig quantitativ zu berechnen - muß man die bisherige Flexibilität der deutschen Wirtschaft in Rechnung stellen, die es auch ermöglichen kann, einen Teil dieser Wirkungen aufzufangen. Es können sogar positive Wachstumseffekte durch Strukturverschiebungen auftreten.
Der Sachverständigenrat wurde vom Herrn Bundeskanzler gebeten, so schnell wie möglich den Versuch zu machen, unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ein Sondergutachten zu erstellen. Wir werden sehen, ob auch hier, wie beim Jahresgutachten, zwischen Bundesregierung und Sachverständigenrat, Übereinstimmung besteht oder nicht. Ich will hier davon absehen, die übrigen Modellrechnungen aufzuführen, die wir mit anderen Quantitäten und ähnlichen Kriterien durchgezogen haben.
Herr Abgeordneter Dr. Strauß, Sie haben davor gewarnt, die Probleme der Konjunktur- und Preispolitik unter den energiepolitischen Teppich zu kehren. Genau davor warnt die Bundesregierung. Deswegen hat mich gestern das Programm der Opposition überrascht, ein Programm, das einen dazu verleiten könnte, polemisch zu sagen: Die CDU erklärt sich zuständig für Vollbeschäftigung und Wachstum, die Preissteigerungen fallen in die Zuständigkeit der Bundesregierung.
({2})
Nur, so kommen wir über die Situation nicht hinweg.
({3})
- Ich habe gesagt, man könnte polemisch dieses Programm so interpretieren.
({4})
Ich will sagen, was ich damit meine, wenn Sie mir die Erlaubnis geben. Bis zur Stunde wissen wir nicht, ob die Verengung im Mineralölsektor zu Ausfällen im produzierenden Bereich führt. Es kann sein, daß dies nicht der Fall ist, wenn die Krise nicht lange andauert und es gelingt, wegen der Einschränkungen im privaten Bereich das Gewerbe voll zu bedienen.
In diesem Falle stünde das Güterangebot voll zur Verfügung, und wir müßten uns über die Nachfragekomponente unterhalten. Denn manche Dramatisierung auch der letzten Wochen - siehe Deutschlands auflagenstärkste Zeitung von gestern - ohne Hintergrund kann dazu führen, daß bei voller Produktionsmöglichkeit die Nachfrage beispielsweise auf dem Sektor der Automobilindustrie so zurückgeht, daß wir das Problem gar nicht auf der Angebotsseite, sondern aus psychologischen Gründen auf der Nachfrageseite haben. Es kann aber nach dem jetzigen Erkenntnisstand genauso gut der Fall eintreten, daß wir nicht in der Lage sind, die Güterproduktion im geplanten Umfange aufrechtzuerhalten, daß aber auf der anderen Seite wegen einer psychologischen Überwindung der Krise die Nachfrage voll durchschlägt.
Für beide Fälle gibt es ganz unterschiedliche Konjunkturrezepte. Das ist der Grund dafür, daß die Bundesregierung es in diesem Augenblick - das hat der Herr Bundeskanzler deutlich gemacht - nicht für vertretbar hält, mit linker und leichter Hand das Steuer herumzuwerfen, sondern daß sie sagt: die Investitionssteuer für Energieinvestitionen kommt weg, denn hier brauchen wir die Möglichkeit der Umstellung und der Angebotserweiterung; bis Mitte Dezember Prüfung der übrigen Situation unter Einrechnung meiner Modelle, um dann den Versuch zu machen, die richtige konjunkturpolitische Strategie zu fahren, eine Strategie nämlich, meine Damen und Herren, bei der der Versuch gemacht wird, die Verwerfungen und Anspannungen aufgrund der Energiesituation mit den übrigen konjunkturpolitischen Daten so weit in Einklang zu bringen, daß der Zielkonflikt zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität nicht noch schärfer wird.
({5})
Hierzu muß ich eines sehr deutlich sagen. Das Sachverständigengutachten - nicht die Bundesregierung - hat festgestellt, daß der Preisindex von Oktober 1973 unter Ausrechnung der Preissteigerung für Mineralöl bei 5,9 %, unter Einrechnung dieser Steigerung bei 6,6 % liegt. So ist es im Sachverständigengutachten zu lesen, und dies hat der Bundeskanzler gemeint, als er - unter teilweisem Aufmucken in den Reihen der Opposition - gesagt hat,
({6})
wohin die Preisentwicklung in dieser quantifizierten Größenordnung von 0,7 % zu rechnen ist.
Meine Damen und Herren, 5,9 % entsprechen dem Satz, den die Bundesregierung bei Vorlage ihres Stabilitätsprogramms für das Spätjahr 1973 angepeilt hat. Wenn Sie nachlesen, was damals von dieser Stelle aus gesagt worden ist, werden Sie zugeben müssen, daß das genau die Position ist, von der wir glaubten, sie sei realistisch zu erreichen. Wir haben nämlich nie gesagt, man werde von heute auf morgen von 7,9 % auf 2 oder 3 % herunterkommen.
({7})
- Ich bitte um Entschuldigung, ich habe eben gesagt, der Sachverständigenrat hat die nicht zu erwartenden exorbitanten Preissteigerungen auf diesem Sektor in seinem Gutachten ausgeworfen, nicht wir, nicht das Statistische Bundesamt. Darauf wird man doch wohl hinweisen dürfen. Wir werden das ja bei der Erörterung des Sachverständigengutachtens noch einmal zu diskutieren haben.
Ich will doch damit, meine Damen und Herren, keine Verantwortung verschieben. Aber zur Information der Öffentlichkeit gehört eben auch, daß wir bei diesem Tempo der Mineralölpreissteigerungen im nächsten Jahr auf diesem Sektor in eine zusätzliche Schwierigkeit kommen.
Und noch eine Bemerkung zu Ihrem Programm: Die Bundesregierung geht so behutsam bei der Fortentwicklung der Konjunkturpolitik vor - ob auf dem Gebiet der Gemeinschaftsaufgaben, ob beim ERP-Vermögen oder wo auch immer -, weil sie eines weiß: daß fehlendes Öl durch Geld allein nicht zu ersetzen ist, denn der Produktionsfaktor muß zunächst einmal vorhanden sein, ehe man mit dem monetären Bereich eine Steuerung der konjunkturellen Abläufe versuchen kann oder nicht.
Meine Damen und Herren, wenn ich in der Vergangenheit den Versuch gemacht habe, mit möglichst großer Ruhe und Gelassenheit die Situation so darzustellen, wie sie dem jeweiligen Erkenntnisstand entsprach, dann u. a. deswegen, weil ich dringend davor warnen möchte, durch eine überspitzte Verzeichnung selbst dazu beizutragen, daß Prozesse in Gang gesetzt werden wie z. B. Nachfragefriktionen in besonderen Sektoren, die uns dann ihrerseits als Selbstläufer in eine zusätzliche Schwierigkeit bringen können.
({8})
Wir sollten allerdings auch bereit sein zu erkennen, daß das, worüber wir bisher mehr oder weniger theoretisch diskutiert haben, nämlich über die Grenzen des Wachstums unserer Volkswirtschaft, über Nacht Realität geworden ist. Das bedeutet, daß die Anstrengungen auch darauf gerichtet sein müssen, dieses Wachstum unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeit in ein qualifiziertes und dauerhaftes Wachstum zu überführen.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns auch der Tatsache bewußt sein, daß diese Mangellage
vielleicht mehr, als mancher von uns glaubt, einen Vorteil haben kann: Dadurch wird nämlich uns allen bewußt, wo auch die negativen Seiten einer so stark in die Weltwirtschaft verflochtenen Volkswirtschaft wie der bundesrepublikanischen deutschen liegen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten einen schwierigen Weg zu gehen haben. Ich bin überzeugt davon, daß wir bei besonnenem Verhalten, bei klarer Erkenntnis der Analyse und richtiger Therapie den Weg mit Erfolg gehen werden, ohne Verängstigung der Menschen in unserem Lande und ohne eine dauerhafte Gefährdung der Arbeitsplätze.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, daß die Öffentlichkeit, die die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation spürt, gerade vom Parlament eine sehr sachbezogene und sachgerechte Debatte erwartet. Ich gehe auch davon aus, daß die Öffentlichkeit erwartet, daß alle Kräfte, die politische Verantwortung tragen, nach Möglichkeit zusammenarbeiten, um Schäden abzuwenden.
Die Opposition hat gerade in den letzten Wochen nach diesem Prinzip gehandelt. Wir haben der Bundesregierung geholfen, ihr Energiesicherungsgesetz praktisch in 48 Stunden über die parlamentarischen Hürden zu bringen. Wenn der Herr Bundeskanzler dieser Tage und auch heute die Kooperationsbereitschaft der Opposition angesprochen hat, so begnüge ich mich mit dem Hinweis, daß Kooperation natürlich eine zweiseitige Sache ist und daß die Bundesregierung und die Koalition gut beraten wären, sich auch gegenüber der Opposition kooperationsbereit zu zeigen, und zwar nicht nur dann, wenn ihr und dem Land das Wasser bis zum Halse steht.
Ich habe Anlaß, Herr Bundeswirtschaftsminister, keinen Zweifel darüber zu lassen, daß wir uns über die Informationen, die in dieser Situation von Ihnen und Ihrem Hause ausgegeben worden sind, nicht zu beklagen haben. Ich möchte das hier ausdrücklich unterstreichen. Sie haben bei verschiedenen Gelegenheiten selber oder mit ihren wichtigen Mitarbeitern auch bei unseren Beratungen mit Informationen zur Verfügung gestanden.
Die Kooperationsbereitschaft, die ich hier noch einmal unterstrichen habe, kann natürlich nicht darauf hinauslaufen, daß wir in der Oppositionsrolle etwa unsere Funktion der Kontrolle und auch der Kritik vernachlässigen. Diese Kritik muß mit aller Deutlichkeit vorgebracht werden, wo das angemessen ist.
Von Herrn Kollegen Strauß ist, wie ich noch einmal unterstreichen möchte, mit Recht die Informationspolitik der Koalition und der Bundesregierung angeklagt worden. Wir sprechen heute alle
so viel vom mündigen Bürger; ich finde, dieser mündige Bürger hat Anspruch auf die volle Wahrheit.
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Man darf ihm die Schwierigkeiten ebensowenig scheibchenweise klarmachen, wie man die Dinge zum völlig falschen Zeitpunkt dramatisieren darf.
Sehr verehrter Herr Minister Friderichs, ich habe den Eindruck gehabt, daß ein großer Teil Ihrer Ausführungen, auch heute hier vor diesem Hohen Hause, nicht in erster Linie an die Adresse der Opposition gerichtet gewesen sind, sondern an die Adresse Ihres eigenen Koalitionspartners.
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Denn wenn Tartarenmeldungen und Hiobsbotschaften und Schwarzmalerei der Öffentlichkeit deutlich vor Augen geführt wurden, so kam das durchweg aus dem Lager der Regierung oder aus dem Lager der SPD-Fraktion. Hier dürfen Sie also nicht die Falschen tadeln, auch nicht die Verbraucher, die sich im Grunde sehr diszipliniert verhalten haben, und auch nicht die Presse, die sich meines Erachtens in ihrer Berichterstattung sehr diszipliniert und vernünftig verhalten hat.
Dies scheint mir auch nicht der Augenblick zu sein, in Vergangenheitsbewältigung zu machen. Der Bundeskanzler hat auch wieder die Fehler und Versäumnisse der 50er und 60er Jahre angesprochen. Es mag sein, daß wir alle zu manchen Zeitpunkten manche Dinge nicht richtig beurteilt haben. Aber man sollte jetzt nicht über die angeblichen Versäumnisse und Fehler der 50er und 60er Jahre sprechen, sondern dann schon eher über die tatsächlichen Versäumnisse und Fehler der letzten vier Jahre. Ich will das jetzt hier nicht vertiefen. Aber, Herr Minister Friderichs und Herr Bundeskanzler, ich möchte doch einmal an drei Punkten herausstellen, was ich meine.
Wenn ich richtig unterrichtet bin, Herr Minister Friderichs, haben Sie doch bei der Verabschiedung des Stabilitätsprogramms im Kabinett selbst einen Vorschlag unterbreitet, energiewirtschaftliche Investitionen auszunehmen, und Sie sind im Kabinett damit nicht zum Zuge gekommen. Oder ich darf auf folgendes hinweisen: wir haben die Regierung bei verschiedenen Gelegenheiten vor einer Politik gewarnt, über eine bequeme Anhebung der Mineralölsteuer ihre eigenen Finanzierungsprobleme zu lösen. Ich erinnere daran: in neun Monaten hat diese Regierung die Mineralölsteuer um 9 Pf angehoben. Wir sind es gewesen, die darauf hingewiesen haben, daß das auf die erdölproduzierenden Länder wie eine Herausforderung wirken muß. Natürlich - das ist meine dritte Folgerung - mußte es in den letzten Monaten jedermann klarwerden, daß die arabischen erdölproduzierenden Staaten sich ihrer Marktmöglichkeiten und ihrer Machteinflußnahme über das 01 bewußt geworden sind. Darauf hätte meines Erachtens diese Regierung sich besser einrichten müssen. Also: an dem Vorwurf mangelnder Vorsorge gerade in den letzten Jahren wird diese Regierung nicht recht vorbeikommen.
Bei den Bemühungen, mit den Problemen fertigzuwerden, gibt es Meinungsverschiedenheiten, aber, wie ich doch den Eindruck habe, auch eine weitgehende Übereinstimmung. Das, was die Fraktion der CDU/CSU als Entschließungsantrag dem Hohen Hause vorgelegt hat, ist ja auch vom Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs bzw. von Graf Lambsdorff als eine gute Diskussionsbasis angesprochen worden. Aber ich habe den Eindruck - das muß ich hier auch aussprechen -, daß möglicherweise an dieser Frage, wie wir mit der Ölkrise, mit den Energieschwierigkeiten fertigwerden, sich im politischen Leben der Bundesrepublik eine Grundsatzdiskussion entzünden kann. Wenn wir hören, welche Stimmen und Empfehlungen aus dem Lager der SPD an die Öffentlichkeit gedrungen sind - mit Verstaatlichung, mit Höchstpreisen, mit Rationierungsmaßnahmen -, dann kann einem angst und bange werden. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß es in dieser Situation nicht in erster Linie darauf ankommt, den Mangel zu verwalten, sondern durch Einsatz aller Kräfte in diesem Lande und auch außerhalb unseres Landes die Mangelsituation bestmöglich zu überwinden. Hier wird es nicht nur, was sicher ist, einer großen Krafanstrengung unserer gesamten Volkswirtschaft bedürfen, sondern eventuell auch einer Grundsatzentscheidung, ob wir den marktwirtschaftlichen Kurs verlassen und in ein dirigistisches Fahrwasser einsteuern wollen. Bei dieser Grundsatzentscheidung, wenn sie uns aufgezwungen wird, werden wir mit Sicherheit einen ganz festen Standpunkt zur Verteidigung marktwirtschaftlicher Prinzipien einnehmen.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr dankbar dafür, daß Herr Minister Friderichs erklärt hat, die Regierung und er selbst würden dafür Sorge tragen, daß jetzt nicht aus Mangelsituationen Machtverhärtungen entstehen oder auch eine mißbräuchliche Nutzung von Marktmacht entsteht. Wir unterstützen die Regierung, wenn sie hier energisch die Möglichkeiten ausschöpft, die ihr durch das Kartellgesetz und mit dem Kartellamt zur Verfügung stehen.
Wir werden, wie ich hoffe, gemeinsam Möglichkeiten finden, um neben der Versorgung unserer Wirtschaft vor allem den Bevölkerungsschichten zu helfen, die von der sicher weiter steigenden Verteuerung der Heizkosten am härtesten betroffen sind. In diesem Zusammenhang ist hier ein Disput entstanden, der meines Erachtens überflüssig gewesen ist, weil er von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist, so als ob wir eine Senkung der Heizölsteuer und der Mineralölsteuer ins Auge gefaßt hätten. Wir haben vielmehr vorgeschlagen - und an diesem Vorschlag halten wir auch fest -, daß das, was über den Anstieg der Heizölpreise dem Staat an Mehrwertsteuer zufließt, dazu genutzt wird, um vor allem den sozial schwachen Schichten Hilfestellung zu leisten. Wir haben angeregt, die gestiegenen Heizölkosten bei der Berechnung von Sozialhilfe und von Wohngeld zu berücksichtigen. Ich weise darauf hin, daß nicht zuletzt auf unsere Initiative hin diese Möglichkeit im Bundessozialhilfegesetz überhaupt erst geschaffen worden ist.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte, Herr Kollege!
In bezug auf diese Steuerfrage, Herr Kollege Müller-Hermann: Dann war also das, was der Kerr Kollege Strauß vor etwa drei Wochen in „Bild am Sonntag" sehr prononciert als seine Meinung hat darstellen lassen, seine persönliche Meinung?
Wir haben über alles Mögliche nachgedacht.
({0})
Hier geht es im Augenblick um die konkrete Frage: Wie und mit welchen Mitteln können wir den sozial Schwachen helfen? Dafür machen wir den Vorschlag, der in dem Papier meiner Fraktion enthalten ist.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Worte über die Folgerungen sagen -
Herr Abgeordneter Müller- Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Bitte!
Herr Müller-Hermann, Sie machen sich Sorgen darüber, was mit dem einen Zehntel krisenbedingter Mehreinnahmen der Bundesregierung geschehen soll. Welche Sorgen machen Sie sich in bezug auf die neun Zehntel krisenbedingter Mehreinnahmen von Erdölkonzernen und Handel?
Ich weiß nicht, ob Sie hier unbedingt den richtigen Adressaten gewählt haben. Es mag sein, daß auch die Mineralölkonzerne ihre Ertragssituation verbessern;
({0})
es liegt ja auch noch sehr viel an Handel dazwischen. Aber ich möchte gerade Sie, Herr Kollege Gansel, darauf hinweisen, daß wir große Investitionen tätigen müssen, um uns von der Ölzulieferung aus den arabischen Staaten unabhängiger zu machen. Machen Sie sich bitte keine Illusionen darüber, daß dazu gewaltige, hohe Milliardenbeträge erforderlich sein werden. Dabei ergibt sich wieder die Frage, die wir heute hier nicht auszudiskutieren brauchen, aber an der wir uns auf die Dauer nicht vorbeidrücken können: Sollen diese Investitionen über staatliche Kanäle finanziert werden, sollen es staatliche Investitionen sein, wo wir doch alle wissen, daß dafür Geld nicht zur Verfügung stehen wird, oder zumindest teilweise über den Preis? Für
die Entscheidung ist eine betriebswirtschaftliche, aber auch eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nötig. Ich rate Ihnen, Herr Kollege Gansel, den Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs vor die SPD-Fraktion zu holen, damit er Ihnen einmal ein Kolleg über volkswirtschaftliche Zusammenhänge hält, wie er es heute vor dem Parlament getan hat.
({1})
Ich habe den Eindruck, daß einige Minister, vor allem einige Kollegen aus Ihrer Fraktion hier einen ausgesprochenen theoretischen Nachholbedarf haben.
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Herr Abgeordneter Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte, Herr Kollege Wehner!
Apropos Investitionen über den Preis finanzieren: Ich habe vorhin eine Frage gestellt und möchte sie Ihnen gegenüber, der Sie sicher sachkundig sind, wiederholen. Was mache ich als Mieter, als Endverbraucher, dem letzte Woche durch den Schlitz gesteckt worden ist, 30 % mehr für die Heizung zu zahlen?
({0})
-- Ja, machen Sie das nicht kleiner! Ich kann es zahlen. Aber ich frage: Was machen die Mieter? Ich nenne nur mein Beispiel: 30 %. Werden damit Investitionen finanziert, oder was wird damit finanziert?
({1})
Herr Kollege Wehner, ich gehe auch davon aus, daß Sie auf jeden Fall die höheren Heizkosten bezahlen können.
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Ichbitte um Aufmerksamkeit für den Redner, der eine Frage beantworten will.
Herr Kollege Wehner, die Frage zu stellen, ist völlig berechtigt; die Frage stellen wir uns auch. Ich sehe im Augenblick, da sich ja die höheren Kosten in höheren Preisen ausdrücken, nur den Weg, daß wir gezielt dort helfen, wo ohnehin Wohngeld und Sozialhilfe gewährt werden. Das wollen wir massiert tun, damit ein Ausgleich der Mehrkosten entsteht.
({0})
- Sie können es auch bezahlen.
({1})
- Sehr verehrter Herr Kollege Wehner, die Frage der Preissteigerungen in den letzten vier Jahren unter Ihrer Regierungstätigkeit berührt dieses gleiche Problem. Alle Bürger müssen mehr zahlen, und sie werden in Zukunft noch mehr zahlen müssen für die lebenswichtigen Güter, die im tagtäglichen Bedarf gebraucht werden.
({2})
- Wir wollen das Problem hier jetzt nicht in einem volkswirtschaftlichen Kolleg vertiefen. Herr Kollege Wehner, Sie werden auch nicht an der Thematik vorbeikommen,
({3})
wie die gewaltigen Investitionen finanziert werden sollen, die nötig sind, wenn wir uns, wie wir doch alle wollen, von der absoluten Abhängigkeit vom Erdöl der arabischen Staaten freimachen wollen. Das kostet Investitionen.
({4}) - Jetzt lenken Sie vom Problem ab.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann, die Herren Abgeordneten Maucher, Gansel und Eilers - ich glaube, in dieser Reihenfolge - wünschen Zwischenfragen an Sie zu stellen. Wieweit wollen Sie diesen Wünschen Rechnung tragen?
Ich nehme noch zwei Fragen auf. Aber ich glaube, wir müssen auch wegen der zeitlichen Disposition zum Schluß kommen.
An sich treten wir bald in die Mittagspause ein. - Dann ist Herr Maucher der erste Fragesteller.
Herr Kollege Dr. Müller-Hermann, wären Sie bereit, Herrn Wehner zu bitten, daß er an den Bundeskanzler ein Schreiben richtet, damit diese Frage, die er jetzt zum zweitenmal stellt, von verantwortlicher Stelle beantwortet wird?
Es wäre für mich eine große Erleichterung, wenn die Bundesregierung und vor allem der zuständige Minister die Frage beantworteten, die Herr Wehner hier zu stellen hat.
({0})
Das habe ich nicht behauptet, im Gegenteil.
Herr Abgeordneter Gansel, jetzt kommt Ihre Frage.
Herr Dr. Müller-Hermann, kann ich Sie zunächst so verstehen, daß nach Ihren eigenen Ausführungen der Satz der Resolution der CDU/ CSU, daß an den Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer der Staat profitiert, zumindest eine unglückliche Wortwahl enthält und daß diese Wortwahl die Frage provozieren muß, ob es nicht auch eine Verkennung des Sachverhalts ist, sich über das eine Zehntel Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer zu erregen, dagegen die neun Zehntel mehr Profite in anderen, nichtstaatlichen Bereichen zu ignorieren? Darauf hatte Herr Kollege Wehner ja hinweisen wollen.
Herr Kollege Gansel, es ist nicht meine Aufgabe, hier etwa die Mineralölwirtschaft zu verteidigen; das soll sie selbst tun und auch darstellen, welcher Finanzierungsbedarf dort anfällt und was sie verdienen. Es ist gut, daß das durchleuchtet wird mit den sogenannten offenen Taschen. Aber, Herr Kollege Gansel, daß der Staat sowohl bei der Lohnsteuer als auch jetzt durch die Anhebung der Heizölpreise über die Mehrwertsteuer ständig verdient, das ist doch ein Faktum.
({0})
- Gut, dann müssen Sie sich darüber noch einmal ein Kolleg halten lassen.
({1})
Wenn sich der Heizölpreis verdoppelt, dann nimmt der Staat, der 11 °/o von jedem Preis an Mehrwertsteuer bezieht, dabei zusätzlich ein.
({2})
- Das mag ja sein, aber entscheidend ist, wie im
Endeffekt das Mehrwertsteueraufkommen aussieht.
Meine Damen und Herren, dann will ich Ihnen ganz klar eine Antwort darauf geben. Wenn Sie so argumentieren, beziehe ich mich auf die Orientierungsdaten, welche die Bundesregierung am 22. November der Öffentlichkeit präsentiert hat, in denen ein Wachstum von 2 bis 3 % für das Jahr 1974 vorausgesagt ist. Das ist übrigens ein Punkt, auf den ich noch gekommen wäre. Wenn von einer widersprüchlichen, den Bürger verwirrenden Informationspolitik die Rede ist, kann man an diesem Punkt nicht vorbeigehen, daß heute von einem Wachstum Null oder minus Null gesprochen wird, was sicherlich eine realistische Beurteilung ist. Genau heute vor einer Woche, als jeder wußte, wie die Erdölsituation im Trend laufen würde, gab die Bundesregierung Orientierungsdaten heraus, die heute nur noch als Makulatur in den Papierkorb gehören.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, gestatten Sie noch weitere Zwischenfragen? Ich glaube, es sind schon wieder drei.
Herr Abgeordneter Eilers, bitte!
Herr Kollege Müller-Hermann, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die wiederholte Frage des Abgeordneten Wehner eindeutig erkennen läßt, daß er mit der Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers keineswegs zufrieden war?
({0})
Sie haben völlig recht. Ich habe ohnehin den Eindruck, daß hier im Parlament ein ständiger Disput innerhalb der Koalition stattfindet.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, nunmehr eine Frage des Abgeordneten Franke ({0}).
Herr Kollege Müller-Hermann, wäre eine Antwort an Herrn Wehner nicht vielleicht in der Richtung zu geben, daß wir hier im Plenum noch einmal das Inflationssteuerentlastungsgesetz diskutieren und dabei gerade auch jenem betroffenen Personenkreis helfen könnten, den Herr Kollege Wehner - ich meine: mit Recht - gemeint hat, und sollten wir dabei nicht versuchen, auch die Zustimmung der SPD für solch ein Entlastungsgesetz zu bekommen?
({0})
Herr Kollege Franke, wenn wir uns über die Konjunkturentwicklung des Jahres 1974 zu unterhalten haben, können wir das tun.
Herr Kollege Wehner, ich wollte Sie jetzt noch einmal als Vorsitzenden der SPD-Fraktion ansprechen. Wir haben uns sicherlich alle im Laufe der nächsten Wochen und Monate sehr sorgenvolle Gedanken über die Konjunkturentwicklung im Jahre 1974 zu machen
({0})
- wir alle - und insbesondere über die Exportschwierigkeiten nachzudenken. Da können wir das mit einbeziehen. Wir müssen folgendes berücksichtigen: im Jahre 1973 ist unsere Produktion durch eine außerordentlich günstige Exportsituation auf dem hohen Niveau gehalten worden, was nach all den Aufwertungen erstaunlich war. Wenn wir uns aber im nächsten Jahr vielleicht auch im Export vor völlig veränderten 'Situationen sehen werden, werden Sie sich vielleicht noch einmal neidvoll an den Vorschlag erinnern, den wir Ihnen mit unserem Steuerentlastungsprogramm angeboten haben, wenn Sie nämlich unter dem Druck der Lohnkosten sehen müssen, daß die Vollbeschäftigung in unserem Lande gefährdet wird.
Ich will jetzt nicht die Gewerkschaften angreifen, die in eigener Verantwortung handeln müssen. Sie sind in einer ungewöhnlich schwierigen Situation. Hier hat die Regierung und die sie tragende Koalition die Hilfestellung und die Ratschläge zu geben. Aber seien wir uns darüber im klaren, daß durch den weiter wachsenden Kostendruck unsere Schwierigkeiten in der Beschäftigung unserer Mitbürger
im nächsten Jahr mit Sicherheit nicht geringer sein werden. Denken Sie rechtzeitig daran, was Sie möglicherweise als Sternstunde bei unserem Angebot versäumt und verpaßt haben.
({1})
Ich werde jetzt vom Herrn Präsidenten gemahnt, zum Schluß zu kommen. Aber Herr Vorsitzender, ich muß noch einen Punkt behandeln - es ist ja auch sehr viel Zeit durch die Fragen verlorengegangen -, der mir wichtig zu sein scheint. Hier in der Debatte ist mehrfach das Neun-Punkte-Programm angesprochen worden, das wir in der Fraktion am Dienstag verabschiedet haben. Hier muß ich einige Dinge richtigstellen. Es gibt einen alten und sicherlich richtigen volkswirtschaftlichen Lehrsatz, daß man Strukturprobleme in einer Volkswirtschaft am vernünftigsten und unter Vermeidung sozialer Härten in Phasen der Hochkonjunktur löst. Diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie in dieser lang anhaltenden Hochkonjunkturphase gerade den Problemen der regionalen und sektoralen Strukturverbesserung keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet haben.
({2})
Jetzt stehen wir allesamt vor dem Problem, daß die Restriktionspolitik der Bundesbank, die stellvertretend für die Regierung, die nicht mit dem ganzen Instrumentarium die Stabilität erstrebt hat, handeln mußte, einige Sektoren, die wirtschaftlich schwachen Regionen und die ganze Breite der mittelständischen Substanz in ernsthafte Existenzschwierigkeiten gebracht hat.
({3})
Gerade hier zeichnet sich ein Aushöhlungsprozeß mit Dauerschäden ab,
({4})
die wir nicht nur unter konjunkturpolitischen, sondern auch unter strukturpolitischen Gesichtspunkten und unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Arbeitsplätze überall im Lande mit großer Aufmerksamkeit verfolgen müssen.
({5})
Unser 9-Punkte-Programm ist im Grunde nichts anderes als ein Abstützungsprogramm, ein Sicherungsprogramm, das die jetzt mit verstärkter Vehemenz auf uns zukommenden Probleme in diesen Regionen und auf diesen Sektoren entschärfen soll. Das ist der entscheidende Punkt.
({6})
Eine letzte Bemerkung zur Sache. Der Herr Kollege Ehrenberg, den ich auch nicht mehr unter den Anwesenden sehe, hat sich, wie ich verstehe, mit Recht gegen einen möglichen Vorwurf aus den Reihen der Opposition gewandt, die Regierung wolle eine Gefährung der Arbeitsplätze womöglich bewußt herbeiführen.
({7})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Ich möchte gerade die Damen und Herren aus der SPD-Fraktion noch einmal an das böse Wort erinnern, daß der damalige Bundeswirtschaftsminister Schmücker eine gewollte Rezession herbeigeführt habe. Meine Damen und Herren, vielleicht wird Ihnen dieser Vorwurf nicht von der Opposition, sondern von ganz anderen gemacht werden, denn Sie müssen heute nicht nur mit den Schwierigkeiten der Erdölkrise fertig werden, sondern auch mit den Schwierigkeiten, die durch Ihre Inflationspolitik und Ihre unausgegorene Wirtschaftspolitik ausgelöst worden sind und jetzt von der gesamten Volkswirtschaft und Gesellschaft zu tragen sind.
({8})
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner:
Bitte!
Nur weil Sie Herrn Schmücker erwähnen und uns damit belasten: Wären Sie so freundlich, sich den Brief zu besorgen, den der Abgeordnete aus der Landtagsfraktion der CDU, der jetzige Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen, Herr Lenz, seinerzeit im Hinblick auf diesen Ausdruck Schmückers geschrieben und in dem er ihm geraten hat, er möge diesen Ausdruck zurücknehmen?
Herr Kollege Wehner, ich gehe davon aus, daß wir alle uns in diesem Hause wechselseitig nichts Negatives im Hinblick auf die Gefährdung der Arbeitsplätze unterstellen.
({0})
Sonst müßten Sie sich eines Tages den Vorwurf gefallen lassen, den Verlust von Arbeitsplätzen, der jetzt möglicherweise, ja, mit Wahrscheinlichkeit auf uns zukommt, gewollt zu haben.
({1})
Ich möchte Ihnen diesen Vorwurf ersparen. Bitte seien Sie dann aber so fair, den damaligen Regierungsmitgliedern der CDU/CSU nicht einen entsprechenden Vorwurf zu machen.
({2})
Einen solchen Vorwurf haben Sie leider in einer sehr demagogischen Weise - nicht nur Sie persönlich, sondern auch Ihre Parteifreunde - in den vergangenen Jahren erhoben.
({3})
Meine Damen und Herren, die Redezeit des Redners ist trotz des fälschlicherweise aufgeleuchteten roten Lichtes noch nicht abgelaufen. Ihm stehen auch ohne Anrechnung der Zwischenfragen noch fünf Minuten, unter Anrechnung der Zwischenfragen sogar noch mehr Zeit zur Verfügung. Im Hinblick auf die Mittagspause, in die wir eigentlich schon vor sieben Minuten hätten eintreten sollen, will ich nicht den Redner, sondern vor allem die Damen und Herren, die im Hause sitzen, bitten, sich so zurückzuhalten, daß der Redner mit seinen Ausführungen zu Ende kommen kann.
({0})
Herr Präsident, ich will hier nur noch einen Schlußgedanken einführen, der mir wichtig erscheint. Der Herr Bundeskanzler - er tat das in einer betont lyrisch verklausulierten Form - und Herr Minister Fridrichs - er tat es in einer dezidierteren Form - haben vor diesem Hohen Hause heute die Erwartungen für 1974, die wir alle haben, sehr heruntergeschraubt. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Sie sind es gewesen, die im deutschen Volk - beginnend mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Jahre 1969 - diesen großen Erwartungshorizont geschaffen haben. Sie haben so getan, als ob Deutschland in Zukunft ein Wunderland, ein Märchenland sein würde.
({0})
Wir haben Ihnen damals entgegengehalten: Man kann nicht alles zu gleicher Zeit wollen oder machen; wir können unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Wachstum nur schrittweise ausdehnen; unsere Ansprüche müssen sich nach dem richten, was unsere Volkswirtschaft hergibt.
({1})
Von den vielen schönen Versprechungen - sehr verehrter Herr Kollege Wehner, das sollten Sie sich doch einmal sagen lassen -,
({2})
mit denen Sie nicht zuletzt vor einem Jahr den Wahlkampf bestritten haben,
({3})
werden Sie in der nächsten Zeit viel abstreichen müssen. Mir scheint es wichtig zu sein, daß diese klare Ansprache an das deutsche Volk von denen ausgeht, die die Verantwortung in diesem Land tragen. Wir wollen mithelfen, mit den Problemen fertig zu werden, aber die Verantwortung, die die Regierung und die Koalition tragen, können und werden wir Ihnen nicht abnehmen. Davon seien Sie überzeugt!
({4})
- Sie sind doch der große Wortführer, Sie sind
doch der eigentliche Bundeskanzler, Herr Wehner!
({5})
Und Sie werden die Abstriche machen müssen. Tun
Sie es rechtzeitig! Ich glaube, das ist das, was der
Bürger heute erwartet. Der mündige Bürger in
unserem Land darf die nüchterne, nackte Wahrheit beanspruchen.
({6})
Meine Damen und Herren, der Bundesminister für Wirtschaft will von seinem Recht, jederzeit vor dem Hause zu sprechen, Gebrauch machen. Ich erteile ihm das Wort.
({0})
Das liegt an Ihnen, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soeben aufgetretene Kontroverse veranlaßt mich, folgendes zu erklären.
Erstens. Mitarbeiter der Ministerien für Arbeit und Sozialordnung, der Finanzen, für Jugend, Familie und Gesundheit, für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie des Bundeskanzleramts haben gestern zusammengesessen, um die hier angeschnittene Frage der Entlastung der Bezieher kleiner Einkommen von den Belastungen der gestiegenen Mineralölpreise einer Regelung zuzuführen. Ich fühle mich nicht in der Lage, dieses Beamtenpapier hier im einzelnen darzulegen, da es von den zuständigen Ressortministern noch nicht eingesegnet worden ist. Die gestrige Verhandlung hat im Auftrag des Kabinetts stattgefunden; denn es hat beschlossen, diese Dinge zu regeln, und einen entsprechenden Regelungsauftrag erteilt.
Dies hier zu sagen, wollte ich nicht versäumen. Ich möchte hinzufügen, daß uns dies nicht der Verpflichtung enthebt, auf der Seite der Mineralölkonzerne die Problematik der Gewinnsituation schärfer als bisher unter die Lupe zu nehmen. Allerdings sind wir in einem Bereich in eine bessere Situation gekommen; denn zwei der deutschen Konzerne gehören ja zu 40 bzw. nach dem gestrigen Beschluß des Haushaltsausschusses zu 48,3 % dem Bund, so daß uns hier eine genauere Überprüfung der Situation der Kosten, der Einstandspreise etc. möglich ist.
Zweitens. Herr Abgeordneter Müller-Hermann, Sie haben soeben dargelegt, daß die Bundesregierung über das reale Wachstum unterschiedliche Aussagen mache. Dies ist nicht der Fall. Im Bulletin vom 27. November 1973 können Sie auf Seite 1503 nachlesen, daß die beiden Möglichkeiten - Wachstum des Bruttosozialprodukts von real 2 bis 3 bzw. real 0 % - bei Erdöl exakt dargelegt sind. Ich habe nichts anderes dargestellt als dort.
Drittens. Herr Abgeordneter Dr. Strauß, ich habe es versäumt, auf Ihre Bemerkung betreffend den Bau einer Exportraffinerie in Persien einzugehen. Ich möchte hier nur sagen, daß Sie offensichtlich nicht vollständig oder nicht ganz richtig informiert worden sind. Vielleicht darf ich Ihnen sofort ein Fernschreiben des deutschen Botschafters vom gestrigen Tage geben. Daraus werden Sie unschwer erkennen, wo die Ursache für die Fehlinformation, die Ihnen zuteil geworden ist, liegt.
({0})
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein, die allerdings nur noch 17 Minuten beträgt. Ich unterbreche die Sitzung bis 13.30 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung ergänzt werden um die
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhöhung der jährlichen Sonderzuwendungen
- Drucksachen 7/1244 und 7/1293 Ich schlage vor, die Überweisung an den Innenausschuß - federführend - und den Verteidigungsausschuß - mitberatend - sowie den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung sofort vorzunehmen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden. Damit ist der Entwurf den zuständigen Ausschüssen überwiesen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
- Drucksache 7/1277 Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Fragestunde darf ich Ihnen noch sagen, daß der Herr Staatssekretär im Bundeskanzleramt im Augenblick noch im Ältestenrat ist, so daß ich vor dem Bundeskanzleramt ein anderes Ressort aufrufen muß. Ich bitte dafür um Verständnis.
Ich beginne mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die Fragen 1 und 2 des Herrn Abgeordneten Brandt ({0}) sind vorn Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen daher jetzt zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen stehen Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch und, wie ich annehme, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Apel zur Verfügung. Zunächst die Frage 189 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher ({1}) :
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus den mit Polen gemachten Erfahrungen für den Briefwechsel über humanitäre Fragen, der dem „Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik" beigefügt werden soll?
Herr Präsident, darf ich bitten, die beiden Fragen wegen des Zusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ist der Herr Fragesteller einverstanden? - Bitte schön, dann rufe ich auch die Frage 190 des Herrn Abgordneten Dr. Becher ({0}) auf:
Wie lautet der Inhalt dieses Briefwechsels?
Ich beantworte die Fragen wie folgt, Herr Abgeordneter. Im gegenwärtign Zeitpunkt ist es der Bundesregierung nicht möglich, den Inhalt des Briefwechsels über die Regelung humanitärer Fragen, der zum deutsch-tschechoslowakischen Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen gehören wird, bekanntzugeben oder zu Fragen im Zusammenhang mit diesem Briefwechsel im einzelnen Stellung zu nehmen, weil er noch nicht veröffentlicht ist. Vor seiner Veröffentlichung bedarf der inhaltlich bereits festliegende Briefwechsel noch einer endgültigen Abstimmung des deutschen und des tschechischen Textes durch beide Seiten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung nach den mit Polen gemachten Erfahrungen ihre Hauptaufgabe zunächst einmal darin, exakte Abmachungen darüber zu treffen, daß der so gut wie versiegte Aussiedlungsvorgang wieder in Gang kommt, wenn man weiß, daß nach den Angaben des Innenministeriums im Jahre 1973 bei 34 000 Gesuchstellern bisher nur rund 500 Personen ausreisen konnten?
Herr Abgeordneter, die beiden Probleme, die Sie hier angesprochen haben, sind durchaus unterschiedlicher Art. Ich glaube, sie sind nicht vergleichbar. Was die besondere Lage der Deutschen in der Tschechoslowakei betrifft, so unterscheidet sie sich dadurch von der in Polen, daß die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei einen gesicherten Minderheitenstatus besitzt.
Zusatzfrage.
Ich möchte Sie, wiederum auf die Erfahrungen mit Polen abhebend, fragen, ob es nicht auch nach der Meinung der Bundesregierung ein Gebot der Stunde wäre, zu verhindern, daß die Tschechoslowakei, die den Strom der Aussiedlung praktisch zum Versiegen gebracht hat, ähnlich wie Polen ein Ansteigen der Aussiedlerzahl zum Hebel für neue politische und wirtschaftliche Forderungen macht.
Herr Abgeordneter, ich habe schon gesagt, daß es sich um zwei ganz verschiedenartige Problemkreise handelt, auch was die Behandlung in der Vergangenheit betrifft. Wir werden ja Gelegenheit haben, wenn der Vertrag unterschrieben ist und zur Ratifizierung vorgelegt wird, diesen Vertrag und die dazugehörenden Dokumente, also auch den Briefwechsel über die Regelung humanitärer Fragen, im einzelnen in diesem Parlament zu besprechen. Ich kann meiner Antwort, die ich vorhin gegeben habe, insofern keine Einzelheiten hinzufügen. Daß wir die Probleme beachten und kennen, wissen Sie. Sie selbst sind an diesen Vorbesprechungen ja auch beteiligt gewesen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ebendeshalb, weil es mir um eine sachliche Klärung dieser Zusammenhänge geht, möchte ich doch fragen, aus welchem internationalen Brauch heraus die Veröffentlichung eines Teils der bereits getroffenen Verabredungen praktisch hintangestelt wird und dadurch gerade die Betroffenen, aber auch die übrige deutsche Öffentlichkeit über einen Tatbestand nicht im Bilde ist, nämlich über den der Regelung humanitärer Fragen, der doch sehr wesentlich erscheint.
Herr Abgeordneter, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses sind über den Sachverhalt durchaus im Bilde. Ich habe Ihnen soeben in meiner schriftlich vorbereiteten Antwort erklärt, daß die Veröffentlichung wegen des Zusammenhangs mit dem Vertrag dann erfolgt, wenn der Vertrag auch veröffentlicht, d. h. unterschrieben ist.
Eine letzte Zusatzfrage.
Angesichts der Tatsache, daß diese Angelegenheit unter eine Glasglocke des Schweigens, ähnlich wie damals bei der Regelung des Informationsproblems mit Polen, gestellt wird, möchte ich Sie fragen: Wann ist denn nun mit einer Unterzeichnung des Vertrages zu rechnen, und welche Schwierigkeiten stehen dem im Wege?
Herr Abgeordneter, die Schwierigkeiten sind der Öffentlichkeit und auch diesem Hause bekannt. Es geht um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die damit zusammenhängenden Fragen, die hier eindrücklich dargestellt worden sind. Ich habe zu dem Briefwechsel bereits vorhin gesagt, daß noch nicht die endgültige sprachliche Absicherung der beiden Texte geschehen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wäre es auf Grund der Erfahrungen mit Polen, die Herr Kollege Becher angesprochen hat, nicht angebracht gewesen, die Lösung humanitärer Fragen zum Inhalt des Vertrages statt wiederum zu einem Postskriptum zu machen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie haben übersehen, daß es sich um einen
Briefwechsel handelt, der mit dem Vertrag in Zusammenhang steht; das habe ich hier, glaube ich, gerade dargelegt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mir neulich auf meine Frage nach dem völlig unterschiedlichen Zahlenmaterial, das beim Abschluß des Warschauer Vertrages der Bundesregierung zur Verfügung stand, erwiderten, damals habe man hinsichtlich der richtigen Zahl der Aussiedlungswilligen nicht die Erkenntnisse von heute gehabt, möchte ich Sie nun fragen: Hat sich die Bundesregierung denn jetzt um ausreichendes und zutreffendes Zahlenmaterial über die Deutschen in der Tschechoslowakei bemüht, die Ausreisewünsche haben?
Herr Kollege, ich kann hier den notwendigen Sachzusammenhang mit der Frage des Herrn Kollegen Becher nach den Folgerungen für den Briefwechsel, der dem Vertrag beigefügt werden soll, nicht sehen; die Frage wird nicht zugelassen.
Herr Präsident, weil die Frage Behauptungen enthielt, wäre ich sehr dankbar, wenn ich dem Kollegen, um Mißverständnisse in der Öffentlichkeit aufzuklären, sagen könnte, was er offensichtlich nicht weiß: daß eine im Jahre 1970 in der Tschechslowakei durchgeführte Volkszählung
Herr Becher weiß das viel besser als wir - ergeben hat, daß sich zu dem Minderheitenstatus 85 000 dort lebende Deutsche bekannt haben.
Auch, wenn die Regierung etwas weiß, müssen wir uns an die Richtlinien der Geschäftsordnung halten.
({0}) Herr Kollege Mertes!
Herr Staatssekretär, dürfen wir davon ausgehen, daß der Briefwechsel zum deutsch-tschechoslowakischen Vertrag eine der Geschäftsgrundlagen des künftigen deutschtschechoslowakischen Vertrages sein wird, und was hat die Bundesregierung bewogen, einen Teil dieses Vertragswerks, nämlich den paraphierten Vertrag, bereits zu veröffentlichen?
Herr Abgeordneter, die Tatsache, daß der Inhalt des paraphierten Vertrages bekannt wurde - unter anderem offensichtlich auch durch Unterrichtungen der verschiedensten Art, die notwendig waren -, hat es angezeigt erscheinen lassen, die Veröffentlichung vorzunehmen. Sie wissen, daß hier ein Problem enthalten ist, das sehr viele bewegt, unter anderem auch Mitglieder dieses Hauses.
Was den anderen Teil betrifft, so habe ich darauf hingewiesen, daß es im wesentlichen die sprachliche Abstimmung ist, die uns zu der bisherigen Verhaltensweise gebracht hat.
Ich rufe die Frage 191 des Herrn Abgeordneten Gierenstein auf. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann werden diese und die von ihm eingebrachte Frage 192 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 193 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wie wird sich die Bundesregierung auf Grund der Tatsache, daß das Europäische Parlament unter Zustimmung aller Fraktionen - also der christlich-demokratischen, der sozialistischen, der liberalen, der europäisch-konservativen sowie der Fraktion der europäischen Demokraten - seine Geschäftsordnung so geändert hat, daß nunmehr auch die Bildung einer kommunistischen Fraktion im Europäischen Parlament einschließlich der Zahlung finanzieller Zuschüsse an diese kommunistische Fraktion möglich ist, hinsichtlich der Befugnisse des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft bei der Beratung des Haushalts des Europäischen Parlaments im Ministerrat verhalten?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist in der EWG stets für die Rechte des Europäischen Parlaments und für die Stärkung dieser Rechte eingetreten. Wir haben insbesondere in die Debatte zur zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion neue Vorschläge eingebracht.
Deshalb ist es auch wichtig, daß parallel zur Stärke des Europäischen Parlaments alle politischen Kräfte in den Ländern der Gemeinschaft gemäß ihrer politischen Stärke in ihren Heimatländern im Europäischen Parlament vertreten sind.
Es steht im übrigen der Bundesregierung nicht zu, die innere Organisation des Europäischen Parlaments zu bewerten, genauer gesagt, die Kriterien der Fraktionsbildung zu beurteilen. Das sind autonome Entscheidungen des Europäischen Parlaments selbst. Im übrigen wissen wir alle, daß kommunistische Abgeordnete dem Europäischen Parlament seit langem angehören.
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften sich bereits am 22. April 1970 verpflichtet hat, den Haushaltsvoranschlag für die Ausgaben des Europäischen Parlaments nicht zu ändern. Wir haben diese Festlegung zwar nur bis zum 1. Januar 1975 befristet, aber es gibt für mich überhaupt keinen Zweifel daran, daß es auch in Zukunft bei dieser Regelung bleibt, d. h. daß Haushaltsansätze des Europäischen Parlaments, wie immer sie auch zustande kommen, vom Ministerrat übernommen und in den Haushalt der Gemeinschaft eingestellt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geht dann die Bundesregierung davon aus, daß ihr hier im Hause von unserer verehrten Opposition keine
Vorwürfe gemacht werden, wenn sie nun formell einen Beschluß zur Finanzierung europäischer Kommunisten fassen muß?
({0})
Herr Abgeordneter, es steht mir nicht zu, die CDU/CSU oder irgendeinen Teil dieses Hauses zu zensieren oder überhaupt Zensuren über etwaige Verhaltensweisen, von denen ich bisher noch gar nichts gehört habe, zu erteilen.
Die zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung wohl der vom Europäischen Parlament einstimmig zum Ausdruck gebrachten Auffassung, daß dort - im Europäischen Parlament - befindliche Kommunisten nicht so gefährlich sind, daß man sie unbedingt mit Hilfe der Geschäftsordnung bekämpfen müßte?
Sie haben in Ihrer Frage, Herr Kollege, selbst darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Beschluß des Europäischen Parlaments einstim mig, d. h. mit Zustimmung aller Fraktionen gefaßt worden ist. Zu diesen Fraktionen gehören auch 36 Mitglieder dieses Hohen Hauses. Dieser Feststellung habe ich nichts hinzuzufügen.
Ich rufe Frage 194 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Denkt die Bunderegierung daran, Flüchtlinge aus Chile, die den Wunsch haben, in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen zu werden, auf ihren ideologischen Standpunkt hin zu überprüfen und dann gegebenenfalls Einreiseanträge von dem Ergebnis solcher Vorkontrolle abhängig zu machen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung denkt nicht daran, Flüchtlinge aus Chile auf ihren ideologischen Standpunkt hin zu überprüfen. Die Bundesregierung - das will ich hinzufügen - muß bei der Bewilligung der Aufnahmeanträge die Grenze dort ziehen, wo nach dem bisherigen Verhalten von Aufnahmebewerbern befürchtet werden muß, daß sie auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht davon ablassen würden, aus politischen oder sonstigen Motiven Gewalt anzudrohen oder auszuüben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir sagen, welche Funktion in dieser Delegation der Bundesregierung, die gegenwärtig in Chile ist, der Vertreter des Innenministeriums hat, der sich um Verfassungsschutz- und Sicherheitsfragen kümmern soll?
Er hat eine beratende Funktion, die sich aus dem ergibt, was ich Ihnen eben gesagt habe, daß es nämlich darum geht, die Grenze dort zu ziehen, wo Gewaltanwendung oder -androhung auf unserem Boden befürchtet werden muß. Es geht mit anderen Worten - einer Ihrer Kollegen hat das so ausgedrückt - darum, daß wir keine Berufsrevolutionäre aufnehmen wollen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Wird diese eben von mir erwähnte Delegation gegebenenfalls die Mitwirkung und die Dienste der Militärjunta in Chile in Anspruch nehmen?
({0})
Nein.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, es ist doch allgemein bekannt, daß z. B. Länder wie die Schweiz und Schweden
({0})
mittlerweile bereits mehrere hundert chilenische Verfolgte und Flüchtlinge aufgenommen haben. Nimmt es Sie nicht wunder, daß es in der Bundesrepublik noch nicht so weit ist, und können Sie mir bitte sagen, wann die deutschen Behörden zum erstenmal an die chilenischen Behörden herangetreten sind, um Anträge auf Ausreise von Flüchtlingen und Verfolgten durchzubekommen?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen die letzte Frage jetzt nicht präzise beantworten, weil sie hiermit nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang steht. Ich bin aber bereit, nachher in der Sitzung des Unterausschusses für humanitäre Hilfe, die einberufen worden ist, zu versuchen, hierzu präzise Darlegungen zu machen.
Was die Schweiz und andere Länder betrifft, darf ich die verehrten Kollegen darauf aufmerksam machen, daß sich die schweizerischen Vorstellungen etwa über Asylgewährung von unserer Gesetzgebung ganz wesentlich unterscheiden. In der Schweiz gibt es kein allgemeines Recht auf freie politische Meinungsäußerung für Personen, die Asyl gewährt bekommen haben.
({0})
Eine letzte Zusatzfrage.
Ich möchte noch einmal auf die Arbeit der Kommission in Santiago und auf die Rolle, die der Verfassungsschutzmann dabei zu spielen hat, zu sprechen kommen.
({0})
Sie sagen, er hat eine beratende Funktion. Nun sind Informationen -
Herr Kollege, die Frage muß deutlich werden!
Es gibt Informationen, nach denen die Personen dort verhört werden.
({0})
Mich interessiert: Wie lauten die Fragen, die von dem Verfassungsschutzmann beispielsweise denen gestellt werden, die verfolgt sind und die in die Bundesrepublik kommen wollen? Welche Kriterien werden angelegt?
Herr Kollege, ich kann im Augenblick nicht den Zusammenhang mit der hier gestellten Frage sehen. Aber ich will die Frage der Beantwortung dem Herrn Staatssekretär überlassen. - Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich bin gerne bereit, den Kollegen darüber aufzuklären, daß man die Fragen, die Sicherheitsbehörden stellen, wenn sie Unsicherheit befürchten, schon deswegen öffentlich nicht diskutiert, damit die Antworten nicht vorher präpariert werden können.
Ich rufe die nächste Frage auf, Frage 195 des Abgeordneten Dr. Hupka.
({0})
- Herr Abgeordneter, ich habe nicht feststellen können, daß der Herr Staatssekretär das Parlament getadelt hat. Dann hätte ich mich in der angemessenen Weise geäußert. Ich werde mir aber das Protokoll daraufhin noch mal ansehen.
({1})
- Ich rufe Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Hansen.
({2})
- Herr Abgeordneter Gansel, Sie sind ja schon lange genug in diesem Hause, daß Sie die Geschäftsordnung genau kennen.
Bitte, Herr Staatssekretär, zur Frage 195:
Kann die Bundesregierung die Behauptung des Referatsleiters für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesanstalt für gesamtdeutsche
Aufgaben, Dr. Volkmar Kellermann, in dessen Buch „Brücken nach Polen" bestätigen oder widerlegen, daß die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestags vom 17. Mai 1972 von der polnischen Regierung nicht zur Kenntnis genommen wurde"?
Die Frage, ob und in welcher Form die Bundesregierung der polnischen Regierung die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages zur Kenntnis gebracht hat, ist hier bereits mehrfach erörtert worden. Ich verweise auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Strauß, Dr. Marx und andere, die in der Drucksache VI/3540 enthalten ist.
Im übrigen möchte ich es Ihrer Beurteilung überlassen, wieweit die von Ihnen zitierte Feststellung, die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages sei von der polnischen Regierung nicht zur Kenntnis genommen worden, mit der anschließend in derselben Veröffentlichung wiedergegebenen Tatsache vereinbar ist, daß der polnische Außenminister Olszowski sich in der Ratifizierungsdebatte des polnischen Sejm mit der Rechtsnatur der Entschließung des Deutschen Bundestages auseinandergesetzt hat.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ist es aber nicht auffallend, daß ein Angestellter oder Beamter einer Bundesanstalt in einem Buch so etwas veröffentlicht? Besteht da die Möglichkeit, daß seitens der Bundesregierung der richtige Sachverhalt migeteilt wird?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat das, was sie mitzuteilen hat, in diesem Bundestag vorzutragen. Sie wären sicherlich als Abgeordneter dagegen, wenn irgendein Angestellter oder Beamter der Bundesregierung in seinem Recht auf schriftstellerische Betätigung und freie Meinungsäußerung behindert würde.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um ein Mißverständnis erst gar nicht aufkommen zu lassen, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung nicht daran interessiert sein muß, daß in der Öffentlichkeit der richtige Sachverhalt dargestellt wird. Nicht um eine Zensur geht es mir.
Herr Abgeordneter, Sie haben mir die vorzügliche Gelegenheit gegeben, durch Wiederholung bereits viermal gestellter Fragen den Sachverhalt noch einmal darzustellen.
Die nächste Frage, Frage 196 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka:
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Hat sich der Presseattaché bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Oslo, Dr Klaus Bloemer, mit dem in der Zeitschrift „liberal", Heft 11, November 1973, veröffentlichten Aufsatz und darin auf Seite 845 enthaltenen Satz: „Sieht es doch danz so aus, als ob die Bundesrepublik bald eine auf ihre eigene Existenzgrundlage zugeschnittene Verfassung brauchte, die sich anachronistischer Aufträge aus dem Grundgesetz entledigt hat" im Einvernehmen oder im Widerspruch zum Standpunkt der Bundesregierung geäußert?
Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, zu einer Meinungsäußerung, die Dr. Klaus Bloemer in privater Eigenschaft publiziert hat, kommentierend Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen vielleicht entgangen, daß im Impressum der Ihnen doch sicherlich nahestehenden Monatsschrift „liberal" der Verfasser ausdrücklich als Presseattaché der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Oslo bezeichnet wird, so daß nicht anzunehmen ist, daß er das als Privatmann geschrieben hat?
Herr Abgeordneter, dieser Schluß ist falsch. Es ist üblich in Zeitschriften von Qualität - und dazu zähle ich die Zeitschrift „liberal" -, daß die Eigenschaften, deren sich Verfasser rühmen können, am Schluß des Heftes jeweils gekennzeichnet werden. In dem Beitrag selbst ist klar, daß es sich um eine Buchbesprechung handelt, und zwar um eine Besprechung eines Buches von einem, der offensichtlich Anlaß sah, sein Bild in der Geschichte etwas zurechtzurücken. Daran sollten Sie niemand hindern wollen, auch nicht den Presseattaché der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Norwegen, zumal es sich um Dinge handelt, die Sie in Ihrer Frage kritisch anschneiden, die hier in diesem Artikel - das ist offensichtlich übersehen worden im Vorspann - sinngemäß von Franz Josef Strauß zitiert werden.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, -würden Sie aber so weit gehen, dieser Möglichkeit, die dieser offenbar freie Autor dargestellt hat, auf das entschiedenste zu widersprechen, da in seinem Sinne liegen könnte, das Grundgesetz nur noch auf die Existenz der Bundesrepublik Deutschland abzustellen?
Herr Abgeordneter, ich habe zum Inhalt nicht kommentierend Stellung zu nehmen. Ich muß wiederholen, was ich kürzlich gesagt habe: es kann nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein, Kommentare von Publizisten zu kommentieren. Aber, Herr Abgeordneter, Sie haben offensichtlich meinen Hinweis übersehen. Das ist eine
Auseinandersetzung, die Sie in Ihren eigenen Reihen führen müssen; denn aus dem „Entwurf für Europa", erschienen 1966, Verfasser Franz Josef Strauß, wird hier folgendes zitiert:
Das Grundgesetz wurde 1948/49 entworfen. Seitdem ist, bildlich gesprochen, beinahe ein neues Zeitalter angebrochen. Wir müssen uns deshalb überlegen, ob unsere gegenwärtige Verfassung diesen neuen Anforderungen noch Rechnung trägt.
Sie teilen doch sicher meine Auffassung, daß dies eine Meinungsäußerung ist, die unsere Verfassung zuläßt. Herr Klaus Bloemer hat offensichtlich von diesem ihm als ehemaligem Berater von Herrn Strauß besonders zustehenden Recht Gebrauch gemacht, allerdings in einer Zeitschrift, mit der er sonst nicht verbunden ist, die den Namen „liberal" trägt.
Herr Abgeordneter Dr. Hupka, Sie haben keine Zusatzfrage mehr.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel und dann des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, sind die Ausführungen des Presseattachés bei der Botschaft in Oslo so zu verstehen, daß zu den anachronistischen Elementen des Grundgesetzes jedenfalls nicht das Recht der freien Frage und der freien Rede von Abgeordneten im Bundesparlament gehört?
Sicherlich nicht, Herr Abgeordneter! Ich will auch nicht empfehlen, daß Sie diese Dinge im einzelnen lesen. Ich finde es nur einigermaßen amüsant, daß sich in dieser Betrachtung zu einem historischen Tatbestand zwei Personen, nämlich Herr Bloemer und der Fragesteller, zu Wort gemeldet haben, die damals in genau umgekehrten Lagern gestanden haben.
({0})
Meine Damen und Herren, wir nehmen das als Zwischenruf zur Kenntnis!
Die nächste Frage - Frage 197 - ist vom Herrn Abgeordneten Straßmeir eingebracht worden:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesministers Bahr- veröffentlicht in der ..Berliner Morgenpost" vom 6. November 1973 -, wonach der Streit um die konsularische Betreuung Berliner juristischer Personen ein „Idiotenproblem" ist, das bei den deutsch-polnischen Verhandlungen nicht vorausgesehen worden sei?
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, sieht keinen Anlaß, sich mit der Meldung der „Berliner Morgenpost" vom 6. November 1973 auseinanderzusetzen. Was die Gewäh3952
rung von Rechtshilfe betrifft, verweise ich auf die Ergebnisse der Moskauer Besprechungen zwischen Bundesminister Scheel und dem sowjetischen Außenminister Gromyko, die der Bundesminister des Auswärtigen in der Pressekonferenz am 3. November 1973 in Moskau dargelegt hat. Diese Ergebnisse werden von der Bundesregierung und damit natürlich auch von Bundesminister Bahr geteilt und getragen.
Zusatzfrage, Herr Kollege!
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Lösung des vermeintlichen „Idiotenproblems", nachdem Prag den in Moskau initiierten Kompromißvorschlag seinerseits zurückgewiesen hat?
Herr Abgeordneter, mir ist ein „Idiotenproblem" nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Muß ,die Bundesregierung bei diesem angestrebten Kompromißvorschlag nicht dennoch davon ausgehen, daß der Status Berlins gemindert ist, weil im Rechtshilfeverkehr zwischen Gerichten der Bundesrepublik und der Ostblockländer im Konfliktsfall die diplomatische Intervention möglich, dagegen bei Berliner Gerichten ausgeschlossen ist?
Herr Abgeordneter, die Darstellung, die in Ihrer Frage liegt, trifft den Sachverhalt überhaupt nicht. Es ist ganz anders, und Sie wissen, daß es anders ist. Sie haben darüber schriftliche Aufklärung bekommen.
Herr Abgeordneter Jäger, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie die eingangs Ihrer Antwort gemachte Aussage, daß Sie keinen Anlaß sähen, zu diesen Ausführungen des Herrn Bundesministers Bahr Stellung zu nehmen, auch dann aufrechterhalten, wenn Sie davon ausgehen, daß Herr Minister Bahr der Bevollmächtigte der Bundesregierung in Berlin und somit für dieses Problem unmittelbar zuständig ist?
Herr Abgeordneter, Sie haben in Ihrer Frage eine ganze Kleinigkeit übersehen, die doch wichtig ist. Ich habe nicht von den Ausführungen des Bundesministers Bahr, sondern von einer Meldung der „Berliner Morgenpost" gesprochen. Das bitte ich zu unterscheiden. Herr Bahr hat der „Morgenpost" kein Interview gegeben.
Ich rufe die Frage 198 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Kann die Bundesregierung darlegen, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Form - mündlich oder schriftlich - die konsularische Vertretung des Landes Berlin durch die Bundesrepublik Deutschland mit dem deutschpolnischen Vertrag vereinbart worden ist?
Auf diese Frage, die Sie dem Auswärtigen Amt, Herr Abgeordneter, bereits zweimal gestellt haben, hat Ihnen zuletzt Bundesminister Scheel durch Schreiben vom 7. November 1973 geantwortet. Er hat in diesem Schreiben nochmals auf die Antwort verwiesen, die bereits auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wittmann erteilt wurde und die in der Anlage 13 zum Protokoll über die 49. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14. September 1973 wiedergegeben ist.
In dem Schreiben vom 7. November 1973 hat Bundesminister Scheel Sie ergänzend zur Frage nach der Form der Vereinbarung dahin gehend unterrichtet, daß das Einvernehmen über die konsularische Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin ({0}) durch protokollarisch festgelegte Erklärungen erfolgte, deren Texte zwischen Bundesminister Scheel und dem polnischen Außenminister ausgetauscht wurden.
Im übrigen möchte ich zur Klarstellung noch darauf hinweisen, daß die Frage der konsularischen Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin ({1}) nicht im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag steht, sondern bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen geregelt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, nachdem ich von der Bundesregierung trotz des Briefwechsels keine Auskunft über Ort, Zeitpunkt und Inhalt der einvernehmlichen Erklärungen erhalten konnte, frage ich Sie, ob es zutrifft, daß es zu dieser Frage lediglich eine einseitige Erklärung des Bundesaußenministers vom 14. September 1972 aus Anlaß der Erhebung der Missionen in Botschaften gibt.
Herr Abgeordneter, ich habe den Eindruck, daß Sie meine Antwort nicht gehört haben. Ich habe eben mitgeteilt, daß protokollarisch festgelegte Erklärungen erfolgt sind, deren Texte zwischen Minister Scheel und dem polnischen Außenminister ausgetauscht worden sind. Das ist ein Akt gewesen, der in Warschau zu einem ganz bestimmten Tag stattfand, den ich jetzt nicht auswendig weiß. Darüber geben in extenso die Drucksachen dieses Hauses Aufschluß, übrigens auch die Ihnen zur Einsicht zur Verfügung stehenden Protokolle des Auswärtigen Ausschusses.
Diese Sache ist Gegenstand des Berichts zur Ratifizierung der Verträge bzw. der Aufnahme diploParl. Staatssekretär Moersch
matischer Beziehungen. Sie können das also jederzeit in den Protokollen des Auswärtigen Ausschusses nachlesen. Ich kann Ihnen den Termin natürlich auch schriftlich mitteilen, wenn Sie das noch zusätzlich wünschen. Aber das, was man Ihnen bereits schriftlich mitgeteilt hat, ist genau das, was Sie hier wiederum gefragt haben.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte!
Herr Staatssekretär, ist zu befürchten, daß die Bundesregierung das Problem der vollen konsularischen Vertretung Berlins nur noch in der Weise lösen kann, daß weitere politische Zugeständnisse in der Berlin-Frage gemacht werden müssen, beispielsweise mit dem Verzicht auf die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz?
Herr Abgeordneter, abgesehen davon, daß ich den Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage nicht erkenne, frage ich Sie, ob Sie glauben, daß solche Erörterungen sehr nützlich sein können, zumal sie von der Bundesregierung deutlich als nicht stichhaltig zurückgewiesen worden sind.
Offenbar war es notwendig.
Herr Abgeordneter Jäger!
Herr Staatssekretär, wie kann ich Ihre Ausführungen, die Sie eben zum Herrn Kollegen Straßmeir gemacht haben, mit dem Umstand in Einklang bringen, daß die polnische Regierung die von Ihnen behauptete Vereinbarung offenbar nicht mehr anerkennen will und es jedenfalls abgelehnt hat, die konsularische Vertretung von juristischen Personen und Behörden in Berlin durch die Bundesregierung wahrnehmen zu lassen?
Herr Abgeordneter, Sie haben eben schon wieder zwei Tatbestände durcheinandergebracht, die im Auswärtigen Ausschuß in Ihrer Gegenwart aufgeklärt worden sind.
({0})
Herr Abgeordneter Seiters, der Takt ist vielfach nur die gleichmäßige Einteilung der Zeit. Darüber habe ich hier nicht zu befinden.
({0})
Wir kommen zur Frage 199 des Abgeordneten Dr. Kunz ({1}). - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amtes. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Die Frage 187 wurde von dem Abgeordneten Lemmrich eingebracht. - Der Herr Abgeordnete Lemmrich ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 188 des Herrn Abgeordneten Baier:
Aus welchem Titel und Kapitel des Bundeshaushalts und in welcher Höhe erhält der Journalist Klaus Harpprecht Bezüge bzw. finanzielle Zuwendungen?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen Ihre Frage in der von Ihnen gewünschten Form an dieser Stelle nicht beantworten. Als Mitglied des Haushaltsausschusses wissen Sie, daß der Haushaltsplan in bestimmten Fällen ein besonderes Verfahren zur Unterrichtung des Bundestages vorsieht. Danach unterrichtet der Bundesrechnungshof, der ja alle Ausgaben prüft, in besonderen Fällen einen Unterausschuß des Haushaltsausschusses vom Ergebnis seiner Prüfung. In diesem Unterausschuß sind alle Fraktionen vertreten; Sie selbst gehören ihm für Ihre Fraktion an. Der Bundesrechnungshof ist im übrigen über den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt unterrichtet.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, soll ich aus dieser Antwort entnehmen, daß Herr Harpprecht aus dem sogenannten Verfügungstitel, der der Geheimhaltung unterliegt, finanziert wird?
Die Finanzierung erfolgt aus dem Titel, der der besonderen Prüfung des Haushaltsausschusses unterliegt.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Baum zur Verfügung.
Ich komme zur Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Vohrer. - Der Herr Abgeordnete hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Die Fragen 11 und 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Dr. Evers hat seine beiden Fragen 13 und 14 zurückgezogen.
Damit kommen wir zur Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein:
Sind Behauptungen von DDR-Flüchtlingen zutreffend, wonach sie bei ihrer Ankunft im Aufnahmelager Gießen gezielt nach Fluchtwegen und Fluchthelfern befragt worden sind, und ist sichergestellt und folglich absolut auszuschließen, daß die Befragungsergebnisse hinsichtlich der Fluchthelfer nicht auf irgendeine Weise in die DDR gelangen?
Im Rahmen des Notaufnahmeverfahrens wird von jeher die Frage gestellt, wann und auf welchem Wege der Antragsteller ins Bundesgebiet eingereist ist und ob er eine Reisebescheinigung oder Übersiedlungsgenehmigung besitzt. Die Angaben sind notwendig für die Feststellung, ob er als Flüchtling einzustufen ist. Sie sind aber auch aus Gründen der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Spionageabwehr, erforderlich. Dieser Zweck kann es im Einzelfall notwendig machen, die Frage nach einer Unterstützung bei ,der Flucht zu stellen, um Hinweise zu erhalten, ob diese nicht nur zu nachrichtendienstlichen Zwecken vorgetäuscht wird.
Mit Erlaß vom 26. September 1973 hat der Bundesminister des Innern nochmals daraus hingewiesen, daß die Befragungen nur im Rahmen des gesetzlichen Auftrages zu erfolgen haben. Rechtsgrundlagen sind das Notaufnahmegesetz vom 22. August 1950 und das Verfassungschutzgesetz in der Fassung vom 7. August 1972. Keinesfalls dient eine solche Befragung dem Ziel, Fluchthilfeunternehmen auszuforschen. Im übrigen erfolgen die Angaben freiwillig, worauf die Antragsteller auch hingewiesen werden.
Angesichts der gestern in einer Fernsehsendung von einem Befragten erhobenen Vorwürfe hat der Bundesminister des Innern eine Untersuchung angeordnet.
Es ist - jetzt komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage - sichergestellt, daß Informationen, die auf Grund geltender Vorschriften oder ihres Charakters geheimzuhalten sind, entsprechend behandelt werden. In diesem Sinne kann ich den zweiten Teil Ihrer Frage mit Ja beantworten.
Damit ist die Frage beantwortet.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Möllemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung ({0}), die Deutsche Bischofskonferenz, ein Organ der päpstlichen Vollzugsgewalt, habe sich mit ihrem Beschluß vom 28. September 1973 in Fulda, in dem es u. a. heißt, „Abzulehnen ist jedoch, daß sich ein Priester öffentlich innerhalb einer Partei, für eine Partei sowie für die Wahl einer Partei einsetzt", unzulässigerweise in die Materie eines Vertrags eingemischt, der auf völkerrechtlicher Ebene geschlossen wurde?
Mit Ihrer Frage, Herr Abgeordneter,
wird ein komplexer Sachverhalt angesprochen, der in einer Fragestunde nicht erschöpfend dargelegt werden kann. Ihre Frage berührt insbesondere die Bedeutung des Art. 32 des Reichskonkordates, der den Erlaß von Bestimmungen durch den Heiligen Stuhl vorsieht, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen. Hierzu darf ich darauf hinweisen, daß Art. 32 ausdrücklich an die damals in Deutschland bestehenden besonderen politischen Verhältnisse anknüpft und somit insoweit zeitbedingten Charakter aufweist. Dies erhellt auch aus dem Schlußprotokoll zu Art. 32, nach dem Einverständnis darüber bestand, daß vom Reich bezüglich der nichtkatholischen Konfessionen gleiche Regelungen betreffend parteipolitische Betätigung veranlaßt werden. Infolgedessen bin ich der Auffassung, daß es sich bei der Erklärung der deutschen Bischöfe auf ihrer Herbstvollversammlung vom 24. bis 27. 'September 1973, die lautet: „Abzulehnen ist jedoch, daß sich ein Priester öffentlich innerhalb einer Partei, für eine Partei sowie für die Wahl einer Partei einsetzt" um eine innerkirchliche Regelung handelt, die sich im Rahmen des Reichskonkordates bewegt.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Möllemann auf:
Welche Notwendigkeiten und Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für eine zeitgemäße Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche?
({0})
- Entschuldigen Sie, dann müssen Sie sich rechtzeitig melden.
In der Erklärung der Bundesregierung vom 18. Januar 1973 hat der Herr ,Bundeskanzler die Partnerschaft „im Zeichen deutlicher Freiheit" gewünscht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das im Grundgesetz geregelte Verhältnis zwischen Staat und Kirchen einerseits dem partnerschaftlichen Verhältnis entspricht, andererseits aber genügend Spielraum für eine Diskussion des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche bietet. Insoweit verweise ich auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, in der es heißt:
Wir betrachten sie ({0}) nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft und wollen ihren Repräsentanten darum auch nicht als Vertretern bloßer Gruppeninteressen begegnen. Wir meinen im Gegenteil, daß die Kirchen in ihrer notwendigen geistigen Wirkung um so stärker sind, je unabhängiger sie sich von überkommenen sozialen oder parteilichen Bindungen machen.
Daher ist es sicherlich auch Aufgabe der Kirchen selbst - so meint die Bundesregierung -, ihr Verhältnis zum Staat in der einen oder anderen Hinsicht zu überprüfen.
Eine Zusatzfrage.
Bei aller Würdigung dieser Position haben Sie selbst einen Spielraum aufgewiesen, in dem man nachdenken könne. Darf ich fragen, ob die Bundesregierung z. B. darüber nachdenkt, daß der Staat, daß die Bundesregierung ihre besonderen institutionellen Einflußmöglichkeiten auf die Kirche abbauen sollte?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß in den Parteien, die in diesem Parlament vertreten sind, insbesondere in einer Partei, Überlegungen darüber angestellt werden, die aber noch nicht zu Beschlüssen dieser Partei geführt haben. Eigene Überlegungen dieser Art hat die Bundesregierung noch nicht angestellt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Trifft das auch für den Bereich zu, der mit dem Begriff Kirchensteuereinzugsverfahren zu kennzeichnen ist?
Ich habe Ihnen soeben schon gesagt, daß die Bundesregierung dazu noch keine Überlegungen angestellt hat, sondern mit Interesse verfolgt, was die politischen Kräfte und vor allem die politischen Parteien in diesem Lande darüber denken und möglicherweise beschließen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Auffassung des Kollegen Möllemann, die Deutsche Bischofskonferenz sei ein Organ der päpstlichen Vollzugsgewalt?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß man das in dieser Form nicht sagen kann.
Die Frage 18 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Marschall auf :
Welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung vorgesehen, politisch Verfolgten aus Chile in der Bundesrepublik Deutschland Hilfe zu leisten, bzw. Chilenen in der Bundesrepublik Deutschland, z. B. Stipendiaten, zu helfen, die bei einer Rückkehr nach Chile gefährdet wären?
Die Bundesregierung ist sich der großen Bedeutung einer wirksamen Hilfe für die politisch Verfolgten aus Chile bewußt. Aus diesem Grunde und im Hinblick auf die hierfür in erster Linie zuständigen Länder wird der Herr Bundeskanzler die Angelegenheit am 30. November 1973 mit den Herren Ministerpräsidenten der Länder erörtern.
In welchem Umfang die in Aussicht genommene Übernahme von Personen aus Chile in die Bundesrepublik Hilfsmaßnahmen besonderer Art erforderlich macht, wird erst beurteilt und entschieden werden können, wenn ihre berufliche Zuordnung und die hieraus resultierenden notwendigen Förderungsmaßnahmen ermittelt sind. Ich bin sicher, daß die für bestimmte Maßnahmen zuständigen Stellen des Bundes und der Länder die im Einzelfall erforderlichen Vorkehrungen treffen werden.
Die Aufnahme von Personen aus Chile in der Bundesrepublik erfolgt in Zusammenarbeit mit den Ländern, die sich in der Mehrzahl zu ihrer Aufnahme bereit erklärt haben. Einige Länder haben bereits global - ({0})
Herr Staatssekretär, ich glaube, die Herren verstehen Sie nicht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Antwort noch einmal vortrügen, und zwar so, daß es wirklich verständlich ist. - Bitte!
Ich bitte um Entschuldigung.
Ich bin sicher, daß die für bestimmte Maßnahmen zuständigen Stellen des Bundes und der Länder die im Einzelfall erforderlichen Vorkehrungen treffen werden.
Die Aufnahme von Personen aus Chile in der Bundesrepublik erfolgt in Zusammenarbeit mit den Ländern, die sich in der Mehrzahl zu ihrer Aufnahme bereit erklärt haben. Einige Länder haben bereits global der Erteilung von Sichtvermerken durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland als Sichtvermerkbehörde zugestimmt. Es ist zu erwarten, daß in Kürze die ersten Personen aus Chile in der Bundesrepublik Deutschland eintreffen werden, wenn die chilenischen Behörden die Ausreisebewilligung für sie erteilt haben werden.
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle vermerkt, daß die Bundesregierung bisher 250 000 DM zur Unterstützung von Gefangenen in Chile und deren Familien zur Verfügung gestellt hat. Weiterhin sind Güter im Werte von 30 000 DM zur Hilfe in den Gefangenenlagern beschafft und von der deutschen Botschaft in Santiago übergeben worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marschall.
Sie sprachen von den bevorstehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Welchen Standpunkt wird die BundesregieMarschall
rung vertreten? Wird sie für eine Begrenzung der Zahl der Aufzunehmenden eintreten, gegebenenfalls mit welcher Begründung?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist nicht für eine Begrenzung eingetreten und wird auch nicht für eine Begrenzung eintreten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es nicht gerade ein Zeichen humanitärer Gesinnung gegenüber politisch Verfolgten ist, wenn das Land Schleswig-Holstein, in dessen Gebiet die Organisation Amnesty International rund 50 Arbeitsplätze für Chile-Flüchtlinge zur Verfügung stellen könnte, unter Berufung auf den von der Innenministerkonferenz beschlossenen Verteilerschlüssel für die Aufnahme chilenischer Flüchtlinge nur zwei, drei oder maximal fünf Chile-Flüchtlinge aufnehmen will?
Herr Abgeordneter, ich stelle fest, daß die anderen Länder weit über ihren Schlüssel hinausgegangen sind. Das Land Schleswig-Holstein hat aber, wie Sie sagen, nur seiner Quote entsprechend eine Bereitschaft zur Aufnahme erklärt und dazu noch die Forderung aufgestellt, daß der Bund sämtliche Folgekosten übernimmt. Dies ist für den Bund eine nahezu unerfüllbare Forderung. Damit dürfte das Land Schleswig-Holstein aus dem Kreise der aufnehmenden Länder leider ausscheiden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walkhoff.
Herr Staatssektretär, wie groß ist die Zahl der südamerikanischen Flüchtlinge, die die Bundesrepublik aufzunehmen bereit ist, und ist bei der Festlegung dieser Zahl die recht weitgehende Aufnahmebereitschaft der Länder und Gemeinden berücksichtigt worden?
Herr Abgeordneter, wir haben uns bemüht, von Anfang an genaue Angaben über die Aufnahmebereitschaft der Länder zu erhalten. Wir haben einen ersten Katalog von Zahlen bekommen. Diese Zahlen sind inzwischen erhöht worden. Wir können zur Zeit davon ausgehen, daß die Bereitschaft besteht, rund 700 Personen aufzunehmen. Diese Zahl ist, da sich einige Länder nicht endgültig nach oben hin festgelegt haben, noch zu erweitern, so daß, wie wir es heute sehen, rund 1000 Flüchtlinge untergebracht werden können. Andererseits ist die Zahl derjenigen, die im Moment für eine Einreise in Frage kommen, noch nicht so hoch.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, ich darf Ihnen die gleiche Frage stellen, die mir vorhin Herr Staatssekretär Moersch nicht beantwortet hat: Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland trotz ausgedrückter Bereitschaft bisher noch keinen einzigen chilenischen Verfolgten aufgenommen hat? Können Sie mir bitte sagen, wann die ersten Anträge der deutschen Behörden an die chilenischen Behörden auf Ausreisebewilligung abgegangen sind und wieviel es waren?
Frau Kollegin, wir haben Vorkehrungen getroffen, daß die ersten Anträge bei den chilenischen Behörden vorgelegt werden.
({0})
- Selbstverständlich. Wir haben diese Vorkehrungen getroffen. Sie wissen wahrscheinlich, daß die Ausreise davon abhängig ist, daß die chilenische Regierung eine Ausreise gestattet.
Wie ich unterrichtet bin, ist die Zahl derjenigen, die etwa über die schwedische Botschaft ausgereist sind, bisher nicht sehr hoch. Die einzige Zahl, die ins Gewicht fällt, ist diejenige, die die Schweiz betrifft, nämlich 200 Personen. Hierzu hat Herr Kollege Moersch schon Ausführungen darüber gemacht, warum das so ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, werden sich die von Ihnen angekündigten Hilfsmaßnahmen auch auf solche Chilenen erstrecken, die zwar noch in ein anderes südamerikanisches Land flüchten konnten, dort aber nicht bleiben dürfen?
Die von mir angekündigten Maßnahmen erstrecken sich auch auf diesen Personenkreis.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Staatssekretär, werden sich die Hilfsmaßnahmen, von denen Sie eben gesprochen haben, auch auf Flüchtlinge erstrecken, die etwa Kuba verlassen haben und sich jetzt in südamerikanischen Ländern aufhalten?
Ich möchte die Frage grundsätzlich nicht verneinen. Hier wird jedoch ein besonderer Sicherheitsmaßstab angelegt werden müssen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, wenn sich schon der unglückliche Eindruck einer allzu engen politischen Überprüfung bei der Auswahl politischer
Flüchtlinge durch die Entsendung eines Vertreters des Verfassungsschutzes an die chilenische Botschaft nicht vermeiden lassen konnte, möchte ich Sie fragen, ob Sie hier versichern können, daß bei der Hilfe für die politischen Flüchtlinge in diesem Land und anderen Ländern nicht auch noch der Eindruck entstehen wird, daß hier eine politisch gefärbte Auswahl getroffen wird.
Zunächst dies: Ich sehe nicht, Herr Abgeordneter, daß die Bundesregierung irgendwie Anlaß zu Ihrer Feststellung gegeben hätte, daß in Chile eine politisch gefärbte Auswahl getroffen wird. Ich habe mich überzeugen können, daß dies nicht geschieht. Ich möchte jedoch bitten, es mir zu erlassen, hier Einzelheiten darzulegen, weil durch eine öffentliche Behandlung dieser Themen die Ausreise, auf die es allein ankommt, möglicherweise gefährdet wird.
Was die Aufnahme hier im Lande angeht, so wird eine Bund-Länder-Kommission eingerichtet werden. Ich habe schon darauf verwiesen, daß der Bundeskanzler die Angelegenheit am 30. November mit den Ministerpräsidenten der Länder erörtern wird. Diese Kommission soll alle Hilfsmaßnahmen koordinieren, die von Bund, Ländern und Gemeinden getroffen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Vahlberg.
Herr Staatssekretär, ausgehend von der Tatsache, daß Schweden beispielsweise 460 Asylsuchende aufgenommen hat, und ausgehend von der Tatsache, daß auch andere europäische Länder solche Personen aufgenommen haben, frage ich: Sind Sie ebenfalls der Ansicht, daß die Abwicklung durch die Bundesrepublik bisher ein Skandal ist? Und sind Sie ebenfalls der Meinung, daß sich diejenigen, die dafür verantwortlich sind, den goldenen Bürokratieorden mit Schwertern und Brillanten verdienen wollen?
({0})
Herr Abgeordneter, ich bin keinesfalls Ihrer Meinung. Ich bin der Meinung, daß sich insbesondere die deutsche Botschaft und der deutsche Botschafter in diesen schweren Zeiten in Chile außerordentlich gut, mutig und zivilcouragiert verhalten haben. Das ergibt sich schon daraus, daß sich ein Teil des betreffenden Personenkreises in der Botschaft aufhält und sich der Botschafter für einzelne Gefährdete außerordentlich intensiv eingesetzt hat. Wir streben an, diesen Personenkreis, der in seinem Leben und in seiner Sicherheit bedroht ist, aus dem Land zu bekommen. Dazu sind - ich versichere es Ihnen nochmals - alle Vorkehrungen getroffen worden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Staatssekretär, soll sich der hier angesprochene Personenkreis auf chilenische Staatsbürger beschränken oder sollen in diese Hilfsmaßnahmen auch Staatsangehörige dritter Länder einbezogen werden, die nach Chile gegangen waren, um dort eine politische Tätigkeit auszuüben und aus diesem gleichen Grunde Chile verlassen mußten?
Ich habe soeben - auf eine Zusatzfrage hin - versucht, diese Frage zu beantworten, indem ich gesagt habe, daß dieser Personenkreis grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, aber an ihn ein besonderer Sicherheitsmaßstab angelegt werden muß.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, betrachtet die Bundesregierung noch immer mit Genugtuung den liberalen Grundsatz des Grundgesetzes, daß politische Meinungsfreiheit auch politischen Flüchtlingen zugestanden wird - im Gegensatz zur Schweiz -, und wird die Bundesregierung die mögliche Sorge, daß politische Flüchtlinge aus Chile andere Meinungen vertreten könnten, als die Bundesregierung sie sehr gern sieht, nicht dazu nutzen, solche Flüchtlinge abzuwehren?
Die Bundesregierung geht davon aus, daß dieser liberale Grundsatz gilt und daß unser Ausländerrecht - im Gegensatz zu den Situationen in anderen demokratischen Ländern - von diesem Grundsatz getragen ist. Sie wird dafür sorgen, daß dieser Grundsatz auch in diesem Falle nicht verletzt wird.
Der Herr Abgeordnete Gerlach hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage gebeten.
Der Herr Abgeordnete Hösl hat die Frage 21 eingereicht. - Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Wende hat um schriftliche Beantwortung der beiden von ihm eingebrachten Fragen gebeten.
Die nächsten beiden Fragen 24 und 25 sind von dem Herrn Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye eingebracht:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für den Einsatz der im Rahmen des Wassersicherstellungsgesetzes bislang durchgeführten Vorsorgemaßnahmen zur Trinkwassernotversorgung bei der Überwindung von partiellen Schwierigkeiten in der öffentlichen Wasserversorgung, wie sie auch in Friedenszeiten als Folge einer Energiekrise, bei Wasserklemmen, bei Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen und auch bei Anschlägen auf Wasserversorgungsanlagen auftreten können?
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Trinkwassernotversorgung schneller auszubauen und sie auch auf Fälle auszudehnen, die im Wassersicherstellungsgesetz nicht ausdrücklich erwähnt sind?
Herr Staatssekrtär!
Herr Abgeordneter, im Rahmen des Wassersicherstellungsgesetzes wird seit 1968 ein Programm zur Sicherung der Trinkwassernotversorgung durchgeführt. Es beruht im wesentlichen auf dem Bau und Umbau von Einzelbrunnen. Sie sind von dem zentralen Wasserversorgungsnetz unabhängig. Das hiermit zu fördernde Grundwasser ist von allen Wasserdargeboten am wenigsten gefährdet durch jegliche Art von Umweltverschmutzung und unbefugte Eingriffe.
Bislang sind 1 300 Notbrunnen in Großstädten und Ballungsgebieten gebaut oder umgebaut worden. Im Jahre 1973 werden voraussichtlich weitere 270 Notbrunnen fertiggestellt. Mit diesen Vorsorgemaßnahmen können etwa 9 Millionen Einwohner mit Trinkwasser notversorgt werden.
Diese mit Mitteln des Bundes durchgeführten Maßnahmen stellen nicht nur eine Vorsorge für den Verteidigungsfall, sondern auch für andere Fälle der Not dar. Bei Unfällen, Katastrophen, Sabotagehandlungen und bei Eingriffen in Spannungszeiten wie im Verteidigungsfall kann das zentrale Wasserversorgungsnetz beschädigt, zerstört, funktionsunfähig werden. Bereits das Auslaufen von Tankfahrzeugen, der Bruch von Pipelines kann zu lebensgefährlichen Verunreinigungen oder gar Vergiftungen von Oberflächenwasser führen und zum Abschalten des zentralen Wasserversorgungsnetzes zwingen. Die Notbrunnen können auch zu Feuerlöschzwecken herangezogen werden.
Wenn eine Trinkwassernotversorgung aus Brunnen nicht möglich oder unwirtschaftlich ist, müssen kurze Verbundleitungen zwischen eigenständigen Wasserversorgungsgebieten hergestellt werden. Unter Umständen sind stationäre oder transportable Wasserbehälter bereitzustellen. In Einzelfällen ist das auch schon geschehen.
Mit den bereits erstellten Notversorgungsanlagen kann zur Überwindung partieller Schwierigkeiten in der öffentlichen Wasserversorgung beigetragen werden, gleichgültig ob diese als Folge einer Energiekrise, durch Wasserklemmen, durch Unfälle mit wassergefährdenden Stoffen oder durch Anschläge auf zentrale Wasserversorgungsanlagen auftreten. Das Trinkwassernotprogramm nach dem Wassersicherstellungsgesetz hat damit eine hohe Friedenseffizienz.
Mit der Abwehr von Sabotageakten auf Wasserversorgungsanlagen hat sich im Bundesinnenministerium bereits seit Anfang dieses Jahres ein Expertenausschuß befaßt. Der Entwurf eines Sabotageabwehrplanes liegt vor; er bedarf noch der Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden.
Ein weiterer Ausschuß wird sich in Kürze konstituieren und sich mit der Erfassung und Abwehr von Giften und deren Wirkung auf Wasserversorgungsanlagen befassen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, die Notversorgung angesichts der Tatsache, daß sie bisher noch nicht ausreichend ist, schneller auszubauen?
Die Bundesregierung prüft diese Notwendigkeit. Die Möglichkeiten sind angesichts der Haushaltslage allerdings nicht so groß, wie sie sein müßten, um eine recht schnelle, umfassende Sicherstellung zu ermöglichen. Ich verweise Sie auf die Debatten, die darüber alljährlich in den zuständigen Ausschüssen stattfinden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Könnte es für die Bundesregierung - auch zur Lösung dieser Frage - unter Umständen hilfreich sein, wenn der Bund in Zukunft die Gesetzgebungskompetenz bezüglich des Wasserrechts hätte, und wie beurteilen Sie unter dieser Gesichtspunkt die Haltung derjenigen Länder, die eine solche Kompetenz ablehnen?
Sie schneiden eine Frage an, in der die Bundesregierung sich sehr klar und nachdrücklich für eine Ausdehnung der konkurrierenden Gesetzgebung auf das Gebiet des Wasserhaushalts ausgesprochen hat. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß auch für diese Fälle eine solche Kompetenzerweiterung nützlich wäre. Zu der Haltung der Oppositionsfraktion in diesem Hause möchte ich nichts sagen. Ich weiß nicht, ob sie sich schon abschließend festgelegt hat.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein.
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (({0}) : Herr Staatssekretär, angenommen, die Kompetenzänderung käme zustande, wäre dann die Bundesregierung in der Lage, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung für diesen Zweck mehr Mittel bereitzustellen, als sie es zur Zeit tut?
Die Frage kann ich Ihnen nicht eindeutig beantworten, aber es ist nicht auszuschließen. Die Kompetenzänderung wäre immerhin eine Voraussetzung, auf diesem Wege weiterzukommen.
Die nächste Frage ist wohl, Herr Staatssekretär, weitgehend - habe ich das Gefühl - beantwortet. Aber haben Sie noch eine weitere Antwort dazu?
Ja, eine kurze Antwort.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ein schnellerer Ausbau der Trinkwassernotversorgung ist vordringlich. Allerdings müßten dann mehr Haushaltsmittel des Bundes bereitgestellt werden. Das Wassersicherstellungsgesetz umfaßt im Hinblick auf die Vorsorge sämtliche Bereiche der Wasserwirtschaft. Obwohl die Trinkwassernotversorgung nur ein Minimalprogramm darstellt, kann sie wegen der finanziellen Restriktionen im Bundeshaushalt nur langfristig verwirklicht werden.
Keine Zusatzfrage
Die nächste Frage 26 ist von Herrn Abgeordneten Rainer eingebracht. - Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Röhner hat um schriftliche Beantwortung der eingereichten Frage 27 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf zur Verfügung.
Die beiden Fragen 97 und 98 des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim sind nach Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig und werden daher nicht behandelt.
Ich rufe die nächste Frage 99 des Herrn Abgeordneten Werner auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die nächste Frage 100 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({0}) auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf. - Auch der Herr Abgeordnete Urbaniak ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Nunmehr kommen wir zur Frage 102 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider. Ich frage, ob der Herr Abgeordnete im Saal ist. - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Abgeordnete Tillmann hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 103 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch der Herr Abgeordnete Vohrer hat um schriftliche Beantwortung der eingereichten Frage 104 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dasselbe gilt für die beiden von dem Herrn Abgeordneten Biehle eingereichten Fragen 105 und 106.
Nunmehr rufe ich die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Auf welchen Betrag schätzt die Bundesregierung die durch zu große Prüfungsabstände bei Betriebsprüfungen und wachsende Arbeitsrückstände in der Finanzverwaltung verursachten endgültigen Steuerausfälle?
Herr Kollege Ahrens, die Arbeitsbelastung der Finanzämter ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Die Ausweitung des Personalbestandes hat damit nicht Schritt gehalten. Diese Entwicklung zeigte sich auch im Betriebsprüfungsdienst, konnte aber im Bereich der Großbetriebsprüfungen durch Rationalisierung und verstärkten Personaleinsatz aufgefangen werden. Dies allerdings hat zur Folge, daß nicht sämtliche Betriebe in gleichen Zeitabständen geprüft werden können. Inwieweit die eingeschränkte Prüfung dieser Betriebe und die übrigen Arbeitsbelastungen der Verwaltungen zu Steuerausfällen führen, kann nicht exakt festgestellt werden. Die in der Öffentlichkeit immer wieder genannten Zahlen, die sich in Milliardenhöhe bewegen, dürften im wesentlichen auf einer Hochrechnung von Betriebsprüfungsergebnissen beruhen, die von der Annahme ausgehen, daß sich auch bei den nicht geprüften Betrieben ein gleich hohes Ergebnis erzielen ließe wie bei den geprüften Unternehmen. Eine solche Annahme ist jedoch nicht gerechtfertigt.
Derzeit werden Großbetriebe zeitlich lückenlos geprüft. Fast 80 % des Betriebsprüfungsergebnisses im Jahre 1972 entfielen von insgesamt rund 2,5 Milliarden auf Prüfungen von Großbetrieben. Bei Mittel- und Kleinbetrieben werden Betriebe, bei denen Zweifel an der richtigen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen aufgetreten sind, bevorzugt geprüft. Damit soll nicht bestritten werden, daß es Steuerausfälle gibt. Deren Höhe zu schätzen ist jedoch fast nicht möglich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie stellt sich die Bundesregierung zu Veröffentlichungen des Bundes Deutscher Steuerbeamten, wonach die jährlichen Zinsausfälle, denen gleich hohe Zinsgewinne bei den Steuerpflichtigen entsprechen, etwa 1,1 Milliarden DM im Jahr ausmachen?
Herr Kollege, ich habe eine persönliche Meinung über den Bund der Steuerzahler. Ich möchte hier nicht ein einheitliches Urteil der Bundesregierung abgeben. Aber ich habe Ihnen gerade in meiner Beantwortung nachgewiesen, daß ich Zweifel an der Richtigkeit der Zahlen habe.
Herr Staatssekretär, es handelte sich um den Bund Deutscher Steuerbeamter.
Verzeihung, ich hatte verstanden: Bund der Steuerzahler. Der Bund Deutscher
Steuerbeamten war damit nicht gemeint. Ich muß das korrigieren. Ich habe trotzdem Zweifel an den Zahlen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Was Sie eben sagten, war ja nur eine Korrektur, keine Frage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen das Gutachten von drei Oberfinanzdirektionen aus den Jahren 1966/67 bekannt, das darauf schließen läßt, daß die endgültigen Steuerausfälle - also nicht die Zinsverluste des Staates sich auf mindestens l'/2 Milliarden DM belaufen?
Ich kann die Zahlen nicht bestätigen. Aber ich muß Ihnen zugestehen, Herr Abgeordneter, daß wir diese Steuerausfälle auch mit großer Sorge sehen. Wir sind gerade in der Finanzverwaltung dabei, mit den einzelnen Oberfinanzdirektionen ein Hearing durchzuführen. Wir überdenken neu, wie wir nicht nur durch Rationalisierung, sondern auch durch Überprüfung von gewissen Vorgängen, die sich an der Basis ergeben, Abhilfe schaffen können. Wir werden dem Hohen Hause nach diesem Hearing einen Bericht geben, welche Möglichkeiten wir vorschlagen.
Ich rufe die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Wird nach Ansicht der Bundesregierung die geplante Steuerreform Steuerausfälle solcher Art vermeiden helfen?
Herr Kollege Ahrens, die Steuerreform wird sich nach vorübergehenden Umstellungsschwierigkeiten auf die Arbeitslage der Finanzverwaltung positiv auswirken und damit die Steuerausfälle verringern. Sie wird, um nur zwei Beispiele zu nennen, die Reform der Abgabenordnung, die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bringen, die eine zügige Durchführung der Veranlagungsarbeiten mit Datenverarbeitungsanlagen ermöglicht. Dem Ziel, mehr Betriebsprüfungen als bisher durchzuführen, dient die Einführung der abgekürzten Außenprüfung.
Die Bemühungen, die Arbeitslage der Finanzämter zu verbessern, beschränken sich jedoch nicht auf die Steuerreform. So haben die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder neben dem verstärkten Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen Schritte zur Neuorganisation der Finanzämter mit dem Ziel in die Wege geleitet, durch eine rationellere Organisation des Innendienstes mehr Beamte für die Außenprüfung zu gewinnen. Entsprechende Versuche werden zur Zeit durchgeführt.
Zusatzfrage!
Ließen sich möglicherweise die Steuerausfälle nicht auch dadurch verhindern oder doch einschränken, daß man für Steuernachforderungen Zinsen nehmen würde?
Dies ist der eine Weg. Wenn man aber dies macht, müßte man auch den umgekehrten Weg gehen, nämlich daß dort, wo vorhergezahlt wird, auch verzinst wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 109 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
In welchem prozentualen Verhältnis stehen die mir in der schriftlichen Anfrage vom 7./8. November 1973 mitgeteilten Insolvenzen dem Volumen und der Zahl nach zwischen Privatbanken und solchen der öffentlichen Hand?
Herr Kollege Ey, der Bundesregierung liegen keine Unterlagen vor, mit deren Hilfe Ihre Frage beantwortet werden könnte. Unternehmen, die im Falle eines Konkurses Schäden von über 10 Millionen DM hinterlassen, arbeiten in der Regel nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Kreditinstituten zusammen.
Eine Aufteilung der Insolvenzen in Konkurse, die öffentlich-rechtliche Kreditinstitute betreffen, und in Konkurse, die privat-rechtlichen Kreditinstituten Verluste gebracht haben, ist daher nicht möglich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß sich aus einem solchen Zahlenverhältnis kein erkennbares Argument für eine Bankenverstaatlichung ergibt?
Dies hat die Bundesregierung auch noch nicht erwogen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmt eis, daß das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen einer namhaften Bank der öffentlichen Hand oder einer von ihr mehrheitlich geführten Tochtergesellschaft ein generelles oder auf einen größeren Einzelfall abzielendes Kreditverbot erteilt hat?
Das kann ich nicht beurteilen. Da müßte ich schon Einzelheiten wissen. Mir ist der Fall nicht bekannt.
Ich rufe Frage 110 des Herrn Abgeordneten Dr. Waigel auf. - Sie wird im Bereich des Bundesministers
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet werden.
Die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Spranger ist nach Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig. Das gilt auch für die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Rollmann.
Ich rufe Frage 112 der Abgeordneten Frau Huber auf
Mit Rücksicht darauf, daß das Außensteuergesetz und das neue deutsch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen bereits in der vorigen Legislaturperiode verabschiedet worden sind, trage ich die Bundesregierung, wann mit dem Einführungserlaß zu den neuen Bestimmungen zu rechnen ist?
Frau Kollegin Huber, der Entwurf eines Einführungserlasses zum Außensteuerreformgesetz ist im Bundesfinanzministerium fertiggestellt. Er wird Anfang Dezember den Spitzenverbänden zugehen. Nach abschließender Erörterung mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder und nach Anhörung der Verbände soll der Erlaß im Februar 1974 bekanntgegeben werden.
Der Einführungserlaß zum deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen ist ebenfalls fertiggestellt und den Ländern zur abschließenden Stellungnahme zugeleitet. Sobald die Stellungnahme vorliegt, wird der Erlaß unverzüglich veröffentlicht werden.
Mit dem Außensteuerreformgesetz wurde Neuland betreten. Die Anwendung des Gesetzes wirft ebenso wie das deutsch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen eine Reihe von Fragen auf, die in dem Einführungserlaß geklärt werden sollen und die in mehreren Sitzungen mit den Vertretern der Landesfinanzverwaltungen erörtert werden mußten. Daneben wurde das vorgesehene Verfahren ausführlich in einem Planspiel getestet.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß in bezug auf den Einführungserlaß die gleiche Eile geboten ist, wie sie seinerzeit hier im Parlament an den Tag gelegt werden mußte, als wir das Außensteuergesetz verabschiedet haben?
Ich bin mit Ihnen einer Meinung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß in der Zwischenzeit vom Rechnungsprüfungsausschuß in Nordrhein-Westfalen und sicherlich auch in anderen Ländern erneut gravierende Fälle von Steuerflucht beklagt werden mußten und daß die Länder deswegen noch einmal auf die Dringlichkeit der Verabschiedung hingewiesen haben?
Dies ist mir bekannt. Aber ich habe Ihnen hier dargestellt, mit welchen Schwierigkeiten wir in der Zusammenarbeit zu rechnen haben. Wir werden versuchen, dies so rasch wie möglich zu erledigen.
Herr Abgeordneter Kiechle hat um schriftliche Beantwortung der Frage 114 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 115 ist vom Herrn Abgeordneten Hösl eingebracht. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Abgeordnete Röhner hat um schriftliche Beantwortung der Frage 116 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Es war heute nicht sehr viel zu beantworten.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht Herr Bundesminister Ertl zur Verfügung. Die Frage 117 ist von Herrn Abgeordneten Spitzmüller eingebracht:
Nachdem der Deutsche Vogelschutzverband mehrfach darauf hingewiesen hat, daß der Abschuß und das Fangen von Singvögeln in Italien und Belgien wieder stark zunehmen, frage ich die Bundesregierung, ob und welche Möglichkeiten sie sieht, im Rahmen der EG-Zusammenarbeit darauf hinzuwirken, daß auch diese EG-Länder das Schießen und Fangen von Singvögeln untersagen und sich dem sonst üblichen Schutz der Singvögel anschließen?
Herr Kollege Spitzmüller, die Kommission der Europäischen Gemeinschaft ist zur Zeit dabei, Vorschläge für die Durchführung des Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaft für den Umweltschutz zu erarbeiten, das der Ministerrat im Juni dieses Jahres verabschiedet hat. Das Programm sieht unter Titel II § 1 B f auch Maßnahmen auf dem Gebiet des Vogelschutzes vor. Zur Vorbereitung eines entsprechenden Vorschlags wird die EG-Kommission Sachverständige beauftragen, um zu klären, welche Maßnahmen dem Ministerrat als Empfehlung an die Mitgliedstaaten vorgeschlagen werden sollen.
Ich habe der Kommission vor einiger Zeit auf ihre Bitte einige geeignete deutsche Sachverständige benannt. Bei der Beratung der von der Kommission vorzulegenden Vorschläge des Ministerrats werde ich mich dafür einsetzen, daß die Empfehlungen so konkret wie möglich formuliert werden, damit es zu der notwendigen Einschränkung des Vogelfangs insbesondere in Italien kommt. Im übrigen werde ich auch weiterhin meine Bemühungen fortsetzen, in bilateralen Gesprächen darauf hinzuweisen, mit welchem Mißbehagen insbesondere die deutsche Bevölkerung den Vogelfang in Belgien und Italien verfolgt.
Ich darf in Ergänzung dazu sagen: In Belgien ist der Vogelfang seit 1. August 1972 auch gesetzlich verboten. Mein italienischer Kollege der vorher3962
gehenden Regierung hat mir mitgeteilt, daß die damalige italienische Regierung dem Parlament einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der auch ein grundsätzliches Verbot des Vogelfangs vorsah. Nach Parlamentsauflösung und Neukonstituierung von Parlament und Regierung scheint diese Vorlage wiederum parlamentsreif zu werden. Soweit ich informiert bin, ist auch die jetzige italienische Regierung bereit, diesen Gesetzentwurf erneut zu verfolgen.
Ich rufe die Fragen 118 und 119 des Herrn Abgeordneten Sauter ({0}) auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung beabsichtigt, sogenannte Bodenfonds zu bilden, und daß im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten entsprechende Vorarbeiten im Gange sind?
Welche agrar- und gesellschaftspolitischen Ziele werden gegebenenfalls mit solchen Bodenfonds verfolgt?
Herr Kollege Sauter, die Bundesregierung macht seit einer Reihe von Jahren erhebliche finanzielle Aufwendungen für die Entwicklung des ländlichen Raumes durch strukturpolitische Maßnahmen nach den verschiedenen bodenrechtlichen, baurechtlichen, wasserrechtlichen und straßenrechtlichen Vorschriften. Diese Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur, der Wirtschaftsstruktur, der Verkehrsstruktur sowie der Infrastruktur sind insgesamt in starkem Maße flächenbeanspruchend, und nicht zuletzt die daraus erwachsenden Probleme haben die Bodenpolitik zu besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung geführt und sie zu einem Arbeitsschwerpunkt der Bundesregierung werden lassen.
Die Durchführung strukturpolitischer Maßnahmen wird erheblich beschleunigt und verbilligt - oft auch überhaupt erst ermöglicht -, wenn die benötigten Flächen nicht erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Bedarfs bereitgestellt werden müssen. Eine vorausschauende Bodenvorratspolitik ist zudem in der Lage, im marktwirtschaftlichen Sinne preisgestaltend zu wirken und darüber hinaus der Bodenspekulation entgegenzuwirken.
In der Gegenwart wird nur in sehr begrenztem Umfang und auch in einem sehr begrenzten Rahmen Bodenvorratspolitik betrieben, obwohl gerade auch im ländlichen Raum unter Anwendung des Landabgaberechts häufig mittelfristig verwertbare Flächen anfallen und am Markt angeboten werden. Die Gründe hierfür liegen in dem Fehlen der finanziellen und institutionellen Voraussetzungen einer nachhaltigen Bodenvorratspolitik.
Ich habe deshalb in meinem Hause den Versuch unternommen, diese Lücke zu schließen, und habe einen entsprechenden Entwurf für ein mögliches Bodenvorratsgesetz erarbeiten lassen, in dem die Förderung des Erwerbs und der Pacht von Grund und Boden zur Weiterverwendung für sämtliche Maßnahmen zur strukturellen Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehen ist. Dieser Gesetzesentwurf ist von meinen Mitarbeitern inzwischen erstellt und wird nun der weiteren Beratung zugeführt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Institutionen auf der Länder-Ebene, die Siedlungs- und Rentenbanken, diese Aufgabe bisher in guter Weise wahrgenommen haben und daß sie auch in Zukunft in der Lage wären, diese Aufgaben, vor allem auch auf Grund der Kenntnis regionaler Gegebenheiten, in bester Weise zu erfüllen?
Ich habe nicht behauptet, daß das ein Bundesfonds werden soll, sondern ich habe festgestellt, daß wir in meinem Hause grundsätzlich an einer Bodenvorratspolitik gearbeitet haben. Dazu ist zu sagen, daß das durchaus in Zusammenarbeit mit den Siedlungsgesellschaften gemacht werden kann, die übrigens diesen Wunsch an mein Haus herangetragen haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, darf ich nachfragen: Zielt der Entwurf Ihres Hauses darauf ab, einen solchen Bundesfonds zu begründen, oder was beinhaltet dieser Entwurf?
Ich glaube, das habe ich mit der vorhergehenden Zusatzantwort beantwortet.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Sauter ({0}) auf: - Herr Minister!
Wenn ich mich nicht täusche, verehrter Herr Präsident, so habe ich schon beide Fragen beantwortet.
Es sind also beide Fragen des Herrn Abgeordneten Sauter ({0}) auf Grund ihres engen Sachzusammenhangs beantwortet worden; das war nur nicht ausdrücklich festgestellt worden.
Ich meine, daß aus meinen Antworten recht deutlich hervorging, daß ich bereits beide Fragen beantwortet habe. Aber ich kann es noch deutlicher sagen.
Die Siedlungsgesellschaften haben an mein Haus den Wunsch herangetragen. Das heißt doch, daß ich durchaus die Absicht habe, die Siedlungsgesellschaften in eine solche Aufgabe mit einzubeziehen.
Herr Minister, ich glaube hier liegt ein Mißverständnis vor. Ihre Zusatzantwort ist von dem Herrn
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Fragesteller voll aufgenommen worden. Es geht jetzt nur darum, ob auch die Frage 119 als beantwortet anzusehen ist.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident. Ich meine, daß ich auch diese Frage mit meinen grundsätzlichen Ausführungen beantwortet habe.
Sie betrachten diese Frage also mit Ihren grundsätzlichen Ausführungen als beantwortet. Das ist insofern wichtig, als dann der Herr Kollege Sauter noch zwei weitere Zusatzfragen hat. - Bitte, Herr Kollege!
Herr Bundesminister, da ich feststellen muß, daß die Frage 119, in der nach der gesellschaftspolitischen Zielvorstellung dieses Bodenfonds gefragt ist, nicht beantwortet ist, möchte ich an Sie doch die Frage stellen, ob in Ihrem Entwurf vorgesehen ist, daß mit diesem zentralen Bodenfonds das Land bevorratet und dann nur pachtweise weitergegeben wird, oder ob vorgesehen ist, daß das Land in das Eigentum der Landwirte übergeführt wird.
Ich glaube, die Frage stellt sich so gar nicht - wenn, dann nur in begrenztem Bereich. Ich habe doch sehr klar gesagt, daß das ein Mittel für alle Möglichkeiten ist, die es im ländlichen Raum gibt. Ich will Ihnen den Katalog nennen: Strukturverbesserung, Schaffung von Freizeit- und Erholungslandschaften sowie Schaffung von zusätzlichem Wohngelände für Menschen, die ihre Heimstatt auf dem Lande errichten wollen. Dies ist also ein sehr umfangreicher Katalog, der gar nicht umfangreich genug sein kann. Es geht darum, daß zur Verfügung stehendes Land für die entsprechenden Zwecke - eventuell dort, wo sich keine andere Möglichkeit ergibt - sinnvoll verwendet wird.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, darf ich fragen, ob vorgesehen ist, daß das Land, das von diesen Gesellschaften aufgekauft wird, überwiegend an Landwirte zurückgegeben wird, oder ist auch beabsichtigt, solches Land an Saugesellschaften und ähnliche Institutionen weiterzugeben.
Ich will dazu sehr klar sagen: sowohl als auch. Ich möchte Sie, Herr Abgeordneter, daran erinnern, es gibt das Problem der Sozialbrache, das zwar noch kein zu dramatisierendes, aber ein wachsendes Problem ist. Man muß sich doch Gedanken machen, wie man ein solches Problem langfristig lösen kann. Ich könnte mir vorstellen, daß ich mit einem Bodenfonds dadurch, daß ich Austauschland zur Verfügung stelle, meinetwegen die Voraussetzung für eine Erholungs- und Freizeitlandschaft, für einen ausbaufähigen Betrieb, für einen Auffangbetrieb oder ähnliches mehr schaffe. Das ist doch der Grundgedanke. Der Grundgedanke ist nicht der, ein staatliches Bodeninstrument zu schaffen, sondern dort einzugreifen, wo es heute effektiv auf Grund der bisherigen bodenrechtlichen Möglichkeiten keine Lösung gibt. Es gibt Gebiete, wo Sie nicht einmal mehr Höfe, die zum Verkauf anstehen, verkaufen können. Hier gibt es doch Probleme, die man in der Zukunft lösen muß, und das ist die Aufgabe eines solchen Bodenvorratsgesetzes, das übrigens in verschiedenen Ländern in Teillösungen mit sehr gutem Erfolg praktiziert wurde.
Ich rufe die Fragen 120 und 121 des Herrn Abgeordneten Metzger auf:
Treffen Zeitungsmeldungen zu, nach denen in der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr unter Aufwendung von ca. 70 Millionen DM Subventionen aus Steuermitteln 1,4 Millionen Tonnen Weizen denaturiert und damit für den menschlichen Verzehr unbrauchbar gemacht wurden?
Wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Maßnahmen im Hinblick auf die in vielen Teilen der Welt bestehende Unterernährung der Bevölkerung?
Herr Kollege Metzger, ich darf die Antwort in drei Teile teilen:
1. Im Getreidewirtschaftsjahr 1972/73 sind in der Bundesrepublik 1,35 Millionen t Weichweizen zusätzlich verfüttert und dafür im Rahmen einer EWG-Regelung 78,9 Millionen DM an Prämien gewährt worden.
2. Zwischen dieser Maßnahme und dem Hunger in der Welt besteht kein direkter Zusammenhang.
({0})
Weizen ist immer schon nicht nur zur Brotherstellung, sondern auch als Futtergetreide verwendet worden. So liefert die deutsche Landwirtschaft von der Weizenernte, die zuletzt 7,1 Millionen t betrug, Jahr für Jahr nur 60 %, das entspricht 4,2 Millionen t, ab und verfüttert 40 %, gleich rund 2,8 Millionen t, im eigenen Betrieb. Außerdem kauft die Landwirtschaft noch über den Markt Weizen als Futtergetreide zu. Erst nachdem 1967 mit Einführung des gemeinsamen Getreidemarktes in der EWG die Weizenpreise wesentlich höher als die Maispreise festgesetzt worden sind, obwohl beide Getreidearten etwa den gleichen Futterwert haben, ließ der Zukauf von Weizen als Futtergetreide nach. Die Maiseinfuhren nahmen erheblich zu. Andererseits entstanden beträchtliche Weizenüberschüsse in der Gemeinschaft, die mit sehr hohen Kosten teils exportiert, teils interveniert werden mußten. Da eine Preisgleichheit zwischen Weizen und Mais in der Gemeinschaft wegen der unterschiedlichen Interessenlage der einzelnen Mitgliedstaaten bislang - ich sage: leider nicht erreicht werden konnte, wurde der Preisunterschied zwischen diesen beiden Getreidearten durch eine besondere
Prämie ausgeglichen, wobei lediglich aus Kontrollgründen der Weizen denaturiert werden muß.
({1})
Der Wert des Weizens als Futtergetreide wird dadurch nicht beeinträchtigt.
3. Für den Hunger in der Welt stellt die Gemeinschaft seit 1967 jährlich mehr als 1 Million t Weizen, nach Beitritt von Großbritannien, Dänemark und Irland 1,3 Millionen t, kostenlos den Entwicklungsländern zur Verfügung. Die Bundesrepublik ist hieran finanziell in einem Umfang von 320 000 t Weizen beteiligt, die den Haushalt mit etwa 150 Millionen DM jährlich belasten. Außerdem beteiligt sich die Bundesregierung im Rahmen von Gemeinschaftslieferungen an der Bereitstellung von Magermilchpulver, Butter, Öl, Zucker und Eipulver. Ferner liefert die Bundesregierung eiweißreiche Nahrungsmittel für das Welternährungsprogramm. Im Rahmen von überplanmäßigen Ausgaben werden für rund 15 Millionen DM Nahrungsmittel in die Dürre- und Hungergebiete Afrikas geliefert.
Zusatzfrage.
Herr Minister, besteht für die Bundesregierung auf Grund von Abkommen im Rahmen der EWG eine gesetzliche Verpflichtung, diese Denaturierungsmaßnahmen durchzuführen?
Das ist eine beschlossene Maßnahme, und insoweit besteht eine Verpflichtung. Es besteht auch die weitere Verpflichtung, falls dieser Weizen nicht denaturiert wird, den Weizen dann gegebenenfalls in der Intervention zu behalten oder ihn mit Mitteln entweder der Bundesregierung oder der Gemeinschaft anderen Ländern - allerdings zu Lasten der Steuerzahler - zuzuführen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Metzger.
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß man mit diesen 1,4 Millionen Tonnen Weizen, die hier für den menschlichen Verbrauch ungeeignet gemacht werden, über die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung hinaus die Hungersnot in der Welt weiter lindern könnte?
Herr Kollege Metzger, dazu muß ich Ihnen folgendes sagen. Ich habe in meiner Antwort gesagt, das betreffe das Wirtschaftsjahr 1972/73. In diesem Zeitraum gab es nicht nur nicht in diesem Umfang die Probleme - denn die Probleme in der Sahel-Zone gibt es erst seit diesem Frühjahr --, sondern es gab auch noch Überschüsse an Getreide, so daß die Frage an die Gemeinschaft vom Bedarf her gar nicht gestellt wurde.
Seit sich der Weltgetreidemarkt ganz erheblich gewandelt hat - und zwar erst seit diesem Sommer -, nämlich von einem Überschußmarkt zu einem Nachfragemarkt, ergibt sich eine andere Situation. Auch aus diesem Grund haben wir bereits die Denaturierungsprämie gesenkt, um eben hier sukzessive die Vorbereitungen dafür zu treffen, daß möglicherweise zusätzlich Getreide aus der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt wird. Aber diese Bedarfssituation stellt sich erst, seitdem in diesem Jahr die Weltgetreideläger fast leer sind. Bis dato war die Frage, was man mit den Überschüssen überhaupt machen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Bundesminister, Sie gebrauchten den Begriff „beschlossene Maßnahme". Ich frage Sie: Welche Möglichkeit hat dieses frei gewählte Parlament - oder, wenn es keine Möglichkeit hat, welches Parlament sonst, hat sie -, über das, was Sie „beschlossene Maßnahme" nennen, Kontrolle auszuüben?
({0})
Herr Kollege Wehner, diese Frage stellt sich nicht dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, sondern all jenen, die einmal in diesem Parlament Marktordnungen politisch bewilligt und ihnen zugestimmt haben, ohne die nötigen demokratischen Kontrollen vorzusehen. Dies hat dieser Minister allein nicht zu verantworten; das war eine politische Zusage auch unsererseits, die ich vielleicht sogar eher zu bedauern habe.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß in dem von Ihnen genannten Zeitraum, in dem ohne Zweifel noch keine Hungersnot in den Ländern der Sahel-Zone vorhanden war, eine solche Hungersnot aber in den Ländern des indischen Subkontinents von Afghanistan bis Ceylon vorhanden war und daß dort solche Weizenvorräte durchaus hätten eingesetzt werden können?
Ich glaube, man kann das nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten. Denn es gibt - auch nach den Erkenntnissen und Erfahrungen, die wir jetzt bei der wirklich sehr gravierenden Hungersnot in der Sahel-Zone sammeln müssen - in bezug auf fast alle Gebiete immer zwei ganz schwierige Probleme. Es gibt erstens das Problem der nötigen Mengen; aber fast noch gravieBundesminister Ertl
render ist das Problem, wie man die Mengen, die man möglicherweise bis zu den Häfen gebracht hat, überhaupt zur betroffenen Bevölkerung bringt. Es ist bisher sehr oft so gewesen, daß zwar bis zu den Häfen Hilfeleistung möglich war, daß es aber darüber hinaus echte Transport- und Versorgungsschwierigkeiten gegeben hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.
Herr Minister, ich bin kein Fachmann. Können Sie mir sagen, was es heißt, 1,4 Millionen Tonen Weizen zu denaturieren?
Das kann ich Ihnen sagen. Die werden z. B. mit einem Ö1 so behandelt, daß sie nur zum Zweck der Fütterung verwendet werden können. Sonst würde ja mit den dafür eingesetzten Mitteln ein Mißbrauch erfolgen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, das aus einem anderen europäischen Land denaturierter Weizen in ein vorderasiatisches Land geliefert und dort für Lebensmittelzwecke weiterverarbeitet wurde, was zu schweren Gesundheitsschäden bei der aufnehmenden Bevölkerung geführt hat?
Ich höre das hier zum erstenmal. Ich kann das weder bestätigen noch verneinen.
Diese Frage steht nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausgangsfrage.
Bitte, Herr Abgeordneter Metzger!
Herr Minister, ist die Bundesregierung im Hinblick auf die zunehmende Hungersnot in vielen Teilen der Welt bereit, in Zukunft solche Denaturierungsmaßnahmen nicht mehr durchzuführen?
Das kann ich, glaube ich, insoweit bejahen, indem ich sage: Die Bundesregierung ist dafür eingetreten - ich erinnere an die Vorschläge des Herrn Bundeskanzlers -, im Rahmen einer Welternährungsbilanz zu einer ausgeglichenen Ernährungslage zu kommen. Ich muß Ihnen aber offen sagen, Herr Kollege Metzger, daß dafür auch die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, um Getreide überhaupt dorthin bringen zu können. Dieses Problem ist nicht so einfach zu lösen, wie es den Anschein hat. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß unsere bisherigen Lieferungen einen Gesamtwert von 150 Millionen DM haben. Es ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten, das Getreide dorthin zu bringen, weil die Transportkosten nicht gerade gering sind.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Metzger.
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß man mit den 70 Millionen DM Steuergeldern, die für die Subventionen benötigt worden sind, zumindest einen großen Teil dieses denaturierten Weizens in die Hungergebiete hätte bringen können?
Herr Kollege Metzger, ich glaube, ich habe mich in meiner Antwort unklar ausgedrückt. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß sich diese Menge auf ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr bezieht. Damals gab es gar keine Anfrage wegen der Lieferung von Getreide. Die Gemeinschaft und auch die Bundesregierung standen daher nur unter dem Sachzwang, dafür zu sorgen, daß das nötige Futtergetreide zur Verfügung stand, was für die Versorgung des Fleischmarktes nicht unwesentlich ist; denn gerade auf diesem Sektor gab es Engpässe - ich erinnere nur an die Diskussionen über den Rindfleischpreis - infolge zurückgegangener Produktion. Die andere Möglichkeit war, das Getreide einzulagern. Das war die Frage, vor der wir standen, weil bis zum Wirtschaftsjahr 1972/73 keine große Nachfrage nach Getreide auf dem Weltmarkt bestand, sondern weil der Weltmarkt durch Überschüsse gekennzeichnet war. Der Wandel ist erst im Laufe dieses Sommers eingetreten. Das ist eine grundlegend andere Tatsache.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Bundesminister, wenn es so ist, wie Sie sagen, sammeln dann so renommierte Einrichtungen wie „Brot für die Welt" und andere nicht für Brot für die Welt, wenn Sie sagen: Es gab gar keinen Bedarf an Brot für die Welt?
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Herr Kollege Wehner, ich gaube, hier besteht ein Mißverständnis; es tut mir furchtbar leid. Ich kann nur noch einmal sagen: Bis zum Frühjahr dieses Jahres war der Weltgetreidemarkt von exorbitanten Überschüssen gekennzeichnet. Trotzdem hat es Hunger in der Welt gegeben. Aber die Frage des Hungers in der Welt ist eine Frage der Finanzierung von Überschüssen für hungernde Menschen. In diesem Sommer, insbesondere nach den großen Käufen der Sowjetunion auf dem amerikanichen Markt, nach den Käufen Chinas und anderer Länder in Verbindung mit der Hungerkatastrophe ist auf dem Weltgetreidemarkt eine ganz andere Situation entstanden, und zwar insofern, als er ein Käufermarkt geworden ist. Insoweit braucht man heute nicht mehr zu sagen: Getreide, das nicht am Markt verwertet wird, muß entweder gelagert oder
denaturiert werden. Aber diese Situation hat sich erst nach der Veränderung auf dem Weltgetreidemarkt ergeben.
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- Ich bin gern dazu bereit.
Eine letzte Frage des Herrn Abgeordneten Oetting.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Bundesregierung nicht erst auf Anforderungen warten muß, sondern daß sie von sich aus für die 70 Millionen DM, die zur Denaturierung verwandt worden sind, in die Länder hätte liefern können, in denen Hungersnot zu der Zeit bestand, als es auf dem Weltmarkt einen Überschuß gab? Sind Sie der Meinung, Herr Minister, daß es zu irgendeinem Zeitpunkt auf der Welt keinen Hunger gegeben hat?
Nein, dieser Auffassung bin ich nicht. Aber das Problem ist viel differenzierter, als es aus dieser Klage herausklingt. Ich bin gern bereit, es Ihnen in aller Ausführlichkeit zu schildern. Dann werden Sie sehen, daß die Siutation nicht so einfach zu bewältigen ist. Tatsache ist erstens, daß es für die Bundesregierung eine verpflichtende Getreidemarktordnung gibt. Die ist diese Bundesregierung noch nicht einmal eingegangen. Aber sie ist für uns alle verpflichtend. Die zweite Frage ist, daß wir bis zum Frühjahr dieses Jahres Überschüsse hatten bei Hunger in der Welt. Bei dieser Situation geht es in der Tat darum: Wie kann man genügend Getreide für die hungernden Menschen in der Welt zur Verfügung stellen? Insoweit haben Sie recht: Man hätte möglicherweise diese 70 Millionen DM auch dafür verwenden können. Das habe ich allerding nur insoweit mit zu untersuchen, als überhaupt an die Gemeinschaft ein Ersuchen in dieser Richtung herangetragen worden ist. Das ist das Problem.
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Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der in ihrem Auftrag erstellten Forschungsarbeit „überbetriebliche Maschinenverwendung in der Landwirtschaft Westeuropas und der Entwicklungsländer" mit besonderem Blick auf die Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland?
Die Forschungsarbeit hat im Hinblick auf die Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland im wesentlichen zu folgendem Ergebnis geführt: 1. Die überbetriebliche Maschinenverwendung trägt durch Senkung der Maschinen- und Arbeitskosten zu einem verbesserten Einkommen der Landwirte bei.
2. Die überbetriebliche Maschinenverwendung fördert die Freisetzung von Arbeitsplätzen. Wo diese nicht abwandern, kann eine Produktionsausweitung in der tierischen Veredelung entstehen.
3. Die überbetriebliche Maschinenverwendung kann die Mobilität des Produktionsfaktors Boden hemmen, wenn Kleinbetriebe langfristig die Flächen weiter bewirtschaften, die die entwicklungsfähigen Betriebe zur Aufstockung benötigen.
Diese differenzierte Darstellung entspricht der bisher vertretenen Auffassung der Bundesregierung, daß mit der überbetrieblichen Maschinenverwendung zwar nicht alle, aber einige wichtige einzelbetriebliche Probleme gelöst werden können. Die Bundesregierung hält daher die überbetriebliche Maschinenverwendung nach wie vor für zweckmäßig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, welche Unternehmensformen der überbetrieblichen Maschinenverwendung hält die Bundesregierung nach diesem Gutachten für zukunftsbeständig?
Ich glaube, daß es hier keine absolute Priorität gibt, sondern hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich möchte es der Entscheidung des Landwirts überlassen, ob das ein Maschinenring, eine Maschinengemeinschaft oder ein Lohnunternehmen sein soll.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Minister, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß durch einseitige Förderungsmaßnahmen die privatunternehmerische Initiative nicht benachteiligt werden darf?
Dieser Meinung ist die Bundesregierung.
Die Frage 123 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die niederländische Regierung unverzüglich Maßnahmen getroffen hat und weitere Maßnahmen plant, den von den nachteiligen Folgen der Energieversorgungskrisen betroffenen Unterglasbetrieben clos Gartenbaus zu helfen, und was gedenkt sie zu tun, um den einheimischen Gartenbaubetrieben eine mit dem des niederländischen Gartenbaus hinsichtlich der Heizkosten vergleichbare Wettbewerbslage zu bieten?
Die von Ihnen, verehrter Herr
Abgeordneter, angesprochene Problematik habe ich in der letzten Ratssitzung der EG-Agrarminister am 19./20. November 1973 vorgetragen. Der Bundesregierung ist daher bekannt, daß die niederländische Regierung beabsichtigt, Kleinverbrauchern im Gartenbau ab 1. Januar 1974 zwei Cent pro Kubikmeter verbrauchten Erdgases zurückzuerstatten.
Die Bundesregierung hat in letzter Zeit die Energiekostenunterschiede zu den Niederlanden sorgfältig geprüft. Sie hat dabei festgestellt, daß lediglich die bisher gewährte 0,75%ige Rückerstattung der Heizölsteuer als geringe echte Wettbewerbsverzerrung angesehen werden kann. Alle übrigen Kostenvorteile ,des Energiesektors sind standortbedingt. Die Rückerstattung der Heizölsteuer soll am 1. Januar 1974 in den Niederlanden eingestellt werden. Das hat auf meine Frage der derzeitige Landwirtschaftsminister ausdrücklich bestätigt.
Der Vertreter der Bundesregierung hat auf eine entsprechende Anfrage des Herrn Abgeordneten Schmitz ({0}) bereits am 17. Oktober 1973 erklärt, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, die Heizölsteuer für Gartenbaubetriebe zurückzuerstatten. Die in den Niederlanden geplante neue Maßnahme ({1}) wird zur Vorbereitung einer entsprechenden Kommissionsentscheidung in der Arbeitsgruppe „Wettbewerbsbedingungen in der Landwirtschaft" auf ihre Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln der EG geprüft.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, halten Sie es auch für einen Standortvorteil, wenn der holländische Staat den niederländischen Gemüsebauern 6 000 Gulden als Subvention für die Umstellung von Heizöl auf Erdgas gezahlt hat und noch zahlt?
Das ist eine investive Maßnahme. Darüber hat die Wettbewerbskommission ebenso zu entscheiden. Das bezeichne ich nicht mit Standortvorteilen, sondern in Ihrer Frage wurden die Kosten der Energieversorgung angeschnitten. Hier hat der niederländische Gartenbau auf Grund der Standortvorteile billigeres Erdgas.
Herr Kollege, wenn Sie eine Zusatzfrage einbringen, kann ich Ihre weitere Frage nicht mehr aufrufen. Wollen Sie ,die Zusatzfrage trotzdem stellen?
Ja, das ist jetzt wichtiger.
Herr Minister, angesichts Ihrer Aussage frage ich Sie: sind Sie der Meinung, daß der deutsche Gartenbau nicht mit entscheidenden Maßnahmen gegen die Konkurrenz des holländischen Gartenbaus gestützt werden muß, der im Moment ein Zehntel der Heizkosten hat, die im Augenblick ,der deutsche Gartenbau bei Preisen von 50 Pfennig je Liter leichtes Heizöl zu zahlen hat?
Herr Kollege Eigen, ich bin im Augenblick nicht in der Lage, die von Ihnen gemachten Zahlenangaben zu überprüfen. Ich kann ihnen nur folgendes sagen. Es gibt in der Tat bei Gartenbaubetrieben echte Probleme. Deshalb hat die Bundesregierung in der letzten Kabinettssitzung beschlossen, daß diese Frage auf Grund einer Kabinettsvorlage meines Hauses im Wirtschaftskabinett geprüft wird. Aber ich muß hier sehr kritisch und auf Grund von Tatsachen prüfen und kann nicht von Annahmen ausgehen.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Die Fragen A 165, B 18, 19, 20, 21, 29, 58, 61, 64 und 65 können nach Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde wegen Punkt 2 der Tagesordnung nicht beantwortet werden. Die Fragen A 129, 130, 136, 142, 146, 147, 149, 150, 182, B 34 und 66 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Die übrigen nicht mehr beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit ist die Fragestunde abgeschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Drucksache 7/1294 Berichterstatter: Abgeordneter Höcherl Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 9. November 1973 zu dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit, das der Bundestag am 19. Oktober 1973 verabschiedet hat, den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen, das Gesetz in zwei Punkten zu ändern. Der Vermittlungsausschuß hat sich in seiner gestrigen Sitzung mit dem Anrufungsbegehren des Bundesrates befaßt. Über das Ergebnis dieser Beratungen möchte ich Ihnen folgendes berichten:
Der Bundesrat erstrebt im ersten Punkt seines Anrufungsbegehrens zu § 17 einen Abs. 3, wie er bereits in der Regierungsvorlage enthalten war. Der Bundestag hatte diese Bestimmung damals gestrichen. Er wollte damit erreichen, daß auch in den der Bergaufsicht unterstehenden Betrieben die Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach diesem Gesetz bestellt werden müssen. Der Bundesrat war dagegen der Auffassung, daß es die besonderen Verhältnisse im Bergbau gebieten, daß das in diesem Bereich geltende Rechtssystem von bergbehördlichen Vorschriften, Verwaltungsanweisungen und
Richtlinien, welches zusammen mit dem bergrechtlichen Betriebsplanverfahren den Arbeitsschutz im Bergbau gewährleistet, unangetastet bleibt.
Aus der vom Bundesrat vorgeschlagenen Bestimmung ergibt sich, daß die Bergbehörde als Sonderpolizeibehörde für den Bergbau gehalten ist, für die von ihr beaufsichtigten Betriebe zumindest dem Gesetz oder den auf Grund des Gesetzes ergehenden Vorschriften gleichwertige Regelungen zu treffen hat. Sie soll aber insoweit wegen der Besonderheiten des Bergbaus den notwendigen Spielraum behalten und insbesondere auch schärfere Anforderungen an die Betriebssicherheit aufstellen können. Der Vermittlungsausschuß ist diesem Petitum des Bundesrates einstimmig gefolgt.
Das zweite Anrufungsbegehren des Bundesrates betrifft die in § 719 a Satz 4 der Reichsversicherungsordnung vorgesehene Möglichkeit der Befreiung der Unternehmer von dem Anschlußzwang zu einem von der Berufsgenossenschaft eingerichteten überbetrieblichen arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienst. Nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages ist zwar bereits vorgesehen, daß Unternehmer vom Anschlußzwang befreit werden können, wenn sie nachweisen, daß sie ihre Pflichten nach dem Betriebsärztegesetz erfüllt haben. Nach dem Vorschlag des Bundesrates soll die Befreiung von einer Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde abhängig gemacht werden, d. h. um eine gleichmäßige Ausführung des Betriebsärztegesetzes sicherzustellen, soll die zuständige Behörde auch prüfen können, ob die Unternehmer ihre Pflicht erfüllt haben. Bei Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung soll dann aber den Unternehmern ein Rechtsanspruch auf Befreiung von Anschlußzwang gegeben werden. Auch in diesem Punkt ist der Vermittlungsausschuß dem Vorschlag des Bundesrates einstimmig gefolgt.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag auf Drucksache 7/1294 zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Eine gesonderte Abstimmung über die Punkte 1 und 2 wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenhaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir fahren nun in der Aussprache zu Punkt 2 der Tagesordnung - Erklärung der Bundesregierung zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik - fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ahrens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich kehre zu dem Thema unserer Debatte von heute morgen zurück, wende mich also den Problemen der Energiewirtschaft und der Energieversorgung zu. Inzwischen liegt uns auch der Entschließungsantrag der Opposition vor. Meine Damen und Herren, ich finde darin - mit Ausnahme Ihres Steuervorschlages,
der heute morgen schon diskutiert worden ist - nicht eben viel Neues. Das einzige, was Sie sonst als neues Moment in die Debatte eingeführt haben, ist der Vorschlag betreffend den Nationalpreis.
Ich glaube, daß wir mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben, daß die Bundesregierung in diesem Jahr keine weiteren Einsparungsmaßnahmen vorzuschreiben beabsichtigt. Wir haben dies vor allem auch deshalb mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, weil auch ein so harmloses Mittel wie das Sonntagsfahrverbot für manchen unter uns eben doch schon Sorgen mit sich bringt, etwa für die Menschen in den Betrieben des Fremdenverkehrs, für die das Wegbleiben der Gäste schon an wenigen Sonntagen oder Wochenenden ein harter Schlag ist.
Wegen der Ungewißheit und wegen der Tatsache, daß niemand - weder in unserem Lande noch in der Welt - sagen kann, mit welchen Eskalationen der Krise wir noch zu rechnen haben, erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie intern weitere und sicher härtere Einschränkungsmaßnahmen vorbereitet, und zwar zusammen mit den Ländern. Diese Maßnahmen müssen bis hin zu den Möglichkeiten einer Rationierung in den verschiedenen Versorgungsbereichen gehen. Wir können in eine Situation kommen - niemand weiß, ob und wann das der Fall sein wird -, in der sofort gehandelt werden muß, in der eine Verzögerung auch nur um wenige Tage bereits schädlich sein kann. Wir müssen deshalb die Mittel auch für die Bekämpfung einer schwierigeren Situation in der Hand haben. Dazu gehört neben einer umfangreichen organisatorischen Arbeit auch die eindeutige Entscheidung über Prioritäten. Wir begrüßen die klare Aussage zum Vorrang der Versorgung der Wirtschaft und damit zum Vorrang der Sicherung der Arbeitsplätze. Dabei müssen wir uns allerdings darüber klar sein, daß es zur Durchsetzung dieser Priorität im Einzelfall noch mancher technischen und organisatorischen Maßnahmen bedarf. All das sollte vorbereitet sein.
Des weiteren müssen wir - hier möchte ich an das anknüpfen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute vormittag gesagt hat - unsere besondere Aufmerksamkeit der Preisentwicklung bei den Mineralölprodukten zuwenden. Was wir hier in den letzten Wochen erlebt haben, hat die Phantasie der meisten von uns einfach überfordert. Ganz sicher ist vielen von uns, praktisch allen Menschen im Lande die Berechtigung der enormen Preissprünge mehr als schleierhaft. Wir halten es daher für unbedingt erforderlich, daß die Preisgestaltung im Mineralölbereich transparent gemacht und durch die zuständigen Behörden der Länder überwacht wird. Dabei denke ich nicht an eine bestimmte Gruppe von Unternehmen und auch nicht an eine bestimmte Stufe.
Meine Damen und Herren, in diesen Zusammenhang gehört auch die Überprüfung der Überwälzung der Ölpreiserhöhungen auf die Mieter. Ich komme hier auf die Frage des Kollegen Wehner von heute vormittag zurück, die er wiederholt hat. Ganz sicher war die Auskunft, die der Herr BundeswirtschaftsDr. Ahrens
minister gegeben hat, formal und rechtlich in Ordnung. Herr Kollege Wehner, man hätte noch hinzufügen können, daß ein Mieter die Möglichkeit hat, zum Gericht zu gehen und die Erhöhung nachprüfen zu lassen. Aber geben wir eigentlich einem 75jährigen Rentner mit solchen Antworten nicht Steine statt Brot? Ich glaube, wir sollten uns in dieser Situation alle darüber klarwerden, daß hier wirkliche Hilfe nötig ist.
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Die Kartellbehörden sollten, so meine ich, ihr Augenmerk des weiteren darauf richten, daß niemand diese kritische Situation ausnutzt, um sich unberechtigte Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und schwächere, unter normalen Verhältnissen aber durchaus leistungsfähige Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Ich meine, die Stunde der Krise ist nicht der Zeitpunkt für eine solche „Flurbereinigung"
Vor allem sollte unsere Sorge denen gelten, die aus wirtschaftlichen Gründen mit der Preisentwicklung nicht mehr Schritt halten können. Meine Damen und Herren, es wäre für jeden von uns im wahrsten Sinne des Wortes unerträglich, wenn die Ärmsten unter uns das Ö1 für ihren Ofen nicht mehr kaufen können, sondern im Kalten sitzen müssen. Man kann hier sicherlich, wie es Graf Lambsdorff heute vormittag getan hat, daran denken, individuell zu helfen, wobei wir über die normalen Möglichkeiten und den Berechtigungskreis der Sozialhilfe ganz sicher weit hinausgehen müssen. Denkbar wäre es auch - wir haben es in unserem Kreis diskutiert -, jedem Verbraucher eine Mindestmenge, gewissermaßen einen Versorgungssockel, an Öl zu einem festgesetzten Höchstpreis zuzuteilen. Welchen Weg man einschlagen sollte, mag dahingestellt bleiben. Wir sind hier nicht festgelegt. Nur müssen wir uns darüber schlüssig werden, daß wir bald helfen müssen und daß die Krise der Versorgung nicht zur Not des kleinen Mannes werden darf.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Herr Kollege, soll das denn so verstanden werden, daß aus Mitteln des Staates und der Gemeinden an jene gezahlt wird, die nun zusätzlich zu tragen haben, damit diejenigen, die diese erhöhten Preise - zum Teil vielleicht unberechtigt - fordern, mehr einnehmen? Soll das dann so sein?
Nein, es kann sicherlich nicht das Ziel sein, daß wir zusätzliche Steuermittel denen geben, die an dieser Krise ohnehin nicht schlecht verdienen. Wir müssen zweierlei machen. Wir müssen einmal die Berechtigung der Preise überprüfen. Ganz sicher sind bestimmte Kostenerhöhungen in den Preisen wiederzufinden. Aber nur in diesem Rahmen sind die Preiserhöhungen berechtigt. Diese Prüfungen sind eingeleitet. Wenn nach diesen Prüfungen gewisse Erhöhungen berechtigt sind,
die wir mit Mitteln des Kartellrechts nicht verhindern können, dann muß die Möglichkeit gegeben sein, in einem weiteren Umfang, als es etwa über die Sozialhilfe oder über das Wohngeld möglich ist, denjenigen zu helfen, denen schon diese geringere Erhöhung Schwierigkeiten bereitet.
Also verdienen oder profitieren kann man, soviel man will. Hauptsache, den anderen wird geholfen!?
Herr Kollege Wehner, das ist nicht der Fall. Wir meinen, es müßte so sein, daß wir - dazu ist heute morgen einiges gesagt worden - die Berechtigung der Preiserhöhungen überprüfen. Ich bin davon überzeugt, daß ein Großteil der Preiserhöhungen nicht gerechtfertigt ist, auch nicht durch höhere Einstandspreise oder höhere Kosten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben diesen unabdingbaren Maßnahmen nach innen müssen die Verhandlungen mit den Erdölländern weitergehen. Hier müssen die Industriestaaten, jedenfalls die Staaten Westeuropas, mit einer Zunge sprechen. Wir sollten uns bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß die ersten Versorgungsspannungen bei Erdöl erst in einem Zeitpunkt auftraten, als die westlichen Staaten versuchten, sich bei den Lieferländern durch Überbieten auszustechen.
Ein gemeinsames Vorgehen in dieser Frage, Herr Bundeskanzler, sollte d a s Ziel der Gipfelkonferenz in Kopenhagen sein. Wir müssen unseren europäischen Partnern deutlich machen, daß für uns ein Europa wertlos ist, in dem jeder in einer solch schwierigen Situation nur den eigenen Vorteil sucht und damit den Nachbarn in um so größere Schwierigkeiten bringt.
Bei diesen Verhandlungen, so meine ich, muß man den Erdölländern klarmachen, daß jede Schwelle, die der Ölpreis auf Grund ihrer Maßnahmen überschreitet, eine weitere Konkurrenzenergie in den Markt bringt. Das kann ebensowenig in ihrem Interesse liegen wie die vorzeitige Entwicklung neuer Technologien, die ganz sicher kostspielige Vorhaben sind, zu denen uns aber eine Krise zwingen kann.
Nur ein hemmungsloser Optimist kann glauben, daß der gegenwärtige Zustand nur von kurzer Dauer sei und daß dann alles wieder so werde wie zuvor. Die Machthaber über die Ölquellen haben jetzt zum erstenmal die Möglichkeiten und die Wirkungen ihrer „Ölwaffe" erkannt. Sie werden sich ihrer in der Zukunft bewußter sein als bisher. Hinzu kommen Überlegungen, die Vorräte unter der Wüste zu strecken, um sie länger nutzen zu können.
Das alles muß uns zu der Gewißheit führen, daß die Erdölländer nicht mehr jedes Wachstum unserer Wirtschaft mit entsprechenden Erhöhungen ihrer Öllieferungen nachvollziehen werden. Wir werden uns also auf die Dauer mit der Tatsache abfinden müssen, daß Energie knapp oder gar sehr knapp werden wird.
Über die Auswirkungen dieser Erkenntnis machen wir uns alle sicher noch keine konkreten Vorstellungen. Aber wir müssen darüber nachdenken, und zwar bald und gründlich. Als Grundlage wird uns hierbei das Energieprogramm der Bundesregierung gute Hilfe leisten. Natürlich enthält dieses Programm keine konkreten Antworten auf die Fragen, die uns diese Krise stellt. Wer könnte das von einem Programm, das sechs Wochen vor Ausbruch des neuen Krieges im Nahen Osten entstand, auch erwarten? Aber ich meine, das Programm formuliert die richtigen Fragen, und es gibt auch ganz pauschal die richtige Antwort, daß die Sicherheit der Versorgung Vorrang hat und ihren Preis kostet.
Es kommt jetzt darauf an, dieses Programm, wie es auch darin steht, fortzuschreiben und weiterzuentwickeln. Dabei sollte man von unterschiedlichen Grundannahmen ausgehen und Alternativen entwickeln. Wir müssen beispielsweise überlegen, welche Wirkungen es hätte, wenn der Ölimport auf den Mengen dieses Jahres, also vor Beginn des Boykotts, eingefroren und von den Lieferländern auch über einen längeren Zeitraum nicht mehr erhöht würde.
Der Mangel an billiger und im Übermaß vorhandener Energie wird und muß zu strukturellen Änderungen in unserer Wirtschaft führen. Es wird gewaltiger Anstrengungen von Staat, Wissenschaft und Wirtschaft bedürfen, diese Probleme zu lösen. Ganz gewiß wird dabei unsere heimische Energie, vor allem die Steinkohle, jetzt eine ungleich größere Bedeutung für unsere Energieversorgung gewinnen als noch nach den Annahmen des Energieprogramms. Ihre Förderung muß nicht gehalten oder gar gesundgeschrumpft, sondern gesteigert werden, und zwar schon jetzt, weil Kohle bereits jetzt Öl substituiert.
Unser Bergbau steht technisch auf der Höhe der Zeit. Trotzdem bedarf es eines zusätzlichen Investitionsprogramms, um Voraussetzungen für eine höhere und gleichwohl wirtschaftliche Förderung und für eine wirtschaftliche Koksproduktion zu schaffen. Meine Damen und Herren, wir sollten bei dieser Gelegenheit und in diesem Zeitpunkt auch unseren Bergleuten danken, die allen widersprüchlichen Aussagen zum Trotz in ihren Gruben verblieben sind und seit Wochen bereits wieder Sonderschichten fahren, Sonderschichten wie in den schweren Jahren nach dem Kriege.
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Wir werden Überlegungen anzustellen haben, in welcher Weise wir durch Einsatz anderer Energien die Abhängigkeit vom Öl Schritt für Schritt zurückdrängen können. Ob und wieweit das durch den Einsatz von Importkohle oder durch Bezug von Gas oder Öl aus weniger risikoreichen Ländern und Bereichen unseres Planeten möglich ist, muß eingehend und sorgfältig geprüft werden.
In diesen Gesamtzusammenhang gehört auch, daß wir zu kürzeren Bauzeiten bei den Großanlagen der Energieversorgung kommen. Bauzeiten von acht Jahren, bedingt durch umständliche und zeitraubende Genehmigungsverfahren, hätten uns auch ohne Ölboykott leicht in kritische Situationen bringen können. Aus diesem Grunde hat der Wirtschaftsausschuß gestern den federführenden Innenausschuß gebeten, das Immissionsschutzgesetz nochmals daraufhin zu überprüfen, ob die Genehmigungsverfahren für solche Anlagen nicht gestrafft werden können. Dabei geht es uns nicht darum, die Belange des Umweltschutzes etwa unter den Teppich zu kehren, sondern es geht um die Zusammenfassung der verschiedenen Verfahren bei möglichst wenigen Behörden. Sollte das Ziel nicht mit dem Immissionsschutzgesetz zu erreichen sein, so müßten wir andere gesetzgeberische Schritte einleiten.
Vor allem wird es in der Zukunft um eine Verstärkung und Intensivierung der Energieforschung gehen müssen, und zwar sowohl im Bereich der Energieerzeugung wie der Energieverwendung. Wir können den bleibenden Energiemangel, wie der Herr Bundeskanzler heute ausgeführt hat, nur mit einem grollen technischen Sprung überwinden, mit einem Sprung übrigens, den wir nur gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn oder darüber hinaus möglichst auch mit den anderen Industriestaaten gemeinsam tun können.
Bei diesen Forschungsvorhaben wird es einmal um die Möglichkeiten einer vielseitigeren Verwendung unserer Kohle, um Kohlevergasung und -verflüssigung gehen müssen. Die Verschiebung der Preisrelationen von einheimischer Kohle zum Erdöl eröffnet hier neue wirtschaftliche Perspektiven. Daneben geht es um die beschleunigte Fortsetzung der Forschungen im Bereich der Brutreaktoren und der kontrollierten Kernfusionen, wenn wir hier auch nicht mit kurzfristigen Erfolgen zu rechnen haben werden und wenn diese Forschungsvorhaben, die immense Kosten verursachen, auch nur in internationaler Kooperation zu verwirklichen sind.
Vor allem geht es auch um eine bessere Ausnutzung der Energie und um den Kampf gegen ihre Verschwendung. Das bedeutet nicht nur die Entwicklung neuer Technologien etwa zur Wärmerückgewinnung; auch dies sind längerfristige Ausgaben. Es geht auch um scheinbar so banale Dinge wie optimal genutzte und gefahrene Sammelheizungen und Heizkraftwerke und um einen besseren Wärmeschutz unserer Häuser.
Meine Damen und Herren, nach einer Auskunft des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ist fast die Hälfte der in ein Ballungsgebiet eingebrachten Primärenergie als Verlust anzusetzen. Das ist nicht nur im Augenblick des Energiemangels, nicht nur wegen der thermischen Belastung, sondern schließlich auch unter ökonomischen Gesichtspunkten doch eigentlich des Nachdenkens wert!
Wir alle werden über eine Vielzahl solcher Probleme mehr als bisher nachdenken, und wir alle werden sicherlich auch härter arbeiten müssen. Wir sollten auch nicht verschweigen, daß uns diese Anstrengungen sowohl zur Überwindung der akuten Krise wie eines möglicherweise lange andauernden Energiemangels alle viel kosten werden, sei es über Preise oder über Steuern.
Meine Damen und Herren, ich persönlich halte nicht allzu viel von den pädagogischen Effekten oder
den erzieherischen Möglichkeiten einer Krise oder einer schweren Zeit. Aber ich hoffe, daß uns diese Zeit doch stärker als bisher zum Bewußtsein bringt, wie abhängig wir von Entwicklungen in anderen Teilen der Welt geworden sind. Was wir heute beim 01 erleben, kann uns morgen bei einem anderen Rohstoff passieren.
Das sollte uns nicht dem Phantom einer Autarkie nachlaufen lassen, wie es aus dem Entschließungsantrag der CDU/CSU hervorzugehen scheint, in dem gesagt wird, daß wir uns bemühen sollten, die Energieversorgung „vom Mineralöl unabhängig" zu machen. Meine Damen und Herren, weder bei der Energie noch anderweitig können wir eine autarke Stellung erreichen, und ich glaube, wir könnten sie als Handelsnation höchsten Ranges wohl auch gar nicht gebrauchen.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Wir sollten uns aber dieser Abhängigkeiten bewußt sein und sie in Grenzen halten. Dabei geht es letztlich nicht nur um Energie und Rohstoffe, es geht dabei ebenso um den wirtschaftlichen und auch um den politischen Handlungsspielraum unseres Landes.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute sicher keine forschungspolitische Debatte führen, denn dazu wird noch bei Behandlung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen Zeit sein. Die Antwort ist gerade im Druck. Ich möchte aber einige Dinge hier nicht unwidersprochen lassen, die in den letzten Tagen von seiten der Opposition gesagt worden sind und die offenbar auf einem völligen Mangel an Information beruhen.
Herr College Carstens hat vor zwei Tagen in der Tagesschau gesagt, das Kernenergieprogramm der Bundesregierung sei in den letzten ein bis eineinhalb Jahren um zwei Drittel gekürzt worden. Da sind Sie wirklich einer Fehlinformation aufgesessen. Gestern gab es dann die zweite Version. Ein Sprecher der Opposition hat gesagt, dieses Programm sei von 9 Milliarden DM auf 6,5 Milliarden DM gekürzt worden. Das wäre immerhin nur ein Drittel, stimmt aber genausowenig.
Ich möchte einmal sagen, wie es wirklich war. Wir gingen aus von einem Fünfjahresprogramm von etwa 9 Milliarden DM. Dann sagte man: Es hat keinen Zweck, ein Fünfjahresprogramm zu machen; nehmt den Zeitplan der Finanzplanung, also vier Jahre. Ein Jahr weniger machte 1,7 Milliarden DM, die später auch ausgegeben werden, aber nicht im Programm enthalten sind. Dann hat man die Mittel
für die nichtnukleare Forschung herausgenommen, die in den Kernforschungszentren betrieben wird; das waren 0,5 Milliarden DM. Damit war man bei 6,8 Milliarden DM. Dann hat man darauf verzichtet, den deutschen Euratom-Beitrag dort einzufügen, und damit war man bei 6,5 Milliarden DM. Die Vergleichszahl, Herr Kollege Carstens und Herr Kollege Strauß, von der wir ausgehen müssen, ist 6,5 Milliarden DM. Diese sind dann aus Haushaltsgründen in der Stabilitätspolitik auf 6,1 Milliarden DM verringert worden. Um diese Kürzung geht es. Diese Kürzung betrifft nicht das Entwicklungsprogramm, sondern Nebenprogramme.
Die drei großen Projekte: Hochtemperaturreaktor mit der Möglichkeit, Prozeßwärme für die Kohlevergasung zu haben, Brutreaktor, der das Uran viel besser ausnutzt, und Gaszentrifugenverfahren mit der Möglichkeit, eine eigene Anreicherungskapazität zu schaffen, werden voll durchgeführt. Beim Brutreaktor haben wir in diesem Jahr sogar 150 Millionen DM vorgezogen. Das ist also eine einfache Fehlinformation. Es ist nichts gekürzt worden. Dieses Programm wird gefahren. Ich halte nichts von dem Antrag der Opposition - der angekündigt worden ist -, 1 Milliarde DM zusätzlich dafür auszugeben. Das würde uns gar nicht nützen. Das, was technologisch zu machen ist, ist jetzt auf einer realistischen Basis.
Zweitens. Auf dem Gebiet der Meeresforschung ist es so, daß die Bundesregierung längst gehandelt hat. Wir haben die Studien abgeschlossen und auf Grund der Studien eine positive Entscheidung für die Förderung der Offshore-Technik getroffen, also Gas und Ö1 vom Meeresgrund zu gewinnen. Das habe ich auf der „Interocean" 1973 bekanntgegeben. Das weiß die Öffentlichkeit, offenbar die Opposition aber nicht. Und auch hier hat es keinen Zweck, mit größeren Mitteln hineinzugehen. Im Gegenteil, schon die Mittel, die wir jetzt bereitgestellt haben, setzen voraus, daß die Industrie sich ihrerseits so organisiert, daß auch wirklich mit diesen Mitteln etwas angefangen werden kann. Darüber laufen die Verhandlungen, so daß dort im Augenblick nichts weiter zu sagen ist. Zu dem gerade vom Kollegen Ahrens angesprochenen Energiesparprogramm, das auch läuft, Herr Kollege Carstens, und das vor der Ölkrise begonnen worden ist, sind die Studien schon vergeben. Wir wissen, daß wir unabhängig von der Ölkrise Schwierigkeiten mit der Energieversorgung haben werden. Die Studien laufen, weil wir uns darin sicher einig sind.
Wir dürfen auch hier nicht einfach Wachstum linear fortschreiben. Es wäre keine Energiepolitik, einfach als von einem gegebenen Datum davon auszugehen, daß sich der Energieverbrauch jeweils in zehn Jahren verdoppelt, und mit hängender Zunge hinterherzulaufen. Hier muß viel - ich kann nur unterstreichen, was der Kollege Ahrens gerade gesagt hat - auf dem Gebiet der Energieeinsparung gemacht werden. Das Programm ist auf dem Wege. Es sollte finanziell etwas aufgestockt werden.
Das gleiche gilt für den letzten Bereich, nämlich den der Kohleforschung. Wir haben z. B. die Kohlehydrierung schon 1971 in einer eingehenden Studie
untersucht. Ergebnis: technisch möglich, wirtschaftlich nicht vernünftig. Selbstverständlich haben wir dies unter den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen wieder aufgenommen.
Auch die Frage der Kohlevergasung mit nichtnuklearer Wärme, also die Druckvergasung, wurde wieder aufgenommen. Und schließlich gibt es eine ganze Reihe von Dingen auf dem Gebiet der Bergbautechnik, die noch gemacht werden können. Ich habe gestern dem Kabinett die Grundzüge dieses Programms, das auch schon mit der Industrie besprochen ist, vorgetragen. Ich habe eine grundsätzliche Zustimmung des Finanzministers, daß dieses Programm aus zusätzlichen Mitteln finanziert wird.
Ich mache aber kein Hehl daraus, daß es für mich zwei Gründe gibt, warum ich jetzt nicht ein großes Sofortprogramm verkünde. Erstens bin ich der Meinung, auch in einer solchen Krisensituation müssen die Vorschläge ganz sorgfältig geprüft werden. Wir dürfen nicht von der Sorgfalt in der Mittelvergabe abweichen. Wir sind uns jetzt innerhalb der Ressorts einig. Am Dienstag treffen wir in Essen die Industrie. Dann wird das Programm in seinen einzelnen Teilen festgestellt, und die endgültige finanzielle Entscheidung fällt. Das läuft also.
Der zweite Grund, warum ich es nicht groß als „Sofortprogramm" oder dergleichen herausbringe, ist folgender: ich möchte einfach in der Öffentlichkeit nicht das Mißverständnis erwecken, Forschung und Technologie könnten, wenn man nur genügend Geld hineinpumpt, die Schwierigkeiten der nächsten Monate beheben. Alles, was wir seit langem machen und zusätzlich machen wollen, wird frühestens in einigen Jahren wirksam. Deswegen muß es doch gemacht werden. Aber die Zurückhaltung in der öffentlichen Darstellung ist einfach geboten, um Mißverständnisse zu vermeiden. Und weil das so ist, wäre ich dankbar, wenn wir in Zukunft wenigtens von einer einheitlichen Informationsbasis in diesen wichtigen Dingen ausgehen könnten. Alle diese Dinge sind bekannt, und ich bin der Meinung, wir sollten das Problem nicht dadurch zusätzlich belasten, daß wir aneinander vorbeireden, indem Sie von Informationen ausgehen, die nicht zutreffen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man als letzter in der „Nachspielzeit" aufs Feld oder hier ans Pult geht, weiß man, daß die Spielzeit nicht mehr allzulang bemessen ist. Ich will versuchen, mich daran ein klein wenig zu orientieren.
Sie haben das Haus zu früh erfreut. Es liegt noch eine weitere Wortmeldung vor.
So kann der Mensch sich irren.
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- Wenn die Einleitung verdorben sein sollte, kann ich um so schneller zur Sache kommen.
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- Nein, nicht gleich zum Schluß. In solch großen Gedankensprüngen wollen wir dieses gewichtige Thema dann doch nicht behandeln; denn daß es sich hier um ein gewichtiges Thema handelt, ist uns allen, glaube ich, in der letzten Zeit im Rahmen dieser Energiekrise, im Rahmen dieses Ölboykotts sehr nachhaltig vor Augen geführt worden.
Das, was man eine Krise nennt, verlangt, glaube ich, zwei Denk- und Aktionsrichtungen.
Einmal geht es woh darum, mit der neuen Lage kurzfristig fertig zu werden. Was die Bevölkerung in dieser Situation erwartet, ist ein überzeugendes „Knappheitsmanagement", wie ich es einmal nennen will, ein „Knappheitmanagement", an dem nicht nur der Staat beteiligt ist, sondern auch die Produzenten, die Verteiler, die Händler. Es ist ein „Knappheitsmanagement", in dem auch der Verbraucher seine Rolle zu spielen hat. Ich glaube, wir können feststellen, daß diese Aufgabe des „Knappheitsmanagements" von allen im wesentlichen ohne Überreaktion sehr ordentlich erfüllt worden ist. Seitens der Regierung ist festzustellen, daß, was die kurzfristigen Folgerungen anbelangt, sehr schnell gehandelt worden ist.
Zweitens sind Krisen aber auch der gegebene Anlaß für etwas längerfristige, etwas grundsätzlichere Überlegungen. Dabei erscheint mir bedeutsam, daß alle erforderlichen kurzfristigen Maßnahmen so geartet sind, daß sie brauchbare Bausteine auch für die längerfristige Lösung darstellen. Denn durch diese Nahostkrise ist uns ja nicht generell etwas grundsätzlich Neues beschert worden. Die Tatsache, daß der Energiebereich ein essentiell wichtiger ist und daß sich hier Knappheitserscheinungen abzeichnen könnten, ist ja nicht neu. Die Regierung hat dem ja auch bereits durch die Erarbeitung eines Energieprogramms Rechnung getragen. Was jetzt erfolgt, ist lediglich die sehr prägnante Erhellung der Hintergrundzusammenhänge. Auf diesem Hintergrund können wir, glaube ich, jetzt schon sagen, daß das, was an energiepolitischen Leitvorstellungen von der Regierung konzipiert worden ist, die Bewährungsprobe bestanden hat. Worauf es ankommt, ist, dieses Programm in einigen Punkten noch etwas windschnittiger und etwas schwerpunktmäßiger auszugestalten. Aber es ist ja bekannt, daß man immer etwas klüger ist, wenn man vom Rathaus zurückkommt. Ich glaube, das ist genau das, was die jetzige Situation kennzeichnet.
Wenn uns jetzt plastisch dargestellt wird, wie wichtig Energie ist, dann zeigt das, nicht zuletzt bei einer Ölabhängigkeit der Bundesrepublik von mehr als 50 %, von denen wiederum mehr als 90 % aus einer Handvoll arabischer Staaten importiert werden, daß Öl offensichtlich doch ein recht „besonderer Saft" für unseren industrialisierten Staat ist. Wir werden aus dieser Situation wohl die Erkenntnis mitnehmen müssen, daß wir zwar manchmal meinten, in einer Überflußgesellschaft zu leben, jetzt aber vor Augen geführt bekommen, daß es Grenzen des Wachstums gibt. Analysen, die auf diesen Umstand
hingewiesen haben und vor einigen Jahren vielleicht noch ein klein wenig belächelt worden sind, sollten wir in Zukunft ernster nehmen, insbesondere im Hinblick auf knappe Güter, deren Verteilung auch noch mit sehr stark politischen Implikationen erfolgt.
Ich darf hinzufügen - das ist sicher kein Ausweg, sondern bestenfalls ein Denkanstoß -, daß die Zufriedenheit der Menschen nicht nur von vorhandenen Quantitäten abhängt, nicht nur von den Verwirklichungsmöglichkeiten, von Kaufmöglichkeiten, sondern nicht zuletzt auch von der Anzahl und dem Ausmaß der menschlichen Wünsche.
In welcher realen Situation befinden wir uns? Der Boykott, d. h. eine Liefereinschränkung bei dem Rohstoff 01, ist Gott sei Dank noch keine generelle Knappheitserscheinung eines Rohstoffs; vielmehr ist die Knappheit auf eine politische Entscheidung zurückzuführen. Wir werden in der jetzigen Situation abzutasten haben, ob diese politische Entscheidung in Zukunft noch verschärft werden könnte oder ob es Aktionen gibt, um aus diesem Boykott allmählich wieder herauszukommen.
So gesehen, meine ich, ist es erforderlich, sich in groben Zügen vor Augen zu führen, wo die Ursachen für diese politische Entscheidung liegen; wir müssen uns also die Krisensituation und auch das auf einigen Seiten bei einigen Beteiligten zu beobachtende Kriseninteresse einmal vor Augen führen.
In diesem Zusammenhang denke ich in erster Linie an die ölproduzierenden und -exportierenden arabischen Staaten. Man muß ganz deutlich zur Kenntnis nehmen, daß das Öl im Kampf gegen Israel als eine politische Waffe eingesetzt wird. Ich habe den Eindruck, daß man, wenn man hier nicht allzusehr als Waffe verwendet werden möchte, nur zwei Alternativen zur Verfügung hat: zum einen zu versuchen, diesen politischen Konflikt mit zu lösen, zum anderen die Abhängigkeit von dem, was als Waffe benutzt wird, nämlich von dem Öl, tendenziell mindern zu helfen.
Aber vielleicht sind auf der Seite der Ölproduzenten auch noch einige andere Gründe für ihr jetziges Verhalten zu sehen, nämlich u. a. die Chance, mit der Lieferung geringerer Mengen zu höheren Preisen die gleichen Einnahmen zu erzielen. Vielleicht schwebt hier und da im Hintergrund auch der Grund mit - er mag von besonderer Bedeutung sein -, einmal die Möglichkeit für eine psychologische Gegenreaktion für Behandlungen in der Vergangenheit auszunutzen.
Wie, meine Damen und Herren, verhält es sich jetzt auf der anderen Seite in den wichtigsten Verbraucherregionen, in den wichtigsten ölimportierenden Ländern? Da ist einmal Japan, das mit einer doppelten Bevölkerungszahl wie die in der Bundesrepublik und mit noch einer größeren Energieabhängigkeit hier offensichtlich sehr einlenkungswillig ist.
Als zweite große Verbraucherregion gibt es die Vereinigten Staaten, die aber sehr viel mehr eigene Reserven haben und deren Abhängigkeitsgrad nicht so groß ist wie der der wesentlichen europäischen Staaten.
Wenn man auf Europa schaut, muß man es doch wohl bei allen Anstrengungen, die gemacht worden sind, bedauern, daß es nicht zu einem etwas einheitlicheren Verhalten der stark ölabhängigen europäischen Staaten gekommen ist. Ich sehe hier ganz deutlich eine Bewährungsprobe für Europa, die noch nicht bestanden ist. Denn es ist zu sehen, daß es sich bei den arabischen Staaten um ein staatliches Angebotskartell handelt, das immer dann seine Konditionen diktieren kann, wenn der Partner auf der anderen Seite nicht stark genug ist. Dieser Partner auf der anderen Seite sind eine Reihe von multilateralen, letztlich aber doch privatwirtschaftlichen Unternehmen und eine Reihe von Abnehmerstaaten, die sich bislang zu keinem solidarischen Verhalten durchringen konnten. In dieser Ungleichgewichtigkeit der Angebots- und Abnahmestrukturen, meine Damen und Herren, sehe ich das Kernproblem der jetzigen Situation, die uns, glaube ich, wenn ich die Zeichen nicht ganz verkehrt deute, noch einige Zeit begleiten wird.
Wie ist auf der anderen Seite die Verbrauchersituation? Der Verbraucher will angesichts dieser Knappheitserscheinungen mit Recht eine faire und gerechte Verteilung. Er hat, glaube ich, bewiesen, daß er Knappheitserscheinigungen zu tragen bereit ist; aber Fairneß muß herrschen. Das ist hier heute morgen auch bei einigen Anfragen deutlich geworden: die Regierung hat darauf zu achten und ist auch gewillt, dafür zu sorgen, daß sich die Preise in etwa an den Kosten orientieren und hier keine Phantasiepreise durchgesetzt werden. Andererseits könnte es aber durchaus hilfreich sein, wenn ein Verbraucher hier und da nicht jede Rechnung ohne Kritik akzeptiert, sondern auch einmal den Rechtsweg beschreitet. Ich könnte mir vorstellen, daß das Statuieren von einigen Exempeln hier recht hilfreich wirken könnte.
Ein Drittes in diesem Zusammenhang erscheint uns wesentlich und muß von seiten der FDP betont werden: Für all diejenigen, die unter diesen Preiserhöhungen besonders zu leiden haben, sind Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten.
Um diese Tour d'horizon abzuschließen: Mit einem Blick auf die Anbieter ist, glaube ich, festzustellen, daß die Industrie redlich bemüht ist, mit der Knappheit auf dem Markt fertig zu werden. Ich kann mich allerdings auch nicht des Eindrucks erwehren, daß es doch manchen Händler und auch manchen Importeur in diesem Markt gibt, der mir ein etwas zu wilder Hecht im Karpfenteich zu sein scheint. Von denen, die sich so verhalten, drohen Gefahren. Wenn man in der Preispolitik nicht auf dem Teppich bleibt, wenn man die Preispolitik nicht unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung für eine soziale Marktwirtschaft sieht, folgt zwangsläufig der Ruf nach dem Staat. Die allgemeine Lebenspraxis lehrt: wenn allzu häufig gerufen wird, muß man zum Schluß auch erscheinen. Dies sei ein kritischer Hinweis an all diejenigen, die die Marktwirtschaft oft so wortreich und so intensiv zu preisen vermögen - das geschah auch heute hier im Plenum -, daß sie die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft, vor allem auch der Marktwirtschaft mit einer SozialZywietz
komponente auch in einer solchen Situation unter Beweis stellen müssen; denn Sünder kommen nicht in den Himmel, auch nicht in den Himmel der Marktwirtschaft.
Meine Damen und Herren, welche Folgerungen werden wir - ich will das nur kurz fassen - für die einzelnen Energieträger im Staate zu ziehen haben? Ich gehe davon aus, daß das Öl nach wie vor für das nächste Jahrzehnt von einer entscheidenden Bedeutung für die Energieversorgung in diesem Staate bleiben wird. Es wird nur darauf ankommen, woher wir dieses Öl beziehen können. Es wird also eine Frage der regionalen Diversifikation sein, und es wird auch eine Frage der Offshore-Technologie und der Förderung in bisher „unwirtlichen" Regionen sein. Bei diesem Bemühen wird zweifellos die Entwicklung bzw. die Voranbringung der Entwicklung eines deutschen Mineralölkonzerns hilfreich sein. Damit wird zwar die Menge des verfügbaren Öls nicht von heute auf morgen größer, wir werden aber eine bessere Verhandlungsposition haben, und zwar nicht nur für Verhandlungen im althergebrachten Stil, sondern auch für solche Kooperationsmethoden wie beipielsweise die „downstream participation", die die gegenseitige Investitionsverflechtung von Produzenten und Förderländern zum Ziel hat.
Ich glaube, wir werden auch, wie es von verschiedenen Vorrednern hier angeklungen ist, daraus folgern müssen, daß im Rahmen der Möglichkeiten eine Substitution des Öls durch andere Energieträger vorzunehmen ist. Hier ist sicherlich vordringlich an die Elektrizitätversorgung und an die Schwerindustrie zu denken. Was die Kohle anbelangt, so kann sie als heimische Energiequelle zwar manche, aber gewiß weder kurz- noch langfristig alle Energieprobleme lösen.
Bei der Kohle besteht für die nächsten Jahre eine echte technologische Herausforderung, und hier wird es mit der Unterstützung des Staates auf eine Kooperation der Industrie ankommen, um die Technologie, von der hier schon im einzelnen die Rede war, voranzubringen. Was die deutsche Kohle anbelangt, habe ich jedoch die Neigung, vor einer übertriebenen Hoffnung auf eine Kohlerenaissance zu warnen. Im Weltmaßstab wird es sicherlich für die Kohle dort, wo sie billiger gefunden und produziert werden kann, so etwas wie eine Renaissance geben, aber angesichts der Kostenstruktur in unserem Lande sollten wir uns nicht zu überschwenglichen Folgerungen verleiten lassen; auch die Ölpreise werden sich stabilisieren, wenn sie sich dem Weltkohlepreis genähert haben. Dies ist aber bei weitem nicht der deutsche Kohlepreis.
In der Zukunft wird sicherlich das Gas eine verstärkte Rolle spielen. Der Weg dafür ist bereits beschritten. Hier sind die Weichen für mehr Diversifikation regionaler Art und ,für höhere Zuwachsraten gestellt.
Einen entcheidenden Beitrag wird die Kernenergie zu erbringen haben. Das darf aber bei aller Berechtigung, hier einen Schwerpunkt zu setzen, nicht dazu führen, daß genauso berechtigte Umweltschutzinteressen zu schnell, zu flink über die Tischkante geschoben werden. Wenn Herr Strauß hier heute morgen sagte, daß in der Energiepolitik in Jahrzehnten gedacht werden muß, dann stimmt das. Das gilt aber nach meiner Meinung ganz sicher auch für die Sicherheitsfragen, die mit der Kernenergie verknüpft sind. Denn mögliche Folgen würden sich dann in vollem Ausmaß auch erst in Jahrzehnten bemerkbar machen. Das, was hier für das eine gilt, gilt in gleichem Maße auch für das andere. Mir scheint es eine Sache des guten Willens und des Mitteleinsatzes zu sein, hier zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen.
Lasen Sie mich zum Schluß kommen! Eine Zurückversetzung in den alten Stand, was die Energieversorgung und die Energiesituation anlangt, wird nicht möglich sein. Darin sehe ich auch etwas Gutes. Wir werden uns weder in der alten allgemeinen Bewußtseinslage wiederfinden noch hinsichtlich der Ölversorgung auf den alten Stand kommen können. Denn selbst, wenn die Ölversorgung quantitativ, d. h. mengenmäßig, einmal wieder in etwa unseren jetzigen Bedarfsvorstellungen entspricht, so wird doch preislich auf jeden Fall ein Sprung zu verzeichnen sein, und nicht nur ein Sprung bei den Ölpreisen, sondern die Ölpreise werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch das Preisniveau bei anderen Energieträgern mitziehen. So wie wir kurzfristig zwar mit einer nicht ganz erfreulichen Situation fertig werden müssen, so dürfen wir uns allerdings langfristig nicht einfach damit abfinden.
Ich darf noch mit einem Satz auf die Folgen für die konjunkturelle Entwicklung hinweisen. Wir befinden uns ganz gewiß in einer Phase, in der die konjunkturelle Entwicklung aus verschiedenen Gründen behutsamer zu verfolgen sein wird. Allerdings halte ich es nicht für angebracht, den Ruf nach Subventionen in der Weise erschallen zu lassen, wie es hier heute durch Herrn Strauß geschah. Ich hatte cien Eindruck, daß Herr Strauß geneigt ist, bei der Auftragsvergabe nicht so sehr die Preisvorstellungen als das entscheidende Kriterium zu betrachten. Denn es klang so, daß er bereit wäre, Aufträge auch dann hier im Inland zu vergeben, wenn billigere Auslandsangebote vorliegen. Er hat das am Beispiel der Bauindustrie in Bayern, glaube ich, deutlich gemacht.
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie noch einmal auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
Jawohl, 'drei oder vier Sätze!
Mich würde sehr interessieren, ob Herr Strauß mit gleicher Großzügigkeit auch als Verbraucher auftritt, ob er immer deutschen Waren den Vorzug gibt, auch wenn sie teurer sind als ausländische. Dieses Verhalten muß dann für beide Seiten gelten. Denn die eine Seite, die Seite des Preisniveaus, ist für den Verbraucher von entscheidender Bedeutung.
Kurzum, das Entscheidende, was mir erforderlich zu sein scheint, ist, daß die außenwirtschaftlichen und die außenpolitischen Aktivitäten und darin eingebettet die Entwicklungshilfepolitik mit sehr viel Umsicht betrieben werden. Denn eine alte Ölära
ist zu Ende gegangen, und das, was sich hinter dem Begriff der Downstream-Participation verbirgt, wird in die Praxis umgesetzt werden müssen, wenn überhaupt eine Chance bestehen soll. Zum anderen aber sei mit Blick auf die Staaten, die zur Zeit diesen Boykott durchführen, durchaus gesagt, daß man auch die Bäume nicht wird in den Himmel wachsen lassen, weil sonst die Suche nach Alternativen so intensiv wird, daß es auch später nicht ein Zurück geben wird, was ganz gewiß auch zum Nachteil der OPEC-Staaten wäre.
Ein Drittes! Wir sind auch aufgerufen, stärker als bislang die Tendenz ins Auge zu fassen, Energie durch andere Materialverwendung zu gewinnen und Sparsamkeit da walten zu lassen, wo sie möglich ist, ohne daß wir gleich auf den Lebenstandard eines „Robinson Crusoe" zurückfallen.
Mir scheint alles in allem: ohne Sparen, ohne mehr politische Solidarität und ohne wesentlich mehr Technologie wird das Problem weder kurz-
noch langfristig lösbar sein.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte schon jetzt alle Verteidigungspolitiker herzlich um Entschuldigung.
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- Ich verspreche, es kurz zu machen. Aber ich sah mich veranlaßt, mich noch einmal zu Wort zu melden, um auf einige Äußerungen von Herrn Bundesminister Ehmke zu entgegnen. Er hat sich hier bemüht, die heile Welt der Energieforschung zu schildern. Ich glaube, das ist ihm aber nicht ganz gelungen. Er hat eine Menge Zahlen gebracht, und er hat in der ihm eigenen - wie ich gewiß zugeben will forschen Art die Realität durch stramme Haltung überdeckt.
({1})
Nun, Herr Minister, wir haben nicht den Vorwurf gemacht, daß auf diesem Gebiet nichts getan worden sei. Wenn Sie das genau durchlesen, werden Sie feststellen, daß wir den Vorwurf gemacht haben, daß die Probleme nicht zur richtigen Zeit erkannt worden sind.
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Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, besteht natürlich immer eine sehr große Neigung, denselben zuzudecken. Ich möchte doch darauf verweisen, daß dann wahrscheinlich der Kollege Dr. Ahrens nicht völlig falsch lag, der nämlich hier in seinem Beitrag noch einmal die Notwendigkeit der Verstärkung der Mittel bei der Energieforschung betont hat.
Nun zu Ihren Äußerungen: Sie haben gestern laut der Pressemitteilung 105/73 behauptet, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Professor Carstens, habe davon gesprochen, daß die Ausgaben für das vierte Atomprogramm um zwei Drittel gekürzt worden seien. - Natürlich hat Herr Professor
Carstens gesagt: um ein Drittel, das heißt: a u f zwei Drittel. Wenn Sie rechnen wollen, so stehen Ihnen ja auch in Ihrem Hause die modernen Technologien dafür zur Verfügung.
Vielleicht erinnern Sie sich auch an das Interview Ihres Staatssekretärs Haunschild mit der „Atomwirtschaft". Bitte schlagen Sie in der Ausgabe September/Oktober 1972 der „Atomwirtschaft" nach. Dort ist Herrn Haunschild gefragt worden - gestatten Sie, Herr Präsident, dieses Zitat -:
Das dritte Atomprogramm sah rund 5 Milliarden DM für fünf Jahre Laufzeit vor. Wieviel Geld ist denn überhaupt für das vierte Atomprogramm vorgeschlagen?
Daraufhin wurden 9 Milliarden DM für den von Ihnen genannten Zeitraum in die Debatte geworfen. Das führte dann zu der Schlagzeile: 9 Milliarden DM für das vierte Atomprogramm.
({3})
Nun, im September/Oktober 1972 machte es sich natürlich sehr gut, hier einen sehr weiten Erwartungshorizont aufzuzeichnen, denn es kamen damals ja einige wichtige politische Entscheidungen auf uns zu. Besonders die Mitarbeiter in den Forschungszentren haben das sicher mit großem Interesse gelesen.
Weil ich nun gerade bei den Forschungszentren bin, habe ich noch ein weiteres Zitat, und zwar aus einem Beitrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 28. November. Ich weiß nicht, ob dies jetzt der Umgangston sein soll, mit dem Sie - und das gehört ja auch zum vierten Atomprogramm - beispielsweise die Seite der institutionellen Förderung - nämlich Behandlung der Forschungszentren usw. - abdecken wollen. Nach diesem Bericht hat Herr Staatssekretär Hauff einige Äußerungen gemacht, was den Journalisten - ich darf zitieren, Herr Präsident - zu folgender Erklärung veranlaßte:
Vor einer Versammlung von Wissenschaftlern des Kernforschungszentrums Karlsruhe tadelte Staatssekretär Hauff jedoch am Freitag letzter Woche die Beschwerdeführer,
- man hatte sich über verschiedene Dinge beschwert, u. a. auch über schlechte finanzielle Ausstattung wobei er ihre Namen vor der Versammlung öffentlich nannte.
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Hauff stellte die Beschwerde als gegenstandslos hin und kündigte an, er werde jedes derartige Schreiben künftig ungelesen dem Papierkorb anvertrauen.
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Der jetzige Bundeskanzler hat einst viel vorn kritischen Engagement des mündigen Bürgers gesprochen. Im Bereich des Forschungsministeriums scheint dies jedoch unerwünscht zu sein
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Besonders schlimm erscheint dabei, daß Hauff am 11. Februar 1973 auf der Jahresversammlung des Verbandes der Wissenschaftler an Forschungsinstituten die dort Anwesenden nachdrücklich aufgefordert hat, sich mit derartigen Beschwerden, auch wenn sie kein perfektes Beweismaterial vorlegen könnten, an ihn oder den Minister in ihrer Eigenschaft als Bundestagsabgeordnete zu wenden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff? - Bitte!
Herr Kollege Lenzer, ist Ihnen bekannt, daß Herr Rudzinski, der diesen Artikel geschrieben hat, keinerlei Versuch unternommen hat, sich bei den dort Versammelten zu informieren? Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß der Versammlungsleiter mittlerweile in einer Richtigstellung an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" darauf hingewiesen hat, daß in diesem internen Gespräch in Karlsruhe von keiner Seite bestritten oder bezweifelt wurde, daß es das Recht jedes Bürgers ist, sich über Mißstände zu beklagen und sie offenzulegen, daß allerdings auch meine Aussage die volle Zustimmung gefunden hat, es gehöre zu dieser Kritik, daß man nicht über bestimmte Personen Gerüchte ausstreut, sondern wahrheitsgemäß Aussagen macht, Beweise vorlegt und zu Anschuldigungen, die man im Hintergrund erhebt, auch persönlich steht? Darauf hat sich meine Äußerung bezogen; das ist mittlerweile auch richtiggestellt. Ich frage Sie also: Ist Ihnen bekannt, daß der Versammlungsleiter - der nicht zum Bundesministerium für Forschung und Technologie gehört dies mittlerweile richtiggestelt hat, was Herr Rudzinski durch entsprechende sorgfältige Recherchen festzustellen versäumt hat?
Vielen Dank, Herr Kollege Hauff, für die Aufklärung. Dann sehe ich mit freudiger Erregung Ihrem Dementi demnächst in dieser Zeitung entgegen. Ich finde, man sollte das nicht nur dem Institut in Karlsruhe überlassen, sondern es wäre dann eine Angelegenheit Ihres Pressesprechers oder von Ihnen selbst, das zu tun.
Eine weitere Frage.
Herr Kollege Lenzer, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, daß in einer Richtigstellung nach dem Presserecht von dem Versammlungsleiter darauf bestanden wurde, daß dies in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" abgedruckt wird.
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Vielen Dank; ich werde es zu den Akten nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will die ganze Palette der Kritik, die man im Bereich der Energieforschung gegenüber dem Bundesminister für
Forschung und Technologie erheben könnte, nicht wiederholen. Sie ist hinreichend bekannt, und sie wird von verschiedenen Seiten auch immer wieder verstärkt vorgebracht. Es ist von Meeresforschung, von Kohleforschung gesprochen worden. Wir brauchen jetzt, Herr Minister, ein zukunftsweisendes Programm. Es ist nicht damit getan, daß man eine Fülle von Einzelmaßnahmen ablaufen läßt, daß man zu einem Gutachten noch ein anderes hinzufügt. Das ist gewiß alles schön und gut und wichtig. Wir brauchen im Augenblick ein anspruchsvolles Programm, mit dem wir zukunftsweisende Akzente auf dem Gebiet der Energieforschung setzen können.
Ich darf also feststellen, ohne im einzelnen die Kritik des Kollegen Strauß zu wiederholen, die er heute morgen detaillierter vorgetragen hat, daß die Vorwürfe unserer Fraktion zu Recht bestehen. Ich darf weiterhin feststellen, daß uns Deklamationen in dem augenblicklichen Punkt, da dieses Thema natürlich auch in der Öffentlichkeit aktuell und deswegen auch publicityträchtig ist, nicht weiterhelfen. Ich darf schließlich feststellen, daß wir bis heute immer noch auf dieses zukunftsweisende Programm Ihres Hauses warten.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik. Es liegt noch ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Es wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag dem Ausschuß für Wirtschaft - federführend - sowie zur Mitberatung dem Ausschuß für Forschung und Technologie, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur neuen Bundeswehrstruktur
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundesregierung habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Die Bundesregierung hat am 18. Januar 1973 eine neue Wehrstruktur angekündigt. Sie hat als wichtigste Kriterien für diese neue Struktur festgelegt, Präsenz und Kampfkraft zu erhalten und die Erfüllung der militärischen Aufgaben im Bündnis zu gewährleisten.
Die Entwicklung der Kosten für den Betrieb von Streitkräften führt dazu, daß sich der Investitionsanteil am Verteidigungshaushalt zunehmend verringert und dadurch die notwendige Modernisierung des Materials in Zukunft nicht mehr gewährleistet werden könnte. Diese Entwicklung würde es den Streitkräften immer schwerer machen, ihre sich aus der NATO-Strategie ergebenden Aufgaben in der
Zukunft zu erfüllen. Sie würden daher, wenn nichts geändert würde, in Zukunft ihrer sicherheitspolitischen Aufgabe nicht mehr genügen können. Um die Struktur der Bundeswehr an die NATO-Strategie anzupassen, ihre heutigen Schwächen zu beseitigen und künftigen Entwicklungstendenzen Rechnung zu tragen, waren daher Grundsatzentscheidungen für eine neue Wehrstruktur zu treffen und Maßnahmen zu ihrer Realisierung einzuleiten.
Die neue Grundstruktur der Bundeswehr orientiert sich stärker als heute an der Struktur des Bündnisses. Die neue Wehrstruktur, deren Grundsätze hiermit in dieser Regierungserklärung umrissen werden, entspricht nach Auffassung der Bundesregierung der internationalen Lage sowie - soweit das möglich ist - der vorhersehbaren sicherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklung.
Die Bundesregierung hat im „Weißbuch 1973/1974 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr" eine umfassende sicherheitspolitische Analyse vorgenommen. Es wurde zusammen mit den Grundzügen der neuen Wehrstruktur von der Bundesregierung verabschiedet und wird in Kürze dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden. Die wesentlichen Punkte dieser Analyse und der daraus gezogenen Schlußfolgerungen sind diese.
Erstens. Auf unserem Kontinent stehen sich die beiden größten Bündnissysteme der Erde, die Nordatlantische Allianz und der Warschauer Pakt, mit einer hohen Konzentration von Streitkräften und Rüstungen auf engem Raum unmittelbar gegenüber. Die Rüstungsanstrengungen des Warschauer Paktes sind unvermindert; das militärische Gesamtpotential hat nach Quantität und Qualität deutlich zugenommen. Die Bewahrung des Gleichgewichts der Kräfte bleibt auch in Zukunft die Grundvoraussetzung für die auf Frieden und Ausgleich gerichtete Politik der Bundesregierung.
Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland muß auch künftig ihren angemessenen Beitrag zur Bewahrung des Gleichgewichts der Kräfte leisten. Diesen Beitrag leistet die Bundesrepublik in erster Linie mit der Bundeswehr. Deren Einsatzbereitschaft und Verteidigungskraft sind Ausdruck unserer Entschlossenheit, einen glaubwürdigen Beitrag zur Bewahrung des Friedens zu leisten. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, daß dieser Beitrag nur dann seine volle Wirksamkeit entfalten kann, wenn er in engster Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Mitgliedern des Atlantischen Bündnisses und in vertrauensvoller Zusammenarbeit und Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika erbracht wird.
Die westeuropäischen Länder sind trotz ihrer Bevölkerungsdichte und ihrer unbestrittenen Wirtschaftskraft weder einzeln noch integriert imstande, ein ausreichendes Gegengewicht zum militärischen Potential der Sowjetunion und des Warschauer Pakts zu schaffen. Die politisch-militärische Balance in Europa ist auf die Vereinigten Staaten von Amerika angewiesen. Darum und wegen der politischen und wirtschaftlichen Verknüpfung Europas mit anderen Teilen der Welt muß die europäische Szenerie in weltweitem Zusammenhang gesehen werden. Es ist dabei nicht zu übersehen, daß Friede und Sicherheit in Europa auch von weltpolitischen Wandlungen abhängen, nicht zuletzt auch von der Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Weltmächten, zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion.
Drittens. Das Atlantische Bündnis bleibt Grundlage unserer Sicherheit. Dieses Bündnis garantiert, daß alle Möglichkeiten zur Entspannungspolitik genutzt werden können, ohne die Sicherheit zu gefährden. Das Atlantische Bündnis bleibt Grundlage und Rahmen für die Politik der Bundesregierung, die sich an den Grundsätzen Entspannung und Verteidigung orientiert.
Die im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien halten in Übereinstimmung mit der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 eine neue Wehrstruktur für notwendig. Zu diesem Ergebnis war auch die von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Wehrstruktur-Kommission in ihrem Bericht vom 17. November 1972 gelangt. Die Bundesregierung dankt von dieser Stelle aus ausdrücklich noch einmal den Mitgliedern dieser Kommission, die unter Vorsitz des früheren Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Karl Mommer, entscheidende Vorarbeit für diese Vorlage, die ich dem Hohen Hause heute darzubringen habe, geleistet haben.
Die Bundesregierung hat am 28. November die Grundzüge der neuen Wehrstruktur in Verbindung mit dem Weißbuch 1973/1974, das den Titel „Zur Sicherung der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr" trägt, beraten und verabschiedet. Diese Grundzüge der neuen Struktur werden dem Hohen Haus mit dem Ziel vorgetragen, eine breite parlamentarische Grundlage für die Veränderungen zu finden, die im Interesse unserer Sicherheitspolitik und angesichts der gesamtpolitischen Entwicklung in unserem Land erforderlich sind. Mit dieser Erklärung bietet die Bundesregierung zugleich einen Rahmen für die politische Aussprache über diesen wichtigen Bereich unserer Politik an.
Der neuen Wehrstruktur liegen folgende Grundsätze zugrunde:
Erstens. Unsere Bundeswehr muß präsent sein, das heißt, sie muß so abwehrbereit sein, daß sie einen glaubwürdigen Beitrag zur Abschreckung leistet und gegebenenfalls im Rahmen der Krisenbewältigung ihre Aufgabe als Instrument der politischen Führung angemessen erfüllen kann. Darüber hinaus soll sie das Sicherheitsrisiko einer taktischen Überraschung mindern. Der Präsenzbegriff der NATO und der Bereitschaftsgrad der Feld- und Einsatzverbände der Bundeswehr orientieren sich an der Forderung, daß die Vorbereitungszeit zur Abwehr von militärischen Angriffen der voraussichtlichen Warnzeit entsprechen muß, innerhalb der solche Angriffe erkannt werden können. Bei allen drei Teilen der Bundeswehr werden daher Verbände bereitgehalten, die jederzeit ohne materielle und personelle Ergänzung eingesetzt werden können.
Die anderen können ihre Einsatzbereitschaft nach wenigen Tagen erreichen. Eine Neugliederung der Brigaden des Heeres mit einer Vermehrung der Bataillone und Kompanien gewährleistet, daß bei einem Überraschungsangriff alle benötigten Waffensysteme sofort einsatzbereit sind.
Zweitens. Die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte gemäß Artikel 87 a des Grundgesetzes wird - wie bisher - auf 495 000 Mann festgesetzt. Dies ist der Friedensumfang der Bundeswehr. In Zukunft wird jedoch ein Teil dieses Friedensumfanges durch Soldaten der Verfügungsbereitschaft dargestellt. Die Zahl der ständig im Dienst befindlichen Soldaten kann dadurch herabgesetzt werden. Der Verteidigungsumfang der Streitkräfte bleibt mit rund 1,2 Millionen Mann unverändert erhalten. Er wird auch künftig erst durch die Mobilisierung von Reservisten erreicht.
Der Friedensumfang der Streitkräfte in Höhe von 495 000 Soldaten ist notwendig, um die Zahl der erforderlichen Verbände erhalten zu können und die Ausbildung vor allem der Wehrpflichtigen zu betreiben. Ein Teil dieser Dienstposten braucht im Frieden jedoch nicht ständig besetzt zu sein. Es genügt, daß sofort heranziehbare Soldaten, die für die Verwendung auf diesen Dienstposten voll ausgebildet wurden, verfügungsbereit sind, diese Aufgaben zu übernehmen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, die zu der Vermutung verleiten könnten, der Umfang der Bundeswehr würde verringert, möchte ich diese Absicht an Hand einiger Beispiele mit einigen Sätzen erläutern.
Im Rahmen des Friedensumfanges von 495 000 Soldaten müssen 465 000 Dienstposten ständig besetzt und 465 000 Funktionen ständig wahrgenommen werden, um die Funktionsfähigkeit im Frieden zu gewährleisten. Nach gründlicher Prüfung ist es nicht notwendig, 30 000 Funktionen, für die Dienstposten eingerichtet sind, im Frieden ständig zu besetzen. Ich nenne dafür einige Beispiele: zusätzliches Sanitätspersonal, zusätzliches Instandsetzungspersonal, Funker und Kabelleger, bestimmte Funktionen in Pioniereinheiten, Beifahrer und eine ganze Reihe anderer Tätigkeiten, die im Ernstfall zwingend wahrgenommen werden müßten, die im Frieden aber nicht wahrgenommen zu werden brauchen.
Es genügt, daß sichergestellt ist, daß in solchen Funktionen ausgebildete Soldaten, die ihren Wehrdienst geleistet haben, jederzeit verfügungsbereit sind und innerhalb der im Bündnis gültigen Vorwarnzeit vor der Erklärung des Verteidigungsfalles durch das Parlament in den Streitkräften auch tatsächlich zur Verfügung stehen.
Es ist selbstverständlich, daß ein junger Zimmermann
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auch ein Maurer -, der seinen Grundwehrdienst
in einer Pioniereinheit geleistet hat und der in einem Spannungsfall in seine Einheit, die er kennt, in der er Dienst geleistet hat, innerhalb von zwölf Monaten nach seinem Ausscheiden zurückgerufen
wird, dort voll seinen Mann steht. Wenn er im Frieden immer auf diesem Posten wäre, würde seine Leistung der Volkswirtschaft entzogen. Er wäre für die Friedensfunktion eigentlich nicht nötig und würde im Frieden Geld kosten, das die Bundesregierung lieber zusätzlich in eine moderne Ausrüstung der Bundeswehr stecken möchte.
Drittens. Diese neue Form der Verfügungsbereitschaft ermöglicht also die unverzügliche Herstellung der vollen Präsenz der Streitkräfte, so wie sie im Bündnis üblich ist, im Frieden. Über die Heranziehung der Verfügungsbereitschaft entscheidet - wie bisher - der Bundesminister der Verteidigung. Das Verfahren der Heranziehung wird vereinfacht. Verfügungsbereite Reservisten werden zu Übungen herangezogen. Mit Hilfe der Verfügungsbereitschaft wird die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte verbessert, weil die Feldtruppenteile besser als bisher im Sinne der NATO-Kriterien voll präsent gehalten werden können. Umfang und Dauer der neuen Verfügungsbereitschaft müssen sicherstellen, daß für gekaderte Truppenteile zur Auffüllung auf volle Friedensstärke Soldaten zur Verfügung stehen, die für ihre Verwendung ausreichend qualifiziert sind. Um die Besetzung von Unterführerposten sicherstellen zu können, müssen auch ehemalige Zeitsoldaten der Verfügungsbereitschaft unterworfen werden.
Die Dauer der Verfügungsbereitschaft muß gegenüber der bisherigen Dauer von drei Monaten nach Ableistung des Wehrdienstes auf ein Jahr verlängert, werden. Dies ist nötig, um eine ausreichende Auswahl an qualifizierten, für bestimmte Funktionen in Kadereinheiten ausgebildeten Soldaten zu haben und um kosteneffektiv planen zu können. Der Verfügungsbereitschaftspflicht müssen alle aus dem Grundwehrdienst entlassenen Wehrpflichtigen sowie die Zeitsoldaten im Anschluß an ihre Dienstzeit unterliegen.
Viertens. Das Prinzip der Kaderung in allen drei Teilstreitkräften - vornehmlich beim Heer - ermöglicht es, die Zahl der im Dienst befindlichen Soldaten zu variieren, ohne die Zahl der Verbände zu verringern. Die Kaderung erfolgt bis hinauf zur Bataillonsebene. Die sofortige Einsatzfähigkeit der Kampf- und Kampfunterstützungsverbände wird nicht beeinträchtigt. Unter diesem Gesichtspunkt verbietet es sich, Truppenteile zu kadern, die aus technischen Gründen nicht innerhalb weniger Tage verfügbar gemacht werden können.
Sofort bzw. innerhalb weniger Tage einsatzbereite Verbände erfüllen den Präsenzbegriff der NATO. Das zahlenmäßige Verhältnis der Verbände mit unterschiedlichen Verfügbarkeitsstufen ergibt sich aus der sicherheitspolitischen Lage. Die Kaderung von Truppenteilen gestattet die Verringerung der Zahl der ständig im Dienst befindlichen Soldaten, ohne die Zahl der nach neuen NATO-Kriterien einsatzbereiten Einheiten zu vermindern. Die verschiedenen Präsenzanforderungen, die Einsatzaufträge, die materielle Ausstattung und der unterschiedliche Anteil von Wehrpflichtigen bestimmen die Kaderungsebene in den einzelnen Teilstreitkräften.
Einheiten und Verbände, die mit verfügungsbereiten Soldaten aufgefüllt werden, müssen mit diesen Soldaten üben, damit das Zusammenwirken funktioniert. Nur die gleichartige Verwendung eines Wehrpflichtigen während des Grundwehrdienstes, in der Verfügungsbereitschaft und in der Mobilmachungs-Ergänzung nutzt den investierten Ausbildungsaufwand voll aus.
Fünftens. Die Wehrpflicht bleibt Grundlage unserer Verteidigungsanstrengungen. Der Grundwehrdienst beträgt weiterhin 15 Monate. Die Einberufungsquote der Wehrpflichtigen richtet sich ausschließlich am Bedarf der Streitkräfte aus. Die Auswahl der Wehrpflichtigen erfolgt nach Tauglichkeit, Bildungsvoraussetzungen und Berufserfahrung. Die Personalstruktur der Streitkräfte bleibt jedoch freiwilligenintensiv. Die Wehrstruktur-Kommission hat in ihrem sehr umfangreichen Bericht aufgezeigt, daß Freiwilligen-Streitkräfte zwar viele Vorteile haben. Sie hat aber gleichzeitig nachgewiesen, daß bei einem Verzicht auf die allgemeine Wehrpflicht der erforderliche personelle Umfang unserer Streitkräfte durch Freiwillige entweder nicht gedeckt oder nicht finanziert werden kann.
Dieser Auffassung hat sich die Bundesregierung voll angeschlossen. Aus militärischen und finanziellen Gründen kann daher unter den gegebenen Bedingungen eine Kürzung der Grundwehrdienstdauer unter 15 Monaten nicht verantwortet werden. Die Dauer des Grundwehrdienstes ist aus dem Sicherheitsinteresse des Staates und den Aufträgen der Streitkräfte abzuleiten.
Die Bundeswehr braucht, um ihren Auftrag erfüllen, abschrecken und bei Überraschungsangriffen schnell handeln zu können, eine Streitkräftestruktur mit großem Präsenzanteil und hohem Kampfwert. Dieser wird durch gute Ausbildung und die Dauer der Verwendung der Wehrpflichtigen in den Einsatzverbänden maßgeblich bestimmt.
Ein zu kurzer Grundwehrdienst läuft diesen Forderungen entgegen. So hat z. B. eine Untersuchung im Heer ergeben, daß bei der heutigen Struktur, den gegenwärtigen Präsenzmaßstäben und einem Grundwehrdienst von 15 Monaten 50 % der Dienstposten des Heeres mit Wehrpflichtigen besetzt werden können.
Bei einer Verkürzung des Grundwehrdienstes auf 12 Monate müßte der Anteil an Zeit- und Berufssoldaten auf 75 % steigen, und bei einem Grundwehrdienst von 9 Monaten betrüge er sogar 90 %. Je kürzer der Grundwehrdienst, um so personal- und kostenintensiver ist der Ausbildungsaufwand und um so geringer ist die Verwendbarkeit der Wehrpflichtigen in einer modern ausgerüsteten Truppe. Ein kürzerer Grundwehrdienst muß daher eine Erhöhung der Personalkosten bewirken. Das ist mit der Zielsetzung der neuen Struktur nicht vereinbar.
Die Kürzung der Grundwehrdienstdauer ohne Erhöhung der Personalkosten muß zu einer Minderung des Wertes der Streitkräfte führen. Bei gleichbleibendem Gesamtumfang der Streitkräfte würde eine Kürzung des Grundwehrdienstes die präsenten Einheiten verringern, die Stellung der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis schwächen und unser Sicherheitsrisiko erheblich vergrößern.
Die Heranziehung aller Wehrdienstfähigen zur Bundeswehr ist daher bei steigenden Geburtsjahrgängen und bei der Kaderung von Verbänden nicht möglich. Die bedarfsorientierte Heranziehung von geeigneten Wehrpflichtigen schafft die Voraussetzungen für die Streitkräfte, die zur Erfüllung ihrer politischen Aufgabe und ihrer militärischen Aufträge geeignet sind und die bereitgestellten Mittel so kostenwirksam wie möglich zu verwenden.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die stärker werdenden Geburtsjahrgänge in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts der Erfüllung der Forderung nach Wehrgerechtigkeit eine neue Bedeutung geben. Die Bundesregierung hat daher beschlossen, die notwendigen Vorarbeiten zur Wahrung der Wehrgerechtigkeit auch bei stark ansteigenden Geburtsjahrgängen neu in Angriff zu nehmen.
Sechstens. Der Verteidigungshaushalt muß auch in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und in den 80er Jahren die Aufrechterhaltung einer modernen Ausrüstung der Streitkräfte sicherstellen. Die materielle Ausstattung der Bundeswehr muß nach den Verteidigungsaufträgen und dem personellen Verteidigungsumfang bemessen sein. Von dorther bestimmt sich ihre qualitative und ihre quantitative Ausstattung.
Bliebe die Steigerungsrate des Verteidigungsetats hinter der Preisentwicklung für Investitionsgüter zurück, dann müßte der Investitionsanteil am Verteidigungshaushalt erhöht werden, damit die materielle Ausstattung vollwertig erhalten bleiben könnte. Das müßte im Zweifel zu Lasten der Betriebskosten gehen. Da die materiellen Betriebskosten vom vorhandenen Material abhängen, müßten Personalkosten eingespart werden. Das würde eine Minderung des Umfangs oder des Präsenzgrades bedeuten.
Siebtens. Gemeinsam durchzuführende Aufgaben der Bundeswehr werden künftig zentral wahrgenommen. Die Führung wird gestrafft. Organisatorische Komponenten, die in Anpassung der Konzeption an die NATO-Strategie entbehrlich sind, werden aufgelöst. Die den Streitkräften gemeinsamen Aufgaben werden überall dort zentralisiert, wo entweder eine Steigerung der Effizienz bei gleichen Kosten oder eine Kostensenkung bei gleicher Effizienz ermöglicht wird.
Die Zusammenfassung von Feldheer und Territorialheer dient dem Ziel, die Führung zu straffen und höhere Kommandobehörden einzusparen. Aus diesem Grunde werden Feldheer und Territorialheer in drei Generalkommandos und dem Kommando Hamburg/Schleswig-Holstein, das zugleich auch den Stab der 6. Division enthält, organisatorisch zusammengefaßt. Die Aufgaben der bisherigen Wehrbereichskommandos werden von diesen Kommandobehörden wahrgenommen. Die beiden Territorialkommandos Nord und Süd bleiben bestehen.
Die neue Gliederung, bei der sechs Wehrbereichskommandobehörden eingespart werden, ist für eine
weitere Integrierung auf der oberen Kommandoebene offen. Im Verteidigungsfall treten die Korpskommandos und das Kommando der 6. Division aus den Friedenskommandobehörden heraus und werden der NATO unmittelbar unterstellt. Einheiten und Verbände, die nach den militärstrategischen Bedingungen nicht mehr erforderlich sind, sind entbehrlich und werden gestrichen.
Die Lufttransportkapazität wird reduziert. Die Reserveflottille und die amphibische Umschlagkomponente der Marine werden aufgelöst. Auch die Grundstruktur des Heeres wird auf die technischen Erfordernisse der achtziger Jahre ausgerichtet. Die vorgesehene Umstrukturierung des Heeres, die sich nicht allein auf die Brigaden beschränkt, dient der konsequenten Ausrichtung auf die Technologie der achtziger Jahre. Voraussehbare Fortschritte bei der Führungstechnik, der Feuerkraft und der Beweglichkeit der Landstreitkräfte werden bei der Heeresorganisation berücksichtigt. Die Möglichkeiten der Technik sollen zur Steigerung der konventionellen Kampfkraft genutzt werden. Die Konsequenz daraus ist eine Umgliederung der Heeresbrigaden.
Eine geringe Verkleinerung der Verbände macht Führung und Einsatz flexibler, die Vermehrung ihrer Zahl bringt die volle Erfüllung der von uns übernommenen NATO-Verpflichtungen. Aus 33 Brigaden, die etwas schlanker werden, werden 36 Brigaden, die bessere Führungs- und Kampfvoraussetzungen mit sich bringen.
Die Erhöhung des Grades der Mechanisierung bei allen Brigadetypen ermöglicht eine Reduzierung des Personalumfanges bei gleichzeitiger Steigerung der Effektivität pro Mann. Kleinere Verbände erlauben die Zusammenfassung administrativer Aufgaben auf höherer Ebene und bringen dadurch Rationalisierung. So wird beispielsweise der Kompaniechef in einer umstrukturierten Kompanie künftig von allen Verwaltungsaufgaben freigestellt, die beim Bataillon zusammengeführt werden und kann sich ausschließlich den Führungsaufgaben der Soldaten im Gefecht widmen.
Ich fasse zusammen: Die neue Bundeswehrstruktur ermöglicht es, sofort einsatzbereite Kampfverbände aller Teile der Bundeswehr in ausreichender Zahl zu unterhalten und eine hochwertige, der Technologie der achtziger Jahre entsprechende Ausrüstung zu erreichen, ohne die Volkswirtschaft im Vergleich zu heute zusätzlich zu belasten. Dies muß vor dem Hintergrund der Entwicklungen gesehen werden, die bei unveränderter Struktur für die Zukunft erwartet werden müssen. Streitkräftegemeinsame Aufgaben werden - wo immer möglich - zentralisiert, wo entweder eine Steigerung der Effizienz bei gleichen Kosten oder eine Kostensenkung bei gleicher Effizienz ermöglicht wird. Die Brigaden werden der technischen Entwicklung von Waffen und Gerät angepaßt. Die konventionelle Komponente bei den Kampftruppen wird verstärkt. Durch Kaderung bis zur Ebene der Bataillone wird im Frieden die Zahl der ständig im Dienst befindlichen Soldaten gesenkt. Ein bundeswehrgemeinsames raumdeckendes Netz des Sanitätsdienstes wird entwickelt.
Die neue Struktur der Bundeswehr wird bei vorgegebenen Entwicklungen des Verteidigungshaushalts eine moderne Ausrüstung der Streitkräfte ermöglichen. Die Bundeswehr kann damit auch in Zukunft ihren Auftrag im bisherigen Umfang voll erfüllen.
Dem Trend, Investitionsmittel zugunsten steigender Betriebsausgaben einzuschränken, wird durch die neue Struktur entgegengewirkt. Der Investitionsanteil im Heeresbereich wird beispielsweise gegenüber heute deutlich angehoben. Im Vergleich zum heutigen Stand wird die neue Bundeswehr eine relativ ausgewogene Kostenstruktur aufweisen und daher bessere Möglichkeiten bieten, kampfentscheidende Waffensysteme zu modernisieren.
Die Bündnispartner und die Kommandobehörden der Allianz werden konsultiert. Gegenstand der Konsultation ist der Nachweis, daß die Bundesrepublik Deutschland auch nach der Umstellung auf eine neue Wehrstruktur die von ihr übernommenen militärischen Verpflichtungen erfüllt. Dafür sind wir beweispflichtig, und wir sind mittels der neuen Struktur fähig, diesen Beweis überzeugend zu führen. Die Bundesregierung legt größten Wert auf eine gründliche Konsultation und wird ihrerseits weiterhin auch alles tun, um dies zu ermöglichen.
Die Bundesregierung wird die für die neue Struktur der Bundeswehr notwendigen Gesetzesvorlagen im Verlaufe des Jahres 1974 den gesetzgebenden Körperschaften zuleiten. Die Bundeswehr wird schrittweise auf die neue Wehrstruktur umgestellt. Die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte bleibt auch während des Umgliederungs- und Umstellungsvorganges voll erhalten. Die Umstellung auf die neue Struktur soll 1978 vollzogen sein.
({1})
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Damit ist die Erklärung der Bundesregierung abgegeben.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 45 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von der Bundesregierung angekündigte Änderung der Wehrstruktur ist der einschneidendste Eingriff in die Struktur unserer Bundeswehr und damit unseres Verteidigungssystems, den es seit Aufbau der Bundeswehr gegeben ,hat. Daß eine Reform der Wehrstruktur erforderlich ist, ist unstreitig. Ich selbst habe das von dieser Stelle aus mehrfach im Namen meiner Fraktion gesagt und gefordert.
Der Deutsche Bundestag und mit ihm die ganze deutsche Öffentlichkeit wird nun sehr sorgfältig zu untersuchen haben, ob die vorgeschlagene neue Wehrstruktur den Erfordernissen unserer Verteidigung genügt. Es ist selbstverständlich, daß die CDU/ CSU-Fraktion ihrer Rolle als Opposition entsprechend sich an diesen Beratungen eingehend beteiligen wird. An dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt
ist, was jeder verstehen wird, kein endgültiges Urteil, sondern nur eine erste vorläufige Bewertung möglich.
Ehe ich diese Bewertung für die CDU/CSU-Fraktion vornehme, möchte ich allerdings auch von dieser Stelle aus ausdrücklich anerkennen, daß der Herr Bundesverteidigungsminister den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion und auch den verteidigungspolitischen Sprecher vorab über seine Vorstellung informiert 'hat. Wir würdigen das um so mehr, als ein solches Verfahren bisher leider nicht selbstverständlich geworden ist, auch nicht im Bereich der Verteidigung.
({0})
Was Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, über die Atlantische Allianz, über die politisch-militärische Balance in Europa und über die vertrauensvolle Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten sagen, findet unsere volle Zustimmung. Es wäre allerdings wesentlich nützlicher für dieses Bündnis, wenn Sie von dieser Partnerschaft eben nicht nur reden würden, sondern wenn Sie sie praktizieren würden. Dazu gehört eben auch die Solidarität in besonders kritischen Momenten einer solchen Allianz.
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Im Sonnenschein normaler Verhältnisse ist es leicht, gut Freund zu sein. Eine Freundschaft auch unter Völkern aber bewährt sich in Krisenzeiten. Ich fürchte, diesen Maßstäben sind Sie nicht gerecht geworden.
Unsere Maßstäbe für eine Reform der Wehrstruktur habe ich namens der CDU/CSU-Fraktion und auch für die CDU als Partei mehrfach umrissen. Ich darf sie hier einleitend noch einmal wiederholen, indem ich aus einer Rede zitiere, die ich im letzten Jahr auf dem Parteitag der CDU gehalten habe:
In jüngster Zeit wird über die künftige Struktur der Bundeswehr geredet. Ich warne vor allen frühzeitigen und öffentlichen Spekulationen. Die ganzen Überlegungen müssen sorgfältig durchdacht, gut durchgerechnet und rechtzeitig in der NATO konsultiert werden. Eine Reform muß unseren Bündnisverpflichtungen Rechnung tragen und den Kampfwert unserer Streitkräfte erhalten.
Eine Umstrukturierung der Bundeswehr muß sich an der Bedrohung und an der Erhaltung einer glaubwürdigen Abschreckung orientieren. Ich warne vor der vielerorts sehr leichtfertig angestellten Überlegung, einfach einen Teil der Bundeswehr in Verbände der Reserve umzuwandeln. Der Grundsatz muß bleiben: Vorrang hat alles, was präsent ist. Denn nur was präsent ist, wirkt ,abschreckend.
An diesen Maßstäben, die ich damals für unsere Fraktion und unsere Partei aufgestellt habe, werden wir nun diese Vorschläge, die Sie vorgelegt haben, messen.
Die erste Frage, die wir uns stellen müssen: Wie steht es nach der Verwirklichung Ihrer Vorstellungen mit der Präsenz der Bundeswehr? Stimmt es,
wenn Sie hier behaupten, diese Präsenz bleibe unvermindert? Schon eine erste Prüfung ergibt: diese Behauptung trifft mit Sicherheit nicht zu. Mit der neuen Wehrstruktur wird die Präsenz der Bundeswehr vermindert und nicht erhalten. Nichts kann und darf uns darüber hinwegtäuschen: Die Bundeswehr wird - und Sie selbst nannten die Größenordnung, nämlich 30 000 Mann - in ihrer zahlenmäßigen Stärke verringert. Das ist geradezu Idas Kernstück der Vorschläge der Bundesregierung. Es wäre ehrlicher gewesen, so meinen wir, dies offen und klar auszusprechen.
Statt dessen bedient man sich eines Kunstgriffs, indem man den Präsenzbegriff einfach ändert und auf die Verfügungsbereitschaft ausweicht. Ich würde aber dringend raten, daß wir uns hier nichts vormachen. Der verfügungsbereite Soldat ist nicht der präsente Soldat. Die Verfügungsbereitschaft also kann kein voller Ersatz sein für Präsenz. Bei dem verfügungsbereiten Soldaten handelt es sich doch, wie wir alle wissen, um aus dem aktiven Dienst der Bundeswehr ausgeschiedene Wehrpflichtige, die zu Hause ihrer Berufstätigkeit nachgehen, die in Urlaub fahren können, die überall hingehen können, die keinerlei Beschränkungen unterliegen, es sei denn eben der Meldepflicht, die ihren Wohnsitz wechseln können. Das einzige, was sie von normalen Reservisten unterscheidet, ist eben, daß das Verfahren zu ihrer Wiedereinberufung nicht eines förmlichen Mobilmachungsbeschlusses bedarf.
Wir sollten uns also auf die Definition verständigen, daß der verfügungsbereite Soldat nichts anderes ist als eine Art besonderer Reservist. Jeder, der das nicht so sieht, jeder, der das nicht so sagt, täuscht sich und täuscht, wie ich glaube, auch andere.
Nun zur Verfügungsbereitschaft. Sie ist ja zusammen mit der Kaderung das Kernstück. Diese Verfügungsbereitschaft wirft viele Probleme auf. Wir hatten ja schon bisher eine solche Verfügungsbereitschaft, nämlich eine Verfügungsbereitschaft von drei Monaten zum Ausgleich der Verkürzung der Wehrdienstdauer von 18 auf 15 Monate. Die Bundesregierung hat sie nie erprobt. Keiner also kann sagen, ob sie in Friedenszeiten funktioniert. Noch weniger aber kann irgendeiner sagen, ob sie in Spannungszeiten funktioniert. Das aber ist doch die entscheidende Frage:
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Sind sie denn da, wenn sie gebraucht werden? Werden sie in Spannungszeiten denn eigentlich überhaupt kommen? Werden Sie kommen können? Das sind die Fragen, die man sehr viel gründlicher untersuchen muß.
Eines ist doch sicher: Die Verfügungsbereitschaft kann den Zweck, für den sie gedacht ist, nur erfüllen, wenn der verfügungsbereite Soldat bei seiner Einheit gelandet ist, noch ehe eine Mobilmachung erfolgt.
Was das heißt, das mag man am Beispiel einer Division wie etwa der in Schleswig-Holstein ermessen, bei der mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen aus dem Rheinland stammt. Das bedeutet doch nichts
anderes - das muß man aussprechen -, als daß schon beim ersten Anzeichen einer Spannung, schon beim ersten Anzeichen einer internationalen Krise eine Regierung oder ein Verteidigungsminister diese Verfügungsbereitschaft auslösen muß. Das aber, meine Damen und Herren, setzt eine außergewöhnlich entschlußkräftige, ich würde sogar sagen: mutige Regierung voraus, und Sie werden es uns sicher nicht übelnehmen, daß wir bei der notorischen Handlungs- und Entschlußschwäche dieser Regierung wenig Zutrauen haben, daß ausgerechnet sie den Mut zu solchen Schritten aufbringen wird.
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Denn die Einberufung von 60 000 bis 80 000 Wehrpflichtigen - so viele sind es, die in Verfügungsbereitschaft sind - kann ja in der Öffentlichkeit nicht unerkannt bleiben. Wer will ausschließen, daß das als Teilmobilmachung gewertet wird mit all den eskalierenden Risiken nach außen wie nach innen?!
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Dies gilt um so mehr, Herr Bundesverteidigungsminister, je weniger man diese Verfügungsbereitschaft in normalen Zeiten jährlich übt. Kann man sie aber jährlich üben? Das ist die Frage, die wir haben. Und welche Kosten würden dabei entstehen? Sind die Kosten dann nicht höher als die Einsparungen, die Sie mit dieser Maßnahme erzielen wollen? Haben Sie das durchgerechnet? Wir werden uns diese Kostenrechnungen sehr gründlich ansehen.
Hinter diese Verfügungsbereitschaft muß noch ein anderes Fragezeichen gesetzt werden - nicht minder wichtig. Der Nahost-Krieg hat doch nun, ohne jetzt schon einer Bewertung vorgreifen zu wollen, eines mit Sicherheit gezeigt: daß es außergewöhnlich schwierig ist, militärische Bewegungen politisch richtig zu werten, Aufmärsche richtig zu deuten, wenn sie, wie dort geschehen und wie auch bei uns zu erwarten stünde, als Manöver getarnt werden. Das zwingt uns doch zu einer Überprüfung unserer Vorwarnzeiten, da die Verfügungsbereitschaft nur dann funktionieren kann, wenn die Vorwarnzeiten größer und nicht geringer werden.
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Wenn selbst die Israelis hei ihrem bekannt guten Nachrichtensystem überrascht werden konnten, wieviel mehr gilt das in unserer Lage in Mitteleuropa für uns?!
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Wir müssen also mit kürzeren und nicht mit längeren Fristen rechnen. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, muß man sich fragen: Welchen Wert hat die Verfügungsbereitschaft wirklich? Das wird für die CDU/CSU-Fraktion in ihren Überlegungen und Prüfungen einer der wesentlichsten Punkte sein - und nicht nur für uns. Ich hoffe, daß die gesamte deutsche Öffentlichkeit erkennt, wo hier der Pferdefuß steckt.
Die zweite große Frage, die wir zu beantworten haben - Sie haben sie selbst gestellt - lautet: Entspricht diese neue Wehrstruktur der internationalen Lage oder der vorhersehbaren sicherheits- und
verteidigungspolitischen Entwicklung, wie das die Bundesregierung behauptet? Oder, um noch deutlicher zu fragen: Ist die internationale Sicherheitslage wirklich so, daß sie der Bundesrepublik Deutschland eine zahlenmäßige Verringerung ihrer Streitkräfte gerade zum jetzigen Zeitpunkt erlaubt?
({7})
Die Antwort darauf kann doch eigentlich nur lauten: Nein. Wenn es überhaupt einen Zeitpunkt gibt, zu dem eine solche Ankündigung der Bundesregierung nicht nur politisch unzweckmäßig, sondern in ihren Auswirkungen und zwar sowohl auf das Bündnis als auch auf die Sowjetunion und nicht zuletzt auf die Wiener Abrüstungsverhandlungen - gefährlich, ja, sogar verhängnisvoll ist, dann ist es dieser gegenwärtige Zeitpunkt.
({8})
Wie ist denn die internationale Sicherheitslage? Wie ist sie denn? Sie selbst sprechen es in Ihrer Regierungserklärung an und aus. Sie sagen, die Rüstungsanstrengungen des Warschauer Pakts sind unvermindert; das militärische Gesamtpotential hat nach Quantität und Qualität deutlich zugenommen. Man muß sich das wirklich noch einmal anhören: zugenommen. Wer aber nun bei zunehmender Stärke des Warschauer Pakts eigene Streitkräfte reduziert, verbessert nicht die Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Bürger, sondern verschlechtert sie.
({9})
Die Verteidigungsgruppe der CDU/CSU-Fraktion hat in der letzten Woche - angesichts dessen, was uns hier vorgestellt wurde, bin ich froh darüber - einen Besuch bei der NATO gemacht. Wir haben - und ich habe schon verschiedene Besuche hinter mir - die militärisch wie politisch Verantwortlichen der NATO noch nie so besorgt gesehen wie gegenwärtig. Zwar sind sie in erster Linie über die zunehmende Entwicklung - für uns ungünstige Entwicklung - der militärischen Kräfteverhältnisse in Europa besorgt, noch mehr aber bewegt sie die Sorge
- das haben sie uns gegenüber wörtlich so ausgedrückt , daß diese Tatsache von den Regierungen
des Westens, von den Regierungen in den Staaten der NATO nicht ernst genug genommen wird. Der Warschauer Pakt wird stärker, die NATO wird schwächer. Wohin soll das führen, wenn sich nun auch die Bundesrepublik Deutschland unter die Staaten der NATO einreiht, die ihre eigenen Anstrengungen vermindern, ohne daß der Warschauer Pakt auch nur einen einzigen Soldaten abgezogen hätte?!
({10})
Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland - ich darf das hier doch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen - ruht doch nicht auf Hoffnungen, auf frommen Wünschen, sondern sie ruht auf der Wirksamkeit unserer Verteidigungsanstrengungen.
({11})
Und es ist ja eine Frage, die man stellen kann und
die man als Opposition auch stellen muß: Soll es uns
dann mit unserer Sicherheit so gehen wie mit
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Wörner
unserem Öl, daß wir im Westen erst dann erwachen, wenn es zu spät ist?!
({12})
- Wissen Sie, ich habe Zwischenrufe ganz gern, aber dann müssen sie ein bißchen besser sein als der Ihre.
({13})
Wie eigentlich stellt man sich den Verlauf und den Erfolg der Wiener Verhandlungen über eine beiderseitige Verminderung der Streitkräfte vor, wenn die Bundesregierung ausgerechnet zu Beginn solcher Verhandlungen ankündigt, daß wir so oder so vermindern werden? Glaubt man denn im Ernst, daß die sowjetischen Führer dann noch zu Gegenleistungen bereit sein könnten? Sie wären ja von allen guten Geistern verlassen.
({14})
- Ich höre hier gerade: Die sowieso nicht! Dann allerdings frage ich, warum Sie die Wiener Verhandlungen so dramatich hochstilisieren, wenn Sie davon überzeugt sind, daß die Sowjetunion dazu nicht bereit ist.
({15})
Noch eines: Wie will denn die Bundesregierung dem Verdacht in den Vereinigten Staaten vorbeugen, daß Sie mit dieser Ankündigung die gemeinsame Verhandlungsposition der NATO überrollen wollen? Sie wissen ja, daß in der ersten Phase entgegen Ihrer ursprünglichen Auffassung über die Reduktion von Stationierungs-, aber nicht von einheimischen Streitkräften verhandelt werden soll. Und nun kündigen Sie die Reduzierung, über die Sie in der zweiten Phase erst verhandeln wollen, heute zu Beginn der ersten Phase bereits an. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das den Erfolg solcher Verhandlungen, den Erfolg von ernsthaften Abrüstungsverhandlungen fördert. Es wird sie mit aller Sicherheit schädigen.
({16})
Auch die folgende Frage muß man stellen: Ist es nicht grotesk, daß wir, die wir die Amerikaner förmlich anflehen, unvermindert präsent zu bleiben, damit unsere Sicherheit in Europa gewährleistet bleibt. im selben Augenblick um 30 000 Mann reduzieren?
({17})
Welches Material liefern Sie damit jenen in den Vereinigten Staaten von Amerika, die in der jetzigen Situation genau solche Argumente suchen und brauchen?
({18})
Schließlich sei es gestattet, auch diese Frage einmal zu stellen: Wie muß das in den anderen NATO-Staaten wirken? Wir wissen ja, wie Sie auf die Vorhaben der Dänen, der Belgier, der Holländer reagiert haben. Wir wissen, was die NATO dort an Bedenken vorgetragen hat. Nun kommen wir selbst und machen nicht sehr viel anderes als die Holländer
vorhaben und die Belgier und die Dänen gemacht haben. Wie glaubwürdig sind wir denn? Können Sie uns garantieren, daß sich andere durch einen solchen Schritt nicht ermutigt fühlen? Können Sie uns garantieren, daß das nicht den von uns allen unerwünschten Schneeballeffekt haben muß?
Und dann noch eines: Jeder Soldat weniger unterhöhlt ein Stück Glaubwürdigkeit der Strategie ,der NATO, der „flexible response'' . Je geringer die zahlenmäßige Stärke der NATO-Verbände, desto früher gäbe es in einem Verteidigungsfall den Zwang zum nuklearen Ersteinsatz. Wer aber kann das wollen, meine Damen und Herren? Bringen wir hier nicht die Vereinigten Staaten von Amerika in eine noch schwierigere Situation, und schwächen wir damit nicht noch mehr die Glaubwürdigkeit unserer Abschreckung?
Eine letzte Frage, was die internationale Sicherheitslage anlangt. Wenn überhaupt irgendwo, dann wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ganz besonders deutlich, wenn wir an Europa denken. Wer von uns spürt nicht, daß sich Europa einer Phase seiner Geschichte nähert oder in einer Phase seiner Geschichte steckt, in der sich möglicherweise seine Zukunft entscheidet, ja, entscheiden muß? Wenn Europa seine Selbstbestimmung behalten oder aufs Neue erwerben soll, wenn sich Europa eine Chance zur Mitbestimmung in der Weltpolitik erhalten will, muß es sich stärker an der Verantwortung und damit auch an den Lasten seiner Verteidigung beteiligen.
({19})
Das ist eben nicht nur eine Forderung der Vereinigten Staaten von Amerika, das ist die zwingende Logik der Weltgeschichte, der wir alle nicht ausweichen können. Wir sagen es ja auch alle - Sie sagen es, wir sagen es -, daß Europa sich stärker an den Lasten seiner Vereidigung beteiligen muß. Aber was tun wir nun? Wir kündigen an, daß wir noch nicht einmal in der Lage sind, das aufrechtzuerhalten, was wir haben, sondern daß wir es vermindern. Das ist doch eine unglaublich tiefe Kluft zwischen Anspruch auf der einen Seite und der Wirklichkeit Europas auf der anderen Seite.
Wie haben wir alle reagiert - von Ihnen bis hin zu uns -, als Kissinger sagte, wir, die Europäer, hätten die regionale Verantwortung, die Amerikaner und die Sowjetunion trügen die globale Verantwortung. Alle haben wir das zurückgewiesen. Vor diesem Anspruch aber macht sich doch unser jetziges Verhalten noch blamabler aus. Denn wir reagieren doch in Wirklichkeit in Europa, wenn man unseren gegenwärtigen Zustand und wenn man das sieht, was wir dafür aufwenden wollen, nicht einmal regional mehr, sondern, darf ich es so ausdrücken, provinziell in dieser Situation.
({20})
Es ist sicher wichtig, gemeinsame Wege zur Verteidigungsunion, vor allen Dingen mit den Franzosen, zu finden. Wenn der Besuch des Bundeskanzlers in Paris dazu beigetragen haben sollte, hier Fortschritte zustande zu bringen, dann begrüßen wir von der CDU/CSU-Fraktion das. Aber darüber
sollten wir uns doch auch keinen Täuschungen hingeben: eine solche europäische Verteidigungsunion ist nicht schon damit Wirklichkeit geworden, daß wir neue Institutionen geschaffen oder die alten ausgebaut haben. Eine solche europäische Verteidigungsunion fordert von uns höhere Anstrengungen. Ich darf es auch so ausdrücken: Europa fordert ganz sicher von uns gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nur hochtrabende Worte, sondern vor allen Dingen Opfer und Anstrengungen. Wenn wir so weitermachen, dann verurteilen wir Europa zur Ohnmacht und zur Bedeutungslosigkeit, noch ehe es anfängt, Wirklichkeit zu werden.
({21})
Europa wird zur friedlichen Weltordnung eines neuen Mächtegleichgewichts nur dann beitragen können, wenn es seiner Sicherheit den Vorrang vor seiner Bequemlichkeit gibt.
({22})
Wenn wir dazu schon nicht die Kraft haben und wenn wir uns nicht zutrauen, das unseren Völkern zu sagen, dann müssen wir uns eben damit abfinden, daß wir abhängig und unmündig sind und bleiben. Wenn wir aber aus dieser Rolle heraustreten wollen, wenn wir wirklich Europa sein eigenes Gewicht in der Weltpolitik zurückgeben wollen, dann müssen wir die Kraft haben, von unseren Völkern das zu fordern, was das Gebot der Stunde ist. Dazu gehören auch angesichts der Anstrengungen des Warschauer Pakts ausreichende Verteidigungsanstrengungen.
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Statt dessen muß ich bei Ihnen lesen: „Die Planungssubstanz der neuen Bundeswehrstruktur kann jedoch nur dann realisiert werden, wenn dem Verteidigungsressort während und nach einer Umstrukturierung der reale Wert des heutigen Haushalts auch tatsächlich zur Verfügung gestellt wird." Was soll das denn im Klartext anderes heißen, als daß Sie sich jetzt mit dem Ausgleich der Inflationsraten zufriedengeben und sich mit dem Rückgang der Verteidigungsanstrengungen, gemessen am Bruttosozialprodukt, gemessen an den Gesamtausgaben des Haushalts, abgefunden haben. Da die Kosten der Waffensysteme auch ohne Inflation ununterbrochen steigen, heißt das doch nichts anderes, als daß auch der reale Wert des Haushalts von heute eben schon morgen nicht mehr ausreichen wird, um die Bundeswehr materiell wie personell auf dem Stand von heute zu halten.
Die Konsequenz wäre - ich finde das auch schon angedeutet in Ihrer Rede, und das macht mich sehr besorgt -, daß die Personalstärke der Bundeswehr fortlaufend weiter reduziert werden müßte. - Sie schütteln mit dem Kopf. Sie schreiben hier oder reden: „Da die materiellen Betriebskosten vom vorhandenen Material abhängen, müßten Personalkosten - nämlich genau für den von mir geschilderten Fall - eingespart werden. Das würde eine Minderung des Umfangs oder Präsenzgrades bedeuten."
Unsere Sorge ist nicht zuletzt die - und dazu wollen wir in den Beratungen Genaueres hören -,
daß man sich mit der Verfügungsbereitschaft einen außerordentlich eleganten Weg geschaffen hat, um weitere Reduzierungen kaschiert vorzunehmen, wenn man eben meint, wieder einmal finanziell das nicht tun zu können, was man tun müßte. Darauf kann man einfach nur - das ist eine Wahrheit, die man draußen nicht mehr sehr gern sagt, die sicher auch nicht populär ist - antworten: Wir können unsere Wehrstruktur, wir können unsere Aufwendungen für Verteidigung nicht danach bemessen, was wir gerne hätten. Es gibt eine Notwendigkeit, die noch stärker ist, die Notwendigkeit nämlich, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten. Was dafür erforderlich ist, das bestimmt sich eben nicht nach unseren Wünschen, sondern das bestimmt sich nicht zuletzt nach dem, was uns an gegnerischem Potential, was uns an Zahl der Soldaten und an Qualität der Waffen des Warschauer Pakts gegenübersteht.
Wenn diese Behauptung aber richtig ist - und ich glaube nicht, daß man sie bestreiten kann -, dann müssen sich eben unsere finanziellen Anstrengungen nach dem Ausmaß der Bedrohung richten, und nicht umgekehrt. Sonst müßten wir eben resignierend anerkennen, daß wir auf unsere Verteidigung verzichten, weil wir uns nicht imstande fühlen, unserem Volke die Anstrengungen abzuverlangen, die seine Sicherheit erfordert und die totalitäre Regierungen des Ostens ihren Völkern zumuten. Was heißt das in letzter Konsequenz anderes, als daß wir dann eben anerkennen müßten, daß die Demokratien des Westens vor den Diktaturen des Ostens abzudanken hätten. Oder um das konkret auf die hier zur Entscheidung stehende Frage anzuwenden: Niemand bestreitet angesichts der steigenden Material- und Personalkosten langfristig die Notwendigkeit, die Investitionsquote nicht absinken zu lassen. Wenn ein Erfolg der Abrüstungsverhandlungen aber davon abhängt, daß wir der Sowjetunion signalisieren, daß wir der Sowjetunion zeigen: wir haben hier die Kraft, unsere vollen Verteidigungsanstrengungen aufrechtzuerhalten, solange sie nicht bereit ist, ihre Streitkräfte abzubauen, dann müssen wir eben vor allen Dingen während dieser Verhandlungen das an Mitteln bereitstellen, was wir brauchen. Keiner sage, daß hier Unmögliches verlangt werde! Dazu haben dieses Volk und seine Volkswirtschaft wirklich die Kraft, wenn wir nur eben wollen. Das aber ist die entscheidende Frage.
Nun gibt es in den Vorlagen der Regierung, in dem, was Sie vorgestellt haben, eine ganze Reihe von Rationalisierungsmaßnahmen, denen wir nach näherer Prüfung sicher zustimmen können und auch werden, Maßnahmen, die finanzielle Erleichterungen bringen werden. Ich nenne etwa die zentrale Durchführung streitkraftgemeinsamer Aufgaben, ich nenne die Einsparung von Kommandobehörden, die Straffung der Führung. Sicher gibt es auch Anpassungsmaßnahmen an das geänderte militärstrategische Konzept, die wir durchaus billigen, die wir für richtig halten, denen wir auf keinen Fall im Wege stehen werden. Wenn man uns nachweist, daß die Verkleinerung in der Struktur der Bataillone etwa
aus militärischer Sicht mehr Vorteile als Nachteile bringt, dann werden wir auch das sicher nicht konterkarieren. Aber das entscheidende Bedenken für uns ist eben, ob wir es uns in der gegenwärtigen Situation leisten können, die Präsenz der Bundeswehr zu reduzieren, und die weitere Frage ist, wo die Grenze verläuft.
Unsere Sorge wäre wesentlich geringer, Herr Bundesverteidigungsminister - und dies kann man wieder einmal der ganzen Regierung sagen -, wenn man nicht wieder versucht hätte, das, was man bestenfalls aus der Not heraus tut, zu einer Tugend oder gar zu einer Verbesserung hochzustilisieren. Wenn man liest und wenn Sie das hier auch noch aussprechen - ich habe nicht gedacht, daß Sie sich wirklich trauen, das auszusprechen - „Mit Hilfe der Verfügungsbereitschaft wird die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte verbessert", dann muß man das wirklich zweimal lesen, muß man sich das zweimal anhören. Man fragt sich eigentlich: Glauben Sie das wirklich, was Sie hier sagen? Denn die Annahme, daß Sie das glauben, was Sie da sagen, ist noch schrecklicher als das, was Sie sagen.
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Das ist doch Augenwischerei, was uns hier vorgeführt wird!
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Wir werden - ich fürchte, daß Ihnen das nicht sehr angenehm sein wird - dafür sorgen, daß diese Fragen in aller Gründlichkeit und Sorgfalt, und zwar vor unserem Volk, behandelt werden, damit man nicht das, was man Verringerung nennen müßte, plötzlich als eine Verbesserung feiert.
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Das kann man wirklich, Herr Bundesverteidigungsminister, fast nur noch mit Ironie abmachen.
Da wird also der Versuch gemacht, der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag vorzumachen, 30 000 Soldaten weniger seien in Wirklichkeit mindestens ebensoviel, ja noch mehr als bisher. Wir kennen diese Melodie. Sie haben uns diese Melodie - nicht Sie persönlich, sondern es war Ihr Vorgänger; aber das scheint offensichtlich die Melodie dieser Regierung zu sein - schon einmal vorgespielt, nämlich damals, als es um die Verringerung von 18 auf 15 Monate ging. Auch das haben Sie behauptet, die Ausbildung würde besser und nicht schlechter, die Einsatzbereitschaft werde selbstverständlich erhöht, nicht etwa reduziert.
Eine Anekdote aus der NATO, die man uns jetzt erzählt hat: Ein kanadischer Offizier muß bei seinem Abschied aus der NATO gesagt haben, sein lustigstes Erlebnis in der NATO sei gewesen, als ein deutscher General sieh bemüht habe, ihm zu erklären, daß 15 Monate mehr Ausbildungseffekt hätten als. 18 Monate.
Ich kann Ihnen sagen: Diese Melodie dürfen Sie uns hier nicht vorspielen. Diese Melodie können Sie uns hier nicht vorspielen. Wir trauen Ihnen ja sicher einiges zu,
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aber daß Sie über die magische Gabe verfügen, aus weniger mehr zu machen, das, Herr Bundesverteidigungsminister, nehmen wir Ihnen einfach nicht ab.
({28})
Lassen Sie mich etwas drastisch sagen: Das Kaninchen, daß Sie hier aus dem Hut ziehen, leidet an Schwindsucht!
({29})
Schon seither waren die Verbände der Bundeswehr, wie wir alle wissen und wie die Wehrstrukturkommission ausgesprochen hat, nur zu durchschnittlich 65 % einsatzbereit.Um das zu verbessern, bräuchten Sie aber mehr und nicht weniger Wehrpflichtige.
Noch einmal: Man könnte mit uns und man kann mit uns vernünftig reden, wenn man davon abläßt, der Öffentlichkeit systematisch Sand in die Augen zu streuen. Ich lese hier eine Pressemitteilung - dpa -, die genau auf derselben Linie liegt, wonach Sie gesagt haben sollen, die neue Wehrstruktur werde von NATO-Stäben als „beispielhaft" für das Bündnis angesehen.
({30})
Also auch hier wieder der Versuch, nicht zu sagen „Wir sind in der Klemme; wir können oder wollen das nicht ausgeben, was wir an sich ausgeben müßten, und deswegen, weil wir das nicht können oder wollen, müssen wir eben die Bundeswehr umstrukturieren", sondern das, was man bestenfalls als eine Notmaßnahme bezeichnen kann, hochzustilisieren gar als ein Beispiel für die NATO.
Ich sage Ihnen: Wenn dieses Beispiel in der NATO Schule macht, dann ist der Westen in absehbarer Zeit verteidigungsunfähig.
({31})
Abgesehen davon: Es wird uns wieder etwas vorgeführt, was man einfach so nicht stehenlassen kann. Noch ehe die Konsultation in der NATO überhaupt eingeleitet ist, wird bereits das Ergebnis vorweggenommen.
({32})
Ja, was sollen eigentlich die NATO-Behörden dann von Ihnen noch denken? Was sollen sie von der Seriosität eines solchen Konsultationsverfahrens denken? Ich kann nicht auf weitere Einzelheiten eingehen. Ich will darum abschließend noch einige Grundsätze für die CDU/CSU-Fraktion sagen.
Erstens. Wir werden darauf bestehen - ich darf an das soeben Gesagte anschließen -, daß uns die Bewertung der neuen Wehrstruktur durch die NATO, und zwar in geheimer Sitzung, wenn das nötig sein sollte, in allen Einzelheiten zugänglich gemacht wird und daß uns nicht
({33})
etwa irgendwelche pauschalen Urteile vorgelegt werden.
Zweitens. Wir halten in Übereinstimmung mit der Regierung eine weitere Verkürzung der Wehrdienstzeit oder gar die Einführung einer reinen BerufsDr. Wörner
armee gegenwärtig und für absehbare Zeit nicht für möglich.
Drittens. Damit verschärft sich aber die Frage der Wehrgerechtigkeit. Wir können es nicht bei der Feststellung belassen, daß die einen, und zwar künftig weniger Wehrpflichtige, gezogen werden und dienen müssen, die anderen aber frei ausgehen. Für uns ist ein solches Wehrsystem, wie Sie es vorgeschlagen haben, nur dann vorstellbar, wenn die dienenden Wehrpflichtigen gleichzeitig Entlastungen und damit einen Ausgleich dafür bekommen, daß sie dienen müssen, während andere nicht dienen müssen.
({34})
Ich sage, wir werden uns alle im Deutschen Bundestag überlegen müssen, ob wir nicht zusätzlich auch Belastungen für diejenigen zu beschließen haben werden, die nicht dienen müssen. Auf keinen Fall aber geht es so, daß Sie uns mit Untersuchungen abspeisen, die Sie anstellen wollen. Es liegen zahllose Untersuchungen über die Wehrgerechtigkeit vor. Jetzt müssen wir uns - ich sage das an uns alle - entscheiden, etwas zu tun.
({35})
Viertens. Wir haben bei vielen Vorschlägen der Regierung den Eindruck, daß noch nicht hinreichend untersucht wurde. Auch fehlt eine Kostenberechnung, und dies gilt insbesondere für den infrastrukturellen Bereich. Darum fordern wir eine gründliche Vorbereitung, eine gründliche Planung. Die CDU/ CSU-Fraktion wünscht - dies sage ich mit großem Nachdruck -, daß die Truppe mit ihren praktischen Erfahrungen in diese Untersuchungen, und zwar ganz intensiv, eingeschaltet wird.
({36})
Die Truppe muß auch rechtzeitig und eingehend über getroffene Entscheidungen informiert und darauf eingestellt werden. Man muß doch einmal die Lage der Bundeswehr sehen. Die Bundeswehr stürzt wirklich von einer Strukturänderung in die andere: neu aufgestellte Panzerregimenter - kaum haben sie sich einigermaßen zurechtgefunden, werden sie wieder aufgelöst. Ich persönlich habe - wenn ich dem Urteil hier vorweggreifen darf - gar nichts gegen die Aufforstung der Jägerbrigaden und auch gar nichts gegen das, was in der Konsequenz mit den Panzerregimentern geschieht. Nur muß man eben sehen, daß das nach dem Motto geht - ich darf es einmal burschikos sagen -: Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln! Das bringt die Bundeswehr in eine kaum noch tragbare Unruhe. Die Umstellung auf die 15 Monate ist noch nicht verkraftet.
({37})
Bei allem, was man dazu sagen kann: sie ist noch nicht verkraftet, sie macht dieser Truppe noch Kummer, und jetzt folgt ein neuer Strukturwandel, der aufs neue erhebliche Unruhe in die Truppe tragen muß.
({38})
- Das Urteil darüber, wer Unruhe in diese Truppe trägt, überlasse ich ganz getrost dieser Truppe selbst. Reden Sie einmal da draußen, dann werden Sie das Urteil sehr schnell bekommen!
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Ich sage das aber mit einem bestimmten Hintergedanken. Ich meine: angesichts dieser Lage, die dann, wenn Sie auf Ihrem Konzept bestehen werden, unvermeidlich ist, wenn also eine solche Wehrstrukturänderung beschlossen wird, müssen Sie dieser Truppe eine entsprechend lange Übergangszeit einräumen. Das ist die politische Schlußfolgerung daraus.
Fünftens. Wir von der CDU/CSU-Fraktion vermissen in Ihren Darstellungen die Auswirkung der neuen Wehrstruktur auf das Reservistenkonzept. Auch das wird nachzuholen sein.
Sechstens. Vor einer Entscheidung über die angekündigte Fusion des Territorialheeres mit dem Feldheer scheinen uns Modellversuche nicht nur angezeigt, sondern unverzichtbar.
Ich fasse zusammen. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Vorschläge der Regierung sorgfältig prüfen. Wir werden eine neue Wehrstruktur dann mit tragen, wenn sie zu sparsameren, zu rationelleren Kostenstrukturen führt oder wenn sie dazu beiträgt, die Bundeswehr neuen Erkenntnissen und Erfordernissen anzupassen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind allerdings nicht bereit, Strukturveränderungen mit zu verantworten, die zur Schwächung der Verteidigung und damit zur Verminderung der Sicherheit unserer Bürger führen müssen.
({40})
'Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pawelczyk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wörner, wenn ich Ihnen zuhöre, muß ich wirklich sagen: Es ist ja schrecklich, was wir hier alles anzetteln.
({0})
Sie werden mit Ihrer Rede aber eines nicht erreichen, nämlich daß wir unser sicherheitspolitisches Konzept, das wir hier schon x-mal ausgebreitet haben, nun noch einmal vorführen. Sie werden damit auch nicht den Effekt erzielen, davon abzulenken, daß Sie nicht über ein sicherheitspolitisches Konzept verfügen.
({1})
- Bringen Sie es doch!
({2})
Es ist doch wirklich zu wenig, wenn Sie als Ihr Oppositionsmotto hier ständig vorführen: § 1: Die Opposition braucht keine Alternativen zu entwickeln.
({3})
§ 2: Vieles wäre besser, wenn die Regierung auf uns gehört hätte. Das ist zu wenig!
({4})
§ 3 lautete dann: Die Opposition sollte die Rede durcharbeiten, die ihr der Verteidigungsminister angeboten hat. Gestern mittag haben Sie im Verteidigungsausschuß zum Ausdruck gebracht, daß die Rede auf dem Tisch liege. Hier will ich Ihnen mit wenigen Vorbemerkungen doch etwas nachhelfen. In dieser Rede steht etwas über die Definition des Präsenzbegriffes. Lesen Sie die Definition in dem entsprechenden MC nach.
({5})
- Hier gibt es ja plötzlich sehr viele Verteidigungspolitiker.
Dort ist der Präsenzbegriff der NATO definiert. Auch die Zahl der Tage und der Stunden ist dort verzeichnet. Lesen Sie es bitte nach, und vergleichen Sie es mit dem, was hier konzeptionell zum Ausdruck gebracht wurde.
({6})
- Meine Damen und Herren, lesen Sie es nach; dann
werden Sie feststellen, daß alles, was zur Präsenz
hinzuzurechnen ist, genau die Bedingungen erfüllt.
Es werden keine Kampfverbände gekadert; es werden bis zur Bataillonsebene hinauf Verbände gekadert, die nicht unmittelbar Kampfverbände sind. Ausgebildete Wehrpflichtige, die in Funktionen dienen, in die sie kurzfristig zurückgeholt werden können und ohne neues Üben ihre Verwendung ausüben können.
Und wie erklären Sie sich eigentlich die Forderung, die der Minister sich selber auferlegt, wenn er sagt, wir wollen diese große Zahl der Reservisten behalten? Er nennt die Zahl von 1,2 Millionen. Zur Verfügungsbereitschaft gehören doch aber nur 30 000 bis 40 000. Ist es denn so schwierig, dies geistig zu verarbeiten?
({7})
Das bedeutet doch nichts anderes, als daß man aus einem großen Potential zur Verfügung stehender Wehrpflichtiger ständig eine ausreichende Zahl von fachlich geeigneten einberufen kann.
Eine letzte Bemerkung hierzu. Wir werden das im Ausschuß noch intensiver zu diskutieren haben. Wenn wir 30 000 Wehrpflichtige und Zeitsoldaten in die Verfügungsbereitschaft nehmen, haben wir exakt die Stärke, die die Bundeswehr zu dem Zeitpunkt hatte, zu dem Sie noch die Verantwortung trugen, nämlich 1969. - Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir wenigstens diesmal zustimmen. Bei genauer Lektüre können Sie sich wahrscheinlich auch noch mit anderen Passagen anfreunden,
({8})
z. B. damit, daß die Regierung angeboten hat, in einer ausführlichen Diskussion - gedacht ist an ein Jahr - die Probleme zu erörtern. Dies kann also keine Ad-hoc-Entscheidung für die Bundeswehr sein. Und am Schluß der Rede des Verteidigungsministers, die Sie länger kennen als ich, steht, daß die Umstrukturierung bis 1978 erfolgen soll. Herr Kollege Wörner, Sie wissen doch auch, wann die erste Phase der MBFR-Verhandlungen angelaufen ist. Ich halte es für wenig korrekt, diese zeitliche Verbindung herzustellen.
Die letzte Vorbemerkung: Sie arbeiten mit dem Begriff „Vorwarnzeit". Ich persönlich gehöre zu denjenigen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die der Meinung sind, emotionale Schnellschüsse seien nicht hilfreich. Die Nahostauseinandersetzung ist, was die Vorwarnzeit angeht, mit der militärischen Situation in Europa so unmittelbar überhaupt nicht zu vergleichen.
({9})
- Ja, und ich liefere Ihnen auch noch die Begründung. Dann können Sie gern anderer Auffassung sein.
({10})
- Ich begründe es ja. Der letzte Nahostkrieg fand 1967 statt.
({11})
Nach dem Kriegsende gab es mehr als fünf Jahre lang einen Waffenstillstand in einer Situation, in der sich die Kampfverbände ständig kriegsbereit gegenüberstanden. Permanent wurden Angriffsabsichten geäußert. Und daß es ein Volk wie das israelische - und wie jedes andere auch - nicht fünf Jahre lang in diesem erhöhten Spannungszustand aushält, ist einsichtig.
In der herrschenden Situation konnte ohne Vorwarnzeit unmittelbar zu Kriegshandlungen übergegangen werden. Die Lage in Mitteleuropa ist durch die Ergebnisse unserer Außenpolitik eine ganz andere.
({12})
Hier ist der Angriff aus dem Stand, ohne daß wir rechtzeitig Signale erhielten, die die Soldaten, die in der Verfügungsbereitschaft stehen, rechtzeitig in die Verbände zurückkehren lassen könnte, überhaupt nicht möglich.
({13})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner? - Bitte!
Herr Pawelczyk, können Sie mir, nachdem Sie diese interessante Erkent3988
nis hier ausgebreitet haben, sagen, aus welcher Quelle Sie diese Erkenntnis bezogen haben?
({0})
Was heißt: aus welcher Erkenntnis? Aus der Erkenntnis desjenigen, der sich jahrelang intensiv mit dem Bereich beschäftigt hat und ohne Emotionen mit dem Verstand analysiert.
({0})
- Zu den Ergebnissen müssen Sie ja auch kommen können.
Nun will ich zum Thema kommen. Wir wollen heute über die Reform der Wehrstruktur und über die Reformen, die seit 1969 stattfinden und die Sie kritisiert haben, sprechen.
Zunächst darf ich Ihnen, Herr Minister, ein Kompliment machen. Wir alle wissen, daß die interessierte Öffentlichkeit und die Presse seit vielen Monaten versuchen, Einzelheiten herauszubekommen. Ihr Ministerium - das ist Ihr und das Verdienst Ihrer Soldaten und Beamten - hat dichtgehalten bis zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung.
({1})
Ich hätte mir gewünscht - das ist mir sehr ernst -, daß sich in den vergangenen vier Jahren gewisse Beamte anderer Ministerien ähnlich loyal gegenüber der Regierung verhalten hätten. Dann wären politische Erfolge zum Vorteil des gesamten Volkes leichter zu erreichen gewesen.
({2})
Wir unterstützen die Regierung bei dem Versuch, die Wehrstruktur zu verbessern. Worum geht es bei dieser Strukturreform es wird ja erlaubt sein, zum Thema Wehrstruktur vielleicht auch ein paar Sätze zu sagen ?
({3})
Der Bürger der Bundesrepublik hat in den Jahren von 1956 bis. 1971 über 230 Milliarden DM für die Verteidigung zu zahlen gehabt, 1972 waren es über 24 Milliarden DM und 1973 über 26 Milliarden DM. Trotzdem beginnt der Einsatzwert der Bundeswehr zu sinken. Die Steigerungsbeträge für Personal- und Reparaturkosten sind von Jahr zu Jahr höher als die Etatansätze. Sie wissen, daß das Ansteigen der Kosten für Waffensysteme in der Regel das Doppelte des vorausgegangenen Betrages ausmacht.
({4})
- Was es da zu lachen gibt, ist mir zwar unklar.
Aber ich nehme an, Sie gehören einem anderen Ausschuß an. - Der Betrieb der Bundeswehr muß also rationalisiert werden, und er kann rationalisiert werden. Im übrigen ist dies eine Entwicklung, die nicht typisch für die Bundesrepublik ist, sondern die sich in allen anderen Staaten in gleicher Weise zeigt. Die Engländer und die Amerikaner haben auf ihre Weise Konsequenzen daraus gezogen.
Auf der Basis der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung muß durch strukturelle Veränderungen der jetzige Einsatzwert aufrechterhalten werden. Anders ausgedrückt: Der Verteidigungsetat muß, in absoluten Zahlen gesehen, weiter steigen, jedoch nicht, was den Prozentanteil am Gesamtetat angeht. Wir sind der Auffassung, daß der Sicherheitswert von heute finanziell bis zu dem Zeitpunkt festgeschrieben werden muß, zu dem sich NATO und Warschauer Pakt darauf verständigt haben, ihre Potentiale bei Aufrechterhaltung unverminderter Sicherheit zu senken.
Wir ziehen die Konsequenzen, zu denen Sie den politischen Mut in den Jahren, in denen Sie die Verantwortung trugen, nicht hatten. Die Probleme, die seit 1969 fortlaufend durch strukturelle Veränderungen gelöst werden, waren vor dieser Zeit fällig. Fragen Sie den damaligen Verteidigungsminister Schröder! Er hätte z. B. ganz gerne schon einiges in die Wege geleitet.
Wir Sozialdemokraten stellen seit vier Jahren den Verteidigungsminister. Für den Kenner besteht gar kein Zweifel daran, daß wir die Bundeswehr aus dieser Erstarrung herausgenommen haben. Wir haben die Belastungen für die jungen Männer gerechter gestaltet durch die Verkürzung der Wehrdienstzeit um drei Monate, und entgegen Ihrer ständigen Prognose, auch entgegen der von heute, ist die Einsatzbereitschaft natürlich nicht geschmälert. Aber ich will das jetzt nicht begründen.
({5})
- Nein! Aber es ist ja gar nicht das heutige Thema.
({6})
Wir haben durch eine Vielzahl von Maßnahmen die Benachteiligungen, unter denen unsere Soldaten zu leiden hatten, beseitigt. Die Einrichtung einer Sozialabteilung beweist, daß wir für den Soldaten der Bundeswehr die gleichen sozialpolitischen Sicherungen wollen, wie sie jedem anderen in der Gesellschaft ebenso zustehen und die er in Anspruch nehmen kann.
({7})
Dies ist eine Konsequenz, die Sie aus der vollzogenen Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft hätten ziehen sollen. Das heißt die Ansprüche, die wir anderen zubilligen, stehen ihnen auch zu, das Gegengerede hilft gar nichts. Hier helfen nur konkrete Maßnahmen.
({8})
- Ja, ja, es wird weniger auf dem Gebiet gemacht als vorher.
({9})
Wir haben den Soldaten das volle Koalitionsrecht ermöglicht. Sie wissen, daß Herr von Hassel deswegen in eine Bundeswehrkrise geraten ist. Helmut
Schmidt hat die Gleichbehandlung von ÖTV und Bundeswehrverband ohne Probleme durchgesetzt.
({10})
- Das will ich Ihnen gleich sagen. - Wir haben die Bildungsreform angepackt. Kommentar der Opposition - ich zitiere jetzt -:
Schließlich brauchen wir keine Ausbildungs- und Bildungskonzeption für die Abschaffung der Armee.
Den Vorsitzenden der Bildungskommission, Professor Ellwein, versuchten Sie durch Diffamierung zu blockieren.
({11})
Ich sage dies deshalb, weil ich gerne verhindern möchte, daß Sie sich leichtfertig in gleich polemischer Weise mit der Strukturreform beschäftigen.
({12})
Zitat:
Ein sozialistischer Professor und seine entsprechenden Mitarbeiter sind Persönlichkeiten, die ein sehr gespanntes Verhältnis zu diesem Staat, zu seiner gegenwärtigen Struktur und zur Notwendigkeit des Unterhalts von bewaffneten Streitkräften haben.
({13})
- Wo ich das herhabe? Aus dem DeutschlandUnion-Dienst v. 19. 1. 1971. Ich kann Ihnen das nachher geben.
({14})
- Wenn Herr Dr. Wörner schon nachfragt, wo ich die Zitate herhabe, dann müssen sie ihn doch heute sehr in Erstaunen versetzen.
({15})
- Doch, das hat etwas damit zu tun; ich komme gleich darauf.
Die Bundeswehr hat trotz polemischer Begleitmusik der Opposition die Reform loyal mitvollzogen. Sie hat sich nicht irritieren lassen. Dafür sind wir ihr Anerkennung schuldig, besonders den beiden sozialdemokratischen Verteidigungsministern Schmidt und Leber und deren Parlamentarischem Staatssekretär Berkhan. Bei dieser polemischen Begleitmusik hätte es Ihnen gelingen können, die Bundeswehr in zwei Teile zu brechen. Dies haben Sie zum Glück nicht geschafft.
({16})
Ich erwähne diese Beispiele, weil Sie seit vier Jahren ständig sagen, Sie wollen das Feld der äußeren
Sicherheit aus der Polemik herauslassen. Die Zitate haben bewiesen, daß Sie es in Wirklichkeit nicht tun.
Wir haben unbeirrt davon in logischen Schritten die nötigen Reformen durchgeführt, und nun fragen Sie, wieso ich dies alles ausführe. Die Reform der Bildungspolitik, die Vorbereitung des Offiziernachwuchses in einem Studium technicher Art z. B. ist eine entscheidende Voraussetzung für die Handhabung einer Armee, die einen immer höheren technischen Stand erreicht. Durch Strukturreform wird daraus die Konsequenz für die Organisation der Bundeswehr gezogen, durch die Bildungsreform können die Offiziere ausgebildet werden, die eine modern organisierte Bundeswehr zu führen haben.
Meine Damen und Herren, Sie müssen feststellen, daß dies ein schlüssiges Gesamtkonzept ist. Heute beginnt die parlamentarische Diskussion über die Wehrstrukturreform. Die Reform der Wehrstruktur bringt für viele Jahre eine entscheidende Veränderung; hier gebe ich meinem Kollegen Wörner recht. Es lohnt sich, über eine so entscheidende Reform zu streiten, und es wird Streit geben und unterschiedliche Auffassungen zwischen Ihnen und uns, aber auch innerhalb der Fraktionen.
({17})
Niemand sollte sich verführen lassen, auch hieraus wieder polemische Kampagnen zu entwickeln. Meines Erachtens müssen uns in den künftigen Diskussionen im Verteidigungsausschuß und in der Öffentlichkeit folgende Probleme beschäftigen. Nun will ich das aufzählen, was zu nennen vor allem die Aufgabe der Opposition wäre, nämlich die Punkte, die wirklich in die Diskussion hineingehören.
Erstens. Die Wehrstruktur kann nur gelingen, wenn sie auf einem vernünftigen militärstrategischen Konzept aufgebaut ist. Im militärstrategischen Konzept muß der politische Wille bezüglich Art und Dauer der Verteidigung der Bundesrepublik im Konfliktfall zum Ausdruck kommen.
Herr Minister Leber, es ist Ihr Verdienst, daß Sie das, was Ihr Vorgänger, Herr Schmidt, in Auftrag gegeben hat, in einem militärstrategischen Konzept endgültig festgeschrieben haben, und ich will schon jetzt ankündigen, daß das meine Freunde und mich in der Ausschußdiskussion natürlich beschäftigen wird. Daraus ergeben sich Fragen, nämlich auf Grund welcher Kriterien seit 1956 die Gewichtung der Teilstreitkräfte, ihre Aufgabenstellung und Beschaffungsvorhaben entschieden wurden.
Den Prozeß müssen wir noch einmal nachvollziehen und prüfen, um festzustellen, ob und in welcher Weise es Fehlentwicklungen gegeben hat.
({18})
- Sie haben das im Verteidigungsausschuß, als Verteidigungsminister Leber diese Tatsache erwähnte, ohne zu widersprechen zur Kenntnis genommen. Warum haben Sie sich da eigentlich nicht gewehrt? Weil Sie wußten, daß er recht hatte.
({19})
- Lesen Sie mal im Protokoll nach.
Zweitens. In der neuen Wehrstruktur sind daraus die praktischen Konsequenzen zu ziehen und ich meine, der Verteidigungsetat muß in seinen Schwerpunkten daran ausgerichtet werden. Wir sollten den Einzelplan 14 für das Jahr 1974 auch daraufhin überprüfen.
Die neue Struktur der Bundeswehr muß zudem MBFR-gerecht sein, d. h. die Bundeswehr ist so zu strukturieren, daß Konferenzerfolge umgesetzt werden können, ohne die Verteidigungsfähigkeit in Frage zu stellen. Keine der vorzunehmenden Veränderungen darf isoliert geschehen. Ohne Koordination und Absprache im Bündnis könnte sonst eine Entsolidarisierung eintreten, die sicherheitspolitisch nicht zu verantworten ist. Die gleiche Verpflichtung gilt allerdings für die anderen NATO-Partner in gleicher Weise. Die Erfolge unserer Außenpolitik beruhen ganz entscheidend auf der Bündnissolidarität und konnten auch nur so herbeigeführt werden.
Der Beitrag der Bundeswehr zur Verteidigung ist an den notwendigen Schutzfunktionen für unser eignes Land zu orientieren. Deshalb müssen folgende Erkenntnisse in die Strukturreform einfließen oder sie beeinflussen: Weder die Bundesrepublik noch irgendein anderer europäischer NATO-Staat ist imstande, sich allein aus eigener Kraft zu schützen. Deshalb ist zu klären, welches Spektrum wir mit der Bundeswehr abdecken müssen. Ohne Aufgabenteilung im Bündnis erhalten wir trotz höherer Ausgaben weniger Sicherheit. Aufgabenteilung im Bündnis hat für mich zwei Aspekte: a) die Aufteilung der Aufgaben zwischen den Vereinigten Staaten und NATO-Europa; b) die Teilung der Aufgaben innerhalb der europäischen NATO-Staaten.
Die Nukleargarantie der Vereinigten Staaten ist dabei unverzichtbar, ebenso wie die Präsenz amerikanischer Truppen bei uns. Ohne diese beiden Komponenten verliert die NATO die für den Warschauer Pakt unkalkulierbare Abschreckungsfähigkeit.
Die Verteidigung unseres Landes ist nur durch ein Bündnis möglich. Eine nationale Alternative gibt es meines Erachtens nicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind Notwendigkeit, Umfang und Aufgabenstellung für Heer, Luftwaffe und Marine der Bundeswehr zu überprüfen. Dabei wird es natürlich auch Konflikte mit den Teilstreitkräften und sicher auch mit einem Teil der Rüstungsindustrie geben. Aber das darf uns nicht davon abhalten, bei gleichem finanziellem Einsatz dort zu verbessern, wo es nötig ist. Emotionale Bremsen können wir nicht akzeptieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Herr Kollege, wenn Sie schon davon sprechen, daß die Aufgabenteilung im Bündnis eine sinnvolle sein müsse, warum gehen Sie dann nicht auf das Argument unseres Kollegen Wörner ein, daß die allgemeine Erkenntnis im Bündnis die ist, daß die europäischen Bündnispartner einen stärkeren Anteil an der Finanzierung der Rüstungslasten zu übernehmen haben?
Haben Sie den Eindruck, daß wir uns dagegen wehren? Beobachten Sie die Entwicklung in der Eurogroup! Nehmen Sie zur Kenntnis, wer die Entwicklung in der Eurogroup vorantreibt,
({0})
wer den Löwenanteil der finanziellen Mittel für die Eurogroup zur Verfügung stellt! Das ist doch niemand anders als die beiden sozialdemokratischen Verteidigungsminister, früher Helmut Schmidt und jetzt der Verteidigungsminister Leber gewesen. Dies hat sich inzwischen in Europa herumgesprochen.
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Sie können doch Zahlen lesen, und Sie wissen das doch auch. Wie können Sie denn sonst den Verteidigungsminister Leber für seine erfolgreiche Politik auch in der NATO loben, wenn er nur Weihrauch verstreut? Das verstehe ich nicht. Das paßt alles nicht zusammen. Ich sage Ihnen das nachher noch an einer anderen Stelle.
Die Konfliktdauer, auf die sich die Bundeswehr einzustellen hat, muß klar umrissen sein. Auch von dieser Frage hängt ihre Struktur, ihre Bewaffnung, Bevorratung und, wie Herr Wörner auch sagte, das Reservistenkonzept und die Gesamtgliederung der Bundeswehr ab. Die politischen und strategischen Konturen der Strategiediskussion in der NATO müssen so deutlich erkennbar sein, daß die Bundeswehr mit ihrer neuen Struktur ohne weitere grundlegende Veränderung in das Bündnis der siebziger und achtziger Jahre hineinpaßt. Wir müssen also die Strategiediskussion unserer wichtigsten Partner, vor allem der USA, verfolgen und beeinflussen. Die Organisationsstruktur des Verteidigungsministeriums wird aus den strukturellen Veränderungen der Bundeswehr meines Erachtens nicht herausgehalten werden können.
Die Bundesregierung hat uns eine gute Vorlage für unsere Arbeit zur Verfügung gestellt. Der politische Wille, entscheidende Beiträge für die Sicherheit des eigenen Landes im Bündnis zu leisten, ist hier klar formuliert und kann eigentlich auch von Ihnen nicht überlesen werden, wenn Sie es lesen wollen.
Wir werden in den weiteren Beratungen alle miteinander vor komplizierte Fragen gestellt, und wir werden gute Lösungen finden, hoffentlich auch im konstruktiven Dialog mit der Opposition. Das kritische Abklopfen der bestehenden Wehrstruktur ist ein Zeichen von Verantwortungsbewußtsein. Gefühlsmäßiges Festhalten an der alten Struktur dagegen ist eine Gefahr für unsere Sicherheit.
Die Regierungserklärung zur neuen Wehrstruktur leitet die letzte große Reform auf absehbare Zeit ein. In der Regierungserklärung kommt erneut in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, daß wir gewillt sind, unseren Beitrag für die Sicherheit im Bündnis zu leisten.
Der wiederholte Vorwurf Ihres Fraktionsvorsitzenden, des Herrn Carstens, die Bundesregierung verfolge Entmilitarisierungs- und Neutralisierungstendenzen, stößt wirklich ins Leere und wird durch Wiederholung nicht richtiger. Das zeigt Ihnen erneut diese letzte Vorlage.
({2})
Dieser Vorwurf ist - lassen Sie mich das so deutlich sagen - eine Diffamierung und schädigt das Ansehen der Bundesrepublik im internationalen Bereich. Das aber kann doch im Grund nicht Ihre Zielsetzung sein. Im übrigen ist dieser Vorwurf auch ein Zeichen fehlender Zusammenarbeit zwischen Ihren Kollegen im Verteidigungsausschuß und Ihrem Fraktionsvorsitzenden. Noch im Juni, bei der dritten Lesung des Haushalts 1973, loben Sie ausdrücklich den Verteidigungsminister für seine Verteidigungspolitik, sagen seit 1969 zum erstenmal im Ausschuß und im Plenum ja zum Verteidigungsetat; und anderthalb Monate später sagen Sie durch Ihren Fraktionsvorsitzenden, daß dies alles nicht gilt.
({3})
Wie paßt denn das eigentlich zusammen? Ich kann
Ihnen verraten, daß die Regierung während der
Sommerferien kein neues Konzept ausgearbeitet hat.
({4})
Ich muß nun auch noch folgendes sagen. Sie sprechen ständig von höheren Ausgaben für die Sicherheit. Wenn Sie doch wenigstens einmal gesagt hätten, wieviel, woher, zu Lasten welcher anderen Bereiche.
({5})
Herr Kollege Wörner, das haben Sie auch heute nicht getan. Für mich hängt die Sicherheit des eigenen Landes von der Ausgewogenheit des Gesamtetats ab. Wenn unsere Sicherheitspolitik, wenn unsere Sozialpolitik insgesamt, wenn unsere Bildungspolitik insgesamt nicht stimmt, beschädigen wir die Attraktivität unserer Demokratie und damit die Sicherheit unseres Landes.
({6})
Da Sie schon vom Geld sprechen, möchte ich Ihnen im übrigen gerne sagen, daß 1967 20 Milliarden DM - das waren 26,3 % - des Gesamtetats für die Verteidigung ausgegeben wurden, 1968 jedoch nur 17,6 Milliarden DM, also 3 % weniger. Zu dem Zeitpunkt war der Finanzminister Ihr Kollege Strauß, und der Verteidigungsminister hieß Herr Schröder; auch er stammt, wie Sie wissen, aus Ihrer Fraktion. Hier ist von einem Jahr aufs andere um 3 Milliarden DM
gekürzt worden, ohne strukturelle Konsequenzen zu ziehen. Ich kritisiere das gar nicht. Wenn solche Eingriffe nötig sind, ist das in Ordnung. Aber Sie können dieses nicht für richtig halten und andere Maßnahmen, die in anderen Situationen nötig sind, als für die Sicherheit des eigenen Landes schädlich erklären.
Vielleicht können Sie ein übriges tun und einige Kollegen Ihrer Fraktion überzeugen, vor allen Dingen Herrn Strauß, und ihm erklären, daß die sicherheitspolitische Diskussion Schaden nimmt, wenn man sich ausgerechnet dieses Feld aussucht, um zu beweisen, zu welchen verbalen Kraftakten man imstande ist. Ich will hier einige Beispiele aus seiner letzten Rede auf der Veranstaltung, auf der Sie, Herr Kollege Handlos - herzlichen Glückwunsch! - zum Vorsitzenden des wehrpolitischen Arbeitskreises der CSU gewählt wurden, nennen.
Erstens. Die Bundesrepublik könne sich um die Frage des atomaren Schutzes nicht herumdrücken. Sie, Herr Damm, haben das durch eine interessante Variante bereichert, indem Sie sagten: Die Sozialdemokraten akzeptieren nicht die europäische Nuklearmacht, weil sie sich die Hände an der Atombombe nicht schmutzig machen wollen. Wer die zentralen Fragen unserer Sicherheit auf diese Ebene herunterzieht, kann eine verantwortbare Sicherheitspolitik für die Bundesrepublik in der NATO im Ernst nicht wollen; der will beschädigen.
Herr Strauß sagt zweitens: Das europäisch-amerikanische Verhältnis könne aber nicht darin bestehen, daß es eine Supermacht jenseits des Atlantiks gebe und ein Haufen großmäuliger Zwerge drum herum.
Er sagt drittens, es sei in Westeuropa heute üblich, mit der eigenen Feigheit Bequemlichkeit zu verbinden.
Viertens. Bei der Aufzählung dieser Beispiele darf natürlich der Neutralismusvorwurf nicht fehlen.
Fünftens. Wer vor der Geschichte davonlaufe, werde von ihr erschlagen; die Europäische Gemeinschaft dürfe keine bloße Kaloriengemeinschaft sein.
({7})
Wer die Diskussion auf dem überaus sensiblen Feld der Sicherheits- und Entspannungspolitik in dieser Form führt, hat nun wirklich seine Nichteignung bewiesen.
Zum Abschluß zwei Bemerkungen.
Erstens. Wir gefährden den Erfolg der Wehrstrukturreform und damit unsere Sicherheit, wenn wir von einer zu statischen Einschätzung in der Bündnissituation ausgehen. Wenn wir es nicht verstehen, diese Entwicklungen mit aufzunehmen, werden wir mit der Strukturreform neben dem Ziel liegen.
Zweitens. Die Bundeswehr lebt seit ihrem Bestehen, seit 1956, in ständiger Umorganisation; soweit hat der Kollege Wörner recht. Nur: Die Jägerbrigaden, die er z. B. genannt hat, haben wir, nämlich Schmidt, von Ihnen geerbt. Sie waren die Erfinder. Jede Umorganisation ist mit Standortwechseln für die Soldaten verbunden. Die verheirateten Zeit- und Berufssoldaten, deren Ehefrauen und
Kinder werden davon in ihrem familiären Bereich betroffen. Sie haben die Veränderungen bisher mit einem erstaunlichen Verständnis getragen. Sorgen wir bei der Entwicklung der neuen Wehrstruktur dafür, daß auch für diesen Bereich der Familien mehr Beständigkeit eintritt, nehmen wir uns also Zeit für die Vorbereitung der neuen Struktur! Das Angebot, die neue Wehrstruktur ein Jahr zu diskutieren und sie bis 1978 zu verwirklichen, ist ein gutes Angebot der Regierung.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Krall.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt die Absicht der Bundesregierung, die Struktur der Streitkräfte zu reorganisieren und die derzeit vorhandenen Strukturschwächen unserer Verteidigungsorganisation zu beseitigen. Sie erklärt sich mit den vorgelegten Plänen für eine neue Wehrstruktur im wesentlichen einverstanden. Sie ist bereit, sowohl bei den parlamentarischen Beratungen als auch bei der reformerisch-praktischen Kleinarbeit an dieser Aufgabe weiter intensiv mitzuwirken.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie die Vorkehrung zur Sicherung und Bewahrung unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates gegenüber äußerer Gewalt unterstützen und dafür eintreten. Solange Gewalt und Drohung mit Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung noch nicht weltweit geächtet und zum Verschwinden gebracht worden sind, so lange wird auch die Bundesrepublik Deutschland zu ihrem äußeren Schutz auf Streitkräfte angewiesen sein. Je besser die Bundeswehr ist, je glaubhafter sie innerhalb des Bündnisses ihren Sicherheits- und Abschreckungsauftrag wahrnehmen kann, desto unwahrscheinlicher ist der heiße Konflikt, desto geringer ist auch die Gefahr, daß es tatsächlich einmal zu bewaffneten Gewalthandlungen kommt.
An dieser Grunderkenntnis halten wir fest. Wir halten daran auch angesichts einer Entwicklung fest, in die wir die Hoffnung setzen, daß der Frieden durch politische Vereinbarungen sicherer gemacht werden kann. Mit den Gesprächen in Wien, Helsinki und Genf unternehmen wir den ernsthaften Versuch, Jahrzehnte der politischen und ideologischen Konfrontation zu überwinden. In diesen Jahren haben wir uns oft genug am Rande des heißen Konflikts befunden. Wir sind so optimistisch, zu hoffen, daß dies endgültig der Vergangenheit angehört. Wir sind aber zugleich auch realistisch genug, um zu wissen, daß eine politische Friedensordnung für Europa nicht von heute auf morgen geschaffen werden kann. Es wäre daher politisch nicht zu verantworten, Sicherheit von heute für Hoffnungen auf morgen preiszugeben. Die Bundeswehr, das NATO-Bündnis, die Allianz mit den Vereinigten Staaten von Amerika sind die Garanten unserer äußeren Sicherheit, heute und für lange Zeit.
Die Freien Demokraten bejahen deshalb die militärische Landesverteidigung. Sie wünschen sich eine Bundeswehr, die heute und in der Zukunft ihre eindeutig defensive Aufgabe erfüllen kann. Die Nürnberger Wahlplattform der Freien Demokraten vom 25. Juni 1969 forderte bereits im Interesse der Bundesrepublik eine grundlegende Reform der Landesverteidigung im Rahmen der NATO. Diese Forderung wurde immerhin zu einem Zeitpunkt gestellt, als es noch keine Reformkommissionen gab und nur wenige erkannten, daß eine Reorganisation unserer Streitkräfte in den nächsten Jahren unabweisbar sein würde. Seit dieser Zeit haben die Freien Demokraten niemals aufgehört, ihre Vorstellungen und Anregungen in die beginnende Diskussion hineinzutragen und an der Entwicklung einer neuen Bundeswehrstruktur mitzuwirken.
Nun warten wir seit Jahren auf das eigenständige Konzept der Opposition, das derart maßhaltig in die Diskussion über die zu erneuernde Wehrstruktur oder die beginnenden Arbeiten an ihr gepaßt hätte. In diesen doch gewiß bedeutenden Fragen - das wird man feststellen müssen - hat die Opposition ihre Aufgabe bisher nicht erfüllt. Auch die vom Kollegen Dr. Wörner heute vorgetragenen Ausführungen hierzu können an meiner Feststellung nichts ändern.
({0})
Das heute vorgelegte Programm war eine Arbeit von Jahren. Eine große Organisation wie die der Bundeswehr ist kein Experimentierfeld, in dem man ohne eingehende vorherige Überlegungen etwas verändern kann und dann abwartet, was daraus wird. Die Streitkräfte müssen ununterbrochen funktionsfähig sein, auch in der Zeit eines Übergangs.
Schließlich setzen sich Organisationen aus Menschen zusammen, die man nicht beliebig hin- und herschieben kann, bloß um Erfahrungen zu sammeln. Ich stimme hier voll den Ausführungen des Kollegen Pawelczyk zu. Die Wehrstrukturkommission der Bundesregierung hat die erforderlichen Vorbereitungen auf wissenschaftlicher Grundlage geleistet. Sie hat dabei auch zahlreiche Vorschläge der FDP in ihre Überlegungen einbezogen und in Empfehlungen an die Bundesregierung umgesetzt. Man muß in der Tat einmal die Berge von Materialien und Sitzungsprotokollen gesehen haben, die von der Kommission bearbeitet und erstellt worden sind. Dann läßt sich in etwa die Arbeit ermessen, die in den abschließenden Bericht der Kommission eingeflossen ist. Für diese gewaltige fundierte und mühevolle Detailarbeit möchte ich von dieser Stelle aus allen Mitgliedern der Wehrstrukturkommission ausdrücklichen Dank abstatten.
Wir haben dabei mit Befriedigung vermerkt, daß die Vorschläge und die Diskussionsbeiträge der Freien Demokraten offenbar so schlecht nicht waren. Die abschließenden Ergebnisse der Kommission und unsere Beiträge gingen in vieler Hinsicht konform. Die Vorschläge der Wehrstrukturkommission sind anschließend im Bundesministerium der Verteidigung in fast einjähriger Arbeit einer gründlichen Realisierbarkeitsprüfung unterzogen worden. Dabei
hatte auch der Koalitionspartner FDP Gelegenheit, seine Vorstellungen und Forderungen einzubringen. Die Fraktion hat ihre Vorschläge für eine bessere Struktur der Bundeswehr in zwei detaillierten Stellungnahmen vom 15. Juni und 2. Oktober 1973 dem Bundesminister der Verteidigung übermittelt. Als verteidigungspolitischer Sprecher meiner Fraktion hatte ich Gelegenheit, in mehreren Aussprachen mit dem Bundesminister der Verteidigung Einzelfragen zu erörtern und unsere Auffassung zu Einzelproblemen zu verdeutlichen. Ich darf an dieser Stelle erklären, daß es zwischen den beiden Regierungsparteien in dieser Frage eine reibungslose und vorbildliche Zusammenarbeit gegeben hat. Ich möchte nicht versäumen, dem Bundesminister der Verteidigung namens meiner Fraktion für die gute und faire Zusammenarbeit sehr herzlich zu danken.
({1})
- Ich habe ihn ja gesehen.
Das Programm für eine neue Bundeswehrstruktur ist in wesentlichen Teilen auch ein Programm der FDP, das die Fraktion voll unterstützt. Die Freien Demokraten hatten vorgeschlagen, bei allen Reformmaßnahmen die derzeitige Umfangszahl der Bundeswehr zu erhalten. Diese Empfehlung ist ebenso eingelöst wie die von uns vertretene Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht. Die Strukturreform macht die Bundeswehr über das Mittel der Verfügungsbereitschaft weder größer noch kleiner. Verfügungsbereitschaft bedeutet für uns auch im Sinne des Bündnisses Präsenz. Herr Kollege Pawelczyk hat das aus der MC hier deutlich werden lassen.
Nun hat der Kollege Dr. Wörner sich in seinem Beitrag fast ausschließlich in der Kritik an der Verfügungsbereitschaft erschöpft. Er hat sogar die Frage gestellt: werden die überhaupt kommen? Nun, Herr Kollege Dr. Wörner, ich gehe davon aus, daß Sie die Armee kennen und daß Sie auch die Aufgaben kennen, die dem territorialen Heer gestellt sind, nämlich die Aufrechterhaltung der Operationsfreiheit der NATO-Verbände. Dieser Teil des Heeres wird eben durch die Einberufung von Reservisten aktiviert. Sie ziehen also den Teil einer Teilstreitkraft in Zweifel - hier lassen Sie mangelndes Vertrauen gegenüber dieser Regierung erkennen -, für deren Aufstellung Sie viele Jahre lang verantwortlich waren. Sie sollten sich einmal etwas mehr mit der Aufgabe des territorialen Heeres befassen. Dann werden Sie vielleicht ein besseres Verständnis für die Frage des Einsatzes und auch der Einberufung von Reservisten bekommen.
Unsere Freunde, meine Damen und Herren, können sicher sein, daß wir unsere Verpflichtungen qualitativ wie quantitativ zu erfüllen bereit sind, und unsere möglichen Gegner können uns nicht vorwerfen, daß wir die Bundeswehr aufblähen und etwa aggressiv mit dem Säbel rasseln. Auftrag, Organisation, Führungsgrundsätze der Streitkräfte sind eindeutig defensiv. Die neue Bundeswehrstruktur läßt noch deutlicher als bisher erkennen, daß unsere Streitkraft ausschließlich zur Verteidigung bestimmt ist. Zugleich ist unsere Forderung eingelöst, die neue Struktur so flexibel zu gestalten, daß sie internationalen und bündnisinternen Entwicklungen und Veränderungen ohne Schwierigkeiten angepaßt werden kann.
Die neue Bundeswehrstruktur schreibt nichts endgültig fest, sie ist nicht abhängig von den veränderten außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen; aber sie ist dafür offen.
Wir hatten ferner angeregt, unter den drei Teilstreitkräften dem Heer erkennbar diejenige Priorität einzuräumen, die sich aus unserem gesamten Bündnisauftrag tatsächlich ergibt. Hierauf bleibt unser Augenmerk auch weiterhin gerichtet. Ein Angriff auf die Bundesrepublik ist nur als eine Landoperation denkbar. Das Heer bildet das Rückgrat der konventionellen Verteidigung. Die neue Struktur stärkt die Heeresstreitkräfte; sie ermöglicht eine bessere und modernere Materialausstattung durch Kaderung und Zentralisierung von Hilfsfunktionen. Das in allen modernen Armeen immer ungünstiger werdende Verhältnis von Kampfpersonal zu Unterstützungspersonal wird durch Rationalisierungsmaßnahmen verbessert. Teures Personal in Hilfsfunktionen wird eingespart; die Neugliederung der Brigaden, Bataillone und Kompanien - bildlich gesprochen, eine Schlankheitskur - macht die Truppe beweglicher und erhöht den Kampfwert. Die neue Heeresorganisation versetzt uns zudem in die Lage, ohne zusätzliche Kosten nunmehr 36 statt bisher 33 Brigaden aufzustellen. Damit können wir unseren NATO-Verpflichtungen voll nachkommen. Es ist nicht, Herr Kollege Dr. Wörner, ein Weniger an glaubhafter Abschrekkung, wie Sie es hier behauptet haben, sondern es ist ein eindeutiges Mehr an Abschreckung, volle 36 Brigaden präsent zu haben.
Alle Aufgaben, die bei den drei Teilstreitkräften gemeinsam anfallen, sollen nunmehr dort konzentriert werden, wo sie billiger oder effektiver wahrgenommen werden können. Auch dies ist eine alte Forderung der FDP. Wir haben sie schon vor Jahren vorgebracht.
Auf der gleichen Linie bewegen sich unsere Vorschläge zur Verminderung der Kommandoebenen und der Kommandobehörden. Heer und Territorialverteidigung werden zusammengelegt. Die bisherigen sechs Wehrbereichskommandos fallen weg. Wir 'begrüßen den Vorschlag, eine Kommandoebene einzusparen, und stellen fest, daß dies idem Sinne nach genau unseren eigenen Forderungen entspricht. Allerdings hatten wir eine Änderung der Kommandostruktur nicht nur beim Heer, sondern auch bei den anderen Teilstreitkräften als notwendig bezeichnet. Es wäre gut gewesen, Herr Dr. Wörner, wenn Sie beispielsweise über notwendige strukturelle Veränderungen bei der Luftwaffe nachgedacht und vielleicht hier einen Vorschlag vorgelegt hätten, wie man die meines Erachtens allzu starke Kopflastigkeit der Luftwaffe im Sinne der Einsparung einerseits und der Erhöhung der Effizienz andererseits hätte verringern können. Was die Marine angeht - und das sage ich auch in Anwesenheit des Herrn Generalinspekteurs -, bin ich befugt zu erklären, und zwar durch den Berichterstatter für
Marinefragen, den Kollegen van Delden, daß er sich
meiner Auffassung in dieser Hinsicht voll anschließt.
({2})
- Ja, da staunen Sie, nicht wahr? Vielleicht können wir uns darauf verständigen, im Bestehenbleiben der zwei Territorialkommandos die Elemente für eine künftige bundeswehrintegrierte, d. h. teilstreitkraftfreie Kommandoebene oberhalb der Korpsebene zu sehen.
Herr Kollege Krall, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Krall, bin ich richtig informiert, daß Sie nicht nur die Divisionsebene beseitigen wollten - als Vorstellung der FDP , sondern daß Sie darüber hinaus - wenn Zeitungsmeldungen richtig sind - auch gefordert haben, daß die Bundeswehrhochschulen ebenfalls wieder aus dem Bundeswehrbereich ausgegliedert werden müssen?
Herr Kollege Biehle, wir hatten in der Tat Überlegungen angestellt, bei einer Neustruktur der Kommandoebenen eine solche wegfallen zu lassen, und hatten vorgeschlagen zu überprüfen, ob das bei der Division möglich ist. Hier ist eine andere Entscheidung gefallen, die wir voll unterstützen. Die Brigaden werden kampfkräftiger gemacht. Es werden sehr viele Funktionen, die bei den Brigaden lagen, in die Divisionsebene verlagert, und das kommt unserem Petitum nach, zumal ja andererseits die Wehrbereichskommandos entfallen sollen und in die Korps eingegliedert werden. Wo wir die Bundeswehrhochschulen ausgliedern sollen, ist mir nicht klar. Wir wollen sie integrieren, nämlich in den künftigen Gesamthochschulbereich, so, wie es in den Ländern bereits geplant ist. Das haben wir nie in Zweifel gezogen.
Wir sind dem Bundesminister Leber für die Zusage dankbar, die notwendige Änderung der Spitzengliederung der Bundeswehr in den unmittelbaren Aufgabenkatalog des Ministeriums aufzunehmen. Wir gehen davon aus, 'daß damit konstruktive Arbeiten auch in Richtung auf die Schaffung eines teilstreitkraftfreien Sektors der Bundeswehr mit bundeswehrgemeinsamen Aufgaben eingeleitet werden. Wir halten allerdings dieses zeitliche Nacheinander von einzelnen Schritten einer Strukturreform auch deshalb für sinnvoll, weil natürlich eine neue Wehrstruktur von einer intakten und eingearbeiteten Bundeswehrspitze realisiert werden muß. Erst dann kann auch die Spitze selbst sinnvoll umgegliedert werden.
Die Verwirklichung der neuen Bundeswehrstruktur kann nicht von heute auf morgen geschehen. Das ist hier erfreulicherweise von allen Seiten angesprochen worden. Auch wir unterstützen das. Wir werden demzufolge in den kommenden Monaten und Jahren weiter darüber nachdenken müssen, wie wir dies alles gemeinsam - ich betone: gemeinsam -realisieren und erfolgreich durchsetzen können. Das
gilt mit Sicherheit für die Frage, die von dem Kollegen Dr. Wörner und Herrn Pawelczyk angesprochen wurde, wie wir künftig die Dienenden und die nicht 'herangezogenen Wehrpflichtigen heranziehen sollen. Es geht also um die Frage der Wehrgerechtigkeit. Hier ist zunächst einmal grundsätzlich festzuhalten, daß sich dieses Problem auf jeden Fall gestellt hätte, auch ganz unabhängig von der neuen Bundeswehrstruktur. Nur eine Freiwilligenarmee hätte zugleich auch die Frage der Wehrgerechtigkeit gelöst. Soweit ich und meine Fraktion sehen, kommt jedoch ein Freiwilligensystem, also eine Berufsarmee, nach übereinstimmender Beurteilung aller politisch relevanten demokratischen Kräfte in diesem Lande nicht in Frage. Eine Entscheidung für dieses Wehrsystem hätte zwar einige Probleme gelöst, darunter auch das der Wehrgerechtigkeit, dafür aber eine Anzahl neuer Schwierigkeiten verursacht. Die allgemeine Wehrpflicht muß also auf absehbare Zeit beibehalten werden. Damit bleibt auch das Problem eines wachsenden Überhangs an jungen Männern, die nicht einberufen werden können, weil die Streitkräfte keinen Bedarf für sie haben.
Es kann nicht Aufgabe der Streitkräfte sein, selbst Wehrgerechtigkeit herzustellen. Das ist vielmehr - ich sage das hier mit allem Ernst - ein gesamtstaatlicher Auftrag. Insofern teilen wir die Auffassung von Minister Leber über seine Kompetenzen in dieser Frage. Andererseits liegt in der Verknüpfung von Problemen der Wehrstruktur und der Wehrgerechtigkeit in der Bundesrepublik das Politikum, auf das uns die Öffentlichkeit auf jeden Fall ansprechen wird. Man kann diese Dinge natürlich verfahrensmäßig voneinander trennen, sie gehören politisch jedoch zusammen. Wir Freien Demokraten wünschen uns, daß die Bundesregierung dies berücksichtigt.
Eine moderne technische Armee wie die Bundeswehr benötigt einen hohen Anteil an länger dienendem Personal. Wehrpflichtige können nur in dem Umfang eingezogen werden, wie dafür ein tatsächlicher Bedarf besteht. Durch die gegenwärtig geltende Regelung mit der Grundwehrdienstzeit von 15 Monaten wird das derzeit verfügbare Potential noch weitgehend ausgeschöpft. Das wird sich aber - das ist allen bekannt, die sich mit diesen Fragen befassen - in Zukunft wesentlich ändern. Die Jahrgangsstärken werden zunehmen. Die Schere zwischen einberufenen und nicht herangezogenen jungen Männern wird sich in den kommenden Jahren weiter öffnen. Dieses Problem bleibt also bestehen und bedarf einer Lösung.
Da sind nach unserer Auffassung zunächst zwei Komplexe zu regeln. Zum einen sind rein quantitative Antworten auf die zahlenmäßige Situation zu geben. Wollen wir tatsächlich Bedarf decken - wenn ja: wie sieht dieser Bedarf aus? -, oder wollen wir hohe Prinzipien erfüllen, gegebenenfalls weit über jeden Bedarf hinaus. Zum anderen haben wir auf Fragen der Kriegsdienstverweigerer zu antworten. Hierzu eine kurze Bemerkung.
Bei der Bildung dieser Koalition haben wir Liberalen uns mit den Sozialdemokraten darauf verständigt, das Prüfungsverfahren für KriegsdienstverweiKrall
gerer abzuschaffen, sobald genügend Plätze vorhanden sind, alle Kriegsdienstverweigerer auch wirklich heranzuziehen. In dieser Richtung hat die Bundesregierung bereits Beachtliches getan. Die heute bekannten Zahlen erlauben die Feststellung, daß bereits alle diejenigen Kriegsdienstverweigerer untergebracht werden könnten, die anerkannt werden und nicht aus gesetzlichen Gründen vom Zivildienst befreit werden. Damit ist ein merklicher Schritt im Hinblick auf eine Abschaffung der Gewissensprüfung getan. Wir müssen uns indessen vor Augen halten, daß es nach Abschaffung des Prüfverfahrens nicht mehr anerkannte und abgelehnte, sondern nur noch selbstbestimmte Kriegsdienstverweigerer geben wird. Das bedeutet ein Anwachsen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer mindestens auf die Höhe der heutigen Zahl der Antragsteller. In dieser Richtung müssen also noch wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden, ehe man die Koalitionsvereinbarung endgültig realisieren kann.
Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß sich die Bundesregierung insgesamt und alle Parteien dieses Hohen Hauses diesen Fragen engagiert stellen müssen. Der Bundesminister der Verteidigung kann allein Wehrgerechtigkeit nicht herstellen; damit wäre er überfordert. Die FDP hat Gedanken entwickelt, die eine allgemeine Bürgerpflicht zum Gegenstand haben. Bereits heute nehmen Zivildienstleistende wichtige Aufgaben für das Gemeinwesen wahr. Es bleibt zu überlegen, ob ein Dienst für die Gemeinschaft jedem jungen Staatsbürger grundsätzlich zur Auflage gemacht werden kann. Wehrdienst wäre dann eine wichtige, aber eine Aufgabe unter vielen anderen sozial oder humanitär wirksamen Diensten. Es wird jedoch noch eingehender Überlegungen bedürfen, ehe hier ein konkreter Vorschlag eingebracht werden kann.
Eines wird man aber heute schon sagen können. Die junge Generation ist unserer Auffassung nach durchaus bereit, einen Dienst für die Gemeinschaft zu leisten, wenn er als richtig und sinnvoll empfunden wird. Diese Bereitschaft zum Engagement wird heute weithin brachliegen lassen. Sie bleibt deshalb ungenutzt, weil kaum Organisationen und Einrichtungen angeboten werden, in denen sich Engagement für die Gemeinschaft entfalten kann.
Dies erscheint uns sicher, meine Damen und Herren - und lassen Sie mich damit schließen -: Eine allgemeine Bürgerpflicht, sollte sie sich als zweckmäßig und praktikabel erweisen, wird an der jungen Generation ganz gewiß nicht scheitern.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Leber.
Leber: Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ihre Nachsicht; ich weiß, das Haus steht in zeitlicher Bedrängnis. Aber ich kann einige Feststellungen, die hier gemacht worden sind, nicht ohne eine Anmerkung von mir bestehen lassen.
Herr Kollege Dr. Wörner hat hier zitierend wiedergegeben, ein dpa-Berichterstatter habe behauptet, ich solle gesagt haben, die NATO halte diese Wehrstrukturvorlage für vorbildlich. Wenn ich dieser Überzeugung wäre - Herr Dr. Wörner, ich hoffe, Sie halten mich für klug genug -, hätte ich das nicht gesagt. Ich nehme an, der betreffende Reporter von dpa muß sich noch einmal Gedanken darüber machen, wer die NATO in diesem Falle überhaupt ist. Das sind nämlich 15 Regierungen.
Ich habe gesagt - und dies wiederhole ich gern
hier, weil es in den Sachzusammenhang gehört -: Wir haben den Versuch gemacht, unsere Wehrstrukturvorlage in einem neuartigen Kontakt mit dem Bündnis zu erarbeiten. Wir sind während unserer Meinungsbildung immer dann, wenn wir an einen schwierigen Punkt kamen, mit wichtigen Vertretern des Bündnisses in Verbindung getreten und haben deren Meinung gehört, so daß das, was wir nach der Kabinettsentscheidung vorlegen werden, für die Instanzen des Bündnisses nicht völlig neu sein wird.
Auf die Frage, welchen Eindruck ich von der Beurteilung durch die betreffenden Herren hätte, habe ich gesagt: Das Urteil wird nach der Konsultation durch das Bündnis gegeben. - Und im übrigen würde ich mich, wenn unsere Wehrstruktur gut wäre, natürlich freuen; ich würde mir das lieber von Brüssel bescheinigen lassen als es hier behaupten. Dies ist der Vorgang.
Dann eine Bemerkung zu etwas, was Sie behauptet haben und wovon Sie vieles abhängig gemacht haben: Sie haben gesagt, mit der neuen Präsenz werde die Präsenz der Bundeswehr verringert. Herr Kollege Dr. Wörner, jetzt muß man natürlich präzise fragen: was ist dann Präsenz? Ich sage einmal vereinfachend: Präsent ist, was vor dem Fallen des ersten Schusses da ist; lassen wir einmal das andere, wie es mit der Vorwarnzeit usw. ist, weg. Was da ist, bevor der erste Schuß, den jemand gegen uns richtet, fällt, ist präsent. Es ist der volle Umfang der in einer Spannungszeit ohne Parlamentsbeschluß aufgefüllt werden kann um abzuwehren.
Sie sagen, wir haben jetzt 495 000 Soldaten, und davon sollen künftig 30 000 gerufen werden. Ja, Herr Kollege Wörner, wann sind denn die 495 000 da? Da frage ich, ohne daß ich die Dinge vereinfachte: Ist es denn schwieriger, jemanden, der vor vier Monaten seinen Wehrdienst geleistet hat und von dem man weiß, wo er jetzt tätig ist, aus einer Entfernung von 60 km zurückzurufen an den Platz, den er kennt - das ist ja alles vorbereitet -, als einen Hauptmann der Reserve oder jemanden, der aktiv Dienst tut, aber in Urlaub ist, über 500 km zu seiner Einheit zurückzuholen? Wenn Sie das einmal miteinander vergleichen, müssen Sie doch sagen, daß auch die ständig diensttuenden Soldaten nicht ständig in ihrer Kaserne sind. Ich will jetzt gar nicht von den Wochenenden reden.
Ich will mir allerdings die Verfügungsbereitschaft auch nicht vermiesen lassen; dies tun Sie nämlich. Die Bundeswehr ist nicht ständig mit 495 000 Soldaten präsent, sondern wir haben ständig diensttuende, ständig Funktionen ausübende Soldaten, die aber
auch nicht ständig anwesend sind, die in einem solchen Spannungsfall qua Urlaubssperre oder Rückruf genauso dabehalten bzw. herbeigeordert werden müssen wie jemand, der der Verfügungsbereitschaft angehört und auf einem Platz, den man genau kennt, seiner Arbeit nachgeht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm? - Bitte!
Herr Minister, bedeutet das, was Sie eben sagen, daß die Verfügungsbereitschaft für diejenigen, die zu ihr gehören, die gesetzliche Verpflichtung beinhalten wird, daß sie sich nicht weiter entfernt als 60 km von ihrem Einberufungsort aufzuhalten haben?
({0})
Herr Kollege Damm, weil ich weiß, daß das in manche Gehirnvorgänge schwierig hineinzubringen ist, wollte ich nur klarmachen, daß jemand, der 60 km von seinem Truppenteil entfernt wohnt, nicht schwieriger herbeizuholen ist als jemand, der der Truppe angehört, meinetwegen Offizier ist und 400 km weiter Urlaub macht, also auch nicht präsent ist. Das wollte ich auseinanderhalten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Herr Bundesminister, ohne das endgültige Ergebnis, das ja nur in der Beratung im Ausschuß gefunden werden kann, vorwegzunehmen, frage ich: Sehen Sie nicht, daß Sie mit dieser Ihrer Behauptung in eine ganz gefährliche Lage kommen? Denn wenn Ihr Argument richtig wäre, dann könnten Sie nicht nur 30 000 Mann heute in Verfügungsbereitschaft schicken, sondern dann werden Sie morgen 60 000 und übermorgen 120 000 Mann in Verfügungsbereitschaft schicken können.
Nein, so ist es nicht, Herr Kollege Wörner. Aber ich bin dankbar, daß Sie die Frage aufwerfen. Wir haben diese 30 000 Mann ja nicht im luftleeren Raum gegriffen, sondern sind mit dieser Zahl in einen Raum hineingestoßen, von dem wir die Überzeugung haben, daß er nicht ständig durch Anwesenheit ausgefüllt werden muß. So gut wie ein ziviler Kraftfahrer mit einem Lkw ohne Beifahrer fährt - nach den europäischen Bestimmungen muß man nämlich erst ab 400 km einen solchen haben -, so gut muß auch ein Kraftfahrer bei der Bundeswehr im Frieden nicht unbedingt einen Beifahrer neben sich sitzen haben, sondern nur im Krieg. Wir brauchen im Frieden nicht so viele Sanitäter, wie wir im Ernstfall nötig haben. Wir brauchen im Frieden nicht so viele Fernmelder, Kabelleger und in Pioniereinheiten dem Territorialheer angehörende Spezialkräfte, wie sie im Ernstfall nötig sind. Wenn wir sie hätten, würden wir damit einen bestimmten Kostenbereich, den
die Bundeswehr hat, durch personelle Aufwendungen auszehren. Diese Belastung wollen wir nicht haben, um im Ernstfall die Ausübung dieser Funktionen für andere Zwecke gewährleisten zu können
Dann noch etwas. Herr Kollege Wörner, Sie tun so, als sei das selbstverständlich und eine Kleinigkeit - ich bin froh, daß das hingenommen wird; Sie zwingen mich aber dazu, das jetzt zu sagen -, Sie tun so, als sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, daß die Bundeswehr immer 495 000 Soldaten gehabt hätte. Wann hatte sie die denn? Sie hat sie in der Zeit, ehe Sozialdemokraten Verteidigungsminister waren, nie gehabt.
({0})
Der höchste Stand, den die Bundeswehr hatte, ehe vor vier Jahren ein Sozialdemokrat auf die Hardthöhe ging, waren 464 500 Mann.
Dann haben wir angefangen, die Präsenz auf den Umfang von 495 000 Mann zu bringen.
({1})
Die Zahl ist nachher erst heraufgebracht worden. Nachher! Ich sage ja: bis ein Sozialdemokrat kam. Diese Politik habe ich fortgesetzt. Wir sind jetzt in der Bundeswehr bei 493 000 Mann.
Ich muß diesen Vorgang jetzt erklären, damit nicht jemand sagt, wir hätten die Bundeswehr wer weiß wie aufgebläht. Er hängt mit dem Übergang der Dienstzeit von 18 auf 15 Monate zusammen. Dies ist für den Übergang nötig, Herr Kollege Wörner. Aber wenn man die Zahl festnagelt, gewinne ich von daher die Legitimation, aus der 495 000 Mann starken Verfügungsbereitschaft 30 000 Mann zu schöpfen, ohne die Bundeswehr, so wie sie immer angelegt war, zu schmälern.
Im Gegenteil! Vergleichen Sie einmal: Die Bundeswehr von Herrn Schröder ist im Verhältnis zu der Bundeswehr, die wir haben werden, eine schlechtere gewesen. Die Bundeswehr, die wir haben werden, wird eine bessere als die von damals sein, schon vom Gesichtspunkt der Zahl und der Präsenz her. - So, jetzt steht es im Protokoll. Jetzt können Sie nicht mehr sagen, das hätten Sie nicht gewußt. Das war ein Grund, weshalb ich hierher gegangen bin.
({2})
- Jawohl!
Und wollen Sie mir vielleicht sagen, daß die fünf Jägerbrigaden unter dem Gesichtspunkt moderner Erfahrungen in der Lage wären, Panzerabwehrfähigkeit zu entwickeln? Ich muß Ihnen das doch sagen, wenn Sie hier behaupten, es würde schlechter und es wäre nicht richtig, wenn ich sage, die Bundeswehr sei fähiger. Ich habe gestern gesagt: Wenn man unter den Panzer kriecht und ihn anschreit, geht er davon nicht kaputt. Mehr hat ja der Jäger in der Jägerbrigade ({3})
- Ich habe ja nie Geschichtsphilosophie betrieben, Herr Wörner; ich will ja eine Bundeswehr für die 80er Jahre machen. Ich wehre mich nur dagegen, daß Sie hier Opposition machen und dabei Faktoren ins Gespräch bringen, von denen Sie wissen, daß sie so eigentlich nicht sein können. Das kann ich nicht durchgehen lassen.
Wie groß war denn eigentlich die Zahl der Brigaden? Wann hatten wir denn jemals 36 Brigaden? Wir werden 36 haben. Wir haben immer weniger gehabt.
({4})
Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Damm. Es wird nicht ein Mann gekadert, nicht ein Mann aus der Verfügungsbereitschaft geschöpft, der mit der Waffe in der Hand gebraucht wird. Es werden nur solche Funktionen aus der Verfügungsbereitschaft geschöpft, die wir im Frieden tatsächlich nicht brauchen.
Wenn Sie recht hätten, Herr Dr. Wörner, mit der Behauptung - ich nehme das ganz ernst -, die Bundeswehr würde schlechter, würde ich diese Vorlage nicht machen. Wenn ich von irgend jemandem dazu gezwungen wäre, sie trotzdem zu machen, würde ich das laut sagen. Wenn ich davon überzeugt bin, daß diese Bundeswehr besser wird, als sie jetzt ist, dann bin ich auch davon überzeugt, daß das im einzelnen zu belegen ist. Dazu werden wir im Ausschuß genügend Gelegenheit haben.
Nun muß ich noch etwas sagen, was von manchen sicherlich hochgezüchtet wird. Sie haben nämlich gesagt: so nicht! Und dann: jetzt nicht! Das habe ich schon einmal in anderem Zusammenhang gehört. Sie haben auch auf MBFR angespielt. Herr Kollege Dr. Wörner, warum haben Sie denn eine neue Wehrstruktur gefordert? Doch wohl, weil Sie auch wissen: Wenn wir sie so lassen und dem Verteidigungshaushalt nicht viele Milliarden pro Jahr mehr zur Eliminierung der strukturellen Schwächen, die zum Wertverlust führen, zusätzlich geben können, wird sie eben an dieser Auszehrung und Schwindsucht leiden.
({5})
- Ich sage Ihnen, wenn wir nicht mehr Geld zur Ausfüllung der strukturellen Schwächen im Verteidigungshaushalt zur Verfügung stellen, wird sie buchstäblich schwächer. Das ist doch ganz logisch.
({6})
- Das ist wirklich unsachlich. Ich frage Herrn Dr. Wörner, warum er für eine neue Wehrstruktur sei, doch deswegen, weil er das auch genau weiß. Wenn er nun weiß, daß die Struktur so bleibt - wir können sie nicht durch Geld ablösen, Okasa geben, wo man eigentlich operieren müßte; dafür haben wir das Geld nicht! -, müßte er doch auch wissen, daß MBFR vermutlich Jahre dauert. Wenn nun MBFR in fünf bis sechs Jahren nicht zu Ende ist, dann wird die Bundeswehr bis dahin eben ausgezehrter sein
als heute. Deshalb müssen wir ohne Rücksicht auf das, was vor uns liegt, strukturelle Veränderungen vornehmen, damit wir am Ende von MBFR nicht mit Pfeil und Bogen dastehen.
Deshalb jetzt, gerade am Anfang von MBFR, auch die neue Wehrstruktur. Denn eine Bundeswehr, die dann schlechter geworden wäre, angesichts eines MBFR-Ergebnisses wieder zu einer modernen Armee umzurüsten wäre wahrscheinlich viel schwieriger, als Sie sich das vielleicht zumuten würden zuzugeben.
Ich habe gesagt, mit der neuen Struktur wird die Bundeswehr besser, obwohl 30 000 Männer aus der Verfügungsbereitschaft für den Ernstfall geholt werden. Ich habe nicht gesagt, mit 30 000 weniger geht das noch besser. Das muß man im Gesamtzusammenhang sehen. Das wollte ich heute abend doch noch gerne richtiggestellt haben.
({7})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe damit die Aussprache über die Regierungserklärung zur Bundeswehrstruktur.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses ({0}) zu dem Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 7/334, 7/1208 Berichterstatter: Abgeordneter Rommerskirchen
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Alle drei Fraktionen des Hauses haben den Antrag gestellt, daß der Wehrbeauftragte das Wort nimmt. Das Wort hat der Wehrbeauftragte Schultz.
Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 1972 wird in diesem Hohen Hause zu einer Zeit diskutiert, in der sich mein Amt mit der Vorbereitung des Berichtes für das Jahr 1973 beschäftigt. Ich möchte daher auf die Darstellung der Schwerpunkte des vorliegenden Berichts auch deswegen verzichten, um das Haus nicht aufzuhalten, und mich nur auf einige Bemerkungen zu dem Bericht des Herrn Abgeordneten Rommerskirchen beschränken.
Zunächst zur Veröffentlichung des Jahresberichts. Ohne jeden Zweifel haben die Abgeordneten dieses Hohen Hauses das erste Anrecht auf Unterrichtung über den Inhalt des Jahresberichts. Natürlich möchte auch der Bundesminister der Verteidigung - und dabei denke ich auch an die Truppe - umfassend und schnell wissen, was vom Wehrbeauftragten gesagt worden ist, weil der Verteidigungsminister und die Vorgesetzten aller Ebenen auf den Bericht angesprochen werden, sowie er durch Presse, Rundfunk
Wehrbeauftragter Schultz
oder Fernsehen im wahrsten Sinne des Wortes öffentlich geworden ist. Damit ist der dritte Partner genannt, der schnell bedient werden will.
Nachdem es jedes Jahr zu Unzuträglichkeiten gekommen war, meist, weil die Sperrfrist nicht uneingeschränkt eingehalten wurde, hatte ich in diesem Jahr nach Übergabe eines Exemplars an die Frau Präsidentin die Drucklegung sowohl der Bundestagsdrucksache wie auch der Broschüre „Zur Sache 72 - Die Bundeswehr in Staat und Gesellschaft" eingeleitet und unmittelbar nach Fertigstellung der gedruckten Exemplare den Jahresbericht zu gleicher Zeit den Abgeordneten, dem Bundesminister der Verteidigung und der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben. Dadurch sollte insbesondere die Frist des Eingangs einer ausreichenden Anzahl von Exemplaren bei der Truppe verkürzt werden. Durch eine nicht von mir zu vertretende Panne - die nicht mit einem Sperrfristvermerk versehene Bundestagsdrucksache wurde zu früh in die Fächer gelegt - kam es zu einer vorzeitigen Presseveröffentlichung.
Es ist selbstverständlich, daß 1974 für den Bericht über das Jahr 1973 nach der Weisung der Drucksache 7/1208 verfahren wird. Neben der Prau Präsidentin werden der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, die Obleute der Fraktionen und der Bundesminister der Verteidigung vom Wortlaut des Jahresberichts 1973 in ausreichendem zeitlichen Abstand vor der Veröffentlichung unterrichtet. Ich hoffe nur, daß die nächste Panne nicht schon um die Ecke lauert. Unterstreichen möchte ich aber doch noch, daß der Jahresbericht 1972 dem Bundesminister der Verteidigung nicht später zur Verfügung stand als den Abgeordneten dieses Hohen Hauses.
Nun zu den Bemerkungen des Herrn Berichterstatters, die den Inhalt und die Art der Darstellung in den Jahresberichten des Wehrbeauftragten betreffen. Hier möchte ich ganz generell sagen, daß in § 2 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten die Aufgaben des Wehrbeauftragten umrissen sind, den Schutz der Grundrechte zu sichern und darüber zu wachen, daß die Grundsätze der Inneren Führung beachtet werden. Es ist dann im einzelnen ausgeführt, zum Teil in weiteren Paragraphen, wann und wie der Wehrbeauftragte tätig werden soll und kann. Schließlich sagt der Gesetzgeber im gleichen Paragraphen, daß der Wehrbeauftragte über seine Tätigkeit dem Parlament nach Schluß des Kalenderjahres einen Gesamtbericht zu erstatten hat.
Nachdem die Institution des Wehrbeauftragten den Charakter des Hilfsorgans des Parlaments für die parlamentarische Kontrolle über die Streitkräfte hat, wie auch der Herr Berichterstatter hervorgehoben hat, sehe ich meine Aufgabe darin, dem Parlament im Rahmen meiner Zuständigkeit Entwicklungen, Tendenzen, Erfahrungen im Bereich der Streitkräfte für den ganzen Berichtszeitraum darzulegen. Neben die aus der Kontrolltätigkeit erkennbaren negativen Erscheinungen werden auch die positiven Aspekte gestellt, um dem Adressaten meines Berichts, nämlich diesem Hohen Haus, ein einigermaßen ausgewogenes und zutreffendes Bild der Situation in den Streitkräften vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung in der Gesellschaft zu zeichnen. Ich folge hier den Spuren meines Vorgängers - im übrigen bisher unbestritten -, der sich auch nicht auf eine bloße Fallsammlung beschränkte, sondern in allgemeiner und breit angelegter Berichterstattung Hilfen für zeitgemäße Menschenführung und die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft geben wollte.
Dieses Bemühen muß meines Erachtens auch solche Vorgänge umfassen, die schon abgeschlossen und damit auch positiv oder negativ geklärt sind. Dabei darf man sicher nicht übersehen, daß von diesen Meinungsäußerungen auch eine Präventivwirkung ausgehen soll, die Fehlverhalten vermindert und positive Ansätze ermutigt. Zudem sind die meisten Fragen, über die ich ausführlich berichtete, im Rahmen der ständigen Entwicklung der Dinge als Gesamterscheinungen nur selten als abgeschlossen anzusehen, sondern haben meist nur ihre vorläufige Erledigung für den Einzelfall gefunden. Selbst dort, wo der Gesetzgeber erst im Vorjahr gesprochen hat - ich denke hier z. B. an die wehrpflichtigen Sanitätsoffiziere, die mit dem § 12 a des Unterhaltssicherungsgesetzes nicht zufrieden sind und das in Eingaben kundtun -, müssen Ihnen, meine Damen und Herren, diese Fakten doch zur eigenen Urteilsbildung zur Kenntnis gebracht werden. Mit Sicherheit werden bei der Verwirklichung einer neuen Wehrstruktur auch Probleme auf dem Personalsektor wieder auftauchen, die bisher als erledigt oder überholt angesehen wurden.
Im einzelnen hat nun der Herr Berichterstatter gemeint, der Wehrbeauftragte solle auf die Darlegung von problematischen Sachverhalten und Einzelfällen verzichten, die ausschließlich auf Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Dienststellen des Wehrbeauftragten und denen des Bundesministers der Verteidigung beruhen und zum Zeitpunkt der Abfassung des Jahresberichtes bereits als geklärt festzustellen seien.
Ich kenne keine Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und mir. Die Kommunikation ist im Gegenteil recht gut. Ich weiß lediglich von unterschiedlichen Auffassungen in der Sache. Und es kann sogar so sein, daß im Haus des Bundesministers der Verteidigung die Auffassung des Wehrbeauftragten bis zu irgendeiner bestimmten Etage geteilt wird, sich aber schließlich doch eine andere Meinung als Meinung des Hauses durchsetzt.
Ich halte es für meine Pflicht als Hilfsorgan des Bundestages, das Parlament über die Meinungsverschiedenheiten zu unterrichten. Denn nur dann hat das Parlament Gelegenheit zur Stellungnahme, und es kann und sollte im Rahmen der Gewaltenteilung Einfluß nehmen. Dabei kann man problematische Sachverhalte wohl nicht ausklammern; denn Probleme sollen ja eigentlich gelöst werden, auch wenn es nur um einen Kompromiß geht, der dann halt Zeit erfordert.
Dem Herrn Brichterstatter geht es aber, wenn ich es recht verstanden habe, darum, daß der Wehrbeauftragte nicht an einem Negativbild der Bundeswehr strickt, das seine unerwünschten Auswirkungen auf Nachwuchswerbung und Sozialprestige der
Wehrbeauftragter Schultz
Streitkräfte hat. Ich verstehe diese Sorge durchaus und bewerte den Verfassungsauftrag, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen, nicht geringer als den Verfassungs- und Gesetzesauftrag für den Wehrbeauftragten, für die Rechte des Individuums einzutreten.
Nur meine ich, daß das Schweigen über dieses oder jenes, was nicht in Ordnung ist oder was besser gemacht werden könnte, der kritischen Öffentlichkeit eher Anlaß zu der Kritik gibt, daß der Wehrbeauftragte seine Wächterfunktion nicht recht wahrnehme. Das ist ein Vorwurf, der dann auch auf das Parlament zurückfällt. Besser ist vielleicht ein deutliches Wort, das diesem oder jenem weh tut.
Ich teile nicht die Auffassung, daß nur der Jahresbericht des Wehrbeauftragten die Öffentlichkeit erreichen kann. Wir leben doch glücklicherweise in einer offenen Gesellschaft, in der auch dem Bundesminister der Verteidigung völlig freigestellt ist, in welcher Form er auf den Jahresbericht des Wehrbeauftragten reagiert.
Meine Damen und Herren, wir fordern immer Durchsichtigkeit der Entscheidungen, Verständlichmachen auch komplizierter Vorgänge. Ich glaube, unsere Mitbürger sind viel aufnahmefähiger, als man ihnen zuzumuten wagt. Vor der Lösung eines Problems steht die Diskussion, und es gibt viele, die - ob sachverständig oder nicht - an dem Finden einer Entscheidung teilnehmen wollen. Ich meine, dem sollten wir Rechnung tragen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Rommerskirchen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! Lassen Sie mich zunächst ein einziges Wort zu den Ausführungen des Herrn Wehrbeauftragten sagen. Ich glaube, wir müssen darüber im Verteidigungsausschuß noch einmal sprechen.
Von mir ist auch im Bericht nicht gefordert worden, daß kritische Vorgänge in der Bundeswehr zukünftig nicht mehr vorgebracht werden sollen, wenn sie etwa durch die Kommunikation tatsächlich geklärt sind. Von mir ist nur das gemeint gewesen, was sowohl im Bericht des Wehrbeauftragten selbst als auch in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung als leicht zu klären im formalen Sinne hingestellt worden ist.
Wenn z. B. im Wehrbeauftragtenbericht, um ein einziges Beispiel zu nennen, gesagt wurde: „Durch Anfragen von Journalisten erhielt ich zufällig davon Kenntnis, wann die Herausgabe der neuen ZDV 10/1 zu erwarten war", sind wir der Auffassung, daß solche Schwierigkeiten möglichst nicht in den Bericht aufgenommen werden sollten, weil dann genau ein falscher Eindruck im Hinblick auf die Zusammenarbeit oder das Miteinander von
Wehrbeauftragtem und Bundesminister der Verteidigung entstehen könnte. Es ist mir sehr wohl bekannt, daß das Miteinander in Ordnung ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der heute zu verabschiedende Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten ist nach unserer Auffassung ein eindrucksvoller und überzeugender Beweis dafür, wie unverzichtbar das Hilfsorgan des Bundestages zur Wahrnehmung unserer Kontrolle ist. Gerade seitens der Opposition begrüßen wir das ungeschminkte Röntgenbild vom inneren Zustand der Streitkräfte, weil es nun einmal so zu sein scheint, daß kritische Anmerkungen nicht gleichermaßen bewertet werden, wenn zwei dasselbe sagen. Jedenfalls bestätigt der Bericht des Wehrbeauftragten die Berechtigung unserer Kritik an zahlreichen Mangelerscheinungen im Hinblick auf eine glaubwürdige Verteidigungsbereitschaft unseres Volkes und eine überzeugende Verteidigungsfähigkeit seiner Bundeswehr. Das wird sicherlich auch heute nachträglich nicht bestritten.
Aber ebenso eindeutig weisen weder der nun vorliegende noch frühere Zustandsberichte des jetzigen Wehrbeauftragten die Berechtigung der schweren Anschuldigungen aus, die Herr Kollege Horn nicht nur gegen Einzelpersönlichkeiten, sondern gegen ganze Gruppen der Bundeswehr erhoben hat, indem er ihre Verfassungstreue und ihre demokratische Einstellung in Zweifel zog.
({0})
Dieser spektakuläre Vorgang, der bis weit ins Ausland hinein Aufsehen erregte, wie ich erst vor zwei Wochen selber feststellen konnte, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem heutigen Beratungsthema. Denn es muß doch, Herr Wehrbeauftragter, die Feststellung erlaubt sein, daß Sie eine schwerwiegende Unterlassung der notwendigen Information begangen hätten, wenn das, was Herr Kollege Horn behauptet hat, zutreffend wäre.
({1})
Sie hätten uns sogar falsch informiert, denn Sie haben zu wiederholten Malen in Ihren Jahresberichten genau das Gegenteil von dem festgehalten, was Herr Kollege Horn feststellen zu müssen glaubte.
({2})
Seitens der CDU/CSU-Fraktion haben wir mit Bedauern festzustellen, daß hinsichtlich der angegriffenen Persönlichkeiten noch keine ausreichende Wiedergutmachung erfolgt ist. Die allgemeinen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers und Ides Herrn Verteidigungsministers haben weder die konkrete Verleumdung und Ehrabschneidung namentlich Genannter noch das geschürte Mißtrauen gegenüber ihnen Nahegestandenen aus der Welt geschafft. Wer hellhörig zumal in die Bundeswehr, aber auch in die gesamte Öffentlichkeit hineinhorcht, wird diese Feststellung bestätigt finden.
({3})
Der Fragesteller gibt es unzählige. Ich fürchte, daß
die leider weithin vorhandene Unsicherheit inner4000
halb der Bundeswehr infolge der häufig überzogenen Kritik an Vorgängen dadurch vergrößert worden ist, daß an Stelle eindeutiger Erklärungen nur verklausulierte gegeben worden sind.
Es muß einfach gelten, daß auch der höchste Offizier ein Recht auf die Fürsorge seines Dienstherrn hat. Sie darf nicht mit dem Ausscheiden enden, wenn Belange des zuvor geleisteten Dienstes betroffen sind.
({4})
Wenn von Herrn Horn behauptet wurde, daß Generäle wenigstens in Gedanken mit Verfassungsbruch spielten und diese Generäle - alles wörtlich zitiert - die heutige mittlere Offiziersgeneration ausgebildet und in ihrem Geist geprägt hätten - das ist die Generation, die auch im Augenblick dort vorn auf der Regierungsbank sitzt -, dann ist diese Verdächtigung einer ganzen Personengruppe innerhalb der Bundeswehr einschließlich der heutigen militärisch Höchstverantwortlichen durch ein Mitglied des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages ein Vorgang von folgenschwerer Tragweite, wenn er nicht voll geklärt wird.
({5})
Darum meinen wir, daß die bisherigen allzu allgemeinen Stellungnahmen unbefriedigend sind. Herr Staatssekretär, sagen Sie es bitte Idem Herrn Bundesminister der Verteidigung: Wir haben erwartet und erwarten weiterhin, daß die Beleidigten, da sie namentlich genannt wurden, auch namentlich in Schutz genommen werden.
({6})
Was Herrn Horns pauschalsten Vorwurf angeht, daß es in der Bundeswehr neben vielen überzeugten Demokraten zugleich auch viele Menschen gibt, die zweifellos ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie und zu unserer Verfassung haben,
({7})
so ist diese meines Erachtens unverantwortliche Behauptung erfreulicherweise von der politischen Führung der Bundeswehr klar zurückgewiesen worden. Aber ich möchte Herrn Kollegen Horn und neben ihm so manchem in Betracht kommenden Kollen seiner Fraktion nun doch dringend nahelegen - etwa in Ihrem Lande Hessen ebenso wie überall sonst -, gegenüber den extremen Kräften, die den öffentlichen Dienst und nicht zuletzt die Schulen als Tummelplatz für ihre Vorstellungen und Forderungen nach Ablösung unserer freiheitlich-demokratischen Grund- und Rechtsordnung zu mißbrauchen gewillt sind, höchst wachsam zu sein.
({8})
Ich 'hoffe, daß Sie sich selbst, Herr Kollege Horn,
nicht den Vorwurf doppelter Moral zuziehen wollen.
Herr Kollege Rommerskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Aber gern.
Sind Sie mit mir der Meinung, daß man gegenüber denjenigen wachsam sein müßte, die der Armee in einer Patt-Situation in der Demokratie die Schiedsrichterrolle zubilligen?
({0})
Ich glaube, Sie müssen Ihre Frage konkretisieren, damit man sie entsprechend beantwortet; sie ist mir zu verklausuliert.
Ich will Ihnen das gerne erklären. Sie haben die Diskussion inzwischen ausgeweitet, sind über die Bundeswehr hinausgegangen
({0})
und nannten ein Bundesland. Sie haben also eine allgemeine Situation angesprochen. Sie haben die Diskussion in der Gesellschaft erwähnt.
({1})
- Nein, ich muß eine Interpretation abgeben, weil bei Ihnen offenbar nur ein Teil der Diskussion verfolgt wurde. - Darauf gründet meine Frage.
Ich habe Herrn Horn empfohlen, die Wachsamkeit, die er in der Bundeswehr glaubte zur Geltung bringen zu sollen, indem er so schwere, unberechtigte Vorwürfe erhob, auch gegenüber denen gelten zu lassen, die unsere Kinder erziehen; das ist mindestens so bedeutsam wie gegenüber denen, die in der Bundeswehr Führungsaufgaben wahrnehmen.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Wenn Sie das unbedingt wünschen, bitte sehr!
({0})
Darf ich Ihnen dann auch empfehlen, gegenüber denjenigen Kollegen Ihrer Partei und Fraktion Aufmerksamkeit zu üben, die der Auffassung sind, daß das Eingreifen des Militärs in Chile, in einer Demokratie, der einzige Ausweg gewesen sei? Darf ich Ihnen das auch empfehlen?
({0})
- Ich meine Herrn Heck.
Dieser Ausspruch ist polemisches Exzerpt. Ich weiß genau, in welchem Sinne Sie es meinen, aber so ist er nicht gemacht
worden. Ich glaube, es hat keinen Sinn, daß wir hier mit solchen Exzerpten Polemik betreiben.
({0})
Darf ich Sie bitten, dann die Korrektur, die Herr Heck angeführt hat, nachzulesen. Er hat lediglich die Aussage - ich will sie jetzt nicht bewerten, weil er sie zurückgenommen hat -, in der er die Situation im Stadion ausgemalt hat, zurückgenommen - und sonst überhaupt nichts.
Ich denke, wir wollen hier keine Chile-Diskussion führen. In dem ganzen Zusammenhang kann ich nur eines empfehlen: Ich glaube, wir alle tun, wenn wir die Situation dort betrachten, gut daran, immer Ursache und Wirkung miteinander zu verbinden; das dient der objektiven Betrachtung.
({0})
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war bei dem Thema Bundeswehr und Schule, dem auch der Wehrbeauftragte sein besonderes Augenmerk widmet. Seine diesbezüglichen kritischen Anmerkungen zur derzeitigen Situation und seine konstruktiven Überlegungen zur Besserung der Lage werden hoffentlich in den Kultusministerien der Länder mit gebührender Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen.
Die vorgesehene Arbeitsgruppe von Beauftragten der Kultusminister und Vertretern des Bundesministeriums der Verteidigung sollte so schnell und so konstruktiv wie möglich tätig werden, um den derzeitig, ich meine, von uns allen zu beklagenden unbefriedigenden Zustand überwinden zu helfen.
Ganz zweifellos gehört es doch zum Bildungsauftrag der Schule, die in die volle staatsbürgerliche Mitverantwortung hineinwachsende junge Generation auch zur sachgerechten Reflexion des Zusammenhangs von erstrebter und bedrohter Freiheit anzuleiten und zu befähigen. Darum geht es im Grunde, um nicht mehr und nicht weniger. Beklagenswerte aktuelle Ereignisse liefern leider den Nachweis dieser dringenden Notwendigkeit, denn auch der vierte Nahostkrieg verdeutlicht wieder, wie immer noch Gewalt als Mittel der Politik angewandt wird. Dies wird nicht zuletzt von Machthabern ermöglicht, die wie die Sowjetunion immerzu von der Notwendigkeit eines Gewaltverzichts als, entscheidender Entspannungs- und Friedensvoraussetzung sprechen.
Für den Bereich der politischen Bildung stellt der Wehrbeauftragte zu Recht fest, daß die Vermittlung von Sachwissen nicht durch Indoktrination ersetzt werden darf. Die Diskussion über die Rahmenrichtlinien für die politische Bildung in sozialdemokratisch regierten Bundesländern weist aus, welch unerträgliche Ansätze zur geistigen Manipulation bereits zu verzeichnen sind.
({1})
- Seien Sie ganz unbesorgt!
Leider hat auch der Bundesminister der Verteidigung im Zusammenwirken mit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung einen ersten Beitrag dazu geleistet. Es ist nämlich zu befürchten, daß mit dem Buch „Verteidigung + Entspannung = Sicherheit", das in Zusammenarbeit von Bundesministerium der Verteidigung und Presse- und Informationsamt mit ganz erheblichem finanziellen Aufwand gefördert und den Schulen in der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt wurde, dem gemeinsamen Anliegen ein Bärendienst erwiesen wird. Den Lehrern ist nämlich die schwierige Aufgabe überantwortet, die parteipolitische Schlagseite bzw. die politische Tendenz des ihm zur Verfügung gestellten Lehrmaterials zu eliminieren. In diesem Zusammenhang muß ich sagen, daß sich unsere Kritik nicht gegen den Autor richtet. Sein selbstverständliches Recht zur Parteinahme steht nicht zur Debatte. Was wir monieren müssen, ist die Mißachtung des Kriteriums sachlicher Objektivität und politischer Ausgewogenheit bei der Auswahl und Förderung von Unterrichtshilfen für Pflichtschulen durch staatliche Stellen. Darum und allein darum geht es. Die Mitteilung, die ich nach Kennzeichnung von 21 gravierenden Beanstandungen namens meiner Fraktion vom Bundesministerium der Verteidigung erhielt, daß für den Fall einer weiteren Auflage die Überarbeitung des Buches vorgesehen sei, ist zwar erfreulich, sie bestätigt aber zugleich die Berechtigung des Einwands gegen ein solches Verfahren.
Herr Kollege Horn hat den Jugendoffizieren der Bundeswehr sicherlich ihre sowieso schon schwierige Aufgabe innerhalb der äußerst kritischen jungen Generation nicht erleichtert, wenn er glaubte feststellen zu sollen, die Bundeswehr habe ein ideologisch fixiertes Feindbild. Es ist sehr zu begrüßen, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Kollege Berkhan, auf unsere Anfrage nach der Berechtigung dieser Behauptung dies eindeutig verneinte. Die Wahrnehmung der Möglichkeit zur Einsicht in alle Erziehungs-, Bildungs- und Führungsgrundlagen der Bundeswehr vermittelt zweifellos einen anderen Eindruck, und den hätten Sie sich sicherlich auch selbst beschaffen können, Herr Kollege Horn.
Da Ihr Vorwurf aber gedanklich mit der Feststellung verbunden ist, unter den Soldaten sei eine gefährliche Ignoranz gegenüber den Vorgängen der Entspannungspolitik zu verzeichnen, muß meines Erachtens auch dazu ein Wort gesagt werden. Den Bürgern unseres Landes, die sich der harten Pflicht des Wehrdienstes zur Verhinderung von Kriegsdienst einsichtsvoll unterziehen, kann doch, so meine ich, nicht verargt werden, daß sie besonders kritisch die Fortschritte der Entspannungs- und Friedenspolitik prüfen. Wer will es ihnen verübeln, wenn sie die Wahrheit hören wollen auf die Frage, ob die Möglichkeiten der militärischen Gewaltanwendung, zumal innerhalb Europas, ab- oder zunehmen. Wenn sie angesichts des ständig wachsenden Machtpotentials des Warschauer Pakts ihre Sorge äußern, ist das doch zweifellos nicht die Folge einer Feindbildfixierung unsererseits. Es ist vielmehr die konsequente Reaktion auf die andere Tatsache, daß nämlich parallel zur verstärkten Aufrüstung im
kommunistischen Machtbereich die ideologische Beeinflussung im Sinne der Haßerziehung in jüngster Zeit verschärft wurde,
({2})
in jüngster Zeit, nach Abschluß des Grundvertrages und nicht vorher.
({3})
Die Akzentuierung des Kapitels - - Sie fragen, wo das steht. Ich sage es Ihnen gerade. Das können Sie nachlesen. Sie müssen sich nur etwa das „Neue Deutschland" vom 16. Oktober dieses Jahres einmal zu Gemüte führen mit der großen -({4})
- Nein, Sie waren es nicht, Herr Kollege Horn. Ich habe Sie ja gar nicht genannt. Es wurde hinter Ihnen genau dieser Zuruf gemacht. Fühlen Sie sich doch nicht immer angesprochen. Sie haben schon Unheil genug angerichtet.
({5})
Die Akzentuierung des Kapitels „Erziehung zum Haß" im Ausbildungsprogramm der Nationalen Volksarmee, aggressiv begründet durch Armeegeneral Hoffmann, die Verbindlichmachung auch für die vormilitärische Erziehung der gesamten Jugend in der DDR durch Parteisekretär Honecker, die Nennung der Bundesrepublik und der Bundeswehr als besondere Zielgruppe der Haßerziehung - ich sage noch einmal: und das alles nach Inkrafttreten des Grundvertrages - fordert doch geradezu die Frage heraus, was das alles eigentlich mit Entspannungswillen zu tun hat.
Wenn es geboten ist, zumal den jungen Bürgern unseres Landes den Geist der Freiheit zu vermitteln, der sich gegen jedwede Vergewaltigung der Freiheit des Gewissens, der Person und der Gemeinschaft zur Wehr setzt, dann darf das redliche Mühen um den Schutz unseres freiheitlichen Lebensraumes bis 1969 nicht als Periode des kalten Krieges diskreditiert werden, wie es etwa in dem von mir erwähnten Buch „Verteidigung und Entspannung gleich Sicherheit" und auch im Duktus Ihres Artikels, Herr Kollege Horn, geschieht.
({6})
Wer auch immer das geschichtsverfälschend tut, degradiert sich selbst zum Handlanger der kommunistischen Propaganda,
({7})
die von friedlicher Koexistenz um so lauter redet, je unversöhnlicher sie Feindbilder fixiert und zum Haß gegen alle verpflichtet, die sich dem Totalitarismus nicht unterwerfen wollen.
({8})
- Unbesorgt! Ich glaube nicht, daß das so ist - dank der NATO, die wir entscheidend mitverantwortet haben.
({9})
Der Wehrbeauftragte stellt in seinem Jahresbericht fest, daß in der zivilen Gesellschaft in zunehmendem Maße die Frage gestellt wird, ob Streitkräfte überhaupt und, wenn ja, in der vorhandenen Größenordnung und unter Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht noch notwendig wären. Ich meine, es muß die Angehörigen der Bundeswehr doch verärgern, wenn es ihnen allzuoft zugemutet wird, den Nachweis ihrer Existenzberechtigung selber zu erbringen. Wenn gerade aus den Reihen der Regierungsparteien immer häufiger die Reduzierung unserer Verteidigungsanstrengungen empfohlen und auch gefordert wird, dann erwartet zumal der Soldat zu Recht, daß die Regierung, die ihn unmittelbar in die Pflicht nimmt, selbst überzeugend begründet, warum sie am gegebenen Auftrag festhält und daß Forderungen solcher Art wenig Sinn für Realpolitik erkennen lassen. Daß der Bundesminister der Verteidigung selbst - ich muß das zu meinem Bedauern sagen -, nachdem er sich durch eine nüchterne Lagebeurteilung den Zorn eines Teiles seiner Fraktion zugezogen hat, durch eine spätere Erklärung zumindest den Eindruck erweckte, als sei es doch nicht ganz so ernst gemeint gewesen, hat wiederum - auch innerhalb der Bundeswehr - mehr irritiert als geklärt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hier im Bundestag dürfen meines Erachtens den konkreten Hinweis des Wehrbeauftragten nicht ignorieren, daß linksextreme Gruppen nicht nur auf die Wehrpflichtigen zum Zwecke der Dienstverweigerung einwirken, sondern auch zunehmend innerhalb der Bundeswehr Einfluß zu gewinnen suchen. So setzen sie nach der Darstellung des Wehrbeauftragten die Aktivisten zielbewußt auf die Position des Vertrauensmannes und des ehrenamtlichen Richters an Truppendienstgerichten an. Es ist, so meine ich, wohl die Überlegung geboten, ob der Radikalenbeschluß nicht sinngemäß auch auf diesen Bereich angewandt werden muß. Jedenfalls sollte dieser öffentliche Dienstbereich mindestens so sorgsam vor Subversion geschützt werden wie die anderen. Auf keinen Fall aber darf die Aufgabe, den positiven Einsatz für die in der Verfassung normierte Grundordnung zu garantieren, den Angehörigen der Truppe und Bundeswehrverwaltung allein überantwortet werden. Der Wehrbeauftragte stellt wörtlich fest, daß seines Erachtens die rechtlichen Möglichkeiten einer streitbaren Demokratie nicht ausreichend genutzt werden, um den Angriffen der erklärten Gegner der Verfassung und freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu begegnen.
({10})
Der politische Wille, sofern wir ihn haben, die Mißachtung der Rechtsgrundlagen nirgends zu dulden, muß endlich auch die Ahndung der Verleitung zu unrechtmäßigem Handeln im Zusammenhang mit der Wehrdiensttauglichkeit einschließen. Ich meine, daß denjenigen, die keine Achtung vor wahrer Gewissensfreiheit haben, indem sie den personalen Bezug des Rechts auf Wehrdienstverweigerung mißachten und aus politischen Gründen zu unwahrhaftigem Verhalten auffordern und drängen, wenigstens immerzu vorgehalten werden muß, daß geRommerskirchen
rade die Systeme, die sie gleichzeitig propagieren, ihnen solches Tun kompromißlos verwehren würden. Aber ich denke, unsere Wehrpflichtleistenden beschämen sie im Grunde zutiefst; denn sie sind es, die ihnen ihre Handlungsfreiheit ermöglichen.
({11})
Beklagenswert ist, daß nicht wenige Bürger unseres Staates kein positives Verhältnis zu ihren Mitbürgern in Uniform zu gewinnen vermögen. Dabei sind es letztere, die unmittelbar im Dienst für den Frieden stehen, von dem wir alle profitieren. Allerdings ist sicherlich nicht zu bestreiten, daß das Vertrauensverhältnis zwischen der Bevölkerung und der Bundeswehr eine Sache auf Gegenseitigkeit ist. Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten werden zum Disziplinproblem bedeutsame Feststellungen getroffen. Im Grunde sollte sich jeder Soldat klarmachen, daß seine Wertung und sein Ansehen auch wesentlich von dem Bild abhängen, das die Truppe als überzeugende Leistungsgemeinschaft und der einzelne in seinem Auftreten und Verhalten vermitteln. Der Wehrbeauftragte glaubte im Zusammenhang damit - ich unterstreiche das sehr - den militärischen Vorgesetzten einen Rat erteilen zu müssen, über den sich niemand ärgern sollte, den vielmehr alle immerzu bedenken sollten, indem er - wiederum wörtlich - sagte:
Ich weise erneut darauf hin, daß die Truppe für ihren täglichen Dienst Befehle braucht, die in einer klaren Sprache gefaßt sind und Vorgesetzten und Untergebenen die Ausführung unzweideutig ermöglichen.
Es ist nur zu wünschen, daß die stärker herausgehobene Stellung und Bedeutung des Vertrauensmannes gerade in dieser Hinsicht voll zum Tragen gebracht wird. Ihre Mitarbeit sollte im Interesse der Festigung des inneren Gefüges der Streitkräfte von allen Verantwortlichen gesucht, ermöglicht und entfaltet werden.
Der Wehrbeauftragte hat auch im diesjährigen Bericht die entscheidende Bedeutung ausgewiesen, die den Grundsätzen der Inneren Führung für den Geist der Streitkräfte zukommt. Herr Staatssekretär, um so bedauerlicher ist es - wie es auch der Wehrbeauftragte beklagt -, daß Einrichtungen wie die Schule der Inneren Führung in ihrer bislang so erfolgreichen Wirksamkeit leider ungebührlich beschnitten worden sind. Ich möchte empfehlen, daß noch einmal genau überprüft wird, ob bei der Neuordnung des Ausbildungswesens diesem entscheidenden Zweig zeitgemäßer Menschenführung in Theorie und Praxis der gebührende Stellenwert eingeräumt worden ist.
Zum Thema Ausbildung insgesamt möchte ich nur dies sagen - und dabei denke ich an Feststellungen, die ich erst vor etwa 10 Tagen in einer benachbarten Garnison bei einem Tagesbesuch machen konnte -: Die Verkürzung der Wehrpflicht von 18 auf 15 Monate, die sich auch in Form entsprechender Straffung in allen Schulbereichen auswirkt, hat mindestens mancherorts eine geradezu unverantwortliche Überforderung der Ausbilder zur Folge.
({12})
Hier muß dringend Abhilfe geschaffen werden, und zwar entweder durch Verbesserung der Personal- und Infrastruktur oder durch Aufgabenreduzierung. Die Zumutung, eine auch mit bestem Willen unlösbare Aufgabe zu meistern und sich insofern das ständige Scheitern eingestehen zu müssen, führt auf die Dauer, wie es dort vorhanden ist, zu quälender Unzufriedenheit und Mißstimmung. Schon im Vorgriff auf die neue Wehrstruktur sollten gerade in dieser Hinsicht offenbare, erkennbare und auch mitgeteilte Mängel abgestellt werden.
Ich möchte mir einen Appell an uns selbst gestatten. Um unserem Mandat nachzukommen, das wesentlich die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung einschließt, sollten wir uns die diesbezüglichen Möglichkeiten nicht selbst einschränken. Zur Wahrnehmung der Kontrolle gehört höchstmöglicher Informationsstand; wenn er unter „geheim" gegeben werden muß, wie das im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich naturgemäß oft der Fall ist, dann ist diese Information wahrscheinlich die wichtigste. Wenn Sicherheitsbestimmungen also die Information einschränken, weil diesbezügliche formale Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nämlich die Sicherheitsüberprüfung, die nun einmal dazu erforderlich ist, dann ist das schlecht für die Sache.
({13})
Ja, warum soll das nicht kommen, Herr Schlaga? Unterziehen Sie sich freiwillig dieser Sicherheitsüberprüfung, und dann braucht das nicht mehr gesagt zu werden.
({14})
Ich habe jedenfalls kein Verständnis dafür, daß Mitglieder des Verteidigungsausschusses, der naturgemäß - das sagte ich - wie kein anderer mit Sachverhalten zu tun hat, die um ihrer Effektivität willen das Sicherheitsrisiko weitestgehend ausschließen müssen, es ablehnen, sich einer rechtlich geordneten Sicherheitsprüfung zu unterziehen.
Herr Kollege Rommerskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schlaga?
Frau Präsidentin, sofort. Der Satz gehört noch dazu, wenn ich mir gestatten darf, den zu sagen.
Entschuldigung.
Ich meinte, daß niemand von uns unnötigen Anlaß zum Argwohn geben soll. Nun sage ich es schon vorweg: Wir sollten doch bedenken, wie groß leider der Argwohn angesichts von Vorkommnissen geworden ist, die sich noch in der Untersuchung befinden.
Bitte schön, Herr Schlaga!
Herr Rommerskirchen, kann ich Ihrem letzten Satz entnehmen, daß Sie daraus konkrete Vorwürfe hier an Ort und Stelle erheben
wollen? Wenn, dann wollen Sie die hier bitte nennen.
Ich habe doch hier keinen konkreten Vorwurf erhoben. Ich stelle nur fest, daß im Lande draußen der Argwohn angesichts von Vorkommnissen, die noch nicht voll geklärt sind, eindeutig gewachsen ist. Das wollen Sie doch sicherlich nicht bestreiten, Herr Schlaga.
Herr Rommerskirchen, darf ich davon ausgehen, daß Sie diesen Argwohn durch die Rede, die Sie heute halten, ganz bewußt schüren und vorantreiben?
({0})
Es bleibt Ihnen unbenommen, das zu tun. Aber ich kann Ihnen von mir aus nicht konzedieren, daß Sie davon ausgehen können.
({0})
Ich meine jedenfalls, daß sich zwar das Argument „Geheimnisträger durch Wahl" gut anhört, daß das aber die Wähler einfach nicht überzeugen dürfte, weil sie keine konkrete Kontrollmöglichkeit haben.
({1})
Und, meine sehr verehrten Kollegen, ich füge hinzu: Was Beamten und Soldaten - auch nach unserem Willen - zugemutet wird, das sollten wir für uns selbst nicht ablehnen.
({2})
Wir sollten uns nicht unentwegt unnötige Sonderrechte verschaffen.
({3})
Ich komme zum Schluß. Der Jahresbericht enthält viele beachtenswerte Anregungen und Vorschläge. Sie sollten und sie müssen die Aufmerksamkeit finden, die sie verdienen. Der Wehrbeauftragte gibt sich imponierende Mühe - uns alle verpflichtende Mühe -, seine Beobachtungen und Erfahrungen auszuwerten, was, Herr Wehrbeauftragter, so bleiben soll, wie ich eingangs sagte, als ich ein Mißverständnis auszuräumen mich bemühte.
In einem „Frühwarnsystem" will der Wehrbeauftragte die positiven Konsequenzen aufzeigen, die durch rechtzeitige Abstellung erkannter Fehler oder Mängel zu erreichen sind, und er will ebenso die negativen Konsequenzen infolge der Unterlassung notwendiger Maßnahmen aufzeigen. Ich füge jetzt hinzu, daß der Verteidigungsausschuß nach meiner Meinung die Jahresberichte noch stärker als bisher zu seiner Sache machen muß.
Namens der CDU/CSU-Fraktion danke ich dem Wehrbeauftragten für seine Hilfe zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle, und ich schließe seine Mitarbeiter sehr bewußt mit ein. Namens der CDU/CSU-Fraktion danke ich den Soldaten und Beamten der Bundeswehr für ihre treue Pflichterfüllung. Ihre Sache ist auch weiterhin unsere Sache.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Buchstaller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wehrbeauftragter, ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich nicht sofort auf Ihren Jahresbericht eingehen kann, auf den Herr Rommerskirchen ja fast überhaupt nicht einging, sondern ein paar Bemerkungen zu dem machen muß, was hier vorgetragen wurde. Es war irgendwie die Fortsetzung - allerdings eine nicht gekonnte - einer Diskussion, die durch Herrn Wörner in seiner Art eingeleitet worden war. Ich habe der Opposition bezüglich ihrer taktischen Anlage nicht dreinzureden; aber mir ist einfach nicht klar, was sie damit bezwecken will, jedesmal mit Schwarzmalerei, mit diskreditierenden Äußerungen und Unterstellungen die Debatte zu bestreiten.
Herr Dr. Wörner spricht von den Verteidigungsanstrengungen, die nicht ausreichend seien.
({0})
Er spricht von der Umstrukturierung der Bundeswehr, die kaum tragbar sei.
({1})
- Entschuldigen Sie, ich komme viel früher zum Bericht des Wehrbeauftragten als der Kollege Rommerskirchen.
({2})
Er sagt, daß die Bundeswehr, wenn diese neue Wehrstruktur komme, nicht mehr verteidigungsfähig sei, und Herr Rommerskirchen schließt sich diesem Schattenboxen an.
({3})
- Ja, der Staatssekretär ist noch da. Von Ihnen sind auch schon einige fort, wie Sie sehen können.
Herr Rommerskirchen schließt sich also diesem Schattenboxen an und diskutiert am Bericht des Wehrbeauftragten vorbei, und zwar so, wie er meint, daß es psychologisch gut ankommt.
({4})
Das ist ja verständlich, Herr Rommerskirchen, aber ich habe Sie selten so enttäuschend erlebt wie heute; Sie sind ja sonst ein sehr vernünftiger Mann, der auch bereit ist, mit dem politischen Gegner zusammenzuarbeiten. Aber heute will ich Ihnen
- wir kennen uns ja schon sehr lange - ganz ehrlich sagen: Zwischen dem Schattenboxen des Herrn Wörner und dem Schattenboxen des Herrn Rommerskirchen besteht nur der Unterschied, daß Herr Dr. Wörner oberhalb der Gürtellinie geblieben ist, was Sie leider nicht getan haben.
({5})
- Ja, natürlich, in der ganzen Debatte, die hier geführt worden ist, wurden doch lauter Scheinfiguren aufgestellt, die mit der Wirklichkeit der
Bundeswehr überhaupt nichts zu tun haben. Was soll denn diese Diskussion?
({6})
Der Herr Kollege Horn hat Kritik geübt. Man kann der Meinung sein, daß sie zu herb war.
({7})
Man kann auch der Meinung sein, sie war in einigen Punkten nicht sachlich genug.
({8})
Herr Rommerskirchen, ich möchte Ihnen aber folgendes empfehlen. Wenn Sie der SPD und Herrn Horn schon nichts abnehmen wollen - wahrscheinlich auch mir nichts, wenn ich noch mehr dazu sagen würde -,
({9})
so lesen Sie doch so objektive Urteile wie die aus der „Süddeutchen Zeitung" ; auch in anderen seriösen Zeitungen können Sie solche Bewertungen finden. Dann kommen Sie nicht in die Lage, ständig unseriös diskutieren zu müssen. Nehmen Sie doch zumindest diese Unterlagen, wenn Sie den ständigen Erklärungen und Erläuterungen des Herrn Horn schon nicht Glauben schenken wollen.
Lassen Sie mich Ihnen auch noch folgendes sagen. Ich würde Ihnen Ihre Aufregung ja glauben - Sie wissen ja, es gibt zwei Arten von Aufregungen, eine tatsächliche und eine gespielte -, wenn Sie sich in jedem Fall der Bundeswehr so aufgeregt hätten. Aber wie war es denn damals, als der General Grashey den Skandal auslöste, indem er die innere Führung und den Zuständigkeitsbereich des Wehrbeauftragten darstellte und sagte, hier müsse endlich die Maske heruntergerissen werden? Oder um auf das jüngste Beispiel zu kommen, Herr Rommerskirchen: Wo war denn Ihre Aufregung, als Sie von dem Offenen Brief des Herrn Oberstleutnant Dr. Werner Witt erfahren haben?
Herr Kollege Buchstaller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm?
Ja.
Herr Buchstaller, ich möchte eine Ihnen sicher genehme Zeitung zitieren. Sind Sie der Ansicht, daß die Behauptung des Herrn Horn richtig ist, die im „Vorwärts" vom 2. November 1973 so wiedergegeben wird - ich zitiere - :
Ist die Bundeswehr zuverlässig? fragte er, gemeint ist Ihr Kollege Horn
und stellte die These auf, auch in Bonn spielten Generale mit Verfassungsbruch.
Erstens hat der Kollege Horn auf diese Passage seines Artikels wiederholt erläuternd geantwortet. Zweitens kommt es ganz darauf an, welche Erfahrungen man gemacht hat.
({0})
Bei offiziellen Truppenbesuchen sieht es teilweise etwas anders aus, als wenn man längere Stunden in Kasinos verbringt und dort Diskussionen führt. Dann erscheint einiges, was man offiziell zu sehen bekam, nicht mehr ganz so im rosigen Licht!
Ich bin aber nicht bereit, diese von der Opposition eingeleitete Diskussion jetzt weiterzuführen. Ebenfalls lehne ich ab, zu diesem Punkt weitere Fragen zu beantworten,
({1})
denn wir haben hier keine Diskussion über einen Artikel des Kollegen Horn zu führen.
({2})
- Wir können eine solche Diskussion natürlich auch haben. Dann muß ich aber bitten, den Herrn Kollegen Horn selbst zu fragen. Ich bin der Meinung, daß wir keine Debatte über den Artikel des Kollegen Horn, sondern eine Debatte über den Jahresbericht des Wehrbeauftragten zu führen haben.
({3})
- Bitte!
Herr Kollege, wollen Sie sich wirklich nicht mehr daran erinnern - dies könnte Ihnen Herr Felder bestätigen; er ist zwar nicht mehr bei uns, aber leicht zu befragen -, daß i c h gefordert habe, den Vorgang Grashey im Verteidigungsausschuß gebührend zu beraten, daß ich auf die Hardthöhe gefahren bin, mir seine Rede auf dem Magnetophonband angehört habe und sie als Berichterstatter im Verteidigungsausschuß gewertet habe, und zwar eindeutig so, wie Sie es mir in Ihrer Unterstellung eben bestritten haben, nämlich mit der gebührenden Empörung über das, was dort geschehen war? Wollen Sie das bestreiten, Herr Kollege?
Ich habe es nicht mehr in Erinnerung. Ich entschuldige mich dann, Sie im Fall Grashey herangezogen zu haben.
({0})
Immerhin aber wäre ich für die gleiche Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf das Verhalten des Herrn Oberstleutnant Dr. Witt sehr dankbar gewesen.
({1})
Herr Kollege Buchstaller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm?
Ja.
Herr Buchstaller, muß ich Ihrer Antwort, die Sie eben auf meine Frage gegeben haben, entnehmen, daß auch Sie der Meinung sind, daß in Bonn Generale mit Verfassungsbruch spielen, wie Herr Horn behauptet hat, was dann ja wohl bedeutet, daß zu diesen Generälen möglicherweise auch Herren gehören, die hier heute als Vertreter der Regierung auf der Regierungsbank sitzen?
Ich schließe mich dieser hier zum Ausdruck gebrachten Auffassung nicht an.
({0})
- Entschuldigen Sie, das ist doch eine Angelegenheit, die derjenige zu erläutern hat und bei der derjenige zu befragen ist, der aufgrund bestimmter Eindrücke zu dieser Ansicht gekommen ist. Ich darf Ihnen, Herr Rommerskirchen, weil wir im Ausschuß eine sehr gute Zusammenarbeit haben, die sich allerdings heute im Plenum leider nicht widerspiegelt, empfehlen, das Echo aus der Truppe zu hören und die Briefe, die Herr Horn aus der Truppe bekommen hat er ist bereit, sie zur Verfügung zu stellen -, unter diesem Gesichtspunkt anzusehen.
({1})
Sie werden sehr unterschiedliche Beiträge finden können.
({2})
Herr Abgeordneter Buchstaller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
({0})
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, daß meine Kollegen nur in die Kasinos der Offiziere vorgedrungen sind, während Sie und Ihre Kollegen sich bei der Truppe und in den Kantinen informiert haben? Läßt das nicht den Schluß zu, daß vielleicht einige Ihrer Kollegen aus Sicherheitsgründen schon in der Kantine abgestoppt worden sind.
({0})
Frau Präsidentin, ich bin nicht bereit, auf Fragen einzugehen, die in dieser unseriösen Art vorgetragen werden.
({0})
Das steht Ihnen frei.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Herr Kollege Buchstaller, teilen Sie meinen Eindruck, daß eine Fraktion, die in dieser Weise diskutiert und auf Aussagen, die vom Autor selber klargestellt worden sind, offenbar in der Sache wenig anzubieten hat und sich deshalb immer wieder auf vorletzte, längst korrigierte, interpretierte Aussagen zurückziehen muß?
Diese Auffassung teile ich.
Darf ich jetzt, sehr verehrte Damen und Herren, zu dem kommen, was heute eigentlich unser Anliegen ist?
Im Namen der SPD-Fraktion danke ich zunächst dem Wehrbeauftragten ,des Deutschen Bundestages, Fritz-Rudolf Schultz, für seinen sachlichen und gründlichen Jahresbericht 1972, der uns als Drucksache 7/334 vorliegt. Die Reaktion zum Jahresbericht im Parlament, im Verteidigungsausschuß, in der Öffentlichkeit, bei den Soldaten und im Bundesverteidigungsministerium lassen den Schluß zu, daß sich die Institution des Wehrbeauftragten zunehmend im Bewußtsein unserer Bevölkerung verankert hat. Das konnte - auch der Wehrbeauftragte hat es kurz angeschnitten - nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, als 1956 zur Schaffung dieses zusätzlichen Kontrollorgans über die bewaffnete Macht ,die Ergänzung des Grundgesetzes im Art. 45 b erfolgt war. In diesem Artikel 45 b werden zwei Aufgabenbereiche des Wehrbeauftragten genannt:
1. Schutz der Grundrechte in der Bundeswehr,
2. Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle über die Bundeswehr. Das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages von 1957 weist ihm dann noch in § 2 die Kontrolle über die Grundsätze der Inneren Führung in den Streitkräften zu.
Ich habe diesen kurzen !historischen Rückblick deshalb unternommen, um zu verdeutlichen, daß der Wehrbeauftragte seine vornehmliche Aufgabe in der individuellen Hilfeleistung für Soldaten zu sehen hat, oder umgekehrt, daß sich jeder einzelne Soldat mit persönlich-dienstlichen Sorgen und Problemen an den Wehrbeauftragten wenden kann. Der Wehrbeauftragte dient demzufolge zuallererst dem einzelnen Soldaten. Das findet seinen Niederschlag auch darin, daß sich fast 54 % aller Eingaben an den Wehrbeauftragten mit Fürsorgefragen befassen.
Neben dieser sehr wichtige „individuellen Betreuungsfunktion" dient er dem Parlament bei der Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben. Vielleicht unterstützt diese Feststellung das Bemühen, Amt und Stellung des Wehrbeauftragten vor allen Dingen unter den Wehrpflichtigen sowie den Zeit- und Berufssoldaten noch populärer zu machen.
Der Inhalt des Jahresberichts 1972 kann nur, wie alle vorangegangenen Berichte, eine verlängerte Momentaufnahme mit der Aufzeigung möglicher Tendenzentwicklungen der Bundeswehr sein. Eine detaillierte, vollständige Gesamtschau des Zustands in unseren Streitkräften kann er nicht darstellen.
Die politischen Schwerpunkte seines diesjährigen Berichts liegen meines Erachtens auf den Gebieten der Grundrechte und der Inneren Führung.
Wir begrüßen seine Feststellung, daß sich in den Streitkräften ein wachsendes politisches Engagement bemerkbar macht. Ich kann mich noch gut daran erinnern - und Sie, meine Kollegen, werden sich ebenfalls daran erinnern können -, daß wir bei manchem Truppenbesuch von den Vorgesetzten erfahren mußten, wie sie über mangelndes politisches Verständnis zu klagen hatten. Die Existenzfrage der Bundeswehr liegt primär im politischen Bereich. Ich hoffe, daß dieses vom Wehrbeauftragten festgestellte politische Engagement auch zu einer verstärkten, sachlich fundierten Wehrbereitschaft und einer verstärkten Wehrmotivation führen wird.
Herr Kollege Rommerskirchen, sehen Sie in diesem Zusammenhang auch noch einmal folgendes. Natürlich gibt es Kräfte in dieser unserer Gesellschaft, die sich nicht nur gegen die Bundeswehr, sondern auch gegen unsere Gesellschaft überhaupt, gegen unseren Staat wenden. Natürlich gibt es darunter auch Kräfte, die das alles zerstören wollen. Aber es kommt doch darauf an, ob der demokratische Staat und seine Einrichtungen so stabil sind, um auch diese Kräfte abwehren
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und sie sogar ertragen zu können. Das muß auch eine Institution wie die Bundeswehr können.
Aus diesem Grunde freue ich mich, Herr Wehrbeauftragter, daß Sie zwar sehr auf diese verschiedensten Aktionen eingegangen sind, aber trotzdem festgestellt haben, daß der innere Zustand, die Disziplin, die Ordnung der Bundeswehr und die Bereitschaft des Dienens der großen Zahl der Wehrpflichtigen unter diesen Aktionen nicht entscheidend gelitten haben. Das spricht für die Bundeswehr, und das spricht für die Führungsqualität unserer Offiziere und Unteroffiziere in dieser Bundeswehr. Dafür möchten wir herzlichen Dank sagen.
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Ich glaube, die gesellschaftspolitische Situation in den Streitkräften ist kaum anders zu beurteilen als die in anderen Institutionen unseres Staates. Die Bundeswehr wird und soll ein Spiegelbild unserer demokratisch-pluralistisch verfaßten Gesellschaft bleiben. Wir brauchen weder ein Zerrbild durch Hurrapatriotismus noch eine Bundeswehrklagemauer für Entwicklungen in unserer Gesellschaft.
Im Bereich der Inneren Führung ist besonders hervorzuheben, daß die vom Bundesminister der Verteidigung veranlaßte Neufassung der ZDv 10/1 „Hilfen für die Innere Führung" diesen Führungsbegriff erstmalig umfassend zu klären und für die Vorgesetzten zu konkretisieren versucht hat. Diese Neugestaltung der Inneren Führung wird bei fachgerechter Anwendung nicht ohne Auswirkung auf die Wehrmotivation der Soldaten und die innere Ordnung der Streitkräfte bleiben. Ein verstärktes Maß an Rechtssicherheit bei den Vorgesetzten wird
seinen positiven Einfluß auf das Verhalten von Untergebenen nicht verfehlen.
Dennoch darf die Bundeswehr in dem Ziel, den Staatsbürger in Uniform als Leitbild anzustreben, nicht allein gelassen werden. Demokratisches Bewußtsein und Verhalten, die die Einsicht in die Notwendigkeit eines angemessenen Verteidigungsbeitrags mit beinhalten, müssen ebenso von Elternhaus, Schule, unseren Verbänden, den Gewerkschaften, den Universitäten usw. in unserer jungen Generation mit herangebildet werden.
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Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit z. B. des Verteidigungsministeriums allein nützt nichts, wenn auf diesem Gebiet nicht alle demokratischen und politisch verantwortlichen Kräfte mit dazu beitragen, die Notwendigkeit dieser Dienstleistung an unserer Gesellschaft und für die Freiheit in unserer Gesellschaft bewußt werden zu lassen.
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Wenn der Herr Wehrbeauftragte - und Sie, Herr Rommerskirchen, natürlich in einer Überzeichnung - auf die Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Disziplin hingewiesen hat, so freue ich mich doch, Herr Wehrbeauftragter, daß Sie bei allen Sorgen, die Sie dabei zum Ausdruck brachten, doch feststellen konnten, daß die allgemeine Situation, was Ordnung und Disziplin' in der Truppe anbetrifft, nicht als besorgniserregend angesehen werden kann.
Ich freue mich darüber, daß Sie, Herr Wehrbeauftragter, auch die vom Verteidigungsminister eingeleitete Neuordnung der Ausbildung in den Streitkräften aufgegriffen haben. Die moderne Industriegesellschaft verlangt von jedem schnelle Anpassungsfähigkeit, Berufsmobilität und langanhaltende Lernfähigkeit. Dieser Erkenntnis wird durch die Neuordnung der Ausbildung in Form eines Hochschulstudiums für längerdienende Offiziere und in Form von gezielten Ausbildungsgängen für Unteroffiziere Rechnung getragen. Diese umfassende Bildungsreform in der Bundeswehr wird in mittelfristiger Perspektive positive Auswirkungen in den Streitkräften haben und ein besseres Verhältnis zur Bevölkerung nach sich ziehen.
Ich möchte besonders unterstreichen, Herr Wehrbeauftragter - nicht nur, was Ihren Bericht anbetrifft, sondern auch, was Ihre wenigen einleitenden Bemerkungen anlangt -, daß ich es nicht nur generell für gut, sondern für richtig halte, daß der Wehrbeauftragte sich nicht darauf beschränkt, nur aufzuzählen, was alles besser gemacht werden soll, sondern auch darlegt, was verbessert werden konnte. Mit der alleinigen Aufaktung von Problemen ist weder den Soldaten noch der Bundeswehr geholfen, wenn nicht zugleich erkenntlich wird, welche Lösungen angestrebt werden oder gefunden wurden. Z. B. aus den zurückliegenden Jahresberichten des Wehrbeauftragten: „Hilfen für die Innere Führung", die ZDv 10/1, besserer Informationsfluß durch das neue Informationszentrum auf der Hardthöhe, Einführung der Laufbahn des Offiziers des militärfachlichen Dienstes; und dann unser leidiges Thema „Haar- und Barttracht". Zum letzteren darf
ich bemerken: es ist doch erfreulich, daß das einstmals so große Problem der Haare und Bärte in der Bundeswehr, das noch in den Jahresberichten 1970 und 1971 Seiten füllte, im Jahresbericht 1972 auf wenige Spalten zusammengeschmolzen ist.
Einige Probleme, die der Wehrbeauftragte im Jahresbericht 1972 anschneidet, sind ebenfalls erledigt oder in Angriff genommen worden, z. B. Gesetz für den Zivildienst, Bundeswehrhochschulen und die Unteroffiziersausbildung. Die brennenden Fragen einer neuen Wehrstruktur wurden mit der heutigen Regierungserklärung ebenfalls in Angriff genommen.
Andere Anregungen und Hinweise im Jahresbericht 1972 werden vom Bundesminister der Verteidigung bzw. vom Gesetzgeber, das heißt von uns, ernsthaft geprüft werden müssen. Dazu gehören, um nur einige Beispiele zu nennen: die fachgerechte Gestaltung des Rechtskundeunterrichts in der Bundeswehr, die Einrichtung einer Zentralstelle zur Erarbeitung und Koordinierung von übergreifenden Lehrstoffplänen aller Teilstreitkräfte, die Prüfung der Möglichkeit für die Wiedereinführung des Stabsfeldwebels, die angemessene Behandlung der Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Friedens- und Konfliktforschung bei der Lehrerbildung, die Konkretisierung des Vorschlags von Bundeskanzler Willy Brandt an die Ministerpräsidentenkonferenz, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen des Sozialkundeunterrichts angemessenere Beachtung zu verleihen.
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Die Bundeswehr als eine der größten Institutionen unseres Staates hat mit rund 480 000 Soldaten auch dementsprechend viele und mannigfache Binnenkonflikte auszutragen und individuelle Sorgen und Nöte abzustellen. Seit vier Jahren verantworten wir Sozialdemokraten die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Zeit ist in der Bundeswehr eine Fülle von Reformen durchgeführt und eingeleitet worden, die allen Soldaten zugute kamen und die für die Durchführung des militärischen Auftrags, den Frieden zu erhalten, bessere Voraussetzungen geschaffen haben.
Ich finde es, Herr Wehrbeauftragter, fair und auch angebracht, daß Sie neben den vielen kritischen Anmerkungen auch Initiativen der Bundesregierung würdigen, die den Betriebsablauf und das Klima in der Bundeswehr wesentlich beeinflussen.
Die SPD-Fraktion schließt sich der Beurteilung des Wehrbeauftragten an, daß das Gesamtbild der Streitkräfte allgemein zufriedenstellend ist.
Zusammenfassend läßt sich aus dem Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten folgern:
Erstens. Gravierende Grundrechtsverletzungen sind in der Bundeswehr äußerst selten.
Zweitens. Die Innere Führung wurde erstmals in der neuen ZDv 10/1 zeitgemäß konkretisiert und zusammengefaßt. Dadurch konnte sowohl in der Truppe als auch in der Öffentlichkeit ein aufgestautes Maß an Rechtsunsicherheit und Unzufriedenheit abgebaut werden.
Drittens. Das zunehmende politische Engagement der Soldaten wird sich positiv auf eine sachbezogene Wehrmotivation auswirken können.
Viertens. Die vom Wehrbeauftragten dargelegten Disziplinschwierigkeiten, mit denen sich die Vorgesetzten im militärischen Alltag beschäftigen müssen, halten sich in Grenzen.
Fünftens. Die weitgespannte Reformpolitik dieser Bundesregierung für die Bundeswehr hat entscheidend dafür gesorgt, daß das allgemeine Gesamtbild der Streitkräfte zufriedenstellend ist.
Die Institution des Wehrbeauftragten, der Wehrbeauftragte selbst und seine Mitarbeiter haben durch ihre geleistete Arbeit wesentlichen Anteil an diesem zufriedenstellenden Gesamtbild der Bundeswehr. Die SPD-Bundestagsfraktion versichert Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, alle Ihre Feststellungen, Anregungen und Empfehlungen ernsthaft zu prüfen und Ihre Arbeit nach besten Kräften zu unterstützen.
Nochmals besten Dank für Ihre hilfreiche Arbeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Krall.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist mehr als ein günstiger Zufall, daß wir heute im Anschluß an die Debatte über die neue Wehrstruktur den Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für das Jahr 1972 diskutieren.
Über die Notwendigkeit der Friedenssicherung durch eine wirksame Verteidigung hat der Bundesminister der Verteidigung und habe ich vorhin in meinem Beitrag zur Wehrstruktur Stellung genommen. Wir haben uns gemeinsam Gedanken gemacht, wie dafür die Organisationsform der Streitkräfte verbessert werden kann. Aber jede neue Struktur und jede noch so zweckmäßige Bewaffnung der Streitkräfte müßte wirkungslos bleiben, wäre nicht die Truppe durch ihr inneres Gefüge befähigt, unter Ausnutzung all dieser Vorteile erfolgreich verteidigen zu können.
Mit Aufmerksamkeit beobachten wir Freien Demokraten die Entwicklung des inneren Gefüges der Streitkräfte im Spannungsfeld von Militär und ziviler Gesellschaft. Einen guten Anhalt dafür gibt uns allen, die wir nicht im ständigen persönlichen Kontakt mit der Truppe stehen, der jährliche Bericht des Wehrbeauftragten. Es sind nicht nur die mit großer Gewissenhaftigkeit zusammengetragenen vielen Einzelfälle, in denen der Wehrbeauftragte tätig geworden ist, die uns dabei interessieren, sondern es ist das Gesamtbild, das sich aus dieser Vielzahl von Mosaiksteinen zusammensetzen läßt.
Ich möchte deshalb zu dem Schluß kommen, daß der Wehrbeauftragte nicht nur dann tätig werden sollte, wenn bereits gegen die Grundrechte verKrall
stoßen worden ist, sondern seine Tätigkeit sollte bereits dort beginnen, wo Grundrechte gefährdet erscheinen oder gefährdet sind. Ich möchte das an dieser Stelle aber nicht weiter ausführen, weil ein Unterausschuß des Verteidigungsausschusses die Möglichkeiten der Erweiterung der Kompetenzen des Wehrbeauftragten bereits untersucht. Dieser Unterausschuß hat seine Arbeit noch nicht abgeschlossen.
Auf die Disziplin in den Streietkräften will ich im folgenden kurz eingehen. Dazu darf ich aus den Vorbemerkungen des Berichts des Wehrbeauftragten zitieren:
Disziplin und militärische Ordnung - ein Schwerpunkt meines Jahresberichts 1971 - beschäftigten auch im Berichtsjahr nicht nur die Streitkräfte, sondern fanden wiederum Beachtung im zivilen Bereich der Gesellschaft.
In einem anderen Absatz des Berichtes heißt es:
Die völlige Gleichmacherei der Anforderungen des militärischen Dienstes mit dem zivilen Jobdenken ist geeignet, den Konflikt insbesondere des Wehrpflichtigen innerhalb der militärischen Ordnung zu verschärfen. Je geringer die Restgröße der militärischen Eigentümlichkeiten angesetzt wird, desto geringer wird auch das Verständnis der Wehrpflichtigen für Disziplin und Gehorsam sein. Statt der bedingungslosem Gleichmacherei sollte bei einem Vergleich auch das spezifisch Militärische des soldatischen Dienstes hervorgehoben werden.
Ich stehe gewiß nicht im Verdacht, in dem Denken befangen zu sein, die Bundeswehr sei ein Bereich sui generis. Ich glaube aber, in einer übertriebenen Gleichstellung des militärischen und des zivilen Dienstes liegt die Gefahr, daß diejenigen militärischen Faktoren unterbewertet werden, die zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages unerläßlich sind.
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Zwar setzt sich die FDP schon seit langem dafür ein, daß militärische Verhaltensweisen dort weitgehend an zivile Verhaltensweisen angeglichen werden, wo hochtechnisierte Militärorganisationen das zulassen. Eine Grenze aber besteht dort, wo die Wirksamkeit und die Glaubwürdigkeit der Abschreckungsfunktion nachzulassen beginnen.
Sind nicht doch unsere Erwartungsbilder vom Soldaten vielleicht etwas sehr überzogen? Nach verbreiteter Ansicht werden an den Soldaten im allgemeinen folgende Forderungen gestellt. Er soll ein versierter Spezialist sein, ein heroischer Einzelkämpfer, ein pädagogisch erfahrener Erzieher, fürsorglicher Vorgesetzter, qualifizierter Ausbilder, überzeugendes Vorbild und darüber hinaus ein allseitig gebildeter und interessierter Mann. Derartig umfassende Erwartungen werden an keinen anderen Beruf gestellt.
Wenn wir uns da etwas bescheiden und an die immer kritische Einstellung der Jugend gegenüber jeglicher Autorität denken, gelingt es uns vielleicht, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und die
Fragen der Disziplin, wie sie sich heute darstellen, nüchterner zu bewerten. In diesem Zusammenhang sehe ich die Ausführungen des Wehrbeauftragten in seinem Bericht nicht so „widersprüchlich", wie es der Berichterstatter unter Ziffer 5 in seinem schriftlichen Bericht getan hat. Aber es ist ja im Ausschuß vereinbart, daß dieses Thema noch einmal gesondert aufgegriffen wird. Ich glaube aber, wir können dem Herrn Wehrbeauftragten recht geben in seiner Feststellung, daß „sich die Hinweise und Klagen zum Problem der Disziplin vermindert" haben.
Wir danken dem Herrn Wehrbeauftragten für seinen Bericht, wir danken ihm aber auch für seine unermüdliche Tätigkeit. Sein Tätigwerden vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen dem Kontrollierenden und dem Kontrollierten. Ich möchte daher die Ausführungen und auch die Vorschläge des Wehrbeauftragten nachhaltig unterstützen und mich dafür einsetzen, daß das Parlament, daß wir alle die ihm vom Grundgesetz aufgetragene Kontrollfunktion auch entsprechend ausüben lassen. Scheuen wir uns nicht vor gelegentlichen Schwierigkeiten, die auftreten. Problematische Sachverhalte im vorhinein auszuklammern, wie es gleichfalls im Bericht Drucksache 7/1208 vorgeschlagen wird, halte ich nicht für zweckmäßig. Seien Sie, Herr Wehrbeauftragter, und Ihre Mitarbeiter weiterhin mit Ihrer Wachsamkeit der Garant für das Funktionieren der parlamentarischen Kontrolle unserer Bundeswehr! Wir danken Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre aufopferungsvolle Tätigkeit.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Berkhan.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann leider die Erwartungsbilder, die soeben der Kollege Krall hier für Soldaten entwickelt hat und die ja sicher bei den Fraktionsgeschäftsführern für Parlamentarische Staatssekretäre entwickelt worden sind, nicht erfüllen, muß also ein paar Bemerkungen machen, da ich glaube, es sollte einiges hier richtiggestellt werden.
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Herr Krall, ich gehe davon aus, daß es richtig ist, daß das Parlament uns überwacht und der Wehrbeauftragte Ihnen dabei ein treuer Helfer ist. Aber ich darf doch wohl auch erwarten, daß Sie davon ausgehen, daß über das Grundgesetz und über die Gesetze, über die Rechtmäßigkeit auch durch die Vorgesetzten der Soldaten und durch diejenigen, die die politische Verantwortung im Ministerium tragen, aufmerksam gewacht wird. Ich darf doch davon ausgehen, daß wir das gemeinsam wollen und gemeinsam betreiben.
Herrn Buchstaller hätte ich gern gesagt: Ich habe mit Aufmerksamkeit den Katalog der Aufgaben angehört, den er hier aufzählte. Es sind doch wohl einige Aufgaben dabei, die das Parlament selbst betreffen. - Aus Ihrem Kopfnicken darf ich schließen, daß Sie im Zusammenhang mit der Beratung des
Berichts des Wehrbeauftragten keinen Vorwurf gegen das Ministerium in diesen Fragen erhoben haben.
Herr Kollege Rommerskirchen, Sie haben dankenswerterweise noch einmal aufgezeigt, daß es dort, wo es Menschen gibt, die miteinander arbeiten, auch gegensätzliche Auffassungen von Pflichten und Rechten gibt. Einiges ist in Gesetzen und anderen Vorschriften festgelegt. Aber es ist nicht so dramatisch, wie es schien.
Die Auseinandersetzung zwischen dem Wehrbeauftragten und dem Bundesministerium der Verteidigung ging darum, ob der Wehrbeauftragte bei der Vorbereitung von Vorschriften eingeschaltet sein sollte, ob er eingeschaltet sein kann oder ob er die Vorchriften dann zugeleitet bekommt, wenn sie der militärischen und der interessierten politischen Öffentlichkeit ohnehin übergeben werden. Da kann man sehr unterschiedlicher Meinung ein. Nur, ich möchte hier sagen: Ich ordne den Wehrbeauftragten eindeutig dem Parlament zu; das Parlament kontrolliert uns. In den Fällen, in denen man vorbereitend zu tief beteiligt wird, besteht immer die Gefahr, daß man dann auch Verantwortung übernimmt und die Kontrolle dadurch gemindert wird. Ich teile daher nicht die Auffassung, die von einigen Kollegen - vielleicht auch vom Wehrbeauftragten, das weiß ich gar nicht genau - vorgetragen wird, daß der Wehrbeauftragte in die Vorbereitungen mehr eingeschaltet werden müsse. Er ist es ja durch seine Berichte, die wir sorgsam studieren; er ist es ja durch die vielen Briefe, die er uns schreibt und auf die wir antworten müssen; er ist es ja auch durch die Gespräche, die seine Mitarbeiter und er selbst mit Soldaten und Beamten in unserem Hause führen.
Ich glaube, Herr Wehrbeauftragter, Sie nehmen es mir ab, wenn ich Ihnen hier den Dank meines Ministers, meinen eigenen Dank und den meiner vielen Mitarbeiter für die vertrauensvolle Zusammenarbeit ausspreche.
Ich hatte zeitweise, wenn ich so die einzelnen Reden hörte, den Eindruck, als wäre in der Bundeswehr alles überall nur im argen. Ich will Ihnen versichern, meine Damen und Herren, die Sie nicht im Verteidigungsausschuß sind: Es gibt auch ein paar Einheiten und Stäbe, in denen alles ganz gut klappt, in denen die Soldaten brav ihre Pflicht tun, in denen die Vorgesetzten es mit der Inneren Führung ernst nehmen, in denen jeder sein Bett und seine geordnete Verpflegung findet und der Truppenarzt dafür sorgt, daß die Soldaten gesund bleiben. Daher, Herr Kollege Rommerskirchen, hilft es mir wenig, wenn Sie hier eine Erfahrung aus einem Truppenbesuch kundtun, die mich besorgt machen mußte. Ich muß Sie schon bitten: Schreiben Sie mir einen Brief, sagen Sie mir, wann Sie wo waren; wir werden dann der Sache nachgehen und es prüfen.
Lassen Sie mich hier zum Schluß ein paar Bemerkungen zu der Diskussion machen, welche sich um einen Aufsatz entfacht hat, den mein Kollege Horn in einer Zeitung geschrieben hat. Ich will hier in keine Bewertung eintreten.
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- Lassen Sie mich doch erst einmal ausreden; vielleicht sind Sie dann zufriedener.
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Sie sind so schrecklich ungeduldig. Ich habe ja Verständnis dafür, daß die Opposition die Regierung nicht gerne reden läßt. Aber ich bitte doch darum, nun einmal wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, was ich hier zu sagen habe.
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Ich habe vor geraumer Zeit noch einmal einen Aufsatz nachgelesen, in dem sich der Schreiber mit der Macht im Staate auseinandersetzte und sich mit den Beamten und Soldaten beschäftigte. Er sagte über die Beamten, daß man diese zwar kontrollieren müsse, aber nicht so stark wie die Soldaten; denn die Beamten arbeiteten mit der Feder und ihre Entscheidungen seien durch Verwaltungsgerichte nachprüfbar und korrigierbar; das dauere zwar lange Zeit, aber auf diese Weise ließen sich Entscheidungen ändern. Besonders kontrollieren müsse man aber die Soldaten; denn diese führten das Schwert und schafften Tatbestände, die durch Verwaltungsgerichtsurteile nicht aufzuheben seien. Der Verfasser dieses Aufsatzes ist der ehrenwerte Kollege Dr. Richard Jaeger. Ich stimme seiner Auffassung zu. Ich gehe davon aus, daß ein Teil der Bemerkungen, die mein Kollege Horn in einem Aufsatz niedergeschrieben hat, mit der Pflicht in Zusammenhang steht, dort zu kontrollieren, wo sich besondere Gewalt zusammenballt.
Herr Kollege Rommerskirchen, Sie haben hier u. a. gesagt, Sie wollten keine Chile-Diskussion. Das zu sagen, war wahrscheinlich in Ihrem Manuskript nicht vorgesehen, sondern ist wohl auf Zurufe bzw. Zwischenfragen zurückzuführen. Es tut mir leid, daß ich das nun doch noch einmal in den Zusammenhang stelle. Darf ich Sie daran erinnern, daß der Bundeskanzler in der 62. Sitzung am 26. Oktober wörtlich erklärte:
Ich will sagen: Die Bundesrepublik Deutschland ist natürlich nicht Chile, in keinerlei Hinsicht. Es ist grotesk, anzunehmen, wir würden es in unserem Lande zu etwas Ähnlichem wie chilenischen Zuständen kommen lassen.
Ich lasse jetzt ein paar Sätze aus, um die Zeit nicht ungebührlich in Anspruch zu nehmen. Jeder kann es nachlesen. Der Bundeskanzler sagt dann:
Ich stelle mit aller Deutlichkeit fest, die Bundeswehr, ihre Führung und ihre Soldaten verdienen nicht nur unseren Respekt, sondern sie haben unser Vertrauen. Das ist keine Parteienfrage, darf es nicht sein. Die Bundesregierung tut im übrigen das Ihre, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen und zu festigen.
Am gleichen Tage sprach der Verteidigungsminister zu diesem Komplex, und er führte aus:
Ich habe hinzuzufügen: Unsere Bundeswehr steht zu unserer Verfassung. Jeder Offizier hat auf diese Verfassung seinen Eid geleistet. Ich sage das hier von der Bundeswehr, auch wenn ich weiß, daß diese Bundeswehr eine große Gemeinschaft von 500 000 Menschen darstellt, in
der es an der Peripherie auch einige Soldaten gibt, deren politische Überzeugung mit unserer Verfassung in Einklang zu bringen mir schwerfällt, meine Damen und Herren. Dies sage ich auch, aber ich stelle mich hier bewußt und aus Überzeugung vor 99,9 % unserer Soldaten. Sie stehen zur Verfassung.
Daran schloß sich dann ein Frage- und Antwortspiel an.
Ich darf Sie daran erinnern, Herr Kollege Rommerskirchen, daß einer der Herren, der in dem Aufsatz genannt ist, gar nicht unter Herrn Leber gedient hat, fast alle nicht, sondern unter den Verteidigungsministern von Hassel, Schröder und Schmidt und unter dem Vorgänger von Herrn von Hassel. Als dieser Herr entlassen wurde - nun muß ich den Namen doch nennen, was ich mir an sich verkneifen wollte, aber ich zitiere aus einer Rede; ich bitte urn Entschuldigung, daß ich jetzt auch Namen nenne -, nämlich General Schnez, sagte Helmut Schmidt als Verteidigungsminister, daß er besonders dessen Loyalität schätzen gelernt habe, die er ihm, dem Minister gegenüber, erwiesen habe. Ziemlich zum Schluß heißt es dann:
Lieber Herr Schnez, wer im vollen Lichte der Scheinwerfer zu handeln hat, der muß vielfältige Kritik herausfordern. Aus meinem eigenen Beruf weiß ich, daß man Kritik muß ertragen können, ja, daß man auch daraus muß lernen können. Beides haben Sie gekonnt, beides hat zu dem Bild Ihrer Person ganz wesentlich beigetragen, das sich mir mitgeteilt hat: das Bild eines Mannes, dem ich meinen persönlichen Respekt heute ganz öffentlich bekunden möchte.
Zu dieser Rede hat sich Herr Schmidt in der fraglichen Sitzung hier auch bekannt.
Ich weiß also nicht, was es soll, und ich stehe auch ein bißchen unter dem Eindruck nach der Debatte, die ich hier heute erlebt habe, daß es nicht sehr nützlich war, daß hier wieder Namen genannt wurden.
Ich selbst habe auch zu diesem Komplex Stellung genommen. Mir fehlt das Protokoll, und ich zitiere aus meinen eigenen Akten. Wenn ich mich nicht ganz genau an die Worte gehalten habe, so ist doch der Sinn nicht entstellt. Herr Wörner, Sie, Herr Rommerskirchen, und der Kollege Ernesti hatten zu diesem Komplex Fragen an mich gerichtet, die nicht termingemäß beantwortet werden konnten, weil in dieser Woche die Fragestunde ausfiel. Ich habe dann eine Woche später geantwortet und gesagt:
Die Bundesregierung hegt keinen Zweifel an der demokratischen Zuverlässigkeit der Bundeswehr. Ihr ist kein Fall bekannt, bei dem das Verhalten eines Soldaten ernsthafte Zweifel an seiner demokratischen Zuverlässigkeit aufkommen ließe. Das bezieht sich auch auf die Einstellung der mittleren Offiziersgeneration zum demokratischen Rechtsstaat. Dabei verkennt die Bundesregierung nicht, daß Soldaten vereinzelt bei Äußerungen zu politischen Problemen nicht immer die vom Soldatengesetz geforderte Zurückhaltung geübt haben.
Die Bundesregierung weist mit Entschiedenheit zurück, daß Generale in Bonn jemals mit dem Gedanken des Verfassungsbruchs gespielt haben. Im Jahre 1969 schien es angezeigt, Überlegungen anzustellen, wie die innere Ordnung des Heeres verbessert werden könnte. Mit Wissen des damaligen Verteidigungsministers war eine Arbeitsgruppe damit beschäftigt, in einer Studie entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Die Verfasser der Studie waren der Auffassung, der Leitung überlegenswerte Vorschläge zur Verbesserung der inneren Ordnung der Streitkräfte anbieten zu müssen. Ihnen war bekannt, daß auch Vorschläge zur Änderung bestehender gesetzlicher Regelungen unterbreitet werden könnten. Hiervon haben sie Gebrauch gemacht. Daraus ist ihnen kein Vorwurf zu machen, zumal die Realisierung der Vorschläge an die Zustimmung der militärischen und politischen Leitung des Hauses, letztlich aber und vor allen Dingen an die des Parlaments gebunden gewesen ist.
Ich hoffe, Herr Kollege Wörner, ich habe die Antwort auf die Fragen, die Sie mir gestellt haben, hier richtig wiedergegeben. Ich kann mich erinnern, daß Sie verzichtet haben, Zwischenfragen zu stellen, daß Sie durch eine Handbewegung zu erkennen gaben, Sie seien damit zufrieden. Wem nutzt es eigentlich
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- ja, ich muß mich zurückhalten -, wem nutzt es eigentlich, Herr Kollege Damm, daß diese unsinnige Hornbläserei hier alle Wochen fortgesetzt wird?
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Ich würde Ihnen empfehlen, Sie bedienen sich jetzt endlich einmal eines Streichquartetts und machen hier einmal eine andere Musik. Der Kollege Horn wird also selbst zu diesen Dingen Stellung nehmen können und hat zu diesen Dingen Stellung genommen.
Ich denke, Herr Kollege Rommerskirchen, wenn es nicht den Kollegen Horn gegeben hätte, wäre Ihre Rede wesentlich kürzer gewesen;
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sie wäre nicht noch von dem Hinweis meines Kollegen Damm auf die Regierungsbank begleitet gewesen. Ich will es mir verkneifen, Herr Kollege Damm, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mir hinterher wieder vorhalten, ich hätte die Herren nicht in Schutz genommen, hierzu Stellung zu nehmen. Geschmacksfragen und Stilfragen sind Dinge, über die man nicht streiten kann. Diesmal sehe ich Sie an. Sie reizen mich ja sehr häufig. Ich bin ja in einem Amt, welches mich verpflichtet, mit gebührender Zurückhaltung zu reden.
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Sie haben mir durch diesen Zwischenruf Gelegenheit gegeben, mich nun auch mal mit Ihnen anlegen zu können. Mit meinem Kollegen Horn habe ich geredet; dazu brauchen Sie mich nicht zu ermahnen.
Ich weiß, was er meint. Ich gehe durchaus davon aus, daß er sich nicht immer geschickt und klug ausgedrückt hat.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Damm? - Bitte sehr!
Um Ihnen noch etwas mehr Gelegenheit zu geben, sich mit mir anzulegen, Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen: stimmen Sie überein mit dem, was in der „Welt der Arbeit" steht:
Nun kann kein Zweifel sein, daß es für solche Mutmaßungen doch wohl härterer Beweise bedarf, als sie Horn bisher vorlegen konnte.
Sind Sie auch einer Meinung mit der „Welt der Arbeit", die dann an späterer Stelle zu dem Thema fortfährt:
Horns Ketzereien wären kaum denkbar gewesen, als Helmut Schmidt die Bundeswehr kommandierte. Wenn heute solche Kritik laut wird, so liegt das nicht zuletzt an dem weitverbreiteten Eindruck, daß Leber mehr und mehr in das Schlepptau der Generale geraten ist.
Erstens. Ich habe hier weder die „Welt der Arbeit" noch andere Zeitungen zu zensieren. Die sind frei, und die sollen frei bleiben.
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Zweitens. Herr Kollege Damm, wenn Sie in einer der nächsten Fragestunden aufmerksam zuhören, werden Sie merken, daß es Vorgänge gibt, die alle Parlamentarier nachdenklich stimmen müssen. Herr Kollege Wörner hat sich zu diesem Vorgang schon einmal in einem Interview geäußert. Er hat sich natürlich anders geäußert, als ich mich äußern werde. Aber er kommt in der Grundtendenz zu dem gleichen Ergebnis.
Wir sollten uns davor hüten, hier so zu tun, als ob in einem großen Personalkörper Bundeswehr, wo 493 000 Soldaten und rund 170 000 Zivilisten Dienst tun, nicht Dinge vorkommen wie bei der Bundesbahn oder in zivilen Betrieben, die zu rügen sind und die den Wert haben, auch im Parlament angesprochen zu werden. Denn Herr Jaeger hat recht - der jetzt zur Zeit Präsident ist -, daß die Mächtigen im Staat einer besonderen Kontrolle unterliegen müssen. Ich lehne es ab, solche inquisitorischen Fragen, wie Sie sie mir hier vorlegen, zu beantworten.
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Es steht Ihnen frei, in der „Welt der Arbeit" einen Leserbrief zu schreiben, und Sie können sich auch mit diesem Journalisten anlegen; ich glaube, es ist sogar ein Namensartikel, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
Wenn ich Ihnen alles vorlegen würde, was in gewissen Zeitungen, die Ihrer Partei nahestehen,
geschrieben wird, dann würden Sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Denn Sie waren mit mir z. B. über den Wert und Unwert einer hochschulähnlichen Ausbildung oder einer Hochschulausbildung von Offizieren einig. Was wir da im „Deutschland-Magazin" in einigen unsinnigen Äußerungen über diese Frage gelesen haben, ließ mich das kalte Grauen ankommen.
Ich erwarte nicht, daß Sie also ununterbrochen zu diesen Zettelkästen Stellung nehmen. Ich kann die Zettelkästen auch aufmachen. Was hilft es uns eigentlich weiter? Ich würde Ihnen empfehlen, im vertrauensvollen kollegialen Gespräch einmal zu klären, was denn der Schriftsteller Horn gemeint hat. Vielleicht können Sie sich dann mit dem Politiker Horn teilweise einigen und sogar noch ein Stück des Weges gemeinsam gehen.
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Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Damm? - „Setzen" geht natürlich nicht, meine Damen und Herren.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß ich für diese Antwort ganz dankbar bin?
Herr Präsident, nachdem ich ihn genannt hatte, mußte ich die Zusatzfrage natürlich gestatten. - Ich habe nicht „setzen" gesagt, Herr Kollege Damm.
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Das hat nicht der Herr Staatssekretär gesagt, sondern das war ein Zuruf, den ich zurückgewiesen habe, um Ihre Rechte nicht zu beeinträchtigen.
Ich bin zwar der Meinung, daß die Regierung verdammt viel Macht hat; aber ich würde mich dieser Macht nicht beugen, indem ich einem Befehl von Ihnen folgte. Ich hatte meine Frage bereits gestellt. Ich hatte nämlich gefragt - ich wiederhole es -, ob Sie sich vorstellen können, daß ich mit der Antwort, die Sie mir soeben gegeben haben, ganz einverstanden bin.
Ganz einverstanden?
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- Schönen Dank! Wenn Sie damit ganz einverstanden sind, dann ist, denke ich, das Mißverständnis aus dem Wege geräumt.
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Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Dann schließe ich die Aussprache.
Es liegt ein Bericht des Verteidigungsausschusses auf der Drucksache 7/1208 vor. Wer dem Antrag des Verteidigungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Damit ist die zweite große Debatte des heutigen Tages beendet.
Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit möchte ich alle Redner zu anderen Punkten bitten - wir haben noch eine Vielzahl von Punkten zu erledigen -, sich so kurz zu fassen, daß wir noch zu einer „menschlichen" Zeit zu Ende kommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 7/1130 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/1298 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Althammer
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({1})
- Drucksache 7/1227 Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Stommel ({2})
Ich danke den Berichterstattern, dem Abgeordneten Dr. Althammer zu a), Frau Abgeordneten Stommel zu b), für ihre Berichte. Es ist gewünscht worden, die allgemeine Aussprache bereits in der zweiten Lesung zu führen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Burger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes wird die Lage der Familien leider nicht verbessern. Durch die Anhebung der Einkommensgrenzen für das Zweitkindergeld wird lediglich sichergestellt, daß die anspruchsberechtigten Familien ihren Kindergeldanspruch durch Lohnerhöhungen nicht verlieren. Sosehr wir diese Besitzstandswahrung begrüßen, bedauern wir aber, daß die Bundesregierung und die Regierungskoalition nicht mehr für die Familien anzubieten haben.
Auch im kommenden Jahr sagen die Konjunkturforscher trotz Entspannung einen weiteren Preisauftrieb voraus. Die Aussichten für eine Verringerung der gegenwärtigen hohen Inflationsrate sind
neuerdings wieder ungünstiger geworden. Knappheitspreise werden nicht nur bei 01, sondern auch bei anderen Gütern entstehen. Die Folgen dieser Entwicklung, meine Damen und Herren, die nun schon seit Jahren anhält, sind für Familien mit mehreren Kindern bitter, denn je größer die Kinderzahl, desto mehr teilt sich das vorhandene Einkommen, und desto weniger sind die Einkommenssteigerungen in der Lage, das Existenzniveau der kinderreichen Familie zu heben.
Die Bundesregierung, vor allem aber die Frau Familienminister, haben dieser Entwicklung beinahe tatenlos zugesehen. Außer einer einmaligen Anhebung des Drittkindergeldes um 10 DM und den verschiedenen Veränderungen der Einkommensgrenzen für die Gewährung des Zweitkindergeldes gab es in den letzten vier Jahren keine wesentlichen Leistungsverbesserungen, welche die Auswirkungen der enormen Teuerung aufgefangen hätten.
Der Hinweis der Bundesregierung auf die künftige Reform des Familienlastenausgleiches kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Belange der Familien in den Jahren 1969 bis 1974 vernachlässigt worden sind. Alle Initiativen der Opposition, meine Damen und Herren, wurden von der Koalitionsmehrheit niedergestimmt. Bekanntlich waren durch den Rückgang der Geburten Mittel im Kindergeldetat freigeworden. Die Bundesregierung hat jedoch durch Kürzung der mittelfristigen Finanzplanung eine Verbesserung der Kindergeldleistungen unmöglich gemacht. Statt die Gelder für die kinderreichen Familien zu verwenden, wie dies von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mehrfach gefordert wurde, sind Hunderte von Millionen aus diesem Topf anderweitig verwendet worden. Eine Regierung, meine Damen und Herren, die - und dies ist bedauerlich - mehr soziale Gerechtigkeit versprach, hat dieses Versprechen gegenüber den Familien nicht eingehalten.
Wer nun einen Blick auf die Regelsätze der Sozialhilfe wirft, kann feststellen, daß die überwiegende Zahl der Familien mit mehreren Kindern hilfsbedürftig im Sinne der Sozialhilfe geworden ist.
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Dies aber, meine Damen und Herren, ist eines Sozialstaates unwürdig. Wen wundert es, daß in diesen Tagen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet hat, die Aktion „Notstand Familie" aus diesem Grunde sogar den Rücktritt der Frau Familienminister gefordert hat.
Der Deutsche Bundestag hatte bereits am 26. März 1969 in einer einstimmig angenommenen Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, als Vorabmaßnahme vor der Gesamtreform des Familienlastenausgleichs die Verbesserungen der Leistungen für kinderreiche Familien vorzunehmen. Diesen Auftrag hat die Bundesregierung nur ungenügend erfüllt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert deshalb heute gemeinsam mit dem Bundesrat die Bundesregierung auf, bereits 1974 die Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz spürbar zu erhöhen und im Haushalt entsprechende Mittel vorzusehen.
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Eine Verbesserung der Einkommenssituation wird derzeit auf Grund der Teuerung ja beinahe allen gesellschaftlichen Gruppen zugestanden. Warum ist die Familie hiervon ausgenommen? Gegenüber den ursprünglichen Ansätzen sind für das Jahr 1974 388 Millionen DM im Kindergeldetat gekürzt. Dieser Betrag wäre heute notwendig und erforderlich, um bis zum Inkrafttreten der Reform des Familienlastenausgleichs den Familien eine Zwischenlösung anzubieten, um ihnen zu helfen. Trotz Stabilitätspolitik und Haushaltsproblemen müßte es bei gutem Willen der Bundesregierung und der Regierungskoalition möglich sein, eine Zwischenlösung zu finden.
Wir stimmen dem heutigen Gesetzentwurf zu, appellieren aber erneut an die Mehrheit des Hohen Hauses, dafür Sorge zu tragen, daß schon für 1974 Leistungsverbesserungen für die Familie möglich sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden bestimmt verstehen, daß es für mich keine besondere Freude ist, nun schon zum drittenmal innerhalb von zweieinhalb Jahren ein Interimsgesetz zu begründen, das zwar für einen großen Personenkreis den Besitzstand wahrt, aber für die Mehrkinderfamilie keine Verbesserungen bringt. Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes hebt, wie der Herr Kollege Burger gesagt hat, die Jahreseinkommensgrenze, bringt aber sonst keine Verbesserungen.
In den Ausschüssen wurde das Gesetz einstimmig verabschiedet. Im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit wurde allerdings bedauert, daß auch im Fünften Änderungsgesetz eine Besserstellung der Mehrkinderfamilie nicht erfolgen konnte. Es wurde dabei auch an die von Ihnen genannte Entschließung gedacht, die eine Überprüfung verlangte, ob wir für die Übergangszeit zum Familienlastenausgleich, der damals für 1976 vorgesehen war, eine Vorziehung der Erhöhung des Viertkindergeldes vornehmen konnten.
Nun, Sie wissen selbst, daß sich die Situation geändert hat und nun vorgesehen ist, die Neuordnung des Familienlastenausgleichs schon ab 1. Januar 1975 in Kraft zu setzen, und zwar mit neuen Eckwerten, die für das erste Kind 50 DNI, für das zweite Kind 70 DM und für jedes weitere Kind 120 DM betragen sollen. Diese Tatsache hat dann den Ausschuß veranlaßt, dieses Fünfte Gesetz schnell passieren zu lassen, und auch erfreulicherweise die Opposition bewogen, diesmal im Gegensatz zur vierten Änderung auf Zusatzanträge in diesem Hause zu verzichten.
So kann man also heute feststellen, daß dies mit großen Wahrscheinlichkeit die letzte Änderung des Kindergeldgesetzes sein wird. Ich bin sehr erleichtert darüber; denn die Stationen dieses 1964 verabschiedeten Gesetzes waren für alle Beteiligten
oft sehr schwierig. Das erste Änderungsgesetz brachte 1955 die Verbesserung des Zweitkindergeldes durch Wegfall der Jahreseinkommensgrenze für das zweite, dritte, vierte Kind und für weitere Kinder. 1967 mußten wir alle hier in diesem Hause gemeinsam antreten, um gravierende Verschlechterungen abzuwehren. 1970 wurde das Drittkindergeld um 10 Mark erhöht, und die Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld erhöht, und dann wurde von 1972 bis heute nur dreimal die Einkommensgrenze erhöht.
Wie kommt es eigentlich zu dieser nicht so positiven Bilanz eines Gesetzes, das zum Ziel hat, die besondere finanzielle Belastung der Familie durch den Aufwand für Kinder angemessen zu mindern und so dazu beizutragen, daß der Anspruch jedes Kindes auf angemessene Pflege und Erziehung verwirklicht wird? Meines Erachtens liegt es daran, daß unsere Gemeinschaft, also wir alle, den Problemen der Kinder nicht die Bedeutung - modern ausgedrückt: die Prioritätsstufe - einräumen, die notwendig ist, urn einen entscheidenden Durchbruch zu erreichen.
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Ich bin selbstkritisch und sage, daß es in allen Fraktionen dieses Hauses erfolgreichere Gruppierungen als jene gibt, die das Kindergeld nun schon seit zehn Jahren meist erfolglos verbessern wollen. Herr Kollege Burger, es dient auch nicht der Sache, wenn man hier im Hause, wie im Frühjahr dieses Jahres, große Verbesserungen anstrebt, draußen kinderfreundliche Propaganda macht, aber dann bei der entscheidenden Abstimmung mit einem Bäckerdutzend im Plenum vertreten ist und gar nicht kundtun will, daß man die Entscheidung erzwingen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?
Ja.
Herr Kollege, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Bedeutung, die die Bundesregierung diesem Gesetzgebungswerk zumißt, sich vor allein darin dokumentiert, daß der zuständige Minister es nicht für notwendig hält, bei dieser Aussprache anwesend zu sein?
Herr Jäger, ich glaube, man kann sagen, daß auch ein Minister, der die Terminplanung des Hohen Hauses nicht kennt, vielleicht Verpflichtungen im Interesse der Gesamtgemeinschaft hat, die es ihm nicht ermöglichen, hier zu sein. Dazu könnte aber der Staatssekretär Näheres sagen.
Lassen Sie mich fortfahren. Ich bin der Meinung, wir brauchen mehr Engagement bei uns und in der Gesellschaft, um eine kinderfreundliche Politik zu gestalten. Ich habe in cien letzten Tagen die Ausführungen anläßlich der großen Kinderdebatte, die wir 1968 hier in diesem Hause einmal gehabt haben, nachgelesen und verglichen, was sich seitdem politisch getan bzw. fortentwickelt hat. Vereinfacht
kann man sagen, daß die Problematik von 1967/68, auf heute bezogen, die gleiche geblieben ist.
Deutlich wurde dies auch, als wir am 5. November 1973 eine Anhörung zur Familienberatung durchführten und sich dort zeigte, daß in unserem Land ein unzureichendes Angebot an Beratungsdiensten besteht. Es hat sich weiter gezeigt, daß sich im Bereich der Beratungsdienste - das ist als Beispiel gemeint - das gesamte Spannungsfeld der Jugend-, Familien-, Sozial-, Bildungs- und Rechtspolitik widerspiegelt. Dies wurde an den erhobenen Forderungen nach Verbesserung des Adoptionsrechtes, des Sorgerechtes, der Jugendhilfe, der Sozialhilfe, der Bildungseinrichtungen und des Familienlastenausgleiches deutlich.
Wir müssen also die soziale Umwelt entscheidend verbessern, um eine kinderfreundlichere Einstellung der Gesellschaft insgesamt zu erreichen. Sind wir nun von dieser Regierung aus dabei, Herr Kollege Burger, diese soziale Umweltgesetzgeberisch zu verbessern? Ich sage ja; vieles ist schon erreicht, vieles wurde auf den Weg gebracht und vieles ist in Vorbereitung. Ich könnte jetzt einen Katalog von über 20 entscheidenden Maßnahmen vortragen, die die Verbesserung der Familien- und Kindersituation anstreben und die eingeleitet sind. Ich will auf eine Einzeldarstellung verzichten, aber feststellen, daß wir uns nach vorn bewegen. Vieles fehlt noch, vieles muß noch ausgeformt werden, und wir alle hier in diesem Hause müssen noch große Anstrengungen unternehmen.
Eine bessere wirtschaftliche Sicherung der Familie wird uns der Familienlastenausgleich bringen. Es werden Mehraufwendungen für die Familien von über 4 Milliarden DM sein. Da jetzt der Gesetzentwurf vorliegt - er liegt beim Bundesrat - und ich die §§ 97 bis 100 des Dritten Steuerreformgesetzes gelesen habe, bin ich sehr zuversichtlich geworden, daß wir auch den Termin einhalten werden. Damit wird dann der Weg frei für verstärkte Bemühungen um die Gestaltung einer kinderfreundlichen Politik.
Nach der Verabschiedung dieses Fünften Änderungsgesetzes, idem meine Fraktion zustimmt, wollen wir unsere Anstrengungen verstärken, damit uns das gelingt, was ich am 17. Januar 1968 vor diesem Hohen Hause so formuliert habe: Wir wollen alles tun, um zu erreichen, daß durch unsere politischen Entscheidungen in den noch vor uns liegenden drei Jahrzehnten dieses Jahrhundert doch noch zu einem Jahrhundert des Kindes wird.
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Das Wort hat Herr Parlamentarische Staatssekretär Westphal.
Westphal, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Präsident! Es tut mir leid; ich wollte mich nicht zu Wort melden. Ich war sehr zurückhaltend, zumal Herr Kollege Hauck nun wirklich alles getan hat, um deutlich zu machen, was die Regierung auf diesem Gebiet getan hat. Die Frage nach der Abwesenheit von Frau Bundesminister Focke zwingt mich aber doch, das Wort zu nehmen. Wenn Sie rechtzeitig und die ganze Zeit über im Plenum waren, werden Sie beobachtet haben, daß Frau Focke bis 19 Uhr hier gesessen und gewartet hat. Wir alle kennen die Gründe, warum sie so lange warten mußte. Frau Focke hat einen internationalen Gast, den man nun einmal nicht warten lassen kann. Ich bin ihr Stellvertreter. Das ist meine Funktion. Deswegen bin ich hier.
Lassen Sie mich hier noch einmal folgendes unterstreichen. Diese Regierung war und ist im Bereich des Kindergeldes nicht untätig. Heute verabschieden wir die Fünfte Novelle zum Bundeskindergeldgesetz. Drei von diesen Novellen gehen auf das Konto dieser Regierung. Es handelt sich dabei nicht einfach immer nur um Fortschreibung. Als wir im Jahre 1970 die Novelle mit den erhöhten Einkommensgrenzen vorlegten, um die Zweitkinder einzubeziehen, war das nicht vorangekündigt und von dem Finanzminister der Großen Koalition auch nicht in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt. Es war vielmehr eine neue Gesetzesinitiative, die finanzielle Auswirkungen in Höhe von 400 Millionen DM hatte. Damals wurden 500 000 Familien neu in die Kindergeldleistung einbezogen.
Die Fortschreibung dieses Gesetzes von damals bewirkt, daß wir Jahr für Jahr 160 000 Familien den Anspruch auf Kindergeld erhalten. Das ist doch wohl eine Leistung! Ich möchte hinzufügen, daß die 4 Milliarden DM, die für die Familien umgeschichtet und auf 1975 vorgezogen wurden, die große Leistung dieser Regierung in dieser Legislaturperiode für die Familien sein werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP stimmt dem Fünften Gesetz zur Änderung des Bundekindergeldgesetzes zu. Wir tun dies in dem Bewußtsein und auch in der Hoffnung, daß wir hiermit wahrscheinlich zum letzten Mal eine Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vor dem Inkrafttreten des Familienlastenausgleiches, dieser großen Reform, in diesem Hause beschließen werden.
Die Gründe für die Notwendigkeit der Erhöhung der Jahreseinkommensgrenze sind hinreichend bekannt und brauchen im einzelnen nicht wiederholt zu werden. Nur eine Anmerkung dazu: Wollten wir die Einkommensgrenze nicht zum 1. Januar 1974 auf 18 360 DM anheben, hieße das für etwa 160 000 Personen, daß sie ihren Anspruch auf Zweitkindergeld verlören. Die Einkommensentwicklung im Jahre 1972, die als Maßstab für diese Erhöhung dient, macht die Anpassung der Jahreseinkommensgrenze notwendig.
Dabei soll gar nicht verschwiegen werden, daß durch die allgemeine Preisentwicklung die Kostensituation für die kinderreiche Familie nicht leichter geworden ist, so daß die Anhebung der Einkom4016
mensgrenze aus familien- und sozialpolitischen Gründen dringend geboten ist. Insofern möchte ich auch der Opposition zustimmen, wenn sie mit den Sozialpolitikern der Koalitionsfraktionen beklagt, daß vielleicht in den letzten Jahren etwas zu wenig getan wurde. Ich bin der Meinung, das liegt vielleicht auch daran, daß es für die Sozialpolitiker nicht immer leicht ist, sich gegenüber den anderen Wünschen hier in diesem Hause so durchzusetzen, wie wir als Sozialpolitiker uns das wünschen.
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Denen, die bei ihrer Sozialpolitik für die kinderreiche Familie nur an das Kindergeld denken, möchte ich allerdings sagen, daß die FDP ihre Familienpolitik als differenzierte Sozialpolitik begreift, wo eben gezielte strukturpolitische Förderungsmaßnahmen zum Kindergeld hinzutreten müssen. Dazu gehören vor allem das Bundesausbildungsförderungsgesetz, aber auch das Wohngeldgesetz. Vor wenigen Tagen hat der Deutsche Bundestag das Dritte Gesetz zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes beschlossen. Danach werden im Laufe des kommenden Jahres rund 1,3 Millionen Familien bzw. Ein-Personen-Haushalte ein erhöhtes Wohngeld erhalten, und schätzungsweise 100 000 bis 150 000 neue Anspruchsberechtigte werden hinzukommen. Zu den Verbesserungen dieses Gesetzes gehört es auch, daß z. B. schwerbehinderte Kinder bei der Berechnung des Wohngeldes doppelt gezählt werden.
Aber wenn man diese Verbesserungen, wie sie z. B. das Wohngeldgesetz bringt, berücksichtigt, bleibt trotzdem die Tatsache, daß die kinderreiche Familie noch bis zum 1. Januar 1975 warten muß, ehe sie mit einer wesentlichen Verbesserung ihrer sozialen Situation rechnen kann. Der federführende Ausschuß war sich dessen bewußt und hat deshalb mit Nachdruck gefordert, daß der Termin 1. Januar 1975, an dem die Reform des Familienlastenausgleichs in Kraft treten soll, unbedingt eingehalten werden muß.
Eine Teilreform unserer jetzigen Kindergeldregelung das ist eine Antwort an den Kollegen von der Opposition , die wir auf das bestehende System aufpfropfen müßten, ist unseres Erachtens aus finanztechnischen und auch steuerpolitischen Gründen kaum durchführbar. Damit müssen wir eben auf die große Steuerreform warten, weil das nur in diesem Zuammenhang gemacht werden kann. Wollten wir nämlich unter Beibehaltung des jetzigen Systems ein Erstkindergeld in Höhe von lediglich 25 DM einführen, so würden wir den Bundeshaushalt damit um 3 Milliarden DM belasten. Außerdem meine ich, daß das noch keine spürbare Verbesserung der Lage der kinderreichen Familien bringen würde. Diese Rechnung sollten auch Sie sich überlegen.
Bei der Reform des Familienlastenausgleichs, so wie wir sie anstreben, wird dagegen das geltende zweigliedrige System mit steuerlichem Kinderfreibetrag und Kindergeld von einem einheitlichen System eines von der Steuerschuld abzuziehenden Kindergeldes abgelöst werden. Dann wird bereits vom ersten Kind an Kindergeld in Höhe von 50 DM gewährt. Diese große Reform des Familienlastenausgleichs, die uns trotz einer wesentlichen Verbesserung der Kindergeldsätze nur 1,5 Milliarden DM mehr kosten würde als eine unglückliche Teilreform, ist eben eine gezielte und differenzierte Sozialpolitik, für die kinderreiche Familie. Damit wären endlich die berechtigten Wünsche vieler kinderreicher Familien erfüllt, die wir heute beim Fünften Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes ankündigen, aber noch nicht beschließen können.
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Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich nehme an, es wird nicht erneut eine allgemeine Aussprache gewünscht, da sie schon in der zweiten Beratung stattgefunden hat. Daher kommen wir jetzt zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung Ides von den Abgeordneten Maucher, Kiechle, Burger, Geisenhofer, Horstmeier und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte
- Drucksache 7/1162 -Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend , an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung sowiegemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Schröder ({0}), Dr. Warnke, Dr. von Bismarck, Dr. Narjes, Baron von Wrangel, Seiters, Dr. Ritz, Frau Benedix, Hösl, Frau Tübler, Schmöle und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zonenrandförderungsgesetzes und zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
- Drucksache 7/1168 -
Vizepräsident Dr. Jaeger
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend -, an den Ausschuß für Verkehr, an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen - jeweils mitberatend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Meldewesen ({1})
- Drucksache 7/1059 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung ({2})
- Drucksache 7/1027 Das Wort zur Begründung der beiden Gesetzentwürfe hat der Parlamentarische Staatssekretär Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Zeit werde ich mich bemühen, mich kurz zu fassen. Aber die Bedeutung beider Gesetzentwürfe erlaubt es nicht, daß man einige Dinge nicht sagt.
Zu den vielen Widersprüchen, mit denen die Verwaltungen auf allen Ebenen leben müssen, gehört es, daß ihnen mit schöner Regelmäßigkeit Uneffektivität und fehlende Leistungsbezogenheit vorgeworfen werden und daß gleichzeitig und von denselben Personen wütender Protest erhoben wird, wenn Gänsekiele und Stehpulte tatsächlich durch moderne Organisationstechniken ersetzt werden. Im Grunde, so erkläre ich mir diesen Widerspruch, ist dem Bürger der gute alte Ratsschreiber aus der Spitzweg-Zeit lieber als die elektronische Datenverarbeitung.
Der Einsatz der Technik in der Verwaltung, zumal der Technik der Datenverarbeitung, stößt immer noch auf eine Tabuschwelle. Visionen vom großen Bruder drängen sich auf. Der Bürger, so malt man sich das Schreckensbild weiter aus, wird zur Nummer, zum bloßen Verwaltungsobjekt. Trotzdem bedarf es keiner weiteren Begründung, das alle Möglichkeiten der Rationalisierung im öffentlichen Dienst ausgeschöpft werden müssen. Wir werden sonst die immer noch steigenden Anforderungen an die öffentliche Hand nicht bewältigen können.
Ebenso klar wie die Notwendigkeit der Rationalisierung ist ihre Grenze: Rationalisierung in der Verwaltung findet dort ihre Grenze, wo sie beginnen würde, Rechte des Bürgers einzuschränken oder zu schmälern. Es geht also nicht um mehr Verwaltungsmacht auf Kosten des Bürgers, sondern es geht um einen besseren Verwaltungsservice zugunsten des Bürgers.
Schon immer haben neue technische Entwicklungen Widerstände zu überwinden gehabt. Das gilt für den Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ebenso wie für die zunehmende Automatisierung nach dem letzten Krieg. Mit einiger zeitlicher Verzögerung erreichte die Automatisierung auch den Verwaltungsbereich der Wirtschaft und des Staates. Auch hier sind an vielen Stellen durch die elektronische Datenverarbeitung Umwälzungen erreicht worden. Dabei steht die Verwaltungsautomatisierung erst am Anfang.
Die sich anbahnende Veränderung im Bereich der Verwaltung, in der wir uns zur Zeit befinden, hat weniger Besorgnis bei den Verwaltungsangehörigen selbst ausgelöst als politische und insbesondere gesellschaftspolitische Bedenken in der Öffentlichkeit. Wie jedes technische Instrument bietet auch der Computer Chancen und schafft Risiken. Wie immer in solchen Fällen bilden sich Meinungen, die von unbedingter Gegnerschaft bis zu schrankenloser Befürwortung reichen.
In der Tat muß die Verwaltungsautomatisierung zu Hoffnungen und Befürchtungen Anlaß geben; denn sie eröffnet neue Dimensionen im Bereich der Informationsverarbeitung, die bei einem so komplizierten Instrument von vielen mehr geahnt als genau übersehen werden.
Bei diesem Stand der Dinge ist die nüchterne Prüfung von Möglichkeiten und Gefahren das Gebot, dem sich Gesetzgeber und Regierung gegenübersehen. Es hilft nicht, wenn einer verschreckten Öffentlichkeit die Gefahren der Verwaltungsautomatisierung mit so schrillen Tönen vorgestellt werden, mit denen einst Orson Welles die Landung von Marsbewohnern glaubhaft gemacht hat. Ebenso verkehrt wäre es jedoch, den Computer lediglich als eine Art überdimensionale Schreibmaschine zu bagatellisieren.
Mit beiden Haltungen hat sich das Bundesministerium des Innern in den letzten Monaten und Jahren bereits auseinandergesetzt. Überraschend bleibt für mich dabei, daß über lange Zeit hinweg die Auseinandersetzungen überwiegend nur im Fachbereich geführt wurden und sich die Presse und die politische Öffentlichkeit für den Problembereich nur wenig interessiert haben. Das lag keineswegs daran, daß die Bundesregierung die sich abzeichnende Entwicklung etwa nicht gesehen hätte. Der Bundesminister des Innern hat seit Jahren in Reden, in einer weitverbreiteten Broschüre und in Interviews die Zusammenhänge aufgezeigt, aber lange keine politische Resonanz verspürt.
Insofern begrüße ich es, daß sich u. a. ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin mit einem Beitrag, der auf die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages abgestellt worden ist, mit diesen Fragen befaßt.
Die Bundesregierung hat dem Hohen Hause zwei Gesetzentwürfe vorgelegt. Sie sollen erstens den Vorteil der neuen Technik für die Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung nutzen und zweitens Gefahren, die aus dieser Technik allgemein für den Bürger erwachsen, abwehren. Ich spreche zunächst kurz über das Bundesmeldegesetz.
Es gilt, diejenigen Verwaltungsbereiche aufzuspüren, in denen noch Rationalisierungschancen bestehen, und einer der großen Verwaltungsbereiche, die sich für eine breite Anwendung der EDV in besonderem Maße eignen, ist das Meldewesen. Die hier typische Massenbearbeitung von Verwaltungsvorgängen kann durch Automatisierung erleichtert, beträchtlich beschleunigt und verbessert werden. Zugleich können neue, weit über dieses Verwaltungsgebiet hinausreichende Rationalisierungsvorteile gewonnen werden. Das Meldewesen kann zu einem Schlüsselinstrument der Automatisierung und Modernisierung weiter Bereiche der öffentlichen Verwaltung werden. Genau dieses Ziel verfolgt der Entwurf des Bundesmeldegesetzes, den der Herr Bundesminister des Innern vor zwei Jahren bereits an dieser Stelle zu begründen hatte. Zu meinem Bedauern war die Verabschiedung in der abgekürzten vergangenen Legislaturperiode nicht mehr möglich.
Mehr und mehr entwickelt sich das Meldewesen zur umfassenden Informationsquelle über personenbezogene Daten. Man mag den wachsenden Informationshunger der öffentlichen Hand beklagen. Da sich die Lebensverhältnisse aber ständig weiter differenzieren und jedermann Anspruch erhebt, möglichst individuell behandelt zu werden, da die Beziehungen des einzelnen zum Staat vorliegen oder Nichtvorliegen einzelner Tatsachen abhängen, wird man sich den Forderungen nach Informationen über den Bürger nicht entziehen können. Mit Machthunger oder Willkür der Behörden hat dies nichts zu tun. Gleichzeitig wird man nach Wegen suchen müssen, in einem möglichst rationellen, den Bürger entlastenden Verfahren die Informationen zu erhalten, sie sich also möglichst dort zu beschaffen, wo sie schon vorhanden sind.
Die Meldebehörden verfügen über viele personenbezogene Angaben, die in der öffentlichen Verwaltung häufig gebraucht werden. Die Meldebehörden sollen nun soweit wie möglich, aber auch nicht mehr als notwendig Informationen weitergeben, um anderweitige Verwaltungsarbeit zu ermöglichen, zu beschleunigen oder zu erleichtern und die Dienstleistungen eines modernen Staatswesens zu gewährleisten. Zugleich soll der Bürger mehr und mehr von Auskunftspflichten und Behördenwegen entlastet werden. Eine fühlbare Erleichterung soll ihm schon jetzt dadurch gewährt werden, daß er sich bei einem Wohnungswechsel innerhalb der Bundesrepublik nicht mehr abzumelden braucht.
Der Einsatz des technischen Instruments EDV bedingt allerdings eine Vereinheitlichung der Verwaltungsverfahren. Sie ist notwendig, um die in zunehmendem Maße mobile und über die Grenzen der Bundesländer hinweg fluktuierende Bevölkerung verwaltungsmäßig betreuen zu können. Die Alternativen wären ungleiche Belastungen, Pflichten und Leistungen für den Bürger, die er nicht verstehen würde. Dies ist der Grund dafür, meine Damen und Herren, weshalb der Bund erstmalig die ihm für das Meldewesen zustehende Rahmenkompetenz nützen will.
Ich möchte hier von den Regelungen des Gesetzentwurfs diejenigen Maßnahmen herausgreifen, die
die Öffentlichkeit am meisten bewegen und nach den bisherigen Beobachtungen auch künftig weiter beschäftigen werden, weil sie jeden einzelnen angehen: die Einführung des bundeseinheitlichen Personenkennzeichens, das jeder Bürger als zwölfstellige Nummer erhalten und auf Lebenszeit behalten soll. Ich habe den Eindruck, in der Bevölkerung bildet sich zunehmend ein Bewußtsein dafür, daß der ja.jetzt schon vielfach numerierte Mensch nichts an Persönlichkeit dadurch einbüßt, daß ihm ein einheitliches Geschäftszeichen zugewiesen wird, unter dem er mit der Verwaltung seinen Geschäftsverkehr zweckmäßig abwickeln kann. Eine Zeitlang ist gegen die Ankündigung eines Personenkennzeichens überwiegend emotional argumentiert worden. Inzwischen hat der Rationalisierungsgedanke, der hinter dieser Vereinheitlichung der Vielzahl von Nummern steht, mit der der Bürger heute leben muß, Verständnis gefunden und überwiegend zu einer nüchternen Betrachtungsweise geführt. Demoskopische Untersuchungen zeigen dies.
Es sind nämlich überzeugende Vorteile, die das Personenkenzeichen der öffentlichen Verwaltung als ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Anwendung der EDV bringen wird. Der Computer kann vor allem in den Verwaltungsbereichen, in denen Massen- und Routinearbeiten geleistet werden müssen, eingesetzt werden, und zwar nur dann, wenn Verwaltungstatbestände automationsgerecht gestaltet sind. Dazu gehört eben ein eindeutiges Geschäftszeichen, mit dem Daten unverwechselbar zugeordnet und durch das nicht zuletzt auch Fehlleitungen von Informationen in falsche Hände verhindert werden können.
Aus vielen Bereichen, z. B. Steuerverwaltung, Sozialversicherung, Ausweiswesen, Bundeswehr oder ganz simpel, meine Damen und Herren, von unserem Fernsprechnetz kennen wir längst diesen Effekt dort millionenfach vergebener Nummern. Beim Personenkennzeichen geht es darum, auch für andere Bereiche ein solches System zu schaffen, insbesondere im Einwohnermeldewesen und bei anderen personenbezogenen Verwaltungstätigkeiten. Das gilt für die vielfältigen lebenswichtigen Planungsmaßnahmen, für Statistiken oder für Personalverwaltungen.
Es werden immer wieder Stimmen laut, die sich gerade gegen diese beabsichtigte breite Nutzung des Personenkennzeichens wenden und darin einen Gefährdungstatbestand erblicken. Ich möchte hierzu deutlich Stellung beziehen. Es wäre töricht zu leugnen, daß die Verknüpfung von Personendaten im Informationsverbund die Persönlichkeitssphäre Gefährdungen aussetzen kann.
Die Konsequenz aus dieser Feststellung darf aber nicht lauten: Verzicht auf dieses hervorragende Arbeitsmittel EDV oder Verzicht auf das Personenkennzeichen, das ja nur ein Baustein im System der Verwaltungsautomatisierung ist. Die einzig zulässige, aber auch notwendige Konsequenz muß vielmehr darin bestehen, rechtlich und technisch ausreichende und im Aufwand vertretbare Vorkehrungen zu treffen, um Mißbräuche zu verhindern. Das muß und wird geschehen. Eingehende Vorarbeiten sind bereits geleistet worden.
Andere Staaten sind diesen Schritt schon früher gegangen als wir. Die skandinavischen Länder und Israel haben schon 1948 mit der Vergabe von Personenkennzeichen begonnen. Inzwischen laufen in vielen europäischen und außereuropäischen Staaten ähnliche Bemühungen, deren Erfahrungen wir uns zunutze machen sollten.
Die Aussage des Bundesinnenministers vor zwei Jahren, daß wir nicht mit deutscher Gründlichkeit einen Alleingang unternehmen, sondern ebenso wie andere Staaten zeitgemäße und effektivere Formen des Verwaltungshandelns finden wollen, werden neuerdings auch durch internationale Aktivitäten, durch Erfahrungsaustausch und gegenseitige Planungshilfe bestätigt.
Der notwendigen Rechtsvereinheitlichung und Modernisierung auf dem Gebiete des Meldewesens dienen auch die übrigen Regelungen des Rahmengesetzentwurfs. Besondere Bedeutung haben diejenigen Regelungen, die die Grenzen des Austauschs personenbezogener Daten zum Inhalt haben.
Es trifft zwar nicht zu, was viele behaupten, daß es nur des Personenkennzeichens bedürfe, um auf Knopfdruck alle an den verschiedensten Stellen gespeicherten Informationen zusammenzuführen und den Bürger durchsichtig zu machen. Diese Vorstellung ist fast so märchenhaft wie das berühmte Tischlein-deck-dich. Dennoch muß aber geregelt werden, wer im Wege des Datenaustauschs Zutritt zu Informationen über den Bürger haben darf.
Es handelt sich um eine wesentliche Forderung zum Schutz der Privatsphäre, nach der nämlich Informationen nur an denjenigen gehen sollen, der sie zur rechtmäßigen Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Diese melderechtlichen Regelungen sind im wesentlichen unverändert aus der Gesetzesvorlage der vergangenen Legislaturperiode übernommen worden.
Ich betone dies, um nochmals klarzustellen, daß die Bundesregierung das Problem des Datenschutzes nicht erst jetzt aufgegriffen hat, nachdem in jüngster Zeit der Ruf nach wirksamen Regelungen zur Sicherung des Persönlichkeitsrechts hörbar geworden ist.
Ich bin sehr froh, Ihnen nunmehr mit dem Entwurf eines Bundes-Datenschutzgesetzes eine umfassende Konzeption für diese von mir in ihrer allgemeinen und gesellschaftspolitischen Bedeutung hoch eingeschätzte Rechtsmaterie vorlegen zu können.
Ich möchte nun noch einige wenige Ausführungen zu diesem zweiten, Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf machen. Ausgangsüberlegung und Ziel ist, daß der Datenschutz in alle Rationalisierungsmaßnahmen einprogrammiert werden muß. Der Staat muß für ein höchstmögliches Maß an zuverlässigen Vorkehrungen zum Schutze personenbezogener Daten und damit zum Schutze des Bürgers sorgen. Auch neue technische Möglichkeiten dürfen das Recht der Menschen auf Individualität, auf einen Bereich der Privatheit und Selbstbestimmung, nicht antasten. Daher muß das Bundes-Datenschutzgesetz ein Garant dafür sein, daß unsere Gesellschaft trotz ihrer Klassifizierung als moderne Massengesellschaft weiterhin eine Gesellschaft freier Individuen bleiben kann.
Wegen der Neuartigkeit der Probleme und wegen der großen gesellschaftspolitischen Bedeutung wurde auf die Vorbereitung des Entwurfs eines BundesDatenschutzgesetzes große Sorgfalt verwendet. Im Verlaufe der etwa drei Jahre währenden Arbeiten wurde neben den Abstimmungsbesprechungen innerhalb der Bundesländer und im Kommunalbereich eine Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft und der Verbände sowie mit sonstigen Sachverständigen geführt.
Eine Reihe von Forschungsaufträgen erbrachte wertvolle Hinweise und Anregungen. Die Gutachten sind im Deutschen Bundestag bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage im September letzten Jahres vorgelegt worden. Um die vielfältigen und oft gegensätzlichen Positionen der verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft kennenzulernen und in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, hat das Bundesministerium des Innern vor einem Jahr eine dreitägige Anhörung zum Problem des Datenschutzes veranstaltet. Dabei wurden praktisch alle Interessen deutlich, die auch in jüngsten Veröffentlichungen wiedergegeben sind.
Wir hatten versucht, die so deutlich gewordenen unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Auffassungen, Forderungen und Interessenlagen gegeneinander abzuwägen und möglichst auszugleichen; die Bundesregierung ist so zu einer ausgewogenen Konzeption gekommen, die, wie sie meint, einen vernünftigen Mittelweg verfolgt.
Das Problem des Schutzes personenbezogener Angaben und Informationen und damit der Privatsphäre ist nicht neu; es wurde mit der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung nur besonders aktuell. Es gibt seit langem eine Fülle einzelner Rechtsvorschriften, die den Schutz der Privatsphäre gewährleisten sollen.
Der vorliegende Entwurf versucht nun, die Datenschutzproblematik umfassend zu lösen und ohne einseitige Beschränkung auf bestimmte technische Methoden wie die elektronische Datenverarbeitung. Dem betroffenen Bürger werden besondere Abwehrrechte gewährt: Der einzelne soll das Recht auf Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten erhalten. Dies wird gelegentlich als „Magna Charta des Datenschutzes" bezeichnet. Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere wenn Informationen falsch sind, entsteht ein Anspruch auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung der Daten.
Damit der Bürger erfährt, wo über ihn Daten gespeichert sein können, werden die Behörden verpflichtet, einem Veröffentlichungsgebot nachzukommen, das sich auf die Art der gespeicherten Daten bezieht.
Der Rahmen des Bundes-Datenschutzgesetzes ist weiter gezogen als bei den bisher bekanntgewordenen Datenschutzgesetzen bzw. -gesetzentwürfen der Bundesländer. Während die Länderregelungen bekanntlich wegen der Kompetenzlage auf die Landes-
bzw. Kommunalverwaltung beschränkt sind, sollen
auch die nicht öffentlichen Bereiche in das BundesDatenschutzgesetz einbezogen werden. Auch aus den etwa von Wirtschaftsunternehmen unterhaltenen umfangreichen Sammlungen von personenbezogenen Daten erwachsen der Privatsphäre erhebliche Gefahren.
Es ist nicht verwunderlich, daß gegen den Gesetzentwurf auch Kritik laut geworden ist, und zwar sowohl gegen einzelne Vorschriften wie auch gegen wesentliche richtungsbestimmende Elemente. Dabei fehlt auch nicht die Meinung, daß ein Datenschutzgesetz überhaupt entbehrlich sei, mindestens soweit es sich auf konventionellen Umgang mit Personendaten bezieht.
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Da die Kritik aber von seiten der Befürworter und der Gegner einer Bundes-Datenschutzregelung ziemlich gleichermaßen kommt, habe ich doch das Vertrauen, daß der Entwurf einen demokratisch notwendigen und sachlich gerechten Ausgleich der Interessengegensätze bringt.
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- Ich werde mich bemühen, die Einführung möglichst schnell zum Abschluß zu bringen, meine Herren Kollegen.
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Bei der Betrachtung des gesamten Entwurfs bleiben natürlich Spezialwünsche offen. Das BundesDatenschutzgesetz soll zunächst einen elementaren und wirkungsvollen Datenschutz schaffen, es soll aber nicht die zahllosen Fach- und Einzelfragen abschließend behandeln. Es wird Aufgabe des Gesetzgebers und der Bundesregierung sein, nach Verabschiedung des Bundes-Datenschutzgesetzes die notwendigen Folgevorschriften in den Einzelgesetzen zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß darauf hinweisen, daß die beiden Gesetzesvorhaben besonders dringlich sind. In weiten Teilen des Staates und der Wirtschaft ist die elektronische Datenverarbeitung bereits ein bestimmender Faktor des täglichen Verwaltungsgeschehens. Dort werden schon heute Personenkennzeichen vergeben, werden Daten ausgetauscht. Alle diese Bereiche warten auf die Entscheidung des Bundesgesetzgebers.
Schon heute orientieren sich Wirtschaft und Verwaltung an diesen Vorarbeiten zum Melde- und zum Datenschutzrecht. Volkswirtschaftlich bedenkliche Fehlinvestitionen gilt es zu vermeiden. Wir müssen aber so schnell wie möglich auch den Bedürfnissen derjenigen Rechnung tragen, die in der nicht durch Bundesgesetz geregelten und gesteuerten Automatisierung eine nur schwer zurücknehmbare Gefährdung der Freiheitssphäre des einzelnen Bürgers sehen.
Meine Damen und Herren, ich bitte namens der Bundesregierung das Hohe Haus um Unterstützung und zügige Verabschiedung der Vorlagen.
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Die beiden Gesetzentwürfe sind begründet. Ich eröffne die verbundene Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Staatssekretär Baum die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe begründet hat, möchte ich mich auf die Frage beschränken: Worum geht es bei den vorliegenden Entwürfen eines Datenschutzgesetzes und eines Bundesmeldegesetzes? Mit dem Bundesmeldegesetz werden die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung im Einwohnerwesen geschaffen und der Datenaustausch mit anderen Behörden des Bundes, der Länder und Gemeinden erleichtert. Diesem Ziel dient die Einführung des hier schon vorgestellten Personenkennzeichens für jeden Bürger, bestehend aus 12 Ziffern, und einheitlicher Regeln für das Gewinnen, Verwalten und die Abgabe personenbezogener Daten.
Die Tragweite dieser Vereinfachungs- und Vereinheitlichungsmaßnahmen im Zuge der Automation zeigt sich, wenn man beachtet, daß das Einwohnerwesen nicht für sich isoliert Personen registriert, sondern bereits nach geltendem Recht in einem regen Informationsaustausch untereinander, aber auch mit einer Vielzahl weiterer Behörden steht: Statistikbehörden, Standesämtern, Kreiswehrersatzämtern, Arbeitsämtern, kirchlichen Stellen, Ausländerbehörden, Polizei, Gesundheitsämtern und Paßbehörden; die Aufzählung dieser Behörden könnte man beliebig fortführen.
Die elektronische Datenverarbeitung wird demzufolge nicht nur die Speicherung von Daten wirtschaftlicher und damit rationeller gestalten - nämlich Computer statt herkömmlicher Verwaltungsakten -, sondern mit Hilfe des Personenkennzeichens den Datenaustausch und die Datenzusammenfassung aus ,den unterschiedlichsten Verwaltungszweigen in Sekundenschnelle und mit relativ geringem Verwaltungs- und Personalaufwand - zumindest im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren - ermöglichen.
Wie die Begründung des Regierungsentwurfs verdeutlicht, befinden sich diese Überlegungen zur Rationalisierung des Datenaustausches vorerst noch in einem Anfangstadium. Es wird sich in der Begründung ausdrücklich als sinnvoll bezeichnet, den Bestand an aktuellen Einwohnerdaten über den zur Zeit vorgeschriebenen Nachrichtenaustausch hinaus allen interessierten kommunalen und staatlichen Stellen in der öffentlichen Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben zugänglich zu machen. Mehrfacherfassungen und Mehrfachspeicherungen gleicher Daten würden dadurch weitgehend vermieden, lästige Auskunftspflichten blieben dem Bürger erspart.
Gerster ({0})
Der technische Fortschritt führt derartige Pläne aus dem Reich der Utopie in den Bereich Ides Machbaren; ja, noch weit umwälzendere Entwicklungen deuten sich bereits an. Lassen Sie mich das an einem Beispiel dartun. Moderne Datenverarbeitungsanlagen sind schon heute mit Massenspeichern auszustatten, die die Daten von Millionen Bürgern festhalten können. Stattet man eine derartige Rechenanlage mit genügend Hintergrundspeichern aus, auf die der Rechner ohne menschliches Zutun zurückgreifen kann, bzw. schafft man zwischen verschiedenen Datenbanken ein sogenanntes Verbundsystem, so können alle denkbaren persönlichen Angaben in Form von Dossiers über Einzelpersonen in Sekundenschnelle abgerufen werden. Mit einem Knopfdruck also könnte der Benutzer - vielleicht zukünftig das Bundeskanzleramt - sämtliche bei Behörden registrierten Angaben über jeden beliebigen Menschen, die in dezentralen Verwaltungen mit Hilfe von Computern gespeichert werden, zusammengefaßt zur Kenntnis bekommen - ein gespenstischer Gedanke, wenn man weiß, daß die Angaben, die bei Behörden heute schon über einzelne Personen geführt werden, etwa mit der Zahl 300 in Verbindung gebracht werden können, wobei hier höchstpersönliche Angaben, z. B. über das Krankheitsbild, über erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Besuch von Schulen, Vorstrafen, Steuererklärungen und dergleichen mehr, darin enthalten sind.
Bedeuten diese Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung zukünftig den Knüppel, der den Rechtsstaat zertrümmert?
Ähnliche Möglichkeiten und Gefahren sind neben dem staatlichen Bereich natürlich auch im Bereich nichtstaatlicher Organisationen grundsätzlich gegeben. Auch dort werden die Registrierung und Zusammenfassung von persönlichen Daten, z. B. aus Heilbehandlungen, Kreditgeschäften, Versicherungsabschlüssen, Arbeitsverhältnissen und dergleichen, mehr und mehr möglich und angestrebt. Mir liegen Unterlagen aus den Vereinigten Staaten vor, wo z. B. - um dies als eine Mißbrauchsmöglichkeit darzutun - eine in Zahlungsunfähigkeit geratene Auskunftei die Daten von mehr als drei Millionen Bürgern, die sich auch mit dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand dieser Personen befaßten, zur Versteigerung angeboten hat und in einer Anzeige sogar darauf hinwies, daß Angebote der Mafia, ja, sogar möglicher Erpresser, nicht ausgeschlossen würden; ja, einem Gewährsmann eines Abgeordneten wurden diese Unterlagen zu diesen Zwecken sogar ausdrücklich angeboten.
Weitere Fälle von Mißbrauch mit personenbezogenen Daten könnten in Fülle aus den vorliegenden Unterlagen gesehen werden, die zeigen, daß sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich mit der elektronischen Datenverarbeitung eine Vielzahl von Gefahren, vor allen Dingen durch die Erfassung und mißbräuchliche Weitergabe personenbezogener Angaben, entstehen können. Experten befürchten, daß die unkontrollierte Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung, angewandt auf personenbezogene Daten, zwangsläufig zu einer totalen Datenüberwachung durch den Staat und die private Wirtschaft führen muß - Aussichten, die die Vision George Orwells von 1984 erreichen, wenn nicht sogar übertreffen würden.
Meine Damen und Herren, das Bedürfnis des Staates, aber auch nichtstaatlicher Organisationen, Informationen von und über den Bürger zu erhalten, und der angedeutete und sich noch weiterentwickelnde Stand der Computer-Technik bedrohen - das konnte hier nur kurz angedeutet werden - den vom Grundgesetz gewährten Freiheitsraum des Bürgers und die unantastbare Sphäre privater Lebensgestaltung. Dieser sich anbahnenden Entwicklung gilt es, durch ein Datenschutzgesetz entgegenzusteuern, wobei unter Datenschutz natürlich nicht der Schutz von Daten, wofür die Formulierung sprechen könnte, zu verstehen ist, sondern der Schutz des Individuums vor dem Mißbrauch personenbezogener Daten. Es ist nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang von einem Grundgesetz des Datenschutzes, besser des Persönlichkeitsschutzes zu sprechen.
Der vorliegende Regierungsentwurf versucht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Nach meiner persönlichen Überzeugung kommt er allerdings nur sehr bedingt und lückenhaft dem gesteckten Ziel nahe. So besteht er in den Bereichen, in denen der Schutz des einzelnen besonders klar und unzweideutig normiert werden müßte, aus unbestimmten Rechtsbegriffen, die nur sehr schwer zu deuten sind.
Dieser Entwurf wird der Bedeutung seiner Materie entsprechend und angesichts der Tatsache, daß die technische Entwicklung keinesfalls abgeschlossen ist und die dem einzelnen drohenden Gefahren überhaupt nicht voll erkannt werden können, daher sehr sorgfältig und gründlich in den Ausschüssen zu beraten sein. Der Bundestag hat die Chance, auf einem völlig neuartigen Rechtsgebiet ein Gesetz zu verabschieden, das lange Bestand haben wird und haben muß. Dabei wird es um nicht weniger als folgende Weichenstellung gehen: ob wir in Zukunft den selbständigen, unkontrollierten und damit unmanipulierten Bürger in verantworteter Freiheit oder den überwachten, zentral beeinflußten und verwalteten Menschen in Abhängigkeit haben werden. Werden wir die Möglichkeiten der modernen Technik nutzen, um den Freiheitsspielraum des einzelnen zu vergrößern, oder perfektionieren wir seine Abhängigkeit und Beherrschung? Wir müssen die Chance zur Rationalisierung und Kostenersparnis nutzbar machen, aber gleichzeitig die Möglichkeiten, in den Freiheitsraum des Menschen hinein zu verwalten und damit Freiheit wegzunehmen, verhindern. Dies bedeutet im grundsätzlichen: Rationalisierung und Kostenersparnis müssen dort ihre Grenzen finden, wo die im Grundgesetz garantierte Freiheits- und Privatsphäre des einzelnen gefährdet werden können.
Die CDU/CSU-Fraktion wird aus dieser Bewertung heraus in den Einzelberatungen u. a. folgende Grundsätze beachten:
1. Bundesmeldegesetz und Datenschutzgesetz müssen gemeinsam beraten und verabschiedet werden. Dabei muß das nachgeholt werden, was von zwei verwandten Gesetzentwürfen aus der gleichen Ab4022
Gerster ({1})
teilung des gleichen Hauses hätte erwartet werden können: eine aufeinander abgestimmte, sich ergänzende eindeutige Gesetzessprache.
2. Persönlichkeitsschutz und Privatsphäre des Bürgers müssen gegen mißbräuchliche Angriffe aus öffentlichen und privaten Bereichen in gleichem Umfange gesichert werden.
3. Da die Personenkennziffer die Gefahr, umfassende Dossiers über einzelne Personen herstellen zu können, vergrößert, müssen die Probleme eines Verbundsystems bürgerfreundlicher gelöst werden.
4. Die Privatsphäre des Bürgers muß gegen kombinierte Systeme der elektronischen Datenverarbeitung und herkömmlicher Datensammlungen geschützt werden.
5. Die Schutzrechte des Bürgers werden im Vordergrund stehen. Dabei müssen auch Schadensersatzpflichten als abschreckende Sanktionen in Betracht gezogen werden.
6. Geheimhaltungspflichten und Manipulationsverbote sind für alle Personen aufzustellen, die mit personenbezogenen Daten in Verbindung kommen. Verstöße hiergegen müssen wegen ihres kriminellen Unrechtsgehaltes in das Strafgesetzbuch, nicht in das Datenschutzgesetz, aufgenommen werden.
7. Die Einhaltung und Durchführung der Vorschriften auf dem Gebiet des Datenschutzes muß unter allen Umständen gewährleistet sein. Weder im öffentlichen noch privaten Bereich reicht hierzu die vorgesehene Selbstkontrolle aus.
8. Der Datenschutz beginnt nicht erst bei der Weitergabe, sondern bereits bei der Erfassung der Daten.
9. Dem Selbstbestimmungsrecht des Bürgers über Daten aus seiner Privatsphäre muß stärker Geltung verschafft werden.
l0. Der Datenschutz ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Privatsphäre, sondern auch im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz effektiver auszugestalten.
Bundesmeldegesetz und Bundes-Datenschutzgesetz setzen neue Marksteine für öffentliche und private Verwaltungen. Neben dem Ziel, aus Gründen der Kostenersparnis zu rationalisieren, muß der Schutz des Individuums im Vordergrund stehen. Der Mensch darf nicht zum Objekt übermächtiger Verwaltungen werden, sondern er ist Subjekt, dem diese zu dienen verpflichtet sind. Hierin unterscheiden wir uns gerade von totalitären Staaten. Die elektronische Datenverarbeitung, eingesetzt in der Verwaltung, muß dem Menschen dienen, nicht der Mensch der technisch fortzuentwickelnden Verwaltung. Diese Überlegungen werden den Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen bestimmen müssen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeornete Wernitz. Er hat 20 Minuten anmelden lassen.
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- Das Haus wäre Ihnen dafür sehr dankbar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß mit den Drucksachen 7/1027 und 7/1059, dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung - kurz dem Bundes-Datenschutzgesetz - und dem Entwurf eines Gesetzes über das Meldewesen - Bundesmeldegesetz - zu zwei wichtigen Gesetzesinitiativen der Bundesregierung die öffentliche Beratung im Bundestag aufgenommen wird. Dieser erste parlamentarische Durchgang bietet Gelegenheit, auf grundsätzliche Aspekte und Probleme von besonderem Interesse im Zusammenhang mit beiden Gesetzesvorlagen einzugehen.
Die verbundene Beratung beruht auf dem inneren Sachzusammenhang beider Entwürfe. Nach unserer Auffassung sollte deshalb im Interesse optimaler Regelungen weiterhin daran festgehalten werden, das Gesetzespaket als Ganzes durch die Beratungen zu bringen und möglichst nicht aufzuschnüren. Dabei muß und wird deutlich werden, daß das Datenschutzgesetz keineswegs die Position eines fragwürdigen Feigenblattgesetzes hat, wie es da und dort dieser Tage auch in der Presse wieder zu lesen war.
Der Entwurf eines Datenschutzgesetzes will eine Art Grundschutz im Bereich des Datenverkehrs einführen. Sonderregelungen, die darüber hinausgehen, sollen weiterhin in Spezialvorschriften aufgenommen werden. In diesem Sinne ist die Vorlage verschiedentlich mit guten Gründen als eine Art Grundgesetz oder Leitlinie des Datenschutzes apostrophiert worden. Dieser hohe Anspruch verpflichtet allerdings in starkem Maße. Wirksamer Datenschutz ist unbestreitbar eine der dringlichsten gesellschaftspolitischen Aufgaben. Die Datenverarbeitung hat in den letzten Jahren nahezu alle Lebensbereiche erfaßt und setzt ihren Siegeszug stürmisch fort. Der Bürger sieht zwar ein, daß unsere hochtechnisierte Industriegesellschaft ohne Datenverarbeitung nicht auskommt. Er ahnt jedoch zumeist nicht, daß es zwar keine Rückkehr, wohl aber verschiedene Wege in die Zukunft gibt.
Ob die in diesem Zusammenhang gelegentlich sehr plakativ diskutierten Extremvisionen - hie heiles Datenparadies, dort totalitäre Dossierdiktatur - wirklich ernsthaft weiterhelfen können, mag hier einmal offenbleiben. Tatsache ist jedenfalls, daß der Einsatz modernster Techniken bei der Informationssammlung und -verarbeitung in Wirtschaft und Verwaltung nicht nur die unbestreitbare Möglichkeit gesteigerter Leistungen und verbesserter Informationsqualität bietet. Die Kehrseite dieses Einsatzes sind zusätzliche Gefährdungen und Risiken für den Freiheitsraum des einzelnen Staatsbürgers wie auch für die Qualität und Struktur von Staat und Gesellschaft insgesamt. Dies gilt insbesondere dann, wenn große Datenverbundsysteme die Entwicklung eines umfassenden Persönlichkeitsbildes aus zahlreichen Einzeldaten ermöglichen.
Deshalb ist es dringend erforderlich, letztlich zur Erhaltung des demokratischen Rechtsstaats, den grundgesetzlich garantierten Freiheitsraum des Bürgers, kurz sein Persönlichkeitsrecht, zu schützen.
Man muß also dafür sorgen, daß der Datenschutz zum ständigen Begleiter der Datenverarbeitung wird, daß eine permanente Verknüpfung von Datenverarbeitung und Datenschutz stattfindet.
Mit dem Bundes-Datenschutzgesetz muß eine ausgewogene Lösung zwischen dem Interessenwiderstreit des Anspruchs auf Schutz der Privatsphäre einerseits und dem Informationsanspruch von Staat und Gesellschaft andererseits gefunden werden. Soll Datenschutz effektiv und praktikabel zugleich sein - und davon geht man mit Recht aus -, so werden im übrigen mit den wissenschaftlichen und anderen Sachverständigen folgende Bedingungen zu fordern sein.
Erstens. Um wirkungsvoll zu schützen, muß insbesondere den Gefahren der EDV Rechnung getragen werden.
Zweitens. Die Anforderungen dürfen nicht auf die Blockierung des Computers hinauslaufen.
Drittens. Dem technischen Fortschritt muß Rechnung getragen werden.
Umfassende Versuche einer gesetzlichen Regelung des Datenschutzes haben mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen.
So fehlen erstens weitgehend umfassende Vorbilder. Bisher bekannte, auch ausländische Gesetze regeln nur Teilbereiche.
Zweitens. Da integrierte Verbundsysteme bisher nur ansatzweise existieren, sind die Anforderungen an ein entsprechendes Gesetz in Einzelheiten nicht voll überschaubar.
Drittens. Wichtige Grundfragen, insbesondere rechtlicher Art, sind in letzter Konsequenz nicht voll geklärt.
Aus alledem kann jedoch nicht die Forderung nach legislativer Abstinenz auf diesem Gebiet abgeleitet werden. Im Gegenteil, bei der Datenverarbeitung besteht noch Aussicht - man könnte sagen: noch Aussicht -, eine sich abzeichnende Entwicklung so steuern zu können, daß gravierende Schäden nicht eintreten. Wir stehen insofern vor einem Scheideweg der weiteren Entwicklung.
Mit Steinmüller, einem Experten auf diesem Gebiet, möchte ich sagen: Entweder man sucht technisch optimale Systeme in der öffentlichen Verwaltung und im privaten Bereich zu konstruieren mit der Folge, daß nachträglich Datenschutzregelungen mühselig eingebaut werden müssen, oder es werden von vornherein Syteme datenschutzgerecht geplant nach dem Motto: ergänzungsbedürftige Regelungen jetzt geschaffen sind besser als verpätet verabschiedete perfekte Regelungen.
Umgekehrt wird der Gesetzgeber gerade wegen der weichenstellenden Wirkung sorgfältig darauf zu achten haben, daß es nicht zu erkennbaren ungenügenden oder wirkungslosen Regelungen kommt. Der Bunderegierung, dem Bundesministerium des Innern und allen Beteiligten gebührt insofern Dank, als hier die Probleme des Datenschutzes doch sehr umgreifend angegangen und durch die Gesetzesvorlagen der konkrete Ausgangspunkt für eine intensive parlamentarische Beratung geboten wurde.
Auch bei kritischer Würdigung, die von der notwendigen Verbesserung des vorliegenden Datenschutzkonzepts ausgeht, wird man mit Datenschutzgutachter Steinmüller dem vorliegenden Gesetzentwurf gesetzestechnische und auch inhaltliche Pionierarbeit nicht absprechen können.
Der Entwurf zum Datenschutzrecht ist vor dem Hintergrund beachtlicher Vorarbeiten zu würdigen. Hierbei muß insbesondere das hessische Datenschutzgesetz aus dem Jahre 1970, eines der ersten Datenschutzgesetze der Welt, erwähnt werden. In Verbindung mit den Tätigkeitsberichten des hessischen Datenschutzbeauftragten hat es wichtige Impulse gegeben, die im übrigen auch auf Gesetzesinitiativen anderer Bundesländer ausstrahlen. Erwähnt werden muß auch die fundierte Gesetzesinitiative der IPA, die seinerzeit ins Parlament eingespeist worden ist. Auch in mehreren Kleinen Anfragen wurden im Bundestag die Datenschutzprobleme angeschnitten. Erwähnenswert ist weiterhin das Verfahren bei der Erarbeitung der Datenschutzregierungsvorlage, das sorgfältige wissenschaftliche Vorarbeit in Form von Gutachten kompetenter Wissenschaftler und einer allerdings internen Anhörung im November 1972 beim Bundesminister des Innern einschloß.
Der Innenausschuß und die anderen mit zuständigen Ausschüsse werden diese gewichtigen Materialien bei der Gesetzesberatung sehr gründlich mit einzubeziehen haben. Darüber hinaus hält es die sozialdemokratische Bundestagsfraktion für erforderlich, in einem Anhörungsverfahren nach wie vor offene Fragen über notwendige und mögliche Sicherungen gegen Datenmißbrauch zu klären. Dies könnte auch mit dazu beitragen, das Problembewußtsein bei uns selbst in diesem Hause und bei einer breiteren Öffentlichkeit zu schärfen.
Vor diesem Hintergrund und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, möchte ich einige der möglicherweise oder sicher kontroversen Punkte der Datenschutzvorlage ansprechen.
Erstens. Die Vorschriften des Bundes-Datenschutzgesetzes sollen nur dann angewandt werden, wenn bestehende oder künftige Spezialvorschriften dem nicht entgegenstehen. Ein derartiges Subsidiaritätsprinzip könnte in ein gefährliches System legislativer Durchbrechung münden.
Zweitens. Das Prinzip der freien Datenermittlung und Datenbeschaffung - der Kollege von der CDU hat das auch schon angesprochen - sollte unter Datenschutzgesichtspunkten nochmals gründlich geprüft werden; denn vor der Speicherung liegen die Suche nach der Information und ihre Beschaffung. Die Interessen des einzelnen stehen bereits in dem Augenblick zur Diskussion, in dem private oder öffentliche Stellen personenbezogene Daten zu sammeln beginnen.
Drittens. Läßt sich wirksamer Datenschutz ohne Inventarisierung und Datengewichtung durchführen? Andersherum kann man argumentieren, indem man die einschlägige Fragestellung des hessischen Ministerpräsidenten im Bundesrat aufgreift, der die Methodik des Entwurfs ansprach, den gesetzlichen
Schutz des Bürgers in Generalklauseln aufzufangen, ohne die Schutzmaßnahmen zu konkretisieren, und der nach objektiven Maßstäben fragte.
Viertens. Das Interesse staatlicher und privater Verwaltung ist tendenziell auf totale Information ausgerichtet. Gerade deshalb rückt die Frage nach geplanten Schutz- bzw. Kontrollmaßnahmen ins Zentrum des Interesses. Der Gesetzentwurf gibt im wesentlichen der Selbstüberwachung und Selbstverantwortlichkeit den Vorzug vor der Fremdkontrolle. Für den Bereich der öffentlichen Verwaltung soll als Kontrolle allein die bereits bestehende behördeninterne Aufsicht ausreichen. Im nichtöffentlichen Bereich soll bei innerbetrieblicher Datenverarbeitung ein betrieblich bestellter Obmann - Steinmüller nennt ihn überspitzt, aber treffend „Datenschutzknecht" - überwachend tätig werden, während im übrigen eine externe Kontrolle durch die nach Landesrecht zuständigen Aufsichtsbehörden vorgesehen ist.
Es wird gerade hier notwendig sein, alle vorgebrachten Argumente in der Anhörung mit größter Sorgfalt abzuwägen. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die Auffassung der Wissenschaft eindeutig dahin geht, die Einsetzung einer unabhängigen Kontrollinstanz für den öffentlichen und nichtöffentlichen Bereich als unerläßliche Voraussetzung wirksamen Datenschutzes zu fordern. Gleichlautende Forderungen aus Hessen sollten gerade vor dem Hintergrund des dortigen positiven Erfahrungshorizonts mit einem unabhängigen Datenschutzbeauftragten zusätzlich nachdenklich stimmen.
Fünftens. Hohen Aufmerksamkeitswert dürfte auch die Frage nach dem optimalen Verhältnis von Datenschutz und Eigeninitiative bzw. Kontrollrecht des Betroffenen gewinnen. Hier kommt es darauf an, soweit wie möglich dem Grundsatz zum Durchbruch zu helfen, daß Datenverarbeitung für den Bürger kein Buch mit sieben Siegeln bleibt. Die Aktivität des einzelnen Bürgers hängt wesentlich davon ab, ob das Ausmaß der ihm gebotenen Informationen jenen Grad erreicht, daß er die Tragweite der Datenverarbeitung ermessen und bei Gefährdung seiner Interessen aktiv werden kann.
Sechstens. Das Thema eines angemessenen Verhältnisses von Aufwand und Schutzwirkung im Gesetzentwurf wird ebenfalls zu erörtern sein. Der grundgesetzliche Persönlichkeitsschutz müßte Schranken für die ungezügelte Rationalisierung setzen und nicht umgekehrt.
Siebtens. Angesichts des Trends zum Verbund zwischen öffentlichen und privaten Systemen wird eine isolierte Betrachtung des öffentlichen und des privaten Bereichs problematisch, dies um so mehr, wenn man an das Personenkennzeichen des Bundesmeldegesetzentwurfs als das potentielle Integrationsmittel denkt. Hier stellt sich übrigens noch einmal nachdrücklich die Frage nach der Effektivität der vorgeschlagenen Kontrollmechanismen.
Achtens. Es wäre bedenklich, wenn multinationale Wirtschaftsunternehmen, soweit sie interene Informationssysteme betreiben, nicht den Datenschutzvorschriften unterlägen. In den Beratungen sollte deshalb über Regelungen gesprochen werden, welche die Sammlung und Weitergabe von Informationen für Speicherungszwecke im Ausland verbieten. Es könnte sonst der Fall eintreten, daß sich findige Länder nicht nur als Steuer-, sondern auch als Informationsparadies profilieren.
Neuntens. Der Gesetzentwurf sieht für die Presse im Zusammenhang mit dem Grundrecht der Pressefreiheit einer Sonderstatus vor. Es wird nützlich sein, auch hier noch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens den allgemeinen Begriff „Presse" zu präzisieren bzw. die Materie dort zu regeln, wo auf die spezifischen Probleme der Presse eingegangen wird, nämlich im Presserecht.
Zehntens. Wenigstens am Rande der hier heute gepflogenen Erörterungen sei das Thema des Informationsgleichgewichts zwischen Exekutive und Legislative angedeutet. Diese Seite des Datenschutzes im weiteren Sinne wird wohl in neuerer wissenschaftlicher Diskussion behandelt. In den Gesetzentwürfen schlug sie sich bislang noch nicht ausreichend nieder.
Diese Ausführungen zu einigen grundsätzlichen Problemen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier vorgetragen, sollten nur demonstrieren, wie wichtig eine offene und gründliche, aber zugleich auch rasche Beratung der Vorlagen zum Datenschutzgesetz und Bundesmeldegesetz ist.
Zur Datenschutzfrage sei noch auf das umfangreiche Datenschutzgutachten für das Bundesministerium des Innern hingewiesen, wonach Datenschutz ein politisches und - daraus abgeleitet - ein organisatorisches und finanzielles, aber in erster Linie ein technisches Problem ist. Dessen sollte man sich bei den einschlägigen Beratungen der nächsten Zeit stets bewußt bleiben.
Abschließend noch eine kurze Bemerkung zum Entwurf eines Bundesmeldegesetzes über den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Datenschutz hinaus. Hier ist vor allem der Funktionswandel des Meldewesens vom rein sicherheitspolizeilichen Instrument zu einem personenbezogenen Informationssystem für die öffentliche Verwaltung auf allen Ebenen zu nennen. Die sicherheitspolitische Funktion des Melde- bzw. Einwohnerwesens, nach wie vor zur Verbrechensbekämpfung erforderlich, kommt in der Forderung nach bundeseinheitlicher Meldepflicht für Übernachtungen in Beherbergungsstätten zum Ausdruck. Hierbei handelt es sich um eine Forderung der Ständigen Konferenz der Innenminister. Besonders heftig ist in der Öffentlichkeit - wie mir scheint, mit Recht - die zusätzliche Vorschrift umstritten, wonach die Leiter der Beherbergungsstätten verpflichtet sein sollen, die Identität ihrer Gäste zu prüfen und deren Daten der zuständigen Behörde mitzuteilen. Diese Passage läßt sich kaum ernsthaft unter das Stichwort Verbrechensbekämpfung subsumieren, und über andere denkbare Privatkombinationen sollte man den verschwiegenen Mantel der Nächstenliebe decken und nicht das PKZ, das Personenkennzeichen, mobilisieren.
Es bleibt zu hoffen, daß während der kommenden Ausschußberatungen zum Meldegesetz-Entwurf wie
auch zum Entwurf des Datenschutzgesetzes die künftigen Konturen des Gesetzespaketes mit der notwendigen Intensität erarbeitet werden.
Für die sozialdemokratische Fraktion ist dabei entscheidend, daß beide Gesetze dem Ziel nach mehr Lebensqualität für die Bürger nicht entgegenwirken dürfen, sondern zu entsprechen haben.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Groß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorgerückte Stunde und die Höflichkeit gegenüber denjenigen, die noch solange ausgehalten haben, scheinen es mir zu gebieten, die Wortmeldung kurzzuhalten. Das Thema der beiden Gesetzentwürfe, die miteinander zusammenhängen, könnte natürlich verlocken, hier allerhand Visionen der einen wie der anderen Spielart aufzubauen. Aber ich meine, es hat keinen Zweck, diese Thematik mit Emotionen zu beladen; sie helfen uns in diesem Hause jedenfalls bei Entscheidungen nicht. Wenn wir uns mit diesen Gesetzentwürfen zu beschäftigen haben, möchte ich keinen Zweifel darüber lassen, daß diese Gesetze von meiner Fraktion aus kritisch betrachtet werden; d. h. wir sehen die Notwendigkeit, einen Bereich, der dringend der Regelung bedarf, zu regeln, wir sehen aber auch die kritischen Punkte in diesem Bereich. Diese Zielkonflikte, z. B. zwischen einer Effektivität der Verwaltung und dem größtmöglichen Schutz des Individuums, können wir nur zugunsten des Schutzes des Individuums und mit dem Vorrang eines rechtsstaatlich einwandfreien Verfahrens lösen.
Der Meldegesetz-Entwurf verdiente über die Würdigung des Themas der Hotelmeldepflicht hinaus, bei dem auch mich einige Fragezeichen bisher noch nicht verlassen haben, wegen der Möglichkeiten zur Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung, der Möglichkeit der interdisziplinären Arbeit einer eingehenderer Würdigung. Ich denke, daß dies in den Ausschüssen und im Plenum in den abschließenden Beratungen geschehen kann.
Bei diesem zweiten Gesetzentwurf, dem Entwurf eines Bundes-Datenschutzgesetzes, sollten wir uns alle darüber klar sein, daß bisher dieser Bereich aller Daten, ob sie nun über eine elektronische Datenverarbeitung gespeichert sind oder aber ob sie konventioneller Natur sind, z. B. in Form von Karteien, sowohl innerhalb der öffentlichen Verwaltung als auch außerhalb der öffentlichen Verwaltung bisher nahezu im Wildwuchs gewachsen ist. Wir sollten hier feststellen, daß sich dieser Gesetzentwurf von allen bisherigen Gesetzen und Gesetzentwürfen in anderen Bundesländern entscheidend darin unterscheidet, daß hier auch der Bereich außerhalb der öffentlichen Verwaltung mit einbezogen wird und daß eben nicht nur der Bereich der elektronischen Datenverarbeitung mit allen dort vorhandenen Daten, sondern auch die konventionellen Daten mit einbezogen werden. Wir werden uns sicher vor der Euphorie hüten müssen, mit Hilfe dieser neueren Methoden nun alles lösen zu können. Wir werden uns natürlich auch vor der Annahme hüten
müssen, mit einem perfektionistisch gestalteten Gesetz dieser Problematik Herr zu werden.
Die Bundesregierung hat hier den positiv zu beurteilenden Versuch unternommen, Neuland zu betreten. In den anstehenden Beratungen sollten wir unsere Bemühungen nun nicht darauf konzentrieren, ein perfektes Gesetz zu erarbeiten, das wir ohnehin noch gar nicht schaffen können. Wir müssen vielmehr versuchen, den größtmöglichen Schutz der individuellen Interessen mit dem Ziel, eine Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung zu erreichen, zu vereinbaren, obwohl wir uns auch hier im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag keinen übermäßigen Erwartungen hingeben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Freien Demokraten begrüßen die Einbringung dieser Gesetzentwürfe. Wir werden in intensiver Arbeit in den Ausschüssen versuchen, die Gesetzentwürfe, soweit sie noch Unklarheiten enthalten, klarer zu machen.
Abschließend möchte ich noch sagen, daß wir es gern sähen, wenn der Entwurf eines Bundes-Datenschutzgesetzes zur Mitberatung auch noch dem Wirtschaftsausschuß überwiesen werden könnte.
({0})
Herr Abgeordneter, ich danke Ihnen für die vorbildliche Kürze Ihrer Ausführungen. Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Nach dem Vorschlag des Altestenrates soll der Entwurf eines Bundesmeldegesetzes dem Innenausschuß - federführend - und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Der Entwurf eines Bundes-Datenschutzgesetzes soll laut Vorschlag des Altestenrates dem Innenausschuß - federführend -, dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen zur Mitberatung sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Es ist nun noch beantragt worden, diesen Gesetzentwurf auch dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Schröder ({1}), Picard, Dr. Hornhues, Frau Dr. Neumeister, Dr. Narjes, Dr. Waffenschmidt, Frau Benedix und Genossen betr. einheitliches Notrufnummernsystem im Bundesgebiet
- Drucksachen 7/475, 7/1189 Berichterstatter:
Abgeordneter Weber ({2}) Abgeordneter Wuttke
Abgeordneter Hoffie
4026 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 67. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 29. November 1973
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich danke den Berichterstattern für ihren schriftlichen Bericht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Weber ({3}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihre Mahnung, sehr geehrter Herr Präsident, wohl zu Ihrer aller Freude beherzigen und mich angesichts der sehr späten Stunde kurzfassen. Ich muß allerdings sagen, daß die Kürze der Ausführungen natürlich nicht mit einer Herabstufung des Themas, über das wir sprechen, verwechselt werden darf.
Ich möchte zunächst die Befriedigung der CDU/ CSU-Fraktion darüber zum Ausdruck bringen, daß der Antrag auf Drucksache 7/475 meiner Fraktionskollegen offensichtlich mit zu einer beschleunigten Lösung eines Problems geführt hat, das schon seit einer Reihe von Jahren auf dem Tisch liegt. Nachdem die Finanzierungsfrage in der Vergangenheit immer der Hauptpunkt der Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Einführung des Notrufes 110 gewesen ist, ist dieses Problem im Übereinkommen zwischen den Regierungschefs des Bundes und der Länder vom September dieses Jahres gelöst worden. Die Deutsche Bundespost wird die notwendigen Investitionen vorfinanzieren und diese Kosten dann durch einen Zuschlag zu den laufenden Gebühren von den Ländern zurückerstattet bekommen.
Diese Entscheidung wird von meiner Fraktion sehr begrüßt; denn Sicherheit, Leben und Gesundheit der Bürger unseres Landes dürfen nicht von Zuständigkeitsfragen und fiskalischen Überlegungen abhängig sein.
Es ist schließlich für jeden Kenner der Sache unbestritten, daß nach einer generellen Einführung des Notrufs 110 für alle Teile unseres Landes mehr Menschen, die einen schweren Unfall haben, gerettet werden können. Erste und wesentliche Bedingung für eine erfolgreiche Rettung ist schließlich die schnellstmögliche Unfallmeldung.
Die Lösung der umstrittenen Finanzierungsfrage, meine sehr geehrten Damen und Herren, muß nun aber zur Folge haben, daß die Lösung in der Praxis, d. h. der weitere Ausbau bzw. die Einrichtung des einheitlichen Notrufs, so schnell wie möglich vonstatten geht. Nachdem die technischen Vorarbeiten abgeschlossen sind und die Deutsche Bundespost eine neue, moderne Technik entwickelt hat, heißt dies, daß die Lieferkapazitäten der Firmen voll ausgeschöpft werden müssen.
Wir gehen davon aus, daß die Einrichtung des einheitlichen Notrufs 110 im gesamten Bundesgebiet 1975 abgeschlossen werden kann und daß spätestens 1976, wenn möglich aber schon vorher, der münzfreie Notruf vom öffentlichen Fernsprecher aus erfolgen kann. Diesem münzfreien Notruf kommt ebenfalls große Bedeutung zu; denn wer hat im Notfall schon immer zwei Groschen in der Tasche? Vielleicht müssen es demnächst sogar drei Groschen sein. Die neue Technik der Deutschen Bundespost ermöglicht diesen münzfreien Notruf.
Es ist fast unnötig, zu erwähnen, daß die angerufenen Leitstellen der Polizei natürlich auch an Wochenenden und rund um die Uhr besetzt sein müssen. Hierfür sind die Länder verantwortlich. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an die Länder appellieren, daß andere vordringliche Aufgaben und Verbesserungen im Rettungswesen, z. B. die Beschaffung von Rettungs- und Notarztwagen, vorangetrieben und jetzt nicht etwa aus finanziellen Erwägungen zurückgestellt werden. Denn auf einen schnellen Notruf muß auch eine schnelle Reaktion erfolgen; sonst stimmt die ganze Sache nicht.
Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Länder in den Haushalten für 1974 bereits entsprechende Mittel einstellen, d. h. über Berlin und Rheinland-Pfalz hinaus, die schon Einrichtungen für den einheitlichen Notruf haben, und auch für Bayern und Baden-Württemberg hinaus, die das bereits eingeleitet haben.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist aufgefordert, bis zum 1. September 1974 über das Erreichte zu berichten. Ich darf abschließend noch einmal darauf hinweisen, daß die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern jetzt alles tut, um die schnellstmögliche Einführung des einheitlichen Notrufs 110 im gesamten Bundesgebiet zu erreichen, nachdem die Finanzierung geklärt ist und die technischen Voraussetzungen gegeben sind.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag auf eine möglich rasche Einführung des einheitlichen Notrufs 110 für Feuerwehr, Unfallrettungsdienst und Polizei im gesamten Bundesgebiet erfüllt in der Tat eine jahrelange Forderung aller Parteien dieses Hohen Hauses, eine Forderung von fast 600 Verbänden und Organisationen sowie auch der breiten Öffentlichkeit. Mein Kollege Mischnick hat sich schon kurz nach seinem Eintritt in den Bundestag intensiv mit der Problematik beschäftigt, und Herr Kollege Mertes richtete schon im November 1969 eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung, während der damals zuständige Minister Leber die Forderung auch in dem sogenannten Notrufkonzept der Deutschen Bundespost sehr konkret formuliert hat.
Auch auf Grund des Verkehrsberichts der Bundesregierung 1970 hatte der Verkehrsausschuß die Bundesregierung in einem Entschließungsantrag an das Plenum ersucht, auf eine Verbesserung des Notrufsystems hinzuwirken.
Nach dem Sachstandbericht, den die Regierung im Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen am 23. Mai und am 17. Oktober dieses Jahres gegeben hat, zeigte sich, daß der Antrag der Oppositionsabgeordneten vom 17. April 1973 durch die Entwicklung ja bereits überholt, Herr Kollege Weber, und damit, wie einmütig
festgestellt wurde, gegenstandslos geworden war. Wir haben im Ausschuß auch darauf hingewiesen, daß er als ungenügend zu betrachten ist, da er die Forderung nach einem münzfreien System, das erst die notwendige Effektivität bringt, unberücksichtigt läßt. Denn was nützt - Sie sind ja inzwischen selbst zu der Erkenntnis gekommen, Herr Weber - ein einheitliches Rufsystem, wenn Not und Tod an den zwei fehlenden lumpigen Groschen hängen und wenn der Hilferuf nicht sofort durchkommt?
Die von der Bundespost in jahrelanger Zusammenarbeit mit den Bundesländern entwickelte Konzeption, die ja weltweit als einzigartig gilt, geht deshalb über die Vereinheitlichung der Rufnummer hinaus und sieht einen münzfreien Gebrauch, die Blockadefreischaltung und die automatische Standortbestimmung vor. Die Übereinkunft der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 20. September 1973, die vorsieht, daß von der Deutschen Bundespost die Investitionen zunächst vorfinanziert und von den Ländern durch einen Zuschlag zu den laufenden jährlichen Gebühren zurückerstattet werden, schuf erst die Voraussetzungen dafür, daß der finanzielle Kompetenzstreit beendet wurde.
Wenn der vorliegende Antrag die Bundesregierung ersucht, dem Bundestag bis zum 1. September 1974 einen Bericht über die Verwirklichung der Einführung der Notrufnummer 110 zu geben, dann richtet sich unser Appell heute an alle Länder, durch eine schnelle Beantragung für diese lebenswichtige Einrichtung Sorge zu tragen. Wir meinen, es darf nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben, wenn es darum geht, alleine durch diese Maßnahme, wie Fachleute ja schätzen, jährlich etwa fast 20 000 Menschen vor Verkehrs- und Unfalltod zu retten, rechtzeitig Hilfe zur Stelle ist.
Wenn jede halbe Stunde ein Menschen im Straßenverkehr stirbt und fast jede Minute ein Mitbürger verletzt wird, sollten die Länder angesichts der vorgeschlagenen Finanzierung nicht mehr zögern dürfen, die insgesamt geschätzten 30 Millionen DM an Gebühren in die Haushalte einzusetzen. Mit diesen Belastungen wird es dann aber möglich sein, in allen Fernsprechortsnetzen die neue Notruftechnik einzuführen und jeweils drei von vier öffentlichen Münzfernsprechern mit münzfreiem Notruf auszustatten.
Damit hat diese Regierung, meine Damen und Herren, ein wichtiges Glied in der Kette des Rettungswesens geschlossen. Jetzt müssen die Länder handeln. Die FDP wird auch dort das Notwendige beitragen, um die jahrelangen Forderungen in die Tat umzusetzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seefeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem zur Aussprache stehenden Problem geht es darum, daß von jedem Fernsprechanschluß in jedem Ort der Bundesrepublik jederzeit direkt eine Verbindung zur jeweiligen Notrufzentrale hergestellt werden kann. Menschenleben dart nicht zusätzlich zu dem betreffenden Notfall noch in Gefahr geraten, weil Hilfesuchende und die, die Hilfe leisten wollen, zufällig keine Münzen in der Tasche haben.
Das Thema Notruf 110 hat unser Parlament in der Vergangenheit bereits mehrfach beschäftigt. Es hätte des Antrages von verschiedenen Oppositionsabgeordneten gar nicht bedurft, um tätig zu werden oder die Regierung zum Handeln aufzufordern. So erinnere ich an den Bundestagsbeschluß vom 2. Dezember 1971. Und in unserer 154. Sitzung der letzten Wahlperiode wurde die Bundesregierung ersucht, bis zum 1. Oktober 1972 einen Bericht über Maßnahmen zur Verbesserung des Rettungswesens vorzulegen.
Dieser Bericht ging wegen der vorgezogenen Bundestagswahl im April dieses Jahres als Bundestagsdrucksache 7/489 ein. In dem Antrag auf Drucksache VI/2846 war die Bundesregierung unter 2. c) ersucht worden, eindringlich auf die Länder einzuwirken, damit diese entsprechend ihrer Zuständigkeit nach Art. 30 des Grundgesetzes die Einrichtung der Notrufanschlüsse 110 in allen Fernsprechortsnetzen und die Einführung des münzfreien Notrufs an öffentlichen Münzfernsprechern bei der Deutschen Bundespost beantragen.
Ich muß erwähnen: allgemeines Einverständnis besteht darüber, daß die Errichtung und Unterhaltung von Notrufanlagen in erster Linie den Maßnahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zugeordnet ist und eine Kostenübernahme durch den Bund gegen Art. 104 a Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen würde.
In dem von mir schon erwähnten Bericht ist der damalige Sachstand auch ausführlich, z. B. auch über neue Notruftechniken, dargestellt. Wie sehr die Bundesregierung sich mit diesem Thema befaßt hat, ist besonders daran erkennbar, daß erstmalig auch ein Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung, nämlich Willy Brandt am 18. Januar 1973, die Probleme des Rettungswesens angesprochen hat.
Was ist nun, meine Damen und Herren, seitdem geschehen? Die Bundespost hat den Bundesländern ein Angebot unterbreitet, die Kosten für die Einrichtung des Notrufes vorzustrecken und von den Ländern auf dem Gebührenwege in Jahresraten wieder einzuziehen. Bestehende Meinungsunterschiede konnten inzwischen ausgeräumt werden bei einem Treffen des Herrn Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer. Die Bundesländer haben dabei ihre Bereitschaft erklärt, bei der Bundespost die Einrichtung des Notrufes 110 zu beantragen. Es ist bislang in der Öffentlichkeit immer wieder den Bundesländern der Vorwurf gemacht worden, sie würden nicht reagieren. Ich möchte hier feststellen, daß, soweit mir bekannt ist, einige Bundesländer, darunter die von Herrn Kollegen Weber schon erwähnten, aber auch Hessen, an die Arbeit gehen. Zu erwarten ist, daß auch die übrigen Bundesländer ihre Haushalte für das Jahr 1974 entsprechend fassen werden.
Was bleibt der Bundesregierung also im Moment mehr zu tun, als abzuwarten. Der zum 1. September 1974 erwartete Bericht, wie er im Antrag des Ausschusses auf der vorliegenden Drucksache gefordert wird, könnte dann aufzeigen, welche Bundesländer noch nicht mit der Arbeit begonnen haben. Erst wenn feststeht, daß die Bundesländer trotz ihrer Zusage sich dieser Aufgabe entziehen, wird nachzudenken sein, welche Maßnahmen die Bundesregierung dann zu ergreifen hat. Sollte, meine verehrten Kollegen, der Bericht der Bunderegierung dann am 1. September 1974 nicht den Wünschen dieses Hauses entsprechen und sollten die Länder wider Erwarten nicht mit der Einrichtung des Notrufes 110 begonnen haben, müßten die dafür gegebenen Begründungen sorgfältig untersucht und weitere, neue Vorschläge zur Lösung unterbreitet werden. Mögliche zu erwartende Schwierigkeiten sind hier schon angedeutet worden. Dies könnten evtl. sein: Kapazitätsprobleme beim Bau oder Fragen, die mit der Installation der Einrichtungen zu tun haben, oder aber fehlende Finanzmittel, Hier müßten wir dann an der Reihe sein, alle miteinander uns etwas einfallen zu lassen.
Nicht unerwähnt lassen sollten wir aber, meine Damen und Herren, die Ursachen, die zu den gegenwärtigen Problemen bei der Einführung des Notrufs 110 überhaupt geführt haben. Dabei muß die in den 50er Jahren amtierende Bundesregierung gefragt werden, warum bei der Konzipierung der automatischen Fernmeldetechnik der münzfreie Notruf vergessen wurde. Als es noch das „Fräulein vom Amt" gab, gab es über die gebührenfreie Auskunft die Möglichkeit, jeden Notruf über dieses „Fräulein vom Amt" an die richtige Stelle zu bringen.
Wenn ich richtig informiert bin, haben andere Länder, z. B. Schweden, fortschrittlicher gehandelt. Dort ist in jedem öffentlichen. Fernsprecher ein Knopf eingebaut, der einen münzfreien Notruf auf schnellstem Wege ermöglicht. Es bedarf also dort keiner besonderen Notrufmelder, die unser System verteuert haben.
Ich bringe auch in Erinnerung zurück, daß das Problem des Notrufs überhaupt erst auf dem Wege der Verbesserung der Erstversorgung von Unfallverletzten im Straßenverkehr in den Vordergrund trat. Dem ersten sozialdemokratischen Verkehrsminister blieb es vorbehalten, entscheidende Schritte zur Verbesserung dieses Notrufs 110 und der gesamten Probleme des Rettungswesens einzuleiten. Herr Minister Professor Ehmke hat die festgelegten Grundsätze bereitwilligst aufgenommen, und er ist bestrebt, sie zu einem für alle wertvollen Ergebnis zu bringen.
Die Herren Berichterstatter vermerken in ihrem Bericht - ich zitiere wörtlich -:
Der Ausschuß war einhellig der Auffassung, daß angesichts dieses Sachstandes ein erheblicher Teil der im Antrag enthaltenen Zielsetzung verwirklicht worden ist.
Da dies einmütig von Vertretern aller drei Fraktionen so formuliert wurde, liegt darin, ohne Zweifel eine Anerkennung für das bisher Veranlaßte.
Ich darf deshalb abschließend feststellen: Die Bundesregierung hat gehandelt. Der nächste Zug liegt jetzt bei den Bundesländern. Ich bin überzeugt, daß auch diese mithelfen werden, die Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, die zur Erhaltung von Leben und Gesundheit selbstverständlich sein sollten. Ich bin weiterhin überzeugt, daß mit dem einheitlichen und überall erreichbaren Notruf 110 der Weg geöffnet ist, mehr Menschen, die in Notfälle geraten sind, zu retten. Meine Fraktion dankt der Bundesregierung für das bisher Geleistete, und sie stimmt dem vorliegenden Antrag zu.
({0})
Das Wort zu diesem Punkt der Tagesordnung hat jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. September dieses Jahres wurde endlich eine Übereinkunft erzielt, um den münzfreien Notruf 110 in der Bundesrepublik zu verwirklichen. Ich möchte zu den technischen Details und auch zu den Rechtsfragen, die ja hier bereits genügend gewürdigt wurden, nicht Stellung nehmen. Tatsache ist jedoch, daß es allerhöchste Zeit war, daß eine solche Regelung verwirklicht wurde. Mit Recht hatten die Bürger in diesem Lande keinerlei Verständnis dafür, daß allein wegen einer Kompetenzstreitigkeit zwischen Bund und Ländern eine technische Möglichkeit zur Rettung von Menschenleben verschleppt und verzögert wurde.
Die Möglichkeiten sind jetzt eröffnet, und ich möchte nur kurz dazu Stellung nehmen, was die Bundesregierung seit dem 20. September unternommen hat.
Sie hat zunächst vorbereitet, daß der Verwaltungsrat bei der nächsten Möglichkeit eine Änderung der Fernsprechordnung auf der Grundlage des Beschlusses vom 20. September beschließen wird. Die Länder sind ja im Postverwaltungsrat vertreten, und die Zustimmung des Verwaltungsrates ist die rechtliche Voraussetzung für die weitere Verwirklichung der Maßnahmen.
Die Deutsche Bundespost hat im übrigen die Oberpostdirektionen angewiesen, mit den Ländern zur Festlegung von Ausbauprogrammen für die Jahre 1974, 1975 und 1976 in Verbindung zu treten. Wenn Anträge der Länder auf Ausrüstung von Anschlüssen mit der Notruftechnik nicht in der erhofften Zahl eingehen, werden die Lieferfirmen die Fertigung der Einrichtungen drosseln oder gar einstellen. Die unmittelbare Konsequenz wären höhere Preise oder gar eine Einstellung der Produktion.
Ich möchte an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit mit Nachdruck an die Länder appellieren, nun die Gelegenheit zur Einführung des Notrufs 110 tatsächlich auch beim Schopfe zu ergreifen. Ich bin leider in der unangenehmen Situation, Ihnen mitteilen zu müssen, daß seit dem 20. September 1973 bis jetzt lediglich ein Bundesland diesen Antrag
formell bei der Deutschen Bundespost gestellt hat. Ich bin der Meinung, daß hier mittlerweile schon kostbare Zeit vergeudet wurde.
({0}).
Wenn sich dagegen die Erwartungen, die wir alle miteinander haben, erfüllen, wird es möglich sein - allerdings nicht zum Jahre 1975, sondern bis Ende 1976; dies ist der frühestmögliche Zeitpunkt , in der Bundesrepublik Deutschland den Notruf einzuführen.
Die Deutsche Bundespost hat dann durch Bereitstellung eines neuen technischen Systems den ihr möglichen Beitrag zur Rettung von Menschenleben geleistet. Es kann dann nicht mehr dazu kommen, daß Menschen nur deshalb nicht aus Lebensgefahr gerettet werden, weil ein Hilferuf nicht rechtzeitig möglich war oder weil im entscheidenden Augenblick 20 Pfennige gefehlt haben.
({1})
Wird zu diesem Punkt weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur neunten Änderung der Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen
Drucksachen 7/857, 7/1228 Berichterstatter: Abgeordneter Kratz
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich stelle fest, daß das Haus gemäß dem Antrag des Ausschusses den Richtlinienvorschlag zur Kenntnis genommen hat.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zu den Zusatzpunkten zur Tagesordnung. Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder ({1}), Frau Dr. Walz, Weber ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Rationalisierung, Kosten- und Erfolgskontrolle im Bundesministerium für Forschung und Technologie
- Drucksache 7/865 Ich erteile zur Begründung Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat am 18. Januar dieses Jahres in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, daß die hohen Aufwendungen für Forschung und Technologie zu klaren Prioritäten zwängen und eine Abstimmung aller Forschungszweige erforderlich machten. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat vor der Max-Planck-Gesellschaft in München erklärt, man sei dabei, die in der Regierungserklärung angekündigte stärkere Orientierung der forschungspolitischen Prioritäten am gesellschaftlichen Bedarf in die Tat umzusetzen, allerdings müsse man sich darauf einstellen, daß die für Forschung und Technologie verfügbaren Ressourcen, in erster Linie die knappen finanziellen Mittel, künftig nicht mehr so rasch wachsen würden wie in der Vergangenheit.
Diese Äußerungen erwecken den Eindruck, die Forschungspolitik dieser Bundesregierung orientiere sich an einem langfristigen Gesamtrahmen sorgfältig definierter Prioritäten, und eine genaue Kosten- und Erfolgskontrolle biete die Gewähr für eine sinnvolle Mittelbewirtschaftung. Die Wirklichkeit sieht allerdings ganz anders aus. Das, was von Minister Ehmke als Forschungspolitik deklariert wird, ist eine Summierung zufälliger Äußerungen, aus der Not der Tagespolitik entsprungen. Eine rationale Festlegung der Forschungsschwerpunkte ist nicht ersichtlich, und die sogenannte Orientierung der Forschungspolitik an den gesellschaftlichen Bedürfnissen kommt über verbale Kraftakte nicht hinaus. Eine Kosten- und Erfolgskontrolle, die aufzeigt, wie und für was das Geld ausgegeben wird, ist nicht vorhanden.
Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb den Ihnen vorliegenden Antrag Drucksache 7/865 eingebracht, der die Rationalisierung und die Kosten- und Erfolgskontrolle im Bundesministerium für Forschung und Technologie zum Gegenstand hat. Ziel des Antrags ist einmal eine Verbesserung des finanzpolitischen Verhaltens und die Vereinfachung der Verwaltungsarbeit im Forschungsministerium und zum anderen eine fortlaufende Kostenkontrolle und projektbegleitende Erfolgskontrolle der mit Steuergeldern geförderten Projekte und Institute.
Wie dringend notwendig dieser Antrag ist, möchte ich kurz verdeutlichen. Die Teilung des ehemaligen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft in zwei Ministerien hätte für die Forschungspolitik eine große Chance bedeuten können. Was sie brachte, ist vor allem eine wesentliche Erhöhung des Verwaltungsaufwands, und zwar um mehr als 30 % gegenüber dem Vorjahr. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten war bis zur Neuorganisation des Hauses im Oktober in der Abteilung Verwaltung beschäftigt. In den Fachreferaten dagegen, wo die Sacharbeit des Ministeriums zu bewältigen ist, herrschte zum Teil akuter Personalmangel. Das Ministerium entwickelt sich zielstrebig zu einem Demonstrationsobjekt für die Gesetze von Herrn Parkinson, wonach am Schluß die Verwaltung nur noch damit beschäftigt ist, sicher selber zu verwalten. Die Personalausgaben der beiden Ministerien haben
sich seit 1969 fast verdreifacht. Neben einer Vermehrung der Planstellen von 500 auf 805 in diesen Jahren ist auch eine fortlaufende Stellenanhebung erfolgt. Wenn der gegenwärtige Trend des Hauses anhält, dann verdoppeln sich die Verwaltungsausgaben alle zweieinhalb Jahre. Diese Inflation von Planstellen und Kosten wird begleitet von einer als schlecht empfundenen Organisation.
Es nützt nichts, auf Grund rein politischer Überlegungen Organisationspläne anzufertigen, die sich über die Verwaltungs- und Management-Erfahrungen, die an anderen Stellen in Staat und Wirtschaft gemacht wurden, hinwegsetzen. Es genügt auch nicht, einige neue Referate zu schaffen, Unterabteilungen zu gründen, Arbeitsgruppen zu bilden, um dann zu erklären, man habe nun eine bessere und schlagkräftigere Organisation.
Was wir uns vorstellen - und das ist in diesem Antrag gefordert -, ist, daß diese Organisation von unabhängigen Sachverständigen überprüft und untersucht wird, wie modernste Bürotechnik eingesetzt werden kann. Im Interesse der Steuerzahler erscheint uns dieses dringend geboten. Das im Ministerium vorhandene Haushalts-, Forschungs- und Informationssystem muß weiter ausgebaut werden, damit die immer wieder deklarierte größere Transparenz in der Forschung auch verwirklicht werden kann. Die Wirtschaftspläne der Institute müssen sorgfältiger abgeklopft werden, um eine Fehlleitung von Mitteln zu verhindern. Dies ist in der Vergangenheit nicht in genügendem Umfang erfolgt. Das wiederum wurde mit Mangel an Personal begründet. Wenn man die Organisation verbessert, glauben wir, daß man auch hier vorankommen kann.
Das Bundesministerium für Forschung und Technologie gibt von den gesamten Geldern des Bundes für den Forschungsbereich nur 27% aus. Das soll aber nicht heißen, daß hier nicht ganz wesentliche Impulse gesetzt werden können, und zwar gerade mit den Forschungsprogrammen, die aus diesem Hause kommen. Allerdings müssen wir feststellen, daß eine Neuauflage dieser Programme bisher nicht erfolgt ist. Was das 4. Atomprogramm angeht, über das heute schon wiederholt gesprochen worden ist, so halten wir es gerade in der akuten energiepolitischen Situation für besonders bedauerlich, daß wir noch immer auf die Neufassung dieses Entwurfs warten müssen.
Die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand im Bereich von Forschung und Entwicklung erscheint uns undurchsichtig; die Vergaberichtlinien sind vielfach ein Buch mit sieben Siegeln. Die Berichte über die von der Bundesregierung geförderten Forschungsprojekte werden zwar in Berichtsreihen des Ministeriums verlegt, jedoch erscheint uns dieses Verfahren einer Pseudopublizität ungenügend; denn eine breite Diskussion in der Fachwelt findet in der Regel nicht statt; das Schlagwort „Demokratisierung" dient als Ersatz für fehlende Vorstellungen über die Ordnung des wissenschaftlichen Forschungsbetriebs.
Von den Mitteln, die das Haus für die Forschungsförderung ausgegeben hat, floß ungefähr die
Hälfte an staatliche Institutionen oder wissenschaftliche Institutionen ohne Erwerbscharakter. Im Wissenschaftsbereich ist das Kostendenken noch nicht stark genug verbreitet. Wenn die jetzigen Zuwachsraten der Forschungsausgaben anhalten, dann kann damit gerade der gegenwärtige Stand gehalten werden. Die Knappheit der Mittel hat allerdings auch den Effekt, daß sie den Sinn für kostenbezogenes Denken schärft, und das erscheint uns leider dringend notwendig. Im Wissenschaftssektor müssen daher vordringlich Instrumente für eine wirksame Kosten- und Erfolgskontrolle entwickelt werden. In der Privatwirtschaft gibt es zahlreiche Methoden und Verfahren, die auch im staatlichen Bereich eingesetzt werden können.
Im Bereich der Grundlagenforschung erscheint dies zunächst nur schwer vorstellbar, aber auch dort gibt es sehr erfolgversprechende Ansätze - insbesondere auch in den USA -, die darauf hindeuten, daß es auch im Bereich der Grundlagenforschung Erfolgs- und Kostenkontrolle geben kann; im Hause wurde unter Minister von Dohnanyi bisher einiges in dieser Richtung geleistet. Hervorzuheben sind insbesondere die projektbegleitende Kontrolle bei technologischen Großprojekten und die Leistungspläne; das wurde unter der neuen Leitung des Hauses nicht oder noch nicht aufgegriffen; wir hoffen, daß dies schnellstmöglich nachgeholt wird.
Die Vielzahl der kleineren Forschungsprojekte, aber auch die Forschungsinstitute werden bisher noch nicht in genügendem Umfang kontrolliert. Über die Bearbeitung von Forschungsanträgen und ihre Abwicklung im Ministerium hat die Treuhand AG in ihrem Gutachten, das im Auftrag des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft erstellt wurde, einige interessante Ausführungen gemacht, die ich mit Genehmigung des Präsidenten zitiere:
Bei den Entscheidungen über die Anträge werden sowohl die wissenschaftlich-technischen Fragestellungen wie die praktischen Verwendungsmöglichkeiten der angestrebten Lösungen berücksichtigt. Die wirtschaftlichen Konsequenzen werden jedoch in der Regel nicht quantifiziert. Das gleiche gilt für die betrieblichen Vorleistungen, auf denen das Projekt aufbaut, wie für die Folgeleistungen, mit denen die Projektergebnisse gegebenenfalls erst verwertbar gemacht werden können.
Kosten- und Erfolgskontrolle, meine Damen und Herren, ist die notwendige Voraussetzung für die Definition klarer Prioritäten. Wer rationale Forschungspolitik machen will, darf sich für den spitzen Bleistift des Kostenrechners nicht zu fein sein.
Ich bitte Sie, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen und den Ausschuß für Forschung und Technologie mit der weiteren Beratung zu beauftragen.
({0})
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, PfefVizepräsident Dr. Jaeger
fermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder ({0}), Frau Dr. Walz, Weber ({1}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Förderung der „Technologischen Forschung und Entwicklung" im Bundesministerium für Forschung und Technologie
- Drucksache 7/890
Das Wort, zur Begründung hat Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/890 zum Problem der Förderung der „Technologischen Forschung und Entwicklung" im Bundesministerium. für Forschung und Technologie ist ein Teil der forschungspolitischen Vorschläge der CDU/CSU im Deutschen Bundestag. Durch eine Vielzahl von Anfragen und öffentlichen Stellungnahmen sowie durch gezielte Anträge stellt die CDU/CSU klar, daß sie der Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der Bundesrepublik Deutschland einen großen Stellenwert zumißt. Ich will an dieser Stelle nicht auf die gesamte Problematik der Forschungspolitik eingehen. Dazu, so hoffe ich, werden wir in den nächsten Wochen oder Monaten anläßlich einer großen Debatte noch Gelegenheit haben. Der vorliegende Antrag beschäftigt sich nur mit dem Bereich der technologischen Forschung und Entwicklung. Dieser Begriff bezieht sich insbesondere auf die Förderungsmaßnahmen im Einzelplan 30 des Forschungsministeriums.
Seit 1956 wird auf Bundesebene in verstärktem Umfang die angewandte Forschung im zivilen Bereich gefördert. Schwerpunkte waren insbesondere Kernforschung, Kerntechnik, Weltraumforschung und Datenverarbeitung. Das Ziel dieser Programme bestand darin, durch gezielte Förderungsmaßnahmen des Staates neuartige Techniken zu entwickeln, die eine große Breitenwirkung auf Volkswirtschaft und Gesellschaft ausüben. So wurde mit der Förderung der Kerntechnik das Ziel verfolgt, eine kostengünstige und umweltfreundliche Energiepolitik zu gewinnen, um die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen. Da die Energieversorgung alle Bereiche der Volkswirtschaft betrifft - das Thema ist heute aktueller denn je - und damals die Risiken für die Privatwirtschaft zu groß waren, kann es als gerechtfertigt angesehen werden, daß Steuergelder für die Entwicklung der Kerntechnik zur Verfügung gestellt wurden.
Die Datenverarbeitung hat ebenfalls eine sehr starke Auswirkung auf die Volkswirtschaft und die Gesellschaft. Sowohl die Rationalisierung der Wirtschaft als auch die Verbesserung und Informationsbeschaffung werden durch sie bewirkt.
Der technologische Vorsprung der Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet und die damals noch nicht vorhandene Bereitschaft, für die Privatwirtschaft genügend Mittel für diesen Sektor zur Verfügung zu stellen, führten zu den staatlichen Förderungsmaßnahmen. Im Bereich der Grundlagenforschung
ist die staatliche Förderung relativ wenig umstritten. Die Förderung der Wissenschaft ist eine klassische Staatsaufgabe, die schon seit Jahrhunderten praktiziert wird. Seit den 50er Jahren aber gibt der Staat, insbesondere vertreten durch den Bund, fortlaufend sich erhöhende Beträge für die angewandte Forschung aus. Man muß sich deshalb mit Recht fragen, nach welchen Kriterien der Staat in unserem Wirtschaftssystem in der angewandten Forschung tätig wird. Die von mir angeführten Beispiele Kerntechnik und Datenverarbeitung zeigen die wesentlichen Kriterien schon auf. Für eine staatliche Förderung im Bereich der angewandten Forschung ist es notwendig, daß ein allgemeines gesellschaftliches Bedürfnis vorliegt. Dies bedeutet, daß der Nutzen aus den Forschungsergebnissen breiten Schichten der Bevölkerung zukommt. Dies trifft sowohl für die Energie als auch für die Datenverarbeitung zu.
Neben diesem Gesichtspunkt muß aber hinzugezogen werden, daß die Privatwirtschaft nicht willens und nicht in der Lage ist, längerfristig laufende Projekte, deren Ergebnisse sich nicht absehen lassen, aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Die Aufgabe des Staates besteht nun darin, die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Bedürfnisse präzise zu erfassen und nach Prüfung der vorhandenen Kapazitäten die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Deshalb ist auch jetzt der so gängige Spruch von der Orientierung der Forschungspolitik an den gesellschaftlichen Bedürfnissen nichts Neues. Die gesamte Förderung der Kerntechnik ist ein Beweis für die Orientierung der Forschungspolitik an den gesellschaftlichen Bedürfnissen. Weil das gesellschaftliche Bedürfnis „Energie" schon von den früheren Bundesregierungen frühzeitig erkannt wurde, wurden die Atomprogramme geschaffen, die mit dazu geführt haben, daß sowohl im wissenschaftlichen wie auch im wirtschaftlichen Bereich eine Konkurrenzfähigkeit im Bereich der Kernforschung und der Kerntechnik hergestellt wurde.
Nun wäre es wenig sinnvoll, immer nur die gleichen Gebiete zu fördern. Das widerspräche sowohl der wirtschaftlichen wie der wissenschaftlichen Vernunft. Infolgedessen hat sich die Bundesregierung schon in den 60er Jahren Gedanken darüber gemacht, welche Forschungsschwerpunkte in Zukunft gefördert werden sollten. Schon 1968 und 1969 wurden Millionenbeträge für die Förderung der technologischen Forschung und Entwicklung im Haushalt des Forschungsministeriums zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1972 erreichten die Förderungen der technologischen Forschung und Entwicklung im Forschungsministerium einen Betrag von 251 Millionen DM.
Nun ist es aber nicht damit getan, daß der Bundestag Forschungsgelder zur Verfügung stellt, die dann nach irgendwelchen Gesichtspunkten ausgegeben werden. Entscheidend ist nicht, daß das Geld ausgegeben wird, sondern wie es ausgegeben wird. Hier scheint uns zur Zeit beim Forschungsministerium noch einiges im argen zu liegen. Die Auswahl der Forschungsschwerpunkte im Haushaltskapitel „technologische Forschung und Entwicklung" ist für den
Außenstehenden undurchsichtig. Betrachtet man die Vielzahl der geförderten Projekte der Vergangenheit, so kann man nur viele mit einem Fragezeichen versehen. Es wäre deshalb wichtig, auch der Öffentlichkeit klarzumachen, nach welchen Gesichtspunkten im konkreten die Auswahl der Projekte erfolgt. Darüber hinaus ist es auch interessant, zu wissen, ob eine Chancengleichheit zwischen den kleineren und mittleren Firmen und den Großunternehmen besteht. Dem vorliegenden Zahlenmaterial über die bisherige Förderung ist zu entnehmen, daß vor allem Großunternehmen in den Genuß der Forschungsmittel des Forschungsministeriums gekommen sind. Hier scheint doch etwas nicht in Ordnung zu sein. Denn gerade die kleinen und mittleren Unternehmen haben nach verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen einen großen Beitrag zum technischen Fortschritt geleistet.
Es ist auch zu bedenken, daß die steuerliche Forschungsförderung nach den bisherigen Grundsätzen vorrangig nur den Großunternehmen zugute kommt, die entsprechende Forschungslabors unterhalten. Die mittleren und kleineren Firmen sind nicht in der Lage, die Bedingungen der Vorschriften für die Gewährung von steuerlicher Forschungsförderung zu erfüllen. Sie werden also sowohl in bezug auf die Forschungsförderung steuerlich benachteiligt als auch bei der Vergabe von Forschungsaufträgen.
Uns allen liegt wohl daran, daß die Forschungsergebnisse möglichst schnell in Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Die vielzitierte technologische Lücke ist ja, wie allgemein bekannt, vorrangig auf die schnelle Umsetzung der Forschungsergebnisse in den USA zurückzuführen. Kleine und mittlere Firmen haben vor allem im Bereich neuer Techniken eine große Chance. Die bisherige Förderung der technologischen Forschung und Entwicklung hat nach unserer Ansicht dies zuwenig berücksichtigt. In der Anfangsphase war dieses Problem noch nicht gravierend. Nunmehr aber bei einem Volumen von ca. 400 Millionen DM im nächsten Jahr muß dies stärker beachtet werden.
Der vorliegende Antrag fordert die Bundesregierung auf, einen Informationsbericht über die Förderung im Bereich der technologischen Forschung und Entwicklung zu geben. Ich bitte Sie, diesem Antrag im Interesse einer verbesserten Forschungspolitik zuzustimmen und den Antrag an den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich verbinde die Aussprache über die beiden begründeten Anträge zu 1 und 2 und erteile das Wort dem Abgeordneten Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können uns einig darüber sein, daß die vorliegenden Anträge der CDU/CSU zu Forschung und Technologie nur als reine Schaufensteranträge bezeichnet werden können. Denn schon die Oberflächlichkeit, die ungenauen und mehrdeutigen Formulierungen lassen darauf schließen, daß es der Opposition offensichtlich weniger
darauf ankommt, Einblick in die Problematik zu verschaffen, als vielmehr mit nervöser Geschäftigkeit auf öffentliche Darstellung aus zu sein, allerdings, wie man ja allgemein feststellen kann, ohne sehr großen Erfolg.
({0})
Ich glaube auch, daß es Ihnen nicht gelingen wird, die Technologiedebatte, die wir in diesem Hohen Hause demnächst auf Grund der Großen Anfrage zu führen haben werden, die SPD und FDP hier schon vor Ihren 'Anträgen eingebracht haben, vorwegzunehmen oder zu unterlaufen.
Auch die Begründung, die Sie über das Schriftliche hinaus erneut gegeben haben, hat gezeigt, daß Sie die in der vergangenen Woche erteilte umfassende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage überhaupt nicht oder doch zumindest nur flüchtig gelesen haben können. Denn das meiste von dem, was Sie fordern, wird bereits praktiziert oder ist zumindest eingeleitet, wie Sie dort nachlesen können. Anderes, worüber Sie Aufschluß haben möchten, ist schon veröffentlicht worden, nicht zuletzt in Beantwortung dieser Großen Anfrage. Insofern wäre es fast ratsam, die Aussprache spätestens hier zu beenden. Aber lassen Sie mich dennoch zu einigen Punkten Stellung nehmen, bevor wir uns dann im Ausschuß sehr dafür interessieren werden, wie Sie Ihre Vorstellungen noch konkretisieren können.
Mit der Drucksache 7/865 fordern Sie eine fortlaufende Kostenkontrolle der vom Bund geförderten Forschungsprojekte und Forschungsinstitute durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie, und schon hier beginnen die Ungereimtheiten. Meinen Sie, daß das BMFT künftig über die Koordination der Ressortforschung hinaus auch die Kontrolle dieser Ressortforschung übernehmen soll? Dann müssen Sie das sagen. Oder wollen Sie lediglich den Eindruck erwecken, als finde eine Kontrolle überhaupt nicht statt, z. B. nicht einmal durch den Bundesrechnungshof?
Sicher ist es der allgemeine Wunsch aller an Forschung und Technologie Beteiligten und besonders auch aller Politiker, die bisher bestehenden Kosten- und Erfolgskontrollen zu verbessern und den Abstand zwischen voraussichtlichen und dann tatsächlich entstehenden Kosten zu verringern. Nur hat bisher auch von Ihnen noch niemand ein Patentrezept gefunden, das eine bessere Kontrolle ermöglicht, als sie - z. B. durch Festpreise, durch phasenweises Vorgehen, durch Projektführer und Projektbegleiter, durch deren Statusseminare oder Verträge mit Anreizklauseln wie beim Schnellen Brüter - bereits erfolgt. Ihnen sind ja die Malusklauseln dabei bekannt, also Gewinnschmälerung bei Kostenüberschreitung, oder zusätzliche Gewinne bei Unterschreitungen.
Bei der Abschätzung des Aufwandes gegenüber dem Ziel des Forschungsvorhabens wird man sich, wie Sie sicher zugeben müssen, weiterhin auch auf die Zuverlässigkeit, die Glaubwürdigkeit und die Erfahrung der Antragsteller verlassen müssen. Herr
Stavenhagen, was die Erfahrungen mit der Kontrolle der Grundlagenforschung gerade in den USA angeht, sind diese nicht positiv, sondern im Gegenteil sehr negativ, wie man in der einschlägigen Fachliteratur nachlesen kann.
Sicherlich sind hinsichtlich des Berichtswesens und hinsichtlich der größeren Öffentlichkeit der Kontrolle, besonders gegenüber den beteiligten Wissenschaftlern selbst, denen mehr kritische Publizität sowie die Möglichkeit zu eigenverantwortlicher Diskussion und Kritik eröffnet werden sollten, Verbesserungen möglich. Die FDP wird das anstreben, und zwar auch durch die Verbesserung der sogenannten Leitlinien, wo wir einen Schritt vorwärtskommen müssen.
Wie schon aus der Beantwortung unserer Großen Anfrage hervorgeht, bedurfte es also nicht des Anstoßes der Opposition, eine projektbegleitende Erfolgskontrolle einzuführen. Die fachliche Betreuung der Vorhaben durch Projektführer und Projektbegleiter soll ohnehin erweitert werden. Sie erstreckt sich sowohl auf die Planung als auch auf die Überwachung von Leistungen, von Terminen und natürlich auch von Kosten.
Ich glaube, die Ausschußberatungen werden zeigen müssen, ob Ihnen von der Opposition dann tatsächlich noch etwas mehr einfällt, um Kosten und Erfolge noch besser bewerten zu können. Was für den Antrag in der Bundestagsdrucksache 7/865 gilt, trifft in besonderem Maße für den Antrag betreffend Förderung der technologischen Forschung und Entwicklung zu.
Hier wird gefordert, die Bundesregierung zu einem Informationsbericht zu veranlassen, der Auskunft über Prioritäten im Förderungsprogramm, über Chancengleichheit der Bewerber, differenzierte Finanzierung und eine Auflistung ,der Projekte hinsichtlich .des Aufwandes des Auftragnehmers und des Standes der Untersuchung gibt. Ich meine, unabhängig davon, daß der hier angesprochene Arbeitsbereich „Technologische Forschung und Entwicklung", den Sie ja expressis verbis zitiert haben, in dieser Form gar nicht mehr existiert, weil er jetzt in einzelne Sachgebiete aufgegliedert worden ist und die Opposition - wenn schon - deshalb nicht nach diesem Einzelbereich, sondern nach dem gesamten Vergabesystem hätte fragen müssen, sind die mit dem Bericht geforderten Informationen nun wirklich in allen Einzelheiten veröffentlicht worden: Ganz ausführlich und sehr konkret in der Antwort auf die Große Anfrage von SPD und FDP vom 23. November 1973, aber schon weiter zurückliegend in den Technologiedebatten der vergangenen Legislaturperiode.
Im übrigen hätte für die Erkenntnisse, die man über den Entwurf des Haushaltsplans hinaus gewinnen kann, ein Studium des Bundesforschungsberichts IV genügt, um ,den gewünschten Aufschluß über die Förderungsmaßnahmen zu erhalten.
Was die in Punkt b) angesprochene Chancengleichheit angeht, so sei darauf verwiesen, daß unter Beteiligung von Sachverständigen alle Institutionen und auch selbst Einzelpersonen Förderung erfahren, die tatsächlich positive Beiträge zu wissenschaftlichtechnischen Problemen leisten können. Nur muß und das ist eines der Kriterien, die Sie erfragten - die Leistungsfähigkeit sichergestellt werden.
Zur differenzierten Finanzierung, die Sie angesprochen haben, hätten Sie gerade in ,den letzten Tagen auf das von Minister Ehmke veröffentlichte und von ,der FDP begrüßte Vorhaben der Wagnisfinanzierungsgesellschaft aufmerksam werden können, deren Aufgabe es sein wird, die Gründung neuer Unternehmen und die Entwicklung gerade von kleinen und mittleren Unternehmungen durch die Bereitstellung von risikotragenden Eigenmitteln zu fördern. Wie sich nach alle dem eine reine Beschäftigungstherapie von Mitarbeitern des Ministeriums dann noch mit der Polemik verträgt, die der CDU-Abgeordnete Horst Schröder erst kürzlich in der Presse hinsichtlich einer Aufblähung des Verwaltungsapparats - das wurde hier heute ja wiederholt - verträgt, mögen Sie selbst beantworten.
Um die Verwaltung vor ,solcher Mehr- und Mehrfacharbeit zu bewahren, sei hier darauf verwiesen, daß z. B. Ihre Frage nach Schwerpunkten und Methoden technologischer Forschung und Entwicklung im Kapitel „Forschungspolitische Leitlinien" und „Forschungspolitische Maßnahmen" der Drucksache 7/1279 in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalition sehr ausführlich beantwortet wurde. Da es sich hier um mehrere Seiten handelt, bitte ich, darauf verzichten zu können, dieses hier im einzelnen zitieren zu müssen.
Ein weiterer Hinweis: Eine Liste über die geförderten Vorhaben, die Sie ja auch verlangen, wird jährlich veröffentlicht, und auch Ihnen ist das Datenbanksystem „DAVOR" als Katalog der Förderungsvorhaben - sogar sortiert nach Postleitzahlen und Bundesländern - zugänglich gemacht worden.
Was also in Ihrem Antrag noch verbleiben sollte, kann dann sicher unschwer durch einige wenige Fragen im zuständigen Ausschuß erledigt werden.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Kern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was zum Antrag 7/890 zu sagen ist, der ja eigentlich kein Antrag, sondern eine Kleine Anfrage ist, können Sie alle in den Förderungsrichtlinien des Forschungsministeriums, in der Liste der Forschungsvorhaben oder in der Beantwortung der Großen Anfrage ,der Koalition nachlesen.
Was zum Antrag 7/865 zu sagen ist, so wird die Aufgabe von Kosten- und Erfolgskontrolle vom Ministerium selbst wahrgenommen. Zusätzliche Fragen können Sie im Haushaltsausschuß beantwortet bekommen. Der Rest ist Aufgabe des Bundesrechnungshofs.
Was den Punkt d) anlangt, so scheint hier ein kleines Mißverständnis vorzuliegen, nämlich das Mißverständnis, daß Sie Technologie und Bürotechnik gleichsetzen. Ich schlage vor, wir reden im
Auschuß dann wieder über Forschung und Technologie.
({0}).
Nachdem das Wort nicht mehr gewünscht wird, schlage ich Ihnen vor, die beiden Anträge dem Ausschuß für Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen zu überweisen. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Der Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung - zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht - kann nicht beraten werden, da die Fraktion der CDU/CSU Fristeinrede erhoben hat.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1972 über die Errichtung des Afrikanischen Entwicklungsfonds
- Drucksache 7/1177 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/1310 - Berichterstatter: Abgeordneter Esters
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({1})
- Drucksache 7/1296 - Berichterstatter: Abgeordneter Kaffka
Abgeordneter Roser
({2})
Ich danke den Herren Berichterstattern für ihre Berichte. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß der Entwurf der Bundesregierung mit der einen Änderung zur Debatte steht, die der Ausschuß in Art. 1 beschlossen hat.
Ich rufe somit Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist angenommen.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Um sie zu beschleunigen, wollen wir sie konventionell durchführen. Ich bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, sich von dem Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen; es ist einstimmig angenommen.
Damit stehen wir am Ende einer langen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. Dezember 1973, 13.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.