Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Drucksache 7/658 Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses ({0}) - Drucksache 7/1093 Berichterstatter: Abgeordneter Kahn-Ackermann ({1})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der
Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1973
({2})
- Drucksache 7/479 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) - Drucksache 7/1070 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs Abgeordneter Suck
({4})
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Ändeung des Wasserhaushaltsgesetzes
- Drucksache 7/1088 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({5})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 9. Oktober 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. de With, Dürr, von Schoeler, Kleinert und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Auswirkung der Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts über den Ersatz kurzer Freiheitsstrafen durch andere Strafen und Maßregeln - Drucksache 7/864 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1089 verteilt.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die Freude, auf der Diplomatentribüne Seine Exzellenz ,den Herrn Präsidenten der Bulgarischen Volksversammlung, Herrn Dr. Vladimir Bonev, unid eine Delegation der Bulgarischen Volksversammlung herzlich zu begrüßen.
({6})
Wir freuen uns sehr, daß Sie die Bundesrepublik
Deutschland und den Deutschen Bundestag besuchen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu idem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte
- Drucksache 7/660 Antrag des Rechtsausschusses ({7}) - Drucksache 7/1092 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wittmann ({8})
Abgeordnete Frau Däubler-Gmelin ({9})
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Bitte, Herr Dr. Wittmann!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 7. Juni 1973 den Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen in erster Lesung beraten und an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den Innenausschuß und den Auswärtigen Ausschuß - mitberatend - überwiesen. Die beiden mitberatenden Ausschüsse haben empfohlen, ,den Gesetzentwurf anzunehmen.
Der Rechtsausschuß hat den Gesetzentwurf in zwei Sitzungen, nämlich am 3. und am 17. Oktober, beraten. Seinen Beratungen konnte er eine sehr sorgfältige Denkschrift der Bundesregierung zugrunde legen, die insbesondere aufzeigt, inwieweit die Menschenrechte bei uns in der Bundesrepublik durch idas Grundgesetz unid andere Gesetze verwirklicht sind. Sie zeigt ebenfalls auf, wieweit die Menschenrechte durch die für die Bundesrepublik und viele andere Staaten in Europa bereits in Kraft befindliche Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützt sind.
Die Vorarbeiten der Vereinten Nationen für diesen Pakt, für diese neue Rechtsetzung im Bereich der Menschenrechte, laufen seit idem Jahre 1946. Am 10. Dezember des Jahres 1948 hatten wir mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein Zwischenstadium erreicht. Diese Erklärung ist zwar nicht bindendes Völkerrecht geworden; wohl aber ist sie eine Deklaration von hohem programmatischen und
Dr. Wittmann ({0})
moralischen Wert. 20 Jahre dauerte es dann, bis die Konventionen am 19. Dezember 1966 zur Zeichnung aufgelegt werden konnten. Die Bundesregierung hat am 9. Oktober 1968 die Menschenrechtskonvention über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet. Der Pakt tritt in Kraft, wenn ihn 35 Staaten unterzeichnet haben. Diese Unterzeichnungen sind noch nicht erreicht, so daß ein Inkrafttreten im Moment nicht ersichtlich ist.
Der Pakt schützt vor allem die Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthalten sind. In Teil I wird - eigentlich etwas sachfremd, aber doch sehr bedeutsam für die weitere Entwicklung in unserer Welt - allen Völkern das Recht auf Selbstbestimmung gewährt. Dieses Recht ist übrigens auch in dem Sozialpakt, ,der anschließend zur Beratung ansteht, niedergelegt.
In Teil II verpflichten sich die Staaten, den Menschenrechten Wirksamkeit zu verschaffen und wirksame Beschwerdemöglichkeiten gegen deren Verletzung im innerstaatlichen Bereich vorzusehen. Auch wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau geregelt. In diesem Teil werden des weiteren Regelungen getroffen, daß diese Menschenrechte im Falle eines Notstandes ohne Diskriminierung eventuell eingeschränkt werden können. Der Pakt enthält auch die sehr wichtige Bestimmung, daß diese Menschenrechte nicht dazu mißbraucht werden dürfen, um letzten Endes die Rechte, die in diesem Pakt gewährt werden, aufzuheben.
In Teil III dieses Paktes werden dann einzelne Menschenrechte gesichert, so .das Recht auf Leben, auf persönliche Freiheit und Sicherheit, auf ein ungestörtes Privatleben. Es werden die Gewissens-, Gedanken-, Religions- und Meinungsfreiheit sowie das Recht der Versammlungs- und Koalitionsfreiheit gewährleistet. Auch Ehe und Familie sowie die Rechte des Kindes sollen den besonderen Schutz der Gesellschaft genießen. Im gleichen Abschnitt werden sodann Folter, grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung sowie Sklaverei und Schuldhaft verboten. Ausführliche Bestimmungen regeln die Rechte derjenigen, die in ein Gerichtsverfahren verwickelt oder in Strafhaft genommen sind. In Art. 12 wird schließlich auch das für uns sehr bedeutsame Recht der Freizügigkeit geregelt. In der gleichen Bestimmung ist auch festgelegt, daß es jedermann freisteht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen. Niemandem darf auch willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Daß diese Bestimmung - das wurde auch im Rechtsausschuß diskutiert - für unser Land von besonderer Bedeutung ist, bedarf keiner Unterstreichung.
Der Pakt enthält ferner Regelungen über staatsbürgerliche Rechte, nämlich daß jeder Staatsbürger das Recht haben muß, an echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen teilzunehmen und seinen Wählerwillen frei auszudrücken. Der Pakt enthält ferner einen Ansatzpunkt für Minderheitenrechte, allerdings nur in der Form, daß den einzelnen Angehörigen einer Minderheit
diese Rechte eingeräumt werden, nicht jedoch den Minderheiten als solche.
In Art. 20 des Paktes wird ein gesetzliches Verbot der Kriegspropaganda sowie jeden Eintretens für nationalen, rassischen und religiösen Haß gefordert. Das Verbot der Kriegspropaganda in dieser allgemeinen Form ist auf Betreiben der Ostblockstaaten gegen den Widerstand eines Teiles der westlichen Welt, der sich an der sehr unpräzisen Fassung dieser Formulierung gestoßen hat, aufgenommen worden. Zwei bedeutsame Bestimmungen fehlen im Gegensatz zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nämlich das Asylrecht und das Recht auf Eigentum.
Meine Damen und Herren, der Pakt bringt für die Bundesrepublik keine neuen Verpflichtungen. Der Wesensgehalt der in diesem Pakt normierten Rechte ist im Grundgesetz und in anderen Gesetzen enthalten. Im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention - so wurde im Ausschuß festgestellt - bringt der Pakt einige neue Rechte und bleibt in einigen Punkten hinter dieser Konvention zurück, so ,daß man davon sprechen kann, daß die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte zwei sich schneidende Kreise sind.
Der Hauptunterschied der beiden Konventionen liegt darin, daß die Kontrolle der Verwirklichung der Menschenrechte und ihrer praktischen Befolgung sehr unterschiedlich geregelt sind. Nach Art. 40 des UN-Pakts ist lediglich dem in dem Pakt errichteten Ausschuß für Menschenrechte über die Verwirklichung der Menschenrechte zu berichten. Darüber hinaus kann jeder Vertragsstaat jederzeit erklären, daß er 'die Zuständigkeit dieses Menschenrechtsausschusses zur Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden von Vertragsstaaten anerkennt, allerdings unter der Voraussetzung, daß auch der andere Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Die Bundesregierung hat die Absicht, sich dieser Staatenbeschwerdemöglichkeit zu unterwerfen.
Allerdings fehlt in diesem Pakt eines fast völlig, nämlich die Möglichkeit, seitens der Vereinten Nationen Sanktionen auszusprechen, wenn der Ausschuß auf Grund der Beschwerden von Staaten oder sonstiger Mitteilungen zu dem Ergebnis kommt, daß Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Im Gegensatz zur Europäischen Konvention kann auf eine Staatenbeschwerde hin ein Staat nicht beschuldigt werden, daß er die Menschenrechte verletzt hat. Es ist ein reines Berichtssystem.
Wie schwierig gerade die internationale Kontrolle der Menschenrechte im Bereich der Vereinten Nationen zu regeln ist, zeigt die Tatsache, daß die Staaten nicht in der Lage waren, ein Individualbeschwerderecht, also das Recht von Einzelpersonen gegen ihren Staat, in den Pakt selbst aufzunehmen. Dieses Individualbeschwerderecht ist in einem Fakultativprotokoll geregelt, das neben dem Pakt steht und das die Staaten, wie der Name sagt, unterzeichnen können, aber nicht müssen, wenn sie dem Pakt beitreten. Auch auf Grund einer IndividuDr. Wittmann ({1})
albeschwerde kann ein Staat durch die Vereinten Nationen nicht verurteilt werden, daß er Menschenrechte verletzt hat.
In der Ausschußdiskussion spielten dann einige Grundsatzfragen eine Rolle, so die Frage, ob die Rechte, die in dem Pakt normiert sind, unmittelbar anwendbar sind, also „self-executing", wie der internationale Ausdruck heißt, sind.
Der Ausschuß kam auf Grund der Darlegungen der Bundesregierung zu der Überzeugung, daß einmal diese Frage nicht vertieft zu werden braucht, weil der Wesensgehalt aller Rechte in der Bundesrepublik verwirklicht ist, zum anderen aber der Pakt selber Bestimmungen enthält, die mehr ,darauf hindeuten, daß die Staaten eine Verpflichtung übernehmen, ihre Gesetzgebung an dem Pakt zu orientieren.
Weiter wurde im Rechtsausschuß darüber diskutiert, wieweit der Pakt Drittwirkungen entfaltet, also Wirkungen zugunsten von Menschen gegen andere Menschen, Menschengruppen, Kollektive usw. Hier wurde festgestellt, daß eine Drittwirkung gegen andere Personen nicht gegeben ist, allenfalls in der Form, daß bei eklatanter Verletzung von Menschenrechten der Staat eine gewisse Schutzpflicht hat.
Art. 1 dieses Pakts enthält das Recht auf Selbstbestimmung der Völker. Jedoch wurde im Ausschuß gleichzeitig dargetan, daß dieses Selbstbestimmungsrecht ,der Völker teilweise ideologisch als Kampfbegriff oder aber beschränkt auf die Dekolonialisierung der noch in Abhängigkeit befindlichen Völker verstanden wird.
In ,der Diskussion wurde ganz klar herausgestellt, daß nicht etwa dann, wenn Teile eines bereits bestehenden Staatsvolkes, einer Nation, einen eigenen Staat bilden, das Selbstbestimmungsrecht des gesamten Volkes verbraucht ist. Für .die deutsche Situation bedeutet dies, daß die Existenz zweier Staaten in Deutschland das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes oder aber seiner Teile nicht verhindern kann.
Das Selbstbestimmungsrecht hat aber auch eine weitergehende Komponente, nämlich die, daß es nicht nur Staatsvölkern oder einen Staat bildenden Völkern zusteht, sondern, wie ebenfalls festgestellt wurde, auch Volksgruppen und Minderheiten, die eine geschlossene Struktur aufweisen und das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit haben.
Ein weiterer, sehr wesentlicher Punkt der Diskussion in den Ausschüssen war die Frage der Auslegung des Art. 20 des Paktes, in dem Kriegspropaganda verboten wird. In der Bundesrepublik, so wurde festgestellt, ist der Inhalt dieses Artikels bereits Recht geworden, nämlich durch Art. 26 des Grundgesetzes mit der strafrechtlichen Bewehrung durch die §§ 80, 80 a und 86 des Strafgesetzbuches. Es wurde ferner festgestellt, daß durch diese Bestimmung zwar die Propagierung des Angriffskrieges verboten ist, daß ,diese Bestimmung aber nicht dazu führen kann, Verteidigungsbemühungen zu diskreditieren; denn in Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen ist das Selbstverteidigungsrecht der Staaten festgelegt. - Es ist in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, daß z. B. die Staaten Norwegen, Dänemark und Schweden angesicht dieser möglichen Fehlinterpretationen des Begriffes „Kriegspropaganda" gegen den ganzen Art. 20 Vorbehalte eingelegt haben.
Einen weiteren Diskussionspunkt bildete Art. 27 des Paktes, nach dem, wie ich schon eingangs sagte, die Angehörigen einer Minderheit das Recht haben, sich kulturell und religiös ihrer eigenen Art entsprechend zu betätigen. Es wurde anerkannt, daß hier ein Ansatzpunkt für die weitere Entwicklung des Völkerrechts in Richtung eines Volksgruppen- und Minderheitenrechts gegeben ist, wenn es auch noch nicht verwirklicht ist.
Eine längere Aussprache fand auch über die Frage statt, ob die Bundesrepublik Deutschland das Fakultativprotokoll, das die Individualbeschwerde ermöglicht, unterzeichnen sollte. Die Diskussion wurde von dem Bestreben geleitet, den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland eventuell auch im Bereich der Vereinten Nationen, nicht nur im Bereich des Europarates, einen möglichst umfassenden Rechtsschutz zu gewährleisten. Es kann aber die Tatsache nicht übersehen werden, daß der viel intensivere Rechtsschutz durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch einen Art. 27 der Europäischen Konvention belastet ist, der besagt, das ein Recht auf Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission dann nicht mehr gegeben ist, wenn bereits ein Gesuch bei einer anderen internationalen Untersuchungs-
oder Ausgleichsinstanz vorgelegen hat. Diese Bestimmung hat die Bundesregierung veranlaßt, vorerst davon abzusehen, dieses Fakultativprotokoll zu unterzeichnen. Es muß abgewartet werden, wie sich hier die Rechtsprechung der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission für Menschenrechte entwickelt. Denn eines ist klar: die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährt mehr Rechte im Beschwerdeverfahren als der Pakt der Vereinten Nationen.
Der Ausschuß schlägt Ihnen mit dem vorgelegten Antrag vor, daß die Bundesregierung gebeten wird, bis zum 31. Dezember 1974 zu prüfen, ob sie nicht doch die Möglichkeit sieht, dieses Fakultativprotokoll zu unterzeichnen. Die Bundesregierung wird in diesem Antrag ferner gebeten, auch die Frage zu prüfen, ob es möglich ist, diesem Fakultativprotokoll vielleicht partiell beizutreten, um insoweit einen Minimalrechtsschutz vor 'den Vereinten Nationen zu gewährleisten, als die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Rechte nicht enthält, die im UN-Pakt geregelt sind.
Der Ausschuß war ferner der Auffassung, die Bundesregierung ermuntern zu sollen - und hat das in Gestalt eines Antrags festgehalten -, sich weiterhin für ,die Schaffung des Amtes eines Hohen Kommissars für Menschenrechte einzusetzen, ein jahrelanges Petitum aller Bundesregierungen und auch dieses Hauses.
Dr. Wittmann ({2})
Ferner wurde die Bundesregierung gebeten, sich darum zu bemühen, einen Sitz in dem Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen, der auf Grund dieses Paktes errichtet wird, zu erhalten.
Zum Gesetzentwurf selbst ist zu bemerken, daß die Bundesregierung in ihm Bestimmungen vorgeschlagen hat, die einige Rechte des Paktes einschränken. Sie hat die Absicht, insoweit Vorbehalte zu erklären. Diese Fragen wurden im Ausschuß diskutiert. Die Bundesregierung war der Auffassung, daß sie aus Gründen der Rechtsklarheit und der inneren Sicherheit Vorbehalte zu Art. 19 - Meinungsfreiheit -, Art. 21 - Versammlungsfreiheit - und Art. 22 - Vereinigungsfreiheit - insoweit machen sollte, als sie sich nicht der Möglichkeit begeben sollte, diese Rechte für Ausländer in der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer politischen Betätigung einzuschränken. Dieser Vorschlag der Bundesregierung ist offensichtlich bestimmt durch die Erfahrungen der letzten und jüngsten Zeit. Der Ausschuß hat diese Auffassung zur Kenntnis genommen. Es besteht ja die Möglichkeit, Vorbehalte wieder zurückzunehmen.
Ferner will die Bundesregierung einen Vorbehalt machen hinsichtlich einiger strafrechtlicher Bestimmungen, nämlich z. B., daß es nicht notwendig ist, daß ein Angeklagter an der Revisionsverhandlung teilnimmt, wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, weil in der Revisionsverhandlung nur über Rechtsfragen verhandelt wird. Man will sich insoweit eine eventuelle Reform des Strafverfahrensrechts nicht durch eine internationale Konvention verbauen lassen. Das gleiche gilt für einige andere Bestimmungen, insbesondere für die Frage, ob einem Beschuldigten ein Rechtsmittel eröffnet werden muß, wenn er erst in der Rechtsmittelinstanz verurteilt worden ist, und schließlich für die Frage, ob bei Straftaten von geringerer Schwere die Überprüfung eines nicht auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils durch eine höhere Instanz in jedem Falle geboten erscheint. Die Bundesregierung glaubt, sich hier die Freiheit bewahren zu müssen, bei der Reform des Strafrechts eventuell abweichende Regelungen ohne eine tatsächliche Beeinträchtigung des Rechtsschutzes zu treffen.
Die Bundesregierung will ferner die Möglichkeit offenhalten, bei einer Änderung unseres Strafgesetzbuches weiterhin härtere Strafen für begangene Straftaten aufrechtzuerhalten, als die neue Regelung sie vielleicht enthält. Insoweit wurde auch ein Vorbehalt erklärt, nämlich in der Richtung, daß nicht automatisch eine Strafmilderung zu erfolgen hat, wenn ein neues Gesetz, das eine mildere Strafe vorsieht, in Kraft tritt.
Der Rechtsausschuß war mit der Bundesregierung der Meinung, daß der UN-Pakt nicht die richtige Materie ist, den Streit mit dem Bundesrat über die Frage zu entscheiden, ob alle Vorbehalte, die die Bundesregierung beabsichtigt zu erklären, in dem Vertragsgesetz enthalten sein müssen. Das bedeutet nicht, daß die verfassungsrechtliche Frage, wieweit die Absicht der Erklärung von Vorbehalten im Zustimmungsgesetz enthalten sein muß, nicht eines
Tages im Zusammenhang mit anderen Verträgen geregelt werden muß.
Namens des federführenden Ausschusses bitte ich das Hohe Haus, das Vertragsgesetz in der vorliegenden Fassung der Drucksache 7/660 mit den auf Drucksache 7/1092 angeführten Ergänzungen anzunehmen. Danach soll Art. 1 Satz 1 die zusätzlichen Nrn. 3 und 4 erhalten. Ferner bitte ich Sie, auch die Entschließungsanträge unter II auf der Drucksache 7/1092 anzunehmen. Ich glaube, daß der Deutsche Bundestag mit der Entscheidung über diesen Pakt zwar nicht die endgültige Herrschaft der Menschenrechte in der Welt statuieren kann, wohl aber - auch in unserem Lande - einen Beitrag zur Bewußtseinsbildung leistet, daß die Menschenrechte der Freiheit, dem Recht des einzelnen und damit dem Frieden dienen.
({3})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der sozialdemokratischen Partei hat bereits in der ersten Lesung des Zustimmungsgesetzes zum Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte erklärt, daß sie den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Pakt einhellig begrüßt. Wir haben damals gesagt, wir würden uns mit Nachdruck für eine gründliche, aber schnelle Beratung und Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes durch den Bundestag einsetzen. Das haben wir getan.
Wenn Sie heute - und der federführende Rechtsausschuß empfiehlt es Ihnen ebenso wie die mitberatend tätig gewordenen Ausschüsse - das Zustimmungsgesetz billigen, wird die Bundesregierung aller Voraussicht nach in der Lage sein, dem Pakt bis zu dem Tage beizutreten, an dem sich das Datum der Verabschiedung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen zum 25. Male jährt.
Wir meinen, daß gerade mit diesem 'Schritt unsere Achtung vor den Grund- und Menschenrechten in angemessener Weise zum Ausdruck gebracht werden kann. Über den Inhalt des Paktes im einzelnen hat Sie gerade Herr Dr. Wittmann, der erste Berichterstatter, informiert, dem ich an dieser Stelle recht herzlich danke.
Lassen Sie mich einiges davon ergänzend unterstreichen. Der Internationale Pakt enthält vornehmlich die bürgerlichen klassischen Freiheitsrechte des einzelnen. Er bildet somit den vorläufigen Endpunkt einer Kette, die vor nicht ganz 200 Jahren in Virginia, USA, begonnen hat und die sich in unserem rechtlichen Bereich u. a. in Teilen des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes und in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergeschlagen hat. Der InterFrau Däubler-Gmelin
nationale Pakt stellt nun erstmalig diese bürgerlichen Freiheitsrechte umfassend unter völkerrechtliche Anerkennung und unterstellt sie völkerrechtlichem Schutz.
Dabei ergeben sich jedoch gravierende Unterschiede zu unserem innerstaatlichen Grundrechtskatalog, im übrigen auch zu dem der Menschenrechtskonvention. Herr Dr. Wittmann hat zum Teil bereits darauf hingewiesen. Sind bei uns die Grundrechte einklagbare, mit Hilfe des Verfassungsgerichts, der Verfassungsbeschwerde durchsetzbare Rechte, so erkennt der Internationale Pakt für die völkerrechtliche Ebene eine derartige konkrete Möglichkeit nicht an, vielleicht noch nicht. Die Verwirklichung der in dem Internationalen Pakt niedergelegten Rechte ist vielmehr zunächst den Staaten aufgegeben, der Rechtsschutz dieser Freiheitsrechte erfolgt nicht in einem Justizverfahren, sondern durch die völkerrechtlichen und damit sanktionslosen Instrumente der allgemeinen und besonderen Berichtspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der noch zu bildenden Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen.
Hinzu tritt dann die Möglichkeit der Staatenbeschwerde als Kontrollinstrument. Wir begrüßen dieses Kontrollinstrument ebenso wie die Tatsache, daß die Bundesregierung die Anerkennung dieses Kontrollinstrumentes für die Bundesrepublik erklären wird. Dieses Instrument kann zwar den eigentlichen Rechtsschutz auch nicht ersetzen. Obwohl es ebenfalls nur in eine Berichtspflicht und in ein Vergleichsverfahren münden kann, ist es jedoch geeignet, weltweite Respektierung der Grund- und Menschenrechte weiter zu stärken.
Die Möglichkeit des einzelnen Staatsbürgers, sich bei dem Menschenrechtsausschuß der UNO darüber zu beschweren, daß sein Heimatstaat die in diesem Pakt niedergelegten Rechte verletzt habe, ist in einem dem Pakt beigegebenen Fakultativprotokoll enthalten. Dieses Protokoll ist jedoch bisher von der Bundesregierung nicht unterzeichnet worden und somit auch nicht Teil des Ratifizierungsverfahrens. Man mag dies bedauern, und zwar hauptsächlich deshalb, weil es durchaus denkbar ist, daß mit seiner Annahme eine weitere Möglichkeit zum Schutze der Menschenrechte des einzelnen Bürgers geschaffen würde. Gleichwohl - auch darauf hat Herr Dr. Wittmann hingewiesen - ist es nicht zu verkennen, daß auf Grund verfahrensmäßiger Ungeklärtheiten im völkerrechtlichen Bereich wie auch von Kollisionsmöglichkeiten, die mit dem effektiven Beschwerdeverfahren nach der Europäischen Menschenrechtskonvention zusammenhängen, im Einzelfall auch Konstellationen eintreten können, die nicht ausschließlich zugunsten des schutzbegehrenden Betroffenen ausfallen können.
Um all dem Rechnung zu tragen, haben wir uns entschlossen, einen Entschließungsantrag vorzulegen, der die Bundesregierung auffordert, die Möglichkeit einer Unterzeichnung und eines Beitritts zu dem Fakultativprotokoll zu prüfen und vor dem Bundestag bis zum 31. Dezember 1974 darüber Bericht zu erstatten.
Bisher habe ich nur über die juristischen Verpflichtungen gesprochen, die sich für die Bundesrepublik Deutschland aus diesem Pakt ergeben. Neben diesen Verpflichtungen bestehen unserer Auffassung nach jedoch weitere, deren formale Verbindlichkeit unterhalb der rechtlichen Schwelle liegt, deren inhaltliche Maßstabsfunktion jedoch gleichwohl wichtig bleibt. Die erste davon betrifft unsere innerstaatliche Rechtsordnung. Klassische Freiheitsrechte und Effektivität des Grundrechtsschutzes sind uns, wie schon gesagt, nichts Neues, die völkerrechtliche Anerkennung beider empfinden wir als Fortschritt, ohne daß wir dadurch unsere innerstaatliche Rechtsordnung umzustülpen brauchten.
Dennoch bleibt einiges an Problemen übrig, die vielleicht nicht im Zusammenhang mit diesem Pakt, ganz sicher aber bei nächster Gelegenheit zu erörtern sein werden. Geht die Bestimmung der völkerrechtlichen Vereinbarung im Einzelfall über die entsprechende Regelung unserer innerstaatlichen Ordnung hinaus oder weicht sie sonst von ihr ab, ohne unser rechtliches und politisches System zu sprengen, so sollte man vielleicht noch stärker, als dies bereits im vorliegenden Pakt getan wurde, den Weg der Anpassung der innerstaatlichen Normen an die Bestimmungen der völkerrechtlichen Vereinbarung einschlagen. Der Weg über die Einlegung von Vorbehalten mag weniger problematisch sein; ob er dem eigentlichen Anliegen immer ganz gerecht wird, bleibt dennoch zu bezweifeln.
Im Zusammenhang mit den Rechten des vorliegenden Internationalen Pakts ergibt sich aus diesen Überlegungen, daß der vorsorglich eigelegte Vorbehalt über die gegenüber den Paktbestimmungen verstärkte Möglichkeit der Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für Auländer keinesfalls als bloße Festschreibung der deutschen Regelung aufgefaßt werden darf. Vielmehr wird sich möglicherweise die Mühe lohnen, diese Vorschrift in der Zukunft den Bestimmungen des völkerrechtlichen Paktes anzupassen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung hat Herr Dr. Mertes für die CDU/CSU Aufmerksamkeit besonders, ja ausschließlich dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gewidmet. Die Fraktion der SPD hat Bedeutung und Rang dieses Rechts immer betont. Das ist bekannt. Deshalb ist für uns auch die völkerrechtliche Verpflichtung des Internationalen Pakts eine Selbstverständlichkeit, nämlich die internationale solidarische Achtung vor dem umfassenden Recht auf Selbstbestimmung der Völker einschließlich seiner wirtschaftlichen, sozialen und politischen Implikationen. So wie wir dieses Recht für uns beanspruchen, so tun dies auch andere Völker mit dem gleichen Recht. Dies gilt nicht nur für diejenigen Völker, die sich insbesondere in der dritten Welt vom Kolonialismus befreien wollen und müssen, sondern dieser Grundsatz gilt, umfassend, wie er ist, auch für andere Völker.
Das chilenische Volk hat unter Präsident Salvador Allende von diesem Recht Gebrauch gemacht. Es ist
an der Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts gehindert worden, zwar nicht durch völkerrechtlich relevante Akte, sondern primär durch innere Verfassungsfeinde, rechtsstehende Konservative und putschende Militärs. Gleichwohl muß eine Auffassung die Ernstlichkeit der Anerkennung des völkerrechtlichen Rechts auf Selbstbestimmung der Völker in Frage ziehen,
({0})
die es quasi unter Vorbehalt der Zustimmung durch machtbewußte Rechtsradikale und putschende Militärs stellt. Ich meine - und will dies nochmals betonen -, daß die Zustimmung zur völkerrechtlichen Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts jeden von uns zu eindeutigen Äußerungen auf diesem Gebiet verpflichtet.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Pakt ist die weltweite Achtung der bürgerlichen Grund- und Menschenrechte sicherlich nur einen kleinen Schritt weitergekommen. Bereits in der ersten Lesung wurde von uns betont, daß ohne die Kontrolle und ohne die Mitarbeit einer engagierten und kritischen Öffentlichkeit in allen Ländern entscheidende Verbesserungen auch auf dem Gebiete der Durchsetzung der Menschenrechte nicht zu erreichen sind. Lassen Sie mich das hier wiederholen und
nochmals unterstreichen. Ohne diese Effektivierung bleibt der Beitritt zu diesem Pakt wenig mehr als ein bedrucktes Stück Papier. Die Fraktion der SPD hofft deshalb auf die engagierte und kritische Offentlichkeit, und in diesem Sinne erklären wir die Zustimmung zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, auf den der Herr Berichterstatter hingewiesen hat, nämlich auf die Bedeutung des Artikels 20 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Die Bundesregierung bezeichnet ihn in ihrer Denkschrift als „die wohl umstrittenste Vorschrift bei der Erarbeitung des Paktes".
„Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten", so lautet der Absatz 1 dieses Artikels 20. Ich darf Sie daran erinnern, daß ein Sachverständigenausschuß des Europarates sich zu dieser Bestimmung in einer bemerkenswerten Weise geäußert hat. Es ist dankenswert, daß uns die Bundesregierung von diesen Äußerungen Kenntnis gegeben hat. Die Sachverständigen bemerken,
daß bei der Annahme dieses Artikels durch den Dritten Ausschuß auf der 16. Sitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1961 kein Mitgliedstaat des Europarates dafür gestimmt hat, während zehn dagegen stimmten. Die beiden Absätze dieses Artikels sind so ungenau formuliert, daß sie einem Staat billige Gelegenheit geben könnten, einen anderen Staat aus politischen Gründen der Nichteinhaltung der in diesem Artikel ausgesprochenen Verbote zu bezichtigen.
Weiter heißt es dann zu Absatz 1:
Dieser Absatz sieht vor, daß „Kriegspropaganda durch Gesetz verboten" wird. Die Sachverständigen wiesen auf die außerordentliche Unbestimmtheit des Ausdrucks „Kriegspropaganda" hin,
- im Französischen und im Englischen heißt es
übrigens „Propaganda zugunsten des Krieges" die ihrer Ansicht nach zu Mißbrauch führen könnte; er könnte von einem feindlich eingestellten Kritiker gegen eine wissenschaftliche militärische Abhandlung oder eine Erklärung über internationale Sicherheitspolitik ins Feld geführt werden. Die Sachverständigen waren der Ansicht, diese Vorschrift könne als eine Verpflichtung der Staaten ausgelegt werden, in ihrer Gesetzgebung eine ausdrückliche Vorschrift zu haben, die Kriegspropaganda verbietet. Eine andere, auch mögliche Auslegung jedoch sei, daß die Vorschrift ein entsprechendes gesetzliches Verbot nur dann verlange, wenn sich eine praktische Notwendigkeit ergäbe, die Frage der Kriegspropaganda zu behandeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verdanken der Bundesregierung auch den Hinweis, daß Schweden, Norwegen und Dänemark diesen Artikel des Paktes im Hinblick auf den Schutz der Pressefreiheit nicht ratifiziert haben. Wir sind jedoch der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland auch diesen Artikel aus verschiedenen Gründen mit ratifizieren soll; vor allen Dingen aber deshalb, weil wir in unserer Verfassung, im Grundgesetz, bereits eine Klarstellung dessen haben, was hier gemeint ist, und eine Erfüllung dessen, was hier gefordert wird.
Wir stimmen der Bundesregierung zu, wenn sie in der Denkschrift sagt:
Im innerstaatlichen Rechtsbereich der Bundesrepublik enthält Artikel 26 GG das Verbot von Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Vorbereitung der Führung eines Angriffskrieges. Der Verfassungsauftrag des Artikels 26 ist durch die Vorschriften des StGB über Friedensverrat ({0}) konkretisiert worden. Insbesondere stellt § 80 a das Aufstacheln zum Angriffskrieg unter Strafe. Neben Artikel 26 GG und §§ 80, 80 a StGB tragen auch das in Artikel 9 Abs. 2 GG enthaltene Verbot von Vereinigungen, die sich gegen den Gedanken
Dr. Mertes ({1})
der Völkerverständigung richten, sowie § 86 StGB, der das Herstellen oder Verbreiten von Propagandamitteln solcher Vereinigungen unter Strafe stellt, dieser Vorschrift des Paktes Rechnung.
Auch der Absatz 2 des Artikels 20 - so berichtet die Bundesregierung - „war bei seiner Entstehung wegen der Unbestimmtheit der Formulierung ebenfalls umstritten".
Meine Damen und Herren, dieser Pakt ist nicht von der Bundesregierung selbst mit ausgehandelt worden. Er wurde uns so vorgelegt, wie andere ihn ausgearbeitet haben. Deshalb stellt sich hier die Frage der Auslegung in einer anderen Weise als bei den Verträgen, die die Bundesregierung selbst mit der Sowjetunion, mit der Volksrepublik Polen und mit der DDR ausgehandelt hat. Aber wir sind der Auffassung, daß im Sinne der Darlegungen der Denkschrift der Bundesregierung klargestellt werden soll, wie wir den Artikel 20 Abs. 1 verstehen, nämlich so, daß die Bestimmungen des Artikels 26 unseres Grundgesetzes und die einschlägigen Vorschriften unseres Strafgesetzbuches den Artikel 20 des Paktes bereits erfüllen.
Deshalb richte ich jetzt in aller Form an die Bundesregierung folgende Frage: Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß diese Auslegung des Artikels 20 die verbindliche Auslegung der Bundesrepublik Deutschland sein wird? Uns scheint es notwendig, ohne daß ein Vorbehalt angemeldet würde und ohne daß wir den Weg der Norweger, Dänen und Schweden gingen, daß eine ganz unzweideutige Klarstellung erfolgt, was unter diesem Artikel verstanden werden muß, nämlich der Artikel 26 GG und die entsprechenden strafrechtlichen Vorschriften, und was unter ihm nicht verstanden werden darf; und darunter darf selbstverständlich auch nicht die Geltendmachung von Rechten zählen.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich noch ganz kurz, wenn Sie gestatten, darauf hinweisen, daß in letzter Zeit auch die Sowjetunion sehr betont mit dem Argument der Menschenrechte arbeitet. Kürzlich ist in der parteiamtlichen „Prawda" ein Artikel erschienen, in der Sie eine Kurzfassung der sowjetischen Interpretation der Menschenrechte und des Einsatzes für diese Menschenrechte finden. Ich möchte hier nicht Eulen nach Athen tragen, d. h. daran erinnern, daß die sowjetischen Interpretationen und die unseren verschieden, teilweise gegensätzlich sind.
Bei diesen verschiedenen Interpretationen besteht natürlich die Gefahr - das ergibt sich aus diesem „Prawda"-Artikel -, daß uns mit dem Argument der Menschenrechte offensiv begegnet wird. Gerade im Hinblick auf die sowjetische, von uns ernst zu nehmende Auslegung der Menschenrechte und dieser Pakte müssen auch wir ganz klar sagen, was wir hinsichtlich der mehrdeutigen, d. h. dissensbelasteten Paktbestimmungen meinen und was wir nicht meinen.
Der Hintergrund der sozialistischen Bestrebungen in Sachen Menschenrechte ist das Prinzip der friedlichen Koexistenz, das von dem bedeutenden sowjetischen Völkerrechtler Tunkin, als eine Regel des Völkerrechtes bezeichnet wird. Tunkin zieht aus diesem Prinzip der friedlichen Koexistenz die Folgerung, daß jegliche Kriegspropaganda mit allen Mitteln zu verbieten sei.
Die Völkerrechtler des Westens haben darauf hingewiesen, daß die Theorie der friedlichen Koexistenz - auch vom Völkerrecht her gesehen - mit einer schweren Doppeldeutigkeit belastet ist. Dies ist sicher auch der entscheidende Grund, warum die Schweden, die Dänen und die Norweger den Artikel 20 beispielsweise nicht ratifiziert haben.
Wir sehen also, daß auch das Argument und das Vokabular der Menschenrechte zu politischen Auseinandersetzungen verwendet wird. Aus diesem Grunde möchte ich noch einmal darum bitten, daß wir nicht nur in einer abstrakten und unverbindlichen, sondern in einer ganz konkreten und verbindlichen Form sagen, wie wir diesen Artikel 20 verstehen und auslegen.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin meint, ich hätte mich bei unserer ersten Einlassung zu diesem Pakt insbesondere oder fast ausschließlich mit dem Selbstbestimmungsrecht befaßt. Frau Kollegin, das ist nicht ganz richtig. Gestatten Sie, daß ich auch meinen betonten Hinweis auf die individuellen Menschenrechte und nicht nur auf das kollektive Selbstbestimmungsrecht der Völker in Erinnerung bringe.
({2})
- Ja, ich habe es auch hier. Ich darf deshalb
vielleicht daraus doch noch einmal zitieren und damit schließen:
Die Geschichte der europäischen Völker zeigt, daß Freiheit und Recht sich nicht durch automatische Prozesse einen Weg bahnen, sondern durch beharrliches Ringen nicht resignierender Männer und Frauen mit den Kräften der Reaktion - welcher Farbe auch immer -, kraft ungebrochener Zuversicht in den Sieg des Rechts über das Unrecht, der Würde des Menschen über die Mißachtung des Menschen
Was Sie soeben über die Universalität dieser Rechte gesagt haben, Frau Kollegin, hat meine volle Zustimmung in diesem Sinne gefunden.
Neben den vordergründigen Realitäten der Macht
- und wenn ich heute einfügen darf: den vordergründigen Realitäten der souveränen Staatsrechte, die der Verwirklichung der Menschenrechte entgegenstehen gibt es eine andere, eine tiefere, eine geschichtsmächtigere Realität. Sie gehört zu jenen Kräften der europäischen Geschichte, die, allen Widerständen zum Trotz, zuletzt stets den Sieg davontrugen: der ungebrochene Wille zu Freiheit und Recht.
Die sowjetischen Führer, die offenkundig ein besonders starkes Gespür für langfristige Willensbewegungen haben und ein starkes nationales Traditionsbewußtsein pflegen, sollten und - so hoffen wir immer noch - werden
Dr. Mertes ({3})
eines Tages erkennen, daß die Verweigerung der Menschenrechte
- gemeint sind die konkreten Menschenrechte, kollektive und individuelle in Europa, in Deutschland auf die Dauer naturwidrig ist und Spannung erzeugen muß, nicht aber Entspannung und Frieden. Fortschritt ist in Europa stets an der Ausweitung der politischen und sozialen Menschenrechte gemessen worden.
Gegen diese Feststellung kann nicht der Vorrang der Souveränität der Staaten ins Feld geführt werden.
Ich darf abschließend an das erinnern, was in Erwiderung auf den Kollegen Wehner der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU kürzlich über den Vorrang dieser Rechte gegenüber dem Staat gesagt hat.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich angesichts der weitgehenden Übereinstimmung zu dem vorliegenden Pakt durch alle Fraktionen dieses Hauses hindurch auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken.
Wir sind uns sicherlich alle darüber im klaren, daß es sich hier nicht um eine Schaffung einklagbarer Rechte des einzelnen handeln kann, ebensowenig wie wir feststellen dürften, daß hier internationale Sanktionen gegen Staaten vorgesehen wären, die in der Gewährung der Menschenrechte gegen die Bestimmungen der beiden vorliegenden Pakte - der zweite wird nachher behandelt - verstoßen. Wir sollten uns aber doch darüber im klaren sein, daß unsere Zustimmung folgendes bedeutet: Wir beteiligen uns an einem ersten Schritt von der Deklaration der Menschenrechte zur Schaffung verbindlichen Völkerrechts auf diesem Gebiet, mit allen Einschränkungen, die sicherlich in diesem Pakt noch enthalten sind.
Wir beobachten an einer ganzen Reihe von Punkten, daß hier Menschenrechte festgelegt werden, aber in einem Nebensatz sozusagen die nationalen Belange wieder eingesetzt werden, um eine Einschränkung zuzulassen. Ich zitiere dazu mit Genehmigung der Frau Präsidentin den Art. 4, wo es heißt:
({0}) Im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht und der amtlich verkündet ist, können die Vertragsstaaten Maßnahmen ergreifen, die ihre Verpflichtungen aus diesem Pakt in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, außer Kraft setzen ...
Ich zitiere dies nur, um deutlich zu machen, daß hier in der Durchsetzung der Menschenrechte gewiß noch eine Fülle von Mängeln enthalten ist, die wir gemeinsam beklagen sollten und an deren Beseitigung uns gemeinsam liegen sollte.
Man sollte aber mit demselben Nachdruck darauf hinweisen, daß es eine Reihe von Bestimmungen gibt, die solche Einschränkungen nicht enthalten. Erfreulicherweise gehören zu diesen Artikeln gerade Art. 1 und Art. 12 des vorliegenden Paktes. Bei der Frage des Selbstbestimmungsrechts der Völker steht nichts von einer möglichen Einschränkung auf Grund irgendwelcher nationaler oder wie auch immer gearteter Belange. Diese Bestimmung ist nach der Denkschrift der Bundesregierung in einer ganz bestimmten Weise auszulegen, und ich meine, auch das sollten wir deutlich sagen, Herr Kollege Mertes. Es ist auch unsere gemeinsame Überzeugung, daß Art. 20 nicht mehr enthält, als in unserem Rechtssystem bereits verankert ist. Wir sollten aber genauso sagen, daß wir Art. 1 über das Selbstbestimmungsrecht der Völker in einem möglichst weiten Sinne auszulegen bereit sind, nämlich über den Begriff der Völker, und daß hier nicht nur innerstaatliche Möglichkeiten gemeint sind, sondern eben das Selbstbestimmungsrecht derjenigen, die sich als Glieder eines Volkes betrachten und fühlen.
({1})
Ich meine, das sollte in diesem Zusammenhang gesagt werden.
Genauso wichtig erscheint mir allerdings Art. 12, der sich mit der Freizügigkeit innerhalb eines Staates und zwischen den Staaten befaßt und der u. a. - ich habe schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen - z. B. in Abs. 2 den Passus enthält:
({2}) Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.
Wesentlich in diesen beiden Pakten ist für mich die Feststellung, daß durch die Politik - Ost-, Deutschland und Außenpolitik - der sozialliberalen Koalition die Ausgangsbasis verbessert ist, die wir haben, um eine Durchsetzung ,der Menschenrechte zu fordern. Es ist nicht zu übersehen, daß die DDR im März dieses Jahres nach langem Zögern diesen Pakt unterschrieben hat. Offenbar hat sie angesichts ihrer bevorstehenden Aufnahme in die UNO und angesichts von Grundlagenvertrag und Ost-West-Entspannung 'die Möglichkeit nicht mehr als gegeben angesehen, sich aus solchen Dingen herauszuhalten. Ich meine, wir sollten uns diese Lage zunutze machen.
Wir sollten uns aber auch darüber im klaren sein, daß unsere Ratifikation dieses Vertrages eine der zum Inkrafttreten nötigen 35 Ratifikationen ist. Diesen Schritt sollten wir - mit der deutlichen Interpretation bestimmter Artikel ohne Zögern tun, um den Menschenrechten nach allen Seiten hin zur Geltung zu verhelfen und unsere Basis zu verbreitern, auf der wir die Durchsetzung dieser Menschenrechte auch gerade für alle Angehörigen des Deutschen Volkes zu fordern in der Lage sind.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hier in diesem Hause sind uns einig, daß wir von uns aus eine Politik zur Durchsetzung der Menschenrechte in dieser Welt betreiben wollen, aber wenn wir heute in diese Welt schauen, wo Kriegs- und Gewaltverbot, geheiligte Normen des Völkerrechts in diesem Jahrhundert, verletzt werden, wird es uns bange, weil wir fürchten, daß es möglicherweise - einige Warnungen hat Herr Kollege Ronneburger schon ausgesprochen - auch bei den Menschenrechten bei einem Verbalismus bleibt, der alle Bekenntnisse vergißt, wenn es darum geht, eigene Souveränität und staatliche Ansprüche durchzusetzen.
Für uns Deutsche ergibt sich hier noch eine weitere Frage. Können und dürfen wir als deutsches Volk, in dessen Namen vieles Leid über die Welt gebracht wurde, in Menschenrechtsfragen in der Welt eine „offensive" Politik betreiben? Ich meine, meine Damen und Herren, wir sollten es gerade aus der leidvollen Erfahrung heraus und wir sollten es auch für die Menschen tun, die unsere Landsleute sind.
Ich möchte deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, nochmals darauf hinweisen, daß wir uns nicht damit begnügen können, all das, was über unsere Landsleute an Leid immer wieder jeden Tag hereinbricht, zu verschweigen. Im Jahre 1968, als das Vierte Zusatzprotokoll zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten hier in diesem Bundestag debattiert wurde - dem dann alle Fraktionen zustimmten , hat der frühere Kollege Dr. Mommer die Bundesregierung gebeten, ein „Memorandum über die Menschenrechte in Deutschland" vorzulegen. Dieses Memorandum erwarten wir immer noch, nicht im Sinne einer sinnlosen Anklage, sondern in dem Sinne, daß die Staaten der Welt und die Staaten, die es angeht, auf die Verletzung der Menschenrechte in Deutschland hingewiesen werden. Es ist der legitime Anspruch des freien Teils Deutschlands, darauf hinzuweisen. Es wäre sicherlich verdienstvoll, wenn einmal mehr der Welt vor Augen geführt würde, daß Beitritt zu den Vereinten Nationen, wer immer es auch sei, noch lange nicht bedeutet, daß eine friedliche und eine menschengerechte Politik betrieben wird.
Meine Damen und Herren, wir haben keinen Vertreter der Bundesregierung hier; auch damals im Jahre 1968 haben der Herr Justizminister und der Herr Außenminister gefehlt. Auch jetzt ist kein Vertreter der Bundesregierung anwesend. Ich bedauere das sehr. Ich möchte daraus keine Schlüsse ziehen. Ich möchte aber den außenpolitischen Grund der Abwesenheit des Bundesaußenministers als Anknüpfungspunkt benutzen, eines zu sagen: Es ist heute schon viel über Selbstbestimmungsrecht gesprochen worden. Vieles an den humanitären Fragen, die uns bewegen, die unsere Landsleute in den Gebieten bewegen, die von Polen verwaltet werden, könnte leichter sein, wenn man sich durchringen würde, das innere Selbstbestimmungsrecht, die Rechte der Nationalitäten zu verwirklichen, wie sie Karl Renner
in seinem berühmten Buch aus dem Jahre 1918 und 1902 in Blickrichtung auf den österreichisch-ungarischen Staat formuliert hat. Wenn es wieder möglich wird, Vielvölkerstaaten zu schaffen, bei denen die sprachlichen, religiösen und ethnischen Minderheiten Rechte haben, sich selbst zu artikulieren, nicht nur der einzelne in diesen Minderheiten, sondern die Minderheiten als Gruppen, dann würde manches erleichtert.
Ich begrüße es sehr, daß der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Professor Carstens, unserem Außenminister das Problem mit auf den Weg gegeben hat, zu versuchen, mit unseren Nachbarn einen Optionsvertrag abzuschließen, der sicherstellen soll, daß die Menschen, die in ihrer Heimat bleiben wollen, dort auch bleiben können und als Deutsche unter Deutschen in ihrer Heimat leben dürfen.
({0})
Wir haben in den Konventionen von Europa, jetzt in dem UN-Pakt das Recht auf Freizügigkeit - das Recht auf Freizügigkeit, ein Land zu verlassen - einschließlich seines eigenen -, das Recht, in das eigene Land zurückzukehren.
Interessant waren in diesem Hause die Diskussionen um die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte Anfang der fünfziger Jahre. Damals hat dieses Haus der Bundesregierung den Auftrag gegeben, international darauf hinzuwirken, daß es nicht nur bei diesen Abwehrrechten und bei diesen individuellen Freizügigkeitsrechten bleibt, sondern international garantiert wird, daß Menschen ungestört in ihrer Heimat verbleiben können. Wir erkennen an, daß durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte, durch den uns vorliegenden Pakt neue Mosaiksteine geschaffen worden sind, um das, was wir in unserem deutschen Sprachgebrauch als Recht auf die Heimat verstehen, vielleicht eines Tages endgültig formulieren zu können.
Aber noch ist es nicht soweit, und ich habe manchmal das Gefühl, daß bei uns die Diskussion darüber etwas in den Hintergrund tritt, aus Angst, daß man verketzert werden oder daß die Friedensliebe dieser Bundesrepublik angezweifelt werden könnte.
Meine Damen und Herren, ein offenes Wort, im Namen derjenigen auch, die das Recht auf die Heimat nicht mehr verwirklicht sehen, nämlich unsere Landsleute - mehr als zehn Millionen -, die ihre Heimat verlassen mußten. Sie fordern das Recht auf die Heimat, dessen Ausformulierung und Verwirklichung nicht für sich selbst allein, sondern aus der, leidvollen Erfahrung unseres Kontinents, daß die Verletzung dieses Rechtes letzten Endes Unfrieden und Unfreiheit mit sich bringt.
({1})
Und wenn sie von Wiedergutmachung sprechen, dann richtet sich das - das muß hier auch einmal gesagt werden - nicht gegen andere Menschen, sondern gegen Machtverhältnisse, die immer noch dazu führen, daß berechtigte menschliche Ansprüche nicht verwirklicht werden können. Meine Damen
Dr. Wittmann ({2})
und Herren, wer hergeht und im Sprachgebrauch totalitäre Regime diese Menschen als „Friedensstörer", als „Revanchisten" verketzert, der macht sich auch im Sinne dieses Paktes einer diffamierenden und erniedrigenden Behandlung dieser Menschen schuldig, die nichts anderes wollen als ihr Recht. Ich wundere mich - und ich meine, es bedürfte hier des Eintretens der Verantwortlichen -, daß auch aus diesem Hause heraus in diesen Chor eingestimmt wird. Wir sollten uns einmal überlegen, ob nicht auch in unserem innerstaatlichen Bereich manches an Sprache und Ausdrucksweise etwas mehr einem menschenrechtlichen Verständnis auch gegenüber den eigenen Landsleuten angepaßt werden könnte. Wenn man fordert, die berechtigten Anliegen der Vertriebenen, die Mittel, die die Vertriebenen bekommen, zu kontrollieren, dann ist auch das eine Diffamierung. Ich würde herzlich bitten, daß von diesem Hause eine Grundstimmung ausgeht, daß in unserem Lande die Unterscheidung in Menschen, die den Frieden wollen, und Menschen, die ihn stören, endgültig aufhört.
({3})
Die Forderung nach Menschenrechten, die Forderung nach sinnvoller Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen kann niemals Friedensstörung sein!
Wir schicken uns an, zu einer Humanisierung der internationalen Welt beizutragen. Das bedeutet, daß wir auch nach der Verabschiedung dieses Paktes nicht zur Tagesordnung übergehen dürfen, indem wir sagen: „Hier haben wir etwas Gutes getan." Tagtäglich werden wir in unserer eigenen Politik, für unsere eigenen Anliegen, für unsere eigenen und andere Menschen prüfen müssen, ob wir dieser unserer Zustimmung zu diesem Pakt gerecht werden.
Die Opposition, die CDU/CSU, stimmt diesem Pakt aus vollem Herzen zu, weil sie der Hoffnung ist, daß die Menschheit durch die Wahrung der Menschenrechte endlich in Ruhe wird leben können.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schweitzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem insbesondere der Kollege Mertes als Vertreter der Opposition im Auswärtigen Ausschuß gesprochen hat, erscheint es mir nach den von mir voll unterstützten Ausführungen des Koalitionskollegen Ronneburger angebracht, noch kurz aus der Sicht auch der sozialdemokratischen Mitglieder dieses Ausschusses das diesem Hause zur Ratifizierung vorgelegte Vertragsgesetz zu unserer Außenpolitik im allgemeinen und zu unserer UN-Politik im besonderen in Beziehung zu setzen.
Ich darf gleichzeitig sagen, Herr Kollege Wittmann Sie haben zuletzt gesprochen -, daß hier ein Irrtum vorliegt. Die Bundesregierung ist vertreten, und zwar, wie Sie sehen, durch den Herrn Staatssekretär im Bundesjustizministerium.
({0})
Das wollte ich nur klarstellen. Selbstverständlich ist die Bundesregierung anwesend.
Ich möchte gleich zu Anfang der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich auch die andere Hälfte der Opposition, die den Kollegen Barzel erst vor wenigen Monaten gerade wegen dessen Zustimmung zum Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen zu Fall gebracht hat,
({1})
endgültig zur Unterstützung unserer Außenpolitik im Rahmen der neuen Rolle der Bundesrepublik als Vollmitglied der Vereinten Nationen durchringt. Ich sage das deshalb,
({2})
weil ich glaube, daß in der Öffentlichkeit immer noch Mißverständnisse über die Rolle der Opposition in diesem Zusammenhang auftreten können. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin einmal aus der Zeitung „Bild am Sonntag" vom 14. Oktober zitieren, wo es als P. S. fettgedruckt hieß:
Der Jahresbeitrag für die UNO, in die wir uns mit der Lust am Dabeisein hineingedrängelt haben, kostet den deutschen Steuerzahler 45 Millionen DM, 45 Millionen zuviel. Schade um jeden Pfennig!
({3})
Ich bringe nun nicht die Mitglieder der Opposition in jedem einzelnen Fall mit solchen Äußerungen in Verbindung.
({4})
Aber mir liegt daran, meine Damen und Herren, einmal herauszustellen, daß wir gemeinsam bemüht sein müssen, dem deutschen Volk klarzumachen, welchen Beitrag wir im Rahmen der Vereinten Nationen leisten können.
({5})
- Über den „Bayernkurier" erübrigt sich meines Erachtens jede Auseinandersetzung hier.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Kollege Schweitzer, sind Sie - ({0})
Dr. Mertes ({1})
- Ja, er muß das auch noch fragen, Herr Kollege Wehner.
({2})
Herr Kollege Schweitzer, ist Ihnen bekannt, daß 20 Jahre lang alle in diesem Hause vertretenen Parteien und die Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland der Auffassung waren, daß die Aufnahme der beiden Staaten in Deutschland in die UNO der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts konkret entgegenstehen könnte, und sind Sie zweitens mit mir der Meinung, daß man über die Frage, ob sich dies jetzt fundamental geändert hat, verschiedener Meinung sein kann? Sind Sie ferner mit mir der Meinung, daß eine Partei und eine Fraktion ({3})
- Herr Kollege Wehner! Warten Sie doch bitte ab!
({4})
- Sie werden sehen, Herr Kollege Wehner -
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, kurze Zwischenfragen zu stellen.
({0})
Herr Kollege Mertes, ich glaube, generell gilt doch hier der Satz: Wohl dem, der noch imstande ist, seine Auffassungen auf Grund höherer Einsichten zu revidieren und aus einer solchen Revision Konsequenzen zu ziehen! Es ist doch so, daß in Ihrer Partei tatsächlich nach wie vor Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die Vereinten Nationen bestehen.
Aber mit Ihnen wollte ich mich ohnehin noch beschäftigen, verehrter Herr Kollege Mertes. Auch im Auswärtigen Ausschuß hat sich wieder gezeigt, daß sich die Opposition in den Fragen, die hier zur Debatte stehen, ein wenig schwertut. Ich bin sehr froh darüber, daß gerade Sie, Herr Kollege Mertes, in gewisser Weise den Gedanken zurückgenommen haben, daß ein Vorbehalt in bezug auf Art. 20 angemeldet werden sollte.
({0})
Ich glaube sagen zu können, daß wir dem deutschen Volk innerhalb der Vereinten Nationen politisch schweren Schaden zufügen würden, wenn ausgerechnet wir in bezug auf den Art. 20 in besonderer Weise insistierten, auf einem Artikel, der schließlich die Beschränkung von Möglichkeiten der Kriegspropaganda beinhaltet. Verehrter Herr Kollege Mertes, meine Auffassung ist, daß die Bundesregierung ihre Auffassung in den entsprechenden Erläuterungen zur Gesetzesvorlage völlig klargestellt hat. Was selbstverständlich ist, bedarf, glaube ich, keiner weiteren Erläuterung. Hier ist aber eine Klarstellung erfolgt. Darüber können wir uns gern noch einmal an anderer Stelle unterhalten.
Wir von der Regierungsseite - ich sage es jetzt einmal ganz allgemein - sind weder in bezug auf unsere neuen Aufgaben in der UNO noch in bezug auf irgendeinen anderen Bereich der Außenpolitik von Illusionen erfüllt. Vielmehr sind wir als Außenpolitiker in Exekutive und Legislative zunächst einmal Realisten, die sehr wohl wissen, wie hart sich die Dinge im Raum der großen internationalen Politik nach wie vor stoßen. Wir wissen auch um die immer noch vorhandenen Konflikt- und Kriegspotentiale in der Welt und können auch angesichts einer erfolgreichen Entspannungspolitik nicht auf eine entschlossene Abwehrbereitschaft verzichten, solange unser internationales System nicht einer allgemeinen, kontrollierten Abrüstung nähergebracht werden kann. Andererseits müssen sich Außenpolitiker auch von Ziel- und Ordnungsvorstellungen eines internationalen Systems leiten lassen, in dem selbst so tragisch entzweite Konfliktgegner wie die Araber und die Israelis eines Tages zu gemeinsamen Vorhaben im Interesse eines Friedens der Gerechtigkeit und des vermehrten Wohlstandes für alle Menschen gebracht werden können. Letzterem Ziel muß auch unsere Arbeit in den Vereinten Nationen dienen. Ihm dient auch in gewisser Weise der jetzt hier zur Debatte stehende Pakt.
Dieser Pakt kann in der Tat für unsere Mitarbeit in der Weltorganisation von erheblicher Bedeutung sein, ebenso für viele andere Aspekte unserer Außenpolitik, für unsere Ost- und Westpolitik und auch für unsere Südpolitik, d. h. unsere Politik gegenüber den Entwicklungsländern. Im Hinblick auf die Politik innerhalb der Vereinten Nationen müssen wir uns dabei einerseits der Unvollkommenheiten der Satzung der Weltorganisation und ihres Unvermögens bewußt sein, im Zeitalter des leider noch lange nicht überwundenen Nationalstaates mit seinem Pochen auf uneingeschränkte einzelstaatliche Souveränität Konflikte aller Art zwischen den Staaten unseres internationalen System eindämmen, geschweige denn überwinden zu können. Andererseits dürfen wir uns aber innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen nicht scheuen, mit Hilfe sorgfältig ausgearbeiteter Vertragsparagraphen Markierungspunkte einer neuen internationalen Ethik zu setzen, die die scheinbar utopischen Forderungen nach der größtmöglichen Verwirklichung und Garantie naturgegebener Grundrechte sowohl von Völkern und Nationen als auch von Individuen zu verankern sucht.
Nachdem nun der Herr Kollege Mertes aus der Sicht der Opposition wiederum zu dem Verhältnis von nationaler Souveränität einerseits und Garantie der Menschenrechte andererseits Stellung genommen hat, kann ich es mir an dieser Stelle nicht versagen, den abwesenden Herrn Oppositionsführer und den Kollegen Mertes noch einmal anzusprechen.
({1})
- Dazu habe ich ja schon Stellung genommen.
Die von dem Herrn Kollegen Carstens in diesem Zusammenhang gemachten Ausführungen waren für
mich erstaunlich. Vor einigen Wochen gab er der Forderung nach Garantie der Menschenrechte im internationalen System den Vorrang vor derjenigen nach uneingeschränkter nationaler Souveränität. Herr Kollege Carstens in gewisser Weise habe ich Herrn Kollegen Mertes heute auch so verstanden ({2})
hat seinerzeit gemeint, der Deutsche Bundeskanzler und die Bundesregierung dürften sich nicht einer seit 50 Jahren im Gange befindlichen Entwicklung entgegenstellen, die zu einem solchen Vorrang geführt habe. Hier scheint mir Herr Kollege Carstens nun wirklich nicht als außenpolitischer Realist, sondern als ein Utopist gesprochen zu haben. Die dritte Möglichkeit, daß hier seinerzeit weder ein Realist noch ein Utopist, sondern nur ein auf innenpolitische Vorteile bedachter Taktiker sprach, möchte ich gar nicht erst in Erwägung ziehen.
Schließlich, meine Damen und Herren - das sage ich nun auch zu Ihnen, Herr Kollege Mertes -, hat bis heute weder eine Mehrheit der Theoretiker noch eine Mehrheit der Praktiker in Fragen der Vereinten Nationen auch nur behauptet, daß die Verwirklichung der Art. 55 und 56 der UN-Charta mit ihrem Gebot der Wahrung der Menschenrechte Vorrang habe vor der Bestimmung des Art. 2 Abs. 7 der Charta über ein absolutes Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates. Wir alle wollen ja, Herr Kollege Mertes - und das sage ich noch einmal auch zu dem abwesenden Kollegen Carstens -, auf einen solchen Vorrang hinarbeiten.
({3})
Noch sind wir aber leider nicht so weit. Die Tatsachen innerhalb der Vereinten Nationen, d. h. in der Entwicklung der Weltorganisation nach 1945, sprechen hier eine ganz eindeutige Sprache, wohin wir auch schauen. Es möge in diesem Zusammenhang allein der Hinweis auf die UN-Politik in Sachen Republik Südafrika gestattet sein.
Das Dilemma unseres internationalen Systems, von dem wir auch bei unserer neuen UN-Rolle auszugehen haben, ist es bis heute doch gerade, daß die Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Weltorganisation theoretisch und praktisch auf ihre Souveränität weder verzichtet haben noch verzichten wollen,
({4})
noch durch irgendeinen effektiven Mechanismus dazu gezwungen werden können, ihr außen- und innenpolitisches Verhalten den Postulaten der Charta und jetzt eben auch des internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte anzugleichen.
Wir werden in diesem Hause ganz sicher auch dazu beitragen, daß sich unsere Außenpolitik an den Leitgedanken des uns hier heute zur Ratifizierung vorliegenden Paktes hält. Allerdings sollten wir dabei nicht vergessen, daß es zumindest den Deutschen unserer, ich würde sagen: meiner Generation, jedenfalls ihren offiziellen Repräsentanten in Exekutive und Legislative, immer noch nicht besonders gut ansteht, sozusagen in amtlicher Eigenschaft ganz bestimmte Regierungen im internationalen Staatensystem zur Ordnung zu rufen und zu einer besseren Beachtung der Menschenrechte anzuhalten, die Gegenstand unserer Beschlußfassung sind. Wer sich aber in amtlicher Eigenschaft äußert - da wir im Deutschen Bundestag diskutieren, müssen wir in diesem Zusammenhang an uns selber als Repräsentanten des Volkssouveräns denken - sollte das zumindest konsequent nach allen Seiten tun.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schweitzer, haben Sie soeben, als Sie von den Staaten sprachen, auch an die DDR gedacht und gemeint, wir hätten auch dort nicht das Recht und die Aufgabe, zur Einhaltung der Menschenrechte zu mahnen?
Herr Kollege von Bismarck, für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat - das hat auch Frau Kollegin Däubler-Gmelin schon herausgearbeitet - noch nie ein Zweifel daran bestanden, daß wir für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes genauso wie für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker eintreten. Nur sind wir eben der Auffassung - das sage ich noch einmal auch zu Herrn Kollegen Wittmann , daß wir nicht bei jeder Gelegenheit die Weltöffentlichkeit sozusagen ganz kräftig mit der Nase auf unsere deutschen Forderungen stoßen sollten.
({0})
- Das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes, meine Damen und Herren, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Die Bundesregierung - gerade diese Bundesregierung - hat sich seit jeher von diesem Ziel leiten lassen. Ich verweise nur auf die Übergabe des Briefes zur deutschen Einheit. Da bedarf es gar keiner weiteren Klarstellung.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Verehrter Herr Kollege, wenn Sie schon dabei sind, in Frage und Antwort alle Staaten durchzudeklinieren, so bedaure ich, daß wir schon bei D sind, aber C noch nicht genannt wurde. Ich frage Sie deshalb: Sind Sie auch der Meinung, daß man z. B. im Falle Chile genau definieren muß, wohin das führt?
({0})
Jawohl! Ich bin Ihnen für diese Frage, Herr Kollege Wehner, sehr dankbar. In meinen Aufzeichnungen steht an dieser Stelle
jetzt folgender Satz, den ich verlesen darf: Darüber hinaus muß nach unserer Auffassung stets deutlich werden, meine Damen und Herren, daß die Erhaltung des Friedens in der Welt oberste Richtschnur der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist und daß wir uns ferner für das Selbstbestimmungsrecht zugunsten aller Völker einsetzen, also etwa und vor allem auch zugunsten derjenigen, die sich gegen eine durch die Geschichte selber schon widerlegte Politik moderner Kolonialmächte auflehnen. In diesem Zusammenhang sind wir uns immer wieder des schmerzlichen Widerspruchs bewußt, daß wir es dabei auch mit einer Kolonialmacht zu tun haben, mit der wir gemeinsam einem Bündnis zur Verteidigung gerade der in diesem zu ratifizierenden Pakt angesprochenen Rechte angehören.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Bitte.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß sich die DDR durch Art. 2 des Grundlagenvertrages auch der Bundesrepublik gegenüber zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet hat und daß uns der vorliegende Pakt, den auch die DDR unterzeichnet hat und ratifizieren will, eine ganz besondere Verpflichtung auferlegt, gerade im innerdeutschen Verhältnis auf die Verwirklichung dieser Grund- und Menschenrechte gemäß Art. 2 des Grundlagenvertrages politisch hinzuwirken?
Herr Kollege, die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben den Grundlagen- und den UN-Vertrag diesem Hause auch deshalb zur Ratifizierung vorgelegt, weil wir nun gemeinsam mit der DDR im Hinblick auf die Charta sozusagen auf die Waage der Vereinten Nationen gestellt werden. Das ist für uns so selbstverständlich, daß ich an dieser Stelle eigentlich nicht noch einmal darauf hinzuweisen brauche.
Ich sehe, Frau Präsidentin, meine Zeit scheint abgelaufen zu sein. Ich darf aber in diesem Zusammenhang für meine Partei als für die von der historischen Kontinuität her älteste in der Geschichte demokratischer Parteien in Deutschland überhaupt abschließend ganz generell sagen, daß wir Sozialdemokraten uns aus unserer Tradition heraus von niemandem darüber belehren zu lassen brauchen, was ein entschiedenes Eintreten für Freiheit, Recht und Menschenwürde bedeutet. Unsere Partei hat davon immer wieder Zeugnis abgelegt. Ersparen Sie mir hier das Aufzeigen der historischen Zusammenhänge. Gerade deshalb hofft die sozialdemokratische Fraktion dieses Deutschen Bundestages mit ihrem Koalitionspartner, daß der Deutsche Bundestag vor der gesamten Weltöffentlichkeit heute mit einer möglichst einstimmigen Zustimmung zu unserem Beitritt zu diesem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unter Beweis stellt, daß wir weiterhin entschlossen sind, auf eine Zukunft in der ganzen Welt hinzuwirken, in der keinem Volk
und keinem Individuum das unveräußerliche Recht auf Selbstverwirklichung vorenthalten werden kann.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über den Antrag Nr. II auf Drucksache 7/1092, den Entschließungsantrag. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe bitte! - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich rufe den ersten Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
- Drucksache 7/658 Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- Drucksache 7/1093 Berichterstatter: Abgeordneter Kahn-Ackermann
({1})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? -Das ist nicht der Fall.
Wird eine Aussprache gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den zweiten Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1973
({2}) - Drucksache 7/479 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({3})
- Drucksache 7/1070 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs Abgeordneter Suck
({4})
Präsident Frau Renger
Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. - Bitte, Herr Kollege Frerichs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion darf ich zur Verabschiedung des ERP-Wirtschaftsplanes 1973 folgende kurze Erklärung abgeben.
Auch das ERP-Wirtschaftsplangesetz 1973 führt die bisherigen Programme zur Förderung der deutschen Wirtschaft einschließlich Berlin und den Beitrag zur Entwicklungshilfe durch Bereitstellung von Mitteln in Höhe von 2,4 Milliarden DM fort. Neu in den Plan aufgenommen wurde ein Programm zur Förderung von Kooperationsvorhaben, während die bisherigen Finanzierungshilfen, wie sie von den CDU/CSUBundesschatzministern über viele Jahre systematisch entwickelt und ausgebaut wurden, im wesentlichen unverändert beibehalten werden.
Wir haben es bedauert, daß der Gesetzentwurf erst im Mai dieses Jahres in erster Lesung beraten werden konnte und nun im letzten Quartal zur Verabschiedung gelangt; denn über die ERP-Mittel kann grundsätzlich erst nach Billigung der Programme durch das Parlament verfügt werden, da eine vorläufige Haushaltsführung nicht stattfindet, sofern die Mittel nicht rechtlich gebunden oder für Berlin bestimmt sind.
Durch die außergewöhnliche konjunkturelle Anspannung in diesem Jahr mußte auch der ERP-Wirtschaftsplan in das zweite Stabilitätsprogramm mit der Folge einbezogen werden, daß 10 % des Planungsvolumens oder in absoluten Zahlen ausgedrückt: rund 230 Millionen DM so lange gesperrt bleiben sollen, bis die konjunkturelle Lage eine Freigabe der Mittel zuläßt. Da von der Sperre neben rechtlichen Verpflichtungen auch die Mittel für Berlin und die strukturschwachen Gemeinden ausgenommen werden, führt das bei den restlichen Ansätzen von rund 630 Millionen DM zu einer Sperrquote von 37 % oder anders ausgedrückt: zu einer Sperrung von mehr als ein Drittel der Beträge.
Um es an einem Beispiel zu zeigen, bedeutet das daher bei den interessanten Mitteln für Existenzgründung und zur Errichtung von Betrieben in neuen Wohnsiedlungen eine Sperre von 46 Millionen DM bei insgesamt 125 Millionen DM Gesamtvolumen. Das ist eine sehr, sehr bittere Nuß, wenn man bedenkt, daß durch die Kreditrestriktionen und durch die Zinsverteuerung gerade die kleinen und mittleren Unternehmen besonders hart betroffen werden. Für viele wird daher die Hoffnung auf einen baldigen ERP-Kredit begraben werden müssen.
Die CDU 'CSU hat daher bei den Beratungen zum Ausdruck gebracht - ich möchte diese Bitte heute noch einmal wiederholen -, daß die Sperren aufgehoben werden sollten, sobald eine Konjunktursituation eingetreten ist, die das auch zuläßt, damit wenigstens ein kleiner Teil der von der Hochzinspolitik und der Kreditverknappung schwer betroffenen mittelständischen Wirtschaft an die ERP-Mittel herankommen kann.
Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, hat die CDU/CSU bei den Beratungen in den Ausschüssen auf eine ausführliche Erörterung der einzelnen Projekte in diesem Jahr verzichtet. Gleichzeitig haben wir den Wunsch geäußert, den ich ebenfalls noch einmal wiederhole, daß der Entwurf für 1974 noch vor Jahresschluß eingebracht wird, damit genügend Zeit für eine ausführliche Beratung dieses für die deutsche Wirtschaft einschließlich Berlin wichtigen Förderungsprogramms zur Verfügung steht.
Wir werden beantragen, daß über deren Ansatz und Verwendung der Beihilfen für Berlin im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages auch in Berlin beraten wird.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für 1973 zu.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Suck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion möchte ich folgende Erklärung zum ERP-Plan für das Jahr 1973 abgeben.
Der ERP-Wirtschaftsplan 1973 wird sich in diesem Jahr in Einnahmen und Ausgaben auf rund 2,3 Milliarden DM belaufen. Das Volumen ist um 163 Millionen DM - gleich 7,5 % - höher als der Ansatz des Vorjahres. Der Wirtschaftsplan ist wegen der außergewöhnlichen konjunkturellen Anspannung in diesem Jahr mit der Maßgabe in das zweite Stabilitätsprogramm vom 9. Mai 1973 einbezogen worden, daß 10 % des Planvolumens, rund 230 Millionen DM, so lange zu sperren sind, bis die konjunkturelle Lage eine Freigabe dieser Mittel zuläßt. Ausgenommen von der Sperre sind lediglich - das hat auch bereits Herr Kollege Dr. Frerichs hier klargemacht - die Mittel, die gebunden sind, und die Ansätze, die für Berlin und für strukturschwache Gemeinden vorgesehen sind.
Für die Sperre kommen aus diesem Grunde nur Ansätze von rund 630 Millionen DM in Betracht. Die Sperrquote beträgt etwa ein Drittel dieser Mittel. Die Sperrvermerke sind in den einzelnen Titeln sehr eindeutig ausgewiesen worden.
Im wesentlichen stellt der Wirtschaftsplan mit seinen Finanzierungshilfen eine Fortsetzung der bisherigen Förderungsprogramme dar. Ein Programm zur Förderung von Kooperationsvorhaben ist neu aufgenommen worden. Dieses neue Programm - das scheint mir wesentlich zu sein - soll vor allen Dingen die Unternehmen zu einer verstärkten zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit anregen.
Der bisher niedrige Zins für ERP-Darlehen kann nicht mehr beibehalten werden. Bei neuen Darlehen soll der Zins linear um 1,5 % jährlich erhöht werden. Für Darlehen an gewerbliche Unternehmen wird zusätzlich ein Disagio ausgewiesen, das eine weitere
Erhöhung um etwa 0,5 % jährlich ausmachen würde. Die Zinsanhebungen sind erforderlich geworden, um ein weiteres Wachstum des Planvolumens zu gewährleisten. Trotz dieser Zinserhöhung, die in diesem Zusammenhang bis zu einer Steigerung von höchstens 8 % bei den Endkreditnehmern führen wird, verbleibt ein beträchtlicher Subventionsgehalt.
Lassen Sie mich bitte nur ganz kurz auf einige Planansätze eingehen. Die Finanzierungshilfen zur Leistungssteigerung kleinerer und mittlerer Unternehmen in Höhe von 420 Millionen DM sind für die Gebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zur Hälfte, und zwar mit einer Summe von 205 Millionen DM, ausgewiesen worden, die nicht der Sperre unterliegen.
Im Rahmen der Struktur- und Anpassungshilfen sind vor allem eingegangene Verpflichtungsermächtigungen zu erfüllen. Hierzu gehören insbesondere der Ausbau der Seehafenbetriebe, Werft- und Reedereihilfen sowie die Mittel für die Umstrukturierung des Saarlandes. Das VII. Werfthilfeprogramm wurde - Sie erinnern sich dessen - im Herbst 1972 von der Bundesregierung auf 1,5 Milliarden DM aufgestockt. Die Mittel hierfür werden im Verhältnis 1 : 1 aus dem Bundeshaushalt und aus dem ERP-Darlehen aufgebracht. In den Plan 1973 waren die Verpflichtungsermächtigungen für dieses Werfthilfeprogramm in Höhe von 69,6 Millionen DM aufzunehmen.
Die Umweltschutzmaßnahmen sind um 48 Millionen DM insgesamt auf 250 Millionen DM erhöht worden. Gefördert werden hier vor allen Dingen kommunale gewerbliche Anlagen, die Abwasserreinigung, die Luftreinhaltung sowie die Abfallbeseitigung für diese Programme.
Die Berlin-Programme werden ungehindert fortgeführt. Hier haben wir eine Steigerung von 25 Millionen DM auf 440 Millionen DM. Dieser Betrag steht ungesperrt zur Verfügung.
In der Entwicklungshilfe werden die bisher bestehenden Programme fortgesetzt. Auch hier ist eine Erhöhung um 10 Millionen DM auf insgesamt 110 Millionen DM ausgebracht worden.
Der Ausschuß für Wirtschaft hat den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf einstimmig mit der Maßgabe gebilligt, daß aus stabilitätspolitischen Gründen 10 % des Volumens des ERP-Wirtschaftsplanes so lange gesperrt werden, bis die konjunkturelle Lage eine Freigabe der Mittel zuläßt.
Ich darf Sie bitten, dem vorgelegten ERP-Wirtschaftsplangesetzentwurf 1973 zuzustimmen. Meine Fraktion wird diesem Plan zustimmen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zywietz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der ERP-Wirtschaftsplan 1973 setzt bewährte Finanzierungsprogramme für die deutsche Wirtschaft fort. Die gegenüber dem Vorjahr um rund 160 Millionen DM auf ca. 2,3 Milliarden DM gesteigerten Leistungen sind im wesentlichen für die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen, den Umweltschutz und Berlin-Investitionen vorgesehen. Wir begrüßen es, daß gerade hier erhöhte Ansätze ausgebracht worden sind, um in diesen Bereichen eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen.
In den 25 Jahren des Bestehens der ERP-Förderung haben sich die Zielsetzungen deutlich geändert. Es begann mit dem Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft durch amerikanische Unterstützung. In Anerkennung dieser bedeutenden Hilfe hat die Bundesregierung eine Geste des Dankes abgestattet, indem sie 10 Millionen DM jährlich über 15 Jahre für die Förderung der amerikanisch-europäischen Beziehungen bereitgestellt hat. Die aus den Rückflüssen der Marshall-Plan-Hilfe gebildeten ERP-Mittel haben dann in einer zweiten Phase dem weiteren Ausbau der deutschen Wirtschaft gedient. In der folgenden, vor uns liegenden Phase wird der ERPWirtschaftsplan in immer stärkerem Ausmaße als ein wesentliches Instrument der Strukturpolitik eingesetzt werden müssen. Heute ergibt sich nämlich das Problem, diesem raschen Strukturwandel auf den Fersen zu bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt ergeben sich nach Auffassung der FDP neue Schwerpunkte, denen auch dieser Plan wiederum Rechnung trägt.
Angeführt werden soll in diesem Zusammenhang der erstmals eingesetzte Titel zur Förderung von Kooperationsmodellen, durch die in besonderem Maße unternehmerische Initiativen angeregt werden sollen. Die FDP hat sich seit langem für eine derartige Modellförderung eingesetzt. Die FDP-Fraktion begrüßt weiterhin, daß die Ansätze für eine Förderung des Mittelstandes erhöht worden sind. Das gilt insbesondere für die Existenzgründung sowie für die mittelständischen Unternehmen in den regionalen Aktionsprogrammen der Gemeinschaftsaufgabe.
Trotzdem bleibt festzustellen, daß sich im ERPProgramm einige „Erbhöfe" erhalten haben, die in Anbetracht des begrenzten Volumens und der ungedeckten Nachfrage nach ERP-Mitteln einer Überprüfung bedürfen. Hier denkt die FDP-Fraktion an eine Reihe von Titeln, die grundsätzlich besser im Haushalt ausgewiesen werden sollten, weil es sich hierbei nur um zusätzliche Mittelbereitstellung handelt für Positionen, die bereits einmal im Haushalt einen Ansatz gefunden haben. Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang Werfthilfe und Kapitalhilfe im Rahmen der Hilfe für die Entwicklungsländer.
In diesem Zusammenhang betrachtet die FDPFraktion nicht ganz unkritisch die Bereitstellung von Mitteln für Erweiterungsinvestitionen, die das mögliche Volumen für mittelständische Unternehmen festigende Innovationsförderung einengen. Die Bitte der FDP-Fraktion an den federführenden Bundesminister für Wirtschaft geht dahin, diesen Gedankengang in Zukunft stärker zu berücksichtigen.
Selbst in Anbetracht der bekannten Schwierigkeit, einen revolvierenden Fonds umzustrukturieren,
ist die FDP-Fraktion weiterhin der Ansicht, daß man bei den Mitteln für die Entwicklungshilfe, die, jedenfalls in Höhe von 500 Millionen DM, heute mehr oder weniger der reinen Exportförderung dient, eine Umstrukturierung vornehmen sollte. Diese ERP-Mittel sollten in der Zukunft stärker für Lieferungen verwendet werden, die mittlere, arbeitsplatzschaffende Techniken, d. h. nicht so kapitalintensive Techniken, in den Entwicklungsländern fördern, was nach Auffassung unserer Fraktion heute in den Entwicklungsländern von ganz besonderer Bedeutung ist. Arbeitsintensive und doch zukunftsträchtige Investitionen können hier bedeutende Entwicklungsimpulse auslösen.
Es sollte überlegt werden, ob es bei der Begrenztheit der ERP-Mittel nicht durch eine verbesserte Politik des Mitteleinsatzes möglich wäre, auch einen Ansatz für die Förderung der freien Berufe zu finden, soweit es sich um die unternehmerische Seite ihrer Tätigkeit handelt.
Der ERP-Wirtschaftsplan dieses Jahres unterscheidet sich von den früheren Plänen darin, daß er mit als ein Instrument der Stabilitätspolitik der Bundesregierung eingesetzt wird. Die Zusagen dieses Jahres ergehen erst nach Verabschiedung des Plans uns somit etwa sechs Monate später als gewohnt. 10'0/o des Volumens, rund 230 Millionen DM, bleiben noch so lange gesperrt, bis die Konjunkturlage eine Freigabe der Mittel zuläßt.
Die Bundesregierung hat jedoch -- das sollte hier nachdrücklich betont werden - klargestellt, daß die besonders bedeutsamen Hilfen für Berlin und für strukturschwache Gebiete nicht von diesen Sperren erfaßt werden.
Ein solcher begrenzter Beitrag zur Stabilität bedeutet keine Änderung in den Zielsetzungen, die mit dem ERP-Sondervermögen verfolgt werden, und dürfte auch von den betroffenen Wirtschaftskreisen verstanden werden, zumal die zeitliche Verzögerung mit der Freigabe der 1974er Mittel bei normalem Konjunkturverlauf bereits wieder ausgeglichen würde.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß der ERP-Wirtschaftsplan 1973 mit einem Ausgabenvolumen von 2,3 Milliarden DM zinsgünstige Darlehen für Zwecke einsetzt, die ohne staatliche Förderung nicht erreicht würden oder deren Erreichung wesentlich erschwert wäre. Die Aufteilung der Mittel auf die Schwerpunkte Mittelstand, Struktur- und Anpassungsmaßnahmen, Umweltschutz, Berlin-Hilfe und Entwicklungshilfe halten wir dabei für ausgewogen. Wir stimmen deshalb dem vorgelegten Entwurf uneingeschränkt zu.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Erklärungen der Fraktionen gehört. Wir kommen zur Abstimmung über das Gesetz in zweiter Lesung. Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Entwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregieung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Dezember 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Auswirkungen der Anlage und des Betriebes des Flughafens Salzburg auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 7/908 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({0})
- Drucksache 7/1032 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst ({1})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer den aufgerufenen Bestimmungen und damit dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
Wir haben noch über Nr. 2 des Ausschußantrages in Drucksache 7/1032 abzustimmen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger
- Drucksache 7/978 Berichte und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({2})
- Drucksache 7/1033 Berichterstatter: Abgeordneter Vehar ({3})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort in zweiter Beratung wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Präsident Frau Renger
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. -
Danke schön. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Statistik des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs
- Drucksache 7/426 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({4})
- Drucksache 7/1034 Berichterstatter: Abgeordneter Mahne ({5})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Abstimmung in der zweiten Beratung.
Ich rufe § 1, § 2 in der Ausschußfassung, §§ 3 bis 10 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Danke; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. Juli 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Guatemala über den internationalen Fluglinienverkehr
- Drucksache 7/ 849 Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr ({6})
- Drucksache 7/1035
Berichterstatter: Abgeordneter Wendt ({7})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe die Artikel 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung darüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Oktober 1971 zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger
Drucksache 7/121 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({8})
- Drucksache 7/1049 Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
Abgeordneter Dr. Stienen
({9})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Bitte, Herr Abgeordneter!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 29. Oktober 1971 zum Schutze der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger wurde vom Plenum dem Rechtsausschuß - federführend - zur Beratung überwiesen.
Der Rechtsausschuß hat am 21. und 26. September das Gesetz beraten und empfiehlt Ihnen, den Entwurf im Grundsatz anzunehmen. Mit diesem Gesetz fährt die Bundesrepublik Deutschland darin fort, im Kreis derjenigen Staaten zu verbleiben, die geistiges Eigentum weitgehend unter Schutz stellen, soweit dies international überhaupt möglich ist.
In diesem Haus ist jüngst das Gesetz zu den am 24. Juli 1973 in Faris unterzeichneten Übereinkünften auf dem Gebiet des Urheberrechts verabschiedet worden. Heute soll nun eine Lücke geschlossen werden, um die Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger sowie gegen die Einfuhr und den Vertrieb von Vervielfältigungsstücken zu sichern.
In den letzten Jahren hat die unerlaubte Vervielfältigung von Tonträgern in einem unerträglichen Maße zugenommen. Geschädigt sind dabei nicht nur die Hersteller von Tonträgern, sondern im gleichen Maße die Urheber und die ausübenden Künstler, deren Werke und Darbietungen auf die Tonträger übernommen worden sind.
Bisher konnte dem Mißstand auf internationaler Ebene nicht wirksam begegnet werden. Das Abkommen von Rom vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen, denen die Bundesrepublik Deutschland angehört, sieht zwar ausreichende Vorschriften zum Schutz der Hersteller von Tonträgern vor. Leider sind diesem Abkommen aber bisher nur 13 Staaten, darunter die Bundesrepublik, beigetreten, so daß der recht weitgehende Schutz, den dieses Abkommen an sich bietet, leider nicht in die Praxis umgesetzt worden ist. Auch der Mindestschutz gegen den unlauteren Wettbewerb, den die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums in der Stockholmer Fas3262
sung bietet, der mehr als 80 Staaten beigetreten sind, hat sich als nicht ausreichend erwiesen.
Das vorliegende Übereinkommen enthält mit Sicherheit nicht alle jene Schutzvorschriften, die wünschenswert wären. Um jedoch einer möglichst großen Anzahl von Staaten den Beitritt zu ermöglichen, sind die Verpflichtungen des Übereinkommens bewußt auf ein Mindestmaß beschränkt worden. Das Übereinkommen findet nicht unmittelbar Anwendung, sondern setzt voraus, daß es durch nationales Recht, durch nationale Bestimmungen verifiziert wird.
Der materielle Inhalt des Übereinkommens liegt darin, daß die Hersteller von Tonträgern dagegen geschützt werden, daß ohne ihre Einwilligung für die Öffentlichkeit bestimmte Kopien angefertigt, diese unerlaubt angefertigten Kopien zum Zweck der Verbreitung an die Öffentlichkeit eingeführt und schließlich solche Kopien an die Öffentlichkeit verbreitet werden.
Um eine weite Verbreitung des Übereinkommens zu gewährleisten, ist davon abgesehen worden, --- was immerhin bemerkenswert ist -, auch die unerlaubte Herstellung von Kopien für und durch Rundfunkanstalten und auch die Sendung derartiger Kopien oder die sonstige öffentliche Weitergabe in den Schutz mit einzubeziehen. Ebenso bleiben alle Vervielfältigungen ungeschützt - und das ist für die Privatsphäre interessant -, die ausschließlich für die privaten Zwecke des Übertragers bestimmt sind.
Wie das Rom-Abkommen legt auch die vorliegende Übereinkunft eine Mindestschutzdauer von 20 Jahren fest. Sie sieht ferner ein Zwangslizenzverfahren zugunsten der Entwicklungsländer vor, damit diese erleichterte Bedingungen vorfinden, allerdings nur, soweit diese Vervielfältigungen ausschließlich zum Gebrauch in Unterricht und Forschung bestimmt sind.
Von Bedeutung dürfte noch sein, daß der Rechtsausschuß den Herstellern von Tonträgern nicht nur zivilrechtlichen, sondern auch strafrechtlichen Schutz zubilligen wollte. Der Verdeutlichung halber hat der Rechtsausschuß durch die Neufassung des Artikels 2 Abs. 1 des Vertragsgesetzes auch die Strafvorschrift des § 108 Nr. 5 des Urheberrechtsgesetzes ausdrücklich für anwendbar erklärt. Daraus folgt zugleich, daß auch die Vorschriften der §§ 109 bis 111 des Urheberrechtsgesetzes, die sich auf alle Straftaten nach den §§ 106 bis 108 beziehen, Anwendung finden.
Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuß empfiehlt Ihnen einstimmig, das vorliegende Vertragsgesetz in der Fassung der Drucksache 7/121 mit dem Zusatz bezüglich § 108 Nr. 5 anzunehmen, den Sie im Bericht des Rechtsausschusses auf Seite 3 der Drucksache 7/1049 finden.
Die Bestrebungen der Bundesrepublik Deutschland, seit Jahrzehnten auf internationaler Ebene zum Schutz geistigen Eigentums ihren Beitrag zu leisten, wurden dadurch weitergeführt.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Artikel 1, 2 - in der Ausschußfassung -, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. - Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung vorgeprüfter Apothekenanwärter
- Drucksache 7/907 Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({0})
- Drucksache 7/1050 Berichterstatter: Abgeordneter Anbuhl ({1})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1 in der Fassung des Ausschußantrages, §§ 2 bis 6, Einleitung und Überschrift. - Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 12 a der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes
- Drucksache 3/.1056 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Frau Abgeordnete Meermann!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der SPD-Bundestagsfraktion den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, zu begründen. Dieser Entwurf ist zusammen mit jenem Entwurf ,der Bundesregierung zu sehen, der sich zur Zeit in Beratung beim
Bundesrat befindet und der daher heute offiziell nicht mit beraten werden kann. Ich bitte die Frau Präsidentin aber, damit einverstanden zu sein, daß ich den gedanklichen Zusammenhang der beiden Entwürfe 'darstelle.
Die hier nicht anwesenden Vertreter des Bundesrates bitte ich überzeugt zu sein, daß keineswegs Respektlosigkeit, sondern im Gegenteil der Respekt vor diesem hohen Verfassungsorgan uns veranlaßt,
({0})
unsere Novelle jetzt einzubringen statt, wie es vielleicht denkbar gewesen wäre, einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung mit eben diesem Inhalt in den Ausschußberatungen zu stellen.
Wir glaubten wegen der finanziellen Konsequenzen, die unser Gesetzentwurf hat und die Bund und Länder gemeinsam zu tragen haben, unseren Entwurf so rechtzeitig einbringen zu sollen, daß der Bundesrat ihn in seine Beratungen am 19. Oktober einbeziehen kann. Wir haben sicher ein gemeinsames Interesse daran, beide Entwürfe so zügig zu behandeln, +daß das neue Wohngeldgesetz, auf das viele Bürger schon warten, am 1. Januar 1974 in Kraft treten kann. Für die Verwaltung wird es freilich nicht leicht sein, ihre Programme in so kurzer Zeit umzustellen, und ich möchte schon heute namens der SPD-Bundestagsfraktion allen, die daran arbeiten werden, herzlich danken.
Beide Gesetzentwürfe, der der Bundesregierung und der der Koalitionsfraktionen, dienen dem Ziel, das angemessene, lebenswerte Wohnen für Familien und Alleinstehende mit geringerem Einkommen in ihrer Mietwohnung, aber auch in ihren Eigenheimen oder der Eigentumswohnung wirtschaftlich zu sichern. Der Bundestag hatte seinerzeit bewußt auf dynamisierte Einkommens- und Mietgrenzen verzichtet, weil Einkommen und Mieten sich immer in unterschiedlichen Proportionen entwickeln. Statt dessen hat er sich eine regelmäßige Überprüfung der Miet- und Einkommensentwicklung zur Pflicht gemacht.
So stellt denn der Gesetzentwurf der Bundesregierung auch die Konsequenz aus der Mietentwicklung seit Inkrafttreten des Zweiten Wohngeldgesetzes am 1. Januar 1971 dar, die dazu geführt hat, daß die Mietobergrenzen vor allem bei den Neuestbaumieten und bei den gut ausgestatteten Altbauwohnungen nicht mehr ausreichen. Wir begrüßen die Vorschläge 'der Bundesregierung zur Anhebung, die wir für sehr abgewogen halten. Sie helfen vor allem den Mietern im neueren öffentlich geförderten und frei finanzierten Wohnungsbau. Von Ausnahmen abgesehen, liegen damit die Mieten der Sozialwohnungen wieder innerhalb der Höchstgrenzen.
Der Mietentwicklung wird auch dadurch Rechnung getragen, daß die Städte mit mehr als 500 000 Einwohnern den Millionenstädten gleichgestellt werden. Durch die vorgeschlagene Erhöhung der Höchstsätze für die gutausgestatteten Altbauwohnungen werden die Althausbesitzer zur Modernisierung ihrer Häuser ermutigt. Sie können damit rechnen, daß ihre Mieter, die häufig zu den einkommensschwächeren. Gruppen gehören, auch nach der Modernisierung die Miete noch bezahlen können. Wir sehen hier auch einen Auftakt für die Einbeziehung der Althausmodernisierung in die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, ein Lieblingskind von Herrn Bundesminister Vogel, von dem ich aber sicher bin, daß dieses Lieblingskind auch sehr bald von der ganzen - um den Herrn Kollegen Mick zu zitieren - „Wohnungspartie" dieses Hauses adoptiert werden wird.
Schließlich sollen bei der Einkommensermittlung künftig auch die Unterhaltsleistungen, z. B. an nichteheliche Kinder, geschiedene Ehefrauen, Eltern oder Großeltern, abgesetzt werden können. Damit kann vielen Familien, die es schwerer haben als andere, besser geholfen werden.
Von einer Erhöhung der Einkommensgrenzen hatte die Bundesregierung bei ihrer Beschlußfassung Anfang September abgesehen, und dafür gibt es in einer Zeit, in der die Erlangung größerer Geldwertstabilität oberstes finanz- und wirtschaftspolitisches Ziel ist, gute Gründe. Hinzu kommt, daß seit Inkrafttreten des Zweiten Wohngeldgesetzes im Jahre 1971 die Löhne, Gehälter und Renten um etliches stärker gestiegen sind als die Mieten. Diese Feststellung, die den Durchschnitt betrifft, schließt aber nicht aus, daß einzelne Gruppen von Mieten, zumal im sozialen Wohnungsbau, gerade in jüngster Zeit erhebliche Sprünge gemacht und manche Familien hart getroffen haben. Das hat vor allem zwei Gründe: einmal die zur Wiedererlangung der Stabilität notwendige Hochzinspolitik, die auch hohe Zinsen der Sparkassenhypotheken im Wohnungsbestand zur Folge hat, zum anderen das in den Ländern entwickelte und vom Bund in das Regionalprogramm übernommene Finanzierungssystem mit degressiven Aufwendungsbeihilfen, die dazu führen, daß alle vier oder fünf Jahre die Mieten ziemlich sprunghaft steigen. Beides macht sich besonders empfindlich dann bemerkbar, wenn Wohngeldempfänger durch eine Lohnerhöhung gerade aus der Wohngeldberechtigung herauswachsen, aber gleichzeitig eine Mieterhöhung hinnehmen müssen und so das verfügbare Familieneinkommen plötzlich geringer wird statt höher. Das sind nicht gewollte Härten, die wir durch das Wohngeldgesetz mildern können.
Wir hatten zunächst an eine nominale Erhöhung der Einkommensgrenze gedacht. Dann müßte aber das ganze Tabellenwerk des Wohngeldgesetzes neu aufeinander abgestimmt werden. Das ist in kurzer Zeit nicht möglich. Deshalb haben wir uns für eine Erhöhung des allgemeinen Freibetrages von 20 auf 30 % entschieden. Das bedeutet faktisch eine Erhöhung der Bruttoeinkommensgrenze je nach Familienstand zwischen 12,8 und 14,3 %. Der Wohngeldanspruch für eine Person läuft danach künftig bei einem Monatseinkommen von brutto 1143 DM aus statt bisher 1000 DM, der Anspruch für eine vierköpfige Familie mit einem Verdiener bei brutto 2072 DM gegenüber bisher 1822 DM. Die Erhöhung des allgemeinen Freibetrages hat außerdem den Vorzug, daß nicht nur neue Wohngeldempfänger hinzukommen, sondern daß auch die bisherigen besser
bedacht werden, vor allem diejenigen, die im Verhältnis zu ihrem Einkommen eine hohe Miete zu zahlen haben. Bitte erlauben Sie mir, hierfür zwei Beispiele anzuführen. Eine Rentnerin, die mit einer Rente von 560 DM monatlich in einer Stadt unter 100 000 Einwohnern lebt, wo sie für ihre mit Bad und Sammelheizung ausgestattete Altbauwohnung 170 DM monatlich an Miete zahlt, erhält jetzt ein Wohngeld von monatlich 24 DM; nach den Vorschlägen von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen werden es im nächsten Jahr 66 DM sein. Eine Familie mit sechs Kindern und einem monatlichen Bruttoeinkommen von 3000 DM, die in einer Großstadt über 500 000 Einwohnern für eine Neubauwohnung 500 DM Miete monatlich zahlt, bekommt jetzt ein Wohngeld von 46 DM im Monat; nach unseren Vorstellungen werden es künftig 125 DM sein. Beide werden spüren, daß der Anteil, den sie von ihrem Einkommen für die Miete aufbringen müssen, sich verringert: bei der Rentnerin von 26,1 auf 18,6 %, bei der achtköpfigen Familie von 15,1 auf 12,5 %. Das ist immerhin noch ein beachtlicher Eigenanteil, der von beiden geleistet werden muß.
Ich habe diese Beispiele angeführt, weil Sie wissen sollten, was die Entscheidung dieses Hauses über die vorliegenden Gesetzesvorschläge für den einzelnen Bürger, für die Sicherheit in seiner Wohnung, also die Sicherheit im Zentrum seines Lebens, bedeutet. Zum zweiten wollte ich mit diesen Beispielen deutlich machen, daß hier keine Aktion „Gießkanne" stattfindet, wie sie gelegentlich gefordert wird, sondern daß die Hilfe der Gemeinschaft ganz gezielt denen zugute kommt, die sie nötig brauchen.
Die SPD-Bundestagsfraktion bittet Sie, der Ausschußüberweisung zuzustimmen.
({1})
Das Wort in der Aussprache hat Herr Abgeordneter Wurbs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes - Drucksache 7/1056 - gebe ich im Namen der FDP-Fraktion folgende Erklärung ab. Frau Kollegin Meermann hat bereits begründet, warum die Koalitionsfraktionen den Weg des Initiativentwurfs gewählt haben, so daß ich mich gleich dem Inhalt des Entwurfs zuwenden kann.
Durch den Entwurf soll eine kurzfristige Anpassung an die Einkommens- und Mietentwicklung erreicht werden, und zwar durch Erhöhung des allgemeinen Freibetrages nach § 17 des Zweiten Wohngeldgesetzes von bisher 20 auf 30 v. H. Diese Erhöhung entspricht einer faktischen Anhebung der Einkommensgrenzen um etwa 13 bis 14 %. Das vorgeschlagene Verfahren, die Erhöhung des Freibetrages, erscheint wegen der Eilbedürftigkeit - die Novelle soll ja am 1. Januar 1974 in Kraft treten- gangbarer zu sein als die Vorschläge der Länder, die eine völlige Erneuerung der Wohngeldtabellen vorgeschlagen haben.
({0})
Der Koalitionsentwurf bringt folgende Ergebnisse.
Erstens. Personen, die infolge Einkommenssteigerungen ihren Wohngeldanspruch verloren haben, wachsen wieder in die Wohngeldberechtigung hinein.
Zweitens. Personen, die knapp oberhalb der Einkommensgrenze lagen, erhalten die Wohngeldberechtigung zurück.
Drittens. Zum Teil erhalten die Wohngeldberechtigten ein höheres Wohngeld. Auf eine Dynamisierung des Wohngeldes hatte der Bundestag seinerzeit bei der Verabschiedung des Gesetzes verzichtet. Hingegen wurde die Ansicht vertreten, daß die Anpassung in regelmäßigen Abständen vorgenommen werden sollte.
Die Koalitionsfraktionen sind der Auffassung, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, eine Anpassung durchzuführen. Diesem Ziel dient der Gesetzentwurf. Die FDP-Fraktion stimmt der Ausschußüberweisung zu.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Nordlohne.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Hinblick auf die besondere gesellschafts- und wohnungspolitische Bedeutung, die dem Wohngeld zukommt, und unter Beachtung der Aussage des früheren Bundesministers für Wohnungswesen, Herrn Lauritzen, wonach die Bundesregierung in ihrem Programm der inneren Reformen dem Wohngeldwesen eine zentrale Bedeutung beimesse, kann angesichts der Tatsache, daß diesem Hohen Hause zur Beratung der Verbesserung der Situation der Wohngeldempfänger heute lediglich ein Initiativgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen SPD und FDP zur Erhöhung der Bruttoeinkommensgrenzen vorliegt, durchaus von einem einmaligen Vorgang bezüglich der Gesetzesinitiative im Wohngeldwesen durch eine Bundesregierung gesprochen werden. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die seit dem 1. Januar 1971 aufgetretenen Härten für unzählige Mieter, Wohnungs- und Hauseigentümer in unserem Lande in bezug auf das Aufbringen der stark angestiegenen Mieten und Belastungen zu einem großen Teil beseitigen würde und der eine Lösung bezüglich der Anhebung der Einkommensgrenze in einem größeren Zusammenhang enthielte, liegt diesem Hause, wie Kollegin Meermann zu Recht schon gesagt hat, heute nicht vor, obwohl er bereits im Frühjahr dieses Jahres auf eine von Unionsabgeordneten erhobene Forderung hin durch die Bundesregierung im zuständigen Fachausschuß zum 1. Januar 1974 angekündigt worden ist. Obwohl die Bundesregierung nicht erst seit der Erstellung des Mietenberichts 1972 - das war im Mai dieses Jahres - wußte, in welch starkem Maße ein Anstieg der Wohnungskosten seit dem Inkrafttreten des Zweiten Wohngeldgesetzes am 1. Januar 1971 zu verzeichnen war, haben die Beratungen zwischen dem Bundesministerium
für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und dem Finanzministerium sowie die Beratungen im Bundeskabinett über die Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln zu keiner Einigung geführt, so daß es den Fraktionen der SPD und FDP überlassen blieb, einen Initiativgesetzentwurf zur Änderung der Einkommensgrenzen einzubringen.
Dieser Entwurf löst das Problem jedoch nicht voll. Dafür, daß die Fraktionen der SPD und FDP sich - im Unterschied zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - gegenüber der Bundesregierung hinsichtlich der Erhöhung der Einkommensgrenzen durchgesetzt haben, gebührt ihnen unser Dank. Gerade den sozial schwachen Bürgern - Frau Kollegin Meermann, Sie haben dies zu Recht ausgeführt angemessenen, familiengerechten Wohnraum wirtschaftlich zu sichern ist die Aufgabe unseres Wohngeldgesetzes. Das Wohngeldrecht - das Zweite Wohngeldgesetz ist, wie gesagt, seit dem 1. Januar 1971 in Kraft - wird ständig daraufhin überprüft, ob es seiner Zielsetzung noch gerecht wird. Der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat in den vergangenen Wochen und Monaten bei jeder sich ergebenden Gelegenheit betont, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes vom 7. September 1973 dieser Zielsetzung Rechnung tragen werde. Es bleibt den bevorstehenden Beratungen im zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages vorbehalten, dieser Feststellung näher nachzugehen und dabei diesen Gesetzentwurf sowie den Initiativgesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf ihre Mängel zu untersuchen.
Für die Fraktion der CDU/CSU will ich mich deshalb an dieser Stelle auf einige grundsätzliche Feststellungen beschränken.
1. Wir sind der Auffassung, daß die in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes vorgesehenen Verbesserungen wegen der Steigerung der Lebenshaltungskosten und der Mieten nicht ausreichen, weiterhin die wirtschaftliche Sicherung angemessener und familiengerechter Wohnungen zu gewährleisten.
2. Wir sind der Auffassung, daß das Gesetz im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sowohl hinsichtlich der Einkommensgrenzen als auch hinsichtlich der Höhe der Wohngeldbeträge noch verbessert werden muß, wenn die dem Zweiten Wohngeldgesetz zugrunde liegende Belastungsquote für die Mietkosten wieder erreicht werden soll. Im Laufe meiner Ausführungen komme ich gleich noch auf den Entwurf der Koalitionsfraktionen zu sprechen. Er trägt, so meinen wir, dieser Notwendigkeit nicht Rechnung.
3. Die bisher eingetretenen und die für 1974 zu erwartenden Mietsteigerungen - insbesondere im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau - haben die geltenden Höchstbeträge für Mieten und Belastungen wesentlich überschritten. Darin sind sich alle Parteien einig. Auch die im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes vorgesehene Anhebung der Höchstbeträge
für Mieten und Belastungen deckt nicht vollständig den gestiegenen Mietaufwand ab.
4. Die vorgesehene Fortschreibung der Anlagen 1 bis 8 des Zweiten Wohngeldgesetzes bedeutet nur eine Erweiterung um die für die neuen Höchstbeträge erforderlichen Spalten auf der Basis der bestehenden Berechnungsformel. Das hat zur Folge, daß sich das Wohngeld um einen wesentlich geringeren Prozentsatz erhöht, als die Mieten und die zu berücksichtigenden Höchstbeträge gestiegen sind.
5. Bei einer Gesamtausgabe von 1,2 Milliarden DM Wohngeld im Jahre 1972, d. h. einer Steigerung von 43,9 % gegenüber der Gesamtausgabe von 835 Millionen DM im Jahre 1971, sowie geschätzten Gesamtkosten von mindestens 1,4 Milliarden DM in diesem Jahr, kann von einer wesentlichen Verbesserung des Wohngeldrechts nicht gesprochen werden. Die zu erwartenden Mehrkosten - über die Beträge, Ausgaben und Aufwendungen, die sich aus dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP ergeben, spreche ich noch gesondert - aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung belaufen sich auf 55 bis 60 Millionen DM. Das sind weniger als 4 % der für 1974 zu erwartenden Ausgaben. Dies ist nach unserer Auffassung zu wenig.
6. Wir begrüßen die Tatsache, daß im Regierungsentwurf bei der Festsetzung von Höchstbeträgen für Miete und Belastung - nach § 8 - eine weitere
Wohnraumunterteilung bei Bezugsfertigkeit nach dem 31. Dezember 1971 erfolgt. Wir begrüßen weiter die Tatsache, daß die Ortsklasseneinteilung bei den Großstädten jetzt eine stärkere Differenzierung erfährt: 100 000 bis unter 500 000 Einwohner und ab 500 000 Einwohner. Wir begrüßen ferner, daß die Bewertung von Sachbezügen auf andere als nicht selbständige Einkunftsarten ausgedehnt wird und die Absetzbarkeit der Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen vorgesehen ist.
7. Für den Fall, daß verschiedene Anträge des Bundesrats, aber auch Ergänzungsanträge der CDU/CSU-Fraktion im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens aus Zeitgründen keine Berücksichtigung mehr finden können, trägt die Bundesregierung wegen der nicht zeitgerechten und nur unvollständigen Einbringung des Gesetzentwurfs die alleinige Verantwortung dafür, wenn zum 1. Januar 1974 eine völlig unbefriedigende Novellierung des Zweiten Wohngeldgesetzes erfolgt und damit die wirklichen Unzulänglichkeiten unserer heutigen Wohngeldgesetzgebung nicht behoben werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der diesem Hause heute morgen vorliegende Initiativgesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP beinhaltet auf Seite 1 die Feststellung, daß eine Erhöhung der Einkommensgrenzen mit der gleichzeitig erforderlichen völligen Erneuerung des Tabellenwerks kurzfristig nicht realisierbar sei. Sie haben vorhin darüber gesprochen. Aus diesem Grunde ist eine Erhöhung der Bruttoeinkommensgrenzen durch die Heraufsetzung des allgemeinen Freibetrags gemäß § 17 des Zweiten Wohngeldgesetzes von 20 auf 30 % vorgesehen.
Der Freibetrag nach § 17 des Zweiten Wohngeldgesetzes stellt einen Pauschbetrag für Steuern, Versicherungen und sonstige nicht der Deckung des Lebensunterhalts dienende Aufwendungen dar. Aus Gründen der Rechtsklärung steht dieser allgemeine Freibetrag als besondere Regelung am Schluß der Vorschriften über die Einkommensermittlung. Dieser Freibetrag dient wie die anderen Freibeträge der Bereinigung des Bruttoeinkommens, um das Familieneinkommen nach § 9 zu errechnen.
Ganz abgesehen davon, daß gegen das Verfahren, über die Anhebung dieses Freibetrags von 20 auf 30 % eine faktische Erhöhung der Bruttoeinkommensgrenze vorzunehmen, rechtliche Bedenken anzumelden sind, die sich u. a. aus dem bereits bestehenden Zweiten Wohngeldgesetz selbst ergeben, wird das Problem, den insgesamt nunmehr über 1 Million zählenden Wohngeldempfängern zu helfen und dadurch dem Wohngeld seine besondere gesellschafts- und wohnungspolitische Bedeutung weiterhin einzuräumen, nicht gelöst.
Erlauben Sie mir, dies an Hand der eigenen Begründung dieses Gesetzentwurfs mit einem Beispiel zu erläutern. Frau Kollegin Meermann, Sie haben vorhin Beispiele genannt; ich möchte es an Hand Ihres eigenen Gesetzentwurfs tun.
Der Gesetzentwurf geht davon aus, daß seit dem Inkrafttreten des Zweiten Wohngeldgesetzes am 1. Januar 1971 bis zum Ende des Jahres 1973 die Bruttowochenverdienste der Industriearbeiter eine Steigerung von rund 25 % erfahren haben. Das bedeutet, daß das Bruttoeinkommen eines Industriearbeiters, welches am 1. Januar 1971 1 500 DM monatlich betrug, am Ende dieses Jahres 1 875 DM brutto ausmachen wird. Bei einer Familiengröße von vier Personen und einer angenommenen Mietzahlung von 300 DM am 1. Januar 1971 erhielt dieser Arbeiter nach dem jetzt geltenden Recht ein monatliches Wohngeld von 57 DM. Dieselbe Miete soll im frei finanzierten Wohnungsbau nach dem Mietenbericht der Bundesregierung für 1972 in derselben Zeit um 18,9 % gestiegen sein.
Mancher Mieter in unserem Lande wäre froh, wenn sich seine Mieterhöhung in diesen drei Jahren nur in diesem Rahmen bewegt hätte, ganz zu schweigen von der Steigerung der Belastung beim Wohnungseigentümer oder Einfamilienhausbesitzer, wenn man nicht nur die hohen Baukostensteigerungen, sondern auch die Entwicklung am Kapitalmarkt seit 1971 betrachtet.
Die 1971 noch monatlich 300 DM ausmachende Miete ist bei Zugrundelegung der im Mietenbericht 1972 ausgewiesenen Mietpreissteigerung von 18,9 % damit auf 356,70 DM angestiegen. Trotzdem erhält der Arbeiter, dessen Bruttoeinkommen nunmehr 1 875 DM beträgt, im Falle des Inkrafttretens dieses Gesetzentwurfs lediglich 45 DM Wohngeld monatlich, d. h., er erhält 12 DM monatlich weniger. Er hat nicht nur die volle Mieterhöhung von 56,70 DM, sondern obendrein seine Wohngeldverringerung von 12 DM selbst zu tragen, so daß sein effektiver Mehraufwand für die Unterkunft 68,70 DM monatlich beträgt. Dieser Arbeiter erhält durch die Wohngeldgesetzänderung keine Verbesserung. Er erfährt
nicht einmal den Gleichstand bei seinem Wohngeldbezug, wie es der Gesetzentwurf bewirken soll, sondern setzt bei voller Übernahme der Mietpreissteigerung aus seiner Tasche noch zu, und das bei weiterhin anhaltender inflationärer Tendenz in allen Bereichen seines täglichen Lebens.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe dieses Beispiel gebracht, weil Sie vorhin ebenfalls zwei Beispiele vorgetragen haben. Nur sind Sie vermutlich nicht von den inzwischen eingetretenen Steigerungen der Mieten und Belastungen ausgegangen.
Ich könnte Ihnen unter Beachtung der beabsichtigten Gesetzesneuregelung noch mehrere Berechnungsbeispiele aufzeigen, so für Rentner, Ehepaare, kinderreiche Familien und sonstige Bevölkerungsschichten, die bei der Entwicklung der Mieterhöhungen der letzten Jahre und der kaum noch vorhandenen nominalen Lohn- und Einkommensteigerung die Leidtragenden auch auf dem Gebiete des Wohngelds gewesen sind und es nach unserer Auffassung auch bleiben werden. Ich möchte davon an dieser Stelle Abstand nehmen und bei den Ausschußberatungen näher darauf zurückkommen.
Lassen Sie mich aber noch eines in bezug auf die Haushaltsentwicklungen sagen; denn dort ist sichtbar, welchen Verlauf die gesamte Inanspruchnahme des Wohngelds in den letzten Jahren genommen hat. Wer sich einmal die Mühe macht, die Entwicklung der Soll- und der Ist-Ausgaben des Bundes, der neben den Ländern die Hälfte der gesamten Wohngeldausgaben zu tragen hat, an Hand der Haushaltspläne seit dem Jahre 1965 Jahr für Jahr bis einschließlich 1973 zu untersuchen, kommt insbesondere für die Zeit ab 1970 zu bedrückenden Feststellungen. Ich darf mir erhauben, an dieser Stelle kurz -darauf einzugehen, um deutlich zu machen, wie sich die finanzielle Wohngeldentwicklung vollzieht, an der die Inanspruchnahme des Wohngeldes klar sichtbar wird.
In einer millionenfachen Auflage der sogenannten Wohngeldfibel schrieb im Dezember 1970 der damalige Bundeswohnungsbauminister Lauritzen - ich darf mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten zittieren -:
Das Zweite Wohngeldgesetz, das am 1. Januar 1971 in Kraft tritt und dem die Bundesregierung im Programm der inneren Reformen eine ganz zentrale Bedeutung beimißt, bringt wesentliche Verbesserungen der materiellen Leistungen und erweitert den Kreis der Wohngeldberechtigten.
Der entscheidende Satz lautete:
Im Jahre 1971 werden mehr als 1 Million Haushalte rd. 1,3 Milliarden DM Wohngeld erhalten.
Tatsächlich sind jedoch 1971 von den veranschlagten 1,3 Milliarden DM Wohngeldaufwendungen des Bundes und der Länder zusammen nur 835 Millionen DM als Ist-Ausgabe zu verzeichnen gewesen, also rund 0,5 Milliarden DM weniger als veranschlagt. Die vorhergesagte Steigerung der Wohngeldausgaben von dem Ist-Betrag des Jahres 1970 auf den Soll-Betrag des Jahres 1971 betrug 116 %. Tatsächlich belief sich die Steigerung der IstAusgaben des
Jahres 1971 gegenüber den Ist-Ausgaben des Jahres . 1970 nur auf 39 %.
Die Tatsache, daß die IstAusgaben des Bundes sowohl 1970 als auch 1971 um rund 200 Millionen DM, d. h. um ein Drittel der veranschlagten Summe, hinter dem Jahressoll zurückblieben, die Ansätze der Jahre 1971 bis 1973 in etwa stagnieren und daß der für das Jahr 1973 veranschlagte 50%ige Wohngeldanteil des Bundes mit dem Haushaltstitelvermerk "Weniger in Anpassung an die Aufgabenentwicklung" versehen wurde, beweist deutlich, in welchem Umfang die Wohngeldempfänger durch das Überschreiten der Einkommensgrenze nach § 19, deren Anhebung in beiden Gesetzentwürfen nicht vorgesehen ist, durch die Jahr für Jahr eingetretenen und sich bis zum völligen Anspruchswegfall fortsetzenden Wohngeldkürzungen sowie durch das Überschreiten der Mietobergrenzen aus dem Wohngeldbezug herausgefallen sind.
Für die Fraktion der CDU/CSU stelle ich fest, daß im Zusammenhang mit dieser bevorstehenden Wohngeldgesetzänderung nicht davon die Rede ist, daß die Bundesregierung nunmehr bereit ist, die bestehende Wohngeldverordnung zum Wohngeldgesetz hinsichtlich der bereits seit dem Jahre 1956 in unveränderter Form bestehenden Vorschrift zu ändern, wonach bei Erstellung der Lastenberechnung zwecks Ermittlung von Lastenzuschüssen für Eigentumswohnungen und Eigenheime die Belastung aus dem Kapitaldienst für Zinsen und für die Tilgung nur in Höhe von 8 % angerechnet werden darf. Was 1965 und noch in einigen Jahren danach bei einem Zinssatz von 6,5 % und einem Tilgungssatz von 1 bis 1,5 % angemessen und richtig war, hat in einer Zeit, in der am allgemeinen Kapitalmarkt bereits Zinssätze von 10 % und mehr gelten, keine Gültigkeit mehr und muß, falls nicht ungleiches Recht zwischen Mietzuschußempfängern und Lastenzuschußempfängern weiterhin bestehen bzw. sich noch verschärfen soll, eine Änderung erfahren.
Die Bundesregierung hat bereits erstmalig vor rund drei Jahren und in den Jahren danach auch in dieser Legislaturperiode - bei mündlichen Anfragen von Unionsabgeordneten in der Fragestunde dieses Hauses wiederholt versichert, daß sie die Überprüfung und Rücksprache mit den Ländern und gegebenenfalls eine Änderung vornehmen wolle. Bis zum heutigen Tage ist in diesem Punkt leider nichts Entscheidendes geschehen. Ich hoffe sehr, daß das - auch im Hinblick auf den 1. Januar 1974 -noch erfolgen wird.
Lassen Sie mich meine Ausführungen zu diesen beiden Gesetzentwürfen zum Zweiten Wohngeldgesetz mit folgender Feststellung schließen. Hohe Erwartungen sind sowohl von regierungsamtlicher Seite als auch von seiten der Koalitionsparteien in der Offentlichkeit an diese Wohngeldgesetzänderung geweckt worden. Nicht nur Herr Dr. Vohrer von der FDP hat im Zusammenhang mit der ersten Beratung des Inflationsentlastungsgesetzes der CDU/CSU am 4. Oktober 1973 in diesem Hause die Wohngeldanhebungen und die Erweiterung des Bezieherkreises - irrsinnigerweise, wie ich finde - eine Alternative zum Inflationsentlastungsgesetz genannt. Wer für
beide Gesetzentwürfe zum Zweiten Wohngeldgesetz bereits vor jeglicher Beratung in den entsprechen- den Gremien solch hohe Wertung vergibt, sollte sich schnell darum bemühen, entsprechend positive Argumente hierfür zu sammeln; denn er wird sie in den nächsten Tagen und Wochen bei den weiteren Beratungen benötigen.
Die Mitglieder der CDU/CSU im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau werden, wie es bisher in diesem Ausschuß stets der Fall war, auch bei den anstehenden Beratungen zu diesen beiden Gesetzentwürfen konstruktiv mitarbeiten mit dem sicherlich gemeinsamen Ziel aller Fraktionen: erstens daß das Zweite Wohngeldgesetz eine wirkliche Verbesserung erfährt und zweitens daß die Gesetzesänderungen fristgerecht in Kraft treten können, um eine schnelle Verbesserung der Situation der vielen Wohngeldempfänger zu ermöglichen.
({0})
Wird .das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vor, außerdem an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 b der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Mick, Dr. Schneider, Nordlohne, Orgaß, Dr. Jahn ({0}) und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes
- Drucksache 7/1083 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bilde mir nicht ein, daß ich jetzt epochemachende Dinge zu verkünden habe. Uns allen, die wir vom Bau sind, ist bekannt, daß die Tatsachen schon weit über das hinausgeschritten sind, was im Plenum nun noch besprochen wird.
Ich möchte Sie, verehrter Herr Minister, nur an Ihre Dankespflicht erinnern, uns nämlich dafür Dank abzustatten, daß wir eine Sache in Bewegung gebracht haben, in der Sie sich offensichtlich - aus Gründen, die mir bekannt zu sein scheinen - doch sehr schwer getan haben. Wenn das nicht der Fall wäre, Herr Minister, müßte ich fragen: Warum sind Sie seitens der Regierung nicht initiativ geworden?
Nun, worum geht es uns in dieser Frage? Zunächst einmal meinen wir, daß wir die Grundlage des sozialen Wohnungsbaus auf eine solidere Basis stellen sollten, als das gegenwärtig der Fall ist. Das gilt insbesondere auch für den Personenkreis, der zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigt ist. Je gesunder und je realistischer diese Basis ist, desto mehr werden wir auch Veranlassung haben, den
Dingen zu Leibe zu rücken, die uns nicht in Ordnung zu sein scheinen, d. h. insbesondere an die Lösung des Fehlbelegungsproblems im sozialen Wohnungsbau heranzugehen - aber unter realeren Bedingungen, als das zur gegenwärtigen Stunde möglich wäre. Ich möchte jetzt schon anmelden, daß wir hier Initiativen erwarten. Man kann uns nach drei Jahren nicht sagen: Wir sind noch nicht so weit, obwohl man uns damals zu dem Gesetzentwurf zu diesem Thema, nämlich einmal Erhebungen darüber anzustellen, was überhaupt los ist, gesagt hat, daß das zu lange dauern würde. Wir haben den Schwerpunkt unseres Entwurfes darauf angelegt, das Einkommen des Erstverdieners, der auch oft Einzigverdiener ist, zu erhöhen. Dabei müssen wir bedenken, daß sich die Zahlen hier groß ansehen. Wenn ich aber unterstelle, daß es weitgehend Bruttozahlen sind und daß das Realeinkommen oft um fast ein Drittel niedriger anzusetzen ist, sind wir hier mit der Einkommensermittlung nicht in die Vollen gegangen. Wir haben ferner das Problem der jungen Ehen angefaßt, weil wir der Meinung sind, daß wir junge Ehen so stellen müßten, daß, wenn ein Teil aufhört zu verdienen, keine wirtschaftliche Katastrophe, vor allem hervorgerufen durch die Aufwendungen für eine Wohnung, eintreten kann.
Was wir in unserem Entwurf nicht angesprochen haben, was wir aber gemeinsam bei der letzten Wohngelderhöhung und auch im Austausch jetzt schon angesprochen haben, ist die Frage, ob wir wieder etwas Besonderes tun müssen. Nach meiner Meinung müssen wir für die bevorzugt etwas tun, die unter dem Strich der nun von uns neu festzusetzenden Einkommen liegen. Dabei hoffe ich, daß wir zu einvernehmlichen Regelungen kommen. Ich bin auch der Meinung, daß uns die Neufestsetzung der Einkommen eine gesunde Grundlage für die Fortsetzung der Wohnungspolitik, insbesondere der sozialen Wohnungspolitik insgesamt, gibt. Es ist gewiß im Augenblick etwas gespenstisch, bei der gegenwärtigen Situation von den vorliegenden Wohnkaufgesetzen zu reden, aber mir scheint bei einer Normalisierung der Verhältnisse, daß wir hier mit diesen Gesetzen, sowohl des soeben beratenen Wohngeldgesetzes als auch der Novellierung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, für diese Gesetzesvorhaben reale Vorzeichen setzen, die uns dann auch in diesen beiden Gesetzen neue Perspektiven für die gesamte Wohnungspolitik ermöglichen.
Vor allen Dingen sollten wir bestrebt sein - ich glaube, daß dieses Bestreben allgemein ist -, daß wir bei der Novellierung der Einkommensgrenzen Regelungen finden, die auch der früher vielfach zitiette Otto Normalverbraucher sofort versteh-en kann. Ich bin optimistisch, daß uns das gelingen wird und vor allem daß auch dieses Gesetz pünktlich zum 1. Januar 1974 in Kraft tritt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Batz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir im November 1971 in diesem Haus nach gründlicher Vorbereitung, wie
ich meine, in den zuständigen Ausschüssen die Änderung der Einkommensgrenzen für den Bezug von Sozialwohnungen beschlossen hatten, war aus der damaligen Diskussion schon ersichtlich geworden, daß uns dieses Problem mit Sicherheit in absehbarer Zeit erneut beschäftigen würde. Es gab damals Meinungen - nicht nur in meiner Fraktion -, die darauf abzielten, z. B. dynamisierte Einkommensgrenzen festzulegen oder auch vom sogenannten Einkommen wegzugehen, das Einkommen des Haushaltungsvorstandes nicht mehr als das Grundmaß zu nehmen, die entsprechenden Freibeträge zu novellieren und ein neues Berechnungssystem zu finden, das mehr auf das Familieneinkommen abzustellen wäre.
Nun sind in der Zwischenzeit die Einkommen der Arbeitnehmer - ich beziehe mich auf das Statistische Bundesamt - vom April 1971 bis zum April 1973 um durchschnittlich 20 % angestiegen.
({0})
- Ich beziehe mich auf das Bundesamt und muß hier von der Bruttoverdienststeigerung ausgehen, das ist ganz klar. Was Sie meinen, wäre doch etwas übertrieben.
Selbst gewerbliche Arbeitnehmer - und das ist die Konsequenz daraus können nach den zur Zeit gültigen Bestimmungen in sehr vielen Fällen Sozialwohnungen nicht mehr beziehen, weil ihr Bruttoeinkommen eine entsprechende Höhe hat. Alle Parteien in diesem Hause und auch der Bundesrat sind sich sicher darüber einig, daß man der veränderten Situation Rechnung tragen muß. Die Frage ist nur, ob dies durch generelle Anhebung der Einkommensgrenzen möglich ist oder ob nicht bessere Lösungen angeboten werden müssen, die zeitnäher, gerechter und für die Betroffenen und vielleicht auch für die Exekutive überschaubarer sind.
Es ist z. B. nicht einzusehen, daß bei einer Familie mit einem Kind und einem Verdiener bei einem Bruttojahreseinkommen von mehr als 18 000 DM der Bezug einer Sozialwohnung abgelehnt werden muß, während im gleichen Fall, wenn die Frau mitarbeitet, ein Jahreseinkommen von knapp 29 000 DM zum Bezug dieser gleichen Wohnung berechtigen würde. Besteht eine Familie z. B. aus sechs Personen, kann sie eine Sozialwohnung nur dann beziehen, wenn der Haushaltungsvorstand weniger als 30 000 DM brutto im Jahr verdient. Arbeitet der Ehegatte mit, werden es schon fast 40 000 DM, und verdienen alle vier Kinder dazu, wäre der Bezug dieser Sozialwohnung noch bei einem Gesamteinkommen von rund 67 000 DM jährlich möglich. Meine Fraktion begrüßt es auch aus diesem Grunde sehr, daß die Bundesregierung ebenfalls einer Regelung den Vorzug gibt, die in Zukunft das Familieneinkommen zur Richtschnur macht.
Die Koalitionsfraktionen SPD und FDP werden bei den Beratungen im zuständigen Ausschuß vorrangig darauf bestehen, daß neben der Einkommenshöhe des Hauptverdieners bei 18 000 DM in Zukunft plus eventuell 9000 DM für das zweite Familienmitglied und weiteren Freibeträgen für jedes übrige Familienmitglied besonders die Situation der jungen
Familie in Betracht gezogen wird. Neben den bereits genannten Vergünstigungen sollte nach unserer Meinung unabhängig davon, ob die Ehefrau beschäftigt ist oder nicht, die Einkommensgrenze um weitere rund 4800 DM erhöht werden. Eine Familie, deren Partner nicht älter als 40 Jahre und nicht länger als fünf Jahre verheiratet sind, wird im Sinne des § 28 Abs. 2 eine besondere Begünstigung erfahren müssen.
Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß wir im Grundsatz von der bisherigen Einkommensermittlung wegkommen wollen, und zwar nicht nur deswegen, weil wir meinen, daß man den Begriff des Familieneinkommens bereits im Wohngeldgesetz kennt und mit Erfolg anwendet und dieses Berechnungssystem auch bei der künftigen sogenannten Fehlsubventionierungsabgabe anwendbar ist, sondern weil es auch nötig sein wird, eine Lösung zu finden, die uns eine gerechtere Begünstigung der wirklich Bedürftigen bietet. Die wenigen Beispiele, die hier angeführt wurden, dürfen dafür als Beweis gelten.
Die SPD-Abgeordneten in diesem Hause begrüßen es ausdrücklich, daß alle Fraktionen an einer termingerechten Bearbeitung dieser Angelegenheit interessiert sind. Wir wünschen deshalb, daß der zuständige Ausschuß seine Beratungen zügig durchführt. An der Mitarbeit der SPD-Fraktion wird es dabei nicht fehlen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der FDPFraktion darf ich zu dem Entwurf der Opposition folgende Erklärung abgeben.
Wir begrüßen den Entwurf der Opposition. Herr Mick hat vorhin von Initiativen gesprochen, die er von uns erwartet. Ich möchte feststellen, daß die Koalitionsfraktionen bereits mit Datum vom 3. Oktober im Ausschuß einen Initiativentwurf gleichen Inhalts mit dem Ziel eingebracht haben, die Einkommensgrenzen für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau nach § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zu ändern. Die letzte Änderung erfolgte mit Wirkung vom 1. Januar 1972. Seit diesem Zeitpunkt sind die Einkommen breiter Bevölkerungsschichten erheblich gestiegen, so daß eine Anpassung der Einkommensgrenzen notwendig wurde.
Mit beiden Entwürfen wird einerseits der Kreis der Berechtigten erweitert, andererseits aber auch das Angebot an Mietern für den Vermieter erhöht. Ferner soll in Zukunft nicht mehr das Einkommen des Haushaltsvorstands, sondern das Familieneinkommen für die Gewährung einer Sozialwohnung maßgebend sein, da die bisherige Regelung zu Benachteiligungen von Mehrpersonenhaushalten mit nur einem Verdiener gegenüber Mehrpersonenhaushalten mit mehreren Verdienern geführt hat. Es wird damit auch eine dem Wohngeldgesetz analoge Regelung getroffen.
Die FDP-Fraktion stimmt der Ausschußüberweisung zu.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mick hat angeregt, daß ich meiner Dankespflicht gerecht werden soll, und Sie wissen, Herr Kollege Mick, daß ich Anregungen, die von Ihnen kommen, eigentlich nie widerstehen kann.
({0})
- Bitte sehr, gerne! - Nur fürchte ich, daß wir uns bei der Rangfolge etwas unterscheiden. Hinsichtlich der Verbesserung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau gilt nämlich mein Dank in erster Linie den Koalitionsfraktionen, und zwar dafür, daß sie mit ihrem Antrag Anregungen, die die Bundesregierung bereits in ihrer Stellungnahme zum Initiativentwurf des Bundesrates im Juni 1973 gegeben hat, aufgegriffen und zum Gegenstand eines bereits vorberatenen Antrags im Ausschuß gemacht haben.
Ich danke aber dann in zweiter Linie der Opposition dafür, daß sie die schon in Gang befindliche Diskussion durch einen weiteren Initiativentwurf belebt und sicherlich befruchtet hat. Ich glaube, so ist der Dank korrekt und vernünftig abgestattet.
({1})
Nachdem ich bereits beim Danken bin, darf ich auch noch für die Wohngeldnovelle den schuldigen Dank abstatten. Dieser Dank gilt in erster Linie dem Bundesfinanzminister dafür, daß er sich nach längerer Prüfung Anfang Oktober von mir hat überzeugen lassen, daß auch hinsichtlich der Einkommensgrenze beim Wohngeld etwas geschehen muß. Dafür danke ich ihm sehr herzlich.
({2})
- Entschuldigung, das ist gar nicht so einfach. Darf ich in Ihre Erinnerung rufen, daß die Landesfinanzminister allesamt - auch der CSU angehörende - im Finanzausschuß des Bundesrates jeder Erhöhung der Einkommensgrenze widersprochen haben. Mir ist also hier eine Überzeugungsarbeit gelungen, die beispielsweise in anderen Kabinetten, in den Landeskabinetten,
({3})
offenbar den Wohnungsbauministern gegenüber den Finanzministern nicht gelungen ist.
({4})
Und deswegen der Dank an den Bundesfinanzminister!
Weiteren Dank sage ich dafür, daß die Koalitionsfraktionen diese Verständigung sofort aufgegriffen, in einen Initiativentwurf gegossen und dadurch im Interesse der Betroffenen - und da stimmen wir überein - eine Zeitersparnis von insgesamt etwa vier bis sechs Wochen erreicht haben.
Und der letzte Dank - last not least - gilt dem Ausschuß dafür, daß er durch die Gestaltung seiner Termine und durch zügige Beratung das ermöglicht, was wir alle wollen: daß nämlich zum 1. Januar 1974 eine vernünftige und gerechte Neuregelung auf beiden Gebieten in Kraft gesetzt wird.
({5})
Ich hoffe, daß ich Ihrer Dankesanregung, Herr Kollege Mick, in jeder Richtung entsprochen habe. Herzlichen Dank!
({6})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundestag eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
- Drucksache 7/1058 Wird der Gesetzentwurf begründet? - Offenbar ist das nicht der Fall. Dann treten wir in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Erhard ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates, der uns hier zur Beratung vorliegt, scheint sich nur mit einer kleinen Änderung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu befassen - eine Sache, über die man eigentlich kaum länger reden sollte; so sieht es aus, wenn man die Bestimmung liest. In Wahrheit aber, meine verehrten Damen und Herren, geht es um das schwierige Problem, das wir Numerus clausus nennen. Es geht in diesem Zusammenhang um einen wirksameren Rechtsschutz, um ein besseres Funktionieren der Verwaltungsgerichtsbarkeit, um das dafür notwendige Verwaltungsstreitverfahren: daß den Zehntausenden von Studienbewerbern, die sich bemühen, an den Universitäten und Hochschulen einen Studienplatz zu bekommen, geholfen werden kann.
Wir haben zur Kenntnis genommen, daß die Schwierigkeiten der Zulassung zu den Hochschulen zu einem Staatsvertrag geführt haben, den die Ministerpräsidenten der Länder im Oktober 1972 abgeschlossen haben. In dieser Vereinbarung heißt es unter anderem in Art. 8:
Soweit einem Bewerber ein Studienplatz nicht zugewiesen werden kann, erteilt ihm die Zentralstelle einen ablehnenden Bescheid; ein Widerspruchsverfahren findet nicht statt.
Für Verwaltungsstreitverfahren über Entscheidungen der Zentralstelle in Vergabeverfahren ist ausschließlich das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Zentralstelle ihren Sitz hat.
Das ist eine Regelung, die die Länder einstimmig für notwendig gehalten haben. Da aber Änderungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in die Zuständigkeit des Bundes gehören, mußte der Bundesrat eine entsprechende Gesetzesänderung vorschlagen. Das ist dann, nachdem das Land Nordrhein-Westfalen als federführendes den Entwurf im Bundesrat eingebracht hatte, im Unterausschuß des Rechtsausausschusses des Bundesrates, im Rechtsausschuß selbst und ohne irgendeine Gegenstimme im Plenum des Bundesrats, also einstimmig, so beschlossen worden.
Nunmehr sagt die Bundesregierung: Wir wollen davon nichts wissen. - Das wäre durchaus noch vertretbar, wenn die Begründung dafür wenigstens halbwegs überzeugend wäre. Das erste, was zu beanstanden ist, ist aber, Herr Justizminister als Vertreter der Regierung, daß die Regierung auch hier wieder die Frist zur Stellungnahme und Zuleitung des Entwurfs des Bundesrates an den Bundestag bis auf 2 Tage ausgeschöpft hat. Obwohl das Problem den Vertretern der Bundesregierung wie auch den Ausschüssen des Bundesrats und dem Bundesrat selbst durchaus bekannt war, hat sich die Regierung Zeit gelassen - zwei Tage weniger als drei Monate -, um die Vorlage dem Bundestag - versehen mit ihrer Stellungnahme - zuzuleiten. Wir haben die Sache nunmehr - fast noch druckfrisch - zur Beratung hier in der ersten Lesung. Ich danke dem Präsidium des Bundestages dafür, daß sie so schnell auf die Tagesordnung gekommen ist; denn die Sache ist dringend.
Die Bundesregierung meint nun, man müsse hier nein sagen, es dürfe kein vereinheitlichtes Verfahren geschaffen werden, obwohl sie zugibt, daß bei der Vielzahl von Verfahren zu dem jeweiligen Zulassungstermin die Ausbildungskapazität in allen zulassungsbeschränkten Studiengängen an allen Hochschulen der Bundesrepublik zu prüfen ist. Wenn das so ist, dann kann auf Grund des Auseinanderklaffens der Entscheidungen der verschiedensten Verwaltungsgerichte niemals eine einheitliche Rechtsauffassung herbeigeführt werden. Deswegen muß das Ganze zusammengefaßt sein, wie wir es übrigens beim Arbeitsrecht in einigen Punkten auch haben. Wenn aber die verschiedenen Verwaltungsgerichte befaßt sind und befaßt werden müssen, kann keine einheitliche Entscheidung ergehen, und das Verfahren der Zentralen Stelle ist auch überhaupt nicht mehr effektiv, denn an allen Verwaltungsgerichten müßten nunmehr die Vertreter der Zentralen Stelle ihre Entscheidungen begründen, und jedes
Erhard ({0})
Verwaltungsgericht müßte teilweise die Computer-Arbeit nachprüfen, was jetzt durch e i n Gericht geschehen soll, aber leider noch nicht geschieht.
Wir haben weiter zu beachten, daß bei diesen Zehntausenden von Bewerbern, die hier um ihr Recht kämpfen, das Recht nämlich, ihre Ausbildung fortsetzen und an der Hochschule studieren zu können, heute eine Rechtsunsicherheit besteht: Gilt für sie das einheitliche Gericht nach dem Staatsvertrag der Länder, oder gilt die Verfahrensordnung des Verwaltungsgerichtsgesetzes? Auch diese Unsicherheit sollte aufs schnellste beseitigt werden. Wir glauben also, daß die Bundesregierung hier durch eine Verzögerung eine sehr, sehr unfreundliche Haltung den Ländern und dem Bundesrat gegenüber gezeigt hat. Ich möchte hinzufügen, das es nicht etwa, wie ich eben schon sagte, ein Verhalten gegenüber der Mehrheit des Bundesrates, sondern eine Haltung gegenüber dem einstimmigen Votum des Bundesrates ist, wobei die ursprüngliche Federführung beim Land Nordrhein-Westfalen mit sozialliberaler - wie man das nennt - Koalition lag. Ich glaube also, dieses Verhalten ist zu beanstanden.
Ein Zweites. Die Bundesregierung bietet sage und schreibe - ich habe es tatsächlich zweimal lesen müssen, um das zu glauben - an, die Länder sollten durch Landesgesetz, wo es noch nicht geschehen ist, Normenkontrollverfahren einführen, damit jeder in einem Normenkontrollverfahren die Gültigkeit der Festsetzung von Zulassungszahlen rechtzeitig gerichtlich nachprüfen lassen kann. Ich möchte fast annehmen, daß der, der das erfunden und hier hineingeschrieben hat und dem die Regierung gefolgt ist, davon ausgegangen ist, daß diese Begründung niemand liest und im Bundestag niemand ist, der weiß, was hier geschieht. Wenn die Normenkontrollverfahren nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung eingeführt würden, würden die Oberverwaltungsgerichte allein und in endgültiger Zuständigkeit entscheiden, jedes für sich. Das Bundesverwaltungsgericht hätte überhaupt keine Möglichkeit mehr, eine einheitliche Rechtsprechung zu entfalten, weil nach dem, Normenkontrollverfahren die Zugängigkeit zum Bundesverwaltungsgericht nicht mehr gegeben ist. Das bietet uns diese Regierung tatsächlich als Lösung an! Zusätzlich muß man wissen, daß derjenige, der eine solche allgemeine Norm im Normenkontrollverfahren anficht, dann überhaupt noch keine Entscheidung für seinen konkreten Einzelfall hat, auch wenn er Erfolg hat. Er muß danach noch zusätzlich das Verwaltungsgericht anrufen. Herr Minister, wer eine solche Lösung anbietet, verhöhnt - leider - dieses Parlament. Das ist ein ganz übler Zustand. Wir sollten mit der Beratung in den Ausschüssen schnellstens zu Rande kommen und nicht auf irgendwelche großen Reformen in Verfahrensfragen mit allen möglichen sonstigen Dingen warten. Herr Minister, das ist ein schlechtes Ding, für das Sie wohl die Federführung in der Bundesregierung haben, wofür aber der Herr Bundeskanzler mit seiner Unterschrift die Hauptverantwortung trägt. Ich halte das für einen Skandal!
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war ganz schön starker Tobak kurz vor der Mittagspause, Herr Kollege Erhard.
({0})
Wir wollen einmal sehen, ob der tatsächlich so geraucht werden kann und ob Sie ihn vor allen Dingen vertragen.
Zunächst einmal möchte ich in aller Sachlichkeit feststellen: So kommen wir im Laufe der Zeit nicht zu einer vernünftigen Zusammenarbeit im Parlament, wenn Sie nun zur Kritik auch noch die Tatsache heranziehen, daß die Regierung von einer ihr zustehenden Frist Gebrauch macht.
({1})
Diese Frist ist vorgesehen. Daß davon Gebrauch gemacht wird, können Sie also so lange nicht rügen, wie kein unzulässiger leichtfertig falscher Gebrauch davon gemacht wird - etwa durch Fristüberschreitung. Nein, Herr Kollege Erhard, hier gab es schwierige Abstimmungsprobleme, auch unter den Ressorts, auch mit denjenigen, die in dieser Frage sachkundigen Rat aus den Ländern zu erteilen haben. Das ist ,der Grund, weshalb hier eine so lange Frist an sich vorgesehen ist. Die Kritik daran, daß die Regierung diese Frist für sich in Anspruch genommen hat, muß ich also zurückweisen. Das können Sie hier nicht ernsthaft als Vorwurf gegen die Regierung geltend machen.
Zweitens. Sie sagen: Wenn man es nicht so macht, wie es hier vorgeschlagen wird, dann kommen wir nicht zu der von Ihnen angestrebten und für notwendig gehaltenen - und es ist in der Sache gar nicht streitig, daß das wünschenswert wäre - einheitlichen Rechtsauffassung. Nur, wie sieht das praktisch aus? Sie tun so, als sei hier vom Bundesrat eine Patentlösung vorgelegt worden. Dies ist keine. Wir wissen jetzt aus Pressemitteilungen dieser Tage, daß beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, bei dem die Dinge in Nordrhein-Westfalen, Zulassungsstelle Dortmund, anhängig sind, schon mehrere Kammern haben gebildet werden müssen. Dies bedeutet, daß es schon bei einem Gericht unterschiedliche Entscheidungen geben kann. Es sollen im übrigen bis jetzt schon über 1 000 Anträge vorliegen. Wie soll denn dies - das ist nämlich die andere Seite - eigentlich von einem Gericht in einer angemessenen Zeit bewältigt werden können? Hier werden doch einfach Behauptungen aufgestellt und Vorschläge gemacht, bei denen man sich nicht sehr eingehend mit der Realität auseinandergesetzt hat, die hier zu bewältigen ist.
({2})
Nun muß ich an dieser Stelle einmal eine grundsätzliche Überlegung anstellen. Ist es eigentlich vernünftig, von dem Grundsatz abzuweichen, daß die Bürger aus ihrem eigenen Interesse das Gericht in Anspruch nehmen können und nehmen sollen, das
sie am besten und als nächstes erreichen können? Herr Erhard, Sie haben anläßlich von Debatten über Justizreform und ähnlichem der Frage der Bürgernähe einen hohen Rang eingeräumt,
({3})
und wir werden uns über diese Frage im Grundsatz gewiß nicht streiten, wenn wir über die Ausgestaltung im einzelnen sicher auch unterschiedliche Meinungen haben können. Nur scheint es mir wenig folgerichtig zu sein, wenn Sie auf der einen Seite sagen, dies sei ein wesentlicher Grundsatz für die Ausgestaltung unserer gerichtsverfassungsrechtlichen Ordnung, hier aber meinen, sich darüber völlig hinwegsetzen zu. können.
Und dann möchte ich Sie an dieser Stelle noch etwas fragen. Wir sind uns einig darüber, daß zum Schutze der Bürger und der Verbraucher z. B. Schluß gemacht werden sollte mit jener Bestimmung in dem berühmten Kleingedruckten, in der Gerichtsstandvereinbarungen zum Nachteil des einzelnen Bürgers und zum Vorteil der großen Wirtschaftsunternehmen festgelegt werden und gegen die sich der Bürger gar nicht wehren kann. Dies hat viele gute Gründe; nicht zuletzt den der Bürgernähe und der besseren Rechtswahrnehmung für den einzelnen Burger. Jetzt wollen Sie uns andienen, daß das, was wir im Bereiche der Wirtschaft draußen abschaffen wollen, von seiten des Staates gerade wieder eingeführt wird?
({4})
Denn dies ist doch gar nichts anderes, als daß wir hier mit den Möglichkeiten, die im Rahmen der Gesetzgebung gegeben sind, nun auch eine Art Gerichtsstandvereinbarung herbeiführen. Ich halte dies nicht für eine überzeugende Linie bei der Frage, wie wir unsere Justiz insgesamt nun einmal für alle Bürger zur entsprechenden Leistungsfähigkeit bringen können. Ich meine, schon diese Hinweise sollten Ihnen zeigen, daß dies ein Problem ist, das so patent, wie Sie und diejenigen meinen, die den Antrag eingebracht haben, nicht gelöst werden kann.
Schließlich noch eine Bemerkung zu der hier aufgeworfenen Frage der Normenkontrolle in dieser Angelegenheit. Die Bundesregierung und der Bundesminister der Justiz hätten sich einer gröblichen Unterlassung - diese hätten Sie wahrscheinlich auch wieder gerügt - schuldig gemacht, wenn sie nicht darauf hingewiesen hätten, daß nach dem gegenwärtigen Rechtszustand wenigstens die Möglichkeit besteht, im Bereiche der Länder zu einer einheitlichen Vorwegkontrolle zur Entlastung der Justiz und zum Nutzen der betroffenen Bürger zu kommen. Daß dies keine befriedigende Regelung ist, haben wir in der Vorlage ausdrücklich ausgeführt. Sie sollten vielleicht nicht mit so leichter Hand darüber hinweggehen, daß wir ausdrücklich auf die wichtige Arbeit des Koordinierungsausschusses zur Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen hingewiesen haben, in dem wir darüber diskutieren, ob nicht gegen diese Normenkontrolle in den Ländern auch ein Rechtsmittel vorgesehen werden sollte. Das ist eine Frage, die noch nicht zu Ende diskutiert ist. Wir haben mit diesem Hinweis deutlich gemacht: die Verweisung auf .§ 47 ist nicht das letzte Wort in dieser Sache, sondern ist eine Antwort unter den gegebenen unvollkommenen Möglichkeiten. Ich räume Ihnen ausdrücklich ein: das ist zur Bewältigung dieses Problems unvollkommen. Aber so alt ist das Problem ja auch noch nicht, daß wir irgend jemandem den Vorwurf machen könnten, daß das geltende Recht der Verwaltungsordnung dazu eine befriedigende Antwort schon geben müßte.
Wir sollten es uns in dieser Frage auf keiner der beteiligten Seiten so einfach machen. Wir sollten vielmehr miteinander in Ruhe darüber reden, wie wir das Problem lösen können, und zwar heute, ad hoc und unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die gemacht werden -, ich denke gerade an das Beispiel Gelsenkirchen, das ich aufgezeigt habe , wie auch mit Blick darauf - und da möchte ich nun allerdings sehr dringend, auch um Ihre Mitwirkung bitten -, daß wir Rechtspolitik und Justizpolitik nicht betreiben können nach dem Motto: „Heute paßt uns dieser Grundsatz, und morgen paßt uns jener Grundsatz". Ohne ein ganz klein bißchen. Linie werden wir nämlich hier nicht zu vernüftigen Ergebnissen kommen.
({5})
Auch Ihre Linie steht dann zur Debatte.
({6})
Wird das Wort weiterhin gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Rechtsausschuß - federführend
und an den Innenausschuß - mitberatend - zu
überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersicht 4 des Rechtsausschusses ({0}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 7/1060 Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der
Fall. Der Rechtsausschuß beantragt, von einer
Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.
Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 15 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten
Drucksache 7/1028 - Berichterstatter: Abgeordneter Thürk
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich erteile das Wort als Berichterstatter dem Abgeordneten Thürk. - Herr Thürk ist nicht im Saal. Verzichtet das Haus auf die Berichterstattung? - Das ist der Fall. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 16 bis 20 der Tagesordnung auf:
16. Beratung des Berichts und des Antrags des
Ausschusses für Wirtschaft ({2})
zu der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({3})
zu der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({4})
- Drucksachen 7/987, 7/999, 7/1061 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens
17. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({5})
zu der von der Bundesregierung erlassenen Sechsundzwanzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
zu der von der Bundesregierung erlassenen Siebenundzwanzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
zu der von der Bundesregierung erlassenen Achtundzwanzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
zu der von der Bundesregierung erlassenen Vierundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz
zu der von der Bundesregierung erlassenen Fünfundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz
zu der von der Bundesregierung erlassenen Sechsundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz
- Drucksachen 7/657, 7/852, 7/984, 7/875, 7/920, 7/983, 7/1022
Berichterstatter: Abgeordneter Zeyer
18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft ({6}) zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für Verordnungen des Rates
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 46/73
des Assoziationsrates, der im Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und den mit
dieser Gemeinschaft assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar vorgesehen ist
über den Abschluß eines Abkommens zur Änderung von Artikel 7 des Anhangs 6 des Zusatzprotokolls zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei
über die Einführung eines Genehmigungsverfahrens für die Einfuhr von Jute- und Baumwollgarnen aus dritten Ländern in das Vereinigte Königreich und zur Verlängerung der Genehmigung für die Einfuhr von Jute-und Baumwollgarnen mit Ursprung in und Herkunft aus dritten Ländern in das Vereinigte Königreich
- Drucksachen 7/950, 7/951, 7/973, 7/1023 - Berichterstatter: Abgeordneter Zeyer
19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für Verordnungen des Rates
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte in Ägypten raffinierte Erdölerzeugnisse und andere Gewebe aus Baumwolle
zur Änderung der Verordnung Nr. 2733/72 vom 19. Dezember 1972, damit das für bestimmte handgearbeitete Waren eröffnete Gemeinschaftszollkontingent auch auf solche in Uruguay hergestellten Waren Anwendung findet
über die zeitweilige und teilweise Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Mandeln der Tarifstelle 08.05 A II
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung ein es Gemeinschaftszollkontingents für Veredelungsarbeiten an bestimmten Spinnstoffen im passiven Veredelungsverkehr der Gemeinschaft
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Zeitungsdruckpapier und Ferrosiliziummangan für 1973
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten betr. bestimmte Textilwaren aus Entwicklungsländern
zur Aufnahme der Philippinen in die Liste der Entwicklungsländer nach den Verordnungen Nr. 2763/72 und 2746/72
- Drucksachen 7/387, 7/932, 7/961, 7/959, 7/958, 7/965, 7/751, 7/1024 Berichterstatter: Abgeordneter Zeyer
20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft ({8}) zu den von der Bundesregierung zur Unterrich3274
Vizepräsident Dr. Jaeger
tung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für Richtlinien des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Elektrizitätszähler, über Kaltwasserzähler, über stetig arbeitende Wägeeinrichtungen mit Summierwerk
- Drucksachen 7/379, 7/814, 7/624, 7/1025 - Berichterstatter: Abgeordneter Zeyer
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? - Das ist auch nicht der Fall. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir einfachheitshalber gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch; es wird so verfahren.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 1061, 1022, 1023, 1024 und 1025. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, alle weiteren Punkte der Tagesordnung sind für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen. Wir treten damit vorzeitig in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({9})
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 7/1086 Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Grabert zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Spranger auf. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 110 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Hat ein Vertreter der sowjetischen Botschaft in Bonn bei Bundesminister Bahr gegen die geplante Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in Berlin interveniert?
Herr Abgeordneter, ich kann kurz und bündig auf Ihre Frage mit Nein antworten.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, könnten Sie Ihre Antwort, nachdem Sie sie noch einmal überdacht haben, nicht doch etwas abändern, und können Sie vor allem diesem Hause zusichern, daß Sie die Antwort „nein" auch in Zukunft durchhalten werden?
Was die Frage nach der Vergangenheit angeht, habe ich meiner Antwort nichts hinzuzufügen. Was das Durchhalten angeht, so kennen Sie die Position der Bundesregierung genau, daß die engen Bindungen Berlins an den Bund weiterentwickelt werden sollen und daß es daran keinen Zweifel geben kann.
Noch eine Zusatzfrage.
Hat denn neben den Entwicklungen, von denen Sie sprachen, außer der Sowjetunion oder außer dem hier Genannten irgendein anderer in dieser Frage interveniert?
Wie Sie sicher inzwischen in den Zeitungen gelesen haben, hat Herr Staatssekretär Kohl bei seinen Gesprächen mit Herrn Minister Bahr dieses Petitum vorgebracht. Er ist selbstverständlich mit einer Antwort versehen worden, die den Grundlagen der Politik, die ich soeben noch einmal kurz skizziert habe, entspricht.
Keine Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Wie erklärt sich die Tatsache, daß Regierungssprecher Grünewald am 8. Oktober 1973 vor der Bundespressekonferenz zunächst einen Vorstoß eines Vertreters der sowjetischen Botschaft bei Bundesminister Bahr in der Angelegenheit der Errichtung eines Bundesamtes für Umweltschutz in Berlin bestätigte und dann mitteilte, er habe ein Telefonat mit Bundesminister Bahr über diesen Vorgang mißverstanden?
Herr Abgeordneter, hier handelt es sich, wie auch schon öffentlich erörtert worden ist, um ein Mißverständnis zwischen Herrn Minister Bahr und Herrn Regierungssprecher Grünewald anläßlich eines Ferngesprächs, das Herr Bahr, der sich auf einer Reise befand, mit Herrn Grünewald geführt hat. Dies erklärt sich daraus, daß die Sowjetunion, wie Sie wissen, bei den drei Westmächten wegen des Standortes des Bundesamtes für Umweltschutz vorstellig geworden ist und auf der anderen Seite, wie vorhin bereits erwähnt, Herr Kohl denselben Tatbestand Herrn Bahr gegenüber zur Sprache gebracht hat. Das dürfte in dem Telefongespräch nicht ganz klar auseinandergehalten worden sein. Dadurch ist die Vermischung entstanden.
Zusatzfrage!
Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß dieser Vorgang ein typisches Zeichen dafür sein könnte, daß im Bundeskanzleramt zu viele gutwillige - davon gehe ich einmal aus - „Köche" ohne klare Kompetenzabgrenzung - im politischen „Brei" könnte man sagen; ich will einmal sagen: im politischen Entscheidungsprozeß - tätig sind?
Hier gehen Sie natürlich völlig fehl, Herr Abgeordneter;
({0})
denn über die Grundsätze der Politik herrscht völlige Klarheit.
({1})
Sie können sicher sein, daß sich jeder der beteiligten „Köche", wenn Sie so wollen, an diese Grundsätze hält. Aber das heißt natürlich nicht, daß sich zwei Menschen in einem Telefongespräch nicht einmal mißverstehen können. Das ist Ihnen, Herr Abgeordneter, vielleicht auch schon einmal so ergangen.
Noch eine Zusatzfrage?
Der von uns hier als Mißstand empfundene Tatbestand veranlaßt mich zu der Frage, ob im Bundeskanzleramt Überlegungen darüber angestellt worden sind, wie derartige Vorkommnisse oder Mißstände künftig vermieden werden können, und ob der Bundeskanzler versuchen wird, die Dinge auch in diesem Bereich nicht schleifen zu lassen, wie es der Kollege Wehner an anderer Stelle mit Recht behauptet hat.
({0})
Es ist interessant, daß die Fragestunde Funktionen anderer Art bekommt als die, für Aufklärung zu sorgen. - Ich kann Ihnen sagen, daß es nicht erforderlich erscheint, zusätzliche Vorkehrungen zu treffen, denn es schleift nichts. Im übrigen möchte ich hinzufügen, Herr Abgeordneter, es handelt sich darum, daß es an der gleichen Stelle, wo das Mißverständnis entstanden ist und wo es in der Öffentlichkeit zu einem Mißverständnis geführt hat, schon Stunden danach eine Richtigstellung gegeben hat. Sie mögen daraus ersehen, wie prompt hier Mißverständnisse aufgeklärt werden, damit sie eben nicht zu Irrtümern führen können.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Trifft die Meldung zu, daß die Bundesregierung sich bemüht hat, westliche Botschafter zu einer Aktion gegen Fluchthilfeorganisationen zu bewegen?
Herr Abgeordneter Dr. Kunz, ich kann Ihre Frage damit beantworten, daß ich sage, daß die Meldung nicht zutrifft.
Herr Staats- Sekretär, hat die Bundesregierung auch keine Gespräche geführt, denen eine ähnliche Überlegung zugrunde lag?
Nein.
Geht die Regierung dann davon aus, daß die entsprechenden Behauptungen des früheren Staatssekretärs Conrad Ahlers in der „Wirtschaftswoche" vom 28. September 1973 unwahr sind?
Ich kann Ihnen nur, wie ich schon ausgeführt habe, sagen, was die Bundesregierung nicht getan hat. Woher Herr Ahlers seine in der „Wirtschaftwoche" geäußerte Meinung hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
({0})
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Fluchthilfe als Unterstützung der Ausübung eines Grundrechtes grundsätzlich zulässig ist und nur dann eingeschränkt werden kann, wenn sonstige allgemeine Gesetze durch eine solche Organisation verletzt werden?
Herr Abgeordneter, es ist in diesem Hause verschiedentlich über die Problematik dieser Vorgänge gesprochen worden. Sie differenzieren nicht zwischen Tatbeständen, die differenziert werden müssen. Ich kann Ihnen hier nur voll bestätigen: Es gibt selbstverständlich überhaupt keine Gründe für die Bundesregierung, sich mit dem Thema „Fluchthilfe" in der allgemeinen Form zu beschäftigen. Sollten Sie jedoch meinen, daß es um die Frage der Einhaltung der Transitregeln geht, so möchte ich an die Verpflichtungen erinnern, die die Bundesregierung im Interesse der Regelung, die den Menschen in Berlin dient, eingegangen ist.
({0})
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Hält die Bundesregierung weiterhin die Erklärungen von Bundesminister Horst Ehmke aufrecht, daß sie auf keinerlei Weise Einfluß auf die staatsanwaltlichen Verfahren gegen Journalisten nach § 353 c des Strafgesetzbuchs genommen hat?
Herr Abgeordneter Reddemann, die Bundesregierung unterstreicht die Äußerungen des Bundesministers Ehmke, der in der Fragestunde am 4. November 1971 klargestellt hat, daß die Bundes3273 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 18. Oktober 1973
regierung auf die Durchführung dieses von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen eingeleiteten Ermittlungsverfahrens keinen Einfluß hat und daß sie insbesondere auch durch die Erteilung der Strafverfolgungsermächtigung keinen Einfluß auf das Verfahren bekommen hat. Die Bundesregierung ist aber ebenso entschieden der Auffassung, daß dieses Verfahren im Ergebnis nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der hierin verwickelten Journalisten führen sollte. Die Gewähr für eine einheitliche Behandlung schien bei der Erteilung der Ermächtigung zum Strafverfahren auch gegeben, weil die Bearbeitung des Gesamtkomplexes bei einer Staatsanwaltschaft lag.
Im Hinblick auf diesen Gesichtspunkt hat sich aber im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens folgende Änderung ergeben. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat aus rechtlichen Gründen die die Journalisten betreffenden Komplexe abgetrennt und an die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben. Damit ist es, ohne daß es die Bundesregierung hätte voraussehen oder daß sie darauf hätte Einfluß nehmen kennen, zu einer Mehrzahl von Verfahren mit der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung und unterschiedlicher Beurteilung durch die nunmehr zuständigen Staatsanwaltschaften gekommen. Insbesondere nachdem eines der Verfahren wegen eingetretener Strafverfolgungsverjährung eingestellt worden war, sah sich die Bundesregierung in einer Situation, in der sie die Strafverfolgungsgermächtigung zurückgenommen hätte, wenn dies nach der derzeitigen Rechtslage möglich gewesen wäre. Dieses Verfahren ist aber erst im künftigen Recht vorgesehen, stand also nicht zur Verfügung. Daher konnte die Bundesregierung dem Interesse an einer gleichmäßigen Behandlung im jetzigen Zeitpunkt auf diese Weise nicht Rechnung tragen. Sie hat angesichts dieser Sachlage durch den Bundesminister der Justiz an die zuständigen Landesjustizbehörden ein Schreiben gerichtet, in welchem sie auf die geschilderte Sach- und Rechtslage hinwies und abschließend erklärte, sie werde aus den genannten Gründen keine Einwendungen erheben, wenn die Ermittlungsverfahren gegen Journalisten schließlich eingestellt werden sollten. Damit hat die Bundesregierung den Gang des Verfahrens nicht beeinflußt, sondern lediglich klargestellt, daß sie einem einheitlichen Abschluß der Ermittlungsverfahren nicht im Wege stehen wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Bundestag Auskunft darüber geben, ob Ihr Vorgänger als Chef des Bundeskanzleramtes in irgendeiner Weise mit der Staatsanwaltschaft in diesen Verfahren Kontakte hatte und welche Kontakte es gewesen sind?
Mir ist darüber nichts bekannt, Herr Abgeordneter.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Worten schließen, daß Sie selber keinen Kontakt mit der Staatsanwaltschaft in Bonn haben? Zusätzlich frage ich: Wann nehmen Sie diese Kontakte auf, damit Sie dem Deutschen Bundestag umfassende Informationen geben können?
Ich selber habe in dieser Frage keine Kontakte mit der Staatsanwaltschaft, schon um den Anschein zu vermeiden, daß Einfluß auf das Verfahren genommen wird. Denn es ist ja ein Grundsatz der Rechtspflege, daß diese unabhängig erfolgen soll.
({0})
Ich beabsichtige auch nicht, die Staatsanwaltschaft über den Ablauf von Ermittlungsverfahren zu befragen, die sie zu verantworten hat. Wenn Auskünfte in fachlicher Hinsicht gewünscht werden, so ist der Wunsch nicht an das Bundeskanzleramt zu richten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schulte.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorher gesagt, dieser Teil des Verfahrens sei Ihnen nicht bekannt. Betraf das Ihre Person oder die Bundesregierung?
Das betrifft den für das Bundeskanzleramt Verantwortlichen, der nach Akteneinsicht gesagt hat, daß ihm über etwas Derartiges keine Kenntnis vorliegt. Ich habe also weder als Person Kontakte noch habe ich in den Akten Kontaktaufnahmen gefunden. Ich kann hier nur sagen, daß ich darüber nichts anderes mitteilen kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jenninger.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, entsprechend der vom Herrn Kollegen Reddemann vorhin gestellten Frage den früheren Chef des Bundeskanzleramtes zu fragen, ob er derartige Kontakte hatte oder Kontakte vielleicht über jemand anderen gehabt hat, und dann Herrn Kollegen Reddemann dazu Auskunft geben?
Ich kann Ihnen nur sagen, daß alle Erkenntnisse, die ich eingeholt habe, dahin gehen -ich darf es Ihnen gegenüber wiederholen -, daß über derartige Angelegenheiten mit der Staatsanwaltschaft kein Kontakt aufgenommen worden ist, sondern lediglich in der Form, wie ausgeführt, um dem Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung Rechnung zu tragen. Trotz des eben erwähnten Schreibens, das an die Landesjustizbehörden gegangen ist, hat es in einem Fall leider eine Abweichung von der gewünschten Gleichmäßigkeit, wie Sie sehr wohl wissen werden, gegeben. In Bayern haben wir ja einen Strafbefehl erlebt, während wir an anderer
Stelle eine Einstellung des Verfahrens erlebt haben. Dies zu verhindern war der Sinn des eben erwähnten Schreibens. Die Bemühungen der Bundesregierung waren ausschließlich darauf gerichtet, eine gleichmäßige Behandlung sicherzustellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen zu, wie sie in der „Quick" gestanden haben, daß zur besseren Kenntnis - man kann auch sagen: zur Überwachung - der Journalisten beabsichtigt worden ist, Akteneinsicht, Informationen aus dem Bundesnachrichtendienst in Pullach über derartige Journalisten zu erhalten?
Herr Abgeordneter, dazu hat sich der Regierungssprecher schon amtlich geäußert. Ich möchte die Formulierung, mit der er das dementiert hat, nicht wiederholen, weil das als Schleichwerbung ausgelegt werden könnte.
({0})
Nur möchte ich hier sehr deutlich machen, daß an dieser Meldung von A bis Z nichts dran ist, sie also nicht stimmt. Das geht auch daraus hervor, daß ich bei Amtsübernahme beispielsweise eine Anweisung gegeben habe, daß im gesamten Verkehr mit der Aufsichtsbehörde Klarnamen zu vermeiden sind. Ich lege Wert darauf, daß die Aufsichtsbehörde objektiv, ohne zu wissen, um welche natürlichen Personen es sich jeweils handelt, ihre Aufsichtsfunktionen ausübt, also eben keine Kenntnis darüber hat, welche Personen sich hinter bestimmten Namen verstecken, wenn ich das einmal so sagen darf.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 115 des Abgeordneten Reddemann auf:
Seit wann war der Bundesregierung bekannt, daß der jetzige Mitarbeiter im Presseamt des Berliner Senats, Wolfgang Eberhard Göbel, als V-Mann aus der Berliner Zentralredaktion des Axel-Springer-Dienstes Informationen an Bundesminister Ehmke direkt und über den seinerzeitigen SPD-Bundesgeschäftsführer Wischnewski geliefert hat?
Herr Abgeordneter Reddemann, darf ich zunächst sagen, daß ich für den Fall, daß Sie mit der Bezeichnung von Herrn Göbel als V-Mann implizieren wollten, daß dieser eine Art Agent der Regierung sei, dies als unzutreffend zurückweisen müßte.
Im übrigen darf ich sagen, daß Herr Göbel im Sommer 1971 zweimal
({0})
mit dem Bundesminister Ehmke telefoniert hat. Die erhaltenen Informationen hat Herr Minister Ehmke an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Das gleiche gilt für die Unterrichtung Bundesminister Ehmkes durch Herrn Wischnewski über die Tätigkeit des Herrn Göbel.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihren Worten, der Bundesminister habe das an die zuständige Stelle, sprich: an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, nicht schließen, daß der damalige Chef des Bundeskanzleramts in diesem Fall doch Kontakte mit der Staatsanwaltschaft gehabt hat, und sei es nur über einen von ihm Beauftragten?
Herr Reddemann, eine Übermittlung von Unterlagen auf Anfordern der Staatsanwaltschaft, die dem Kanzleramt nicht durch Herrn Göbel, sondern durch den Abgeordneten Wischnewski zugegangen sind, würde ich nicht als einen Kontakt im Sinne der Frage betrachten.
({0})
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es erwiesen, daß die Staatsanwaltschaft von Bundesminister Ehmke Akten angefordert hat, oder hat nicht Bundesminister Ehmke von sich aus der Staatsanwaltschaft Material zur Beeinflussung des Verfahrens angeboten?
Erstens darf ich sagen, daß pflichtgemäße Mitteilungen keine Beeinflussung von Verfahren darstellen würden.
({0})
Ich spreche ausdrücklich im Konjunktiv; denn dies war nicht einmal der Fall. Aber selbst wenn es der Fall gewesen wäre, würde ich den Tenor Ihrer Frage nicht bejahen können.
Der Beamte, der auf Anforderung der Staatsanwaltschaft die Akten dorthin übersandt hat, hat mir auf Befragen erklärt, daß auf Anforderung der Staatsanwaltschaft diese Akten dorthin zur Verfügung gestellt worden sind. Ich kann diese mir gegebene dienstliche Äußerung Ihnen hier nur als sachgerecht wiederholen.
Eine Frage des Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär,
({0})
wie beurteilt die Bundesregierung die in dieser
Frage liegende Unterstellung, daß etwas Unzulässi3278
ges daran zu sehen sei, wenn sich ein Bürger dieses Landes, auch wenn er Journalist ist, an die Bundesregierung wende?
({1})
Herr Abgeordneter Sieglerschmidt, es wäre auch nicht unzulässig, wenn es sich jetzt in der Tat um einen Staatsanwalt handelte. Aber auch als Staatssekretär der Bundesregierung darf ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung natürlich großen Wert darauf legt, daß die Bürger mit ihr in Kontakt sind.
({0})
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den mehrfachen Kontakt Bundesminister Ehmkes mit Wolfgang Eberhard Göbel, nachdem durch einen im ZDF-Magazin verlesenen Vermerk der Bonner Staatsanwaltschaft bekannt wurde, daß Göbel dem Bundesminister Redaktionsgeheimnisse des Axel-Springer-Dienstes fortgesetzt übermittelte?
({0})
Das war keine Zusatzfrage.
({0})
- Ich darf leider auf Feststellungen dieser Art hier nicht reagieren.
Wir sind jetzt bei der Frage 116.
Herr Abgeordneter Marx, im Juli 1971 ist in verschiedenen Presseorganen der Inhalt zweier geheimer, die beabsichtigte Berlin-Regelung betreffender Fernschreiben der Deutschen Botschaft in Washington an das Auswärtige Amt veröffentlicht worden. Im Anschluß an die Veröffentlichung hat die Staatsanwaltschaft Bonn von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Einem Antrag des Leitenden Oberstaatsanwalts in Bonn auf Erteilung der erforderlichen Ermächtigung zur Strafverfolgung hat die Bundesregierung entsprochen. Im Verlaufe dieses Ermittlungsverfahrens ist, wie ich eben schon in der Antwort auf die vorangegangene Frage erwähnen durfte, der damalige Chef des Kanzleramtes, Herr Minister Ehmke, von dem ihm persönlich nicht bekannten Herrn Göbel zweimal angerufen worden. Darüber hinaus hat zwischen Bundesminister Ehmke und Herrn Göbel keinerlei Verbindung bestanden. Der mehrfache Kontakt, von dem Sie in Ihrer Frage sprechen, reduziert sich also auf diese zwei Telefongespräche.
Auf die Frage, wie dies beurteilt wird, möchte ich unterstreichen, daß es selbstverständliche Pflicht des
Bundesministers Ehmke war, die an ihn herangetragenen Informationen entgegenzunehmen und sie der zuständigen Stelle im Hause zuzuleiten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß nach höchstrichterlicher Entscheidung Ausforschungen redaktioneller Quellen gegen Art. 5 des Grundgesetzes verstoßen?
Das ist sicher richtig, Herr Abgeordneter. Aber hier handelt es sich nicht um eine Ausforschung.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, dem Hause eindeutig zu erklären, weshalb es sich in diesem Falle nicht um eine Ausforschung handelt?
Weil Herr Göbel von sich aus Mitteilungen gemacht hat.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Hat Bundesminister Ehmke Teile des ihm von Göbel gelieferten Materials über den Sicherheitsbeauftragten des Bundeskanzleramts an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet?
Herr Abgeordneter Marx, wie ich bereits gesagt habe, hat Bundesminister Ehmke mit Herrn Göbel lediglich zweimal telefoniert. Herr Göbel hat also Herrn Minister Ehmke kein Material geliefert.
Eine Zusatzfrage.
({0})
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß Herr Göbel der Ausforschende war und die Mitteilungen seiner Ausforschungen dem damaligen Minister im Bundeskanzleramt gemacht hat? Ist das so?
Herr Abgeordneter, ich kann keine Fragen hypothetischer Art beantworten.
({0})
Ich weiß nicht, um welche Vorgänge es sich bei Herrn Göbel gehandelt hat.. Ich kann feststellen, daß Herr Göbel von Kenntnissen Mitteilung gemacht hat. Das ist ein völlig klarer Tatbestand.
Ich muß zurückweisen, daß es sich um Ausforschungen gehandelt habe. Damit würde ja unterstellt, daß Herr Göbel zum Zwecke einer weiteren Mitteilung etwas erforscht habe. Es ist aber - wie Sie wissen, wenn Sie aufmerksamer Zuschauer der Sendung von Herrn Löwenthal sind
({1})
sogar in der Publizistik bereits zurückgenommen worden, daß er als ein Entsandter mit einem bestimmten Auftrage etwas gemacht habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geben Sie denn zumindest zu, daß sich die Bundesregierung, als Herr Göbel in der Redaktion drin war, seiner bedient hat.
Nein, sie hat sich seiner nicht bedient, Herr Göbel hat Mitteilungen gemacht. Das ist wohl kein Sichbedienen gewesen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der damalige Chef des Bundeskanzleramtes Ehmke vor der Staatsanwaltschaft in Bonn selbst zugegeben hat, Material, das er von Herrn Göbel erhalten hat, an die Staatsanwaltschaft weitergegeben zu haben?
Herr Reddemann, das ist nicht richtig. Herr Göbel hat Herrn Ehmke kein Material gegeben, und Herr Ehmke hat nichts erhalten.
({0})
Aber ich kann vielleicht ein Mißverständnis klären, dem Sie unterliegen. Sie verwechseln das vielleicht mit dem, was Herr Wischnewski Herrn Ehmke gegeben hat. Sollte das der Fall sein - darüber haben wir bereits im Zusammenhang mit einer anderen Frage gesprochen -, dann kann ich sagen: Dieses Material ist über den zuständigen Beamten auf Anforderung -- ich darf das alles wiederholen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden.
({1})
Herr Giebel hat Herrn Ehmke kein Material übergeben, und Herr Ehmke hat sich auch bei der Staatsanwaltschaft nicht so eingelassen.
({2})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulte.
Herr Staatssekretär, ist die Tatsache, daß der - nach Ihrer Darstellung persönlich mit Herrn Ehmke nicht bekannte Herr Göbel ein Telefongespräch zugesagt bekam, darauf zurückzuführen, daß Herr Göbel bei einem bestimmten Verlag beschäftigt war?
Herr Göbel hat eine Mitteilung an Minister Ehmke gegeben. Das hat doch nichts mit anderen Sachen zu tun. Er hatte eine Mitteilung, die ihm natürlich auch Kenntnisse vermittelt hat, die er im Rahmen seiner Tätigkeit erworben hatte. Das ist doch völlig klar.
({0})
Ich kann in Ihrer Frage keinen anderen Sinn erkennen als den ganz einfachen Tatbestand, daß Herr Göbel Herrn Ehmke angerufen hat.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, räumen Sie ein, daß bei der Informationsbeschaffung eine enge Verbindung zwischen der Parteigeschäftsstelle der SPD in Bonn und dem Bundeskanzleramt bestanden hat?
Herr Abgeordneter, ich darf zunächst einmal sagen: es handelt sich nicht um Informationsbeschaffung,
({0})
sondern Herr Göbel hat sich gemeldet und jemandem eine Mitteilung zukommen lassen.
({1})
Ich habe weiterhin bereits verschiedentlich gesagt, daß Unterlagen, die der Herr Abgeordnete Wischnewski erhalten hat, Herrn Minister Ehmke, dem Chef des Kanzleramtes, übergeben worden sind. Diese Unterlagen sind auf deren Anforderung an die Staatsanwaltschaft gelangt, wie auch schon mehrfach wiederholt; nur um diesen Vorgang handelt es sich.
({2})
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Hat die Bundesregierung Einfluß darauf genommen, daß der in der ASD-Redaktion tätig gewesene Wolfgang Eberhard Göbel sich der Staatsanwaltschaft gegen Journalisten und ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD als Kronzeuge zur Verfügung gestellt hat?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keinen Einfluß darauf genommen, daß Herr Göbel sich im gegen Unbekannt gerichteten Strafverfahren als Zeuge zur Verfügung gestellt hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, läßt der von Ihnen bestätigte telefonische Kontakt des Herrn Bundesministers Ehmke mit Herrn Göbel nicht den Verdacht zu, daß Herr Ehmke den Informanten Göbel bewegt hat, seine vertragswidrige Tätigkeit in der Redaktion fortzusetzen, um Material zur Strafverfolgung kritischer Journalisten zu bekommen?
Ich würde die Frage mit Nein beantworten.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hätte der Bundesminister im Kanzleramt und der Professor der Rechte, Herr Ehmke, Herrn Göbel nicht wenigstens darauf hinweisen sollen, daß das Ausspähen von Redaktionsgeheimnissen illegal ist und daher von der Bundesregierung nicht gutgeheißen werden kann?
({0})
Herr Abgeordneter, unabhängig davon, daß ich über den Vorgang wiederholt Darstellungen dessen, was sich tatsächlich abgespielt hat, gegeben habe, wäre ich sehr glücklich, wenn diese Grundsätze nicht nur von der Bundesregierung verlangt würden, die sie einhält, sondern wenn sie alle Beteiligten einhalten würden.
({0})
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Sind die Dienste Göbels durch die Bundesregierung honoriert worden, und wenn ja aus welchen Etattiteln?
Herr Abgeordneter Dr. Jenninger, ich kann Ihnen hier - und dies gilt für sämtliche dem Bundeskanzler oder dem Chef des Bundeskanzleramtes zur Verfügung stehende haushaltsmäßigen Ausgabetitel - Ihre Frage klar mit Nein beantworten.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bezieht sich das auch auf den sogenannten Reptilienfonds, und handelt es sich vielleicht in diesem Fall um den berühmten, vom Herrn Bundesminister Ehmke im Untersuchungsausschuß genannten sicherheitsrelevanten Fall, wo hier Mittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt wurden?
({0})
Ich habe Ihre Frage schon vorweg beantwortet. Ich habe von allen Titeln gesprochen, aus denen nichts gezahlt worden ist. Doppelte Verneinung soll jetzt nicht die Bejahung da wir gewohnt sind, sehr genau miteinander umzugehen- bedeuten. Damit erübrigt sich die zweite Frage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie können Sie diese Behauptung aufstellen, nachdem der Präsident des Bundesrechnungshofs und auch Herr Bundesminister Ehmke erklärt haben, daß die Belege über Ausgaben dieser Art längst vernichtet worden sind?
Dies ist ganz einfach. Da die gesetzmäßige Prüfung stattgefunden hat, herrschen natürlich bei dem, der dazu von Amts wegen berufen ist, Kenntnisse.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, hat Herr Göbel mit Wissen der Bundesregierung von anderen Personen oder Stellen Vergünstigungen erfahren, oder sind diese Dienste sonstwie honoriert worden?
Herr Abgeordneter, es ist selbstverständlich - wenn ich das richtig sehe - keine Vergünstigung, in den öffentlichen Dienst eingestellt zu werden, genausowenig wie es, wie ich höre, beispielsweise keine Vergünstigung ist, wieder zu kandidieren.
({0})
Ich würde also Ihre Frage ganz klar mit Nein beantworten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt - vorher oder jetzt -, daß Herr Göbel beim Presse- und Informationsamt des Senats von Berlin angestellt worden ist und dafür ein erhebliches Gehalt erhält?
Aber Herr Abgeordneter Wohlrabe, er erhält das Gehalt, das nach dem Tarifvertrag eine angemessene Entlohnung für seine Tätigkeit ist; anders verhält sich der Senat von Berlin nicht.
({0})
- Für die Tätigkeiten für das Amt selbstverständlich. Herr Marx, so etwas ist beim Senat von Berlin nicht anders üblich!
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause Auskunft darüber geben, was denn der CDU so unangenehm an dem Fall Göbel ist, um wessen Geheimnisse, die dem Haus Springer zur Kenntnis gebracht worden sind, es sich denn handelt, daß die CDU hier den Fall Göbel so aufzieht?
({0})
Herr Abgeordneter Mattick, mir ist das selbstverständlich auch völlig unerklärlich; denn es bestehen gar keine Verbindungen.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihren diversen Antworten, die Sie hier gegeben haben, den Schluß ziehen, daß auch weiterhin Redaktionen deutscher Publikationen von Sympathisanten der Regierung mit Billigung der Regierung überwacht werden?
({0})
Herr Abgeordneter, ich kann hier ganz klar sagen, daß sich jedes Mitglied der Bundesregierung und jeder Beamte an seinen Diensteid hält und daher selbstverständlich Aktionen, wie Sie sie vermuten, nicht in Betracht kamen, nicht in Betracht kommen und nicht in Betracht kommen werden.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich im Rahmen der Fragestunde zu halten; sonst muß ich die Frage absetzen. - Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Staatssekretär, würden Sie in all Ihre Betrachtungen, die Sie soeben angestellt haben, auch die Tatsache einbeziehen, daß der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, Ehmke, sich der Dienste einer höchst zwielichtigen Figur bedient hat, daß diese Mitteilungen dann in einer großen Illustrierten veröffentlicht worden sind, daß dieser Herr Distler im Auftrag der Bundesregierung hierher eingeladen worden ist, hier Unterkunft bekommen hat und von Herrn Ehmke damals herangeholt worden ist? Paßt dies alles in Ihre Darstellung, die Sie soeben gegeben haben?
({0})
Herr Kollege Dr. Marx, diese Frage steht nun wirklich nicht mehr im Zusammenhang mit dem Wortlaut der ursprünglichen Frage; sie kann deswegen nicht beantwortet werden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Seiters.
({1})
Bitte schön, Herr Seiters!
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung verbindlich erklären, daß Göbel nicht wenigstens ähnlich wie der falsche Kronzeuge von Minister Ehmke, Distler, das erstattet bekam, was Minister Ehmke für angemessene Spesen hielt?
Herr Abgeordneter, ich habe ausgeführt, daß dem Herrn Göbel vom Chef des Bundeskanzleramtes keine Zuwendungen gemacht worden sind
({0})
für irgendwelche Auslagen, Spesen oder wie immer Sie es nennen mögen.
({1})
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann auf:
Wie hoch belaufen sich die Kosten der Anzeigenkampagne des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, die am 1. September 1973 angelaufen ist?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär von Wechmar. Bitte schön!
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß sich Ihre Frage auf die ab 1. September 1973 bis heute angelaufenen Anzeigenkampagnen bezieht.
Dies ist erstens die Anzeigenserie „Gesellschaftspolitik", erschienen in der Zeit vom 3. bis 8. September 1973, sechs Anzeigen in dem, was wir die Boulevardpresse nennen - das sind insgesamt acht Blätter -, mit denen die Bundesregierung die Bevölkerung über die wichtigen Schwerpunkte auf dem Gebiete der Sozial- und Gesellschaftspolitik unterrichtet hat.
({0})
Bei einer Gesamtauflagenhöhe von jeweils 4,8 Millionen werden sich die Kosten auf etwa 575 000 DM belaufen.
Zweitens. Am 28. September 1973, in einigen Zeitungen am 29. September 1973, wurden vor allem die Kriegsopfer über die von der Bundesregierung geplanten Leistungsverbesserungen in der Kriegsopferversorgung durch die Anzeige mit dem Thema „Zur Sache: Kriegsopferversorgung" in den täglich erscheinenden Tageszeitungen einschließlich „Süddeutsche Zeitung", Stadtausgabe „Frankfurter Allgemeine Zeitung" sowie in der Hamburger Ausgabe der Zeitung „Die Welt" informiert. Die Gesamtauflage beträgt hier jeweils 12,7 Millionen, während die Kosten etwa 573 000 DM betragen werden.
Für die geplante Veröffentlichung dieser Anzeige im November 1973 in den Kriegsopferverbandszeitschriften „Reichsbund", „Deutsche Kriegsopferzeitung" und „Die Fackel" mit einer Gesamtauflage von 1,5 Millionen werden weitere 24 500 DM zu berücksichtigen sein.
Drittens. Am 12., 14., 18. und 20. September 1973 wurde je eine Anzeige zur Verbraucherpolitik in regionalen und lokalen Tageszeitungen mit einer Gesamtauflagenhöhe von jeweils 12,7 Millionen und Kosten in Höhe von ca. 2,1 Millionen DM veröffentlicht. Diese vier Anzeigen wurden außerdem in der Zeit vom 25. bis 28. September 1973 in der Boulevardpresse veröffentlicht.
Weitere sieben sogenannte Verbrauchertip-Anzeigen erscheinen in der Zeit vom 2. Oktober bis 23. Oktober 1973 ebenfalls in der Boulevardpresse
mit einer Gesamtauflage von jeweils 4,8 Millionen. Die Kosten für diese Anzeigen werden mit etwa 1,16 Millionen DM zu veranschlagen sein.
({1})
Viertens. Heute, Herr Abgeordneter, hat die Anzeigenserie zur Information der Frauen begonnen. Insgesamt sind fünf Anzeigen vorgesehen; die letzte wird am 1. März 1974 veröffentlicht werden. Die Gesamtauflagenhöhe in zehn verschiedenen Zeitschriften wird jeweils etwa .bei 11 Millionen liegen;
({2})
an Kosten sind etwa 1,4 Millionen DM zu berücksichtigen.
({3})
Bei keiner der vier Anzeigenserien ist bisher eine Endabrechnung erfolgt. Nach dem derzeitigen Stand belaufen sich die Gesamtkosten für die eben von mir geschilderten vier Anzeigenkampagnen auf etwa 5,5 Millionen DM. Die Bezahlung erfolgt jeweils aus dem Titel 53103, Öffentlichkeitsarbeit Inland des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da in manchen dieser Verbraucheranzeigen von dem Referat „Verbraucher" und von dem Referat „Arbeitnehmer" des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung die Rede ist, möchte ich fragen, seit wann diese Referate unter dieser Bezeichnung in Ihrem Amt existieren.
Herr Abgeordneter, die Überlegung bei einer solchen Aufschlüsselung war, denjenigen Interessenten, die diese Anzeige bis zum Ende durchgelesen hatten
({0})
und sich weitere Informationen beschaffen wollten, einen Hinweis darauf zu geben, an welche Stelle meines Amtes sie sich zu wenden haben, damit wir bei dem überdimensionalen Posteingang, den wir auf Grund der Kupons bereits jetzt zu verzeichnen haben ({1})
es gab mehr als 20 000 Einsendungen allein nach der Verbraucherkampagne -, in meinem Amte rationell arbeiten und die Zuschriften gleich denjenigen zuleiten können, die die Beantwortung übernehmen.
({2})
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hatte mir erlaubt, zu fragen, seit wann in Ihrem Hause zwei Referate unter der genannten Bezeichnung existieren. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.
Herr Dr. Zimmermann, ich will sie gern beantworten. Es gibt in meinem Hause eine Abteilung 3, eine Inlandsabteilung, die ihrerseits wiederum über eine Untergliederung in Referate verfügt. In diesen Referaten werden die beiden von Ihnen angesprochenen Themenbereiche behandelt.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
({0})
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns bitte mitteilen, ob diese Anzeigenkampagne über eine Werbeagentur gestreut worden ist und, wenn ja, ob es sich hierbei um die sozialdemokratische Werbeagentur ARE handelt?
Es ist richtig, daß diese Anzeigenkampagne, von der hier die Rede ist - ich nehme an, daß es die Verbraucherkampagne ist, die hier interessiert -, mit einer Werbeagentur vorbereitet worden ist. Es handelt sich um die Agentur ARE. Aber ich darf hier gleich hinzufügen, daß weitere Agenturen mit dem Bundespresseamt in einem ständigen Kontakt stehen.
({0})
Zwei von ihnen haben bereits einen Auftrag bekommen, und ich könnte mir vorstellen, daß Sie, wenn Sie mit den mit Ihnen befreundeten Agenturen einmal Verbindung aufnehmen, entdecken werden, daß eine davon bedient worden ist.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ({0}).
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Höhe der Kosten der tür die gleichen Aufgabenbereiche parallel angefertigten Broschüren angeben? Halten Sie es mit den Prinzipien einer sparsamen Ausgabengestaltung für vereinbar, daß dieses Informationsmaterial den Bundestagsabgeordneten in unbegrenzter Höhe angeboten wird?
Zur ersten Frage, Herr Abgeordneter: Ich bin nicht in der Lage, Ihnen hier aus dem Stand die
Frage zu beantworten. Ich werde Ihnen gerne noch im Laufe des heutigen Tages eine Antwort schriftlich zukommen lassen.
Zur zweiten Frage: Es gibt zwischen meinem Hause und dem Haushaltsausschuß dieses Hauses eine Vereinbarung, daß alle Publikationen, die das Presse- und Informationsamt herstellt, den Abgeordneten zur Verfügung gestellt werden, damit sie sich einen Einblick darüber verschaffen können, was hergestellt wird.
Da Sie die Höhe der Summen beklagen, die bei dieser Gelegenheit für Anzeigen ausgegeben worden sind, darf ich vielleicht hinzufügen, daß dies bei früheren Regierungen ähnlich gehandhabt worden ist.
({0})
Ich darf Sie daran erinnern, daß z. B. im Jahre 1966, in dem gewiß noch ganz andere Preisvorstellungen im Anzeigengewerbe vorhanden waren, von der Regierung Erhard eine aus vier Anzeigen bestehende Serie zu den Themen „Gemeinschaftsaufgaben", „Sozialinvestitionen", „Wirtschaftliche Stabilität" und „Mitarbeit der Bevölkerung" in Auftrag gegeben und mit einem Gesamtpreis von 870 000 DM bezahlt worden ist.
({1})
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in einer Anzeigenserie „Große Reformen" in der Zeit vom Oktober 1968 bis zum April 1969 unter der Kanzlerschaft von Dr. Kurt Georg Kiesinger sechs Anzeigen in regionalen und überregionalen Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von jeweils 15 Millionen
({2})
und einem Kostenaufwand von rund 2,7 Millionen DM veröffentlicht wurden; im Mai 1968 zwei Anzeigen zu den Notstandsgesetzen in allen Tageszeitungen mit einer Auflage von jeweils 14 Millionen und Kosten von 2,6 Millionen DM.
({3})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß zwischen 1949 und 1969 kein einziger Abgeordneter der Union, auch nicht der in Finanz- und Haushaltsfragen so bewanderte Herr Dr. Zimmermann, nach den Kampagnen des Presseamtes gefragt hat?
({0})
Herr Abgeordneter, ich hatte unter Hinweis auf frühere Kampagnen früherer Regierungen versucht,
({0})
Staatssekretär von Wechmar
in der Beantwortung einer Frage des Herrn Abgeordneten, der mir vor Ihnen eine Frage gestellt hat, einen Hinweis darauf zu geben, wie sich meine Auffassung dazu verhält.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, daß auf Grund der Anzeigenkampagne etwa 20 000 Zuschriften gekommen seien.
Meine Frage geht dahin, ob zu diesen 20 000 Zuschriften auch die der Kollegen der SPD-Fraktion gehören, die dann auf Grund ihrer Zuschriften jene Zeitschriften und jenes Aufklärungsmaterial auf Kosten der Steuerzahler lastwagenweise in ihre Wahlkreise zugestellt bekommen haben.
({0})
Herr Abgeordneter, bei den 20 000, von denen ich gesprochen habe, handelt es sich um Zuschriften von Lesern, nicht um die von Organisationen oder politischen Parteien noch um die von Abgeordneten, sondern - ich wiederhole es noch einmal - um die von Zeitschriften- und Zeitungslesern.
Im übrigen haben wir eine ganze Reihe von Zuschriften von Organisationen bekommen. So hat uns beispielsweise die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels mitgeteilt, daß sie den sachlichen und informativen Stil dieser Anzeigen begrüße. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat der Bundesregierung eine sachliche Aufklärung bescheinigt, und - fast möchte man glauben, wir hätten hier auf Wunsch Ihrer Partei gehandelt -- ich darf daran erinnern, daß am 31. Juli Herr Professor Biedenkopf im DeutschlandUnion-Dienst die Forderung erhoben hat - ich zitiere -:
daß ohne eine Aufklärung der Bevölkerung über die Ursachen der Preissteigerungen ihre Mitwirkung bei der Bekämpfung der Inflation nicht zu erwarten sei.
Ende des Zitats.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, gehört zu den Institutionen, die an der Werbekampagne, an der Werbeaktion beteiligt waren, die eingangs von Ihnen erläutert wurde, vielleicht auch jenes Institut des Herrn Fraschka aus Neckarzimmern, das in wesentlichem Maße auch Aufträge für den Deutschen Bundestag ausführt?
Herr Abgeordneter, ich bin nicht in der Lage, die Frage aus dem Stand zu beantworten. Ich kann Ihnen sicherlich noch im Laufe dieses Tages darauf eine schriftliche Auskunft geben.
Das gibt mir aber Gelegenheit, mit Erlaubnis der Frau Präsidentin noch auf eine Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe zurückzukommen, die Firmen betreffend, die beteiligt sind, als ich empfahl, einmal Verbindung mit Ihnen befreundeten Firmen aufzunehmen. Eine der Firmen, die wir in Auftrag genommen haben, liegt in Berlin.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, könnten Sie, in Zahlen ausgedrückt, dem Hohen Hause etwas zur Ausgewogenheit der Vergabe von Aufträgen an die betreffenden Agenturen mitteilen?
Ja, dies könnte ich tun. Um es verläßlich tun zu können, müßte ich aber die Verabredungen, die wir bereits getroffen haben, und jene, die wir vorhaben, miteinander vergleichen. Auch hier bin ich gerne bereit, Ihnen das schriftlich mitzuteilen. Ich könnte Ihnen hier nur Annäherungsziffern geben, die nicht verläßlich sind.
Eine Frage der Abgeordneten Frau Berger.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir sagen, ob es in Ihrem Hause ein Referat „Verbraucherfragen" und ein Referat „Frauen" gibt, oder sind im Falle der beiden Anzeigen fiktive Absenderreferate geschaffen worden?
Zum ersten Teil, Frau Abgeordnete, glaubte ich mich schon geäußert zu haben. Zum anderen will ich gerne sagen, es gibt ein Frauen-Referat in meinem Hause.
({0})
- Ich hatte zu Beginn der Fragestunde bereits auszuführen versucht, daß es Referate gibt, die sich mit diesen Themen beschäftigen.
({1})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, indem ich Sie vielleicht zunächst darauf aufmerksam machen darf, daß in dem Zitat des Herrn BiedenPfeffermann
kopf das Schwergewicht auf dem Wort ,,Aufklärung" lag, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bewußt geworden ist, daß Sie bei dem Preisvergleich verschiedener Kampagnen vorangegangener Regierungen zu Kampagnen der jetzigen Regierung immerhin die Kampagnen aus vier Jahren zusammenzählen mußten, um den Preisvergleich zu einem halben Jahr der jetzigen Regierung einigermaßen ins Lot zu bringen.
({0})
Herr Abgeordneter, ich hatte geglaubt, daß ich Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen sollte. Ich bin aber gerne bereit, bis 1949 zurückzugehen.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, können Sie uns mitteilen oder gegebenenfalls in die angekündigten Auskünfte einbeziehen, welche Werbeagentur damals die Aktion der Regierung Erhard übertragen bekommen hat? War das die Agentur Fraschka?
({0})
Ich kann es hier nicht beantworten, Herr Abgeordneter, ich muß mich sachkundig machen, Ich bin während der Regierung Erhard nicht im Bundesdienst gewesen.
Werden Sie uns diese Unterlagen zugänglich machen?
({0})
Ich werde es im Zusammenhang mit der anderen Frage, die den gleichen Herrn betraf, gerne ermitteln und Ihnen, wenn es geht, heute noch, schriftlich zur Verfügung stellen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf die Frage meines Kollegen Conradi und die Frage eines CDU-Kollegen nach der Ausgewogenheit der Auftragsverteilung möchte ich Sie fragen, ob Sie dem Hause mitteilen können, ob bei früheren Kampagnen auch andere als mit der CDU
befreundete oder verfilzte Firmen Aufträge bekommen haben.
({0})
Herr Abgeordneter, auf die Gefahr hin, daß meine Antwort 10 % Unsicherheit einschließt, möchte ich auf Grund der Aktenlage, die mir zugänglich ist, bestätigen, daß etwa 90 % derjenigen Organisationen oder Firmen, die in den Zeiten bis 1966 an solchen Kampagnen beteiligt waren, mehr der CDU zuzurechnen waren als anderen politischen Gruppierungen.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wörner.
Herr Staatssekretär, ist angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in vier verschiedenen Bundesländern mit weiteren Anzeigenaktionen der Bundesregierung aus Steuermitteln im nächsten Jahre zu rechnen?
Herr Abgeordneter, nicht nur im nächsten Jahr.
({0})
Die Bundesregierung hält es für ihre Pflicht. Mein Haus hat nach dem Haushaltsgesetz den Auftrag, die Öffentlichkeit zu informieren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Vorspruch des Haushaltsgesetzes zu dem Titel, der das Presse- und Informationsamt betrifft, einmal nachläsen. Dort besteht eine Verpflichtung für mein Haus, die Öffentlichkeit zu informieren. Das haben frühere Bundespresseämter auch getan.
({1})
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, im amtlichen Bulletin heim Abdruck der Rede des Bundeskanzlers vorn 3. Oktober 1973 den Ausspruch des Kanzlers gegenüber der Opposition: „Lachen Sie nicht dümmer, als sie sind" unerwähnt zu lassen, und hält sie die Streichung einer Redepassage, die hei der Opposition auf großen Widerstand gestoßen ist, mit der Verpflichtung der Bundesregierung zur objektiven Berichterstattung für vereinbar?
Herr Abgeordneter, als amtliches Organ der Bundesregierung hat das Bulletin die Aufgabe, die Stellungnahme der Bundesregierung zu politisch
Staatssekretär von Wechmar
relevanten Themen durch Reden, Interviews, Artikel usw. der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu gehört selbstverständlich auch der Abdruck von Reden des Bundeskanzlers und von Bundesministern vor dem Deutschen Bundestag.
({0})
Nun entspricht es einer mehr als 20jährigen bewährten Praxis, daß bei solchen Veröffentlichungen des Bulletins durch typographische Gestaltung, z. B. durch Vorspann, Kursivdruck und Sperrungen im Text, bewußt von der Drucklegung des Stenographischen Protokolls des Deutschen Bundestags unterschieden wird. Zu dieser langjährigen, nicht durch diese Regierung eingeführten Praxis gehört es auch, dann eine Reaktion des Redners auf konkrete Zwischenrufe abzudrucken, wenn der Redner dadurch ergänzende Sachausführungen macht.
({1})
In diesem Fall wird auch der Zuruf, durch Kursivschrift abgehoben, im Wortlaut abgedruckt.
Da diese Voraussetzungen, Herr Abgeordneter, in dem in Ihrer Anfrage angesprochenen Fall nicht vorlagen,
({2})
hat das Bulletin nach der an seiner Aufgabe orientierten Praxis korrekt berichtet.
({3})
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, unabhängig von der Begründung, die Sie hier gegeben haben, habe ich die Frage, oh Sie es nicht für möglich halten, daß die Kriterien, die für Streichungen aus dem Protokoll maßgebend sind, danach bestimmt werden, ob sie jeweils für die Bundesregierung förderlich sind oder nicht.
Mit Sicherheit nicht, und ich bin gewiß, daß Sie, wenn Sie aufmerksam das Bulletin lesen - leider gibt es nicht sehr viele, die das tun -, sehr bald feststellen werden, daß diese Bundesregierung sich an eine Praxis hält, die frühere Bundesregierungen eingeführt haben. Ich habe nicht die Absicht, davon abzuweichen.
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn mit der Verpflichtung der Bundesregierung zur objektiven Berichterstattung für vereinbar, daß im Bulletin nicht Streichungen gegenüber dem Protokoll, sondern Zusätze erfolgen, die im Protokoll überhaupt nicht stehen wie z. B. ein Zwischenruf des Abgeordneten Dr. Kiesinger auf Seite 1226 des Bulletins?
Dieser Vorgang ist mir nicht bekannt. Ich
werde ihn nachprüfen. Wenn hier ein bedauerliches Mißverständnis vorliegen sollte was ich jetzt hier nicht zugeben werde, denn ich muß es erst prüfen dann muß ich mich dafür entschuldigen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die allerdings ungewöhnliche Äußerung des Herrn Bundeskanzlers, wie sie hier zitiert ist,
({0})
schon deshalb Bestandteil des Texts im Bulletin sein sollte, weil es sich hier um eine für den Herrn Bundeskanzler sehr typische und daher für die Offentlichkeit höchst interessante und aufschlußreiche Äußerung handelt?
({1})
Frau Abgeordnete, ich hatte in der Antwort auf die mir gestellte Frage schon darauf hingewiesen und darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin noch einmal wiederholen: Zu dieser langjährigen Praxis gehört es, auch dann eine Reaktion des Redners auf konkrete Zwischenrufe abzudrucken, wenn der Redner dadurch ergänzende Sachausführungen macht. Ich glaube mich mit Ihnen einig,
({0})
daß Sie in der Frage, die Sie gestellt haben, nicht unterstellen wollen, daß der Herr Bundeskanzler hier eine Sachausführung gemacht hat.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß ein bekannter deutscher Verlag eine Prachtausgabe mit dem Titel „Goldene Worte" plant, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, auf urheberrechtliche Ansprüche auf den Satz „Lachen Sie hier nicht dümmer, als Sie sind" zu verzichten.
({0})
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat kein Urheberrecht, denn dieser Satz ist, wie Sie sich sicher überzeugen werden, im Stenographischen Protokoll des Deutschen Bundestages jener Sitzung abgedruckt, nicht im Bulletin der Bundesregierung - aus den eben geschilderten Gründen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Staatssekretär, können Sie sich angesichts der schwerwiegenden Frage der Kollegin Berger nicht überlegen, ob es denkbar wäre, der Gerechtigkeit halber diese zwei typischen Vorgänge einander sich aufheben zu lassen, das typische Lachen der CDU und der sogenannte typische Antwortausdruck des Bundeskanzlers?
({0})
Damit rechtfertigt sich wohl auch, wenn ich richtig
sehe - - ({1})
- Ich frage Sie, damit Sie noch einen Spaß haben!
- Rechtfertigt sich damit nicht, daß der schwergewichtigen Frage der schwergewichtigen Kollegin Berger eine schwergewichtige Antwort gegeben wird?
({2})
Herr Abgeordneter, Sie hatten mich dazu aufgefordert, das zu überlegen. Dieser Überlegungsprozeß ist bei mir schon abgeschlossen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben feststellten, daß dieser Abklärungsprozeß bei Ihnen vorher abgeschlossen war, darf ich dem also entnehmen, daß Sie zu einem anderen Ergebnis gekommen sind, als dies der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD Ihnen unterstellen wollte?
({0})
Herr Abgeordneter, ich wollte einer Dame gegenüber nicht unhöflich sein. Aber da Sie mir eine ähnliche Frage noch einmal stellen, möchte ich erneut darauf zurückkommen. Es wurde gesagt: wenn der Redner dadurch ergänzende Sachausführungen macht. Ich darf unterstellen, daß Sie damit bestätigen, daß der Herr Bundeskanzler eine ergänzende Sachausführung gemacht hat, wenn Sie die Aufnahme in das Bulletin verlangten.
({0})
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes sowie des Presse- und Informationsamtes beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner anwesend.
Ich rufe Frage 26 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) auf. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Auch diese Frage sowie die Frage 28 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Kater auf. - Auch er ist nicht im Saal. Die Frage 29 - und ebenfalls Frage 30 - werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 31 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Lage in der Textilwirtschaft, insbesondere in der nordbayerischen Textilwirtschaft, und was gedenkt sie zu tun, um die Arbeitsplätze zu sichern?
Herr Kollege, in den letzten Wochen mehren sich in der Textil- und Bekleidungsindustrie Zeichen einer konjunkturellen Abschwächung. Ursachen hierfür sind der stagnierende Absatz von Bekleidung, steigende Rohstoffpreise und die infolge der restriktiven Kreditpolitik schwieriger werdende Finanzierung. Von dieser Entwicklung sind in erster Linie die Bekleidungsindustrie, aber auch Teile der Textilindustrie betroffen. Das Ausmaß der Kurzarbeit ist im September mit 20 131 - gegenüber 7 132 im August - erheblich angestiegen. Diese Tendenz dürfte sich in den kommenden Wochen noch fortsetzen.
Die Bundesregierung verfolgt die weitere Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich in einzelnen Regionen, wie z. B. im nordbayerischen Raum, die konjunkturelle Entwicklung und ihre Auswirkungen massierter zeigen als anderswo. In der nordbayerischen Textil- und Bekleidungsindustrie betrug die Zahl der Arbeitslosen im September 1 271 bei 2 907 offenen Stellen. Die derzeitigen Vermittlungsmöglichkeiten für freigesetzte Arbeitnehmer der Textil- und Bekleidungsindustrie in Betriebe dieser beiden Wirtschaftszweige sind beschränkt. Die Möglichkeiten der Vermittlung in andere Bereiche sind im großen und ganzen günstig, soweit die betroffenen Arbeitnehmer anderweitig verwendungsfähig sind.
Der Bundesregierung stehen, um der Gefährdung von Arbeitsplätzen entgegenzuwirken und Anreize zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu geben, die In3288
strumente der regionalen Wirtschaftsförderung und ERP-Mittel zur Förderung von Produktionsumstellungen zur Verfügung. Diese Programme entsprechen in besonderem Maße den Bedürfnissen der Textil- und Bekleidungsindustrie. Im übrigen ist auf die Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes hinzuweisen, die ja dazu dienen, Arbeitnehmern mit Beschäftigungsschwierigkeiten zu helfen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist folglich die Behauptung des Hauptvorstandes der Gewerkschaft Textil - Bekleidung richtig, daß die Politik der Bundesregierung nicht mehr im Einklang mit der Regierungserklärung stehe, da ja einst die Sicherung der Arbeitsplätze als erstes Ziel der Wirtschaftspolitik bezeichnet worden sei, und daß der Verlust von 31 000 Arbeitsplätzen und das Ansteigen der Zahl der Kurzarbeiter auf 50 000 die Folge unausgewogener, unausgegorener und widersprüchlicher textil- und handelspolitischer Maßnahmen der Bundesregierung seien?
Diese Auffassung der Gewerkschaft ist nicht zutreffend. Ich möchte unterstreichen, daß Schwankungen auf dem Arbeitskräftemarkt im Bereich dieser Industrie nicht etwa neu sind, sondern daß es diese Situation auch in den vergangenen .Jahren gegeben hat. Das hängt mit dem sehr intensiven Strukturanpassungsprozeß zusammen, der aus der lohnintensiven Textilindustrie eine kapitalintensive Industrie gemacht und insgesamt dazu geführt hat, daß sich die Textil- und Bekleidungsindustrie im harten internationalen Wettbewerb behaupten und in vielen Bereichen auch ihre Position ausbauen konnte.
Finden Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß Ihre Ausführungen im Widerspruch z. B. zu den jüngsten Angaben des nordbayerischen Textilverbandes stehen, wonach im September/Oktober der Auftragseingang bei den Baumwollwebereien um 40 %, bei der Tuch- und Kleiderindustrie um 60 %, bei der Maschenindustrie um 40 % und die Sofortaufträge um 50 % zurückgegangen sind, ferner die Baumwollspinnereien Zahlungsschwierigkeiten bei den einzelnen Abnehmerstufen bemerken und insgesamt 86 Betriebe im nordbayerischen Raum mit über 7000 Arbeitskräften kurzarbeiten?
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Bundesregierung diese Schwierigkeiten bekannt sind. Ich habe selber Zahlen genannt und auch auf die Ursachen für diese Entwicklung aufmerksam gemacht. Eine der Ursachen ist der stagnierende Absatz von Bekleidung, also ein Verhalten der Verbraucher. Eine andere Ursache sind die enorm gestiegenen Rohstoffpreise, die natürlich ebenfalls nicht zur Absatzbelebung beigetragen haben. Eine dritte Ursache ist allerdings auch die restriktive Kreditpolitik der Bundesbank, die es den Unternehmen schwerer macht, die Lagerhaltung zu finanzieren.
({0})
- Die Importpolitik im Rahmen des Stabilitätsprogramms hat auf diese Entwicklung keinen Einfluß gehabt, weil die aus der Steigerung der Kontingente herrührenden Importe bisher auf dem deutschen Markt überhaupt noch nicht eingetroffen sind.
Insgesamt gesehen möchte ich darauf hinweisen, daß wir nach wie vor eine Vollbeschäftigung haben, die in manchen Bereichen auch heute noch das Kennzeichen der Überbeschäftigung trägt. Das schließt die von uns sehr ernstgenommenen regionalen und sektoralen Entwicklungen, die Sie soeben zitiert haben, allerdings nicht aus.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fuchs.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß Entlassungen in strukturschwachen Gebieten die Arbeitnehmer viel stärker und einschneidender treffen als in wirtschaftsstarken Räumen, weil dort keine entsprechenden Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung stehen, und daß deswegen eine Differenzierung und eine Regionalisierung der Strukturpolitik geboten ist?
Ich teile diese Auffassung in dieser generellen Form nicht, Herr Kollege; denn wir haben die Erfahrung gemacht, daß gerade in strukturschwachen Gebieten sektorale Schwierigkeiten - z. B. in der Bauindustrie - nicht so stark in Erscheinung getreten sind wie in bestimmten Ballungsgebieten, wo sich Fehlentwicklungen sehr viel schärfer niedergeschlagen haben. Im übrigen verweise ich auf unser regionales Förderungsprogramm, das gerade strukturschwachen Gebieten im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
({0})
Regionale Strukturpolitik eine Förderung angedeihen läßt, die auch heute noch wirksam ist, und zwar trotz der Tatsache, daß die Bundesregierung für das Jahr 1973 10 % der Mittel - allerdings beschränkt auf ganz bestimmte Mittel - im Rahmen dieser Aufgabe nicht gesperrt, sondern nur gestreckt hat. Das heißt, diese Mittel werden in Zukunft wieder zur Verfügung stehen, wenn die konjunkturelle Situation dazu Anlaß gibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht mit mir die Auffassung, daß die konjunkturelle Komponente nur eine von mehreren ist, daß insbesondere die verstärkte Freigabe von Einfuhren aus dem Osten mit zu den Schwierigkeiten in der Textilindustrie geführt hat, daß darüber hinaus zu erwarten ist, daß der Kurzarbeit die Aufgabe
einer Reihe von Betrieben folgen wird und damit Schwierigkeiten vor allem bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen für Frauen entstehen werden?
Ich teile nicht die Auffassung - das habe ich schon betont -, daß etwa die Erhöhung der Kontingente im Rahmen des Stabilitätsprogramms auf die gegenwärtige Lage Einfluß gehabt hat, weil diese erhöhten Importe, wie gesagt, auf dem deutschen Markt überhaupt noch nicht eingetroffen sind. Es ist aber selbstverständlich, daß im Rahmen des Strukturanpassungsprozesses - wie in der Vergangenheit auch - Betriebe der Textil- und Bekleidungsindustrie aufgeben. Der Strukturanpassungsprozeß wird, vom Wettbewerb her gesehen, insbesondere durch die außerordentlich scharfe Konkurrenz der Textil- und Bekleidungsindustrie in den EWG-Staaten und nicht etwa durch die scharfe Konkurrenz aus den Staatshandelsländern, auch was die mengenmäßige Seite angeht, heraufbeschworen.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 32 und 33 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Milz, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir für heute am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 7/885
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege
Drucksache 7/886
Zur Begründung hat Herr Bundesminister Ertl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ihre Gesetzentwürfe betreffend Naturschutz und Landschaftspflege ebenso wie die CDU/CSU-Fraktion im März 1973 den gesetzgebenden Körperschaften in der Fassung aus der 6. Legislaturperiode nahezu unverändert wieder zugeleitet. Wie die Opposition ist auch die Bundesregierung dabei von der Dringlichkeit einer Entscheidung über gesetzliche Regelungen zur Sicherung unserer natürlichen Umwelt ausgegangen.
Täglich wird in Natur und Landschaft eingegriffen. Das traditionelle Naturschutzrecht reicht nicht mehr aus, und zwar auch deshalb nicht, weil langfristig die Vereinbarkeit dieser Eingriffe mit der
Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu sichern ist. Außerdem ist. das Reichsnaturschutzgesetz von 1935, das als Landesrecht fortgilt, von den Ländern in unterschiedlicher Weise geändert und in letzter Zeit von einigen Ländern durch eigene Gesetze ersetzt worden. Es ist daher, wie ich meine, dringend notwendig, dieses Rechtsgebiet bundeseinheitlich neu zu regeln.
Dabei geht es nicht nur um die bewahrenden Funktionen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die sicherlich an Bedeutung erheblich zugenommen haben. Vielmehr ist es mindestens ebenso wichtig, Natur und Landschaft unter Berücksichtigung aller Lebensbedürfnisse des Menschen aktiv zu gestalten. Wir müssen künftig in der Lage sein, vorhandene Schäden zu beseitigen, ihre Entstehung möglichst zu verhindern und das Angebot an Natur und Landschaft zur Befriedigung der Bedürfnisse unserer Bevölkerung zu verbessern. Die zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung dienen diesen Zielen.
Der Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege stellt dem Naturschutz und der Landschaftspflege die große Aufgabe, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter: Boden, Wasser, Luft, Klima, Pflanzen- und Tierwelt sowie die Vielfalt, Schönheit und Eigenart von Natur und Landschaft nachhaltig zu sichern. Damit dient er der Sicherung der Lebensgrundlagen für Mensch, Tier und Pflanze und der Sicherung der Voraussetzungen für die Erholung unserer Bevölkerung in Natur und Landschaft.
Ich nenne nun wesentliche Schwerpunkte dieses Gesetzentwurfs:
1. Vorschriften über Landschaftsplanungen. Landschaftsplanungen werden heute nur gelegentlich und im Zusammenhang mit anderen Planungen durchgeführt. Es ist aber dringend erforderlich, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts planmäßig zu erhalten und zu entwickeln, um den in der Zukunft stark wachsenden und vielfältigen Anforderungen an unsere natürlichen Ressourcen gerecht zu werden. Hier setzt der Gesetzentwurf neue Maßstäbe, indem er Landschaftsplanungen auf Bundes-, Landes-und örtlicher Ebene verbindlich vorschreibt. Ich sehe diesen Sachkomplex als einen der wichtigsten Teile des Gesetzes an.
2. Vorschriften über allgemeine Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen. Sie ermöglichen es, den Naturschutzbehörden, aktiv gestaltend tätig zu werden, und zwar nicht nur in den unter Schutz gestellten Gebieten. Bei Eingriffen in Natur und Landschaft, für die andere Behörden fachlich zuständig sind, ist künftig eine stärkere Mitwirkung der Naturschutzbehörden vorgesehen. Außerdem wird nach dem Verursacherprinzip derjenige, der durch einen Eingriff schwerwiegende und nachhaltige Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft hervorruft, dazu verpflichtet, die Folgen seines Eingriffs auszugleichen.
3. Vorschriften zum Schutz bestimmter Gebiete sowie bestimmter Tier- und Pflanzenarten. Hier sind die bisherigen Erfahrungen und neue Erkenntnisse
auf diesem Gebiet zur Fortentwicklung des herkömmlichen Gebiets- und Artenschutzes verwertet worden, z. B. durch die Schaffung der neuen Schutzkategorie ,,Landschaftsentwicklungsbereiche". Das sind Gebiete, in denen wegen schwerwiegender Schäden besondere Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen erforderlich sind. Hier handelt es sich um ein neues Instrument, das für verwüstete oder verwahrloste Teile unserer Landschaft große Bedeutung erlangen wird.
4. Regelungen zum Betreten von Wald und Flur. Sie entsprechen unserer heutigen gesellschaftlichen Auffassung darüber, daß grundsätzlich auch in Privateigentum stehende Grundstücke in der freien Natur jedermann zugänglich sein müssen. Die vorgesehene Regelung berücksichtigt dabei die berechtigten Belange der Eigentümer und Nutzungsberechtigten von Grundstücken. Die Bundesregierung glaubt daher, im Regierungsentwurf eine wohlabgewogene Lösung für die zum Teil einander stark widersprechenden Interessen gefunden zu haben.
5. Finanzhilfen des Bundes. Jeder von Ihnen weiß, daß es zur Bewältigung der Aufgaben des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht nur guter Ideen und Vorschriften, sondern auch finanzieller Mittel bedarf. Mit Rücksicht auf die Bedeutung und den Umfang der Aufgaben trägt der Bund eine Mitverantwortung. Die Bundesregierung hat deshalb Finanzhilfen für Investitionen auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorgeschlagen und zu diesem Zweck in die mittelfristige Finanzplanung für die kommenden Jahre jeweils 10 Millionen DM eingesetzt. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diese Mittel für Natur und Landschaft zu bewilligen, indem Sie dem Bund durch das vorliegende Gesetz die erforderliche Finanzkompetenz verschaffen. Ohne diese wäre die Bundesregierung nach der geltenden Abgrenzung der Finanzierungskompetenzen zwischen Bund und Ländern rechtlich nicht in der Lage, für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege Mittel bereitzustellen.
Lassen Sie mich nun zu der beantragten Grundgesetzänderung kommen. Der Verfassungsminister, mein Kollege Genscher, wird dazu besonders Stellung nehmen. Ich möchte daher aus der Sicht meines Fachressorts einige Bemerkungen machen.
Die Umwandlung der Rahmenkompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege in eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ist bereits in der vergangenen Legislaturperiode und bei der ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurfes über Naturschutz und Landschaftspflege im März dieses Jahres Gegenstand eingehender Erörterungen in diesem Hause gewesen. Dabei sind die unterschiedlichen Standpunkte in dieser Frage ausführlich dargelegt worden.
Die Bundesregierung hat die seinerzeit vorgebrachten Bedenken im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber dem Auftrag unserer föderalen Verfassung besonders sorgfältig geprüft. Sie ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes erneut zu beantragen, um zu einer optimalen Lösung der Probleme zu gelangen. Nach Auffassung der Bundesregierung reicht die Rahmenkompetenz nicht aus, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und insbesondere die Rechts- und Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet zu gewährleisten, wenn den Bedürfnissen der Bevölkerung nach Sicherung ihrer Lebens-und Wirtschaftsgrundlage durch den Schutz, die Pflege und die Entwicklung von Natur und Landschaft im notwendigen Umfange Rechnung getragen werden soll. Die Bundesregierung hat dies im einzelnen und sehr ausführlich in ihrer Gesetzesbegründung und ihrer Gegenäußerung zur ablehnenden Stellungnahme des Bundesrates dargelegt. Um Wiederholungen zu vermeiden, beschränke ich meine Ausführungen auf einige politische Gesichtspunkte der beantragten Grundgesetzänderung.
Ich möchte zunächst einmal etwas klarstellen, was
wie mir scheint - bei der Diskussion über die Kompetenzfrage oft übersehen wird. Es ist nicht so, daß die Länder bei der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes vollständig von einer eigenen Gesetzgebung ausgeschlossen werden. Art. 72 des Grundgesetzes sagt ganz eindeutig - ich zitiere wörtlich - daß „die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung ({0}), solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht". Auch ein sogenanntes Vollgesetz kann daher so gestaltet werden, daß den Ländern durchaus noch die Möglichkeit bleibt, für bestimmte Bereiche, in denen sich die natürlichen Gegebenheiten ihres Gebietes wesentlich von denen anderer Länder unterscheiden, eine besondere Regelung zu treffen. Das gilt um so mehr, als ein Vollgesetz nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden kann, wo die Länder die Möglichkeit haben, ihre diesbezüglichen Vorstellungen zur Geltung zu bringen. Diesen Gesichtspunkt sollte man bei der Entscheidung über die Grundgesetzänderung ebenfalls im Auge behalten.
Wie Sie wissen, haben vier Länder in den letzten Monaten eigene Gesetze über Naturschutz und Landschaftspflege erlassen. Vergleicht man diese Gesetze miteinander, so stellt man fest, daß wesentliche Regelungen zum Teil erheblich voneinander abweichen. Diese Erfahrungen, meine ich, lassen erkennen, wohin die Entwicklung gehen würde, wenn es nur zu einer Rahmenregelung käme.
Die Bevölkerung, deren Verständnis für die Bedeutung der Umweltfragen erfreulicherweise stark
gewachsen ist, erwartet - nach meiner Auffassung
zu Recht - eine umfassende Regelung durch ein
Bundesgesetz. Dies entnehme ich insbesondere den zahlreichen Zuschriften aus allen Bevölkerungskreisen, die ich in der letzten Zeit erhalten habe. Gerade in den letzten Tagen ist mir auch der Abdruck eines Schreibens eines CDU-Mitgliedes an den Parteivorsitzenden der CDU, Herrn Ministerpräsident Dr. Kohl, zugegangen, aus dem ich folgende Passagen ganz gern zitieren möchte:
Das Berliner Programm der CDU in der 2. Fassung befürwortet unter Ziffer 112 grundsätzlich
einheitliche Regelungen auf Bundesebene und
spricht sich unter Ziffer 126 speziell für eine einheitliche Regelung des Umweltschutzes auf Bundesebene aus ...
Der Betreffende fährt dann in seinem Brief fort: Die Begründung ({1}), man warte auf die Vorlage der Enquete-Kommission zur generellen Abänderung des Grundgesetzes, insbesondere Änderung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Verhältnis des Bundes und der Länder, ist sehr fadenscheinig.
({2})
- Ich zitiere einen Brief eines aktiven Mitglieds Ihrer Partei.
Diese Kommission arbeitet bereits seit zwei Legislaturperioden, und es ist nicht mit einer baldigen Vorlage zu rechnen.
({3})
- Ich glaube, verehrter Herr Kollege, wie der Schelm ist, so denkt er. ({4})
Die Probleme des Umweltschutzes sind aber außerordentlich dringend und dulden keinen Aufschub.
Der Widerstand gegen die Bundeskompetenz für Naturschutz und Wasserreinhaltung ({5}) ist auch von der Sache her nicht gerechtfertigt. Alle maßgebenden Verbände haben sich für die Bundeskompetenz ausgesprochen.
Der Briefschreiber fügt hinzu:
Wenn sich Mitglieder der Regierungen der von der CDU regierten Länder gegen die volle Bundeskompetenz in diesen wichtigen Umweltschutzbereichen aussprechen, so handeln sie gegen das Urteil der Sachverständigen. Ihr Verhalten läßt sich deshalb nur aus einem unzweckmäßigen Ressortegoismus herleiten.
Soweit das Zitat, das für mich sehr beeindruckend war und das ich deshalb auch sehr gerne wiedergegeben habe.
({6})
- Ich kann nur unterstreichen: Die Sachverständigen decken die Auffassung der Bundesregierung vollinhaltlich.
Lassen Sie mich mit einer Äußerung aus berufenem Munde schließen, die ich der Ansprache von Professor Eduard Pestel vom vergangenen Sonntag anläßlich der Verleihung des Friedenspreises 1973 des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels an den Club of Rome entnommen habe. Diese Vereinigung, deren Mitglieder, wie Sie wissen, die viel beachtete Studie über die „Grenzen des Wachstums" gefördert haben und sich diesen Fragen besonders widmen - einer der wichtigsten Mitarbeiter ist ja Herr Pestel - sieht es als ihr Ziel an - ich möchte das am Schluß gerne zitieren -:
. . . darauf zu drängen sowie mitzuhelfen, die Voraussetzungen und die Instrumente dafür zu schaffen, daß die Bereitschaft der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger geweckt wird, antizipatorisch zu handeln, das heißt im Vorausbegreifen der Problemsituation ihre Maßnahmen zu entwerfen, auf daß für die Gegenwart nützliche Entscheidungen langfristig nicht Schaden stiften.
Genau das ist es, was die Bundesregierung mit ihrem Antrag auf Schaffung der Vollkompetenz für den hier in Rede stehenden wichtigen Teilbereich der Umweltgesetzgebung anstrebt, nämlich eine Basis zu schaffen, die auch in der weiteren Zukunft noch Problemlösungen ermöglicht, die den wachsenden Anforderungen gerecht werden und mit denen gesellschaftliche und wirtschaftliche Fehlentwicklungen langfristig unter Kontrolle gebracht werden können. Sonst stehen wir in einigen Jahren wieder hier, um über die dann mit Sicherheit unausweichlich gewordene Kompetenzerweiterung zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, daher meine Bitte, diese Äußerungen bei der nun im Bundestag zur Beratung anstehenden Gesetzgebung mit zu berücksichtigen. Wenn ich all die Diskussionen, die über diesen doch sehr wichtigen Komplex geführt wurden, einschließlich schriftlicher Alternativen, die ich sehr begrüße, mir vor Augen halte, dann glaube ich sagen zu können: Wenn man den Text inhaltlich vergleicht, kann man eigentlich feststellen, daß es nicht sehr viel Unterschiedlichkeiten gibt. Der entscheidende Punkt ist nur der: Wollen wir Nägel mit Köpfen machen und uns somit für die Zukunft entscheiden? Ich bin sicher, daß das Hohe Haus das tun wird.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Susset.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Ertl hat soeben diesem Hohen Haus den Inhalt eines Briefes eines CDU-Mitglieds an den Parteivorsitzenden Kohl in Auszügen mitgeteilt, und er hat dabei beeindruckende Zitate entdeckt. In dem Brief wird auf die Ziffer 126 des Berliner Programms verwiesen. Herr Kollege Ertl, ich war damals noch nicht im Bundestag, aber ich war auf dem Parteitag in Berlin, als dort dieses Programm verabschiedet wurde. Die Ziffer 126 wurde damals in der Annahme verabschiedet, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet rasch handeln würde. Ich glaube, wenn die Bundesregierung gehandelt hätte, dann brauchte sie heute nicht vier unterschiedliche Landesgesetze zu beklagen. Die Länder hatten überhaupt keine Möglichkeit, zu warten.
Das ganze Haus wird mit mir darin übereinstimmen, daß die von der Regierungsvorlage angesprochene Materie des Naturschutzes und der Landschaftspflege das Lebensrecht und den Lebensraum aller unserer Mitbürger wesentlich berührt und daß die Fortentwicklung ihrer rechtlichen Grundlagen im Moment eine der wichtigsten Aufgaben dieses Parlaments ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Ja, bitte!
Herr Kollege, würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Hohen Haus mitzuteilen, wer damals Bundeslandwirtschaftsminister war und warum ihn diese auf dem Berliner Parteitag vorgetragenen Auffassungen so wenig beeindruckt haben?
Herr Kollege Kleinert, wer damals Bundeslandwirtschaftsminister war, ist mir sehr wohl bekannt. Ich könnte mir vorstellen, daß wenn 1969 der Bundeslandwirtschaftsminister wieder von der CDU/CSU gestellt worden wäre, wir in der Zwischenzeit ein Gesetz hätten.
({0})
Der Dringlichkeit der Problemstellung wäre es angemessen gewesen, wenn die Bundesregierung ihre Vorlage, die schon in der letzten Legislaturperiode fertiggestellt worden war, frühzeitiger eingebracht hätte. Denn wer behauptet, daß es ihm mit den Fragen des Umweltschutzes ernst ist, muß alles tun, damit rasch und zügig ein gutes, wirksames und praktikables Gesetz für Naturschutz und Landschaftspflege entsteht.
({1})
Es gilt, eine gesunde Umwelt zu erhalten, das Gleichgewicht im Naturhaushalt herzustellen, einen Ausgleich zwischen den wachsenden Bedürfnissen der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Anforderungen an Natur und Landschaft einerseits und dem begrenzten Naturpotential andererseits zu finden und dieses zu erhalten, um so die Lebensgrundlagen für die Zukunft und die nachfolgenden Generationen zu sichern. Dem materiellen Inhalt der einzelnen Bestimmungen des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfes können wir zustimmen. Herr Minister Ertl, wir befinden uns hier also in Übereinstimmung. Sie sagten soeben, die CDU/CSU habe einen Entwurf vorgelegt, dem seitens der Regierung durchaus zugestanden werde, daß er die angesprochenen Fragen lösen könnte. Es ist dringend erforderlich, das zur Zeit im Gebiet der Bundesrepublik geltende Recht gesetzgeberisch fortzuentwickeln und den neuen, erweiterten Anforderungen der Bevölkerung an Natur und Landschaft anzupassen.
Seit dem Erlaß des Reichsnaturschutzgesetzes im Jahre 1935 haben sich die Anforderungen an den Naturhaushalt zu grundlegend gewandelt und erweitert, als daß die Bestimmungen dieses Gesetzes im Kern - wenn auch in Landesgesetzen in der Zwischenzeit unterschiedlich fortentwickelt - heute noch als ausreichend angesehen werden könnten. Das geltende Recht weist Lücken auf, es fehlen Regelungen über die Erhaltung, die Herstellung oder die Entwicklung der Naturgüter. Das geltende Recht schützt - das haben Sie, Herr Minister, soeben auch zu Recht ausgeführt -- nur Teilbereiche wie einige
Naturschutzgebiete und einzelne Pflanzen und Tiere. Das geltende Recht ist als Folge unterschiedlicher Fortentwicklung in den einzelnen Ländern zur Zeit selbstverständlich uneinheitlich. Eine ganze Reihe von weiteren Faktoren verlangt jedoch eine Fortentwicklung des geltenden Rechts, wie dies auch im Entwurf der CDU/CSU zum Ausdruck gebracht wird.
Es müssen berücksichtigt werden: erstens der Strukturwandel der Gesellschaft und der Wirtschaft, zweitens die neuen Ansprüche der Bevölkerung bei wachsender Bevölkerungszahl und drittens der steigende Bedarf an Flächen für Freizeit und Erholung der Menschen. Dem stehen entgegen die wachsende Belastung des Naturhaushalts, der erhöhte Rohstoffund Energiebedarf und damit der Wandel der Landschaft in eine Siedlungs- und Industrielandschaft. Das sind Feststellungen, in denen Sie mit unserem Entwurf und wir mit dem Regierungsentwurf übereinstimmen. Ein modern fortentwickeltes Naturschutzrecht muß gesetzliche Regelungen schaffen, die es vermögen, die Belastungen des Naturhaushalts aufzufangen und in den Fällen, in denen die Grenze der Belastbarkeit überschritten wird, Beschränkungen vorzusehen. Dies ist alles in unserem Entwurf abgedeckt!
Unser aller Ziel bei Neuerung und Fortentwicklung des geltenden Rechtes ist es, die Nutzungsmöglichkeiten der Naturgüter und das Wirkungsgefüge eines leistungsfähigen Naturhaushalts zu erhalten, neue Erholungsmöglichkeiten zu schaffen, dabei aber auch die Schönheit, die Eigenart und die Vielfalt der Natur im Auge zu behalten. Während das bisher geltende Naturschutzrecht lediglich auf das Bewahren ausgerichtet war - mit den herkömmlichen Maßnahmen des Artenschutzes, der Schaffung einiger Naturschutzgebiete -, erfordert ein moderner Naturschutz darüber hinaus die Hinwendung zur aktiven Planung und aktiven Gestaltung,
({2})
wie es Ihr Minister, Herr Kollege Gallus, bei der Begründung dieses Entwurfs fast aus unserem Entwurf hätte herauslesen können.
({3})
Die von der Bundesregierung eingebrachte Vorlage geht hinsichtlich des materiell fortzuentwickelnden Rechts von den gleichen Voraussetzungen, Erkenntnissen und Zielsetzungen aus, wie sie meine Fraktion in der Vorlage Drucksache 7/324 schon am 22. März dieses Jahres zum Ausdruck gebracht hat. Wenn die Bundesregierung trotz weitgehender Übereinstimmung in der Zielsetzung der zu schaffenden gesetzlichen Bestimmungen und trotz der Eilbedürftigkeit der Verabschiedung geeigneter Vorschriften, um einer eventuell weiteren Rechtszersplitterung zuvorzukommen, ihre Vorlage eingebracht hat, so geht es ihr, so meine ich, ganz offensichtlich nicht so sehr um das zu schaffende materielle Recht als vielmehr um die Forderung, die Gesetzgebungskompetenz der Länder auf den Gebieten des Naturschutzes und der Landschaftspflege einzuschränken. Deshalb hat die Bundesregierung ja hier zugleich den Entwurf einer entsprechenden Grundgesetzänderung vorgelegt, über den im ZusammenSusset
hang mit der erstgenannten Vorlage nun zu beraten und zu beschließen sein wird.
Das Vorhaben der Bundesregierung, dem Bund mit Hilfe einer Grundgesetzänderung anstelle der derzeit gültigen Rahmenkompetenz die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu übertragen, hält meine Fraktion für unnötig. Meine Fraktion kann die Begründung der Regierungsvorlage in diesem Punkt, nach der ein wirksames Naturschutzrecht angeblich nur mit bundeseinheitlichen Regelungen geschaffen werden kann, nicht anerkennen. Die Gesetzgebungsbefugnisse für Naturschutz und Landschaftspflege sind durch das Grundgesetz abgewogen verteilt. Der Erlaß eines Rahmengesetzes seitens des Bundes ermöglicht die Schaffung eines einheitlichen Rechts im Bundesgebiet in dem erforderlichen Umfange. Andererseits beläßt die Verfassung den Ländern den notwendigen Spielraum, um den Belangen des Naturschutzes hinsichtlich der jeweiligen Landschaft Rechnung zu tragen.
Naturschutz und Landschaftspflege sind Aufgaben, die nur entsprechend den natürlichen Gegebenheiten und in Anpassung an die regionalen und lokalen Verhältnisse gelöst werden können. Eine Kompetenzverlagerung ist auch deshalb nicht erforderlich, weil der Bund auf verschiedenen Sachgebieten, in denen auch Gesichtspunkte des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden, ja die Kompetenz hat.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung besteht auf der Vollkompetenz. Es gibt aber auch Äußerungen von Koalitionspolitikern, die anders lauten. So erklärte beispielsweise Herr Kollege Lemp - er schaut gerade nach rückwärts -({4})
bei der Debatte am 22. März dieses Jahres, als unser Entwurf eingebracht wurde - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
Die Frage der Kompetenz ist, wie es scheint, schon fast zur Weltanschauung geworden. Die SPD - das muß ich hier in aller Offenheit sagen - ist in dieser Hinsicht nicht gebunden.
({5})
Voraussetzung ist allerdings, daß bestimmte Prinzipien im Gesetz bundeseinheitlich verankert werden.
Dagegen haben auch wir nichts einzuwenden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemp?
Wenn die Zeit angerechnet wird, denn sonst komme ich nicht zu Ende.
Ja, die Zeit wird abgezogen. - Bitte, Herr Kollege Lemp!
Herr Kollege Susset, können Sie sich vorstellen, daß ich bei dieser Äußerung, die Sozialdemokraten seien in dieser Frage offen, Ihnen nach Möglichkeit Zeit lassen wollte, mit Ihren Länderkollegen noch einmal darüber zu sprechen, damit wir doch zur Bundeskompetenz kommen, und sich zu einigen, bevor wir Ihnen in der Offentlichkeit den Vorwurf machen müßten, daß Sie nicht dazu bereit sind?
Herr Kollege Lemp, können Sie sich nicht vorstellen, daß wir daraus den Schluß gezogen haben, daß es Ihnen als einem engagierten Landschaftspolitiker nicht darauf ankommt, über Kompetenzen zu streiten, sondern darauf, daß wir endlich in einem Rahmengesetz auch die materiellen Voraussetzungen schaffen können?
({0})
Ich möchte ein weiteres Zitat bringen und dabei einen mir wohlbekannten alten Fuhrmann ansprechen, den Vorsitzenden unseres Ausschusses, den Kollegen Dr. Schmidt ({1}), Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren, was er, als er das Programm des Ernährungsausschusses für das kommende Jahr der Fachpresse vorstellte, hierzu ausführte:
Besonders schwierige Beratungen werden zum Bundeswaldgesetz, das möglichst schnell verabschiedet werden soll, sowie zum Naturschutz- und Landschaftspflegegesetz erwartet. Zu beiden Gesetzen sind öffentliche Anhörungen vorgesehen.
Beim Naturschutzgesetz ist die von der Bundesregierung angestrebte Vollkompetenz des Bundes für diesen Gesetzgebungsbereich politisch nicht durchsetzbar.
Es werden daher einem Kompromißvorschlag Chancen zu geben sein, den inzwischen auf Anregung der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft ein aus Wissenschaftlern des Umweltrechts bestehender unabhängiger Arbeitskreis zum Umweltrecht vorgelegt hat.
({2})
In Ordnung. Dieser Kompromißvorschlag baut auf eine Rahmenkompetenz des Bundes auf.
({3})
- Herr Kollege Schäfer, für den Fall, daß die Frau Präsidentin mir die Zeit gibt,
({4})
bin ich sehr gern bereit, auf Äußerungen des Vorsitzenden des Innenausschusses, des Kollegen Schäfer, die er in der letzten Legislaturperiode gemacht hat, einzugehen.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Herr Kollege Susset, sind Sie mit mir darin einig, daß im Vordergrund die Frage der Prüfung steht, was sachlich notwendig ist?
({0})
Wenn sich bei der Prüfung dieser Frage ergibt, daß die Rahmenkompetenz genügt, werden wir keine Grundgesetzänderung beschließen.
Wenn sich dabei ergibt, daß sie nicht genügt, dann meine ich, daß auch Sie mit uns zusammen
({1})
eine Grundgesetzänderung in Erwägung ziehen müssen. Ich hoffe, daß Sie das bestätigen.
({2})
Herr Kollege Schäfer, wir sind unter allen Umständen daran interessiert, daß hier eine gesetzliche Regelung geschaffen werden kann.
({0})
- Gut. Wenn Sie auch daran interessiert sind - Sie wissen, daß die Frage der Grundgesetzänderung im Bundesrat Schwierigkeiten bereitet -, sollte man ob der politischen Notwendigkeiten hier sagen: Jetzt geht es zunächst einmal darum, das materielle Recht zu schaffen, und dann können wir uns über andere Dinge streiten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Herr Kollege Susset, haben Sie nicht in den letzten Jahren beobachtet, daß die Länder - erfreulicherweise - gar nicht solche Kompetenzhemmungen haben, sondern daß sie zum Teil selbst beantragt haben, daß der Bund die Kompetenz bekommt, weil sie genauso wie wir danach trachten, daß sinnvolle Regelungen zustande kommen?
Herr Kollege Schäfer, in dieser Frage bringen Sie zum Ausdruck, daß die Länder durchaus zu unterscheiden vermögen, was auf der Basis der Bundeskompetenz sein muß und was nicht. Hier haben sich die Länder nun einmal für die Rahmenkompetenz entschieden, obwohl sie in anderen Fragen, wie Sie zu Recht sagen, anderer Meinung sind.
Folgendes ist zu dem Ergebnis des unabhängigen Arbeitskreises für Umweltrecht, dessen Berichterstatter Professor Dr. Stein war, der sicherlich als anerkannter Fachmann auf diesem Gebiet gilt, festzustellen.
Man kann wohl zu Recht davon ausgehen, daß dieses Gremium beachtenswerte Vorschläge erarbeitete, die wir in unseren Beratungen berücksichtigen müßten. Wenn diese Vorschläge von der Basis der zur Zeit geltenden Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes ausgehen, so offensichtlich nicht nur deshalb, weil nach Auffassung dieses Gremiums
eine Grundgesetzänderung nicht durchführbar sei, sondern weil diese Experten zu der Auffassung gelangt sind, daß ein besserer Schutz der Natur auf der Grundlage bundeseinheitlicher Grundsätze, aber auch unter Berücksichtigung von Gesetzen der Länder, die jeweils die unterschiedlichen örtlichen Voraussetzungen berücksichtigen, geschaffen werden könnte. Oder, so muß man fragen, hegt die Bundesregierung etwa Mißtrauen gegenüber den Ländern, daß sie überhaupt nicht in der Lage oder bereit sein könnten, diese Aufgabe zu erfüllen?!
Viele Bundesländer haben in der Vergangenheit, gestützt auf ihre Gesetzgebungskompetenz und auf der Grundlage des Reichsnaturschutzgesetzes, schon Erhebliches geleistet. In ,den meisten CDU/CSUregierten Ländern liegen eigene Landesgesetze über Naturschutz bzw. Landschaftspflege vor. Eine Liste der Gesetzgebung zum Naturschutz und zur Landschaftspflege in den einzelnen Bundesländern von 1948 bis zum heutigen Tage - ein neuer Referentenentwurf des Landes Baden-Württemberg ist noch hinzugekommen - liegt nun vor. Wir wissen, was hier im Moment alles geschieht.
Wenn sich die Fortentwicklung uneinheitlich vollzogen hat, Herr Minister Ertl, was Sie ja beklagten, so ist das einfach darauf zurückzuführen, daß die Länder entsprechend ihrer Aufgabe die landschaftlich und örtlich jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen und Zusammenhänge berücksichtigen müssen, um ein landschaftsnahes und von den Eigenarten der verschiedenen Gebiete ausgehendes Recht zur Erhaltung der Natur und Landschaft zu entwickeln. Mit dem CDU/CSU-Entwurf wird ein einheitlicher Rahmen für Naturschutz und Landschaftspflege im ganzen Bundesgebiet geschaffen, von den planenden und gestaltenden Maßnahmen bis hin zum Vollzug in den einzelnen Ländern.
Ich möchte noch auf einen Punkt zum Schluß Ihrer Ausführungen, Herr Kollege Ertl, eingehen, nämlich auf die Finanzierung. Wenn man Ihre Ausführungen zur finanziellen Beteiligung des Bundes an den Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege hört, erfährt man, daß die Bundesregierung alles davon abhängig macht, daß das Grundgesetz geändert wird. Ich meine: es besteht doch durchaus die Möglichkeit, daß der Bund hier Finanzhilfen gibt, wie sie ja zum Ausgleich und zur Stärkung der Wirtschaftsstruktur auch gegeben werden.
({0})
Wenn dem aber nicht so ist, so hätte der Bund die Möglichkeit, im Finanzausgleich oder durch Erhöhung des Anteils der Länder an der Umsatzsteuer die Aufgaben mitzufinanzieren.
({1})
- Selbstverständlich. Das Geld kommt überall vom gleichen Steuerzahler.
Ich sehe, die rote Lampe leuchtet auf. Ich bin der Meinung, daß wir zum Schluß noch eines sagen müssen: Alles, was mit Naturschutz und Landschaftspflege zu tun hat, macht erforderlich, daß
diese Maßnahmen im Zusammenhang mit der Agrarpolitik im Bundesgebiet gesehen werden müssen; denn in allen Gebieten trägt eine gesunde Landwirtschaft - hier dürfen wir nicht zuletzt auch die kleinbäuerlichen Betriebe gerade in den Grenzertragsgebieten nennen - entscheidend dazu bei, sowohl die Umwelt zu entgiften als auch Erholungslandschaften, die immer lebensnotwendiger werden, zu erhalten. Die umfangreiche Aufforstung weiter Brachflächen reicht allein nicht aus, um Erholungsgebiete zu schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben nun genügend Gesetzesvorlagen auf dem Tisch, den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Vorlage der Bundesregierung, das Beratungsergebnis des Arbeitskreises Umweltrecht und viele beachtenswerte Beiträge von Wissenschaftlern. Jetzt gilt es, zur Sache zu kommen.
({2})
Meine Fraktion wird es an intensiver Mitarbeit nicht fehlen lassen, damit aus den Vorlagen ein Bundesgesetz entsteht, das .den Erfordernissen der Zukunft gerecht wird und praktikable Regelungen an die Hand gibt.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Vit.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Susset, ich stimme mit Ihnen überein, daß die Fragen und Probleme der Umwelt rasch und selbstverständlich auch umfassend einer Lösung zugeführt werden müssen. Aus diesem Grunde ist eine einheitliche Regelung erforderlich. Dies bedeutet, daß dem Bund - und darauf kommt es an, Herr Susset - die konkurrierende Gesetzgebung zugestanden werden muß. Leider wird das von Ihnen und Ihrer Partei nicht mehr unterstützt, wie ich jetzt gehört habe bzw. wie man vernehmen konnte, obwohl Sie es in Ihr Berliner Programm und in das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 1972 aufgenommen hatten.
({0})
- Ich habe etwas vorliegen.
({1})
- Ich kann Ihnen das einmal vorlesen, Herr Vogel. Berliner Programm der CDU von 1968:
Der Umweltschutz ist in Bund und Ländern einheitlich zu regeln.
({2})
Wahlprogramm der CDU! Gut, Sie sprechen dann vom Wasserhaushalt,
({3})
aber Umweltschutz gehört letztlich auch zu diesem großen Problem.
({4})
Meine Damen, meine Herren! Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung von 1969 den Umweltschutz zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärt. In ihrem Umweltprogramm vom 14. Oktober 1971, also vor fast genau zwei Jahren, hat sie die Eckwerte für ihre Umweltpolitik festgelegt. In dem darin enthaltenen Aktionsprogramm haben Natur und Landschaft einen besonders hohen Stellenwert, da die Landschaft als natürliche Umwelt die Lebens- und Wirtschaftsgrundlage des Menschen bildet.
Mehr denn je mußten wir in den vergangenen Jahren erkennen - erfreulicherweise ist das nunmehr auch in das Bewußtsein unserer Mitbürger eingedrungen -, daß die Landschaft und damit der Naturhaushalt durch zunehmende Industrialisierung und Besiedlung einem tiefgreifenden Wandel unterworfen ist. Ein Blick zurück in die Geschichte beweist, daß die Mannschaft von ihren frühen Anfängen bis zur totalen Industrialisierung ihre Daseinsgrundlagen selbstzerstörerisch gefährdet. Die Eingriffe des Menschen in den Naturhaushalt sind zu einer nicht mehr zu übersehenden Gefahr für ihn selbst geworden. Die Landschaft wird durch technische Vorgänge der Industriegesellschaft, ihrer Abwässer, Abgase und Abfälle mit nachteiligen Folgen für Menschen, Pflanzen- und Tierwelt zunehmend belastet.
Durch Zerschneidung von zusammenhängenden Landschaftsräumen und eine planlos anmutende Besiedlung nehmen Umweltschäden auch in den Gebieten zu, die bislang gering oder kaum belastet waren. Dies gilt in zunehmendem Maße auch für den ländlichen Siedlungsraum, in dem die agrarische Bewirtschaftung weiterhin vorherrschend ist.
Ökonomische Zwänge haben in der Landwirtschaft einen umfassenden Rationalisierungsprozeß in Gang gesetzt, der unter anderem bisher nicht gekannte Belastungen des Naturhaushaltes zur Folge hatte. Diese bestehen vor allem in der zunehmenden Anwendung von Düngemitteln, Unkrautbekämpfungs-
und Wuchsstoffpräparaten. Die natürliche Reinigungskraft des Bodens reicht in vielen Fällen leider Gottes nicht mehr aus, um die Absorption der chemischen Abbauprodukte zu gewährleisten.
Schließlich stellen wir eine intensivere Nutzung der Landschaft durch zunehmende Freizeitgestaltung der Bevölkerung fest. Ein Ausgleich der daraus resultierenden Umweltbelastungen wird immer schwieriger. Der in diesem Zusammenhang in anderen Gesetzen vorgesehene Schutz der Landschaft, z. B. im Bundesbaugesetz oder in den Planungsgesetzen der Länder, ist nicht mehr ausreichend.
Darum gilt es - mit Genehmigung der Frau Präsidentin darf ich aus dem Umweltprogramm der Bundesregierung zitieren -:
1. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes wiederherzustellen, weiterzuentwickeln und die biologische Vielfalt der Landschaft zu erhalten;
2. regenerationsfähige Güter nachhaltig, nicht vermehrbare sparsam zu nutzen;
3. die Natur zu schonen, wo Eingriffe in den Naturhaushalt notwendig sind, und schädliche Folgen möglichst auszugleichen.
Viele Beispiele der jüngsten Vergangenheit machen deutlich, daß diese Ansprüche in Zielkonflikt mit cien Interessen eines optimalen Wirtschaftswachstums stehen. Dieser Widerspruch muß im Sinne eines vertretbaren Ausgleichs gelöst werden, wenn wir die Qualität des Lebens positiv verändern wollen. Die Qualität des Lebens verbessern - ein wahrhaft großes Ziel - zwingt zur Entwicklung konkreter Maßnahmen, die darin bestehen müssen, daß der Umweltschutz so entwickelt und verbessert wird, daß er den Konflikt zwischen den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung und dem begrenzten Naturpotential zu lösen in der Lage ist.
Folgerichtig hat Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar dieses Jahres angekündigt, daß das zweite Kabinett Brandt/Scheel alles daransetzen werde, sein Umweltprogramm zu verwirklichen und weiterzuentwickeln. Mit Recht hat es der Bundeskanzler als eine an uns alle gerichtete Herausforderung bezeichnet, mit den erkannten Gefahren fertig zu werden und unsere Aufmerksamkeit immer stärker darauf zu lenken, eine Schädigung der Umwelt, wo immer es geht, zu vermeiden.
Die Weiterentwicklung des Umweltprogramms sollte sich zunächst auf die Gesetze erstrecken, die wegen der Verkürzung der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnten. Die zeitliche Verzögerung hat nicht nur der Sache unmittelbar geschadet, indem die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft mit mindestens zweijähriger Verspätung in Kraft treten werden; sie hatte auch eine vermehrte gesetzgeberische Eigeninitiative der Länder zur Folge. Die wünschenswerte bundeseinheitliche Regelung dieser Materie das wissen wir - wurde damit erschwert.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege der Bundesregierung kann ein umfassendes rechtliches Instrumentarium geschaffen werden, das die natürliche Umwelt durch Naturschutz und Pflege der Landschaft sichern hilft. Der Entwurf geht von der Erkenntnis aus - dem können wir sicher auf allen Seiten des Hauses uneingeschränkt zustimmen -, daß das geltende Naturschutzrecht den Anforderungen der modernen Industriegesellschaft nicht mehr standhält. Der herkömmliche Naturschutz war auf den Schutz der Tier- und Pflanzenarten unserer Landschaft beschränkt. Mittel zur Durchsetzung des Artenschutzes waren im wesentlichen Verbote und Gebote, deren Wirksamkeit durch Geldbußen erreicht werden sollte. Unsere Aufgabe ist es heute, mit den gesetzlichen Bestimmungen aktive Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen zu sichern und damit die Voraussetzungen optimaler, nachhaltiger Leistungsfähigkeit der Landschaft für den Menschen zu schaffen.
Unsere guten Absichten werden nicht von Erfolg gekrönt sein und unsere Bemühungen werden fehlschlagen, wenn nicht alle Beteiligten und besonders die betroffenen Grundstückseigentümer bereit sind,
lie geplanten gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen und ihnen auch zum Durchbruch zu verhelen
Wir als Gesetzgeber können unseren Beitrag lei-ten, indem wir das Verursacherprinzip durchsetzen und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums konkretisieren. Der Regierungsentwurf hat das Verursacherprinzip in den Vorschriften über Eingriffe in Natur und Landschaft festgeschrieben. In den Vorschriften über die Pflegepflicht und das Betretungsrecht von Wald und Flur sowie über die Enteignung und den Kostenersatz soll der Verfassungsgrundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums Eingang finden. Diese Vorschriften sind von besonderer Bedeutung und werden eine tiefgreifende gesellschaftspolitische Wirkung hinterlassen. Sie sind die Voraussetzung für eine Verwirklichung der Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege im praktischen Alltag, gerichtet an die Behördn und jedermann.
Es darf nicht übersehen werden, daß dem Entwurf auch im Zusammenhang mit der Neuordnung des Bodenrechts Bedeutung zukommt. In einer Industriegesellschaft, in der sich immer mehr Menschen und Investitionen auf engem Raum zusammendrängen und in der immer mehr großstädtische Bürger auf freien Zugang zur Natur angewiesen sind, kann die Verfügung über Grundstücke nicht ausschließlich der vorn Eigennutz geprägten Entscheidung bestimmter Eigentümergruppen überlassen bleiben. Was wir brauchen, ist ein Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Gemeinschaft und den Interessen des einzelnen Eigentümers. Hier zeigt sich die enge Verbindung zwischen der zu erwartenden Neuordnung des Bodenrechts, besonders im Hinblick auf eventuell notwendig werdende Einschränkungen, die sich aus der Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums ergeben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf einige Einzelheiten hinweisen. Entscheidenden Anteil an der Sicherung der gesteckten Ziele soll eine bundeseinheitliche Landschaftsplanung in Form eines Landschaftsprogramms des Bundes, Landschaftsprogrammen der Länder, Landschaftsrahmenplänen für besondere Länderregionen und Landschaftsplänen für den örtlichen Bereich haben. Der Raumordnungsplan der Regierung, die Landes- und Gebietsentwicklungspläne und die Bauleitplanungen finden durch die Landschaftsplanung eine notwendige und bisher fehlende Ergänzung.
In § 9 des Entwurfs sind die Eingriffe in Natur und Landschaft beschrieben und geregelt. Die Vorschriften sollen die Verträglichkeit unvermeidbarer Eingriffe in Natur und Landschaft gewährleisten und für die Instandsetzung des Landschaftshaushaltes bei Eingriffen Sorge tragen. Der Bund soll im Zusammenhang mit den in § 42 aufgestellten „Allgemeinen Verwaltungsvorschriften" ermächtigt werden, im einzelnen zu regeln, wann eine wesentliche oder eine nachhaltige Beeinträchtigung des Landschaftshaushaltes geplant ist oder bereits vollzogen worden ist
Im Falle der Beschränkung des Bundes auf eine Rahmenkompetenz - die Probleme sind bereits erörtert und werden noch lange umstritten bleiVit
ben - müßte § 42 gestrichen werden. Für den Fall der Streichung ergibt sich die Notwendigkeit, Vorschriften für Einzelfälle zu beschließen. Die vollziehende Verwaltung verliert dadurch jede Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit an Situationen, die zum Eingriff zwingen. Dies ist einer objektiven Sachentscheidung, so meine ich jedenfalls, abträglich. Gerade im Bereich des Landschafts- und Naturschutzes würde der Bürger einfach kein Verständnis mehr haben für ein unterschiedliches Neben- oder oft auch - aus seiner Sicht - Gegeneinander der Planungen in benachbarten Regionen, die landschaftlich zusammengehören.
Zur Pflegepflicht, meine Damen und Herren, wie sie in § 12 bestimmt ist, muß folgendes gesagt werden. Das Grundgesetz Art. 14 Abs. 2 Satz 1 - stellt in schlichten, aber treffenden Worten fest: „Eigentum verpflichtet". Diese Sozialpflichtigkeit soll in § 12 eine Konkretisierung für den Bereich der Pflege der Grundstücke durch den Eigentümer oder sonstigen Nutzungsberechtigten erfahren. Danach soll der Eigentümer grundsätzlich die Pflegekosten tragen, auch dann, wenn die Behörde im Falle der Unterlassung der notwendigen Pflege diese auf seine Kosten durchführen läßt.
Dies ist, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, keine sensationelle Neuerung. Wir haben in den polizeirechtlichen Bestimmungen aller Länder den Eingriff der Ersatzvornahme, der nun auch in diesen Entwurf Eingang finden soll. Von der Heranziehung zu den Kosten soll abgesehen werden, wenn diese eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Etwas anderes sieht allerdings der Oppositionsentwurf vor: Er begründet lediglich eine Duldungspflicht, wobei die Kosten der Pflege von der öffentlichen Hand getragen werden müssen. Das ist zwar in Ihrem Gesetzentwurf nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber eindeutig aus dem Zusammenhang.
Für Wald und Flur soll in Zukunft ein Betretungsrecht gesetzmäßig verankert werden. Ich hoffe, daß wir uns hier in der politischen Zielsetzung alle einig sind. Es ist nicht auszuschließen, daß die Gegner dieser Auffassung verfassungsrechtliche Bedenken in Verbindung mit Art. 14 des Grundgesetzes geltend machen werden. Wenn auch der Gesetzentwurf die Duldung der Bindung des Eigentums im Sinne von Art. 14 des Grundgesetzes nicht ausdrücklich erwähnt, so ergibt sich dies aber unmittelbar aus § 30 über die sonstigen enteignenden Maßnahmen, da die Duldungspflicht dort nicht erwähnt worden ist.
Die Länder haben sehr unterschiedliche Enteignungsvorschriften erlassen. Nach Art. 74 Nr. 14 des Grundgesetzes stehen dein Bund jedoch die Gesetzgebungsbefugnisse für das Recht der Enteignung nur im Bereich der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung zu. Ohne die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ist der Bund nicht berechtigt, Vorschriften über Enteignung für den Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu erlassen. Dies ist ein Argument, das wir bei der weiteren Diskussion über das Problem der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz oder Rahmengesetzgebungskompetenz nicht außer acht lassen dürfen. Eine zufriedenstellende Ordnung der natürlichen Umwelt kann ohne die Zulässigkeit der Einschränkung von Rechten, insbesondere des Eigentums, nicht verwirklicht werden.
Bereits das geltende Naturschutzrecht hat zu Enteignungen geführt. So sind z. B. die Nutzungsbeschränkungen, die dem Eigentümer durch die Unterstellung seines Grundstücks unter Naturschutz auferlegt werden, bei entsprechender Intensität des Eingriffs als Enteignung angesehen worden. Enteignungsregelungen müssen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten getroffen werden; insbesondere müssen die Vorschriften eine angemessene Entschädigung gewährleisten.
Für die spätere praktische Wirksamkeit des Gesetzes sind die vom Bund in Aussicht genommenen erheblichen Finanzhilfen von besonderer Bedeutung. Der Bund verpflichtet sich in den §§ 32 ff., für Investionen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung auf dem Gebiete des Naturschutzes und der Landschaftspflege Finanzhilfen bis zu 50 % der zuwendungsfähigen Kosten zu leisten. Außerdem sind Kosten- und Steuerbefreiungen zur Förderung der Ziele des Gesetzes vorgesehen.
Ich möchte in meiner Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf nicht den weiteren verfassungsrechtlichen Diskussionen vorgreifen. Mir geht es darum, für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu erklären, daß wir der Bundesregierung für ihre Initiative dankbar sind, weiterhin eine aktive und konkrete Umweltschutzpolitik voranzutreiben. Die Bundesregierung hat mit dem vorgelegten Entwurf einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung dieses Zieles geleistet. Die Bundesregierung versichern wir unserer vollen Unterstützung im Fortgang der Verhandlungen und Diskussionen, denn Bekenntnisse zum Umwelt- und Naturschutz dürfen nicht Lippenbekenntnisse bleiben. Wer es mit dem Umwelt- und Naturschutz ernst meint, muß dem Bund auch die Kompetenzen an die Hand geben, die ihm ein wirksames Tätigwerden ermöglichen.
Deshalb unterstreichen wir all das, was Herr Minister Genscher im Zusammenhang mit dem Umweltprogramm der Bundesregierung immer wieder betont hat: Umweltschutz darf nicht zersplittert in der Hand der Länder liegen; Umweltschutz gehört, soll er wirksam sein, in die volle Kompetenz, in die Zuständigkeit des Bundes. Wollen wir Nägel mit Köpfen machen, müssen wir uns in diesem Hohen Hause selbst in den Stand versetzen, umfassende Gesetze zu verabschieden. Voraussetzung dafür ist, daß das Grundgesetz dort geändert wird, wo es uns an dieser zukünftigen wichtigen Arbeit hindert. Eine solche Lösung wäre auch die beste Regelung für notwendig werdende Abstimmungen im supranationalen Bereich, beispielsweise im EG-Bereich. Glückauf und Dankeschön für das Zuhören!
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Susset. Herr Susset, Sie haben hier davon gesprochen, daß die Bundesregierung in dieser Frage nicht gehandelt habe. Es muß hinzugefügt werden, daß schon in der letzten Periode ein entsprechender Gesetzentwurf eingereicht wurde.
({0})
- Nun, wenn es nicht so weit kam, dann war es wenigstens so weit, daß man nahe dabei war. Aber Sie haben auf jeden Fall dafür gesorgt, daß es nicht mehr so weit kommen konnte, weil Sie uns an der Arbeit gehindert haben. Deshalb blieb der Entwurf im Bundesrat stecken.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein!
({0})
Ich weiß schon, was Herr Kollege Schneider sagen will.
({1})
- Herr Kollege, ich habe ,das bereits zurückgenommen.
({2})
Herr Susset hat gesagt, das Interesse der Wirtschaft müsse jeweils entsprechend abgewogen werden. Dazu stehen wir ebenfalls. Nur bin ich hier der Meinung, daß, wenn die Bundeskompetenz nicht geschaffen wird, die Situation entstehen wird, daß sich die Länder gerade in bezug auf die Interessen der Industrie sehr unterschiedlich verhalten werden.
({3})
Wir wissen doch jetzt schon, wie es in den einzelnen Landkreisen gehandhabt wird, weil man nicht
den Mut hat, die Dinge entsprechend anzugreifen.
Ich bin nicht der Auffassung wie Sie, Herr Kollege Susset, wenn Sie einerseits vom sachlich Notwendigen reden, aber andererseits gleichzeitig die Schwierigkeiten im Bundesrat in den Raum stellen. Ich bin der Meinung, daß wir als Politiker, wenn wir eine Sache für richtig erachten, nicht vor den Landesfürsten im Bundesrat kapitulieren sollten, die vielfach aus mehr parteitaktischen Überlegungen handeln, statt im Interesse des Wohles unserer Bürger von der Sache auszugehen.
({4})
Das zur Einleitung.
Nun hat die Bundesregierung auf Drucksache 7/886 einen Gesetzentwurf über Naturschutz und
Landschaftspflege vorgelegt, durch den die Probleme der Natur- und Landschaftspflege bundeseinheitlich gelöst werden sollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Kollege Gallus, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie einem Landsmann eine Zwischenfrage zulassen. Ich habe die Frage: Sind Sie der Meinung, daß die Länder die ihnen gestellten Aufgaben nach opportunistischen Gesichtspunkten erfüllen und nicht das Wohl der Bürger im Auge haben? Aus Ihren Ausführungen wäre das eigentlich zu entnehmen.
Herr Kollege Susset, uns Freien Demokraten geht es auf dem Gebiet des gesamten Umweltschutzes angesichts der großen Mobilität, die wir in allen Bereichen bei unseren Bürgern haben, um die Einheitlichkeit im ganzen Bundesgebiet.
({0})
Mit dem Gesetzentwurf über Naturschutz und Landschaftspflege wird gleichzeitig ein Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht. Die Bundesregierung ist mit Recht der Auffassung, daß sich die Probleme des Natur- und Landschaftsschutzes, die sich heute im Bundesgebiet stellen, lediglich mit Rahmenvorschriften nicht in Ordnung bringen lassen. Wer das beschränkte Naturpotential, welches uns zur Verfügung steht, sinnvoll nutzen will, kommt um die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht herum.
({1})
Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die internationalen Verflechtungen, welchen wir auf diesem Gebiet unterworfen sind.
Im Zusammenhang mit der heutigen Debatte ist es sicher interessant, sich an die Einbringungsdebatte zum Oppositionsgesetzentwurf über Naturschutz und Landschaftspflege am 22. März dieses Jahres zu erinnern.
({2})
In seiner Einbringungsrede hatte der Kollege Dr. Schneider gesagt, daß auf Anregung des Freistaats Bayern nunmehr auch eine Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz gegründet worden sei, die sich bereits mit der Ausarbeitung eines einheitlichen Länderentwurfs befasse. Den Erfolg haben wir auf der Hand: Vier Entwürfe sind bereits von den Ländern verabschiedet, die sehr unterschiedliche Aussagen machen und die unterschiedlich gehandhabt werden sollen, wie das Herr Minister Ertl bereits hier dargelegt hat.
({3})
Dies alles scheint mir eine Parallele zu dem darzustellen, was wir auf dem Sektor der Bildungspolitik bereits in der Form der Kultusministerkonferenz der Länder haben.
({4})
Was wir dort im Laufe der Vergangenheit an Unausgeglichenheit der bildungspolitischen Maßnahmen unter den Ländern erlebt haben, soll nun auch auf diesem sehr wichtigen Gebiet des Umweltschutzes, nämlich dem des Naturschutzes und der Landschaftspflege, in Neuauflage erscheinen.
Während wir als verantwortliche Politiker alle danach trachten sollten, die Integration Europas auf allen Gebieten voranzutreiben, stellen wir fest, daß sich auf diesem Gebiet eine europäische Kleinstaaterei unter Führung der CSU Bayerns anbahnt, die meines Erachtens letzten Endes nur zum Schaden der Betroffenen ausgehen kann, nämlich zum Schaden der Bürger des gesamten Bundesgebietes.
({5})
Herr Dr. Schneider, Sie haben am 22. März in elf Punkten - ich habe sie mir noch einmal genau durchgelesen - den Bund gewissermaßen von unten her in die Pflicht genommen, was er alles auf Grund möglicher Gesetze der Länder mit seiner Rahmengesetzgebungskompetenz zu tun habe, insbesondere natürlich zu zahlen. Hier soll es nicht nach dem im Volk bekanntlich allseits gültigen Sprichwort gehen: „Wer zahlt, schafft an", sondern genau nach dem Gegenteil. Dazu könnte ich mich noch verstehen, wenn es aus der Vergangenheit genügend Beispiele auf anderen Gebieten gäbe, wo man sagen könnte: die Länder haben von sich aus bundeseinheitliche Regelungen zustande gebracht. Das kann meines Erachtens aber gerade auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht eintreten, weil die Interessen der Länder zu unterschiedlich sind. So wie sich die Siedlungsstruktur der Bundesrepublik darstellt, ist die ökologische Belastung der verschiedenen Räume sehr unterschiedlich. Zwangsläufig muß der Ausgleich, wenn wir in der Zukunft zu vernünftigen Lösungen kommen wollen, über die Ländergrenzen hinweg erfolgen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß ein Land, welches vor der Frage steht, eine umfangreiche Industrieansiedlung zu tätigen oder ein bestimmtes Gebiet für die Erholung der Menschen eines anderen Bundeslandes offenzulassen, ohne eine ordnende Kraft des Bundes bereit ist, das zu tun, was nach unser aller Auffassung sinnvoll und richtig ist. Weil wir das alles wissen, ist die FDPFraktion der Auffassung, daß es im Interesse der Bürger unseres gesamten Bundesgebiets nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig ist, dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung zu geben.
({6})
Wir wissen auch, welch hoher Prozentsatz von Bundesbürgern in der Zwischenzeit erkannt hat, daß gerade auf diesem Gebiet des Umweltschutzes die Bundeskompetenz dringend notwendig ist. Ganz abgesehen davon haben sich alle maßgebenden Organisationen auf diesem Gebiet für die konkurrierende Gesetzgebung ausgesprochen. Wie könnte es auch anders sein! Man kann bei der Schaffung von Naturschutz- und Landschaftsgebieten, Nationalparken und Naturparken nach diesem Gesetz ganz sicher keine Ländergrenzen berücksichtigen.
Der wichtigste Teil des vorgelegten Gesetzentwurfs ist meiner Auffassung nach der zweite Abschnitt, der Abschnitt über die Landschaftsplanung. Eine Ordnung unserer natürlichen Umwelt ist ohne Landschaftsplanung nicht möglich. Sie muß festlegen, inwieweit unsere Umwelt durch Verkehrswege, Bebauung und anderes mehr belastet werden kann. Wer darin einen unzulässigen Eingriff in bezug auf andere Gebiete unseres staatlichen Lebens sehen sollte, weil hier dem Landschaftsschutz und der Landschaftspflege erste Priorität eingeräumt wird, dem müßte man bescheinigen, daß er es mit dem Umweltschutz auf diesem Gebiet nicht ernst nimmt.
Naturschutz und Landschaftspflege können nicht losgelöst von den vielseitigen Verbindungen und Bindungen dieses Gebietes mit anderen Bereichen betrachtet werden. Von den Verkehrswegen und der Bebauung habe ich schon gesprochen. Aber es ist in diesem Zusammenhang auch an die Querverbindung zur Lärmbekämpfung, zur Abfallbeseitigung wie auch an die vielen Bereiche, die mit dem Umweltschutz eng verbunden sind, zu denken; z. B. an die Landesverteidigung, die Frage des Schutzes der Zivilbevölkerung, den Bergbau, die Industrie schlechthin, unsere Energiewirtschaft - hier insbesondere die Kernenergie -, aber auch - das habe ich bereits im März dieses Jahres ausgeführt - die Frage der Hochseefischerei, der Küstenfischerei, des Küstenschutzes und - nicht zu vergessen - die Problematik des Grundstückverkehrs, Fragen des Bodenrechts, des Wohnungswesens, des Siedlungs-
und Heimstättenrechts. Ich mache keinen Hehl daraus: Für das Funktionieren des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf Bundesebene ist eine bundeseinheitliche Enteignungsmöglichkeit auf diesem Gebiet unerläßlich.
Wenn ich die Frage der Erholungsfunktion und des Freizeitwertes unserer Landschaft erst jetzt nenne, so nicht deshalb, weil für die FDP diese Fragen zweitrangig wären. Ganz im Gegenteil: Mir ist es darauf angekommen, noch einmal aufzuzeigen, wie notwendig es ist, bundeseinheitliche Regelungen auf dem Gesamtgebiet zu erhalten.
Erfreulich aber ist: Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die gleiche bundeseinheitliche Benutzung von Wald und Flur zu Erholungszwecken geregelt. Auch der Zugang zu Küsten-, Seeufern und anderen Teilen der Natur und Landschaft von besonderer Eigenart, Seltenheit oder Schönheit ist, wie im Gesetzestext vorgesehen, sicherzustellen. Wenn gemäß § 2 Abs. 10 zur Erholung in Natur und Landschaft geeignete Flächen ausgewiesen, erschlossen und erholungsgerecht gestaltet werden sollen, so steckt hinter diesen wenigen Worten, wie wir alle wissen, eine sehr große Aufgabe, die natürlich - das muß man sehen - auch zu finanziellen Konsequenzen bei denen führt, die diese Maßnahmen - in diesem Fall die Gemeinden - durchzuführen haben.
Dieser Teil des Gesetzes kann meines Erachtens in der Ausschußberatung noch entsprechende Erweite3300
rungen erfahren, damit es auf diesem Gebiet gewissermaßen nicht bei leeren Gesetzesworten bleibt. Es muß vielmehr erreicht werden, daß dem Verlangen des Gesetzes in bezug auf Erholung und ZurVerfügung-Stellung von Gelände auch entsprechender Nachdruck verliehen wird. Angesichts der allgemeinen strukturellen Entwicklung in der Landwirtschaft bin ich nicht der Auffassung, daß ein Mangel an solchen Flächen besteht, wenn die Querverbindungen zum Flurbereinigungsgesetz und Grundstücksverkehrsgesetz hergestellt werden.
In einem allerdings wäre das Gesetz überfordert: wenn wir es zu einem Verkehrsgesetz in Wald und Flur zwischen Fußgängern und Reitern machen wollten. Diese Frage ist sicherlich bei der Beratung des Bundeswaldgesetzes noch besonders anzusprechen. Doch möchte ich auch nicht versäumen, auf folgendes hinzuweisen. Wenn man einerseits die Möglichkeit des freien Zugangs der Bevölkerung zu Seeufern und dergleichen schafft, kann meines Erachtens andererseits die Bewegungsfreiheit zu Pferde - und wir sind nun einmal ein Volk von Hobbyreitern geworden - nicht allzusehr eingeschränkt werden. Ich nehme an, daß bei der Beratung im Ausschuß praktikable Lösungen gefunden werden können, die Fußgänger, Reiter und Grundstücksbesitzer gleichermaßen berücksichtigen.
({7})
-- Nein, Herr Kollege. Sie haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht gelesen; denn in diesem Gesetz geht es um das gleiche wie im Bundeswaldgesetz. Ich pflege die Gesetze vorher zu lesen, bevor ich darüber rede.
({8})
Eines aber ist sicher: Wir Freien Demokraten nehmen dieses Gesetz und die Grundgesetzänderung sehr ernst, weil das für unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder von entscheidender Bedeutung ist und weil wir wissen, daß der Großteil der Bundesbürger unserer Auffassung ist, nämlich recht bald zu bundeseinheitlichen Regelungen auf diesem Gebiet zu kommen.
({9})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme das Wort zu einer faktischen Richtigstellung. Ich hätte auf diese Wortmeldung gerne verzichtet,
({0})
wäre der Kollege Gallus so galant gewesen - was sonst seiner Natur und seinem schwäbischen Charme entspricht -, auch mir eine Zwischenfrage zu gestatten. Er hat es nicht getan.
Verehrter Kollege Gallus, trotz aller Heftigkeit Ihrer Rede und aller Dynamik, die aus Ihren Worten sprach, wird das nicht wahr, was Sie wiederum
behauptet haben, nämlich wir, die Opposition, hätten die Verabschiedung eines Naturschutzgesetzes im 6. Bundestag verhindert. Herr Gallus, Ihnen möchte ich das gar nicht so übel nehmen, weil auch ein Abgeordneter schließlich einmal etwas vergessen kann.
({1})
Herr Abgeordneter Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte!
Herr Dr. Schneider, ich glaube, daß wir uns darauf geeinigt haben. Können wir uns jetzt wenigstens dahin gehend verstehen, daß es nicht mehr zur Einbringung gekommen ist, weil, wie ich gesagt habe, die Opposition uns am Arbeiten gehindert hat?
Auch das kann ich Ihnen leider nicht konzedieren, im Gegenteil! Aber ich muß jetzt auf einen Satz des Herrn Bundesministers zurückkommen, den er bei seiner Rede anläßlich der Einbringung des Oppositionsentwurfs am 22. März 1973 äußerte. Herr Präsident, Sie gestatten. Herr Minister Ertl hat wörtlich gesagt:
Wenn es nach dem Willen der Bundesregierung gegangen wäre und wenn dieser Wille im Parlament tatkräftig unterstützt worden wäre, hätten wir auf Grund der Vorlage des Gesetzentwurfs
- damit ist impliziert: er behauptet, die Regierung habe einen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht in der letzten Legislaturperiode das Gesetz bereits verabschieden können. Aber Mehrheiten waren damals eben wichtiger. ... Die Möglichkeit, das Gesetz zu verabschieden, war gegeben, aber man hat nicht gewollt.
Was ist Wahrheit? Wahrheit ist, daß die Bundesregierung bereits 1972 seit Jahren im Verzug gewesen ist. Die Opposition hat ihren Entwurf am 8. Juni 1972 eingebracht. Die Bundesregierung hat dann nach der Opposiaion einen Regierungsentwurf verabschiedet - erster Durchgang im Bundesrat am 7. Juli 1972 -, und dieser Regierungsentwurf hat nach der ersten Lesung im Bundesrat den Bundestag nicht mehr erreicht.
Verehrter Herr Minister, Ihre Behauptung entbehrt deshalb aller sachlichen Grundlagen. Der Bundestag konnte ein Gesetz nicht ablehnen, das ihm gar nicht zugegangen war.
({0})
- Ich weiß, daß Sie als Liberaler ein fortschrittlicher Mensch sind. Aber wer von Fortschritt spricht, der muß sich zunächst einmal auf den Weg machen. Es ist auch heute so, daß unser Entwurf am 22. März eingebracht worden ist und die Bundesregierung, die
es angeblich sehr eilig hat, kommt mit ihrem Entwurf in den Bundestag am 18. Oktober. Die Bundesregierung ist seit Jahren im Verzug. Deshalb sind die vier Länder nicht anzuklagen, die schon ein Naturschutzgesetz verabschiedet haben; denn sie waren dazu gezwungen. Wenn der Bund untätig ist, müssen die Länder handeln, und der Bund ist auf diesem Gebiet lange im Verzug.
({1})
Das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Herr Kollege Schneider, auch ich hätte das Wort nicht ergriffen, aber ich kann den Vorwurf nicht auf mir sitzenlassen. Es steht fest, daß die erste Lesung im Bundesrat am 10. Juli 1972 stattgefunden hat, und ich mußte mich an diese gesetzlichen Bindungen halten.
({0})
- Sie kennen doch selbst die Regeln, daß das erst nach dem Durchgang im Bundesrat dem Bundestag zugeleitet werden kann. Von der Einbringung im Bundesrat an hat das Ressort keinen Einfluß auf die weitere Behandlung. Die Verabschiedung im Kabinett war so zeitig, daß eine Behandlung und Verabschiedung im Jahr 72 möglich gewesen wäre, wenn ein entsprechender politischer Wille vorhanden gewesen wäre. Das ist der Punkt, den ich im Protokoll nicht ausgeklammert haben wollte, damit man auch weiß, wo es Verzögerungsmöglichkeiten gibt.
({1})
Das ist vollkommen legitim, und ich sage das ohne Kritik. Nur darf man dann den Spieß nicht umdrehen und sagen: Ihr habt das verzögert. Da hätte man sich schnell einigen und sagen können: das sollte man schnell durchlaufen lassen.
({2})
Das hätte man insbesondere tun können, da es zu diesem Zeitpunkt keine großen Meinungsverschiedenheiten in der Sache gab;
({3})
es gab nur in der Grundsatzfrage Meinungsverschiedenheiten, und da hat man andere Dinge vorgeschoben. - Herr Dr. Schneider, das mußte hier zur Richtigstellung, damit die Leser des Protokolls genau wissen, wie es war, gesagt werden.
Und das will ich auch hier sagen: Die Vorbereitungen für ein solches Gesetz sind erstmals von dieser Bundesregierung, nachdem ich dieses Amt übernommen habe, eingeleitet worden.
({4})
Und ich habe beim Punkte null angefangen; das
können Sie nicht bestreiten. Daß eine solche Materie einer Vorbereitungszeit - einschließlich der
in der Geschäftsordnung festgelegten notwendigen Abstimmung unter den Ressorts bis ins Kabinett - von mindestens 11/2 Jahren bedarf, wird mir auch niemand bestreiten. Bis dato gab es keine Vorarbeiten. Ich habe das zum frühesten möglichen Zeitpunkt versucht. Wenn Sie wollen, kann ich auch noch nachliefern, wann die Kabinettsentscheidung war, wann es dem Bundesrat zugeleitet worden ist, wann es der Bundesrat auf die Tagesordnung gesetzt hat und wann es herausgekommen ist. Das kann ich alles noch in Daten nachliefern.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Drucksache 7/885 - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes - dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Innenausschuß sowie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - zu überweisen. Er schlägt Ihnen gleichzeitig vor, den Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege Drucksache 7/886 dein Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend -, dem Innenausschuß - mitberatend - und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 unserer Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft ({0})
- Drucksache 7/889
Das Wort zur Begründung der Regierungsvorlage hat Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Es tut mir leid - dafür ist dann eine zeitlang
wieder Ruhe -, wenn Sie mich so ertragen müssen.
Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich erneut Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehme und diese auf den zur ersten Lesung anstehenden Entwurf eines Gesetzes zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft lenke, das kurz „Bundeswaldgesetz" genannt wird.
Zusammen mit dem soeben behandelten Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege ist das Vorhaben eines Bundeswaldgesetzes als einer der Schwerpunkte des Umweltprogramms der Bundesregierung angekündigt worden. Zugleich entspricht die Bundesregierung mit diesem Beitrag auch den Forderungen der vom Europarat 1970 beschlossenen Europäischen Naturschutz-Deklaration.
Die Notwendigkeit des Gesetzesvorhabens hat die Bundesregierung in der Entwurfsbegründung, wie ich meine, ausführlich dargelegt. Ich möchte mich daher auf einige mir besonders wichtig erscheinende Aspekte beschränken und dabei auch auf einige Reaktionen in der öffentlichen Diskussion bei einzelnen Gruppen der Bevölkerung eingehen.
Laut § 1 ist der Zweck dieses Gesetzes insbesondere,
1. den Wald wegen seines wirtschaftlichen Nutzens ({1}) und wegen seiner Bedeutung für den Naturhaushalt, die Nutzungsfähigkeit von Naturgütern, die Agrar-
und Infrastruktur sowie die Erholung der Bevölkerung ({2}) zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren und seine geordnete Bewirtschaftung nachhaltig zu sichern,
2. die Forstwirtschaft zu fördern und
3. einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Belangen der Waldbesitzer herbeizuführen.
Um Mißverständnissen in der Offentlichkeit zu begegnen, möchte ich hier gern betonen, daß die Aufzählung der Waldfunktionen keine Rang- und Wertfolge darstellt. Die Aufzählung geht schlicht und einfach davon aus, daß der Wald, der 29 % der Fläche dès Bundesgebiets einnimmt, überwiegend wirtschaftlich genutzt wird und wohl auch in Zukunft so genutzt werden wird und auch der Pflege, des Schutzes und der Nutzung bedarf, wenn er seine Schutz- und Sozialfunktion erfüllen soll.
Meine Damen und Herren, natürlich erschöpfen sich Wert und Bedeutung des Waldes nicht darin, daß durch ihn wirtschaftliche Leistungen für die Waldbesitzer, für die Holzwirtschaft sowie für die Volkswirtschaft erbracht werden. Die Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes gewinnen vielmehr bei wachsender Bevölkerungszahl und -dichte, bei Zunahme der Industrialisierung, der Dienstleistungen und der Realeinkommen sowie bei weiterer Verkürzung der Arbeitszeit erheblich an Gewicht und überlagern zunehmend die wirtschaftlichen Funktionen.
Die unausweichliche Konsequenz, die sich angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie unter Berücksichtigung der Lehren der Waldgeschichte Europas ergibt, besteht darin, daß der Wald als ein wichtiges Element des Landschaftsgefüges und der Infrastruktur des Lebensraumes bewertet, erhalten und nachhaltig bewirtschaftet werden muß. Dabei kommt natürlich dem Verfassungsgebot des Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes besonderes Gewicht zu, denn bezüglich des Waldes haben wir es von Natur aus mit einer gesteigerten Sozialpflichtigkeit zu tun; privater Nutzen und Bedeutung für das Gemeinwohl sind bei ihm eng verknüpft.
Aus letzterem folgt, daß der Wald auch des besonderen Schutzes durch die Allgemeinheit bedarf, zumal er vielfachen schädlichen Einwirkungen ausgesetzt ist, wie sie z. B. Flächenverluste, Immissionen, Waldbrände, Grundwasserabsenkungen, Durchschneidung von Verkehrseinrichtungen darstellen. Ich muß aber betonen, daß den Waldbesitzern daraus und aus der steigenden Inanspruchnahme für Zwecke des Umweltschutzes und der Erholung beträchtliche Belastungen und Nachteile entstehen, und zwar zu einer Zeit, in der sich die ökonomischen Bedingungen für eine rentable Waldbewirtschaftung erheblich verschlechtert haben. Infolge dieser Situation sind für die forstwirtschaftliche Erzeugung, die nur knapp die Hälfte des inländischen Holzbedarfs deckt, für den Bestand, für die Beschaffenheit und die Funktionsfähigkeit des Waldes zum Nutzen der Allgemeinheit Gefahren gegeben, die in ihren möglichen Auswirkungen nicht unterschätzt werden dürfen.
Ein zunehmendes Mißverhältnis zwischen wirtschaftlichen Ertragsmöglichkeiten und Inanspruchnahme des Waldes durch die Allgemeinheit führt möglicherweise zu wirtschaftlichem Desinteresse am Waldbesitz, zur Vernachlässigung der Waldpflege, zu Substanzeinbußen und im Extremfall unter Umständen auch zur Aufgabe der Waldbewirtschaftung,
({3})
wenn Hilfen ausbleiben. In diesem Falle, meine Damen und Herren, würden die übergebietlichen Funktionen des Waldes für Umweltschutz, Umweltgestaltung und Erholung ebenso schwer beeinträchtigt werden wie die forstwirtschaftliche Erzeugung, denn es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß ungepflegte und unerschlossene Wälder diese Funktionen genauso gut erfüllen könnten. In unserem dicht besiedelten Industriestaat kann man den Forstwirtschaftsbetrieb - und natürlich auch den Landwirtschaftsbetrieb - nicht einfach stillegen oder umstellen, wie es vielleicht noch im industriell-gewerblichen Bereich möglich ist.
Man kann unter diesen Gegebenheiten und Erfordernissen den Wald nicht sich selbst überlassen. Die Sturmschadensflächen von 1972 in fast allen Teilen des Bundesgebietes mit Schwergewicht in Niedersachsen, die zum Teil auch mit Laubwald bestanden waren, sind, meine ich, Beispiel genug. Abgesehen davon möchte ich deutlich sagen, daß die Volkswirtschaft und jeder von uns nach wie vor den - im übrigen umweltfreundlichen - Rohstoff Holz braucht, den wir infolge der weltweiten Holzverknappung nicht unbegrenzt importieren können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält es für dringend erforderlich, daß für die Erhaltung des Waldes und für die Förderung der Vielfalt und Einheit seiner Funktionen sowie zum Ausgleich der privaten und öffentlichen Belange auf Bundesebene eine gesetzliche Regelung getroffen werden muß. Dies um so mehr, als das vorhandene Forstrecht lückenhaft, zersplittert und zum Teil auch sehr veraltet ist.
Die Bundesregierung hat sich mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Länder darauf beschränkt, Mindestnormen in Form einer Teilregelung vorzuschlagen, die den Landesgesetzgebern Raum für eigene Vorschriften beläßt. Zur Verwirklichung des schon kurz umrissenen Gesetzeszwecks sieht der Entwurf insbesondere folgendes vor:
1. Die Einführung einer forstlichen Rahmenplanung, die sich an den Zielen der Raumordnung und Landesplanung orientiert und darauf gerichtet ist, die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes zu sichern.
2. Bestimmungen über die Erhaltung, die Neuanlage und den Schutz von Wald sowie über die Waldbewirtschaftung.
3. Die grundsätzliche Öffnung des Waldes zum Zwecke der Erholung und die Regelung notwendiger Ausnahmen, wobei ich betonen muß - es tut mir furchtbar leid, daß auch Sie mit Briefen sehr belästigt wurden -, daß hinsichtlich des Reitens in Unkenntnis der in einzelnen Bundesländern geltenden Vorschriften von den Betroffenen mehr in den Entwurf hineingelesen worden ist, als darin steht. Ich habe inzwischen für jedermann - ich möchte Ihnen das hier gern anbieten - eine Aufstellung der bestehenden Landesvorschriften anfertigen lassen. Man wird beim Studium dieser Aufstellung feststellen, daß im Vergleich dazu der Entwurf meines Hauses für die Reiterei günstiger ist.
({4})
Ein generelles Reitverbot enthält der Entwurf nicht, und ein solches wird es auch unter meiner Federführung nicht geben;
({5})
das möchte ich mit allem Nachdruck sagen.
({6})
Er stellt auf ein geregeltes Nebeneinander der verschiedenen Benutzungsarten ab. Die Regelung - das ist meine Überzeugung; in einem Hearing, in dem das vorgetragen wird, wird sich das ergeben -wird aber nur befriedigen, wenn für die sicherlich und auch wünschenswerterweise wachsende Zahl von Reitern zusätzliche Reitwege bereitgestellt werden. Allerdings muß man sich dann auch über eine angemessene Beteiligung der Reiter unterhalten können. Hinzu kommt, daß in dieser Frage, insbesondere im stadtnahen Wald, eine befriedigende Regelung für die Fußgänger wie auch für die Reiter gefunden werden muß.
({7})
Sie werden das im Verlaufe des Hearings hören. Denn ich sage Ihnen: Nachdem die Welle der Reiter-Briefe bei mir abgeflaut ist, ist die Welle der Fußgänger-Briefe im Ansteigen begriffen.
({8})
Daraus, so glaube ich, ergibt sich für den Gesetzgeber nur eine Pflicht: die Interessen gleichberechtigt miteinander in Einklang zubringen.
({9})
Und das kann man auch, und so ist es auch im Gesetz vorgesehen. Aber offensichtlich haben manche in Unkenntnis bestehender Länder Bestimmungen aus diesem Gesetzentwurf mehr herausgelesen, als darin steht.
({10})
Aber ich darf zu meiner Freude bei dieser Gelegenheit feststellen, daß in meinem Hause eine Besprechung mit Vertretern der Deutschen Reiter-lichen Vereinigung stattgefunden hat. Dabei wurde Übereinstimmung darüber erzielt, daß das Reiten dem Betreten des Waldes im Sinne des § 12 Abs. 1 rechtlich nicht gleichgesetzt werden kann und die Reiter ein Benutzungsentgelt zahlen und für den Ersatz erstandener Schäden aufkommen. Ich freue mich sehr, daß diese Übereinstimmung erzielt worden ist.
Im übrigen bin ich überzeugt, daß sich im Verlaufe ides Hearings in dieser Frage noch sehr interessante Aspekte ergeben werden. Von mir aus kann nur noch einmal festgestellt werden: Ich habe ein Interesse daran, daß die Interessen die im Zusammenhang mit dem Betreten ides Waldes stehen und die alle sehr berechtigt sind, so gelöst werden, daß es zu einem fruchtbaren und für alle Seiten tragbaren Nebeneinander kommt. Es kommt eben letztlich auf eine allseits befriedigende, sachliche und rechtliche Güter- und Interessenabwägung an. Um dies zu erreichen, bedarf es bei der Beratung des Gesetzes noch einer sehr genauen Prüfung.
4. Schließlich sind Vorschriften über die Förderung der Forstwirtschaft, über Entschädigungen von Maßnahmen, die insbesondere die bisherige zulässige Nutzung eines Waldgrundstückes beschränken und über Aufwendungen für den Schutz des Waldes und für Zwecke der Erholung, die vom Waldbesitzer freiwillig übernommen werden, vorgesehen.
Weiterhin möchte ich hervorheben, daß die Einbeziehung des Gesetzes über die forstwirtschaftlichen Zusammenschlüsse vom 1. September 1969 zusammen mit der in diesem Gesetz erfolgenden Rechtsbereinigung der Neuordnung des Forstrechts im engeren Sinne dient. Entgegen der Meinung des Bundesrates halte ich die Einfügung des Gesetzes über die forstwirtschaftlichen Zusammenschlüsse mit den vorgesehenen Änderungen auch deshalb für erforderlich, um die Förderung zusammenfassend regeln zu können. Alle Kapitel des Gesetzentwurfs bilden ein Ganzes. Wenn im Jahre 1969 getrennte Gesetzentwürfe vorgelegt worden sind, so geschah dies angesichts der wenigen Monate, die damals noch für die parlamentarische Behandlung zur Verfügung standen, nur aus der Erwägung, daß notfalls im Vorgriff auf eine Gesamtregelung wenigstens für einen Teil eine gesetzliche Regelung gefunden werden sollte.
Meine Damen und Herren, zu dem Komplex der Gesetzgebungskompetenz möchte ich es bei einer Anmerkung bewenden lassen: Die Bundesregierung hat sich davon leiten lassen, daß die verschiedenen Funktionen des Waldes eine Einheit bilden und daß jede forstliche Maßnahme und jeder außerforstliche Eingriff diese Einheit und ihre Vielfalt beeinflussen. Der Gesetzentwurf dient nach Auffassung der Bundesregierung nicht nur der Förderung der forstwirtschaftlichen Erzeugung im Sinne des Art. 74 Nr. 17 GG, sondern auch der Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung, darüber hinaus mit der Betretensregelung der Inhaltsbestimmung des Eigentums am Wald, ferner der Luftreinhaltung, dem
Wasserhaushalt sowie den Erfordernissen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Zwischen diesen Bereichen bestehen zahlreiche Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, die es verbieten, die einzelne Vorschrift nur dem einen oder anderen Bereich zuzuordnen. Ihre Bedeutung ist komplex. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie darauf bei den Beratungen Ihr Augenmerk richten würden.
Ich möchte zusammenfassend feststellen:
Die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes bilden eine untrennbare Einheit; diese Funktionen sind in dem vorliegenden Gesetzentwurf in einem harmonischen Verhältnis berücksichtigt.
Voraussetzung für die Gewährleistung dieser Funktionen ist, daß der Wald in seinem Bestand mindestens erhalten, aber auch regional vergrößert und verbessert wird. Walderhaltung ist aber nur möglich, wenn ordnungsgemäße Pflege und Bewirtschaftung des Waldes sichergestellt sind. Diese Bedingung kann aber nur dann als gesichert gelten, wenn das privat- und volkswirtschaftliche Interesse angemessen befriedigt wird.
Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag dem Entwurf eines Bundeswaldgesetzes durch sein Votum bald Gesetzeskraft verleihen würde. Soweit sich bei der vorgesehenen Anhörung und im Verlauf der Beratungen echte Verbesserungen ergeben, kann man dies nur begrüßen. Insoweit würde es mich freuen, wenn es in dieser Legislaturperiode möglich wäre, durch ein solches Gesetz ein neues Kapitel deutscher Forstgeschichte aufzuschlagen.
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Damit ist die Vorlage begründet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiechle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 1967 hat der Deutsche Bundestag in einem einstimmigen Beschluß die Bundesregierung ersucht, baldmöglichst ein Bundesforstgesetz vorzulegen. Die Bundesregierung ist diesem Ersuchen mit der Vorlage eines Regierungsentwurfs für ein Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft, kurz Bundeswaldgesetz genannt, nachgekommen. Über die grundsätzliche Notwendigkeit für ein solches Gesetz brauchen wir uns daher nicht lange zu unterhalten. Die CDU/CSU hat diese Notwendigkeit damals betont, und sie steht auch heute noch zu dieser Entscheidung.
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Es gibt einige Fragen in diesem Zusammenhang, z. B. ob der Entwurf nicht bereits früher hätte vorgelegt werden können oder wo die Ursache für eine unerwünschte Verzögerung liegt und insbesondere, ob der Entwurf nun den Bedürfnissen einerseits der Waldbesitzer und andererseits der Gesellschaft hinreichend Rechnung trägt, ob also insbesondere der notwendigen Interessenabwägung zum Schutz des Waldeigentums und der Ansprüche der Allgemeinheit an den Wald ausreichend Rechnung getragen ist oder ob nicht vielmehr auch hier zu befürchten ist, daß infolge offengebliebener Fragen einschließlich gewisser Uberschneidungen in Kompetenzfragen zwischen Bund und Ländern im Entwurf unter Umständen mit einer weiteren Verzögerung gerechnet werden muß.
Die Tatsache, meine Damen und Herren, daß der Wald rund 30 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik umfaßt, daß weit über 700 000 meist bäuerliche Forstbetriebe vom Gesetz unmittelbar betroffen sein werden und daß praktisch jedermann in irgendeiner Weise davon berührt wird, sei es, daß er auf den Rohstoff aus dem Wald angewiesen ist, sei es daß er im Wald seinen Arbeitsplatz hat, daß er auf den Schutz des Waldes vertrauen muß oder daß er den Wald zum Zweck der Erholung aufsucht - um nur einige Dinge zu nennen -, zwingt zu einer besonders kritischen Würdigung dieses Entwurfs insgesamt und auch jeder einzelnen Vorschrift.
Welche Forderungen sind nun an ein Bundeswaldgesetz zu stellen? Ausgehend von der gegenwärtigen Rechtslage in den einzelnen Bundesländern ist festzustellen, daß das Waldeigentum heute schon mehr als jedes andere Eigentum vielfältigen Beschränkungen unterworfen ist. Ich denke dabei vor allem an Dinge wie die Bewirtschaftungs-, Walderhaltungs- und Schutzwaldvorschriften, die sich aus den Länderforstgesetzen selbst ergeben. Ich denke auch an die Vorschriften über das Recht zum Betreten des Waldes, an die Vorschriften des Waldverwüstungsgesetzes, aber auch des Naturschutzrechts, des Wasserrechts z. B. § 19 Wasserhaushaltsgesetz -, die den Waldbesitz deswegen besonders hart treffen, weil der Wald z. B. nun einmal besonders bevorzugtes Objekt des Naturschutzes oder Wasserschutzes darstellt. Die meisten dieser Bindungen in der Verfügungsfreiheit sind dem Waldbesitzer auferlegt worden unter Hinweis auf die Sozialbindung des Eigentums. Die Frage muß deswegen jetzt wieder gestellt werden, ob den Waldbesitzern auf die Dauer unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes ein Mehr an Sozialbindung im Vergleich zum sonstigen Eigentum abverlangt werden kann.
Eines ist jedenfalls sicher: das Bundeswaldgesetz wird neue Einschränkungen der Verfügungsfreiheit der Besitzer schaffen, und zwar im Interesse der Allgemeinheit. Die Notwendigkeit möchte ich - damit das hier ganz klar ist - ausdrücklich anerkennen. Vom Waldbesitzer allein können aber billigerweise weitere Sonderopfer für die Allgemeinheit nicht mehr verlangt werden, zumal die Ertragssituation des Waldes ohnehin unbefriedigend ist.
Hierzu nur zwei Zahlen. Im Jahre 1955 lag der Durchschnittserlös für Rohholz in den Staatsforsten bei 82 DM je Festmeter, die Kosten bei rund 40 DM. Im Jahre 1971 lag der Erlös - wiederum in den Staatsforsten - bei 72 DM, die Kosten mittlerweile bei 76 DM. Das sind amtliche Zahlen. Die Kosten sind also trotz Rationalisierung in den letzten 20 Jahren um rund das Doppelte gestiegen.
Angesichts dieser Tatsache, meine Damen und Herren, und unter diesen Aspekten gibt es nur eine
Konsequenz: Die Leistungen, die der Waldbesitzer für die Allgemeinheit erbringt, müssen auch anerkannt, d. h. sie müssen finanziell honoriert werden.
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Das Bundeswaldgesetz muß daher in erster Linie ein Waldförderungsgesetz sein.
Da die Waldverhältnisse in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich sind, z. B. in der Waldzusammensetzung, in der Flächenausdehnung des Waldes, in seiner unterschiedlichen Wertigkeit hinsichtlich der Nutz-, Schutz- oder Erholungsfunktion, in der Besitzstruktur und in vielen anderen Belangen, muß den Ländern die Möglichkeit offengehalten werden, auf ihre speziellen Bedürfnisse ausgerichtete Regelungen zu treffen. Der Entwurf wird daher auch dahin gehend zu überprüfen sein, ob diese Forderung erfüllt ist oder nicht. In diesem Zusammenhang stellen wir fest, daß den Einlassungen und Vorschlägen des Bundesrates besondere Bedeutung zukommt.
Des weiteren ist zu fragen, ob der Entwurf der inzwischen gewandelten Auffassung von den Funktionen des Waldes Rechnung trägt. Mit anderen Worten: berücksichtigt der Entwurf die von der Gesellschaft an ein Waldgesetz zu stellenden Forderungen? - An diesen drei Kernfragen ist der Entwurf zu messen.
Die erste Frage ist daher: handelt es sich bei dem vorgesehenen Entwurf tatsächlich um ein Waldförderungsgesetz? Die Frage ist leider zu verneinen. Die Förderung ist in § 39 des Entwurfs angesprochen. Bei der Förderung nach § 39 handelt es sich doch um nichts anderes als die schon bisher gewährte finanzielle Förderung der Forstwirtschaft nach dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes". Das heißt, der Gesetzentwurf täuscht insoweit nur eine neue Förderung vor. In Wirklich-knit handelt es sich aber nur um die Feststellung eines ohnehin bestehenden Zustandes. In Teil A Ziffer 5 der Begründung wird dies auch unumwunden zugegeben. Dort heißt es:
Soweit sich aus § 39 ({2}) haushaltsmäßige Auswirkungen ergeben, sind diese durch die Ansätze der mehrjährigen Finanzplanung berücksichtigt und begrenzt.
Fazit also ganz einfach: nichts Neues, keine zusätzliche Förderung.
Die Hereinnahme des Gesetzes über die forstwirtschaftlichen Zusammenschlüsse in dieses Bundeswaldgesetz beurteilen wir - um es mit einem Satz zu sagen - so, daß gegen die Hereinnahme des Gesetzes und seiner Ergänzungen, die vorgesehen sind, bei uns keine grundsätzliche Ablehnung besteht. Man wird in den Beratungen darüber im einzelnen zu reden haben.
Zu fordern wäre die Schaffung wirklich neuer Förderungsgrundlagen, und zwar als Anerkennung der Leistungen, die der Waldbesitz schon bisher und in Zukunft für die Allgemeinheit kostenlos erbringt. Andernfalls stehen wir eines Tages vor der Situation, daß die Waldbesitzer auf die Bewirtschaftung
des Waldes verzichten müssen, weil der Ertrag den Aufwand nicht mehr rechtfertigt. In Schutz- und Erholungswäldern wäre dies eine besonders verhängnisvolle Wirkung und würde alle, also nicht nur die unmittelbar Beteiligten, treffen. Vergessen wir doch nicht, daß infolge der Langfristigkeit des forstwirtschaftlichen Wirtschaftens Entscheidungen, die man heute trifft oder vielleicht nicht trifft, ihre volle Auswirkung erst in 50 oder vielleicht 100 Jahren offenbaren. Wir wollen und können den Eigentümern nicht erlauben - das ist ganz klar -, allein nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung zu arbeiten. Also müssen wir ihnen auch echte Bewirtschaftungshilfen gewähren, und zwar vor allem in Katastrophenfällen zur Behebung entstandener Schäden, für die Beeinträchtigung der Bewirtschaftung des Waldes, namentlich in Schutz- und Erholungswäldern - soweit sie nicht enteignungsgleichen Charakter annehmen und ,der Entschädigungspflicht nach § 40 unterliegen -, und zur Durchführung nicht kostendeckender betrieblicher Maßnahmen, z. B. zur Pflege von Jungbeständen, zur Verjüngung von Beständen in Hochlagen der Alpen und der Mittelgebirge oder zum Windschutz an der Küste.
Im übrigen beweisen die Vorlage und die darin enthaltene Begründung dieses Gesetzes, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß das Forstrecht auf Bundesebene neu geregelt werden muß, um die unterschiedlichen Waldfunktionen sichern zu können. Ich verweise dabei auf die Zielsetzung unter A, wo dies sinngemäß ausgeführt ist. Dann muß die Bundesregierung allerdings auch anerkennen, daß die Förderung nicht weiterhin überwiegend Ländersache bleiben kann. Der Bund muß sich mehr als bisher an der Förderung der Forstwirtschaft beteiligen. Er kann dies z. B. besonders im Zusammenhang mit den Sozialfunktionen des Waldes. Hierfür läßt Art. 104 a Abs. 3 und 4 des Grundgesetzes eine Möglichkeit.
Großzügige Regelungen sieht der Entwurf leider nur dort vor, wo der Bundeshaushalt nicht betroffen ist, nämlich in den §§ 40 und 41 des Entwurfs, die sich mit der Entschädigung im Falle enteignungsgleicher Eingriffe und dem Aufwendungsersatz für den Schutz des Waldes befaßt. Auch da bin ich der Meinung, daß dann, wenn man in diesem Punkt bundeseinheitliche Regelungen für notwendig hält, der Bund sich an den finanziellen Belastungen, meinetwegen im Verhältnis 50 : 50, beteiligen muß, weil sonst die Gefahr besteht, daß diejenigen Länder, die finanziell schwächer sind, einfach - schon zur Vermeidung größerer finanzieller Belastungen - die notwendigen Entscheidungen nicht treffen können.
Ich will nur einmal zwei oder drei Zahlen nennen. Im Bundesdurchschnitt entfallen auf 100 Einwohner 12 ha Wald, in Nordrhein-Westfalen nur 5, im Ruhrgebiet nur 1,5. Hier sehen Sie in Relation gesetzt - die Möglichkeiten der einzelnen Länder vom finanziellen Standpunkt aus, andererseits aber auch ihre Bedeutung angesichts ihres Waldbestandes.
Die zweite Frage lautet: Läßt der Entwurf den Ländern den notwendigen Spielraum für die Regelung ihrer speziellen Bedürfnisse? Diese Frage beinhaltet auch die Frage nach der Gesetzgebungskom3306
petenz des Bundes in verschiedenen Teilbereichen. Die Bundesregierung versucht leider, wie es ähnlich auf dem Gebiet des Rechts bezüglich des Naturschutzes der Fall ist, gleichzeitig mit der Vorlage des Gesetzentwurfs vollendete Tatsachen in einem langjährigen Streit um die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zu schaffen. Dieses Problem muß im Einvernehmen mit den Ländern geregelt werden, um ein sinnvolles Ergebnis zu erzielen und Verzögerungen zu vermeiden. Anstatt die in diesem Gesetz durchaus vorhandene Kompetenz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung dort voll auszuschöpfen, wo sie besteht, z. B. auf dem Gebiet der Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung - Art. 74 Nr. 17 des Grundgesetzes -, nimmt die Bundesregierung sie dort in Anspruch, wo sie zumindest zweifelhaft ist, nämlich in der Frage der Erhaltung und Bewirtschaftung des Waldes, ohne daß in diesem Punkt eine zwingende Notwendigkeit für eine über die rahmenrechtliche Regelung und Förderungsmöglichkeit hinausgehende Regelung erkennbar wäre. Insofern teilen meine Fraktion und ich die Bedenken, die der Bundesrat unter Nr. 1 seiner Stellungnahme vorgetragen hat. Ich warne im Interesse einer raschen Verabschiedung des Gesetzes die Bundesregierung davor, einen Verfassungskonflikt mit den Ländern heraufzubeschwören. Im übrigen läßt sich die Zielsetzung des Bundeswaldgesetzes innerhalb der Rahmengesetzgebung des Bundes - in einem großen Teilbereich hat er ohnehin die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz - sachlich einwandfrei lösen.
Die dritte Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, ob der Gesetzentwurf den Anforderungen entspricht, die die Gesellschaft heutzutage an den Wald zu stellen hat. Auch diese Frage kann man nicht ganz vorbehaltslos bejahen, obwohl die Bundesregierung im Hinblick auf Erholungswaldungen den Vorschlägen des Bundesrates erfreulicherweise bereits gefolgt ist.
Die Frage der Neuaufforstung, ein gerade in den landwirtschaftlichen Problemgebieten bestehendes aktuelles und brennendes Thema, ist noch unzureichend geregelt. Unter Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung im Sinne des § 9 des Entwurfs können zu leicht nur die in bestimmten Raumordnungs- oder anderen Plänen konkretisierten Ziele verstanden werden.
Meine Damen und Herren, es gilt, im weiteren Beratungsverfahren allgemein anwendbare und flexible Regelungen ausreichender Verbindlichkeit zu finden. Die Priorität des Gesetzesinhalts muß eindeutig auch seiner Zielsetzung entsprechen, nämlich ein Bundeswaldgesetz mit Förderungs- und Steuerungscharakter zu sein. Unter diesen Aspekten wird 'das Bundeswaldgesetz auch zur Sicherung einer gesunden Umwelt und dem Naturschutz dienen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wenige Worte zu dem berühmten § 12 des Gesetzes sagen. Im Zusammenhang mit diesem Paragraphen hat der vorliegende Entwurf besondere Aufmerksamkeit bei Teilen der Öffentlichkeit gefunden. Die reitenden Mitbürger glauben sich benachteiligt und haben unter diesem einen Aspekt Kritik geübt. Wir haben
uns dafür eingesetzt, daß zu diesem Gesetz ein Anhörverfahren durchgeführt wird, bei dem auch diese Interessengruppe ihre Einwendungen und Vorschläge unterbreiten kann. Unsere Fraktion wird unter Berücksichtigung aller im Zusammenhang mit diesem Gesetz zu sehenden Fakten und Zielsetzungen nach bestmöglichen Regelungen zum Wohl der ganzen Gemeinschaft suchen.
Auf Einzelheiten des Gesetzentwurfs möchte ich in 'diesem Zusammenhang nicht näher eingehen, möchte aber schon hier feststellen, daß sich die Ansicht der CDU/CSU relativ weitgehend mit der Stellungnahme 'des Bundesrates deckt. Abschließend bleibt festzustellen, daß der Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung in einer Reihe von Punkten noch verbesserungsbedürftig ist.
Unter den genannten Vorbehalten erkläre ich für die CDU/CSU die Bereitschaft, an der Verbesserung dieses Entwurfs und auch an seiner Verabschiedung nach Kräften mitzuarbeiten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemp.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kiechle, es freut mich, eine Gemeinsamkeit in bezug auf die Bearbeitung dieses Gesetzes feststellen zu können. Das ist immerhin erfreulich. Ich glaube auch, daß dann bei den Ausschußberatungen eine erfreuliche Zusammenarbeit festzustellen sein wird. Allerdings muß ich als Mitträger dieser Regierung Ihnen, Herr Kiechle, noch eines dazu sagen. Es ist natürlich Ihr gutes Recht zu fordern, denn Nichtfordern ist Faulheit. Wenn Sie hier aber schon solche Vorschläge machen, wenn Sie sich alles Mögliche ausdenken, was man wohl noch fördern könnte, so hätte ich von Ihnen auch erwartet, daß Sie uns ein paar konkrete Vorschläge dazu machen. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie nicht nur Ihre Forderungen in den Raum gestellt, sondern sie auch präzisiert hätten. Aber dazu kommen wir sicherlich noch im Rahmen der Ausschußberatungen.
In den letzten sechs Legislaturperioden hat es ganze fünf Gesetze bzw. Gesetzesänderungen gegeben, die den forstlichen Bereich betrafen. Damit komme ich auf etwas, was bereits die Kollegen Susset, Kiechle und Dr. Schneider angesprochen haben. Man hätte eigentlich in dem Bereich der Waldgesetzgebung und des Forstrechts wesentlich eher etwas tun müssen. Wir stehen jetzt in der 7. Legislaturperiode. Welche Initiativen sind denn eigentlich bis dato, bis zur 7. Legislaturperiode, im Hinblick auf diesen Bereich ergriffen worden? Ich glaube, das Ergebnis ist gleich Null, wie ich es eingangs schon erwähnte.
Mit der Bundestagsdrucksache 7/889 liegt dem Hohen Hause nunmehr als Kernstück des Bundesforstrechtes der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft vor. Die Bedeutung dieses BundesLemp
waldgesetzentwurfes geht über den Fachbereich Forstwirtschaft weit hinaus. Das liegt in erster Linie daran, daß der Wald, der rund 30 % der Fläche des Bundesgebietes ausmacht, wie jeder weiß, heute mehr als zu irgendeiner Zeit als positiver Faktor ersten Ranges in der Umweltbilanz zu gelten hat. Dies haben wir erkannt; deshalb legt die Bundesregierung dieses Gesetz vor.
Lassen Sie mich etwas zur Historie sagen. Rodung und jahrhundertelange Übernutzung, die erst mit der Entwicklung einer planmäßigen Forstwirtschaft und Forstwissenschaft mehr und mehr aufgegeben wurden, haben dem Wald und darüber hinaus dem gesamten Naturhaushalt schon in den vielen vorangegangenen Jahren empfindlichen Schaden zugefügt. Die Folgen sind auch heute noch sichtbar. Auch die industrielle Entwicklung hat in Verbindung mit der Urbanisierung der Bevölkerung und anderer zivilisatorischer Einflüsse Spuren und Narben im Ökosystem bzw. - wie man auf gut deutsch sagt - in der Lebensgemeinschaft Wald hinterlassen. Dieser unheilvolle Prozeß ist auch heute noch nicht zu Ende gekommen. Das zeigt sich besonders an den Waldflächenverlusten in der Umgebung der größeren Städte. Die Aufforstung landwirtschaftlich nicht mehr nutzbarer Böden in den Mittelgebirgsregionen führt bestenfalls statistisch zum Ausgleich auf Bundesebene. In den dichtbesiedelten Teilräumen dagegen ist das Defizit an Waldflächen bedenklich. Dazu nur wenige Vergleichszahlen: Im Bundesdurchschnitt entfallen auf je 100 Einwohner der Bevölkerung rund 12 ha Wald. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen haben 100 Menschen die Chance, nur noch 5 ha Wald zur Erholung in Anspruch zu nehmen. Und jetzt eine Zahl, die nachdenklich stimmen sollte: Im Ruhrgebiet haben 100 Menschen die Möglichkeit, nur noch 1,5 ha Wald in Anspruch zu nehmen, soweit sie überhaupt die Möglichkeit dazu haben. Wenn sie sie nicht haben, so werden wir ihnen dazu verhelfen. Hinzu kommt, daß zahlreiche Wälder im Ruhrgebiet durch Schwefel, Fluor und andere Abgasstoffe in ihrer Erhaltung stark gefährdet sind.
Mit der Erholungsfunktion der Wälder ist es im Umland der großen Verdichtungsgebiete, wie dieses Beispiel eben zeigte, nicht zum besten bestellt. Die dort lebenden Menschen sind aber ohne Zweifel, was die Naherholung angeht, auf den Wald stärker angewiesen als die Bewohner ländlicher Gebiete.
Meine Damen und Herren, ich will mich mit diesen und den noch folgenden kritischen Hinweisen nicht selber in einen Widerspruch setzen. Daß unser Waldbestand im ganzen ein positiver Umweltfaktor ersten Ranges ist, darüber sind wir uns einig.
Ich möchte nachdrücklich auf die bestehenden und, wie ich noch ausführen werde, latenten Gefahren hinweisen, die diesem wertvollen Volksgut und damit uns allen weiteren Schaden zuzufügen drohen. Das Ausmaß dieser schleichenden Gefahren und der Gefährdungsgrad werden im Unterschied zu plötzlichen Katastrophen, z. B. der Sturmkatastrophe vom 13. November 1972, die über 1000 Quadratkilometer Wald mit Schwergewicht in Niedersachsen verwüstet und zu einem außerplanmäßigen Holzanfall
von über 18 Millionen Festmetern geführt hat, allzuleicht verkannt.
In diesem Zusammenhang unterstreiche ich die Ausführungen von Bundesminister Ertl, daß die Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes bei wachsender Bevölkerungszahl und -dichte, bei weiterer Industrialisierung und Zunahme der Dienstleistungen und der Realeinkommen sowie bei Verkürzung der Arbeitszeit erheblich an Gewicht gewinnt und die wirtschaftliche Nutzung mehr oder weniger stark überlagert. In Übereinstimmung mit dem Verfassungsgebot des Art. 14 des Grundgesetzes, daß der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat, wird daraus deutlich, daß Waldeigentum von Natur aus in einem hohen Maß der Sozialpflichtigkeit unterliegt. Private Nutzung des Waldes darf nicht im Widerspruch dazu stehen. Dazu haben sich Waldbesitzer und Forstleute gerade in Deutschland seit langem selbst bekannt. Das Prinzip der Nachhaltigkeit der Waldbewirtschaftung hat bekanntlich erstmals in Deutschland Geltung erlangt und von hier aus weltweite Anerkennung gefunden.
Nun muß man, meine Damen und Herren, aber auch nach den Rahmenbedingungen und Voraussetzungen fragen, die gegenwärtig und in absehbarer Zukunft für die Forstwirtschaft gegeben sind. Somit hat die Zielsetzung möglicherweise keine Aussicht, verwirklicht zu werden. Da die Bundesregierung schon in der ersten Gesetzesbegründung ausführlich und, wie ich aus eigener Kenntnis sagen kann, maßvoll darauf eingegangen ist, genügen hier wenige Stichworte:
1. Überwiegend unbefriedigende Ertragsverhältnisse der Forstbetriebe trotz erheblicher Rationalisierungsanstrengungen. - Kollege Kiechle, Sie sehen, daß auch ich dieses Problem erkenne, ebenso die sozialdemokratische Fraktion.
2. Das allen Urproduktionszweigen in hochindustrialisierten Ländern anhaftende Dilemma, mit der übrigen Wirtschaft Schritt halten zu müssen, ohne deren Möglichkeiten zu besitzen. - Denken Sie nur daran: Meistens dauert es 100 und mehr Jahre von der Entstehung bis zur echten Nutzung. Das sollte man beim Wald nicht vergessen.
3. Wachsende Anforderungen der Allgemeinheit an den Wald, verbunden mit erhöhten Risiken und Belastungen.
4. Strukturelle Besonderheiten und Mängel wie geringe durchschnittliche Besitzgrößen im Privatwald: 4 ha gegenüber weit über 1 000 ha beim Staatswald.
5. Großer Nachholbedarf in der Walderschließung und anderes mehr.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu Punkt 4 noch etwas ergänzen. In der Öffentlichkeit herrscht weithin die Meinung, der Wald befinde sich ganz oder überwiegend im Besitz der Länder und Gemeinden und der Privatwald sei im wesentlichen Eigentum einiger Großgrundbesitzer. Das ist falsch. Der Privatwald ist mit 44 % beteiligt. Von über 700 000 Waldbesitzern sind es nur weniger als 200,
die über etwa ein Siebtel des Privatwaldes verfügen, und etwas mehr als 200, die etwa ein Zwanzigstel besitzen. Rund 700 000 Besitzer teilen sich eine Privatwaldfläche von etwa 2 Millionen ha; das sind zwei Drittel der Fläche.
Der Zusammenschluß dieser Kleinwaldbesitzer hat seit dem Inkrafttreten des forstlichen Zusammenschlußgesetzes von 1969, das in das Bundeswaldgesetz integriert werden soll, zwar Fortschritte gemacht; aber der Prozeß der forstwirtschaftlich notwendigen Rationalisierung ist damit noch lange nicht abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, nimmt man die mit den vorerwähnten Stichworten angedeutete innere und äußere Situation der Forstwirtschaft unseres Landes, zu deren vollständiger Darstellung noch vieles erwähnt werden müßte, alles in allem, so muß man auch sehen, daß bei einer zunehmenden Zahl von Waldbesitzern ökonomisches Desinteresse aufkommt. Ich erwähnte eben schon einmal die vielen kleinen Waldbesitzer. Schon jetzt werden bedauerlicherweise notwendige Investitionen und Pflegemaßnahmen hinausgeschoben oder gedrosselt und da und dort ganz unterlassen. Auch wir haben erkannt - in der Beziehung bin ich sicherlich auch mit den Kollegen dieser Opposition einig - , daß man darüber nachdenken muß, wie man hier nicht nur neue Initiativen in Gang setzen, sondern auch neue Möglichkeiten schaffen kann, Anreize zu geben. Wird dem wirtschaftlichen Abwärtstrend nicht wirkungsvoll begegnet, so führt ein wachsendes Desinteresse an der ordnungsmäßigen Forstwirtschaft zur Gefährdung des Waldes und seiner positiven Auswirkungen auf die Umwelt. Es gibt daher grundsätzlich nicht die Alternative: Bewirtschaftung des Waldes oder Sozial- und Infrastrukturleistungen, sondern diese Leistungen werden erst durch ordnungsgemäße Forstwirtschaft garantiert.
In Anbetracht der dargelegten Umstände und der Unmöglichkeit, auf eine eigene Holzerzeugung zu verzichten - etwa 50 % des Bedarfs müssen durch Importe gedeckt werden -, hält es die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei für dringlich, den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Bundeswaldgesetzes zügig zu beraten und ihm, Verbesserungen eingeschlossen, Gesetzeskraft zu verleihen. Als Teilregelung verstanden, die für breite Bereiche Mindestnormen aufstellt, kommt die Vorlage den Ländern entgegen, die selber forstgesetzliche Regelungen getroffen haben - denen besonders -, aber auch denen, die noch welche treffen wollen. Wir wissen, daß nicht alle Länder bis heute Forstgesetze erlassen bzw. modernisiert haben.
Gestatten Sie mir, daß ich die von der Bundesregierung verfolgte Zielsetzung hier noch einmal in kurzen Sätzen aufführe. Das Forstrecht des Bundes muß im Vollzug des Umweltprogramms neu geordnet und bereinigt werden. Es muß zweitens die Vielfalt und Einheit der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes sichern und bewahren, drittens die Forstwirtschaft in den Stand setzen, ihren wirtschaftlichen und ökologischen Aufgaben in gleichem Maße zu genügen, und viertens einen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den
berechtigten Belangen der Waldbesitzer herbeiführen. Dies, so meine ich, verdient die volle Anerkennung aller politischen Kräfte, und ich hoffe auch, daß wir hier die nötige Bereitschaft finden.
Die vorgeschlagene gesetzliche Verankerung der forstlichen Rahmenplanung läßt wertvolle Planungsgrundlagen und Beiträge für andere Fachplanungen und fachübergreifende Planungen erwarten. Die mit diesem Instrument angestrebte Transparenz der Zusammenhänge, Notwendigkeiten und Zwänge kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wald darf heute nicht mehr wie früher in erster Linie preiswerte Flächenreserve sein. Vorschriften über die Erhaltung und Bewirtschaftung des Waldes sowie über die Neuaufforstung müssen hinzukommen.
Das unmittelbare Interesse der Bürger gilt der vorgesehenen Regelung der Öffnung des Waldes. Da es auch hier unterschiedliche Gruppeninteressen gibt, was durch die auf Mißverständnis der Rechtslage beruhenden Aktionen der Reiter illustriert wird, wird es darauf ankommen, eine sachlich wie rechtlich befriedigende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen. Vielleicht bedarf es dazu einer sogenannten Waldverkehrsordnung.
Herr Kiechle, Sie sprachen eben auch die bundesdeutschen Reiter an. Ich will mich eigentlich gar nicht so tief in diesem Thema ergehen. Aber vielleicht sollte man hier doch eines erwähnen. Die Problematik der Öffnung des Waldes und des Betretungsrechts ist breit gespannt. Ich will das einmal an einem Beispiel klarmachen. Bei Gesprächen mit Kollegen aus den Ländern und mit Ministeriellen kam es zu folgender Argumentation: „Erholungsuchende" sei eigentlich nicht das richtige Wort; hier müßte man etwas anderes finden, denn - jetzt kommt es -: Der Maler, der in den Wald geht, gehört nicht zu den Erholungsuchenden; der dürfte also nicht. Der Sportler, der im Wald trainiert, gehört nicht zu den Erholungsuchenden; so die Ministeriellen. Der Botaniker gehört nicht als Erholungsuchender in den Wald, sondern als Botaniker zum Botanisieren. Und auch das Liebespaar, das die Einsamkeit sucht,
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darf nicht rein; denn auch das ist keine Erholung. - So die Argumentation der Leute.
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- Ja, da sehen Sie die Problematik, die Bandbreite.
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- Ja, darüber können wir natürlich streiten; im Ausschuß machen wir das, Herr Kiechle, ist klar. Ich wollte Ihnen nur mal zeigen, wie problematisch die ganze Sache ist.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das Betretungsrecht - und ich glaube, dies ist etwas, was man sich allseits zu Herzen nehmen sollte - nicht dazu führen darf, daß der Wald als Müllkippe benutzt wird. Es muß im Interesse aller Menschen liegen, den Wald vor Verunreinigung jeglicher Art zu schützen. Das ist eine echte Umweltschutzaufgabe für jedermann.
Die Einbeziehung des forstlichen Zusammenschlußgesetzes - lassen Sie mich das noch kurz erwähnen - halten wir auf jeden Fall für notwendig. Sie steht im engen Zusammenhang mit der Förderung, Herr Kiechle. Dazu möchte ich nur sagen: Vorbeugen ist besser als Heilen. Es ist auch für die Allgemeinheit billiger.
Die Sozial- und Infrastrukturleistungen, die sich in dem günstigen Einfluß des Waldes auf das Klima, den Wasserhaushalt, die Filterwirkung gegenüber Schadgasen, Radioaktivität und sonstigen Luftverunreinigungen, dem Erosionsschutz sowie dem Erholungswert des Waldes äußern, ersparen als Sozialertrag der Allgemeinheit Sozialkosten, während andere Wirtschaftszweige zusätzlich Kosten für die Allgemeinheit verursachen. Wir wissen - das kam ja auch schon eben bei meinem Kollegen Vit zum Ausdruck -, daß wir das Verursachungsprinzip sicherlich ganz stark in den Gesetzgebungsvorhaben verankern müssen, sonst werden wir auf die Dauer nicht klarkommen.
Meine Damen und Herren, weil wir einen intakten Wald brauchen, benötigen wir auf Bundesebene auch entsprechende gesetzliche Sicherungen. Die Daseinsvorsorge verpflichtet uns dazu, rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen. Dazu, meine ich, ist es höchste Zeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich dem Herrn Kollegen Kiechle recht herzlich dafür danken, daß er die Bereitschaft der Opposition zum Ausdruck gebracht hat, an diesem Gesetz positiv und initiativ mitarbeiten zu wollen. Eines aber, glaube ich, darf nicht im Raum stehenbleiben, nämlich seine Feststellung, daß dieser Gesetzentwurf Forderungen nur vortäusche. Ich glaube, Herr Kollege Kiechle, hier muß man sich an die Gesamtproblematik erinnern, nämlich an die Finanzreform, bei der sich ja die Länder über die Gemeinschaftsaufgaben hinaus die übrige Finanzierung vorbehalten haben. Das muß man der Gerechtigkeit willen auch einmal sagen. Ich halte es aber trotzdem nicht für abwegig, wenn der Bund Regelungen erläßt, die einheitliche Entschädigungen im ganzen Bundesgebiet bewirken.
Nun, die Bundestagsfraktion der FDP begrüßt die Vorlage eines Bundeswaldgesetzes. Es ist wohl nicht überheblich, wenn ich feststelle, daß wir stolz darauf sein können, ein waldreiches Land zu sein. Dieser Reichtum wird uns erst voll bewußt, wenn wir in anderen Teilen Europas oder gar der Welt in waldarmen Gegenden die damit einhergehenden Nachteile für Klima und Landschaft zur Kenntnis nehmen müssen. Nicht wenige Länder unternehmen mit großen finanziellen Anstrengungen alles, um durch Aufforstungen diese Benachteiligungen zu beseitigen.
Wir wissen auch aus der Geschichte, daß der Mensch selbst mitschuldig geworden ist am Raubbau und der Vernichtung des Waldes in vielen Gebieten der Erde. Um so mehr ist es deshalb erforderlich, dieses kostbare Volksgut Wald zu erhalten und zu mehren. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Erholungsfunktion des Waldes in unserer Industriegesellschaft immer bedeutungsvoller wird. Es ist daher Aufgabe dieses Gesetzes - das wird von der FDP-Fraktion besonders begrüßt -, den Wald für unsere Gesamtbevölkerung als Erholungsstätte nutzbar zu machen. Hier ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in ganz besonderem Maße angesprochen.
Dieses Gesetz ist wie das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege ein Teil des natürlichen Umweltschutzes. Die Landschaftsplanung in bezug auf die ökologische Belastbarkeit eines Standorts müssen, wie im Bundeswaldgesetz richtig vorgesehen, durch forstliche Rahmenpläne koordiniert und ergänzt werden. Keine andere Kultur ist mehr geeignet als der Wald, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts günstig zu beeinflussen und natürlichen oder zivilisatorischen Gefahren vorzubeugen.
Allerdings sollten wir auch so realistisch sein, zu erkennen, daß die Erholungsfunktion des Waldes auf die Dauer nur unter Beachtung der Nutzfunktion desselben erhalten werden kann. Es ist erfreulich, daß sich diese Realität im vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung widerspiegelt. Wer das nicht sehen wollte, würde bald aus einer bösen Illusion erwachen, weil sonst auch größte finanzielle Aufwendungen kaum in der Lage wären, den Wald als Ganzes zu erhalten. Wir sind auf diesem Gebiet zum Glück in der Lage, das Schöne und Erholsame mit dem Nützlichen zu verbinden.
Dies gilt sowohl für die Erhaltung des Waldes als auch für seine Bewirtschaftung und ebenso für die Erstaufforstung. Den Streit, der teils heftig um die verschiedenen Baumarten des Waldes geführt wird, halte ich für übertrieben. Wenn es nicht so wäre, hätte der Schwarzwald mit seinen großen Tannen- und Fichtenbeständen nie eine solche Bedeutung für Erholung und Fremdenverkehr erreichen können, wie es tatsächlich der Fall ist.
Selbst die Schönheit der Landschaft hat nicht gelitten, wenn man so will, wurde durch einseitige Waldbestände das Spezifische der Landschaft geprägt, wie es der Dichter mit den Worten besingt: O Schwarzwald, o Heimat, wie bist du so schön!
({0}) - Warum nicht?
In § 12 Abs. 1 des im Entwurf vorliegenden Gesetzes soll das Betreten des Waldes bundeseinheitlich geregelt werden. Daß es dabei auch Beschränkungen in bezug auf Forstkulturen sowie auf besondere forst- und jagdwirtschaftliche Einrichtungen geben muß, versteht sich von selbst. Diese Einschränkungen sind geradezu die Voraussetzungen dafür, daß unsere Waldbestände in Zukunft erhalten werden.
In § 12 Abs. 2 heißt es weiter:
Reiten, Fahren, Zelten und Abstellen von Wohnwagen sind im Wald nur gestattet, soweit hier3310
für eine besondere Befugnis vorliegt oder Wege oder sonstige Flächen dazu besonders bestimmt sind.
Über keinen Abschnitt dieses Gesetzes habe ich bisher - ich gebe zu: außer der Neuregelung des § 218 des Strafgesetzbuches - mehr Zuschriften erhalten als zu diesem. Die Zuschriften kamen von Schulmädchen als begeisterten Ponyreiterinnen genauso wie von gestandenen Männern, die sich in ihrer Bewegungsfreiheit zu Pferde in der freien Natur eingeengt fühlen, wenn dieser Passus Gesetz werden sollte. Nicht zu verkennen ist, daß das Gefühl hier sehr stark mitspricht.
Auch die Bundesregierung will damit sicher keine bösen Absichten verfolgen. Jedoch bin ich der Meinung, daß in diesem Punkt einige Fragezeichen berechtigt sind. Walter Henkels hat kürzlich einen Aufsatz unter der Überschrift verfaßt: „Wohlauf Kameraden, vom Pferd, vom Pferd!"
({1})
Hier darf ich feststellen: Unsere Fraktion wird nicht dazu beitragen, daß dies Wirklichkeit wird, und wir glauben, daß es so auch von der Bundesregierung nicht gemeint war. Unverkennbar ist, daß die Liebe zum Pferd in unserem Volk stärker verankert ist, als dies viele wahrhaben wollen. Dies gilt nicht nur für den Pferdebesitzer, sondern auch für den Pferdefreund, welcher aus bestimmten Umständen nicht in der Lage ist, sich selbst ein Pferd zu halten, aber um so lieber ein Pferd in Wald und Flur sieht.
Der vorliegende Gesetzentwurf wäre allerdings überfordert, wenn er gewisserermaßen als Ersatz einer Straßenverkehrsordnung die Begegnung zwischen Fußgängern und Reitern in Wald und Flur regeln wollte. Dies sage ich durchaus in der Erkenntnis, daß es unter den Reitern einige gibt, die glauben, in dem Moment, wo sie sich auf dem Rükken eines Pferdes befinden, hätten sie einen Freibrief für Bewegung in Wald und Flur in der Tasche.
({2})
Ich fordere die Bundesregierung auf, ein Gesetz zur Kennzeichnung und Registrierung der Reitpferde vorzulegen, damit die Möglichkeit besteht, denjenigen, der Schaden anrichtet, auch entsprechend haftpflichtig machen zu können.
Geradezu unerträglich wäre es jedoch, wenn wir den Reitern das Betreten des Waldes nur auf gekennzeichneten Wegen gestatten wollten. Erholung in der freien Natur findet nicht nur zu Fuß, sondern auch und besonders auf dem Pferde statt. Wir können nicht die Seeufer für die Bevölkerung zugänglich machen wollen und andererseits die Wälder für die Reiter größtenteils verschließen. Dabei sind durchaus differenzierte Betrachtungen über die Regelungen dieses Problems in den Naherholungsgebieten der Ballungszentren gegenüber dem flachen Land anzustellen.
Der Vorsitzende des Ernährungsausschusses hat mit Unterstützung aller Fraktionen bereits ein Hearing zu dieser Frage anberaumt, welches am 5. November 1973 in Berlin stattfinden wird, wobei die interessierten Gruppen zu Wort kommen sollen.
Die FDP-Fraktion begrüßt die Art, wie man an die Beratung dieses Gesetzes herangeht, und wird nach dem Hearing in abgewogener Weise entsprechende Vorschläge im Ausschuß einbringen, welche Reitern, Fußgängern und Waldbesitzern gleichermaßen Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, wenn man vom Flugzeug aus den deutschen Wald betrachtet, ist man versucht zu glauben, die Strukturverhältnisse des deutschen Waldes seien voll geordnet, weil man die Zersplitterung und Parzellierung des Besitzes beim Wald weniger erkennen kann, als dies in der offenen Landschaft bei Äckern und Wiesen der Fall ist. Insbesondere der Privatwald ist gegenüber dem Staats- und. Körperschaftswald in seiner Bewirtschaftung durch die Parzellierung benachteiligt. Deshalb ist es zu begrüßen, daß in diesem Gesetz den forstwirtschaftlichen Zusammenschlüssen großer Raum zugeordnet wurde. Dies gilt sowohl für die Forstbetriebsgemeinschaften wie auch für Forstbetriebsverbände und forstwirtschaftliche Vereinigungen, wobei in § 36 Abs. 1 auf die Erhaltung der Wettbewerbssituation am Holzmarkt abgehoben wird. Damit ist die vorweggenommene Regelung über forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse von 1969 mit Ergänzungen in diesem Gesetzentwurf integriert worden. Die Ausnahmeregelung des § 38 in bezug auf die Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen halte ich für sinnvoll und berechtigt.
Subventionen, meine Damen und Herren, werden von allen denjenigen, welche sich zu einer funktionierenden Marktwirtschaft bekennen, stets als etwas Negatives angesehen. Die finanzielle Förderung der Forstwirtschaft, wie sie im 4. Kapitel des Gesetzes vorgesehen ist, möchte ich jedoch als Voraussetzung für die Erhaltung des Waldes verstanden wissen. Ein Volk, das über 30 Milliarden DM jährlich für Alkohol- und Nikotinverbrauch ausgibt, sollte an dieser Förderung keinen Anstoß nehmen, wenn weiterhin Gelegenheit sein soll, die Lungen unserer Bürger in unseren Wäldern entlüften zu können. Außerdem ist die Förderung auf die Wirtschaftlichkeit von Investitionen zur Erhaltung und zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes ausgerichtet, was angesichts der Verknappung von Holz im gesamteuropäischen Raum gesehen werden muß. Auf die Förderung der forstwirtschaftlichen Zusammenschlüsse weist das Gesetz besonders hin. Aber auch - und das habe ich schon ausgeführt - die Entschädigungsfrage scheint mir in § 40 bundeseinheitlich sinnvoll geregelt zu sein.
Zum Abschluß darf ich in diesem Zusammenhang auf die Grundgesetzänderung zum Landschaftsschutz- und -pflegegesetz hinweisen, weil sie auch für einige Paragraphen dieses Gesetzes von Bedeutung ist.
({3})
Meine Damen und Herren, da keine weiteren Wort-
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
meldungen vorliegen, schließe ich die Aussprache in der ersten Beratung des Bundeswaldgesetzes.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage - federführend - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und - mitberatend - an den Innenausschuß sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der heutigen Tagesordnung auf:
4. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 7/887 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
- Drucksache 7/888 -
c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
- Drucksache 7/1088 Zur Begründung der Vorlagen unter den Punkten 4 a und b hat Herr Bundesinnenminister Genscher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde wegen des Sachzusammenhangs sowohl zu der Grundgesetzänderung Stellung nehmen wie auch zur Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz.
Lassen Sie mich vorab noch ein Wort zu dem Tagesordnungspunkt sagen, der soeben behandelt worden ist. Mit dem Vorhaben, für den Bereich Naturschutz und Landschaftspflege statt der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz die Befugnis des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung zu begründen, hatte sich das Hohe Haus schon in der vergangenen Legislaturperiode zu beschäftigen mit der vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode des 6. Deutschen Bundestages hatte dieses Vorhaben seine Erledigung gefunden. Die Bundesregierung hat es Ihnen erneut vorgelegt, weil sie nach gewissenhafter Prüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, daß wirksame und zukunftsorientierte Regelungen auf dem für die Menschen in unserem Land so wichtigen Sektor „Naturschutz und Landschaftspflege" nur getroffen werden können, wenn für den Bund insoweit die Möglichkeit zur konkurrierenden Gesetzgebung geschaffen wird.
Die sachliche Notwendigkeit dieser gesetzlichen Regelung hat mein Kollege Ertl im einzelnen begründet. Ich habe seinen Ausführungen insoweit nichts hinzuzufügen und kann mich aus der Sicht meiner Ressortzuständigkeit darauf beschränken, Ihnen gerade für diesen Fall die Grenzen der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes aufzuzeigen.
Diese Grenzen ergeben sich daraus, daß Rahmenvorschriften des Bundes wenn auch nicht in allen einzelnen Bestimmungen, so doch als ganze durch Landesgesetzgebung ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig sein müssen. Der Bund kann zwar Teilbereiche einer rahmenrechtlichen Materie zu unmittelbarer Verbindlichkeit für jedermann selbst regeln; die Gesamtmaterie zu ordnen ist ihm jedoch verwehrt. Den Ländern muß ein Regelungsbereich von substantiellem Gewicht verbleiben. Dabei muß Raum für freie Willensentscheidungen des Landesgesetzgebers in der sachlichen Rechtsgestaltung bestehen.
Bei Orientierung an diesen Grundsätzen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Regelungen über Naturschutz und Landschaftspflege und über die Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes so, wie sie Ihnen von der Bundesregierung als moderne und dringend erforderliche Gesamtkonzeption vorgelegt worden sind, auf rahmenrechtlicher Grundlage nicht beschlossen werden könnten. Das ist in der Begründung des Ihnen vorliegenden Entwurfs einer Grundgesetzänderung im einzelnen dargelegt worden. - Ich halte diese Beurteilung unverändert für richtig und unterstreiche das, was der Kollege Ertl hier in der Sache gesagt hat.
Meine Damen und Herren, der Bereich „Wasserhaushalt" soll im Interesse eines verstärkten Umweltschutzes für unsere Bürger aus der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten überführt werden. Dieses Vorhaben hat im Hohen Hause ebenfalls schon in der letzten Legislaturperiode zur Diskussion gestanden. Zu einer abschließenden Beratung ist es damals nicht mehr gekommen, weil die Wahlperiode des 6. Bundestages vorzeitig beendet wurde.
Sachzwänge allein sind es, die - aus der Verantwortung der Bundesregierung für das Allgemeinwohl - die Veranlassung gegeben haben, die Ihnen vorliegende Grundgesetzänderung hier mit allem Nachdruck zu vertreten. Denn nur auf der Grundlage dieser Grundgesetzänderung können für den Wasserhaushalt zum lebensnotwendigen Schutz unserer Gewässer bundeseinheitlich den Sachnotwendigkeiten unserer Tage angemessene und wirksame Regelungen erlassen werden.
Meine Damen und Herren, richtig verstandene Umweltpolitik darf nicht nur reagieren. Sie muß vielmehr vorausschauend planen und beizeiten - und das nicht nur in den einfachen Gesetzen, sondern auch in der Verfassung selbst - das Instrumentarium dafür bereitstellen, daß die Naturgüter in einem Zustand gehalten oder in einen Zustand zurückversetzt werden können, der den Bürgern dieses Staates, uns allen also, ein menschenwürdiges Leben gestattet. Es geht dabei um ein umweltpolitisches Gesamtkonzept.
Einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung hat das Hohe Haus in der letzten Legislaturperiode getan, als wir gemeinsam im Grundgesetz eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung geschaffen haben. Ohne diesen Schritt hätte das Abfall3312
beseitigungsgesetz nicht ergehen können, und ohne diesen Schritt könnte auch das Immissionsschutzgesetz, von dem ich hoffe, daß es bald verabschiedet werden kann, nicht erlassen werden.
So wichtig diese Vorhaben waren und sind: wir dürfen es dabei nicht bewenden lassen und dürfen nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Wir müssen erkennen, daß die Umwelt ein Gesamtgefüge ist, aus dem sich nicht einzelne Umweltmedien beliebig herausnehmen lassen. Es sind sich deshalb, meine Damen und Herren, alle Fachleute in unserem Lande darüber einig, daß es einen sinnvollen Umweltschutz im ganzen ohne einen effektiven Gewässerschutz nicht geben kann. Ich betone „effektiven Gewässerschutz" und meine damit einen Gewässerschutz, der die Gleichheit der Lebensverhältnisse und die großräumige Verflechtung im wirtschaftlichtechnischen Bereich ebenso in Rechnung stellt wie die neueste internationale Entwicklung auf dem Gebiet des Wasserrechts. Den Sachzwängen, die sich insoweit ergeben, würden ausschließlich rahmenrechtlich konzipierte Regelungen nicht gerecht.
Die Bundesregierung bedauert es deshalb, daß der Bundesrat den vorliegenden Gesetzentwurf einer Grundgesetzänderung im ersten Durchgang mit den Stimmen der CDU/CSU-geführten Länder abgelehnt hat. Ich hoffe allerdings, daß das nicht das letzte Wort des Bundesrats gewesen ist, sondern daß sich vielmehr doch noch die bessere Einsicht in die sachlichen Notwendigkeiten durchsetzen wird.
Diese Erwartung, meine Damen und Herren, geht davon aus, daß die Regelungen, wie sie in dem gleichzeitig vorgelegten Entwurf einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz vorgesehen sind, unbedingt notwendig sind. Das Kernstück dieser Regelungen, wie übrigens auch ein wirksames, zukunftsorientiertes Abwasserabgabengesetz, kann ohne eine Vollkompetenz des Bundes für den Wasserhaushalt nicht verwirklicht werden. Ich werde das im Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgestzes noch im einzelnen begründen. Hier aber sollen schon diejenigen Materien genannt werden, die nach Auffassung der Bundesregierung auf der derzeitigen Kompetenzgrundlage einer befriedigenden Regelung nicht zugeführt werden können.
Es geht darum, daß einheitliche Gewässergütestandards festgelegt werden müssen, daß der Bund in der Lage sein muß, die Grenzwerte für die Zulässigkeit von Abwässereinleitungen bundeseinheitlich zu bestimmen. Und schließlich geht es darum, durch bundeseinheitliche Anforderungen an die schadlose Lagerung wassergefährdender Stoffe einem Gefälle von Land zu Land entgegenzuwirken.
Daß diese Regelungsvorhaben, so wie sie nach dem Regierungsentwurf einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz in Angriff genommen werden sollen, auf rahmenrechtlicher Grundlage nicht verwirklicht werden können, wird, wenn ich es recht sehe, weder vom Bundesrat noch von den Oppositionsparteien des Hohen Hauses bestritten. Die Fraktion der CDU/CSU setzt deshalb in ihrem soeben beschlossenen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zum
Teil auch bewußt andere Akzente. Darauf wird bei der Behandlung des Gesetzentwurfs noch zurückzukommen sein.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zu bemerken: In der Begründung zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU wird hervorgehoben, daß sich dieser als Ganzes wie in der Gesamtheit des Wasserhaushaltsgesetzes innerhalb der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 75 Nr. 4 des Grundgesetzes halte.
Es darf wohl davon ausgegangen werden, meine Damen und Herren, daß diese Begründung auch von den CDU/CSU-geführten Ländern mitgetragen wird. Wir werden ja nachher Gelegenheit haben, den bayerischen Staatsminister des Innern zu dieser Frage zu hören. Ich erwähne das deshalb, weil diese Beurteilung außerordentliches Interesse verdient - nicht etwa deshalb, weil sie die Probleme löst, um die es hier geht, sondern deshalb, meine Damen und Herren, weil die Länder die Rahmengesetzgebungsbefugnis des Bundes bisher wesentlich restriktiver interpretiert haben, als das jetzt der Fall zu sein scheint. Die Bundesregierung wird sich erlauben, darauf bei gegebener anderer Veranlassung zurückzukommen.
({0})
Wie immer man zu dem verfassungsrechtlichen Risiko stehen mag, das die CDU/CSU mit ihrem Gesetzentwurf eingeht: auch seine Inkaufnahme würde nur eine Regelung zulassen, die den Anforderungen eines modernen Gewässerschutzes nicht gerecht wird. Sie würde darüber hinaus in wichtigen Fragen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine Rechtsungleichheit herbeiführen, die weder unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes noch gesamtwirtschaftlich vertretbar ist.
Je weiter die Entscheidungen über die Anforderungen an den Umweltschutz nach unten verlagert werden, um so schwieriger wird es für die zur Entscheidung Berufenen sein, die Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte zurückzudrängen.
Ich habe Ihnen die Materien aus dem Regierungsentwurf einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz genannt, die diese Grundgesetzänderung nach Auffassung der Bundesregierung notwendig machen. Diese Regelungsvorhaben machen zugleich deutlich, daß der Bund von der angestrebten Gesetzgebungskompetenz nur sachgemäßen Gebrauch machen wird. Diese offene Darlegung der Absichten der Bundesregierung sollte auch denen die Zustimmung erleichtern, die jetzt noch zögern. Die Ausschußberatungen werden Gelegenheit bieten, den Sachargumenten der Bundesregierung für eine Grundgesetzänderung die erforderliche Beachtung zu schenken.
Wir, meine Damen und Herren, sind zum Dialog bereit. Dabei sollte aber für alle Beteiligten klar sein, daß die von der Bundesregierung für notwendig gehaltene Qualität des Gewässerschutzes nicht zur Disposition stehen kann.
({1})
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Bundesminister Genscher
Lassen Sie mich darauf hinweisen - das sollte nicht ohne Beachtung bleiben -, daß sich in einer vom EMNID-Institut durchgeführten Meinungsumfrage in jüngster Zeit 69 % der Bevölkerung dafür ausgesprochen haben, daß der Schutz der Gewässer vor Verunreinigung z. B. durch Abwässer auf Grund einer Verfassungsänderung durch den Bund besorgt werden sollte und nur nach Ansicht von 18 % durch jedes einzelne Bundesland.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie mögen daraus entnehmen,
({3})
wie wenig Resonanz Ihre auch in der Sache unbegründete Auffassung in der Öffentlichkeit findet.
({4})
- Herr Kollege Lenz, wenn Sie von Anbeginn da gewesen wären, hätten Sie meine Sachargumente voll erfassen können. Sie sind im Nachteil des zu spät Gekommenen. Sie können die Rede insoweit nachlesen.
({5})
- Hören Sie schön zu, Sie werden noch eine Menge lernen, was noch alles kommt und was Sie noch alles in Ihren Gesetzentwurf aufnehmen müssen.
({6})
Die Bundesregierung hat in ihrem Umweltprogramm betont, daß das aus dem Jahre 1957 stammende Wasserhaushaltsgesetz geändert und ergänzt werden muß. Die bestehenden Vorschriften reichen nicht aus, die immer mehr beanspruchten Gewässer vor schädlichen Einwirkungen zu schützen. Die Bundesregierung hat deshalb ihre schon in der letzten Legislaturperiode ergriffenen Initiativen als Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz wieder eingebracht. Schwerpunkte dieser Novelle sind die Vereinheitlichung der Vorschriften über das Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe, neue Vorschriften über die Erhaltung und Sanierung unserer Gewässer im Interesse der Trinkwasserversorgung, die Verbesserung der Möglichkeiten, die für die Wasserwirtschaft, vor allem die Wasserversorgung benötigten Grundstücke rechtzeitig vor Beeinträchtigungen zu schützen, eine Erweiterung und Verschärfung der Straf- und Bußgeldbestimmungen gegen schädliche Verunreinigungen der Gewässer.
Die Vorschrift des § 19 g über Anforderungen an Anlagen zum Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe enthält im wesentlichen die Ermächtigung für die Bundesregierung, durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates - und hier ist in ausreichender Weise der Mitwirkung der Länder Rechnung getragen - die wichtigen, weitgehend technischen Bestimmungen über die Errichtung, die Herstellung, die Bauart, die Werkstoffe,
die Ausrüstung, die Unterhaltung und den Betrieb der Anlagen zum Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe, ferner aber über ihre amtliche Prüfung und ihre Überwachung bundeseinheitlich treffen zu können. Die bestehenden, von Land zu Land unterschiedlichen Regelungen für die Anlagen zum Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe sind aus rechtlichen, wasserwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gründen nicht länger tragbar. Daraus erwachsen sowohl für Hersteller und Händler, aber auch für die Betreiber solcher Anlagen durch Wettbewerbsverzerrungen und durch Rechtsunsicherheit gekennzeichnete, nicht länger hinnehmbare Belastungen. Zudem sind die einschlägigen Schutzvorschriften in einigen Bundesländern auf Mineralöle oder Mineralölprodukte beschränkt, ohne die Vielzahl der anderen wassergefährdenden Stoffe zu erfassen. Entsprechend den Forderungen der Sachverständigen, insbesondere der Technischen Überwachungsvereine, aber auch der an bundeseinheitlichen Regelungen interessierten betroffenen Wirtschaftszweige müssen diese Vorschriften auf Grund von Rechtsverordnungen der Bundesregierung vereinheitlicht werden.
Nicht minder wichtig ist es, der immer ,drängender erhobenen Forderung nach effektiven, nicht an Ländergrenzen endenden Vorschriften zur Erhaltung des Gütestandards der Oberflächengewässer und deren Sanierung nachzukommen. Die Festlegung von Umweltqualitätszielen wird in allen Bereichen des Umweltschutzes angestrebt. Bestrebungen dieser Art sind übrigens weltweit im Gange. Im Umweltprogramm der Europäischen Gemeinschaft, das am 31. Juli 1973 verabschiedet worden ist, zählt die Festlegung von Umweltqualitätsnormen zu den Schwerpunkten des Programms. Die Kommission soll in einer ersten Phase Vorschläge für bestimmte Schadstoffe im Wasser ausarbeiten. Auch im Europarat steht bei dem Entwurf für eine europäische Gewässerschutzkonvention die Festlegung eines Gütestandards für die Zwecke der Trinkwasserversorgung im Vordergrund. Es dürfte jedem einleuchten, daß es für diese Verhandlungen von großem Vorteil ist, wenn wir möglichst bald nationale Trinkwasserstandards haben. Nur dann ist es möglich, auch auf internationaler Ebene die strengen Forderungen zu stellen und durchzusetzen, die unseren Vorstellungen - ich hoffe, ich kann in diesem Zusammenhang sagen: unseren gemeinsamen Vorstellungen - entsprechen. Nur die Festlegung von Gütestandards schafft die für einen Gewässerschutz unentbehrlichen Barrieren, die auch von den örtlichen Verwaltungsbehörden nicht durchbrochen werden können und die es deshalb den örtlichen Verwaltungsbehörden erleichtern, sich gegen die Interessen der Abwassereinleiter durchzusetzen.
Angesichts der Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland in ständig zunehmendem Maße auf Oberflächenwasser zur Trinkwasserversorgung zurückgegriffen werden muß, besteht gerade bei uns an einem auf die Trinkwasserversorgung ausgerichteten Gütestandard sowohl für grenzschreitende als auch für Gewässer im eigenen Land ein vitales Interesse. Die Folgen der Trockenheit in diesem
Herbst - Niedrigwasserstand und damit vielfach nur noch verdünntes Abwasser in den Reserven in den Trinkwassertalsperren - unterstreichen dies nachdrücklich. Dabei müssen die Standards einheitlich sein, da sie gesundheitsbezogen sind. Bei gesundheitsbezogenen Standards ist für regionale Regelungen in den Bundesländern kein Raum. Es können nicht in einem Land giftige oder sonst schädliche Stoffe im Wasser hingenommen werden, wenn diese Stoffe in den Gewässern anderer Bundesländer über eine bestimmte Menge hinaus oder gar völlig verboten sind, da sonst bei der Verwendung .des Wassers für Trinkwasserzwecke gesundheitliche Nachteile zu befürchten sind.
Ein solcher auf die Trinkwasserversorgung ausgerichteter Gütestandard kann aber nur eingehalten oder bei stark verschmutzten Gewässern wie z. B. dem Rhein, Main oder Neckar nur dann wiederhergestellt werden, wenn entsprechende Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in ,die Gewässer gestellt werden. Giftige oder krebserregende Stoffe, von denen das Trinkwasser frei sein soll, dürfen nicht über das Abwasser in die Flüsse oder Seen eingeleitet werden. Schon seit geraumer Zeit machen unsere Wasserversorgungsfachleute auf die Gefahren aufmerksam, die gerade durch giftige und schwer oder überhaupt nicht abbaubare Stoffe in unseren Gewässern, vornehmlich im Rhein, für die Trinkwasserversorgung bestehen. Für diese Schadstoffe müssen Verbote oder Grenzwerte festgelegt werden, die beim Einleiten von Abwasser zu beachten sind. Selbstverständlich müssen dabei auch die Anforderungen einheitlich sein. Sie dürfen in den Bundesländern, die z. B. Rhein-Anlieger sind, nicht unterschiedlich sein. Es entbehrt, meine Damen und Herren, jeder Logik, die Europäischen Gemeinschaften für befugt zum Erlaß solcher Vorschriften anzusehen, dem Bund aber eine solche Befugnis verweigern zu wollen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Novelle sind neue Vorschriften für den Erlaß einer Veränderungssperre zur Sicherung von Planungen. Hiernach können Grundstücksflächen, die z. B. für die kommunale Wasserversorgung benötigt werden, schon im Stadium der Planung von schädlichen Einwirkungen freigehalten werden. Das ist u. a. notwendig für die Ausweisung von neuen Wassergewinnungsgebieten, den Bau von Abwasseranlagen, den Bau von Talsperren, Wasserspeichern und Rückhaltebecken sowie für den Ausbau von Gewässern.
Ferner hat sich die Bundesregierung dafür ausgesprochen, Schädigungen der Umwelt mit ausreichenden strafrechtlichen Mitteln zu begegnen, die der Gemeinschaftsschädlichkeit solcher Delikte angemessen sind. Ich habe schon mehrfach betont, daß es sich hierbei nicht um Kavaliersdelikte, sondern um kriminelles Unrecht, um gemeingefährliche Handlungen handelt. Ich möchte an dieser Stelle keinen Zweifel daran lassen, daß die Bundesregierung diese verstärkten Strafvorschriften in einem Umweltschutzgesetz nur als eine Notlösung ansieht, die nur für eine Übergangszeit gelten kann. Die Umweltkriminalität gehört nach der Auffassung der Bundesregierung in das Strafgesetzbuch. Die Verankerung der Strafdrohungen in strafrechtlichen Nebengesetzen wird auf Dauer dem Unrechtsgehalt dieser Delikte nicht gerecht. Entsprechende Vorschläge für die Aufnahme in das Strafgesetzbuch werden deshalb durch den Bundesminister der Justiz vorbereitet.
Zusätzlich zur Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz hält die Bundesregierung ein Abwasserabgabengesetz für erforderlich, das sie in Kürze vorlegen wird. Es ist nicht länger vertretbar, daß die Kosten der Vermeidung, der Beseitigung oder des Ausgleichs von Umweltschäden, d. h. hier von Gewässerverschmutzung, im wesentlichen von der Allgemeinheit getragen werden und nicht von den Verursachern. Produkte und Produktionsverfahren und Dienstleistungen, die Gewässerverschmutzungen verursachen, haben damit einen ungerechtfertigten wirtschaftlichen Vorteil gegenüber Produkten, Produktionsverfahren und Dienstleistungen, die - unter Umständen infolge erheblicher Investitionen - keine Gewässerverschmutzungen verursachen. Dieser Vorteil ist auch dann noch nicht voll ausgeglichen, wenn Einleitebedingungen und -auflagen eingehalten werden.
Die Bundesregierung hat diesen Mangel schon in ihrem Umweltprogramm aufgezeigt und wird ihm mit der Einführung einer Abwasserabgabe begegnen. Durch die Abwasserabgabe wird auf die Einleiter von Abwasser ein ökonomischer Anreiz ausgeübt, die Schädlichkeit ihrer Abwassereinleitungen zu verringern. Ihre Eigeninitiative, Tatkraft und Phantasie werden aktiviert, um Gewässerverunreinigungen zu vermeiden. Dabei wird sichergestellt, daß ihnen aus ihren Bemühungen um die Reinhaltung der Gewässer kein Wettbewerbsnachteil entsteht.
Damit die Abwasserabgabe diese Funktion erfüllen kann, müssen folgende Grundsätze beachtet werden. Diese Grundsätze liegen dem Referentenentwurf meines Hauses zugrunde, der den Fraktionen dieses Höhen Hauses am 13. Juli 1973 zugeleitet wurde.
Erstens. Die Abgaben werden von allen öffentlichen und privaten Einleitern von Abwasser erhoben.
Zweitens. Die Abgaben werden unabhängig davon erhoben, ob die Einleitung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Die Pflicht zur Reinigung von Abwässern bleibt unberührt. Es gibt kein Freikaufen durch die Abgabe.
Drittens. Die Abgaben werden nach Maßgabe der absoluten Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers erhoben, unabhängig davon, ob das Gewässer sie gerade noch ertragen kann oder nicht.
Viertens. Die Abgabe muß so hoch sein, daß sie einen fühlbaren Anreiz zur Verringerung ,der Schädlichkeit des Abwassers ausübt, sei es durch Bau und Betrieb hochwirksamer Kläranlagen, sei es durch Einführung abwasserarmer oder abwasserloser Produktionsverfahren.
Fünftens. Die Höhe der Abgabe ist im ganzen Bundesgebiet einheitlich. Damit dieser Satz nicht nur
auf dem Papier steht, werden die Verfahren zur Ermittlung der Schädlichkeit des Abwassers genau und bundeseinheitlich festgelegt. Wir werden das Aufkommen aus der Abgabe, das den Ländern zustehen wird, für den Gewässerschutz zweckbinden und so einen zusätzlichen Anreiz zur Gesundung oder Gesunderhaltung unserer Gewässer bieten.
Der Entwurf der Opposition kann den Gewässerschutz nicht in dem erforderlichen Umfang sichern. Auch wenn er einen großen Teil der im Umweltprogramm der Bundesregierung dargelegten und im Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes sowie im Referentenentwurf eines Abwasserabgabengesetzes ausgearbeiteten Gedanken und Lösungen übernommen hat, krankt er doch an dem untauglichen Versuch, den Bund auch in Zukunft auf die Rahmenkompetenz zu beschränken. Er zeigt auch eine Reihe anderer wesentlicher Mängel.
Der Vorschlag über die Vereinheitlichung der Vorschriften über Anforderungen an das Lagern und Abfüllen wasergefährdender Flüssigkeiten in dem CDU/CSU-Entwurf ist weder sachgerecht noch ausreichend. Die technischen Anforderungen an derartige Anlagen im Gesetz festlegen zu wollen - wie es der Entwurf vorsieht -, widerspricht der Tatsache, daß der Stand von Wissenschaft und Technik ständig fortschreitet und daß deshalb technische Normen in einem vom Gesetzgeber festgelegten Rahmen fortgeschrieben werden müssen. Diese Fortschreibung hat sich bei der Luftreinhaltung bereits bewährt.
Der Vorschlag der CDU/CSU verkennt u. a., daß die Anforderungen an Lagerbehälter und Umschlageinrichtungen entscheidend vom jeweiligen Lagergut abhängig sind und daß die technische Entwicklung in bezug auf die einzelnen Lagerarten unterschiedlich verläuft. So können z. B. neu entwickelte Sicherheitseinrichtungen für die Mineralöllagerung bei der Lagerung chemischer Produkte keine Anwendung finden. Die in der Begründung des Initiativantrages als Vorbild genannte Lagerbehälterverordnung von Nordrhein-Westfalen hat den entscheidenden Mangel, daß sie nur für Mineralöle oder Mineralölprodukte gilt, nicht aber für die Vielzahl anderer, oft weit gefährlicherer Stoffe. Gerade dem unterschiedlichen Gefährdungsgrad der einzelnen wassergefährdenden Stoffe wird der Vorschlag der Opposition nicht gerecht. Um den jeweiligen Gefährdungsgraden in bezug auf Einzelvorschriften zu entsprechen, sind als Grundlage Bewertungen der Gefährlichkeit erforderlich, die wegen ihrer Vielfältigkeit nur in Verordnungen erfolgen können.
Ein weiterer wesentlicher Mangel des vorliegenden Vorschlages der Opposition besteht darin, daß die wassergefährdenden Stoffe nicht bestimmt, daß feste und gasförmige Stoffe überhaupt nicht berücksichtigt werden. Es würde deshalb zu Freistellungen kommen, deren Einheitlichkeit infolge des Ermessensspielraumes nicht gewährleistet ist. Unterschiedlichster Betrachtungsweise, die sich sogar auf bestimmte Gebiete beschränken kann, sind damit Tür und Tor geöffnet, was zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen und sachlich nicht begründeten Differenzierungen führen müßte.
Wie wenig der vorliegende Initiativgesetzentwurf einem umfassenden Gewässerschutz gerecht wird, ist am besten aus einem Vergleich dieses Vorschlages mit den Vorschriften über den Transport gefährlicher Güter zu ersehen, wo bereits national und international einheitliche Sicherheitsbestimmungen für alle gefährlichen Güter individuell nach ihrem Gefährdungsgrad exstieren.
Vorschriften über Trinkwasserstandards enthält der CDU/CSU-Entwurf überraschenderweise überhaupt nicht. „Überraschend" deshalb, weil in dem CDU-Programm vom 27. Oktober 1972 u. a. folgendes ausgeführt wird - ich zitiere auf Seite 23 -:
Eine Mindestgüte der Gewässer muß überall eingehalten werden, damit aus ihnen unter vertretbarem Aufwand Trinkwasser gewonnen werden kann. Die Güteklasse I1 ({7}) muß das Mindestziel sein.
- Der § 18 a Abs. 2 des Oppositionsentwurfs wird den Anforderungen, die im Interesse der Trinkwasserversorgung an Abwassereinleitungen zu stellen sind, nicht gerecht; insbesondere ist er nicht geeignet, die künftige Entwicklung zu fördern. Im Hinblick auf giftige und schwer oder nicht abbaubare Stoffe ist es notwendig, daß Grenzwerte nicht nur hinsichtlich der Schadstoffkonzentration, sondern auch hinsichtlich der Schadstofffracht gesetzt und der Entwicklung ständig angepaßt werden.
Mit Genugtuung habe ich festgestellt, daß diese Auffassung auch von CDU-Länderseite vertreten wird. In der Antwort des baden-württembergischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt namens der Landesregierung vom 18. Juni 1973 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Weyrosta und Genossen betreffend Abwasserklärung im öffentlichen Bereich wird gesagt - ich darf zitieren -:
Es trifft zu, daß ständig neue Produkte auf den Markt kommen, die eine Erhöhung des Gehalts an schwer abbaubaren Stoffen im Abwasser bewirken. Dieser Entwicklung kann nur auf Bundesebene wirksam begegnet werden. Die Landesregierung ist hierbei jederzeit zur fachlichen und tatsächlichen Mitarbeit bereit.
Nun, wohlan denn, meine Damen und Herren! Diese Auffassung sollte auch im Deutschen Bundestag von der Opposition vertreten werden, denn die Festlegung von Grenzwerten für diese kritischen Abwasserinhaltsstoffe und ihre ständige Anpassung an die rasch fortschreitende Entwicklung ist nur in enger Zusammenarbeit aller Kräfte möglich.
Als ungenügend muß auch die im CDU/CSU-Vorschlag des § 18 a vorgesehene Anbindung der Einleitungsstandards an „die allgemeinen Regeln der Abwassertechnik" bezeichnet werden. Die von den Ländern eingeführten „Normalwerte für Abwasserreinigungsverfahren" enthalten nur Grenzwerte für die konventionellen Abwasserreinigungsverfahren, also für die mechanische, biologische und chemische Abwasserbehandlung. Diese Forderungen bleiben in
vielen Fällen weit hinter den Erfordernissen eines neuzeitlichen Gewässerschutzes zurück. Erhöhte Anforderungen müssen gezielt dort gestellt werden, wo dies aus Gründen des Gewässerschutzes, insbesondere im Interesse der Trinkwasserversorgung, erforderlich ist. Deshalb ist die Verzahnung zwischen dem Trinkwasserstandard und den Anforderungen an Abwassereinleitungen, wie sie im Entwurf der Bundesregierung vorgesehen ist, im CDU/CSU-Entwurf aber völlig fehlt, unbedingt notwendig.
Der Entwurf der Opposition unternimmt den Versuch, eine Art Abwasserabgabe in die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes einzubeziehen. Dabei ist zu bedauern, daß die Einleitung von Abwasser als eine Gewässerbenutzung wie jede andere auch behandelt werden soll, ohne daß mit der erforderlichen Deutlichkeit herausgestellt wird, daß Hauptzweck der Abgabe die Vermeidung von Umweltschäden und die Durchführung des Verursacherprinzips, nicht aber eine Geldeinnahme für irgendwelche Gewässerbenutzungen, ist. Aus dieser unzutreffenden Grundanlage heraus bleibt der Oppositionsentwurf mit seiner Regelung für eine Reinhalteabgabe in wesentlichen Punkten hinter dem zurück, was für den Gewässerschutz und für eine gleiche Behandlung der Einleiter von Abwasser im Bundesgebiet erforderlich ist. Die Formel, nach der die Schädlichkeit des Abwassers bemessen werden soll, ist aus einem - allerdings überholten - Vorentwurf des Bundesinnenministeriums übernommen worden. Sie berücksichtigt nicht die im Referentenentwurf meines Hauses schon verarbeiteten neueren Erkenntnisse, die uns dazu geführt haben, die Einleitung schwer abbaubarer und damit zum großen Teil für die Trinkwasserversorgung besonders schädlicher Stoffe stärker zu belasten.
Darüber hinaus würde die Übernahme der Vorstellungen der Opposition dazu führen, daß die volle Anwendung des Verursacherprinzips praktisch bis Ende des Jahres 1980 hinausgezögert würde. Dabei würde sie den Wettbewerbsnachteil abwasserloser Produkte oder Prouktionsverfahren gegenüber solchen bestehen lassen, bei denen Abwasser anfällt, obwohl bei einigen unserer Flüsse - Ruhr und Neckar - und bei den meisten Seen eine vollbiologische Reinigung der Abwässer schon heute in vielen Fällen nicht mehr ausreicht, um diese gesundzuerhalten oder zu sanieren. Eine Abgabenhöhe von 25 DM pro Einwohnergleichwert und Jahr, ohne daß heute schon im Gesetz ein zweite, höhere Stufe fixiert wird, erscheint nicht ausreichend, um auf breiter Front den notwendigen Anreiz zum Bau von Kläranlagen auszuüben und so die Gewässer zu sanieren.
Neben diese Mängel treten mindestens gleichgewichtig jene Mängel, die in dem rahmenrechtlichen Charakter der Abwasserabgabenregelung, wie sie die Opposition vorschlägt, begründet sind. Die Vorschriften über die Höhe der Abgabe und ihre Feststellung täuschen eine in den Ländern gleiche Behandlung gleicher Sachverhalte vor, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Solange nämlich nicht bundeseinheitlich genau bestimmt ist, in welchen Fällen, wann und wie die Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers gemessen wird und in welchen Fällen und nach welchen Maßstäben sie zu pauschalieren ist, ist über die Abgabe, die der einzelne Einleiter letzten Endes zu zahlen hat, Eindeutiges nicht auszusagen.
Es ist - auch dann, wenn sich die für die Wasserwirtschaft und das Wasserrecht zuständigen obersten Landesbehörden auf eine einheitliche Pauschalierungstabelle einigen sollten - damit zu rechnen, daß es bei der Verabschiedung dieser Tabelle durch die einzelnen Länderparlamente zu gravierenden Unterschieden bei der Bewertung der Abwasserschädlichkeit kommt. Das kann bei dem groben Raster der Pauschalierungsverfahren, die bisher zur Diskussion gestellt worden sind, bedeuten, daß ein Einleiter von Abwasser nur ein Fünftel der Abgabe zahlt, die ein anderer Einleiter in einem anderen Land bei gleicher Schädlichkeit des Abwassers zu zahlen haben würde. Damit wäre die ursprüngliche einheitliche Bewertung über den Haufen geworfen. Im Interesse einer Gleichbehandlung der Abwassereinleiter und gleicher Wettbewerbsbedingungen im Bundesgebiet wäre das unvertretbar.
Die von der Bundesregierung vorgesehene Verfeinerung der Pauschaltabelle, für die zahlreiche Fachverbände auf Bundesebene ihre Unterstützung bereits zugesagt haben, wird zu einer den Abwassereinleitern gerecht werdenden Bewertung führen. Dagegen ist nicht auszuschließen, daß bei der Beratung der Bewertungsgrundlagen in den Ländern auf eine Verfeinerung verzichtet wird und die niedrigsten Pauschalwerte eingesetzt werden, um örtliche Industrien zu schonen.
Mit einer bundeseinheitlichen Regelung der Ermittlung der Schädlichkeit des Abwassers wird letzten Endes auch entschieden, daß die Einräumung von Verschmutzungsprivilegien - etwa durch Festsetzung einer besonders günstigen Pauschale für bestimmte Gruppen von Abwassereinleitern - kein zulässiges Mittel vermeintlicher regionaler Wirtschaftsförderung auf Kosten des Gewässerschutzes sein darf.
Der Oppositionsentwurf beantwortet ferner nicht die Frage der Behandlung verschmutzten Niederschlagswassers sowie der Behandlung derjenigen Schädlichkeit im Wasser, die der Einleiter von Abwasser nicht verursacht, sondern bereits vor dem Gebrauch des Wassers vorgefunden hat.
Meine Damen und Herren, wie immer die Lösung dieser Probleme sein mag, sie kann und darf nicht von Land zu Land unterschiedlich sein. Sie bedarf der bundeseinheitlichen Regelung. Die Fülle der Regelungen, die nach dem Oppositionsentwurf den Ländern zugemutet wird und wegen der beabsichtigten Verweigerung der Bundeskompetenz zugemutet werden muß, bedeutet nicht nur die Gefahr, daß für gleiche Sachverhalte im Ergebnis verschieden hohe Abgaben gezahlt werden müssen; sie bedeutet auch die Gefahr, daß ein alsbaldiger und in allen Ländern zu gleicher Zeit beginnender Vollzug gar nicht gesichert ist.
Noch ein Wort zu dem Umweltbeauftragten für Wasserreinhaltung. Nach unserer Überzeugung reiBundesminister Genscher
chen die diesbezüglichen Vorschläge in dem CDU/ CSU-Entwurf für eine sachgerechte, moderne Regelung dieser Frage nicht aus. Neben der Aufgabe, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu überwachen, ist viel stärker die eigenverantwortliche Funktion des Umweltbeauftragten zur Entwicklung und Einführung umweltfreundlicher Verfahren und umweltfreundlicher Erzeugnisse zu verankern. Ferner sind Regelungen über die Pflichten des Unternehmers im Hinblick auf die Auswahl des Umweltbeauftragten nach Fachkunde und Zuverlässigkeit, im Hinblick auf die Unterstützung des Umweltbeauftragten bei der Erfüllung seiner Arbeit sowie hinsichtlich der Koordinierung dieser Tätigkeit im Falle der Bestellung mehrerer Umweltbeauftragter erforderlich.
Für den Umweltbeauftragten für den Gewässerschutz muß ebenso wie auch für den Umweltbeauftragten für Immissionsschutz ein neues eigenständiges Konzept entwickelt werden, für das die vorhandenen Beauftragten in unserem Recht, wie z. B. der Sicherheitsbeauftragte im Bergrecht oder nach Arbeitsschutzrecht oder auch der Strahlen-schutzbeauftragte im Atomrecht, keine geeigneten Vorbilder sind. In den Beratungen zum Entwurf eines Bundesimmissionsschutzgesetzes wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß in dieses Gesetz eine umfassende moderne Modellregelung für den Umweltbeauftragten eingebaut wird. Umfangreiche Vorarbeiten sind dafür geleistet. An dieser Modellregelung wird sich auch die Regelung über den Umweltbeauftragten für den Gewässerschutz auszurichten haben.
Meine Damen und Herren, die Umweltexperten aller Fraktionen dieses Hauses haben die Dringlichkeit der genannten Gesetzesvorlagen der Bundesregierung für den Gewässerschutz, wie ich mich gut erinnern kann, schon in der vergangenen Legislaturperiode bejaht, insbesondere auch die Notwendigkeit der Grundgesetzänderung. Das hier schon erwähnte Konzept der CDU für die Umweltvorsorge vom 27. Oktober 1972 ist wie wir zu dem Ergebnis gekommen, daß der Bund die volle Gesetzgebungskompetenz für den Wasserhaushalt braucht. Ich darf wohl davon ausgehen, daß die Opposition die Frage, ob für den Bund die Rahmenkompetenz ausreicht oder nicht, damals genauso sorgfältig geprüft hat wie wir. Wenn die Opposition das heute anders sähe und bei ihrer Haltung bliebe, wäre das in der Tat nicht allein für die Opposition, sondern für die Gesetzgebung in unserem Land ein Rückschritt.
Die Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um durch Überzeugung, keinesfalls aber - das sollte hier gesagt werden - durch Aufweichung der Regierungsentwürfe die erforderlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu schaffen. Auf dieser Grundlage sind wir zum Gespräch bereit. Wir wollen Ihnen helfen, daß Sie Ihre Wahlversprechen verwirklichen können.
({8})
Das Wort zur Begründung des unter Tagesordnungspunkt 4 c aufgeführten Gesetzentwurfs hat der Abgeordnete Biechele.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Umweltschutz ist heute in aller Munde. Er darf allerdings nicht zum Schlagwort werden. Wir wissen - und dafür haben wir unser Bewußtsein zu schärfen -, daß wir unseren Wohlstand teilweise auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen errungen haben. Wir können und wollen auf den technisch-zivilisatorischen Fortschritt nicht verzichten. Es gilt aber, einen Ausgleich zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum und einer vorsorgenden, menschenwürdigen Umweltgestaltung zu finden. Dies gilt vor allem für den Schutz des Wassers als einer der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen.
Herr Bundesinnenminister, gern nehme ich zwei Feststellungen, die Sie am Eingang Ihrer Rede getroffen haben, auf, und ich darf sie unterstreichen. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß sinnvoller Umweltschutz ohne effektiven Gewässerschutz nicht möglich ist. Wir sind mit Ihnen auch der Meinung, daß die Qualität des Gewässerschutzes nicht zur Disposition gestellt werden darf.
Wenn wir an eine sinnvolle, menschenwürdige Umweltgestaltung denken, dann müssen wir natürlich vor allem den Schutz des Wassers beachten. Dieses wertvolle Gut Wasser, dessen Bedeutung zur Sicherung des Allgemeinwohls nicht überschätzt werden kann, ist nicht beliebig vermehrbar. Seiner Belastbarkeit sind verhältnismäßig gleichbleibende Grenzen gesetzt. Wir stellen mit Sorge fest, daß den Gewässern über die bereits bestehenden Schäden hinaus zunehmend erhebliche Gefahren durch die Folgen drohen, die mit der fortschreitenden Technisierung, der sich verstärkenden Siedlungs- und Industrialisierungsdichte und der Zunahme schädlicher Abfallstoffe verbunden sind.
({0})
Das aus dem Jahre 1957 stammende Wasserhaushaltsgesetz, das einen gesunden und leistungsfähigen Wasserhaushalt sichern sollte, hat sich im Grundsatz bewährt. In langjährigem Vollzug haben sich jedoch Lücken gezeigt, die durch die inzwischen vorgenommenen Änderungen nur zum Teil geschlossen wurden.
Diese Lage hat die Fraktion der CDU/CSU herausgefordert, im Kampf um sauberes Wasser einen eigenen Beitrag zu leisten. Sie hat in diesen Tagen einen eigenen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes beschlossen. Er liegt Ihnen in der Drucksache 7/1088 vor. Seine Zielsetzung ist es, die rechtlichen Voraussetzungen für einen wirksameren Gewässerschutz zu schaffen und zu verstärken. Der Entwurf der Fraktion der CDU/CSU regelt mehr und umfassender im Sinne einer Verbesserung des Gewässerschutzes als der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes, der uns in der Drucksache 7/888 vorliegt. Er ist eine in den wesentlichen Be3318
stimmungen weitergehende, wirkungsvollere und deswegen, wie wir meinen, bessere Alternative.
Diese wesentlichen und wirkungsvolleren Bestimmungen des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU/ CSU darf ich in der heutigen ersten Beratung darlegen und begründen. Neben einer Verstärkung der Kontrolle der Gewässerbenutzung verweise ich auf die Regelungen über die verstärkte und sachgerechtere wasserwirtschaftliche Planung der Länder, die Einführung einer Abwasserbeseitigungspflicht als Aufgabe von Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Aufstellung von Abwasserbeseitigungsplänen, die langfristige Sicherstellung der Wasserversorgung durch Grundwasserschongebiete, das Lagern wassergefährdender Flüssigkeiten und die Einführung einer Gewässerbenutzungsabgabe.
Die Fraktion der CDU/CSU ist nicht der Meinung, daß durch die Einführung von Gewässergütestandards die Sanierung der Gewässer und damit ihre Verwendbarkeit als Trinkwasserspender im unbedingt notwendigen Umfang gefördert wird. Wir werden über diese Frage, Herr Bundesminister, in den Ausschußberatungen gründlich zu diskutieren haben. Ich gehöre bis zur Stunde zu jenen, die der Meinung sind, daß wir für die Trinkwasserversorgung die besten Dienste leisten, wenn wir darum besorgt sind, schädliche Abwassereinleitungen in unsere Gewässer zu verhindern oder sie in einem tragbaren Rahmen zu halten. Dafür bieten wir heute in unserem Gesetzentwurf eine Reihe wichtiger Vorstellungen und Regelungen an.
Wir sind der Überzeugung, daß die so dringliche Gewässersanierung mit der Aufstellung von Bewirtschaftungsplänen, mit der Aufstellung der im Entwurf der CDU/CSU erstmalig vorgeschlagenen Abwasserbeseitigungspläne und mit den von der Fraktion der CDU/CSU ebenfalls erstmalig vorgeschlagenen Bestimmungen über die Verpflichtung von Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Abwasserbeseitigung erreicht wird.
({1})
In den CDU/CSU-Entwurf ist ein gesetzliches Gebot über die unschädliche Abwasserbeseitigung aufgenommen. Das Abwasser muß nach den allgemein anerkannten Regeln der Abwassertechnik gereinigt werden. Unser Entwurf befindet sich insoweit in voller Übereinstimmung mit dem Regierungsentwurf, der hierzu einen Vorschlag der Länder aufnimmt. Die Abwassertechnik hat in den letzten Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht und entwickelt sich rasch weiter. Was hier als allgemein anerkannt anzusehen ist, kann nach objektiven Kriterien - etwa durch Anhörung von Sachverständigen - festgestellt werden. Einer irgendwie gearteten Länderbürokratie bedarf es hierzu grundsätzlich nicht.
Nach Inkrafttreten dieser Bestimmung wird sich die Funktion der Länder insoweit darauf beschränken, den Stand der Technik - deklaratorisch - festzustellen. Den Ländern bleibt nur die Möglichkeit, darüber hinaus noch nicht allgemein anerkannte Techniken einzuführen und sie damit unwiderleglich und streitentscheidend zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion unterscheidet sich hier vom Regierungsentwurf
allein darin, daß diese streitentscheidende Funktion nicht der Summe der Länder, sondern schon einem Land überlassen bleibt. Nur insoweit liegt eine Bindungsmöglichkeit eines Landes gegenüber den übrigen vor.
Die Abwasserbeseitigungspflicht wird nun mit der Verpflichtung der Länder zur Aufstellung von Abwasserbeseitigungsplänen verbunden, die nach überörtlichen Gesichtspunkten vorzunehmen sind. In diesen Plänen müssen die Standorte der Abwasserbeseitigungsanlagen, deren Einzugsbereich und die Träger festgelegt werden. Nur so ist eine technisch und wirtschaftlich optimale Gestaltung dieser Anlagen und die Zuverlässigkeit ihres Betriebes sicherzustellen.
Da die Abwasserbeseitigung für den Umweltschutz so wichtig geworden ist, soll sie als öffentliche Aufgabe ausgewiesen werden. Sie ist deshalb in der Regel Körperschaften des öffentlichen Rechts zu übertragen. Durch die in unserem Entwurf vorgesehenen Bewirtschaftungspläne, die die Länder aufzustellen haben, wird als übergreifende Maßnahme die Ordnung des Wasserhaushalts gewährleistet.
Dieses Bündel von Maßnahmen und Regelungen, zum großen Teil neue Vorstellungen, die als neue und wirkungsvolle Mittel das Instrumentarium für den Gewässerschutz erweitern und verstärken, bietet nach der Überzeugung der CDU/CSU-Fraktion die aussichtsreiche und konkrete Möglichkeit, die Gewässersanierung wirksam voranzutreiben. Wir gehen davon aus, daß die durch neues Bundesrecht in Pflicht genommenen Länder die gesetzlichen Verpflichtungen entsprechend ihrer Bedeutung für das Allgemeinwohl erfüllen.
Herr Bundesminister, Sie haben sich vorhin in Ihren Ausführungen darüber ein wenig mokiert, daß wir in unseren Gesetzentwurf das Jahr 1980 hineingeschrieben haben. Wir haben das Jahr 1980 in unseren Gesetzentwurf in einem ganz bestimmten Zusammenhang hineingeschrieben, nämlich im Hinblick darauf, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Anpassung der bestehenden Anlagen nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der Abwassertechnik erfolgen muß.
Im übrigen sind wir der Meinung, daß wir durch das Bündel unserer vorgeschlagenen Regelungen, die sofort greifen, im Felde des Gewässerschutzes sehr viel schneller vorankommen, als wenn wir die Vorstellungen der Bundesregierung über die Wirksamkeit der Gewässerstandards unbesehen unterschrieben.
({2})
Die CDU/CSU-Fraktion war der Meinung, daß in ihrem Entwurf auch etwas über die Finanzierung dieser aufwendigen Maßnahmen zur Reinhaltung der Gewässer gesagt werden muß. Herr Bundesminister, Sie haben sich mit diesem Teil unseres Gesetzentwurfs länger auseinandergesetzt. Wir als Opposition sind allerdings deswegen in einer unerfreulichen Lage gewesen, weil die Bundesregierung ihren Entwurf eines Abwasserabgabengesetzes bis zur Stunde noch nicht vorgelegt hat,
({3})
obwohl uns im Umweltprogramm der Bundesregierung dieser Entwurf zum Ende des Jahres 1972 angekündigt worden ist.
({4})
Wir als Opposition, Herr Bundesminister, haben die Verpflichtung gespürt, weil auch wir vom Verursacherprinzip ausgehen, jetzt dazu etwas zu sagen, weil auf diesem wichtigen Feld der Finanzierung keine Zeit mehr verloren werden darf.
({5})
Nach unserer Vorstellung soll eine Gewässerbenutzungsabgabe erhoben werden. Die Länder können sie einmal für die Benutzung der Gewässer erheben. Belastungen der Gewässer, die in der Regel damit verbunden sind, und wirtschaftliche Vorteile, die aus der Benutzung der Gewässer gezogen werden, sollen wenigstens zum Teil durch die Gewässerbenutzungsabgabe abgeschöpft werden. Das Aufkommen dieser Abgabe soll zweckgebunden für wasserwirtschaftliche Maßnahmen verwendet werden. Diese rechtliche Normierung wird es beispielsweise erlauben, daß der seit Jahren diskutierte Bodenseepfennig für die Wasserentnahme aus dem See erhoben werden kann, dessen Aufkommen für die Reinhaltung des Sees bereitzustellen wäre.
Herr Bundesminister, ich habe nicht ganz eingesehen, weswegen Sie so sehr gegen diesen Teil unserer Gewässerbenutzungsabgabe argumentiert haben; gerade auch im Hinblick auf die begrüßenswerten Anstrengungen des Bundes, mit den bekannten 150 Millionen DM zur Sanierung von Rhein und Bodensee beizutragen. Über die ernste Problematik des Bodensees muß ich Sie ja nicht unterrichten. Diese Probleme sind Ihnen bekannt.
Für das Einbringen oder Einleiten von Stoffen in ein Gewässer muß eine Gewässerbenutzungsabgabe - das ist das Hauptteil dessen, was wir darunter verstehen - als Reinhalteabgabe entrichtet werden. Diese Abgabe ist wesentlich nach dem Verursacherprinzip gestaltet, und sie erlaubt eine stärkere finanzielle Heranziehung der Abwassereinleiter. Die Errichtung und der Ausbau von Kläranlagen können damit wirkungsvoller vorangetrieben werden.
Bei der Frage, was im Zusammenhang mit der Gewässerbenutzungsabgabe durch Bundesrecht zu regeln ist und was wegen der unterschiedlichen Struktur der Länder dem Landesrecht überlassen bleiben muß, ergab sich aus sachbezogenen Gründen die Beschränkung auf das Rahmenrecht. Ich darf hier darauf hinweisen, daß der Kollege Vogel im Laufe unserer Debatte noch zu den verfassungsrechtlichen und den verfassungspolitischen Problemen Stellung nehmen wird. Die rahmenrechtlichen Regelungen enthalten aber alle Festlegungen, die zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse bundesrechtlich zu regeln sind.
Im Gesetzentwurf der CDU/CSU sind auch die Anforderungen an das Lagern und Abfüllen wassergefährdender Flüssigkeiten rahmenrechtlich ausreichend und wirksam, wie wir meinen, geregelt.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Problembereich Grundwasser sagen. Wir kennen ernstzunehmende Untersuchungen, die feststellen, daß die Grundwasserreserven im Bundesgebiet um die Jahrhundertwende erschöpft sein werden. Wir wissen auch, daß Grundwasser heute auf eine nicht verantwortbare Weise ausgebeutet und gefährdet wird. Aus diesem Grunde haben wir in unseren Gesetzentwurf die Ausweitung von Grundwasserschongebieten hineingeschrieben. Das ist ein wesentlicher Fortschritt. Diese Regelung lehnt sich gedanklich an Vorschriften im österreichischen Wasserrecht an; sie stellt in der wasserrechtlichen Diskussion eine echte Novität dar.
Ich habe mich auf die Darstellung des Kerngehalts des Gesetzentwurfs der CDU/CSU-Fraktion beschränkt. Wir sind davon überzeugt - ich betone das noch einmal -, daß wir mit den Möglichkeiten dieses Gesetzentwurfs die Sanierung und Reinhaltung der Gewässer schneller, sachgerechter und wirksamer fördern und sicherstellen können, und zwar mit den Regelungen des Rahmenrechts, als dies die Regierungsvorlage verspricht. Wir gehen mit aller Aufgeschlossenheit in die Beratungen, wir werden neue Gesichtspunkte unvoreingenommen und sachgerecht prüfen. Die CDU/CSU-Fraktion -damit möchte ich schließen - läßt sich in der Sorge für eine menschenwürdige Umwelt von niemandem übertreffen.
({6})
Das Wort hat der Herr Staatsminister Dr. Merk, Bayern.
Dr. Merk, Minister des Landes Bayern: Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie erwarten wohl und mit Recht, daß auch ein Vertreter der Länder, die in dieser Frage mit der Bundesregierung in der Bewertung dieser Frage nicht einiggehen, hier bei der ersten Lesung das Wort nimmt. Ich möchte mich dabei auf sechs Anmerkungen zu dem anstehenden Fragenkomplex beschränken.
Erstens. Wer sich gegen das Vorhaben der Bundesregierung, die volle Gesetzgebungskompetenz im Wasserhaushalt zu fordern, ausspricht, ist von vornherein in einer schlechten Ausgangslage.
({0})
Ich möchte das gleich eingangs bemerken. Das ist deswegen der Fall, Herr Abgeordneter, weil es bewußt oder unbewußt gelungen ist, eine öffentliche Meinung zu fixieren, daß für sauberes Wasser sei, wer der Kompetenzverlagerung zustimmt, daß aber der bereit sei, eine weitere Verschmutzung hinzunehmen, der sich - natürlich aus „engstirnigem" Denken heraus - einer Kompetenzverlagerung widersetze.
({1})
- Ja, aber genau diese Erklärung macht deutlich,
daß es doch problematisch ist - wie auch der Herr
Staatsminister Dr. Merk
Bundesminister es getan hat -, mit dem Hinweis auf die öffentliche Meinung, die ja auch gesteuert und durch unsachgemäße Argumentationen einseitig festgelegt werden kann, zu Grundgesetzänderungen zu kommen.
({2})
Wer, wie in diesem Fall auch die Bundesregierung, mit Schlagworten arbeitet wie - ich zitiere eines -„Gewässer machen vor Ländergrenzen nicht halt", findet natürlich Applaus. Aber das ist noch kein Beweis für die innere Richtigkeit und für die Rechtfertigung der damit verbundenen Forderungen. Umweltschutz läßt sich nicht mit Emotionen betreiben,
({3})
und Grundgesetzänderungen sind keine Frage des Gefühls oder der Ergebnisse von Meinungsumfragen.
Den Ländern - das müssen Sie erkennen, meine sehr verehrten Damen und Herren - liegt mindestens ebensoviel an sauberen Gewässern und guten Umweltbedingungen wie dem Bund. Das beweisen auch die in der Öffentlichkeit oft leider zuwenig gewürdigten Leistungen und Anstrengungen der Länder und der Gemeinden auf diesem Gebiet. Es geht doch um die Belange ihrer eigenen Bürger in den Ländern und in den Gemeinden, es geht um die Entwicklung und die Sanierung der Lebensgrundlagen für die Menschen, die in den Ländern wohnen.
Zweitens. Die Länder haben bisher wiederholt bewiesen, daß sie zur Kooperation mit dem Bund bereit sind. Sie haben sich Grundgesetzänderungen noch nie verschlossen, wenn es im Interesse der einheitlichen Entwicklung notwendig war. Ich brauche vor diesem Hohen Hause nur auf das von Bund und Ländern gemeinsam erarbeitete Sicherheitskonzept und auf das Waffenrecht zu verweisen. Es gäbe ja inzwischen nicht schon ein 31. Gesetz, glaube ich, zur Änderung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wenn sich die Mehrheit der Länder oder eine qualifizierte Minderheit bisher stereotyp Änderungen jedweder Art verschlossen hätte.
({4})
- Herr Kollege, diese Änderungen verteilen sich über alle Jahre des Bestehens der Bundesrepublik. Sie betreffen Zeiten, in denen die CDU für die Bundesregierung verantwortlich war, ebenso wie Zeiten, in denen die SPD die Verantwortung für die Bundesregierung getragen hat.
Drittens. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, anzunehmen, daß zentrale Regelungen schon automatisch, bloß deswegen, weil es zentrale Regelungen sind, offene Probleme besser lösen. Es lassen sich genügend Beispiele dafür nennen, daß eine Zentralisierung Regelungen schwerfälliger macht, daß die Bürokratie damit entscheidend vermehrt wird, daß die Entwicklung gehemmt und eine rechtzeitige Anpassung an Veränderungen verhindert oder zumindest erschwert wird.
Ich habe heute mit großem Interesse in der Süddeutschen Zeitung von einer konzertierten Aktion der Bundesregierung im Verein mit London und
Paris gelesen, in der sich die Bundesregierung gegen finanzbürokratische Unsinnigkeiten zur Wehr setzen will - auf der EG-Ebene -, wo nach den Worten des Herrn Bundesfinanzministers der Irrsinn kritisiert wird bei den von Brüssel verbreiteten administrativen Verordnungen und Anordnungen - bis an die Grenze dessen, was gerade noch bewältigt werden kann -, wobei es sich um den Marktordnungsbereich handelt. Daß hier einheitliche Grundsätze, Prinzipien, Regelungen im Interesse der Einheitlichkeit, im Interesse der Wettbewerbsgleichheit notwendig sind, wird niemand bestreiten können. Trotzdem müssen wir beklagen, daß durch die Zentralisierung in der Regelung auch des letzten Details eine Bürokratie entsteht, die auf die Dauer nicht mehr verkraftet werden kann.
({5})
Das bundesstaatliche Prinzip, meine sehr verehrten Damen und Herren, gewährleistet demgegenüber ein breites Engagement. Es schafft eine - auch gesunde - Konkurrenz, es eröffnet Möglichkeiten einer differenzierten praxisnahen Entwicklung und gibt die wertvolle Chance des Vergleichs, aus der wir schon wiederholt - auch im Wasserhaushaltsbereich - Nutzen im Interesse des Ganzen gezogen haben. Die Länder bemühen sich seit Jahren erfolgreich, Entscheidungen nach unten zu verlagern und damit bürgernäher zu machen. Der gegenteilige Weg einer zunehmenden Zentralisierung auch in den Regelungen der Details, den die Bundesregierung derzeit geht - wir haben das heute nachmittag ja umfänglich erlebt -, ist nach unserer Überzeugung sicher im Interesse der Sache nicht richtig.
Viertens. Die Länder haben nie bestritten, daß im Bereich des Wasserhaushalts gewisse Grundsätze einheitlich im ganzen Bundesgebiet - und darüber hinaus nach Möglichkeit sogar auf europäischer Ebene - gelten müssen.
({6})
Die Länder haben hierfür auch seit Jahren übereinstimmend - ohne Rücksicht auf die jeweilige parteipolitische Orientierung der Mehrheiten - Vorschläge gemacht; sie haben Gesetzgebungsakte - manchmal sogar ohne Erfolg oder ohne zeitlich ausreichenden Erfolg - angeregt. Es trifft allein den Bund, daß rahmenrechtlich mögliche und von allen als notwendig erkannte und anerkannte Regelungen nicht längst getroffen sind. Die Bundesregierung hat sie mit einer von der Sache her nicht gebotenen Forderung nach einer Grundgesetzänderung gekoppelt und damit die möglichen Regelungen auf die lange Bank geschoben.
({7})
Alle jetzt notwendigen Änderungen des Wasserrechts lassen sich auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts erreichen. Dafür kann im Hinblick auf die vom Bund für die Notwendigkeit einer Änderung angeführten Argumente der Beweis angetreten werden. Und, Herr Bundesminister, Sie haben zwar in einer Reihe von Punkten Kritik an den detaillierten Regelungen des Entwurfs der Opposition geübt, aber der Inhalt Ihrer Kritik hat noch keiStaatsminister Dr. Merk
neswegs den Nachweis erbracht, daß nun eine andere differenzierte Regelung deswegen schon eine konkurrierende Gesetzgebung erfordern würde.
({8})
Einmal ist die Behauptung der Bundesregierung, internationale Verhandlungen und Vereinbarungen, etwa eine europäische Gewässerschutzkonvention, erforderten die umfassende Bundeskompetenz, nicht stichhaltig. Niemand bestreitet der Bundesregierung das Recht, internationale Verträge auf dem Gebiet des Wasserhaushalts zu schließen. Niemand kann aber auch den Ländern den Vorwurf machen, sie hätten ihrerseits internationale Vereinbarungen des Bundes für diesen Bereich nicht erfüllt.
Weiter: Alle Länder haben sich gegen Gewässergütestandards ausgesprochen - nicht etwa nur die CDU/CSU-regierten Länder , und zwar nicht wegen des Streits um die Kompetenz, sondern allein aus der Sorge heraus, daß die in den internationalen Verhandlungen sich abzeichnenden Minimalstandards einen Rückschritt bedeuten würden.
({9})
Wir wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine optimale Wassergüte, keine standardisierte und damit nivellierte und damit, zumindest regional, auch verschlechterte.
({10})
Dann: Die vom Bund geforderten Einleitungsstandards, im Gegensatz zu den Gewässergütestandards, sind nichts Neues. Die Länder haben seit Jahren Einleitungsstandards als Normalwerte eingeführt und sie auch laufend verbessert. Darüber hinaus sind sie ständig dabei, sie den Entwicklungen laufend anzupassen.
({11})
- Was die Geschwindigkeit angeht, Herr Abgeordneter, so gestatten Sie mir bitte meinerseits die Zwischenbemerkung, daß eine Bundeskompetenz und ein vom Bund einmal erlassenes Gesetz noch lange keine Garantie dafür sind, daß erforderliche Regelungen rechtzeitig getroffen werden.
({12})
Sie haben mich mit Ihrem Zuruf animiert, darauf kurz einzugehen. Ich erinnere an das Luftreinhaltungsgesetz, das wir, meine Damen und Herren, seit 1965 haben, das aber, da bis zur Stunde keine Durchführungsbestimmungen vorhanden sind, insgesamt nicht vollziehbar ist,
({13}) obwohl wir es seit 1965 haben.
({14})
Ich erinnere an das Gesetz zum Schutz gegen Baulärm, das wir ebenfalls seit 1965 haben. Bis zum Erlaß der notwendigen allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind fünf Jahre vergangen, und die zum Vollzug erforderlichen Richtwerte liegen bis zur Stunde noch nicht vollständig vor,
({15})
so daß wir auch da eine Verzögerung im Vollzug haben. Ich könnte hier noch einige weitere Beispiele anführen.
({16})
Das mögliche Gefälle, meine sehr verehrten Damen und Herren, das sich in der Beschleunigung der Einführung notwendiger Regelungen zwischen den Ländern vielleicht ergeben mag, hat aber auch den unschätzbaren Vorteil, daß ein Land kurzfristig, schnell und beispielgebend vorangehen und damit alle anderen mehr oder weniger - moralisch oder sonstwie - zwingen kann, nachzuziehen, während man bei einer bundeszentralen Kompetenz eben warten muß, bis bei dem verständlichen Zwang zum Ausgleich und zum Nivellieren vielleicht doch einmal eine Regelung wird gefunden werden können.
({17})
Der CDU/CSU-Entwurf sieht im übrigen die Verankerung dieser Einleitungsstandards im Wasserhaushaltsgesetz auch vor, wobei über das Detail sicherlich noch geredet werden muß; das bestreite ich am wenigsten.
Schließlich: Für die Lagerung wassergefährdender Stoffe enthalten die §§ 26 und 34 des Wasserhaushaltsgesetzes bereits jetzt allgemein verbindliche Grundsätze. Die Ausführungsvorschriften hierzu haben die Länder in ihren Lagerverordnungen nach gegenseitiger Absprache weitestgehend vereinheitlicht. Wenn wir uns in den früheren Beratungen, auch im Bundesrat, gegen die Aufnahme derartiger Bestimmungen in das Wasserhaushaltsgesetz ausgesprochen haben, dann nicht deshalb, weil wir die Möglichkeit bestritten hätten, Herr Bundesminister, daß das nach Art. 75 des Grundgesetzes rahmenrechtlich geregelt und gelöst werden kann, sondern deshalb, weil wir das auch für die Regelungen nach Art. 75 vorgeschriebene Bedürfnis des Art. 72 des Grundgesetzes dafür verneint haben. Aber, bitte, das ist für uns kein Glaubensbekenntnis. Wenn die übereinstimmende Meinung dahin geht, daß das im Wasserhaushaltsgesetz auf jeden Fall verankert werden muß, dann stehen wir dem nicht im Wege; rahmenrechtliche Probleme ergeben sich daraus in keiner Weise.
Hier darf ich für die Länder in Anspruch nehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß sie sehr früh und - auch gegen mächtige Interessen der Wirtschaft - sehr strenge Vorschriften erlassen haben. Daß der wesentliche Inhalt dieser Vorschriften auch bundeseinheitlich geregelt werden kann, wird - ich sagte das schon von niemandem bestritten. Der CDU/CSU-Entwurf bringt dazu nach unserer Meinung einen sehr praktikablen Vorschlag.
Und letztlich: Die von der Bundesregierung geforderte Abwasserabgabe kann gleichfalls rahmen3322
Staatsminister Dr. Merk
rechtlich geregelt werden. Darüber sind sich alle Fachleute, ausgenommen die des Bundesinnenministeriums, einig. Den Nachweis hierfür erbringt auch insoweit der CDU/CSU-Entwurf. Es sollte allerdings in den Ausschüssen eingehend geprüft werden, welche Vorteile sich durch eine Abwasserabgabe für den Umweltschutz erzielen lassen. Dabei betone ich ausdrücklich, daß etwaige Bedenken, die wir in diesem Zusammenhang haben, nicht den wirtschaftlichen Bereich, sondern ausschließlich den kommunalen Bereich betreffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine leidenschaftslose, exakte rechtliche Betrachtung kommt mithin zu dem Ergebnis, daß die berechtigten Forderungen für den Gewässerschutz rahmenrechtlich realisiert werden können. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben bereits darauf hingewiesen, daß viele meiner Freunde von der CDU früher eine Grundgesetzänderung für erforderlich gehalten hätten. Allerdings geschah dies - und darauf möchte ich doch verweisen - mit der Einschränkung, daß hierfür durch einen gleichzeitig vorzulegenden Gesetzentwurf der Nachweis der Notwendigkeit erbracht wird. Der nunmehr vorliegende Entwurf der CDU/CSU-Fraktion dieses Hohen Hauses führt nach unserer Ansicht den Nachweis, daß die für erforderlich gehaltenen Regelungen, die im Bundesgebiet einheitlich gelten sollen, auch ohne Übertragung der Vollkompetenz getroffen werden können.
Fünftens. Ich bin davon überzeugt, daß alle Politiker in Bund und Land, in allen Parteien sich in dem sachlichen Anliegen einig sind. Darum sollten wir auch sofort handeln und nicht durch überzogene Kompetenzforderungen, durch Polemik und emotionelle Argumentation die gemeinsame Arbeit erschweren. Pauschale Abqualifizierungen durch die Bundesregierung, daß die - ich zitiere mit der Erlaubnis der Frau Präsidentin - „Wasserbehörden der Länder bis heute nicht in der Lage gewesen sind, die zur Reinhaltung unserer Gewässer erforderlichen Maßnahmen durchzusetzen", wie es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, die Abwasserklärung betreffend, ausgeführt wurde, muß ich im Interesse aller Länder als Mitglied des Bundesrates zurückweisen. Wir haben z. B. in Bayern bei der Seenreinhaltung mit dem von uns entwickelten Prinzip der Ringkanalisationen Leistungen vollbracht, die von Fachleuten in der ganzen Welt als Vorbild und Maßstab genommen werden.
({18})
Wir haben Maßnahmen durchsetzen können, über die wir eine Verbesserung der Gewässergüte in den oberbayerischen Seen erreicht haben, von denen es vor wenigen Jahren noch geheißen hat, daß sie für den Gemeingebrauch nicht mehr tauglich seien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eines muß hier doch in aller Deutlichkeit gesagt werden: Für einen optimalen Gewässerschutz braucht die öffentliche Hand sicher ein gutes und ausreichendes rechtliches Instrumentarium. Neben einer starken Verwaltung ist aber die finanzielle Seite dieser Angelegenheit, wie ich meine, ebenso wichtig, wenn nicht gar noch wichtiger. Wenn der Bund glaubt und ich möchte dem eigentlich nicht widersprechen -, daß rasch erheblich mehr Mittel zur Verfügung stehen müßten, und wenn er sich in der Lage sehen sollte, Mittel hierfür frei zu machen, dann kann das Heil doch nicht nur in einer Kompetenzverlagerung liegen. Es muß dann der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern entsprechend verbessert werden. Wo kämen wir hin, meine Damen und Herren, wenn wir die Zuständigkeiten nur nach dem finanziellen Spielraum und Leistungsvermögen der einzelnen Partner im öffentlichen Bereich verteilen wollten?!
({19})
Der Bund könnte die Länder und die Länder könnten dann die Kommunen aufgabenmäßig aushungern. Das Geld muß den Aufgaben folgen und nicht umgekehrt.
({20})
Sechstens. Die Pflicht zu bundestreuem Verhalten darf nicht nur einseitig zu Lasten der Länder gehen. Auch der Bund seinerseits ist verpflichtet, Eingriffe in die Länderkompetenzen auf das der Sache nach notwendige Maß zu beschränken. Ich bedauere es, daß die Bundesregierung bisher nicht ernsthaft geprüft hat, inwieweit den Anliegen des Gewässerschutzes auch nach geltendem Verfassungsrecht entsprochen werden kann.
Meine Damen und Herren, ich warne vor dem Trend zu einer zunehmend zentralen Steuerung aller Lebensbereiche, nicht, weil wir in kleinkarierter Weise auf Landeskompetenzen um ihrer selbst willen pochen. Ich warne aus einer Sorge heraus, die uns alle bewegen muß. In unserer Verfassung wird aus guten Gründen die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Wer die Eigenstaatlichkeit der Länder auf Dauer und in zunehmendem Maße aushöhlt, der stellt letztlich jede Selbstverantwortung und Selbstverwaltung in Frage. Auch im Bereich der Selbstverwaltung akzeptieren wir aus dem Wissen um den höheren Wert einer breit verlagerten Mitverantwortung gewisse Unterschiedlichkeiten der Entwicklung, obwohl auch hier gesagt werden könnte, daß einheitliche Regelungen im Interesse einer vergleichbaren Entwicklung allüberall wünschenswert wären. Eine verordnete Einheitlichkeit ist nicht das höchste aller erstrebenswerten Güter in unserer demokratischen und auf förderativen Prinzipien basierenden Gesellschaft.
({21})
Wem es mit einer lebendigen Demokratie ernst ist, der muß sich mit einem Minimum an unerläßlicher Steuerung von oben oder von einer Zentrale aus begnügen.
Das gilt auch für den Bereich des Wasserhaushalts und der Wasserwirtschaft. Ich bitte sehr, meine Damen und Herren, der Versuchung zu widerstehen, einem modischen Trend folgend wieder einmal in das Gefüge der ohnehin schon nicht mehr ausbalancierten Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern einzugreifen. Die Anregungen der Länder in den früheren Beratungen ebenso wie der CDU/CSU-Gesetzentwurf beweisen, daß die zu einer einStaatsminister Dr. Merk
heitlichen Regelung anstehenden Probleme auch mit rahmenrechtlichen Bestimmungen bestens gelöst werden können. Dazu hat der Bund bislang schon die uneingeschränkte Möglichkeit; er möge davon bitte endlich Gebrauch machen.
({22})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Merk, Sie haben einleitend von Meinungsmache gesprochen. Ich glaube, wer um den Zustand der Gewässer weiß, der weiß auch, daß hier in der Bundesrepublik Deutschland von Meinungsmache bezüglich der Gewässergüte nicht mehr gesprochen zu werden braucht. Denn wer gerade in den letzten Wochen bei dem Niedrigwasserstand an einem Fluß oder einem See spazierengegangen ist, konnte augenfälligst feststellen, in welch schlechtem Zustand sich leider unsere Oberflächengewässer befinden. Dieser Zustand der Oberflächengewässer in der Bundesrepublik hat sich in den letzten Jahren sogar noch weiter verschlechtert.
({0})
- Nun, ich werde im Laufe meiner Ausführungen auch auf den Fluß zu sprechen kommen, an dem ich lebe. Da haben wir zur Zeit den Zustand der Güteklasse III. Wer ein bißchen von dieser Materie versteht, weiß, daß man da von keinem guten Wasserzustand reden kann.
Mit der Zunahme der Abwässer aus Industrie und Haushalt hat der Bau von Kläranlagen nicht Schritt gehalten. Die Perspektive für die ausreichende Versorgung unserer Bevölkerung mit einwandfreiem Trinkwasser muß als besorgniserregend bezeichnet werden. Sie macht umgehende einschneidende Maßnahmen der Gewässersanierung unumgänglich.
Der Wasserverbrauch ist in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Allein der Wasserbedarf der Industrie hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu verdreifacht. In der Zukunft ist mit einem noch größeren Bedarf zu rechnen. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge von rund 200 Milliarden Kubikmetern im Jahr reicht schon heute nicht mehr aus, die Grundwasserreserven aufzufüllen. Die zunehmende Bebauung und die damit verbundene Versiegelung der Erdoberfläche verschärft besonders in den Ballungsgebieten noch die kritische Situation der Grundwasserreserven. Bereits heute werden 40 % des gesamten Bedarfs an Trinkwasser aus Oberflächenwasser, d. h. aus unseren stark verschmutzten Flüssen und Seen, entnommen. Jeder künftige Bedarf kann nach Meinung der Fachleute nur noch aus dem Oberflächenwasser gedeckt werden.
Das macht deutlich, welche überragende Bedeutung der Sauberhaltung und der Sanierung unserer Oberflächengewässer zukommt. Eine weiter fortschreitende Verschmutzung unserer Flüsse und Seen droht in absehbarer Zeit die Trinkwassergewinnung vor technisch unlösbare Probleme zu stellen, ganz abgesehen von den damit verbundenen Kosten.
Wer Wie ich seit seiner Geburt an einem Fluß gelebt hat - in meinem Falle an der Donau -, der hat am augenfälligsten die unerfreuliche Entwicklung miterlebt. In meiner Jugendzeit konnten wir das Donauwasser noch trinken. Heute kann man nicht einmal mehr darin baden. Wenn ich daran denke, daß die Donau in den nächsten Jahren zu einem Kanal umgebaut wird, wenn die Fließgeschwindigkeit der Donau wesentlich verringert wird, dann kann man sich heute schon ausrechnen, wann der Zeitpunkt erreicht ist, in dem die Güteklasse III der Donau in die Güteklasse IV umgewandelt wird.
Tatsache ist, daß dieser bedrohliche Zustand durch das bisher geltende Wasserrecht nicht verhindert werden konnte. Bereits im Jahre 1971 hat die Bundesregierung in ihrem Umweltprogramm wirksame Maßnahmen angekündigt und mit der Vorlage der Vierten und der Fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz den Versuch unternommen, der Schwierigkeiten Herr zu werden. Die Verabschiedung dieser beiden Novellen ist jedoch vor allem am Widerstand der CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat gescheitert.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der 7. Legislaturperiode begrüßt es deshalb, daß die Bundesregierung ihre Vorstellungen zusammengefaßt als Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz ohne Verzögerung im Bundestag wieder eingebracht hat. Das Gesetz schafft im wesentlichen einheitliche Regelungen für das Lagern wassergefährdender Stoffe, bringt Bestimmungen zur Festlegung eines bundeseinheitlichen Gewässergütestandards und berechtigt die Bundesregierung zur Festlegung von Mindestanforderungen an das Einleiten von Stoffen in die Gewässer. Es sieht ferner Regelungen zur Sicherung von Planungen für Vorhaben der Wassergewinnung und des damit möglichen Erlasses einer Veränderungssperre für Flächen des wasserwirtschaftlichen Bedarfs vor, was meiner Meinung nach dringend erforderlich ist.
Von maßgeblicher Bedeutung sind darüber hinaus die Ausweitung und die Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften bei vorsätzlicher Gewässerverunreinigung. Diese Maßnahmen sind im Interesse der Allgemeinheit nur zu begrüßen; denn Beschädigungen der Umwelt sind keine Kavaliersdelikte und müssen als kriminelle Delikte hart bestraft werden.
({1})
Alle diese geplanten Maßnahmen des Gesetzgebers setzen allerdings die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes voraus. Es ist deshalb bedauerlich, daß die Opposition entgegen vielfachen Ankündigungen in ihrem Wahlprogramm und anderswo der erforderlichen Verfassungsänderung ihre Zustimmung versagen will und damit alle Bemühungen der Bundesregierung in Frage stellt. Zu diesem Komplex wird mein Kollege Konrad noch einiges zu sagen haben.
Mit dem in aller Eile von der Opposition vorgelegten eigenen Gesetzentwurf, der nur von der Rah3324
Wittmann ({2})
mengesetzgebungskompetenz des Bundes ausgeht, wird offenkundig, daß es dem Sprecher der konservativen deutschen Südstaaten, Franz Josef Strauß, erneut gelungen ist - ({3})
- Das ändert aber nichts daran, Herr Kollege Stücklen, daß der Widerstand gegen die Grundgesetzänderung von Bayern und von Baden-Württemberg ausgeht.
({4}) Das ist ein Tatbestand und nicht wegzuleugnen,
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und Bayern steht bekanntlich - für mich jedenfalls
- Franz Josef Strauß vor.
({6})
- Ja, das wird sich vielleicht in Kürze in Bayern ändern; das sollten wir abwarten.
({7})
- Herr Kiechle, damit können Sie mich doch nicht beeindrucken. Tatsache ist, daß die Leute, die das „Geschäft" verstehen, die das Wasserrecht kennen, jahrelang von der Bundeskompetenz ausgegangen sind.
({8})
- Schade, daß Herr Dr. Schneider nicht mehr da ist. Ich erinnere mich daran, daß wir vor etwa eineinhalb Jahren mit dem Innenausschuß in München bei Herrn Staatsminister Merk waren. Dabei ging es um die Frage einer Grundgesetzänderung. Damals haben Ihre Leute unmißverständlich erklärt, daß man zwar über eine Grundgesetzänderung zum Wasserrecht ohne weiteres reden könne, daß aber eine Grundgesetzänderung im Naturschutzbereich für Bayern indiskutabel sei. Das ist doch der Tatbestand.
({9})
Meine Damen und Herren, die einsichtigeren Politiker der Unionsparteien haben, so meine ich, leider wieder einmal eine Schlappe erlitten. Den Schaden werden wir alle zu tragen haben.
Da neben der CSU auch die baden-württembergische CDU maßgeblichen Widerstand gegen die not- wendige Verfassungsänderung leistet, liegt der Verdacht nahe, daß diese beiden sogenannten Oberlieger auch aus eigennützigen Motiven jede bundeseinheitliche Regelung verhindern. Wasser fließt bekanntlich bergab und macht an den Landesgrenzen nicht halt.
({10})
Mit der Schmutzfracht, die in diesen Ländern in die Flüsse gelangt, müssen sich im weiteren die jeweiligen Nachbarländer als Unterlieger befassen. Wir wissen, daß aus dem Rhein heute noch Trinkwasser bezogen wird. Die Verschmutzung des Rheins, die von den Oberliegern verursacht wird, muß dann eben von den Unterliegern wieder beseitigt werden.
Wir meinen, wirksamer Gewässerschutz muß in allen Ländern nach gleichen gesetzlichen Regeln, nach gleicher Verwaltungspraxis und nach gleicher Justiz ausgeübt werden. Meine Damen und Herren, wenn das nicht geschieht, werden die gewerblichen Betriebe, die immer noch zu einem erheblichen Teil für die Verschmutzung unserer Gewässer verantwortlich sind, in diejenigen Länder gehen, in denen die geringsten Auflagen gemacht werden. Die Industrie wird die ihr dort eingeräumten Vorteile wahrnehmen. Man kann und darf derartigen Betrieben gegenüber Konkurrenzunternehmen keinen Kostenvorsprung einräumen.
({11})
Das sind wir all denen schuldig, die unter großem finanziellen Aufwand ihren Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten.
({12})
Meine Damen und Herren, wir begrüßen es deshalb auch, daß die Bundesregierung, ergänzend zum Wasserhaushaltsgesetz, ein Abwasserabgabegesetz vorbereitet, nach dem unter konsequenter Anwendung des Verursacherprinzips die sogenannten Einleiter je nach der Menge und der Schädlichkeit der abgeleiteten Flüssigkeit zu einer Abwasserabgabe herangezogen werden sollen.
({13})
- Sie sagen „sehr richtig". Ihr Entwurf wird, wenn ich ihn richtig verstehe und richtig gelesen habe, in der Praxis überhaupt erst 1980 wirksam. Das muß man wissen,
({14})
- Herr Dr. Gruhl, schauen Sie Ihre Tabelle an. Wenn Sie diese Tabelle hochrechnen, werden Sie sehen, daß die Maßnahmen in Wirklichkeit erst 1980 wirksam werden.
({15})
- Darüber werden wir uns im Ausschuß unterhalten.
Wir sind davon überzeugt, daß auf Grund dieser Abwasserabgabe das ökonomische Interesse der Abwassereinleiter am Bau und am Betrieb von Kläranlagen steigt. Auch diese Abwasserabgabe kann nur bundeseinheitlich gestaltet werden, da andernfalls unerwünschte Wettbewerbsverzerrungen und Standortverlagerungen die Folge wären. Es muß auch im wohlverstandenen Interesse der Industrie liegen,
Wittmann ({16})
in dem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, das die Bundesrepublik Deutschland darstellt, einheitlichen Belastungen unterworfen zu sein. Dies ist eben nur über eine bundeseinheitliche Regelung möglich.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Inhalt des Regierungsentwurfes machen.
Als wichtige Verbesserung betrachte ich die neuen Vorschriften über das Lagern wassergefährdender Stoffe. Hiernach soll die Bundesregierung ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung einheitliche technische Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zum Lagern wassergefährdender Stoffe zu schaffen. Aus der Natur solcher technischer Rechtsverordnungen ergibt sich, daß auch diese Bestimmungen nur bundeseinheitlich abgefaßt werden können. Der dem Gesetzentwurf beigefügte ausführliche Katalog wassergefährdender Stoffe macht uns deutlich, von welcher Unzahl von Stoffen unser Wasser und damit unsere Gesundheit bedroht sind. Wenn Sie einen Vergleich der Anlage zum Regierungsentwurf mit Ihren in § 19 g formulierten zusammengefaßten Vorstellungen anstellen, dann wird Ihnen sehr schnell der Unterschied zwischen der Regierungsvorlage und Ihrem Entwurf deutlich.
Das Kernstück des Gesetzentwurfs bilden die Vorschriften der §§ 26 a bis 26 c. Sie setzen einheitliche Merkmale fest, nach denen der Gütezustand eines Gewässers bestimmt werden kann, so daß Gewässer, die diesen oder einen besseren - wenn sich Bayern vielleicht beklagen sollte - Zustand haben, erhalten, aber Gewässer mit schlechterer Beschaffenheit saniert werden müssen.
Weiter enthält der Gesetzentwurf Vorschriften über die Anforderungen, die an Stoffe zu stellen sind, welche in Gewässer eingeleitet werden.
Gerade gegen diese Vorschriften der §§ 26 a bis 26 c ff. richtet sich vor allem der Widerstand der Opposition. Sie ist der Ansicht, daß die Vorschriften der §§ 26 a und 26 c ersatzlos zu streichen seien und ihr Vorschlag in § 18 a Abs. 2 eine Regelung anzubieten in der Lage sei. Diese Regelung wird aber den Erfordernissen eines modernen und wirksamen Gewässerschutzes in keiner Weise gerecht.
Durch den Hinweis in § 18 a des Oppositionsentwurfs auf die Normalwerte der Länder würde die Gewässerreinigung praktisch auf der Ebene der nur biologischen Klärung eingefroren werden. Im Hinblick auf die Trinkwassergewinnung aus Oberflächengewässern ist ein vollbiologische Klärung nach übereinstimmendem Urteil aller Fachleute aber nicht ausreichend. Die größte Sorge bereiten vielmehr die schwer abbaubaren Stoffe, insbesondere Schwermetalle, die nur mit einer chemischen Reinigungsstufe entfernt werden können. Zwar läßt der Oppositionsentwurf den Ländern die Möglichkeit, hierüber Vorschriften zu erlassen. Doch würde ein solches Verfahren wiederum nach Ländern verschiedene Anforderungen bringen und einen wirksamen Gewässerschutz verhindern.
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- Zwischen den Ländern? Das wäre ja ganz schlimm.
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- Das hat doch mit dieser konkreten Frage der
einheitlichen Regelung nichts zu tun, wenn wir fragen, ob wir eine chemische Klärung brauchen.
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Wo Trinkwasser entnommen werden muß, muß eben eine chemische Kläranlage geschaffen werden. Aber das muß dann im gesamten Bundesgebiet einheitlich geregelt werden.
Herr Kollege Wittmann, Sie haben Ihre Zeit schon eine Weile überschritten. Wollen Sie bitte zum Ende kommen.
Ich komme gleich zum Schluß.
Auf eine bundeseinheitliche Regelung gerade dieser Fragen kann unter keinen Umständen verzichtet werden. Wir sollten angesichts der immer rascher fortschreitenden Entwicklung keine Zeit verlieren und die Beratungen der Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz aufnehmen. Die Vorarbeiten, die der Innenausschuß bereits geleistet hat - ich denke hier insbesondere an das Hearing vor dem Ausschuß -, werden uns helfen, die Gesetzgebungsarbeiten zu einem guten Ergebnis zu bringen, um so mehr, als ich heute in der „Süddeutschen Zeitung" nachlesen konnte, daß der Kollege Vogel die Auffassung vertritt, daß wir bei den Beratungen zu einem guten Kompromiß werden kommen können, und als Sie dort auch die Auffassung vertreten haben, wenn es ohne Grundgesetzänderung nicht geht, könnte man auch über diese Frage miteinander reden. Das läßt mich hoffen, daß ein gutes Ergebnis erzielbar wird.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr bayerische Staatsminister des Innern hat schon deutlich gemacht, daß, wer die Diskussion um die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Verbesserung des Gewässerschutzes verfolgt, den Eindruck gewinnen könnte, daß das Heil einzig und allein in der Beantwortung der Frage zu suchen ist, ob der Bund die gesetzgeberische Vollkompetenz für das Wasserhaushaltsrecht übertragen erhält oder nicht.
({0})
Vogel ({1})
- Na ja, wenn wir mal politische Archäologie betreiben, Herr Kolleg e Liedtke, kommt noch manches zum Vorschein.
({2})
Meine Damen und Herren, ob der Kampf gegen die Verschmutzung unserer Flüsse und Seen und gegen die Gefährdung des Grundwassers erfolgreich sein wird, hängt in allererster Linie davon ab, wie der Vollzug der wasserrechtlichen Bestimmungen aussieht und ob die erforderlichen finanziellen Mittel eingesetzt werden.
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Eben, Herr Kollege Schäfer; genau das ist mein nächster Satz. Der Vollzug ist und bleibt nach allen Vorschlägen Sache der Länder, und zwar unabhängig davon, wie die Gesetzgebungskompetenzen verteilt sind.
Der Giftmüllskandal in Hessen ist nicht eine Folge unzureichender gesetzlicher Bestimmungen, auch wenn der neugewählte Fraktionsvorsitzende der SPD im hessischen Landtag versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Er kann es auch nicht besser wissen; denn er ist in sechs Jahren der sechste Fraktionsvorsitzende der SPD im hessischen Landtag. Dieser Giftmüllskandal in Hessen ist einzig und allein darauf zurückzuführen, daß es einen unzulänglichen Vollzug der durchaus ausreichenden gesetzlichen Bestimmungen gegeben hat.
({4})
Aufgabe der Gesetzgebung ist es, die rechtlichen Vorschriften für einen optimalen Gewässerschutz zu schaffen. Der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Entwurf enthält alle Vorschriften, die für einen solchen optimalen Gewässerschutz erforderlich sind. Wir hoffen, daß der Herr Bundesminister des Innern noch einmal repetiert, um nicht auf eine so oberflächliche Beurteilung angewiesen zu sein, wie wir sie heute hier gehört haben. Das gilt vor allem für die Vorschläge unseres Entwurfs, denen entsprechende im Regierungsentwurf nicht gegenüberstehen.
({5})
Wir sind der Überzeugung, daß sich alle von uns vorgeschlagenen Regelungen innerhalb der bestehenden Rahmenkompetenz des Bundes halten,
({6})
daß es also insoweit einer Vollkompetenz des Bundes nicht bedarf.
Wir sind auf Wahlversprechen angesprochen worden. Meine Damen und Herren, der Kern unserer Wahlaussage war, daß wir für optimalen Gewässerschutz eintreten wollen.
({7})
Dazu stehen wir, und hier lassen wir uns von niemand in diesem Hause übertreffen, nicht einmal vom Bundesminister des Innern.
({8})
Die Bundesregierung geht in ihren Vorlagen davon aus, daß eine ausreichende rechtliche Regelung der wichtigen wasserwirtschaftlichen Fragen nur möglich ist, wenn der Bund die Vollkompetenz auf dem Gebiet des Wasserhaushalts erhält. Die kontroverse Frage, um die es sich hier handelt, die leider - muß ich sagen - mehr emotional als sachlich und mit viel Polemik behandelt wird, darf weder so noch so leichtfertig beantwortet werden. Ich sage mit Bedacht: weder so noch so. Wir sollten uns doch gegenseitig bestätigen, daß es jeder Seite dieses Hauses darum geht, alle uns möglichen Anstrengungen zum Schutz unserer Gewässer zu unternehmen. Nur in der sachlichen Auseinandersetzung mit dem Entwurf der CDU/CSU wird sich zeigen können, ob die Bundesregierung ihren Standpunkt zur Frage der Übertragung der Vollkompetenz auf den Bund aufrechterhalten kann.
({9})
Es wäre falsch und geradezu schädlich, wenn ohne zwingende Notwendigkeit eine weitere Kompetenz zu Lasten der Länder auf den Bund übertragen würde. Diese Auffassung entspricht unserem Verständnis vom föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland. Wenn ich manche Argumente, die heute gebracht worden sind, für bare Münze nähme, müßten wir zu dem Schluß kommen, die Länder lieber heute als morgen abzuschaffen. Ich glaube, diese Konsequenz will doch auch von Ihnen, wie ich hoffe, niemand ziehen.
({10})
Selbstverständlich werden wir uns bei der Beratung in den Ausschüssen gründlich - ich sage: gründlich mit der Auffassung der Bundesregierung auseinandersetzen. Die gleiche Haltung erwarten wir aber auch von der Koalition gegenüber unseren Vorstellungen. Hier darf es nicht um Rechthaberei gehen, sondern einzig und allein darum, wer recht hat.
({11})
Wer die Vollkompetenz für den Bund wünscht, muß nachweisen, da die bestehende Rahmenkompetenz nicht ausreicht. Eins möchte ich sagen: Ergebnisse von Meinungsumfragen sind kein geeignetes Beweismittel.
({12})
Ob beim Streit um die Kompetenzänderung die Haltung des alles oder nichts am Ende aufrechtzuerhalten ist, werden die Beratungen ergeben müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Liedtke?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege Vogel, trotz der späten Stunde reizt es mich, Sie folgendes zu fragen. Kennen Sie den Verfasser und den Standort folgender Formulierung: „Die CDU wird die GrundgesetzLiedtke
änderung unterstützen, um dem Bund die Vollkompetenz für die Wasserhaushaltsgesetzgebung zu übertragen"? Ich darf Ihnen behilflich sein: Wahlprogramm der CDU vorn 27. September 1972. Ich will nur verhindern, daß Sie untertreiben.
Herr Kollege, dieses Nachhilfeunterrichts hätte es nicht bedurft; denn wenn ich es nicht gewußt hätte, hätte ich es heute nachmittag schon einige Male erfahren können. Neuigkeitswert hat die Frage, die Sie stellen, offenbar auch in der heutigen Debatte überhaupt nicht, Herr Kollege Liedtke.
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal sagen: Ob beim Streit um die Kompetenzänderung die Haltung des alles oder nichts am Ende aufrechtzuerhalten ist, werden die Beratungen ergeben müssen. Wir, die CDU/CSU, bringen für diese Beratungen die Bereitschaft mit, uns mit allen sachlichen
sachlichen! - Argumenten gründlich auseinanderzusetzen.
({0})
Unabhängig von unseren unterschiedlichen Ausgangspunkten sollten wir uns auf allen Seiten die Souveränität bewahren, für bessere Einsichten offen zu sein. Für die Beratungen ist es nicht gut, wenn bereits vorweg das Gespenst einer nicht erträglichen Niederlage unserer föderativen Demokratie für den Fall, daß der Bund die Vollkompetenz nicht erhält, beschworen wird. Ich will nicht hoffen, daß es irgend jemanden gibt, der eine Kompetenzänderung
1 an sich bereits für eine Reform hält.
({1})
Der Glaube an die Bundeskompetenz als eine Art Allheilmittel hat ohnehin gerade unter Fachleuten stark gelitten. Es wäre sehr verlockend, einmal der Frage, die Herr Minister Merk bereits angeschnitten hat, näher nachzugehen, was denn der Bund aus den ihm bislang schon übertragenen Vollkompetenzen gemacht hat.
({2})
Dies ist heute die erste Lesung. Entschieden wird in der zweiten und dritten Lesung. Deshalb stimmen wir der Überweisung an die Ausschüsse zur Beratung der Vorlagen zu.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Herren! Ich möchte mich zunächst bei der Opposition dafür bedanken, daß sie durch die Einbringung eines eigenen Entwurfs wenigstens den Versuch unternommen hat, die Debatte zum Wasserhaushalt nicht ausgerechnet zu einer trockenen werden zu lassen; aber die Fülle dieses Raumes zeigt, daß dieser Versuch nur unvollständig gelungen zu sein scheint.
({0}) - Auf allen Seiten des Hauses, Herr Kollege Miltner. Aber ich spreche überwiegend zu Ihnen, weil es darum geht, Sie in dieser Debatte davon zu überzeugen, daß wir in der Tat im Bereich des Wasserhaushaltes ohne eine Vollkompetenz des Bundes nicht zu den sachlichen Ergebnissen kommen werden, die wir offenbar alle gemeinsam in diesem Hause erstreben.
Da Herr Kollege Biechele vorhin ausgeführt hat, daß sich die Regelungen des Wasserhaushaltsgesetzes im wesentlichen bewährt hätten, muß ich sagen: damit befinden Sie sich in einer sehr kleinen Gesellschaft. Ich darf darauf hinweisen, daß Professor Salzwedel in dem Hearing des Innenausschusses und des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit dazu darauf hingewiesen hat, daß die katastrophale Verschmutzung der Oberflächengewässer nach elf Jahren Ausführung des Bundesgesetzes gezeigt hat, daß der Wille des Gesetzgebers vom Jahre 1957, jedenfalls im Ergebnis, offen brüskiert worden ist. Das heißt, die Sachverständigen sind offenbar anderer Meinung, was die Bewährungsprobe des bisherigen WHG angeht, was nicht bedeuten soll, daß wir eine Totalrevision haben müßten.
({1})
Genau das. Wir werden gleich sehen, Herr Kollege, daß es von Ländern und Gemeinden nicht angewendet worden ist. Ich werde mich gerade darum bemühen, Ihnen nachzuweisen, warum das so war; denn das ist der Ausgangspunkt der Überlegung, warum wir glauben, nicht weiterhin mit der Rahmengesetzgebung auszukommen.
Ich habe den Eindruck, daß wir hier in Wirklichkeit nicht eine Debatte des Umweltschutzes führen, sondern eine Debatte über den Föderalismus und ein modernes Verständnis des Föderalismus in der Bundesrepublik. Wir waren sehr neugierig oder sehr gespannt auf die Rede von Staatsminister Merk. Ich muß sagen, ich bin enttäuscht darüber; denn er hat im wesentlichen das vorgetragen, was er in einem Schreiben vom 12. Oktober vorher einem Teil der Mitglieder dieses Hauses schriftlich mitgeteilt hat. Ich bedaure, daß dieses Schreiben nicht an alle Mitglieder dieses Hauses gegangen ist, weil wir uns dann gemeinsam früher hätten davon überzeugen können, daß hier nur die bereits bekannten Bundesratsargumente wiederholt werden.
Das wesentliche Kriterium dieser Ausführungen lag darin, daß er sich nicht an die Regelungen des
Wasserhaushaltsgesetzes hielt, sondern daß er vom
Abstrakten her versucht hat nachzuweisen, daß wir nur eine Rahmenkompetentz benötigten. Herr Kollege Vogel, niemand hat hier behauptet, daß eine zentrale Regelung, wie Minister Merk glaubte, automatisch besser sei.
({2})
Niemand behauptet das, sondern man muß im einzelnen am Sachverhalt des Wasserhaushaltsrechtes
nachweisen, warum eine konkurrierende Gesetz3328
gebung notwendig ist. Ich wäre dankbar, wenn wir diese Diskussion nicht im Abstrakten führten, sondern wenn da etwas mehr die Argumente berücksichtigt würden, die in dem Hearing von den Sachverständigen vorgetragen worden sind; Ihnen allen liegt ja das Protokoll dieses Hearings in handlich gedruckter Form vor.
({3})
Ich halte es auch gar nicht für emotionell gefärbt, wenn man darauf hinweist, daß Wasser an den Ländergrenzen nicht haltmacht. Es ist tatsächlich so, es ist also gar kein Grund, sich darüber aufzuregen, wenn das noch einmal betont wird.
Herr Kollege Biechele, Sie haben im einzelnen vorgetragen, daß in dem Entwurf der Opposition Ihrer Meinung nach ein Bündel ganz neuer Maßnahmen vorgesehen sei. Ich möchte das etwas einschränken. Es sind neue Gesichtspunkte gegenüber denn geltenden Wasserhaushaltsrecht enthalten, aber es sind nur zu einem Teil neue Gesichtspunkte gegenüber dem Regierungsentwurf. In weiten Teilen stimmt - das kann einen hoffnungsfroh machen Ihr Entwurf mit der Regierungsvorlage überein, aber eben nicht in den wesentlichen, auf die es uns ankommt. Ich will das gleich begründen.
Es geht um mehrere Gesetzentwürfe gleichzeitig: Regierungsentwurf, Oppositionsentwurf und Referentenentwurf des Wasserabgabengesetzes. Herr Kollege Biechele, Ihre Rüge, daß Ihnen dieser Entwurf nicht vorliege, ist offenkundig unzutreffend; denn der Referentenentwurf liegt Ihnen oder jedenfalls Ihrer Fraktion genauso wie allen Fraktionen dieses Hauses seit Mitte des Jahres vor. Genauso liegt er den Ländern vor, was ja notwendig ist, wenn man eine einheitliche Regelung erreichen will.
({4})
- Herr Kollege, Sie wissen genau, daß das Wasserabgabengesetz beruht und beruhen muß auf einer Änderung des Grundgesetzes. Es kommt also darauf an, hier ein breites Einverständnis darüber herzustellen.
({5})
- Das ist eine interessante Variante, die Herr Merk eben'vorgetragen hat.
Herr Kollege Vogel, Sie schlagen in Ihrem Entwurf vor, daß es Reinhalteabgaben geben soll. Sie machen aber in Ihrem Entwurf einen Vorbehalt hinsichtlich der Möglichkeit einer Pauschalierung. Hier müßte einmal klipp und klar gesagt werden, ob die Länder auch dann glauben, dies sei mit der Rahmenkompetenz vereinbar, wenn der Vorbehalt der Pauschalierung durch die Länder nicht mehr darin enthalten ist. Von Ihnen hätte ich gern die Erklärung, ob Sie bereit sind, einer Grundgesetzänderung dann zuzustimmen, wenn die Länder erklären, daß sie ohne eine Pauschalierungsmöglichkeit Ihre Vorstellungen über eine Reinhalteabgabe für mit dem Grundgesetz
nicht vereinbar halten. Das ist die Gretchenfrage, vor die wir Sie in den Ausschußberatungen stellen werden und bei der Sie dann einer Antwort nicht ausweichen können.
({6})
--- Das würde ich begrüßen, weil das der erste Schritt zum Nachdenken ist.
Ich will begründen, warum es darauf so wesentlich ankommt. Ich habe darauf hingewiesen, daß das Wasserhaushaltsgesetz bisher offenbar nicht durchgeführt worden ist, und zwar deswegen nicht, weil wir ohne ein wirksames Verursachungsprinzip kaum in der Lage sind - jedenfalls nicht die Gemeinden und offenbar auch nicht die Gewerbeaufsichtsämter -, § 6 des Wasserhaushaltsgesetzes anzuwenden, nämlich die Benutzung der Gewässer von ausreichenden Klärauflagen abhängig zu machen. Das folgt aus dem politischen Druck in den Gemeinden, der sich gegen kostendeckende Abwassergebühren für jedermann richtet, und im wirtschaftlichen Bereich folgt das aus den gegenläufigen Interessen der Wirtschaftsförderung und der Industrieansiedlung. Diesem Druck haben sich weder die Gemeinden noch die Gewerbeaufsichtsämter gewachsen gezeigt. Dieser Druck kann nämlich nur durch Gebühren aufgefangen werden, die den Kosten entsprechen, die die Allgemeinheit für die Gewässerreinigung aufzuwenden hat und die auf diese Weise einen eigenen Anreiz für Abwasseranlagen bieten.
Sie versuchen das mit der Reinhalteabgabe, aber - ich wiederhole - erstens in unzureichender Höhe. Sie nennen 25 DM. Es fehlt die zweite Stufe.
({7})
- Ich weiß: die erste Stufe. Sie haben aber die zweite Stufe mit 40 DM, die den eigentlichen Kosten entspricht, geflissentlich weggelassen. - Bitte schön, Herr Gruhl!
Herr Hirsch, wenn Sie den Entwurf richtig gelesen haben, konnten Sie ihm entnehmen, daß die Formel ab 1980 mit einem Minus versehen wird, so daß sich damit automatisch eine Erhöhung ergibt.
Herr Kollege, wir werden uns dann darüber unterhalten, von welchem Zeitpunkt an nach Ihren Vorstellungen die Gebühr bei 40 DM pro Gleichwert beträgt.
Zweitens lassen Sie außer acht - darauf ist hingewiesen worden - die Berücksichtigung der Gefährlichkeit einzelner, nicht abbaubarer Abwasserbestandteile. Drittens lassen Sie entsprechend der Rahmenkompetenz die Möglichkeit einer freien und vollständigen Pauschalierung der Abgabensätze zu, ohne diese an irgendwelche exakten Voraussetzungen zu binden. Daraus folgt, daß nach Ihrem Entwurf auch weiterhin die Möglichkeit ungleicher Gebührenhöhen gegeben ist, und damit lösen Sie das eigentliche Problem nicht. Für dessen Lösung ist es
nämlich notwendig, durch überall gleiche Gebühren den politischen und wirtschaftlichen Druck auf Gemeinden und Gewerbeaufsichtsämter aufzufangen. Sie behalten statt dessen durch die Gewährung von Verschmutzungsprivilegien einen Anreiz für ein Umweltdumping zwischen den Gemeinden und über die Landesgrenzen hinweg bei. Das ist die Konsequenz.
({0})
Im übrigen - nun komme ich darauf noch einmal zurück - sind die Erklärungen der Länder nicht eindeutig. Minister Merk hat eben erklärt, er meine, Ihre Regelung sei mit der Rahmenkompetenz vereinbar. Ich frage ihn - er ist leider nicht mehr da -, und ich frage Sie, ob Sie daran auch ohne ,die Pauschalierung festhalten. Und ich muß Sie jetzt fragen, ob Sie bereit sind, einer Grundgesetzänderung dann zuzustimmen, wenn sich ergibt, daß die Pauschalierung die Voraussetzung für die Bejahung der Bundeskompetenz durch die Länder ist.
({1})
- Wir werden nie kapitulieren, Herr Kollege Gruhl.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Immer.
Darf ich Sie fragen, ob Sie dann, wenn sich herausstellt, daß eine Grundgesetzänderung nicht notwendig ist, bereit sind, auf diese zu verzichten?
Wenn die Grundgesetzänderung in der Frage der Abwasserabgaben nicht notwendig ist, wäre ich ich komme auf die einzelnen Punkte zurück - der letzte, der sie nur um ihrer selbst willen fordern würde.
({0})
Aber was wir verlangen müssen, ist die Möglichkeit, Abwasserabgaben in der vorgesehenen Höhe und ohne die Möglichkeit einer Pauschalierung einzuführen, weil wir sonst den Zustand verewigen, den wir seit elf Jahren haben, den Zustand der Unmöglichkeit für nachgeordnete Behörden, die Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes gegen den auf sie ausgeübten Druck durchzuführen. Das ist das Entscheidende.
Der zweite Gesichtspunkt: Nach dem Wasserhaushaltsgesetz gibt es ja schon Reinhalteordnungen, die die Länder erlassen können. Aber sie haben davon überhaupt keinen Gebrauch gemacht, offenbar wegen ,der personellen Schwierigkeiten, in denen sie sich befinden.
({1})
Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß sich das wesentlich verändern wird.
({2})
- Ja, auch die Frage des Vollzugs. - Aber Sie versuchen den Ausweg mit der Einführung von Normalwerten für Abwasserreinigungsverfahren. Auch diese Einheitswerte gibt es bereits, und auch sie haben innerhalb der Länder und über die Landesgrenzen hinweg zu erheblichen Unterschiedlichkeiten und Ungleichheiten geführt. Es hat für die Ansiedlung neuer Betriebe in der Praxis einen regelrechten Wettbewerb in der Großzügigkeit abwassertechnischer Auflagen gegeben.
Das Problem bei Ihrer Regelung liegt im übrigen darin, daß Sie die sogenannte Schmutzfracht nicht berücksichtigen; das ist hier schon verschiedentlich dargestellt worden.
Wichtig ist aber folgendes: daß Abwasserstandards nur im Zusammenhang mit Gewässergüteanforderungen sinnvoll sind. Es gibt - ich will das im einzelnen nicht mehr ausführen; dazu ist die Zeit zu weit fortgeschritten - insbesondere in den Vereinigten Staaten ganz eindrucksvolle Beispiele dafür, daß nur durch ein Zusammenwirken von Gewässergüteanforderungen und Abwassereinleitungsstandards Wettbewerbsverzerrungen durch Standortverschiedenheiten vermieden werden können und daß es nur auf diese Weise möglich ist, mit denselben Aufwendungen eine doppelt so schnelle Abwasser- und Gewässerreinigung zu erzielen als dann, wenn man sich nur auf Abwasserstandards verlassen würde. Wir können das im einzelnen noch untersuchen.
Aber nun tragen Sie selber in Ihrem Entwurf vor, Sie kämen zu einheitlichen Maßstäben. Sie greifen dabei zu einer geradezu abenteuerlichen Konstruktion in § 18 a Abs. 2 Ihres Vorschlags, wenn Sie nämlich vorschreiben wollen, daß die Einleitungsanforderungen in einem Land für alle Bundesländer maßgeblich sein sollen. Da muß ich Ihnen sagen, abgesehen von der schludrigen Formulierung dieser Vorschrift
({3})
ist es ungewöhnlich
({4})
- wir können das alles belegen -, daß Sie einem
Bundesland die Möglichkeit geben wollen, technisches Bundesrecht für alle Länder zu setzen ({5})
und das noch nach dem Zugriffsverfahren. Das heißt, das Land, das als erstes eine solche Regelung einführt, schafft damit Maßstäbe für alle Bundesländer und schaltet damit deren Landtage aus. Ob das ein Mehr an Föderalismus und ein Mehr an demokratischer Kontrolle ist, darüber, glaube ich, haben wir ganz verschiedene Vorstellungen.
({6})
Der dritte Punkt: Anforderungen an Anlagen zum Lagern wassergefährdender Stoffe.
Wir sind uns einig, daß das vereinheitlicht werden muß. In Ihrem Entwurf versuchen Sie eine Scheinlösung, indem Sie typische Verordnungsmaterien in einem langen Paragraphen gesetzlich zu regeln suchen und damit auf der einen Seite, was die gesetzliche Regelung angeht, zu viel und auf der anderen Seite zu wenig tun, weil Sie die Unterschiedlichkeiten hinsichtlich der Gefährlichkeit der einzelnen Stoffe bei den Grenzwerten, die Sie einfügen, nicht berücksichtigen können.
({7})
Minister Merk hat dazu ausgeführt, daß sich die Länder darum bemüht hätten, zu einheitlichen Regelungen zu kommen. Nach meinem Eindruck spricht das eben genau dafür, daß es sich hier um eine einheitliche Materie handelt, die nach den Grundsätzen des Art. 72 Abs. 2 einheitlich zu regeln wäre.
Was den Umweltbeauftragten wie auch die Veränderungssperre für Planungen sowie die Bewirtschaftungspläne für Flußgebiete angeht, so ist darüber schon gesprochen worden; darüber gibt es offenbar überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten.
Aber nun zu der Änderung des Grundgesetzes. Wir meinen, daß der Bund die Möglichkeit haben muß, die bizarren Zuständigkeitsregelungen abzubauen, die sich historisch nur dadurch erklären, daß der Umweltschutz erst in einem sehr späten Abschnitt unserer Verfassungsgeschichte als eine einheitliche Materie erkannt worden ist. Diese Zersplitterung hat ja teilweise ein ganz erstaunliches Ausmaß angenommen. Das schönste Beispiel sind gerade die Regelungen über wassergefährdende Flüssigkeiten.
Nach der Zuständigkeit für wirtschaftliche Dinge hat der Bund die Vollkompetenz für den Transport, die Lagerung und das Abfüllen brennbarer Stoffe. Bei wassergefährdenden Stoffen hat er nur die Kompetenz für das Lagern und das Abfüllen, und zwar die Rahmenkompetenz, während er bei denselben Flüssigkeiten für den Transport wieder die Vollkompetenz hat. Das ist eine Regelung, bei der man niemandem klarmachen kann, daß dieses irgendetwas mit dem Sinn eines föderalen Aufbaus zu tun hat und womit man tatsächlich Heiterkeitserfolge erzielen kann, wenn man das Laien darlegen will.
({8})
- Bite sehr? Sie werden nicht belegen können, Herr Kollege Vogel, daß diesen merkwürdigen Unterschieden in der Zuständigkeit beim Transport, bei der Lagerung und beim Abfüllen brennbarer Flüssigkeiten einerseits und wassergefährdender andererseits irgendein logisches Kriterium, bezogen auf den Föderalismus, zugrunde liegen könnte; ich glaube, das kann wohl niemand nachweisen.
Das erstaunliche ist, daß wir in allen anderen Umweltschutzbereichen, die technische Rechtsregeln erfordern, die Vollkompetenz des Bundes haben: bei
der Luftreinhaltung, bei der Lärmbekämpfung, beim Strahlenschutz und bei der Abfallbeseitigung - überall haben wir einheitliche Grenzwerte,
({9})
überall sind einheitliche Standards für technische Regelungen möglich. Nur, wenn man dasselbe beim Wasserhaushalt versuchen will, wird plötzlich erklärt, daß die Staatlichkeit der Länder ins Wanken gerate. Ich glaube, daß dem Föderalismus in diesem Lande ein schlechter Dienst erwiesen wird, wenn er künstlich zu einer vorausschauenden und planenden Politik des Umweltschutzes in diesem Lande in Opposition gebracht wird.
({10})
Ich bin ein Anhänger des föderalen Aufbaus des Bundes. Ich glaube, daß dieser föderale Aufbau eine der wesentlichen Ursachen dafür ist, ,daß wir im Vergleich zu zentralistischen Staaten eine viel größere Ausgeglichenheit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen in unserem Lande haben. Man muß aber gleichzeitig erkennen, daß der Föderalismus in seiner politischen Funktion tiefgreifenden Veränderungen unterworfen ist. Die überholte rein historische Betrachtungsweise im Parlamentarischen Rat, die ausschließlich von der Staatlichkeit der Länder ausging, hat zu ganz merkwürdigen Erklärungen der Verfassungsväter geführt. Ich hoffe, daß wir möglichst bald einmal Gelegenheit haben, in einer Debatte über die Neugliederung des Bundesgebietes ,dem im einzelnen nachzugehen.
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Verfassungsänderungen an die Ergebnisse der Enquete-Kommission für Verfassungsreform gebunden werden sollen, wenn man also meint, daß bis dahin alle notwendigen Verfassungsänderungen zurückgestellt werden sollten, bis die Arbeiten dieser Kommission abgeschlossen sind. Die Mitglieder dieser Kommission wissen, daß auch auf dem engeren hier in Frage stehenden Gebiet, nämlich der Verteilung von Bundes- und Landeszuständigkeiten und in Fragen der konkurrierenden oder der Rahmengesetzgebung oder der Grundsatzgesetzgebung, über die gesprochen wird, daß über alle diese Fragen noch lange kein Einverständnis in der Kommission besteht und daß Sie dementsprechend nicht in absehbarer Zeit mit Ergebnissen rechnen können.
Wir sind der Meinung, daß wir die Vollkompetenz brauchen: für die Abwasserabgabengesetzgebung, für einheitliche Gewässergütestandards, für einheitliche Grenzwerte für die Abwassereinleitung und für einheitliche Anforderungen an die schadlose Lagerung wassergefährdender Stoffe. Wir sind der Überzeugung, daß das eine Grundgesetzänderung voraussetzt.
Herr Kollege Vogel, Sie haben dankenswerterweise in Ihren Ausführungen insbesondere darauf hingewiesen, daß Sie und Ihre Fraktion zu einer sachlichen und vorbehaltsfreien Diskussion in dieser Frage bereit seien. Das setzt aber auf der anderen Seite - ich möchte Sie an diesem Wort festhalten - voraus, daß Sie auch einer GrundgesetzDr. Hirsch
änderung im Sinne einer Vollkompetenz des Bundes zustimmen werden, wenn wir Ihnen im Laufe der Beratungen in den Ausschüssen nachweisen werden, daß eine wirksame Verbesserung des Wasserschutzes in diesem Land ohne die Vollkompetenz des Bundes nicht möglich ist. Ich habe Sie an verschiedenen Stellen gefragt, ob Sie bereit sind, der Grundgesetzänderung dann zuzustimmen, wenn sich ergibt, daß die Regelungen Ihres Entwurfs nicht ausreichen werden. Darauf wäre eine Antwort notwendig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Hirsch, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich das, was ich sage, auch so meine, und darf ich Sie fragen, ob das umgekehrt für Sie in gleicher Weise gilt? Dann haben wir, glaube ich, die richtige Basis für die Beratungen.
Herr Kollege Vogel, wir kennen uns zwar noch nicht lange, aber ich kann Ihnen sagen, ich sage immer, was ich denke.
Aber das genau ist das Entscheidende: Ich habe den Eindruck, und meine Freunde haben den Eindruck, daß wir hier in Wirklichkeit eine Debatte über den Föderalismus führen, aber nicht über den Föderalismus aus dem Gesichtspunkt der Länder, sondern über den Föderalismus aus dem Gesichtspunkt Ihrer Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion.
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Darum werden wir Sie auch an diesem Wort festhalten: Wenn die Detailberatung Ihnen zeigen wird, daß wir mit der Rahmenkompetenz nicht auskommen können, dann werden Sie, habe ich Ihrer Erklärung entnommen, einer Grundgesetzänderung zustimmen.
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- Und umgekehrt. Das ist ein sehr positives Wort ziemlich am Ende dieser Debatte, denn dann werden wir Ihnen - um auch das noch einmal zu wiederholen - tatsächlich dazu verhelfen können, wenigstens diesen Teil Ihres Wahlprogramms zu verwirklichen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Frau Präsidentin! Meine Herren! Der von uns hier heute gründlich in erster Lesung beratene Entwurf eines von der Bundesregierung eingebrachten Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes macht eine Ergänzung des Grundgesetzes erforderlich. Dem Bund fehlt - darin sind wir alle einig - die verfassungsrechtliche Grundlage für Vollregelungen auf dem Gebiet des Wasserhaushalts.
Einzeländerungen des Grundgesetzes, besonders wenn es sich um die Einfügung weniger Wörter handelt, unterliegen schon als solche seit langem starker Kritik und sind auch in der Bevölkerung unpopulär. Aber es wäre grundfalsch, eine Streitfrage der Wissenschaftler und der Verfassungspolitiker auf dem Rücken der Bevölkerung auszutragen, die zum Umweltschutz ja nicht nur Sonntagsreden und Ankündigungen in Parteiprogrammen hören und lesen, sondern von den verantwortlichen Politikern lieber heute als morgen Taten sehen will.
Von den Unionsparteien ist zu hören, daß sie weder im Bundestag noch im Bundesrat an weiteren Einzelergänzungen des Grundgesetzes mitwirken, sondern das Ergebnis der Arbeiten der Enquete-Kommission für die Fragen der Verfassungsgreform abwarten wollen.
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- Es geht nicht um das Konzept, Herr Vogel, darauf bin ich nicht so sehr angewiesen, obwohl ich meine, auch Sie hätten eines gehabt. Aber diese Erklärungen sind ja abgegeben und nachlesbar.
Nach 31 Änderungen des Grundgesetzes - Herr Dr. Merk hat die Zahl genannt und den Anschein erweckt, als wolle die Bundesregierung ein Roulettefeld mit Einzeländerungen vollmachen - mag es berechtigt erscheinen, Verfassungsänderungen nur noch im Rahmen eines umfassenden und abgeschlossenen Konzepts vorzunehmen.
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- Lassen Sie mich doch einmal wirklich den Gedanken zu Ende bringen! - Vordringliche Staatsaufgaben dürfen doch nicht liegen bleiben, bloß weil sie eine Grundgesetzänderung erfordern.
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- Herr Dr. Miltner, das wissen Sie doch auch: was ich hier sage, ist nachlesbar von Ihren Freunden vorgetragen und ist auch Grundtendenz ihrer heutigen Haltung gewesen.
Die auf Vollkompetenz des Bundes in Wasserhaushaltsfragen zielende Grundgesetzänderung und das dazugehörende einfache Gesetz sind Teile eines umweltpolitischen und eines verfassungsrechtlichen Programms und Konzepts, die seit annähernd drei Jahren bekannt sind und erörtert werden. Dagegen weiß jeder Sachkenner, daß die Enquete-Kommission verwertbare Ergebnisse nicht so zeitig wird vorlegen können, daß sie Einfluß auf die gesetzgeberische Arbeit haben werden. Wer also auf die Arbeiten der Enquete-Kommission verweist, will mit
bundeseinheitlichen Regelungen vor der nächsten Bundestagswahl überhaupt nicht anfangen. Bloß, die Probleme des Umweltschutzes laufen den Lösungsmöglichkeiten geradezu unbarmherzig davon.
Es geht beim Wasserhaushalt um die Einheitlichkeit der Lebensbedingungen und des Wettbewerbs im Bundesgebiet. Die öffentliche Anhörung, die der Innenausschuß im Frühjahr 1971 durchgeführt hat, hat bei mehreren Sachverständigen sehr überzeugende Gründe für die Kompetenz des Bundes nach Art. 74 des Grundgesetzes ergeben. Lassen Sie mich ruhig einmal, weil das eine Rolle spielt, darauf hinweisen, daß der Rechtsanwalt Wiedemann aus Hildesheim an Einzelfällen nachgewiesen hat, wie unbefriedigend der Rechtszustand bei der Lagerung wassergefährdender Flüssigkeiten zur Zeit ist, und daß er sich Besserung nicht nur von bundeseinheitlichen Gesetzesvorschriften, sondern auch von Verwaltungsvorschriften, die einheitlich sind, verspricht.
Das Ergebnis der Anhörung muß ja doch auch das Verhalten der Kollegen von der CDU/CSU innerhalb und außerhalb des Hauses beeinflußt haben. Der Kollege Dr. Gruhl hatte schon in der großen Umweltaussprache am 16. Dezember 1970 zur Frage der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes gesagt, daß die CDU/CSU-Fraktion bereit sei, auf den Gebieten der Luftreinhaltung, der Lärmbekämpfung und des Wasserhaushalts - und jetzt zitiere ich den Kollegen wörtlich - „dem Bund zu geben, was er braucht". Ende des kurzen, aber inhaltsreichen Zitats.
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- Ja, aber mit ganz anderer Auslegung. Bei der Beratung des Umweltprogramms der Bundesregierung in der Sitzung des Bundestages vom 3. Dezember 1971 hat Herr Kollege Dr. Gruhl auf Einzelheiten verzichtet, aber die zügige Beratung der eingebrachten Gesetzentwürfe als - wieder ein Zitat - „entscheidenden Beitrag des Bundestages" bezeichnet. Bei der Aufzählung des Arbeitspensums fehlen - wieder ein Zitat - „natürlich auch die vorgelegten Grundgesetzänderungen" nicht. Wir haben mit der gebührenden Aufmerksamkeit auch beachtet, was aus dem Munde des Mannes kam, der damals für sich beanspruchte, in Wirklichkeit die Umweltpolitik der Opposition zu machen: Herr Kollege Dr. Schneider von der CSU hat sich für die Prüfung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes anhand der Regierungsvorlagen ausgesprochen und nur die ausdrückliche Einschränkung gemacht, daß diese Bereitwilligkeit bei Naturschutz und Landschaftspflege nicht besteht. Von dieser einsichtsvollen Haltung der Opposition - entschuldigen Sie jetzt die Wiederholung ist es ein gerader Weg zurück zum Berliner Programm einerseits und andererseits vorwärts zu der heute schon so oft zitierten Passage aus dem Konzept für Umweltvorsorge vorn 27. Oktober. Nachdem Sie, Herr Kollege Vogel, gesagt haben, Sie hätten sie nun inzwischen verstanden, erspare ich mir die Wiederholung. Aber es ist von Interesse, daß Sie dem Bund die Vollkompetenz für die Wasserhaushaltsgesetzgebung haben übertragen wollen. Davon soll nun heute
trotz zahlreicher anderslautender Äußerungen draußen im Lande und in den Massenmedien nichts mehr wahr sein. Dabei unterstreicht doch gerade der von Ihnen vorgelegte Entwurf zur Änderung des Wasserhaushaltsrechts, daß mit der Rahmenkompetenz nicht auszukommen ist.
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Weil Sie mit ihr Einzelheiten nicht regeln können - der Herr Kollege Hirsch hat das ganz ausführlich begründet; das kann ich mir sparen -, muß Ihr Entwurf hinsichtlich des Lageras und Abfüllens wassergefährdender Stoffe so ausführlich sein, daß der entsprechende Paragraph geradezu ein Monstrum eines verfehlten Gesetzgebungsversuchs geworden ist.
Die beiden auf dem Tisch des Hauses liegenden Entwürfe zeigen, daft ein wirksamer Gewässerschutz bundeseinheitliche Vorschriften über die Standards für die Gewässergüte, über die Grenzwerte für die Zulässigkeit von Abwassereinleitungen und über Anforderungen an die schadlose Lagerung wassergefährdender Stoffe verlangt. Dieser Forderung kann nur entsprochen werden, wenn der Bund eine Vollkompetenz bekommt. Das haben Sie in der heutigen Debatte nicht widerlegen können. Mit dem Entwurf der CDU/CSU ist diese Forderung nicht erfüllbar und soll ersichtlich auch gar nicht erfüllt werden.
Was die Opposition in der Frage der Grundgesetzänderung bietet, ist ein bedenklicher Angriff auf das bundesstaatliche Prinzip. Das sage ich, nachdem ich Herrn Innenminister Dr. Merk gehört habe,
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dessen Ausführungen hörenswert waren und bedenkenswert bleiben. Sie sind auch ganz anders als das, was früher im Bundesrat gesagt worden ist. Aber wenn er hier von Zentralismus spricht, dann baut er einen Pappkameraden auf. Ich habe nach Kriegsende ein Jahr in Schwaben im Lazarett gelegen, und ich habe 18 Jahre meiner Jugend in Unterfranken verbracht und bin dort zur Schule gegangen. In diesen Randgebieten Bayerns spricht man durchaus vom Zentralismus, allerdings vom „Münchener Zentralismus". Insofern mag Herr Dr. Merk ein besonderer Sachkenner der Materie sein. Aber hier einfach zu sagen, daß eine bundeseinheitliche Regelung und eine Vollkompetenz in Wasserhaushaltsfragen den Föderalismus bedrohten, geht nicht an; das ist schief, übertrieben, unrichtig. In Wahrheit wird der Föderalismus geschwächt, wenn die Zuständigkeitsstreitigkeiten die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet beeinträchtigen und eine wirksame, für alle Bürger gleiche Umweltpolitik verhindern.
Die Unionsparteien scheinen den Umweltschutz in einen gewissermaßen „technologischen Teil" - Luftreinheit, Lärm, Abfall und Strahlenschutz -mit konkurrierender Gesetzgebungsbefugnis des Bundes und in einen „natürlichen Teil" - Wasser und Landschaft - mit bloßer, wenn auch wenig ergiebiger Rahmenkompetenz des Bundes aufspalten zu wollen. Damit werden die vielfältigen VerflechKonrad
tungen des Naturhaushalts und seines Leistungsgefüges ebenso verkannt wie das Bedürfnis nach dem bundeseinheitlichen Instrumentarium. Darauf kommt es der sozialdemokratischen Fraktion entscheidend an. Die verfassungsmäßige Stellung der Länder wollen wir damit nicht beeinträchtigen. Keineswegs wollen wir die Länder hier in eine Auftragsverwaltung zwingen, wie man glauben könnte, wenn man Herrn Dr. Merk gehört hat. Was er über die Durchführung an der untersten „Behördenfront" gesagt hat: Ich bitte Sie, verehrte Kollegen, für die unteren Behörden ist es doch das gleiche, ob sie Vorschriften vom Land her oder vom Bund her durchführen müssen; delegiert wird ohnehin, da die Länder die Bundesgesetze nach ihrer Maßgabe ausführen.
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- Ja, warum kann denn nicht Bundesrecht, auch Bundesverfahrensrecht, in dieser Frage delegiert werden?
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Ich möchte übrigens, gerade weil Sie, Herr Kollege Dr. Vogel, gestern in einer Pressekonferenz darauf aufmerksam gemacht haben, bis zum unwiderlegbaren Beweis des Gegenteils nicht an ein Zweckbündnis der Industrie und der CDU/CSU-geführten Bundesländer glauben.
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Ich spreche jetzt nicht vom Grundgesetz, sondern von einer Vermutung, gegen die Herr Kollege Vogel gestern Stellung genommen hat. Wissen Sie, gefühlsmäßige Zuneigung zueinander und Abneigung gegen die sozialliberale Koalition führen nur in Wahlzeiten zu teurem Fehlverhalten der Industrie. Im Alltagsleben wird mit spitzem Bleistift kalkuliert, und da sind auch nationale Wettbewerbsverzerrungen ein von den Unternehmern sorgfältig beachteter und als unbequem empfundener Kostenfaktor. Der Industrie muß an einer Einheitlichkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften gelegen sein, und ihr ist auch daran gelegen.
Dagegen meine ich, daß man gewisse Zweifel den Argumenten der Bundesländer entgegenbringen muß, die der Zufall der geographischen Lage zu „Oberliegern" an oberirdischen und an unterirdischen Gewässern gemacht hat.
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- Lassen Sie nur, mein eigenes Land werde ich auch noch erwähnen. Aber zu später Stunde ist es vielleicht erlaubt, sich einmal eines Liedes zu erinnern, das, jedenfalls als ich sehr viel jünger war, häufig gesungen wurde und heute gelegentlich auch noch gesungen wird: „Von den Bergen rauscht ein Wasser, das ist klarer noch als kühler Wein ...". Von den bayerischen und von den württenbergischen
Bergen rauscht im Augenblick ein Sturzbach, der zwar sehr kühl, aber auch sehr trübe ist,
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und zwar durch Regierungsaussagen, denen es - um ein Wort von Herrn Dr. Merk aufzugreifen - auch in dieser Frage an der Bundestreue zu fehlen scheint. Selbstverständlich, wenn zwei so vorgehen, muß natürlich Schleswig-Holstein „im Bunde der Dritte" sein. Unser Ministerpräsident, der sich ja ungeachtet seiner Herkunft aus einem evangelischen Pfarrhaus zunehmend bemüht, zum Geist zu werden, der stets verneint, wenn er die Bundespolitik im Auge hat, hat natürlich bereits Befürchtungen, daß die Länder ihre Sachauffassungen gegenüber den Wunschvorstellungen der Koalition zurücktreten lassen müßten. Dies ist eine wenig überzeugende Argumentation gegenüber wirtschaftlichen und rechtlichen Notwendigkeiten.
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Der Justizminister meines Heimatlandes Schleswig-Holstein hat im Bundesrat erklärt, daß aus der Sicht eines Landes, in dem die Wasserwirtschaft eine besondere Bedeutung hat, die gesetzliche Regelung nicht notwendigerweise bundeseinheitlich sein müsse. An den wirklichen Erfordernissen geht das alles vorbei. Wir haben heute ja ohnehin gewichtige Argumente, die ich nicht zu wiederholen brauche, für die Notwendigkeit der Grundgesetzänderung gehört.
Ich sehe, daß meine Redezeit abgelaufen ist. Ich komme zum Ende. Wasser - man muß das ja alles im Zusammenhang sehen -- ist ein kostbares und täglich knapper werdendes Lebensgut. Wer es gut und sauber für die Menschen machen und erhalten will, darf sich vor einschneidenden und einheitlichen Gesetzen nicht drücken.
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Wir wollen auch auf diesem Gebiet dem Föderalismus die Chance der Bewährung belassen. In Erinnerung daran, daß wir doch bisher ganz gut zusammengearbeitet haben und erfreuliche und fruchtbare gemeinsame Arbeit leisten konnten, bitte ich die Kollegen der CDU/CSU, sich zur Rückkehr auf den rechten Weg zu entschließen. Wir können dann gemeinsam in den Beratungen prüfen, ob wir ohne Grundgesetzänderung auskommen. Wie der Kollege Hirsch sage ich auch: Wird überzeugend nachgewiesen, daß eine Verbesserung des Wasserhaushaltsrechts ohne Grundgesetzänderung möglich ist, würde sie auch ohne solche durchgeführt. Weisen wir Ihnen aber nach, daß ohne Grundgesetzänderung nichts vernünftiges herauskommt, so sollten Sie sich entschließen, mit uns gemeinsam der Änderung des Grundgesetzes zuzustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine Herren! Damen sehe ich nicht. Sie befinden sich wahrscheinlich in der Umwelt.
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Herr Kollege, weichen Sie nicht vom rechten Pfad ab, und kommen Sie nicht auf linke Umwege.
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Ich kann mich sehr kurz-fassen, da ja nicht nur Herr Minister Genscher, sondern auch viele andere Kollegen neuerdings das Umweltprogramm der CDU/CSU ständig unter dem Arm tragen.
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Ich wünschte nur, daß Sie unseren Gesetzentwurf genausogut lesen, wie Sie unser Umweltprogramm gelesen haben. Dann würde sich wahrscheinlich eine Menge Einwände gegen unseren Entwurf erübrigen.
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Herr Minister Genscher, ich begrüße, daß Sie heute hier die Formulierung von der Eröffnung des Dialoges gebraucht haben. Der Dialog wird in den Ausschüssen stattfinden. Ich bitte Sie aber doch, einige Punkte auch noch in Ihrem Hause genauer überprüfen zu lassen, was unseren Entwurf betrifft.
Sie haben eingeräumt, daß wir - also nur zum Teil! - andere Akzente als der Regierungsentwurf setzen. Ich möchte sagen, es sind sogar nur Teilchen von Akzenten, die wir anders setzen. Sie haben auch eingeräumt, daß unsere Länder das Rahmenrecht zugunsten des Bundes wesentlich weiter ausgelegt haben als in der Vergangenheit. Wir begrüßen es, daß Sie dies erkannt haben.
Sie haben beanstandet, daß wir nicht von Trinkwasserstandards gesprochen haben. Herr Minister, wenn wir das Wasserhygienegesetz, das Sie angekündigt haben, schon gekannt hätten, hätten wir wahrscheinlich versucht, auch dieses Gesetz in die vierte Novelle gleich mit einzuarbeiten. Wenn Sie heute hier den Eindruck erweckt haben, man könne in Zukunft in der ganzen Bundesrepublik aus sämtlichen Wasserhähnen Wasser gleicher Güte beziehen, so muß ich sagen, daß Ihr Ziel wohl zu weitgesteckt sein dürfte.
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- Sie haben von einheitlichen Bestimmungen für das Trinkwasser gesprochen.
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Wenn Sie den Anspruch in ein Gesetz schreiben, wird das sicher nicht dazu führen, daß wir bis ins letzte Dorf und insbesondere bis in die letzte Stadt Trinkwasser von gleicher Güte haben werden.
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Herr Minister, Sie haben weiterhin bezweifelt, daß die Abwasserabgabe auf Grund eines Rahmengesetzes möglich ist. Da darf ich Sie auf Ausführungen von Professor Salzwedel verweisen, der durchaus der Meinung war, daß dies auch innerhalb des Rahmenrechts möglich ist.
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- Gut. Wir gehen ja auch ein Risiko ein, Herr Minister. Wir sind jederzeit zum Risiko bereit.
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Weiterhin ist gesagt worden, daß wir keine Verschärfung der Abgabe in der zweiten Stufe haben wollten. Die haben wir sehr wohl. Nur halten wir nichts davon, diese zweite Stufe heute für 1980 und später auf 40 DM festzulegen, weil wir ja nicht wissen, was diese 40 DM nach 1980, wenn Sie dann überhaupt noch regieren sollten,
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wert sind. Man würde damit viel zu weit vorausreifen. Darum hielten wir es für richtiger, diese Erhöhung in die Berechnungsformel mit einzuarbeiten.
Herr Minister, eine Frage habe ich noch an Sie.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Vogel?
Herr Kollege, müßten Sie nicht sogar sagen, daß, wenn die derzeitige Regierung dann noch regieren sollte, die 40 DM tatsächlich nicht mehr viel wert sind?
So ist es.
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Herr Minister, weiter ist mir völlig unklar gewesen, warum Sie ausgeführt haben, daß die Grenzwerte, die in unserem Gesetzentwurf enthalten sind, nur für die drei Reinigungsstufen, nämlich die mechanische, die biologische und die physikalisch-chemische anwendbar sind. Ich muß Ihnen sagen, daß ich von einer weiteren Reinigungsstufe tatsächlich noch nichts gehört habe. Da wäre ich für eine Belehrung sehr dankbar.
Aber nicht nur Sie, Herr Minister, sondern auch die übrigen Redner der Koalition haben auch die sachlichen Regelungen in unserem Gesetzentwurf weitgehend anerkant. Und die Forderungen, die hier zum Teil in Unkenntnis verschiedener Regelungen unseres Gesetzentwurfs aufgestellt worden sind, akzeptieren wir voll, so daß wir auf Grund der heutigen Beratung mit diesen Gesetzentwürfen sehr hoffnungsvoll in die Ausschüsse gehen können.
Ich möchte noch kurz sagen, daß Presseveröffentlichungen der letzten Tage, die uns unterstellten,
wir wollten durch Zögern bei der Grundgesetzänderung die Abwasserabgabe verhindern, mit der Einbringung unseres Gesetzentwurfs der Unwahrheit überführt sind.
Herr Abgeordneter Dr. Gruhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?
Herr Kollege Gruhl, erkennen Sie nicht an, daß Sie mit Ihrer Reinhaltegebühr wegen des Vorbehalts der Pauschalierung eine qualitativ andere Regelung haben? Ich muß Sie auf diesen Vorbehalt noch einmal ausdrücklich ansprechen. Würden Sie dazu bitte noch einmal Stellung nehmen?
Aber, Herr Dr. Hirsch, den Begriff der Pauschalierung haben wir ja aus dem Referentenentwurf der Bundesregierung übernommen.
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- Auch das.
Wir schaffen mit dieser Abwasserabgabe eine zusätzliche Möglichkeit einer Abgabe - auch darauf ist hingewiesen worden - für die Entnahme von Frischwasser. Der finanzielle Nachdruck, den wir mit dieser Abgabe auf die Einleiter erzielen wollen, wird in unserem Gesetzentwurf - wie auch in der Novelle der Bundesregierung - ergänzt durch die Bestimmungen über die Anforderungen an den Reinheitsgrad der Abwässer. Das wird von uns bundeseinheitlich angestrebt. Wir werden diese Regelung in den Beratungen sicherlich zu einem gemeinsamen Ergebnis führen.
Der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht es um die deutsche Wasserversorgung der Zukunft, und uns
geht es auch, wie heute hier gesagt worden ist, um die Erhaltung und Pflege von Natur und Landschaft, wie auch unser Gesetzentwurf zu diesem Bereich beweist. Wir werden alles tun, um das ökologische Gefüge unseres Landes für die Zukunft zu bewahren, weil wir nur dann die Lebensbedingungen für uns alle erträglich gestalten können.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage Drucksache 7/887 - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes - dem Rechtsausschuß als federführendem Ausschuß und dem Innenausschuß zur Mitberatung, den Regierungsentwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes - Drucksache 7/888 - an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung und den CDU/CSU-Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes - Drucksache 7/1088 - dem Innenausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Plenarsitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 19. Oktober, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.