Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden um die Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über den Beruf des Diätassistenten - Drucksache 7/583 -. Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften ({0}) - Drucksache 7/488 - dem Auswärtigen Ausschuß federführend und dem Haushaltsausschuß - mitberatend - überwiesen werden. Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? - Ich stelle fest, daß dies nicht der Fall ist; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({1}) des Rates zur Festsetzung einer Übergangsvergütung für die am Ende des Wirtschaftsjahres 1972/73 vorhandenen Bestände an Weichweizen, Gerste zur Brotherstellung geeignetem Roggen und Mais
- Drucksache 7/568 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({2}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({3}) Nr. 2049/69 über die Grundregeln für die Denaturierung von Zucker für Futterzwecke
Drucksache 7/569 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mil der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({4}) des Rates zur Änderung der Regelung betreffend die Aussetzung der Abgaben bei der Einfuhr und der Ausgleichsbeträge für Rindfleisch
- - Drucksache 7/570 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funkstörungen durch Ton- und Fernseh-Rundfunkempfänger
- Drucksache 7/571 -überwiesen an den Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({5}) des Rates zur Festlegung von Sondermaßnahmen für zur Aussaat bestimmte Raps- und Rübsensamen und zur Anpassung des Schemas dieser Waren in den Verordnungen Nr. 136/66/EWG, ({6}) Nr. 2358/71 und ({7}) Nr. 950/68
- Drucksache 7/572 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates betreffend die gegenseitige Unterstützung sowohl der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten untereinander als auch im Verhältnis dieser Behörden zur Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet des Zollwesens und der Landwirtschaft zu gewährleisten
- Drucksache 7'573 -überwiesen an den Finanzausschuß ({8}), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates ({9}) zur Ergänzung der Verordnung ({10}) Nr. 235/73 zur Festlegung der Grundregeln für die Ausgleichsbeträge für Geflügelfleisch
- Drucksache 7/574 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({11}) des Rates zur Festlegung der altgemeinen Regeln für die Intervention bei Rindfleisch
- Drucksache 7/492 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({12}) des Rates über den Abschluß eines Abkommens zur Verlängerung des Handelsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
- Drucksache 7/538 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({13}) des Rates zur Ergänzung der Verordnung ({14}) Nr. 228/73 des Rates über die Festlegung allgemeiner Vorschriften für die Regelung der Ausgleichsbeträge im Sektor Obst und Gemüse hinsichtlich Blumenkohl und Tomaten
- Drucksache 7/541 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({15}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({16}) Nr. 185/73 über die Grundregeln für die Anwendung von Ausgleichsbeträgen für zugesetzte Zuckerarten bei Verarbeitungserzeugnissen aus Obst und Gemüse als Folge des Beitritts der neuen Mitgliedstaaten zur Gemeinschaft
- Drucksache 7/542 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({17}) des Rates über die anzuwendenden Abschöpfungen bei der Einfuhr ausgewachsener Rinder und Fleisch von solchen mit Herkunft aus Jugoslawien
- Drucksache 7/543 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates betreffend die Verlängerung der Frist für die Durchführung der Richtlinien des Rates vom 17. April 1972 zur Reform der Agrarstruktur
- Drucksache 7/544 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Präsident Frau Renger
Verordnung ({18}) des Rates
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Portweine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Portugal
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Madeiraweine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Portugal
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Moscatel de Setubal-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Portugal
- Drucksache 7/545 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Memorandum der Kommission an den Rat über die künftigen Beziehungen zwischen der Gemeinschaft, den gegenwärtigen AASM sowie den im Protokoll Nr. 22 der Beitrittsakte genannten Ländern in Afrika, im Karibischen Raum, im Indischen Ozean und 1m Pazifischen Ozean
- Drucksache 7/559 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({19}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entwurf einer Entschließung des Rates zu einem Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz-Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Einführung eines Informationsverfahrens auf dem Gebiet des Umweltschutzes
- Drucksache 7/560 überwiesen an den Innenausschuß ({20}), Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({21}) Nr. 984/73 des Rates vom 2. April 1973 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in . ." oder „Ursprungserzeugnisse" im Warenverkehr mit Finnland, Island, Norwegen,Österreich, Portugal, Schweden und der Schweiz
überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 18. Mai ist ein denkwürdiger Tag der deutschen Geschichte. Vor 125 Jahren trat in der Frankfurter Paulskirche die deutsche Nationalversammlung zusammen. Es war die erste aus freien Wahlen hervorgegangene parlamentarische Versammlung der deutschen Nation.
Wir sehen im 18. Mai einen historischen Bezugspunkt, der für den eigenen Standort dieses Parlaments unerläßlich ist. Dabei wissen wir, daß sich die Geschichte nicht wiederholt, daß ihre Lektionen auslegungsfähig und ihre Wahrheiten umstritten sind. Aber nicht das ist es, worauf es ankommt. Es kommt an auf das Geschichtsbewußtsein schlechthin, aus dem die Völker den Glauben und die handelnden Politiker ihre Kraft schöpfen.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in der vergangenen Woche hier zu dem Wort bekannt, daß ein Volk seine Substanz verliert, wenn es seine Geschichte preisgibt. Damit ist eine Frage berührt worden, die uns alle trifft, die Frage nämlich nach der geschichtlichen Kontinuität, die wiederum eine Frage nach der Identität eines Volkes ist.
Die Katastrophe des totalen Zusammenbruchs von 1945, das Fehlen jeglicher staatlichen Autorität, die bedingte Souveränität der neuen Staatsorgane, die ungewisse Zukunft des Volkes und die nationale Not der Spaltung, verstärkt durch eine schier erdrückende moralische Last, haben die Neigung gefördert, der Geschichte zu entfliehen. Um so größer ist die Bewährung eines Parlaments wie des unseren gewesen, das sich als freie Vertretung des deutschen Volkes mit gebotenem Ernst, mit Sachlichkeit
und Nüchternheit, aber auch mit Leidenschaft den drängenden Aufgaben stellte.
Im Gedenken an die Paulskirche bieten sich Vergleiche an, zwingt sich manche Parallele auf, bis hin zum Spott über den Idealismus und Optimismus, mit dem die Mitglieder jener Versammlung später überschüttet wurden. Aber so wenig sich Unvergleichbares vergleichen läßt, so wenig wäre es auch angebracht, geschichtliche Erinnerung hier generell zum Gegenstand des Gedenkens zu machen. Nur darauf kann es uns ankommen, daß sich dieses Parlament in die Kontinuität des deutschen Parlamentarismus und der demokratischen Tradition stellt, daß der Bundestag als Volksvertretung unserer Tage das Band zu Vorläufern und Vorgängern knüpft.
Friedrich Meinecke hat vor 25 Jahren die historische Konstellation des Jahres 1848 als einen der großen Scheidepunkte der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts bezeichnet, als den Versuch, nicht nur die Einheit der Nation zu erringen, sondern auch den bisherigen Obrigkeitsstaat in einen „Gemeinschaftsstaat" mit einer „lebendigen und wirksamen Teilnahme aller Volksschichten an den Entscheidungen des Staatslebens" umzuwandeln.
Der Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche hat man vorgeworfen, eine historische Chance vertan zu haben. Die Sehnsucht des deutschen Volkes nach nationaler Einheit hatte die Versammlung zusammengeführt. Der große Aufbruch unter revolutionären Vorzeichen ging in der parlamentarischen Ohnmacht unter. Aber, meine Damen und Herren, ist dieses offensichtliche Versagen in einem historischen Sinne nutzlos gewesen?
Auch wir, die Mitglieder dieses Hohen Hauses, hätten Grund, über die Vergeblichkeit politischer Anstrengungen nachzudenken. Aber, so wäre zu fragen, mindert das Nichterreichte die Würde und den Wert des politischen Willens, wenn ihm objektive Umstände den Durchbruch versagten? Hier wie in der Paulskirche waren Sehnsucht und Hoffnung die Antriebskräfte für ein Handeln und Fordern, das keiner Rechtfertigung bedarf. Politisches Handeln bewertet sich nicht allein nach greifbaren Erfolgen. Der Anschein der Vergeblichkeit besagt nichts über die eigentlich bewegenden Kräfte der Geschichte.
Von unserem Staat läßt sich sagen, daß er nicht wäre, was er ist, hätte er in unvertretbarer Selbstbescheidung von vornherein vor Faktoren kapituliert, die zu bezwingen immerhin möglich erscheinen mußte. So war es keine Fiktion, die Wiedervereinigung zu erstreben, und so ist es keine Illusion, daß sich das Selbstbestimmungsrecht in Deutschland verwirklichen ließe.
Wenn auch das Ziel, der deutschen Nation eine politische Gestalt zu geben, von der Nationalversammlung von 1848 nicht erreicht wurde, so erhielt sie doch einen bis in unsere Zeit weiterwirkenden Ruhm gerade wegen jener Leistung, der Vorrang gegeben zu haben ihr immer wieder als ein kardinaler Fehler vorgeworfen wurde: ich meine den sogenannten Katalog der Grundrechte. Die Menschen- und Bürgerrechte, wie sie zum ersten Mal in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und
Präsident Frau Renger
dann in der Französischen Revolution formuliert wurden, waren auch für die Verfassunggebende Versammlung der Paulskirche eines der großen Ziele ihrer Bemühungen.
Mit der Formulierung der Grund- und Freiheitsrechte hat sich der Liberalismus der Paulskirche ein bleibendes Denkmal gesetzt. Die Grundrechte wurden zur klassischen Formulierung der Freiheitswünsche der deutschen demokratischen Parteien, die in der Folgezeit dafür sorgten, daß sie nicht nur Programm blieben, sondern nach und nach ihre Verwirklichung im Ausbau eines deutschen Rechtsstaates fanden. Gerade auch die sich damals erst punktuell formierende Arbeiterbewegung wurde in den Jahrzehnten ihres politischen Aufstiegs zur entschiedenen Verfechterin des Gedankens unveräußerlicher und unverzichtbarer Grund- und Freiheitsrechte.
Wer die Grundrechte des Grundgesetzes mit dem Grundrechtskatalog von 1848 vergleicht, wird erkennen, in welchem Maße Einsichten und Formulierungen der damaligen Zeit ihre Gültigkeit behalten haben.
Ungewöhnlich und weitblickend in einer Zeit, in der sich doch alles auf die nationale Frage konzentrierte, waren auch die Bestrebungen, sich für die Rechte nationaler Minderheiten, insbesondere aber für die Freiheit des polnischen Volkes, einzusetzen. Aus den leidenschaftlichen Reden, mit denen z B. Robert Blum und Arnold Ruge für die Polen eintraten, spricht ein so hoher Sinn für Gerechtigkeit und politisch-moralische Prinzipientreue, daß sie es verdienen, auch heute noch gelesen zu werden.
Beide sahen übrigens die nationalen Probleme zugleich unter einem europäischen Aspekt, der uns heute sehr geläufig ist, für die damalige Zeit aber außergewöhnlich war. Es gehe um mehr, so heißt es bei Ruge, als um die Freiheit des einen oder anderen Volkes. Es gehe darum, die Anarchie in Europa durch die Schaffung eines neuen Völkerrechts in Europa zu überwinden.
Daß es den fortschrittlichen Kräften, daß es der Revolution von 1848 nicht gelang, sich der Fesseln des Obrigkeitsstaates zu entledigen und in Deutschland eine kontinuierliche Entwicklung zu einem liberalen parlamentarisch-demokratischen Gemeinwesen einzuleiten, hat sicher viel zu den späteren Verhängnissen in der deutschen Geschichte beigetragen. Es wäre ganz und gar abwegig, den Untergang des Paulskirchen-Parlaments und das Scheitern seines Werkes auf ein Versagen dieses Parlaments selbst zurückzuführen. Es waren außerparlamentarische Kräfte und Strömungen, die die Entwicklung in eine andere Richtung drängten: die sozialen Gegensätze, die Furcht des Bürgertums vor einer Radikalisierung, das Wiedererstarken der Dynastien und nicht zuletzt die Machtinteressen der europäischen Großstaaten.
„Die geistigen Versuche und taktischen Bemühungen der Paulskirche sind gescheitert", sagte Theodor Heuss, „nicht weil die Träger der Aufgabe in Einsicht und Willen versagt hätten; sie sind mit dem großstaatlichen Partikularismus und mit Europa nicht fertiggeworden. In ihren Kämpfen und Niederlagen offenbarte sich, wie schwer das politische Wesen der Deutschen mit Geschichte belastet, wie eng es in das gesamteuropäische System verschlungen ist."
Der freiheitlichen Gesinnung dieser Männer der Paulskirche, dem Opfermut und der Hingabe, auf parlamentarischem Wege die Lösung großer politischer Aufgaben zu versuchen, sollte unser Volk trotz des Scheiterns dieses Versuchs, Deutschland staatlich zu einigen und ihm eine freiheitliche Verfassung zu geben, stets ein ehrendes Andenken bewahren.
({22})
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes
- Drucksache 7/556 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({23}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fuchs, Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Hornhues, Dr. Althammer, Köster, Rollmann, Frau Schroeder ({24}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bericht gemäß § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
- Drucksache 7/562 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({25}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Wird das Wort zur Begründung der Vorlagen gewünscht? - Das Wort hat Herr Bundesminister von Dohnanyi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Schwerpunkt des Änderungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz und zum Arbeitsförderungsgesetz, das heute in erster Lesung Gegenstand der Beratung ist, liegt zweifellos in den Vorschriften, die die Erweiterung des Förderungsbereichs betreffen. Erstens werden zukünftig auch die Schüler der Berufsfachschule ab Klasse 11 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten, wenn der Zugang zu den von ihnen besuchten Klassen den Realschulabschluß oder eine vergleichbare Vorbildung nicht voraussetzt. Damit wird endlich eine gravierende Ungleichheit im geltenden Gesetz beseitigt, die darin besteht, daß bisher zwar Schüler der Klasse 11 der allgemeinbildenden, aber nicht alle der berufsbildenden Schulen gefördert werden können.
Zweitens sind künftig ausländische Auszubildende zu fördern, womit endlich einer vielfach erhobenen Forderung entsprochen werden kann. Dies fügt sich im übrigen auch ein in das Bemühen der Bundesregierung und aller Fraktionen in diesem Hause um eine verstärkte soziale Sicherung der für längere Zeit in unserem Lande lebenden ausländischen Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, es scheint mir notwendig zu sein, das Gesetz schon jetzt entsprechend zu ändern, auch wenn diese Förderungsmaßnahmen erst vom 1. August 1974 an vollzogen werden können; denn wir müssen den Auszubildenden und ihren Eltern gegenüber frühzeitig genug und klar genug feststellen, von welchem Zeitpunkt an sie mit Förderung rechnen können, um ihnen sowie den entsprechenden Behörden Gelegenheit zu geben, sich darauf einzustellen.
Der Vorschlag des Bundesrates, auch die Schüler der Klasse 10 der Berufsfachschule ab 1974 zu fördern, liegt nicht nur außerhalb der Finanzplanung des Bundes, sondern auch außerhalb der von Bund und Ländern als bildungspolitisch notwendig festgestellten Schritte, die von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung mit 57,2 Milliarden DM für 1975 beziffert wurden.
Darüber hinaus sind es aber auch schwerwiegende grundsätzliche Bedenken, aus denen heraus die Bundesregierung diesen Vorschlag des Bundesrates ablehnt. Wir wollen, wie schon erwähnt, mit dem Entwurf eine heute zu Lasten der Berufsfachschüler bestehende Ungleichheit beheben. Da es aber zumindest bis 1975 auch in den gemeinsamen Planungen der Bund-Länder-Kommission nicht vorgesehen ist, die Schüler der Klasse 10 der allgemeinbildenden Schulen zu fördern, würde durch die Aufnahme der Förderung der Schüler der Klasse 10 der Berufsfachschulen, wenn man dem Votum des Bundesrates folgte, für die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten der Besuch der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen relativ schwieriger gemacht.
Ausbildungsförderung ist aber eine sozialpolitische Maßnahme, die verhindern soll, daß ungleiche wirtschaftliche Voraussetzungen unmittelbar und unausweichlich auf die Bildungschancen durchschlagen. Die Leistungen müssen deswegen hinsichtlich der Wahl der Ausbildungsgänge neutral sein. Arbeitsmarktpolitische Lenkungsmaßnahmen durch Ausbildungsförderung, wie sie das Ergebnis einer uneinheitlichen Förderung im 10. Schuljahr sein könnten, lehnt die Bundesregierung ab.
({0})
Herr Bundesminister, einen Augenblick, bitte. - Meine Damen und Herren, würden Sie bitte dem Redner etwas mehr zuhören und etwas mehr Ruhe im Saal halten.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ein weiterer kritischer Punkt ist der Härtefonds. Bisher sieht das Gesetz lediglich die Möglichkeit vor, für notwendige besondere Aufwendungen für die Ausbildung Leistungen über den pauschalierten Bedarfssatz hinaus zu erbringen. Es hat sich jedoch als notwendig erwiesen, auch bei besonderen und unabweisbaren Aufwendungen für den Lebensunterhalt gelegentlich eine zusätzliche Leistung zu gewähren.
Deshalb soll nach der Vorlage der Bundesregierung in besonderen Härtefällen eine erweiterte Förderung möglich sein. Gedacht ist dabei unter anderem an eine Förderung in Krankheitsfällen, bei besonderen Problemen hinsichtlich der Unterkunft, Fragen der Diätnahrung und dergleichen mehr. Daß es sich hierbei um Leistungsverbesserungen handelt, durch die den Härten im Lebensunterhalt wirksam begegnet werden kann, geht schon aus der Höhe der vorgesehenen finanziellen Mittel in Höhe von insgesamt 30 Millionen DM hervor.
Wenn die Freibeträge bei dem eigenen Einkommen des Auszubildenden ebenfalls erhöht werden, so nimmt dies einmal Rücksicht auf die tatsächliche Lage. Wir wollen aber auch die Initiative des einzelnen, seinen Lebensunterhalt zu verbessern, nicht beeinträchtigen. Allerdings darf dies nur in einem Umfang erfolgen, der keinen Anreiz zu einer die Ausbildung beeinträchtigenden Nebentätigkeit schafft.
Es scheint mir wichtig, nicht zuletzt im Hinblick auf die Stellungnahme des Bundesrates, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs zu dem vorliegenden Änderungsgesetz deutlich darauf hingewiesen hat, daß die Vorlage im gegenwärtigen Zeitpunkt nichts darüber aussagt, zu welchem Termin die Bedarfssätze und Freibeträge nach Maßgabe des § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes angepaßt werden können. Ihre Verpflichtung aus dieser gesetzlichen Vorschrift wird die Bundesregierung unabhängig von der Vorlage dieses Entwurfs erfüllen.
Die Mittel für Ausbildungsförderung durch den Bund stiegen von 1969 mit zirka 97 Millionen DM für die Förderung nach dem Honnefer Modell auf etwa 1,035 Milliarden DM im Jahre 1972 für die Förderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz. Wie bekannt ist, lagen die Haushaltsansätze für 1972 ursprünglich wesentlich niedriger.
Der Mangel an einer brauchbaren, auf Einkommensschichten und Einkommensverteilung bezogenen Sozialstatistik in der Bundesrepublik Deutschland macht heute gerade in diesem Feld eine präzise Analyse und Planung fast unmöglich. Auch das muß man sehen, wenn man den Termin des Berichts nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt.
Ich persönlich will hier nicht verschweigen, daß ich die Not sehe, die sich heute auch als Folge der Preisentwicklung im einzelnen Förderungsfalle zeigt. Die Bundesregierung sieht in einer richtig gezielten und ausreichenden Ausbildungsförderung ein entscheidendes Instrument zur Förderung der Chancengleichheit im Bildungswesen. Die Bundesregierung möchte aber die Überprüfung der Freibeträge und Bedarfssätze nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes im Hinblick auf eine Änderung von Bestimmungen, die heute zu nicht vertretbaren Ungleichheiten oder zu ungerechtfertigten Härten für Schüler und Studenten führen, nicht abwarten. Aus diesem Grunde und angesichts der verwaltungstechnischen Notwendigkeiten möchte ich das Haus sehr
darum bitten, den Gesetzentwurf schnell zu verabschieden.
({0})
Das Wort zur Begründung des Antrags Drucksache 7/562 hat Herr Abgeordneter Dr. Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister hat eben bereits angedeutet, er sei der Ansicht, daß ein wichtiger Teil der an sich notwendigen Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes noch nicht angegangen werden solle. Es solle zunächst ein Bericht abgewartet werden. Diese Novelle solle vorgezogen werden, weil besondere Veränderungen dringend erforderlich seien. Herr Bundesminister, dazu wird der Kollege Dr. Fuchs im einzelnen gleich noch einiges sagen. Wir meinen allerdings, daß es bei der gegenwärtigen Situation um das Bundesausbildungsförderungsgesetz zwingend erforderlich ist, den im August anstehenden Bericht über die Situation bei den Einkommensverhältnissen, bei der Veränderung der Lebenshaltungskosten mit in die Überlegungen und Beratungen einzubeziehen, die jetzt im Zusammenhang mit der von Ihnen vorgelegten Novelle erforderlich sind.
Der Herr Bundesminister hat in einer Pressemitteilung seines Hauses erklären lassen, man wolle diese Novelle vorziehen, weil dieser Bericht über die Einkommensgrenzen erst nach zwei Jahren vorgelegt werden könne. Diese zwei Jahre sind im August 1973 abgelaufen. Es müßte also leicht möglich sein, diesen Bericht mit in die Beratungen einzubeziehen.
Wir halten dies von der Sache her für zwingend erforderlich, weil wir glauben, daß die inflationistische Entwicklung bei den Einkommen der Eltern der Betroffenen dazu geführt hat, daß in einem horrenden Umfang bisher Anspruchsberechtigte zum Teil ganz, zum Teil teilweise aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz herausgefallen sind. Die Einkommen sind nominell stark gestiegen, aber, wie Sie alle wissen, sind entsprechend auch die Lebenshaltungskosten gestiegen. Die Realeinkommen sind nicht annähernd so gestiegen wie die nominellen Einkommen.
Das bedeutet zum einen, daß diejenigen, die bisher Ansprüche hatten, zum Teil keine Ansprüche mehr haben bzw. die Höhe der Ansprüche entsprechend reduziert worden ist. Das bedeutet zum anderen aber auch, daß diejenigen, die aus Mitteln des Ausbildungsförderungsgesetzes ihre Lebenshaltung bestreiten müssen, doppelt betroffen sind: einmal sinken die Beträge, die gezahlt werden, zum anderen steigen die Lebenshaltungskosten direkt. Dies scheint uns ein unhaltbarer Zustand zu sein. Auf diesen Zustand ist an sich nur noch der Begriff - wir haben ihn schon des öfteren bei anderen Gelegenheiten verwandt - der sozialen Demontage zutreffend anzuwenden.
Wir meinen, daß es zwingend erforderlich ist, diesen Bericht in die Beratungen mit einzubeziehen,
weil sonst der Eindruck entstehen könnte, als habe man die Absicht, diesen Punkt nicht anzugehen, als habe man die Absicht, mit dem Vorziehen der Novelle die Probleme, die insgesamt beim Bundesausbildungsförderungsgesetz anstehen, zu kaschieren und zu verdecken. Ich glaube, daß kann in niemandes Sinne sein und ist vor allen Dingen nicht in unserem Sinne. Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, bitten wir dringend darum, unserem Antrag zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich eröffne die gemeinsame Aussprache zu den aufgerufenen Punkten 22 a und b.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Slotta.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 26. August 1971 wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG - in Kraft gesetzt. Nach § 35 ist die Bundesregierung gehalten,
die Bedarfssätze, Freibeträge sowie die Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 4 alle zwei Jahre zu überprüfen und durch Gesetz gegebenenfalls neu festzusetzen. Dabei ist der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Vermögensbildung sowie den Veränderungen der Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen.
Die Regierung wird dieser ihrer Berichtspflicht im Herbst dieses Jahres nachkommen, und wir werden dann über diese Vorlage zu diskutieren und zu entscheiden haben. Herr Kollege Hornhues, das ist eben der unterschiedliche methodische Ansatz, daß wir glauben, wegen der Schwierigkeiten in der Sache sehr genau prüfen zu müssen, wie die Entscheidungen entsprechend § 35 zu fällen sind.
Hier und heute geht es ausschließlich um den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes. Und dieser Entwurf zeigt etwas sehr deutlich: Obwohl das Stabilitätsprogramm im Haushalt 1973 ganz allgemein keine Verbesserung der Geldleistungsgesetze zuläßt, wird im BAföG auf Grund der schwierigen Situation, in der sich mancher Auszubildende befindet, eine notwendige Ausnahme gemacht. Wie Sie hier dazu kommen, Herr Kollege Hornhues, von einer sozialen Demontage zu sprechen, verstehe ich in der Tat nicht.
Wir alle brauchen nicht darüber zu streiten, daß die Novelle des BAföG für die Auszubildenden nicht das Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit bringt, das wir uns, wie immer das der Fall sein mag, vorstellen können. Aber sie baut doch einige soziale Ungerechtigkeiten ab, und das muß hier, meine ich, ausdrücklich festgestellt werden.
Die Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes hat, wenn ich es recht sehe, drei Schwerpunkte: Erstens wird der Personenkreis der Förderungsberechtigten erweitert, zweitens wird eine
Lücke geschlossen, und drittens werden einige, wenn auch geringfügige Korrekturen vorgenommen.
Zu 1. Ab 1. August 1974 erhalten ausländische Auszubildende nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 Ausbildungsförderung, ebenso alle Schüler an Berufsfachschulen ab Klasse 11 und nicht nur wie bis-. her diejenigen mit Realschulabschluß oder vergleichbarer Vorbildung, sofern sie unter die Bestimmungen dieses Gesetzes fallen.
Kein Streit wird sicherlich über die Einbeziehung der ausländischen Auszubildenden in die Förderung bestehen. Meinungsverschiedenheiten bestehen im zweiten Punkt. Der Bundesrat will die Berufsfachschulen schon ab Klasse 10 in das BAföG einbezogen wissen und gibt dieser Maßnahme Vorrang vor einer Härteregelung. Wir meinen, daß eine solche Lösung aus zwei Gründen falsch ist: einmal werden dann Schüler an sogenannten allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 10 benachteiligt. Zum andern könnte die finanzielle Bevorzugung der Berufsfachschüler ab Klasse 10, wie der Bundesrat sie wünscht, falsche Entscheidungen auf Grund allein finanzieller Erwägungen über den weiteren Bildungsweg von Schülern zur Folge haben.
Ich halte aus diesen Gründen die Strategie der Bundesregierung für richtig, mit der stufenweisen Erweiterung des Förderungsbereiches generell auf die Berufsfachschule ab Klasse 11 zugleich für die Beseitigung schwerwiegender struktureller Mängel im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu sorgen.
Zu 2. Das BAföG sieht in dem neu eingefügten § 14 a - der Herr Minister hat es bereits gesagt - den Erlaß einer Rechtsverordnung vor, durch die zusätzliche Förderungsbeträge geleistet werden können bei besonderen Aufwendungen für den Lebensunterhalt und nicht nur wie bisher für notwendige besondere Ausbildungsaufwendungen. Ich halte diese Regelung für eine gute und wichtige, weil sie die Lage der im weitesten Sinne des Wortes behinderten Auszubildenden verbessern wird.
Zu 3. Das BAföG sieht einige Korrekturen vor. Es bringt zum 1. August 1973 die Fahrkostenpauschale auch für verheiratete Auszubildende mit eigener Familie, sofern sich die Wohnung nicht am Ort der Ausbildungsstätte befindet. Weiter werden die Freibeträge vom Einkommen des Auszubildenden für ihn und seine Kinder erhöht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die finanziellen Auswirkungen für die vorgesehenen Ergänzungen und Änderungen sind wie folgt geschätzt worden - es handelt sich nur um die hier dargestellten zusätzlichen Leistungen -, wovon der Bund 65 % und die Länder 35 % zu tragen haben: 1973 8,5 Millionen DM, 1974 57,7 Millionen DM, 1975 132,3 Millionen DM und 1976 144,6 Millionen DM.
Wenn einige Kritiker dieser Novelle des BAföG den enormen finanziellen Aufwand allein für diese wenigen Erweiterungen und Verbesserungen sehen würden, müßten sie eigentlich zu der Einsicht gelangen, daß uns die eng begrenzten finanziellen Möglichkeiten zur Bedachtsamkeit gegenüber mancher Forderung zwingen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, nicht um Sie zu ärgern und auch in Würdigung des Umstandes, daß Sie zur Beschleunigung beitragen mögen, würde ich Sie doch fragen, ob Sie nicht in Zukunft für diejenigen, die nicht so sehr Fachleute sind wie Sie „BAföG" auf Deutsch übertragen könnten.
({0})
Herr Kollege! Ich habe am Anfang gesagt, daß es sich hier um die Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes handelt, und ich hatte in Klammern dahinter „BAföG" gesagt. Ich nehme an, Sie haben sich in der Zwischenzeit unterhalten und deshalb meinen Versuch, durch eine Abkürzung Zeit zu sparen, nicht mitbekommen können.
({0})
Ich habe davon gesprochen, man müßte mancher Forderung mit Bedachtsamkeit gegenübertreten. Man kann es sich natürlich auch hier sehr einfach machen und wie der Ministerpräsident von Bayern, Herr Goppel, einerseits darüber Klage führen, der Bund mache Gesetze, die die Länder finanzieren müßten, andererseits aber wenig später einem Antrag Baden-Württembergs zum BAföG zustimmen, der allein für die Jahre 1974/75 Mehrbelastungen in Höhe von 356 Millionen DM gebracht hätte.
Auch wir, meine Damen und Herren, haben natürlich einige Wünsche, die wir noch in dieser Novelle des BAföG erfüllt sehen möchten. Ich nenne hier - ich meine, das ist sehr wichtig - nur eine gerechtere Lösung für Waisen, für Kinder von geschiedenen Frauen und für Bundeswehrsoldaten. Wir werden darüber im Ausschuß beraten und für die Betroffenen um positive Ergebnisse bemüht sein.
Abschließend muß festgehalten werden: Erstens sehen wir genauso wie die Opposition die Notwendigkeit, die Ausbildungsförderung zu verbessern und, Herr Kollege Hornhues, auch an den gestiegenen Lebenshaltungskosten zu orientieren, wenngleich die zeitliche Verwirklichung und die Höhe nach dem finanziell Möglichen sich werden richten müssen. Zweitens ist die hier vorliegende Novelle - das bitte ich zu beachten - nicht ein Abschluß, sondern der Anfang eines Verbesserungsprozesses unseres Systems individueller Förderung.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes ist nach Auffassung
der CDU/CSU-Fraktion enttäuschend. Die Ankündigungen weckten Hoffnungen bei Eltern, Schülern und Studierenden, die zum großen Teil nun unerfüllt bleiben. Zudem sind die Aussichten nach den Plänen der Bundesregierung auch für die folgenden Jahre, meine Damen und Herren, mehr als trüb; denn die Steigerungsraten nach der letzten Finanzplanung werden zu einem erheblichen Teil bereits durch die heute vorliegende Novelle und durch die Steigerung der Zahl der Förderungsberechtigten konsumiert. Auch diese Vorlage ist ein schlagender Beweis dafür, daß die von der SPD und FDP getragene Regierung in der Bildungspolitik ganz offensichtlich resigniert und in eine Sackgasse geraten ist!
({0})
Bundeskanzler Brandt hat in seiner Regierungserklärung am 18. Januar 1973 bekundet:
Bildung und Ausbildung habe ich in meiner Regierungserklärung vom Oktober 1969 an die Spitze der notwendigen Reformen gestellt. Daran hat sich nichts geändert.
Ich finde, meine Damen und Herren, daran hat sich sehr viel und sehr Entscheidendes geändert, wenn überhaupt je - auch in der letzten Legislaturperiode - der ernsthafte Versuch unternommen wurde, der Deklaration, die so schön klang und die von vielen Mitbürgern so gern gehört wurde, auch konkrete Schritte folgen zu lassen. Geändert hat sich auf jeden Fall die mittelfristige Finanzplanung, und zwar sehr zuungunsten der Bildungsausgaben.
({1})
Während in der Finanzplanung 1971 für dieses Jahr 1973 ein Anteil von 6,3 % des Gesamthaushalts für Bildungsaufgaben vorgesehen war, sind es nach dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf nur 5,5 %. 1974 beträgt die Differenz bereits ein ganzes Prozent, und 1975 statt der früher vorgesehenen 7,2 % nur 5,8 %, also ein Minus von einem ganzen Viertel. Bei dieser Entwicklung von einer ersten Priorität für das Bildungswesen zu sprechen ist pure Schönfärberei!
({2})
- Herr Kollege Dr. Meinecke, ich glaube, das ist
die Grundlage für die Betrachtung, die ich jetzt anstellen werde. Das werden Sie nicht leugnen können.
Besonders einschneidend und unverständlich ist die Tatsache, daß der diesjährige Haushaltsansatz für das Bundesausbildungsförderungsgesetz sogar sehr drastische und schmerzliche Kürzungen von 195 Millionen DM gegenüber 1972 aufweist. Aus dieser bitteren und negativen Bilanz erklärt sich, daß der vorliegende Gesetzentwurf nur ganz wenige Fragen am Rande lösen kann und daß er die etwas mehr zu Buche schlagenden Verbesserungen auf den August 1974 verschiebt.
Sicher gibt es einige Verbesserungen; das soll nicht geleugnet werden. Zum Beispiel findet es unsere Zustimmung, daß nach diesem Entwurf nicht nur die Studierenden, die bei den Eltern außerhalb des Studienortes wohnen, 30 DM monatlich mehr erhalten, sondern auch, wie das die CDU/CSU-Fraktion bereits vor zwei Jahren angestrebt und im Ausschuß auch beantragt hat, diejenigen, die bei ihrer Frau und bei mindestens einem Kind außerhalb des Studienortes wohnen.
Diskutieren müssen wird man, Herr Kollege Dr. Slotta, über die vorgesehene Härteklausel, die aus durchaus zu respektierenden Gründen vom Bundesrat abgelehnt worden ist. Darüber wird die Ausschußberatung noch in die Tiefe gehen müssen.
Dagegen findet es wiederum unsere Zustimmung, weil es auch bereits eine Forderung der CDU/CSU 1971 war, daß nun endlich auch die Schüler der elften Klasse der Berufsfachschulen, für deren Besuch ein Realschulabschluß nicht Voraussetzung ist - allerdings nach dem Regierungsentwurf erst ab nächsten Jahres -, und die Kinder von nicht deutschen Staatsangehörigen, die hier mindestens drei Jahre berufstätig sind, in die Förderung mit einbezogen werden. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Förderung der elften Klasse der Berufsfachschulen bereits ab Schuljahr 1973/74 erfolgen sollte.
Wir bedauern es zusammen mit dem Bundesrat außerordentlich, daß jetzt nicht auch ein Schritt zur Förderung der zehnten Klasse in diesem Zusammenhang getan wird. Herr Kollege Dr. Slotta, das unterscheidet mich von Ihnen. Nach unserer Auffassung wäre dies der sinnvollste und notwendigste Einstieg in die ja im Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgesehene allgemeine Förderung der zehnten Klasse. Da die berufliche Bildung völlig zu Unrecht in den letzten Jahren im Schatten der Bildungsbemühungen gestanden hat, weil man sich nach den Pichtschen Kassandra-Rufen von der drohenden Bildungskatastrophe fast ausschließlich auf die Hebung der Abiturientenquote konzentriert hatte, was ja schließlich den Herrn Bundesminister von Dohnanyi zu der äußerst forschen und auch sehr unrealistischen Forderung nach etwa 50 % Abiturienten geführt hat,
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müßte man nun wirklich einen konkreten Schritt tun, auch die praktische Bildungsreform auf dem beruflichen Sektor voranzutreiben.
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Während bei den allgemeinbildenden Schulen nur in seltenen Fällen vor der 10. Klasse abgebrochen wird - das werden Ihnen alle Praktiker bestätigen -, muß man leider feststellen, daß vielen Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung an kaufmännischen, gewerblichen, hauswirtschaftlichen, sozialen und sozialpädagogischen Berufsfachschulen nicht möglich ist, weil den Eltern das Geld fehlt. Hier liegt eines der großen ungelösten Probleme; und da wäre die Förderung der 10. Klasse für die Berufsfachschulen zweifelsohne eine ganz wesentliche Verbesserung.
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Meine Damen und Herren, Zustimmung findet auch die Erhöhung der Freibeträge für die Auszubilden1856
den, obwohl die Notwendigkeit ein Warnzeichen dafür ist, daß in zunehmendem Maße die Studierenden mit zusätzlicher Werkarbeit das Geld für ihr Studium beschaffen müssen. Hier stoßen wir auch zum Kern und zum Angelpunkt unserer Kritik vor. Da nicht die Bedarfssätze und die Freibeträge erhöht werden, treten höchst unerfreuliche Verschlechterungen und Verzerrungen ein. Herr Kollege Dr. Hornhues hat soeben bei der Begründung unseres Antrags zu § 35 dazu gesprochen.
Die Bundesregierung stellt im Finanzplan bis 1976 kategorisch fest: „Ein wichtiger Teilaspekt für die Verwirklichung der Chancengleichheit im Bereich der Bildung ist die Ausbildungsförderung." Dem stimmen wir zu. Wir stellen aber ebenso kategorisch fest, daß in den letzten beiden Jahren seit der Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes diese Chancengleichheit nicht zugenommen, sondern stark abgenommen hat.
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Das ist nicht zu leugnen. „Unter dem Strich", wie der Herr Bundeskanzler häufig so schön zu sagen pflegt, kommt hier nicht mehr heraus, unter dem Strich kommt hier ganz entscheidend weniger heraus. Wenn Sie das nicht einem Sprecher der Opposition glauben, dann, bitte, schenken Sie vielen Zuschriften von Studentenwerken Glauben. Ich möchte Ihnen - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - aus einem Schreiben des Studentenwerks Freiburg, das an die Fraktionen des Deutschen Bundestages und an Sie, Herr Bundesminister, gegangen ist, einige Sätze zitieren:
Mit dieser unzureichenden Stipendienfestsetzung kommt es bedauerlicherweise zu einer ungerechtfertigten sozialen Selektion. Gerade derjenige Anteil von Studierenden, die mit nichts anderem als mit diesem Bundesausbildungsförderungsgesetz-Stipendium - um diesen nun wirklich etwas voluminösen Ausdruck zu gebrauchen - seinen Unterhalt bestreiten muß, wird gezwungen, den unabwendbaren Mehrbedarf durch Werkarbeit zu verdienen. Damit wird diesem Kreis auferlegt, Verzögerungen im Ablauf des Studiums hinnehmen zu müssen, die wieder am Ende des Studiums diesen Kreis wegen der Beschränkung der Höchstförderungsdauer bei der Stipendiengewährung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz treffen. Hier wirkt sich also ein Gesetz, das primär den sozial besonders schlecht gestellten Studierenden helfen soll, in seiner Anlage zum Nachteil für diesen Kreis aus.
So weit das Zitat aus dem Schreiben des Studentenwerks.
Die CDU/CSU ist infolgedessen wie der Bundesrat der Auffassung, daß bei der Beratung des Gesetzes auch die Bedarfssätze, die Freigrenzen usw. diskutiert und in die Entscheidung einbezogen werden müssen. Das war der Sinn des Antrages, der vorhin begründet wurde.
Es ist auch festzustellen, daß mit dieser Novelle kein Versuch gemacht wird, strukturelle Veränderungen in Angriff zu nehmen. Das hat damals bereits bei der Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes hier im Plenum des Bundestages Herr Kollege Rollmann deutlich gemacht. Die Aussage des Herrn Kollegen Hauck, des damaligen Sprechers der SPD-Fraktion, bei der endgültigen Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nach der Anrufung des Vermittlungsausschusses im Juli 1971, die Ausbildungsförderung werde fortentwickelt werden, bleibt zunächst und offensichtlich auch auf absehbare Zeit nur Prophezeiung.
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- Ja, aber eine minimale. Wenn ich hundert Meter vor mir habe und einen Millimeter vorwärts gehe, kann ich natürlich von einer Fortbewegung sprechen. Aber Sie werden sich selber ausrechnen können, wie lange Sie dann brauchen werden, um zum Ziel zu kommen.
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Das gilt z. B. auch für die Fragen der familienunabhängigen Förderung desjenigen Kreises, Herr Kollege Hauck, der bereits als Teilnehmer am zweiten Bildungsweg unabhängig gefördert wird, der aber, wenn er in den Hochschulbereich eintritt, wiederum auf die Familie zurückgreifen muß. Wir haben damals auf diese schwierige Situation hingewiesen und auch unsere Anträge gestellt. Dieses Problem muß gelöst werden, weil die bisherige Regelung dem Berechtigtenkreis nicht zuzumuten ist.
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Zwingend notwendig erscheint uns weiterhin - das wurde erfreulicherweise vorhin auch vom Sprecher der SPD gesagt - die Erhöhung des Freibetrages für Waisengeld und für die Waisenrente.
Man gewinnt bei der Gesamtbeurteilung des vorliegenden Gesetzentwurfs, dieser sehr mageren Novelle, deren Hauptstücke ja erst im Jahre 1974 in Kraft treten werden, etwas den Eindruck, daß man mit diesem Gesetz jetzt kommt, um zunächst sagen zu können: es ist etwas geschehen,
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daß man sich damit aber der schwierigen Frage entziehen will, wie es tatsächlich aussieht.
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Das ist der eigentliche Hintergrund; das werden Sie, wenn Sie ehrlich sind, gar nicht leugnen können. So bekommt dieses Gesetz eine Alibifunktion. Wir als Opposition müssen da klar und deutlich sagen, wie es in Wirklichkeit aussieht, selbst wenn dies für die Bundesregierung schmerzhaft ist.
Abschließend darf ich sagen: Es handelt sich bei diesem Gesetzentwurf nach Auffassung der CDU/ CSU-Fraktion um eine sehr kärgliche Kost. Trotzdem werden wir natürlich bei den Ausschußberatungen positiv mitwirken. Wir werden versuchen, das Ganze anzureichern und Verbesserungen hineinzubringen, um es insgesamt dann genießbarer zu machen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der FDP begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes als eine Maßnahme, die geeignet ist, die Situation in der Ausbildung befindlicher junger Mitbürger weiter zu verbessern und für sie mehr Chancengleichheit zu verwirklichen.
Herr Minister Dohnanyi und der Kollege Prof. Dr. Slotta haben bereits erläutert, daß diese Gesetzesänderung den Kreis der anspruchsberechtigten Gruppen um zwei erweitert sowie Bestimmungen ändert, die zu nicht vertretbarer Ungleichbehandlung und zu ungerechtfertigten Härten für Schüler und Studenten geführt haben. Ich verzichte hier darauf, diese präzisen Erläuterungen zu wiederholen, möchte aber aus unserer Sicht zweierlei unterstreichen.
Erstens. Neben der Einbeziehung ausländischer Auszubildender war es besonders nötig, den sozialwie bildungspolitisch unbefriedigenden Zustand zu ändern, daß in den Klassen 11 der Berufsfachschulen zwei verschiedene Klassen von Schülern sitzen. Es entspricht unserer Einschätzung der Berufsausbildung als gleichberechtigtem Bildungsgang, daß jetzt auch die Schüler jener 11. Berufsfachschulklassen gefördert werden sollen, deren Besuch den Realschulabschluß oder eine vergleichbare Vorbildung nicht voraussetzt.
Zweitens. Niemand in unserer Fraktion gibt sich der Illusion hin, daß mit dieser Gesetzesänderung das generelle Problem einer Überprüfung und Neuansetzung von Bedarfssätzen, Freibeträgen und Höchstbeträgen in der Ausbildungsförderung gelöst wäre, Herr Kollege Fuchs. Diesen Anspruch erhebt allerdings diese Gesetzesänderung auch nicht. Es handelt sich hier in der Diskussion um zweierlei, und das sollte man nicht vermischen. Zum einen wollen wir ad hoc mit diesem Gesetz Detailmaßnahmen durchführen, die nunmehr hinreichend bekannt sind und die zum Teil sofort wirksam werden sollen. Zum anderen stellen wir uns darauf ein, daß wir eine allgemeine Debatte über die soziale Lage der in der Ausbildung Befindlichen dann zu führen haben werden, wenn die Bundesregierung im Oktober fristgerecht den nach § 35 des BAföG oder, Herr Kollege Wörner, des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vorgesehenen Bericht hierzu vorgelegt haben wird.
Herr Kollege Fuchs, Sie haben zu den genannten Detailmaßnahmen ebenso wie Ihre Parteifreunde im Bundesrat einen Abänderungsvorschlag gemacht, was den Kreis der Anspruchsberechtigten angeht, indem Sie forderten, daß schon die Klassen 10 der Berufsfachschulen einbezogen werden sollten. Dazu ist - und hier muß ich Argumente meines Kollegen Slotta aufgreifen - zur Klarstellung noch einmal folgendes zu sagen. Der Regierungsentwurf beabsichtigt ja gerade die Beseitigung einer gravierenden Ungleichheit im geltenden Gesetz, die darin besteht, daß alle Schüler der Klassen 11 der allgemeinbildenden, nicht aber der berufsbildenden Schulen gefördert werden können. Da es in absehbarer Zeit aus finanziellen Gründen nicht möglich sein wird - denn dafür wären mehrere hundert Millionen DM erforderlich -, alle Schüler der Klassen 10 der allgemeinbildenden Schulen zu fördern, würde durch die Aufnahme der Förderung der Schüler der Klassen 10 der Berufsfachschulen erneut eine gravierende Ungleichheit geschaffen. Zudem würde durch die einseitige wirtschaftliche Bevorzugung der Berufsfachschüler für Kinder einkommensschwächerer Familien der Zugang zur allgemeinbildenden Schule erschwert. Die Ausbildungsförderung muß - und das gehört zu den Grundprinzipien dieser sozialpolitischen Maßnahme - hinsichtlich der Wahl der Ausbildungsgänge neutral sein.
Zu Ihrem im Augenblick überflüssigen Zusatzantrag, meine verehrten Kollegen von der Opposition, meine ich: Sie könnten bis zur Vorlage des Berichtes der Bundesregierung im Herbst ruhig weiter versuchen, der staunenden Öffentlichkeit Ihre neu entdeckte sozial- und bildungspolitische Progressivität durch das Aufstellen von Forderungen zu demonstrieren, über deren Erfüllbarkeit Sie sich nach Ihrem bekannten Oppositionsverständnis ja ohnehin keine Gedanken machen.
({0}) - Herr Fuchs, warten Sie ruhig ab.
Zum einen habe ich nämlich den Eindruck, daß diese staunende Öffentlichkeit allmählich daran gewöhnt ist, daß Sie in Ihren Reihen täglich Neues entdecken. Zum anderen weiß ich als einer, der selbst noch im Leben einer Hochschule steht, aus täglicher Anschauung, daß man diese vermeintliche Progressivität dort auf der Grundlage Ihrer historischen Entwicklung als taktische Deklamation ganz richtig einschätzt.
({1})
- Herr Gölter, gehen wir einmal zusammen in die Hochschulen. Ich glaube, dann wird deutlich werden, wo die dort Studierenden stehen.
Wir Freien Demokraten werden es uns in dieser Frage nicht so leichtmachen wie Sie, Herr Fuchs. Nach sorgfältiger Prüfung vieler unbestreitbar berechtigter Verbesserungsanregungen für das Gebiet der Ausbildungsförderung werden wir versuchen, in vernünftigem Verhältnis zu anderen Reformmaßnahmen Steigerungen vorzunehmen, Steigerungen, die auf dem Hintergrund der dann gegebenen wirtschafts- und finanzpolitischen Situation von Bund und Ländern auch verkraftet werden können. Für das Problem, einerseits sparsam wirtschaften zu müssen, um zu mehr Stabilität zu kommen, wie auch Sie es verlangen, und andererseits bildungs- und sozialpolitische Reformen zur Steigerung der Qualität des Lebens zu verwirklichen, gibt es eben keine Patentlösung. Jedenfalls wurde das entsprechende Patent in München nicht und auch hier bisher nicht angemeldet, auch nicht von Ihnen in der Union, die Sie inkonsequenterweise gleichzeitig verlangen, daß der Haushalt gekürzt wird,
und andererseits ständig für Mehrausgaben auf allen möglichen Gebieten plädieren.
({2})
In diesem Fall gebietet uns unsere Politik vielmehr, den zweiten Schritt nicht vor dem ersten zu tun.
Die FDP befürwortet daher die beschleunigte Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs. Sie ist darüber hinaus bereit, im Herbst auf der Grundlage der genannten Kriterien die Gesamtproblematik der Ausbildungsförderung hier offen zu diskutieren.
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Meine Damen und Herren, liegen noch Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ebenfalls zur Mitberatung sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Der Antrag auf Drucksache 7/562 soll an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung überwiesen werden. - Ich höre auch hier keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über den Beruf des Diätassistenten
- Drucksache 7/583 -Berichterstatter: Senator Dr. Heinsen
Ich erteile dem Herrn Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hatte in seiner 392. Sitzung am 13. April dieses Jahres den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen, die im Gesetz über Diätassistenten vorgesehene Ausbildungsdauer von drei Jahren auf zwei Jahre herabzusetzen. Der Vermittlungsausschuß ist in seiner Sitzung vom 17. Mai, also gestern, diesem Begehren aus folgenden Gründen gefolgt.
Alle anderen Heilhilfsberufe, insbesondere die medizinisch-technischen Assistenten, aber auch weitere Assistenten und sonstige Berufe, ebenso die vergleichbaren Berufe, deren Ausbildung den Besuch einer Berufsfachschule voraussetzt, wie z. B. Kinderpflegerinnen und technische Assistenten, haben eine zweijährige Ausbildung. Ein Ausbrechen aus dieser Einheitsfront würde einmal dem allgemeinen bildungspolitischen Bestreben widersprechen, die Ausbildung zu intensivieren und zu straffen und die Ausbildungszeiten entsprechend zu verkürzen. Es würde andererseits mit Sicherheit weitere Wünsche anderer Berufsgruppen auf Verlängerung der Ausbildungszeiten wecken. Dies aber hätte nicht nur höhere Personal- und Sachkosten für die ausbildenden Länder und höhere Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, sondern vor allem aller Erfahrung nach auch Wünsche nach höheren Besoldungseinstufungen zur Folge. Es bedarf keines Wortes, welche Aufmerksamkeit alle, die Verantwortung tragen, in der augenblicklichen Zeit gerade diesem Punkt zuwenden müssen.
Aus diesem Grund empfiehlt Ihnen der Vermittlungsausschuß, dem Vermittlungsvorschlag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wird das Wort zur Abgabe einer Erklärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/583 zuzustimmen wünscht, der gebe ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Dann ist der Antrag des Vermittlungsausschusses einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
betr. Behindertengesetz - Drucksache 7/553 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Wer will den Antrag begründen? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion fordert mit ihrem Antrag, das Leistungsrecht für Behinderte aus dem Sozialhilferecht herauszunehmen und die vorgesehenen Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen der Betroffenen und ihrer Familien zu gewähren.
Es gibt durchaus Zusammenhänge dieser Initiative mit dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur kindlichen Indikation. Wir wollen vor allem positive Maßnahmen für die Betroffenen. Die sozialen Maßnahmen sind nicht flankierend; sie sind die Hauptsache.
Mit dieser Initiative sollen bestehende Belastungen und Härten für die Familien mit behinderten Kindern gemildert werden, denn eine Familie mit einem behinderten Kind ist auch eine behinderte Familie. Die Belastung insbesondere der Mutter ist groß. Sie liegt einmal im Unverständnis der Gesellschaft. 91 % der Bundesbürger, die von der Kölner Forschungsgemeinschaft „Das körperbehinderte Kind" befragt wurden, wußten nicht, wie sie sich
gegenüber einem Behinderten verhalten sollen. Der Bürger wendet sich ab, wenn sich eine Mutter zu ihrem mongoliden Kind herniederbeugt; er wendet sich ab, wenn ein Kind mit einem Wasserkopf vorübergeht. Es gilt, in der Öffentlichkeit weiterhin um mehr Verständnis für die Behinderten zu werben.
Es gibt aber auch echte Belastungen der Mütter und der Familien, In der Zeitschrift „Das behinderte Kind" können wir dazu folgendes lesen:
Die behinderten Kinder zu versorgen und zu pflegen, ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung so zu fördern, daß der Lernprozeß, der sich bei jedem Kind abspielt, das Einüben in die Verrichtungen, die den Menschen allmählich selbständig werden lassen, so wenig wie möglich hinter dem normalen Stadium gesunder Kinder zurückbleibt, gehört zu den schwierigsten und aufopferungsvollsten Aufgaben, die die menschliche Gesellschaft kennt.
Wir wollen auch diese Situation dadurch mildern, daß wir für alle Kinder gleiche Hilfen für die Eingliederung in die Gesellschaft bieten.
Das Leistungsrecht der Rehabilitation ist eingebettet in das sogenannte gegliederte System. Das heißt, die in der gesetzlichen Rentenversicherung, in der Unfallversicherung, in der Kriegsopferversorgung und nach dem Arbeitsförderungsgesetz nicht Anspruchsberechtigten - dazu gehören große Teile der Bevölkerung, vor allem Kinder - haben einen Anspruch an das Bundessozialhilferecht. Diese Hilfen aber werden nach dem Prinzip der Nachrangigkeit gewährt, d. h. es gibt Einkommensgrenzen, und die Eltern oder Familien werden finanziell und auch persönlich in erheblichem Umfang mit in die Verantwortung genommen.
Dies führt in Einzelfällen zu erheblichen Härten. Ich darf nur kurz aus einem Brief zitieren. Es schreibt eine Mutter:
Ich möchte Ihnen sagen, daß ich drei behinderte Söhne habe. Will man etwas für die Kinder, so heißt es: Gehen Sie zum Sozialamt. Und dort heißt es: was haben Sie für ein Einkommen? Für diese Jungen gehe ich arbeiten. Was mein Mann verdient, reicht nur für ein normales Leben, aber nicht für so eine Belastung mit behinderten Kindern. Weil ich aber arbeite, bekomme ich nichts für die Kinder. Ja, uns wurde sogar die Mietbeihilfe gestrichen.
- Dies, meine Damen und Herren, ist die erste Begründung dafür, daß wir hier nun diesen Schritt fordern.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund. Der Deutsche Bundestag hat vor einiger Zeit das „Contergan-Gesetz" einstimmig verabschiedet. Darin sind klare Rechtsgrundlagen für Contergan-geschädigte Kinder geschaffen worden. Dies führte allerdings zu weiteren Ungleichheiten.
Dieses Gesetz kann in der Praxis zu folgenden Ergebnissen führen. In einer Straße wohnt ein Contergan-geschädigtes Kind, dessen Eltern nicht gerade zu den Armen gehören, also einkommenstark sind. Sie werden alle Hilfen auf Grund dieses Gesetzes
bekommen können. - Es könnte durchaus sein, daß wenige Häuser weiter ein spastisches Kind, dessen Vater vielleicht Industriemeister ist, keine Hilfen bekommen kann, weil das Einkommen über den Sätzen liegt, die im Bundessozialhilferecht maßgebend sind. Auch dieses Contergan-Gesetz zwingt uns, und zwar so rasch wie möglich, diese Ungleichheiten abzubauen.
Es gibt aber noch einen dritten Grund.
Kostenträger für die Sozialhilfe sind die Kommunen, d. h. die Gemeinden, Städte und die Landkreise. Die Ausgaben auf dem Sozialhilfesektor sind nun sprunghaft gestiegen. Im Jahre 1971 beliefen sich die Ausgaben für die Sozialhilfe auf mehr als 4 Milliarden DM. Der Anstieg betrug in einem einzigen Jahr 682 Millionen DM. Das entspricht einem Anstieg von 20 0/o.
Die Landkreise haben deshalb auch bereits reklamiert und für die kommende Zeit Zahlungsunfähigkeit angemeldet. Dies sollte zu denken geben. Innerhalb des Bundessozialhilferechts wird eine sinnvolle, gleichrangige Weiterentwicklung des Behindertenrechts kaum möglich sein. Wir glauben, die Stunde der Änderung ist da.
In der theoretischen Diskussion hat man den Schritt bereits vollzogen. Im allgemeinen fordert man ein Abgehen vom Kausalitätsprinzip und eine Hinwendung zum Finalitätsprinzip. Das heißt, alle Behinderten sollen, ob sie nun durch Kriegsschaden, Unfall oder durch angeborenes Leiden behindert sind, die gleichen Eingliederungschancen haben.
So fordert auch Dr. Bangert, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag, folgendes:
Das staatspolitische Interesse am Wiedereingegliederten oder Neueingegliederten sollte so stark sein, daß wir bei Rehabilitationsmaßnahmen auf Kostenbeiträge des Einzugliedernden und seiner Angehörigen, die nach dem BSHG hinter jeder Rehabilitationsleistung stehen, verzichten sollten.
Und er sagt weiter:
Was wir heute mehr denn je brauchen, ist ein generelles Leistungsgesetz zur Förderung der Eingliederung Behinderter.
Genau das, meine Damen und Herren, will die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion.
In ihren Programmen fordern die Parteien alle das gleiche. In einem Aktionsprogramm erklärt die Bundesregierung dieses Anliegen zu einem besonderen Programmpunkt. Wir meinen, meine Damen und Herren, daß die Parteien nun auch die Kraft haben sollten, gemäß ihrem Programm zu handeln und im Bereich der Sozialhilfe diesen überfälligen Schritt zu tun.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Opposition, die im Jahre
1956 die Bundesregierung gestellt hat, ist heute an einem Punkt angelangt, an den die damalige SPD-Opposition sie seinerzeit gedrängt hatte. Der Bundestag hat nämlich 1956 ein Körperbehindertengesetz verabschiedet, das auf ausdrückliches Drängen und durch ausdrückliche Gesetzesinitiative der damaligen CDU/CSU-Fraktion und der von der CDU/CSU gestellten Bundesregierung abgeschafft worden und in das Bundessozialhilfegesetz aufgegangen ist. Ich meine, daran sollten wir uns heute erinnern, wenn die CDU/CSU glaubt, nun ganz neue Konzeptionen in die Diskussion zu bringen.
Das war der eine Punkt, den ich vorweggenommen haben möchte.
Der andere Punkt ist folgender. Ich hoffe, daß ich das, was der Kollege Burger hinsichtlich der Begründung zum Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für ein Behindertengesetz gesagt hat, falsch verstanden habe. Wenn man die Begründung, die vorhin hier gegeben worden ist und die übrigens auch von dem Kollegen Vogel im Zusammenhang mit dem § 218 veröffentlicht worden ist - ich stelle das hier fest, ohne die sozialen Probleme im Zusammenhang der gestrigen Diskussion zu § 218 wieder aufrühren zu wollen --, bedenkt, dann könnte man es so verstehen, als sei dieser Vorschlag der CDU/CSU eine Alternative zur eugenischen Indikation. Hier sollten Sie noch eine Klarstellung vornehmen.
Zur Sache selbst möchte ich folgendes sagen: Ein Herauslösen der Bestimmungen über Leistungen für Behinderte aus dem Bundessozialhilfegesetz ist von mir bereits 1960/61 bei der Beratung des Bundessozialhilfegesetzes gefordert worden, und zwar deshalb, weil zwischen den Hilfsbedürftigen, die nur vorübergehend der Hilfe der Allgemeinheit bedürfen, und denjenigen, die unter Umständen ein Leben lang auf eine solche Hilfe angewiesen sind, wie z. B. die Behinderten, ein Unterschied gemacht werden muß. Diesen Standpunkt vertrete ich nach wie vor. Diese damals von mir und von meinen politischen Freunden angestrebte gesetzliche Sonderbehandlung der Behinderten ist, wie gesagt, von der CDU/CSU als damaliger Regierungspartei strikt abgelehnt worden. Inzwischen hat sich die politische Rolle der CDU/CSU grundlegend gewandelt, und nun sieht ihre Haltung auch in dieser Frage
- ich hoffe, nicht nur aus opportunistischen Gründen - ganz anders aus als damals.
Nun möchte ich Ihnen einmal eine Gefahr aufzeigen, die Sie eigentlich auch sehen müßten, nämlich, daß mit einem neuen Leistungsrecht für Behinderte
- unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Betroffenen und ihrer Familien - die - vor allem von Ihnen entwickelten - Grundsätze der Subsidiarität und der Individualisierung grundsätzlich gefährdet sind, und zwar auch im Zusammenhang z. B. mit dem neuen Jugendhilferecht. Hier möchten Sie den Grundsatz der Subsidiarität sogar noch verstärken, statt ihn abzuschwächen. Das ist eine Frage von grundlegender Bedeutung, die Sie sich noch einmal überlegen sollten.
Herr Abgeordneter Glombig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Glombig, sind Sie mit mir der Auffassung, daß sich die sozialpolitische Entwicklung in Stufen vollzieht, und wissen Sie nicht, daß wir auf der Basis des heutigen Antrags bereits früher im Arbeitsförderungsgesetz Leistungen für Behinderte ohne Kostenbeitrag angeboten haben? Kennen Sie nicht § 43 des Bundessozialhilfegesetzes, der bereits einen entscheidenden Vorgriff auf unsere heutige Initiative darstellte?
Daß sich die sozialpolitische Entwicklung in Stufen vollzieht, weiß ich sehr wohl. Ich selbst bin „Leidtragender" dieser Entwicklung. Das werde ich nicht vergessen. Aber die Entwicklung ist ja auf Betreiben der CDU/CSU - Anfang der 60er Jahre nicht nach oben gegangen, sondern es war eine rückschrittliche Stufenentwicklung. Insofern kann ich eigentlich über Ihren Gesinnungswandel froh sein. Ich sage Ihnen auch ganz offen, daß ich den Weg, den Sie einschlagen möchten, als grundsätzlich richtig empfinde.
Meine Damen und Herren, nachdem die Weichen von der CDU/CSU damals so gestellt worden sind, ist aber eine Änderung der Rechtslage - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - außerordentlich schwierig geworden. Das müssen wir sehen. Man kann doch nicht Anträge dieser Art stellen, ohne aufzuzeigen, wie der vorgeschlagene Weg eigentlich gegangen werden soll. Einen solchen Antrag einzubringen, ist nicht schwierig, da er keinerlei Einzelheiten oder konkrete Vorschläge enthält.
Der letzte Bundestag hat - Sie haben es bereits erwähnt, Herr Kollege Burger - im Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzes über die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" einstimmig den Beschluß gefaßt, die Bundesregierung aufzufordern, sobald wie möglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Verbesserung der Hilfen für Behinderte nach dem Bundessozialhilfegesetz vorsieht. Dieser Gesetzentwurf liegt dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Beratung vor. Im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs müßte auch der Antrag der CDU/CSU betreffend Behindertengesetz beraten werden. Wir sind sehr dafür. Die Bundesregierung hat der genannten Entschließung bereits insofern entsprochen, als in dem von ihr vorgelegten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes eine Reihe von Bestimmungen vorgesehen sind, die Leistungsverbesserungen zugunsten Behinderter enthalten und im einzelnen der Entschließung des Bundestages Rechnung tragen. Der Gesetzentwurf ist bei der ersten Beratung von allen Fraktionen dieses Hauses, auch von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, grundsätzlich begrüßt worden.
Hoffentlich haben aber die Antragsteller nicht übersehen, daß es sich bei dem vorgeschlagenen
Sondergesetz um eine Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes handelt und daß die durch die vorgesehene Regelung entstehenden Mehrkosten daher zu Lasten der Haushalte der Länder gehen.
Ich frage weiter: Ist bei dem Antrag vergessen worden, daß der Bundesrat eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen im Entwurf des Dritten Änderungsgesetzes zum Bundessozialhilfegesetz abgelehnt und sich wegen der Haushaltslage der Länder seine Zustimmung zu dem Gesetz ausdrücklich vorbehalten hat? Es gibt hoffentlich niemanden in diesem Hause, der nicht für die Behinderten die beste gesetzliche Regelung anstrebt, aber sie muß auch realisierbar sein. Ich bezweifle, daß der Antrag der Fraktion der CDU/CSU so, wie er eingebracht wurde, ohne Veränderung realisierbar ist. Deswegen sollten wir uns mit diesem Antrag im Zusammenhang mit der Beratung der Dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz noch einmal sehr eingehend beschäftigen. Dabei sollten allein die Interessen der Behinderten im Vordergrund stehen. Das jedenfalls wird das Bemühen der Koalitionsfraktionen sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den Ausführungen, die Kollege Burger und Kollege Glombig hier gemacht haben, kann ich für die Freie Demokratische Partei die Stellungnahme zu diesem Antrag kurz fassen. Wir sehen die Menschen und sehen die Familien, die durch Behinderung in besondere Notsituation gekommen sind, auch in diesen plastischen Einzelbeispielen, wie sie Kollege Burger hier aufgezeigt hat. Wir halten die Beratung dieses Antrags im Zusammenhang mit der Dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz deshalb für sachdienlich.
Erfreulicherweise hat Kollege Burger bereits durch eine Zwischenfrage deutlich gemacht, daß in diesem Bundessozialhilfegesetz gerade der Schwerpunkt der Verbesserungen für die Behinderten gesetzt ist. Nur, Herr Kollege Burger, werden wir uns im Ausschuß einmal überlegen müssen, nachdem die Dritte Novelle schwerpunktmäßige Verbesserungen für die Behinderten bringt, ob ein Systemwechsel zum jetzigen Zeitpunkt richtig ist; denn ein Systemwechsel bedeutet ja auch - da bitte ich gerade auch die Kollegen der CDU/CSU, sich das noch einmal genau zu überlegen -, daß die Sozialhilfe dann wieder in einem anderen Licht erscheint. Ich möchte empfehlen, daß Sie sich einmal die Reden durchlesen, die ihre Kollegen und vor allem Frau Kollegin Niggemeyer im Jahre 1961 zur umfassenden Bedeutung des Sozialhilfegesetzes gehalten haben und was alles als Begründung angeführt wurde, warum das Körperbehindertengesetz unter anderem mit in diesem Sozialhilfegesetz aufgehen soll. Es wird dann nämlich ein bißchen schwierig - ich darf das sagen, ohne mißverstanden zu werden -, das Sozialhilferecht bekommt dann wieder einen gewissen Beigeschmack eines „Arme-Leute-Hilfsgesetzes''. Auch das sollten wir abwägen. Das ist doch genau das, was die CDU im Jahre 1961 hier im Hause immer wieder vorgetragen hat, daß durch diese umfassenden Maßnahmen in einem Gesetz dieser Beigeschmack wegfallen und der Gang zum Sozialamt erleichtert werden soll. Ich glaube, das müssen wir bei der Beratung dieses Antrages im Auge behalten, Herr Kollege Burger.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Bitte schön!
Bitte sehr!
Ich möchte Ihnen in diesen Ausführungen zustimmen, Herr Kollege Spitzmüller, möchte Sie aber fragen: Sie wissen doch auch, daß wir beim Wohngeldgesetz und beim Bundesausbildungsförderungsgesetz wesentliche Bestandteile aus dem BSHG praktisch herausgenommen haben und daß auch dadurch keine Diskriminierung der verbliebenen Leistungen erfolgt ist. Ich bitte, das bedenken zu wollen.
Herr Abgeordneter Burger, ich habe das Fragezeichen nicht gehört.
({0})
Ich setze es. - Herr Kollege Burger, dem möchte ich nicht widersprechen, nur, wenn Sie immer noch mehr herauslösen, wird es fragwürdig. Das müssen wir einfach sehen. Ich wollte das auch nur einmal angesprochen haben.
Wir sind uns also einig in der Überprüfung und in dem Ziel, das Sie angesprochen haben, wir müssen aber sehen, welcher Weg für die weitere Zukunft der richtige ist. Wir müssen nicht nur prüfen, welche Kosten entstehen, sondern auch die verfassungsmäßige Zuständigkeit, auf die Kollege Glombig schon hingewiesen hat, und wir müssen vor allem prüfen, ob durch eine Neuregelung in der Form, wie Sie es angeregt haben, nicht wieder neue, andere Ungerechtigkeiten im Verhältnis zueinander entstehen. Es ist ja immer ein Problem, wenn man eine Frage, die aktuell geworden ist, löst, daß man damit neue Probleme heraufbeschwört. Wir sollten die Dinge hier also sorgfältig behandeln.
Ich bin aber der Meinung - darin stimme ich mit dem Kollegen Glombig völlig überein -, daß der Antrag in der hier vorliegenden Form sicherlich nicht unsere Zustimmung finden kann. Vorrangig erscheint mir zunächst einmal die Verabschiedung der Dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz, um die Verbesserungen, die darin vorgesehen sind, so schnell wie möglich durchzusetzen und die Betroffenen in den Genuß der vorgesehenen Verbesserungen kommen zu lassen.
Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuß
zu und hoffen, daß wir dort eine sachliche Diskussion, wie wir sie auch heute hatten, haben werden
({0})
Meine Damen und Herren, es liegen hierzu keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Antrag dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - und dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung überwiesen werden. - Widerspruch erfolgt nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften des Adoptionsrechts
- Drucksache 7/421 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rollmann, Dr. Stark ({1}), Dr. Gölter, Dr. Wagner ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Neuregelung des Adoptionsrechts - Drucksache 7/328 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({3})
Ausschluß für Jugend, Familie und Gesundheit
Zur Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung hat Herr Staatssekretär Bayerl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die umfassende Überarbeitung und Erneuerung des Kindschafts- und des Adoptionsrechts ist einer der Schwerpunkte, die von der Bundesregierung für diese Legislaturperiode gesetzt worden sind. Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Adoptionsrechts wird ein erster und ein wichtiger Schritt in dieser Richtung getan. Mit dem Entwurf entspricht die Bundesregierung einem Beschluß dieses Hauses, der uns aufgegeben hat, noch vor einer Novelle zum gesamten Adoptionsrecht „den Entwurf für eine gesetzliche Neuregelung derjenigen Bestimmungen vorzulegen, die Adoptionen zur Zeit noch wesentlich erschweren". Die Bundesregierung hat diesem Verlangen nach einer Teilnovelle vorab auch aus eigener Überzeugung entsprochen. So kann nun in unumstrittenen Fragen schon jetzt eine wichtige Erleichterung für Adoptionen geschaffen werden. Die Klärung weiterer der Reform bedürftiger grundsätzlicher Fragen ist bei uns bereits im Gange. Im Mittelpunkt des vorgelegten Entwurfs steht neben der Herabsetzung der Mindestaltersgrenze für den Annehmenden der Vorschlag, durch Einfügung eines neuen § 1747 a in das Bürgerliche Gesetzbuch die Voraussetzungen zu erleichtern, unter denen die,
Einwilligung eines leiblichen Elternteils in die Adoption vormundschaftsgerichtlich ersetzt weiden kann. Seit dem Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 haben wir eine entsprechende Möglichkeit bereits im Bürgerlichen Gesetzbuch. Diese Vorschrift war lange Zeit umstritten, bis sie das Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß anerkannt hat. Sie hat sich aber in der Praxis als viel zu eng erwiesen. Der Gesetzgeber von 1961 hat dem Elternrecht mehr Gewicht zugemessen, als ihm nach der Verfassungslage zukommt, und er hat die Möglichkeiten einer Ersetzung der Einwilligung stärker be: schränkt, als dies im Interesse der betroffenen Kinder gut sein kann. Dieses Versäumnis soll nun mit dieser Vorlage behoben werden.
Dabei soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Ersetzungsmöglichkeit insbesondere auf den Fall erstreckt werden, daß ein Elternteil durch sein Verhalten gezeigt hat, daß ihm das Kind gleichgültig ist. Hier ist vor allem an den Fall gedacht, daß Eltern deshalb keine Anstrengung unternehmen, ihr Kind aus dem Heim zu nehmen, weil es nach ihrer Auffassung im Heim gut untergebracht ist und weil sie sich über die schädlichen Folgen eines längeren Heimaufenthaltes nicht im klaren sind. Hier soll diesen Eltern klargemacht werden können, daß eine Adoption des Kindes auch gegen ihren Willen durchgeführt werden kann.
Es ist zu hoffen, daß die vorgeschlagene Regelung auf eine Änderung des Bewußtseins mancher Eltern hinwirken wird und diese zu der Einsicht bringt, daß ein Kind keine Sache ist, die man in einem Heim wie in einem Kühlschrank frischhalten kann, um sie im Bedarfsfalle wieder herauszunehmen. Gelänge diese Änderung des Bewußtseins, so wäre dies vielleicht noch wichtiger als die Anzahl der Adoptionen, die bei einer erweiterten Ersetzungsmöglichkeit zusätzlich durchgeführt werden könnte.
Es handelt sich, wie gesagt, bei dieser Vorlage nur um einen ersten Schritt zu einer umfassenden Neuregelung des gesamten Kindschaftsrechts. Dabei geht es nicht nur um ein neues Adoptionsrecht, sondern zugleich auch um die Neuregelung des elterlichen Sorgerechts. Ein Referentenentwurf meines Hauses ist inzwischen an die Landesjustizverwaltungen weitergegangen. Die Regierungsvorlage wird vorbereitet, und der Referentenentwurf zur Neuordnung des Adoptionsrechts wird gegenwärtig in meinem Hause ausgearbeitet. Die Arbeiten hierzu werden vorrangig und mit Nachdruck betrieben. Beide Entwürfe sollen so rechtzeitig eingebracht werden, daß die Neuordnung des Kindschaftsrechts mit dem Ende dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden kann.
Die notwendige Reform des Kindschafts- und Adoptionsrechts hat in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren ein erstaunliches und sehr erfreuliches Maß an Aufgeschlossenheit gefunden. Das zeigten viele Eingaben, Tagungen, die sich des Themas angenommen haben - ich denke dabei z. B. an die Arbeitsgemeinschaft für Jugendrecht und Jugendhilfe, die Thesen zum Adoptionsrecht ausgearbeitet hat -, und die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Neuordnung des AdoptionsParl. Staatssekretär Dr. Bayerl
rechts. Das alles ist ein erfreuliches Zeichen für unsere Gesellschaft und für ihre Bereitschaft zu besserer Einsicht, denn das ist eine Rechtsreform nach meinem Dafürhalten ja immer.
Den Antrag der Fraktion der CDU/CSU begrüße ich. Die Grundsätze, an die die Bundesregierung danach bei der Neuregelung der Adoption gebunden werden soll, entsprechen dem Stand der Diskussion um diese Fragen. Für die Volladoption hat sich der Bundesjustizminister bereits mehrfach ausgesprochen. Anderes, was im Antrag vorgeschlagen ist, ist mittlerweile allgemeine Überzeugung, so etwa der Grundsatz, daß bei der Adoption eines nichtehelichen Kindes dessen Mutter einwilligen muß.
Aber es gibt in diesem Antrag auch Punkte, die noch diskutiert werden müssen, so etwa die Frage, ob neben einer für Kinder einzuführenden Volladoption, die durch Ausspruch des Vormundschaftsgerichts zustande kommt, eine Vertragsadoption mit schwacher Wirkung für Erwachsene beizubehalten ist. Ehe wir zwei grundsätzliche Adoptionstypen einführen und dadurch unser Adoptionsrecht praktisch verdoppeln - jeweils mit Sonderregelungen für den einen und den anderen Typ -, sollten wir genau prüfen, ob ein derartiger Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht. Gibt es wirklich so viele Erwachsenenadoptionen noch in unserer Zeit, daß man einen besonderen Adoptionstyp hierfür braucht? Ließe sich die starke Wirkung der Volladoption bei der Annahme eines Erwachsenen an Kindes Statt nicht angemessen und zumutbar dadurch abschwächen, daß die Beteiligten, wenn sie es für gut halten, Zusatzvereinbarungen abschließen, etwa einen Erbverzichtsvertrag? Das sind alles Fragen, die noch nicht abschließend beurteilt oder gar entschieden werden können.
Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, die in dem genannten Antrag enthaltenen Grundsätze bei der Vorbereitung der Neuregelung des Adoptionsrechts ernsthaft zu prüfen. Sie sieht sich in ihren Bemühungen bestärkt, die Neuordnung des Rechts des Kindes im Rahmen des Bürgerlichen Rechts mit Vorrang zu betreiben.
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Das Wort zur Begründung des zweitgenannten Antrags hat der Abgeordnete Dr. Stark ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion unseren Antrag Drucksache 7/328 begründen und zugleich für meine Fraktion zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Adoptionsrechts Stellung nehmen.
Wir verfolgen mit unserem Antrag, meine Damen und Herren, dasselbe Ziel, das wir bereits mit unserem Antrag zur Änderung des Adoptionsrechts im letzten Deutschen Bundestag mit der Drucksache VI/2591 im September des Jahres 1971 verfolgt
haben. In diesem Antrag hatten wir die Bundesregierung bereits aufgefordert, einen umfassenden Gesetzentwurf zur Neuordnung des Adoptionsrechts vorzulegen.
Erfreulicherweise besteht inzwischen in diesem Hause und auch in der Offentlichkeit draußen Einigkeit darüber, daß die Reform des Adoptionsrechts eine der dringendsten rechtspolitischen, aber vor allem auch gesellschaftspolitischen und jugendpolitischen Aufgaben ist. Die Tatsache, daß im Augenblick Tausende von Ehepaaren bereit wären, ein Kind zu adoptieren, und daß auf der anderen Seite Tausende von Kindern ihr Leben in Heimen verbringen müssen, zeigt jedem von uns die Dringlichkeit der Reform des Adoptionsrechts. Sicher, meine Damen und Herren, ist das derzeitige Adoptionsrecht nur e in e der Ursachen dafür, daß bei uns noch so viele Kinder in Heimen aufwachsen und leben müssen. Es ist heute wissenschaftlich erwiesen, daß viele dieser Heimkinder, auch wenn sie in Heimen aufwachsen, die bestens geführt sind, irreparable geistige und seelische Schäden erleiden. Wir, der Gesetzgeber, sollten deshalb rasch alles tun, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß so wenig Kinder wie möglich ihr Leben in Heimen verbringen müssen und dort erzogen werden.
Ein wesentlicher Beitrag hierzu ist ganz sicher die Verbesserung des Adoptionsrechts, die vor allem dazu beitragen muß, daß Elternpaare, die ein Kind adoptieren wollen, es in einem vereinfachten und unbürokratischeren Verfahren als bisher auch tatsächlich adoptieren können.
Daneben wird ein besseres Adoptionsrecht auch einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Probleme erbringen, die dieses Haus gestern in so sachlicher Weise im Zusammenhang mit der Reform des § 218 StGB diskutiert hat.
Eine Reform des derzeitigen Adoptionsrechts muß nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion vor allem folgende Ziele verwirklichen
Erstens. Die Einführung der Volladoption, ,d. h. die vollständige rechtliche und tatsächliche Eingliederung der Adoptivkinder in die Familie der Adoptiveltern als Regeladoptionsform. Ob daneben die bisherige Vertragsadoptionsform bestehenbleiben soll, darüber muß man in den Ausschüssen noch reden.
Zweitens die Beseitigung aller unnötigen und überholten Hindernisse wie der bisherigen Altersvoraussetzungen bei den Adoptiveltern oder des Erfordernisses ihrer Kinderlosigkeit. Solche Hindernisse, die die Adoption erschweren, müssen unseres Erachtens überprüft und, wo immer möglich, beseitigt werden, damit das Verfahren einfacher und beschleunigt durchgeführt werden kann.
Drittens. Ein Hauptanliegen müssen eine Vereinfachung des Adoptionsverfahrens insgesamt und die Schaffung einer zentralen Vermittlungsstelle mit dem Ziel sein, Adoptivkinder und Adoptiveltern zusammenzuführen und das Adoptivverfahren zu beschleunigen. Dies scheint mir einer der wesentlichen Punkte zu sein, um durch die Änderung, die wir jetzt vorhaben, auch wirklich etwas zu verbessern.
Dr. Stark ({0})
Eine der schwierigsten Fragen - das ist auch uns bewußt - wird dabei sicher die Bestimmung der Voraussetzungen sein, unter denen im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung und des Wohles des Kindes die Einwilligung der Mutter bzw. der Eltern des Kindes zur Adoption ersetzt werden kann. Hier muß eine abgewogene, verfassungsrechtlich abgesicherte Lösung gefunden werden, die sowohl das richtig verstandene Elternrecht als auch das Recht des Kindes auf Leben und Entfaltung seiner Persönlichkeit berücksichtigt. Die derzeitige Regelung berücksichtigt nach unserer Auffassung zu sehr das Elternrecht und in diesem Zusammenhang sogar zum Teil auch falsch verstandenes Elternrecht und wägt das Interesse des Kindes an einer gedeihlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit und an seiner gedeihlichen Entwicklung nicht richtig gegen das Elternrecht ab.
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Hilfreich werden hierbei sicher Urteile des Bundesverfassungsgerichts sein, die ich wegen der fortgeschrittenen Zeit hier jetzt nicht zitieren kann. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1968 einige meines Erachtens sehr gute Leitsätze zu dieser Abwägung der Interessen ausgesprochen.
Mit unserem Antrag, meine Damen und Herren, haben wir ein umfassendes Konzept zu einer Neuregelung des Adoptionsrechts vorgelegt. Es ist deshalb etwas unverständlich für uns, Herr Staatssekretär Bayerl, daß, nachdem wir uns bereits seit Juli 1971 mit dieser Materie hier im Hause auf Grund eines Antrags von uns und eines Antrags aus der Koalition beschäftigen, die Regierung nicht mehr vorlegen konnte als das, was jetzt zu dieser Reform vorgelegt wurde. Was jetzt vorgelegt wurde, ist tatsächlich eine „Minireform", meine Damen und Herren.
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Ich bin der Meinung, drei Jahre hätten der Bundesregierung ausreichen müssen. Nachdem viele Vorarbeiten geleistet waren und die Hauptprobleme einer Reform des Adoptionsrechts ausdiskutiert sind, hätte uns hier nicht ein so dürftiger Entwurf vorgelegt werden dürfen.
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Unabhängig davon werden wir, nachdem es der Bundesregierung - aus welchen Gründen auch immer - nicht gelungen ist, hier etwas Ausgewogenes und Ausgereiftes vorzulegen, auch an einer Teilreform im Interesse der Kinder und der Adoptiveltern mitwirken, obwohl uns, wie ich bereits ausgeführt hatte, eine wirklich ausgereifte und umfassende Reform, die uns möglich erschienen wäre, lieber gewesen wäre.
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Bei dieser Zusage, Herr Staatssekretär, gehen wir allerdings davon aus, daß die vom Herrn Bundesjustizminister angekündigten Gesetzentwürfe zu einer umfassenden Reform des Adoptions- und Kindschaftsrechts diesem Hause noch in diesem Jahr vorgelegt werden, da sonst zu befürchten ist, daß
die dringlich notwendige Reform des Kindschafts-
und Adoptionsrechts auch in dieser Legislaturperiode wiederum nicht zustande kommt. Dies wäre dann in der Tat ein Indiz dafür, daß diese Bundesregierung, aber auch dieser Deutsche Bundestag, nicht mehr in der Lage sind, dringliche und vernünftige Reformen und Aufgaben rechtzeitig anzupacken und zu lösen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schimschok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jugendwohlfahrtsgesetz räumt jedem deutschen Kind ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ein. Dieses Postulat sollte für alle Kinder gelten. Leider gibt es aber in der Bundesrepublik Deutschland viele tausend Kinder, die eine Möglichkeit zur körperlichen, seelisch-geistigen und gesellschaftlichen Ertüchtigung nur bedingt haben, weil das Elternrecht noch weit höher bewertet wird als das Kindesrecht. Viele Kinder sind nur deshalb gefährdet oder leben in Heimen, weil sie nach geltendem Recht nicht zur Adoption vermittelt werden können. Dabei liegt eine der Hauptschwierigkeiten in der gerichtlichen Ersetzung der Einwilligung der Eltern zur Adoption.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß die ersten Lebensjahre eines Menschen für seine gesamte Entwicklung wie auch sein späteres Sozialverhalten von größter Bedeutung sind. Wenn sich Kinder jahrelang in Heimen befinden und dort systembedingt keine echten Beziehungen zu einem Menschen entwickeln können, weil sie von ständig wechselnden Personen betreut werden, können bei ihnen irreparable Schäden eintreten.
Auf Grund eines Initiativantrages der Fraktionen der SPD und FDP sowie eines Antrages einiger Abgeordneter der CDU/CSU und ihrer Fraktion wurde die Regierung, wie Herr Staatssekretär Bayerl schon sagte, im Februar 1972 vom Deutschen Bundestag beauftragt, so bald wie möglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Adoptionsrecht umfassend neu regelt. In Anbetracht der Schwierigkeiten einer befriedigenden Neuregelung des Adoptionsrechts wurde die Regierung auch aufgefordert, unverzüglich den Entwurf für eine gesetzliche Neuregelung derjenigen Bestimmungen vorzulegen, die die Adoption besonders erschweren. Hier wurden die Bestimmungen über die Ersetzung eines Elternteils zur Adoption, das Mindestalter und das Erfordernis der Kinderlosigkeit erwähnt.
Die Bundesregierung hat nun einen Entwurf zur Änderung des Adoptionsrechts vorgelegt, in dem vorgeschlagen wird, die Mindestaltersgrenze des Annehmenden von 35 auf 25 Jahre herabzusetzen und die Ersetzung der Einwilligung der Eltern zur Adoption zu erleichtern. Die Herabsetzung des Mindestalters des Annehmenden erscheint uns Sozialdemokraten sinnvoll, da ein Mensch, der mit 25 Jaren den Entschluß faßt, ein Kind zu adoptieren, wohl auch die nötige menschliche Reife haben dürfte, um
einem Kind das zu geben, was es zu seiner gesunden Entwicklung braucht. Außerdem, meine Damen und Herren, ist es gut, wenn kleine Kinder junge Eltern haben.
Wesentlich dürfte auch die vorgesehene Erleichterung der Ersetzung der Einwilligung der Eltern zur Adoption sein, die der vorgelegte Entwurf enthält. Die gesetzliche Grundlage für eine Ersetzung der Einwilligung der Eltern wurde 1961 durch das Familienrechtsänderungsgesetz geschaffen. Es ist interessant, die Protokolle über die Beratung im zuständigen Ausschuß zu lesen. Ich freue mich über den Gesinnungswandel in der CDU/CSU und begrüße es sehr, daß sie sich in ihrem Antrag für die Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils zur Adoption nunmehr für Voraussetzungen ausspricht, wie sie im Prinzip auch im vorliegenden Regierungsentwurf vorgesehen sind. Die Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils zur Adoption eines Kindes ist zur Zeit noch an drei Voraussetzungen gebunden:
1. daß dieser seine Pflichten dem Kinde gegenüber dauernd gröblich verletzt oder die elterliche Gewalt verwirkt hat;
2. daß er die Einwilligung böswillig verweigert und
3. daß das Unterbleiben der Annahme an Kindes Statt dem Kind zu unverhältnismäßigem Schaden gereichen würde.
Das erforderliche Zusammentreffen dieser drei Voraussetzungen hat zur Folge, daß von manchen Jugendämtern gar nicht erst der Versuch unternommen wird, die Ersetzung der elterlichen Einwilligung zu beantragen. Meine Damen und Herren, wie soll man letzten Endes eine böswillige Verweigerung der Einwilligung feststellen oder gar beweisen?
Wir Sozialdemokraten begrüßen es auch, daß in dem Änderungsentwurf die Ersetzung der Einwilligung außer bei gröblicher Pflichtverletzung auch bei Gleichgültigkeit der Eltern erfolgen soll. Es ist doch vielfach so, daß Kinder jahrelang im Heim waren, ohne daß sich die Eltern darum kümmerten. Ist das Kind dann 13 bis 14 Jahre alt, dann entdekken die Eltern plötzlich - und ich sage: aus rein materiellen Gründen - ihre Liebe zu ihrem Kinde.
Ferner soll die Einwilligung ersetzt werden können, wenn ein Elternteil wegen eines besonders schweren Leidens, und zwar in körperlicher oder geistiger Hinsicht, zur Erziehung des Kindes dauernd unfähig ist und wenn das Kind bei Unterbleiben der Annahme an Kindes Statt nicht in einer Familie aufwachsen könnte und dadurch in seiner Entwicklung schwer geschädigt würde.
In diesem Zusammenhang erscheint mir ein Hinweis auf die gleichzeitig vorgesehene Änderung des Jugendwohlfahrtgesetzes notwendig. Das JWG soll dahin gehend geändert werden, daß die Jugendämter verpflichtet werden, bei Gleichgültigkeit, die nicht zugleich eine gröbliche Pflichtverletzung ist, und bei schweren geistigen und körperlichen Gebrechen den Elternteil über Hilfen zu beraten, die
das Verbleiben des Kindes in der eigenen Familie oder eine Unterbringung in einer anderen geeigneten Familie ermöglichen könnten. Über gebotene Hilfen ist dem Vormundschaftsgericht zu berichten.
Diese Bestimmung erscheint mir besonders wichtig, da hierdurch verhindert wird, daß eine automatische Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils erfolgt, wenn er wegen eines schweren Gebrechens unfähig zur Pflege und Erziehung des Kindes ist.
Ich glaube, daß es so zu einer Ausgewogenheit der Interessen zwischen Elternteil und dem Kinde kommen kann.
Ich möchte ganz kurz den Antrag der CDU/CSU erwähnen. In ihm erscheint mir die Adoption Erwachsener sehr problematisch. Wir müssen über diese Frage im Ausschuß nachdenken. Wir müssen auf jeden Fall zu verhindern versuchen, daß sich Erwachsene durch eine Adoption der Unterhaltspflicht gegenüber ihren sozial schwachen Eltern entziehen können.
Dankbar haben wir soeben von Herrn Staatssekretär Dr. Bayerl vernommen, daß ein Referentenentwurf zur Neuordnung des Adoptionsrechts bereits ausgearbeitet wird und noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll.
Aber, meine Damen und Herren, auch das beste Adoptionsrecht wird nicht verhindern können, daß Kinder in Heimen bleiben müssen, weil es immer Gründe geben wird, weshalb sie nicht adoptiert werden können. Kinder werden in sehr vielen Fällen z. B. erst dann in ein Heim aufgenommen, wenn sie in ihrer Entwicklung bereits schwer geschädigt sind. Wenn die geplante Erleichterung der Adoption dazu führt, daß mehr Kinder Aufnahme in eine Familie finden, kann den notwendigerweise in Heimen verbleibenden Kindern der ganze Idealismus und die große Bereitschaft des Pflegepersonals, dem zu danken wir an dieser Stelle Gelegenheit haben, zugute kommen.
Mit einer Änderung des Adoptionsrechts allein ist es aber nicht getan. Die Öffentlichkeit muß Eltern und vor allem alleinstehenden Müttern mehr Hilfe gewähren. Dann würde manches Kind gar nicht erst in ein Heim gegeben, sondern fände die zu seiner Entwicklung notwendige Liebe und Geborgenheit bei seinen leiblichen Eltern. Außerdem sollte in unserer Gesellschaft mehr Verantwortungsbewußtsein, und zwar nicht nur den eigenen Kindern gegenüber, gezeigt werden, damit sich Vorkommnisse wie z. B. kürzlich in Hamburg nicht wiederholen können.
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Wird des weiteren das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind mit den anderen Fraktionen des Hauses der Meinung, daß das geltende Adop1866
tionsrecht dringend der Änderung bedarf. Einige Bestimmungen dieses Rechts haben sich zunehmend zu einem Adoptionshindernis entwickelt. Das hat dazu geführt, daß in der Vergangenheit bereits mehrfach Teilreformen durchgeführt worden sind.
Die Reformbedürftigkeit liegt ganz sicher im veränderten Ansatzpunkt des Adoptionsrechts, wie wir es heute sehen. Diente es früher vor allem Personen fortgeschrittenen Alters, bei denen leiblicher Nachwuchs nicht mehr zu erwarten war, um ihnen einen Erben und Nachfolger im Betrieb zu sichern, so ist es heute das Bestreben, dazu zu kommen, das Kinder, denen es nicht vergönnt ist, bei ihren leiblichen Eltern aufzuwachsen - aus welchen Gründen auch immer -, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt im Rahmen einer Familie heranwachsen können. Zudem ist ganz sicher in den Rechtsfolgen wie im Verfahren das geltende Recht etwas unübersichtlich und in den Auswirkungen manchmal überraschend.
In Klammen gesprochen: Es ist vielleicht kein Zufall, daß schon Ludwig Thoma das Adoptionsrecht als Aufhänger nahm, um an diesem Beispiel die beträchtlichen Verständigungsschwierigkeiten zwischen einem Königlichen Amtsrichter und einer, wie es so schön heißt, Frau aus dem Volke darzustellen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bringt die erste Stufe einer dreistufig geplanten Reform. Der Antrag der Unionsfraktion sieht mehr vor. Ich sage ganz ehrlich: Wer kein Freund gesetzgeberischen Stückwerks ist, wird sich die Frage vorlegen müssen, ob hier den Betroffenen ein Gesetzgebungsbrocken hingeworfen werden soll, um sie einigermaßen zu beruhigen, oder ob hier eine wirkliche, auf die dringendsten Punkte bezogene Teilreform vorliegt. Wenn man sich den Entwurf genau ansieht und die betroffenen Verbände und Behörden, die täglich mit diesen Dingen zu tun haben, hört, kommt man, glaube ich, zu dem Ergebnis, daß es sich hier um eine wirkliche Teilreform handelt.
An anderer Stelle, Herr Kollege Dr. Stark, hat das Bundesjustizministerium die Gründe darlegen lassen, die dazu geführt haben, daß uns heute noch kein Entwurf zum Kindschaftsrecht und zum Problem der Volladoption vorliegt. Ich glaube, die Gründe waren auch überzeugend. Wir sollten akzeptieren, daß hier nun in zwei sehr wesentlichen Punkten der Versuch unternommen werden soll, die Adoption zu erleichtern. Ich stehe allerdings nicht an, zu sagen - und ich habe das an anderer Stelle bereits erklärt -, daß wir an Hand des Antrags der Union in jedem einzelnen Punkt zu prüfen haben werden, ob schon jetzt bei der Behandlung des Entwurfs der Bundesregierung einige Punkte mit hineingenommen werden könnten. Nur darf eines nicht passieren: daß sich die Behandlung des Entwurfs der Bundesregierung so verzögert, daß er dann schließlich von dem als verzögerlich bezeichneten Volladoptionsentwurf der Bundesregierung zeitlich noch eingeholt werden könnte. Das darf ganz sicherlich nicht passieren, und es darf nicht passieren, daß wir etwas machen, was aus der Systematik herausfällt und später erneut einer Änderung unterliegen müßte.
Zu den einzelnen Fragen, vor allem zur Frage der Ersetzung der Einwilligung der Eltern, hat insbesondere Frau Kollegin Schimschok schon eingehende Ausführungen gemacht. Ich darf nur noch darauf hinweisen, daß es ja nicht einfach ist, die Frage der Ersetzung der Einwilligung der leiblichen Eltern gesetzgeberisch zu regeln, weil man dabei im Schutzbereich des Art. 6 des Grundgesetzes manövriert. Aber ich glaube, hier ist eine vernünftige Lösung von seiten der Bundesregierung getroffen worden, die einerseits klarstellt, daß die Ersetzung der Einwilligung zur Adoption das letzte Mittel sein muß, weil sie das natürliche Recht der Eltern antastet, die andererseits aber auch klarstellt, daß doch der Vorgang der Zeugung und Geburt allein hinsichtlich der Beziehung zum Kind noch kein Gewaltverhältnis mit sich bringt, auf das sich einzelne Eltern, die nicht bereit sind, ihre Pflichten zu erfüllen, die dieser Vorgang ihnen auferlegt, berufen können und dabei das Interesse des Kindes weitgehend unberücksichtigt lassen.
Da Eile not tut, begrüßen wir es insbesondere, daß man durch Vereinbarung im Rechtsausschuß bereits übereingekommen ist, beide Entwürfe dem Unterausschuß für die Ehe- und Familienrechtsreform zuzuweisen. Ich glaube, daß damit am besten sichergestellt ist, daß in zwei wesentlichen Punkten, die sich als Adoptionshindernisse erwiesen haben, in Kürze im Interesse der Betroffenen Abhilfe geschaffen werden kann.
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Herr Abgeordneter Sieglerschmidt!
Ich wäre hier nicht hinaufgegangen, wenn der Kollege Dr. Stark nicht eine alte Platte aus der vorigen Legislaturperiode wieder hervorgeholt hätte, die dadurch nicht wohltönender wird, daß man sie jetzt hier erneut abspielt. Ich meine die Platte mit dem Vorwurf an die Bundesregierung, hier nur eine „Minireform" vorzulegen, einen dürftigen Entwurf und dergleichen mehr. Wenn Sie, Herr Kollege Stark, sagen, es sei Ihnen unverständlich, daß nicht mehr gekommen sei, dann möchte ich Ihnen antworten, mir ist es unverständlich, daß Sie als Kenner der Materie solche Behauptungen aufstellen können. Sie haben uns doch in anderen Fällen bei vergleichbaren Gesetzentwürfen vorgeworfen, wir legten unausgereifte Dinge vor. Sie können doch der Bundesregierung bei einer so schwierigen und so wichtigen Materie keinen Vorwurf daraus machen, daß dies hier sorgfältig erarbeitet wird, zumal, wenn man weiß, daß hier alles darauf ankommt, in Vorabklärungen mit den Justizbehörden der Länder, mit den Jugendbehörden, nicht zuletzt vor allen Dingen unter Einbeziehung der wichtigen Erfahrungen der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, einen wirklich ausgereiften Gesetzentwurf vorzulegen.
Sie können doch auch nicht übersehen, daß dieser Gesetzentwurf vor allen Dingen deswegen nicht mehr enthält - da mag man über den einen oder anderen Punkt noch streiten -, weil es eben außerSieglerschmidt
ordentlich schwierig ist der Kollege Engelhard
hat das schon erwähnt -, aus einem Gesamtkonzept einige Punkt vorab herauszunehmen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur noch einmal unterstreichen, was Herr Staatssekretär Dr. Bayerl schon gesagt hat, nämlich daß die Bundesregierung entschlossen ist, den Gesetzentwurf so vorzulegen, daß die Reform des Adoptions-und des Kindschaftsrechts in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden kann; das habe ich doch richtig verstanden, Herr Staatssekretär? Daran wollen wir die Bundesregierung auch festhalten, Herr Kollege Stark. Da gehen wir völlig einig. Ich gehe davon aus, daß uns dieser Gesetzentwurf unverzüglich, d. h. in der Sprache derjenigen, die es verstehen: ohne schuldhaftes Zögern, vorgelegt wird.
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- Gut, ich nehme auch das gern auf, Herr Kollege Lenz.
Nun zu der Frage der Vorabnovelle. Lassen Sie mich einer Sorge Ausdruck geben. Ich möchte hier so eine leise Kritik an dem anbringen, was der Kollege Engelhard gesagt hat. Wir sollten nicht in die Versuchung kommen, diese Novelle, die nur als Vorabnovelle ihren Sinn hat, zu stark mit Dingen zu befrachten, die uns noch als gut und schön erscheinen. Sie haben gesagt: Es soll keine Zeit in Anspruch nehmen. Ich würde noch schärfer formulieren: Es darf überhaupt keine Verzögerung durch irgend etwas geben, was in diese Vorabnovelle noch hereingenommen wird; denn sonst verliert sie ihren Sinn, der darin besteht, daß sie vorab dringend einer Regelung bedürftige Notstände regeln soll.
Noch eine kurze Bemerkung zu dem Antrag der CDU/CSU. Ich teile die Beurteilung, die Herr Staatssekretär Bayerl gegeben hat. Sosehr ich eine ganze Reihe von Forderungen, die dort gestellt worden sind, bejahe, frage ich mich aber auch, ob es sinnvoll ist, einen solchen Antrag zu stellen, der doch eigentlich in weiten Teilen nur noch einer Formulierungshilfe der Bundesregierung bedarf, um dann ein volles Gesetz zu sein. Wenn wir davon ausgehen, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aus gutem Grund hier keinen Gesetzentwurf vorgelegt haben, weil das eben so schwieriger Vorarbeiten bedarf, dann sehe ich den Rechtsausschuß etwas in Nöten, wenn er vor der Frage steht, was er nun damit machen soll. Lassen Sie mich zu dieser Stunde ein bißchen salopp sagen: Wenn dieser Antrag auf einem Parteitag gestellt würde, dann würde ich sagen - und jetzt nicht als Staatsbegräbnis erster Klasse -: Überweisung an den Vorstand als Material - als wichtiges Material, wohlgemerkt.
Nun eine letzte Bemerkung zu einem Punkt Ihres Entwurfs.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Stark.
Herr Kollege Sieglerschmidt, ist Ihnen bewußt, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung, zu dem sie immerhin anderthalb Jahre nach der Aufforderung durch den Bundestag gebraucht hat, erst einging, als wir unseren Antrag schon einige Wochen hier eingebracht hatten?
Sie meinen den Gesetzentwurf für die Vorabnovelle? Der Gesetzentwurf für die Vorabnovelle ist eingegangen, nachdem wir die Bundesregierung dazu aufgefordert hatten. Hier sind schon die Schwierigkeiten dargestellt worden, Herr Kollege Dr. Stark, die darin liegen, daß man aus einer Gesamtreform einen Teil herausnimmt. Dies hat der Bundesjustizminister getan, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies vorab dringlich geregelt werden muß.
Aber lassen Sie mich abschließend noch zu einem Punkt Ihres Entwurfs kommen, nämlich der Frage, ab wann denn nun eine Adoption möglich sein soll. Ich komme aus gutem Grund darauf. Sie schreiben hier sehr eindeutig: nicht vor drei Monaten, also wie nach dem geltenden Recht. Heute befindet sich aber die Frage der sogenannten pränatalen Adoption in der Diskussion. Dabei geht es also um die Einwilligung in die Adoption vor der Geburt.
Ich will das Thema hier heute nicht ausdiskutieren. Ich würde nur meinen, daß sich der Rechtsausschuß, wenn er den Entwurf der Bundesregierung vorgelegt bekommt und der wird ja vielleicht auf diese Frage auch eingehen -, sehr eingehend mit diesem Problem befassen muß. Diese Frage ist weder nach der einen noch nach der anderen Seite ganz eindeutig zu beantworten.
Ich möchte allerdings in diesem Zusammenhang auch auf eine Gefahr hinweisen, die auch in allgemeinerer Weise für uns bestehen könnte, nämlich auf die Gefahr, daß wir bei gesellschaftlichen Notständen, bei denen wir mit der rechtlichen und ethischen Bewältigung und Regelung unzufrieden sind, leicht in die Versuchung kommen, nun an anderer Stelle Regelungen zu schaffen, um den ersten Notständen entgegenzutreten, Regelungen, die dann wieder anderswo sehr leicht rechtlich und ethisch unbefriedigende Zustände schaffen können. Ich glaube, diese Mentalität, diese für uns alle bestehende Gefahr einer Art von - wenn ich einmal so sagen darf - gesellschaftspolitischer Wechselreiterei müssen wir sehen, und wir müssen versuchen, sie zu vermeiden.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zur Sache zu sprechen, sondern möchte eine Bemerkung zu dem machen, was der Kollege Sieglerschmidt in bezug auf „Überweisungen von Material an den Parteivorstand" sagte.
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Dr. Lenz ({1})
Geschätzter Kollege Sieglerschmidt, ich glaube, hier müssen wir eine Klarstellung vornehmen. Es ist die Aufgabe der Opposition, zu sagen, was sie will. Ich glaube, Sie werden mir bestätigen, daß wir das in unserem Antrag gesagt haben. Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, die Bundesverwaltung, die Ministerien zu duplizieren. Ich denke, wir haben uns genau an unseren Verfassungsauftrag als Opposition gehalten.
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Vizepräsident von Hassel: Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht mehr vor.
Es ist vorgeschlagen, die Vorlagen zu Punkt 11 a) und b) an den Rechtsausschuß - federführend -und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mitberatend - zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Überweisung ist einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst
Drucksache 7/177 -a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/529 - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- Drucksache 7/404 -Berichterstatter: Abgeordneter Ziegler ({5})
Ich danke den Berichterstattern. Wird von den Berichterstattern noch zur Ergänzung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Wird zur zweiten Beratung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Wir haben dann noch über den Ausschußantrag zu befinden, den Sie in Drucksache 7/404 unter B Ziffer 2 finden. Wer dem zustimmt, den bitte ich um
das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist ebenfalls einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mindestanforderungen an Unterkünfte für Arbeitnehmer
- Drucksache 7/262 Bericht und Antrag des Ausschusses für
Arbeit und Sozialordnung ({6})
- Drucksache 7/527 -Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak ({7})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Begehrt dieser das Wort zur Ergänzung? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die zweite Beratung. Das Wort zur Begründung des Änderungsantrags auf Drucksache 7/565 erteile ich dem Abgeordneten Zink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU ausführen, daß wir der Sache der Gesetzesvorlage insgesamt zustimmen, d. h. wir halten die Vorlage für erforderlich.
Lediglich in einem Detail haben wir gegenüber der Vorlage, über die wir heute hier zu befinden haben, eine abweichende Meinung. Es geht dabei um die Frage der Kontrolle.
Die Vorlage geht davon aus, daß Gewerbeaufsicht oder Bauaufsicht alle privaten und öffentlichen Unternehmen bis an die Grenze des Bundes kontrollieren soll, während dort, wo der Bund als Arbeitgeber in Erscheinung tritt, er seinerseits dieser Kontrolle nicht unterzogen werden soll. Wir treten für die Streichung dieser Eingrenzung ein,
({0})
und zwar aus folgenden Gründen. Zum einen sind wir der Meinung, daß eine einheitliche Ausübung dieser Kontrolle, also durch eine Behörde, der Sache zuträglich ist. Zum anderen meinen wir, daß die Glaubwürdigkeit auch des Gesetzgebers eine bessere ist, wenn er keinen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen macht und seinen eigenen Bereich bei einer solchen Kontrolle nicht ausnimmt.
Ich darf Sie bitten, diesem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Vorlage der Bundesregierung zu diesem Problem „Arbeitnehmerunterkünfte" außerordentlich. Denn im wesentlichen werden hier die Probleme der ausländischen Arbeitnehmer in Angriff genommen, und die Gesetzeslücken, die bisher auf dem Gebiete der Kontrolle
und Durchsetzung zu registrieren sind, werden nun durch die Initiative des Bundesarbeitsministers beseitigt.
Es ist eine umstrittene Frage, in welchem Umfang die Durchführung von Bundesgesetzen ausnahmsweise von der Bundesverwaltung zu überwachen ist. Die Grenze zwischen den Bereichen, die von der Bundesverwaltung bzw. den Landesbehörden zu überwachen sind, läßt sich nicht mit Sicherheit ziehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bisher noch keine präzisen Leitlinien aufgestellt.
Man kann sehr wohl den Standpunkt vertreten - darüber haben wir im Ausschuß hinreichend debattiert -, daß der Arbeitsschutz eine Sache der allgemeinen Gesetze ist, die auch für die Bundesverwaltung gelten und deren Durchführung - im Regelfall - von den Länderbehörden überwacht wird. Eine verfassungsrechtliche Nachprüfung in den Koalitionsfraktionen hat uns in dieser Auffassung bestärkt.
Wir werden daher den Änderungsantrag der CDU/CSU unterstützen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Ich schlage daher vor, daß wir zunächst über den Änderungsantrag abstimmen. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/565 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Der Antrag ist bei einer Gegenstimme ohne Enthaltung angenommen.
Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache in zweiter Lesung.
Wir stimmen ab über Art. i in der geänderten Fassung, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 115 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 22. Juni 1960 über den Schutz der Arbeitnehmer vor ionisierenden Strahlen
- Drucksache 7/105 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 7/526 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Blüm ({2})
Der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung - Drucksache 7/526 - liegt Ihnen vor. Ich darf dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht danken und ihn fragen, ob er eine mündliche Ergänzung wünscht. - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die zweite Beratung .- Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen mit der Abstimmung in zweiter Beratung zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig in zweiter Beratung und Schlußabstimmung angenommen.
Ich rufe den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse
- Drucksache 7/400 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/575 -Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4})
- Drucksache 7/547 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmidt ({5})
({6})
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig in zweiter Beratung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Damit ist Punkt 16 erledigt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 17:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Drucksache 7/260 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß fur Arbeit und Sozialordnung ({7}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Wir haben eine kurze Aussprache zu diesem Punkt vereinbart. Zur Einbringung hat der Bundes1870
Vizepräsident von Hassel
minister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen namens der Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit vorlegen. Ein solcher Gesetzentwurf ist seit zehn Jahren wiederholt von diesem Hohen Hause gefordert worden, zuletzt im Jahre 1971 im Zusammenhang mit der Beratung des Unfallverhütungsberichts der Bundesregierung.
Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes ergibt sich aus der heutigen Situation des Arbeitsschutzes, die sich schlagwortartig etwa so darstellen läßt: hohe Zahl von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Zunahme der arbeitsbedingten Erkrankungen und Frühinvalidität, rascher technischer Wandel in den Arbeitsmethoden und -verfahren, eine fast unübersehbare Zahl von komplizierten und medizinischen Arbeitsschutzvorschriften, unzureichende, ja, fehlende sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Vorbildung der Arbeitgeber und der betrieblichen Führungskräfte und Überlastung der Gewerbeaufsichtsbeamten, der technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften und der Gewerbeärzte.
Jährlich ereignen sich im Arbeitsleben der Bundesrepublik Deutschland mehr als 21/2 Millionen Unfälle und Berufskrankheiten. 1971 sind die absoluten Unfallzahlen erstmals seit drei Jahren gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Auch für 1972 ist ein - allerdings geringerer - Rückgang zu verzeichnen.
Diese in der Tat erfreuliche Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich nach wie vor alle 13 Sekunden ein Arbeitsunfall ereignet und alle zwei Stunden ein Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz bei einem Unfall tödlich verunglückt.
Diese erschreckenden Feststellungen finden sich im Unfallverhütungsbericht, den die Bundesregierung kürzlich dem Hohen Hause vorgelegt hat.
In diesem Bericht ist dargestellt, in welchen Wirtschaftszweigen die Schwerpunkte des Unfallgeschehens liegen. Durch die Auswertung einer Stichprobenerhebung war es uns darüber hinaus möglich, weitere interessante Zusammenhänge nachzuweisen. So erleiden z. B. die Personen unter 35 Jahren mehr Arbeitsunfälle als ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen entspricht. Die über 50jährigen Arbeitnehmer wiederum sind durch tödliche Arbeitsunfälle besonders stark betroffen. Die häufig vertretene Ansicht, daß sich in den kleinen Betrieben am ehesten Unfälle ereignen, hat sich nicht bestätigt. Wir haben sieben Wirtschaftszweige durchleuchtet und festgestellt, daß sich in den mittleren Betrieben mit bis zu 250 Beschäftigten prozentual erheblich mehr Unfälle ereignen, als hier anteilmäßig Arbeitnehmer beschäftigt sind. - Das sind einige Beispiele, wie man das komplexe Unfallgeschehen aufhellen kann.
Neben den persönlichen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Familien wird unsere Volkswirtschaft durch Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und Berufskrankheiten mit jährlich mindestens 10 Milliarden DM belastet. Ein wohlausgewogener technischer und medizinischer Arbeitsschutz ist daher dringend geboten. Ich betrachte die Intensivierung des Arbeitsschutzes als eine große humane und volkswirtschaftliche Aufgabe.
Im Unfallverhütungsbericht ist beschrieben, was in der Vergangenheit alles unternommen wurde und was wir uns für die Zukunft vorgenommen haben: Wir wollen zunächst die bestehenden Arbeitsschutzvorschriften voll ausschöpfen. Wir wollen die vorhandenen Arbeitsschutzvorschriften auf weitere gefährliche Arbeitsstoffe ausdehnen. Schließlich wollen wir in einer Verordnung Mindestanforderungen an Arbeitsstätten aufstellen, damit die Arbeitnehmer menschenwürdigere und sichere Arbeitsplätze vorfinden. Das sind wir auch aus Konkurrenzgründen den Unternehmen schuldig, die bereits freiwillig dafür gesorgt haben.
Meine Damen und Herren, mit Vorschriften allein ist es nicht getan. Die statistischen Voraussetzungen bei der Erfassung des Unfallgeschehens müssen verbessert werden. Eine neue, EDV-gerechte Unfallanzeige wird das demnächst sicherstellen. Sie wird Auswertungen ermöglichen, wie sie bisher nur unter Schwierigkeiten mit Stichproben zu erreichen waren. Wir versprechen uns davon positive Auswirkungen auf die Unfallverhütungsarbeit und insbesondere auf die Unfallforschung, die in der neuen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund angelaufen ist. Im Unfallverhütungsbericht sind 57 Forschungsprojekte ausgewiesen, die abgeschlossen oder noch in Arbeit sind.
Alle diese im Bericht geschilderten Initiativen können aber nur begleitende Maßnahmen sein. Sie können nicht den Arbeitsschutz ersetzen, für den der Betrieb selbst zuständig sein muß, nämlich den Arbeitsschutz, der unmittelbar am Arbeitsplatz ansetzen und von Fachleuten durchgeführt werden muß, die aus ihrer täglichen Tätigkeit heraus über die innerbetrieblichen Zusammenhänge und Gefahren Bescheid wissen und sie überschauen.
Der rasche technische Wandel führt zu stetigem Wechsel von Arbeitsmethoden und Arbeitsverfahren. Sie bringen neue Gefahren mit sich oder bewirken, daß bekannte Gefahren akuter auftreten als bisher. Eine notwendige und unabwendbare Folge dieser ständig neuen Gefahren ist eine Flut von sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Vorschriften. Nicht nur ihr Umfang, auch ihre Kompliziertheit nimmt von Jahr zu Jahr zu. Von dem Arbeitgeber wird verlangt, daß er die Vorschriften kennt und daß er sie sachverständig im Betrieb anwendet. Dabei verfügen die betrieblichen Führungskräfte von ihrer Ausbildung her praktisch über keine sicherheitstechnischen oder arbeitsmedizinischen Kenntnisse.
Wie sollen die betrieblichen Führungskräfte unter diesen Umständen die sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Probleme im Betrieb erfassen und lösen? In der Bundesrepublik gibt es nur 1 700 Gewerbeaufsichtsbeamte und 800 technische Aufsichtsbeamte der Berufsgenossenschaften. Ihnen steBundesminister Arendt
hen 1,4 Millionen gewerbliche Betriebe und 19 Millionen Beschäftigte gegenüber. Theoretisch hat also ein Aufsichtsbeamter pro Jahr nur eine knappe Stunde Zeit für einen Betrieb zur Verfügung, und das ist im Grunde genommen zuwenig. Und so, wie es bei den Aufsichtsbeamten aussieht, sieht es auch bei den Gewerbeärzten aus.
Dies führte dazu, daß nur noch eine Kontrolle und eine Bearbeitung von Einzelvorgängen sichergestellt ist, nicht aber eine systematische Beratung der Betriebe. Diese Beratung fehlt insbesondere bei der Planung von neuen Betriebsanlagen oder beim Einsatz neuer Verfahren und Techniken.
Ähnlich sind die Verhältnisse in der Landwirtschaft und im öffentlichen Dienst.
Meine Damen und Herren, dies ist der Hintergrund für den vorliegenden Gesetzentwurf. Wir können uns nicht mehr mit Appellen an die freiwillige Initiative der Arbeitgeber begnügen, wenn wir die seit Jahren stagnierende Zahl von Sicherheitsingenieuren und Betriebsärzten den geschilderten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Aufgaben im Betrieb gegenüberstellen.
Wenn wir eine Verbesserung des Arbeitsschutzes auf breiter Basis haben wollen, kommen wir an einer gesetzlichen Regelung über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit nicht vorbei. Erst durch dieses Gesetz werden die Berufe des Betriebsarztes und des Sicherheitsingenieurs attraktiver werden; erst das Gesetz wird dazu beitragen, das Berufsbild dieser Fachkräfte schärfer herauszubilden und aufzuwerten und eine Nachfrage nach diesen Berufen zu schaffen. Wir können uns nicht mit der Hoffnung begnügen, irgendwann werde es schon von allein genügend Fachkräfte geben. Die Lösung des Personalproblems darf nicht länger Voraussetzung für die Vorlage des Gesetzes sein.
Andererseits müssen wir das Gesetz so flexibel gestalten, daß die in ihm enthaltenen Verpflichtungen des Arbeitgebers an die jeweilige Marktlage - wenn ich das einmal so sagen darf - für Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure angepaßt werden können.
Schon die Diskussion über die ersten Entwürfe zeigte positive Auswirkungen: Man macht sich Gedanken über den Ausbau von Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für Betriebsärzte. Man berät über die Einrichtung weiterer überbetrieblicher arbeitsmedizinischer Dienste, etwa nach dem Modell des „Kölner Werksarztzentrums".
Diese Überlegungen sind im ganzen schon so weit fortgeschritten, daß uns heute das Personalproblem nicht mehr so gravierend erscheint wie vor zwei Jahren. Der Gesetzentwurf enthält die Verpflichtung für die Arbeitgeber, sich sicherheitstechnischer und arbeitsmedizinischer Berater bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für den Arbeitsplatz zu bedienen. Dabei ist sicherzustellen, daß diese Dienste im Betrieb optimal arbeiten können. Hierzu ist eine Reihe von organisatorischen Regelungen notwendig, die im Gesetzentwurf enthalten sind.
Der Entwurf ist - ausgehend von den Grundsätzen aus dem im Jahre 1971 vorgelegten Unfallverhütungsbericht - in der vergangenen Legislaturperiode sehr eingehend mit allen beteiligten Kreisen erörtert worden. Die Abstimmung mit den Fachverbänden der Ärzteschaft und der Sicherheitsingenieure hat zu einer ausgewogenen und praxisnahen Lösung geführt.
Die Berufsgenossenschaften als Organ der Selbstverwaltung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern haben bei der Vorbereitung des Entwurfs intensiv mitgearbeitet. Sie sind bereit, das Gesetz durch präzisierende Unfallverhütungsvorschriften auszufüllen und damit einen Beitrag dazu zu leisten, daß das Gesetz ohne Schwierigkeiten in die betriebliche Praxis umgesetzt und von den zuständigen Behörden praktiziert werden kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich auf diese Einführung beschränken. Die Bundesregierung betrachtet dieses Gesetzvorhaben als einen wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zu einer weiteren Humanisierung des Arbeitslebens.
({0})
Sie erwartet von diesem Gesetz eine erhebliche Verbesserung des Arbeitsschutzes im Betrieb.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Das Haus hat die Erklärung zur Einbringung durch den Herrn Bundesminister entgegengenommen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Pohlmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion gebe ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf folgende kurze Erklärung ab.
Die CDU/CSU begrüßt im Interesse eines verstärkten Arbeitsschutzes, aber auch im Interesse einer verbesserten Unfallverhütung grundsätzlich die Gesetzesinitiative der Bundesregierung. Wenn die Bundesregierung jedoch auf dem Vorblatt dieses Gesetzentwurfs als Begründung vorträgt, das Gesetz sei nötig, weil die Arbeitsunfälle wieder zunähmen, so scheint mir hier die Bundesregierung ihren eigenen Unfallverhütungsbericht dieses Jahres nicht zu kennen, der ausweist, daß genau das Gegenteil der Fall ist, daß nämlich ein Rückgang der Arbeitsunfälle gegenüber dem Vorjahr von 2,3 % zu verzeichnen sei. Hier scheint es offensichtlich an der notwendigen Koordination gefehlt zu haben. Trotz dieser erfreulichen Tendenz bei der Entwicklung bzw. der Rückentwicklung der Unfallzahlen in den Betrieben sind die absoluten Zahlen - hier stimme ich mit Herrn Minister Arendt überein, und ich hoffe, daß wir uns alle einig sind in diesem Hohen Hause - immer noch so hoch, daß der Gesetzgeber zu weiteren Maßnahmen aufgerufen bleibt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber auch allen Verantwortlichen Dank sagen, die bisher auf freiwilliger Basis dazu beigetragen haben, den Schutz sowohl im sicherheitstechnischen als auch im arbeitsmedizinischen Bereich weiter zu verbessern
und zu fördern. Hier ist unbestreitbar eine Menge getan worden„ auch im Vergleich zu den Ländern, die heute schon über eine entsprechende einschlägige Gesetzesregelung verfügen.
Meine Damen und Herren, wir bejahen also die Zielrichtung des Gesetzes. Allerdings - das muß hier auch gesagt werden - gibt es eine Reihe von Punkten, die noch einer sehr sorgfältigen und gründlichen Aussprache und Überprüfung im Ausschuß bedürfen. Sie werden sicherlich mit mir übereinstimmen, daß eine gesetzliche Regelung so konzipiert sein muß, daß sie den Realitäten entspricht und auch praktikabel ist. An diese Maxime scheinen sich die Verfasser des Regierungsentwurfs jedoch nicht durchweg gehalten zu haben. Lassen Sie mich einige Punkte nennen.
Erstens. Die Bundesregierung hat bis heute der Bitte des Bundesrates nicht entsprochen, einen Bericht über die finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes vorzulegen. Mit der jetzigen lapidaren Erklärung „im Endergebnis keine Kosten" werden wir uns nicht zufriedengeben.
Zweitens. Wir sollten die Bedenken der verschiedenen Sachverständigenorganisationen sehr ernst nehmen, die gegen die undifferenzierte Zusammenfassung von Regelungen über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit in einem Gesetz erhoben werden. Schon der Gesichtspunkt der ärztlichen Schweigepflicht mit all seinen Konsequenzen erfordert nach meiner Auffassung eine stärkere Differenzierung gegenüber den Aufgaben der Sicherheitsfachkräfte.
Drittens. Mit der Bundesregierung sind wir der Meinung, daß die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zur Präzisierung der gesetzlichen Pflichten durch den Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften umfassend mitwirken sollten. Ganz ohne Zweifel kämen dabei den Berufsgenossenschaften ihre Praxis und ihre einschlägige Erfahrung zugute. Wir wenden uns aber dagegen, daß ohne nähere Bestimmung der gesetzlichen Voraussetzungen das Bundesarbeitsministerium die Entscheidungskompetenz für den Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften, Rechtsverordnungen und Verwaltungsanordnungen an sich ziehen kann. Hier werden wir auf eine unbedingte Klarstellung drängen.
Viertens. Auch mit der Regelung der Aufgabenstellung der Betriebsärzte können wir uns in dieser Form nicht einverstanden erklären. Gegenüber der Aufgabenzuweisung an die Betriebsärzte auf dem Gebiet der Unfallverhütung ist die Komponente der eigentlichen ärztlich-medizinischen Tätigkeit zu sehr vernachlässigt worden. Ich darf darauf hinweisen, daß der frühere Bundesarbeitsminister, mein Kollege Hans Katzer, zu diesem Komplex 1966 ausführliche Richtlinien ausgearbeitet hat,
({0})
auf die wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch zurückkommen werden.
Eines sollte jedoch schon heute klar sein: Die gesetzliche Aufgabenbeschreibung der Betriebsärzte muß auf ein Berufsbild abzielen, das von der Angebotsseite her den Beruf des Betriebsarztes erheblich attraktiver macht als bisher. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Die Bundesregierung hat die Frage offengelassen, welcher Bedarf an Arbeitsmedizinern und Sicherheitsfachleuten sich aus diesem Gesetz schätzungsweise ergibt und woher man die Kräfte nehmen will. Wir alle wissen, wie die Situation gerade bei den Arbeitsmedizinern aussieht. Heute haben wir etwa 1 700 Arbeitsmediziner. Davon sind 470 hauptberuflich tätig. Wir sind uns sicherlich einig, daß diese Zahl aber bei weitem nicht ausreicht. Auf der anderen Seite ist bei dem allgemeinen Ärztemangel in der Bundesrepublik nicht zu erwarten, daß die Zahl über kurz oder lang erheblich gesteigert werden kann. Deswegen sollte also alles vermieden werden, durch ein Gesetz dazu beizutragen, daß dieses Berufsbild noch weniger attraktiv gemacht wird, als es bisher leider der Fall ist.
Damit komme ich zu Punkt 5. Ich meine, daß auch in diesem Zusammenhang über den Vorschlag des Bundesrats gesprochen werden muß, dem die Bundesregierung zugestimmt hat, nämlich die Bestellung, die Aufhebung der Bestellung und die Änderung der Bestellung der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit als Regelung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes zu bestimmen. Wir wissen, daß ein derart weit ausgedehntes personelles Mitbestimmungsrecht von den Betriebsärzten und den Arbeitssicherheitsfachleuten rigoros abgelehnt wird, weil es nach ihrer Ansicht deren sachliche Unabhängigkeit in Frage stellt, zu unerfreulichen Konfliktsituationen führt und dazu beiträgt, noch weniger junge Mediziner und Sicherheitsingenieure für diese verantwortlichen Aufgaben zu gewinnen.
({1})
- Wir werden im Ausschuß darüber noch im einzelnen sprechen. Herr Kollege, das sind doch sehr ernst zu nehmende Einwände, zumal durch eine solche Regelung das Betriebsverfassungsgesetz, das gerade in Kraft getreten ist, schon wieder geändert bzw. durchlöchert würde.
({2})
Wir werden darüber sprechen. Ich sehe darin keine Verbesserung des Betriebsverfassungsgesetzes. Aber darüber zu reden werden wir im Ausschuß noch Gelegenheit haben.
Ich habe hier nur einige wesentliche Punkte angesprochen. Die anderen Probleme werden wir im Ausschuß noch näher zur Sprache bringen.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Die Bundesregierung hat gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf, der die Anzahl der einzustellenden Betriebsärzte schematisch mit der Größe der Betriebe koppeln wollte, mit ihrem Entwurf insofern eine realistische Haltung eingenommen, als sich die jetzige Regelung den konkreten Verhältnissen des jeweiligen Betriebs flexibler anpaßt. Wir würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung in den anderen Punkten, die ich jetzt
angeschnitten habe, ebenso zu einer realistischen und vernünftigen Haltung kommen könnte. An unserer Unterstützung soll es nicht fehlen.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben.
Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die erneute Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit durch die Bundesregierung. Wir sind an einer zügigen parlamentarischen Behandlung interessiert, weil die arbeitsmedizinische Betreuung verbessert, die Sicherheit am Arbeitsplatz gestärkt und der betriebsärztliche Dienst gesetzlich geregelt werden müssen.
Der Herr Arbeitsminister hat bereits einige Zahlen genannt. Wenn die Unfallrate auch etwas gesunken ist, so sind 2,59 Millionen registrierte Arbeitsunfälle und darunter 6680 Unfälle mit tödlichem Ausgang ein Vorwurf, dem wir uns stellen müssen. Wenn der Gesetzgeber nicht vor den Unfallziffern kapitulieren will, wenn er sie nicht als naturgegeben hinnehmen will, dann muß er handeln. Hinter diesen Zahlen der Statistik verbirgt sich viel menschliches Leid, Hunderttausende von Einzelschicksalen. Mehr Lebensqualität am Arbeitsplatz hat am Arbeitsplatz zu beginnen, so meinen wir, soll sie nicht ein Schlagwort bleiben.
Hinzu kommt: 1971 hat nahezu jeder zehnte Berufstätige einen Arbeitsunfall erlitten oder an einer Berufskrankheit laboriert. Das hat die Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung auf 5,2 Milliarden DM hinaufgetrieben. Rechnet man, wie der Minister bereits angemerkt hat, die Aufwendungen für Unfallrenten, für ärztliche Versorgung und Rehabilitation und den entstandenen volkswirtschaftlichen Schaden zusammen, befinden wir uns bereits im zweistelligen Milliardenbereich und sehen dabei immer erst noch die Spitze eines Eisberges.
Einzelbeispiele aus Betrieben mit ausgebauter ärztlicher Versorgung geben uns die Gewißheit, daß die unmittelbare Folge der verbesserten Lebensqualität am Arbeitsplatz die Besserung des Gesundheitszustandes der Arbeitnehmer, eine Eindämmung der Verschleißerscheinungen und ein weiterer Rückgang der Unfallraten sein wird.
Lange Jahre haben CDU-geführte Bundesregierungen notwendige gesetzliche Neuregelungen verzögert. Sie haben sich stattdessen auf gutes Zureden verlegt. Nichts hat geholfen: nicht die Vereinbarung der Tarifpartner des Jahres 1953, nicht die Empfehlung 112 der Internationalen Arbeitsorganisation des Jahres 1959 und nicht die Empfehlung der EWG-Kommission drei Jahre später. Als untaugliches Papier hat sich schließlich auch die Richtlinie des Bundesarbeitsministers zur werksärztlichen Betreuung der Arbeitnehmer des Jahres 1966 erwiesen.
Zwei Jahre später - ich darf Sie daran erinnern - riß dem Parlament die Geduld. Es forderte die Vorlage eines Gesetzentwurfs. Aber da war nichts zum Vorlegen da. 13 Jahre haben CDU-Minister ungenutzt verstreichen lassen!
({0})
1971, Herr Lenz, erneuerte das Parlament seine Forderung, und ein Jahr später hat die Regierung, die neue Regierung, unsere, bereits einen Entwurf vorgelegt.
({1})
Aus sattsam bekannten Gründen, die Sie mit zu vertreten haben, war eine parlamentarische Verabschiedung in der 6. Legislaturperiode nicht möglich. Der damalige Entwurf ist erneut eingebracht worden, ergänzt, wie wir anerkennen, durch beachtenswerte Hinweise und Vorschläge des Bundesrates. Die SPD-Fraktion dankt der Regierung für die schnelle Einbringung. Sie weiß, die Zeit zum parlamentarischen Handeln ist gekommen. Wir werden im Ausschuß bereits in der nächsten Woche Sachverständige zum vorliegenden Entwurf hören.
Wenn wir die Zahlen des Unfallverhütungsberichtes 1971 sehr großzügig deuten, wird derzeit lediglich jeder siebentausendste Klein- und Mittelbetrieb bis 199 Beschäftigte und jeder neunte Mittel- und Großbetrieb ab 200 Beschäftigte und mehr im weitesten Sinne werksärztlich betreut. Dabei haben wir noch gar nicht qualifiziert zwischen hauptberuflich tätigen Betriebsärzten und solchen, die nur sporadisch als niedergelassene Ärzte die Unternehmen beraten.
Trotz aller guten Erfahrungen, die Großunternehmen mit einem ausgebauten werksärztlichen Dienst gemacht haben, ist ihr Beispiel nicht im wünschenswerten und im erforderlichen Umfang nachgeahmt worden.
Die Diskussion der Tarifpartner, die vorliegenden Unfallverhütungsberichte und Studien, die Untersuchungen der Gewerkschaften, die Gespräche mit den Beteiligten und die Vorarbeiten des Bundesarbeitsministeriums bestärken die SPD-Fraktion in ihrem Urteil, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Regierung mit Recht die Form eines Rahmengesetzes erhalten hat, um seine Verwirklichung in der Praxis so flexibel wie möglich zu halten. Grundsätzlich wollen wir erreichen, daß
erstens die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet werden, Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte zu bestellen,
zweitens die Unternehmen selbst entscheiden können, wie sie ihrer Verpflichtung nachkommen: entweder durch die Berufung von Betriebsärzten oder durch den Aufbau eines betriebsärztlichen Dienstes gemeinsam mit anderen Unternehmen oder durch Vertragsabschluß mit einem niedergelassenen Arzt, der sich auf arbeitsmedizinischem Gebiet fortgebildet hat.
Drittens wollen wir festlegen, daß schon - und da unterscheiden wir uns von den Herren der Opposition, befinden uns aber in bemerkenswertem Einklang mit dem Bundesrat - bei der Berufung und natürlich auch in der praktischen Tätigkeit die Zusammenarbeit zwischen Betriebsärzten, Sicherheitsfachkräften, Unternehmensleitungen und Betriebsräten institutionell gesichert werden muß.
Viertens sind wir realistisch genug, einzusehen, daß ein solches Gesetz seine volle Wirksamkeit erst im Verlauf von etwa zehn Jahren erreichen wird.
Fünftens sehen auch wir den Engpaß auf arbeitsmedizinischem Gebiet; ein Engpaß, der nach unserer Meinung durch den verstärkten Ausbau der Lehrstühle für Arbeitsmedizin, durch Kurse der Landesärztekammern, durch die Verpflichtung niedergelassener Ärzte überwunden werden kann.
Sechstens sind die Aufgaben der Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte im Gesetzentwurf unserer Meinung nach so exakt beschrieben, daß kein Mißverständnis in betrieblichen Alltag auftreten kann, und es ist sichergestellt worden, daß die Betriebsärzte kein Ersatz und keine Konkurrenz des Hausarztes sind und dies auch nicht werden sollen. Siebtens werden die Einzelheiten des Aufbaues des betriebsärztlichen Dienstes, besonders die Bestimmung, von welcher Betriebsgröße ab die Unternehmen verpflichtet werden, dem Gesetz zufolge zu handeln, von den Berufsgenossenschaften ausgearbeitet, und wir sorgen gleichzeitig dafür, daß dies zu keiner Verzögerung der Realisierung des Gesetzes führen kann, und sichern, daß bei der Verwirklichung auf die Bedingungen und Besonderheiten der einzelnen Branchen Rücksicht genommen wird.
Neuntens schafft die Flexibilität des Gesetzes - die von einigen wenigen Kritikern bemängelt wurde - geradezu die Voraussetzung für seine Verwirklichung. Wir werden dafür sorgen, daß der Gesetzgeber elastisch vorgehen kann, um seinen Willen durchzusetzen.
Zehntens werden wir natürlich - wie ich hoffe, Sie auch - bei der weiteren Beratung der Vorlage im Ausschuß und beim zweiten Durchgang im Bundestag um eine Verbesserung des Gesetzentwurfs bemüht sein. Denn Qualität des Lebens ist für die Bundesregierung und die größte Fraktion dieses Hauses kein wohlfeiler Slogan der Politik, sondern ein Versprechen, das wir in der praktischen Arbeit Zug um Zug einlösen. Wir rechnen dabei mit der aktiven Mitwirkung unseres Partners. Wir hoffen auf Kooperation mit Ihnen von der Opposition. Wir bauen darauf, daß der Bundesrat nicht durch Einflüsterungen von interessierter Seite oder durch kurzfristige parteitaktische Überlegungen von seiner positiven Haltung zum Gesetzentwurf wieder abrückt.
Um zum Schluß zu kommen: Wie ich namens meiner Fraktion ausführen durfte, entspricht die Vorlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung nicht nur sozialdemokratischen Intentionen; sie greift die Forderung zweier Bundestage auf, und sie dient
unserem hoffentlich gemeinsamen Ziel einer weiteren Humanisierung der Arbeitswelt.
({2})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat zur Abgabe einer Erklärung der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben:
Die Bundestagsfraktion der FDP begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, für die betrieblichen Belegschaften und auch in den Verwaltungen die arbeitsmedizinische Betreuung und die Sicherheitsvorkehrungen und deren Überwachung zu verbessern. Vor allem die folgenschweren menschlichen Konsequenzen aus Unfällen, aber auch die großen volkswirtschaftlichen Verluste, die jährlich in Milliardenhöhe entstehen, machen entsprechende Schritte notwendig.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß durch einen stärkeren Einsatz von Betriebsärzten und Sicherheitsingenieuren bzw. Sicherheitsbeauftragten die Unfallgefahren, die Unfallfolgen wie auch sonstige negativen Erscheinungen eines falschen arbeitsmäßigen Einsatzes besser als bisher beeinflußt werden können. Unabhängig davon sollten nach unserer Auffassung im Hinblick auf den Gesetzentwurf jedoch einige Vorschläge in ihrer konkreten Gestaltung bei den weiteren Beratungen noch eingehend geprüft werden. Die allgemeine Erfahrung zeigt, daß wichtige Gesetze den Bundestag im allgemeinen nicht so verlassen, wie sie ihm zugeleitet werden.
Die Fragen, die wir für besonders erörterungsbedürftig halten, beziehen sich auf folgende Punkte:
Erstens. Es sollte geprüft werden, ob die Verknüpfung des betriebsärztlichen und des sicherheitstechnischen Dienstes in der vorgeschlagenen Form einen optimalen Erfolg verspricht oder ob nicht eine sachbezogene Trennung entsprechend den unterschiedlichen Funktionen für die Praxis sinnvoller und im Ergebnis auch besser ist. Das könnte in zwei Gesetzen, bei einer entsprechenden Gliederung aber auch in einem Gesetz geschehen. Wichtiger als das formale Problem ist jedoch in diesem Zusammenhang eine sachbezogenere inhaltliche Gestaltung.
Die zweite Frage, die nach Auffassung der FDP eine ganz entscheidende Rolle für das Gelingen dieses Vorhabens spielt, ist die rechtliche Position des Betriebsarztes innerhalb der Betriebsstruktur neben seiner fachmännischen Wirkungsmöglichkeit. Seine Wirkungsmöglichkeit im gesundheitlichen Sektor wird weitgehend davon bestimmt sein, wie abhängig oder unabhängig - aus der Sicht der zu betreuenden Beschäftigten - seine Position ist. Selbstverständlich muß seine Zusammenarbeit mit der Betriebsleitung und mit dem Betriebsrat in einer optimalen Form gewährleistet sein. Die psychologische Ausgangsposition wäre jedoch schlecht, wenn er aus der Sicht der einen oder der anderen beteiligten Gruppe wie auch der Belegschaft als abhängiges Vollzugsorgan betrachtet werden würde oder
betrachtet werden müßte. Von da her wäre nicht nur die notwendige Vertrauensbasis, sondern auch die gesundheitliche Wirkungsmöglichkeit schwer gestört.
Die dritte Frage, die sich im Zusammenhang mit dem Entwurf stellt, ergibt sich aus der unterschiedlichen Betriebsstruktur in Klein-, Mittel- und Großbetrieben und aus den unterschiedlichen, branchenspezifischen arbeitsmedizinischen Problemen und Unfallgefahren. Wir stehen immer wieder vor dem Problem, daß für die grundsätzlichen Überlegungen der Großbetrieb als Diskussionsmodell genommen wird. Das, was dort sinnvoll, richtig und möglich ist, kann sich jedoch für den Klein- und Mittelbetrieb als undurchführbar erweisen. Die Bundesregierung versucht, mit dem Gesetzentwurf der unterschiedlichen Wirtschafts- und Betriebsstruktur Rechnung zu tragen. Wir begrüßen das. Diese Problemkreise bedürfen jedoch nach Auffassung der FDP im Hinblick auf ihre praktischen Durchführungsmöglichkeiten noch einer Erörterung.
Der vierte Problemkreis liegt in der Abgrenzung der Aufgaben der Betriebsärzte und der Sicherheitsingenieure, und zwar sowohl innerhalb des Betriebes als auch im Verhältnis zwischen Kompetenzen der gesetzlichen Sozialversicherung und ihren Vertragspartnern. Es würde zu weit führen, im Rahmen der ersten Beratung auf die Details einzugehen. Wir müssen aber darauf achten, nicht durch die Schaffung von Doppelzuständigkeiten oder durch eine nicht sachgemäße Verlagerung von Zuständigkeiten von vornherein und ungewollt Konflikte zu schaffen, die dem arbeitsmedizinischen Anliegen wie auch der technischen Sicherheit nicht unbedingt förderlich sind.
Die angesprochenen Fragen werden nicht nur in den internen Beratungen des Ausschusses, sondern auch bei der vorgesehenen Anhörung von Sachverständigen noch eingehend erörtert werden. Wir Freien Demokraten haben die Hoffnung, ja die Gewißheit, daß dann in Zusammenarbeit mit den Beteiligten durch das Gesetz ein Rahmen geschaffen wird, der die Arbeitswelt und die mit ihr zusammenhängenden Fragen und Probleme für Belegschaft und Betriebsleitung im Hinblick auf manche negativen gesundheitlichen und arbeitstechnischen Erscheinungen in einer besseren Weise gestalten hilft, als das in der Vergangenheit der Fall war.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache in erster Lesung. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung -federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - zu überweisen.
Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 a) auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts ({1})
- Drucksache 7/551 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Verbunden damit ist der Zusatztagesordnungspunkt 18b) :
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Ausschlusses von Verteidigern im Strafprozeß
- Drucksache 7/563 -Überweisungswunsch: Rechtsausschuß
Soweit ich sehe, wird bezüglich Punkt 18 a) das Wort zur Einbringung nicht erbeten. Zur Begründung des Punktes 18 b) hat Herr Abgeordneter Dr. Lenz ({2}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Beteiligten ist abgesprochen worden, zu Punkt 18 a) nicht zu sprechen, weil wir glauben, daß wir am 14. Juni alles Erforderliche dazu gesagt haben.
Zu Punkt 18 b) lassen Sie mich nur kurz sagen, worum es sich handelt. In einer Entscheidung vom Februar dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß keine Rechtsgrundlage dafür vorhanden ist, in einem Strafverfahren einem Rechtsanwalt die Verteidigungsbefugnis zu entziehen, weil er im Verdacht der Teilnahme an der den Beschuldigten zur Last gelegten Straftat stehe.
Meine Damen und Herren, daß es sich hier nicht um eine juristische Fachfrage handelt, darf ich Ihnen kurz zu erläutern versuchen, indem ich Ihnen den Fall schildere, bei dem das akut geworden ist. Bei dem Fall handelt es sich um ein Strafverfahren im Rahmen der Aufklärung der Straftaten der Baader-Meinhof-Gruppe. Der von der Verteidigung ausgeschlossene Rechtsanwalt war dringend verdächtig, Aufträge und Hinweise in verschlüsselter Form für die noch in Freiheit lebenden Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe sowie einen Bericht über die Verhaftung der Beschuldigten und ihres Hafttransports aus der Anstalt herausgebracht zu haben.
Wenn das Gericht in einem solchen nun anstehenden Strafverfahren gegen Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe Verteidiger, die sich einer Teilnahme oder Begünstigung dringend verdächtig gemacht haben, nicht ausschließen kann, dann ist das natürlich eine große Schwäche, und zwar nicht nur in Strafverfahren wie Baader-Meinhof, sondern auch in anderen Strafverfahren, wie man sich jederzeit vorstellen kann.
Wir sind der Auffassung, daß die Lücke, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zwar nicht aufgerissen, wohl aber aufgedeckt worden ist, im Interesse unserer Rechtspflege schleu1876
Dr. Lenz ({0})
nigst geschlossen werden muß. Am besten geschieht dies im Zusammenhang mit den Erörterungen des Gesetzes, das unter Punkt 18 a aufgerufen worden ist. Sollte das nicht möglich sein, so bitten wir darum, daß wir spätestens bis zum Ende dieses Jahres einen Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegen haben, der uns die Schließung dieser Lücke ermöglicht.
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Vizepräsident von Hassel: Sie haben die Begründung des Antrags gehört. Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem soeben begründeten Antrag nehme ich im Namen meiner Fraktion wie folgt Stellung. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Februar 1973 macht ein rechtliches Problem aktuell, das völlig unabhängig von dem zugrunde liegenden Einzelfall zu gesetzgeberischen Konsequenzen führen muß.
Wenn ich noch eine Bemerkung zu dem angesprochenen Fall Baader-Meinhof machen darf, so möchte ich dies mit einem Zitat tun. Der Herr Bundesminister der Justiz hat in einem Aufsatz vom 3. Mai geschrieben:
In dem Verfahren vor ,dem Bundesverfassungsgericht ging es nicht um die Frage, ob die Tatsache oder der Verdacht bestimmter Verhaltensweisen eines Verteidigers einen Ausschluß von der Verteidigung geboten erscheinen lasse. Es ging allein um die Feststellung, daß unser Recht zur Zeit keine Handhabe bietet, einem Rechtsanwalt die Verteidigung zu entziehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich - und darauf hat Herr Lenz bereits hingewiesen - durch Beschluß festgelegt, daß weder nach Gewohnheitsrecht noch nach geschriebenem Recht eine gesetzliche Grundlage besteht, einem Rechtsanwalt die Verteidigungsbefugnis zu entziehen.
Nicht erst dieser Beschluß und der automatisch ausgelöste Antrag der CDU-Fraktion, sondern gerade auch die früher unklare Rechtslage haben immer wieder zu Erörterungen über die Schaffung einer klaren rechtlichen Grundlage geführt. Zweimal in den vergangenen Jahren hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in dieser Richtung Vorschläge gemacht, zunächst bei der parlamentarischen Behandlung der Rechtsanwaltordnung im Jahre 1959 und dann noch einmal 1963 anläßlich der Verabschiedung einer Novelle zur Strafprozeßordnung. Ich kann hier nur noch einmal mein Bedauern darüber aussprechen, daß weder der Antrag im Jahre 1959 noch der im Jahre 1963 eine Mehrheit gefunden hat, nicht zuletzt deshalb, weil die heutigen Antragsteller damals eine ablehnende Haltung eingenommen haben.
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- Herr Lenz, haben Sie angesichts der fortgeschrittenen Zeit Verständnis. Wir können darüber einmal diskutieren.
Ich möchte aber schon jetzt darauf hinweisen, daß die SPD-Bundestagsfraktion nicht bereit ist, einer Novelle zuzustimmen, die zu Mißbräuchen führen kann. Es geht darum, klare und eindeutige Ausschließungstatbestände zu finden. Denn die Entziehung der Verteidigungsbefugnis ist nicht nur ein erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit des Anwalts, sondern auch eine Beeinträchtigung der Möglichkeiten des Beschuldigten vor Gericht.
In dem vorliegenden Antrag ist noch ein Problem ausgespart, zu dem eine kurze Bemerkung notwendig zu sein scheint, und dies möchte ich ohne förmlichen Antrag der Regierung bei der Beratung mit auf den Weg geben. Es handelt sich nämlich um die Frage, wer über die Ausschließung des Anwalts entscheiden soll. Soll dies ein anwaltliches Ehrengericht sein, soll dies das Gericht sein, das den zugrunde liegenden Straftatbestand behandeln muß, oder soll das ein anderes Gericht sein? Es ist mehr meine persönliche Auffassung, wenn ich sage, daß die strafprozessualen Bezüge die berufsrechtlichen zu überwiegen scheinen.
Im Namen meiner Fraktion darf ich bitten, die Arbeiten, die schon seit einiger Zeit andauern, innerhalb der Bundesregierung so zügig voranzutreiben, daß eine Einbeziehung der geforderten Regelungen in die heute auf der Tagesordnung stehende Strafprozeßnovelle möglich wird. Sowohl der vorgesehenen Überweisung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts als auch dem vorgelegten Antrag stimmen wir zu.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Antrag der CDU/CSU ist sicherlich nur wegen der vorgerückten Zeit so knapp begründet worden, daß die Richtung nicht so recht zu erkennen ist. Wenn ich boshaft wäre, was ich bekanntermaßen nicht bin, würde ich sagen: Wenn man aus der Hüfte schießt und eine etwas streuende Büchse benutzt, muß man sich ein großes Ziel wählen, nämlich die sehr pauschal gefaßte Aufforderung an die Bundesregierung, irgend etwas zu machen. Das ist geschehen. Wir sind soweit auch durchaus einig.
Die Diskussion wird unergiebig sein müssen, weil wir nicht wissen, wie restriktiv - Herr Gnädinger hat das bereits angedeutet - oder wie weitgehend die notwendige Regelung Ihrer Auffassung nach sein sollte. Denn im Detail wird es schwierig werden, hier die Belange des Strafprozesses und die Belange der freien Advokatur miteinander in das richtige Gleichgewicht zu bringen, nicht wegen der Advokaten, sondern ausschließlich - auch darauf hat Herr Gnädinger hingewiesen - wegen der Beschuldigten in einem solchen Verfahren.
Der Beschluß des Bundesgerichtshofs, der dann vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden ist, ist eigentlich kein idealer Anknüpfungstatbestand. Es wäre verlockend, gerade zu diesem Beschluß und seiner Begründung hier einiges zu sagen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung und der Respekt vor dem Bundesgerichtshof hindern mich, dies jetzt im einzelnen zu tun; man könnte in detaillierteren Ausführungen leicht mangelnde Höflichkeit vermuten. Im empfehle statt dessen jedem rechtlich interessierten Mitglied des Hauses, diesen Beschluß einmal in Ruhe zu lesen. Damit erspare ich mir hier den Konflikt zwischen dem, was ich eigentlich gern sagen möchte, und dem, was die Höflichkeit gebietet.
Ungeachtet dessen sind wir - wie die Antragsteller, wie die Fraktion der SPD - der Meinung, daß hier schnell etwas zu geschehen hat. Sicherlich ist die vorgelegte Novelle zum Strafverfahrensrecht auch der geeignete Anknüpfungspunkt.
Ich habe hier im Hause in diesem Zusammenhang bereits mehrfach auf ein anderes Problem hingewiesen. Wenn wir hier über das Negative reden, müßten wir eigentlich auch - ich meine, da gibt es einen sehr deutlichen Zusammenhang - über das Positive reden, und das ist die Problematik der Auswahl des Pflichtverteidigers nach § 142 StPO, die ich gern in diesem Zusammenhang auch behandelt wüßte, weil wir Freien Demokraten der Meinung sind, daß auch hier ein Verfahren gefunden werden muß, das auch nur den - sicherlich zumeist unbegründeten - Verdacht einer aus etwas prozeßfremden Gründen erfolgenden Auswahl des Pflichtverteidigers nicht aufkommen läßt. Das sollte in diesem Zusammenhang mit angesprochen und geregelt werden.
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Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist vorgeschlagen, beide Vorlagen an den Rechtsausschuß zu überweisen. Nach Schließung der Aussprache in erster Beratung schlage ich vor, so zu verfahren. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 19 und 20 der Tagesordnung gemeinsam auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen und in Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit
- Drucksache 71444 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Finanzausschuß
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Königreich Schweden über gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten
- Drucksache 7/517 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Es ist nicht vorgesehen, daß dazu Begründungen gegeben werden. Wird sonst das Wort begehrt? - Dann schließe ich die erste Beratung.
Es ist vorgeschlagen, die Entwürfe gemäß den Vorschlägen des Ältestenrates zu überweisen. Wer dem zustimmt, gebe das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 7/531 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß fur Jugend, Familie und Gesundheit ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Soweit ich sehe, wird eine Begründung zur Einbringung seitens der Bundesregierung nicht gegeben. Dann eröffne ich die Aussprache in erster Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes wird von uns begrüßt. Leider verbessert er die Lage der Familien kaum. Er sorgt lediglich dafür, daß die bisherigen Bezieher. von Kindergeld für das zweite Kind nicht aus der Anspruchsberechtigung herausfallen. Wir bedauern, daß die Bundesregierung nicht an die Mehrkinderfamilien gedacht hat.
Seit 1970 sind die Aufwendungen für das erste Kind um etwa 30 DM gestiegen. Dem steht lediglich eine Aufstockung des Kindergelds für das dritte Kind um 10 DM ab 1. Januar 1970 gegenüber. Die Chancengleichheit für Kinder aus Mehrkinderfamilien ist dadurch leider nicht mehr gegeben.
Viele Familien sind infolge ständigen Ansteigens der Lebenshaltungskosten in den Bereich der Sozialhilfe geraten. Die Sozialhilfeträger verzeichnen unter anderem auch deshalb eine Steigerung der Ausgaben. Im Jahre 1971 betrug diese Steigerung mehr als 20 %.
Wir bedauern, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, die Mittel aus dem Kindergeld-Etat, die auch in diesem Jahr deshalb nicht verbraucht werden, weil die Zahl der Geburten erneut absinkt, zu einer Aufstockung des Kindergelds einzusetzen. Auch 1973 werden - das hat sich bei den Beratungen im Haushaltsausschuß gezeigt - trotz mehrfacher, in der Vergangenheit vorgenomener Kürzungen an den Finanzplänen rund 100 Millionen DM an Haushaltsresten verbleiben.
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß Politik für die Familie nicht nur in einem gerechten Familienlastenausgleich besteht. Dazu gehören viele Bereiche. So z. B. familiengerechtes Wohnen, Vorschul1878
erziehung, Ausbildungsförderung, Erwachsenenbildung und manches andere mehr. Die derzeitige Notlage, bedingt durch anhaltende Teuerungen, trifft aber vor allen Dingen die Familien mit mehreren Kindern. Deshalb ist vor allem eine finanzielle Besserstellung dringend notwendig. Die Familien können nicht auf die angekündigte Reform des Familienlastenausgleichs verwiesen werden. Diese wird nur im Rahmen der Großen Steuerreform - frühestens 1976, vielleicht auch noch später - möglich sein. Wir brauchen deshalb Übergangslösungen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion tritt deshalb den Anträgen der CDU/CSU-regierten Länder bei, die im Bundesrat eine Aufstockung des Kindergelds vom vierten Kind an um 10 DM ab 1. Januar 1973 gefordert haben.
Wir werden diesen Antrag im Ausschuß einbringen.
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Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ursprünglich war vorgesehen, den Regierungsentwurf ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen. Ich will daher auf eine Begründung des Entwurfes verzichten und nur einige kurze, grundsätzliche Bemerkungen machen, so wie es der Kollege Burger auch getan hat.
Herr Kollege Burger, wir finden es richtig, daß Sie jetzt endlich ankündigen, wie Sie in dieser Legislaturperiode eine Übergangslösung, eine Verbesserung des Kindergelds erreichen wollen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion selbst hat - entgegen anderen Gepflogenheiten der letzten Jahre diesmal keine Initiative ergriffen. Sie ziehen sich - was verfassungsmäßig selbstverständlich in Ordnung ist - auf den Antrag des Landes Rheinland-Pfalz im Bundesrat zurück. Damit ist eine neue Variante des Zusammenspiels Ihrer Fraktion mit dem Bundesrat sichtbar geworden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es besteht kein Zweifel daß Mehrkinderfamilien für die die Kindergeldleistungen seit dem Jahre 1964 nicht verbessert worden sind, von der Preisentwicklung besonders schwer betroffen sind. Außer Zweifel steht aber auch, daß die angestrebte Verbesserung, die jährlich 150 Millionen DM kostet, zur Zeit den Stabilitätsbemühungen der Bundesregierung und unseres gesamten Hauses zuwiderläuft.
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Preisstabilität ist aber besonders für große Familienhaushalte dringend notwendig. Deshalb kann man dieses Argument, diesen Hinweis, Herr Kollege Breidbach, nicht einfach mit der linken Hand abtun.
Daß durch Geburtenrückgang eingesparte Mittel in weiterem Sinne auch für die Familien verwendet werden, beweist die Tatsache, daß wir heute früh
die Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes behandelt haben. Als das nicht in der Regierungserklärung angekündigt wurde, wurden wir allgemein beschimpft. Als ich von der Portentwicklung der Ausbildungsförderung sprach wurde darüber nur gelächelt. Heute war dies jedoch Gegenstand der Diskussion. Es handelt sich dabei auch um eine familienpolitische Leistung.
Unser Ziel in dieser Legislaturperiode ist und bleibt die Reform des Familienlastenausgleichs. Auch wir werden prüfen, ob, wann und in welcher Höhe Übergangsregeiungen bis zum Inkrafttreten des Familienlastenausgleichs geschaffen werden müssen.
Wir werden das Gesamtproblem in der kommenden Woche im Ausschuß ausführlich darstellen und behandeln. Die dringend notwendige Grundsatzdebatte werden wir dann anläßlich der zweiten und dritten Lesung führen. Ich bin davon überzeugt, daß wir dabei zu Aussagen kommen werden, die zeigen, daß die Bundesregierung und dieses Haus es mit der Förderung der Familie ernst meinen. Ich begrüße es, Herr Kollege Burger, daß Ihre Fraktion jetzt uneingeschränkt anerkennt, daß Familienförderung ein Bündel von jugend-, gesundheits-, bildungs-, sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen darstellt
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und Kindergeldleistungen nur ein Teilbereich, wenn auch ein wichtiger, sind.
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Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen zu Punkt 21 der Tagesordnung liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Weber ({3}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Amt zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag
- Drucksache 7/468 Überweisungsvorschlag d. Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Postund Fernmeldewesen ({4})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß
Zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Lenzer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir trotz der vorgerückten Stunde noch einige Worte der Begründung des Antrags auf Drucksache 7/468,
der dem Hause heute vorliegt. Er versucht, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die zunehmende Tätigkeit des Bundes im Bereich der Wissenschaftsund Technologieförderung bisher weitgehend eine Domäne der Exekutive gewesen ist. Nur einige spektakuläre technische Großprojekte lenken ab und zu die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und möglicherweise sogar auch dieses Parlaments und seines Fachausschusses auf die Technologieförderung des Bundes. Haushaltsmittel in Milliardenhöhe werden Jahr für Jahr auf diesem Gebiet durch den Deutschen Bundestag bewilligt, ohne daß man sich jemals hier über Detailfragen, fachliche Notwendigkeiten oder die Problematik der Förderungsprojekte unterhalten hätte.
Unser Antrag zieht daraus die Konsequenzen und beinhaltet zunächst einmal die grundsätzliche Entscheidung über die Errichtung eines Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag, um die voraussichtlichen Folgen der naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklungen und ihre Bedeutung für Volkswirtschaft und Gesellschaft abzuschätzen und die Kontrolle der Exekutive im Bereich der Forschungsund Technologiepolitik zu verstärken. Außerdem soll dieser Antrag dem Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen, also dem zuständigen Fachausschuß des Deutschen Bundestages, die Möglichkeit geben, Studien zur organisatorischen, sachlichen und finanziellen Ausstattung eines solchen Amtes anfertigen zu lassen. Auf Grund dieser Vorschläge könnte dann der Deutsche Bundestag zu einer abschließenden Entscheidung gelangen.
Warum haben wir diesen Antrag gestellt? Was bedeutet der Begriff der Bewertung technologischer Entwicklungen oder, wie der amerikanische Fachausdruck lautet, technology assessment? Meine Damen und Herren, die Einführung neuer Produkte und Verfahren ist seit eh und je eine der wichtigsten, aber auch eine der risikoreichsten unternehmerischen Tätigkeiten. Neben den traditionellen Risiken innerhalb der Grenzen der Beeinflußbarkeit und Prognose des Forschungs- und Entwicklungsprozesses treten immer mehr Risiken auf, die sich aus den Veränderungen der sozialen, der ökologischen und politischen Umwelt ergeben. Diese Nebeneffekte der neuen Technologien werden in zunehmendem Maße auch in der Öffentlichkeit mit Leidenschaft diskutiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die zahlreichen Bürgerinitiativen im Zusammenhang mit der Errichtung von technischen Großanlagen, von Großflughäfen, Kernkraftwerken und ähnlichen Dingen. Gleichzeitig entwickeln die Gesetzgeber auch Aktivitäten, um die Umweltfreundlichkeit von Produkten und Verfahren durch Kontrollen und andere Auflagen zu überwachen. So hat sich der Kongreß der Vereinigten Staaten bereits im Jahre 1972 mit diesem Problem beschäftigt und mit der Einrichtung eines solchen Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen - so könnte die freie Übersetzung lauten - die Konsequenz aus der Haltung der Bevölkerung gezogen. Technology assessment ist also kein grundsätzlich neuer Forschungsansatz, sondern eine
Erweiterung und Ergänzung vorhandener Methoden wie z. B. der Methode der Kosten-Nutzen-Betrachtung. Man könnte diesen Begriff definieren als den integrierten und systematischen Prozeß der Abschätzung und Voraussage sämtlicher positiver, negativer, direkter oder indirekter Auswirkungen einer neuen Technologie auf alle Bereiche der Gesellschaft. Aufgabe solcher Studien soll es, einmal vereinfacht ausgedrückt, sein, Vorzüge und Nachteile einer neuen Technologie klar herauszuarbeiten und vor allen Dingen ihre gesellschaftliche Relevanz darzustellen.
Dahinter verbirgt sich der immer stärker ins öffentliche Bewußtsein tretende Gedanke, daß nicht jede Technologie, die vom Standpunkt der Forschung und Entwicklung möglich erscheint, auch im Sinne der Verbesserung der Lebensbedingungen des Menschen einen Beitrag leisten kann, also auch im öffentlichen Interesse liegt. Da diese Entscheidung jedoch nur vom Gesetzgeber und den Regierungen gefällt werden kann, da diese die Rahmenbedingungen der marktwirtschaftlichen Ordnung setzen, müssen wir uns die Frage stellen, ob die bestehenden Möglichkeiten des Deutschen Bundestages ausreichen, dieser Aufgabe in vollem Maße gerecht zu werden.
Es schmälert gewiß nicht den Ruf dieses Hauses, daß die Abgeordneten aus eigener Kraft kaum die voraussichtlichen Auswirkungen von naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklungen abzuschätzen in der Lage sind. Auch die vom Fachausschuß mehrmals durchgeführten öffentlichen Anhörungen ergeben sicherlich nicht immer ein richtiges Bild, weil die geladenen Sachverständigen sehr oft überhaupt nicht gewillt sind, zu einem Projekt auch einmal kritisch Stellung zu nehmen. Der Deutsche Bundestag steht also der Exekutive mit ihrem gewaltigen Apparat und ihren zahlreichen Beratungsgremien relativ machtlos gegenüber. Nicht zuletzt deshalb ist in der letzten Zeit der Ruf nach einer eigenständigen urteilsfähigen Beratungskapazität auch für dieses Haus immer lauter geworden. Die Einrichtung eines solchen Amtes, wie es unser Antrag vorsieht, würde eine notwendige Voraussetzung für das Funktionieren der parlamentarischen Kontrolle im Bereich der Wissenschafts- und Technologiepolitik der Bundesregierung ermöglichen und das Parlament auch in diesem Bereich zu einem kritischen Partner der Exekutive werden lassen.
Lassen Sie mich noch einige besonders bedeutsame Punkte aufzählen, die die Einrichtung eines Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag rechtfertigen. Der erste Punkt ergibt sich aus der Tatsache, daß die staatliche Förderung von Naturwissenschaft und Technik insbesondere zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Zum zweiten wäre zu sagen, daß die Förderungsschwerpunkte, wie sie in den verschiedenen Programmen der Bundesregierung niedergelegt sind, oft nicht dem entsprechen, was man einmal grob vereinfacht in der öffentlichen Diskussion als gesellschaftliche Bedürfnisse bezeichnet.
Drittens reichen nach Meinung maßgebender Fachleute bereits jetzt die im Bereich der Exekutive bestehenden Methoden der Kosten- und Erfolgskontrolle allein bei weitem nicht aus.
Letztlich muß man sagen, daß, während sich auf seiten der Exekutive im Bereich von Naturwissenschaft und Technik, wenn man jetzt auch einmal die Entwicklung in der Vergangenheit betrachtet, Sachverständigengremien in zunehmender Zahl gebildet haben, der Ausbau dieser Kontrolle auf seiten der Legislative doch etwas vernachlässigt worden ist. Der wissenschaftliche Fachdienst des Deutschen Bundestages ist bei der jetzigen Ausstattung nicht in der Lage, den Abgeordneten mehr als hier und da punktuelle Hilfe angedeihen zu lassen.
Ich möchte zum Abschluß über die mögliche organisatorische Gestaltung, ohne im einzelnen den detaillierten Studien, die dann angefertigt werden müssen, vorzugreifen, bemerken, daß dieses Amt mit einer kleinen Bürokratie, möglicherweise wie in Amerika mit einem Direktor und einem Stab, beim Deutschen Bundestag angesiedelt werden könnte. Ihm zur Seite sollte dann ein zahlenmäßig begrenztes Beratungsgremium stehen. Die Kontrolle der Tätigkeit dieses Amtes könnte ein Verwaltungsrat übernehmen, der zu gleichen Teilen aus Vertretern von Koalition und Opposition besteht. Wie man sieht, ist also nicht an den Aufbau eines riesigen Beratungsapparates gedacht, einer weiteren Bürokratie, wie manche meinen könnten, sondern nur jeweils an Ad-hoc-Beratungsgruppen, die von diesem Amt projektbezogen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammengestellt sind und die sich nach Erfüllung ihres Auftrages wieder auflösen. Es ist also an keinerlei institutionelle Absicherung gedacht. Die Zusammensetzung des Verwaltungsrates - ich sprach bereits davon - zu gleichen Teilen aus Vertretern der Koalition und der Opposition verdeutlicht, daß es sich bei dem von uns vorgeschlagenen Amt weder um den verlängerten Arm oder die parlamentarische Hilfstruppe der Bundesregierung handelt noch aber um ein Instrument der Opposition. Ich hoffe, daß gerade mit diesen letzten Bemerkungen das eine oder andere Bedenken noch ausgeräumt werden konnte.
Meine Damen und Herren, eine Fülle positiver Zuschriften aus Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch - dies möchte ich mit besonderem Nachdruck vermerken - zustimmende Kommentare von Kollegen aus den Koalitionsfraktionen lassen die Hoffnung nicht unberechtigt erscheinen, daß es im Laufe der Beratungen möglich sein wird, hier zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Ich bitte, dem Überweisungsvorschlag zuzustimmen.
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Vizepräsident von Hassel: Sie haben die Begründung zur Einbringung des Antrages gehört. Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren hat sich die Wissenschaft vielfach mit dem Problem der Prioritätenfindung im Bereich der Forschungs- und Entwicklungsförderung beschäftigt. Auch der Wissenschaftliche Dienst beim Deutschen Bundestag hat eine Studie zu diesem Problem vorgelegt. Der Antrag der CDU/ CSU übernimmt die Ergebnisse dieser Studie unreflektiert und ungeprüft.
Für uns ist effektive Wissenschafts-, Forschungsund Technologiepolitik dadurch gekennzeichnet, daß Entscheidungen über Forschungs- und Entwicklungsprogramme rational gefällt und demokratisch entwickelt werden, daß der gesellschaftliche Nutzen und die Befriedigung kollektiver Bedürfnisse den Vorrang vor der Befriedigung von Gruppeninteressen haben und daß Wirtschaft, Wissenschaft und Staat in ein ausgewogenes Kooperationsverhältnis gebracht werden. Die bisherigen Anstrengungen der Forschungs- und Technologiepolitik haben jedoch noch nicht genügt, um Regierung und Parlament in das weitgehend von Wirtschaft und Wissenschaft bestimmte Entscheidungsfeld als gleichgewichtige Partner zu integrieren. Der Wissens- und Kenntnisvorsprung, den Wirtschaft und Regierung vor dem Parlament und seinen Ausschüssen haben, ließ sich bisher nicht verringern. Insofern muß in den Ausschüssen und Fraktionen darüber nachgedacht werden, wie das Parlament den eigenen Spielraum vergrößern und sich unmittelbar in den Entscheidungsprozeß über Beginn und Fortsetzung von wissenschaftlichen und technologischen Großprogrammen einschalten kann. Es wird vor allem darauf zu achten haben, daß bei Entscheidungen über Forschungs- und Entwicklungsprogramme künftig die Befriedigung von Gruppeninteressen zugunsten der Befriedigung kollektiver Bedürfnisse, die Beachtung allein der primären Folgen zugunsten der Beachtung auch der sekundären und tertiären Folgen der einzelnen Programme und die durch Sonderinteressen verursachte Vergeudung zugunsten des gesellschaftlichen Nutzens zurückgedrängt werden. Für das Parlament und seine Fachausschüsse sind als Entscheidungshilfen zweifellos sowohl die Beschaffung besserer Informationen als auch die Entwicklung neuer Alternativen nötig.
Einrichtungen, die nicht auf politische Zielvorstellungen hinarbeiten und nicht die Möglichkeiten der Umsetzung von politischen Entscheidungen in Entscheidungen über Forschungs- und Entwicklungsprogramme vorbereiten, sondern die gleichsam Sachzwänge technischer und technologischer Art zum Maßstab der Beurteilung politischer Sachverhalte machen, können keine für das Parlament dienliche Arbeit leisten. Technokratische Ansätze sind vom Grunde her apolitisch. Alle Institutionen, die einem technokratischen Verständnis von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, die diesem Verständnis ja im besonderen Maße entgegenzukommen scheinen, Vorschub leisten, bringen der parlamentarischen Arbeit keinen Nutzen.
Das von der CDU/CSU geforderte Amt für die Bewertung technologischer Entwicklungen ist eine im hohen Maße technokratische Einrichtung und kann weder zur Durchsetzung des Vorrangs der Befriedigung kollektiver Bedürfnisse und zur Erhöhung des gesellschaftlichen Nutzens von ForKern
schungs- und Entwicklungsprogrammen noch zur demokratischen Legitimation der Entscheidungen noch zur Verbesserung der Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Regierung beitragen. Die Aufgabe des Amtes soll in der Bewertung der technologischen Entwicklungen bestehen. Hierfür steht, wenn man den Bereich der Ziele und Zwecke einbezieht, nach übereinstimmender Meinung von Wissenschaftlern, Managern und Planern ein Instrumentarium nicht zur Verfügung. Das Wissenschaftsministerium hatte in der vorigen Legislaturperiode mehrere Gutachten in Auftrag gegeben, Methoden der Prioritätsbestimmung, also geeignete Bewertungsmethoden für technologische Entwicklungen zu suchen und vorzuschlagen. Die Gutachten kommen zu dem Schluß, der im Forschungsbericht 4 der Bundesregierung seinen Niederschlag gefunden hat, wo es heißt, daß die bisher bekannten Planungsmethoden nicht ausreichen, komplexe Systeme zuverlässig zu erfassen. Die sachliche Arbeit einer eigens für die Bewertung von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen und damit die Setzung von Prioritäten im Forschungs- und Technologiebereich geschaffenen Institution liefe also ins Leere. Einem Amt hierfür würde eine bisher unerfüllbare und unlösbare Aufgabe übertragen. Es müßte notwendigerweise zu einer Informationsverwaltung degenerieren und würde als Verwaltung durch seinen Sachverstand, seine Arbeitsverfahren und Erfahrungen in der Praxis auf den politischen Entscheidungsprozeß einwirken, so daß zumindest der Tendenz nach, wie Hannes Friedrich in seiner Arbeit „Staatliche Verwaltung und Wissenschaft" nachweist, administrative Denkweisen politische Zielsetzungen überformen, je mehr die delegierte Normensetzung der Verwaltung zunimmt. Die Tätigkeit des Amts für die Bewertung technologischer Entwicklungen wäre also keine Hilfe, sondern ein Hemmnis für die parlamentarische Arbeit.
Das Vorbild des Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen ist, wie Herr Kollege Lenzer bereits sagte, das Office of Technology Assessment in den Vereinigten Staaten. Das entsprechende Gesetz zu seiner Gründung ist verabschiedet, die Gründung selbst aber bisher nicht erfolgt; weder wurde ein Direktor ernannt noch ein besonderer Apparat hierfür geschaffen. Die wirkungsvolle Arbeit der Ausschüsse und Ämter beim amerikanischen Parlament rührt auch daher, daß Joint Committees möglich sind, also gemischte Ausschüsse von Mitgliedern des Senats und des Repräsentantenhauses wie der gemeinsame Ausschuß für Atomenergie, der gesetzgeberische Vollmachten hat, die Ausschüsse große Mitarbeiterstäbe besitzen, die Sitzungen, Hearings und andere Aktivitäten intensiv vorbereiten können, und schließlich Mehrheitsund Minderheitsfraktionen im US-Parlament der starken Stellung des Präsidenten in den USA wegen nicht mit dem Zusammenwirken von Regierungsmehrheit und Opposition im Deutschen Bundestag verglichen werden können. Die amerikanischen Verhältnisse im Parlamentsbereich können somit nicht einfach auf den Deutschen Bundestag übertragen werden. Das Amt, das das amerikanische Parlament sich zu schaffen beabsichtigt, kann also schwerlich
eine unmittelbare Parallele mit ähnlichen Auswirkungen im deutschen Parlament haben.
Technokratische Entscheidungen dürfen die Mittel, nicht aber die Ziele und Zwecke betreffen. Ziele und Zwecke sind Gegenstand politischer Entscheidungen. Zu entscheiden, was getan wird, ist Sache der Politik; wie es getan wird, ist Ausführung. Über Ziele und Zwecke zu entscheiden ist Aufgabe des Parlaments; über die Mittel, sie zu verwirklichen, Sache der Regierung. Es gibt viele Methoden, den günstigsten Weg zu einem vorgegebenen Ziel zu bestimmen und vorzuzeichnen. Die richtigen Mittel zu suchen und, wenn sie gefunden sind, zu bewerten, also Mittelprioritäten zu setzen, ist Aufgabe der Administration. Das Parlament hat dafür zu sorgen, daß den Programmen und ihrer Verwirklichung Ziele gesetzt werden. Das Parlament trägt die Verantwortung, hierüber zu entscheiden. Es kann und darf diese Verantwortung nicht abwälzen wollen auf eine andere Institution.
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Selbstverständlich muß das Parlament vor seiner Entscheidung sich einen Überblick verschaffen und ausreichend informiert sein, aber die Verantwortung für die Entscheidung mit allen Risiken kann uns niemand abnehmen.
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Vizepräsident von Hassel: Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Antrag, ein Amt zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag zu schaffen, ist sicher der Ausdruck einer allgemein empfundenen Ohnmacht des Parlamentariers, der mit dem Bereich von Wissenschaft, Forschung und Technologie befaßt ist. Er steht nämlich vor der fast unlösbaren Aufgabe, die Notwendigkeit, die Richtigkeit und die Prioritäten von Forschungs- und Entwicklungsförderung der Exekutive zu analysieren, zu bewerten und auch politisch verantwortlich zu würdigen. Wenn wir damit aber vor allem auch in der Gefahr sind, unsere Kontrollfunktion nicht mehr ganz zu erfüllen, kann das volle Funktionieren unsere parlamentarischen Systems mit einigem Recht in Zweifel gezogen werden. Mein Fraktionskollege Moersch hat bereits 1969 in einer Veröffentlichung unter dem Titel „Der Bundestag von innen gesehen" erklärt: Wir wissen, wie schwierig eine wirksame Kontrolle der Regierung durch ein Parlament ist, das nur über so bescheidene Hilfsmittel verfügt wie der Deutsche Bundestag.
Wenn es uns deshalb nicht möglich ist, wichtige Folgen oder Einflüsse naturwissenschaftlicher und technischer Neuerungen auf Gesellschaft, Umwelt oder Wirtschaft zu erfassen und gänzlich zu verstehen, können Fehlentscheidungen nicht ausbleiben. Die Entwicklung der Wissenschafts- und For1882
schungspolitik in der Bundesrepublik war ja gerade in den etwas weiter zurückliegenden Jahren sicher nicht ganz frei von Zufällen und Einseitigkeiten. Vor allem in Anbetracht der umfangreichen Mittel, die für Wissenschaft und Forschung aus öffentlicher und privater Hand aufgebracht werden müssen, ist eine rationelle Durchdringung und eine politische Bewertung dieses Sachbereichs zwingend geboten.
Insofern, Herr Kollege Lenzer, teilt die FDP-Fraktion die Intention des vorliegenden Antrags, dem Parlament die Möglichkeit zu geben, sich hier eine kritische Beurteilungskapazität zu schaffen. Ohne den Ausschußberatungen über deren konkrete Aufgabe, Organisation, Ausstattung und Finanzierung vorzugreifen, möchte ich jedoch schon an dieser Stelle die Auffassung meiner Fraktion bekunden, daß mit der Einrichtung eines Amtes, wie es in dem Antrag der Opposition gefordert wird, das Problem der Bewertung technologischer Entwicklungen sicher nicht sinnvoll und rationell gelöst werden kann, und wenn überhaupt, dann nur mit ungeheurem Aufwand.
Da sich die Vorstellungen der CDU/CSU über dieses Amt offensichtlich an der amerikanischen Einrichtung des „Office of Technology Assessment" orientieren, drängt sich hier natürlich zunächst die Frage auf, ob sich angesichts der verschiedenen parlamentarischen Systeme diese Institution in formaler Nachahmung auf deutsche Verhältnisse übertragen ließe. Es muß auch gefragt werden, ob es überhaupt nötig ist, die Vielzahl der bereits vorhandenen Institutionen, Organisationen, Gremien und Ausschüsse, die sich schon heute in ähnlicher Weise mit derartigen Aufgaben befassen oder befassen könnten, um eine weitere Institution in Form des von Ihnen geforderten Amtes vermehrt werden muß, das nach bekannten Vorbildern letztlich doch wieder dem Parkinsonschen Gesetz folgen würde. Wenn ich richtig informiert bin, Herr Lenzer, dann hat ja dieses amerikanische „Office" vorgesehen, mit einem Apparat von zumindest hundert qualifizierten Kräften zu arbeiten.
Mich jedenfalls haben die Ausführungen der Opposition nicht davon überzeugen können, daß für die Schaffung einer Bewertungskapazität für das Parlament ein solches Amt unabdingbar ist. Auch das technology assessment kann ja nur, wie Herr Kern schon deutlich sagte, Kriterien und Alternativen liefern, es kann uns die politische Bewertung von Gutachten und die politische Entscheidung natürlich nicht abnehmen. Es setzt in ganz erheblichem Umfang neue Planstellen voraus, die Herr Höcherl gerade im Hinblick auf den Bundeshaushalt erst vor wenigen Tagen sehr heftig kritisiert hat. Es müßte mit Gutachten und Verfahren arbeiten, die Millionen kosten, über Jahre dauern können und letztlich selbst langfristige unternehmerische Entscheidungen verzögern und verunsichern, solange die Förderung von Forschung und technischer Entwicklung von den Ergebnissen solcher Untersuchungen abhängig gemacht werden müßte. Es ist deshalb, so meine ich, auch zu befürchten, daß aus dem „technology assessment" ein technology arressment", also eine allgemeine Entwicklungsbremse, folgen würde. Zuverlässige Analysen erfordern außerdem Einblick in ganz unternehmensspezifische Unterlagen, die ohne entsprechende Sicherheitsnormen die Gefahr von Wettbewerbsverzerrung zur Folge haben können. Der entscheidende Mangel jeglichen technology assessment sehen wir aber darin, daß zumindest in der Bundesrepublik die Sozialwissenschaften die dazu unbedingt erforderlichen Aufschlüsse nicht liefern können. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an solche Begriffe wie social costs and benefits - Sozialindikatoren - und an das Problem des sozialen Wandels, dem man dabei insbesondere Rechnung tragen müßte, erinnern. In diesem Zusammenhang ist deshalb auch zu überprüfen, ob die vom Kabinett beauftragte Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, die ihren Bericht wohl 1975 liefern wird, in diesen Prozeß zusätzlich einbezogen werden müßte.
Bevor man also einer schnellen Nachahmung des amerikanischen Office das Wort redet, wäre es unter anderem gut - das als Anregung, um nicht nur die Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes zu wiederholen, auf die Sie sich bei Ihrem Antrag ja sicherlich gestützt haben -,
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einmal das englische Beispiel der Program Analysis Units einer Betrachtung zu unterziehen, die zum Unterschied von den Amerikanern schon praktische Erfahrung haben und mit etwa 25 Reports an die Öffentlichkeit gehen konnten, darunter der so viel beachteten Studie über das Problem des Londoner Flughafens. Bei dieser Bewertungskapazität handelt es sich im Gegensatz zu dem amerikanischen Beispiel um Arbeitsgruppen, uni verschiedene Arbeitseinheiten, die auf Zeit eingesetzt werden und nicht in einem offiziellen Amt institutionalisiert sind. Ich meine, hier hätten auch wir bei uns in der Bundesrepublik die Möglichkeit, nach diesem Beispiel etwas einfacher und rationeller zu verfahren.
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Eine solche rationelle Alternative gegenüber dem von der Opposition geforderten Amt könnte auch durchaus darin bestehen, daß eben gerade der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages oder auch das Ausschußsekretariat um eine notwendige Clearingstelle verstärkt werden könnte. In Zusammenarbeit mit der vorhandenen wissenschaftlichen Kapazität und den Fachleuten aus der Industrie, die dazu einfach notwendig wären, könnte, zumindest für eine längere Übergangszeit, den Abgeordneten die erforderliche Entscheidungsvorbereitung erleichtert werden. Es wird ohnehin, so meine ich, eines sehr langwierigen und schwierigen Denkprozesses bedürfen, um ein optimales Instrumentarium zur Bewertung technologischer Entwicklungen zu schaffen, das der Forderung nach einer effizienten parlamentarischen Kontrolle gerecht werden könnte. In den USA hat man dazu immerhin rund fünf Jahre gebraucht, wenn ich das richtig sehe.
({2})
- Kein Amt, das versuche ich da gerade deutlich zu machen.
Schon aus Gründen einer größeren Beteiligung der Öffentlichkeit an der Begutachtung und Beratung wird es - bei aller Kritik der bisher aus Hearings gewonnenen Erfahrungen - notwendig sein, auch dieses Instrument in verstärktem Maße einzusetzen.
Die FDP jedenfalls wird sich dafür einsetzen, daß der Staat über generelle forschungspolitische Zielsetzungen, über sachliche Prioritäten, über umfangreiche Programme und Projekte wesentliche Maßnahmen der Durchführung und der Kontrolle sowie die entstehenden Kosten, die ja nicht gerade gering sind, in einem breit angelegten Verfahren demokratischer Planung entscheidet, in das letztlich auch der vielfältig betroffene Bürger einbezogen sein muß, dem wir mehr Möglichkeiten zum Verständnis der Notwendigkeit neuer Technologien anbieten müssen.
Lassen Sie mich abschließend bemerken, daß der Mangel an Beurteilungskapazität und wirksamer Kontrolle der Exekutive durch das Parlament, die wir hier diskutieren, grundsätzliche Fragen der Arbeitsweise und Effektivität des Deutschen Bundestages berührt. Das Problem, mit dem wir uns hier befassen, beschränkt sich ja sicher nicht nur auf den Bereich von Forschung und Technologie, sondern gilt gleichermaßen für Fragen z. B. der Raumordnung, der Umweltpolitik, der Bildungspolitik oder auch der langfristigen Finanzpolitik, und es wird, wie ich meine, generell darauf ankommen, daß die Planung langfristiger öffentlicher Aufgaben nicht außerhalb der Kontrolle des Parlaments oder neben dem Parlament her erfolgt ist. Die Enquetekommission für Fragen der Verfassungsreform hat sich ja im Zwischenbericht eingehend mit diesem Problemkreis beschäftigt. Ich meine, es gilt, das grundsätzlich verfassungstheoretische Problem staatlicher Aufgabenplanung im parlamentarischen Regierungssystem sowie die Auswirkungen der Planung auf die checks and balances in der Verfassungsordnung zu lösen. Die systemgerechte Zuweisung der Planungsbefugnisse an die Verfassungsorgane Parlament und Regierung kann sicher nicht mit dieser Einzelmaßnahme der Errichtung eines besonderen Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklung angegangen werden.
Wir werden im Ausschuß eine intensive und sehr kritische Diskussion über Art und Möglichkeiten der Errichtung eines geeigneten und sinnvollen Instruments zur Entscheidungsfindung und zur Beurteilung technologischer Entwicklung führen.
({3})
Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen Herr Professor Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße das im vorliegenden Antrag zum Ausdruck
kommende Interesse des Parlaments an Fragen der technologischen Entwicklung. Das Forschungsministerium ist bereits eingehend mit der Frage beschäftigt, wie es gelingen kann, die voraussichtlichen Folgen der naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklung im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Entwicklung unserer Gesellschaft abzuschätzen. Diese Arbeiten sind dem Parlament grundsätzlich zugänglich, und alle Gutachten werden auch in Zukunft dem Hause zur Verfügung stehen.
Ich unterstütze darüber hinaus auch alle Bemühungen, die die Mitglieder der Legislative in die Lage versetzen sollen, komplexe Probleme der Forschungs- und der technologischen Entwicklungspolitik einsehbar zu machen, um dann rational entscheiden zu können.
Sie werden verstehen, daß sich der Vertreter der Exekutive, was das konkrete Thema betrifft, das im wesentlichen die Legislative und ihre Arbeitsbedingungen zum Gegenstand hat, nicht in den Vordergrund drängen will. Im Interesse einer guten Zusammenarbeit mit dem Parlament möchte ich jedoch hier schon auf einige Probleme hinweisen.
Wie immer die organisatorische Lösung für eine Hilfskapazität des Bundestages auf diesem Gebiet aussehen wird: es sollte klar sein, daß es nicht darum gehen kann, eine in den Vereinigten Staaten unter ganz spezifischen Umständen entstandene Einrichtung für unser Parlament einfach nur zu kopieren. Was in einem präsidentiellen Regierungssystem richtig sein mag, muß nicht ohne weiteres auf unser parlamentarisches System übertragbar sein. Aber auch die in den Vereinigten Staaten mit dem „technology assessment" gemachten Erfahrungen reichen meines Erachtens noch nicht aus, um eine endgültige Beurteilung abgeben zu können. Es gibt eine ganze Reihe ungelöster methodischer und theoretischer Fragen in diesem Zusammenhang. Die Methoden der technischen Prognose einschließlich der Kosten-Nutzen-Analyse gerade auf diesem Gebiet stecken noch in den Anfängen, wenn sie auch vermehrt die Aufmerksamkeit vieler Forscher verschiedener Fachrichtungen finden.
Wir können auf Grund von Fall-Studien, die vor allen Dingen in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien gemacht worden sind, sagen: Wir sollten den Mut nicht aufgeben, die Bewertung technologischer Entwicklungen möglich machen zu können. Wir sollten aber auch zugeben, daß dieser hohe Anspruch im Augenblick nur innerhalb bestimmter Grenzen zu erfüllen ist.
Etwas anderes ist wichtiger: Für die Entwicklung einer vorausschauenden, am langfristigen gesellschaftlichen Bedarf orientierten Forschungspolitik brauchen wir mehr als „technology assessment". Wir dürfen den Gesamtkomplex nicht auf ein technologisches Problem verengen, wenn wir die Frage nach dem „Wozu" und „Wohin" des technischen Fortschritts als gewählte Repräsentanten verantwortlich entscheiden und beeinflussen wollen.
Diese Frage nach dem „Wozu" und „Wohin" des technischen Fortschritts wird heute von vielen Seiten gestellt, besonders in der vom Club of Rome geförderten Meadows-Studie über die Grenzen des Wachstums. Die technische Prognose allein ist aber nicht ausreichend für die Analyse und für die Entscheidungsfindung. Hinzutreten muß zunächst die ökonomische Prognose bei allen Problemen und Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.
Schließlich kommt eine dritte Komponente hinzu - die schwierigste wohl -, nämlich das Verhältnis und die Anpassung der technisch-ökonomischen Prognose gegenüber den Sozialstrukturen und den Veränderungen dieser Sozialstrukturen. Der soziale Wandel ist am schwersten faßbar, und hier ist eine methodische Entwicklung bisher überhaupt nur in Ansätzen gelungen. Das heißt, die größten Schwierigkeiten liegen nicht dort, wo wir Lösungsalternativen für schon begriffene Probleme bewerten müssen, so groß die Probleme auch dort sind, die größten Probleme liegen dort, wo es um die Analyse komplexer Zusammenhänge und die Prognose von Entwicklungen geht, bevor etwas zu einem krisenhaften Problem wird. Was werden morgen unsere zentralen Probleme sein, wie es heute etwa der Umweltschutz ist? Wo wird morgen die größte Lücke liegen zwischen gesellschaftlichem Bedarf und Lösungsmöglichkeiten, wenn wir nichts tun? Was können wir tun, was müssen wir tun, um diese Lücke nicht entstehen zu lassen? Was wir also brauchen, ist ausreichende Analyse- und Prognosekapazität für gesellschaftliche Entwicklungen und die daraus folgenden Konsequenzen für die Förderung von Forschung und Entwicklung.
Das ist nicht eine Frage von Planstellen im Ministerium oder der Gründung neuer Ämter und Kommissionen. Es ist die Frage, wie es gelingt, die in unserer Wissenschaft und Industrie bereits vorhandenen Kapazitäten für diesen Zweck effektiv zu organisieren und auszubauen, und in welchem Verfahren es gelingt, die vielfältige Information zu einer einheitlichen Prognose zusammenzuführen, die einer langfristigen Forschungspolitik im Interesse der Menschen als Grundlage dienen kann. Dabei können sich die politisch Verantwortlichen die Entscheidung von niemandem abnehmen lassen. Die Wissenschaftler können nur die Informationen liefern, so daß wir wenigstens mit dem Informationsstand entscheiden, der in der Gesellschaft vorhanden ist. Allgemein entscheidet die Politik mit einem viel geringeren Informationsstand.
({0})
Die Wissenschaftler können uns die Zusammenhänge aufzeigen und schließlich begründete Entscheidungsalternativen vorlegen. Das Problem ist also nicht so sehr die Gründung eines neuen Amtes in diesem weiteren Bereich, sondern es geht darum, das vorhandene Forschungspotential für die Analyse und Prognose effektiv zu machen und zur Geltung zu bringen. In diesem Sinne kann man sagen, daß die Wissenschaftler und Techniker in diesem Lande enger als bisher in den Prozeß der Formulierung
einer vorausschauenden Forschungspolitik einbezogen werden müssen.
Ich wollte hier kurz die Schwierigkeiten, vor denen auch das Forschungsministerium in diesem weiteren Problembereich steht, aufzeigen. Die Diskussion des vorliegenden Antrags im Ausschuß wird ergeben, was diese Überlegungen auch für die Lösung des umfassenderen Problems beitragen können. Das Forschungsministerium wird es an eigenen Vorschlägen nicht fehlen lassen. Auch hierfür darf ich schon jetzt dem Parlament die Zusammenarbeit mit dem Forschungs- und Technologieministerium anbieten.
({1})
Vizepräsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Sie ersehen aus Ihrer Tagesordnung die Vorschläge des Ältestenrats für die Überweisung an die Ausschüsse. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Überweisung gemäß Vorschlag des Ältestenrats ist einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft"
- Drucksache 7/367 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({2}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Zur Begründung des Antrags Frau Abgeordnete Dr. Wex.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Begründung so kurz wie nur irgend möglich halten, damit die Kollegen aus den anderen Fraktionen Gelegenheit haben, auch noch dazu zu sprechen.
Die CDU/CSU-Fraktion schlägt Ihnen vor, eine Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" einzusetzen. Wir sind nämlich überzeugt, daß den Frauen nur durch konkrete Maßnahmen neue Möglichkeiten eröffnet werden können, ihre verschiedensten Fähigkeiten zu entfalten.
Die Kommission soll erstens Vorschläge für Gesetzesänderungen vorlegen, um die volle rechtliche Gleichberechtigung herzustellen und zu gewährleisten, zweitens Vorschläge dafür unterbreiten, wie neben der rechtlich-formalen Gleichberechtigung auch die sozial gleichen Chancen eröffnet werden können, um die Frauen instand zu setzen, in freier Entscheidung ihre Aufgaben in Beruf oder Familie oder in beiden gleichzeitig wahrzunehmen, unabhängig von einem einseitigen Leitbild, das die eine oder andere Tätigkeit bevorzugt, drittens Erhebungen - und das ist das Wichtige - über die finanziellen Auswirkungen dieser Maßnahmen anstellen und Vorschläge zur Finanzierung unterbreiten.
Vereinzelt ist in der Öffentlichkeit fälschlicherweise der Eindruck entstanden, diese Kommission solle die Situation der Frau in unserer Gesellschaft
noch einmal untersuchen. Das aber ist gerade nicht die Absicht unseres Antrags. Diese Arbeit ist dankenswerterweise schon weitgehend geleistet worden. Nach unserer Meinung ist jetzt die Zeit gekommen, aus den bereits vorliegenden Erfahrungsdaten die praktischen Konsequenzen zu ziehen. Das soll die Aufgabe dieser Kommission sein.
Die Aufgaben, denen wir uns gegenübersehen - ich nenne nur die soziale Sicherung der Frauen, die Doppelbelastung in Beruf und Haushalt und die Notwendigkeit der Höherbewertung der Leistung der berufstätigen und der nicht berufstätigen Frau, materiell und ideell, sind so umfassend und von so grundsätzlicher Bedeutung, daß hier nur Lösungen auf der Grundlage einer breiten Übereinstimmung gefunden werden können.
Wir sind der Auffassung, daß vor allen Dingen der Deutsche Bundestag in der Lage ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Hier ist ja der Ort, an dem später die Entscheidung über die Empfehlungen dieser Kommission getroffen wird.
Wenn unser Antrag in die Tat umgesetzt wird - und das hoffe ich sehr -, wird der Bundestag damit eine Verpflichtung eingegangen sein, an der uns die Bürger draußen im Lande messen können und messen müssen. Ich meine, wir müssen auch den Mut zu diesem Schritt haben, obwohl wir wissen, daß die erforderlichen Maßnahmen nicht von heute auf morgen verwirklicht sein werden. Sicherlich wird es eine Reihe von Jahren dauern, ehe man von einer befriedigenden Regelung sprechen können wird.
Ich hoffe, niemand in diesem Hause und außerhalb wird, wie dies gestern in den Worten von Frau Funcke im Zusammenhang mit der Beratung des § 218 zum Ausdruck kam - leichtfertig über diesen Antrag hinweggehen wollen. Es handelt sich hier ja nicht um Belange, die nur die Frauen in der Gesellschaft betreffen. Der Akzent liegt hier nicht vordergründig nur auf einer Verbesserung der Situation der Frau in der Gesellschaft; dies zwar auch, aber der Schwerpunkt unserer Argumente und unseres Anliegen betrifft vielmehr die Schaffung der notwendigen Grundlagen für die Weiterentwicklung der Gesellschaft insgesamt.
Wir müssen uns in allem Ernst fragen, in welcher Richtung sich sonst unsere Gesellschaft weiterentwickeln soll, wenn wir den Frauen, die ja ein Teil, ein sehr wichtiger Teil dieser Gesellschaft sind, nicht schnell und umfassend die gleichen Start- und Entwicklungschancen wie den Männern einräumen. Nur wenn wir dafür sorgen, können wir auch damit rechnen, daß die Frauen den von uns oftmals vermißten Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft in vollem Umfang leisten können und leisten wollen.
Ich bin der festen Überzeugung, daß es nur auf diesem Wege gelingen kann, der zunehmend problematischer werdenden Technisierung und Industrialisierung und der damit zusammenhängenden Einengung des persönlichen Freiheitsraumes wirksam zu begegnen. Ich bitte alle hier im Hause vertretenen Fraktionen, sich diesen Antrag und die
damit verbundenen Anliegen zu eigen zu machen, um eine wirkungsvolle Politik im Interesse der Frau, gleichzeitig aber auch zugunsten unserer Gesellschaft zu ermöglichen.
({0})
Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung zur Einbringung des Antrags gehört. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Dr. Wex hat soeben den Antrag der CDU CSU-Fraktion auf Einsetzung einer Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" begründet. Nach § 74 a der Geschäftsordnung kann der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzen, wenn es sich um einen bedeutenden Sachkomplex handelt. Sicherlich ist „Frau und Gesellschaft" als Problem ein solcher bedeutender Sachkomplex.
Uns erscheint es jedoch noch etwas schwierig, aus der Begründung, aber auch aus der Formulierung des Antrages zu ersehen, wie nun der Auftrag für eine solche Enquete-Kommission genau lauten soll. Denn der Bundestag hat - auch Frau Wex hat eben schon darauf hingewiesen - immerhin schon 1964 einen Enquete-Auftrag an die Regierung erteilt. Die erste Enquete wurde 1966 vorgelegt. Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht über Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Frau aus dem Jahre 1972 schließt zeitlich daran an und hat auch eine ganze Menge an Untersuchungen, aber auch an Maßnahmen, an Vorschlägen für Maßnahmen und an vorhergesehenen Maßnahmen sehr detailliert und auch systematisch aufgezeigt, so daß er von allen Seiten sehr begrüßt wurde.
Ebenso liegt jetzt der Entwurf des großen Reformgesetzes der Bundesregierung zum Ehe- und Familienrecht vor. Wir werden uns demnächst in erster Lesung damit beschäftigen. In der Frage der rechtlichen Gleichstellung werden wir damit wahrscheinlich einen großen Schritt vorwärts gehen.
Wir werden uns angesichts dieser Initiativen auch der Bundesregierung, die in der Erklärung zu ihrem Regierungsentwurf im Januar ausdrücklich gesagt hat, daß sie diese Dinge weiter verfolgen will und als Aufgabe ansieht, also sehr genau überlegen müssen, wie wir den Auftrag an eine solche Kornmission auch in Zusammenarbeit mit den Regierungsvertretern präzis formulieren, damit wir vermeidbare Doppelgleisigkeiten ausschließen und damit wir dabei für den Bundestag eventuell neue, wegweisende Erkenntnisse bekommen.
Wir beantragen daher die Überweisung dieser Vorlage an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführenden Ausschuß und an den Rechtsausschuß sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung.
({0})
- Das Recht haben Sie in jedem Fall.
Vizepräsident von Hassel: Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt noch eine Wortmeldung vor. Dann werden wir in die Fragestunde eintreten. Der Punkt 25 wird nach Abwicklung der Fragestunde aufgerufen. Ich darf Sie bitten, sich darauf einzustellen. Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß für die FDP zu dieser Frage ein Vertreter des männlichen Geschlechts das Wort ergreift, ist aus unserer Sicht eine bewußte Entscheidung gegen die alte Tradition, Frauen- und Familienpolitik als Problem der wenigen Frauen in 'diesem Hause zu betrachten. Dies ist natürlich keine Kritik an dem Engagement meiner Vorrednerinnen. Aber mit der traditionellen Zuordnung werden die Männer schon halb aus der Verantwortung entlassen,
({0})
obwohl doch auch die Männer einen sehr wichtigen Beitrag zur Emanzipation der Frau zu leisten haben. Sie müssen nämlich ihre Rolle neu definieren. Denn wenn sie das nicht tun, wird die Emanzipation im Sinne einer partnerschaftlichen Gleichstellung wohl kaum gelingen.
({1})
Nach Auffassung der CDU/CSU ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesellschaft noch nicht voll verwirklicht. Diese Feststellung, der man natürlich zustimmen muß, wirft die Frage des Warum auf. Warum also? Sicherlich doch nicht deswegen, weil die sozialliberale Koalition dafür seit 1969 zuwenig getan hätte, sondern genau deswegen, weil wir seit 1969 die Folgen einer falschen, sprich: konservativen Frauen- und Familienpolitik von zwanzig Jahren CDU/CSU-Herrschaft zu korrigieren haben. Politik für die Frau war für die CDU/CSU lange eine Politik für die kinderreiche Familie, eben mit der traditionellen Betonung der Hausfrauen- und der Mutterrolle. In diesem Zusammenhang war die Familienpolitik der CDU/CSU hauptsächlich eine Kindergeldpolitik. Sehr spät erst hat die Union erkannt, daß die indirekten Förderungsmaßnahmen für die Familie einen noch höheren Stellenwert besitzen; ich denke z. B. an das Ausbildungsförderungsgesetz, an das Arbeitsförderungsgesetz und auch an das Wohngeldgesetz. Bei der späteren Diskussion zum Familienlastenausgleich sollten wir diesen Aspekt entsprechend berücksichtigen.
Wenn sich nun die CDU/CSU, die jahrelang Emanzipation als Fremdwort verstand, jetzt ganz besonders der rechtlichen und sozialen Chancengleichheit der Frau annimmt, so habe ich erhebliche Zweifel, ob sie damit das gleiche meint wie wir Liberalen, wenn wir von der Emanzipation der Frau sprechen. Wir werden in den nächsten Jahren genügend Gelegenheit haben, die Glaubwürdigkeit einer solchen Aussage der Union zu testen.
({2})
Hauptziel für die FDP ist die Ermöglichung einer (4 partnerschaftlichen Wahrnehmung sowohl der familiären als auch der außerfamiliären Aufgaben durch Mann und Frau, um beiden Partnern ein Höchstmaß an Selbstbestimmung zu ermöglichen. Für eine solche Reform ist für uns der Hauptansatzpunkt der Abbau der unterschiedlichen Arbeits- und Rollenverteilung in der Familie. Deshalb muß der Frau die Möglichkeit gegeben werden, ebenso wie der Mann nach eigenem Entschluß erwerbstätig zu sein und sich am politischen und gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.
({3})
Abgesehen von der notwendigen Bereitschaft des Mannes, hier mitzuwirken, wird dieser Wandlungsprozeß nur erfolgreich sein können, wenn auch im Bereich unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik - bis hinein in die Unternehmen - dafür das notwendige Verständnis aufgebracht wird.
Die Diskriminierung der Frau ist kein Problem, das nur die Frau anginge und das von den Frauen ohne oder gar gegen die Männer gelöst werden könnte.
({4})
Sie ist vielmehr ein Hindernis für eine echte Emanzipation beider Geschlechter.
({5})
Daß manche meiner männlichen Kollegen in diesem Hause diesen Worten nicht gerade begeistert zustimmen werden, zeigt, wie schwierig die Überwindung geschichtlich gewachsener Vorurteile sein wird.
({6})
Um das Ziel einer tatsächlichen Emanzipation der Frau zu erreichen, ist ein Bündel von koordinierten Einzelmaßnahmen notwendig. Das ganze wird ein längerer Prozeß sein, für den wir möglichst bald eine kräftige Initialzündung geben müssen, damit die Frau in unserer Gesellschaft endlich ein gleichberechtigter Partner wird.
Aus dem Katalog der Einzelmaßnahmen, die wir Liberalen als dringend notwendig erachten, darf ich beispielhaft drei herausgreifen.
Erstens: Aufgaben der Haushaltsführung und der Erziehung. Im Ehe- und Familienrecht sind Mann und Frau gleichzustellen. Der § 1356 BGB, nach dem die Frau einseitig zur Hausarbeit verpflichtet ist, muß gestrichen werden. Der § 1360 BGB ist so zu gestalten, daß die Aufgaben der Kindererziehung und der Haushaltsführung von beiden Eltern in persönlicher Verantwortung zu verteilen und wahrzunehmen sind.
Zweitens: Reform der Sozialversicherung. Das Sozialversicherungsrecht für Ehegatten ist in Form des Rentensplittings zu gestalten. Dabei werden alle in der Ehe erworbenen Renten- und Pensionsansprüche von Anfang an je zur Hälfte auf beide Ehegatten verteilt. Auf diese Weise erhält die Frau unabhängig von ihrer Entscheidung für oder gegen eine außerhäusliche Berufstätigkeit eine eigene Anwartschaft auf Altersrente. Im übrigen wird damit
die Tätigkeit der Hausfrau erstmals als eine arbeitsteilige volkswirtschaftliche Leistung honoriert.
Drittens: Ganztagsschulen. Ganztagsschulen sind zur Verbesserung der sozialen Chancengleichheit und zur Erziehung zur Gemeinschaft bei den Kindern nachdrücklich zu fördern. Sie entlasten zugleich die Kleinfamilie von täglicher Hausarbeit und tragen dazu bei, daß sich die Hausfrau leichter für eine Tätigkeit in Beruf und Gesellschaft entscheiden kann.
Die CDU/CSU ist, wie ihr Antrag zeigt, der Meinung, daß der Deutsche Bundestag die gegenwärtige und zukünftige Stellung der Frau in der Gesellschaft untersuchen und die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen sollte. Dabei kann und darf es aber nicht darum gehen, den heutigen Zustand unkritisch fortzuschreiben. Vielmehr müssen wir, das Parlament, eine gesellschaftspolitische Entscheidung für mehr Offenheit treffen, damit die Frauen in dieser Gesellschaft ihre Rolle weitgehend in eigener Entscheidung bestimmen können.
Emanzipation in diesem Sinne heißt eben mündig und frei sein für verantwortliche Selbstgestaltung. Die Arbeit der Enquete-Kommission darf also nicht dazu führen, daß durch die Hintertür ein neues Leitbild der Frau verordnet wird.
({7})
Es ist deshalb Aufgabe des Parlaments, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die der Frau die Entscheidungsmöglichkeiten und Alternativen für ihr Leben grundlegend erweitern.
({8})
- Stellen Sie Ihre Frage doch ein wenig lauter, damit ich Sie verstehen kann. Ich habe Sie akustisch nicht verstanden.
({9})
- Sicher. Ich möchte nur davor warnen, daß wir bei der Arbeit in der Enquete-Kommission versuchen, ein neues Rollenbild für die Frau zu definieren. Es geht vielmehr darum, solche gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, daß ihr eigenes Selbstbestimmungsrecht, ihre Alternativmöglichkeiten für die Entscheidung in der Gesellschaft verbreitert und erweitert werden.
({10})
Dies ist in Anklang an das weder eine Absage an die Mutter- und Hausfrauenrolle noch ein einseitiges Propagieren der Berufstätigkeit. Allerdings ist dies eine Aufforderung, der Frau durch gesellschaftliche Reformen endlich eine wirksame Hilfestellung zu geben, damit sie sich aus der einseitigen und geschichtlichen Rollenfixierung befreien kann.
Wenn das bei der Arbeit der Enquete-Kommission berücksichtigt wird, sind wir damit einverstanden, daß sich als nächstes der Ausschuß damit befaßt
und daß diese Enquete-Kommission eingerichtet wird.
({11})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit und Soziales sowie an den Rechtsausschuß zur Mitberatung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir treten jetzt in die
Fragestunde
- Drucksache 7/555
ein und beginnen mit dein Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Apel zur Verfügung.
Mein Fragesteller ist, glaube ich, gar nicht da, Frau Präsidentin.
Wir wollen einmal schauen.
Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Höcherl auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kosten für den Besuch des sowjetischen Parteichefs Breschnew in der Bundesrepublik im Hinblick auf die getroffenen umfangreichen Vorbereitungen für Unterkunft und Sicherheit ein?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch!
Herr Abgeordneter, der Gesamtumfang der Kosten für den Bundeshaushalt kann erst nach Abwicklung des Besuchs präzise festgestellt werden. Diese Kosten dürften sich im Rahmen vergleichbarer Besuche halten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, in welcher Größenordnung sich die Kasten für die Herrichtung des Hotels Petersberg und für die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen bewegen werden, und gedenkt die Bundesregierung das Hotel Petersberg noch öfter als Residenz für
Staatsbesuche zu benützen, obwohl das Gästehaus auf Schloß Gymnich zur Verfügung steht?
Herr Abgeordneter, das hängt von den Umständen ab. Die Wiederherstellung des Hauses Petersberg ist eine Sache der Eigentümer, und Kosten werden uns für die Zeit des Besuches in Rechnung gestellt werden.
Der Umfang weiterer Besuche wird darüber entscheiden, ob wir nur Schloß Gymnich benutzen oder ob weiterhin auch woanders Unterkunft gesucht werden muß. Das hängt auch von der weiteren Verwendung des Hotels Petersberg ab, die ja, wie Sie gehört haben, in anderer Form in Aussicht genommen ist.
Was die Sicherheitsmaßnahmen betrifft, so darf ich darauf hinweisen, daß das nicht eine Sache ist, die in erster Linie den Bund angeht. Soweit ich das übersehen kann, entstehen hier auch keine Personalkosten zusätzlicher Art. Denn es handelt sich ja um Personen, die im öffentlichen Dienst stehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen die mehrfach geäußerten Vermutungen zu, daß der offizielle Besuch des Generalsekretärs der KPdSU der bisher teuerste Staatsbesuch wird? Dabei meine ich hier nur die Kosten für den Besuch und nicht andere finanzielle Auswirkungen als Folge des Besuchs.
Herr Abgeordneter, jeder Besuch, der in den letzten 20 Jahren eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat, ist, wenn ich mich recht entsinne, von gewissen Kritikern jeweils als der teuerste bezeichnet worden. Das ist also alles sehr relativ.
Aber ich kann Ihnen versichern, daß nach unseren Beantragungen und Schätzungen, die wir durchgeführt haben, ein durchaus nur mittlerer Kostenumfang entstehen wird. Es hat Staatsbesuche gegeben, die aus Gründen, die vor allem mit dem Besuchsablauf selbst zusammenhingen - der also z. B. mehr repräsentativ war; dies ist ja in der Sache selbst sehr stark ein Arbeitsbesuch -, hinsichtlich der Kosten zu anderen Größenordnungen geführt haben, als es bei diesem Besuch der Fall ist. Denken Sie an die Schiffsreisen auf dem Rhein und ähnliches mehr!
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Meinecke.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch der Auffassung, daß gerade am heutigen Tage eine Frage solchen Inhalts in Anbetracht internationaler Höflichkeitsgepflogenheiten außerordentlich sinnig ist?
Herr Abgeordneter, es steht mir nicht zu, hier irgendeine Wertung vorzunehmen. Aber Sie sehen daran, daß das Interesse an der Politik verschiedene Akzente hat, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet.
Keine Zusatzfrage? - Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Treffen die Berichte in dem ARD-Magazin „Kompaß" vom 9. Mai 1973 über die Hilfsmaßnahmen in Managua ({0}) zu, daß dort die vielen gespendeten Hilfsgüter nicht an die dortige Bevölkerung kostenlos verteilt werden, Nahrungsmittel tonnenweise auf dem Flugplatz lagern, die von privaten, caritativen Organisationen und der Bundesregierung gespendeten Zelte unbenutzt herumliegen, auf dem Schwarzmarkt verkauft werden und nur ein Bruchteil für die obdachlose Bevölkerung aufgestellt wird? Sind diese bedauerlichen Mißstände auf unzureichende organisatorische Maßnahmen der Geber-Länder und Organisationen zurückzuführen oder auf mangelnde Planung der staatlichen Stellen des Landes Nicaragua?
Herr Abgeordneter, durch die Erdbebenkatastrophe vom 23. Dezember 1972 wurde mit Managua das Verwaltungs-, Regierungs-und damit das Nervenzentrum des Staates Nicaragua zerstört. Die nicaraguaische Regierung hatte deshalb anfangs selbstverständlich große Schwierigkeiten, die Aufgabe der Verteilung der aus aller Welt großzügig heroinfließenden Hilfsgüter zu bewältigen. Ihre Fähigkeiten, der enormen Probleme Herr zu werden, haben sich nach unserer Beobachtung laufend verbessert. Sie versucht, in zunehmendem Maße gegen im Gefolge einer derartigen Katastrophe vielfach auftretenden Mißstände einzuschreiten. Der Bericht in dem ARD-Magazin „Kompaß" vom 9. Mai 1973 wird diesen Bemühungen der nicaraguaischen Regierung nach unserer Auffassung nicht voll gerecht.
Vielleicht darf ich das noch ergänzen; das erspart Ihnen möglicherweise eine Zusatzfrage.
In diesem Bericht werden die Schwierigkeiten, die einer geordneten Bewältigung der Hilfeleistungen nach einer derartigen Katastrophe entgegenstehen, unterschätzt.
Zu den Einzelfragen ist zu sagen, daß seit dem Erdbeben große Bevölkerungsteile ständig kostenlos verpflegt werden. Es müssen darum auch tonnenweise Nahrungsmittel gelagert werden, da die kostenlose Volksspeisung bis zur nächsten Ernte im Juli fortgesetzt werden muß. Die Deutsche Botschaft hat 800 aus der Bundesrepublik gestiftete Zelte an namentlich festgehaltene bedürftige Personen verteilt. 200 davon wurden zum Aufbau einer Zeltstadt benutzt. Es ist nicht auszuschließen, daß einzelne dieser Zelte nach dem Aufbau festerer Behausungen auf dem Schwarzmarkt veräußert worden sind. Dies mindert aber insgesamt nicht den Nutzen dieser Spende für die Obdachlosen.
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, da auch in anderen Berichten und in der Weltpresse von ähnlichen Erfahrungen die Rede war, darf ich Sie fragen: Haben andere Nationen
Dr. Meinecke ({0})
vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht, wie sie in der Sendung des ARD-Magazins dargestellt worden sind, auch wenn diese Darstellung, wie Sie meinen, nicht ganz zutreffend war?
Ich habe davon gesprochen, daß es eine Frage der Wertung ist, ob man ein Urteil auf Grund bestimmter Umstände abgibt oder ob es z. B. auf Grund der Ideale abgegeben wird, die wir uns selbst in unserem Lande setzen. Hier liegt immerhin ein bemerkenswerter Unterschied in der Bewertung. Ich gehe davon aus, daß auch andere Staaten hier gewisse Schwierigkeiten hatten. Sie wissen, daß diese ungewöhnliche Katastrophe im Hinblick auf Ausmaß und Art alle bisherigen Erfahrungen überstiegen hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da sich solche Katastrophen immer wiederholen und auch die Hilfsmaßnahmen der reichen Länder der Welt immer wieder einer starken öffentlichen Kritik unterzogen werden, möchte ich Sie gerne fragen: Gibt es nicht eine internationale Organisation oder Institution, wo Ländern, die so wie Nicaragua regiert werden, einmal klargemacht werden kann, daß solche großzügigen Hilfsmaßnahmen seitens demokratisch regierter Länder letzten Endes nur dann möglich sind, wenn sie auf breite Zustimmung der Bevölkerung stoßen und dort entsprechende Resonanz finden?
Herr Abgeordneter, Sie fragen nach einer Instanz, wo das vorgetragen werden könnte. Das ist in der Tat keine Frage, die in theoretisch angenommenen Fällen nur bilateral geprüft oder gelöst werden könnte. Ich glaube, daß gerade die Vereinten Nationen oder ihre Unterorganisationen und Einrichtungen ein geeignetes Forum darstellen, um in einem sehr freundschaftlichen und offenen Gespräch auf die negative Wirkung einer eventuellen Berichterstattung über solche Vorgänge hinzuweisen.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bayerl zur Verfügung.
Die erste Frage - Frage 43 - ist von Herrn Abgeordneten Dr. Weber gestellt worden:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung auf den Initiativänderungsentwurf des Deutschen Anwaltsvereins für die Bundesgebührenordnung fur Rechtsanwälte - Novelle 1973, Anwaltsblatt 1972.84 - veranlaßt?
Frau Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich beide Fragen des Sachzusammenhangs wegen gemeinsam beantworte.
Ja. Ich rufe dann auch noch die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Weber ({0}) auf:
Wird die Bundesregierung mit Rücksicht auf die sehr stark gestiegenen Kosten eine Anhebung der Gebühren nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in allernächster Zeit einleiten?
Herr Kollege Weber, die Vorschläge des Deutschen Anwaltsvereins zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte sind von der deutschen Bundesregierung und den Ländern sorgfältig geprüft worden. Es ist beabsichtigt, im Herbst dieses Jahres den gesetzgebenden Körperschaften im Rahmen eines Gesetzentwurfs zur Änderung mehrerer Kostengesetze auch einen Vorschlag zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vorzulegen, der Anregungen des Deutschen Anwaltsvereins berücksichtigt und Gebührenerhöhungen vorsehen soll.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind die Überlegungen, die Ihr Haus angestellt hat, bereits mit den anderen Ressorts abgesprochen?
Dem ist so, Herr Kollege, ohne daß ich einer Kabinettsentscheidung damit vorgreifen kann.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 45 der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aufklärungskampagne der Polizei an Ärzte und Nachbarn, vermutete Kindesrmißhandlungen den Jugend- und Sozialämtern wie der Polizei zur Anzeige zu bringen, hinsichtlich des dabei auftretenden schwerwiegenden Konflikts in bezug auf die ärztlich Schweigepflicht und der Gefahr der Nachbarn, nach § 185 f StGB strafrechtlich belangt zu werden, falls sich die Anhaltspunkte für Kindesmißhandlungen als falsch erweisen sollten, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung hinsichtlich der Überlegungen für ein neues Kindschaftsrecht, rechtliche Grundlagen zu schaffen, die diesen verschiedenen Interessenkonflikten Rechnung tragen und dabei am Wohl des Kindes orientiert sind?
Frau Kollegin Lepsius, in früheren Antworten hat die Bundesregierung ausgeführt, daß es im Rahmen vorbeugender Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindesmißhandlungen vor allem darauf ankomme, in einer breiten Offentlichkeit das Bewußtsein der Verantwortung aller für das Schicksal wehrloser Kinder wachzurufen. Angesprochen sind damit Ärzte und diejenigen, die von Kindesmißhandlungen Kenntnis erlangen. Das gilt insbesondere für solche Fälle, in denen eine Wiederholungsgefahr gegeben ist. Die Bundesregierung beurteilt deshalb eine Aufklärungskampagne positiv, die dazu beiträgt, in vermehrtem Umfang durch An1890
zeigen an Jugendämter und Kinderschutzorganisationen sowie Strafverfolgungsbehörden drohende Kindesmißhandlungen zu verhindern.
Die Gefahr, daß der Anzeigende mit strafrechtlichen Bestimmungen in Konflikt kommt, ist gering einzuschätzen. Die Vorschrift über die ärztliche Schweigepflicht - § 300 StGB - verbietet nur die unbefugte Offenbarung ärztlicher Geheimnisse. Eine Offenbarung ist u. a. zum Schutze höherwertiger Rechtsgüter zulässig. Nach den Grundsätzen der Güter-, Pflichten- und Interessenabwägung wird der Arzt bei der Frage, ob er Mitteilung macht bzw. eine Anzeige erstattet, auch berücksichtigen müssen, daß das Vertrauensverhältnis zu dem Kinde und zu seinen Eltern durch die Offenbarung erschüttert werden kann und deswegen möglicherweise das Kind künftig nicht mehr rechtzeitig in ärztliche Behandlung gebracht wird. Bei drohender Gefahr schwerer körperlicher Mißhandlung wird man einen Verstoß gegen § 300 StGB, also gegen die ärztliche Schweigepflicht, verneinen müssen.
Derjenige, der auf Grund begründeter Verdachtsmomente Eltern wegen Kindesmißhandlung anzeigt, wird sich deswegen nicht wegen Beleidigung oder übler Nachrede strafbar machen. Auch wenn sich sich die Anzeige im Einzelfall nachträglich als unrichtig erweisen sollte, so wird sich der Anzeigende regelmäßig auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB berufen können. Dieser Rechtfertigungsgrund schließt eine strafrechtliche Verfolgung nach den §§ 185 und 186 StGB, also wegen Beleidigung und übler Nachrede, aus.
Wegen falscher Anschuldigung - § 164 StGB -kann sich nur derjenige strafbar machen, der wider besseres Wissen falsche Angaben bei einer Behörde macht oder eine unwahre Anzeige erstattet. Die Strafbarkeit der leichtfertigen Anschuldigung, die manche von berechtigten Anzeigen abgehalten haben mag, ist durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 beseitigt worden. Im Rahmen von der von der Bundesregierung in die Wege geleiteten Reform des Kindschaftsrechts, das am Wohle des Kindes orientiert sein wird, werden die Möglichkeiten, Eltern, die ihr Sorgerecht gegenüber ihrem Kinde mißbrauchen, verbessert werden. Schon jetzt kann das Vormundschaftsgericht gegen Eltern, die sich einer Kindesmißhandlung schuldig machen, geeignete Maßnahmen ergreifen, ihnen z. B. das Sorgerecht entziehen. Nach unseren Vorstellungen zur Neuordnung des elterlichen Sorgerechts sollen derartige Maßnahmen künftig auch schon dann getroffen werden können, wenn den Eltern aus subjektiven Gründen, z. B. bei Geisteskrankheit, ein Verschuldensvorwurf nicht gemacht werden kann. Damit wäre sichergestellt, daß das Vormundschaftsgericht in allen Fällen von Kindesmißhandlungen, die bekannt werden, mit diesen Maßnahmen eingreifen kann.
Im übrigen verweise ich auf die Verbesserungen im Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts, das heute im Bundestag beraten wurde. Dort ist beabsichtigt, die Möglichkeiten des beschuldigten Elternteils und seines Ehegatten zu beseitigen, die Wahrheitsfindung im Strafprozeß
durch Verweigerung der Aussagegenehmigung für das Kind oder seiner körperlichen Untersuchung zu erschweren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie stellt sich die Bundesregierung zu der im Zusammenhang mit dem Hamburger Fall einer Kindesmißhandlung, dem Fall des sogenannten Stallkindes, gegebenen Anregung des Hamburger Senats, eine Gesetzesinitiative von seiten der Bundesregierung zu ergreifen, die darauf abzielt, eine ärztliche Pflichtuntersuchung aller Kinder vor der Einschulung vorzusehen?
Ich persönlich dies betrifft mein Ressort ja nicht - würde diese Anregung sehr positiv beurteilen. Das wäre eine weitere Möglichkeit, Kindesmißhandlungen zu unterbinden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Liegen der Bundesregierung statistische Unterlagen über einen Anstieg der Zahl von Kindesmißhandlungen - auch solchen mit Todesfolge - vor, und wäre die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, hierüber einen Bericht zu erstatten?
Alle Statistiken, die uns vorliegen - man kann diesen Statistiken aber nur einen relativen Wert beimessen, weil die Dunkelziffer in diesem Bereich ungeheuer groß ist -, zeigen keine wesentlich ansteigende Tendenz. Ich bin gerne bereit, Ihnen die uns vorliegenden Statistiken zur Einsichtnahme vorzulegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, daß im Konfliktfall das Kindesrecht gemäß Art. 2 des Grundgesetzes dem Elternrecht nach Art. 6 des Grundgesetzes vorzugehen hat und daß daraus noch gesetzliche Konsequenzen zu ziehen sind?
Wir werden unsere Sorgerechtsreform so anlegen, daß wir gesetzliche Grundlagen haben, nach denen das Wohl des Kindes Vorrang erhält. In Konfliktfällen, diesen Sachbereich betreffend, geht, wie ich meine, das Wohl des Kindes dem Elternrecht vor.
Keine Zusatzfrage.
Vizepräsident Frau Funcke
Dann rufe ich die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, § 89 Abs. 3 Satz 1 HGB, der den Ausgleich für sogenannte selbständige Handels- und Versicherungsvertreter einseitig regelt, so zu ändern, daß er auch im Falle einer Eigenkündigung dem für ein Unternehmen langjährig Tätigen einen Ausgleich zubilligt?
Die Bundesregierung, Herr Kollege Stahl, ist der Auffassung, daß die von Ihnen angesprochene Problematik einer Überprüfung bedarf, die sicher zu einer Änderung des gegenwärtigen, teilweise unbefriedigenden Rechtszustands führen wird. Es ist nicht zu verkennen, daß es für einen Handelsvertreter, der langjährig für einen Unternehmer tätig gewesen ist, zu Härten führen kann, wenn er seine Tätigkeit etwa aus Altersoder Krankheitsgründen einstellen muß und dadurch seinen Ausgleichsanspruch verliert.
Die gesetzliche Neuregelung dieser einzelnen Frage außerhalb eines größeren Zusammenhangs erscheint uns aber unzweckmäßig; denn inzwischen arbeitet die Kommission der Europäischen Gemeinschaften seit längerer Zeit an einem Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung des Rechts der Handelsvertreter, in dem auch die mit § 89b des Handelsgesetzbuches zusammenhängenden Fragen behandelt werden. Es ist zu erwarten, daß gerade auch die Fälle langjährig für einen Unternehmer tätig gewesener und aus Alters- oder Krankheitsgründen ausscheidender Handelsvertreter eine befriedigende Regelung erfahren werden. Die Bundesregierung bemüht sich darum und begrüßt dies.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann wird denn Ihres Erachtens von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden können, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen?
Ich hoffe, daß die Richtlinien auf europäischer Ebene noch in diesem Jahr verabschiedet werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es ist doch aber unbestritten, daß 'hier eine einseitige Bevorteilung eines Unternehmens gegenüber einem sozial Schwachen und vor allen Dingen auch langfristig Tätigen vorliegt. Da es schließlich um einen großen Personenkreis in der Bundesrepublik geht, erscheint es mir unbedingt erforderlich, daß die Neuregelung schnellstens erfolgt. Welche Vorschläge würden Sie unterbreiten, damit dieses Problem schnellstens gelöst werden kann?
Herr Kollege, ich habe Ihre Meinung bereits in meiner Antwort auf Ihre Frage bestätigt. Ich teile Ihre Auffassung, daß es zumindest dann zu sozialen Ungerechtigkeiten kommen kann, wenn der Handelsvertreter aus Krankheitsoder Altersgründen ausscheiden muß. Dann dürfte ihm diese Ausgleichszahlung auf keinen Fall verlorengehen. Sie wissen, daß es auch schon vereinzelt Urteile von Landgerichten gibt, in denen ein solches Ausscheiden eines Handelsvertreters aus Krankheits- oder Altersgründen nicht als Kündigung, sondern als eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewertet und dem Betroffenen diese Ausgleichszahlung zugesprochen wird. Diese Meinung wird zum Teil - freilich nicht zum überwiegenden Teil auch in der Wissenschaft vertreten.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 47 des Abgeordneten Dürr auf:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung mit dein geltenden Recht und den Zielen der Gesetze zur Begrenzung des Mietanstings und über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum vereinbar, wenn Vermieter für die in Mietwohnungen installierten Heizkörper einen besonderen Mietzins fordern, Heizanlagen an Dritte verpachten und den Mietern die Verpflichtung abverlangen, mit den Pächtern Wärmelieferungsverträge abzuschließen, und um mit Hilfe derartiger Vertragsgestaltungen die Heizkostenbelastung der Mieter um mehr als 40 % zu erhöhen, und wie gedenkt die Bundesregierung derartige Praktiken zu unterbinden?
Herr Kollege Dürr, ich darf Sie darauf hinweisen, daß Bundesminister Vogel ähnliche Fragen des Kollegen Mick, allerdings nur für den Bereich des öffentlich geförderten Wohnungsbaus, bereits beantwortet hat.
Bei bestehendem Mietvertrag stellt das in Ihrer Frage geschilderte Begehren des Vermieters eine Forderung auf Abänderung des Mietvertrages dar. Darauf braucht sich der Mieter nicht einzulassen. Das Wohnraumkündigungsschutzgesetz schützt ihn vor einer ungerechtfertigten Kündigung.
Bei Neuvermietungen von nicht preisgebundenem Wohnraum findet das Wohnraumkündigungsschutzgesetz allerdings keine Anwendung. Bereits die Forderung nach einer entsprechenden Vertragsgestaltung, die zu Preiserhöhungen von mehr als 10 °/o gegenüber vergleichbaren Entgelten führen würde, kann einen Verstoß gegen die Überhöhungsvorschriften des Wirtschaftsstrafgesetzes §§ 2 a oder 2 b darstellen. Solche Verstöße können mit Geldbußen bis zu 50 000 DM geahndet werden. Für die Prüfung und Ahndung solcher Verstöße sind die Preisbehörden zuständig. Das sind z. B. in Nordrhein-Westfalen und in Hessen die Regierungspräsidenten, in Bayern die Behörden auf Kreisebene.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Oetting auf:
Da in letzter Zeit die Übervorteilung insbesondere älterer Leide bei als sogenannte „Kafteeaustlugsfahrten" getarnten Verkaufsaktionen ständig zunimmt, trage ich die Bundesregierung, ob es nicht sinnvoll wäre, ähnlich wie bei Ratenkaufverträgen und Käufen an der Haustür, auch hier eine Möglichkeit zu schaffen, daß die Betroffenen von den bei diesen Veranstaltungen abgeschlossenen Kaufverträgen zurücktreten können.
Herr Kollege Oetting, die Bundesregierung ist mit Ihnen der Meinung, daß den Praktiken bei sogenannten Kaffeeausflugsfahrten, die häufig zu einer Übervorteilung der Käufer führen, ein Riegel vorgeschoben werden muß. Ein auf Initiative des Landes Hessen vom Bundesrat beschlossener Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes, der dem Bundestag in Kürze zugeleitet wird, sieht vor, dem Käufer im Falle eines Abzahlungsgeschäftes oder eines Geschäftes mit wiederkehrenden Leistungen, zu dem der Käufer durch mündliche Verhandlung außerhalb der ständigen Geschäftsräume des Verkäufers oder seines Vertreters bestimmt worden ist, ein befristetes Widerrufsrecht einzuräumen.
Eine solche Regelung, die von meinem Haus voll unterstützt wird, wird auch für die von Ihnen geschilderten Verkaufsaktionen einschlägig sein; denn in aller Regel wird es sich bei den am Rahmen von Kaffeeausflugsfahrten getätigten Geschäften um Ratenkäufe oder Geschäfte mit wiederkehrenden Leistungen - z. B. fortgesetzter Bezug von Lebensmitteln oder anderer Waren, Bezug von Sachgesamtheiten in Teilleistungen handeln, bei denen die Anbahnung des Kaufs nicht in ständigen Geschäftsräumen des Verkäufers oder seines Vertreters erfolgt ist.
Im übrigen werden bei der Beratung der genannten Bundesratsinitiative wie auch bei den Arbeiten der von meinem Haus eingesetzten Arbeitsgruppe „Verbraucherschutz" die mit dem Schutz des Käufers gegenüber gefährlichen Verkaufspraktiken zusammenhängenden Fragen weiter zu prüfen sein. Dabei muß geprüft werden, inwieweit die Käufer auch bei Barkäufen anläßlich solcher Kaffeeausflugsfahrten geschützt werden müssen, weil sie sich ebenfalls in einer vom normalen Kauf abweichenden psychologischen besonderen Situation befinden.
Keine Zusatzfrage.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Justiz beantwortet.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Finanzen auf. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf.
Die Fragen 49 und 50 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister, die nicht im Saal ist, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Auch die Fragen 51 und 52 des Herrn Abgeordneten Gallus, der ebenfalls nicht da ist, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 53 wird auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 54 und 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Braun, der nicht im Saal ist, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 56 soll auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Luda auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach auf Grund der jüngsten Währungsverluste der Deutschen Bundesbank der Bundesjustizminister veranlaßt worden ist, gegenüber der Deutschen Bundesbank zur Frage ihrer Konkursfähigkeit Stellung zu nehmen, und ist die Bundesregierung bereit, den Wortlaut der Stellungnahme des Bundesjustizministers bekanntzugeben?
Herr Kollege Dr. Luda, der Bundesminister der Justiz ist nicht zu einer derartigen Stellungnahme gegenüber der Bundesbank veranlaßt worden. Wohl aber ist vom Präsidenten einer Landeszentralbank um eine solche Stellungnahme gebeten worden. Da es sich bei dieser Stellungnahme gegenüber einem einzelnen Mitglied des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank um einen internen Vorgang handelt, beabsichtigt die Bundesregierung nicht, ihren Wortlaut im einzelnen bekanntzugeben. Ich kann jedoch erklären, daß der Herr Bundesminister der Justiz in seinem Antwortschreiben festgestellt hat, daß kein Anlaß zu einer derartigen Prüfung besteht. Der Jahresabschluß der Deutschen Bundesbank für 1972 ist im übrigen im Zentralbankrat einstimmig, also auch mit den Stimmen aller Landeszentralbankpräsidenten, verabschiedet worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Hermsdorf, ging der Bundesjustizminister dabei davon aus, daß es sich bei den Währungsverlusten der Deutschen Bundesbank nur um sogenannte Buchverluste und nicht uni echte Substanzverluste gehandelt hat?
Im Prinzip ja. Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß es sich hier um echte Verluste handelt. Denn wir würden ja zu einem Umkehrschluß kommen, wenn wir plötzlich die D-Mark abwerteten; dann hätten wir laufend Gewinne bei der Bundesbank. Schon daran können Sie die Absurdität dieser Betrachtungsweise sehen.
Im übrigen sind wir der Meinung, daß die Bundesbank ebenso nicht in Konkurs gehen kann wie der Staat.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Hermsdorf, ist Ihnen bekannt, daß Sie sich mit dieser Auffassung im Gegensatz zu der Auffassung des Zentralbankrats und des Bundesbankdirektoriums befinden, und stimmen Sie mir nicht zu, daß es, wenn es sich hier
um bloße Buchwerte handeln soll, Buchwerte von der Art sind, durch welche Bettler zu Millionären und Millionäre zu Bettlern werden?
Erstens ist mir bekannt, daß es sich hier, im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, nicht um eine einheitliche Auffassung des ganzen Zentralbankrats handelt,
({0})
sondern daß in dieser Betrachtensweise unterschiedliche Meinungen vorhanden sind. Zweitens würde ich nach wie vor sagen, was ich in meiner ersten Bemerkung gesagt habe: daß ich es für ausgeschlossen halte, daß die Bundesbank Konkurs machen könnte, ebenso wie ich es für ausgeschlossen halte, daß dieser Staat Konkurs machen könnte.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 58 des Abgeordneten Urbaniak sowie die Frage 59 des Abgeordneten Eigen werden schriftlich beantwortet, da die Fragesteller nicht im Saal sind. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 60 des Abgeordneten Wurche wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Lenzer aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung werden auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Westphal zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Walkhoff auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Förderung des Verbands Deutscher Studentenschaften aus Bundesmitteln umgehend wieder aufzunehmen?
Herr Kollege Walkhoff, für die Bundesregierung haben der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit und der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft am 9. Mai 1973 ein Gespräch mit dem Vorstand des Verbandes Deutscher Studentenschaften geführt. Die Ergebnisse dieser Aussprache werden zur Zeit ausgewertet. Die Bundesregierung wird ihre Haltung in Kürze dem Parlament darlegen. Dies kann im Rahmen der Beantwortung von Punkt 6 der Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU vom 9. April 1973, in dem es ebenfalls um die Förderung
des Verbandes Deutscher Studentenschaften geht, geschehen. Da die Vorbereitungen hierzu noch nicht abgeschlossen sind, wird um Verständnis dafür gebeten, daß im Augenblick eine Antwort noch nicht möglich ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung im Zusammenhang mit einer Entscheidung über die Wiederförderung des VDS das Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung der VDS-Charta von 1962, das 1969 wiederholt wurde und auch noch Gültigkeit hat? Läßt dieses Bekenntnis überhaupt den Verdacht zu, daß der VDS gegen die Ziele des Grundgesetzes verstößt, wie man es häufig auch im Gespräch mit Ministerialbürokraten hören kann?
Herr Kollege Walkhoff, die Beurteilung dieser Frage ist ja genau Inhalt dessen, was wir zur Zeit erarbeiten. Wenn wir zu einer Änderung oder einer Bestätigung der Haltung kommen sollten, die auf Grund der Entscheidung eines früheren Kabinetts zum Entzug von Mitteln geführt hat, muß die Angelegenheit im Kabinett beraten werden. Insofern bitte ich um Verständnis, daß ich zum Inhalt Ihrer Frage jetzt nicht Stellung nehmen kann.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, vielleicht eine Argumentationshilfe für mich. Was würden Sie dem Studenten antworten, der mir vor einigen Wochen die Frage stellte: Sollte ich als Befürworter der sozialliberalen Koalition in Zukunft bei Wahlen zu den Studentenparlamenten nicht mehr den SHB oder den Liberalen Studentenverband, sondern den der CDU nahestehenden RCDS wählen, damit der VDS wieder gefördert werden kann?
Ich halte die an Sie gerichtete Frage für etwas seltsam. Keiner von uns hat die Absicht, in das freie Wahlrecht der Studenten einzugreifen oder von ihrer Meinungsäußerung abhängig zu machen, wie der Verband Deutscher Studentenschaften im Hinblick auf seine Förderungswürdigkeit zu beurteilen ist.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Althammer. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 76 ist an anderer Stelle beantwortet worden.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe auf die Frage 77 des Abgeordneten Metzger. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe auf die Frage 78 des Abgeordneten Baier. - Die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 79 des gleichen Abgeordneten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen B 16 und 17 sind von dem Fragesteller zurückgezogen worden.
Meine Damen und Herren, wir sind etwas früher mit der Fragestunde fertig. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Punkt 25 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Rollmann, Frau Stommel, Frau Schroeder ({0}), Kroll-Schlüter, Braun, Köster, Frau Schleicher und der Fraktion der CDU/CSU betr. Reform und Weiterentwicklung des Bundesjugendplanes
Drucksache 7/487 Zur Begründung hat der Abgeordnete KrollSchlüter das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute stellt die Fraktion der CDU/CSU erneut den Antrag, die seit langem geforderte notwendige Reform des Bundesjugendplanes anzustreben und durchzuführen. Schon in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Oktober 1969 ist diese Reform angekündigt worden. Wie in vielen anderen Bereichen, so ist es auch hier beim Wort geblieben; Taten sind nicht gefolgt. Das bedeutet in dem hier anstehenden Fall, daß ein nicht eingehaltenes Wort tatsächlich Rückstand bedeutet. Die freien Träger der Jugendarbeit sind in eine immer schwierigere Situation geraten. Das zwiespältige Verhalten der Bundesregierung infolge der von ihr wesentlich mitverschuldeten inflationären Entwicklung tritt immer wieder neu deutlich zutage. So jüngst, als gegenüber den Zuwendungsempfängern konsequent die Einhaltung des Beschlusses der Bundesregierung angekündigt wurde, auch bei ihnen Stellen einzusparen; dann eine auf Drängen der Opposition und der freien Verbände erreichte leichte Korrektur, andererseits die Beantragung von über 1000 zusätzlichen Planstellen im Haushaltsausschuß für ,die Institutionen des Bundes. Dieses Verhalten stellt die Ernsthaftigkeit großer Versprechungen und Ankündigungen in Frage.
Sie wissen ganz genau, meine Damen und Herren, daß die freien Verbände, die Verbände der außerschulischen Jugendarbeit, ohne qualifizierte Mitarbeiter keine gedeihliche Arbeit leisten können. Ohne langfristige Sicherheit sind für sie keine qualifizierten Mitarbeiter zu erreichen. Insofern ist dieses Verhalten der Bundesregierung einfach zwiespältig, um nicht ein krasseres Wort zu gebrauchen. Ich teile die Auffasung des Bundesjugendrings, der dazu sagt: „Auf dem Hintergrund solcher
Praxis erweisen sich Dialog mit der Jugend und
partnerschaftliche Zusammenarbeit als Leerformel."
Seit seiner Gründung im Jahre 1950 ist der Jugendplan jeweils nach Abschluß einer bestimmten Periode fortentwickelt worden. Der Schwerpunkt der ersten Bundesjugendpläne lag im fürsorgerisehen Bereich, in den fürsorgerischen Aufgaben, lag in der Hilfestellung zur Bewältigung der Probleme, die durch die Vertreibung und Arbeitslosigkeit entstanden waren. Durch Sondermaßnahmen sollte der Jugend die Beseitigung der Notstände, von denen die gesamte Bevölkerung betroffen war, erleichtert werden. Einige Jahre später, ab Mitte der fünfziger Jahre, wurde dann der Anteil der laufenden Förderung beträchtlich erhöht, er dominierte. Neue Förderungsprogramme wurden aufgenommen. Der Bundesjugendplan wurde zu einem beweglichen Hilfsinstrument staatlicher Jugendpolitik. Wenn er diese Beweglichkeit behalten soll, das heißt wenn er den Entwicklungen Rechnung tragen soll, wenn er in seiner Zielrichtung noch stärker auf die Situation und die Probleme der Jugendlichen in unserer Gesellschaft bezogen werden soll, dann ist vor allem wichtig, daß wissenschaftlich untersucht und erforscht wird, welchen Beitrag der Bundesjugendplan zur außerschulischen Jugendbildung leisten kann. Daraus folgt auch, daß die Förderungsprogramme des Bundesjugendplanes einer wissenschaftlichen Erfolgskontrolle unterworfen werden müssen. Da die Jugendarbeit als eigenständiger Bereich der Erziehung und Bildung nur in pluralen Strukturen und mit pluralen Inhalten denkbar und sinnvoll ist, muß konsequenterweise auch die wissenschaftliche Untersuchung und Begleitung und die wissenschaftliche Erfolgskontrolle in die plurale Verantwortung gegeben werden können. Das heißt, nicht nur der Staat, sondern auch die freien Träger der Jugendarbeit müssen aus eigenem Entschluß und in freier Wahl Forschungsaufträge und Aufträge zur wissenschaftlichen Erfolgskontrolle vergeben können. Das würde auch bedeuten, und daran habe ich keinen Zweifel, daß die wissenschaftliche Theorie der Jugendarbeit, die noch in den Anfängen steckt, wichtige und vielfältige Impulse bekommen würde. Plurale Strukturen und plurale Inhalte erfordern plurale Forschung!
In Ziffer 2 unseres Antrages fordern wir, daß der Bundesjugendplan mit der Bildungsplanung von Bund und Ländern ständig koordiniert wird. Damit meinen wir, daß der Bundesjugendplan mit der Bildungsplanung von Bund und Ländern sowohl finanziell als auch inhaltlich abgestimmt werden muß. Abgestimmt werden müssen die Maßnahmen im Bereich der außerschulischen und der schulischen Erziehung und Bildung. Ohne diese notwendige Koordination wird man dem Anspruch der Jugendlichen auf Erziehung und Bildung nicht gerecht werden können.
Ob diesem Anspruch auf Erziehung und Bildung entsprochen werden kann, hängt auch ab von der stärkeren Abstimmung des Bundesjugendplans mit den Jugendplänen der Länder und Gemeinden. Diese Pläne müssen ineinandergreifen, sich ergänKroll-Schlüter
zen. Neue Förderungsprogramme wie das „Sonderprogramm für besondere Maßnahmen der politischen Bildung" und „Erprobung neuer Wege in der Jugendarbeit" müssen ihre Fortsetzung und Ergänzung in den Jugendplänen der Länder und Gemeinden finden. Schwierigkeiten, wie sie sich z. B. beim Programm „Bildung der Landjugend" infolge des Karlsruher Urteils ergeben haben, sollten in Zukunft vermieden werden können. Die dem Bund entzogene Förderungskompetenz ist nicht von allen Bundesländern übernommen und ausgefüllt worden. Dies hat zu einer großen Unsicherheit und zu untragbaren finanziellen Lasten bei den Trägern der Landjugendarbeit geführt. Wir fordern daher eine Kommission aus Vertretern des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände, die wesentlich dazu beitragen könnte, daß die Jugendpläne stärker aufeinander abgestimmt werden und daß entsprechend den Steigerungsraten in anderen Bereichen auch die Etats der Jugendpläne die notwendigen und vertretbaren Steigerungsraten aufweisen.
In Ziffer 4 fordern wir, daß der Bundesjugendplan vom Prinzip der Förderung der Träger zum Prinzip der Förderung von Sachaufgaben umgestellt wird, dies deshalb, um eine stärkere Transparenz und größere Effektivität des Bundesjugendplanes zu erreichen. Ich bitte, daß Sie diese Ziffer 4 auch in Verbindung mit Ziffer 6 sehen, wo wir eine Grundausstattung fordern, die eine langfristige Sicherheit der außerschulischen Jugendarbeit durch die freien Träger bietet. Das Sachprinzip erfordert die Gliederung der Förderungsprogramme nach Sachbereichen, also ein Abgehen von der bisher üblichen Mischförderung. An den neu zu schaffenden Sachtiteln sollen alle anerkannten Träger teilnehmen können, die Erfahrung, Sachkunde und Zuverlässigkeit nachweisen können. Die Einführung des Sachprinzips zuungunsten des Trägerprinzips würde u. a. Parlament und Öffentlichkeit deutlich machen, welche Mittel tatsächlich für politische Bildung und welche für andere Bildungsprogramme aufgewandt werden. Außerdem würde deutlich, welche Mittel für die Planungs- und Leitungsaufgaben der Verbände und Einrichtungen und für deren Mitarbeiter eingesetzt werden.
Die Einführung des Sachprinzips bedeutet auch die Zusammenfassung der Förderung der politischen Bildung in einem Programm. Derzeit wird, wie Sie wissen, die politische Bildung in mehreren Programmen gefördert. Wir meinen, daß dieses eben in einem zusammengefaßt werden sollte.
Die Einführung eines umfassenden Sachprogramms „Politische, soziale und berufsbezogene Bildung" könnte zugleich Bildungs- und Sozialprogramm sein. Dies käme der Forderung des Teils E des Gesamtbildungsplans entgegen, wonach politische Bildung zum sozialen Engagement führen soll. Die sozialen Dienste wären damit nicht mehr in der Gefahr, zum Berufsfindungsjahr zu degenerieren, weil sie unmittelbar im Zusammenhang mit der politischen und sozialen Bildung gewissermaßen als Aktions- und Informationsfeld innerhalb einer praxisorientierten aktuellen politischen Bildung
wirksam werden könnten. Die Einführung eines fassenden Sachprogramms „Politische, soziale und berufsbezogene Jugendbildung" meint also, daß politische und soziale Bildung zum prinzipiellen Ausgangspunkt gemacht wird, daß von da her Programme zusammengefaßt werden, daß politisches und soziales Lernen zum tragenden Prinzip wird.
Das Sachprinzip sollte auch angewandt werden für die Programme kultureller Bildung und Jugendforschung, bzw. hier zunächst ausschließlich für den Bereich der kulturellen Bildung. Wenn es zutrifft, daß der außerschulischen Jugendarbeit im Bildungswesen besonders die Aufgabe zufällt, Kreativität zu wecken und zu fördern und Leistungszwänge abzubauen, müßte gerade im Bereich der kulturellen Jugendarbeit eine konzentrierte Förderung einsetzen. Diese dürfte nicht nur auf Fachorganisationen beschränkt sein. Die Mittel, die von den Jugend-und Studentenverbänden bisher für diese Aufgaben eingesetzt worden sind, sollten in das Sachprogramm „Kulturelle Bildung" eingebracht werden.
Zum Schluß noch ein kurzes Wort zum Ausbau des Förderungssystems für die im Bildungswesen bisher unterrepräsentierten Gesellschaftsschichten. Zur Erfüllung eines solchen Vorhabens der Bildungsplanung reichen die bisherigen Bemühungen im Bundesjugendplan, die jeweils aus aktuellem Anlaß entwickelt wurden, nicht aus. In einem Programm zur Weckung des Bildungswillens in diesen Schichten gehört vornehmlich die Entwicklung von Methoden der Zielgruppenansprache unter ständiger begleitender Beobachtung der Wirksamkeit. Die Förderung sollte sich lediglich darauf beschränken, Initiativen zu wecken und zu fördern, die die Jugendlichen befähigen, an der regulären Bildungsarbeit teilzunehmen.
Ich habe schon auf unseren Vorschlag hingewiesen, einen Titel „Planungs- und Leitungsaufgaben der Träger der freien Jugendhilfe" zu schaffen einfach deshalb, um eine finanzielle Grundausstattung der freien Träger sicherzustellen. Das jetzt praktizierte Förderungssystem bietet keine langfristige Sicherheit als Voraussetzung für kontinuierliche Bildungsarbeit. Wenn dieses die notwendige Sicherheit nicht bietende Förderungssystem infolge konjunktureller Schwankungen auch noch negativ ergänzt wird durch bestimmte Beschlüsse der Bundesregierung, die wir alle kennen und wie sie erst kürzlich gefaßt worden sind, bedeutet das die existentielle Gefährdung der Jugendverbände.
Kreativität zu wecken und zu fördern und Leistungszwänge abzubauen - ich darf dies noch einmal betonen , ist vor allem das Ziel der Jugendarbeit, wie wir sie in der Zielsetzung durch die Förderungsprogramme garantiert wissen möchten. Die Wirklichkeit der Jugendverbände und die Zielsetzung der außerschulischen Jugendarbeit sind das, was wir mit unserem Antrag verbessern möchten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Anbuhl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wegen der vorgerückten Zeit werde ich mich auf wenige Punkte des sehr mageren CDU/CSU-Papiers beschränken.
Erstens. Selbst die Opposition müßte wissen, daß seit Beginn der sozialliberalen Koalition eine Periode von Reformen und Versuchen im Bereich des Bundesjugendplanes begonnen hat, daß eine Kommission zur Reform der Richtlinien dieses Planes sofort nach Regierungsantritt ihre Arbeit aufgenommen hat und daß 1971 auf Grund dieser Arbeit neue Richtlinien erlassen wurden, die sich insgesamt bewährt haben. Dies gilt besonders für Maßnahmen für sozial benachteiligte Jugendliche.
Zweitens. Der Opposition kann doch nicht entgangen sein, daß zur Zeit und seit geraumer Zeit ein Perspektivplan beraten wird, der die inhaltliche, methodische und finanzielle Weiterentwicklung der Förderungsprogramme für einen längeren Zeitraum überschaubar machen soll. Diese diffizile Arbeit kann im Interesse der geförderten Jugend nicht überstürzt als Stückwerk beendet werden.
Drittens. Es ist den Bemühungen des Bundes zu danken, daß in dem zum Beschluß anstehenden Bildungsgesamtplan die Aufgaben der außerschulischen Jugendbildung angemessen berücksichtigt wurden. In diesem maßgeblich vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erarbeiteten Abschnitt des Bildungsgesamtplans wird bereits auf die Notwendigkeit einer stärkeren Beteiligung der Wissenschaft und Forschung beim Ausbau der außerschulischen Jugendbildung hingewiesen. Eine Kooperation von Bund und Ländern ist dabei selbstverständlich.
Viertens. Die Bundesregierung und besonders Staatssekretär Westphal waren mit ihren Initiativen im internationalen Jugendbereich erfolgreich. Die Gründung des Europäischen Jugendwerks, dessen Arbeit nun anzulaufen beginnt, ist dafür ein sichtbares Zeichen.
Viertens. Der Bundesjugendplan geht gegenwärtig weder, wie Sie, Herr Kollege Kroll-Schlüter, unterstreichen, ausschließlich vom Prinzip der Förderung der Träger noch von dem der Sachausgaben, sondern eben von einem gemischten System aus.
({0})
- Herr Kollege, der Vorschlag der Opposition auf Umstellung der Förderungspraxis ist nicht neu, sondern schon seit 1970 aus ganz anderen Kreisen bekannt.
({1})
- Nein, natürlich nicht, weil die Auswirkung dieser Umstellung nicht geklärt ist. Es ist keineswegs sicher - und das unterstreichen auch immer die Jugendverbände -, daß dadurch mehr Effektivität, Transparenz und Demokratie erreicht wird. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr, daß das gesamte Verfahren bürokratisiert wird. Wir werden auf keinen Fall eine übereilte Umstellung mitmachen. Das wollen die Jugendverbände auch nicht.
Als Fazit zu Ihrem Antrag darf ich sagen: Er ist völlig überflüssig, weil er offene Türen einrennt und längst Verwirklichtes fordert. Meine Fraktion wird die Weiterentwicklung des Bundesjugendplanes in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Verbänden und der Wissenschaft im größeren Rahmen der Gesamtreform des Jugendhilferechts beraten. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Vorlage des Diskussionsentwurfs eines Jugendhilfegesetzes als eine Voraussetzung für dieses Reformwerk. Wir sind zu einer fairen öffentlichen Diskussion auch über neue Ideen bereit und werden die Bundesregierung von unserer Fraktion aus bei der Formulierung langfristiger Perspektiven in kritischer Solidarität unterstützen.
Wir sollten darüber hinaus alle gemeinsam dazu beitragen, daß in der Öffentlichkeit das Interesse und Verständnis für die Verwendung öffentlicher Mittel für die Jugendarbeit gestärkt wird und daß gerade in diesem Bereich wichtige Maßnahmen bei Konjunkturschwankungen nicht in Frage gestellt werden.
Abschließend möchte ich im Namen meiner Fraktion allen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Jugendgruppenleitern danken, ohne deren uneigennützigen Einsatz Jugendarbeit in der Bundesrepublik undenkbar und eine Diskussion über den Bundesjugendplan schlichtweg unsinnig wäre.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Christ.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Opposition, der beansprucht, Vorschläge zur Reform des Bundesjugendplans zu machen, darf wohl kritisch daraufhin überprüft werden, ob er diesem eigenen Anspruch gerecht wird. Mit Enttäuschung wird man dann aber bei der Prüfung des Antrags feststellen, daß er eine lose Anhäufung von Unverbindlichkeiten, Selbstverständlichkeiten und plakativen Schlagworten enthält, nur nicht das enthält, was man von ihm erwartet, nämlich konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des Bundesjugendplans. Damit wäre an sich schon das Wichtigste über diesen Schaufensterantrag gesagt, mit dem die Opposition vergeblich den Eindruck erwecken will, als sei bei ihr die Jugendpolitik in besseren Händen als bei der sozialliberalen Koalition. Trotzdem will ich auf einige dieser Gedanken in dem Antrag eingehen und Schwerpunkte bei der Weiterentwicklung des Bundesjugendplans aufzeigen.
Zunächst zu dem Hauptvorwurf der Opposition, nämlich daß hier keine eigentliche Reform stattgefunden habe, wie sie in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 angekündigt worden sei. Nun, diese Behauptung kann nur derjenige aufstellen, der unter Reform einen einmaligen großen Reformakt versteht und darunter nicht einen Prozeß der ständigen kritischen Weiterentwicklung begreift. Genau das ist aber seit 1969 in der Diskussion mit den betroffenen Jugendverbänden und den freien Trägern geschehen. Die neuen Richtlinien vom
1. Januar 1971 sind dafür ein überzeugender Beweis. Die Arbeit der Richtlinienkommission ist natürlich noch nicht beendet. Die neuen Richtlinien werden jetzt erprobt und durch die Tätigkeit der Richtlinienkommission in Zusammenarbeit mit dem Bundeskuratorium sinnvoll und kontinuierlich weiterentwickelt. Wir als die dafür Verantwortlichen im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und das Parlament erwarten von der Regierung bald einen Perspektivplan, der die inhaltliche, methodische und finanzielle Weiterentwicklung der Förderungsprogramme des Bundesjugendplans für einen längeren Zeitraum überschaubar machen soll.
In engem Zusammenhang damit steht auch die Frage der wissenschaftlichen Erfolgskontrolle. Hier möchte ich den Antragstellern zum Teil zustimmen, nämlich in dem Punkt, daß das Instrument der wissenschaftlichen Erfolgskontrolle bei den einzelnen Förderungsmaßnahmen verbessert werden muß.
An dieser Stelle ist es auch sinnvoll, auf das System der Förderung einzugehen, also auf die Frage, ob Förderung der Träger oder Förderung von Sachaufgaben. Zum Leidwesen mancher Träger, wie z. B. der politischen Jugendorganisation in unserer Partei, ist die Umstellung von institutioneller auf Projektförderung bereits erfolgt. Wenn man dies aber als einheitliches und durchgängiges Prinzip verlangt, verkennt man die Schwierigkeiten, die bei einer solchen Form von Förderung auftreten würden. Hier kann nicht mechanistisch ein einheitliches System für alle Träger verlangt werden. Wohl aber ist es im Interesse einer möglichst hohen Effizienz und einer klaren Durchschaubarkeit angebracht, soweit wie möglich auf die Förderung von Sachaufgaben umzustellen. Aber dies sind Selbstverständlichkeiten, die von dieser Koalition längst gesehen und auch praktiziert werden.
Lassen Sie mich zum Schluß mit einer Bemerkung noch auf die sehr umfangreiche Ziffer 5 eingehen. Was hier in dieser plakativen Aufzählung gefordert wird nach dem Motto: erhalten, ausbauen oder neu schaffen, ist in dieser Unverbindlichkeit nicht zu überbieten. Wer anderen vorhält, sie hätten ein Reformversprechen nicht erfüllt, der muß sich schon die Frage gefallen lassen, was er eigentlich konkret will, wenn er selbst Reformvorschläge ankündigt.
Es ist müßig, sich mit dem Reform- und Forderungskatalog der Ziffer 5 näher zu beschäftigen, da er so abgefaßt ist, daß ihm letztlich alle Seiten dieses Hauses ihre Zustimmung geben könnten, ohne daß damit etwas über die konkrete Machbarkeit, über die inhaltliche Ausfüllung, ganz zu schweigen von den finanziellen Problemen bei dieser Ausfüllung, gesagt worden wäre.
Vielleicht hat der Antrag aber trotz aller Unverbindlichkeiten und Schlagworte etwas Gutes. Der Ausschuß könnte diesen an ihn überwiesenen Antrag zum Anlaß nehmen, die Bundesregierung zu bitten, ihm bei nächster Gelegenheit einen Erfahrungsbericht über den Bundesjugendplan vorzulegen und auch die Entwicklungsvorstellungen darzulegen, wie dies weitergeführt werden soll.
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Vizepräsident Frau Funckes Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Westphal.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bitte gestatten Sie dem Vertreter der Regierung zu dieser Debatte auch noch ein Wort, obwohl ich viel Verständnis dafür habe, daß Sie alle erwarten, daß die Schlußglocke erklingt.
Das Förderungssystem des Bundes für den gesamten Bereich der außerschulischen Jugendarbeit und der Jugendhilfe weiterzuentwickeln, Herr Kollege Kroll-Schlüter, es inhaltlich zu verbessern, neuen Gegebenheiten der Jugendarbeit anzupassen, mit besonderen Schwerpunkten zu versehen, ist ein ständiger Prozeß. Ob dafür der Begriff der „Reform" Verwendung finden soll oder nicht, ist für mich kein Gegenstand, über den es lohnt sich auseinanderzusetzen. Wichtig ist, daß der Prozeß der Verbesserung vorangetrieben wird und daß dies mit den freien Trägern der Jugendhilfe gemeinsam geschieht.
Genau dies ist das, was wir getan haben, seit wir im Jahre 1969 im damals neu gebildeten Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die Verantwortung für die Jugendpolitik des Bundes übernahmen. Nach entsprechender Vorarbeit einer Kommission zur Reform der Richtlinien des Bundesjugendplans - darauf haben die beiden Kollegen vorher schon hingewiesen - wurden am 1. Januar 1971 neue Richtlinien in Kraft gesetzt. Der Bundesjugendplan hat wirklich durchgängig die Förderung der politischen Bildung junger Menschen als Schwerpunkt erhalten. In den Bundesjugendplan wurden neue Programme eingefügt. Ich möchte insbesondere das Programm zur Erprobung neuer Wege der Jugendarbeit hervorheben.
Der Umfang der bereitgestellten Förderungsmittel im Bundesjugendplan wurde von 1968 mit 48,5 Millionen DM auf 1972 mit 71,5 Millionen DM erhöht - das ist der allgemeine Bundesjugendplan - und kann für 1973, also den jetzt vor der Verabschiedung stehenden Bundeshaushalt, mit 75,3 Millionen DM ohne die Maßnahmen gegen den Rauschmittelmißbrauch, die im Bundeshaushalt wieder extra notiert werden - wohl schon als beschlossen gelten. Wir haben also auch hier wieder eine beachtliche Steigerungsrate.
Der vorgelegte Diskussionsentwurf zum Jugendhilfegesetz enthält das, was auf Bundesebene durch gesetzliche Bestimmungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Begrenzungen machbar ist zur Absicherung der Förderung der außerschulischen Jugendarbeit und Jugendhilfe.
Meine Damen und Herren, unser Förderungssystem hilft neben der politischen Jugendbildung innerhalb und außerhalb der Jugendverbände auch der internationalen Jugendbegegnung, der sozialen und berufsbezogenen Jugendbildung, der gesellschaftlichen Eingliederung jugendlicher Spätaussiedler, der kulturellen Jugendbildung, der sportlichen Jugendarbeit, der Fortbildung von Mitarbei1898
tern der Jugendhilfe sowie der Jugendarbeit in den zentralen Organisationen, also den Jugendverbänden und den zahlreichen Fachorganisationen des weiten Jugendhilfebereichs. Dazu kommt die Förderung der Jugendforschung, vornehmlich - aber nicht nur - über das Deutsche Jugendinstitut. Daß auch andere Antragsteller und Durchführer für Forschung in Frage kommen, möchte ich gern bestätigen. Sie haben gesagt: plurale Forschung; Hauptsache, nicht plurale Ergebnisse, denn dann wird es mit der Forschung problematisch. Aber insgesamt gesehen kann ich Ihnen hier bestätigen, daß das Deutsche Jugendinstitut aus unserer Sicht die vorrangige Adresse ist, die es auszubauen gilt, um Forschungsarbeit im Jugendbereich zu betreiben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Liste mit Inhalten der Jugendförderung des Bundes hier gehört haben und zum Vergleich den Antrag der CDU/CSU-Fraktion lesen, dann ist doch die Frage: Was beabsichtigt die Opposition mit einem Antrag, der vornehmlich Dinge fordert, die längst vorhanden sind oder schon vor Jahren gemacht wurden?
Dort wird z. B. verlangt, die Jugendforschung zu verstärken, um wissenschaftlich zu untersuchen, welchen Beitrag der Bundesjugendplan zur außerschulischen Jugendbildung leistet. Ich darf Ihnen nur einige Titel laufender Forschungsarbeiten aus diesem Bereich nennen: Kulturinteressen von Kindern und Jugendlichen, Analyse projektorientierter Arbeit mit Lehrlingen, Legitimationsproblematik von Jugendorganisationen, die Rolle der Jugendverbände in der Gesellschaft, modellhafte Aktivitäten in den Jugendämtern,
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internationale Jugendgemeinschaftsdienste, Entwicklung von didaktischen Materialien zur politischen Bildung, Erhebung zum Berufsbild von Jugendbildungsreferenten alles Forschungsarbeiten in diesem Bereich, und dies ist ein kleiner Ausschnitt.
Wenn Sie sagen, zur Erfolgskontrolle sollte man Forschungsarbeit einsetzen, will ich Ihnen gern prinzipiell zustimmen. Bloß weiß ich aus vielen Jahren der Mitarbeit auf diesen Gebieten, daß das bisher nicht dazu geführt hat, klarer zu sehen, wie man dieses schwierige Gebiet wirklich in den Griff bekommen kann.
Ich will mich der Diskussion über die Dinge nicht entziehen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß schon viele darüber nachgedacht und gemeint haben, Forschung könne uns helfen. Aber sie war auf diesem schwierigen Sektor nicht in jedem Fall eine wirkliche Hilfe.
Da wird von der CDU verlangt, den Bundesjugendplan mit der Bildungsplanung von Bund und Ländern ständig zu koordinieren. Meine Damen und Herren, die Antragsteller müßten doch wissen, daß auf unser Betreiben ein eigener Abschnitt über die außerschulische Jugendbildung in den Bildungsgesamtplan, der nun, so hoffe ich, am 15. Juni verabschiedet werden wird, aufgenommen worden ist.
Ganz unverständlich wird der Antrag, wenn er dazu auffordert, bestimmte Förderungsprogramme „zu erhalten, zusammenzufassen, auszubauen oder neu zu schaffen". Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie das eigentlich gemeint ist. Nehmen wir ein Beispiel. Unter 5 b) heißt es: „internationale Jugendarbeit, Deutsch-Französisches Jugendwerk, Europäisches Jugendwerk". Ja, sollen wir das nun zusammenfassen, sollen wir das erhalten, sollen wir es neu schaffen oder ausbauen? So irritierend ist die Formulierung Ihres Antrags.
Von der gleichen unklaren Formulierung muß im Hinblick auf die ganze Liste der aufgezählten Programme gesprochen werden. Hier kann kein einziges Programm neu geschaffen werden, weil alle Programme bereits da sind und gefördert werden.
Das war wirklich, so muß ich sagen, keine reife Leistung. Eigentlich würde ich das lieber an die Adresse von Herrn Rollmann sagen, der heute, wie ich weiß, nicht hier sein kann, denn er ist es ja wohl gewesen, der diesen Antrag einmal formuliert und ihn auch schon in der vorigen Runde in fast gleichem Wortlaut vorgelegt hat.
Ist die Verbindung von Herrn Rollmann und von Ihnen zu den freien Trägern der Jugendarbeit oder zu den Mitgliedern des Bundesjugendkuratoriums denn so schlecht, daß Sie dort die Kritik an diesem Antrag und seiner Formulierung, das Kopfschütteln über diese Formulierungen nicht mitbekommen haben, so daß Sie daraus keine Konsequenzen für eine Neuformulierung ziehen konnten?
Mir scheint, meine Damen und Herren, der Bundestag ist gut beraten, wenn er zwar die Gelegenheit nützt, wieder einmal unser Förderungssystem im Ausschuß zu diskutieren und dazu diesen Antrag zu benutzen, aber es dann zu vermeiden, einen Antrag zu beschließen, dessen wesentliche Forderungen längst erfüllt sind und der sonst nur Unklarheiten bewirkt.
Die Bundesregierung wird in absehbarer Zeit auch dem Bundestag ihre Vorstellungen vorlegen, wie dem Bundesjugendplan eine längerfristige Perspektive gegeben werden kann.
Mit den Worten von Frau Bundesminister Focke, die vor dem Bundesjugendkuratorium dazu gesprochen hat, möchte ich jetzt noch einmal deutlich machen, worum es sich bei dem Perspektivplan handelt, damit sich bei Ihnen keine falschen Vorstellungen festsetzen können.
Es geht darum, gegenüber der Öffentlichkeit die Begründung und Zielsetzung der Jugendförderung des Bundes darzulegen, d. h. wir wollen Partner finden für die Notwendigkeit der Jugendförderung durch den Bund.
Es geht darum, gegenüber den jungen Menschen durch den Perspektivplan zu verdeutlichen, welche Daueraufgaben und welche neuen Aufgaben der Jugendarbeit und Jugendhilfe der Bund mit Förderungsmitteln versieht. Das heißt, es geht auch darum, den jungen Leuten draußen verständlich zu
machen, worauf die Förderung abzielt und wofür es öffentliche Mittel in diesem Bereich gibt.
Schließlich soll der Perspektivplan gegenüber den Trägern der Jugendhilfe den Rahmen abstecken, in dem künftig in Zusammenarbeit mit diesen freien Trägern der Bundesjugendplan inhaltlich, methodisch und finanziell weiterentwickelt werden soll. Wir wollen uns also an die Träger wenden und ihnen sagen, was machbar ist und was nicht.
Wir legen Wert darauf, daß in einer engen Verbindung mit dieser geplanten Darlegung auch erste Gedanken zur Diskussion gestellt werden, die den Bundesjugendplan in einen größeren Zusammenhang von Sozialisationsaufgaben stellen, also: Welche gesellschaftlichen Hilfen im Sinne der Förderung sind erforderlich und können gewährt werden, wenn man bei der frühkindlichen Erziehung ansetzt und den Kreis so umfassend zieht, daß er wieder bis hin zur jungen Familie reicht? Mir ist klar, daß es dabei zunächst nur um einen skizzenhaften Entwurf gehen kann, über den es dann gemeinsam nachzudenken und Partner für seine Realisierung zu finden gilt.
Sie sehen, es geht auch hierbei nicht um eine Umstülpung des ganzen Förderungssystems. Wir stehen vor der ernüchternden Tatsache, daß Jugendförderung in vieler Hinsicht eine Daueraufgabe mit im wesentlichen gleichbleibenden Grundelementen und Förderungsplangliederungen geworden ist.
Das behindert nicht die dauernde Suche nach neuen Erkenntnissen, die es uns ermöglichen, Verbesserungen zu entwickeln. Ein eigenes Experimentierprogramm steht dafür mit Förderungsmitteln und ohne allzu starre Richtlinienbindung für das Ausprobieren neuer Ideen in der Jugendarbeit zur Verfügung.
Dies war es, was ich bei der Einbringung Ihres Antrags gerne sagen wollte.
Angesichts der Tatsache, daß wohl Herr Rollmann derjenige war, der ihn formuliert hat, möchte ich auf seine Formulierung zurückkommen und wie ein Hamburger mit „Klein-Erna" sagen: Tut ja nix, aber was soll das?!
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Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend und an den Haushaltsausschuß - mitberatend -. Ich bitte um Zustimmung zu dieser Überweisung. - Danke schön. Es ist so geschehen.
Ich rufe den Punkt 26 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung ({1}) des Rates über das auf Arbeitsverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft anzuwendende Konfliktsrecht
- Drucksachen VI/3239, 7/525 -Berichterstatter: Abgeordneter Lutz
Wünscht jemand das Wort dazu? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen noch zu einem Zusatzpunkt:
Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 7/420 Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe ,die Aussprache. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit stehen wir am Ende unserer heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Hauses auf Mittwoch, den 23. Mai, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.