Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Ausschußbericht darf ich in einigen Schwerpunkten noch mündlich ergänzen.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion und der des Bundesrates sind wortgleich. Sie unterscheiden sich von dem Entwurf der Bundesregierung im wesentlichen hinsichtlich des Anpassungstermins und der Nichtanrechnung von bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen gegen Abkömmlinge auf die Elternrente. Übereinstimmend sehen die Gesetzentwürfe eine lineare Anhebung der laufenden Versorgungsbezüge um rund 11,4 % vor.
Die Gesetzentwürfe wurden vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 10. Oktober behandelt. Bezüglich der Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates beantragte die CDU/CSU-Fraktion, dem Änderungsvorschlag des Bundesrates zu folgen und die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes in den Eingangsworten hervorzuheben. Dieser Antrag wurde von der Ausschußmehrheit u. a. mit der Begründung abgelehnt, daß dieses Gesetz keine verfahrensrechtlichen Regelungen enthalte, so daß die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich sei.
Im Laufe der Beratungen wurden von seiten der Koalitionsfraktionen etwa zehn Anträge gestellt, die aus Bundesratsstellungnahmen und Forderungen resultierten, die dann einstimmig im Ausschuß verabschiedet wurden, weil sie auch den Forderungen der CDU/CSU-Fraktion entsprachen.
Auf Anregung der CDU/CSU entschied nach eingehender Beratung der Ausschuß einstimmig, den Vorschlag der Bundesregierung zur Änderung des § 25 a Abs. 6 nicht zu übernehmen, da er eine Verschlechterung des geltenden Rechtes darstellen könnte. Die Vertreter der Bundesregierung teilten in etwa diese Bedenken. Es sollen daher die Auswirkungen noch einmal überdacht und notfalls mit dem Sechsten Anpassungsgesetz ein entsprechender Vorschlag gemacht werden.
Zu § 36 wurde auf Grund ,der Anträge des Bundesrates, der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion einstimmig die Erhöhung des Bestattungsgeldes von 750 DM auf 1000 DM beschlossen.
Bei § 48 des BVG lag dem Ausschuß ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor, der darauf abzielte, die Gewährung von Witwen- und Waisenbeihilfe an Hinterbliebene von Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 oder 60 v. H. an die gleichen Voraussetzungen zu knüpfen wie für die Hinterbliebenen von Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 70 v. H. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion wurde von der Ausschußmehrheit abgelehnt. Es wurde aber die allgemeine Auffassung vertreten, daß das Rundschreiben der Bundesregierung zur Vergabe von Witwen- und Waisenbeihilfen nochmals überprüft werden 'sollte.
Bei § 51 des Bundesversorgungsgesetzes befaßte sich ,der Ausschuß eingehend mit dem Vorschlag zur Elternversorgung. Hier lagen entsprechende Gesetzesanträge ,der CDU/CSU-Fraktion, des Bundesrates
und ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Regierungsentwurf vor. Der Ausschuß beschloß einstimmig, in § 51 des Bundesversorgungsgesetzes ausdrücklich klarzustellen, daß entgegen einer bisherigen Regelung in der maßgebenden Durchführungsverordnung Unterhaltsansprüche gegen Abkömmlinge bei der Festsetzung der Elternrente nicht mehr zu berücksichtigen sind. Mit dieser Regelung löste der Ausschuß ein seit vielen Jahren immer wieder diskutiertes Problem, das in der Vergangenheit zu sozialen Härten und großen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten geführt hatte.
Zu § 56 BVG stellte die CDU-CSU-Fraktion den Antrag, die in ihrem Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 56 zu übernehmen, d. h., die Anpassungstermine der Kriegs- und Wehrdienstopferrenten in Anlehnung an die Regelung in der gesetzlichen Rentenversicherung jeweils auf den 1. Juli eines Jahres vorzuverlegen. Diesem Antrag wurde von den Koalitionsfraktionen entgegengehalten, er könne wegen der finanziellen Auswirkungen in dieser Form nicht angenommen werden. Der Ausschuß beschloß mit Mehrheit die nach dem Regierungsentwurf vorgesehene Änderung des § 56 des Bundesversorgungsgesetzes.
Neu in das Gesetz eingefügt wurde Art. 2 a, der den bekannten Stufenplan der Bundesregierung hinsichtlich der Vorziehung der Anpassung der Kriegs- und Wehrdienstopferrenten enthält.
In der Schlußabstimmung ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung einstimmig verabschiedet worden, nachdem ,die CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck gebracht hatte, daß sie mit Nachdruck an dem Schwerpunkt ihrer Gesetzesvorlage, nämlich an der Anpassung zum 1. Juli eines Jahres, festhalte.
Weitere Einzelheiten können Sie .dem Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht entnehmen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Wünscht der Herr Berichterstatter des Haushaltsausschusses das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die zweite Beratung. Wird das Wort zu einer allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich gehe davon aus, daß in der zweiten Beratung die einzelnen Änderungsanträge dann behandelt werden, wenn sie aufgerufen werden.
Wir kommen zu Art. 1. Dazu liegen eine Reihe von Änderungsanträgen vor. Sie sind sicher damit einverstanden, daß ich zunächst den Änderungsantrag Drucksache 7/1115 aufrufe. Wenn dieser Antrag, der die Terminänderung betrifft, angenommen wird, ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen für die anderen Änderungsanträge. - Sie sind damit einverstanden. Dann rufe ich den Änderungsantrag Drucksache 7/1115 der CDU/CSU-Fraktion zu Nr. 24 betreffend § 56 auf. Wird zur Begründung dieses Antrags das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Burger!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begründe alle Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion gemeinsam. Ich bitte, dann auch über § 56 abstimmen zu lassen. Die Entscheidung, die hier dann gefällt wird, betrifft alle anderen Anträge. Es handelt sich allein um das Problem der vorgezogenen Anpassung der Kriegsopferrenten.
Die wichtigste Entscheidung des Deutschen Bundestages ist heute die Regelung des Anpassungszeitpunkts für die Renten von 2,4 Millionen Kriegsopfern. Die CDU/CSU beantragt, die Anpassung der Kriegsopferrenten zum gleichen Zeitpunkt wie die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Sozialversicherung vorzunehmen.
Nach harten Auseinandersetzungen war es der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im vergangenen Jahr gelungen, ihre Vorschläge zur zweiten Rentenreform durchzusetzen. Die bisher am 1. Januar vollzogene Erhöhung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird deshalb um ein halbes Jahr früher durchgeführt. Diese Aktualisierung der Rentenformel war durch eine bisher nie dagewesene Verteuerung der Lebenshaltung überfällig geworden. Die Männer und Frauen, die einst den Wohlstand mitgeschaffen haben, nahmen infolge Preissteigerungen und Geldentwertung nicht mehr am sozialen Fortschritt teil. Was die Rentenanpassung damals an Kaufkraft mehr brachte, sammelte die Preisentwicklung wieder ein, Die Sozialversicherungsrenten wurden auch in diesem Jahre wieder am 1. Juli angepaßt.
Die CDU/CSU beantragt, daß auch die Renten der Kriegsopfer zum gleichen Zeitpunkt erhöht werden. Es gibt keinen vernünftigen Grund, der gegen diese Gleichbehandlung spricht. Es wäre mit den Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaates nicht vereinbar, wenn nicht auch für die Kriegsopfer die Leistungsverbesserungen zum gleichen Zeitpunkt einträten. Die Übernahme der Rentendynamisierung aus der gesetzlichen Rentenversicherung in die Kriegsopferversorgung ab Januar 1970 beinhaltet ja nicht nur ein mathematisches System, sondern meint vor allen Dingen Zweck und Ziel einer fortschrittlichen Regelung. Wir fordern deshalb eine nicht nur wertgleiche, sondern auch zeitgleiche Anpassung der Versorgungsrenten.
Die CDU/CSU-Fraktion hatte sich bereits in der vergangenen Legislaturperiode verpflichtet, unverzüglich in diesem Sinne initiativ zu werden. Mit ihrem Gesetzentwurf und dem heutigen Antrag hat sie Wort gehalten.
Die Gründe für ein Vorziehen der Anpassung sind die gleichen wie bei den Versicherungsrenten, ja, sie sind sogar besonders dringlich, weil mit dem ersten Anpassungsgesetz aus dem Jahre 1970 die Renten der Kriegsopfer nicht in der gleichen Höhe angepaßt wurden wie die Versichertenrenten in der vorausgegangenen dreijährigen Vergleichszeit. So entstand bereits beim Start ein gewisser Rückstand, der durch die nachfolgenden Anpassungen noch vergrößert wurde. Leider war auch in den folgenden Jahren, 1971 und vor allem 1972, die
Steigerung der Rente nur deckungsgleich mit der Höhe der Preissteigerungen. So wurde der sozialpolitische Effekt einer von großen Hoffnungen getragenen jährlichen Erhöhung von 'der mißglückten Stabilitätspolitik der Bundesregierung überrollt, und niemand kann heute selbst in der Zeit eines Stabilitätsprogramms fordern, daß die Kriegsopfer erst drei Jahre später in den Genuß der vorzeitigen Anpassung kommen sollen. Die Inflationsschäden sind heute für viele Gruppen in der Bevölkerung bereits so groß, daß auf gezielte Mehrausgaben nicht verzichtet werden kann, auch nicht aus konjunkturpolitischen und haushaltspolitischen Gründen.
Die Bundesregierung hat auf dem Höhepunkt der öffentlichen Auseinandersetzung in den Streit der Meinungen mit einem Diskussionsbeitrag besonderer Art eingegriffen. Sie wählte nicht nur das Parlament zum Ort einer argumentativen Diskussion, sondern wandte sich mit einer teuren Anzeige über die Tageszeitungen an die Öffentlichkeit. Mit diesem ungewöhnlichen, in der Geschichte der Bundesrepublik meines Wissens bisher einmaligen Unternehmen erbrachte die Bundesregierung ein Meisterstück der Irreführung. Mit Prozentzahlen und verwirrenden Vergleichen vernebelte sie die Wirklichkeit.
({0})
Glaubt denn die Bundesregierung im Ernst, daß rung 30 000 Beschädigte und Witwen die Strapazen einer Demonstration in Bonn auf sich genommen hätten, wenn ihre Welt so problemlos wäre, wie sie die Anzeige ,der Regierung den Bürgern vormachte?
({1})
Mit dieser Anzeige wollte die Regierung einen Verband treffen, der es wagte, für das Wohl seiner Mitglieder eine friedliche Demonstration in Bonn zu organisieren. In Wirklichkeit aber hat sie alle Kriegsbeschädigten und Witwen getroffen.
({2})
Irreführend ist der letzte Satz der Anzeige, in dem die Bundesregierung behauptet, daß allgemeine Erhöhungen und vorgezogene Anpassung von 1970 bis 1974 eine Rentensteigerung um 63 0/0, für Witwen sogar um 75 % ausmachten. Dieser Vergleich ist deshalb nicht richtig, weil die in den Zahlen enthaltene Rentensteigerung vom 1. Januar 1970 für die drei vorhergehenden Jahre, nämlich 1967, 1968 und 1969 gilt. Auch gibt das Inserat der Bundesregierung keinerlei Information über die Höhe der Renten im Einzelfall. Warum nennt denn die Bundesregierung nicht die realen jährlichen Rentensteigerungen in D-Mark? Hat sie hier etwas zu verbergen oder will sie nicht über die wirkliche Lage der Kriegsopfer informieren?
({3})
Den Fachleuten ist doch bekannt, daß viele Ansprüche nur auf dem Papier stehen. Nach einer Aufstellung des Bundesministeriums für Arbeit vom 30. September 1972 haben von rund 1 149 000 Beschädigten zirka 130 000 nur eine Ausgleichsrente und nur etwa 126 000 einen Schadensausgleich erhalten. Auch bei über 1 Million Witwen kommen lediglich
etwa 500 000 in den Genuß einer Ausgleichsrente, und zirka 330 000 haben Anspruch auf Schadensausgleich.
Leider können die Betroffenen sich nicht mit einer gleich großen Aufklärungsanzeige wehren, da ihnen hierzu leider die Mittel fehlen. Man fragt sich: Warum dieser Werbeaufwand ausgerechnet bei den Kriegsopfern? Warum denn geht die Bundesregierung nicht mit dem gleichen Eifer z. B, gegen die Fluglotsen vor, die den Steuerzahler schon rund 200 Millionen DM gekostet haben?
({4})
Die Kriegsopfer, repräsentiert durch ihre Organisationen, stehen zu diesem Staat und seiner Ordnung. In ihren Reden erwähnen die Verantwortlichen immer anerkennend alle Verbesserungen. Um was sie kämpfen, ist vor allem eine zeitgleiche Anpassung ihrer Renten in diesem Jahr und nicht erst in drei Jahren.
Niemand leugnet Verbesserungen. Doch Vergleiche mit den 50er Jahren hinken; denn Mark ist nicht mehr gleich Mark; die Haushaltsmittel des Bundes haben sich vervielfacht; die Preise steigen dreimal so schnell, und der reale Abstand zwischen Durchschnittseinkommen und der Rente eines erwerbsunfähigen Kriegsbeschädigten ist in den letzten Jahren deutlich größer geworden.
Alle diese Gesichtspunkte begründen die Richtigkeit unseres Antrags.
({5})
Meine Damen und Herren, in dieser Stunde erwarten die Kriegsopfer vom Deutschen Bundestag eine gerechte Entscheidung.
({6})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Bundesrat, ja auch das Land Hessen sind für die Anpassung der Kriegsopferrenten noch in diesem Jahr. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Ich beantrage namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung.
({7})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie ist die Situation gegenüber der vor 14 Tagen? Es hat sich nichts geändert. Es sind die gleichen Argumente, es sind die gleichen Anträge der Opposition. Sogar die Unruhe der Opposition ist die gleiche geblieben, wenngleich das gar keine heilsame Unruhe ist, sondern eine gewollte Unruhe.
Man will uns und der Offentlichkeit vormachen, als brächte das Fünfte Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung den Kriegsopfern keine Gerechtigkeit. Ich bin der Meinung - und das wird von der Mehrheit der Kriegsopfer auch unterstützt und anerkannt -, daß durch den Stufenplan, den wir jetzt in einem besonderen Artikel des Fünften Anpassungsgesetzes vorgesehen haben, auch unter Beachtung der finanz- und konjunkturpolitischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten das geschieht, was notwendig und möglich ist, nämlich eine vorgezogene Rentenanpassung in Stufen: zum 1. Oktober 1974 - damit würden die Kriegsopfer bereits im Jahre 1974 eine Rentenanpassung von durchschnittlich 15 v. H. erhalten - und dann zum 1. Juli 1975, der nächsten Stufe in dieser Rentenanpassung. Die Kriegsopfer werden auch für das Jahr 1975 eine Rentenanpassung von durchschnittlich 15 % erhalten. Damit werden die Kriegsopfer bereits ab 1. Oktober 1974 sowohl rechtlich als auch materiell den Sozialrentnern gleichgestellt werden.
Herr Burger, Sie wissen doch genauso wie die Öffentlichkeit - auch wenn das inzwischen in Vergessenheit geraten sein sollte -, daß die vorgezogene Rentenanpassung in der Sozialversicherung deswegen vorgenommen worden ist, weil die Rentenanpassung durch die Schuld der damaligen CDU/CSU-Regierung im Jahre 1958 ausgefallen war und deshalb eine teilweise Nachholung dieser Rentenanpassung durchgeführt wurde. Wir haben damals bereits mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß eine vorgezogene Rentenanpassung in der Kriegsopferversorgung aus den gleichen rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das wird von den Kriegsopfern auch anerkannt. Trotzdem haben wir diesen Stufenplan entwickelt, der, weil wir meinen, daß hier auch aus moralischen Gründen eine Verpflichtung besteht, den Kriegsopfern das geben soll, was möglich und notwendig ist.
Meine Damen und Herren, die Anträge, die uns hier vorliegen und deren Kern der Antrag zu § 56 ist, der die Rentenanpassung zum 1. Juli 1973 vorsieht, haben ein Finanzvolumen für die Jahre 1973/74 von nicht weniger als - sage und schreibe - 575 Millionen DM.
({0})
- Mein lieber Herr Geisenhofer, Ihr Parteifreund Herr Kollege Stücklen hat von einem aufgeblähten Sozialkonsum im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 1974 gesprochen. Wie nennen Sie es eigentlich, wenn Sie solche Anträge hier einbringen, Herr Kollege Geisenhofer, ohne solide Deckungsvorschläge für diese Anträge zu machen?
({1})
Sie werfen den Koalitionsfraktionen auf der einen Seite vor, sie würden die Sozialleistungen über das hinaus verbessern, was Sie für richtig halten, und auf der anderen Seite stellen Sie immer wieder Anträge, die weit über das hinausgehen, was durch den Haushalt gedeckt ist. Sie haben zu keiner Zeit bei den Beratungen dieser oder ähnlicher Anträge - auch nicht bei der Haushaltsberatung - einen soliden Deckungsvorschlag gemacht.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich es mir nun wirklich ersparen kann, noch einmal auf alle Argumente einzugehen; sie sind vor vierzehn Tagen, meine ich, hier sehr ausgiebig besprochen worden. Sie sind ausgiebig auch im Ausschuß besprochen worden. Selbst unser Stufenplan - vorgezogene Rentenanpassung zum 1. Oktober 1974 in der ersten
Stufe und zum 1. Juli 1975 in der zweiten Stufe - ist von einigen Vertretern der Opposition im Ausschuß unterstützt worden. In der Schlußabstimmung des Ausschusses haben Sie dem ganzen Gesetz Ihre Zustimmung gegeben. Um so mehr muß ich mich darüber wundern, daß diese Anträge hier erneut gestellt werden.
Ich habe bei der 1. Lesung gesagt, es handle sich um Schaufensteranträge; ich meine - das ist für mich inzwischen Überzeugung geworden -: jetzt sind es sogar Agitationsanträge geworden,
({2})
mit denen Sie versuchen, draußen ein politisches Geschäft zu betreiben. Ich finde, das muß man hier auch mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen.
({3})
- Herr Kollege Maucher, wir wollen dieses Spielchen von vor vierzehn Tagen nicht wiederholen.
({4})
Ich bin der Meinung, es wird höchste Zeit, daß das, was wir für die Kriegsopfer hier vorschlagen, auch über die Bühne geht und beschlossen wird, daß es von Ihnen nicht länger als notwendig aufgehalten
wird.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ({6})?
Ich habe vor 14 Tagen - Sie können das im Protokoll nachlesen - ausreichend Gelegenheit gegeben, zu all den Einzelfragen der Kriegsopferversorgung Ihre Fragen zu stellen, und ich bin Ihnen in keinem Punkte eine Antwort schuldig geblieben. Aber ersparen Sie uns nun wirklich die Wiederholung dieses Auftritts von vor 14 Tagen; es würde niemandem nützen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Na gut, Herr Franke!
Herr Kollege Glombig, halten Sie das Bemühen, die soziale Besserstellung einer Randgruppe unserer Gesellschaft, nämlich der Kriegsopfer, zu erreichen, für Agitation und den entsprechenden Antrag für einen Agitationsantrag?
({0})
Nein, ich halte es für Agitation, daß Sie mit Ihrem Antrag bewußt über das im Augenblick Notwendige
({0})
- jawohl - wie auch über das Mögliche hinausgehen.
({1})
Es ist doch nicht wahr, meine Damen und Herren, daß die Kriegsopfer in jedem Falle die Ärmsten der Armen in diesem Volke wären. Auch das muß man doch einmal sagen, und ich sage es hier im Bewußtsein dessen, was ich sage. Wissen Sie, daß ein großer Teil der Kriegsopfer ja auch noch arbeitet, daß ein großer Teil der Kriegsopfer auch Renten aus der Sozialversicherung bezieht und auch von daher an der Dynamisierung der Renten teilnimmt?
Und trotzdem sind wir nicht so weit gegangen wie der frühere Bundeskanzler Kiesinger, der seinem Bundesarbeitsminister den Auftrag gab, doch einmal zu überlegen, ob nicht die Grundrenten ganz in Fortfall kommen könnten.
({2})
Wir müssen auch diejenigen sehen, die in Arbeit stehen und die durchaus in der Lage sind, durch Arbeit, durch ihre Leistung, ihr Einkommen zu verbessern. Im übrigen haben wir nicht nur ein Versorgungsgesetz, sondern auch Rehabilitationsgesetze, und wir haben ein Schwerbeschädigtengesetz, das der beruflichen Eingliederung der Behinderten dient. Auch das wollen wir erneut verbessern.
({3})
Ich meine, das muß man in einem Zusammenhang sehen.
Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geisenhofer?
Meine Damen und Herren, es muß hier zum Abschluß dieser Debatte noch einmal mit aller Deutlichkeit festgestellt werden, daß der Leistungsanstieg in der Kriegsopferversorgung durch die Dynamisierung der Renten und durch die strukturellen Verbesserungen, die wir auch in diesem Anpassungsgesetz wieder haben, zu einem um 78 % höheren Aufwand pro Versorgungsberechtigten gegenüber 1969 geführt hat. Und wenn uns und der Bundesregierung hier vorgeworfen wird, wir agierten nur mit Prozentzahlen, dann will ich Ihnen einmal die absoluten Zahlen dessen sagen, was die Kriegsopfer im einzelnen mehr bekommen haben. Wir sind von 1969 mit einer Kriegsopfer-Leistung von 2 236 DM bis zum Jahre 1973 zu einer Kriegsopfer-Leistung von 3 390 DM gekommen. Das ist in der Zeit von 1969 bis 1973 absolut ein Mehr von 1 200 DM je Versorgungsberechtigten. Und nun will ich Ihnen sagen, in welcher Weise die Kriegsopferleistungen z. B. in der Zeit von 1952 bis 1954 zurückgegangen sind. 1952 hatten wir ein Minus von 6,2 %, 1953 ein Minus von 0,9 %, 1954 ein Minus von 2,2 % und 1957 ein Minus von 3 %, 1960 sogar ein Minus von 7,1 %. Ich meine hiermit die Entwicklung des Aufwandes je Versorgungsberechtigten und des Bruttosozialproduktes je Einwohner bzw. je Erwerbstätigen.
Auch darf, meine Damen und Herren, nicht außer acht gelassen werden, daß trotz Abnahme der Personenzahl der Haushaltsbedarf für die Kriegsopferversorgung ständig steigt. Er wird 1974 einschließlich der Kriegsopferfürsorge mehr als 10 Milliarden
DM betragen. Ich meine, daß sich das alles sehr gut
- auch bei den Kriegsopfern - sehen lassen kann.
Ich bin überzeugt, daß die Kriegsopfer diese Leistung zu würdigen wissen, und ich bin überzeugt, daß Ihre Anträge hier heute abgelehnt werden, weil sie abgelehnt werden müssen, denn sie sind - ich bleibe dabei - nicht seriös.
({0})
Vizepräsident von Hassel: In zweiter Lesung wird das Wort, soweit ich sehe, nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/1115. Mit ihm soll, wie Sie wissen, im § 56 die Ziffer 24 geändert werden.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Bei der Abstimmung verfahren wir wie folgt. Es sind für alle, also auch für die Berliner-Abgeordneten, drei Kästen aufgestellt. Auf der rechten Seite des Hauses steht der Kasten für Ja-Stimmen, auf der Seite drüben der Kasten für Nein-Stimmen, in der Mitte der für Enthaltungen. Die Berliner-Abgeordneten werfen ihre Abstimmungskarten, die bekanntlich eine andere Form haben, in die gleichen Urnen ein.
Ich eröffne die Abstimmung und darf Sie bitten, Ihre Karten abzugeben.
Haben alle Damen und Herren ihre Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und darf die Damen und Herren Schriftführer bitten, mit ¡der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, wir haben soeben über den Antrag auf Drucksache 7/1115 abgestimmt. Nach meinem Dafürhalten sind mit seiner Annahme oder Ablehnungen gleichzeitig die Anträge auf den Drucksachen 7/1114, 7/1116 und 7/1118 behandelt. Die Frage, die sich stellt, ist, ob damit auch der Antrag auf Drucksache 7/1117 erledigt ist.
({1})
- Nein. - Dann darf ich folgendes vorschlagen. Die Auszählung geht relativ schnell; wir können aber noch nicht in die dritte Lesung eintreten.
({2})
- Meine Damen und Herren, das Haus ist daran interessiert, daß wir mit unserer Arbeit zügig vorankommen; ich darf Sie daher bitten, Platz zu nehmen.
({3})
- Darf ich Sie erneut bitten, Platz zu nehmen. Wir können mit der Arbeit nicht fortfahren, weil leider im Hause nicht verstanden wird, was hier vorgetragen wird.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir, bevor das Ergebnis der Auszählung vorliegt - es wird nicht sehr lange dauern -, den nicht mit dem soeben zur Abstimmung gestellten Antrag zusammenhängenden Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1117 behandeln. Sind Sie damit einverstanden? - Wird zum Antrag auf Drucksache 7/1117 das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich fragen, wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/1117 zustimmt. Ich bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir warten jetzt auf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Die Abstimmung über den Antrag 7/1115 hat folgendes Ergebnis gebracht. Es haben 385 stimmberechtigte und 14 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Davon haben mit Ja 177, mit Nein 208 stimmberechtigte Abgeordnete gestimmt; keine Enthaltung. Mit Ja haben fünf, mit Nein neun Berliner Abgeordnete gestimmt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 385 und 14 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 177 und 5 Berliner Abgeordnete
Nein: 208 und 9 Berliner Abgeordnete
Ja CDU/CSU
Alber
von Alten-Nordheim Dr. Althammer
Dr. Arnold Baier
Dr. Barzel
Dr. Becher ({4})
Dr. Becker ({5}) Frau Benedix
Bewerunge Biechele Biehle
Dr. Dr. h. c. Birrenbach Dr. Blüm
von Bockelberg
Braun
Bremer
Bremm
Carstens ({6})
Dr. Carstens ({7}) Dr. Czaja
Damm
Dr. Dollinger
Dr. Dregger Dreyer
Eigen
Eilers ({8}) Engelsberger
Dr. Erhard
Erhard (Bad Schwalbach] Ernesti
Dr. Evers Ey
Dr. Eyrich Ferrang
Freiherr von Fircks Franke ({9}) Dr. Franz
Dr. Freiwald
Dr. Frerichs
Dr. Fuchs Geisenhofer
Gerlach ({10}) Gerster ({11})
Gewandt Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz Dr. Gruhl Dr. Häfele Dr. Hammans
von Hassel Hauser ({12})
Dr. Hauser ({13})
Dr. Heck Hösl
Dr. Hornhues
Horstmeier
Frau Hürland
Dr. Hupka Dr. Jaeger Jäger ({14})
Dr. Jahn ({15})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Katzer
Dr. Kempfler
Kiechle
Dr. h. c. Kiesinger
Dr. Klein ({16})
Dr. Klein ({17})
Dr. Kliesing
Dr. Köhler ({18}) Köster
Dr. Kraske Freiherr
von Kühlmann-Stumm
Dr. Kunz ({19}) Lagershausen
Lampersbach
Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz ({20})
Lenzer
Link
Löher
Dr. Luda Dr. Marx Maucher Dr. Mende Dr. Mertes ({21})
Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner
Müller ({22})
Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister Niegel
Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Pfeffermann
Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Probst
Rainer Rawe Reddemann
Frau Dr. Riede
({23})
Dr. Riedl ({24})
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rollmann
Rommerskirchen
Roser Russe Sauer ({25})
Sauter ({26})
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble
Schedl
Frau Schleicher
Schmitt ({27})
Dr. Schneider
Frau Schroeder ({28}) Dr. Schröder ({29}) Schröder ({30}) Schröder ({31}) Schulte
({32})
Dr. Schulze-Vorberg Seiters
Sick
Solke
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({33})
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Stücklen
Susset de Terra
Thürk Tillmann
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({34})
Vogt
Volmer
Dr. Waffenschmidt Wagner ({35})
Dr. Waigel
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({36})
Dr. Freiherr
von Weizsäcker
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Windelen
Dr. Wittmann ({37}) Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Zeitel
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({38}) Dr. Gradl
Müller ({39}) Straßmeir Wohlrabe
Nein SPD
Ahlers
Dr. Ahrens
Amling
Anbuhl
Dr. Apel
Arendt ({40}) Augstein
Baack Bäuerle
Barche
Dr. Bardens
Batz
Dr. Bayerl
Becker ({41}) Dr. Beermann
Biermann
Blank
Dr. Böhme ({42}) Börner
Frau von Bothmer Brandt ({43}) Brück
Büchler ({44})
Büchner ({45})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi
Coppik
Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Dürr
Eckerland.
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers ({46}) Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Esters Ewen Dr. Farthmann
Fiebig
Dr. Fischer
Franke ({47}) Friedrich
Gansel
Geiger
Gerstl ({48}) Gertzen
Dr. Geßner
Gnädinger
Grobecker
Grunenberg
Haar
Haase ({49})
Haase ({50}) Dr. Haenschke Halfmeier
Hauck
Henke
Hermsdorf Herold
Höhmann Horn
Huonker Immer
Jahn ({51})
Dr. Jens
Junghans Junker
Kaffka
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lambinus Lattmann Dr. Lauritzen
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert
Mahne
Marquardt Marschall Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({52}) Meinicke ({53}) Metzger
Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h.
Möller
Müller ({54})
Müller ({55})
Müller ({56})
Dr. Müller-Emmert
Nagel
Neumann Dr. Nölling Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Freiherr
Ostiran von der Leye Pawelczyk
Dr. Penner Pensky
Polkehn
Rapp ({57})
Rappe ({58}) Richter
Rosenthal Sander
Dr. Schachtschabel Schäfer ({59})
Dr. Schäfer ({60}) Scheffler
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer Schlaga
Schluckebier
Dr. Schmidt ({61}) Schmidt ({62}) Schmidt ({63})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte ({64})
Dr. Schweitzer
Dr. Schwencke
Seibert
Spillecke
Staak ({65})
Stahl. ({66})
Suck
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Vogelsang
Waltemathe
Walther
Dr. Weber ({67})
Wehner Wende Wendt Dr. Wernitz
Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wilhelm
Dr. de With
Wittmann ({68})
Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Egert
Löffler
Dr. Schellenberg Frau Schlei
Schwedler
Sieglerschmidt Wurche
FDP
Dr. Bangemann
Baum
Dr. Böger
Christ
Gallus Geldner Groß
Grüner
Dr. Hirsch
Hoffie Jung
Kirst
Kleinert Logemann
Frau Lüdemann
Mertes ({69})
Mischnick
Möllemann
Ollesch Opitz Ronneburger
Schmidt ({70})
von Schoeler
Frau Schuchardt
Spitzmüller
Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Vizepräsident von Hassel
Der Antrag Drucksache 7/1115 ist damit abgelehnt Zugleich sind somit die Anträge auf den Drucksachen 7/1114, 7/1116 und 7/1118 erledigt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe Art. 1, 2, 2 a, 3 und 4 sowie
und Überschrift in der Fassung der Be
Schlüsse des Ausschusses auf. Wer zustimmt, den
ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die
- Enthaltungen? - Ohne Gegen
stimmen und ohne Enthaltungen in zweiter LesungWir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Professor Carstens das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß sich die Fraktionen der Regierungskoalition nicht bereit gefunden haben, den Vorschlägen unserer Fraktion und des Bundesrates auf eine Vorziehung der Rentenanpassung auf den 1. Juli 1973 zu entsprechen. Wir bedauern dies um so mehr, als sich dieses Hohe Haus über den Grundsatz einig ist, daß die Leistungen für die Kriegsopfer nicht nur wertgleich, sondern auch zeitgleich der Entwicklung der Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt werden sollen.
({0})
Die Regierung hat durch den vorgeschlagenen Stufenplan selbst zugegeben, daß die Vorziehung an sich erforderlich ist.
({1})
Sie hat damit im Grundsatz die Notwendigkeit einer Leistungsverbesserung für die Kriegsopfer nicht bestritten.
Wir müssen zu unserem Bedauern feststellen, daß die Entscheidung der Regierungsparteien den Kriegsopfern einen Verlust von rund 800 Millionen DM auferlegt. Den Kriegsopfern wird damit ein Stabilitätsopfer in Höhe von 800 Millionen DM zugemutet.
({2})
Seit dieses Problem in der Öffentlichkeit zur Diskussion steht, ist auch von seiten der Regierungskoalition einiges geschehen, was ihre starre Haltung und ihre Argumentation in dieser Frage fragwürdig erscheinen läßt. Ich meine damit die Tatsache, daß es möglich war, ohne Zögern die Genehmigung eines 13. Monatsgehaltes im öffentlichen Dienst mit finanziellen Auswirkungen in Milliardenhöhe zu beschließen.
({3})
Die Notwendigkeit und Berechtigung dieser Entscheidung wird von uns nicht bestritten.
({4})
Die stabilitäts- und finanzpolitischen Argument
der Regierung sind aber dadurch unglaubwürdig geworden und werden ihr von den Kriegsopfern nicht mehr abgenommen.
({5})
Es darf gegenüber den Kriegsopfern nicht geschehen, daß das eine Mal aus Gründen der Stabilität
und das andere Mal wegen fehlender Mittel berechtigte Forderungen abgelehnt werden.
({6})
Zu meinem Bedauern muß ich feststellen, daß die in
diesem Hause immer wieder zum Ausdruck gebrachte Priorität der Kriegsopferfrage von der Regierungskoalition in Frage gestellt wird.
({7})
Die CDU/CSU-Fraktion war sich bei den Beratungen über dieses Gesetz darüber einig, daß sie aus Stabilitäts- und finanziellen Gründen eine Reihe sozialpolitischer Anträge zurückstellen mußte. Was aber die Leistungen in der Kriegsopferversorgung angeht, so hielten wir es nicht für vertretbar, die Kriegsopfer von der wirtschaftlichen Entwicklung abzukoppeln.
({8})
Wir legen größten Wert darauf, daß die Leistungen der Kriegsopferversorgung in ein Verhältnis gebracht werden zu der allgemeinen Entwicklung des Haushalts,
({9})
der Steigerung des Sozialprodukts einerseits und zu anderen Sozialleistungen einschließlich der Sozialhilfe auf der anderen Seite.
({10})
Meine Damen und Herren, grundsätzlich muß ich hier feststellen, daß wir diese ganze Diskussion über die Kriegsopfer heute nicht zu führen brauchten,
({11})
wenn nicht die Inflation, für die die Regierung ein hohes Maß an Verantwortung trägt,
({12})
die Kaufkraft der Kriegsopferrenten und der Renten im allgemeinen immer mehr geschwächt hätte. Unsere Auffassung wurde durch die Forderungen der Kriegsopferverbände in aller Öffentlichkeit bestätigt. Ich weise auf die Demonstration auf dem Münsterplatz in Bonn hin.
Uns liegt an einer Befriedigung der Belange der Kriegsopfer sehr viel, und wir bedauern deshalb den Parteienstreit in dieser Frage. Es wäre uns lieber gewesen, die Regierung hätte mehr Kompromißbereitschaft gezeigt, so daß wir in voller Einigkeit wie in den vergangenen Jahren dieses Problem hätten einstimmig lösen können.
Dr. Carstens ({13})
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt trotz der Ablehnung ihres Antrags auf Vorziehung der Rentenanpassungen dem Gesetz zu, weil wir keineswegs das wenige Mehr, das dieses Gesetz bringt, den Kriegsopfern vorenthalten wollen.
({14})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Jaschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Carstens, ich möchte etwas richtigstellen, das Sie hier falsch dargestellt haben. Diese Regierung hat nicht ein ganzes 13. Monatsgehalt für die Beamten, Arbeiter und Angestellten, sondern das letzte Drittel dieses 13. Monatsgehalts bewilligt.
({0})
Ich möchte Ihnen auch noch etwas anderes beweisen. Sie beklagen, daß wir die Rentenanpassung nicht auf den 1. Juli vorgezogen haben. Ich bin sicher, daß es, wenn die CDU/CSU an der Regierung wäre, nicht um die Vorziehung der Anpassung von bereits dynamisierten Renten ginge, sondern daß wir heute versuchen müßten, diese Dynamisierung überhaupt erst zu erkämpfen.
({1})
Um Ihnen das zu beweisen, will ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus einem Protokoll des Haushaltsausschusses das zitieren, was Herr Dr. Althammer erklärt hat, als es um die Dynamisierung ging:
Abg. Dr. Althammer macht darauf aufmerksam, daß im Plenum ein Stillhalteabkommen dahin gehend beschlossen worden sei, bis auf bestimmte Ausnahmen keine ausgabewirksamen Anträge zu stellen, solange die mittelfristige Finanzplanung der neuen Bundesregierung nicht vorliege.
({2})
Die nach § 56 des Gesetzentwurfs vorgeschlagene
Regelung widerspreche diesem Übereinkommen.
({3})
Es erhebe sich aber die Frage, ob die Tragweite einer Dynamisierung der Kriegsopferrenten voll übersehen werde.
({4})
Darüber hinaus werde eine Dynamisierung
staatlicher Leistungen wie in diesem Falle ein
Präjudiz auf andere Bereiche zur Folge haben,
({5})
wie z. B. bei den Rentenleistungen für die Landwirtschaft, die Zahlung des Kindergeldes und für die Ausbildungsförderung.
({6})
Alle Kollegen aus dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung werden bestätigen können, wie schwer sich Ihre Kollegen in diesem Ausschuß getan haben, um es überhaupt zu einer Dynamisierung kommen zu lassen. Jetzt kommen Sie mit Ihren Schaufensteranträgen!
({7}) Ich komme nun zu meiner Erklärung.
({8})
Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß wir mit diesem Gesetz in der Verbesserung der Kriegsopferversorgung wieder ein großes Stück weitergekommen sind. Dieses Gesetz hat seine besondere Bedeutung darin, daß es die höchste Anpassungsquote aufweist, die es bisher für den Zeitraum eines Jahres gegeben hat, nämlich 11,4%.
({9})
- Selbst die böswilligsten Kritiker können nicht behaupten, daß seit der Dynamisierung die Steigerungsrate der Rentenleistungen nicht höher war als die Steigerungsquote der Preise.
({10})
- Eben nicht! Das kann ich Ihnen beweisen.
Zudem begrüßt es die sozialdemokratische Fraktion ganz außerordentlich, daß ein Weg gefunden werden konnte, auch die Vorziehung der Anpassung der Rentenleistungen in der Kriegsopferversorgung zu verwirklichen. Wir sind der Bundesregierung sehr dankbar dafür, daß sie diesen Stufenplan entwickelt und die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, ihn in die Tat umzusetzen.
({11})
Das bedeutet für die Jahre 1974 und 1975 eine durchschnittliche Rentenerhöhung von 15 %, also noch mehr als in diesem Jahr. Die Kriegsopfer werden damit ab 1. Oktober 1974 den Sozialrentnern rechtlich gleichgestellt sein.
Es war ein großes Anliegen meiner Fraktion, diesen Plan bereits im Fünften Anpassungsgesetz zu verankern. Das geschah mit der Einführung des Art. 2 a. Dieser stellt sicher, daß die Renten der Kriegsopfer im Jahre 1974 bereits zum 1. Oktober und ab 1. Januar 1975 bereits zum 1. Juli angepaßt werden. Es kann uns also niemand mehr vorwerfen - wie es geschehen ist -, daß wir nur Lippen3354
bekenntnisse abgeben. Dieses Versprechen ist bereits jetzt im Gesetz festgeschrieben worden. Damit ist dann der Gleichklang mit den Anpassungsterminen der gesetzlichen Rentenversicherung wiederhergestellt.
Wir wissen, daß die Kriegsopfer weitergehende Forderungen haben, glauben aber, daß in der gegenwärtigen Situation des Bundeshaushalts dies die optimale Lösung darstellt, insbesondere weil damit das Hauptanliegen auf der Basis eines vernünftigen Kompromisses seine Lösung gefunden hat.
Meine Fraktion sieht vor allem aber auch in der strukturellen Änderung, die von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beschlossen worden ist, einen weiteren Fortschritt in der Entwicklung des Versorgungsrechts. Die meisten haben nur - wie vor allen Dingen auch die CDU/CSU-Fraktion - auf die lineare Erhöhung der Versorgungsleistungen gesehen. Ich aber bin der Meinung, daß die gezielten strukturellen Verbesserungen ebenso wichtig sind und so manche jetzt bestehende Härte beseitigen werden.
({12})
Das gilt besonders für die Übernahme der Kosten einer Beitragsnachzahlung zu den gesetzlichen Rentenversicherungen für Pflegepersonen - eine alte Forderung -, d. h. also für Personen, die einen Pflegezulageempfänger unentgeltlich gepflegt haben. Diese werden nunmehr in die Lage versetzt, sich eine der Pflegetätigkeit angemessene Grundlage für ihre Alterssicherung zu schaffen. Die Nachentrichtung von Beiträgen für diese Pflegepersonen soll nach Auffassung des Ausschusses künftig nicht nur eine Kann-Leistung, sondern eine solche mit Rechtsanspruch sein.
Außerdem werden Pflegezulageempfänger, die nicht schwerbeschädigt sind, künftig den Schwerbeschädigten hinsichtlich der Heil- und Krankenbehandlung gleichgestellt. Geschädigte, die infolge der Schädigung dauernder Pflege bedürfen, erhalten zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse nicht mehr nur ein geringes Taschengeld, sondern die ungekürzte Grundrente weiter.
Auch die Erhöhung des Bestattungsgeldes wird von uns als dringend notwendig angesehen. Dieses Bestattungsgeld beträgt nunmehr 1 000 DM bzw. 500 DM statt 750 DM bzw. 375 DM.
Über den Regierungsentwurf hinaus wurden auf Antrag unserer Fraktion weitere Verbesserungen des Leistungsrechts behandelt. Dabei möchte ich besonders die Beseitigung der Anrechnungspflicht der Unterhaltsleistungen noch lebender Abkömmlinge auf die Elternrente hervorheben. Auch dies ist ein großes Anliegen des betroffenen Personenkreises und beseitigt vielfach bestehende Härten. Wir freuen uns, daß damit die lange Diskussion um dieses heikle Thema nunmehr ihr Ende gefunden hat.
Durch eine weitere Verbesserung konnte erreicht werden, daß nunmehr allen Pflegepersonen künftig eine Badekur gewährt werden kann. Wir möchten im Hinblick auf diese Regelung der Bundesregierung
nahelegen, alle Maßnahmen zu ergreifen, die eine wirkungsvolle Durchführung dieser Vorschrift gewährleisten, um den Pflegepersonen, denen unser aller Dank gebührt, ihre Gesundheit zu erhalten.
Wir möchten die Bundesregierung auch sehr eindringlich bitten, die in Aussicht gestellte Änderung der Durchführungsverordnung bald zu verwirklichen. Ganz besonders denken wir dabei an die Beseitigung der Härten, die durch die Kürzung des Schadenausgleichs für Kriegerwitwen aufgetreten sind, wenn der verstorbene Ehemann das 65. Lebensjahr erreicht hatte. Die Bundesregierung hat fest versprochen, in der dafür vorgesehenen Rechtsverordnung die Besitzstandswahrung festzulegen.
Abschließend möche ich feststellen, daß mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wieder bewiesen werden konnte, daß die Kriegsopfer nicht vergessen worden sind. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich in der Vergangenheit stets die Belange der Kriegsopfer zu eigen gemacht. Sie hat auch bei der Behandlung des Fünften Anpassungsgesetzes entsprechend gehandelt und wird dies auch in Zukunft tun.
({13})
Der Pressesprecher des VDK Hans Anders hat in einem Leserbrief an die „Westfälische Rundschau" unter anderem festgestellt:
Wir
- die Kriegsopfer wissen, daß wir in Bundesarbeitsminister Walter Arendt einen guten Anwalt haben.
({14})
Dies können wir nur mit allem Nachdruck bestätigen.
({15})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({16}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Professor Dr. Carstens, ich habe eigentlich bedauert, daß Sie hier - wobei ich begrüßt habe, daß Sie hier etwas aufwerten wollten, was seit Monaten von Ihnen versucht wird - vor dem Deutschen Bundestag noch einmal versucht haben, zu einem Thema eine Darstellung zu geben,
({0})
die einfach nicht abgedeckt ist, daß Sie in die Situation gekommen sind - ich muß es deutlich sagen -, eine haushaltsmäßig nicht abgedeckte Sache hier zu vertreten.
({1})
Ich hätte es für besser und der Sache der Kriegsopfer gerechter gehalten, wenn sich hier vielleicht Herr Kollege Katzer - der das immer getan hat - noch einmal dazu geäußert hätte. Aber ich habe Verständnis dafür, daß ein Antrag, der - ich habe vor 14 Tagen lange genug zur Sache gesprochen - sehr viel auf Schau und leider sehr wenig auf tatsächSchmidt ({2})
liche Leistungsmöglichkeiten abgestellt war, hier abschließend noch einmal von Ihnen vorgetragen wurde. Denn, Herr Kollege Carstens, der Grundsatz der Gleichrangigkeit der Anpassung, den Sie hier als einen gemeinsamen Grundsatz dieses Hauses angesprochen haben, wobei ich Ihnen völlig zustimme, besteht erst seit der sozialliberalen Koalition und nicht etwa aus der Zeit der vorherigen Regierungen.
({3})
Es ist deshalb schon etwas merkwürdig, wenn man hier dieses Haus an diesen Grundsatz erinnert, gleichzeitig aber zu einer Zeit, als Sie die Kanzler stellten, diesen Grundsatz der Gleichrangigkeit immer abgelehnt hat, so daß erst die sozialliberale Koalition ihn durchsetzen mußte.
({4})
Daß wir diesen Grundsatz der Gleichrangigkeit in einem Stufenplan, wie ihn die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, genauso erfüllen wollen und erfüllen werden, ist eindeutig klar und liegt im Interesse der Kriegsopfer. Daß die Auseinandersetzung der letzten Wochen, die auch von Verbandsauseinandersetzungen und -interessen sehr stark bestimmt waren, nicht im Interesse der Kriegsopfer, nicht im Interesse dieser gemeinsamen Aufgabe, die wir alle sehen, lag, ist wohl in den letzten Wochen immer wieder deutlich geworden.
Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie mich für die Freien Demokraten zur dritten Lesung dieses Fünften Anpassungsgesetzes noch einmal erklären: Wir Freien Demokraten begrüßen, daß dieses Gesetz heute für ein rechtzeitiges Inkrafttreten, für einen rechtzeitigen Auszahlungstermin zum 1. Januar 1974 hier verabschiedet werden kann als Fünftes Anpassungsgesetz der sozialliberalen Koalition, als fünftes Gesetz der Anhebung der Kriegsopferrenten innerhalb von fünf Jahren. Die Jahrzehnte vorher und ihre Gesetze will ich nicht noch einmal erwähnen.
Wir begrüßen, daß die von uns allen gewünschte, aber nur in Schritten mögliche Anpassung in der mittelfristigen Finanzplanung nunmehr klar verankert ist und wir alle davon ausgehen können, daß mit einem 6. und 7. Anpassungsgesetz die gesamte Angleichung erreicht ist. Wir danken der Bundesregierung, daß sie im Rahmen der Finanzplanung die Mittel dafür zur Verfügung gestellt hat.
Wir begrüßen darüber hinaus, daß es möglich sein wird, Strukturmaßnahmen, über die im Detail schon gesprochen worden ist, in den nächsten Monaten bei nächsten Anpassungsgesetzen weiter durchzuführen, weil, wie ich schon einmal vor 14 Tagen hier sagen durfte, in vielen individuellen Maßnahmen im Kriegsopferrecht noch viel, viel mehr Probleme liegen als in linearen Anhebungen.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß wir in diesem Gesetz und in dem Stufenplan eine Fortentwicklung der Gedanken sehen, die wir Freien Demokraten als erste in diesem Hause in Fragen des Berufsschadensausgleichs - ich nenne da meinen Kollegen Rutschke -, in Fragen weiterer Anpassungen und in Fragen der Dynamisierung bereits ( seit den fünfziger Jahren bis heute konsequent vertreten haben, allerdings auch in der Verantwortung vor den materiellen Problemen, die damit zusammenhängen, und in der Verantwortung vor dem Ganzen, nicht nur in Form der Polemik.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß der Beratungen über ein Fünftes Gesetz zur Anpassung der Rentenleistungen der Kriegsopferversorgung möchte ich dem Hohen Hause, insbesondere dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie dem Haushaltsausschuß, für die zügige Beratung herzlich danken.
Durch die heutige Verabschiedung des Gesetzes ist die Möglichkeit geschaffen, den Kriegsopfern die erhöhten Rentenleistungen rechtzeitig auszuzahlen. Ich freue mich sehr, meine Damen und Herren, daß Sie im Rahmen Ihrer Beratungen auch den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Stufenplan zur Vorziehung der Anpassung aufgegriffen und gesetzlich verankert haben.
Dadurch wird schon heute sichergestellt, daß die Kriegsopferrenten im Jahre 1974 zweimal, zum 1. Januar und zum 1. Oktober, und von 1975 an jeweils zum 1. Juli an die wirtschaftliche Entwicklung angepaßt werden. Die Renten der Kriegsopfer werden dadurch 1974 und 1975 im Jahresdurchschnitt um rund 15 % erhöht.
({0})
Und das nennt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion das wenige Mehr, meine Damen und Herren.
({1})
Ich finde, die großen Verbesserungen machen deutlich, wie richtig es war, im Jahre 1969 die Dynamisierung einzuführen und damit die Kriegsopferversorgung auf eine sichere und zukunftsorientierte Basis zu stellen.
({2})
Herr Professor Carstens, Sie sprechen von Prioritäten. Ich möchte Sie doch einmal an das erinnern - schauen Sie sich das Protokoll an -, was Ihr Fraktionskollege Althammer und was die Vertreter der Regierung, insbesondere der damalige Finanzminister Alex Möller, in dieser Frage gesagt haben. Da würden Sie unsere Prioritäten recht schnell erkennen.
({3})
Meine Damen und Herren, was wir an Verbesserungen erreicht haben und durchführen, gilt nicht nur für lineare Erhöhungen der Rentenleistungen und die gesetzliche Verankerung des Stufenplans,
sondern auch für die übrigen im Gesetz vorgenommenen weiteren strukturellen Verbesserungen. Und ich glaube, nein, ich weiß es, daß die Kriegsopfer in der Bundesrepublik Deutschland die erzielten Fortschritte würdigen.
({4})
Die Bundesregierung ist bemüht, den Entwurf für ein Sechstes Anpassungsgesetz in absehbarer Zeit vorzulegen. Sie wird ferner alles daransetzen, die von mir bereits in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs in Aussicht gestellten Strukturverbesserungen zu verwirklichen. Dies gilt vor allem für die Beseitigung von Härten beim Schadensausgleich der Kriegerwitwen im Hinblick auf die Kürzung dieser Leistung, nachdem der verstorbene Ehemann das 65. Lebensjahr vollendet hätte. Auch diese Neuregelung soll zum 1. Januar 1974 in Kraft treten.
Die Bundesregierung wird weiterhin um eine sachgerechte Weiterentwicklung des Kriegsopfer-rechts bemüht bleiben - sei es durch Gesetz oder Verordnungen -, so wie wir dies auch in den vergangenen vier Jahren getan haben.
Ich werde dem Bundestag in nächster Zeit einen Bericht über die Kriegsopferversorgung vorlegen. Er soll einerseits die besonderen Probleme dieses Personenkreises erläutern und andererseits darlegen, wie wir uns bemühen, den vielseitigen Schwierigkeiten, denen heute gerade die schwerstbetroffenen Kriegsopfer ausgesetzt sind, wirksam zu begegnen. Nur mit Renten sind diese Probleme nicht zu lösen. Es gibt zahlreiche Kriegsopfer, deren Sorgen und Nöte allein durch Rentenerhöhungen nicht behoben werden können. Sie bedürfen vielmehr individueller Hilfen und Maßnahmen, die ihnen ihr schweres Schicksal erleichtern. Gerade das dürfen wir bei der Weiterentwicklung des Versorgungsrechts nicht außer acht lassen. Meine Damen und Herren, Sie dürfen versichert sein, daß die Bundesregierung diesem Punkt ihre besondere Aufmerksamkeit widmen wird.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen: Die Bundesregierung hat bisher alles getan, die Versorgung der Kriegsopfer im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten fortschrittlich weiterzuentwickeln und strukturelle Mängel zu beseitigen. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft konsequent fortsetzen.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe daher die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der Fassung, die in der zweiten Lesung angenommen worden ist, seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen ist das Gesetz einstimmig angenommen.
({6})
Wir müssen dann noch über die Ausschußanträge unter den Nrn. 2 und 3 abstimmen. Sie finden diese Anträge auf Seite 14 Ihrer Vorlage. Wer den Anträgen des Ausschusses unter den Nrn. 2 und 3 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Drucksache 7/260 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
- Drucksache 7/1085 Berichterstatter: Abgeordneter Sund ({8})
Ich darf dem Herrn Berichterstatter für die Berichterstattung danken. Wird von ihm das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Sund hat als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Am 18. Mai 1973 wurde durch dieses Haus der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung überwiesen. Nach fast genau fünf Monaten liegt Ihnen jetzt auf der Drucksache 7/1085 der Schriftliche Bericht des federführenden Ausschusses vor. Er empfiehlt Ihnen, die nunmehr vorliegende Fassung mit der veränderten Überschrift „Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit" anzunehmen.
Der Regierungsentwurf, der ein in der 6. Legislaturperiode nicht abgeschlossenes Gesetzesvorhaben der Regierung unverzüglich wieder aufgriff, wurde im Laufe der Ausschußberatung in mehrfacher Hinsicht erweitert und ausgestaltet, um die mit dem Gesetz verfolgten Absichten noch wirksamer, noch praktikabler und noch umfassender durchzusetzen. Dabei spielten die Stellungnahme des Bundesrates, Anregungen aus einer Sachverständigenanhörung und Initiativen der Fraktionen eine wichtige Rolle. Besonderes Gewicht hatte in diesem Zusammenhang auch das in den Unfallverhütungsberichten der Bundesregierung - Drucksachen 7/189 und 7/991 - vorzüglich aufbereitete Material, das der Ausschuß Ihnen heute zugleich zur Kenntnisnahme empfiehlt. Sicher dient es der Ökonomie der Beratungen, für das Detail auf den vorliegenden Schriftlichen Bericht zu verweisen.
Der Ausschuß hat bei unterschiedlichen Stimmverhältnissen in den Abstimmungen über die einzelnen Vorschriften in der Schlußabstimmung die vorliegende Fassung dem Plenum einmütig zur Annahme empfohlen. Damit hat er zugleich deutlich geSund
macht, daß er in dem Gesetz eine durchgreifende Verbesserung des Schutzes des arbeitenden Menschen sieht und daß nach seiner Überzeugung das Gesetz dazu beitragen wird, das Arbeitsleben menschlicher zu gestalten.
Besonderes Gewicht hatte in den Beratungen die Bemühung, die Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates in den Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu stärken. Der Ausschuß sah darin eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit des Gesetzes. Das gilt auch für die Ausgestaltung von Bedingungen, die die fachliche und sachliche Unabhängigkeit der Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sichern sollen. Angesichts der Tatsache, daß bei weitem noch nicht genügend Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte zur Verfügung stehen, hat sich der Ausschuß um Lösungen bemüht, die dieser Lage Rechnung tragen. Daher werden für die Arbeitgeber Grundsatzverpflichtungen begründet, die zugleich die tatsächlichen Betriebsverhältnisse berücksichtigen.
Eine wichtige Rolle nehmen dabei branchenspezifische Unfallverhütungsvorschriften ein, die zur Ausfüllung des Gesetzes sobald wie möglich und Zug um Zug erlassen werden sollen. Unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität und zügigen Verwirklichung des Gesetzes sind auch die Bestimmungen zu sehen, die die Bestellung von frei praktizierenden Ärzten und außerbetrieblichen Sicherheitsfachkräften sowie die Inanspruchnahme überbetrieblicher Dienste zulassen. Besonderen Wert legte der Ausschuß auf die Festlegung, daß eine noch nicht ausreichend vorhandene Fachkunde im Rahmen bestimmter Fristen durch Fortbildung erworben werden muß.
Mit dem Gesetz zusammen legt der Ausschuß dem Hause eine Entschließung vor. Die Entschließung soll die Voraussetzungen für eine nachhaltige und beschleunigte Ausfüllung des Gesetzes verbessern helfen. Auch dafür bittet der Ausschuß um Ihre Zustimmung.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Aussprache zur zweiten Beratung ein. Ich darf Ihnen vorschlagen, daß wir den einzigen Antrag, der Ihnen mit Drucksache 7/1121 vorliegt und sich auf § 17 bezieht, vorab behandeln.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Orgaß.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt ein Gruppenantrag zu § 17 Abs. 2 vor. Ich darf Sie sehr herzlich um Zustimmung bitten.
In diesem Antrag kommt zum Ausdruck, daß die Seeschiffahrt von dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht ausgenommen werden sollte, so wie das die Verwaltung dem Parlament - das ist in dem Bericht zum Gesetzentwurf auf Drucksache 7/1085 zu lesen - mit einer geradezu abenteuerlichen Begründung vorgeschlagen hatte, weil nämlich für die Seeschiffahrt die Seeberufsgenossenschaftsvorschriften sowie die Vorschriften der Krankenfürsorge und andere Bestimmungen bestehen. Das ist mit der Zielsetzung des Gesetzes in keiner Weise deckungsgleich.
Hier geht es um völlig andere Dinge. Ich bedauere deswegen auch, daß wir im Ausschuß, als wir auf Grund dessen den Antrag auf Streichung stellten, nicht die Mehrheit gefunden haben. Um so mehr bin ich allerdings erfreut - deswegen will ich jede weitere Begründung und jedes Eingehen auf die Sache vermeiden -, daß sich inzwischen unsere Vorstellung herumgesprochen hat und die Kollegen der Koalition, zumindest die der SPD, bereit sind, nunmehr diesem Antrag zu folgen. Ich glaube, das sind wir der Seeschiffahrt schuldig. Deswegen möchte ich mich sehr herzlich bedanken und Sie um Zustimmung zu diesem Antrag bitten.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wird zu diesem Antrag, der soeben begründet wurde, das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich zuerst über den Antrag abstimmen. Einverstanden? - Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Der Antrag ist ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe aus der Ausschußvorlage die §§ 1 bis 16, § 17 in der geänderten Fassung, die §§ 17 a bis 22 einschließlich Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Bei 1 Enthaltung ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Pohlmann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebe ich zu dem Gesetzentwurf über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit auf Drucksache 7/260 in Verbindung mit dem Ausschußbericht Drucksache 7/1085 folgende Erklärung ab.
Die CDU/CSU hat schon in der ersten Lesung ausdrücklich betont, daß sie im Interesse eines verstärkten Arbeitsschutzes und im Interesse einer verbesserten Unfallverhütung grundsätzlich die Zielsetzung dieser Gesetzesinitiative begrüßt. Die letzten Unfallzahlen in den Unfallverhütungsberichten weisen zwar eine erfreulich positive Tendenz aus, die Zahl der Arbeitsunfälle ist aber noch so hoch, daß nach unserer Auffassung eine weitere Verbesserung der arbeitsmedizinischen Betreuung und eine
weitere Verbesserung der Arbeitssicherheit unabdingbar sind. Wir haben deshalb in der ersten Lesung unsere volle Unterstützung bei den Beratungen zugesagt. Wir haben entsprechend mitgearbeitet. Wir haben eine Reihe von Änderungsanträgen eingebracht - ich komme auf einige Änderungsanträge noch zu sprechen -, die darauf abzielten, das Gesetz praktikabler und effizienter zu gestalten.
Leider muß ich sagen - lassen Sie mich das hier gleich zu Anfang feststellen -, daß wir offensichtlich von einem unterschiedlichen Demokratieverständnis ausgehen; denn die ganzen Verhandlungen im Ausschuß haben doch gezeigt, daß die Koalition nicht bereit war, auf unsere Vorschläge sachgerecht einzugehen, im Gegensatz zu uns, die wir eine Reihe von vernünftigen Änderungsanträgen der Koalition, die meistens auf Überlegungen des Bundesrates beruhten, übernommen und ihnen auch unsere Zustimmung gegeben haben. Uns überrascht diese Haltung der Koalition an sich nicht; wir sind ja schon länger in diesem Geschäft. Wir bedauern es jedoch, daß die Koalition nicht nur unseren Vorstellungen, sondern auch den Vorstellungen der Sachverständigen in der Mehrzahl - auf diesen Anregungen beruhten unsere Änderungsanträge - so wenig Berücksichtigung geschenkt hat. Mehr als 40 Änderungsanträge der Koalition, mehr als 10 Änderungsanträge der Opposition zeigen, daß die Qualität des uns von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs doch noch einer erheblichen Aufbesserung bedurfte.
Damit komme ich zu einigen Einzelheiten des Gesetzes, wobei ich mich hier auf einige Schwerpunkte beschränken will.
Ich möchte noch einmal betonen, daß die CDU/CSU die Form des Rahmengesetzes für richtig hält, daß sie es auch begrüßt, daß die Berufsgenossenschaften mit ihrer Praxisnähe eine zentrale Stellung zur Ausfüllung dieses Rahmens erhalten haben. Nur so kann nach unserer Auffassung den unterschiedlichen Wirtschafts- und Betriebsstrukturen hinreichend Rechnung getragen werden. Sicherlich ist auch die Stellung der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit im Betrieb in den Ausschußberatungen insofern verbessert worden, als diese Betriebsärzte und Fachkräfte jetzt direkt der Betriebsleitung unterstellt sind. Außerdem ist die Schweigepflicht für Ärzte ausdrücklich im Gesetz verankert und ihre fachbezogene Fortbildung unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange - genau wie bei den Fachkräften für Arbeitssicherheit - gewährleistet. Das ist die positive Seite.
Die CDU/CSU bedauert aber, daß z. B. ihr wohlbegründeter Antrag, für ,die Betriebsärzte den Aufgabenkatalog zu übernehmen, der in den Vereinbarungen der Sozialpartner über den werksärztlichen Dienst und in den Richtlinien des damaligen Bundesarbeitministers Hans Katzer festgelegt war, von der Koalition - ich meine, mit fadenscheinigen Gründen - abgelehnt wurde. Seit über 20 Jahren ist nach diesem Katalog gearbeitet worden. Er entsprach den praktischen Bedürfnissen, war vielfältig erprobt, und die meisten Sachverständigen haben sich auch sehr engagiert für die Beibehaltung dieses
Katalogs ausgesprochen. Um so unverständlicher
ist die Haltung der Koalition, denn was sich bewährt hat, sollte man doch nicht ohne Grund ändern.
Wenn man noch die völlig unzulängliche Arbeitsmarktlage auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin hinzunimmt, die ja auch in der nächsten Zukunft sicherlich nicht so schnell behoben werden wird, wäre es doch unsere Pflicht gewesen, ein Berufsbild zu schaffen, das auch eine entsprechende Attraktivität, insbesondere für jüngere Mediziner, ausstrahlt. Statt dessen fehlt jetzt z. B. in dem Katalog die „Erste Hilfe", es fehlt die „Erstbehandlung bei Unfällen und akuten Erkrankungen". Man muß sich wirklich schon einmal fragen, warum wir eigentlich Sachverständigenanhörungen durchführen, wenn man sich dann später rigoros über diese Vorstellungen und Anregungen der Sachverständigen hinwegsetzt.
Genauso verhält es sich bei dem Punkt „Nachweis der arbeitsmedizinischen Fachkunde". Die jetzige Vorschrift, nach der der Arbeitgeber als Betriebsärzte nur Personen bestellen darf, die berechtigt sind, den ärztlichen Beruf auszuüben, und die über die erforderliche arbeitsmedizinische Fachkunde verfügen, ist doch im Grunde so schwammig und ungenau, daß sich zwangsläufig Schwierigkeiten in der Praxis ergeben müssen. Nirgendwo ist festgelegt, was eigentlich unter „erforderlicher arbeitsmedizinischer Fachkunde" zu verstehen ist, wo sie erworben werden kann und wer sie bescheinigt. Und jede ungenaue Fassung - das ist im Grunde der Kernpunkt - birgt doch, meine Damen und Herren, die Gefahr der Qualitätsminderung in sich.
Die CDU hat auch diesen Punkt vergeblich zu konkretisieren versucht, indem sie den Nachweis der Fachkunde dann als erbracht ansehen wollte, wenn von der zuständigen Landesärztekammer die Berechtigung zur Führung der Zusatzbezeichnung „Arbeitsmediziner" bescheinigt war.
Damit, meine Damen und Herren, hätten wir auf die Ärzte einen heilsamen Druck ausgeübt, sich arbeitsmedizinisch auszubilden. Wir hätten dem im Rahmen der medizinischen Berufsausübung allgemein festzustellenden Trend zur Facharzttätigkeit Rechnung getragen und dadurch letztlich die Attraktivität des Betriebsarztberufs - insbesondere auch für jüngere Mediziner - erhöht. Unser Vorschlag lag also genau in der gewünschten Zielrichtung dieses Gesetzes, möglichst zu einer Qualitätsverbesserung, zu einer Qualitätssteigerung der arbeitsmedizinischen Betreuung zu kommen. Ich meine, das wäre auch voll im Interesse der Betriebe und der in ihnen Beschäftigten gewesen.
Natürlich wissen wir, daß das nicht ohne irgendeine Übergangsregelung zu machen gewesen wäre. Deswegen hatten wir eine Übergangsregelung für fünf Jahre vorgeschlagen, um einfach ein Blockieren dieses Gesetzes zu verhindern.
({0})
Auch hier war von uns vorgesehen, daß der einzustellende Arzt, der über die notwendige Fachkunde noch nicht verfügte, sich verpflichten mußte, innerhalb von drei Jahren nach der Bestellung die fachlichen Voraussetzungen zu erfüllen.
Ähnliche Vorschläge haben wir für die Fachkräfte für Arbeitssicherheit gemacht. Danach sollten bei diesen Personen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die fachlichen Anforderungen in Unfallverhütungsvorschriften näher bestimmen.
All diese Anträge, die - ich darf es hier noch einmal ausdrücklich betonen - einer Qualitätsverbesserung dienen sollten, fanden nicht die Zustimmung der Koalition. Wir meinen, daß dadurch eine große Chance verpaßt wurde. Es verdient festgehalten zu werden, daß hierfür allein die Koalition die Verantwortung trägt.
({1})
Meine Damen und Herren, zu diesem Komplex der Stellung der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit im Betrieb gehört auch das Problem der Mitbestimmung und der Mitwirkung des Betriebsrates. Es bedarf keiner Begründung, daß ein Betriebsarzt oder ein Sicherheitsingenieur ohne enges Zusammenwirken mit dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber seine schwierige Aufgabe nicht erfüllen kann, daß er auf Unterstützung, auch durch den Betriebsrat, angewiesen ist. Nur eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewährleistet den von allen Seiten gewünschten Erfolg.
Von dieser Prämisse ist die CDU/CSU bei der Regelung dieser Frage ausgegangen. Wir sind der Ansicht, daß die Vertrauensbasis nur dann gegeben ist, wenn Einstellungen und Entlassungen von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit nicht über den Kopf des Betriebsrats und ohne seine Beteiligung getätigt werden können. Dies entsprach auch der bisherigen Handhabung der Sozialpartner, die schon 1950 bzw. 1953 in den Richtlinien zum werksäztlichen Dienst festgelegt hatten, daß Einstellungen und Entlassungen durch die Werksleitung im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu erfolgen haben.
Wir, meine Damen und Herren, haben diesen Grundgedanken aufgegriffen und einen entsprechenden Änderungsantrag, der ein Einvernehmen des Betriebsarztes vorsah, gestellt, wobei das Beteiligungsverfahren in einer Betriebsvereinbarung in gemeinsamer Verantwortung von Arbeitgeber und Betriebsrat näher festgelegt werden sollte.
({2})
Wir sind nach wie vor der Ansicht, daß eine solche Regelung, wie wir sie vorgeschlagen haben, den berechtigten Bedürfnissen aller Seiten entsprochen hätte und eine gute Basis für die von mir zitierte vertrauensvolle Zusammenarbeit gewesen wäre; leider hat sich auch hier die Koalition diesem Antrag widersetzt.
Noch ein paar Worte zu § 17.
Die Koalition, meine Damen und Herren, hat gegen unseren Willen den § 17 Abs. 3 gestrichen. Die Opposition kann hier eine erfreuliche Übereinstimmung mit der Bundesregierung feststellen, wenn auch nicht verkannt werden soll, daß diese im Ausschuß selbst offensichtlich mit mehreren Zungen gesprochen
({3})
und eine Koordinierung unter den einzelnen Ministerien überhaupt nicht oder nur sehr unvollständig stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, wenn sich die Sozialpartner übereinstimmend für den ursprünglichen Text des Gesetzentwurfs aussprechen, ist es unverständlich, daß sich die Koalition schlichtweg ohne überzeugende Gründe über diese Meinungen hinwegsetzt.
Und wenn sich dann die FDP in der ersten Lesung mit dem Brustton der Überzeugung dafür einsetzt, daß nicht Doppelzuständigkeiten geschaffen werden sollen, daß durch dieses Gesetz keine unsachgemäße Verlagerung von Zuständigkeiten erfolgen darf, nachher aber genau das Gegenteil von dem tut, wofür sie sich anfangs eingesetzt hat, dann ist auch das mit logischen Gründen nicht mehr zu erklären.
Alle, die mit der bergbaurechtlichen Materie ein wenig vertraut sind, wissen, daß die in diesem Gesetz behandelten Gegenstände im Bergbau weitestgehend durch bergrechtliche Vorschriften geregelt sind, daß die dort bestehenden Ermächtigungen und Vorschriften teilweise sogar noch darüber hinausgehen. Soweit das nicht der Fall ist, meine Damen und Herren, gilt dieses Gesetz sowieso als Mindestnorm.
Mit der jetzt von der Koalition vorgenommenen Streichung haben wir genau das erreicht, was die Opposition und zunächst auch die FDP verhindern wollten. Jetzt besteht doch die Gefahr, daß die bisherige einheitliche Bergaufsicht und damit auch die einheitliche Verantwortung für die Bergaufsicht durchbrochen wird, daß Überschneidungen und Doppelzuständigkeiten an der Tagesordnung sind. Das geht doch mit Sicherheit zu Lasten des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit der Beschäftigten im Bergbau.
Auch in diesem Punkt, meine Damen und Herren, muß sich die Koalition entgegenhalten lassen, daß sie kontra der Zielrichtung dieses Gesetzes gestimmt hat.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum Schluß. Ich habe hier noch einmal einige Schwerpunkte angesprochen, die wir gern anders geregelt gesehen hätten. Die Koalition hat sich - ich sage: wie schon so oft - über vernünftige Argumente hinweggesetzt und damit den zu schützenden Beschäftigten sicherlich keinen guten Dienst erwiesen. Die CDU/CSU wird trotzdem aus der von mir anfangs zitierten Grundeinstellung heraus diesem Gesetz ihre Zustimmung geben. Sie ist realistisch genug, um zu sehen, daß bis zur vollständigen Verwirklichung noch viel Zeit ins Land gehen wird, daß insbesondere die Arbeitsmediziner an allen Ecken und Kanten fehlen. Dieser Mangel kann durch Entschließungen allein, wie sie uns vorliegen, nicht behoben werden. Die CDU/CSU würde es aber begrüßen,
wenn dieses Gesetz dazu beitrüge, den Schutz der arbeitenden Menschen zu verbessern und das Arbeitsleben weiter zu humanisieren.
({4})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben: Mit dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit wird der Deutsche Bundestag eine der bedeutenden sozialen Reformen dieser Legislaturperiode beschließen. Das Gesetz ist ein Glied in der Kette unserer Bemühungen um die Humanisierung der Arbeitswelt, und, so möchte ich bescheiden hinzufügen, es ist ein wohlgelungenes Gesetz.
Es hat uns erhebliche Anstrengungen gekostet, die Kollegen von der Opposition im Ausschuß auf Koalitionsstandard zu hieven.
({0})
Bis auf den Einzelkämpfer, der gerade hier gesprochen hat, ist uns das gelungen. Streckenweise mußten wir selbst die Verbesserungsvorschläge des Bundesrates gegen die Einwände von CDU und CSU durchboxen. Da es uns jedoch gelungen ist, die meisten Oppositionskollegen zur höheren Einsicht zu bewegen, war das Ringen im Ausschuß wenigstens nicht nutzlos.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt das vorliegende Gesetz. Sie dankt dem Bundesarbeitsminister dafür,
({1})
daß er auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge im Betrieb nicht bei papierenen Ratschlägen oder Richtlinien seiner Amtsvorgänger steckenblieb, sondern durch die Vorlage dieses Entwurfs Nägel mit Köpfen gemacht hat.
({2})
In den Beratungen der Koalitionsfraktionen und im Ausschuß haben wir den Entwurf weiter verbessern können. Wir haben sehr darauf geachtet, daß die Mitwirkung und die Mitbestimmung der Betriebsräte beim Vollzug des Gesetzes zweifelsfrei gesichert ist. Wir haben die Betriebsärzte, die Sicherheitsingenieure und die Sicherheitsfachkräfte so gestellt, daß sie ihren verantwortungsvollen Dienst auch erfüllen können. Ihre Vorschläge müssen gehört, sie können nur noch begründet verworfen werden. Immer wird der Betriebsrat ein Wort mitzureden haben. Er wird so den Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften den Rücken stärken können, wenn es um mehr Arbeitssicherheit in den Betrieben geht.
Ich möchte das Augenmerk dieses Hauses besonders darauf lenken, daß wir ein flexibles Rahmengesetz geschaffen haben. Die Ausfüllung wird eine große Aufgabe der nächsten Monate für alle Beteiligten sein. In neuen Unfallverhütungsvorschriften
wird festzulegen sein, wie der Wille des Gesetzgebers branchenspezifisch umzusetzen ist. Wir haben Spielraum für eine sachgemäße, am einzelnen Betrieb orientierte Realisierung gelassen. Wir haben bewußt und gegen den Widerstand der Opposition darauf verzichtet, die Anforderungen an Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte jetzt schon so hochzuschrauben, daß das Gesetz unter Hinweis auf noch nicht vorhandene Fachkräfte unterlaufen werden kann.
({3})
- Sie wissen das genau. - Wir wollten einerseits das Problembewußtsein der Unternehmen schärfen und andererseits einen Problemdruck schaffen; denn die wortreichen Appelle früherer Arbeitsminister sind praktisch ohne Echo geblieben.
({4})
Die Elastizität dieses Gesetzes kann allerdings auch nicht überbeansprucht werden. Die Berufsgenossenschaften sind in eine zeitlich und sachlich terminierte Pflicht genommen. Erfüllen sich die Erwartungen des Gesetzgebers nicht, muß der Bundesarbeitsminister handeln. Wir Sozialdemokraten haben uns dazu um so eher verstehen können, weil wir dieses Gesetz bei diesem Minister in guten Händen wissen. Wir machen allerdings darauf aufmerksam, daß die Aufgabe der Berufsgenossenschaften durch die Formulierung einer ersten Unfallverhütungsvorschrift noch nicht erfüllt ist. In einem fortlaufenden Prozeß werden die Anforderungen an Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte, werden die Anforderungen an die Betriebe gesteigert werden müssen.
Es gibt einen Schönheitsfehler im Gesetz, auf den ich Sie namens meiner Fraktion aufmerksam machen darf. Aus verfassungsrechtlichen Bedenken genießt der öffentliche Dienst wiederum eine Sonderstellung. Im Grunde gefällt uns das nicht. Um so schärfer werden wir darauf achten, daß Bund, Länder und Gemeinden die Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechend verwirklichen. Das Bundesarbeitsministerium wird Bericht zu erstatten haben, wie man im öffentlichen Dienst dieses Gesetz handhabt. Wir werden die Ergebnisse dieses Berichts an unserer Grundüberzeugung messen, daß ein verbesserter Gesundheitsschutz, mehr Arbeitssicherheit am Arbeitsplatz nicht von der Frage abhängig gemacht werden kann, ob es sich um Arbeitsplätze im Bereich der privaten oder der öffentlichen Wirtschaft handelt.
Die Flexibilität dieses Gesetzes, die ich schon einige Male rühmen durfte, erweist sich an der Tatsache, daß die Unternehmen Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte fest anstellen können, die Möglichkeit haben, freiberuflich Tätige zu verpflichten, oder sich die Dienste eines überbetrieblichen Dienstes nutzbar machen können. Die Phantasie des Gesetzgebers entspricht in allen drei Punkten den bereits sichtbaren, tastenden Versuchen gesundheits-und sicherheitsbewußter Unternehmen.
Es ist ein Freitag, ich will Ihre Geduld nicht über Gebühr beanspruchen. Ich versuche nur, Ihnen klarzumachen, daß Sie heute in abschließender Beratung
nicht ein Routinegesetz verabschieden, sondern eine Vorlage, die in die Zukunft weist. Es ist ein unbürokratisches Gesetz und ein sehr wichtiges zugleich. Wenn Sie jetzt zustimmen, erweisen Sie den Arbeitnehmern dieses Landes einen Dienst. Genau genommen wird für die Unternehmen ein verbesserter Gesundheits- und Arbeitsschutz nur positiv in der Bilanz zu Buche schlagen. Das Gesetz ist notwendig, weil auf dem Weg der Überredung kein nennenswerter Fortschritt zu erzielen war. Das Gesetz ist notwendig, weil es unsere gemeinsame Aufgabe sein muß, die Situation am Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer zu verbessern. Das Gesetz wird verabschiedet werden, weil wir den Anspruch dieser Bundesregierung, Politik für den Menschen zu betreiben, Schritt für Schritt, Gesetz für Gesetz verwirklichen.
({5})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP habe ich folgende Erklärung abzugeben. Bereits in der ersten Beratung haben wir das Vorhaben der Bundesregierung begrüßt, die arbeitsmedizinische Versorgung der Arbeitnehmer zu verbessern und die Sicherheit am Arbeitsplatz zu erhöhen. Wir erkennen durchaus an, daß in der Vergangenheit immer wieder Anstrengungen gemacht wurden, Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Unfallverhütung durch entsprechende Bestimmungen zu verbessern. Leider haben aber die Erfahrungen nach den Unfallverhütungsberichten gezeigt, daß keine entscheidenden Minderungen z. B. bei den Unfallzahlen eingetreten sind, so daß eine Verbesserung nur übermehr Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte zu erreichen ist. In der ersten Lesung haben wir auch darauf hingewiesen, daß der Erfolg dieses Gesetzes, welches ja erst die Voraussetzungen für den Ausbau der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes schafft, vor allem davon abhängt, wie praktikabel es ist.
Wir können nun nach den Ausschußberatungen und den dort vorgenommenen Änderungen feststellen, daß uns jetzt die vorliegende Fassung voll befriedigt. Nachdem das Gesetz noch praxisnäher gestaltet wurde, wird seine Anwendung auch wohl noch schneller zu einer ausreichenden Zahl von Fachkräften und Betriebsärzten führen.
({0})
Die Gewähr hierfür scheint uns vor allem durch folgende Punkte gegeben zu sein:
Erstens. Die Tatsache, daß dies ein Rahmengesetz ist, ermöglicht es, die wirklichkeitsnahe Ausgestaltung den hierfür besonders qualifizierten Berufsgenossenschaften zu überlassen.
Zweitens. Da kleineren und mittleren Betrieben z. B. die Einstellung eigener Betriebsärzte in der Regel kaum möglich sein dürfte, werden gerade sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, einen überbetrieblichen Dienst in Anspruch zu nehmen.
Dadurch wird nicht nur den realen Möglichkeiten dieser Betriebe Rechnung getragen, sondern wir werden auch den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer in diesen Bereichen auf ausreichenden Arbeitsschutz und arbeitsmedizinische Betreuung gerecht.
Drittens. Eine wesentliche Voraussetzung für die optimale Ausgestaltung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes ist die fachliche und sachliche Unabhängigkeit der Ärzte und Sicherheitskräfte. Beide sind bei der Anwendung der Fachkunde weisungsfrei. Darüber hinaus sind Betriebsärzte nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen und an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Ihrer besonderen Funktion im Betrieb wird auch die Tatsache gerecht, daß sie unmittelbar der Betriebsleitung unterstellt sind.
Meine Damen und Herren, diese Vorkehrungen im Interesse der Unabhängigkeit wären aber unvollkommen, wenn nicht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Vertretung der Arbeitnehmer, also dem Betriebsrat, im Gesetz vorgesehen wäre.
({1})
Immerhin gehören die Erhaltung der Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz zu den fundamentalen Arbeitnehmerinteressen. Die Mitwirkung des Betriebsrates im sachlichen und personellen Bereich liegt aber auch im eigenen Interesse der Fachkräfte. Bereits in der ersten Lesung haben wir in diesem Zusammenhang gesagt, es wäre schlecht, wenn der Betriebsarzt oder der Sicherheitsingenieur aus der Sicht der einen oder der anderen Gruppe der Beteiligten als abhängiges Vollzugsorgan betrachtet werden müßte. Diese Befürchtungen werden durch den jetzt vorliegenden Entwurf ausgeräumt. Die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit werden also eng mit dem Betriebsrat zusammenarbeiten. Der Betriebsrat wird über alle wichtigen Angelegenheiten unterrichtet werden und auch erfahren, welche Verbesserungsvorschläge gemacht werden.
Wenn im sachlichen Bereich ohnehin die Mitbestimmungsrechte nach § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes Anwendung finden, der Betriebsrat also das Recht hat, bei Regelungen über die Verhinderung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, so konnte darüber hinaus nicht auf eine Mitwirkung des Betriebsrates auch im personellen Bereich verzichtet werden. Wenn also der Betriebsrat ein Zustimmungsrecht bei der Bestellung und Abberufung von angestellten Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit hat, so dient auch das der unabhängigen Stellung der Beauftragten, weil sie sich auf das Vertrauen und die Legitimation aller Beteiligten im Unternehmen stützen können
({2})
und somit die Möglichkeiten, die ihnen die Aufgabenkataloge in beiden Bereichen bieten, auch voll ausschöpfen werden.
Zur Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, daß sich die Zustimmung des Betriebsrates bei den an3362
gestellten Ärzten auf den Akt der Bestellung bzw. Abberufung erstreckt. Davon zu unterscheiden ist die Einstellung, d. h. die Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arzt. Hier bleibt es bei der für leitende Angestellte geltenden Vorschrift des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes. Die nach dem Betriebsärztegesetz vorgesehene Beteiligung des Betriebsrates bestätigt damit, daß Abstriche an dem Begriff des leitenden Angestellten nach geltendem Recht nicht vorgenommen werden.
Bei der Verpflichtung und Entpflichtung freiberuflicher Fachkräfte oder überbetrieblicher Dienste hat der Betriebsrat ein Anhörungsrecht. Wir begrüßen, daß damit auch hier unser Ziel erreicht wurde, das Gesetz in allen seinen Teilen so praktikabel wie möglich zu gestalten.
Viertens und letztens. Wir wissen, daß wir noch lange nicht genügend Fachkräfte für Arbeitssicherheit, besonders aber genügend Betriebsärzte haben werden. Das Gesetz trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, daß es gerade für die Übergangszeit in realistischer Einschätzung der Gegebenheiten draußen eine stufenweise Realisierung vorsieht. Die Ausfüllung des gesetzlichen Rahmens wird nur schrittweise vollzogen werden können, differenziert nach den jeweiligen branchenspezifischen Erfordernissen und auch der Zahl der zur Verfügung stehenden Ärzte. Viele Betriebe werden nicht sofort jemanden finden, der über die erforderliche Fachkunde verfügt. Die im Gesetz vorgesehene Ausnahmeregelung, einen Betriebsrat oder eine Sicherheitsfachkraft bestellen zu können, auch wenn im Augenblick die erforderliche Qualifikation noch nicht vorhanden ist, wird daher gerade im Anfang von manchem Arbeitgeber in Anspruch genommen werden. Die Pflicht des Arbeitgebers, den angestellten Arzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit auf seine Kosten fortbilden zu lassen, wird aber wiederum dazu beitragen, die Zahl derjenigen zu vergrößern, die sich in Zukunft für diese Berufe entscheiden.
Meine Damen und Herren, trotz aller Genugtuung über dieses praxisnahe Gesetz bleibt festzustellen, daß die Verbesserung des gesamten Arbeits- und Gesundheitsschutzes der gemeinsamen Anstrengungen von Arbeitgebern, Betriebsräten, Betriebsärzten, Sicherheitsfachkräften, Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsichtsbehörden bedarf. Darüber hinaus ist es, wie auch im Entschließungsantrag des Ausschusses u. a. aufgeführt, unbedingt erforderlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit weitere Lehrstühle für Arbeitsmedizin eingerichtet werden und die entsprechenden Fortbildungseinrichtungen für Mediziner und Sicherheitsfachkräfte geschaffen werden.
Wir geben mit diesem Gesetz den Verantwortlichen ein Instrument in die Hand, das bei gutem Willen aller Beteiligten sicher zum Erfolg führen muß. Die FDP-Fraktion begrüßt, daß die sozialliberale Koalition damit wieder einen guten Schritt in ihrem allgemeinen Ziel weiterkommt, humanere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Freude und Dank begrüße ich, daß das Gesetz zur Bestellung von Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften in den Betrieben heute verabschiedet werden kann. Ich bin davon überzeugt, daß dieses Gesetz erheblich dazu beiträgt, die Arbeitssicherheit zu stärken und das gesamte Arbeitsleben humaner zu gestalten. Der Arbeitnehmer ist in seiner Umwelt vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Da gibt es Über- und Unterforderungen; da wirken die negativen Faktoren Lärm, Kälte oder gefährliche Stoffe auf ihn ein.
Um all dieser Probleme Herr zu werden, brauchen wir in erster Linie einen fortschrittlichen Gesundheitsschutz in den Betrieben. Dabei geht es nicht nur um die Vorsorge gegen Arbeitsunfälle, den Schutz gegen Berufskrankheiten und offensichtliche Gesundheitsgefahren. Darüber hinaus müssen wir alles tun, um die Arbeitskraft zu erhalten, sie zu fördern und der Arbeitsunzufriedenheit entgegenzuwirken. Den Betriebsärzten und den Sicherheitsfachkräften fällt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Sie sollen den Arbeitgeber bei allen betrieblichen Maßnahmen sachkundig beraten. Sie sollen nicht nur für die Anwendung der Vorschriften sorgen. Sie sollen auch darauf hinwirken, daß die modernen arbeitsmedizinischen und technischen Erkenntnisse mit einem höchstmöglichen Wirkungsgrad in die Betriebspraxis einkehren.
Meine Damen und Herren, das Gesetz kann nur einen Rahmen setzen. Die Einzelheiten über die Bestellung der Fachkräfte und ihre spezifischen Aufgaben in den einzelnen Betrieben müssen durch Unfallverhütungsvorschriften präzisiert werden. Ich freue mich, daß der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften bereits einen ersten Entwurf einer Muster-Unfallverhütungsvorschrift erarbeitet hat, der in Kürze mit den beteiligten Gremien beraten werden soll. Dieser Musterentwurf soll sicherstellen, daß die einzelnen Berufsgenossenschaften ohne umfangreiche theoretisch-rechtstechnische Vorarbeiten für ihren Bereich möglichst umgehend mit der konkreten Arbeit beginnen können.
In der Diskussion wird häufig die Sorge geäußert, daß es schwer sein werde, genügend qualifizierte Fachkräfte zu finden. Ich glaube, daß durch die flexible Gestaltung des Gesetzes die Voraussetzung dafür geschaffen ist, daß wir Schritt für Schritt dahin kommen, daß genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen werden.
({0})
Ich hoffe auch, daß die neue Aufgabe mehr und mehr Medizinstudenten reizen wird, sich der Arbeitsmedizin intensiv zuzuwenden.
({1})
Voraussetzung ist natürlich, daß die Bildungsmöglichkeiten vorhanden sind. Ich möchte deshalb von
dieser Stelle aus noch einmal an die Länder und Hochschulen appellieren, die Grundlagen dafür zu schaffen.
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Fortbildung der Sicherheitsfachkräfte. Ich freue mich, daß wir besonders bei den Berufsgenossenschaften viel Verständnis und Bereitschaft gefunden haben, Fortbildungskurse einzurichten und auf Dauer zu veranstalten.
Auch in unserem eigenen Bereich haben wir die Zeit genutzt. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund hat sich eingehend mit den Inhalten und Lernzielen der Fortbildungskurse für Sicherheitsfachkräfte beschäftigt. Schon in allernächster Zeit werden die von ihr entwickelten Modelle publiziert. Diese Modelle für Fortbildungslehrgänge für Sicherheitsfachkräfte werden allen Trägern angeboten, die sich -dieser Aufgabe zuwenden.
Ich möchte abschließend noch auf weitere Vorhaben hinweisen, die wir zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit eingeleitet haben. Dazu gehört eine umfassende und einheitlich geltende Arbeitsstättenverordnung. Dazu zählt die Weiterentwicklung der Vorschriften über die gesundheitliche Betreuung der Arbeitnehmer, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten müssen. Und nicht zuletzt gehört die Intensivierung der Forschung dazu. Für die Forschung auf dem Gebiet der menschengerechten Gestaltung der Arbeit stehen mir in diesem Jahr zum erstenmal Haushaltsmittel zur Verfügung. Sie werden gezielt dafür verwandt, Forschungslücken systematisch zu schließen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden wir möglichst schnell für die Praxis nutzbar machen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie herzlich bitten, dem zur Verabschiedung anstehenden Gesetz Ihre Zustimmung zu geben. Sie tragen dadurch mit dazu bei, daß das Arbeitsleben humaner wird. - Ich danke Ihnen.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung in dritter Lesung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen ist das Gesetz angenommen.
Wir müssen noch über die Ausschußanträge II, III und IV abstimmen; Sie finden sie auf Seite 11. Wer den Anträgen II, III und IV zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz ({3}) -- Drucksache 7/918 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform - federführend - Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Zur Einbringung hat der Bundesminister der Justiz, Herr Jahn, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! „Wir züchten unsere Verbrecher selber" - mit diesem zugespitzten Vorwurf forderte die „Aktion Gemeinsinn" vor etwa zwei Jahren zur öffentlichen Auseinandersetzung über den Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland heraus. Diese Auseinandersetzung war und ist notwendig. Die Reform des Strafvollzuges ist überfällig. Die herausfordernde These ist zu belegen.
Der heutige Strafvollzug leidet an so entscheidenden Mängeln, daß er die Aufgabe nicht erfüllen kann, die er als wesentlicher Bestandteil der Kriminalpolitik in unserer Zeit zu leisten hätte.
Dem Strafvollzug fehlt eine gesetzliche Grundlage. Obwohl sie seit rund hundert Jahren gefordert wird, ist sie bis heute nicht zustande gekommen. Die geltenden Verwaltungsvorschriften sind nicht nur eine unzureichende und unsichere Rechtsgrundlage. Sie können eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers über die Ziele und Aufgaben des Strafvollzuges und die Rechte und Pflichten der Gefangenen wie der Vollzugsbehörden nicht ersetzen. Zudem hat nun auch das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 14. März 1972 eindringlich gemahnt, daß der gesetzlose Zustand nicht länger hingenommen werden dürfe.
Aber dem Strafvollzug fehlt mehr. Die Mehrzahl der vorhandenen Bauten ist überaltert und dringend der Erneuerung bedürftig. Der Zustand, in dem sich zahlreiche Vollzugsanstalten und ihre Einrichtungen noch heute befinden, ist schlimmer als nur beklagenswert. Sie sind zum großen Teil im vorigen Jahrhundert, manchmal noch früher entstanden. Sie ermöglichen es, Gefangene einzuschließen. Zu mehr reicht es vielfach nicht.
Das vorhandene Personal genügt nicht. Es fehlt an Mitarbeitern und an einer ausreichenden Ausbildung. Es fehlt an genügend Geld, um mit den genannten Mängeln in absehbarer Zeit fertig zu werden. Es fehlt an Geld, um die Erkenntnisse unserer Zeit über einen wirksamen Vollzug in die Tat umzusetzen.
Es fehlt weiterhin noch an der Einsicht unserer Gesellschaft, daß Verbrechensverhütung und Verbrechensbekämpfung sich nicht darin erschöpfen dürfen, den Straffälligen aufzuspüren und zu verurteilen. Noch fehlt uns die allgemeine Verständigung darüber, daß Verbrechensbekämpfung ohne wirksamen Strafvollzug weniger als nur halbe Arbeit an einem der schwierigsten Probleme unserer wie jeder anderen Gesellschaft ist.
Ein Strafvollzug, dem so viele Mängel anhaften, kann seine Aufgabe nicht erfüllen. Seine Ergebnisse müssen unbefriedigend sein. Wer ihn erfahren hat, ist noch nicht weitgehend gegen den Rückfall in neue Straftaten gerüstet. Die Berichte über die Unzulänglichkeiten und ihre Folgen sind oft erschütternd. Solange es noch „Gefängniskarrieren" gibt - es lohnt sich, diese ungeschminkte Selbstdarstellung von Gefangenen zu lesen, die kürzlich als Buch veröffentlicht wurde -, tun wir nicht genug, nicht genug für einen wirksamen Strafvollzug und damit auch nicht genug für die Sicherheit unserer Bürger vor neuen Straftaten.
Die in groben Umrissen dargelegten Mängel rechtfertigen die Kritik. Wir haben heute darüber eine breite öffentliche Diskussion. Das ist gut. Wir brauchen diese öffentliche Auseinandersetzung. Sie hilft der Reform. Und sie bewirkt, daß nicht mehr nur gewartet wird auf den entscheidenden Schritt des Gesetzgebers. Schon jetzt gibt es eine Vielzahl von Anstrengungen, die so wenig verschwiegen werden dürfen wie die Mängel. Alle Bundesländer haben begonnen, ihren Strafvollzug nach zeitgemäßen Vorstellungen weiterzuentwickeln. In vielen Vollzugsanstalten werden mutige Schritte mit ermutigenden Ergebnissen unternommen.
Die Mehrzahl der Vollzugsbeamten hat sich von alten Vorstellungen abgewandt. Sie wollen nicht mehr Einschließer sein und bemühen sich, häufig auch ohne entsprechende Ausbildung, um ein soziales Verständnis ihres Berufes. Diese Haltung der Vollzugsbeamten ist vorbildlich. Sie kann nicht hoch genug geachtet werden.
({0})
Lastet doch auf ihren Schultern die Hauptlast. Ohne ihre Mitwirkung wird alles Mühen um die Reform vergeblich bleiben.
({1})
Die Anteilnahme der Öffentlichkeit und die Bereitschaft zur Hilfe wächst. Vor allem junge Menschen begreifen die soziale Aufgabe. Von ihnen geht an vielen Orten ein kräftiger Anstoß zur Mitarbeit der Bürger und tätiger Hilfe aus.
({2})
Allen, die daran mitwirken, der Reform Raum und Inhalt zu geben, sei hier mit Nachdruck gedankt.
Doch macht dies alles die klare Entscheidung und Wegweisung des Gesetzgebers nicht überflüssig. Im Gegenteil: Alle Ansätze, alle Anstrengungen bedürfen jetzt der Ermutigung, der Bekräftigung, der Anerkennung und der einheitlichen Grundlage. Die Zeit ist mehr als reif für einen großen, umfassenden und richtungweisenden Schritt nach vorn.
Die Vorlage der Bundesregierung für ein Strafvollzugsgesetz will diesen Schritt tun. Sie ist das Ergebnis einer sorgfältigen Vorbereitung. Der nüchterne, an den gegebenen Wirklichkeiten und Möglichkeiten gemessene Vorschlag für eine umfassende Erneuerung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland wird für dieses bedeutsame Gebiet zum erstenmal überhaupt eine gesetzliche Grundlage schaffen.
Der Entwurf beruht auf den Vorschlägen der Strafvollzugskommission, die der damalige Bundesminister der Justiz Dr. Gustav Heinemann im Jahre 1967 berufen hat. Der Kommission unter Vorsitz von Professor Dr. Sieverts danke ich namens der Bundesregierung auch heute noch einmal für ihre überzeugende Vorarbeit. Ohne sie wären wir noch nicht soweit. Mein Dank gilt auch den Bundesländern, die ja die unmittelbare Verantwortung für den Strafvollzug tragen. Ihre Erfahrung, ihr Rat und ihr Wille zur Reform sind für den Entwurf der Bundesregierung eine entscheidende Hilfe gewesen. An dieser Stelle habe ich auch einen Dank abzustatten an alle diejenigen, die in der Reformdiskussion Stellung bezogen haben. Ihre Kritik wird uns begleiten und wie ich annehme, auch in den parlamentarischen Beratungen helfen. Den kürzlich vorgelegten Entwurf deutscher und schweizerischer Strafrechtswissenschaftler, der sogenannten Alternativprofessoren, schließe ich hier ausdrücklich ein. Ihr hoher Anspruch, den sie mit ihrem Entwurf verfolgen, verdient auch dann unsere sorgsame Beachtung, wenn er sehr frei von der Last der Auseinandersetzung mit dem heute unmittelbar Erreichbaren gestaltet worden ist. Im angestrebten Ziel sind wir einig. Ihre Arbeit ist eine starke Unterstützung und zugleich Mahnung, nicht stehenzubleiben bei dem, was wir heute verwirklichen können.
Ich mache kein Hehl daraus, daß der Entwurf der Bundesregierung nicht ohne Einschränkung befriedigen kann. Auf dem weiten Weg bis zum Beschluß des Bundeskabinetts hat meine ursprüngliche Vorlage manche Abstriche hinnehmen müssen, nicht Abstriche am Ziel, aber kräftige Abstriche an der Verwirklichung aller von mir für geboten gehaltenen Entscheidungen in kurzer Zeit und in einem Zuge.
Das berührt die dem Entwurf der Bundesregierung zugrunde liegenden Vorstellungen und muß deshalb offen besprochen werden. Es gibt ein weites Auseinanderklaffen zwischen dem, was nach unseren sachlichen Einsichten im Strafvollzug notwendig ist, und den derzeit gegebenen finanziellen Möglichkeiten der Bundesländer. Die im Strafvollzug zu treffenden Maßnahmen obliegen den Bundesländern. Sie trifft auch die finanzielle Last in erster Linie. Darüber können wir uns nicht hinwegsetzen.
Die Bundesländer haben geltend gemacht, es müsse ihre Leistungsfähigkeit als Maßstab für die einzelnen Schritte der Reform berücksichtigt werden. Die Bundesregierung ist dem gefolgt. Wichtige, für das Gelingen der Reform maßgebliche Entscheidungen werden deshalb zunächst grundsätzlich getroffen, ihr Inkraftsetzen aber einem späteren Zeitpunkt vorbehalten. Das trifft sowohl die gesetzliche Festlegung bestimmter baulicher Mindestbedingungen wie die Einführung des Arbeitsentgelts und der Sozialversicherung aller Strafgefangenen. Meine ursprüngliche Kabinettvorlage sah, gestützt auf die Berechnungen der Länder, vor, daß im Verlaufe von zehn Jahren alle Bundesländer einmalige Aufwendungen in Höhe von zusammen 1,3 Milliarden DM und etwa ab 1976/77 jährlich laufende Aufwendungen von rund 280 Millionen DM erbringen sollten. In langwierigen Verhandlungen haben wir diese beiden SchlüsselBundesminister Jahn
beträge herabgesetzt auf 300 Millionen DM für einmalige, und auf etwa 40 bis 50 Millionen DM für laufende Aufwendungen, immer bezogen auf die Leistungen aller Bundesländer zusammen.
Über die Finanzierung der Maßnahmen, die der Entwurf vorsieht, die aber noch nicht in Kraft treten, muß zu einem späteren Zeitpunkt gesondert entschieden werden. Die Verwirklichung einer umfassenden Reform bleibt also auch im finanziellen Bereich eine ständige Aufgabe der gesetzgebenden Organe des Bundes, die hier eine besonders enge Zusammenarbeit mit den Ländern finden müssen. Es wird unsere Aufgabe bleiben, immer wieder klarzumachen, daß größere Investitionen für einen besseren Strafvollzug Investitionen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, Investitionen für mehr Sicherheit für unsere Bürger und Investitionen sind, die das Maß an menschlicher Solidarität und Achtung der Menschenwürde in unserer Gesellschaft bestimmen.
({3})
Das wird ihre Einordnung in die Rangfolge anderer Aufgaben mit bestimmen müssen.
Unter diesen Voraussetzungen trägt der Regierungsentwurf in wichtigen Abschnitten einen eher programmatischen Zug. Das wird nicht überall Zustimmung finden. Doch galt es für uns, die anderen Möglichkeiten dagegen abzuwägen. Diese anderen Möglichkeiten wären gewesen entweder ein Gesetzentwurf, der allein die Rechtsstellung der Gefangenen regelt, im wesentlichen den geltenden Zustand im Gesetz festschreibt und auf jeden Schritt zur Reform verzichtet, oder der Verzicht auf jede Vorlage überhaupt. Beide Wege halte ich nicht für tragbare Alternativen. Sie wären nicht zu verantworten. Es muß endlich ein Anfang gemacht werden. Bundesregierung und Bundestag können nicht länger warten. Sie müssen in dieser entscheidenden kriminalpolitischen, aber auch bedeutenden gesellschaftspolitischen Frage Farbe bekennen und ihre Vorstellungen und Ziele offenbaren. Wir dürfen weder diejenigen im Stich lassen, die von uns Bestätigung und Unterstützung erwarten, noch denjenigen zu Ausreden verhelfen, die die Reform nicht wollen. Lieber sollten wir den langen und mühsamen Weg in kleinen Schritten gehen und wissen, daß wir noch viel beharrliche und zähe Arbeit zu leisten haben, als den auf einen klaren Gesetzesauftrag gegründeten Anfang der Reform weiter vor uns herschieben.
Worum geht es? Was ist Anspruch und Ziel der Reform, für die mit der Vorlage der Bundesregierung ein maßgebender Anstoß gegeben werden soll?
In diesem Augenblick sitzen in der Bundesrepublik Deutschland rund 50 000 Menschen hinter Gittern. Allein im Jahre 1971 wurden über 94 000 Bürger unseres Landes zu Freiheitsstrafen verurteilt. Machen wir uns klar, daß damit zugleich in jedem Falle die Familienangehörigen der Verurteilten mittelbar betroffen sind, dann wird deutlich, daß eine Freiheitsstrafe und ihre Folgen Hunderttausende von Bürgern berühren. Schon die Zahl sollte es verbieten, sich auf die schlichte Einstellung zu beschränken, der Straftäter habe eben für seine Tat zu büßen und damit sei der Gerechtigkeit Genüge getan.
Es kommt aber hinzu, daß die kriminologische Forschung uns immer eindringlicher erkennen läßt, wie stark Tat und Täter auch von Mängeln unserer gesellschaftlichen Ordnung mitgeprägt werden können, für die die Täter selbst am wenigsten verantwortlich gemacht werden können und dürfen um der Gerechtigkeit, um des Erfolges der Kriminalpolitik, aber - und nicht zuletzt - auch um der Menschlichkeit willen. Geistige und physische Anlage und Umwelt, die Bedingungen des Lebensweges des einzelnen, seine Möglichkeiten in Erziehung und Ausbildung, die Gefahren der modernen Gesellschaft mit ihren mehr auf Konsum denn auf Selbstverwirklichung angelegten Einflüssen müssen hier als Stichworte genügen. Wenn einer oder mehrere dieser Umstände einen Menschen gegen die Regeln für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft verstoßen lassen, dann wäre unsere Ordnung armselig, wenn ihre Antwort allein darin bestünde, ihn einzusperren. Das haben wir lange genug so getan. Hatten wir damit Erfolg? Die Antwort muß, wenn wir ehrlich sind, ein klares Nein sein. Mit dem bloßen Einsperren haben wir weder die Ursachen der Kriminalität beseitigt oder auch nur eingedämmt, noch haben wir die Kriminalität selbst gemindert, noch haben wir unsere Gesellschaft sicherer gemacht, noch haben wir den Menschen die Hilfe gewährt, die sich mehr denn andere als der Hilfe bedürftig erwiesen haben.
({4})
Deshalb ist es dringend geboten, Antworten auf das Verbrechen zu finden, die unserer Zeit gemäß und ihrer würdig sind.
Neben der Reform des Strafrechts, neben der Reform des Strafverfahrens, neben einer verstärkten Arbeit an der noch ganz unzulänglich behandelten Aufgabe der vorbeugenden Verbrechensverhütung und Verbrechensbekämpfung ist die grundlegende Erneuerung des Strafvollzuges einer der entscheidenden Schritte. Welchen Beitrag kann der Strafvollzug als Teil moderner Kriminalpolitik zur besseren Bekämpfung des Verbrechens leisten? Worin bestehen seine Möglichkeiten und Aufgaben?
Wir kommen der Antwort nicht näher, wenn wir uns in der Frage nach dem Zweck der Strafe verlieren. Diese Frage hat die Menschen zu allen Zeiten bewegt. Sie ist immer wieder verschieden, je nach den geistigen und weltanschaulichen Einsichten ihrer Zeit beantwortet worden. Eine zeitlos gültige Antwort hat sich bis heute nicht gefunden. Schon der 5. und der 6. Deutsche Bundestag haben deshalb nach sorgfältiger Prüfung davon abgesehen, den Zweck der Strafe in den Gesetzen zur Strafrechtsreform zum Gegenstand einer Aussage des Gesetzes zu machen. Dieser Entscheidung folgt auch der Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes. Das ist auch dann richtig, wenn in einer Frage von vielen sicher weitgehend Übereinstimmung besteht, daß nämlich zumindest der Strafvollzug nicht vom Gedanken der Rache und Vergeltung geprägt sein darf.
Bescheiden wir uns! Fragen wir nüchtern: Was können und wollen wir mit dem Strafvollzug heute erreichen?
Strafvollzug macht dem Verurteilten deutlich, daß die Gesellschaft seine Tat als Verstoß gegen die Regeln ihres friedlichen Zusammenlebens zurückweist. Das Motiv der Rache ist dazu nicht erforderlich.
Strafvollzug muß die Gesellschaft sichern vor dem gefährlichen Täter, soweit und solange von ihm eine Gefahr ausgeht.
Strafvollzug muß demjenigen Straftäter, der dazu bereit ist, helfen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, ohne erneut straffällig zu werden.
Diese Bereitschaft soll der Strafvollzug wecken, entfalten und ausbilden. Die Anstrengungen, die dazu erforderlich sind, von beiden Seiten, rechtfertigen sich nicht nur als Hilfe für den Gefangenen, sondern mindestens ebenso als Hilfe für die Gesellschaft. Die Zahl der rückfälligen Straftäter ist erschreckend hoch. Sie wird auf 70-80 % geschätzt. Jeder Straftäter, dessen Fähigkeit, nach dem Strafvollzug in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, gestärkt oder gar herbeigeführt worden ist, mindert die Gefährdung der Gesellschaft vor neuen Straftaten.
Um dem Straftäter klarzumachen, daß sich die Gesellschaft gegen sein Verhalten durch Strafe und Strafvollzug wehrt, bedarf es keiner zusätzlichen gesetzlichen Regelungen. Der Ausspruch der Strafe und ihr Vollzug machen das hinreichend deutlich. Auch im erneuerten Strafvollzug bleibt die Vielfalt der persönlichen Beschränkungen durch Entzug der Freiheit, Minderung der wirtschaftlichen Leistungs- und Entfaltungsfähigkeit, Pflicht zur Wiedergutmachung des entstandenen Schadens - um einige schwerwiegende Folgen zu nennen - eine genügende Antwort. Und selbst derjenige, der meint, auf den Gedanken der Vergeltung nicht verzichten zu können, muß hier eine ausreichende Maßnahme sehen. Den Entzug der Freiheit allein gering achten kann doch nur, wer ihren Wert für sich selbst nicht genügend hoch einschätzt.
Der kleinere Teil aller Straftäter ist wirklich gefährlich. Nur für diesen kleineren Teil muß deshalb im Strafvollzug das Mittel ausreichend sicherer Verwahrung vorgesehen werden. Auch im neuen Strafvollzug wird es deshalb für diesen Bereich besondere Regelungen geben. Der Regierungsentwurf sieht deshalb auch Anstalten vor, die eine sichere Verwahrung gefährlicher Rechtsbrecher und so das Erforderliche für die Sicherheit unserer Bürger gewährleisten. Doch muß berücksichtigt werden, daß der Umfang und die Dauer der notwendigen Sicherung nicht ein für allemal richtig festgelegt werden kann. Wir setzen uns bei solchen Entscheidungen immer mit Menschen auseinander, die sich wandeln können und wandeln sollen. Es muß deshalb immer wieder geprüft werden, welche Maßnahmen der jeweiligen Entwicklung und Lage angemessen sind.
Eine Frage, die sich an dieser Stelle ergibt, greift der Entwurf nicht auf. Es handelt sich um die Behandlung der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten. Bislang hat die Bundesregierung sich an die Entscheidung des Strafrechtssonderausschusses in der vorvergangenen Wahlperiode gehalten, dazu keine Regelung vorzuschlagen. Jetzt halte ich den Zeitpunkt für gekommen, erneut die Frage zu erörtern und, wenn möglich, zu entscheiden, ob es nach den Erkenntnissen der Kriminalpolitik in unserer Zeit richtig ist, in jedem Falle lebenslängliche Freiheitsstrafen auch lebenslang vollziehen zu lassen. Langer, gar lebenslanger Freiheitsentzug ist eine der schwierigsten Fragen des Vollzuges überhaupt. Wir wissen heute, daß nach einer gewissen längeren Zeitdauer die Persönlichkeit des Gefangenen abgebaut wird. Sehr häufig treten schwere physische und psychische Schäden auf, die nicht mehr geheilt werden können. Die betroffenen Menschen werden zerstört. Die Wirkungen sind schlimmer als die Todesstrafe, die das Grundgesetz abgeschafft hat.
Das Gnadenrecht der Länder mag hier im Einzelfall das Äußerste verhindern. Aber es hat keine gesetzliche Grundlage, unterliegt traditionell dem freien Ermessen, ist nicht nachprüfbar und wird uneinheitlich gehandhabt. Ich bin der Auffassung, daß auch hier eine eindeutige gesetzliche Regelung vorzuziehen ist, die in jedem Falle eine sorgfältig vorbereitete und abgewogene Entscheidung nach einheitlichen Maßstäben zur Pflicht macht.
Diese Maßstäbe sollten von folgenden Erwägungen ausgehen.
Die lebenslange Freiheitsstrafe selbst muß beibehalten werden. Sie ist der äußerste Ausdruck des Abwehrwillens der Gemeinschaft gegen begangenes schweres Unrecht.
Der lebenslange Vollzug bleibt immer dann geboten, wenn auf andere Weise die notwendige Sicherheit vor dem Straftäter nicht gewährleistet werden kann.
In jedem Falle ist aber nach einer Vollzugsdauer, die etwa bei 12 bis 15 Jahren liegen sollte, von Gesetz wegen in einem geregelten Verfahren zu prüfen, ob der weitere Vollzug der Strafe geboten ist oder unter bestimmten Voraussetzungen auf Zeit oder auf Dauer ausgesetzt werden kann.
Im sogenannten Lebach-Urteil vom 5. Juni 1973 hat das Bundesverfassungsgericht dem Interesse an der Eingliederung eines verurteilten Straftäters in die Gesellschaft ausdrücklich Verfassungsrang zuerkannt. Für den Straftäter - so meint das Gericht - ergebe sich dies aus seinem Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde, für die Gemeinschaft aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes.
Wir dürfen die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten von diesen Grundsätzen nicht ausnehmen. Sollte sich in der weiteren Erörterung dieser Frage die Bereitschaft zeigen, eine gesetzliche Regelung jetzt anzustreben, dann werde ich alsbald eine Stellungnahme der Bundesregierung veranlassen. Vorschläge kann das Bundesministerium der Justiz kurzfristig unterbreiten.
Die Bundesregierung ist in der Beurteilung des hohen Ranges, den die Aufgabe der Sozialisation auch nach den Grundentscheidungen des GrundBundesminister Jahn
gesetzes hat, mit dem Bundesverfassungsgericht einig. Die Leitlinie des Entwurfes ist deshalb die Sozialisation des Straffälligen. Diese Leitlinie ist auch dann richtig und deshalb notwendig, wenn wir ganz nüchtern davon ausgehen müssen, daß ihr Ziel nicht in allen Fällen erreicht werden wird. Das mag daran liegen, daß beim Straftäter Voraussetzungen fehlen, oder auch daran, daß wir die in jedem Einzelfall richtigen Mittel noch nicht kennen. Sie herauszufinden, wird eine ständige Aufgabe sein. Auf jeden Fall anwendbare Allheilmittel gibt es ohnehin nicht. Deshalb sieht der Entwurf auch davon ab, bestimmte Behandlungsmethoden festzulegen. Das Gesetz muß den Weg zu neuen Erkenntnissen und immer wieder neuen und besseren Methoden offenhalten und darf nicht den Stand unseres heutigen Wissens festschreiben wollen.
Der Rahmen, den das Gesetz für die Verwirklichung seiner Leitlinie absteckt, wird durch folgende Vorschläge bestimmt:
Die Entscheidung darüber, in welcher Weise das Ziel der Sozialisation erreicht werden soll, kann nur im Einzelfall ergehen. Sie muß für jeden Gefangenen nach genauer Prüfung individuell festgelegt werden. Der Gefangene soll daran mitwirken.
Auch der Gefangene ist Träger von Grundrechten. Diese dürfen nur so weit eingeschränkt werden, wie es notwendig ist, um die gesetzlich festgelegten Aufgaben des Strafvollzuges zu erreichen.
Damit wird zugleich zwei Geboten entsprochen. Einmal werden - wie es das Bundesverfassungsgericht mit Nachdruck verlangt - die rechtlich einwandfreien Grundlagen für die durch den Vollzug gebotenen Einschränkungen von Grundrechten geschaffen. Zum anderen gilt es zu begreifen, daß Sozialisation nicht erreicht werden kann durch weitgehende Isolation. Es war und ist falsch, den Gefangenen in eine Welt zu versetzen, in der er jede Beziehung zur Wirklichkeit des täglichen Lebens verlieren muß. Die Zerstörung der Verbindungen zur Umwelt, die über das vom Vollzug bestimmte, unvermeidliche Maß hinausreicht, ist Unsinn. Wie soll sich denn der ehemalige Gefangene in der Gesellschaft behaupten und bewähren, wenn er sich in ihr gar nicht mehr auskennt? Deshalb sind neue Maßstäbe zu setzen für die Form der Unterbringung, die Verpflegung, die Möglichkeiten, Besuche zu empfangen, das Recht auf Schriftwechsel, die Gesundheitsfürsorge, die Gestaltung der Freizeit, den Zugang zu Informationsmöglichkeiten in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, um nur einige wichtige Punkte zu nennen.
Sozialisation kann nur erreicht werden, wenn sie sich als Hilfe begreift. im Vollzug sind deshalb die Hilfen zu entwickeln, deren der Straftäter bedarf. Darunter sind alle Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, Mängel und Fehler auszugleichen, die den Täter zur Straftat geführt haben können. Schulische und berufliche Ausbildungsmängel gehören dazu ebenso wie soziale oder psychische Schwächen, die therapeutischer Hilfe zugänglich sind.
Zur straffreien Selbstbehauptung gehört die Fähigkeit, eigene Verantwortung zu übernehmen.
Hierher gehört die Entscheidung des Entwurfes für den offenen Strafvollzug, in dem die ständige Einschließung nach Möglichkeit und in geeigneten Formen aufgelockert wird, ebenso wie die Mitverantwortung des Gefangenen für die Gestaltung der Bedingungen des Vollzuges in der Anstalt.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Einführung des Arbeitsentgelts und die Einbeziehung in die Sozialversicherung. Auch wenn beide Forderungen noch nicht verwirklich werden können, so müssen sie doch als auf die Dauer unverzichtbare Bedingungen eines zeitgerechten Strafvollzuges festgelegt werden.
({5})
Der Gefangene soll arbeiten. Häufig ist geregelte Arbeit eine notwendige Einübung auf die Bewährung in der Freiheit. Der Wert der Arbeit für ihn selbst wird dem Gefangenen nur deutlich, wenn er dafür angemessen entlohnt wird.
({6})
Die Entlohnung ist zudem eine entscheidende Voraussetzung für die Fähigkeit zur Selbstbehauptung in der Freiheit.
({7})
Wer von seinem Arbeitslohn als Gefangener selbst zu den Kosten, die durch die Haft entstehen, beiträgt, Unterhaltsleistungen für seine Familie erbringt, vielleicht sogar Wiedergutmachung für den von ihm angerichteten Schaden leistet, bewegt sich unter Voraussetzungen, die denen gleichen, unter denen er sich auch in Freiheit behaupten muß. Zugleich mindert er die wirtschaftliche Last, der er sonst oft nach dem Vollzug gegenübertritt und die sich regelmäßig als Hindernis erweist, ja häufig als Flucht vor den Schwierigkeiten geradewegs in den Rückfall führt.
Schließlich soll nach dem Entwurf durch die Beteiligung von Anstaltsbeiräten die Verbindung zur Gesellschaft gestärkt und gefördert werden. Darin liegt ein doppelter Zweck. Die Begegnung des Gefangenen mit der Gesellschaft ist für ihn ein Element der Verbindung mit der Wirklichkeit. Die Begegnung der Gesellschaft mit dem Gefangenen ist eine der Voraussetzungen, ohne die alle Reformanstrengungen vergeblich bleiben müssen. Alle im Vollzug erworbenen Fähigkeiten, aller Wille des ehemaligen Gefangenen zu straffreier Lebensführung scheitern, wenn die Gesellschaft ihm ihre Hilfe versagt. Beiräte in den Vollzugsanstalten können diesen neuen Lebensabschnitt besser vorbereiten helfen. Sie können aber vor allem das Verständnis und die Verantwortung der Gesellschaft für das Gelingen des Vollzuges ausbilden und stärken.
Ohne Hilfe der Gesellschaft ist für den ehemaligen Gefangenen der schwierige Lebensabschnitt nicht zu bewältigen, der nach der Entlassung aus dem Vollzug beginnt. Der Entwurf weist darauf hin: Der Vollzug soll bewußt auf diesen Zeitpunkt Bedacht nehmen. Doch wird es entscheidend darauf ankommen, daß den zahlreichen Einrichtungen der Bewährungshilfe, öffentlichen wie privaten, das Maß an Unter3368
Stützung und Mitarbeit zuteil wird, das ihre aufopferungsvolle und unschätzbare dankenswerte Arbeit verdient.
({8})
Der Entwurf der Bundesregierung für ein Strafvollzugsgesetz ist ein Eckstein der neuen kriminalpolitischen Bemühungen, über die in diesem Hause seit einigen Jahren Einverständnis besteht. Verbrechensbekämpfung muß in unserer Zeit neue Wege gehen. Sie muß wirkungsvoller als früher, aber sie muß auch menschenwürdiger als bisher sein. Beides schließt sich nicht aus, sondern bedingt einander. Wir erfüllen einen Auftrag des Grundgesetzes, wenn wir durch wirksamere Bekämpfung der Kriminalität die Sicherheit unserer Bürger verbessern und wenn wir uns zugleich als fähig erweisen, demjenigen in unserer Gesellschaft Hilfe zu gewähren, der dieser Hilfe bedarf. Gäbe es mehr rechtzeitige Hilfe, brauchten wir weniger Strafvollzug.
({9})
Lassen Sie uns dafür sorgen, daß wenigstens ein erneuerter Strafvollzug zu mehr Hilfe und menschlicher Solidarität als Ausdruck unseres Bemühens um mehr Menschenwürde beiträgt.
({10})
Der Gesetzentwurf ist eingebracht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle waren uns in diesem Hause und mit der gesamten deutschen Strafrechtspflege immer darin einig, daß die Große Strafrechtsreform, die nun stückweise Wirklichkeit wird, durch eine Reform des Rechts und der Praxis des Strafvollzugs ergänzt und vollendet werden muß. Strafrechts- und Strafvollzugsreform bedingen einander. Ohne eine Strafvollzugsreform würde die Strafrechtsreform ihr Ziel verfehlen. Schon der Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962, der E 1962, entstanden unter der Regierung Adenauer, sagte in seiner Begründung:
Erst durch ein Bundesgesetz über den Vollzug der Strafen und der Maßnahmen der Besserung und Sicherung, das die Rechtseinheit auch in diesem Bereich auf gesetzliche Grundlagen stellt und den Forderungen der Gegenwart Rechnung trägt, kann das Werk der Strafrechtsreform zum Abschluß gebracht werden.
So hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU es begrüßt, daß in der Regierungszeit von Bundeskanzler Kiesinger der damalige Bundesjustizminister Heinemann eine Kommission zur Erarbeitung eines Strafvollzugsgesetzes berufen hat, in der aus unserer Fraktion der Kollege Schlee mitgearbeitet hat.
Wir begrüßen es heute, daß uns die Bundesregierung auf der Grundlage des Entwurfs der Strafvollzugskommission den Regierungsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes zur Beratung vorlegt. Wir haben Vorbehalte gegen einzelne Bestimmungen, wir
stimmen mit einigen Grundgedanken dieses Entwurfs nicht überein, aber wir stimmen dem Grundanliegen dieses Regierungsentwurfs zu: den Strafvollzug in Deutschland zu vereinheitlichen und zu reformieren.
Die Reform des Strafvollzugs ist nicht nur ein Anliegen der Regierung, sondern sie ist in gleicher Weise auch ein Anliegen der Opposition, und sie sollte darüber hinaus ein Anliegen aller Menschen in diesem Lande sein, die ein brennendes Interesse daran haben, daß vom Strafvollzug in Zukunft wirksamere Beiträge für die Bekämpfung der Kriminalität geleistet werden, als es bisher der Fall war.
({0})
Die Bekämpfung der steigenden Kriminalität ist das primäre Interesse von uns allen, und stärker als bisher müssen wir den Strafvollzug in den Dienst der Bekämpfung der Kriminalität stellen. Unser Strafvollzug muß so reformiert werden, daß der Rechtsbrecher nicht wieder straffällig wird. Dazu erwarten die Bürger unseres Landes den gesetzgeberischen Beitrag des Deutschen Bundestages.
Alle Kenner des Strafvollzugs in Deutschland sind sich einig, daß der Strafvollzug in unserem Lande - bis auf wenige rühmliche Ausnahmen - unzulänglich ist. Unentwegt wird in die Grundrechte der Gefangenen eingegriffen, ohne daß ein formelles Gesetz besteht. Noch immer wird vielfach als besonders zu gewährende „Vergünstigung" betrachtet, was für die Resozialisierung des Gefangenen dringend erforderlich ist. An Stelle eines ortsüblichen Arbeitsentgelts müssen sich die Gefangenen mit einer Groschen-Belohnung zufrieden geben; sozialversichert sind sie nicht. Die Möglichkeiten der Arbeit, der Berufsbildung und der Weiterbildung reichen in den meisten Strafanstalten nicht aus. Die Gefangenen leben in Strafanstalten, die oft genug Denkmalsschutz verdienen, in Zellen, die allzuhäufig der menschlichen Würde Hohn sprechen.
Die fürsorgerische Betreuung der Gefangenen und ihrer Familien ist in den meisten Strafanstalten mangelhaft. Die Vorbereitung auf den Zeitpunkt der Entlassung ist oft unzulänglich. An unseren Strafanstalten sind zu wenige Bedienstete tätig, und zu viele Bedienstete haben eine unzureichende Ausbildung und Besoldung. Noch immer erzieht die Mehrzahl unserer Strafanstalten mehr zur Lebensuntüchtigkeit, als daß sie auf das Leben in der Freiheit vorbereitet.
({1})
Ich bin davon überzeugt, daß die hohen Rückfallquoten, die wir unter den Strafgefangenen haben, auch sehr viel mit der mangelnden Qualität des Strafvollzugs in unserem Lande zu tun haben.
In Deutschland hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht an Reformern und nicht an Reformideen im Strafvollzug gefehlt. Die Reformideen sind aber zum großen Teil nicht in unserem Lande, sondern im Ausland verwirklicht und erprobt worden. Die Reform des Strafvollzuges hat im eigentlichen Sinne in Deutschland bisher nicht stattgefunden. Wir haben dem Strafvollzug in der Vergangenheit nicht
die Mitarbeiter gegeben, die er nötig gehabt hätte, und wir haben ihm nicht die Gelder zur Verfügung gestellt, die er gebraucht hätte. In diesem Lande, in dem sonst alles gesetzlich geregelt ist, haben wir seit beinahe hundert Jahren dem Strafvollzug sein Gesetz versagt.
Wenn sich nun der Deutsche Bundestag an die Arbeit an der Strafvollzugsreform heranwagt, kann es sich nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion nicht darum handeln, die „weiche Welle" im Strafvollzug einzuführen, die Gefangenen zu idealisieren, unsere Strafanstalten in Sanatorien zu verwandeln, Es geht einzig und allein darum, den Strafvollzug sinnvoller zu gestalten und ihn - ich sagte es schon - stärker als bisher in den Dienst der Bekämpfung der Kriminalität zu stellen. Niemals sonst ist ein Mensch so in die Gewalt des Staates gegeben wie in der Strafanstalt. Damit hat der Staat Chancen der Einwirkung auf den Gefangenen, die mehr als bisher genutzt werden müssen. Es muß das Ziel des Strafvollzuges sein, daß der Gefangene nicht wieder straffällig wird.
Mit dieser Zielsetzung treten wir in die Beratungen des Strafvollzugsgesetzes ein. Unter dieser Zielsetzung werden wir die Vorschläge der Bundesregierung im einzelnen prüfen. Wir werden in unsere Überlegungen sehr stark die Stellungnahme des Bundesrates zu vielen Sachpunkten einbeziehen, denn die Länder sind es, die nachher mit diesem Strafvollzugsgesetz zu arbeiten haben werden. Wir werden sehen, was sich aus dem streckenweise etwas utopisch anmutenden Alternativentwurf deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer in das Strafvollzugsgesetz übernehmen läßt. Wir möchten als CDU/CSU-Fraktion, daß am Ende der Beratungen des Deutschen Bundestages ein modernes und auch praktikables Strafvollzugsgesetz steht, das unseren Kampf gegen die Kriminalität besser als bisher unterstützt.
In diesem Zusammenhang macht uns die grundsätzliche Stellungnahme des Bundesrates zu dem Regierungsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes vom 23. Februar 1973 besorgt. Der Bundesrat hat erklärt:
Der Bundesrat muß sich für den zweiten Durchgang vorbehalten, dem Gesetz nicht zuzustimmen, wenn sich eine ausreichende Verbesserung der Finanzsituation der Länder für die Jahre ab 1974 nicht abzeichnet.
Es war kein geringerer als der nordrhein-westfälische SPD-Finanzminister Wertz, der als Berichterstatter des Finanzausschusses im Plenum des Bundesrates diesen Gesichtspunkt nachdrücklich unterstützt hat. Dabei ist der Regierungsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes zum Nachteil von wichtigen Kernpunkten einer jeden Strafvollzugsreform - wie der Einführung eines ortsüblichen Arbeitsentgelts und der Sozialversicherung für die Strafgefangenen - noch so kostengünstig wie möglich gehalten.
Wenn man an den bald hundertjährigen Kampf in diesem Lande um ein einheitliches Strafvollzugsgesetz zurückdenkt, wenn man weiß, daß alle Bemühungen der Reichsregierung und des Reichstages für ein einheitliches Strafvollzugsgesetz immer wieder an den finanziellen Bedenken des Bundesrates des kaiserlichen wie des republikanischen Deutschlands gescheitert sind, muß man sich darüber im klaren sein, daß diese Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes der Regierung wiederum das Ende unserer Bemühungen um eine Vereinheitlichung und Reform des Strafvollzuges bedeuten kann. Die Bundesregierung sollte diese Stellungnahme des Bundesrates aus diesem Grunde sehr ernst nehmen und sich prüfen, ob sie den Bundesländern nicht wenigstens bei der Tragung der einmaligen Kosten, die bei der Durchführung und Ausführung des Strafvollzugsgesetzes entstehen, entgegenkommen kann. Seit hundert Jahren scheitert die Vereinheitlichung und Reform des Strafvollzuges in Deutschland an dem Kostenstreit zwischen Reich und Ländern. Wir sind heute eines der wohlhabendsten Länder der Erde. Tragen wir diesen Kostenstreit jetzt in der Zeit der Bundesrepublik Deutschland nicht weiter auf dem Rücken des Strafvollzuges aus. Der Strafvollzug braucht Geld, wenn er mehr sein soll als eine bloße Gefangenenverwahrung, wenn er endlich sinnvoll werden soll.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Strafvollzug steht im Spannungsfeld zwischen Verurteilung und Entlassung, mit dem Rücken zur Strafe und mit dem Gesicht zur Entlassung. Das bedeutet aber auch, daß die Strafe im Freiheitsentzug und nicht im Vollzug besteht, nicht in der Art und Weise des Vollzugs. Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen in Freiheit anzupassen. Wenn der Verurteilte sich wieder voll in die Gesellschaft eingliedern soll und gefestigter als vorher ein Leben ohne Straftaten leben soll, dann ist es notwendig, daß der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht zusätzliche Übel bringt. Unter dem Gesichtspunkt der Vergeltung und der Rache brauchte man sich über solche Grundsätze keine Gedanken zu machen. Dann müßte natürlich Vergeltung nicht nur in der Strafe, sondern auch im Strafvollzug praktiziert werden. Dann wäre es das Einfachste, dafür zu sorgen, daß der Gefangene fest abgeschlossen bleibt. All das ist längst als unmenschlich und überdies vollkommen sinnlos erkannt. Aber aus einer solchen Erkenntnis haben wir die notwendigen Schlußfolgerungen immer noch nicht gezogen.
Die ersten und wesentlichen Schritte in gesetzlicher Form tut der jetzt vorliegende Entwurt eines Strafvollzuggesetzes, für dessen sorgfältige Vorbereitung ich der Bundesregierung und dem Bundesminister der Justiz namens der SPD-Fraktion ausdrücklich danken möchte.
({0})
In diesen Dank eingeschlossen ist die Vollzugskommission, die die Vorarbeiten für den Entwurf geleistet hat.
({1})
Brandt ({2})
Der Strafvollzug, meine Damen und Herren, hat nach vorn zu blicken, nicht nach hinten. Zielpunkt ist die Wiedereingliederung. Dem hat sich die Gestaltung des Vollzuges unterzuordnen. Das bedeutet aber auch, daß der Grad der Isolierung je nach Persönlichkeit abgestuft werden muß.
Ausgangspunkt muß der offene Vollzug sein, nicht der geschlossene. Das ist eine Umkehrung des bisherigen Prinzips und eine wesentliche Aussage des Entwurfs. Aber das ist auch eine Frage des Vertrauens. Niemand kann davor sicher sein, daß Vertrauen mißbraucht wird. Niemand kann aber auch erwarten, daß ihm Vertrauen entgegengebracht wird, wenn er nicht bereit ist, selber Vertrauen zu geben.
Wenn ich das richtig sehe, ist der Strafvollzug in der Wandlung vom juristischen Prinzip weg hin zum pädagogischen Prinzip. Das bedeutet auch, den Mut zu einem kalkulierten Risiko zu haben. Dies - um Mißverständnissen vorzubeugen - beeinträchtigt nicht den berechtigten Anspruch der Allgemeinheit, in Sicherheit leben zu können. Aber es betrifft das Innenverhältnis ganz entscheidend. Das hat die Konsequenz, daß das Leben im Strafvollzug stärker individualisiert werden muß. Anders ist Hilfe, echte Hilfe nicht möglich. Individualisierung aber beinhaltet die Reorganisation des Vollzugs im Anstaltsbau, in der Anstaltsorganisation, in der Anstaltsbesetzung mit Personal.
Freilich kostet das Geld. Aber da müssen wir, auch die Länder, wissen, was wir insgesamt überhaupt wollen: Wollen wir die hohe Rückfallquote weiter in Kauf nehmen und uns gelegentlich darüber beklagen, wie schlimm das doch alles ist, oder wollen wir wirklich etwas dagegen tun? Es ist schon, wenn Sie so wollen, ein pragmatischer Gesichtspunkt, die Reform des Vollzugs im Hinblick auf die Rückfallquote zu verlangen. Dieser Gesichtspunkt ist wichtig genug.
Es gibt aber auch andere, grundsätzliche Überlegungen. Der mit Freiheitsentzug bestrafte Mensch bleibt im Vollzug Träger aller Rechte abzüglich derer, die unvermeidlich eingeschränkt werden müssen. Der Entwurf sagt: Er unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen, aber keinen weiteren. Das muß klar sein. Eine solche klare Aussage darf nicht durch die Einführung einer Generalklausel wieder eingenebelt werden, die ganz allgemein aussagt, daß auch weitere Beschränkungen auferlegt werden können, wenn sie dem Behandlungsziel dienen, für die Aufrechterhaltung von Sicherheit oder Ordnung notwendig sind oder mit dem Freiheitsentzug unvermeidlich verbunden sind. Der Bundesrat schlägt eine solche Generalklausel vor. Die Bundesregierung hat dem - wie ich meine, zu Recht - schon widersprochen.
Wenn wir in dem Entwurf Bestimmungen über weitergehende Besuchs- und Urlaubsregelungen, Schriftverkehr und Paketempfang finden, so doch nicht allein deshalb, weil sie zweckmäßig und Außenkontakte unter dem Gesichtspunkt der Wiedereingliederung notwendig sind, sondern auch deshalb, weil wir kein Recht haben, den Freiheitsentzug mit zusätzlichen Einschränkungen der Freiheit l im Vollzug zu belasten, soweit dies nicht notwendig ist.
Dies gilt auch für die Freizeitgestaltung. Welchen Grund soll es dafür geben, daß Gefangene ihre Freizeit nicht gemeinsam miteinander verbringen sollen, Sport treiben, Radio hören, gemeinschaftlich Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher lesen, es sei denn, daß wir wirklich der Meinung wären, die Strafe bestünde nicht allein im Freiheitsentzug, sondern auch in der Gestaltung des Vollzugs? Wir bitten die breite Öffentlichkeit, mit uns darüber nachzudenken. Herr Minister Jahn hat schon darauf hingewiesen - ich kann ihm nur zustimmen -. Wer glaubt, der Freiheitsentzug genüge als Strafe nicht, sondern der Vollzug müsse noch eine Palette von zusätzlichen Übeln anbieten, schätzt seine eigene Freiheit in der Tat sehr gering ein.
Das Leben im Vollzug ist also dem Leben draußen so weit wie eben möglich anzupassen. Das gilt auch für Arbeit und Verdienst, die, wie ich meine, das Kernstück des ganzen Reformvorhabens sind. Welchen vernünftigen Grund soll es eigentlich geben, dem Gefangenen Arbeit und Arbeitsbedingungen, wie sie draußen üblich sind, vorzuenthalten? Welchen Grund soll es geben, seine Arbeit nicht gerecht zu entlohnen? Die Ersetzung der bisherigen Arbeitsbelohnung durch eine gerechte Arbeitsentlohnung einschließlich der Einbeziehung in das Sozialversicherungssystem bedeutet die Ablösung einer der größten Ungerechtigkeiten unseres Vollzugssystems. Meine Damen und Herren, ohne die Arbeitsregelungen ist dieses Gesetz eine Karosserie ohne Motor. Ich denke, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit diese Regelungen so bald wie möglich, so frühzeitig wie möglich in Kraft treten können.
Die Würde des Menschen - dies ist ein Verfassungsgrundsatz - ist unantastbar. Das gilt auch für den Strafvollzug. Die Beachtung dieses Grundsatzes zieht mit Notwendigkeit eine Reihe von Einzelregelungen äußerer, organisatorischer Art nach sich, z. B. Regelungen betreffend die Unterbringung. Die Achtung vor der Würde des Menschen gebietet aber auch, daß der Behandlungsvollzug, von dem wir in diesem Gesetz ausgehen, nicht zum Gehirnwäschevollzug wird. Der Gefangene kann und soll neue Einsichten gewinnen, die eine Änderung bewirken. Er soll ja künftig, wie der Entwurf es vorsieht, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten führen. Dies bedeutet aber auch, daß der Gedanke der Sühne und der Einsicht sein freies Feld behalten muß. Sühne kann man auf sich nehmen. Sie kann aber nicht aufgeladen werden. Äußerer Zwang und psychologischer Druck, egal ob unter dem Gedanken der Behandlung oder der Beteiligungspflicht des Gefangenen, können nicht nützlich sein. Einsicht gehört dazu. Unsere Sprache ist da sehr genau. Wir können beispielsweise sagen: ich sühne, du sühnst, aber wir können in unserer Sprache nicht sagen: ich werde gesühnt, du wirst gesühnt.
Solche Überlegungen haben die praktische Konsequenz, daß in den Vollzugsanstalten eine AtmoBrandt ({3})
sphäre geschaffen wird, die die Bereitschaft zur Wandlung durch Einsicht zu fördern imstande ist, nicht eine Atmosphäre, die eine weitere Verhärtung provoziert. Daß dabei die Veränderung der äußeren Bedingungen eine große Rolle spielt, ist schon gesagt worden; dies gilt auch für Anstaltsgröße, Abteilungsgröße, Gruppengröße. Aber es ist richtig - darauf ist schon hingewiesen worden -: all das nutzt uns nichts, das ganze Gesetz ist nichts wert, wenn nicht Menschen da sind, die sich in seinen Geist stellen und es anwenden, eine Frage von Einstellung und Ausbildung derer, die im Vollzugsdienst tätig sind. Das kann hier nicht geregelt werden; aber daß dieses Problem einer neuen Regelung bedarf, sollte nicht bestritten werden. Insgesamt: das Vorhandensein der äußeren Bedingungen und die innere Bereitschaft von beiden Seiten öffnen erst das Feld für die Maßnahmen, die der Wiedereingliederung dienen und dem Rückfall vorbeugen.
Wir werden aber auch über das Verhältnis von Haftzeit und Vollzugsziel nachzudenken haben. Deshalb nehme ich an dieser Stelle, Herr Minister, gerne Ihre Anregung auf, in einen gemeinsamen Dialog darüber einzutreten und darüber nachzudenken, wie es mit dem Sinn der lebenslangen Strafe ist. Wir haben ja bei der zeitigen Strafe nach § 26 des Strafgesetzbuches eine Regelung, die sogenannte Zweidrittel-Regelung. Etwas Analoges für den lebenslangen Vollzug gibt es nicht. Was sind zwei Drittel von lebenslang? Deshalb wird man darüber nachzudenken haben, ob nicht das Instrument einer obligatorischen Haftüberprüfung nach einer bestimmten Zeit eingeführt werden sollte. Wir sind dazu bereit.
Meine Damen und Herren, der soziale Rechtsstaat hat Verantwortung für seine Bürger übernommen. Diesem Sozialstaatsgedanken müssen wir Geltung verschaffen, und zwar auch im Strafvollzug. Strafe und vor allem Strafvollzug bedürfen der sozialen Dimension über die bloße Rechtsstellung hinaus. Eine Grundlage für die Verwirklichung eines solchen Anspruchs ist der vorliegende Entwurf, der sicherlich - auch das ist unsere Meinung - noch verbesserungsfähig und verbesserungswürdig ist.
An dieser Stelle darf ich den Alternativ-Professoren für die Vorlage ihres Entwurfs herzlich Dank sagen. Auch ohne förmliche Einbringung wird der Entwurf bei den Beratungen des Ausschusses eine wesentliche Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, der uns vorliegende Entwurf ist noch keine vollständige, in sich geschlossene Reform. Er kann es auch gar nicht sein. Aber er öffnet das Tor zur kontinuierlichen Reform des Strafvollzugs, weist ihm die Richtung und geht selber schon einige mutige Schritte nach vorn. Er geht den Weg der jetzt gebotenen Vernunft. Zugegeben, es ist manchmal nicht ganz einfach, vernünftig zu sein.
So verbesserungswürdig er ist: wir werden den Gesetzentwurf nach zwei Seiten hin verteidigen, nach der Seite derer, die durch ihre Einwendungen nicht mehr als die Kodifizierung der Dienst- und Vollzugsordnung wollen und wesentliche Reformziele auf eine ferne Zukunft projiziert haben möchten, aber auch nach der Seite derjenigen, die diesen Gesetzesschritt mit Forderungen belasten, die, so richtig sie sein mögen - darüber will ich nicht streiten -, jetzt nicht erfüllbar sind. Durch zwei Grundhaltungen wird jede Reform gefährdet: entweder dadurch, daß man sie nicht will, oder dadurch, daß man sie gleich ganz will, und zwar ohne Rücksicht auf die finanziellen Möglichkeiten. Seit hundert Jahren, meine Damen und Herren, scheiterten Strafvollzugsgesetze. Dieses hier darf nicht wieder scheitern.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schoeler.
von Schoeler ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über die Reform des Strafvollzugs diskutieren, dann sprechen wir über jährlich etwa 60 000 Bürger unseres Staates. Wir sprechen von Menschen, die für 1,50 DM pro Tag oft unter mittelalterlichen Bedingungen arbeiten, obwohl wir das alle in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft als Ausbeutung übelsten Ausmaßes brandmarken würden. Wir sprechen von Menschen, die oft zu mehreren in einer Zelle untergebracht werden, in der der eine seine Notdurft verrichtet, während die anderen essen, oder die eine Einzelzelle von 5 Quadratmetern Größe haben - eine Größe, auf die fast ein Deutscher Schäferhund Anspruch hat -, obwohl wir alle wissen, daß durch solche Zustände täglich die Menschenwürde verletzt wird.
Wir sprechen von Menschen, denen jede Entscheidung abgenommen, für die alles verordnet wird, obwohl sie nach Verbüßung ihrer Strafzeit in der Lage sein sollen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen.
Wir sehen uns in dieser Diskussion oft mit einer pharisäerhaften Einstellung weiter Kreise der Bevölkerung gegenüber Strafgefangenen konfrontiert. Da braucht man das verächtliche, das verdammende Hinabblicken auf Straftäter, um sich täglich seine eigene Anständigkeit zu bestätigen. Diese Einstellung ist tief verwurzelt. Sie führt zu dem Vorwurf an die politisch Verantwortlichen, die sogenannte weiche Welle im Strafvollzug praktizieren zu wollen. Wir alle sind aufgerufen, dagegen Aufklärung über die Probleme des Strafvollzugs zu stellen.
Wir müssen darauf hinweisen, daß ein auf Repression und nicht auf Behandlung beruhender Strafvollzug nicht nur inhuman, sondern auch außerordentlich ineffektiv ist. Strafvollzug heute produziert in veralteten Anstalten, mit zuwenig geschultem Personal und unter Einsatz veralteter Methoden eine Rückfallziffer von 70 bis 80 %. In diesen 70 bis 80 % aller Fälle erfüllt der Strafvollzug heute seine Aufgabe nicht, Straffälligen zu helfen und die Gesellschaft vor weiteren Straftaten zu schützen. An keiner anderen Zahl wird die Reformbedürftigkeit des Strafvollzugs deutlicher. Keine andere Tatsache zeigt auch denjenigen, die einer Reform skeptisch gegenüberstehen, eindringlicher, daß gerade unter
von Schoeler
dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesellschaft ein veralteter Strafvollzug ein Luxus ist, den wir uns nicht leisten können.
Es geht bei der Reform auch nicht etwa darum, die „weiche Welle" durchzusetzen. Es geht nicht darum, den Gefangenen das Leben bequemer zu machen. Ganz im Gegenteil: ein Vollzug, der wegkommt von der Ideologie der Verwahrung und der sein Ziel nicht mehr völlig einseitig in der Aufrechterhaltung von „Sicherheit und Ordnung" sieht, ein Vollzug der auf die Behandlung abstellt, wird für alle am Vollzug Beteiligten sehr viel schwieriger werden. Er wird sie alle sehr viel mehr fordern, als das ein „Verschließer"-Vollzug tut. Der Strafgefangene, der sich in Gesprächen, in therapeutischer Behandlung mit seinen Problemen und mit den Problemen anderer Gefangener beschäftigt, der mit der Frage nach den Ursachen seiner Straffälligkeit konfrontiert wird, dieser Strafgefangene wird vor neue Probleme gestellt. Ihm wird das Leben nicht angenehmer gemacht.
Langfristig wird man eine Änderung der Einstellung der Bevölkerung allerdings nur dann erreichen, wenn wir uns auch nicht scheuen, darauf hinzuweisen, daß Kriminalität gesellschaftlich bedingt ist und daß diese Gesellschaft daher auch eine Verantwortung dafür trägt, daß die Ursachen des Fehlverhaltens beseitigt werden und der Gefangene in die Lage versetzt wird, ein Leben ohne Straftaten zu führen.
Je weiter wir auf dem Wege zu einer veränderten Einstellung der Bevölkerung zum Strafvollzug kommen, desto leichter wird es auch werden, die in den Ländern für die Finanzen zuständigen Stellen zur notwendigen Unterstützung der Strafvollzugsreform zu bewegen.
An dieser Stelle möchte ich mich dem von allen Vorrednern geäußerten Dank an diejenigen Bürgerinitiativen anschließen, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, das Verständnis der Bevölkerung für die notwendige Reform zu fördern, und die oft auch unter grollen Schwierigkeiten in den Strafanstalten einen praktischen Beitrag zur Resozialisierung leisten.
Meine Damen und Herren, Rechtsgrundlage des Strafvollzugs sind bis heute im wesentlichen verwaltungsrechtliche Regelungen, für deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung das Feigenblatt des besonderen Gewaltverhältnisses herhalten soll. Diesen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen ist eine Aufgabe des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Durch ihn werden die Befugnisse der Anstalt und die Rechte der Gefangenen in rechtsstaatlich einwandfreier Weise geregelt.
Der Bundesrat hat mit seiner Stellungnahme zu § 4 des Gesetzentwurfes Bedenken dagegen insofern angemeldet, als er eine generelle Ermächtigung zu Eingriffen in die Grundrechte des Gefangenen für notwendig hält, soweit solche Eingriffe zur Erreichung des Vollzugsziels oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt notwendig oder unabwendbar mit der Freiheitsentziehung verbunden sind.
Dieser vom Bundesrat vorgeschlagene Weg ist genau der Weg, den wir nicht gehen wollen. Wir wollen gerade mit diesem Gesetzentwurf die generalklauselartige Ermächtigung zu Eingriffen in die Grundrechte der Gefangenen abschaffen, die dann dazu herhalten muß, fragwürdige Zustände zu legalisieren. Es geht uns mit diesem Gesetz gerade nicht darum, bestehende Zustände zu legalisieren; es geht uns darum, diese Zustände zu verbessern. Das Strafvollzugsgesetz muß nach Auffassung der Freien Demokraten ein Instrument der Strafvollzugsreform sein.
Die FDP-Fraktion begrüßt es, daß der Gesetzentwurf sich zu dem Grundsatz bekennt, daß das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angepaßt werden soll. Der Entwurf trägt damit dem heute wohl weithin anerkannten Grundsatz Rechnung, daß ein Leben in totaler Unfreiheit nicht auf ein Leben in Freiheit vorbereiten kann. In diesem Zusammenhang kommt dem Ausbau des offenen Vollzugs besondere Bedeutung zu. Hier wird es darum gehen, die Organisation des Strafvollzugs darauf einzurichten, daß der Gefangene schrittweise an die Belastung der Freiheit gewöhnt wird und daß ihm der Übergang in diese Freiheit gegenüber dem heutigen Zustand erleichtert wird.
Wir müssen aber auch prüfen, inwieweit dem Grundsatz, daß das Leben während der Strafzeit dem Leben in der Freiheit anzupassen sei, auch im geschlossenen Vollzug noch mehr Rechnung getragen werden kann, als dies der Regierungsentwurf im einzelnen vorsieht. Darüber werden wir uns in den Ausschußberatungen in aller Ausführlichkeit unterhalten müssen. Wir sind der Auffassung, daß hier weitergehende Regelungen, z. B. bei der Frage der Besuchsregelung, des Briefverkehrs und der Vorschriften über die Freizeitgestaltung möglich sind.
Die Diskussion um das Strafvollzugsgesetz ist in den vergangenen Wochen - wie ich meine, in erfreulicher Weise - belebt worden durch die Vorlage des hier schon mehrfach erwähnten Alternativentwurfs. Dieser Alternativentwurf macht deutlich, daß der Regierungsentwurf nicht etwa ein Idealziel postuliert, sondern daß dieser Regierungsentwurf auch nach der Auffassung der Bundesregierung einen Kompromiß zwischen dem Gewünschten und dem Erreichbaren darstellt. Ich glaube, schon die Tatsache, daß der Alternativentwurf dies deutlich gemacht hat, wird uns in den Beratungen einiges erleichtern. Die FDP wird sich dafür einsetzen, daß der Alternativentwurf in geeigneter Weise, Herr Kollege Brandt, in die Ausschußberatungen eingeführt wird.
Wesentliche Vorschläge dieses Alternativentwurfs, die mir einer besonderen Berücksichtigung wert zu sein scheinen, möchte ich aber hier schon erwähnen. Es geht erstens um die Frage, inwieweit sich ein Gesetzentwurf und ein Gesetz zum Strafvollzug mit den Organisationsstrukturen im Strafvollzug beschäftigen muß. Hier haben wir im Regierungsentwurf nicht sehr weitgehende Formulierungen. Der Alternativentwurf geht hier weiter; er enthält detailliertere Regelungen.
von Schoeler
Ich glaube, daß wir, wenn wir vor die Frage gestellt sind, wieweit wir den Anregungen des Alternativentwurfs Rechnung tragen können, überlegen müssen, ob denn der heutige Vollzug, der immer noch auf Verwahrung ausgerichtet ist, durch einen Gesetzentwurf, der keine genauen Regelungen enthält, auf Behandlung umgestellt werden kann. Ein Vollzug, der über lange Jahre die Verwahrung im Mittelpunkt seiner Aufgabe gesehen hat, kann nicht ohne Änderung wesentlicher Organisationsstrukturen auf Behandlung umgestellt werden. Wir werden uns deshalb im Ausschuß darüber unterhalten müssen, wieweit wir hier detailliertere Regelungen vorsehen müssen.
Ein zweiter Punkt, der mir aus dem Alternativentwurf besonders wichtig zu sein scheint und der besondere Beratung erfordert, ist die Frage, inwieweit die eigenverantwortliche Mitarbeit der Gefangenen im Gesetzentwurf stärker als bisher verankert werden kann. Ich glaube, wir alle sind uns darin einig - vom Herrn Kollegen Brandt ist das hier auf eine griffige Formel gebracht worden -, daß es auch beim Behandlungsvollzug nicht darum geht, den Gefangenen in eine Objektrolle hineinzudrängen, ihn als Objekt staatlicher Maßnahmen zu betrachten, zu denen er sich nicht äußern und die er nicht beeinflussen kann. Wir sind uns wohl darin einig, daß die Mitarbeit und auch die Mitverantwortung des Gefangenen in einem sinnvollen Behandlungsvollzug in sehr viel stärkerem Maße gefordert werden muß - auch im Interesse des Vollzugsziels
, als das heute der Fall ist. Bei den Beratungen der einzelnen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes wird zu berücksichtigen sein, inwieweit man hier Verbesserungen vorsehen kann.
Die Behandlung des Strafvollzugsgesetzentwurfs im Bundesrat sowie die Beratung anderer Fragen der Strafvollzugsreform rechtfertigen einige Sorge um den weiteren Verlauf der Beratungen. Wer z. B. verfolgt hat, mit welcher Hartnäckigkeit sich die Bundesländer der Einrichtung sozialtherapeutischer Anstalten, die mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz von allen Fraktionen des Bundestages beschlossen worden waren, widersetzt haben, kann hier nur den eindringlichen Appell an die Bundesländer richten, bei der Beratung des Strafvollzugsgesetzes nicht eine ähnliche Blockadepolitik zu betreiben.
({1})
Die Sorgen der Bundesländer betreffen natürlich die finanziellen Auswirkungen der Reformmaßnahmen. Unter diesem Gesichtspunkt sind dort insbesondere das Arbeitsentgelt und die Zahlung der Beiträge zur Kranken- und zur Sozialversicherung für absehbare Zeit in Frage gestellt, wenn nicht negativ beantwortet worden, und zwar, worauf hier ausdrücklich hingewiesen werden sollte, unter dem Bruch einer ausdrücklichen Zusage der Länderfinanzminister an die Bundesregierung, die bereits gemeinsam mit den Ländern eine Regelung dieser Fragen in Aussicht genommen hatte. Ein solches Verhalten kann von uns nicht gebilligt werden.
Hier ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß die Regelung des Arbeitsentgelts und der
Versicherungsbeiträge von grundsätzlicher, entscheidender Bedeutung für die künftige Entwicklung des Strafvollzugs sein werde. Lassen Sie mich deshalb einige Bemerkungen zu den dabei auftauchenden Finanzfragen machen.
1. Viele Befürchtungen über zu hohe finanzielle Auswirkungen einer Strafvollzugsreform sind sehr oberflächlich. Sie berücksichtigen nicht, daß uns in-und ausländische Erfahrungen zeigen, daß Rückfallziffern von 70 bis 80 % kein Naturereignis, sondern Tatsachen sind, die man ändern kann, wenn man sie richtig angeht. Sie berücksichtigen nicht, daß sinkende Rückfallziffern auch sinkende Kosten bedeuten.
2. Wichtige Reformmaßnahmen, die auch vom Gesetzentwurf vorgesehen werden, kosten kein Geld. Im Gegenteil, sie helfen, Einsparungen zu erreichen. Z. B. ist hier die Einführung des offenen Vollzuges zu nennen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das Gustav-Radbruch-Haus in Frankfurt, eine der ältesten Anstalten der Bundesrepublik, die im offenen Vollzug arbeitet, die staatlichen Kassen nicht belastet. Das ist eine Tatsache, die wir beachten müssen.
3. Alle Schätzungen, die die finanziellen Auswirkungen der geplanten Reformmaßnahmen betreffen, sind außerordentlich problematisch. Wenn z. B. von 173 Millionen DM für das Arbeitsentgelt gesprochen wird, so wird dabei eben nicht berücksichtigt, was heute an Sozialhilfe an Familienangehörige gezahlt werden muß oder was an Wiedergutmachung des angerichteten Schadens von Gefangenen gezahlt werden kann, wenn ein Arbeitsentgelt bezahlt wird.
4. Wenn die Bundesländer schließlich sagen, daß der Bundestag es sich leicht mache, über finanzielle Auswirkungen der Reform zu beschließen, dann müssen sie sich die Frage gefallen lassen, warum sie vor einigen Jahren, als die Gemeinschaftsaufgaben in das Grundgesetz eingeführt wurden, nicht die Forderung danach gestellt haben, den Strafvollzug in die Gemeinschaftsaufgaben mit einzubeziehen und damit wesentliche finanzielle Verbesserungen zu erzielen. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie solche Forderungen heute nicht stellen.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem machen, was der Herr Bundesjustizminister anläßlich dieser ersten Lesung zur Frage der lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesprochen hat. Herr Minister Jahn, Sie wissen, daß nicht nur ich, sondern auch andere Kollegen meiner Fraktion in den vergangenen Jahren wiederholt die Auffassung vertreten haben, daß die lebenslange Freiheitsstrafe reformbedürftig ist. Wir sehen uns mit dem Kollegen Brandt von der SPD-Fraktion darin einig, daß diese „Todesstrafe auf Raten", diese furchtbare und grausame Strafe, eines Überdenkens bedarf. Wir treten dafür ein, daß eine Überprüfung nach 15 Jahren obligatorisch wird. Ich möchte an dieser Stelle dem Bundesjustizminister ausdrücklich versichern, daß er bei der Suche nach einer Mehrheit in diesem Hause für solche Überlegungen und bei allen Diskussionen im Ausschuß und an anderer Stelle dieses Parlamentes unserer vollen Unterstützung gewiß sein kann.
von Schoeler
Meine Damen und Herren, angesichts der Komplexität der von dem vorliegenden Entwurf angeschnittenen Fragen ist es hier nur möglich gewesen, zu einigen Grundsätzen Stellung zu nehmen. Der Gesetzentwurf insgesamt wird ausführlicher Beratung im Strafrechtssonderausschuß bedürfen. Die FDP-Fraktion wird in diesen Beratungen ihr Augenmerk insbesondere darauf richten, daß die Notwendigkeit der Zustimmung des Bundesrates nicht dazu führt, daß wesentliche Reformen verschleppt werden.
({2})
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Rechtsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Ausschlusses von Verteidigern im Strafprozeß - Drucksachen 7/563, 7/1065 Berichterstatter: Abgeordneter Gnädinger
Abgeordneter Kunz ({1})
Ich danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Gnädinger und Kunz ({2}), für ihren Bericht.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wer dem Vorschlag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Dann kommen wir zu Punkt 1 der gemeinsamen Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksache 7/1086 Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen.
Die Abgeordneten Dr. Wagner ({3}) und Pfeifer haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen 123, 124, 125 und 126 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 127 des Abgeordneten Benz:
Auf welche Weise hat bei der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags in Moskau der Inhalt der deutschen Note vorn 28. November 1969 einschließlich der ihr beigefügten Erklärung über die Voraussetzungen unserer Unterzeichnung des Vertrags auch gegenüber der Sowjetunion rechtliche Wirksamkeit erlangt?
Herr Staatssekretär Moersch steht zur Verfügung. Bitte sehr!
Herr Abgeordneter, die Note der Bundesregierung vom 28. November 1969 zur Unterzeichnung des NV-Vertrages einschließlich der ihr beigefügten Erklärung ist den Regierungen aller Staaten übermittelt worden, mit denen die Bundesrepublik Deutschland zum damaligen Zeitpunkt diplomatische Beziehungen unterhielt. Damit ist der Inhalt von Note und Erklärung gegenüber allen Staaten, die sie empfangen haben, einschließlich der Sowjetunion als einer der drei Verwahrstaaten des Vertrages als völkerrechtliche Willenserklärung wirksam geworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Benz?
Danke, nein.
Dann zur Frage 128 des Herrn Abgeordneten Benz:
Wurde insbesondere auch in Moskau - wie in Washington und London - die vorgenannte Note einschließlich der vorgenannten Erklärung mit dem schriftlichen Zusatz zur Unterschrift des Botschafters „Unter Verweisung auf die der sowjetischen Regierung übergebene Note der Regierung der Bundesrepublik Deutschland" vor der Unterzeichnung übergeben und von der Sowjetregierung ohne Widerspruch entgegengenommen?
Note und Erklärung der Bundesregierung vom 28. November 1969 wurden am Unterzeichnungstage der Regierung der UdSSR in Moskau im unmittelbaren Anschluß an die ohne Zusatz erfolgte Unterzeichnung übergeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, warum wurden Note und Erklärung nicht vorher übergeben?
Herr Abgeordneter, da die Willenserklärung der Bundesregierung eindeutig ist, glaube ich, beantwortet sich die Frage von selbst.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, noch einmal meine präzise Frage im Zusammenhang mit der ersten Frage: Wurden Note und Erklärung in der gleichen Weise in Washington, London und Moskau abgegeben und wurde in der gleichen Weise von dem jeweiligen Vertreter der Bundesregierung unterzeichnet?
Herr Abgeordneter, ich habe das bereits in der Antwort auf Ihre erste Frage gesagt und möchte noch einmal, damit kein Zweifel besteht, hinzufügen, daß die Note und die Erklärung der Bundesregierung von dem Vertreter
der Regierung der UdSSR entgegengenommen und auch später weder zurückgewiesen noch zurückgesandt worden ist. Vielleich hilft das zur Aufklärung.
Zur Aufklärung und als Wiederholung noch eine Frage, Herr Staatssekretär: Wurde in der gleichen Weise verfahren, und - wenn nicht in der gleichen Weise verfahren wurde - sehen Sie die Möglichkeit, uns eine Erklärung dafür zu geben, daß nicht in gleicher Weise verfahren wurde?
Herr Abgeordneter, ich habe die Unterlagen nicht alle präsent, und ich war damals ja auch nicht Mitglied der Regierung.
({0})
- Ich nicht. Natürlich kann ich das wissen. Ich
habe die Akten selbstverständlich durchgesehen.
Aber deswegen habe ich nicht alles hier zur Hand.
Ich möchte aber jetzt auf folgenden Punkt hinweisen. Diese Frage ist Gegenstand der Ratifizierungsdebatte und wird ausführlich in den Ausschüssen behandelt werden können. Ich muß offen bekennen, es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, daß Fragen im Plenum in der Fragestunde jetzt zur Debatte stehen, die bereits auf der Tagesordnung einer Plenarsitzung für die übernächste Sitzungswoche stehen und einer eingehenden Behandlung im Ausschuß bedürfen. Ich glaube, das ist ein neues parlamentarisches Verfahren.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Benz.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Bemerkung als eine Antwort auf meine Frage verstehen oder als einen Vorschlag zur Änderung der Geschäftsordnung dieses Hauses?
({0})
Herr Abgeordneter, Sie dürfen die Antwort so verstehen, daß ich nicht in der Lage bin, jetzt detailliert genaue Angaben über die Uhrzeiten der jeweiligen Übergabe zu machen, weil das nicht Gegenstand Ihrer Frage gewesen ist, sondern daß ich davon ausgehe - hoffentlich mit dem ganzen Hause -, daß das typische Erörterungen in einem Ausschuß sind, der ein Ratifikationsgesetz zu beraten hat.
({0})
Meine Damen und Herren, eine Würdigung der Antwort des Herrn Staatssekretärs kann hier nicht vorgenommen werden, wie Sie wissen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Ich komme zu den Fragen 129 und 130 des Abgeordneten Dr. Zeitel sowie zu den Fragen 131 und 132 des Abgeordneten Lenzer. Die Fragesteller bitten um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 133 und 134 des Abgeordneten Kahn-Ackermann sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich komme nunmehr zur Frage 135 des Abgeordneten Dr. Jobst. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 136 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 137 ,des Abgeordneten Dr. Czaja:
Hat das Auswärtige Amt allen deutschen Auslandsvertretungen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973, das die für alle Staatsorgane verpflichtende Auslegung der ganz Deutschland betreffenden grundgesetzlichen Vorschriften enthält, übermittelt und sie angewiesen, den so ausgelegten grundgesetzlichen Auftrag und die dadurch bedingte Auslegung des Grundvertrags beharrlich und eindeutig im Rahmen ihrer gesamten amtlichen Tätigkeit zu vertreten?
Herr Abgeordneter, Bedienstete der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes, sind bei der Gesprächsführung mit Vertretern anderer Staaten an die ihnen von der Bundesregierung gegebenen Richtlinien gebunden. Das gilt nicht zuletzt für Gespräche über die im Grundvertrag geregelte Materie.
Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung unter Einhaltung ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten bei der Aufstellung solcher Richtlinien in diesem Bereich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beachtet. Es sollte im übrigen nicht der dauernden Wiederholung bedürfen, daß die Politik, die bisher in solchen Weisungen ihren Niederschlag gefunden hat, dem Urteil in keiner Weise widerspricht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, darf ich dann also davon ausgehen, daß die Bundesregierung bei der internationalen Vertretung der Interessen ganz Deutschlands durch die Bundesrepublik Deutschland das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 für grundlegend hält und daß sie die Vertretung der Interessen Deutschlands nach dem Sinn und Wortlaut dieses Urteils durch die Behörden im In- und Ausland als verbindlich unterstellt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird sich immer an die gesetzlichen Vorschriften halten. Ich darf nachher in Beantwortung einer anderen Frage, die noch aufgerufen wird, auch darauf hinweisen, in welcher Form die Bundesregierung ihrem politischen Willen und ihrer Zielsetzung, und zwar vor der ganzen Welt, Ausdruck gegeben hat. Wir werden auf diese Frage gerne zurückkommen können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, darf ich dann fragen, wie sich die Auslandsvertretungen nun praktisch verhalten sollen, wenn Herr Bundesminister Bahr den Standpunkt vertritt, daß nur der Wortlaut des Vertrages gelte, aber das Bundesverfasungsgericht verbindlich für die innere und äußere Gewalt verdeutlichend hinzufügt und feststellt, daß der Vertrag nur - ich zitiere jetzt - „in der sich aus den Gründen des Urteils ergebenden Aussage mit dem Grundgesetz vereinbar" ist? Wie sollen sich dann die Auslandsvertretungen bezüglich der Auslegung des Vertrages verhalten?
Herr Abgeordneter, ich kenne den Wortlaut dessen, was Sie hier über Herrn Bahr zitiert haben, nicht im einzelnen.
({0})
Aber mir ist kein Fall bekannt, in dem es zu irgendwelchen Schwierigkeiten im Verhalten von Auslandsvertretungen gekommen wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, war es in der Vergangenheit üblich, daß die jeweilige Bundesregierung Urteile des Bundesverfassungsgerichts an durch diese betroffene Angehörige des öffentlichen Dienstes verteilt und im Zusammenhang damit Anweisungen erlassen hat?
Herr Abgeordneter, es kommt auf den Fall an, ob diese Notwendigkeit besteht. Die Weisungen, die an die Auslandsvertretungen gehen, sind klar. Im übrigen darf ich hier einmal hinzufügen, damit gar kein Zweifel besteht: Wir haben im Ausland Beamte des höheren Dienstes, die die Verantwortung tragen. Diese Beamten sind gesetzlich verpflichtet, die Gesetze zu beachten. Das haben sie in jedem Einzelfall getan, und sie sind
das darf ich auch sagen - durchaus in der Lage, selbständig zu entscheiden, was den Interessen der Bundesrepublik Deutschland nützt.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Mertes!
Herr Staatssekretär, haben Sie Verständnis dafür, daß bestimmte Äußerungen unseres Kollegen Herbert Wehner solche Fragen zur Klarstellung nahelegen?
Herr Abgeordneter, die Frage nach Äußerungen von Herrn Wehner war hier nicht gestellt.
({0})
- Herr Abgeordneter, Sie können mir nachsehen, daß ich großes Verständnis für die besondere Aufgabe der Opposition habe, da ich sie selber früher wahrgenommen habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer ersten Antwort auf die Frage des Kollegen Dr. Czaja schließen, daß der Text und die Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Wortlaut den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik bisher nicht zugestellt worden sind, und bis wann ist damit zu rechnen, daß dies nachgeholt wird?
Herr Abgeordneter, Sie haben einen messerscharfen und richtigen Schluß gezogen; es gibt nämlich noch keine amtliche Veröffentlichung der Gründe des Urteils, und da die Bundesregierung an eine amtliche Dokumentation gebunden ist, kann sie eine Zustellung des Urteils erst vornehmen, wenn die amtliche Publikation erfolgt ist.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, können wir nicht davon ausgehen, daß die nicht unter dieser Regierung eingestellten und ausgebildeten Beamten des auswärtigen Dienstes auch Zeitungen lesen und daß diese Beamten, weil sie unter der Verantwortung einer anderen Regierung eingestellt wurden, auch so gesetzestreu sind, wie es die CDU erwartet, so daß solche unterstellende Fragen gar nicht nötig wären?
({0})
Herr Abgeordneter, es scheinen da und dort tatsächlich falsche Auffassungen über den Informationswillen von Angehörigen des
auswärtigen Dienstes zu bestehen; sonst wäre die
Frage vorhin in der Tat unverständlich gewesen.
({0})
Herr Abgeordneter Mattick! - Hat sich erledigt. - Herr Abgeordneter Dr. Hupka!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen entgangen, daß es eine offizielle Darlegung des Urteils aus dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen gibt, oder würden Sie diese Veröffentlichung dieses Ministeriums nicht als eine amtliche bezeichnen?
Herr Abgeordneter, ich habe vom Bundesanzeiger gesprochen. Wenn eine Sache im Bundesanzeiger veröffentlicht ist, - ({0})
- Entschuldigen Sie, vielleicht darf ich mich korrigieren. Wenn ich von einer amtlichen Veröffentlichung spreche, dann meine ich eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Vielleicht ist es jetzt klar.
({1})
Daß die Veröffentlichung des Ministeriums nicht amtlich sei, habe ich damit nicht behauptet. Aber verbindlich ist die Veröffentlichung, die das Verfassungsgericht selbst vornimmt. Es handelt sich um ein eigenständiges Verfassungsorgan.
Vizpräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Benz.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie, nachdem Sie den messerscharfen Verstand des Herrn Kollegen Jäger gerühmt haben, auch folgern können: Unsere Botschafter haben so lange keine Kenntnis von Urteil und Urteilsgründen des Bundesverfassungsgerichts zu nehmen, solange Sie diese nicht im Anzeiger veröffentlichen?
Das ist ein Schluß, der falsch wäre, Herr Abgeordneter. Die Botschafter sind über das Urteil und über die wesentlichen Gründe selbstverständlich unterrichtet worden. Wir haben da entsprechende Informationsmittel - neben den Zeitungen, von denen ich annehme, daß sie sie lesen. Ich hoffe sogar, daß sie Zeitungen lesen, die qualitativ gut sind.
({0})
Herr Abgeordneter Mattick!
Herr Staatssekretär, haben Sie bei der Benachrichtigung an die Botschafter den Botschaftern auch von dem § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Kenntnis gegeben, worin es heißt, daß verbindlich im Sinne des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes jedoch nur der Tenor des Urteils ist? An der Verbindlichkeit nehmen also die Urteilsgründe nicht teil. Haben Sie das den Botschaftern mitgeteilt?
Herr Abgeordneter, es wäre sicherlich unangemessen, wenn man Streitfragen unter Juristen oder unter Parlamentariern sozusagen zur Schlichtung den Auslandsvertretungen überließe. Die Botschaften sind mit Personen besetzt, die kraft ihrer Ausbildung in der Lage sind, alle relevanten Gesetzestexte nachzuschlagen, und alle Texte, die sie dafür brauchen, stehen ihnen in den Botschaften auch zur Verfügung. Ich glaube, daß wir Grund haben, das zu respektieren - und das tun wir -, was uns als Regierung in diesem . Falle mit auferlegt ist. Aber niemand zweifelt daran, daß es verschiedene Verfassungsorgane gibt.
Ich komme zu Frage 138 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja:
Ist die Bundesregierung entschlossen, „in jedem Einzelfall" gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli
1973 die Schutzpflicht für alle deutschen Staatsangehörigen auch solche, die in den Oder-Neiße-Gebieten leben - wahrzunehmen und ihnen oder ihren Angehörigen über den Stand und die Ergebnisse der Intervention zum Schutz der Grundrechte Auskunft zu geben?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird allen Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die sich an eine Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland mit der Bitte um wirksame Unterstützung in der Verteidigung ihrer Rechte, insbesondere ihrer Grundrechte, wenden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten und in den Grenzen des völkerrechtlich Zulässigen nach wie vor Schutz gewähren und Hilfe leisten.
Das gilt auch für Deutsche in Polen. Die mit dieser Frage im Zusammenhang stehenden Probleme und unterschiedlichen Rechtsauffassungen dürften Ihnen, Herr Abgeordneter, aus der Ratifizierungsdebatte zum deutsch-polnischen Vertrag und insbesondere aus den Ausschußberatungen hinlänglich bekannt sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Freundlichkeit haben, den letzten Teil meiner Frage ebenfalls zu beantworten, die Frage nämlich, ob den Angehörigen über den Stand und
die Ergebnisse der Intervention zum Schutz der Grundrechte Auskunft gegeben wird, wobei ich als bekannt unterstelle, daß der Bundesgerichtshof entschieden hat, daß die Behörden über Fragen, die die Rechte der Person berühren, zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet sind und im Sinne des § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches im Zusammenhang mit Art. 34 des Grundgesetzes bei unzureichender Ausübung der Amtspflicht entstandene Nachteile zu entschädigen haben?
Herr Abgeordneter, das ist eine sehr weit gespannte Frage, zu deren Beantwortung man eine Position verdeutlichen muß. Im Urteil steht - ich zitiere noch einmal -: „eine wirksame Unterstützung in der Verteidigung ihrer Rechte". Und ich glaube, es ist ein entscheidender Unterschied, ob jemand in einem bestimmten Bereich Regierungsgewalt ausübt oder ob er keine ausübt. Dort, wo wir keine Regierungsgewalt ausüben, sind unsere Möglichkeiten naturgemäß beschränkt. Der Grund dafür, daß wir in bestimmten Gebieten heute keine Regierungsgewalt mehr ausüben, die das Deutsche Reich dort einmal ausgeübt hat, dürfte hier ja allen bekannt sein.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Nachdem die Frage nach der Erfüllung der Auskunftspflicht über das Unternommene noch nicht beantwortet ist, frage ich trotzdem weiter: Begibt sich die Bundesregierung nicht bereits der Grundlagen zur Ausübung der grundgesetzlich gebotenen Schutzpflicht im Einzelfall, wenn die zuständigen Behörden und die politisch Verantwortlichen nicht mehr wagen, deutsche Staatsangehörige als solche zu benennen, sondern sie im unmittelbaren Zusammenhang mit der Aussiedlung konstant nur als „Deutschstämmige" bezeichnen?
Herr Abgeordneter, ich muß die Meinung zurückweisen, die Bundesregierung sei in der Benennung von irgendwelchen Personen nicht gesetzesgemäß verfahren.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Holtz.
Herr Staatssekretär, haben frühere Bundesregierungen in jedem Einzelfall zum Schutz der Grundrechte deutscher Staatsbürger im Ausland interveniert und den Betroffenen über das Ergebnis ihrer Bemühungen Auskunft erteilt?
Herr Abgeordneter, es gab Zeiten, in denen die Bundesregierung trotz ihrer bestehenden Rechtsauffassung nichts zum Schutze von irgendwelchen Bürgern unternehmen konnte, weil die politischen Verhältnisse dazu geführt hatten, daß überhaupt keine Beziehungen bestanden.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Ich hoffe, daß meine Frage im Zusammenhang mit der schriftlichen Frage steht: Wie beurteilen Sie, Herr Staatssekretär, die Tatsache, daß der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaften laut Pressemeldungen erklärt hat, er vertrete hier im Deutschen Bundestag den sudetendeutschen Raum und die Menschen dieses Raumes?
Herr Abgeordneter, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, eine Äußerung eines Kollegen zu werten, mit dem Sie sich in der nächsten Debatte sicher werden auseinandersetzen können.
Im übrigen sind politische Wertungen selbstverständlich jedermann unbenommen.
Die Fragen 139 und 140 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 141 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({1}) auf:
Gedenkt die Bundesregierung, den deutschen Text des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 über die Vereinbarkeit des innerdeutschen Grundvertrags vom 21. Dezember 1972 mit dem Grundgesetz sowie von ihr veranlaßte amtliche Übersetzungen - zumindest ins Englische und Französische -zu notifizieren, allen Staaten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland diplomatische oder andere amtliche Beziehungen unterhält, und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mit dem Ersuchen, das Notifikationsschreiben und das Urteil als amtliche Dokumente der Bundesrepublik Deutschland bei allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu zirkulieren?
Herr Kollege, die Bundesregierung gedenkt nicht, dies zu tun. Sie hält eine solche Versendung des Urteils eines höchsten Gerichtes, die im übrigen in der Praxis der Staatengemeinschaft durchaus unüblich wäre, für unangebracht.
Unser Standpunkt in den grundsätzlichen Fragen ist allen Staaten, mit denen wir diplomatische Beziehungen unterhalten, sowohl bei der Unterzeichnung wie beim Inkrafttreten des Grundvertrages zur Kenntnis gebracht worden. Er hat außerdem durch die Reden des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers an der Vollversammlung der Vereinten Nationen auch Eingang in die offiziellen Dokumente der Weltorganisation gefunden.
Das von Ihnen ins Auge gefaßte Vorgehen wäre unter diesen Umständen nicht geeignet, unsere vom Urteil offenkundig gedeckte Politik weiter zu verdeutlichen und damit zu verbessern.
Eine Notifizierung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag an andere Staaten und an den Generalsekretär der Vereinten Nationen könnte dazu führen, daß das Urteil als solches und damit auch das Bundesverfassungsgericht selbst zum Gegenstand internationaler Kontroversen und Angriffe werden. Das kann nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Verträge mit der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen und der DDR Verträge sind, die wegen ihrer schwerwiegenden Mehrdeutigkeiten und Dissense der rechtlichen und politischen Interpretation in unserem nationalen Interesse in einem Maße bedürfen, wie das bisher niemals bei politischen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland von vergleichbarer Bedeutung der Fall gewesen ist?
Herr Abgeordneter, einer solchen pauschalen Beurteilung kann ich nicht folgen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, auf Grund der Frage des Herrn Dr. Mertes muß ich meinerseits eine Frage stellen.
Ist Ihnen bekannt, daß Herr Dulles in seiner Eigenschaft als Außenminister am 4. April 1955
({0})
auf eine Frage des Senators Humphrey in bezug auf die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nach den Pariser Verträgen folgendes feststellte:
Die Westmächte hätten auf Grund des Art. 2 der revidierten Bonner Konvention das Recht, in der Frage der Wiedervereinigung mitzureden, wenn sie es wollten. Die Bedingungen der Wiedervereinigung müßten jedenfalls für sie annehmbar sein, obschon die Deutschen nach Inkrafttreten der Pariser Verträge souverän seien.
Ist das Urteil des Verfassungsgerichts eine Anklage gegen die Bundesregierung Adenauer, daß sie die Pariser Verträge abgeschlossen und sich in Fragen der deutschen Wiedervereinigung in Abhängigkeit der Westmächte begeben hat?
({1})
Herr Präsident, ich glaube, es würde nicht dieser Fragestunde dienen, wenn wir jetzt in eine große historische Debatte einträten.
Darüber gibt es hier festgefügte Meinungen, die auch durch Zusatzfragen sicherlich kaum auf irgendeiner Seite des Hauses verändert werden. Meine persönliche Meinung habe ich hier im Plenum längst dargelegt; sie ist nicht weit von der Ihren entfernt, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, würde die vom Kollegen Dr. Mertes angeregte Notifizierung von Übersetzungen des Textes des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli nicht entscheidend dazu beitragen können, die Forderung dieses Gerichts zu verwirklichen, daß der Wiedervereinigungsanspruch von der Bundesregierung auch nach außen beharrlich zu vertreten sei?
Herr Abgeordneter, ich bin der Auffassung - und da mögen sich unsere Meinungen unterscheiden -, daß die Politik dieser Bundesregierung wesentlich dazu beigetragen hat, das Bewußtsein von der Einheit der Nation zu verstärken.
({0})
Das kann man nicht von jeder vorhergegangenen Politik sagen.
Ich glaube, man sollte doch auch in diesem Hause einmal zwischen einer Anwendung juristischer Argumente und der Verführung zu dem Glauben unterscheiden, daß juristische Argumente praktische Politik ersetzen könnten.
Eine deutlichere Positionsdarstellung, als sie der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister vor den Vereinten Nationen gegeben haben - zu all den anderen Erläuterungen, die wir in allen Staaten der Welt aus gegebenem Anlaß vorgebracht haben - gibt es nicht. Jedes Mehr könnte am Ende ein Weniger bedeuten
({1})
und könnte so aufgefaßt werden, als ob wir unserer eigenen Sache hier nicht sicher seien.
({2})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß vielleicht im Gegensatz zu früheren Zeiten die Zusammenarbeit mit anderen Staaten so gut ist, daß die dortigen Deutschland-Experten solche Briefe gar nicht brauchen?
({0})
Herr Abgeordneter, diese Frage war ja wohl nicht für eine direkte Beant3380
wortung bestimmt, aber eines dürfen Sie hier zur Kenntnis nehmen: Es hat Zeiten gegeben, in denen eine frühere Bundesregierung in regelmäßigen Abständen öffentlich ihren wichtigsten Verbündeten aufgefordert hat, zu seinen Verpflichtungen zu Berlin und zur Bundesrepublik Deutschland zu stehen. Die Wirkung in den Vereinigten Staaten war nicht unbedingt positiv, was nämlich die Meinung über die damals verantwortlichen deutschen Politiker betraf.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß nach § 31 Abs. 1 und im Gegensatz zu dem, was Herr Kollege Mattick sagte, auch nach Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht alle tragenden Gründe des Urteils Gesetzeskraft besitzen, mit Gesetzeskraft verbindlich sind, und würden Sie bestätigen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich erklärt hat, daß alle Ausführungen der Urteilsbegründung, auch solche, die sich nicht auf den Inhalt des Vertrages beziehen, zu den für die Entscheidung tragenden Gründen gehören und die gleiche Verbindlichkeit haben?
Herr Abgeordneter, Sie werden mich nicht dazu verlocken können, in eine juristische oder staatsrechtliche Fachdebatte einzutreten.
({0})
- Ja, entschuldigen Sie. - Ich darf aus Kenntnis mancher Gespräche mit hochrangigen und angesehenen Juristen sagen, daß genau über diese Punkte unter hochangesehenen Juristen höchst verschiedenartige Meinungen möglich sind.
Wir kommen zur Frage 142 des Abgeordneten Dr. Mertes ({0}):
Gedenkt die Bundesregierung, alle auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereidigten Bediensteten des Auswärtigen Dienstes und andere betroffene Bedienstete darauf hinzuweisen, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 die verbindliche Auslegung des innerdeutschen Grundvertrags am 21. Dezember 1972 darstellt und daher als verbindliche Sprachregelung für die Gesprächsführung mit Vertretern ausländischer Staaten und der DDR über die im Grundvertrag geregelte Materie zu gelten hat, und daß die Gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestags vom 17. Mai 1972 und des Bundesrats vom 19. Mai 1972 als amtliches, den Regierungen der UdSSR und der Volksrepublik Polen notifiziertes, völkerrechtlich relevantes Dokument der Bundesrepublik Deutschland die verbindliche Auslegung des Vertrags von Moskau vom 12. August 1970 und des Vertrags von Warschau vom 7. Dezember 1970 darstellt und daher als verbindliche Sprachregelung für die Gesprächsführung mit Vertretern ausländischer Staaten und der DDR über die in den beiden Verträgen geregelte Materie zu gelten hat?
Herr Abgeordneter, die Bediensteten der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes, sind bei der Gesprächsführung mit Vertretern anderer Staaten an die ihnen von der Bundesregierung
gegebenen Richtlinien gebunden. Dies gilt nicht zuletzt für Gespräche über die im Grundvertrag geregelte Materie. Es ist ganz selbstverständlich, daß die Bundesregierung unter Einhaltung ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten bei der Aufstellung solcher Richtlinien in diesem Bereich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beachtet.
Es sollte im übrigen nicht der dauernden Wiederholung bedürfen, daß die Politik, die bisher in solchen Gesprächsweisungen ihren Niederschlag gefunden hat, dem Urteil in keiner Weise widerspricht. Das Auswärtige Amt hat am 19. Mai 1972 allen Auslandsvertretungen die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, die sich der Bundesrat in seiner Sitzung vom 19. Mai 1972 zu eigen gemacht hat, übersandt und gebeten, die Außenministerien der Gastländer unter Übergabe eines Textes mit einer im Auswärtigen Amt gefertigten englischen, französischen und spanischen Übersetzung über diesen wichtigen Vorgang zu unterrichten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, was die Wiederholung angeht: Sind Sie bereit, mir zu glauben, daß es die Äußerungen unseres Kollegen Herbert Wehner gewesen sind, die mich zu dieser Fragestellung veranlaßt haben?
Herr Abgeordneter, es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, Motivforschung zu treiben.
({0})
Selbstverständlich nehme ich diese Mitteilung zur Kenntnis.
({1})
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was die Interpretationsbedürftigkeit der Verträge angeht, so darf ich folgende, hoffentlich von Ihnen nicht als pauschal zu bezeichnende Frage an Sie richten: War einer der in den 50er Jahren mit den Westmächten abgeschlossenen großen Verträge in seinem Wortlaut rechtlich oder politisch - im Vergleich zu den Ostverträgen - interpretationsbedürftig?
Herr Abgeordneter, ich will mich auf diese Frage hier nicht einlassen. Ich habe aber die Notstandsdebatte hier noch schwach in Erinnerung. Dennoch möchte ich sagen - und da sind wir doch sicher einer Meinung -, daß es von Anfang an eine unterschiedliche Wertung gegenüber Staaten gegeben hat, die zu unseren Schutzmächten gehören, und anderen Staaten, mit denen wir uns sehr schwer
getan haben, die Beziehungen nicht nur aufzunehmen, sondern auch zu normalisieren.
({0})
Herr Sieglerschmidt!
Herr Staatssekretär, im Hinblick darauf, daß in der Frage des Kollegen Mertes zweimal das Wort „Sprachregelung" vorkommt: Teilen Sie die Auffassung, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß deutsche Diplomaten im Ausland mit Sprachregelungen wirksam Politik für die Bundesrepublik machen können?
({0})
Herr Abgeordneter, ich habe in meinem ursprünglichen Manuskript das will ich offen zugeben - dieses Wort auch gehabt. Das ist ein gebräuchlicher Ausdruck des Auswärtigen Dienstes. Herr Dr. Mertes handelt also sozusagen im sinne seiner früheren Tätigkeit, wenn er dieses Wort hier gebraucht. Es ist von Autoren, die uns allen sehr lieb und vertraut sind, nämlich von Herrn Sternberger, Herrn Süskind und Herrn Storz, einmal in einem Band dargelegt worden, daß das ein typisches Wort aus dem Wortschatz des Unmenschen sei. Die historische Wahrheit ist möglicherweise nicht ganz der literarischen Qualität vergleichbar, die dieses Buch der drei Autoren auszeichnet. Denn soweit mir bekannt ist, gibt es in den Auswärtigen Ämtern aller Staaten diesen Begriff schon sehr viel länger als seit 40 Jahren. Daß er zur Indoktrination im „Dritten Reich" verwendet worden ist, gibt eine natürliche Abneigung, ihn zu verwenden, die auch ich mir zu eigen gemacht habe. Daß er aber altgedienten Mitgliedern des auswärtigen Dienstes sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen ist, mögen Sie dem Kollegen Dr. Mertes nachsehen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für hilfreich für unsere auswärtigen Beziehungen, vor allem aber für die klare Trennung der Funktionen unserer Verfassungsorgane, wenn versucht wird, das Bundesverfassungsgericht als politisches Exekutivorgan der Opposition in die Außenpolitik einzuführen?
Herr Abgeordneter, ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß die Frage so zu stellen sicherlich der Sache nicht ganz angemessen ist. Aber Ihre Frage gibt mir doch Anlaß zu der grundsätzlichen Bemerkung, daß es in diesem Hause eine große Tradition ist, von bestimmten Gruppen - und die wechseln je nach Gefechtslage - den Versuch zu machen, mit juristischen Mitteln politische Tatsachen zu verändern, was niemals gelungen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Unter Bezugnahme auf den ausgedruckten Wortlaut der Frage möchte ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob Sie bestätigen können, daß die Entschließung vom 17. Mai 1972 ohne Hinzufügung und ohne Abstriche als Dokument der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich in dem dafür zuständigen und dafür nötigen Verfahren und in der dazu nötigen Form der Volksrepublik Polen notifiziert worden ist oder ob sie nicht notifiziert, sondern nur zur Kenntnis gebracht wurde.
Herr Abgeordneter, ich bin bereit, Ihnen den genauen Hergang noch einmal schriftlich darzulegen. Aber ich habe wohl in Erinnerung, daß die amtlichen Dokumente der Sowjetunion bei dem Ratifizierungsvorgang dort z. B. diese Entschließung enthalten.
({0})
- Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Ihnen im einzelnen darlegen werde, wie es dort gewesen sei. Ich erinnere mich sehr genau, daß das in diesem Bundestag auch schon geschehen ist. Da ich nicht über ein so perfektes Kopfarchiv verfüge, wie Sie es schriftlich vor sich liegen haben, bin ich nicht jederzeit in der Lage, Ihre schriftlich vorbereiteten Zusatzfragen zu beantworten.
Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß Sprachregelungen der Sinnvermittlung dienen müssen und nicht der Absicherung von innerstaatlichen juristischen Verständigungsbräuchen, so daß es durchaus möglich sein kann, daß das, was das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt hat, durch andere Sprachregelungen nach draußen präziser vertreten wird?
Herr Abgeordneter, das ist wiederum sicher zu diffizil gefragt, als daß ich darauf eine einfache Antwort geben könnte.
({0})
Ich möchte aber den Kollegen hier einmal zu bedenken geben, wenn ich mir jetzt gerade die Länge der Manuskripte ansehe, daß in den Richtlinien für die Fragestunde der berühmte Satz steht - das ist sicherlich ganz unbestritten; das sage ich einigen Kollegen -: Die Fragen müssen kurz gefaßt sein
und eine kurze Beantwortung ermöglichen. Ich halte mich an den zweiten Teil, auch wenn es nicht jedermann gefallen sollte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß verschiedene Äußerungen aus dem Lager der Koalitionsparteien geradezu dazu führen müssen, hier die Bundesregierung um Klarstellung zu bitten und damit die notwendige Rechtssicherheit auch im Bereich unserer öffentlichen Verwaltung wiederherzustellen?
({0})
Die Bundesregierung fühlt sich in ihrer Rechtssicherheit nicht tangiert. Wenn andere Gefühle bei Abgeordneten der Opposition auftreten, ist es nicht Sache der Bundesregierung, das zu beurteilen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wischnewski.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, im Auswärtigen Ausschuß darüber Bericht zu erstatten, wie seit dem Bestehen des Deutschen Bundestages, seit 1949, Resolutionen des Deutschen Bundestages zur Außenpolitik und zur Deutschlandpolitik im internationalen Verkehr behandelt worden sind?
Herr Abgeordneter, wenn ich mich recht entsinne, hat der Bundesaußenminister gelegentlich einer großen Auseinandersetzung hier im Hause schon einige wesentliche Punkte aus der Vorgeschichte bis 1949 genannt. Es genügt unter Umständen, einigen Kollegen die Fundstellen in den offiziellen Bundestagsprotokollen mitzuteilen.
Wir kommen zur Frage 143 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Was hat die Bundesregierung unter Berufung auf die Information" zum Warschauer Vertrag unternommen, nachdem laut Wirtschaftswoche vom 28. September 1973 „die deutsche Botschaft in Warschau ermittelte: Zur Abschreckung wurden bislang 5000 berufstätige deutsche Antragsteller wegen ihrer Umsiedlungsbemühungen entlassen. Und 15 000 wurden in eine tiefere Lohngruppe herabgestuft." ?
Herr Abgeordneter, die beruflichen Benachteiligungen von Aussiedlungsbewerbern sind nicht erst seit der Veröffentlichung in der „Wirtschaftswoche" vom 28. September 1973 bekannt. Ich hatte bereits Gelegenheit, darauf einzugehen, und zwar im Zusammenhang mit der Frage
des Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) in der 24. Sitzung am 23. März 1973. Die Bundesregierung hat sich, seit ihr Berichte über diese Benachteiligungen vorliegen, bei der polnischen Regierung dafür eingesetzt, daß sie beseitigt werden. Dies war unter anderem Gegenstand der deutsch-polnischen Gespräche Anfang Juli dieses Jahres in Helsinki und Mitte September hier in Bonn mit Herrn Czyrek. Diese Frage wird auch gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt beim Besuch des Bundesaußenministers einen wichtigen Platz bei der Erörterung des Problems der Umsiedlung einnehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Kann die Bundesregierung die Zahlen bestätigen, die in der ,,Wirtschaftswoche" zu lesen waren, daß nämlich 5 000 Aussiedlungswillige ihren Arbeitsplatz verloren haben und 15 000 Aussiedlungswillige schlechter eingestuft worden sind?
Herr Abgeordneter, ich kann das nicht bis ins Letzte nachprüfen. Zahlen in dieser Größenordnung dürften nach unserer Meinung aber ungefähr zutreffen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung dann aber nicht die Möglichkeit ergriffen, hier in der Öffentlichkeit mitzuteilen, in welcher Weise die polnische Regierung die in der „Information" gegebenen Zusagen unterläuft und aushöhlt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat immer dann, wenn Auskunft begehrt wurde, hier Auskunft gegeben. Sie müssen die Entscheidung, ob sie dies für einen besonders geeigneten Weg hält, den Betroffenen zu helfen, schon in das Ermessen der Bundesregierung stellen, die ja im Interesse der Betroffenen zu handeln hat.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, da Sie sagten, daß die Zahlen nur ungefähr stimmen, frage ich Sie, ob es den Tatsachen entspricht, daß die deutsche Botschaft in Warschau ermittelt hat und der Bundesregierung auch mitgeteilt hat, daß zur Abschreckung 5 000 berufstätige deutsche Antragsteller wegen Umsiedlungsbemühungen entlassen, 15 000 in eine tiefere Lohngruppe herabgestuft worden sind und daß sie vor einer Wiedereinstellung schriftlich auf weitere Umsiedlungsbemühungen verzichten müssen. Liegt der deutschen Botschaft eine diesbezügliche Meldung vor, oder entDr. Czaja
sprechen die darüber gemachten Angaben in der „Wirtschaftswoche" vom 28. September 1973 nicht den Tatsachen?
Herr Abgeordneter, selbst wenn es so wäre, daß eine solche Meldung vorliegt, wäre ich auf Grund der allgemeinen Regeln des Verkehrs mit Botschaften nicht in der Lage, dies im Plenum des Bundestages mitzuteilen. Wenn Sie über Einzelheiten von Telegrammen unserer Botschaften Auskunft haben wollen, so steht dafür der Auswärtige Ausschuß als geeignetes Forum zur Verfügung.
({0})
- Die „Wirtschaftswoche" ersetzt nicht den Auswärtigen Ausschuß.
Ich rufe dann die Frage 144 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen dem Verhalten der Volksrepublik Polen, die Aussiedlungswillige aus der Arbeit entläßt oder schlechter einstuft, und der Erklärung des Bundesaußenministers, wonach wegen der Schwierigkeiten, die der Volksrepublik Polen durch die Aussiedlung erwachsen sollen, nunmehr die Notwendigkeit zu verbilligten Krediten bestünde?
Es ist richtig - ich habe das implizite in der Antwort auf Ihre erste Frage und übrigens auch in der Antwort auf die Frage des Kollegen Dr. Jobst, die ja leider schriftlich beantwortet werden mußte, gesagt -, daß Umsiedlungsbewerber beruflich benachteiligt werden. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Ausreise der im Berufsleben stehenden Umsiedlungsbewerber - das ist die überwältigende Mehrzahl - auf die betroffenen Bereiche der polnischen Wirtschaft einen Einfluß haben muß, nämlich dort, wo der Anteil des qualifizierten technischen Personals relativ hoch ist. Hierbei ist noch zu beachten, daß die Umsiedlungsbewerber in wenigen Bezirken leben.
Die Umsiedlung und die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Polen sind zwei voneinander zu unterscheidende, nicht verbundene Komplexe. Die polnische Seite betrachtet aber die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit unter allen sie interessierenden Aspekten, wobei sie auch die Wirkungen, die durch den Fortgang von Arbeitskräften ausgelöst werden, mit einbezieht. Im übrigen weiß ich nicht, Herr Kollege, auf welche angebliche Äußerung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen Sie sich in Ihrer Frage beziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, ist es nicht ein Widerspruch, wenn Sie jetzt sagen, der polnischen Wirtschaft entstünden durch den Abzug qualifizierter Kräfte Schwierigkeiten, dann aber gleichzeitig derartige qualifizierte Kräfte entlassen werden oder tiefer eingestuft werden, nur weil sie von der Zusage in der „Information" Gebrauch machen und sich für die Aussiedlung aussprechen?
Herr Abgeordneter, nach außen hin ist sicher ein scheinbarer Widerspruch zwischen beiden Positionen konstruierbar. Man müßte im einzelnen darüber reden, wie die Motivierung auf der polnischen Seite ist. Da dies Thema der im Augenblick geführten Gespräche ist und wir sicherlich im Sinne der Betroffenen alle gut daran tun, diese Gespräche nicht zu stören, möchte ich über die Art, wie wir uns die Motivierung denken, öffentlich nicht gern Auskunft geben.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie die Meldung bestätigen, die in diesen Tagen in der „Wirtschaftswoche" zu lesen war, daß von jeweils 100 000 Aussiedlungswilligen im Regierungsbezirk Oppeln und 100 000 Aussiedlungswilligen im Regierungsbezirk Kattowitz überhaupt nur 30 000 im Berufsleben stünden, daß aber 70 000 Polen außerhalb der Grenzen Polens arbeiteten, so daß nicht einzusehen ist, wieso es zu wirtschaftlichen Erschwernissen kommen sollte, wenn die Aussiedlungswilligen die Erlaubnis zur Aussiedlung bekämen?
Ich habe im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Problemen auf bestimmte Schlüsselbetriebe und Schlüsselindustrien sowie auf bestimmte technisch besonders qualifizierte Berufe hingewiesen. Was den Zahlenvergleich von Aussiedlungsbewerbern überhaupt mit solchen, die im Wirtschaftsleben stehen, betrifft, so kann ich das im Moment nicht nachprüfen. Ich muß Ihnen aber sagen, Herr Abgeordneter, daß nicht etwa nur die Bundesregierung diese Motive der polnischen Seite zur Kenntnis genommen hat, sondern daß z. B. auch Ihr Kollege Dr. Schröder nach seinem Besuch in Polen vor der Bundespressekonferenz diese Frage erörtert hat. Ich glaube, ich brauche das nicht im einzelnen zu zitieren. Das ist also nicht eine Ansicht, die nur von einer Seite vertreten wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, von denen Sie soeben gesprochen haben, für die Bundesregierung bereits im Herbst 1970 bei den Verhandlungen über den Warschauer Vertrag vorhersehbar und erkennbar Waren, und warum sind diese Schwierigkeiten nicht schon bei den damaligen Verhandlungen mit der polnischen Seite ausgeräumt worden?
Herr Abgeordneter, diejenigen, die in der betreffenden Sitzung des Auswärtigen Ausschusses anwesend waren, wissen sehr genau, und zwar nicht zuletzt auf Grund des Vortrags
eines Vertreters des Roten Kreuzes, wie unterschiedlich die Zahlenvoraussetzungen und Erwartungen auf beiden Seiten damals gewesen sind. Da diejenigen, die die Regierungsgewalt dort ausüben, Zahlen natürlich mit größerem Nachdruck vortragen können als diejenigen, die auf Vermutungen angewiesen sind, stand dieser Ausgangspunkt, der auch zu wirtschaftlichen Konsequenzen geführt hat, damals sicherlich nicht im Mittelpunkt der Erörterungen.
Die Frage 145 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 146 des Abgeordneten Schäfer ({1}). Ist Herr Schäfer im Saal? Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 147 des Abgeordneten Dr. Probst! - Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 148 und 149 der Abgeordneten Frau von Bothmer sind von der Fragestellerin zurückgezogen worden.
Wir kommen zur Frage 150 des Abgeordneten Dr. Sperling:
Hat die Bundesregierung Kenntnis genommen von dem Brief der afrikanischen Kirchen an die Kirchen in Europa und Amerika, der anläßlich des Treffens des Generalkomitees der All Africa Conference of Churches vorn 3. bis 12. April 1973 in Tananarive an diese Kirchen gerichtet wurde, und haben sich die beiden Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland wegen dieses Briefs oder der darin angesprochenen Beunruhigung über bestimmte Entwicklungen innerhalb der NATO, das südliche Afrika betreffend, an die Bundesregierung gewandt, und wenn ja, wie hat die Bundesregierung darauf reagiert?
Herr Abgeordneter, der Brief der afrikanischen Kirchen an die Kirchen in Europa und Amerika, der anläßlich des Treffens des Generalkomitees der All Africa Conference of Churches vom 3. bis 12. April 1973 in Tananarive an diese Kirchen gerichtet worden war, ist der Bundesregierung bisher nicht nahegebracht worden. Keine der beiden Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland hat sich wegen des Briefes oder seines Inhalts an die Bundesregierung gewandt.
Herr Präsident, ich darf vielleicht die zweite Frage gleich mitbeantworten, da sie im Zusammenhang mit der ersten steht.
Dann rufe ich noch die Frage 151 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in dem Brief der afrikanischen Kirchen geäußerten Befürchtungen hinsichtlich des Engagements von Mitgliedstaaten der NATO im südlichen Afrika?
Da die Bundesregierung mit dem Brief bisher nicht befaßt worden ist, kann sie zu den darin geäußerten Befürchtungen nicht Stellung nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für verwunderlich, daß sich „christlich" nennende Kräfte um die Briefe ihrer Glaubensbrüder, die von tiefen Sorgen zeugen, so wenig bemüht haben, daß die Bundesregierung davon bisher keine Kenntnis hatte?
Herr Abgeordneter, ich will das überhaupt nicht bewerten. Eine Rückfrage bei Auslandsvertretungen hat ergeben, daß in anderen Ländern offensichtlich der gleiche Zustand besteht. Das legt die Frage nahe, ob es sich tatsächlich um einen Brief oder nicht vielmehr um irgendeinen Aufruf gehandelt hat.
Herr Staatssekretär, nachdem Ihnen dieser Brief durch meine Frage bekanntgeworden ist, darf ich auf einen Brief von Ihnen hoffen, der das in dem Brief der afrikanischen Kirchen angeschnittene Problem behandelt? Denn unabhängig davon, ob dieser Brief der Bundesregierung durch die Kirchen bekanntgeworden ist, scheint mir das darin angeschnittene Problem einer möglichen Konfrontation zwischen Ost und West im südlichen Afrika von erheblicher Bedeutung zu sein.
Herr Abgeordneter, ich möchte dringend davon abraten, den Eindruck zu erwecken, als ob sich die Bundesregierung verpflichtet fühlte, zu Fragen Stellung zu nehmen, die irgendwo in der Welt an irgendeine Adresse gerichtet worden sind. Die Politik der Bundesregierung allerdings kann ich Ihnen, wenn Sie danach fragen, in diesem Zusammenhang sehr genau erläutern. Ich darf hier auf die Erläuterungen, die ich, glaube ich, in der vorletzten Fragestunde dazu gegeben habe, verweisen. Ich bin gerne bereit, das noch einmal schriftlich darzustellen. Aber Sie werden bitte Verständnis dafür haben müssen, daß es nicht zu den Aufgaben einer Regierung gehören kann, Fragen, die irgend jemand in der Welt irgend jemandem stellt, zu beantworten. Die Bundesregierung wird nur Fragen beantworten, die ihr von amtlichen Stellen gestellt worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung, wenn sich die deutschen Kirchen an sie wendeten und die Fragestellung der afrikanischen Glaubensbrüder aufgriffen, den deutschen Kirchen eine Antwort geben würde?
Da können Sie ganz sicher sein, daß wir das tun werden. Wir haben auch eine Meinung. Aber es ist nicht notwendig, daß man alles, was man an Meinung hat, auch veröffentlicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wäre dies auch der Fall, falls sich hier im Parlament „christlich" nennende Kräfte mit diesem Brief identifizieren und die entsprechende Frage stellten?
Selbstverständlich.
({0})
Die Frage ist ja nur, ob die Antwort jemanden befriedigt. Es ist wie bei Gerichten. Sie bekommen ein Urteil. Ob Sie zufrieden sind, ob Sie Recht bekommen haben, ist die Frage.
({1})
Herr Abgeordneter Sperling, Sie haben die Antwort der Bundesregierung nicht zu qualifizieren.
Herr Abgeordneter Dr. Mertes!
Herr Staatssekretär, wie würde sich - parallel zu dem vom Kollegen Sperling genannten Fall - die Bundesregierung verhalten, wenn von christlichen Kirchen wegen der Unterdrückung und des Unrechts in allen Teilen der Welt konkrete Forderungen an die Bundesregierung gerichtet würden?
Genau so, wie ich das eben hier geschildert habe, nämlich im Sinne der Interessen der 'Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes behandelt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, Sie haben sich sehr lange zur Verfügung stellen müssen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Staatssekretär Eicher steht zur Verfügung.
Ich rufe Frage 41 des Herrn Abgeordneten Dr. Götz auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 42 ist zurückgezogen.
Zu den Fragen 43 und 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Nölling bittet der Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Desgleichen bittet der Fragesteller der Fragen 45 und 46, Herr Abgeordneter Pfeffermann, um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 47 und 48 sind zurückgezogen.
Bezüglich der Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Lampersbach wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich umsonst hereinbemüht; ich bitte um Verständnis.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan steht zur Verfügung.
Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Zuge allgemeiner Kostensteigerungen der Verpflegungssatz von 3,30 DM für die Truppe zu niedrig ist, um die Qualität des Essens aufrechtzuerhalten?
Herr Kollege Wörner, Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich gern die beiden Fragen gemeinsam beantworten.
Jawohl. Dann rufe ich auch Frage 52 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Verpflegungssätze entsprechend anzuheben?
Es ist der Bundesregierung bekannt, daß es auf Grund der Preissituation auf dem Lebensmittelmarkt seit einiger Zeit in vielen Standorten nicht mehr möglich ist, mit dem derzeitigen Verpflegungsgeld von 3,30 DM pro Tag und Kopf eine nach Qualität und Quantität voll ausreichende Truppenverpflegung zu beschaffen.
({0})
Mit Wirkung vom 1. Januar 1974, also zu Beginn des neuen Haushaltsjahres, beabsichtigt die Bundesregierung daher, das Verpflegungsgeld auf 3,60 DM pro Tag zu erhöhen. Ich darf jedoch darauf hinweisen, Herr Kollege Dr. Wörner, daß die Qualität des Essens bis zu dieser Erhöhung und auch später in besonders teuren Standorten durch ein bestimmtes Ausgleichsverfahren aufrechterhalten wird. Nach diesem Verfahren dürfen die Standortverwaltungen, die für die Beschaffung der Verpflegung zuständig sind, bei der monatlichen Verpflegungsplanung von demjenigen Betrag ausgehen, den sie auf Grund der Preissituation auf dem örtlichen Lebensmittelmarkt für die Verpflegung bezahlen müssen. Die dadurch entstehenden Mehrausgaben werden auf den Haushalt übernommen.
Eine Zusatzfrage?
Ist die Bundesregierung bereit, draußen in der Truppe noch einmal auf diese Möglichkeit hinzuweisen?
Herr Kollege Dr. Wörner, die Bundesregierung ist natürlich dazu bereit. Aber ich
muß Ihnen hier sagen, daß wir unsere Beamten, die dafür zuständig sind, so ausgebildet und geschult haben und sie auch so in einem Informationsstand halten, daß ich davon ausgehe, daß es den Beamten bekannt ist. Sollte Ihnen ein Fall bekannt sein, wo die Qualität oder vielleicht die Jugendlichkeit des Beamten es mit sich gebracht hat, daß ihm dieser Zustand unbekannt ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es mich wissen ließen. Ich würde ihn dann auf seine Pflichten hinweisen.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, Sie nannten den Betrag von 3,80 DM.
3,60 DM!
3,60 DM, Entschuldigung. Können Sie mir sagen, ob die Berechnung dieses Betrages auf die genaue Kalkulation der gestiegenen Aufwendungen zurückzuführen ist?
Ja. Das Hintergrundmaterial liegt vor. Ich kann also wirklich mit Ja antworten.
Keine Zusatzfrage.
Der Fragesteller der Frage 53, Herr Abgeordneter Urbaniak, bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 54 des Herrn Abgeordneten Möhring! - Ist der Herr Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht ,der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls Frage 55. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls Frage 57. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 58 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Wie ist das Zitat des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministeriums, Berkhan, zu verstehen, „Handel mit Rüstungsgütern im weitesten Sinn entspricht nicht dem Willen der Bundesregierung" ({0}), das sich auf den Verkauf von Bundeswehrhubschraubern weit unter ihrem Wert bezieht?
Herr Kollege, das von Ihnen erwähnte Zitat ist vor folgendem Hintergrund zu sehen. Ich habe in einer Vorlage an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zum Verkauf von Bundeswehrhubschraubern des Typs H-34 G zum Ausdruck gebracht, daß eine weitaus bessere „Marktsituation" mit der Möglichkeit, höhere Verkaufserlöse zu erzielen, dann allerdings gegeben
wäre, wenn ausgesonderte Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter entsprechend weltweiter Nachfrage frei geliefert werden könnten. Darüber hinaus habe ich in diesem Schreiben erklärt, daß - und nun folgt das erwähnte Zitat - „ein solch expansiver Handel mit Rüstungsgütern im weitesten Sinne jedoch nicht dem Willen der Bundesregierung entspricht".
Ich darf hierzu bemerken, daß die Bundesregierung in den von ihr beschlossenen „politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" scharfe Restriktionen für den Verkauf solchen Gerätes verfügt hat. Danach soll der Export von Kriegswaffen in Länder außerhalb des Atlantischen Verteidigungsbündnisses grundsätzlich unterbleiben. Aber auch der Export sonstiger Rüstungsgüter - die H-34-Hubschrauber zählen dazu - in solche Länder ist soweit wie möglich zu beschränken.
Die Bundesregierung war sich bei der Beschlußfassung über die „Politischen Grundsätze" bewußt, daß dadurch vor allem bei der Verwertung ausgesonderter Rüstungsgüter der Bundeswehr finanzielle Einbußen auftreten würden. Solche Nachteile wurden jedoch aus gewichtigen politischen Gründen bewußt in Kauf genommen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre erwähnte Aussage, daß womöglich Verteidigungsgüter der Nation sozusagen verscherbelt werden dürfen?
Ich weiß nicht ganz genau, was „verscherbeln" ist. In meiner Vaterstadt, Herr Kollege, ist „scherbeln" tanzen. Sie meinen also, daß dort etwas unter Wert weggegeben wird. Wenn das so gemeint ist, will ich Ihre Frage folgendermaßen beantworten. Dieses ist richtig, aber notwendig. Dort, wo Sie keinen Markt haben, müssen Sie schließlich und endlich den Preis nehmen, der Ihnen geboten wird, ober Sie müssen verschrotten. Ich komme für mich zu dem Ergebnis, daß es besser ist, für eine Ware A, die ausgemustert ist, 20 000 oder 50 000 DM zu erhalten, als für die Verschrottung gar noch 10 000 oder 15 000 DM ausgeben zu müssen, selbst wenn ich subjektiv der Auffassung bin, daß der Wert die 20 000 oder 50 000 DM bei weitem überschreitet.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, vielleicht kurz über was, was Sie eben gesagt haben, hinaus etwas über die Wirtschaftlichkeitserwägungen in diesem Bereich zu sagen, die die Bundesregierung als Maßstab ansieht?
Das ist sehr schwer und für
mich kaum zu beantworten. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß ausgesonderte Rüstungsgüter einer besonderen Gesellschaft zur Verwertung überwiesen werden. Diejenigen Güter, die auf dem freien Markt verkauft werden können, werden auf dem freien Markt angeboten und zum Höchstgebot verkauft. Diejenigen Güter, die nicht auf dem freien Markt angeboten werden, werden eingeschränkt ausgeschrieben. Dann kommt es darauf an, ob man in dieser eingeschränkten Ausschreibung überhaupt einen Interessenten findet. Für diesen Hubschrauber, Herr Kollege Reiser, der keine zivile Zulassung hatte, der abgeflogen war, bei dem es eines enormen Betrages bedurft hätte, um ihn in den technischen Stand für eine zivile Zulassung zu setzen, hat es auf dem Markt keine Interessenten gegeben. Das ist das Problem.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Walkhoff auf:
Trifft es zu, daß die Wehrbereichsverwaltung III Strafantrag wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz aus dem Jahr 1935 gestellt hat und daß infolgedessen Kriegsdienstverweigerer in den letzten Wochen im Bereich des Oberlandesgerichts Hamm von der Politischen Polizei ({0}) verhört worden sind?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Walkhoff! Herr Kollege Hansen! Die Fragen 59, 60 und 61 stehen in einem derartigen Zusammenhang, daß ich bitte, die Fragen hintereinander beantworten zu dürfen. Das schmälert ja nicht Ihre Rechte.
Herr Kollege Hansen, sind Sie einverstanden?
Frau Präsidentin, unter der Voraussetzung, daß unser Zusatzfragerecht nicht eingeschränkt wird.
Aber selbstverständlich nicht! Sie erhalten vier Zusatzfragen. Dann rufe ich auch die Fragen 60 und 61 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Trifft es zu, daß Bundeswehrbehörden Staatsanwaltschaften veranlaßt haben, Ermittlungen gegen Wehrdienstverweigerer einzuleiten wegen des Verdachts der unzulässigen Rechtsbelehrung und unter Berufung auf das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz aus dem Jahr 1935?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß diese Maßnahmen geeignet sind, ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt anzutasten, und wird sie gegebenenfalls auf sofortige Einstellung hinwirken?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Walkhoff! Herr Kollege Hansen! Auf Grund von Flugblättern, Anzeigen in Zeitungen und Angaben in einem Handbuch für Kriegsdienstverweigerer - darunter: „Deutsche Volkszeitung", Flugschrift der Deutschen Friedensgesellschaft - Internationale der Kriegsdienstgegner - sind dem Wehrbereichskommando III in Düsseldorf im Jahre 1972 Namen und Anschriften von Personen bekanntgeworden, die ihre Beratung für Kriegsdienstverweigerer angeboten haben. Da der Verdacht gegeben war, daß diese Berater gegen das Rechtsberatungsgesetz verstießen, hat das Wehrbereichskommando III am 11. Dezember 1972 in 88 bekanntgewordenen Fällen bei den zuständigen Landgerichtspräsidenten als Genehmigungsbehörden angefragt, ob die als Berater bezeichneten Personen eine Erlaubnis zur Rechtsberatung besäßen. Da in allen Fällen eine Erlaubnis nicht vorlag, hat das Wehrbereichskommando III bei 18 Staatsanwaltschaften diese Personen angezeigt und um Prüfung gebeten, ob ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz vorliege.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Walkhoff, weise ich darauf hin, daß der Verlauf von Ermittlungsverfahren, die Einschaltung von Polizeibehörden und die Beteiligung bestimmter Kommissariate der Polizei außerhalb der Einflußmöglichkeit des Bundesministers der Verteidigung liegen. Sie sind vielmehr Angelegenheiten der Länder.
Für den Kollegen Hansen möchte ich folgende Ausführungen machen. Wie ich schon sagte, Herr Kollege Hansen, trifft es zu, daß durch Stellen der Bundeswehr Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts mißbräuchlicher Rechtsberatung veranlaßt worden sind. Mir ist jedoch nicht bekannt, ob und in welchen Fällen es sich bei den jeweiligen Beschuldigten um Wehrdienstverweigerer handelt. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Hansen, darf ich darauf hinweisen, daß eine Belehrung über allgemeine Rechtsgebiete noch nicht den Tatbestand der mißbräuchlichen Rechtsberatung erfüllt, sondern es muß die Beratung in fremden Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig besorgt werden.
Zu Ihrer nächsten Frage, Herr Kollege Hansen. Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen mißbräuchlicher Rechtsberatung geeignet sein kann, das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu beeinträchtigen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Walkhoff .
Walkhoff ({0}) Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung der Auffassung des Wehrbereichskommandos zu, man könne unter Berufung auf das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz aus dem Jahre 1935, das nicht mehr und nicht weniger als ein Standesgesetz mit ursprünglich antisemitischer Zielrichtung ist, das Einpauken von Gewissensgründen in repetitorienähnlichen Veranstaltungen - so heißt es dort - verhindern, obwohl - sicherlich wissen das auch Sie - sich dieses Gesetz mit der Art und Weise der Rechtsberatung überhaupt nicht beschäftigt?
Herr Kollege Walkhoff, ich will zu den Unterstellungen, die Ihre Frage beinhaltet, soviel sagen, daß es richtig ist, daß das Ge3388
setz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung vom 13. Dezember 1935 ist. Ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß der Deutsche Bundestag im Jahre 1968 die Straftatbestände in diesem Gesetz zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft hat. Damit hat der Deutsche Bundestag indirekt zu erkennen gegeben, daß dieses Gesetz im Jahre 1968 ein brauchbares Gesetz war. Daher würde die Unterstellung, daß es sich um ein Gesetz ausdrücklich zum Zwecke der Unterstützung antisemitischer Tendenzen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht zutreffen.
Nun zu dem Inhalt Ihrer Frage. Auch ich bin darüber besorgt, wenn ich höre, daß in einer Art Repetitorium junge Männer darauf vorbereitet werden, ihr Gewissen zu offenbaren, weil ich subjektiv der Auffassung bin, daß das Gewissen eine so personale Sache ist, daß es nicht organisiert werden kann, sondern von jedem einzelnen Menschen als Person selber empfunden und selber verantwortet werden muß.
({0})
Vor welchen Instanzen das geschieht, ob es sich dabei also um religiöse Werte, um Kirchen- und Glaubensfragen handelt oder um eine philosophische Betrachtung der Lebensgrundlagen, bleibt bei meiner Aussage unbewertet. Dies muß nach meiner Auffassung der Person selbst überlassen bleiben. Daher kann ich die Sorge der Beamten im Wehrbereichskommando III verstehen. Ob diese Sorge berechtigt ist und ob diese Veranstaltungen repetitorienähnlichen Charakter haben, bleibt abzuwarten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Walkhoff.
Ich will nicht die Frage noch einmal aufgreifen, ob das von dem genannten Gesetz auch wirklich abgedeckt wird, sondern Sie fragen: Stimmt die Bundesregierung mit mir in der Befürchtung überein, daß künftig auch andere Verbände, Kirchen und Gewerkschaften bzw. deren Mitglieder, die in wichtigen gesellschaftlichen Fragen, seien es nun Lehrlingsfragen oder Rentenprobleme oder auch die Frage der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes, den Bürger beraten, von Bundesbehörden wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz angezeigt werden könnten und somit mit einem Eingreifen der Politischen Polizei zu rechnen hätten?
Herr Kollege Walkhoff, ich würde Sie bitten, sich mit einem Sachverständigen Ihrer Fraktion über diese Frage zu unterhalten. Das Recht wird ja nicht eingeschränkt, sondern man kann bei der zuständigen Behörde die Berechtigung zur Rechtsberatung beantragen. Wenn man die notwendigen Voraussetzungen dafür erfüllt, wird diese Zustimmung auch gegeben, auch an Personen, die kein - erstes oder zweites - juristisches Staatsexamen abgelegt haben. Daher ist diese Frage, die Sie hier an mich richten, nicht relevant. Es kommt darauf an,
daß die Beratung in der Form vorgenommen wird, die das Gesetz, welches diesen komplizierten Namen hat, den wir hier zitiert haben, vorschreibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, angesichts der Berufung auf ein Gesetz, das im Jahre 1935 von der Reichsregierung, und zwar mit einer - trotz Ihrer Belehrung von vorhin - meiner Ansicht nach durchaus zwielichtigen Absicht beschlossen und verkündet wurde, und angesichts der Einschaltung der Politischen Polizei muß ich Sie doch fragen, ob Sie Beobachter zumindest verstehen können, die diese Vorgänge als eine von der Bundeswehr ausgelöste Aktion mit eindeutig politischer Zielrichtung betrachten.
Herr Kollege Hansen, wenn es so geklungen haben sollte, daß ich Sie oder gar den Kollegen Walkhoff belehrt hätte, dann bitte ich sehr um Entschuldigung. Ich habe hier nur Auskunft auf Fragen gegeben, und ich stehe nicht unter dem Eindruck, daß diese Auskunft belehrenden Charakter hatte.
Es kommt bei dem zweiten Teil Ihrer Frage für mich darauf an, daß Sie jetzt fragen: Wer hat denn die Staatsanwaltschaft unterstützt? Dies ist doch eine Sache, die nicht die Bundesregierung angeht. Ich finde, da findet die Fragestunde im falschen Saal statt; die muß im Landtag des zuständigen Landes abgehalten werden. Ich bin weder der Vorgesetzte der Staatsanwälte, noch bin ich in der Lage, entscheiden zu können, wer denn zweckmäßigerweise für die Staatsanwaltschaften die Ermittlungen führt.
Auf den dritten Teil Ihrer Zusatzfrage muß ich Ihnen ganz klar mit Nein antworten. Die Beamten sind, soweit mir bei der Befassung mit dieser Frage bekanntgeworden ist, im Rahmen einer Mittelbehörde, die dazu die Zuständigkeit hat - dafür ist das nach unten delegiert worden -, pflichtgemäß im Rahmen ihres Ermessensspielraums tätig geworden.
Herr Kollege Hansen.
Herr Staatssekretär, da Sie aber doch zumindest die Aufsicht über die Wehrbereichsverwaltung III, wenn ich nicht ganz falsch informiert bin, nicht leugnen können, glaube ich, Sie in bezug auf den zweiten Teil Ihrer ersten Antwort doch fragen zu können, ob ich Sie richtig verstanden habe, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß es sich bei der Aufklärungsaktion der Wehrdienstverweigerungsverbände nicht um einen Rechtsberatungsmißbrauch handelt, da Sie indirekt wohl auf das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 25. Januar 1971 abgehoben haben, wonach - ich zitiere wörtlich - die bloß allgemeine Darstellung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung keine unzulässige
Rechtsberatung darstellt, ¡nag auch dieser oder jener Zuhörer rechtliche Schlußfolgerungen gezogen haben.
Herr Kollege Hansen, ich kenne das Urteil nicht. Es handelt sich aber in dem Fall, den Sie schildern, so wie Sie ihn schildern, nicht um eine Rechtsberatung, sondern um eine rechtliche Belehrung. Diese rechtliche Belehrung fällt nicht unter das Gesetz zum Mißbrauch der Rechtsberatung. Daher ist sie zulässig.
Zum ersten Teil Ihrer Zusatzfrage muß ich sagen: Es handelt sich nicht um die Wehrbereichsverwaltung, es handelt sich um das Wehrbereichskommando; eine mittlere militärische Behörde, währenddessen die Wehrbereichsverwaltung eine zivile Behörde ist. Zwar ist der Bundesminister der Verteidigung als Institution Vorgesetzter dieser mittleren militärischen Behörde, aber erst im zweiten Instanzenweg. Es bleibt vorher ein erster Instanzenweg übrig.
Ich gehe davon aus, daß der vorgesetzte Rechtsberater des betroffenen Rechtsberaters dann tätig geworden wäre, wenn er davon ausgegangen wäre, daß sein Mitarbeiter in unangemessener Weise von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat.
Eine dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Vereinigung der Wehrdienstverweigerer ungefähr 15 Jahre lang relativ ungestört über ein Grundrecht aufklären konnte, möchte ich Sie fragen, ob sich nicht doch für den außenstehenden Beobachter der Verdacht ergeben mull, daß hier ein Zusammenhang, nämlich zwischen dieser Aktion und dem Anstieg der Zahl der Wehrdienstverweigerer, besteht.
Herr Kollege Hansen, Verdachte sind Vermutungen, die sich in Ihrem Gehirn und Ihrem Gemüt abspielen. Ich kann nichts dazu sagen.
Sie können verdächtigen, wen Sie wollen. Nur, wenn Sie Verdachte aussprechen, müssen Sie sich gefallen lassen, daß diejenigen, die verdächtigt werden, darauf reagieren. Ich bitte Sie als Abgeordneter, daß Sie, wenn es sich herausstellt, daß dieser Verdacht unberechtigt war, das dann genauso laut zu erkennen geben, wie hier der Verdacht ausgesprochen wurde.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, treten Sie denn grundsätzlich meiner Auffassung bei, daß ein Grundrecht in seiner Qualität prinzipiell nicht in Zweifel gezogen werden kann, nur weil es quantitativ stärker als bisher in Anspruch genommen wird - um damit zumindest der Einstellung einiger
CDU-Kollegen zu begegnen, die Wehrdienstverweigerer ganz offensichtlich für Menschen zweiter Klasse halten?
({0})
Herr Kollege, ich lasse die Frage nicht zu. Sie wissen genau, daß Bewertungen in einer Frage nicht zulässig sind. Ich bin schon sehr tolerant gewesen. Aber diese Frage wird nicht beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, daß eine Freistellung vom Wehrdienst doch nur bei solchen Wehrpflichtigen in Frage kommen kann, bei denen echte Gewissensgründe zugrunde liegen - zu meinem Vorredner möchte ich sagen: es ist selbstverständlich, daß wir das Grundgesetz auch auf diesem Gebiet achten -, aber nicht in Fällen, wo organisiert der Versuch unternommen wird, sich der allgemeinen Wehrpflicht zu entziehen, wie das z. B. die große Zahl von Anträgen von Studenten erkennen läßt?
Herr Kollege Josten, was zu erkennen ist, ist nicht allemal zu beweisen. Für ein Ministerium kann in Rechtsverfahren nur das interessant sein, was vor einem Gericht beweiskräftig ausgelegt werden kann.
Ansonsten möchte ich gerne sagen, daß wir alle in der Auslegung der Grundrechte einig sind. Im Grunde genommen haben wir im Verteidigungsausschuß in dieser Woche dazu übereinstimmend erklärt, wir alle seien erfreut, daß sich die Bürger unseres Staates mehr der Grundrechte bewußt würden und mehr ihre Grundrechte in Anspruch nähmen. Dazu gehört natürlich auch das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung.
Herr Kollege Josten, eine letzte Bemerkung. Ich gehe davon aus, daß Gewissensentscheidungen immer echt sind. Dort, wo sie nicht echt sind, können es ja keine Entscheidungen des Gewissens sein. Dabei, Herr Kollege Josten, haben wir aber die Pflicht, das irrende Gewissen zu respektieren.
Die Zeit ist schon lange überschritten. Ich lasse noch vier Fragen von Abgeordneten zu, die sich inzwischen gemeldet haben.
Bitte, Herr Abgeordneter Hölscher.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht doch der Meinung, daß es legitim und auch notwendig ist, daß die Verbände den Versuch machen, Antragsteller auf Kriegsdienstverweigerung wenigstens in die Lage zu versetzen, ihre Gewissensnot artikulieren zu können?
({0})
Denn es ist doch wohl unbestritten, daß in den Prüfungsverfahren im wesentlichen diejenigen die größte Chance haben, anerkannt zu werden, die entweder rhetorisch besonders begabt sind oder besondere Fähigkeiten schauspielerischer Art haben. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es sicher politisch am besten wäre, dieses unzulängliche Prüfungsverfahren gänzlich abzuschaffen?
({1})
Herr Kollege Hölscher, dies ist ein Bündel von Fragen. Bei einem Teil Ihrer Fragen bin ich mit Ihnen einer Meinung, insbesondere darin, daß, wie Sie in Ihrer Frage sagten, diejenigen Vorteile haben, die rhetorisch gewandt und schauspielerisch begabt sind. Nur, einheitlich ist ,diese Meinung bei uns nicht; ich habe im Verteidigungsausschuß andere Meinungen zu dieser Frage gehört.
Ich habe indirekt zum Ausdruck gebracht, daß ich weder etwas dagegen habe noch es für rechtswidrig halte, wenn Belehrungen stattfinden über Grundrechte schlechthin, auch über dieses Grundrecht. Diese Belehrungen können natürlich auch durch Verbände oder andere Organisationen vorgenommen werden.
Zum letzten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Hölscher, muß ich Ihnen allerdings sagen, daß die Bundesregierung im Grundgesetz auch verpflichtet wird, Streitkräfte zur Verteidigung unserer äußeren Sicherheit aufzustellen. Diesem Auftrag muß die Bundesregierung nachkommen können. Wenn es sich nun zeigt, daß es einen bequemen Ausweg gibt, der Pflicht zum Wehrdienst zu entgehen, dann, so meine ich, muß dieser bequeme Ausweg so lange mit einer Barriere verlegt werden, bis Gewißheit gegeben ist, daß in beiden Fällen gleiche Chancen bestehen, zum Dienst herangezogen zu werden oder am Dienst vorbeizukommen.
Sie werden mir gestatten, mich insoweit hier zu beschränken. Ich stehe Ihnen selbstverständlich, sofern Sie es wünschen, in einer persönlichen Diskussion zur Verfügung, aber ich möchte die Fragestunde jetzt nicht über Gebühr ausdehnen und mir einen Ordnungsruf der Präsidentin zuziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reiser.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber erteilen, ob in den Regionen anderer Wehrbereichskommandos ähnliche Ermittlungen vorgenommen werden oder beabsichtigt sind?
Wenn ich richtig informiert bin, Herr Kollege Reiser, ist Anfang des Jahres ein ähnliches Verfahren im Wehrbereich Hannover vorgekommen. Da hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt. Es kann sein, daß es noch mehr Verfahren gibt; ich weiß es nicht, Herr Kollege Reiser.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wörner.
Ist die Bundesregierung bereit, sicherzustellen, daß auch künftig in all den Fällen, in denen der Verdacht einer Verletzung dieses Gesetzes besteht, die Wehrbereichsverwaltungen ihrer Pflicht folgen und Anzeige erstatten können?
Herr Kollege Wörner, Sie sind juristisch gebildeter als ich, weil Sie auf diesem Felde promoviert haben. Sie wissen, daß jeder Bürger Anzeige erstatten kann. Auch Sie können anzeigen. Die Beamten sind verpflichtet, darauf zu achten, daß in ihrem Bereich alles nach Recht und Gesetz geht. Die Bundesregierung kann sich nicht vorstellen, daß in ihrem Dienstbereich Beamte tätig sind, die Recht und Gesetz verletzen.
Die letzte Frage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Herrn Kollegen Walkhoff darauf hinzuweisen, daß es in der Bundesrepublik zur Ermittlung von strafbaren Handlungen die normalen Behörden der Landes- und der Gemeindepolizei gibt, nicht dagegen, wie es in dieser Frage zum Ausdruck kam, eine besondere politische Polizei?
Herr Kollege Jäger, ich habe nur gesagt, daß die Bundesregierung keinen Einfluß darauf hat, welche Helfer sich die Staatsanwaltschaft in diesem oder jenem Land nimmt, weil dafür die örtlichen Behörden die Zuständigkeit haben.
Ich gehe davon aus, daß im Lande NordrheinWestfalen geordnete Rechtsverhältnisse und geordnete Verfahrensverhältnisse herrschen und daß mit Ermittlungen nur Beamte betraut worden sind, die dafür zuständig sind.
Meine Damen und Herren, die Fragen A 71, 72, 76 und 94 sind von den Fragestellern zurückgezogen. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.
Die nichterledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich berufe das Haus auf Dienstag, 23. Oktober 1973, 11 Uhr zur Einbringung des Haushalts ein.
Die Sitzung ist geschlossen.