Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich Ihnen bekannt, daß auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung die Tagesordnung um einen Punkt, nämlich um die Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betreffend Einsetzung des Rechtsausschusses, erweitert werden soll. Nach dieser interfraktionellen Vereinbarung soll darüber jedoch erst nach Punkt 3 der Tagesordnung, nach Abgabe der Erklärung des Bundeskanzlers, entschieden werden. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf: Bekanntgabe der Bildung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, der Herr Bundespräsident hat mir folgendes Schreiben übersandt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes habe ich auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers zu Bundesministern ernannt:
Herrn Walter Scheel
zum Bundesminister des Auswärtigen,
Herrn Hans-Dietrich Genscher zum Bundesminister des Innern,
Herrn Gerhard Jahn
zum Bundesminister der Justiz,
Herrn Helmut Schmidt
zum Bundesminister der Finanzen,
Herrn Dr. Hans Friderichs zum Bundesminister für Wirtschaft,
Herrn Josef Ertl
zum Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
Herrn Walter Arendt
zum Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
Herrn Georg Leber
zum Bundesminister der Verteidigung,
Frau Dr. Katharina Focke
zum Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit,
Herrn Dr. Lauritz Lauritzen zum Bundesminister für Verkehr,
Herrn Dr. Hans-Jochen Vogel
zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
Herrn Egon Franke
zum Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen,
Herrn Professor Dr. Horst Ehmke
zum Bundesminister für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen,
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Herrn Dr. Klaus von Dohnanyi
zum Bundesminister für Bildung und Wissenschaft,
Herrn Dr. Erhard Eppler
zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit,
Herrn Egon Bahr
zum Bundesminister für besondere Aufgaben,
Herrn Professor Dr. Werner Maihofer zum Bundesminister für besondere Aufgaben.
Meine Damen und Herren, nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Eidesleistung der Bundesminister.
Ich bitte die Herren Bundesminister, wenn ich sie aufrufe, einzeln zu mir heranzutreten und den gemäß Art. 64 in Verbindung mit Art. 56 des Grundgesetzes bei der Amtsübernahme vorgesehenen Eid zu leisten.
({1})
Ich werde den Eid vorsprechen und bitte die Mitglieder der Bundesregierung, ihn mit den Worten „Ich schwöre es" bzw. „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" zu bekräftigen.
Bundestagspräsident Frau Renger Der Eid lautet:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Ich frage Sie, Herr Bundesminister Scheel: Sind Sie bereit, diesen Eid zu leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Ich darf Ihnen herzlichen Glückwunsch sagen!
Herr Bundesminister Genscher, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Jahn, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Schmidt, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Friderichs, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Ertl, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Arendt, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Leber, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Frau Bundesminister Focke, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Lauritzen, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Vogel, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Franke, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Ehmke, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister von Dohnanyi, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Eppler, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Bahr, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Bundesminister Maihofer, wollen Sie diesen Eid leisten?
Ich schwöre es.
Herzlichen Glückwunsch!
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß die Mitglieder der Bundesregierung damit den im Grundgesetz für die Übernahme ihres Amtes vorgeschriebenen Eid vor dem Deutschen Bundestag. geleistet haben. Ich spreche ihnen nochmals die aufrichtigen Wünsche des ganzen Hauses für ihre Arbeit aus.
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Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers Herr Bundeskanzler, Sie haben das Wort!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In den hinter uns liegenden Monaten haben wir das Grundgesetz auf einigen Gebieten neu erproben können oder es neu erproben müssen. Die vorzeitige Auflösung des vorigen Bundestages hat nun auch dazu geführt, daß sich die zeitlichen Planungen im Vergleich zu früheren Wahljahren verschieben.
Nach den gründlichen Beratungen zwischen Vertretern der beiden Fraktionen, der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten, die meine Regierung tragen, hätte ich heute oder Anfang der kommenden Woche ohne Schwierigkeit eine ausführliche Erklärung über die Regierungsarbeit in den nächsten Jahren abgeben können. Zu einer eingeienden Debatte wäre es dann allerdings vor Weihnachten vermutlich nicht mehr gekommen. Deshall hatten sich schon kurz nach den Neuwahlen Ver treter aller Fraktionen verständigt, die Regierungs erklärung am 18. Januar, also nach der Unterbre chung der Parlamentsarbeit durch die Weihnachts ferien, entgegenzunehmen und in der darauffolgen den Woche ausführlich darüber zu debattieren.
Die Regierungserklärung vom Januar 1973 wirr natürlich an die vom Oktober 1969 anknüpfen. Si( wird die gemeinsame Arbeit der beiden Regierungs. parteien und deren Wahlprogramme einbeziehen.
Am 28. Oktober 1969 sagte ich von dieser Steil( aus, die Politik meiner Regierung werde im Zeichen der Kontinuität und der Erneuerung stehen Am 18. Januar 1973 werde ich darzulegen haben, wc es in den nächsten vier Jahren darum geht, fortzuführen und weiterzuentwickeln, und wo es sich aus unserer Sicht um notwendige neue Vorhaben handelt.
Gestern hat das Vertrauen der Wähler im Vertrauen der Mehrheit dieses Hauses seinen Niederschlag gefunden. Dafür möchte ich danken. Der Bundeskanzler und seine Regierung fühlen sich neu und verstärkt in die Pflicht genommen. Das deutlichere Mandat, das uns die Wähler am 19. November erteilt haben, bedeutet aus meiner Sicht ein überzeugendes Votum für die Fortsetzung dessen, worum wir uns schon bisher in der Außen- und Innenpolitik bemüht haben.
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Aber ich will gleich hinzufügen: mein Respekt gilt natürlich auch den vielen Wählern, die sich aus ihren Gründen gegen uns entschieden. Mein Bestreben wird dahin gehen, in diesem Hause nichts zu verschleiern, was ausgetragen werden muß; aber ich will gern Brücken des Zueinander und Miteinander betreten, wo immer dies sachlich möglich ist und im Interesse unseres Volkes Erfolg verspricht.
({1})
Ohne dem Regierungsprogramm für die Arbeitsperiode dieses Bundestages vorgreifen zu wollen, erscheint es mir notwendig, ja, dem Parlament gegenüber unerläßlich, heute kurz von den Aufgaben zu sprechen, die in den nächsten Wochen, also noch bevor über die Regierungserklärung, die auch noch erst abzugeben ist, gesprochen werden kann, zu leisten sind.
Wir gehen, um mit einem Gegenstand zu beginnen, der den Bundestag heute und Anfang der kommenden Woche im Plenum und in den Ausschüssen befassen wird, davon aus, daß der heute der Form nach neu einzubringende Bundeshaushalt 1972 in der nächsten Woche verabschiedet werden kann, nachdem der Bundesrat, was ich wohl zu würdigen weiß, auf die volle Ausschöpfung seiner Beratungsfrist verzichtet hat.
Zweitens. Den Haushalt 1973 und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung wird die Bundesregierung so vorbereiten, daß die abschließende Behandlung im Kabinett wahrscheinlich noch im Februar erfolgen kann. Dabei werden wir von dem Rahmen ausgehen, den das vorige Kabinett am
6. September festgelegt hat und über den damals öffentlich Auskunft gegeben worden ist.
Drittens. Die Bundesregierung oder auch die Koalitionsfraktionen werden wichtige und dringende Gesetzentwürfe unverzüglich wieder einbringen, die den gesetzgebenden Körperschaften bereits vorlagen, wegen der Auflösung des 6. Deutschen Bundestages aber nicht mehr verabschiedet werden konnten. Diese Entwürfe werden dem Bundesrat, soweit sie seitens der Regierung unverändert wiederkehren, so zugeleitet, daß die üblichen Fristen möglichst verkürzt werden können.
Viertens. Die sachliche Anpassung des Rentenreformgesetzes mußte von den Koalitionsfraktionen in Übereinstimmung mit der Regierung unverzüglich eingeleitet werden. Nur so sichern wir unserer Meinung nach das Ziel dieses Gesetzes, mit Hilfe der flexiblen Altersgrenze einen reibungslosen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu erleichtern.
Fünftens. Noch im Januar sollte auch der vom Bundesrat bereits gebilligte Entwurf zur Verbesserung des Bundeskriminalamtgesetzes beraten werden. Dieses Gesetz wird das gemeinsame Sicherheitskonzept von Bund und Ländern wirksam ergänzen.
Was nun, meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitischen Aufgaben angeht, so werden sich die verehrten Kolleginnen und Kollegen unbeschadet aller Polemik während des Wahlkampfes gewiß an das 15-Punkte-Programm erinnern, das die vorige Bundesregierung Ende Oktober beschlossen hatte und dem die Luxemburger Beschlüsse des Rates der Europäischen Gemeinschaft folgten. Schon auf der Pariser Konferenz der Regierungschefs der erweiterten Gemeinschaft hatten wir uns mit Nachdruck für gemeinsame stabilitätspolitische Maßnahmen eingesetzt, und wir haben auch im eigenen Haus - der Bundesrepublik Deutschland - im Rahmen unserer Möglichkeiten notwendige Entscheidungen getroffen. So hat die Bundesbank in enger Abstimmung mit der Bundesregierung in den letzten Monaten, wie Sie wissen, mehrfach Maßnahmen zur Eindämmung der Kreditausweitung getroffen. Das vor kurzem vorgelegte Jahresgutachten 1972 des Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat uns wertvolle Anregungen vermittelt. Diese werden wir in unseren Jahreswirtschaftsbericht einbeziehen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der jetzt anlaufenden Tarifverhandlungen wird von großer Bedeutung sein für den Erfolg unserer stabilitätspolitischen Bemühungen. Ich muß daher die Erwartung aussprechen, daß die Tarifpartner neben der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen in diesen Monaten noch mehr als sonst ihre Mitverantwortung für das Ganze berücksichtigen; den öffentlichen Dienst beziehe ich dabei ausdrücklich mit ein.
Was für die Löhne gilt, gilt auch für die Preise. Die Unternehmer müssen in all den Bereichen, in denen dies tatsächlich möglich ist, zu einer Preispolitik finden, die im Einklang mit dem gemeinsamen stabilitätspolitischen Ziel steht.
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Die Förderung des Wettbewerbs - ({3})
- Ja, man darf doch nicht nur, wenn wir schon - - Wir haben 1969 das schon mal gehabt, meine Damen und Herren, ich fand, das war ein schlechter Stil, die erste Erklärung der Regierung bereits mit polemischen Zwischenbemerkungen zu beginnen.
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Wenn Sie das jetzt haben wollen- nach meinen Bemerkungen über den Unternehmer -, dann reden wir darüber, wofür Unternehmer - ich sage nicht „die", sondern „einige" - im Wahlkampf Geld ausgegeben haben.
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Ich meine heute alle Kräfte in unserem Volk, wenn es um Stabilitätspolitik geht.
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Die Förderung des Wettbewerbs kann zu dem, wovon ich jetzt spreche, einen wichtigen Beitrag leisten. Die Bundesregierung begrüßt es, daß die Koalitionsfraktionen die Novelle zum Kartellgesetz bald wieder einbringen werden. Wir sind uns darin einig, daß die Novelle zum Kartellgesetz in den Ausschußberatungen weiter verbessert werden soll.
In der Außenpolitik ging und geht es in diesen Wochen um folgende Termine:
Erstens. Zum 1. Januar 1973 vollziehen Großbritannien, Dänemark und Irland ihren Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Die Einigung Westeuropas kommt damit einen wesentlichen Schritt voran. Ich nehme an, daß dies von uns allen begrüßt wird.
Zweitens. Die neue, erweiterte Kommission, für die die Bundesregierung die beiden bewährten deutschen Mitglieder wieder vorgeschlagen hat, nimmt am 6. Januar ihre Arbeit auf. Der Rat wird am 15. Januar 1973 zum erstenmal in der erweiterten Zusammensetzung tagen.
Ein großer Arbeitskatalog liegt vor den Organen der Gemeinschaft. Wir werden es an Initiativen, die mehr als Worte zum Inhalt und zum Ziel haben, weiterhin nicht fehlen lassen.
Drittens. Im Rahmen der Nato haben die Absprachen über die Europa-Gruppe - die Eurogroup - kürzlich in Brüssel bedeutende Fortschritte gemacht. Dem zuständigen Ausschuß wird darüber im einzelnen berichtet werden.
Viertens. Auf der Nato-Konferenz Anfang dieses Monats wurden unter anderem gemeinsame Richtlinien verabschiedet für Möglichkeiten einer beiderseitigen ausgewogenen Truppenverminderung in Europa. Das ist ein weiterer Schritt zur Entspannung, der langfristig auch zur Verminderung der
Rüstungslasten führen soll und der vor viereinhalb Jahren durch das, was man damals das „Signal von Reykjavik" nannte, vorbereitet worden ist. Im Januar 1973 werden die ersten exploratorischen Gespräche zwischen Ost und West über dieses schwierige Thema stattfinden.
Fünftens. Die Bundesregierung ]eistet parallel dazu in diesen Wochen in Helsinki ihren Beitrag zur multilateralen Vorbereitung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Wir haben ein besonderes Interesse daran, daß die erste große Begegnung der europäischen sowie der nordamerikanischen Staaten eine Verbesserung der Lage im geteilten Europa einleitet.
Im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander wird in der kommenden Woche eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Normalisierung festzustellen sein, den wir im Herbst 1969 eingeleitet haben. Am 21. Dezember 1972 werden die beiden Verhandlungsführer ihre Unterschriften unter den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten setzen. Uns schien eine baldige Unterzeichnung des Vertrages wünschenswert, damit die Erleichterungen im Reiseverkehr und bei der Familienzusammenführung nicht verzögert werden.
Im übrigen wird die Bundesregierung die Gesetzentwürfe zum Grundvertrag und zum Beitritt zu den Vereinten Nationen noch vor Weihnachten dem Bundesrat zuleiten. Die im Grundvertrag vorgesehenen Verhandlungen zwischen den zuständigen Stellen für das Post- und Fernmeldewesen sind inzwischen aufgenommen worden.
Abschließend möchte ich zur Struktur und Organisation des neuen Kabinetts noch folgendes bemerken dürfen. Die meisten unserer Mitbürger werden es, so denke ich, unbeschadet der Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause verstehen, daß ich die Arbeit im wesentlichen mit jener Regierungsmannschaft fortzuführen wünsche, der am 19. November 1972 gemeinsam mit mir ein eindrucksvolles Vertrauensvotum ausgesprochen worden ist.
({7})
In diesem Hause wird es andererseits auch - wiederum unbeschadet der bekannten Gegensätze - sicherlich richtig verstanden werden, wenn ich der bisherigen Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Käte Strobel, sehr, sehr herzlich für langjährige und erfolgreiche Arbeit danke schön sage.
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Trotz der weitgehenden personellen Kontinuität hat sich die Struktur des Kabinetts in einigen Punkten geändert. Dabei ging es im wesentlichen um eine solche Zuordnung von Zuständigkeiten, die uns im Interesse einer wirksamen Regierungsarbeit sinnvoll erschien.
Ich möchte dies in folgenden Punkten erläutern.
1. Die Bereiche Finanzen und Wirtschaft werden neu gegliedert, und dabei übernehmen, wie wir es
vor den Wahlen erklärt hatten, beide Regierungsparteien ministerielle Verantwortung.
2. Eine wesentliche Zusammenfassung von Aufgaben ergibt sich durch das erweiterte Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
3. Im Bereich von Bildung und Wissenschaft haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Bund auf dem wichtigen Gebiet der beruflichen Bildung stärker initiativ werden kann.
4. Als einziges neues Ministerium haben wir das für Forschung und Technologie geschaffen.
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- Ich bin in diesem Fall für Ihre Zwischenrufe dankbar; sie geben mir die Möglichkeit, den folgenden Satz hinzuzufügen. Wegen der Bedeutung der Nachrichtentechnologie
({10})
geht auch die Zuständigkeit für die Bundespost auf dieses Haus über.
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5. Die bilaterale und die multilaterale Kapitalhilfe werden dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit übertragen.
6. Das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit wird mit der Federführung für einige besonders wichtige, wichtiger gewordene und wichtiger werdende Aufgaben betraut. Es ist außer für Frauenfragen auch für Fragen von Freizeit und Erholung - außer der Zuständigkeit für den Sport, die dort bleibt, wo sie ist und wo sie war - und für die gesellschaftliche Integration der Alten in unserem Volk zuständig.
7. Zur Intensivierung der Kabinettsarbeit haben wir es für richtig gehalten, zwei Minister ohne Geschäftsbereich zu ernennen. Einer von ihnen wird mir in erster Linie für meine Arbeit im Kanzleramt zur Verfügung stehen. Zum Chef des Bundeskanzleramtes habe ich einen Staatssekretär berufen.
8. Was die Institution der Parlamentarischen Staatssekretäre angeht, eine Institution, die nun in zweimal drei Jahren erprobt werden konnte, so wird die Regierung eine Änderung des Gesetzes vorschlagen, ohne daß ich diese jetzt schon zu begründen brauchte. Die Amtsbezeichnung „Staatsminister", von der in öffentlichen Erörterungen dieser Tage wiederholt die Rede war, soll den beiden Kollegen vorbehalten sein, die dem Außenminister zur Seite stehen. Einer der beiden Kollegen wird mit der Koordinierung der Europapolitik beauftragt sein.
Dies, meine Damen und Herren, ist das, was ich vor der Regierungserklärung mitzuteilen für erforderlich hielt.
Für diejenigen, die uns über dieses Haus und über die Grenzen unseres Landes hinaus zuhören, will ich schon heute sagen: Das Regierungsbündnis von Sozialdemokraten und Freien Demokraten wird die Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik, die Deutschland- und Berlinpolitik, die Verteidigungspolitik sowie die Politik für die innere Sicherheit zielstrebig fortsetzen.
Zur Wirtschafts- und Finanzpolitik habe ich den Kurs bestätigt, zu dem wir uns noch im alten Bundestag und in der Zeit seitdem bekannt haben.
Über die Schwierigkeiten der Bundespolitik einerseits, über die Notwendigkeit innerer Reformen andererseits wird im Januar eingehend zu sprechen sein. Lassen Sie mich nur noch hinzufügen: Ich hoffe auf möglichst viel Sachlichkeit in den vier Jahren, für die wir gewählt sind;
({12})
möglichst viel Sachlichkeit auch dort, wo die Meinungen zuweilen weit auseinandergehen.
Am 19. November ist meiner Überzeugung nach auch gegen Übertreibungen und Fehlentwicklungen entschieden worden, die den 6. Bundestag leider nicht nur z. B. daran hinderten, einen Bundeshaushalt zu verabschieden, wie das Grundgesetz es uns auferlegt.
({13})
Ich will hier nichts verniedlichen, sondern ich will ohne Selbstgerechtigkeit
({14})
nur dies sagen: Wer sich hier um mehr Sachlichkeit bemüht, wird den Bundeskanzler und die Regierung auf seiner Seite haben.
({15})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor wir auf die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers antworten, möchten wir deutlich machen, wie wir unsere Verantwortung in diesem 7. Deutschen Bundestag wahrzunehmen gedenken: Friede, Freiheit und Gerechtigkeit sind die unverzichtbaren und unabdingbaren Grundlagen unserer Politik, und sie beziehen sich gleichermaßen auf unsere innerstaatlich-gesellschaftliche Ordnung wie auf unsere Beziehungen zu anderen Völkern.
In diesem 7. Deutschen Bundestag sind durch die Wähler selbst die Aufgaben klar verteilt: Sie sollen Regierung, wir sollen Opposition sein. Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, an jedem Tag und zu jedem Thema den Vorschlägen der Regierung die der Opposition entgegenzusetzen, diesen noch zuvorzukommen oder alles rundweg ablehnen zu müssen, was von der Regierung kommt. Wir werden unser kritisches Wächteramt sehr grundsätzlich, auf Schwerpunkte konzentriert und darauf angelegt wahrnehmen, im Jahre 1976 die bessere Alternative zu sein.
({0})
Unsere Kritik - wo sie nötig ist - wird deutlich, fair und maßvoll sein. Auch wir werden hier nichts verschleiern, Herr Bundeskanzler, und werden auch zu dem einen Punkt antworten, den Sie soeben stehend freihändig, wenn ich so sagen darf - in Ihre Erklärung eingefügt haben.
Meine Damen und Herren, das erste, was hier zu Ihrer Erklärung festzustellen ist: zu dem wichtigsten und dringendsten innenpolitischen Problem, einem Problem, das in der Bevölkerung eine große Rolle spielt, nämlich der Uberwindung der trabenden Inflation durch ein umfassendes Konzept einer entschiedenden Stabilitätspolitik, zu diesem Problem Nummer 1, Herr Bundeskanzler, haben Sie keine konkreten Mitteilungen gemacht. Sie haben an andere appelliert und sind den eigenen Beitrag schuldig geblieben. Von dieser ersten Regierungserklärung ist ein Stabilitätssignal nicht ausgegangen.
({1})
Sie haben sich bezogen auf das den Wählern vorenthaltene Gutachten der fünf Sachverständigen. Dieses wissenschaftliche Gutachten, das zu gegebener Zeit hier zu erörtern sein wird, Herr Bundeskanzler, kommt doch zu einem verheerenden und vernichtenden Urteil über die bisherigen Jahre der Koalition in diesem Bereich.
({2})
Daß Sie sich nun trotzdem entschlossen haben, hier zu sagen, Sie blieben bei Ihrer Linie, d. h. der Linie, darauf zu verzichten, eine konkrete und rechtzeitige Stabilitätspolitik zu leisten, läßt uns nichts Gutes ahnen. Denn die Zeche dafür zahlt der kleine Mann, und Reformen werden dadurch verzögert, verschoben oder unmöglich gemacht.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, wie ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, vor drei Jahren sagte, daß Sie ein gutes und solides Erbe antreten in einer Situation, wie sie keiner Ihrer Vorgänger vor sich hatte. Wenn ich nun Ihre Erklärung höre - und den „Vorwärts" dieser Woche lese über die harten Zeiten, über Sturm und Unwetter, durch die Sie müßten -, dann wird es der Opposition erlaubt sein, daran zu erinnern, daß Sie ein schweres Erbe antreten. Aber von wem eigentlich? - Ihr eigenes Erbe, Herr Bundeskanzler. Dies muß hier gesagt sein.
({4})
Sie haben etwas mitgeteilt - wir haben dies mit Bestürzung gehört -, was wir auch schon in den letzten Tagen gelesen haben, als Herr Kollege Schellenberg die Initiative zur Zurücknahme eines Teils der gerade beschlossenen Rentenreform vorgetragen hat. Es sollen Absichten bestehen, das im Eilgalopp durchzupeitschen, vielleicht sogar im Wege der Manipulation.
({5})
Dazu wird vieles zu sagen sein. Nur, meine Damen und Herren, heute muß festgehalten werden: Dies ist eine Gesetzgebung, die im 6. Deutschen Bundestag in dritter Lesung die Zustimmung der Koalition, Ihrer aller Zustimmung, gefunden hat.
({6})
Sie haben sich dieser Gesetzgebung den Wählern gegenüber gerühmt und versuchen nun, im ersten Galopp - möglichst ohne daß es jemand merkt; das ist doch Ihre Hoffnung - ein Stück der Zusagen, die Sie selber gegeben haben, zurückzunehmen. Sie werden uns dabei nicht auf Ihrer Seite finden. Wir werden das einhalten, was wir den Wählern dazu versprochen haben.
({7})
Zur Frage des Haushalts 1972 wird nachher mein Kollege Leicht etwas Grundsätzliches sagen, soweit es die kurze Debatte heute ermöglicht. Auch hier ist das Kennzeichen Manipulation.
Wir halten fest, daß zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen - der Vermögensbildung, der Mitbestimmung und der Steuerpolitik - die konkrete Einigkeit innerhalb der Koalition fehlt. Die zusätzlichen Posten, die Sie geschaffen haben, können diese Einigkeit und das mangelnde Konzept, das mangelnde Programm nicht ersetzen. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie einen Staatssekretär finden, der durch den Wirrwarr der neuen Zuständigkeiten wirklich durchfindet, und ich wünsche ihm das Glück, das Theseus im Labyrinth hatte, als die Göttin Ariadne ihm mit Knäuel und Garn zur Verfügung stand, um da wieder herauszufinden.
({8})
Ich muß ein Wort zu der Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers sagen, am 21. Dezember, also in der kommenden Woche, den Grundvertrag unterschreiben zu lassen, also eine Unterschrift zu leisten, obwohl der Schießbefehl andauert, obwohl sich die DDR an den Verkehrsvertrag, dem wir zugestimmt hatten, nicht hält. Trotz dieser Erfahrung wollen Sie einen so weitgehenden Vertrag ohne verbindlich gesicherte, ausreichende menschliche Erleichterungen unterschreiben. Dies bleibt festzuhalten: Dieser Vertrag - schlecht und eilig ausgehandelt, ohne angemessene Leistung und Gegenleistung - soll, so wird gesagt, dem Frieden dienen. Frieden aber - dieses Wort ist früher auch von Ihnen und Ihrer Regierung zitiert worden, Herr Bundeskanzler - ist doch nach einem berühmten Wort des Präsidenten Kennedy eine Sache der Menschenrechte. Ebenso sieht es doch die Satzung der Vereinten Nationen, auf die dieser schlechte Vertrag vielfach Bezug nimmt. Über dieses Problem wird später im einzelnen zu sprechen sein wie über Ihre neue Formel von den zwei deutschen Staaten. Es hieß vor kurzem noch: zwei Staaten in Deutschland. Wieder ein anderer Anfang, wieder genau wie 1969. Darüber wird im einzelnen zu sprechen sein.
Was wir Ihnen vorwerfen, Herr Bundeskanzler, ist dies: Mit der Unterschrift unter den Grundvertrag bereiten Sie der DDR den Weg in die UNO, ohne daß diese auch nur die mindesten Zusicherungen gemacht hätte - ganz zu schweigen von Verbindlichkeiten -, den Bürgern der DDR die in der UNO-Charta beschworenen Menschenrechte zu gewährleisten. Diesen Vorwurf müssen wir Ihnen heute und rechtzeitig machen.
({9})
Die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen enthält u. a. folgende Vorschriften. In Art. 12:
Niemand darf willkürlicher Einmischung in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel oder Angriffen auf seine Ehre und seinen Ruf ausgesetzt werden.
Art. 13:
Jeder hat das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb der Grenzen aller Staaten. Jeder hat das Recht, jedes beliebige Land einschließlich seines eigenen zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren.
Volljährige Männer und Frauen haben ohne Rücksicht auf Rasse, Staatsangehörigkeit oder Religion das Recht, eine Ehe einzugehen oder eine Familie zu gründen.
Ich will es bei diesen drei Auszügen sein Bewenden sein lassen. Nichts davon, Herr Bundeskanzler, sichert dieser Vertrag. Nichts davon entspricht der Wirklichkeit in der DDR.
Auch wir verlangen und erwarten nicht, daß dies alles auf einmal anders werden könnte. Wir haben einen verbindlichen Stufenplan vorgelegt. Daß aber nun alles hier weggegeben wird, ohne verbindlich Zusicherungen auf mehr Menschenrechte im ganzen Deutschland zu haben, dies muß heute gesagt werden, bevor Sie diese weitgehende Unterschrift in der nächsten Woche leisten werden.
({10})
Demokraten, wenn sie wie dieses ganze Haus zum Frieden entschlossen sind, müssen oft und manchmal für lange Zeit Unrecht hinnehmen. Aber Demokraten sollten dies nie bestätigen. Sonst verwischen sie die Grundlage der Grundsätze, auf denen sie selbst stehen. Der geistige Kampf um das ganze Deutschland hört doch mit diesem Vertrag nicht auf, der politische auch nicht. Wer soll den geistigen und politischen gewinnen, wenn in diesen Grundansätzen und Grundlagen Verwischung statt Klarheit eintritt?
({11})
Sie haben, Herr Bundeskanzler, von Wahlkampf gesprochen und es wieder für richtig gehalten, eine Schicht unseres Volkes hier besonders anzugreifen. Ich möchte deshalb hier sagen: Niemand spricht wirklich mit Recht von guter Nachbarschaft und Frieden, der nicht weiß und praktiziert, daß dies zu Hause anfängt.
({12})
Herr Bundeskanzler, wir lesen in den Zeitungen von Boykottmaßnahmen z. B. gegen einen Kölner Kaufmann, der sich in diesem Wahlkampf als Demokrat zu seiner Meinung öffentlich bekannt hat.
({13})
Wir lesen von Maßnahmen gegen Professoren, die sich bekannt haben. Herr Bundeskanzler, da Sie von Wahlkampf gesprochen haben, gehört dies hier hin. Es wäre sehr gut, wenn Sie Ihre Regierungserklärung zu einem ganz klaren Wort benutzten, damit für den 7. Deutschen Bundestag klar ist: Die Soli32
darität der Demokraten ist intakt, und sie hat Vorrang vor allen anderen Solidaritäten. Das sollte für diesen Bundestag durch ein Wort von Ihnen klar sein; denn es waren Ihre Wahlhelfer, die jetzt so handeln!
({14})
Der innere Friede und die innere Freiheit, Herr Bundeskanzler, sind hohe Güter, denen sich Regierung wie Opposition verpflichtet fühlen sollten.
Meine Damen und Herren, uns wird jeder jederzeit auf die Solidarität der Demokraten, auf Sachlichkeit, auf gute Nachbarschaft ansprechen können, auch auf den inneren Frieden und auf die innere Freiheit. Uns wird jeder darauf ansprechen können, daß soziale Marktwirtschaft und soziale Partnerschaft die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung sind -, einer Ordnung, für die wir einstehen, die wir verbessern und entfalten, die wir aber nicht sprengen und nicht überwinden wollen. Von dieser Frage aus wird in diesem Bundestag bei der Beratung konkreter Einzelheiten wohl vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich mehr Bewegung entstehen, als manch einer annahm, als er das Wahlergebnis hörte. Zu all diesen Grundfragen werden wir - ohne das übliche parlamentarische do ut des - jedermann beistehen, der sich hier im Hause weiterhin in dieser Ordnung wohlfühlen und mit dieser Ordnung Entwicklung und Fortschritt bewirken will. Auch daran soll man uns in diesen vier Jahren erinnern können.
Der Leitsatz des Programms, das wir uns für diese vier Jahre gaben, heißt: „Fortschrittliche Gesellschaftspolitik entscheidet über die Zukunft der Freiheit." Fortschritt ist für uns da, wo der Lebens- und Freiheitsraum des einzelnen erweitert, wo die Menschenrechte verwirklicht und ihre soziale Basis in der Alltagswirklichkeit gestärkt werden. Aus dieser Sicht werden wir hier in diesem Bundestag unsere Pflicht als Opposition tun, und wir werden dabei auch in den Wettbewerb der gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen und in Jderen Konkretisierung eintreten. An uns soll es nicht liegen. Dies kann der Bundestag gesellschaftspolitischen Fortschrittes sein, - freilich für die Ordnung, in der wir uns wohlfühlen, in diesem nicht gesprengten, nicht veränderten, sondern erhaltenen und ausgebauten freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat.
({15})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist offenbar nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Dieser Punkt der Tagesordnung ist erledigt.
Wir kommen zu dem angekündigten Zusatzpunkt:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU betr. Einsetzung des Rechtsausschusses
- Drucksache 7/21 Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen dieses Hauses sind zunächst davon ausgegangen, daß
die Ausschüsse des Deutschen Bundestages, ausgenommen der Haushaltsauschuß, im Januar 1973 kontituiert werden. In der Zwischenzeit gibt es nicht nur bei der CDU/CSU die Feststellung, daß der Entwurf des Haushaltsgesetzes 1972, der als nächster Punkt der Tagesordnung beraten werden wird, mit dem Grundgesetz nicht übereinstimmt, insbesondere gegen die Bestimmungen des Art. 110 verstößt. Mein Kollege Leicht wird dazu beim nächsten Punkt der Tagesordnung sprechen.
Meine Damen und Herren, die Klärung dieser Frage liegt nach meiner Ansicht auch im besonderen Interesse des Parlamentes. Sie kann nur im Rechtsausschuß erfolgen. Die Voraussetzung dafür zu schaffen ist Ziel unseres Antrags auf Einsetzung eben dieses Rechtsausschusses.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU schlägt vor, den Rechtsausschuß so rasch wie möglich zu konstituieren, um die Beratung des Haushaltsgesetzes in der nächsten Woche nicht zu verzögern. Uns liegt an Sachaufklärung, nicht an Verzögerung.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag Drucksache 7/21 zuzustimmen.
({0})
Wird zu diesem Antrag weiter das Wort gewünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einer Enthaltung ist der Antrag angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1972 ({0})
- Drucksachen 7/10, 7/11 Ich eröffne die erste Beratung. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? - Herr Leicht, bitte, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zum zweitenmal steht der Haushalt 1972 zur ersten Beratung an. Statt zum Jahresanfang steht er zum Jahresende zur Entscheidung. Das Jahr, für den er gilt, liegt praktisch schon hinter uns. Dem Parlament ist damit jede Möglichkeit genommen, auf das Haushaltsgeschehen des Jahres 1972 Einfluß zu nehmen. Das Haushaltsgeschehen lag ausschließlich in den Händen der Exekutive. Das Haushaltsbewilligungsrecht ist indessen das vornehmste Recht des Parlaments. Das Parlament als Ganzes - nicht nur diese oder jene Seite des Hauses - wird daher sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob die Regierung die durch die Verfassung gezogenen Grenzen eingehalten und von der ihr gegebenen Ermächtigung des NothaushaltsLeicht
rechts der Art. 111 und 112 des Grundgesetzes den rechten Gebrauch gemacht hat.
Der Zeitdruck, unter dem wir heute stehen, erlaubt es nicht, hier darauf näher einzugehen. Die CDU/CSU-Fraktion wird jedoch darauf drängen, daß diese Frage auf die Tagesordnung der ersten Sitzung des neuen Haushaltsausschusses zu Beginn des nächsten Jahres gesetzt wird.
Ich will auch heute nicht auf die grundsätzlichen Bedenken gegen diese Politik, vor allem gegen die Finanz- und Konjunkturpolitik, eingehen, die in den Zahlen des vorgelegten Haushaltsentwurfs ihren Ausdruck findet. Darüber wird in der dritten Lesung noch zu sprechen sein. Nur einen wesentlichen Punkt möchte ich näher beleuchten, was gleichzeitig, Frau Präsident, als Begründung des vorgelegten Antrags dienen soll.
Der Bundeskanzler hat soeben in Vorwegnahme der Regierungserklärung einige Ziele seiner Regierung angesprochen. Er will vieles, so habe ich daraus entnommen, besser machen. Indessen, der erste Beitrag zur praktischen Politik, den seine Regierung durch die Vorlage des Haushalts geleistet hat, verstößt nach unserer Meinung gegen Verfassung und Recht.
Nach Art. 110 des Grundgesetzes sind alle im Zeitpunkt der Einbringung und parlamentarischen Beschlußfassung vorhersehbaren Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustellen. Das ist nicht geschehen. Der jetzt vorgelegte Entwurf zeigt die unveränderte Übernahme der Beschlüsse des Haushaltsausschusses vom 14. September dieses Jahres. Er geht also von dem damaligen Erkenntnisstand aus; das ist der des Juli 1972. Die zwischenzeitlich erkennbar gewordene neue Entwicklung, die neuen Beschlüsse des Kabinetts, die eingetretene zwangsläufige Ausgabenvermehrung und Einnahmevermehrung, sind nicht berücksichtigt.
Ich kann hier nur das aufgreifen, was der Finanzminister, was die deutsche Presse uns als Anhaltspunkte gegeben haben, ohne alle Einzelheiten genau festlegen zu können, denn dazu haben wir das Wissen nicht. Es fehlen:
1. 700 Millionen DM an Mehrausgaben, die von der Regierung über den vorgelegten Haushaltsentwurf hinaus als zwangsläufig angesehen wurden.
2. Steuermehreinnahmen in Höhe von 900 Millionen bis 1 Milliarde DM, um die der zuständige Minister nach den Angaben in seiner Pressekonferenz vom 27. Oktober 1972 die Neuverschuldung herabsetzen will.
3. Die Aufgliederung von Einsparungen in einer Größenordnung von rund 1,8 Milliarden DM oder mehr auf die einzelnen Ausgabeermächtigungen, die notwendig sind, um die angestrebten Gesamtausgaben auf 109 Milliarden DM zu beschränken.
4. Die Angabe, in welchem Umfang von den Ermächtigungen Gebrauch gemacht werden soll, in den sogenannten Schattenhaushalten zusätzliche Ausgaben zu leisten.
Wir sollen also hier über Zahlen beschließen, die teilweise durch die Entwicklung überholt sind,
die nicht oder nicht mehr stimmen. Damit macht die Regierung die parlamentarische Beschlußfassung über den Haushalt 1972 zur Farce. „Die Bundesregierung hält eine Anpassung an die bisherigen Ist-Ergebnisse nicht für sinnvoll" ; so in der Bundestagsdrucksache 7/11, die auf Ihren Pulten liegt, in der Stellungnahme zu dem, was der Bundesrat zu diesen Fragen gesagt hat.
Diese Auffassung steht mit dem eindeutigen Verfassungsauftrag des Art. 110 GG nicht in Einklang. Die Wirklichkeitsnähe der Haushaltszahlen ist doch kein Selbstzweck. Der Haushalt soll nicht Wunschdenken entsprechen, sondern er soll die wirkliche Lage der Staatsfinanzen bewußtmachen.
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Er soll darüber hinaus diesem Parlament die Möglichkeit geben, seine Kontrollfunktion auszuüben.
Daran - und das ist für mich die einzige Erklärung für den Verfassungsverstoß der Regierung - versucht sich die neue Regierung vorbeizumogeln. Sie will offenbar nicht zugeben, daß wegen der - aus welchen Gründen auch immer entstandenen - Zwangsläufigkeiten auf der Ausgabenseite des Haushalts die ursprünglichen Ziele nicht erreicht worden sind. So ist die Regierung z. B. gar nicht mehr in der Lage, die vorgesehenen Investitionen durchzuführen; vielmehr müssen die Investitionsausgaben und die Ausgaben für andere wichtige Zwecke viel stärker gedrosselt werden, als das ursprünglich vorgesehen war.
Wie bisher versucht die Regierung, ein rosiges Bild der Bundesfinanzen zu zeichnen, das meiner Meinung nach und nach Meinung meiner Fraktion der Wirklichkeit überhaupt nicht mehr entspricht. Damit setzt die neue Regierung - insofern allerdings folgerichtig - die Politik fort, die bereits dazu geführt hat, daß wichtige Staatsausgaben in einer Größenordnung von rund 5 Milliarden DM nicht im Haushalt geleistet, sondern außerhalb des Haushalts durch zusätzliche Schuldaufnahmen gewissermaßen unter dem Tisch getätigt werden.
Die heile Welt besteht in den Staatsfinanzen unserer Überzeugung nach nicht mehr. Es mag noch wahltaktisch erklärbar sein, daß die Koalitionsparteien das bis zur Wahl nicht zugeben wollten. Aber der neue und alte Bundesminister der Finanzen leistet sich selbst meiner Meinung nach einen schlechten Dienst, wenn er diese Politik auch jetzt noch fortsetzt.
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Er müßte doch bei den bisherigen Verhandlungen - nach allem, was man so hört - bereits bemerkt haben, wie schwer er sich bei jedem Schritt zur Sanierung der Bundesfinanzen tut. Er selbst vergrößert, wenn ich es richtig sehe, die Probleme, je weiter er die Stunde der Wahrheit in der Haushaltspolitik des Bundes hinauszögert.
In der Haushaltspolitik hat in der Vergangenheit meines Erachtens hinreichend Willkür geherrscht. Zwei Minister - wir wissen es - verließen darüber die Regierung. Wir urteilen heute nicht an34
ders als vor der Wahl: Die Opposition - der Vorsitzende meiner Fraktion hat darauf hingewiesen - steht nicht in der Verantwortung für die Regierungspolitik. Aber auch die Opposition ist dem Wohle des Ganzen verpflichtet. Sie muß ihre warnende Stimme erheben, wenn sie eine für unser Volk unheilvolle Entwicklung erkennt.
Sorgen Sie, Herr Bundesfinanzminister, in dieser Frage der Aktualisierung des Haushalts für die Achtung der Verfassung; sorgen wir alle dafür, daß wir durch umgehende Vorlage der Zahlen und durch den Einbau dieser Zahlen, die wir bis jetzt im einzelnen nicht kennen, in den Haushalt dem Grundgesetz Rechnung tragen. Sie, Herr Minister, tragen sonst die Hauptverantwortung dafür, daß das Parlament durch die Zustimmung zu diesem Haushaltsentwurf sehenden Auges gegen die Verfassung verstößt.
Ich bin dafür dankbar, daß die Koalitionsfraktionen unserem Antrag auf Einsetzung des Rechtsausschusses und damit der Schaffung der entsprechenden Prüfungsmöglichkeiten zugestimmt haben. Ich wäre aber auch dankbar, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie in den nächsten Tagen - ich hatte Ihnen ja einen Brief geschrieben - zur Aktualisierung dieses Haushalts uns auch die nötigen Zahlen lieferten, damit das geschehen kann, was, glaube ich, im Interesse von uns allen geschieht: daß zumindest das Gebot des Grundgesetzes für diesen Haushalt geachtet wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haehser.
Gnädige Frau! Meine sehr geehrten Damen und meine Herren! Lassen Sie mich an die Spitze meiner Bemerkungen zur Haushaltsplanberatung 1972 ein Wort des Dankes an die Bundesregierung setzen. Durch die Vorlage des Gesetzentwurfes und der Anlagen wird sich das Bundesparlament in den Stand gesetzt sehen, den bisherigen Haushaltsplänen seit 1949 nun auch noch den Haushaltsplan 1972 hinzuzufügen.
Namens meiner Fraktion möchte ich mich ausdrücklich beim Bundesrat bedanken, der in seiner Gesamtheit auf die ihm zustehende Beratungsfrist verzichtet hat, damit der Bundesetat 1972 noch vor Ablauf des Haushaltsjahres verabschiedet werden kann.
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Auch die CDU/CSU-regierten Länder haben in einem im Bundesrat gestellten Antrag ausdrücklich auf die Einlegung der Fristen verzichtet.
Der dritte Dank, den ich auszusprechen habe, gilt der CDU/CSU-Opposition. Denn der Kollege Albert Leicht hat in einem Brief an den Herrn Bundesminister der Finanzen vom 5. Dezember 1972 einen Hinweis auf das Interesse der CDU/CSU-Opposition an einer baldigen Verabschiedung des Haushaltsplans gegeben, damit die parlamentarische Kontrolle wiederhergestellt werden kann.
Das alles ist richtig, aber nach meinen Dankesworten an die Bundesregierung, den Bundesrat und die Opposition muß ich natürlich auch ein paar Bemerkungen zur Geschichte des Haushaltsplans 1972 machen.
Hier erinnere ich Sie alle an den 28. April 1972. In einer großen Kraftanstrengung hat es die Opposition fertiggebracht, die gültige Verabschiedung des Kanzleretats zu verhindern, indem sie Stimmengleichheit herbeiführte. Die an die nicht erfolgte Verabschiedung des Kanzlerhaushalts geknüpfte Schlußfolgerung, der Bundeskanzler habe also kein Vertrauen mehr, hat sich spätestens und erfreulicherweise am 19. November 1972 als falsch herausgestellt.
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Hier wäre der Opposition überhaupt zu raten, mit ihren Prophezeihungen nicht allzu voreilig zu sein; sonst wird sie von der Öffentlichkeit, vom Wähler - wie in diesem Fall geschehen - zurückgewiesen.
Damals, am 28. April 1972, hat der Herr Bundeskanzler hier folgendes ausgeführt - ich zitiere -:
Die Bundesregierung bedauert, daß durch Stimmengleichheit bei Nichtwertung der Berliner Stimmen diese Vorlage nicht die Zustimmung des Hohen Hauses gefunden hat. Ich bitte namens der Bundesregierung schon jetzt um die Unterstützung, die wir brauchen, um dies bei der dritten Lesung zu korrigieren.
Wenn man ein bißchen Sinn für Geschichte hat, muß man eigentlich diese erste Lesung als die dritte Lesung des Bundeshaushalts 1972 werten.
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Wir haben die erste Beratung und den Beginn der zweiten Beratung hier im Hohen Hause gehabt. Wir haben zweitens die Rücküberweisung und die Beratung des Etats im Haushaltsausschuß gehabt. Jetzt haben wir die erste Beratung - sprich: dritte Beratung - noch immer desselben Entwurfs,
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den wir aber natürlich aktualisiert haben, Herr Kollege Leicht, wie Sie mir ja als alter Fachmann zugeben müssen. Diese Aktualisierung hat in dem Antrag der CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat und auch in Ihrem Schreiben sowie in Ihrer Rede eine Rolle gespielt. Sie spielt auch eine Rolle bei dem Antrag, der zu unserer Überraschung, aber auch zu unserer Freude - wir haben ihm ja zugestimmt - heute auf den Tisch gelegt worden ist.
Ich gehe davon aus - sehr viel mehr werde ich dazu gar nicht sagen; denn wir werden im Haushaltsausschuß, im Plenum und nun auch noch im Rechtsausschuß beraten -, daß alle fälligen und kassenwirksamen Einnahmen und Ausgaben veranschlagt sind, soweit sie etatreif sind; diese Einschränkung möchte ich machen.
Die von Ihnen gewünschte Aktualisierung wäre ein ständiger Prozeß. Sie müßte manchmal mehrfach am Tage vorgenommen werden, denn in der Bundeskasse passiert ja, was Einnahmen und Ausgaben angeht, etwas. Ich bin sicher, meine Damen und
meine Herren, daß so aktualisiert noch kein Bundeshaushalt verabschiedet worden ist, wie es in der nächsten Woche, ich hoffe, mit Zustimmung des ganzen Hauses, geschehen kann. Das ergibt sich doch aus der Rücküberweisung an den Haushaltsausschuß. Wer die Aktualisierung wünscht - sie wird hier ohne Einschränkung gefordert -, der muß wissen, daß dann unter Umständen 6500 Titel betroffen wären. Das ist rein technisch überhaupt nicht mehr zu machen.
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Herr Kollege Leicht, was uns vorgelegt werden kann, ist das Ist-Ergebnis von Oktober 1972. Ich habe mich davon überzeugt, daß das Ist-Ergebnis von November 1972 noch gar nicht vorgelegt werden kann.
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Würde uns das weiterhelfen, würde das den Erkenntnisstand beträchtlich vermehren? Das sind Fragen, die ich hier zu stellen habe. Jeder weiß -und das weiß der bisherige und wohl auch künftige Vorsitzende des Haushaltsausschusses
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genauso -, daß uns das Ist-Ergebnis 1972 erst im März/April nächsten Jahres zur Verfügung stehen wird.
Ein anderes Thema hat heute, aber auch in Ihrem Brief, Herr Kollege Leicht, und in der Stellungnahme der CDU/CSU-regierten Länder, immer wieder eine Rolle gespielt, nämlich die sogenannten Schattenhaushalte. Dieser Begriff ist von mir heute zurückzuweisen. Es wird mit seiner Verwendung der Versuch unternommen, unterschwellig zum Ausdruck bringen ,als vollziehe sich mit den, wie Sie das nennen, Schattenhaushalten etwas im dunkeln oder am Rande der Legalität. Das ist falsch, das ist unwahr.
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Meine Damen und meine Herren, was ist das Kernstück der sogenannten Schattenhaushalte? Wenn ich mich nach den bisherigen Ausführungen nicht täusche, dann sind damit insbesondere die Kredite für öffentliche Arbeiten, die sogenannten ÖffaKredite, gemeint. Nun tun Sie doch nicht so, als gebe es diese Offa-Kreditfinanzierung erst seit der Regierung Brandt/Scheel! Diese gibt es seit 1955, d. h. es gab sie fast eineinhalb Jahrzehnte lang unter christlich-demokratischen Bundeskanzlern.
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Das ist doch die Wahrheit, und das muß ich hier einmal ganz deutlich sagen.
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Es stimmt im übrigen auch nicht - ich habe das im Haushaltsausschuß schon ausgeführt -, daß Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit verletzt werden.
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- Sie verstehen sowieso nichts davon, Herr Wohlrabe.
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- Aber von dem, was ich gerade gesagt habe, sind doch Ihre eigenen Kollegen überzeugt.
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Ich weise zunächst darauf hin, daß in § 4 des jetzt vorliegenden Entwurfs des Haushaltsgesetzes die Offa-Kreditfinanzierung ausdrücklich erwähnt ist. Darüber hinaus sind die Offa-Kredite sowohl im Bundeshaushalt als auch im Straßenbauplan und in der Haushaltsrechnung klar ausgewiesen. Ich könnte Ihnen sogar die Seitenzahlen nennen, wo sie ausgewiesen sind. - Sie wollen sie anscheinend wissen, Herr Leicht. Was den Einzelplan 12 angeht, ist es die Seite 178.
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und soweit es den Kapitaldienst angeht, ist es die Seite 168, Tit. 661 01. Also geben Sie dieses Märchen von den Schattenhaushalten auf!
Worum es Ihnen geht, ist die Abschaffung der sogenannten Schattenhaushalte, um dann mit so langer Nase der Regierung vorwerfen zu können, sie habe eine Aufblähung des Staatshaushalts vorgenommen. Das steckt doch dahinter,
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und Sie können uns nicht vormachen, daß Sie dafür andere, sachlich gerechtfertigte Gründe haben.
Nun will ich Ihnen namens der sozialdemokratischen Fraktion und deren Arbeitsgruppe Haushalt ein Angebot machen. Ich mache Ihnen das Angebot, in einer ruhigen Stunde, zu einer ruhigen Zeit mit uns über die ganze Problematik einmal zu reden.
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Es ist kein Angebot, die Haushalte, die Sie zu Unrecht „Schattenhaushalte" nennen, abzuschaffen, aber es ist das Angebot, in aller Ruhe und Sachlichkeit über dieses Thema einmal zu reden.
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Nun lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Immer wieder wird erklärt, dieser Haushalt 1972, der, wenn er verabschiedet ist, nur noch eine relativ kurze Laufzeit hat, sei kein Beitrag zur Stabilität. Dies i s t ein Beitrag zur Stabilität. Denn der Haushaltsvollzug wird deutlich machen, daß die Zuwachsrate bei den Ausgaben Ende Oktober 1972 bei 10,5 % liegt. Mich wundert es sehr, daß im Bundesrat die CDU/CSU-regierten Länder auch das Thema „Beitrag zur Stabilität" aufgreifen, denn die Zuwachsraten der Länder liegen im Durchschnitt um mehr als 1 % über der erkennbaren Zuwachsrate des Bundeshaushalts 1972.
({17}) Das muß also sehr verwundern.
Nun lassen Sie mich zum Schluß auf Grund der Rede des Herrn Kollegen Barzel und auch auf Grund der Einlassungen des Herrn Kollegen Leicht folgendes sagen. Auf der Seite der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses ist der Eindruck entstanden,
sie haben beide in den letzten drei Jahren nichts hinzugelernt.
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Wir haben, was den Herrn Vorsitzenden der Opposition anging, die gleichen Töne auch in der gleichen Art vorgebracht gehört, und wir haben vom Herrn Kollegen Leicht die gleiche Schwarzmalerei gehört, mit der Sie am Schluß des Wahlkampfes die Zeitungsseiten überschwemmten. Das hat bei uns nichts bewirkt, und das hat - was uns noch viel froher stimmt - beim deutschen Wähler nichts bewirkt. Deswegen unser Rat
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- Herr Kollege Wehner, Sie greifen mir vor -: machen Sie so weiter, dann wird unsere Mehrheit noch
größer, und Sie werden noch etwas kleiner werden.
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Zum Schluß! Der Herr Bundesminister der Finanzen Helmut Schmidt hat uns wissen lassen, daß er sowohl im Haushaltsausschuß als auch im Plenum des Deutschen Bundestages in der nächsten Woche zum Haushaltsplan 1972 Stellung zu nehmen beabsichtigt. Das wird noch manche Klärung bringen, insbesondere, Herr Kollege Leicht, in der sachlichen ruhigen Atmosphäre des Ausschusses, dem, wenn Sie ihm wieder vorsitzen werden, immer ein ganz anderer Leicht vorsitzt, als ich ihn im Wahlkämpfer wiederentdeckt habe. Da herrscht Ruhe und Sachlichkeit und Gelassenheit, und das wird unseren Beratungen guttun.
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Dem Bundesminister der Finanzen Helmut Schmidt wünscht bei dieser Gelegenheit die SPD-Fraktion Glück in seinem Wirken, bietet ihm jede Unterstützung an und möchte den Wunsch an ihn richten, daß er sich mit seinen Kabinettskollegen darum bemüht, daß wir den Bundeshaushalt 1973 frühzeitig zur Verfügung haben, damit er entsprechend frühzeitig verabschiedet werden kann.
Nun hoffe ich, daß wir in der nächsten Woche Einmütigkeit bei der Abstimmung über den Bundeshaushalt 1972 haben. Wir jedenfalls werden ihm zustimmen. Von den Kollegen der FDP-Fraktion erwarte ich das auch. Bleiben also nur noch Sie eventuell übrig, aber das können Sie sich ja noch überlegen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion äußert ihre Befriedigung darüber, daß es möglich ist - oder zumindest mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit möglich scheint -, in der nächsten Woche den Haushalt 1972 zu verabschieden, so daß nicht eintritt, was gelegentlich einmal als Möglichkeit erörtert wurde: ein haushaltspolitisches Vakuum, bei dem wir uns sicher alle gemeinsam nicht wohlgefühlt hätten.
Ich darf wie der Kollege Haehser diese Befriedigung verbinden mit einem Dank an das Ministerium, das die technische Vorbereitung geleistet hat, auch mit einem ausdrücklichen Dank an den Bundesrat, der bereit war, uns die heutige Beratung durch Verzicht auf Fristen zu ermöglichen, und auch mit einem Dank an die Opposition, die geschäftsordnungsmäßig bereit war, die Voraussetzungen dafür zu 'schaffen, daß wir heute in erster und nächste Woche in zweiter und dritter Lesung beraten können. Ich ergänze den Kollegen Haehser, indem ich den Dank noch an eine zusätzliche Gruppe richte: Ich meine, wir sollten diesen Dank auch an die - ich glaube, es sind 149 - neuen Abgeordneten im 7. Deutschen Bundestag aussprechen, für die es eine besondere Lage ist, den Haushalt 1972 in dieser Form zu verabschieden; denn für uns ist er ja ein alter Bekannter.
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Die Feststellung, er sei ein alter Bekannter, veranlaßt mich zu der Erinnerung, daß wir diesen Haushalt, wie er jetzt von der Regierung vorgelegt wird - aus formalen Gründen wegen des Prinzips der Diskontinuität von Vorlagen zwischen zwei Legislaturperioden vorgelegt werden muß -, in der gleichen Form Mitte September im Haushaltsausschuß verabschiedet und verabschiedungsreif für das Plenum vorbereitet hatten, und zwar in einer absolut aktualisierten Form, in einer Form, wie er damals im September aktueller, aktualisierter nicht sein konnte, und auch in einer Form, die ihn nicht nur formal verabschiedungsreif erscheinen ließ, sondern für uns als Regierungsparteien von damals und heute auch inhaltlich verabschiedungsreif erscheinen ließ.
Wir bitten allerdings nachträglich um Verständnis, daß wir diesen so erarbeiteten Haushalt damals nicht der Zufallsmehrheit von einer Stimme, wie sie im September gegeben war und mit der anderes angerichtet wurde, überantwortet haben, sondern ihn zurückgestellt haben, bis ein neuer Bundestag zusammengetreten ist.
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Wir werden über die Einzelheiten in der zweiten und dritten Beratung zu sprechen haben. Zur Zeit scheinen sich mir drei Probleme besonders zu stellen. Das ist einmal die Frage der Aktualisierung, das ist zweitens - nicht neu, immer wieder - die Frage der konjunkturpolitischen Relevanz und schließlich die Frage der Gesetzmäßigkeit bzw. der Verfassungsmäßigkeit des Vollzugs. Lassen Sie mich heute in der ersten Lesung zu allen drei Fragen nur kurze Bemerkungen machen.
Ich teile im Prinzip, Herr Leicht, den Wunsch, einen möglichst aktualisierten Haushalt zu verabschieden. Nur wenn ich sehe, wie die Dinge technisch sind - wir wollen ja nach Möglichkeit keine Scheinaktualisierung, sondern eine umfassende machen -, dann muß ich doch abwägen, was mir lieber ist: ein Haushaltsplan, wie er jetzt vorliegt, aktuell nach dem Stand von Mitte September, der
vor Weihnachten und damit noch vor Ende des Kalenderjahres - gleich Haushaltsjahr - verabschiedet wird, oder ein weiter zu aktualisierender, dann aber - das wissen Sie auch - aus Zeit- und technischen Gründen nicht mehr vor Ablauf des Kalenderjahres zu verabschiedender Haushalt. Das ist der Zielkonflikt, in dem wir uns zu bewegen haben, und da meine ich, unter Abwägung aller Umstände müssen wir uns dann eben dafür entscheiden, den Haushalt so, wie er jetzt vorliegt, zu verabschieden.
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Das schließt ja nicht aus, daß wir im Haushaltsausschuß eine umfassende Unterrichtung über die Haushaltslage, über die Entwicklung seit der letzten Beratung im Haushaltsausschuß erhalten.
Das zweite Problem - wie gesagt, die konjunkturpolitische Qualität des Bundeshaushalts -, ein Standardthema der 6. Legislaturperiode, und ich könnte mir vorstellen, auch der 7. Legislaturperiode. In diesem Zusammenhang muß man die Bemerkungen des Kollegen Barzel zurückweisen, daß das Sachverständigengutachten dem Wähler vorenthalten worden sei. Dieses Sachverständigengutachten ist, so würde ich sagen, mit der normalen Verzögerung gegenüber dem im Gesetz festgelegten Stichtag -15. November - veröffentlicht worden. Wenn Sie Wert darauf legen, können wir ja einmal eine Anfrage stellen, damit wir schwarz auf weiß vorgelegt bekommen - das ist einfach eine Fleißarbeit -, zu welchem Termin das Sachverständigengutachten in den vergangenen Jahren jeweils vorgelegt worden ist. Mit Sicherheit käme bei einer Überprüfung heraus, daß es nie zum 15. November vorgelegt wurde. Nach meiner Erinnerung war es meistens Anfang Dezember.
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Deshalb wollen wir doch nicht gleich weiter mit Unterstellungen anfangen, die so naiv sind, daß jeder merkt, daß etwas nicht stimmt.
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- Nein, das sowieso nicht, Herr Kollege Wehner.
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- Nein, da gibt es gar nichts zuzugeben. Wir wollen doch nicht, nur um Ihnen einen Gefallen zu tun, etwas zugeben, was nicht zuzugeben ist. Das wäre doch nun wirklich zu viel verlangt.
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In der Sache kommt es doch auf folgendes an. Es ist klar und richtig, daß das Sachverständigengutachten, über dessen Vorlagetermin wir eben gesprochen haben, die Haushalts- und Finanzpolitik aller öffentlichen Hände in diesem Staat - das ist das Entscheidende - einer relativ harten Kritik unterzieht. Es bezieht sich also auf den Bund, elf Länder und zigtausend Gemeinden, Städte, Kreise usw. Wer sich die Mühe macht, dieses Sachverständigengutachten genau zu lesen, wird doch wohl feststellen, daß die Zensuren, die die öffentlichen Hände erhalten, vielleicht insgesamt nicht sehr gut sind, wie bisher; man muß doch aber eindeutig feststellen, daß der Bund unverändert noch die besten Zensuren im Vergleich mit all diesen Gebietskörperschaften erhält.
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Wir werden über das Sachverständigengutachten im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht noch eingehender zu diskutieren haben. Ich meine, aber auch in diesem Sachverständigengutachten fehlt etwas, was bei fast allen fehlt, die über diese Dinge reden, schreiben und denken. Es fehlt etwas Konkretes, was realistisch ist. Es werden wunderbare Berechnungen angestellt, und die Darstellungsweise ist fast nur noch zu begreifen, wenn man die höhere Mathematik beherrscht. Es wird dargestellt, um wieviel Prozent - oder welche Bezugsgröße auch immer gewählt wird - die öffentlichen Haushalte zu expansiv waren. Wie man es hätte anders machen können, wird auch im Sachverständigengutachten nicht gesagt. Das muß man einmal sehr deutlich feststellen.
({8})
- Vielen Dank, Herr Leicht, daß wir uns darin einig sind. Wir sollten uns vielleicht auch einmal - wir sind in den letzten Jahren darüber immer hinweggegangen - mit der Rechenmethodik beschäftigen, die dort angewandt wird. Da scheint mir einiges problematisch zu sein.
Nun zu dem dritten Punkt einige wenige Worte. Wir haben ja dem Antrag zugestimmt, auch den Rechtsausschuß wieder in alter Form zu konstituieren. Wir sind mit der Prüfung dieser Frage einverstanden. Wenn ich Herrn Leicht recht verstanden habe, ging es ihm um die Frage der Einbringung in dieser Form. Es kann kein Zweifel bestehen, daß das vorletzte Wort über die Haushaltswirtschaft und den Haushaltsvollzug des Jahres 1972 der Bundesrechnungshof haben wird. Das ist seine Aufgabe. Das letzte Wort haben wir dann, wenn wir die Rechnung für 1972 zur Entlastung vorgelegt bekommen. Was meine Person angeht, so bin ich bereit, hier folgendes zu sagen. Wir werden die Handlungen der Exekutive an Hand des Berichtes des Rechnungshofes ganz vorurteilsfrei prüfen. Meine Damen und Herren, es gehörte für mich zu den angenehmen Erfahrungen der letzten Legislaturperiode - Kollege Haehser, das darf man wohl so sagen -, daß sich auch die Kollegen der Opposition vorurteilsfrei an der Kritik im Hinblick auf die Rechnungslegung der Jahre bis 1969 beteiligt haben. Wir werden Ihnen, was die kommenden Jahre angeht, darin nicht nachstehen. Das kann ich Ihnen versprechen.
({9})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß eine politische Bemerkung machen. Die Opposition hat die Nichtverabschiedung des Haushalts wesentlich in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne gestellt. Im Zusammenhang mit der gesamten Stabilitätspolitik war das eines Ihrer Standardthemen. Wir, die Freien Demokraten, betrachten das Wahlergebnis vom 19. November als Vollmacht und Auftrag, diesem Haushalt nun endlich zur politischen Legitimität zu verhelfen.
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Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? - Das
ist nicht der Fall. Dann schließe ich damit die Aussprache.
Die Geschäftsordnung schreibt Überweisung an den Haushaltsausschuß vor; Mitberatung durch den Rechtsausschuß ist gewünscht. Herrscht mit der Überweisung Einverständnis? - Das ist der Fall; dann ist so beschlossen.
Damit ist die heutige Tagesordnung erschöpft.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf Dienstag, den 19. Dezember, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.