Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, in der Osterpause haben einige Mitglieder des Hohen Hauses Geburtstag feiern können. Leider ist das Haus jetzt nicht sehr stark besetzt; ich möchte dennoch den nachfolgenden Mitgliedern die Glückwünsche des Hauses zum Geburtstag aussprechen. Bundesminister Franke wurde am 11. April 60 Jahre. Vizepräsident von Hassel ist am 21. April ebenfalls 60 Jahre alt geworden. Frau Abgeordnete Schimschok feierte am 22. April auch einen runden Geburtstag. Herr Dr. Möller wurde am 26. April 70 Jahre.
({0})
Ihnen liegt der Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages - Drucksache 7/334 - vor. Gemäß § 116 b Abs. 1 der Geschäftsordnung soll dieser Bericht direkt an den Verteidigungsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 13. April 1973 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Übereinkommen vom 22. Juli 1964 über die
Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuches
Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und des Arbeitsplatzschutzgesetzes
Gesetz zu dem Vertrag vom 15. Dezember 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über die Führung von geschlossenen Zügen ({1}) der Österreichischen Bundesbahnen über Strecken der Deutschen Bundesbahn in der Bundesrepublik Deutschland
Zweites Gesetz zur Änderung des Viehzählungsgesetzes
Gesetz zu dem Abkommen vom 25. Mai 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mauritius über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Gesetz zu den Abkommen vom 12. Mai 1972 über eine Assoziation betreffend den Beitritt von Mauritius zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den mit dieser Gemeinschaft assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar sowie zur Änderung des am 29. Juli 1969 in Jaunde unterzeichneten Internen Abkommens über die Finanzierung und die Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft
Gesetz zu der Vereinbarung vom 9. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zur Durchführung des Abkommens vom 12. Oktober 1968 über Soziale Sicherheit
Gesetz zu dem Abkommen vom 21. Oktober 1971 zur Änderung des Zusatzabkommens vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen
Gesetz zu dem Übereinkommen vom 20. August 1971 über die Internationale Fernmeldesatellitenorganisation „INTELSAT" Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze
Gesetz zu den Haager Kaufrechtsübereinkommen vom 1. Juli 1964
Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen
Einheitliches Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien Gesetz zu der Vereinbarung vom 3./4. Mai 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über Erleichterungen der fiskalischen Behandlung des grenzüberschreitenden deutsch-italienischen Straßengüterverkehrs Gesetz zu dem Abkommen vom 5. November 1971 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr
Gesetz zu dem Abkommen vom 18. März 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Island zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Gesetz zu dem Abkommen vom 19. Februar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich des folgenden Gesetzes zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:
Gesetz über den Beruf des Diätassistenten
Sein Schreiben ist als Drucksache 7/469 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 6. April 1973 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung Nr. 422/73 des Rates vom 22. Januar 1973 über die Durchführung der Entscheidung Nr. 2/72 des Gemischten Ausschusses zur Festlegung der Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen auf dem Zollsektor zum Zweck der Durchführung des Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Osterreich
-- Drucksache 7/165 Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 21. März 1973 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({2}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({3}) Nr. 985/68 zur Festlegung der Grundregeln für die Interventionen auf dem Markt für Butter und Rahm
- Drucksache 7/22 Verordnung des Rates zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Obst und Gemüse
- Drucksache 7/27 Verordnung ({4}) des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die 1m Anhang I Abschnitt A und C der Verordnung ({5}) Nr. 2142/70 aufgeführten Erzeugnisse für das Fischwirtschaftsjahr 1973
Verordnung ({6}) des Rates zur Festsetzung des gemeinschaftlichen Produktionspreises für Thunfische, die für die
Präsident Frau Renger
Konservenindustrie bestimmt sind, für das Fischwirtschaftsjahr 1973
Verordnung ({7}) des Rates zur Festsetzung der Interventionspreise für frische oder gekühlte Sardinen und Sardellen für das Fischwirtschaftsjahr 1973
Verordnung ({8}) des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die in Anhang II der Verordnung ({9}) Nr. 2142/70 aufgeführten Fischereierzeugnisse für das Fischwirtschaftsjahr 1973
- Drucksache 7/46 Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung des Anhangs der Verordnung ({11}) Nr. 2358/71 zur Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Saatgut und zur Änderung der Verordnung ({12}) Nr. 1674/72 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung und die Finanzierung der Beihilfe auf dem Saatgutsektor
- Drucksache 7/167 -Verordnung ({13}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({14}) Nr. 1569/72 des Rates zur Einführung von Sondermaßnahmen für Raps- und Rübsensamen
- Drucksache 7/207 Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({15}) des Rates über die Festlegung allgemeiner Vorschriften für die Regelung der Ausgleichsbeträge im Sektor Obst und Gemüse
- Drucksache 7/208 Der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 9. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gewandt, Lampersbach, Hauser ({16}), Dr. von Bismarck, Engelsberger, Schedl, Schröder ({17}) und Genossen betr. Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger - Drucksache 7/393 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/460 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat mit Schreiben vom 10. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Reddemann, Dr. Ritz, Stücklen, Wohlrabe, Baron von Wrangel und Genossen betr. Reiseerleichterungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR - Drucksache 7/418 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/463 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie und fur das Post- und Fernmeldwesen hat mit Schreiben vorn 16. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Dr. Goiter, Pfeifer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bundesrechnungshof zur Forschungsförderung - Drucksache 7'290 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/476 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 24. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau von Bolhmer, Mattick, Wischnewski, Brück, Dr. Holtz, Frau Dr. Riedel-Martiny, Lattmann, Dr. Schweitzer, Friedrich, Dr. Bangemann, Hölscher, Frau Schuchardt, von Schoeler, Christ, Opitz und Genossen betr. Lohn- und Arbeitsverhältnisse bei deutschen Firmen in Südafrika - Drucksache 7,448 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/484 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr hat mit Schreiben vom 27. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Orgaß, Rollmann, Katzer, Müller ({18}), Dr. Eyrich, Frau Tübler, Dr. Evers, Vogt, Dr. Wörner, Damm, Dr. Prassler, Mick, Dr. Zeitel, Müller ({19}), Mursch ({20}), Pieroth, Dr. Ritz und der Fraktion der CDU/CSU betr. soziale Folgewirkungen aus der Lage der deutschen Seeschiffahrt --Drucksache 7'407 -- beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/508 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr hat mit Schreiben vom 30. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schulte ({21}), Dr. Wörner, Dr. Abelein, Dr. h. c. Kiesinger, Dr. Miltner, Susset, Dr. Stark ({22}), Maucher, Sauter ({23}), Biechele, Dr. Jenninger, Baier, Dr. Häfele, Weber ({24}), Jäger ({25}) und Genossen betr. Bundesfernstraßenbau in Baden-Württemberg - Drucksache 7/466 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/510 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr hat mit Schreiben vom 2. Mai 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lemmrich, Dr. Althammer, Dr. Jobst, Schedl, Dr. Waffenschmidt, Tillmann, Vehar, Dreyer und Genossen betr. Ausbau des Verkehrsnetzes - Drucksache 7,467 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/509 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat mit Schreiben vorn 2. Mai 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauser ({26}), Vogel ({27}), Dr. Lenz ({28}), Dr. Kliesing, Dr. Waffenschmidt, Dr. Frerichs, Kunz ({29}), Dr. Hammans, Köster und Genossen betr. Entschädigung für Deutsche, die auf Grund der zivilrechtlichen Immunität von Diplomaten im Geschäftsverkehr mit diesen Schaden erleiden - Drucksache 7'457 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/513 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 3. Mai 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Büchner ({30}), Metzger, Dr. Müller-Emmert, Dr. Penner, Scheffler, Schinzel, Wende, Wrede, Dr. Schmitt-Vockenhausen, Mischnick, Spilzmüller und Genossen betr. Beteiligung des Bundes am kommunalen Sportstättenbau im Rahmen des „Goldenen Planes" - Drucksache 7/449 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/515 verteilt.
Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung vom 3. April 1973 im Einvernehmen mil allen Fraktionen vereinbart, daß in der Woche vom 2. April keine Fragestunde stattfindet. Die für diese Woche eingereichten Mündlichen Fragen ({31}) sind vereinbarungsgemäß schriftlich beantwortet worden, sofern sie von den Fragestellern nicht zurückgezogen worden sind. Die Antworten auf die Mündlichen und auf die Schriftlichen Fragen sind als Anlagen 2 bis 166 abgedruckt.
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Elektrizitätszähler
- Drucksache 7/379 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({32}) des Rates
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Arabischen Republik Ägypten raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle,
der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Arabischen Republik Ägypten
PP
- Drucksache 7/387 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({33}) des Rates zur zeitweiligen Aussetzung von autonomen Zollsätzen des Gemeinsamen Zolltarifs für Äthylendibromid der Tarifstelle ex 29.02 A III
- Drucksache 7/450 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
über bestimmte Maßnahmen, die im Agrarsektor im Anschluß an die Entwicklung der Währungssituation zu treffen sind
über die Angleichung der Preise infolge der Währungsereignisse zur Festsetzung der in der Landwirtschaft für die Währungen bestimmter Mitgliedstaaten anzuwendenden repräsentativen Kurse
- Drucksache 7/451 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({34}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Vorschlag der Kommission an den Rat betreffend die Festsetzung der Preise für verschiedene landwirtschaftliche Erzeugnisse und bestimmte Folgemaßnahmen
- Drucksache 7/453 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aerosols
- Drucksache 7/461 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({35}) des Rates zur vierten Änderung der Verordnung ({36}) Nr. 1599/71 zur Festsetzung zusätzlicher Bedingungen, denen eingeführter Wein, der zum unmittelbaren menschlichen Verbrauch bestimmt ist, entsprechen muß - Drucksache 7/462 überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 146 /67/ EWG hinsichtlich der Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für bestimmte geschlachtete Enten
- Drucksache 7'473 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Extrakte aus Kaffee, Tee und aus Kaffee- und Teemitteln einschließlich Zichorie sowie die Mischungen auf der Grundlage dieser Extrakte
- Drucksache 7/474
Präsident Frau Renger
überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({37}) des Rates über die Beteiligung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung, für das Jahr 1973
- Drucksache 7/490 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({38}) des Rates zur Änderung des Anhangs II der Verordnung ({39}) Nr. 823/68 hinsichtlich der Zulassungsbedingungen für bestimmte Käsesorten
- Drucksache 7'491 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({40}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 121 /67/ EWG hinsichtlich der Feststellung der Preise für geschlachtete Schweine in der Gemeinschaft
- Drucksache 7/493 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({41}) des Rates über das Verfahren zur Erleichterung der Ausstellung von Warenverkehrsbescheinigungen, die in den Vorschriften über den Warenaustausch zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und bestimmten Ländern vorgesehen ist
- Drucksache T494 -überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({42}) des Rates zur Änderung der Bedingungen für die Besoldung und die soziale Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in Belgien dienstlich verwendet werden
- Drucksache 7/492 überwiesen an den Innenausschuß ({43}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({44}) des Rates zur Änderung der Bedingungen betreffend Dienstbezüge und soziale Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden - Drucksache 7/495 überwiesen an den Innenausschuß ({45}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({46}) des Rates
über die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand haben
über die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Portugal eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand haben
über die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Schweden eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand haben
über die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand haben
- Drucksache 7/497 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({47}) Nr. 831/73 des Rates vom 27. März 1973 über die vollständige Aussetzung der autonomen Zoltsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Kartoffeln der Tarifstelle 07.01 A III
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung ({48}) Nr. 884'73 des Rates vom 27. März 1973
zur Änderung der Verordnung ({49}) Nr. 992/72 über die
Grundregeln für die Gewährung der Beihilfe für Seidenraupen
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 7/511 Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsfbereich des Bundesministers der Verteidigung. Die Frage 1 ist von dem Herrn Abgeordneten Schlaga eingebracht:
Ist es unter Sicherheitsaspekten gesehen erforderlich, daß in Ballungsgebieten der Bundesrepublik Deutschland Unterkünfte, insbesondere Übungs- und Flugplätze der US-Army aufrechterhalten und teilweise sogar ausgebaut werden, obwohl die Bevölkerung dieser Gebiete Lärmbelästigungen und Verkehrsbehinderungen in viel höherem Maße als andere ausgesetzt ist?
Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten dürfte.
({0})
Sie möchten getrennte Beantwortung.
Herr Kollege Schlaga, ich bitte um Verständnis dafür, daß meine Antwort etwas länger ausfällt, da die Fragen nicht einfach zu beantworten sind.
Wie Sie wissen, ist die Bundesrepublik auf Grund des NATO-Truppenstatuts verpflichtet, den Streitkräften der Entsendestaaten die von ihnen benötigten Liegenschaften zur Verfügung zu stellen. Die von diesen Streitkräften genutzten Liegenschaften, insbesondere auch die in dem in Ihren Fragen umschriebenen Gebiet, sind zumeist ehemaliges Wehrmachtsgelände oder Grundstücke, die unmittelbar nach Kriegsende auf Grund des damals geltenden Besatzungsrechts in Anspruch genommen worden sind. Dies geschah zum Teil ohne ausreichende Rücksicht auf zivile Belange; zum Teil waren dort seinerzeit noch keine Ballungsgebiete. Heute entsprechen ihre Lage und die militärische Nutzung vielfach nicht mehr den Erfordernissen städtebaulicher Entwicklung, der Raumordnung und des Lärmschutzes.
Die an sich wünschenswerte Verlegung von Verteidigungsliegenschaften aus Ballungsgebieten scheitert in manchen Fällen an der sehr schwierigen Bereitstellung von geeignetem Ersatzgelände, zumeist aber an den erheblichen Kosten. Z. B. müßten allein für die in letzter Zeit geforderte Verlegung der USA-Garnison Nürnberg etwa 400 Millionen DM aufgewendet werden. Somit ist es erforderlich, dafür Sorge zu tragen, daß die vorhandenen Liegenschaften auf Grund ihrer vorhandenen Einrichtungen weiterhin militärisch effektiv und kostenwirksam genutzt werden.
Bei der Standortwahl neuer Verteidigungsanlagen werden im allgemeinen weniger besiedelte, wirtschaftlich schwach strukturierte Gebiete bevorzugt. Militärische Überlegungen decken sich hierbei im
Pari. Staatssekretär Berkhan
Ergebnis vielfach mit Zielen der Raumordnung, z. B. Bewegungsfreiheit für die Verbände einerseits und die wirtschaftliche Stärkung des Gebietes durch Errichtung einer Garnison andererseits. Wertvolle land- und forstwirtschaftliche Flächen werden nach Möglichkeit geschont, Verteidigungsanlagen werden nach Möglichkeit in ausreichender Entfernung von der Ortsbebauung erstellt.
Die Verteidigungsplanung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfordert eine Abdeckung vor allem des grenznahen Raumes mit einem ausreichend dichten Netz von Einrichtungen zur Unterbringung, Versorgung und Ausbildung der Truppen sowie mit Anlagen der Kampfführung. Militärische Übungsplätze müssen jeweils in zumutbarer Entfernung zum Standort der Truppe und auf dem Gelände, das für die vorgesehene Verwendung geeignet ist, angelegt werden.
Ist eine Verlegung der Garnisonen aus den zuvor genannten Gründen nicht möglich, dann läßt es die Enge des Bundesgebietes manchmal nicht zu, Flächen in der Nähe dichtbesiedelter Wohngebiete sowie Flächen, die der Naherholung dienen, bei der Auswahl von Gelände für Übungsplätze auszusparen.
Bitte, Herr Abgeordneter Schlaga, zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ich teile einige Ihrer Auffassungen. Aber teilen Sie auch meine Auffassung - dabei gehe ich davon aus, daß Sie wie ich der Meinung sind, daß die Fragen 1 und 2 trotz scheinbarer Gegensätzlichkeiten eine jeweils sehr unterschiedliche Problematik ansprechen -, daß es unzumutbar ist, wenn man eben in diesen Ballungsräumen Schießplätze - ich will jetzt keinen Namen nennen, könnte sie Ihnen hier aber durchaus aufzählen - und Landeplätze trotz jahrelanger Verhandlungen bestehen läßt, die unmittelbar im Verkehrsgebiet des Raumes Frankfurt-Rhein-Main liegen, und ist Ihnen bekannt, daß Panzerkolonnen in diesen Ballungsgebieten morgens die Straßen verstopfen und daß man darüber hinaus, wie es ja durch die Zeitungen gegangen ist, z. B. eine Landebahn mitten in einem Ballungsgebiet verlängern will, um dort entsprechend PS-stärkere oder schubstärkere Flugzeuge starten und landen zu lassen?
Ich teile diese Ihre Auffassung nicht und habe meine Gründe in der Antwort, die ich Ihnen vorgetragen habe, dargelegt. Ich muß Sie daran erinnern, daß äußere Sicherheit es auf der einen Seite erforderlich macht, Truppen zu stationieren, aber auf der anderen Seite stationierte Truppen Übungen machen und Übungsgelände zur Verfügung gestellt bekommen müssen. Es ist in der dicht besiedelten Bundesrepublik nicht möglich, dabei nur an schwächer besiedelte Gebiete zu denken.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, was gedenken Sie z. B. dagegen zu tun - Sie müßten dieser Frage entnehmen können, daß meine zweite Frage wahrlich nicht etwa von antiamerikanischen Umtrieben getragen ist, was man heute ja immer betonen muß -, daß eine deutsche Wohnungsbaugesellschaft dem Fiskus 10 Millionen DM anbietet, und zwar, soweit ich das bis jetzt verfolgen konnte, mit Erfolg, damit ein kleiner US-Flugplatz aus einem Frankfurter Vorort nur um weniger Kilometer nördlich verlegt wird, wo allerdings eine Startbahnverlängerung erfolgen soll- es handelt sich ebenfalls um ein dicht besiedeltes Gebiet -, und das freigekaufte Gelände zu lukrativen Privatbauten verwendet werden kann?
Herr Kollege Schlaga, ich kann darauf keine Antwort geben, weil ich diesen Fall nicht kenne. Ich bin aber gern bereit, mich zu informieren und Ihnen dann eine Antwort zu geben. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß es Vereinbarungen zwischen uns und den Stationierungsstreitkräften gibt, die die Belästigung der Bevölkerung auf ein mögliches Mindestmaß herabdrücken sollen. Aber Streitkräfte, gleichgültig, ob es verbündete oder eigene sind, bedürfen nun einmal eines Übungsgeländes. Es ist leider unvermeidbar, daß fahrende Kettenfahrzeuge oder fliegende Waffensysteme Lärmbelästigung verursachen, und es ist unvermeidbar, daß die Stationierung auch nach den Grundsätzen der Verteidigung und nicht ausschließlich nach denen der Raumplanung erfolgen muß.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß einer der Gründe für das Scheitern von Verlegungen in den Kosten liegt. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir einer Meinung sind, daß bei der Abwägung zwischen den Kosten und der gesundheitlichen Schädigung der Bevölkerung, etwa durch Lärmeinwirkung, der Gesundheit die Priorität gebührt.
Herr Kollege Hansen, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß das alles in einem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut geregelt ist. Die Regelung ist so getroffen, daß die entsprechenden Landesbehörden eingeschaltet werden. Wenn es wirklich so ist, wie es aus Ihrer Frage her-ausklingt, daß die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet ist, dann kann ich nicht verstehen, daß die zuständigen Landesbehörden in diesen Gebieten das Entstehen von Siedlungen zugelassen haben. Denn die Truppenübungsplätze bzw. die Flugplätze waren vorher da. In dem Landbeschaffungsgesetz heißt es,
daß die Landesregierung unter angemessener Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung, insbesondere der landschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen sowie der Belange des Städtebaus und des Naturschutzes zu dem Vorhaben Stellung zu nehmen hat. Die zuständigen Behörden haben dazu Stellung genommen. Ich kann nicht verstehen, daß Sie hier jetzt die Bundesregierung fragen, warum sie, nachdem das geordnete Verfahren abgelaufen ist, nun nicht zu anderen Maßnahmen kommen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Riedel-Martiny!
Herr Staatssekretär, die in der Bundesrepublik bestehenden Übungseinrichtungen der NATO gehen zum großen Teil auf Übungsplätze zurück, die bereits vor dem Krieg bestanden haben. Ich würde gern wissen, ob sich das Bundesministerium der Verteidigung jemals bemüht hat - und, wenn ja, wann und wo -, solche bestehenden Einrichtungen aus den Ballungsgebieten zu entfernen.
Frau Kollegin, Ihre Annahme ist richtig. Nur die Schlußfolgerungen, die Sie ziehen, sind falsch. Die Ballungsgebiete haben sich um die militärischen Anlagen entwickelt, und nicht die militärischen Anlagen sind in die Ballungsgebiete hineinverlegt worden. Außerdem muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das ein Recht ist, welches im Truppenstatut für die Entsendestreitkräfte geregelt ist. Ich kenne keinen Übungsplatz, der der Bundeswehr zugeordnet ist und der sich in einem Ballungsgebiet befindet.
Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
Sind die in letzter Zeit erfolgten und eventuell auch weiter vorgesehenen Dislozierungsmaßnahmen von Einheiten der US-Army im bayerisch-baden-württembergischen Raum von so großem taktischen oder strategischen Vorteil für Verteidigungsmaßnahmen im vorderen NATO-Raum, daß die zuständigen Stellen meinen, die aus den genannten Gründen in der Bevölkerung entstandene und anhaltende Unruhe - verbunden mit Protestaktionen - in Kauf nehmen zu können?
Berkhan, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Herr Kollege, die Neudislozierungen der US Army verkürzen in der Tat die Entfernungen vom Friedensstandort zum Einsatzraum erheblich, verkürzen somit den Zeitbedarf für den Aufmarsch, erhöhen den Präsenzwert und nützen somit dem Konzept der Vorneverteidigung, welches wieder ein Standbein für die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist.
Die Bundesregierung ist sich der Belästigungen bewußt, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist. Überall dort, wo Streitkräfte sind, ist ein wechselseitiges Rücksichtnehmen zwischen Streitkräften und Bevölkerung erforderlich. Sie können sicher sein, daß die Bundesregierung und die beteiligten Stellen permanent bemüht sind und bleiben werden, die Auswirkungen zu begrenzen.
Die Bundesregierung ist aber auch um die Aufrechterhaltung der unverminderten Präsenz der Stationierungsstreitkräfte und insbesondere der US- Truppen in der Bundesrepublik Deutschland bemüht. Sie wird deshalb alles tun, um ihnen die Erfüllung ihrer Einsatz- und Ausbildungsaufgaben in der Bundesrepublik nicht zu erschweren.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie ernsthaft der Meinung, daß eine Verlegung um, sagen wir, 50 km nach Westen oder nach Osten bei der vorhandenen Mobilität moderner Truppen, auch unter Einbeziehung von Big Lift, im Ernstfall konfliktentscheidend ist, wie Sie eben dargelegt haben?
Berkhan, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Herr Kollege Schlaga, es steht mir in dieser Funktion, die ich hier ausübe, nicht an, mit Ihnen zu polemisieren. Aber ich würde Sie bitten, Begriffe wie „Big Lift" aus dieser Fragestellung herauszuhalten. Das hat nichts damit zu tun. Big Lift hat eine andere Aufgabe, und Sie sind als Mitglied des Verteidigungsausschusses durchaus informiert, wofür die NATO Big Lift zur Verfügung hat. Ich möchte Sie also darauf hinweisen, daß das nicht möglich ist. Die Stationierungsplanung ist dem Verteidigungsausschuß mehrere Male ideal typisch und real vorgetragen worden, und ich habe kein einziges Mal einen Einwand oder Vorschläge aus dem Verteidigungsausschuß vernommen, bestimmte Stationierungsmaßnahmen um, sagen wir, 50 oder 30 km westlich oder nördlich oder östlich, wie auch immer, zu verschieben. Ich habe immer nur vernommen, daß man hier im Haus und in der öffentlichen Diskussion sagt: Jawohl, wir sind für Verteidigung, wir sind auch für Stationierungsstreitkräfte; aber bitte machen Sie das im Nachbarkreis und machen Sie das nicht bei uns!
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, es liegt mir fern zu polemisieren. Trotzdem gestatten Sie mir noch eine weitere Zusatzfrage, die möglicherweise den Charakter der Polemik trägt, weil ich nämlich tatsächlich nicht in der Lage bin, dem, was Sie vorgetragen haben, zu folgen.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie nur darauf aufmerksam machen, daß nach den Richtlinien möglichst kurze Fragen zu stellen sind.
Die Frage ist ganz kurz. - Ist es denkbar, daß in Brüssel oder in Heidelberg oder in Washington ein Stabsoffizier oder eine Gruppe von Stabsoffizieren sitzt, die - wie könnte man das
nennen? - lediglich einen Tätigkeitsnachweis benötigt - weil vielleicht die Planstellen in Gefahr sind - und solche Maßnahmen, die ich nicht für sinnvoll halte, befohlen hat?
Herr Kollege Schlaga, Sie werden bei der Haushaltsberatung Gelegenheit nehmen können, mir Planstellen zu nennen, die ersatzlos gestrichen werden können, weil die Inhaber der Planstellen ohne Beschäftigung sind. Ich bin dankbar dafür, wenn Sie mir das nachweisen. Ich bin besonders dankbar dafür, weil ich ohnehin unter der Auflage stehe, 1000 Planstellen einzusparen, dies allerdings im Beamtenbereich. Im Soldatenbereich würde ich dem gerne folgen, wenn Sie mir den Nachweis führen können, daß wir so fahrlässig mit Planstellen umgehen.
Nichtsdestoweniger kann ich nicht bestreiten, daß in großen Apparaturen - seien es öffentlich-rechtliche Körperschaften oder Komplexe der Industrie oder privater Verwaltung - bestimmte Stelleninhaber oder bestimmte Arbeitnehmer natürlich nicht so ausgelastet sind, wie man sich das von der Leitung des Unternehmens her wünschen möchte. Da sind war aber darauf angewiesen, daß die Leute, die das wissen, uns sagen, wo solche schwachen Stellen sind.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß hinsichtlich der Maßnahmen, die zur Beschränkung des Flugplatz-Bodenlärms auf das unvermeidbare Mindestmaß ({0}) ergriffen werden können, bei Flugplätzen der ausländischen Streitkräfte auf Kosten der Anlieger andere Dringlichkeitsmaßstäbe vertretbar sind als bei Zivil- oder bei von der deutschen Bundeswehr betriebenen Flugplätzen?
Frau Präsidentin, Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworten dürfte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 74 des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Ist die Bundesregierung bereit - ungeachtet der Frage späterer Kostentragung - auch bei von ausländischen Streitkräften betriebenen Flugplätzen eine eigene Untersuchung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, die klären kann, welche vom Boden ausgehenden Geräusche mit welchen Mitteln behehbar wären, um auf diese Weise eine ausreichende Grundlage für Verhandlungen mit den ausländischen Streitkräften über die Verwirklichung solcher Maßnahmen zu haben?
Hinsichtlich der Maßnahmen zur Verminderung des Flugplatz-Bodenlärms bei Flugplätzen der Entsendestreitkräfte sollten die gleichen Dringlichkeitsmaßstäbe angewendet werden wie bei den zivil- und bundeswehrgenutzten Flugplätzen. Als bisher optimale Lösung gilt nach Auffassung aller Fachleute der auch von der Bundeswehr praktizierte Bau von Lärmschutzhallen.
Bei den Flugplätzen der Entsendestreitkräfte sind sogenannte „Lärmdämpfungseinrichtungen" erstellt worden, die im Verhältnis zu den geschlossenen Lärmschutzhallen eine offene Kabine darstellen.
Ich darf Sie, Herr Kollege, aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß auch auf den zivilen Flugplätzen mit einer Ausnahme, und zwar auf dem Flughafen Hamburg, Lärmschutzhallen nicht bestehen, sondern lediglich Lärmschutzkabinen ähnlicher Art, wie sie auf den Flugplätzen der Entsendestreitkräfte zum Teil bereits vorhanden sind.
Ich habe Sie, Herr Kollege, mit meinem Schreiben vom 5. April 1973 über die Bemühungen der Bundesregierung unterrichtet, die Entsendestreitkräfte ebenfalls zur Errichtung von Lärmschutzhallen zu veranlassen. Die Bundesregierung wird diese Bemühungen im Interesse der betroffenen Bevölkerungskreise selbstverständlich fortsetzen.
Herr Kollege, ich wies ja bereits darauf hin, daß nach Auffassung der Bundesregierung die derzeit optimale Lösung zur Vermeidung von Lärmbelästigungen der Bau von Lärmschutzhallen ist. Die von Ihnen angeregte Untersuchung erscheint mir daher nicht mehr notwendig.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ich möchte mich auf die Antwort vom 5. April 1973 beziehen, in der mitgeteilt wird, daß die Bundeswehr trotz fehlender Kriterien der NATO - und deswegen fehlender Kostentragungspflicht der NATO - bei ihren Flugplätzen etwas zur Lärmbekämpfung getan habe. Im Hinblick auf den bestimmten Fall wird dann erklärt: „die Bundesregierung wird die Streitkräfte bitten". Ich frage, ob nicht allein dadurch schon eine Schlechterstellung bei NATO-Flugplätzen gegeben ist, nämlich dadurch, daß sich die Bundesregierung dort auf eine reine Bitte beschränkt, während sie bei eigenen Flugplätzen etwas tut.
Herr Kollege, wir sind in unserem Land souverän. Aber wir sind auch verpflichtet, eingegangene Verträge, die unterschrieben und rechtskräftig sind, einzuhalten.
In dem betreffenden Vertrag heißt es in Art. 53, 1:
Eine Truppe und ein ziviles Gefolge können innerhalb der ihnen zur ausschließlichen Benutzung überlassenen Liegenschaften die zur Befriedigung und Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen.
Ich kann daher den Entsenderstreitkräften - unseren verbündeten Streitkräften - keine Weisungen geben, sondern ich kann nur bitten.
Ich will Ihnen aber sagen, daß die Verhandlungen zwischen uns und den betreffenden Entsendestreitkräften in guter Atmosphäre geführt werden. Ich hoffe, daß wir im Endergebnis Erfolg haben
werden. Nur muß man eben wissen: Das Ganze hängt auch mit dem Haushalt zusammen. Sie können nicht erwarten, daß wir auf der einen Seite kein Geld ausgeben und auf der anderen Seite Lärmschutzhallen bauen. Das eine paßt schlecht mit dem anderen zusammen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob die Bundesregierung eine Untersuchung der gegebenen Lärmbeeinträchtigungen deswegen nicht vornimmt, weil das etwa technisch oder weil es rechtlich schwierig ist, oder etwa deswegen, weil die Mittel nicht zur Verfügung stehen? Oder andersherum gefragt: Wenn die ausländischen Streitkräfte einverstanden wären, würde die Bundesregierung dann eine solche Untersuchung finanzieren?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, es geht bei der Untersuchung nicht um die Finanzierung, sondern es geht darum, daß uns die Fakten bekannt sind. Es wird nichts anderes herauskommen als das, was wir schon kennen. Das brauchen wir nicht noch einmal zu untersuchen. Ich habe das in meiner Antwort auf Ihre Frage auch sehr höflich umschrieben. Nach unserer Meinung ist eine Lärmschutzhalle das wirksamste Mittel; aber es ist auch das teuerste Mittel, Herr Kollege. Ich weiß nicht, warum wir noch kostspielige Untersuchungen einleiten und wissenschaftliche Gutachten einholen sollen, wenn die Fakten bekannt sind. Wir wissen, daß von Flugplätzen aus -- seien es militärische oder zivile Flugplätze - Lärmbelästigungen auf die Bevölkerung ausgehen. Auch aus diesem Grunde hat dieses Haus ein Gesetz beschlossen, welches sich mit dem Schutz der Bevölkerung an Flugplätzen beschäftigt. Ich habe gesagt, es sollten die gleichen Maßstäbe gelten. Es braucht nicht untersucht zu werden, sondern wir versuchen, zu Ergebnissen zu kommen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Spies von Büllesheim.
Wird die Verpflichtung des § 19 d des Luftverkehrsgesetzes zur fortlaufenden registrierenden Messung der Geräusche bei den NATO-Flugplätzen in allen Fällen erfüllt?
Ich möchte hier nicht darauf antworten, weil ich mich erst sicher vergewissern will, wie die Antwort lauten muß. Ich gehe aber vorerst davon aus, daß das so ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Haack steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Conradi auf:
Wann wird die Bundesregierung voraussichtlich das in der Regierungserklärung angekündigte Raumordnungsprogramm vorlegen, und wird im Raumordnungsprogramm der Bundesregierung eine Gesamtkonzeption für den Ausbau aller Kontinental- und Interkontinental-Flughäfen der Bundesrepublik Deutschland enthalten sein?
Herr Kollege Conradi, trotz der gebotenen Vorsicht bei Terminankündigungen kann ich hier wohl sagen, daß das Raumordnungsprogramm der Bundesregierung im Jahre 1974 dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden wird. Wir beabsichtigen, dieses Bundesraumordnungsprogramm zusammen mit dem Raumordnungsbericht 1974 und zusammen mit dem Städtebaubericht 1974 dem Hohen Hause vorzulegen. Die Vorarbeiten an diesem Bundesraumordnungsprogramm sind einer der Schwerpunkte der Arbeit unseres Ministeriums. Wie Sie als Mitglied des zuständigen Ausschusses wissen, haben wir darüber auch im Ausschuß bereits berichtet. Das Aufstellungs- und das Abstimmungsverfahren zwischen den Bundesressorts und mit den Ländern ist sehr kompliziert und langwierig.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage anbelangt, so möchte ich feststellen, daß die Entwicklung einer Gesamtkonzeption für den Ausbau der Kontinental- und Interkontinental-Flughäfen Aufgabe der Fachplanungen bei Bund und Ländern, d. h. der für den Luftverkehr zuständigen Ressorts ist. Allerdings wird das Bundesraumordnungsprogramm mit seiner Konzeption für die Entwicklung der Raum- und Siedlungsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 1985 die räumlichen Orientierungsdaten für die Pläne und Programme der Fachplanungen ausweisen und somit auch bestimmte Vorgaben für Großraumprojekte wie Flughäfen enthalten. Dabei handelt es sich vor allem um die für das Jahr 1985 angestrebte Verteilung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen auf die Teilräume des Bundesgebietes. Ich muß aber erneut darauf hinweisen, daß der Bund keinen direkten Einfluß auf die Standortplanungen für Flughäfen in den Bundesländern hat. Dies ist bereits in der Fragestunde vom 14. März 1973 in der Antwort auf Ihre entsprechende Frage von Herrn Bundesminister Vogel dargelegt worden.
Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im 6. Deutschen Bundestag hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen angekündigt, daß dem Bundestag 1973 weitere umfangreiche Ergebnisse der Planungsarbeiten für ein integriertes Gesamtverkehrssystem vorgelegt würden, die dann in das Bundesraumordnungs1420
programm eingehen sollten, und er hat konkret von langfristigen Zielen des Bundes für den Ausbau der Flughäfen gesprochen. Meine Frage: Sind diese umfangreichen Untersuchungen Ihrem Hause zugegangen, und wird dem Bundesraumordnungsprogramm eine Gesamtkonzeption für den Verkehr zugrunde liegen?
An diesen Arbeiten im Verkehrsbereich, die Sie gerade erwähnen, wird nach meiner Kenntnis im Bundesverkehrsministerium gearbeitet; nur wird das in diesem Bundesraumordnungsprogramm 1974 nicht unmittelbar seinen Niederschlag finden, sondern nur in dieser allgemeinen Form, die ich hier soeben angedeutet habe. Das schließt nicht aus, daß vom zuständigen Ressort in der Bundesregierung, in diesem Falle vom Bundesverkehrsministerium, solche Planungen dann auch bekanntgemacht werden; aber sie werden nicht detailliert in dieses Bunraumordnungsprogramm eingehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Entscheidungen der Bundesregierung, sich an Flughafenprojekten zu beteiligen, und zwar mit erheblichen finanziellen Folgen, nicht vertretbar sind, solange ein Gesamtverkehrsprogramm, das auch raumordnungsmäßig abgesichert ist, nicht vorliegt?
Sie haben sicherlich recht - in diesem speziellen Fall -, daß solche Großprojekte am besten in einem größeren Zusammenhang zu sehen und auch im Rahmen einer größeren Planung zu entscheiden sind. Ich möchte mich hier aber nicht weiter dazu äußern, da es eine spezielle Frage an das Bundesverkehrsministerium ist. Ich möchte noch einmal auf meine Antwort im Zusammenhang mit dem Bundesraumordnungsprogramm verweisen, in dem die speziellen Planungen nicht ihren unmittelbaren Niederschlag finden werden.
Herr Dr. Hirsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird sich die angekündigte Gesamtkonzeption nur auf den Ausbau bereits bestehender Flughäfen oder auch auf die Neuanlage von Flughäfen beziehen, und ist in diesem Zusammenhang auch die Neuanlage eines Flughafens in Nordrhein-Westfalen vorgesehen?
Ich bitte zu berücksichtigen, daß ich hier nicht als Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums spreche, und bitte, diese Frage vielleicht in einer der nächsten Fragestunden an das Bundesverkehrsministerium zu richten.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Riedel-Martiny!
Herr Staatssekretär, ich will mich bemühen, etwas mehr auf den raumordnerischen Aspekt zurückzukommen. Im Raumordnungsbericht 1972 ist auf Seite 114 erwähnt, daß eine Kosten-Nutzen-Analyse zur Beurteilung von Investitionen im Fernverkehr der Deutschen Bundesbahn und im Luftverkehr der Bundesrepublik Deutschland -
Frau Kollegin, ich bitte, kurze Frage zu stellen.
Ja. - Es heißt also dort, daß eine solche Kosten-Nutzen-Analyse erstellt wurde, die aber noch nicht ausgewertet ist. Ist damit zu rechnen, daß diese Auswertung noch im Laufe dieses Jahres erfolgt, oder meinen Sie, daß sie erst im Laufe des nächsten Jahres im Zusammenhang mit dem Raumordnungsbericht 1974 vorgelegt werden wird?
Ich kann diese Frage nicht ganz detailliert beantworten, weil sie fachlich wieder in die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums fällt. Ich möchte nur auf einen gewissen Unterschied hinweisen zwischen dem Raumordnungsbericht aus dem Jahre 1972 und dem Raumordnungsprogramm, auf das ja in der Frage ,des Herrn Kollegen Conradi speziell Bezug genommen und das für das Jahr 1974 angekündigt worden ist. Es ist klar, daß im Bundesraumordnungsbericht allgemein über diese Fragen auch schon gesprochen worden ist. Die Frage, um die es hier ging, war die, ob in dem Bundesraumordnungsprogramm, das im Jahre 1974 vorgelegt werden wird, speziell auch auf diese Einzelfragen oder Fachplanungen im einzelnen eingegangen werden wird. Darauf habe ich mich vorhin in meiner Antwort bezogen und habe die Frage verneint.
Herr Kollege Hansen zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die voraufgegangene Diskussion über Militärflughäfen möchte ich Sie fragen, ob Sie in Ihre zukünftige Planung auch die Militärflughäfen einbeziehen werden und ob Sie mit mir der Meinung sind, daß zur Raumordnung in Zukunft auf jeden Fall auch die Ordnung des Luftraums in bezug auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs gehört.
Es kann gar keinen Zweifel darüber geben, daß Raumordnungsgesichtspunkte auch im militärischen Bereich zu berücksichtigen sind. Herr Staatssekretär
Berkhan hat ja vorhin in der Beantwortung einer Frage darauf hingewiesen, ,daß auch nach den Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes Raumordnungsgesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Auch zu der Entscheidung über militärische Anlagen werden deshalb aus Raumordnungsgesichtspunkten die Meinungen auch aus unserem Zuständigkeitsbereich dargelegt.
Wir kommen zu der Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens:
Ist die Bundesregierung bereit, die Zusammenarbeit in den grenziiberschreitenden Regionen Europas dadurch zu fördern, daß sie die in der Empfehlung Nr. 693 der Beratenden Versammlung des Europarats gemachten Vorschläge unterstützt?
Herr Kollege Ahrens, im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen möchte ich Ihre Frage wie folgt beantworten.
In der sehr ausführlich gehaltenen Empfehlung 693 betont die Beratende Versammlung des Europarats, daß die Intensität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Gradmesser für die Annäherung der Völker in Europa sei, und empfiehlt eine Reihe von Maßnahmen, um die europäische Zusammenarbeit in Grenzgebieten zu verstärken. Auch die Bundesregierung mißt der Zusammenarbeit mit ihren Nachbarstaaten auf dem Gebiet der Raumordnung in den Grenzgebieten eine besondere Bedeutung bei und ist seit Jahren um eine intensivere Förderung der grenzüberschreitenden Raumordnung bemüht. Bereits auf der ersten Europäischen Raumordnungs-Ministerkonferenz 1970 in Bonn hat sie sich dafür eingesetzt, daß die Zusammenarbeit der europäischen Staaten in den Grenzgebieten zu einer vordringlichen Aufgabe der Konferenz erklärt wurde. Ihren praktischen Ausdruck findet die Auffassung der Bundesregierung auch in der bilateralen Zusammenarbeit mit den Niederlanden und Belgien in den seit mehreren Jahren erfolgreich arbeitenden Raumordnungskommissionen.
Weitere zwischenstaatliche Raumordnungskommissionen, deren Einsetzung den Mitgliedstaaten des Europarates in der Empfehlung 693 der Beratenden Versammlung besonders nahegelegt wird, sind mit der Schweiz, Österreich und Frankreich in Vorbereitung. Die Bundesregierung ist bereit, auch mit den übrigen Nachbarstaaten auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Raumordnung zusammenzuarbeiten. Das gilt im übrigen auch für die DDR.
Die Bundesregierung betrachtet die Zusammenarbeit in den Grenzregionen als einen wesentlichen Beitrag zur Integration in Europa. Auf Grund dieser von mir eben aufgezeigten positiven Haltung in den Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumordnung begrüßt die Bundesregierung ausdrücklich die Empfehlung 693 der Beratenden Versammlung des Europarats und ist auch bereit, diese, soweit es um ihre Zuständigkeit geht, grundsätzlich zu unterstützen. Allerdings bedürfen einzelne Vorschläge und in dieser Empfehlung angeschnittene Probleme noch einer eingehenden Prüfung sowohl seitens der Bundesregierung als auch im zwischenstaatlichen Bereich und auf europäischer Ebene durch die in Frage kommenden Gremien und Ausschüsse.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung die Auffassung der Beratenden Versammlung des Europarates teilt, eine wirkungsvolle Planung und Entwicklung der grenzüberschreitenden Regionen sei nur unter Beteiligung der kommunalen Körperschaften und auch der Bevölkerung möglich?
Sie dürfen das daraus schließen. Wir sind der Auffassung, daß gerade auch die Beteiligung kommunaler und regionaler Gremien in diesem Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von ganz entscheidender Bedeutung ist. Vielleicht darf ich darauf hinweisen, daß etwa - Sie werden es ja selbst wissen - in der deutsch-niederländischen Raumordnungskommission eine solche Zusammenarbeit auch mit kommunalen und anderen Gremien bereits praktiziert wird.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Wann wird die Bundesregierung Verhandlungen mit unseren Nachbarstaaten mit dem Ziel aufnehmen, die Voraussetzungen für die Bildung gemeinschaftlicher Einrichtungen - etwa grenzüberschreitender Zweckverbände - zu schaffen?
Da die Bundesregierung, wie ich eben auf Ihre Anfrage sagte, grundsätzlich hinter dieser Empfehlung des Europarats steht, wird sie bei ihren Kontakten mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und des Europarates diese Dinge in die Diskussion bringen, und sie nimmt an, daß auch auf den nächsten Ministerkonferenzen darüber gesprochen werden muß und daß man hier zu positiven weiteren Entwicklungen kommen kann.
Danke, Herr Staatssekretär!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold ist zur Beantwortung bereit.
Ich rufe Frage 128 des Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß seit Beginn dieses Jahres an der Zonengrenze in Lüchow-Dannenberg seitens der DDR neue Grenzbefestigungen ({1}) eingeführt worden sind, wel1422
Präsident Frau Renger
die Sinngebung und Aufgabenstellung sieht die Bundesregierung in diesen neuen Maßnahmen der DDR-Regierung, und wie vertragen sich diese Maßnahmen mit der These der Bundesregierung von der zunehmenden Durchlässigkeit der Demarkationslinie?
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich darf die Frage 128 wie folgt beantworten. Seit dem Bau der Mauer 1961 und der Anlegung eines Minengürtels hat die DDR ihr Sperrsystem ständig ausgebaut. Die Bundesregierung hat wiederholt über neue Bau- und Sperrmaßnahmen berichtet und ihre Kritik unmißverständlich geäußert. Beides bezieht sich auch auf die seit Beginn dieses Jahres im Raum Lüchow-Dannenberg fortgesetzten Arbeiten an den DDR-Grenzsicherungsanlagen und der Anlage neuer Befestigungen in diesem Abschnitt.
Die Perfektionierung der Sperrmaßnahmen unterstreicht die Notwendigkeit der Entspannungsbemühungen der Bundesregierung, die darauf gerichtet sind, die Kontaktmöglichkeiten für die Menschen in beiden Staaten zu verbessern und zu vermehren und im Endeffekt eine Lage zu schaffen, in der Sperrmaßnahmen hoffentlich ihren Sinn verlieren.
Der Anstieg der Reisezahlen in dem Zeitraum seit Bestehen der erweiterten Reise- und Besuchsmöglichkeiten, über den die Bundesregierung in den letzten Wochen wiederholt auf Fragen von Abgeordneten berichtet hat, beweist nach Auffassung der Bundesregierung, daß die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten in der Tat durchlässiger geworden ist.
Das ändert nichts daran, daß die Bundesregierung die anachronistischen Grenzbefestigungen der DDR, vor allem aber den Gebrauch von Waffen, verabscheut und aufs schärfste verurteilt.
Eine Zusatzfrage? -Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, wann und in welcher Weise hat die Bundesregierung zu den neuen Grenzbefestigungsanlagen in Lüchow-Dannenberg Stellung genommen? Und ist der Bundesregierung bekannt, ob diese neuartigen Grenzbefestigungsanlagen auch in anderen Bereichen der Demarkationslinie eingerichtet worden sind?
Sie sind in verschiedenen Bereichen der Grenze von Lübeck bis nach Hof verstärkt und geändert worden. Neue Grenzsicherungsanlagen sind errichtet worden. Ich selbst habe bei meinem letzten Aufenthalt in Bergen ({0}) über diese Sperrmaßnahmen mit Journalisten öffentlich diskutiert und meine Ansichten dazu erläutert. Ich habe außerdem hier in diesem Haus auf Fragen, die im Zusammenhang mit den sogenannten Todesmaschinen stehen, meine Meinung dargelegt. Über diese Dinge ist also mehrfach gesprochen worden. Darüber hinaus ist auch die Offentlichkeit über sie unterrichtet worden.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder.
Herr Staatssekretär, haben Sie mit Vertretern der DDR über Sinn und Zweck dieser neuen Grenzbefestigungen gesprochen?
Über den Sinn dieser Grenzbefestigungen brauchen wir nach meiner Auffassung nicht, über ihren Zweck könnte man mit den Vertretern der DDR reden. Auf jeden Fall ist bei den Gesprächen immer wieder unser Protest zum Ausdruck gebracht worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, treffen nach Ihrer Kenntnis Behauptungen zu, daß diese Minenfelder längs der Zonengrenze die größten Minenfelder sind, die es je in der Weltgeschichte gegeben hat, und welche Möglichkeiten sehen Sie, dem entgegenzuwirken?
Über unsere Einwirkungsmöglichkeiten habe ich bereits gesprochen. Wir versuchen, den Absperrmaßnahmen durch unsere Politik und durch unsere Vorstellungen entgegenzuwirken, die wir den Unterhändlern der anderen Seite bei jeder Gelegenheit mit Nachdruck darlegen. Ob die Minenfelder an der Grenze der Bundesrepublik die größten der Weltgeschichte sind, ist mir nicht bekannt. Darüber müßte man einmal eine Berechnung anstellen lassen.
Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Ernesti auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Wüster auf:
1st der Bundesregierung bekannt, daß Absolventen des Berufsgrundbildungsjahrs in einigen Berufen, z, B. im Bankgewerbe, die Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahrs auf die Lehrzeit mit dem Hinweis verweigert wird, daß die Berufsbilder ausschließlich eine dreijährige praktische Ausbildung vorsehen, und wird die Bundesregierung im Zuge der Neugestaltung der Ausbildungsrichtlinien und, soweit sie dafür nicht zuständig ist, in Verhandlungen mit den Kammern darauf dringen, daß das Berufsgrundbildungsjahr auf die Ausbildung voll angerechnet wird?
Herr Kollege Wüster, wie ich bereits auf eine entsprechende Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke in der FrageParl. Staatssekretär Zander
stunde vom 14. Februar 1973 erklärte, ist der Bundesregierung bekannt, daß auch Absolventen eines Berufsgrundbildungsjahres und einer zweijährigen Berufsfachschule Schwierigkeiten haben, Ausbildungsverträge unter Berücksichtigung der Anrechnungsverordnung vom 4. Juli 1972 abzuschließen.
Soweit der Bundesregierung bekannt ist, treten diese Schwierigkeiten vornehmlich bei den durch die Verordnung über die Berufsausbildung in der Elektrotechnik vom 12. Dezember 1972 neu anerkannten Ausbildungsberufen auf.
Möglichkeiten zur Überwindung dieser Probleme wurden auf Initiative der Bundesregierung inzwischen mit den beteiligten Gewerkschaften, Fachverbänden und den Spitzenorganisationen der Wirtschaft sowie im Bundesausschuß für Berufsbildung erörtert. Konkrete Maßnahmen sind auf Grund der Beratungsergebnisse bereits eingeleitet worden.
Der Bundesregierung ist bisher nicht bekanntgeworden, daß die Anrechnung mit der Begründung verweigert wird, daß die Ausbildungsordnungen ausschließlich eine dreijährige praktische Ausbildung vorsehen. Eine solche Begründung wäre auch unzutreffend.
Die Ausbildungsordnungen sind nämlich so gefaßt, daß sie einen flexiblen, zeitlichen Ablauf der Berufsausbildung sowie entsprechende Kürzungen im Falle der Anrechnung des Besuchs beruflicher Schulen durchaus zulassen. Selbstverständlich wird die Bundesregierung auch in diesen Fällen darauf drängen, daß das Berufsgrundbildungsjahr voll angerechnet wird. Sie wird, soweit die Bundesregierung selbst zuständig ist, durch eigene Maßnahmen und darüber hinaus durch Einwirkungen auf andere Beteiligte auf Abhilfe drängen.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Wüster.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob in Ihrem Hause sichergestellt ist, daß - wenn ja, bis zu welchem Zeitpunkt - die Rahmenpläne für fachbezogenen Unterricht im Berufsgrundbildungsjahr an die Ausbildungsordnungen angepaßt werden?
Herr Kollege Wüster, dies ist ein Prozeß der gegenseitigen Abstimmung von Ausbildungsordnungen, die der Kompetenz des Bundes zugeordnet sind, und Rahmenplänen, die von den Ländern vertreten und von ihnen erlassen werden.
Die Bundesregierung bemüht sich auch in dem Prozeß der Änderung und Erneuerung von Ausbildungsordnungen, die Anpassung der Rahmenpläne und ihre Abstimmung mit den Ausbildungsordnungen sicherzustellen.
Ich habe vorhin auf das Beispiel der Elektro-Berufe verwiesen, in denen die Schwierigkeiten, von denen Sie an Hand eines anderen Beispiels sprachen, aufgetreten sind. Hier ist es - und zwar sehr kurzfristig - durch eine große Kooperationsbereitschaft der Beteiligten gelungen, diese Abstimmung sehr schnell vorzunehmen. Dies ist ein ständiger Prozeß, der auch mit der Erneuerung von Ausbildungsordnungen zusammenhängt.
Die Bundesregierung bemüht sich sehr darum, hier keine Lücken entstehen zu lassen, durch die dann für Jugendliche Schwierigkeiten entstehen können.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist darüber hinaus gewährleistet, daß die neuen Ausbildungsordnungen nicht die Reform der Sekundarstufe II in Zukunft blockieren?
Das ist ein längerfristiges Problem, Herr Kollege Wüster. Es ist in der Perspektive der Entwicklung von Ausbildungsordnungen durchaus eingeschlossen, solche Integrationsformen zu finden. Auch hier wird sich die Entwicklung nur Schritt für Schritt vollziehen lassen. Es ist aber darauf zu achten, daß diese Entwicklung offengehalten wird und nicht verbaut wird.
Ich danke Herrn Staatssekretär Zander.
Die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Dr. Franz aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe Frage 68 des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff auf:
Wann wird die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf über die Abschaffung der Steuerprivilegien in der Kreditwirtschaft zuleiten?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Rahmen des Zweiten Steuerreformgesetzes die vermögensteuerrechtlichen und die gewerbesteuerrechtlichen Vorschriften zum Abbau der Privilegien im Kreditgewerbe vorgelegt. Da der Gesetzentwurf wegen der vorzeitigen Auflösung des 6. Deutschen Bundestages nicht mehr beraten werden konnte, ist er von den Fraktionen der SPD und FDP zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens im Januar dieses Jahres erneut initiativ eingebracht worden.
Der Finanzausschuß des Bundestages hat am 14. März 1973 mit den Beratungen des Entwurfs begonnen und zunächst die neuen Vorschriften des Grundsteuerrechts verabschiedet. Anschließend sollen nach dem Beschluß des Ausschusses zunächst die Erbschaftsteuer und dann die Vermögen- und Gewerbesteuer beraten werden.
Die körperschaftsteuerrechtlichen Vorschriften zur Neuregelung der Besteuerung im Kreditgewerbe
wird die Bundesregierung im Rahmen des Dritten Steuerreformgesetzes im Herbst dieses Jahres dem Parlament vorlegen.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glaubt die Bundesregierung im Hinblick darauf, daß es sich hier um einen Steuerausfall in Form von Subventionen in Höhe von knapp 1 Milliarde DM pro Jahr handelt, so lange warten zu können?
Die Bundesregierung hatte vorgesehen, daß der Abbau dieser Steuerprivilegien stufenweise erfolgt, so daß zunächst nicht die ganze Milliarde anfällt. Der zweite Punkt ist der, daß es nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von der Arbeitsmöglichkeit und -last des Finanzausschusses abhängt, wann dieser Gesetzentwurf dem Hause zur Verabschiedung vorgelegt werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß durch den beabsichtigten Abbau von sogenannten Steuerprivilegien bei Sparkassen und Genossenschaften die Funktion der Sparkassen bei der Beschaffung von Kommunalkrediten beeinträchtigt wird?
Das glaube ich nicht, weil im Augenblick die Funktion der Sparkassen eigentlich über das hinausgeht, was man von Sparkassen im allgemeinen verlangt. Es gibt Funktionen, die heute von den Sparkassen wahrgenommen werden, die an sich reine Bankgeschäfte sind.
({0})
Sie haben nur eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Damit ist diese Frage abgeschlossen. Wir kommen zur Frage 69 des Herrn Abgeordneten Gansel:
Wie beurteilt die Bundesregierung, daß der ehemalige SSObersturmführer und KZ-Wächter Strippel, der 1949 wegen Mordes in 21 Fällen zu 21mal lebenslänglich Zuchthaus verurteilt wurde und dessen Strafe im Wiederaufnahmeverfahren 1970 in sechs Jahre Zuchthaus nunmehr wegen Beihilfe zum Mord umgewandelt wurde, eine Haftentschädigung in Höhe von 150 000 DM bei einer Haftentschädigung von 10 DM pro Tag erhält, während Opfer der NS-Gewaltherrschaft nur eine Entschädigung von 5 DM pro Tag der Freiheitsentziehung erhalten haben, und wird die Bundesregierung eine Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes mit dem Ziel in die Wege leiten, daß Opfer der NS-Gewaltherrschaft nicht gegenüber ihren Peinigern auf diese makabre Weise diskriminiert werden?
Herr Kollege Gansel, nach der Konzeption des Bundesentschädigungsgesetzes erhält der Verfolgte zunächst einen Ersatz für materielle Schäden, die durch Freiheitsentziehung bzw. durch Freiheitsbeschränkung eingetreten sind. Dazu gehören Entschädigungen für Schäden an Körper oder Gesundheit, im beruflichen Fortkommen und an Eigentum und Vermögen. Außerdem werden Schäden in der Sozialversicherung ausgeglichen. Für den Fall des Todes wird Hinterbliebenenversorgung gewährt.
Als Entschädigung für den immateriellen Schaden erhält der Verfolgte daneben für jeden Monat der Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung in Form eines pauschalierten Schmerzensgeldes eine Kapitalentschädigung von 150 DM monatlich.
Der von Ihnen, Herr Kollege Gansel, angesprochene Fall des früheren KZ-Wächters Strippel macht es nicht erforderlich, an dieser Regelung etwas zu ändern, denn entgegen Ihrer Annahme hat der Genannte keine Entschädigung für immateriellen Haftschaden erhalten. Die Entschädigung richtete sich im Fall Strippel seinerzeit nach dem alten Strafhaftentschädigungsgesetz aus dem Jahre 1898, das im Gegensatz zu dem heute geltenden Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. März 1971 keinen Ersatz des immateriellen Schadens vorsah. Die Entschädigung des KZ-Wächters Strippel bezog sich demgemäß nur auf materielle Schäden wie Verdienstausfall, Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Auslagen im Strafverfahren. Sie betrug nach den im Bundesfinanzministerium vorliegenden Unterlagen rund 121 000 DM für 11 Jahre Freiheitsstrafe.
Die Entschädigung für die Opfer der NS-Verfolgung ist durch das Bundesentschädigungs-Schlußgesetz von 1965 abschließend geregelt. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die seit längerer Zeit praktisch abgeschlossenen Entschädigungsregelungen für immateriellen Schaden an Freiheit der Verfolgten zu ändern.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz allgemein noch folgende Bemerkungen machen. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber standen bei der Frage der Entschädigung der NS-Verfolgten von Anfang an vor dem kaum lösbaren Widerstreit zwischen dem Willen zur Entschädigung und dem finanziellen Leistungsvermögen. Millionenfach begangenes Staatsunrecht mußte entschädigt werden. Dies konnte nur im Rahmen der Finanzkraft von Bund und Ländern geschehen. Deshalb mußte sich das Bundesentschädigungsgesetz vordringlich darauf beschränken, wenigstens die materiell meßbaren Schäden möglichst umfassend und rasch zu entschädigen. Angesichts des Ausmaßes der Schäden und der Zahl der Opfer konnte der durch den Verlust an Freiheit eingetretene Schaden weder voll ausgeglichen noch voll abgegolten werden. Dennoch haben Bund und Länder allein für immateriellen Schaden an Freiheit bisher rund 2,8 Milliarden DM aufgewendet. Die bisherigen Entschädigungszahlen belaufen sich auf insgesamt 45 Milliarden DM. Es ist damit zu rechnen, daß in Zukunft nochmals ein Betrag in dieser Größenordnung aufzuwenden sein wird. Die Gesamtleistungen für Entschädigungsregelungen zugunsten der NS-Opfer werden danach voraussichtlich den Betrag von 80 Milliarden DM übersteigen.
Herr Kollege Gansel, gestatten Sie mir noch eine persönliche Bemerkung zu diesem Fall des KZ-WächParl. Staatssekretär Hermsdorf
ters Strippel: Politisch halte ich dieses Urteil für skandalös.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage? - Sie haben keine Zusatzfrage? Wir kommen damit zu Frage 70 des Herrn Abgeordneten Stahl ({0}) :
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, unser Bankenaufsichtssystem dahingehend zu erweitern, wonach künftig vorgeschrieben werden sollte, daß Banken und Kreditinstitute sich einem Haftungsfonds des Bankenverbands anschließen müssen?
Herr Kollege Stahl, eine gesetzliche Regelung der Einlagensicherung könnte sich nicht damit begnügen, den Banken allein den Anschluß an einen Haftungsfonds vorzuschreiben. Sie müßte darüber hinaus in die Satzungen der Verbände eingreifen. So wären z. B. Bestimmungen erforderlich über das Recht auf Mitgliedschaft, die Mittelaufbringung, die Mittelverwendung, die Nichtdiskriminierung der Mitglieder und über die staatliche Aufsicht. Im Hinblick auf die unterschiedliche Struktur und Risikolage bei den verschiedenen Gruppen der Kreditwirtschaft wären dabei differenzierende und ziemlich komplizierte Regelungen wohl unvermeidlich. Vor allem aber würden die Verbände bei einem staatlichen Eingriff in ihre Verbandsautonomie die Frage stellen, ob sie überhaupt die Einlagensicherung noch unter eigener Regie und auf eigene Kosten durchführen sollen.
Eine Einlagensicherung in unmittelbarer staatlicher Regie würde andererseits einen zusätzlichen Behördenapparat erforderlich machen und die Allgemeinheit mit neuen Kosten belasten. Auch sie könnte indessen Bankinsolvenzen nicht völlig verhindern, sondern ebenfalls nur einen begrenzten Schutz zur Vermeidung sozialer Härten gewähren.
Unter diesen Umständen sollte nach Auffassung der Bundesregierung nicht zwingend vorgeschrieben werden, daß sich die Kreditinstitute einem Haftungsfonds anschließen müssen, zumal von den über 7 000 Kreditinstituten bis auf ganz wenige bereits alle auf freiwilliger Basis einem Sicherungsfonds angeschlossen sind. Insbesondere alle Sparkassen und Kreditgenossenschaften, also die typischen Kreditinstitute des „kleinen Mannes", gehören einem Sicherungsfonds an. Auch im Bereich des privaten Bankgewerbes gibt es nur noch wenige Institute mit einem nennenswerten Volumen an Spareinlagen, die bisher abseits stehen. Von einigen dieser Institute liegen dem Verband inzwischen Aufnahmeanträge vor; die restlichen wollen die Aufnahme in Kürze beantragen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Dann darf ich Sie bitten, Herr Staatssekretär, die nächste Frage - Frage 71 des Herrn Abgeordneten Stahl ({0}) - zu beantworten:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, daß Banken und Kreditinstitute künftig ihrem Kundenkreis vor Einrichtung eines Sparkontos mitteilen sollten, ob sie einem Haftungsfonds angeschlossen sind?
Es wird erwogen, daß die Kreditinstitute aus Wettbewerbsgründen künftig von sich aus ihre Mitgliedschaft in einem Haftungsfonds bei ihrer Werbung herausstellen sollten. Die zuständigen Stellen der Bundesregierung werden mit den Bankverbänden sprechen und prüfen, ob eine Initiative in dieser Richtung entwickelt werden sollte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ab wann, glauben Sie, kann diese neue Regelung zustande kommen?
Ich fürchte, nicht vor Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ist schon mit den zuständigen Instituten bzw. Verbänden in dieser Sache gesprochen worden?
Es sind Gespräche aufgenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Frage 72 des Herrn Abgeordneten Hansen:
Wann ist endgültig mit der Herausgabe mehrsprachiger Erläuterungsglätter zur Stellung des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich sowie zu den Folgen einer Abtretung von Steuererstattungsansprüchen für ausländische Arbeitnehmer zu rechnen, nachdem diese Maßnahme wiederholt angekündigt worden ist ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär:
Herr Abgeordneter Hansen, die Frage der Herausgabe mehrsprachiger Erläuterungsblätter zum Jahresausgleichsantrag für ausländische Arbeitnehmer ist kürzlich mit den für die Verwaltung der Lohnsteuer zuständigen obersten Finanzbehörden der Länder erörtert worden. Dabei haben Vertreter der Länder die Notwendigkeit mehrsprachiger Erläuterungsblätter einstimmig bejaht. Die erforderlichen Arbeiten werden mit Nachdruck vorangetrieben. Einen genauen Zeitpunkt, zu dem die Erläuterungsblätter erscheinen werden, kann ich Ihnen jedoch nicht nennen, weil für die Herausgabe der Blätter die Finanzminister der Länder zuständig sind. Das Bundesfinanzministerium wird aber im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf hinwirken, daß die Erläuterungsblätter für den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1973 zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wie eine Zusage der Bundesregierung hinsichtlich einer solchen Maßnahme zwei Jahre auf sich warten lassen konnte und warum erst in diesen Tagen ihre Notwendigkeit in dem von Ihnen angesprochenen Gremium erörtert worden ist?
Herr Abgeordneter Hansen, ich habe von Anfang an klargemacht, daß die Zuständigkeit bei den Länderfinanzbehörden liegt. Der zweite Punkt, den ich zur Erklärung anführen kann, ist der, daß es keinen Sinn hat, die Erläuterungsblätter nur in einer Fremdsprache zu drucken, sondern wir müssen hier mit mehreren Fremdsprachen arbeiten. Daß drittens die Fragen, die in mehreren Sprachen erläutert werden müssen, eine lange Arbeit notwendig machen, dürfte jedem Einsichtigen klar sein.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit sagen - entschuldigen Sie, diese Frage muß ich stellen -, daß es in der Bundesrepublik nicht genügend Dolmetscher gibt, die imstande wären, in zwei Jahren diesen Text in mehrere Sprachen zu übersetzen?
Dies wollte ich damit nicht sagen. Ich wollte damit nur sagen, daß Sie die Verwaltungsarbeit, die damit verbunden ist, nicht richtig einschätzen.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage dazu.
Frage 75 des Herrn Abgeordneten Löffler:
Treffen Meldungen aus der DDR zu, wonach die Abfertigung im Transitverkehr von und nach Berlin am Grenzkontrollpunkt Helmstedt am 23. und 24. April dieses Jahres schleppend erfolgte, da nur zwei Zollbeamte und zwei Beamte des Bundesgrenzschutzes eingesetzt waren?
Herr Kollege Löffler, die in Ihrer Frage genannten Meldungen treffen nicht zu. Für die Abfertigung der aus der DDR und West-Berlin im Oster-Rückreiseverkehr kommenden Pkw standen bei der Grenzkontrollstelle Helmstedt während der Spitzenverkehrszeiten am 23. und 24. April 1973 ständig sieben Zollbeamte und eine ebenso große Zahl von Grenzschutzeinzeldienst-Beamten zur Verfügung. Wenn es dennoch zeitweilig zu einem Fahrzeugstau gekommen ist, so lag dies vor allem daran, daß für die Abfertigung bei der Grenzkontrollstelle Helmstedt nur drei Fahrspuren auf der Einfahrtseite zur Verfügung stehen, die bei starkem Verkehr zweifellos nicht ausreichen. Außerdem herrschte auch ein starker Lkw-Verkehr. Um die Abfertigung auch in Spitzenverkehrszeiten beschleunigen zu können, soll die Zahl der Abfertigungsspuren auf der Einfahrtseite der Grenzkontrollstelle Helmstedt demnächst auf acht Spuren erweitert werden, Mit den Baumaßnahmen soll noch im Sommer dieses Jahres begonnen werden.
Keine Zusatzfrage? - Die Frage 76 des Abgeordneten Niegel kann nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde nicht beantwortet werden, weil sie den Punkt 20 der Tagesordnung betrifft.
Ich danke Herrn Staatssekretär Hermsdorf. Damit sind die Fragen aus Ihrem Bereich erledigt.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Ertl zur Verfügung.
Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler:
Ist die Bundesregierung bereit, den landwirtschaftlichen Krankenkassen im Jahr 1974 Bundeszuschüsse zur Verfügung zu stellen, die es diesen gestatten, in Anlehnung an die Regelung in anderen EWG-Ländern sozial tragbare Beitragssätze in Rechnung zu stellen?
Herr Kollege, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß es d i e Regelung in den anderen EG-Ländern nicht gibt. Dagegen gibt es eine beträchtliche Variationsbreite sowohl hinsichtlich der Modalitäten staatlicher Zuschüsse als auch hinsichtlich der Leistungsgewährung.
Soweit mir Angaben vorliegen - und zwar zur Zeit nur im Bereich der Alt-EG-Länder, also der alten Sechsergemeinschaft -, kann ich feststellen, daß bei der Leistungsgewährung das Prinzip der Kostenerstattung vorherrscht, zum Teil mit Selbstbeteiligung wie in Frankreich in Höhe von 20 %. In der Bundesrepublik Deutschland dagegen werden die Kosten direkt von der Krankenkasse getragen. Zweitens kann ich feststellen, daß Ersatzkraftgestellung - Betriebshelfer bzw. Dorfhelferin - oder Ersatzgeld als sozialrechtliche Leistung in anderen Ländern nicht besteht und die anderen Staaten nicht die gesetzlich fixierte Garantie übernommen haben, die sogenannte alte Last, d. h. die Kosten für die Krankenversicherung aller Altenteiler, voll zu tragen.
Am 31. Dezember 1972 hatten die landwirtschaftlichen Krankenkassen 1 028 215 Mitglieder; 388 976 davon waren Altenteiler, d. h. für zur Zeit rund 38 v. H. der Versicherten übernimmt der Bund die vollen Kosten.
Die Bundesregierung wird sehr sorgfältig die Entwicklung im Auge behalten. Sie sieht jedoch keinen Anlaß, die Modalitäten des Bundeszuschusses zur Krankenversicherung zu ändern.
Zusatzfrage? - Bitte!
Herr Minister, sind Sie also der Auffassung, daß die landwirtschaftDr. Kempfler
lichen Krankenkassen in der Bundesrepublik nicht schlechter gestellt sind als sonst in der EWG?
Ich habe Ihnen ja schon gesagt, Herr Kollege, daß wir prinzipiell einen anderen Weg beschritten haben. Dieser Weg betrifft zwei wesentliche Fakten. Das erste Faktum ist die volle Übernahme der Kosten für die Alten zu Lasten des Bundes. Das gibt es in keiner anderen Krankenkasse. Deswegen kann man das System auch nicht mit den Regelungen in anderen Ländern vergleichen. Der zweite wesentliche Punkt, die Gestellung von Ersatzkräften als verpflichtende Maßnahme, ist in keinem Leistungskatalog einer anderen vergleichbaren Krankenkasse enthalten. Insoweit glaube ich sagen zu müssen, daß sich kein Vergleich anstellen läßt. Nach schwierigen Verhandlungen haben wir uns auf dieses System geeinigt. Ich habe den Eindruck, daß auch die Betroffenen diesen Weg im großen und ganzen - sicher wird es keine volle Zufriedenheit geben - als einen wesentlichen sozialen Fortschritt betrachten.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Herr Minister, darf ich daraus schließen, daß eine Zuschußgewährung von seiten des Bundes für die nächsten Jahre jedenfalls nicht vorgesehen ist, daß aber die Bundesregierung, wie Sie schon erklärt haben, die Entwicklung sorgfältig beobachten und eventuell später auch den Weg der Zuschußgewährung beschreiten wird?
Verehrter Herr Kollege, ich muß darauf hinweisen, daß der Bund einen Zuschuß für 38 % der Versicherten, für alle Altenteiler, gibt. Ich weiß nicht alle Zahlen auswendig. Für die 70er Jahre habe ich sie vor mir. Für das Jahr 1975 ist ein Zuschußbetrag von 480 Millionen DM vorgesehen und auch in die mittelfristige Finanzplanung eingebaut. Für 1976 sind es 530 Millionen DM, für 1977 sind es 580 Millionen DM. Diese Zahlen allein beweisen, daß das Zuschußvolumen beachtlich ist.
Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Ist bei grundsätzlicher Bereitstellung von Bundeszuschüssen daran gedacht, eine soziale Abstufung hinsichtlich der unterschiedlichen Beitragsgrößen festzulegen?
Herr Kollege, die Beiträge werden in Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Krankenkassen festgelegt; denn es handelt sich ja um eine Krankenkasse in berufsständischer Verantwortung. Für die Beiträge gibt es je nach Krankenkasse unterschiedliche Staffelungen. Für die Beitragsstaffelung ist allein und ausschließlich das zuständige Selbstverwaltungsorgan verantwortlich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, hielten Sie es nicht für wünschenswert, daß der Bund eine Mustersatzung aufstellt, wie es auch in anderen Fällen geschieht, deren sich dann die einzelnen Krankenkassen bedienen können?
Ich würde das als eine nützliche Anregung ansehen. Aber diese Anregung betrifft zunächst viel mehr den Bundesverband. Alle Krankenkassen gehören ja dem Bundesverband an. Soweit ich im Bilde bin, hat dieser Bundesverband durch eine Mustersatzung an den einzelnen Satzungen der Krankenkassen wesentlich mitgewirkt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wird die Bundesregierung vielleicht dem Bundesverband eine Anregung geben, da Sie ja diese Frage immerhin für wert halten, erörtert zu werden?
Ich werde das in meinem Haus prüfen. Aber ehrlich gesagt, ich habe nicht alle Details präsent.
Ich bedanke mich, Herr Bundesminister. Damit ist die Fragestunde beendet. Sie wird morgen mit Ihrem Geschäftsbereich fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 7/153 Bericht und Antrag des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({0})
- Drucksachen 7/500, 7/516 Berichterstatter: Abgeordneter Heyen Abgeordneter Jäger ({1})
({2})
Es ist interfraktionell vereinbart worden, die Punkte 2 und 3 in der Aussprache zu verbinden. Ich rufe daher auch Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen
- Drucksachen 7/154, 7/503 -
Präsident Frau Renger
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/520 -
Berichterstatter: Abgeordneter
Dr. Bußmann
b) Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses ({4})
- Drucksache 7/502 -Berichterstatter: Abgeordneter
Dr. Carstens ({5}) Abgeordneter
({6})
Zunächst haben die Berichterstatter das Wort. Als erstem Berichterstatter erteile ich dem Herrn Abgeordneten Heyen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik - Drucksache 7/500 - möchte ich im Namen der Mehrheit des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen mündlich ergänzen. Zunächst möchte ich aber auf die Drucksache 7/516 aufmerksam machen, die eine Berichtigung der Drucksache 7/500 darstellt. Ich möchte ferner auf zwei Druckfehler aufmerksam machen, die sich auf Seite 1 der Drucksache 7/500 eingeschlichten haben. Es muß heißen: „Vertrag vom 21. Dezember ... über die Grundlag e n der Beziehungen ...".
Meine Damen und Herren, mit dem Grundvertrag ist das heute in Deutschland Erreichbare erreicht worden. Zu dem Ergebnis kam der Bundestagsausschuß für innerdeutsche Beziehungen nach einer eingehenden und gründlichen Beratung. Er empfiehlt daher dem Hohen Hause die Annahme des Vertragsgesetzes.
Gestatten Sie mir, aus der Sicht der Mehrheit den Schriftlichen Bericht in einen politischen und historischen Gesamtzusammenhang zu stellen. Ich gehe davon aus, daß der Herr Kollege Jäger ({0}) dies im Anschluß an meine Ausführungen auch für die Minderheit tun wird. Ich möchte mich im übrigen bei Herrn Kollegen Jäger für faire und kollegiale Zusammenarbeit herzlich bedanken.
Meine Damen und Herren, der Vertrag besiegelt nicht die Spaltung Deutschlands; er garantiert allerdings auch nicht ihre Überwindung. Das heißt, der Vertrag löst die deutsche Frage nicht, aber er hält sie offen. Er bietet die reale Chance, daß sich das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander aus der Verkrampfung löst und daß aus dem Gegeneinander ein geregeltes Nebeneinander wird, das ein künftiges Miteinander möglich macht. Zu einem solchen geregelten Nebeneinander und einem künftigen Miteinander gehören natürlich Partner, die dies nicht nur in Verträge und Leitartikel schreiben, sondern das auch praktisch wollen.
Der FDGB-Vorsitzende Herbert Warnke erklärte am 1. Mai in Ost-Berlin, der Grundvertrag werde sich - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin - „positiv auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und auf die weitere Erwärmung des politischen Klimas in Europa auswirken".
Es hat bisher eher den Anschein, als sei die DDR für das neue politische Klima in Europa nur mühsam zu erwärmen. Aber beim Wort nehmen können wir sie erst dann, wenn wir zwischen den beiden deutschen Staaten die Beziehungen auf eine vertragliche Grundlage gestellt haben.
Der Vertrag geht von der bestehenden, wirklichen Lage in Deutschland aus, sowohl rechtlich als auch politisch. Die Mehrheit des Ausschusses ist der Auffasung, daß durch diesen Vertrag rechtlich und Politich nichts aufgegeben wurde. Im Gegenteil, er versetzt uns in die Lage, aus der bloßen Reaktion der 60er Jahre herauszukommen und nunmehr auf vertraglicher Grundlage eine aktive Politik im Sinne unserer grundgesetzlichen bleibenden Ziele einzuleiten.
Augehend von der Erkenntnis, daß es in Deutschland zwei Staaten gibt, hat die Regierung Brandt/ Scheel 1969 in aller Form eine Politik beendet, die sich in ständiger Verteidigung und Reaktion erschöpfte und jeden auch nur kleinen Erfolg der DDR auf internationalem Parkett als Niederlage für sich selbst empfand.
Mit der Politik der Regierung Brandt /Scheel und mit diesem Vertrag wird etwas vollzogen, was auch andere durchaus schon erkannt hatten, ohne daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Wir denken dabei an die Worte des früheren Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger, der am 17. Juni 1967 verlangte, „ohne Scheuklappen zu sehen, was ist, auch das, was in den vergangenen 14 Jahren geworden ist". „Man kann nicht warten", sagte damals Herr Kiesinger, „bis der Geschichte etwas Rettendes einfällt". Insofern war nach Meinung der Mehrheit des Ausschusses der Standpunkt - wenn ich das hier einschieben darf - des damaligen Bundeskanzlers und CDU-Vorsitzenden realistischer als der des Genossen Carstens,
({1})
der anläßlich der ersten Lesung des Vertrags hier feststellte, daß bei Amtsantritt der Regierung Brandt /Scheel 1969 die deutschlandpolitischen Positionen der Bundesrepublik im wesentlichen intakt gewesen seien.
({2})
Doch wie intakt waren denn unsere Positionen in den 60er Jahren? Wir sind der Wiedervereinigung nicht nähergekommen. Die Spaltung Deutschlands wurde nicht abgebaut, sondern vertieft. Die Fluchtwege wurden immer perfekter verriegelt, und die Menschen lebten sich immer mehr auseinander.
So konsequent und juristisch in sich geschlossen das in den 50er Jahren unter Adenauer entwickelte politische Denkmodell auch sein mochte, spätestens seit dem Bau der Berliner Mauer mußte die Einsicht Boden gewinnen, daß dieses Modell nicht mehr der Wirklichkeit entsprach, möglicherweise auch von vornherein unrealistisch war.
Der Bau der Berliner Mauer 1961 hatte schlagartig deutlich gemacht, wo der Einfluß des Westens seine Grenzen fand. Die Kuba-Krise von 1962 machte die Grenzen der Einflußsphäre Moskaus deutlich. Moskau und Washington zogen daraus ihre Konsequenzen. Der Dialog über Entspannung begann. Von dieser Entwicklung konnte die deutsche Politik nicht unberührt bleiben. Die jetzige Bundesregierung hat von Anfang an diese Entspannungspolitik aus innerer Überzeugung mitvertreten.
Die Bundesregierung stand vor der Alternative, entweder bei Aufrechterhaltung der Intaktheitsideologie sich selbst in die Isolierung drängen zu lassen oder sich zu der - ich zitiere - „rasend unbequemen Folgerung durchzukämpfen, daß im geteilten Deutschland Änderungen und Veränderungen nur ausgehend von dem zur Zeit dort herrschenden, verhaßten Regime erreichbar sind", mit dem Ziel, daß sich die Menschen nicht völlig auseinanderleben. Diese letzten Formulierungen stammen aus einer Rede von Egon Bahr, aus einer Rede, von der viele nur die Überschrift kennen. Gehalten wurde sie vor fast genau zehn Jahren, im Juli 1963, in Tutzing.
Die Große Koalition zeigte beachtliche Ansätze, Konsequenzen aus derartigen Erkenntnissen zu ziehen. Die sozialliberale Koalition hat dann 1969 damit begonnen, tatsächliche Schlußfolgerungen aus den erwähnten Einsichten zu ziehen.
Die Minderheit im Ausschuß hat nicht zu verdeutlichen vermocht, wie sie auf die Veränderung der weltpolitischen Lage hätte reagieren wollen. Wir müssen mithin befürchten, daß sich die CDU/CSU noch für geraume Zeit und trotz verbaler Einsichten in dem Elfenbeinturm ihrer Intaktheitsideologie wohlgefühlt hätte.
({3})
- Herr Kollege Katzer, ich kann mir vorstellen, daß Sie nach dem heutigen Vormittag etwas nervös sind. Dennoch gestatten Sie mir, daß ich in meinen Ausführungen fortfahre.
({4})
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
Allein am Beispiel Berlin ließe sich aufzeigen, wohin ein Verharren auf diesem Standpunkt geführt hätte; denn hier ist durch eine aktive Politik dieser Bundesregierung Terrain zurückgewonnen worden, das schon verspielt war. Es ging also darum, unsere Ziele zu einer Zeit durchzusetzen, da sie noch erreichbar waren, bevor unsere Probleme durch die allgemeine weltpolitische Entwicklung überrollt und zugedeckt wurden.
Die Mehrheit des Ausschusses ist der Meinung, daß unser Preis für die Ostpolitik, die vertragliche Bestätigung des Status quo, in einer außenpolitisch stark fallenden Währung gezahlt wurde. Wenige Jahre später wären wir von West wie Ost mehr oder weniger sanft gezwungen worden, uns mit der politischen Landkarte Europas in aller Form abzufinden, dann jedoch ohne irgendeine östliche Gegenleistung.
Wer wie mancher Vertreter der Opposition im Ausschuß glaubt, daß wir mit der alten Politik die auf die DDR zurollende Anerkennungswelle auf die Dauer hätten aufhalten können, gibt sich einfach Illusionen hin. Die Tatsache, daß nach der Paraphierung des Grundvertrages mit einem Schlag mehr als 40 Staaten die DDR anerkannt haben, beweist doch dies: Viele Länder haben lediglich deshalb die Anerkennung vorher nicht vollzogen, weil sie unserem Wunsche entgegengekommen sind, laufende Verhandlungen nicht zu stören. Nach Meinung der Mehrheit im Ausschuß ist verhindert worden, daß sich die vielfache Anerkennung der DDR in einem unkoordinierten Prozeß gegen unseren Willen vollzog. Ein solcher unkoordinierter Prozeß hätte zweifellos zu einer Belastung des Bündnisses und unseres Verhältnisses zu unseren Partnern geführt und damit die Bundesrepublik Deutschland in die Defensive getrieben.
Der Ausschuß hält den Vertrag für in sich ausgewogen. Verhandlungsziele, an denen die DDR viele Jahre festgehalten hat, fanden in den Vertrag keinen Eingang. So wurde weder die völkerrechtliche Anerkennung der DDR noch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, noch die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts zugestanden. Noch im Juni 1972 stellte der DDR-Außenminister Otto Winzer in einem Aufsatz in der DDR-Zeitschrift „Horizont" die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und den Austausch von Botschaftern als unabdingbar hin. Darüber hinaus hielt er einen Vertrag, in dem der besondere Charakter der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zum Ausdruck käme - ich zitiere jetzt -, „für die sozialistische Deutsche Demokratische Republik für völlig unakzeptabel". Auch hieran muß man das Ergebnis dieses Vertrages messen.
In dem jetzt vorliegenden Vertrag wird bereits in der Präambel durch die als Dissens formulierte Aussage zur nationalen Frage die Besonderheit der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zutreffend gekennzeichnet. Die Minderheit im Ausschuß hat bemängelt, daß das Wort Nation keinen Eingang in die Vertragspräambel gefunden hat. Die Mehrheit des Ausschusses war dagegen der Auffassung, daß der Begriff Nation primär ein politischer Begriff ist. Sie war mithin der Meinung, daß die Tatsache, daß es keine einheitliche Auffassung zum Begriff Nation gibt, nicht durch die mühsame und politisch vergebliche Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner in dieser Frage verborgen
werden sollte. Denn ein derartiger gemeinsamer Nenner stünde ohnehin in der Gefahr ständiger Interpretationskonflikte.
({0})
Der Gegensatz in der nationalen Frage ist auch nicht erst durch die Diskussion über den Grundvertrag herausgebildet worden. Diese Gegensätze bestanden vorher, auch schon zu einer Zeit, da noch beide Vertragspartner einheitlich von der deutschen Nation sprachen. Das war aber nur ein Gleichklang der Worte, der die politischen Unterschiede in der Zielsetzung verdeckte.
Durch den Brief zur deutschen Einheit ist unser verfassungsmäßiges Ziel deutlich gemacht worden. Wir können, ohne uns dem Vorwurf der Vertragsverletzung auszusetzen, jetzt und in Zukunft auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Dieses Ziel wird auch weiterhin von unseren Bündnispartnern in der NATO unterstützt. Das Kommuniqué der Ministerratstagung vom 7./8. Dezember 1972 unterstreicht das nachdrücklich. Nach Art. 9 des Vertrages bestehen auch die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte weiter fort.
Nach Auffassung der Mehrheit im Ausschuß ist nicht nur hier die Besonderheit der Beziehungen zwischen beiden Staaten deutlich gemacht worden. Die Besonderheit findet darüber hinaus ihren Niederschlag im Vorbehalt zur Staatsangehörigkeitsfrage, in den Sonderbeziehungen auf dem Gebiet des Handels sowie in dem Umstand, daß nicht Botschafter, sondern ständige Vertreter ausgetauscht werden. Auch der Protokollvermerk zu Vermögensfragen drückt ebenfalls die Besonderheit der Beziehungen aus.
Nach Meinung der Mehrheit des Ausschusses ist für Berlin das Optimum des Erreichbaren erreicht worden. Die Situation von Berlin wird durch das Viermächteabkommen und die ergänzenden Vereinbarungen der deutschen Seiten geregelt. Gleichwohl werden im Grundvertrag Bereiche angesprochen, die eine Regelung der Einbeziehung von Berlin ({1}) notwendig machen.
In einer Erklärung beider Seiten anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages ist deshalb das bestehende Einvernehmen darüber fixiert worden, daß die Ausdehnung von Abkommen und Regelungen, die im Zusatzprotokoll zu Art. 7 vorgesehen sind, in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971 auf Berlin ({2}) im jeweiligen Fall vereinbart werden kann. Das Wort „kann" entspricht der Formulierung im Viermächteabkommen. Die Bundesregierung ist, wie wir alle wissen, fest entschlossen, Folgeverträge aus dem Grundvertrag nur mit ausdrücklicher Einbeziehung Berlins abzuschließen, wenn dem im Einzelfall nicht alliierte Rechte entgegenstehen.
Der Ausschuß hat sich ausführlich mit Art. 7 des Vertrages beschäftigt. Mit ihm sollen praktische und humanitäre Fragen im Zuge fortschreitender Normalisierung geregelt werden. Insoweit ist dieser
Artikel ein Kernstück des Vertrages. Er schafft millionenfach Reise- und Begegnungsmöglichkeiten, was dem Zusammenhalt der Menschen und damit - wenn man den Begriff verwenden will -- der Nation mehr nützt als das Festhalten an einer Intaktheitsideologie.
Die Mehrheit des Ausschusses hat noch einmal auf den Widerspruch hingewiesen, der in der Argumentation zu finden ist - die die CDU/CSU im Ausschuß auch mehrfach wiederholt hat -, daß man auf der einen Seite den Vertrag ablehnt, auf der anderen Seite aber die menschlichen Erleichterungen haben will - und das vielfach schon vor Inkrafttreten des Vertrages. Das hat auch die CDU/CSU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus vor Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin so praktiziert. Insofern ist das nicht neu.
Ich darf hier vielleicht einschieben, daß seit Ostern 1972 mehr als 41/2 Millionen Besuche von Westberlinern in der DDR registriert wurden. Ich stimme mit dem Journalisten Günther Matthes überein, der im Berliner „Tagesspiegel" vom 22. April dieses Jahres die Besuchsmöglichkeiten folgendermaßen gewertet hat:
Wer unter Wiedervereinigung nicht mehr nur der Deutschen Nachtgebet verstand, wird die Massenmultiplikation von Wiedersehen, Wiederfinden und Wiedersprechen auch politisch werten. Weiße Flecken in der Vorstellungswelt der jüngeren Generation haben wieder Farbe. Der Westbesucher gehört zum Alltag von Cottbus, Schwerin und Görlitz.
Als Berliner Abgeordneter darf ich hinzufügen: Theodor Fontane ist wieder aktuell geworden. Seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg können wir nun wieder mit eigenen Füßen nachvollziehen.
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte auf die Berichterstattung zurückkommen!
Der frühere Oppositionsführer Dr. Barzel hat am 15. Februar von dieser Stelle aus gesagt - seine Parteifreunde im Ausschuß haben das wiederholt, und insofern gehört das mit zu dem Bericht, Frau Präsidentin, daß man das Unrecht in der DDR nicht „herunterminimalisieren" dürfe. Da sind wir einer Auffassung. Die Mehrheit des Ausschusses ist jedoch auch der Auffassung, daß die erreichten menschlichen Erleichterungen, die der DDR in schwierigen Verhandlungen abgetrotzt worden sind, nicht „herunterminimalisiert" werden dürfen.
Der Weg zur Erleichterung für diese Menschen führt aber nur über die Regierung der DDR. Die Mehrheit des Ausschusses und die SPD /FDP-Koalition hat niemals Illusionen darüber gehabt, daß dies in jeder Beziehung ein schwieriger Weg ist, der mit manchen Risiken verbunden ist. Wir wissen, mit wem wir drüben verhandeln, und es wird notwendig sein, dies auch immer wieder offen auszusprechen.
Wir lehnen es aber ab, uns durch bloße Verbalismen und unrealistische Forderungen den Weg zum Handeln und vor allen Dingen den Weg zu den Menschen drüben selbst abzuschneiden.
({0})
Dabei lassen wir nicht außer acht, vor welchen Voraussetzungen wir heute stehen. Ich meine damit das, was Peter Bender, einer der journalistischen Wegbereiter dieser Ostpolitik, so gesagt hat.
({1})
- Herr Kollege Rawe - wenn ich das hier einfügen darf -: wir sind bei der mündlichen Erläuterung
({2})
der Berichte auch von der Darstellung des politischen und des historischen Gesamtzusammenhangs ausgegangen, und ich glaube, wir dürfen uns auch daran halten, zumal wir wissen, daß auch der Berichterstatter der Minderheit dies tun wird.
({3})
richten!
Peter Bender sagte: Ost-Berlin muß auf einigen Gebieten in den 70er Jahren noch lernen, was viele von uns in den sechziger Jahren lernen mußten.
Die Mehrheit des Ausschusses ist der Auffassung, daß mit Art. 7 des Vertrages nicht nur das abgedeckt ist, was mit Inkrafttreten des Vertrages an Erleichterungen wirksam wird, sondern daß diese Generalklausel dynamischen Charakter hat, indem sie darüber hinaus eine verpflichtende Haltung der Vertragschließenden für ihre künftigen Beziehungen festlegt. So wird auf vertraglicher Grundlage ein Prozeß eingeleitet, der unter der Verpflichtung steht, bestehende Hindernisse Schritt für Schritt abzubauen.
Im schriftlichen Minderheitsbericht wird der Regierung vorgeworfen - ich darf darauf eingehen -, daß in dem Vertrag nicht ein zeitlich verbindlicher Stufenplan zur Aufhebung der unmenschlichen Abschnürungsmaßnahmen festgelegt worden ist. Die Abschnürungsmaßnahmen, insbesondere die Schüsse an der Grenze sind furchtbar. Sie gehören zu der schrecklichen Realität in Deutschland, die in den letzten 12 Jahren nicht zu ändern war und deren Änderung unsere ständige Aufgabe sein wird.
Wer wie die Minderheit in ihrem Bericht meint, die DDR ließe sich in ihrer gegenwärtigen inneren Situation auf einen solchen Stufenplan zum Abbau ihrer Grenzen ein, der fordert von ihr einen Stufenplan zur Selbstaufgabe. Wer unter solchen Prämissen Verhandlungen mit der DDR einleiten wollte, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt, und er würde das heute in Deutschland Mögliche verspielen.
Ich möchte noch einen anderen Punkt aus dem schriftlichen Minderheitsbericht der Vertreter der CDU/CSU im Ausschuß aufgreifen. Dort steht, daß nach Auffassung der Opposition zur Erreichung eines Verhältnisses der guten Nachbarschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eine wirksame Vereinbarung über einen Infiltrationsverzicht wichtiger wäre als der in Art. 3 des Grundvertrages vereinbarte Gewaltverzicht, dem die Opposition im übrigen zustimme.
Diesen Vorschlag hält die Mehrheit im Ausschuß für abwegig. Wir lehnen es ab, Einwohner der DDR nach infiltrationsverdächtig und nicht infiltrations-verdächtig zu sortieren. Wir können der DDR nicht die Möglichkeit geben, ihrerseits die ausgehandelten Reiseerleichterungen unter Berufung auf eine derartige Infiltrationsklausel wieder einzuengen, zumal die Besuchsregelungen, die für uns eine Frage der Humanität sind, für die DDR noch Fragen der inneren Sicherheit zu sein scheinen. Wir sollten einer Abgrenzungspolitik der DDR nicht unsererseits eine Abgrenzungspolitik entgegenstellen.
Dies widerspräche auch dem Selbstvertrauen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Von einem solchen Selbstvertrauen gehen wir aus, wenn wir unsere Vertragspolitik verfolgen. Es wird natürlich unsere gesamte Wachsamkeit und Entschlossenheit nötig sein, um das vertraglich gewonnene und zurückgewonnene Terrain auch in Zukunft zu sichern. Wir werden einen mühseligen Weg zu gehen haben, und es wird gelegentliche Rückschläge geben. Dennoch dürfen wir uns nicht beirren lassen; denn dies ist eine Politik ohne Illusionen, aber auch eine Politik ohne Alternative.
({4})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich für die Vertreter der CDU/CSU im Innerdeutschen Ausschuß zu dem Ihnen in der Drucksache 7/500 vorliegenden Schriftlichen Bericht samt Ergänzungen einige Erläuterungen vortragen. Ich möchte indes zuvor auch meinerseits dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses und dem Herrn Mitberichterstatter, dem Herrn Kollegen Heyen, für die Zusammenarbeit bei der Erstellung dieses Berichtes meinen Dank aussprechen.
Nun zum Bericht selbst!
Erstens. Der innerdeutsche Ausschuß hat die umfangreiche Materie des sogenannten Grundvertrages in vier Sitzungen beraten. Die Beratungen ver1432
Jäger ({0})
liefen in einer sachlichen Atmosphäre, auch wenn sie streckenweise - wie könnte es bei diesen uns alle zutiefst berührenden Fragen auch anders sein - leidenschaftlich geführt wurden. Beklagenswert war jedoch für die Vertreter der Opposition der unerhörte Zeitdruck, unter dem die gesamten Beratungen nahezu von Anfang an standen.
({1})
Die Koalition drückte mit ihrer Mehrheit in einer Kampfabstimmung durch, daß die Beratungen noch vor der Osterpause beendet werden mußten. Das führte dazu, daß von dem Themenkatalog, den sich der Ausschuß selbst zu Beginn seiner Erörterungen einmütig auferlegt hatte, zwei wichtige Bereiche in ausführlicher Einzelaussprache nicht mehr beraten werden konnten, nämlich die Fragen des Status der Vertretungen der beiden Staaten gemäß Art. 8 des Vertrages und der riesige Komplex der menschlichen Erleichterungen im geteilten Deutschland. Ein zusätzlicher Tag für die Beratungen, den die Vertreter der Koalition in der ersten Aprilwoche noch anboten, der aber für die meisten Kollegen von der CDU/CSU aus Termingründen nicht in Frage kam, hätte nach unserer Überzeugung niemals ausgereicht, um diese wichtigen Komplexe ausreichend zu erörtern.
Es bleibt deshalb festzuhalten, daß die Koalitionsparteien durch den massiven Gebrauch ihrer Mehrheit eine gründliche und ausreichende Erörterung eines Vertrages im Fachausschuß beeinträchtigt haben, der auf unabsehbare Zeit das innerdeutsche Verhältnis regeln soll und der deshalb für unser ganzes Volk von größter Tragweite ist.
Zweitens. Der sogenannte Grundvertrag und seine als Anlagen aufgeführten Annexe werden in wichtigen Fragen von den beiden Vertragspartnern höchst unterschiedlich ausgelegt. Das muß und wird bei der Verwirklichung des Vertrages zu Schwierigkeiten führen. Auch die Vertreter der Koalition haben das im Ausschuß zugeben müssen.
Die Opposition hat daher sowohl im Innerdeutschen Ausschuß wie auch im Rechtsausschuß eine Reihe von Anträgen gestellt, die Sie, was den Innerdeutschen Ausschuß betrifft, in der Anlage zum Schriftlichen Bericht nachlesen können. Ziel dieser Anträge war es, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, den Vertrag so auszulegen, daß er den Interessen unseres Volkes und seiner Menschen dient oder ihnen möglichst wenig schadet.
Die Vertreter der Koalition haben sämtliche unsere Anträge mit ihrer Mehrheit niedergestimmt. Die Vertreter der CDU/CSU sahen sich daher genötigt, mit allem Ernst darauf hinzuweisen, daß dieses Verhalten der Mehrheitsparteien weder geeignet ist, wenigstens einen kleinen Rest von Gemeinsamkeit zwischen Koalition und Opposition in den Fragen der Deutschlandpolitik zu erhalten, noch geeignet ist, nach Inkrafttreten des Grundvertrages dem Interesse der Menschen in Deutschland zu dienen.
({2})
Das Niederstimmen unserer Anträge steht nach Auffassung der Vertreter der CDU/CSU auch in einem grotesken Gegensatz zu dem während der Ausschußberatungen von der Koalition gegen uns erhobenen Vorwurf, mit dem Hinweis auf die Schwächen und Mängel des Vertragswerkes und auf die Mehrdeutigkeit vieler seiner Bestimmungen ]eisteten wir, die Opposition, dem SED-Regime in der DDR Schützenhilfe für die spätere Auslegung des Vertrages.
Dieser Vorwurf wurde von uns mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen. Wir haben darauf hingewiesen, daß dieser Vorwurf bei allen Verträgen mit anderen Staaten jeweils der Opposition sozusagen einen Maulkorb umhängen müßte und sie im Ergebnis an sachlicher Kritik hindern würde.
Zudem, meine Damen und Herren, kennt doch die Regierung der DDR ganz genau die schwachen Stellen in diesem Vertragswerk, und es wäre nach unserer Auffassung naiv, zu glauben, sie brauche unsere, der Opposition kritischen Hinweise, um darauf aufmerksam zu werden.
({3})
Wenn es den Herren in Ost-Berlin künftig da und dort gelingt, unter Ausnutzung unklarer oder mehrdeutiger Bestimmungen des Vertrages ihren Standpunkt durchzusetzen, dann ist das nach unserer Auffassung nicht die Schuld der Opposition, die auf diese Mängel hingewiesen hat, sondern die Schuld des Unterhändlers, der diese Texte ausgehandelt hat, und der Regierung, die sie gebilligt hat.
({4})
Die Vertreter der Opposition haben aber bei den Ausschußberatungen deutlich gemacht - und ich möchte dies hier wiederholen -, daß sie nach der Verabschiedung des Grundvertrages, mit der sie bei den bestehenden Mehrheitsverhältnissen rechnen müssen, die Bundesregierung bei der Auslegung des Vertrages auch dort unterstützen werden, wo sie heute um der Sache willen Kritik üben.
Drittens. Übereinstimmend waren die Vertreter der Koalition wie die der Opposition im Ausschuß der Auffassung, daß ein Vertrag, der die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland regeln soll, in erster Linie konkrete Ergebnisse für die Menschen in unserem gespaltenen Land zeitigen müsse. In mehreren der sogenannten 20 Kasseler Punkte hat die Bundesregierung das auch seit längerer Zeit deutlich gemacht. So heißt es etwa - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren - in Punkt 14:
Der Vertrag soll Maßnahmen vorsehen, die den gegenseitigen Reiseverkehr erweitern und das Ziel der Freizügigkeit anstreben.
Und in Punkt 15 heißt es:
Die Probleme, die sich aus der Trennung von Familien ergeben, sollen einer Lösung zugeführt werden.
Besonders in dem soeben zitierten Punkt 14 kam klar zum Ausdruck, daß mit einem solchen Vertrag die Freizügigkeit in Deutschland zwar noch nicht
Jäger ({5})
erreicht, wohl aber der entscheidende Durchbruch zu dieser Freizügigkeit erzielt werden müsse.
Die Bundesregierung hat in den Ausschußberatungen diesen entscheidenden Durchbruch in Artikel 7 des Vertrages als gegeben angesehen. Dieser Auffassung konnten sich die Vertreter der Opposition nicht anschließen. Art. 7 des Grundvertrages - und wegen seiner Bedeutung darf ich ihn hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren - lautet:
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erklären ihre Bereitschaft, im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen praktische und humanitäre Fragen zu regeln. Sie werden Abkommen schließen, um auf der Grundlage dieses Vertrages und zum beiderseitigen Vorteil die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des Verkehrs, des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Gesundheitswesens, der Kultur, des Sports, des Umweltschutzes und auf anderen Gebieten zu entwickeln und zu fördern. Einzelheiten sind in dem Zusatzprotokoll geregelt.
Der entscheidende Satz 1 dieses Art. 7 enthält eine Generalklausel, die zwischen der Bundesrepublik und irgendeinem Staat der westlichen oder Dritten Welt sicherlich eine ausbaufähige Grundlage für vernünftige Regelungen der mitmenschlichen Beziehungen auch über Grenzen hinweg bilden könnte. Nach Auffassung der CDU/CSU verkennt jedoch die Bundesregierung wie die Koalition, daß für derartige Regelungen mit einem kommunistischen Staat wie
I der DDR, der dazu eine konsequente und unmenschliche Abgrenzungspolitik betreibt - und zwar auch nach Abschluß des sogenannten Grundvertrages bis zu dieser Stunde -, eine weitgefaßte, vage Generalklausel kein Instrument sein kann, konkrete menschliche Erleichterungen durchzusetzen.
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Auch die Bundesregierung vermochte uns im Ausschuß nicht darzutun, wie sie glaubt, aus dem Begriff „Bereitschaft, im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen praktische und humanitäre Fragen zu regeln", die DDR zu konkreten Maßnahmen verpflichten zu können.
Erschwerend kommt hinzu, daß auch die Koalition nicht bestreiten konnte, daß die beiden Vertragspartner den Begriff „im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen" ganz unterschiedlich auslegen und daß es nicht gelungen ist, die DDR auf eine Auslegung festzunageln, die eine Normalisierung einschließt, wie sie im Interesse etwa zwischen Deutschen und Franzosen, Deutschen und Schweizern oder Österreichern die Beziehungen der Staaten und der Menschen kennzeichnet.
Nach allen Erfahrungen, die mit der DDR schon vor Abschluß des Grundvertrages - und ich möchte hinzufügen: erst recht nachher - gemacht werden mußten, war es nach unserer Auffassung unverzichtbar, in den Vertrag selbst klare, eindeutige und nicht restriktiv auslegbare Bestimmungen hineinzubringen, in denen die entscheidenden Erleichterungen für die Menschen konkret und politisch einforderbar niedergelegt worden wären. Das ist nicht geschehen.
Im Zusatzprotokoll zu Art. 7, das die Einzelheiten regeln soll, ist zur Frage der Freizügigkeit und der Familienzusammenführung kein Wort zu finden. Die Vertreter der Opposition mußten also festhalten, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, die zentralen menschlichen Erleichterungen, die sie sich in den sogenannten 20 Kasseler Punkten zum Ziel gesetzt hatte - nämlich den Durchbruch zur Freizügigkeit und die Lösung der Familienzusammenführung -, im sogenannten Grundvertrag abzusichern und damit auf eine gewisse Dauer für die Menschen wirksam zu machen. Zwar hat die DDR in einem der Briefe, die am 21. Dezember 1972 ausgetauscht wurden, Schritte zur Regelung dieser Fragen angekündigt. Ob die Behauptung der Bundesregierung, die sie im Ausschuß vortrug, und die Behauptung der Koalitionsvertreter zutrifft, daß dieser Brief die gleiche verbindliche Wirkung wie der Vertrag selbst besitze, erscheint nach der Bestimmung in Art. 7 des Vertrages höchst fraglich, wonach Einzelheiten im Zusatzprotokoll und sonst nirgends - geregelt seien.
Diese Streitfrage kann aber letztlich dahinstehen, denn konkrete Schritte enthält auch der Briefwechsel zwischen den Staatssekretären Bahr und Kohl nicht. Lediglich in den Erläuterungen zum Briefwechsel werden einige zusätzliche Erleichterungen für den Reiseverkehr, für die Familienzusammenführung und für Tagesaufenthalte im grenznahen Bereich genannt. Diese Erläuterungen - ich muß hier darauf hinweisen, weil wir das im Ausschuß behandelt haben - tragen weder die Unterschrift der Unterhändler noch werden sie von der Bundesregierung selbst zu dem sogenannten Vertragswerk gerechnet, also zu den Abmachungen und Vereinbarungen, die dem Parlament zusammen mit dem Vertragstext im vorliegenden Gesetzentwurf zur Zustimmung vorgelegt werden. Damit trägt die Bundesregierung nach unserer Auffassung selbst die Verantwortung dafür, daß diesem einzigen Papier, aus dem sich konkrete Zusagen der DDR für menschliche Erleichterungen herleiten lassen, nicht das rechtliche und politische Gewicht zukommen wird, das wir ihm um der Menschen in unserem gespaltenen Lande willen wünschen würden.
Lassen Sie mich eine zusätzliche Anmerkung machen. Die Bundesregierung hat in den Beratungen des Ausschusses, aber auch hier im Plenum des Hohen Hauses in verschiedenen Fragestunden und Aktuellen Stunden Zahlen über ein erfreuliches Anwachsen des innerdeutschen Reiseverkehrs vorgelegt. Soeben hat sie ja mein Mitberichterstatter, Kollege Heyen, noch einmal ausschnittweise vorgetragen. Dies wird von uns in keiner Weise gering geachtet. Aber wir haben im Ausschuß darauf hingewiesen - und ich muß das auch hier deutlich tun -: diese Verbesserungen des innerdeutschen Reiseverkehrs und der Besuchsmöglichkeiten für Deutsche aus der DDR in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht Ergebnis des uns hier vorliegenden Grundvertrages, sondern des im vergangenen Jahr mit der DDR abgeschlossenen und hier
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im Deutschen Bundestag einmütig, auch mit den Stimmen der CDU 'CSU-Fraktion, gebilligten Verkehrsvertrages. Diese Erleichterungen, für die der Grundvertrag, wie dargelegt, auch nicht etwa zusätzliche vertragliche Absicherungen bringt, waren also bei den Verhandlungen über den Grundvertrag bildlich gesprochen bereits in unserer Scheuer und können nach unserer Auffassung nun nicht noch einmal als Erfolge des neuen Vertrages dargestellt werden.
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Selbst bei diesen - ich wiederhole - erfreulichen Erleichterungen im innerdeutschen Verkehr mußten wir in den vergangenen Monaten feststellen - das haben wir der Bundesregierung auch im Ausschuß deutlich vor Augen geführt -, daß sie von der DDR durch Verwaltungsmaßnahmen und politischen Druck auf große Teile der Bevölkerung in der DDR ausgehöhlt und unterlaufen werden. Ich darf hier nur auf die Kontaktverbote für alle sogenannten Geheimnisträger in der DDR hinweisen, ein Begriff, der vom Pförtner einer Kreisverwaltung bis zum Feuerwehrmann Millionen von Menschen umfaßt, wie es Kollege Reddemann in der ersten Lesung plastisch dargestellt hat.
Die von mir bereits erwähnten Erläuterungen zum Briefwechsel enthalten nun zwar einige zusätzliche Verbesserungen: in der Familienzusammenführung, beim innerdeutschen Reiseverkehr für Tagesaufenthalte im grenznahen Bereich, beim nichtkommerziellen Warenverkehr und beim Geschenk-und Päckchenverkehr. Aber selbst die Vertreter der Koalition konnten nicht vortragen, daß mit diesen zusätzlichen Verbesserungen, die, wie dargelegt, äußerst dürftig vertraglich abgesichert sind, von der Quantität her jener Durchbruch in der Gewährung von menschlicher Begegnungsmöglichkeit und im Abbau von Unmenschlichkeit erzielt werden konnte, der als Erfüllung der Punkte 14 und 15 der Kasseler Punkte angesehen werden könnte.
Aus den Darlegungen der Vertreter der Koalition wurde bereits in der ersten Lesung und danach in den Beratungen des Ausschusses deutlich, daß die Ratio dieses Grundvertrages, auf eine kurze Formel gebracht, etwa lautet: Wenn wir durch Entkrampfung des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten die Begegnungsmöglichkeiten für die Menschen und damit den Zusammenhalt der Deutschen im geteilten Deutschland auf eine neue und dauerhafte Basis stellen können, dann ist es vertretbar, politische und rechtliche Positionen zu vernachlässigen und letztlich vielleicht aufzugeben, welche die Einheit Deutschlands bisher offengehalten haben, sie aber doch nicht wiederherzustellen vermochten.
Selbst wenn man sich auf den Boden dieser Argumentation stellen wollte - was nicht der Auffassung der CDU/CSU entspricht -, müßte nach der vorgetragenen nüchternen Analyse dieses Teiles des sogenannten Grundvertrages festgestellt werden, daß es nicht gelungen ist, den Zusammenhalt der Menschen auf eine „neue und dauerhafte Basis" zu stellen. Damit ist nach Auffassung der Vertreter der Opposition im Innerdeutschen Ausschuß die mit dem Grundvertrag verfolgte Politik, auch aus ihrer eigenen Logik heraus gesehen, vollständig gescheitert.
Lassen Sie mich zu diesem Abschnitt eine letzte Bemerkung machen. Zu den Errungenschaften dieses Vertrages zählt die Bundesregierung die Verankerung des Selbstbestimmungsrechtes und der Menschenrechte im Sinne der UN-Charta in Art. 2 dieses Vertrages. Wenn diese Bestimmung aber für die Menschen im anderen Teil Deutschlands praktische Bedeutung hätte gewinnen sollen, hätte es die Bundesregierung nach unserer Auffassung der DDR nicht ersparen dürfen, beim Eintritt in die Vereinten Nationen einer konkreten Überprüfung unterzogen zu werden, inwieweit sie in ihrem Machtbereich die in der UN-Charta verankerten Grund-und Menschenrechte den Menschen gewährt oder vorenthält.
Aber noch schlimmer! Die Bundesregierung hat in den Ausschußberatungen zu unserer Enttäuschung erkennen lassen, daß sie aus der genannten Menschenrechtsbestimmung in Art. 2 des Vertrages nach dessen Inkrafttreten keinerlei Konsequenzen in dem Sinne zu ziehen beabsichtige, daß sie die DDR nunmehr dazu auffordern werde, in Erfüllung dieser Vertragsbestimmung den drüben lebenden Deutschen diese Menschenrechte tatsächlich zu gewähren, d. h. Unterdrückung und Unmenschlichkeit zu beseitigen.
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Ein solches Verhalten der Bundesregierung würde nach unserer Auffassung die Menschenrechtsklausel in Art. 2 des Vertrages zu einer bloßen Leerformel und zu einem Lippenbekenntnis degradieren, mit dem man die internationale Reputierlichkeit der DDR vertraglich bestätigt. Darüber hinaus würde aber stillschweigend die kommunistische Auslegung des Menschenrechts- und Selbstbestimmungsbegriffs übernommen und besiegelt. Das würde bedeuten, daß die Bundesregierung der Geltendmachung der verfassungsmäßigen Schutzpflicht für alle Deutschen, auch für die in der DDR, der sie sich rechtlich nicht entziehen kann, neue schwere politische Hindernisse in den Weg legen würde, die auch spätere Regierungen schwerlich wieder aus dem Weg räumen könnten.
Alles in allem: Die Vertreter der CDU/CSU im Ausschuß sind zu der Überzeugung gelangt, daß der sogenannte Grundvertrag gerade im Bereich der erhofften menschlichen Erleichterungen sich als verhängnisvoller Fehlschlag erweist und daher keine Zustimmung in diesem Hause finden sollte.
Viertens. In Art. 1 des Vertrages verpflichten sich die beiden Vertragspartner zur Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen zueinander. Abgesehen von dem zwischen den Vertragspartnern höchst umstrittenen Begriff der Normalisierung, haben die Vertreter der Opposition im Ausschuß diese gegenseitige Verpflichtung begrüßt. Sie haben es aber zugleich bedauert, daß nicht im Vertrag selbst eine Konkretisierung dieser Verpflichtung verankert worden ist.
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Insbesondere haben sie es bedauert, daß nicht parallel zu dem in Art. 3 verankerten Gewaltverzicht ein konkreter Verzicht auf Infiltration und Unterminierung der Staats- und Gesellschaftsordnung des Vertragspartners vereinbart worden ist. Ganz offensichtlich ist nicht einmal der Versuch unternommen worden, eine derartige Vereinbarung in den Vertrag hineinzubringen. Dabei ist es doch täglich zu beobachtende Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, daß die von der SED gelenkten Behörden und Massenorganisationen der DDR trotz aller Verhandlungen und trotz der Versuche, zu Verständigung und Entspannung zu kommen, ihre Aktivität in der Unterstützung verfassungsfeindlicher und extremistischer Gruppen, in der Spionage und im propagandistischen Anheizen des Klassenkampfes in keiner Weise gemindert haben.
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Im Gegenteil, eine besonders verwerfliche Spielart dieser Infiltration entwickelt die DDR in jüngster Zeit in verstärktem Maße unter Mißbrauch der gewährten Erleichterungen. Immer öfter werden Fälle bekannt, in denen Deutsche aus der Bundesrepublik, die auf Grund der Abmachungen beim Verkehrsvertrag in die DDR reisen, um dort Verwandte oder Bekannte zu besuchen, vom Staatssicherheitsdienst der DDR unter Druck gesetzt werden, in der Bundesrepublik nach ihrer Rückkehr für ihn Spionage zu treiben.
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Das alles, meine Damen und Herren, hat nach unserer Auffassung nicht das geringste mit einem Verhältnis guter Nachbarschaft zu tun, wie es in Art. 1 des Vertrages bezeichnet ist.
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Die Bundesregierung hat nicht erkennbar machen können, wie sie ohne konkrete Vereinbarung über einen Infiltrationsverzicht dieses Vertragsziel hofft verwirklichen zu können. Den Einwand der Vertreter der Koalition - er ist auch heute in dem vorangegangenen Ausschußbericht hervorgehoben worden -, solche Abmachungen könne die Bundesregierung aus dem in der Bundesrepublik bestehenden Verständnis von Freizügigkeit und freiem Informationsaustausch heraus gar nicht treffen, konnten wir im Ausschuß nicht gelten lassen. Denn einmal sollte der von uns vermißte Infiltrationsverzicht nicht die normale geistige Auseinandersetzung zwischen den Ideologien, nicht den freien Gedankenaustausch und erst recht nicht die Freizügigkeit auch von Funktionären im geteilten Deutschland beeinträchtigen, sondern jene klassenkämpferische, ich möchte sagen, schmutzige, mit Mitteln der Täuschung und teilweise der Gewalt erfolgende Einwirkung zur Untergrabung unserer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung.
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Zum anderen ist festzuhalten, daß sich die Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Verfassung als eine wehrhafte Demokratie versteht, für welche die Grundrechte, auch die Grundrechte der Meinungs-
und Informationsfreiheit, der Freizügigkeit und der
Vereinigungsfreiheit, dort ihre Schranken finden, wo sie zum Kampf gegen die freiheitliche, demokratische Grundordnung mißbraucht werden. Nach Auffassung der Vertreter der CDU/CSU muß das auch im Verhältnis zur DDR gelten, zumal deren organisierte Infiltration der Bundesrepublik weitaus gefährlicher ist als die verfassungsfeindliche Wirksamkeit von Einzelpersonen oder Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland.
Wenn also die Notwendigkeit bestand, im Grundvertrag einen gegenseitigen Gewaltverzicht zu vereinbaren, zu dem wir ja sagen, obwohl die Bundesregierung keinerlei konkrete militärische Bedrohung der Bundesrepublik durch die DDR dargetan hat, dann wäre es nach unserer Auffassung in gleichem Maße notwendig gewesen, die Pflicht zur Einhaltung guter Nachbarschaft dort vertraglich zu fixieren, wo es wegen der anhaltenden Verletzung durch die DDR ganz besonders augenfällig ist.
Von guter Nachbarschaft kann nach Auffassung der Vertreter der CDU/CSU auch so lange keine Rede sein, als die unmenschlichen Abschnürungsmaßnahmen an der Berliner Mauer und der Demarkationslinie, also vor allem der Schießbefehl auf Flüchtlinge und die Anbringung automatischer Tötungsanlagen, fortbestehen. Die Bundesregierung hat nicht darzutun vermocht, daß es ihr mit dem Vertrag gelungen sei, den Abbau dieser besonderen Unmenschlichkeit in Verwirklichung der Pflicht zur Einhaltung einer guten Nachbarschaft wenigstens in einem verbindlichen Stufenplan zu vereinbaren.
In diesem Zusammenhang aber ist es ganz besonders interessant, die Argumentation der Vertreter der Koalition im Ausschuß näher zu beleuchten. Sie lief letztlich auf jenes Argument hinaus und das klang auch heute wieder in den Ausführungen des Kollegen Heyen an -, das der Kollege Dr. Kreutzmann in der Aktuellen Stunde am 15. März hier im Hause gebraucht hat und das ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren darf. Kollege Kreutzmann sagte damals:
Sie sollte vor allem eines begreifen: - damit meinte er die Opposition Es ist eine Illusion, zu glauben, mit Verträgen das System dort drüben von außen her grundsätzlich verändern zu können. Wir können sie durch Verträge dazu bringen, mehr Kommunikation zu pflegen, Unmenschlichkeiten abzubauen. Wir können ihnen von außen her aber niemals Systemveränderungen aufdrängen.
Meine Damen und Herren, die Vertreter der Koalition haben unseres Erachtens nicht gesehen, daß mehr Kommunikation und daß der Abbau von Unmenschlichkeiten letztlich Systemveränderung für die DDR sind; denn zum System dieses totalitären Zwangsstaates gehören Unmenschlichkeit und die Unterbindung von freier Kommunikation. Wer darauf verzichtet, auch das kleinste Stück Systemveränderung von der DDR zu fordern, verzichtet deshalb nach unserer Auffassung auf jede wirkungsvolle Deutschlandpolitik, auf jede erfolgreiche Poli1436
Jäger ({15})
tik zum Wohl der Menschen in unserem geteilten Land.
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Fünftens und letztens. In den Beratungen des Innerdeutschen Ausschusses wurden die Auswirkungen des sogenannten Grundvertrages auf die Offenhaltung der deutschen Einheit, auf die deutsche Staatsangehörigkeit, auf die weltweite Aufwertung und Anerkennung der DDR, auf die Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik Deutschland überprüft. In allen diesen Fragen ist es der Bundesregierung und den Vertretern der Koalition nicht gelungen, die schweren politischen Bedenken gegen den Vertrag und seine Auswirkungen auszuräumen, die bereits in der ersten Lesung hier im Hause von der Opposition dargestellt worden sind. Ich möchte insoweit aber auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht verweisen, zumal diese Fragen im Verlauf der nachfolgenden Aussprache sicherlich auch noch von anderen Kollegen angeschnitten werden.
Zusammenfassend darf ich als Ergebnis der Ausschußberatungen für die Vertreter der CDU/CSU festhalten: Die Nachteile des Grundvertrages überwiegen die mit ihm da und dort verbundenen Vorteile in einem solchen Maße, daß die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Drucksache 7/153 von uns nicht empfohlen werden kann.
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Ich danke dem Berichterstatter.
Wir kommen nun zur Berichterstattung über den Punkt 3 der heutigen Tagesordnung. Dabei möchte ich bemerken, daß zu Punkt a noch nicht der Bericht des Haushaltsausschusses vorliegt. Der Haushaltsausschuß tagt noch. Der Bericht wird im Laufe der Beratung nachgereicht. Ich darf Ihr Einverständnis voraussetzen.
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Corterier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen liegt Ihnen vor. Der Auswärtige Ausschuß hat diesen Entwurf in drei, zum Teil ganztägigen Sitzungen unter völkerrechtlichen, staatsrechtlichen und politischen Gesichtspunkten ausführlich erörtert und gründlich beraten. Da der Auswärtige Ausschuß dem Gesetzentwurf mit sehr großer Mehrheit zugestimmt hat, kann ich hier im wesentlichen über die gemeinsamen Auffassungen der Koalitions- und der Oppositionsvertreter im Ausschuß berichten. Nur in zwei Punkten werde ich die Auffassung der Koalitionsmehrheit im Ausschuß wiedergeben. Ich gehe dabei davon aus, daß mein Mitberichterstatter, Herr Kollege Carstens, in diesen Punkten über die Auffassung der Minderheit anschließend berichten wird.
Die ersten Beratungen im Ausschuß galten der Aufgabe, der Bedeutung und der Entwicklung der Vereinten Nationen seit dem Jahre 1945 sowie der Darstellung der heutigen Verfassungswirklichkeit in den Vereinten Nationen. Nach ihrem Gründungsauftrag ist die Erhaltung und Sicherung des Friedens in der Welt die wichtigste Aufgabe der Vereinten Nationen. Entsprechend diesem Auftrag sind die Vereinten Nationen vielfach in Krisenfällen eingeschritten und suchen auch heute noch zwischen streitenden Parteien der Weltpolitik zu vermitteln. Erschwert wurde die Arbeit der Vereinten Nationen zunächst durch den Ost-West-Konflikt, der inzwischen teilweise durch den Gegensatz zwischen der Sowjetunion und China abgelöst wurde. Der Hauptakzent der Verfassungswirklichkeit liegt heute auf einer zunehmenden Nord-Süd-Spannung, die bestimmt wird von den Forderungen der Dritten Welt, der Entwicklungsländer, gegen die industriellen Staaten.
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Eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesrepublik in den Vereinten Nationen wird es sein, am Abbau dieser Spannungen mitzuwirken und auf einen Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hinzuarbeiten.
Die Schilderung der Aufgabe der Friedenssicherung der Vereinten Nationen wäre nicht vollständig, würde ich es versäumen, das nachdrückliche Eintreten der Vereinten Nationen für eine weltweite Abrüstung und Rüstungskontrolle zu erwähnen. Hier ist vor allem die Arbeit der Genfer Konferenz der 25 Nationen fortzusetzen. Eine Beteiligung an dieser Konferenz läge sicherlich im deutschen Interesse.
Eine weitere wesentliche Aufgabe der Vereinten Nationen ist die Wahrung und Sicherung der Menschenrechte. Bereits 1948 wurde durch die Vollversammlung eine Deklaration der Menschenrechte beschlossen. Im Jahre 1966 folgten die beiden Menschenrechtskonventionen. Auf diesem Sektor wird es für die Bundesrepublik darum gehen, für eine stärkere Verwirklichung der Menschenrechte, insbesondere auch der individuellen Menschenrechte einzutreten.
Eine der wichtigsten Aktivitäten der Vereinten Nationen ist die Fortentwicklung des Völkerrechts. Die Bundesrepublik konnte hierauf bisher nur indirekt Einfluß nehmen. Als Mitglied der Vereinten Nationen wird ihr zum erstenmal nun eine direkte Beteiligung an der Weiterentwicklung des Völkerrechts im Rahmen der Vereinten Nationen möglich sein.
Von den vielen weiteren Aufgaben, an denen die Bundesrepublik im Rahmen der Vereinten Nationen mitzuarbeiten haben wird, möchte ich hier abschließend nur noch die Welthandelspolitik, die Weltraumfragen, die Errichtung eines internationalen Regimes für den Meeresboden, die Suchtstoffkontrolle und den Umweltschutz erwähnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu den Einzelfragen im Zusammenhang mit dem
Beitritt der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen übergehen. Erklärtes Ziel der Politik der Bundesregierung ist die Offenhaltung der deutschen Frage. Davon ausgehend war die Bundesregierung immer der Meinung, daß ein Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu den Vereinten Nationen erst möglich ist, wenn das Verhältnis zwischen beiden Staaten in Deutschland in einer Weise geregelt ist, die die besondere Lage in Deutschland berücksichtigt.
Nach der Auffassung der Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses kann erst jetzt, nach Erreichen eines wirklichen Modus vivendi auf der Basis besonderer Beziehungen zwischen beiden Staaten in Deutschland die gegenwärtige Situation vor aller Welt so dargestellt werden, daß sie als geschichtliches Übergangsstadium begriffen wird. Sie ist Teiletappe eines Weges, auf dem das Fernziel der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht verlorengehen darf.
Dieser Modus vivendi hat einen inneren und einen äußeren Aspekt Dem inneren Aspekt, der Regelung des bilateralen Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik und der DDR, hat die Bundesregierung durch den Abschluß des Grundvertrages Rechnung getragen. Zum äußeren Aspekt, der Regelung des Verhältnisses der beiden deutschen Staaten zu Drittstaaten und internationalen Organisationen, gehört der Beitritt beider Staaten zu den Vereinten Nationen.
Bei der Beratung der mit dem Beitritt zusammenhängenden Probleme beschäftigte sich der Ausschuß mit der Frage, welche Rückwirkungen die gleichzeitige Mitgliedschaft beider deutscher Staaten auf die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen haben wird. Konkret erörterte der Ausschuß die Frage, ob die gleichzeitige Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen nicht die völkerrechtliche Anerkennung des einen durch den anderen Staat bedeutet. Eine gründliche Analyse des internationalen Völkerrechts - einschließlich des sowjetischen - ergibt, daß nach herrschender Meinung zwischen Anerkennung und gleichzeitiger Mitgliedschaft sich nicht anerkennender Staaten in den Vereinten Nationen kein Zusammenhang besteht. Das bedeutet, daß die gleichzeitige Mitgliedschaft beider deutscher Staaten nicht ihre stufenweise oder gar automatische gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung beinhaltet.
Man kann somit sagen: Der gleichzeitige Beitritt der Bundesrepublik und der DDR erledigt die deutsche Frage nicht; er läßt sie offen.
Der Ausschuß nahm in diesem Zusammenhang zustimmend von der Erklärung der Bundesregierung Kenntnis, daß die Bundesrepublik mit dem der DDR abgestimmten Beitritt nicht die Absicht verbindet, in der DDR einen Staat zu sehen, der für sie Ausland ist, und auch nicht die Absicht hat, die gegebene Zweistaatlichkeit in Deutschland als eine endgültige Lösung der deutschen Frage zu legitimieren.
Im Zusammenhang mit der innerdeutschen Problematik behandelte der Auswärtige Ausschuß auch das Thema „Menschenrechte und Selbstbestimmung in der DDR". Gemäß Art. i Ziffern 2 und 3 der UNO- Charta ist die Achtung des Grundsatzes der Selbstbestimmung und die Achtung der Menschenrechte ein grundlegendes Prinzip der Charta.
Die Verwirklichung der Menschenrechte in der DDR ist natürlich ein schwieriges Problem. Sie wird sehr stark davon abhängen, inwieweit die Intentionen der Politik der Bundesregierung zur Ausgestaltung des Modus vivendi zwischen beiden Staaten in Deutschland realisiert werden können. Nach Auffassung des Ausschusses setzt aber gerade der Beitritt der DDR zu den Vereinten Nationen hier einen hoffnungsvollen Akzent; denn eine DDR, die sich international öffnet, ist der internationalen Meinung auch in der Frage der Menschenrechte wesentlich stärker unterworfen als zuvor.
Für die Bundesrepublik eröffnen sich nach dem Beitritt zu den Vereinten Nationen bessere und verstärkte ,
Möglichkeiten vor dem Forum der Völker
Möglichkeiten,der Welt auf eine Verbesserung der jetzigen Verhältnisse in Deutschland hinzuwirken. In diesem Zusammenhang spricht sich der Auswärtige Ausschuß dafür aus, daß die Bundesregierung in den Vereinten Nationen darauf hinwirken soll, daß Menschenrechte und Grundfreiheiten allen Deutschen zuteil werden und daß vor allem der Gebrauch von Waffengewalt gegen Menschen, die in friedlicher Absicht die Grenze zwischen beiden Staaten in Deutschland überschreiten, unterbleibt.
Der Fortbestand der Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin ist eines der hervorstechendsten Merkmale für den auch heute noch bestehenden Zusammenhang und für die Verbindung zwischen beiden Staaten in Deutschland. Er ist eine der Grundlagen für die Definierung und Ausgestaltung der Beziehungen zwischen beiden Staaten als besondere Beziehungen.
Der. Auswärtige Ausschuß war sich einig darin, daß verhindert werden muß, daß die im Sicherheitsrat erforderliche Zustimmung der Vier Mächte zur Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen als eine Änderung der Rechtslage in Deutschland im Sinne einer endgültigen Regelung auf der Grundlage des Status quo mißverstanden wird. Wegen der grundlegenden Bedeutung des Fortbestands der Vier-Mächte-Verantwortung unterstützte daher der Auswärtige Ausschuß die Bemühungen der Bundesregierung und der Drei Mächte, die unternommen wurden, um klarzustellen, daß der Beitritt der beiden deutschen Staaten die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte nicht berühren wird.
Der Ausschuß nahm zustimmend Kenntnis von der Einigung der Vier Mächte auf den gemeinsamen Erklärungstext vom 9. November 1972. Hierbei haben die vier Mächte festgestellt, daß ihre Rechte und Verantwortlichkeiten, die sich auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin beziehen, durch den Beitritt der beiden deutschen Staaten zu den Vereinten Na1438
tionen nicht berührt werden. Diese Erklärung wird im Rahmen des Aufnahmeverfahrens dem Generalsekretär der Vereinten Nationen notifiziert und mit der Bitte um Verteilung als UN-Dokument zirkuliert werden. Somit ist festzustellen: Alle Mitglieder der Weltorganisation werden ihre Entscheidung über die deutschen Beitrittsanträge in voller Kenntnis des Weiterbestehens der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten als eines wesentlichen Elements der besonderen Lage in Deutschland treffen.
In diesem Zusammenhang nahm der Ausschuß auch eine Erklärung der Bundesregierung zur Kenntnis, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten so, wie sie im Deutschland-Vertrag niedergelegt sind, vom Beitritt zu den Vereinten Nationen unberührt bleiben. Das bedeutet: Die Vier-Mächte-Vereinbarung vom 9. November 1972 beinhaltet keinerlei Einschränkungen der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, ausführlich und mit großer Sorgfalt hat sich der Auswärtige Ausschuß auch mit der Erstreckung des Beitritts der Bundesrepublik zur Charta der Vereinten Nationen auf das Land Berlin befaßt. Insbesondere ging es dabei um die Frage, wie die Vertretung Berlins unter Ausklammerung der Fragen des Status und der Sicherheit durch die Bundesrepublik in den Vereinten Nationen sicherzustellen ist. Die Bundesregierung und der Auswärtige Ausschuß waren sich einig in der Auffassung, daß diese Frage von vornherein zweifelsfrei geklärt werden muß.
Es besteht Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung und den Drei Mächten, die die Interessen West-Berlins in den Vereinten Nationen außer in Angelegenheiten der Sicherheit und des Status durch die Bundesrepublik Deutschland vertreten werden. Eine solche Regelung entspricht dem VierMächte-Abkommen, das ja eine Klarstellung und insofern eine Verbesserung der Vertretungsbefugnis der Bundesrepublik für West-Berlin gebracht hat.
Entsprechend der bisherigen Praxis bei der Einbeziehung Berlins in internationale Organisationen und multilaterale Verträge genügt eine einseitige Erklärung der Bundesregierung gegenüber den Vereinten Nationen im Einvernehmen mit den Drei Mächten. Die Sowjetunion hat im Viermächteabkommen auf Einwendungen gegen die Vertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik in internationalen Organisationen verzichtet.
Der Auswärtige Ausschuß nahm davon Kenntnis, daß die Bundesregierung im Einvernehmen mit den drei Westmächten die notwendigen Rechtsakte auf internationaler und innerstaatlicher Ebene vorbereitet hat, um die verbindliche Festlegung der Vertretung Berlins durch die Bundesrepublik in den Vereinten Nationen sicherzustellen.
Der Auswärtige Ausschuß behandelte schließlich auch den Komplex der sogenannten Feindstaatenklauseln. Art. 53 Abs. 1 Satz 2 und Art. 107 der UNO-Charta gewährten den Siegermächten bekanntlich unter Aussetzung des generellen Gewaltverbots des Art. 2 Abs. 4 Dispens für Maßnahmen gegenüber den ehemaligen Feindstaaten. Einigkeit bestand im Ausschuß darüber, daß es gegenwärtig keine Aussicht gibt, Änderungen der UNO-Charta durchzusetzen, und daß somit eine Streichung der Feindstaatenklauseln in absehbarer Zeit nicht möglich ist. Der Ausschuß erörterte die Frage, ob sich aus den genannten Artikeln der UNO-Charta eine Diskriminierung der Bundesrepublik ergibt oder ergeben wird.
Er nahm zustimmend Kenntnis von einer Erklärung der Bundesregierung, daß die Feindstaatenklauseln infolge der allgemeinen Entwicklung des Völkerrechts gegen die Bundesrepublik nicht mehr geltend gemacht werden können; denn das generelle Gewaltverbot ist als Ius cogens heute fester Bestandteil des Völkerrechts geworden. Dies ist im übrigen im Verhältnis zu den Westmächten durch die Londoner Schlußakte vom 3. Oktober 1954 und im Verhältnis zur Sowjetunion durch den Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 unter Bezugnahme auf Art. 2 der UNO-Charta nochmals ausdrücklich bestätigt worden.
Gemäß Art. 4 der UNO-Charta kann der Sicherheitsrat der Generalversammlung der Vereinten Nationen nur friedliebende Staaten zur Aufnahme in die Vereinten Nationen vorschlagen. Wird ein ehemaliger Feindstaat wie die Bundesrepublik in die Vereinten Nationen aufgenommen, so wird er damit als friedliebender Staat anerkannt und kann nicht weiterhin Feindstaat sein.
Gemäß Art. 2 der UNO-Charta beruhen die Vereinten Nationen auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. Vom Tage ihres Beitritts an kann auch die Bundesrepublik dieses Prinzip in Anspruch nehmen. Mit diesem Prinzip wäre aber eine Berufung auf die Feindstaatenklauseln gegenüber der Bundesrepublik nicht zu vereinbaren.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß es nach Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen keine Grundlage mehr für eine Anwendung der Feindstaatenklauseln gegenüber der Bundesrepublik geben wird.
Meine Damen und Herren, der Beitritt zu den Vereinten Nationen wird ein Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik sein. Die Vereinten Nationen wurden wie seinerzeit der Völkerbund am Ende eines Weltkrieges gegründet. Da Deutschland der Kriegsgegner der wichtigsten Gründerstaaten der Vereinten Nationen war, blieb es von der Mitgliedschaft zunächst ausgeschlossen. Ihm wurde von den Vereinten Nationen genauso wie seinerzeit dem Deutschen Reich vom Völkerbund die Rolle eines Außenseiters zugewiesen.
Nicht erst seit heute ist es das Ziel der deutschen Politik, diesen Zustand zu überwinden. Schon in den Jahren 1953 und 1954 hat Erich Ollenhauer im Deutschen Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen anzustreben. In einem Protokoll über ein Gespräch zwischen John Foster Dulles und Konrad Adenauer am 29. Oktober 1954 ist dieser Gedanke ebenfalls angesprochen. Der schwelende Ost-West- Konflikt hat die Verwirklichung dieses Zieles jedoch
verhindert. Nach Auffassung der Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses haben erst die Phase der Entspannung zwischen Ost und West und, mit dieser untrennbar verbunden, die deutsche Ostpolitik und die Regelung des innerdeutschen Verhältnisses auf der Grundlage besonderer Beziehungen die Voraussetzungen für den Beitritt beider deutschen Staaten in die Vereinten Nationen geschaffen. Heute wird der Beitritt der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen von praktisch allen ihren Mitgliedern erwartet und begrüßt.
Eine Fortsetzung der Außenseiterrolle wäre nicht länger mit der Position vereinbar, die die Bundesrepublik inzwischen in der internationalen Politik einnimmt. Die Vereinten Nationen erwarten von der Bundesrepublik auf Grund ihrer wirtschaftlichen Kraft, ihrer Erfahrung auf technischem Gebiet und ihrer auf Ausgleich und Verständigung gerichteten Außenpolitik einen wichtigen Beitrag zur Lösung der ihnen gestellten Aufgaben.
Fast 47 Jahre nach dem Eintritt des Deutschen Reiches in den Völkerbund schicken sich nun zwei deutsche Staaten an, die Nachfolge dieses Reiches, das durch die Gewaltpolitik Hitlers zerstört wurde, in der Versammlung der Völker der Welt anzutreten. Gustav Stresemann unterschied damals in einer großen Rede zwischen idealistischen und realistischen Auffassungen in bezug auf den Völkerbund. Ich möchte die im Auswärtigen Ausschuß vorgetragenen Meinungen dahin gehend zusammenfassen: Nur beide Auffassungen zusammen werden für unsere Mitarbeit in den Vereinten Nationen die geeignete Richtschnur sein.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zur weiteren Berichterstattung zu diesem Punkt der Tagesordnung hat der Abgeordnete Professor Dr. Carstens das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die der CDU/CSU angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses den Bericht, den soeben mein Herr Vorredner erstattet hat, ergänzen.
Ich darf ebenso wie er an das Ereignis anknüpfen, welches zur Gründung der Vereinten Nationen im Juni 1945 führte. Damals war der Krieg mit Deutschland vorüber, der Krieg mit Japan neigte sich dem Ende zu, und die 51 Völker und Staaten, die damals die Vereinten Nationen gründeten, verbanden mit diesem Akt große Hoffnungen. Sie erwarteten von der UNO, daß sie in der Lage sein würde, den Frieden zu wahren, und zwar einen auf Gerechtigkeit und Selbstbestimmung, auf Menschenwürde und friedlicher Regelung aller Streitigkeiten beruhenden Frieden.
Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Es kam in den verflossenen drei Jahrzehnten zu einer großen Zahl kriegerischer Konflikte zwischen Mitgliedern der Vereinten Nationen, von denen einige bis an den Rand eines Weltkonfliktes gingen. Auch in anderer Hinsicht nahm die Entwicklung einen anderen Verlauf, als die Gründer es erwartet hatten. Die fünf mit dem Veto ausgestatteten Großmächte erwiesen sich als unfähig, die Entwicklung zu gestalten. Im Gegenteil: Zwischen ihnen brachen die besonders schweren Konflikte aus, und das Veto einer der Großmächte blockierte jede Entwicklungsmöglichkeit in den Vereinten Nationen für lange Zeit.
Statt dessen wuchs eine immer größere Zahl anderer Länder in die Vereinten Nationen hinein. Vielleicht ist es interessant, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß, als die Vereinten Nationen gegründet wurden, ihr drei asiatische Staaten angehörten - heute sind es 31 - und vier afrikanische Staaten - heute sind es 41 -. Daraus geht hervor, in welcher Weise sich die Verhältnisse in den Vereinten Nationen verändert haben.
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- ich bin gerne bereit, von Ihnen, Herr Wischnewski, eine Belehrung entgegenzunehmen. Es sind nicht 41, sondern 42 afrikanische Staaten.
Die Einstellung der Welt gegenüber den Vereinten Nationen ist nüchtener geworden. Viele Menschen sind von ihr enttäuscht.
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Aber trotzdem - das war wohl die einhellige Meinung aller Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses - sind die Vereinten Nationen heute die größte und wichtigste internationale Organisation. Ihre Bedeutung für die Wahrung des Friedens in begrenzten Bereichen - ich erinnere z. B. an Zypern , für die Fortentwicklung des Völkerrechts - der Berichterstatter, Herr Dr. Corterier, hat darauf hingewiesen -, für die Menschenrechte, für Abrüstung und Rüstungskontrolle, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Umweltschutz ist hoch zu veranschlagen. Wenn man auf die Funktion und die Bedeutung der Vereinten Nationen blickt, ist der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland darin stimmten alle Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses überein - ein wichtiges politisches Ziel, damit auch unser Land im Rahmen seiner Möglichkeiten an den geschilderten großen Aufgaben mitwirken kann.
Diese Überlegung wird auch nicht dadurch widerlegt, daß mit dem Beitritt unseres Landes zu den Vereinten Nationen mit Sicherheit zusätzliche Schwierigkeiten für uns verbunden sein würden, die mit unserer Haltung in den großen internationalen Konflikten unserer Zeit zusammenhängen. Denken Sie an den Nahostkonflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten, denken Sie an die dauernden Auseinandersetzungen zwischen Portugal und Südafrika auf der einen und den schwarzafrikanischen Staaten auf der anderen Seite. Wir werden hier genötigt sein, uns zwischen Freunden zu entscheiden, mit all den Belastungen, die solche Entscheidungen mit sich zu bringen pflegen.
Dr. Carstens ({2})
Meine Damen und Herren, auch hier darf ich wohl die einmütige Auffassung des Auswärtigen Ausschusses dahin gehend feststellen, daß diese Schwierigkeiten für sich allein kein Grund sein würden, den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen abzulehnen. Es sind die deutschlandpolitischen Fragen, die Fragen, die sich aus der Teilung unseres Landes ergeben, die Fragen, die sich aus der Tatsache ergeben, daß in einem Teil unseres Landes den dort lebenden Deutschen das Selbstbestimmungsrecht und die Menschenrechte vorenthalten werden, die zu Kontroversen im Auswärtigen Ausschuß geführt haben und die, wie ich meine, auch zu einer ernsten Betrachtung in dieser Stunde hier im Hohen Hause Anlaß geben.
({3})
Hier berührt sich die Diskussion über den UN- Beitritt mit der Diskussion über die Ostpolitik der derzeitigen Bundesregierung insgesamt. Die Regierung hat mehrfach gesagt, daß der Beitritt beider deutscher Staaten nach ihrer Meinung die Krönung dieser ihrer Politik sei. Es ist daher klar, daß sich alle die Bedenken und Einwendungen, die die Opposition gegen diese Politik vorgebracht hat - ich darf u. a. auf das Bezug nehmen, was Herr Kollege Jäger soeben hier vorgetragen hat -, ihre Unausgewogenheit, die Unklarheit der getroffenen Vereinbarungen, die mangelnde Wahrnehmung vitaler deutscher Interessen, bis zu einem gewissen Grad auch gegen den Schritt richten, der mit dem Beitritt zu ,den Vereinten Nationen ins Auge gefaßt ist. In der Tat - ich glaube, davor dürfen wir die Augen nicht verschließen - wird von vielen Menschen in der Welt der gleichzeitige Einzug der beiden deutschen Staaten in die Weltorganisation als der endgültige Schlußstrich unter die deutsche Frage, als die Besiegelung der Teilung Deutschlands und als eine Hinnahme der Zustände in der DDR durch die anderen Staaten der Welt verstanden.
({4})
Wir dürfen auch die Augen davor nicht verschließen, daß gerade dies das Verständnis der DDR selbst ist, welches sie mit dem von ihr beabsichtigten Schritt verbindet.
Nun bemühen sich die Bundesregierung und mit ihr die drei Westmächte, einem solchen Eindruck entgegenzuwirken. Der Herr Berichterstatter Dr. Corterier hat das im einzelnen dargelegt, und alles, was er in dieser Beziehung vorgetragen hat, ist richtig. Die Bundesregierung hat dem zugesagt, sie werde in den Vereinten Nationen erklären, daß mit dem gleichzeitigen Beitritt der beiden Staaten in Deutschland keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR verbunden ist, daß die Bundesrepublik Deutschland die Zweistaatlichkeit in Deutschland nicht als die endgültige Lösung der deutschen Frage ansieht, daß sie vielmehr an dem Ziel festhält, einen Zustand des Friedens in Europa herbeizuführen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wieder erlangt.
Schließlich werden auch die drei Westmächte zusammen mit der Sowjetunion anläßlich des Beitritts der beiden Staaten in Deutschland eine bereits im Wortlaut festgelegte Erklärung abgeben, in der sie feststellen werden, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte durch den Beitritt in keiner Weise berührt werden.
Aber meine Damen und Herren, wenn man sich diese Erklärung einen Augenblick genauer ansieht, so stellt man zu seiner Überraschung fest, daß diese Erklärung mit keinem Worte besagt, auf welchen Gegenstand sich die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte beziehen. Im Wege einer mühsamen Interpretation, nämlich aus der Tatsache, daß diese Erklärung ausgearbeitet und abgegeben wurde in dem ehemaligen Gebäude des Alliierten Kontrollrates - „in Berlin" steht auch nicht einmal darin -, kann man schließen, daß es sich um eine Erklärung handelt, die offenbar irgendwie mit Deutschland zusammenhängt, kann man schließen, muß man natürlich schließen und wollen wir auch schließen, daß es eine Erklärung ist, die von den Verantwortlichkeiten und Rechten mit bezug auf ganz Deutschland handelt. Aber es sind eben doch nur Brücken und Krücken, die uns zu diesen Schlußfolgerungen führen.
Die drei Westmächte haben - das muß anerkannt werden -- in ihrem Briefwechsel mit dem Bundesminister des Auswärtigen vom Dezember 1972 deutlich bekräftigt und bestätigt, daß der Deutschland-Vertrag durch den Beitritt der beiden deutschen Staaten zu den Vereinten Nationen unberührt bleibt. Das heißt, daß auch sein Art. 7 unberührt bleibt. Ich darf noch vielleicht in dieser Stunde den Art. 7 zitieren und ihn noch einmal in Ihrer aller Erinnerung zurückrufen. Er lautet in seinem entscheidenden Abs. 2:
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Bei einer Würdigung dieser Sachlage ist ein Teil der der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses zu der Überzeugung gelangt, daß der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen aus der Sicht unserer Deutschlandpolitik verantwortet werden kann, während ein anderer Teil der der Opposition angehörenden Mitglieder dieses Ausschusses aus den eingangs von mir genannten Gründen den gleichzeitigen Beitritt beider deutscher Staaten zur UNO unter den gegenwärtigen Verhältnissen als einen Rückschlag für unser gemeinsames deutschlandpolitisches Ziel, die Wiedererlangung der Einheit unseres Volkes, ansieht.
Alle Mitglieder der Opposition aber stimmten darin überein, daß, wenn die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen wird, es die Aufgabe dieser und aller künftiger Bundesregierungen sein wird, für die Gewährung des Selbstbestimmungsrechts an das ganze deutsche
Dr. Carstens ({5})
Volk vor dem Forum der Vereinten Nationen mit Nachdruck einzutreten.
({6})
Eine wichtige Rolle bei den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses spielte - der Herr Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen - der Komplex der Menschenrechte. Bekanntlich bekennt sich die Charta der Vereinten Nationen in eindrucksvoller Weise zu den Grundrechten aller Menschen und zu Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit. Umfangreiche Dokumente, die im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitet worden sind, eine Menschenrechtsdeklaration von 1948 und zwei Menschenrechtskonventionen von 1966, haben diese allgemeinen Grundsätzen konkretisiert.
Unter den Menschenrechten, die nunmehr zum Bestandteil der Menschenrechte der Vereinten Nationen zählen, finden sich, meine Damen und Herren, die folgenden: das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, sich innerhalb des Hoheitsgebietes eines Staates frei zu bewegen, und das Recht, jedes Land - einschließlich seines eigenen - zu verlassen,
({7}) das Recht zu streiken,
({8})
das Recht auf freie wissenschaftliche Forschung und freie künstlerische Betätigung.
Die Bundesrepublik Deutschland hat diese beiden Konventionen im Jahre 1968 unterzeichnet; sie befinden sich zur Zeit hier bei uns im Gesetzgebungsverfahren. Auch die DDR hat Ende März 1973 diese Konventionen unterzeichnet.
({9})
Aber das ändert, wie wir alle wissen, nichts an der Tatsache, daß den Menschen in der DDR gerade die Menschenrechte, die ich vorgelesen habe, weitgehend vorenthalten werden.
({10})
Der 69. Flüchtling, der an der Mauer in Berlin vor einigen Tagen tödlich getroffen zusammenbrach, legt davon ein erschütterndes Zeugnis ab.
({11})
Wieder fragt es sich, was durch den Beitritt beider deutscher Staaten zu den Vereinten Nationen an dieser Lage geändert werden kann. Kurzfristig - darin stimmten wohl alle Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses überein - nichts; ob langfristig eine Einwirkung auf die inneren Verhältnisse in der DDR möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Aber jedenfalls müßte es - insoweit kann ich eine erfreuliche Übereinstimmung aller Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses feststellen; Herr Dr. Corterier hat dies hier vorgetragen - die nobelste Pflicht der Regierung dieses Teiles Deutschlands, der Bundesrepublik Deutschland, sein, darauf hinzuwirken, daß sich die Zustände innerhalb der DDR im Sinne einer Beachtung der Menschenrechte ändern.
({12})
Der dritte große Komplex, den der Ausschuß im Zusammenhang mit der deutschen Frage diskutierte, betraf Berlin, genauer gesagt die Frage: wie kann sichergestellt werden, daß sich der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen auf das Land Berlin erstreckt und daß die Bundesrepublik Deutschland in Zukunft, wenn sie Mitglied geworden sein wird, das Land Berlin und die Interessen Berlins in den Vereinten Nationen vertritt?
Die der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses erinnerten zu Beginn der Debatte an die ihrer Meinung nach schwere Unterlassung, deren sich die Bundesregierung am Anfang ihrer Ostpolitik in dieser Hinsicht schuldig gemacht hat.
({13})
Sie hoben hervor, daß alle entscheidenden ostpolitischen Schritte der letzten drei Jahre einschließlich des jetzt ins Auge gefaßten UNO-Beiritts dier beiden Staaten in Deutschland in einem Papier festgelegt worden sind, auf das sich der damalige Staatssekretär Bahr und der sowjetische Außenminister Gromyko im Mai 1970 in Moskau einigten, und daß in diesem Papier nichts über die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik und über die Erstreckung der ins Auge gefaßten Vereinbarungen auf Berlin gesagt wird.
Die seitens der Bundesregierung zur Rechtfertigung oder Entschuldigung dieser Unterlassung ins Feld geführten Gründe sind nach Auffassung der der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses haltlos. Der jetzige Bundesminister Bahr hat in seiner Rede vom 15. Februar vor diesem Hohen Hause erklärt, daß die drei Westmächte wegen ihrer originären Rechte in und für Berlin die größten Bedenken dagegen gehabt hätten, daß die Bundesregierung mit der Sowjetunion oder gar - so hat er gesagt - mit der DDR über Berlin auch nur rede, geschweige denn Papiere darüber veröffentliche.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zu sagen, daß dies nach Ansicht der der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses eine Schutzbehauptung ist, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen wäre.
({14})
Ich jedenfalls habe Informationen bekommen, die mit dieser Behauptung nicht in Einklang stehen.
({15})
Aber selbst wenn sie richtig wäre, hätte sich die Bundesregierung mit einer solchen Haltung der drei Westmächte nach Auffassung der Mitglieder der Opposition im Auswärtigen Ausschuß nicht zufriedengeben dürfen.
({16})
Dr. Carstens ({17})
Sie hätte darauf hinweisen müssen, daß die Bundesregierung seit dem Jahre 1952 mit Zustimmung der drei Westmächte die Verpflichtung übernommen hat, das Land Berlin in internationale Verträge einzubeziehen, soweit nicht Fragen der Sicherheit oder der Verteidigung berührt sind. Diese Verpflichtung bezog sich eindeutig auch auf Verträge, die die Bundesrepublik Deutschland mit der Sowjetunion schließen würde.
({18})
Ich begrüße es, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin an dieser Sitzung teilnimmt. Er wird es richtig verstehen, wenn ich sage, daß die damalige Vereinbarung, auf die ich mich beziehe, eine solche war, die sein großer Vorgänger, Ernst Reuter, mit dem damaligen Bundeskanzler Adenauer geschlossen hat, und die, meine Damen und Herren, seitdem für die Bundesregierung in dieser Frage verbindlich ist.
Die Bundesregierung hätte daher nach Auffassung der der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses damals, 1970, als sie in ihren Vereinbarungen mit der Sowjetunion die dann folgenden Vertragsschlüsse und den UNO- Beitritt ins Auge faßte, sicherstellen müssen, daß sich diese Verträge und dieser Beitritt auf das Land Berlin erstreckten. Damals bestand eine politische Chance, dies zu erreichen; denn die Bundesregierung erfüllte bekanntlich mit dem Papier vom Mai 1970 sämtliche Forderungen, die die Sowjetunion seit langem gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erhoben hatte.
({19})
Es ist klar, daß, nachdem die damalige Chance nicht genutzt wurde, jede Bemühung der Bundesregierung, jetzt noch die sowjetische Zustimmung zur Einbeziehung Berlins in die Verträge der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen, unter weit ungünstigeren Voraussetzungen steht.
Die Bundesregierung hat nun zusammen mit den drei Westmächten ein Verfahren ausgearbeitet, durch das die Erstreckung unseres Beitritts zur UNO auf das Land Berlin sichergestellt werden soll und durch das auch sichergestellt werden soll, daß wir das Land Berlin künftig in der UNO vertreten werden; ausgenommen bleiben selbstverständlich Angelegenheiten der Sicherheit und des Status.
Die der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses waren der Meinung, daß ein besserer Weg als der jetzt vorgesehene zur Erreichung des gemeinsam erstrebten Zieles möglich gewesen wäre. Das haben sie auch im einzelnen ausgeführt.
Indessen wurde die Beratung im Auswärtigen Ausschuß in dieser Frage erst in einem Zeitpunkt geführt, in dem die Weichen gestellt waren und die Konsultationen mit den drei Westmächten einen Stand erreicht hatten, der eine Änderung der einmal beschlossenen Strategie nicht mehr möglich machte.
Ein Teil der der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses sah die ins Auge gefaßte Lösung als eine unter den gegebenen Umständen noch vertretbare an, zumal die Bundesregierung im Ausschuß eine wichtige Erklärung abgab, die ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, verlesen möchte. Sie lautet:
Eine aus der Mitte des Ausschusses gestellte Frage, ob die zweifelsfreie Miteinbeziehung Berlins - mit der bekannten Einschränkung: Status und Sicherheit - die unbedingte Voraussetzung für den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur UNO sei, wurde seitens der Bundesregierung bejaht. Sie erklärte, falls sich in dieser Frage Zweifel ergeben sollten, werde sie sich dazu in Verbindung mit der zweiten Lesung äußern.
Ein anderer Teil der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses sah diese Zusicherung dagegen als nicht voll ausreichend an. Er verlangte eine unzweideutige Klarstellung, daß die Sowjetunion entsprechend ihrer im Viermächteabkommen von 1971 übernommenen Verpflichtung keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Erstreckung des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland auf das Land Berlin erheben werde. Er wies darauf hin, daß, wenn diese Klarstellung jetzt nicht erreicht würde, die Berlin-Frage in Zukunft zu einem ständigen Streitpunkt in der Arbeit der Vereinten Nationen zu werden drohe.
Meine Damen und Herren, die unterschiedliche Bewertung der Berlin-Problematik und der Bedeutung, die der UN-Beitritt für die deutsche Frage insgesamt haben wird, hat dazu geführt, daß sich ein Teil der der Opposition angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses unter bestimmten Voraussetzungen für eine Zustimmung zu dem uns vorliegenden Gesetzentwurf ausgesprochen hat. Zu diesem Teil der Opposition gehörte ich. Ein anderer Teil hat sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Ich glaube, ich habe deutlich gemacht, daß es sich hier um eine Abwägung von einander widerstreitenden Gesichtspunkten handelt und daß gute Gründe für beide Standpunkte vorgetragen werden können.
Eines möchte ich aber mit großer Deutlichkeit namens der der Opposition angehörenden Mitglieder des Ausschusses sagen, die für den UNO-Beitritt gestimmt haben. In dem Bericht meines Herrn Mitberichterstatters klang an - an anderer Stelle ist es noch deutlicher gesagt worden -, daß gewissermaßen die innere Logik gebiete, zu beiden Vorlagen, dem Grundvertrag und dem UNO-Beitritt, ein und dieselbe Haltung einzunehmen, also entweder beiden Verträgen zuzustimmen oder beide abzulehnen. Diese Auffassung halte ich für falsch, denn beide Vorlagen, über die wir heute entscheiden werden, unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht diametral voneinander. Der UN-Vertrag ist für sich betrachtet ein guter, ich möchte sagen, ein hervorragender Vertrag, in dem die Grundsätze niedergelegt sind, die jeder politisch verantwortlich handelnde Mensch in unserem Lande bejaht.
({20})
Dr. Carstens ({21})
Die Erstreckung des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland auf das Land Berlin ist innerhalb gewisser Grenzen sichergestellt. Die Bedenken gegen den Beitritt rühren aus seiner Verbindung mit dem Beitritt der DDR her. Demgegenüber ist der Grundvertrag - lassen Sie mich das einmal so sagen - ein nach Auffassung der Opposition mit schweren Mängeln behafteter Vertrag. Er steckt voller Zweideutigkeiten; vitale deutsche Interessen wie die Einheit der Nation und die Gewährung menschlicher Erleichterungen sind in ihm ungenügend gesichert worden. Berlin ist in den Grundvertrag überhaupt nicht einbezogen, seine Einbeziehung in die sogenannten Folgeverträge ist als eine unverbindliche Möglichkeit ohne Absicherung vage ins Auge gefaßt. Die Opposition ist sich daher in ihrer überwältigenden Mehrheit in der klaren Ablehnung des Grundvertrages einig, während sie aus den von mir genannten Gründen in der Frage des UN-Beitritts eine unterschiedliche Haltung einnimmt.
({22})
ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Professor Dr. Carstens, für Ihre weitere Berichterstattung.
Wir treten nunmehr in die Aussprache ein. Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz.
Schütz, Regierender Bürgermeister von Berlin: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Deutsche Bundestag heute über den Grundlagenvertrag mit der DDR und über das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen berät, so ist, wie ich sicher bin, die Auffassung und die Einschätzung des Landes Berlin wichtig und von Bedeutung. Das gilt nicht nur, weil die Fragen, die dabei anstehen, uns in Berlin auf vielfache Weise betreffen, sondern auch weil der direkte Bezug auf das Viermächteabkommen und damit auf die Zukunft dieser Stadt wohl von allen anerkannt wird.
Wir in Berlin haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, daß ein Vertrag dieses Charakters Wirklichkeit wird. Für uns war dabei neben anderem, über das in dieser Debatte sicherlich auch gesprochen werden muß, wichtig, welche unmittelbaren Erfahrungen wir in Berlin gemacht haben und wie wir die zukünftige Entwicklung der Stadt einschätzen. Wir hatten unseren Standpunkt an drei Gesichtspunkten orientiert, die uns wesentlich schienen, und damit an bestimmten Erwartungen orientiert, die erfüllt sein mußten, um den Vertrag für akzeptabel und für brauchbar zu halten.
Erstens. Die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte müßten angemessen berücksichtigt werden.
Zweitens. Bestimmungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland müßten ohne Einschränkung beachtet werden.
Drittens müßte die Einbeziehung des Landes Berlin in dem Sinne zweifelsfrei sein, daß alle Abmachungen, Vereinbarungen und Abkommen, die sich praktisch daraus ergeben würden, diese unsere Stadt voll einbeziehen.
Unsere Schlußfolgerung heute und angesichts des Vertrages, über den der Bundestag jetzt zu entscheiden hat, ist klar und eindeutig zu formulieren: die drei Voraussetzungen, von denen wir ausgegangen sind, sind gegeben. Der Vertrag berücksichtigt diese Forderungen, er löst sie ein. Die Siegermächte des zweiten Weltkrieges haben ihre Rechte und Verantwortlichkeiten deutlich gemacht; diese bleiben vom Vertrag unberührt. Am Fortbestand der Verantwortung der Vier Mächte kann es keinen Zweifel geben. Wir in Berlin haben das aufmerksam und dankbar zugleich zur Kenntnis genommen. Die Bundesregierung ist den Bestimmungen des Grundgesetzes voll nachgekommen. Als drittes und für uns in Berlin besonders wichtiges Ergebnis ist festzustellen: West-Berlin ist einbezogen und wird Teil aller praktischen Regelungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland sein. Die ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR wird dort in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen die Interessen von Berlin ({0}) vertreten.
Es ist gewiß nicht notwendig, im einzelnen darzustellen, daß gerade dieses Ergebnis für uns in Berlin besonders bedeutsam ist. Wir haben zwar mit Regelungen dieser Art gerechnet. Dennoch begrüßen wir es, daß die Bundesregierung ihre Politik mit dem Blick auf Berlin so klar gestaltet hat und daß sie die Interessen unserer Stadt in ihrer Politik so umfassend berücksichtigt hat.
Heute möchte ich gerade vor dem Deutschen Bundestag dafür danken, daß der Unterhändler der Bundesregierung während der Verhandlungen einen so engen und einen so vertrauensvollen Kontakt zum Senat von Berlin gehalten hat.
({1})
Kein Schritt ist ohne unsere Zustimmung gegangen worden. Kein Teil des Vertrages ist ohne auch unser Ja mit der anderen Seite vereinbart worden. Das ist beispielhaft gewesen, beispielhaft sicherlich für die Zukunft, aber auch beispielhaft angesichts der Tatsache, wie wenig das Wort Berlins berücksichtigt worden ist, als frühere Bundesregierungen ohne verbindliche Formen der Einbeziehung Berlins und gegen den Rat des Senats von Berlin - ich wiederhole: gegen den Rat des Senats von Berlin - beispielsweise Kulturabkommen mit der Sowjetunion abgeschlossen haben.
({2})
Da es Mode geworden ist, Kritik und Opposition in der Sache zu personalisieren, also an Personen aufzuhängen, sage ich hier ganz bewußt und mit Betonung namens des Senats von Berlin dem Unterhändler der Bundesregierung, Bundesminister Egon Bahr, Dank.
({3})
Regierender Bürgermeister Schütz
Zu den Detailfragen, die bei der Einbeziehung Berlins in den Grundlagenvertrag und im Zusammenhang mit dem UN-Beitritt der Bundesrepublik zu beantworten waren, haben wir uns in den Ausschußberatungen des Deutschen Bundestages geäußert. Lassen Sie mich deshalb unseren Standpunkt hier nur so knapp wie nötig in fünf Punkten auch für diese Debatte klar umreißen.
Erstens. Die Stellung Berlins nach dem Viermächteabkommen ermöglicht es, die Bindungen Berlins an den Bund zu verstärken. Dem dient unserer Meinung nach auch dieser Vertrag. Eine statische Betrachtungsweise verkennt hier offensichtlich die dynamischen Entwicklungsmöglichkeiten, die an die Stelle der Berlin- und Deutschlandpolitik früherer Jahre getreten sind. Es ist gerade ein besonders wichtiges Ergebnis des Vertrages, daß die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR die Interessen von Berlin ({4}) vertritt und daß die noch zu schließenden Vereinbarungen zwischen den beiden deutschen Staaten im Einklang mit dem Viermächteabkommen auf Berlin ({5}) ausgedehnt werden können.
Zweitens. Die Einbeziehung Berlins in bilaterale Verträge der Bundesrepublik erfolgt im allgemeinen durch eine Formel, nach der ein Abkommen auch für das Land Berlin gilt, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik gegenüber dieser Regierung, mit der das Abkommen abgeschlossen wurde, innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Abkommens eine gegenteilige Erklärung abgibt. Beim Grundlagenvertrag ist - wie schon bei anderen Vereinbarungen mit der DDR - der Weg gewählt worden, die Geltung für Berlin in begleitenden Erklärungen anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages festzulegen. Wer die Entwicklung der Bemühungen gerade früherer Bundesregierungen, das Land Berlin in Verträge dieser Art einzuordnen, wirklich kennt, wird wissen, daß diese Form, die hier gefunden worden ist, ohne jeden Zweifel verbindlich ist. Ich muß in allem Ernst davor warnen, daß an dieser Verbindlichkeit hier oder anderswo ohne jeden Grund gezweifelt wird.
Drittens. Die Einbeziehung Berlins in den Grundvertrag konnte jedoch nur insoweit angestrebt werden, als das für Status- und Sicherheitsfragen Berlins vorrangige Viermächteabkommen über Berlin unter Einschluß der deutschen Zusatzvereinbarungen, wie Transitabkommen oder Reise- und Besuchsregelungen, dafür Raum läßt. Die Erklärung beider Seiten in diesem Zusammenhang bezüglich der Folgevereinbarungen gemäß Art. 7 des Grundvertrages in Verbindung mit dem Zusatzprotokoll sowie der Vertretung der Interessen Berlins durch die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der DDR bezieht sich daher auf die nach dem Viermächteabkommen noch regelbaren praktischen Fragen für Berlin.
Viertens. Im Zustimmungsgesetzentwurf zum Grundlagenvertrag ist die Erstreckung des Vertrages auf das Land Berlin in Art. 2 vorgesehen. Die Formulierung der Berlin-Klausel knüpft an die Fassung des Zustimmungsgesetzes zum Allgemeinen
Verkehrsvertrag an. Art. 2 des Gesetzentwurfs zum Grundlagenvertrag enthält jedoch noch eine den sachlichen Geltungsbereich des Gesetzes einschränkende Klausel, die im Hinblick auf das Viermächteabkommen erforderlich erschien. Danach gilt das Gesetz - ich zitiere hier -, „soweit sich die Regelungen des Vertragswerkes auf das Land Berlin beziehen, auch im Land Berlin, sofern das Land Berlin die Anwendung dieses Gesetzes feststellt". Die Einbeziehung Berlins in die Regelungen des Grundlagenvertrages ist demnach durch die Erklärung der Vertragspartner, der Vehandlungspartner, sowie im innerstaatlichen Ratifikationsprozeß durch Art. 2 des Zustimmungsgesetzes voll gewährleistet.
Fünftens. In dem Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik zur Charta der Vereinten Nationen mußte aus Respekt vor dem Viermächteabkommen die Einbeziehung Berlins geregelt werden. Art. 2 des Gesetzentwurfs sieht die Ausdehnung der UN-Charta auf Berlin vor. Diese Formulierung schließt sich an die entsprechende Anlage zum Viermächteabkommen an. In dieser Anlage IV ist ausdrücklich bestimmt, daß die Bundesrepublik Deutschland die Interessen der Westsektoren Berlins in internationalen Organisationen vertreten kann. Gleichzeitig hat die Sowjetunion dabei ausdrücklich erklärt, daß sie keine Einwendungen gegen die Interessenvertretung durch die Bundesrepublik Deutschland in internationalen Organisationen erhebt, sofern Angelegenheiten der Sicherheit und des Status nicht berührt werden.
Hier darf ich aber zu einem Argument der Diskussion um den Grundlagenvertrag etwas sagen. Viele meinen, es sei eine Relativierung oder es sei eine Kategorie minderen Rangs, wenn in den Einbeziehungserklärungen über Berlin von „kann" und nicht von „wird" gesprochen wird. Dies ist übrigens für jeden Kenner der Berlin-Problematik nichts Besonderes, obwohl ich verstehe, daß es für den mehr Außenstehenden auf den ersten Blick nicht ganz überzeugend zu sein scheint. Deshalb möchte ich deutlich machen, worum es hier geht und worum es uns in diesem Zusammenhang gehen mußte, in der Hoffnung, daß wir über Parteigrenzen hinweg auch noch etwas werten können, was andere in diesem Zusammenhang sagen. Zwei Gedankengänge sind wichtig gewesen.
Sosehr es reizen würde, das bestimmende „werden" anstelle von „können" mit der DDR grundsätzlich zu vereinbaren, sosehr bleibt richtig, daß ein derartiger Automatismus, wie ich persönlich ihn in früheren Jahren auch gerne gehabt hätte, im Widerspruch zu den Rechtspositionen offenbar der wesentlichen Hauptbeteiligten am Berlin-Status heute steht, und das auf westlicher Seite nicht erst seit 1971 oder 1972.
({6})
Wer den Grundvertrag auch nach Berlin, wenn auch in der Form dieser speziellen Berlin-Klausel, ausdehnen wollte, mußte also dieser Formel mit ihrem „kann" zustimmen. So ist die Lage, und keine Partei im Bundestag oder darüber hinaus kann sie auf diesem Gebiet verändern.
Regierender Bürgermeister Schütz
Andererseits ist es wichtig, zu wissen, daß diese Bundesregierung zusätzlich erklärt hat, sie würde keine Vereinbarung, kein Abkommen ohne Berlin abschließen. Dies schließt den Kreis genau dort, wo es notwendig war, diesen Kreis zu schließen. Lassen Sie mich sagen: Damit ist diese Bundesregierung weitergegangen als viele ihrer Vorgängerinnen in dieser Frage. So dankbar ich für das Interesse aller an Berlin-Klauseln heute für Verträge mit osteuropäischen Staaten bin, so klar muß sein, daß es gut gewesen wäre, wenn wir dieses Interesse im ganzen Haus auch in früheren Jahren gefunden hätten.
({7})
Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat vor mehr als einem Jahr im Bundesrat stolz darauf hingewiesen, daß es seit 1955 - ich zitiere - bis zum Regierungswechsel 1969 über 25 Verträge und Vereinbarungen mit osteuropäischen Staaten gegeben habe. Nur, meine Damen und Herren, das waren alles Verträge und Vereinbarungen ohne Einschluß Berlins.
({8})
Das ist jetzt vorbei, und das konnte jetzt überwunden werden.
({9})
Mit dieser Bundesregierung sind Verträge ohne Berlin nicht möglich, auch nicht mit der DDR.
({10})
Wenn wir das Vertragswerk also so sehen und so werten, müssen darüber hinaus auch und gerade aus Berliner Sicht noch einige allgemeine Gesichtspunkte hinzugefügt werden. Berlin steht jetzt mehr als 25 Jahre im Brennpunkt des politischen Geschehens in Deutschland. Es hat sich oft im Mittelpunkt der Reibungen zwischen Ost und West befunden. Deshalb ist es lebenswichtig, daß der Wille beider deutschen Staaten bekundet und besiegelt worden ist, Beziehungen zueinander aufzunehmen und sie auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Wir in Berlin vermögen vielleicht am besten einzuschätzen, welche Steine man aus dem Weg räumen mußte, um zunächst zu einem Dialog und schließlich zu brauchbaren Abmachungen mit der DDR zu kommen. Wir vermerken dankbar, daß die Verantwortlichen in Ost und in West ungeachtet der fortbestehenden politischen Gegensätze darangegangen sind, im Interesse der Menschen den Weg zum funktionierenden Nebeneinander zu organisieren. Wir werden jetzt bei aller Skepsis, die ohne Frage vorhanden bleibt, die Zusammenarbeit zu lernen haben.
Wir Berliner begrüßen übrigens auch besonders die nur scheinbar kleineren Erleichterungen im unmittelbaren Bereich der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Wir wissen seit dem 4. Juni des vergangenen Jahres, seitdem wir auf vertraglich vereinbarter Grundlage Ost-Berlin und die DDR besuchen können, was es bedeutet, wieder normale Beziehungen zu unseren Freunden und zu unseren Verwandten unterhalten zu können. Meine Damen und Herren, auch wir hatten vor etwa einem Jahr unsere Zweifel und unsere Skepsis, ob die
Vereinbarungen in ,der Praxis das halten würden, was die Texte versprachen. Dieses Stadium ist heute längst überwunden. Gegen alle Zweifel und Skepsis haben sich die deutschen Vereinbarungen in den vergangenen Monaten bewährt. Die Regelungen über Transit und über Besuche und Reisen funktionieren heute so gut wie reibungslos.
({11})
Die Vorteile und den Nutzen aus dieser Politik der Entspannung kennt wohl niemand besser als wir in Berlin. Es ist wohl auch nirgendwo deutlicher als in Berlin, daß diese Politik folgerichtig und beharrlich fortgesetzt werden muß. Wir dürfen nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Alles, was wir getan haben, hätte dann auch nur den halben Wert.
Lassen Sie mich einiges zusätzlich zur Lage in und um Berlin, so aktuell wie irgend möglich, sagen. Sowenig irgendeine Entwicklung geradlinig und widerstandslos vonstatten geht, sowenig ist dies auch in Berlin der Fall. Natürlich wäre es uns lieber, wenn alles in unserem Sinne glatt voranginge. Es gibt aber da und dort diese und jene Schwierigkeiten, und jede Schwierigkeit muß ernstgenommen, wichtig genommen werden. Aber keine von ihnen ist auch nur entfernt mit dem Riesenkomplex vergleichbar, vor dem wir noch vor wenigen Jahren standen. Wir müssen uns aber natürlich heute - und gerade heute - auch um jede dieser scheinbar kleineren Schwierigkeiten kümmern. Wir müssen uns z. B. um eine Angelegenheit kümmern, die für unsere Stadt von großer Bedeutung ist: West-Berlins Auftreten zusammen mit der Bundesrepublik ist nach dem Viermächteabkommen unbestritten. West-Berlin kann daher gemeinsam mit der Bundesrepublik am internationalen Austausch und an internationalen Ausstellungen teilnehmen, und Tagungen internationaler Organisationen, internationale Konferenzen sowie Ausstellungen mit internationaler Beteiligung können bei uns durchgeführt werden. Nun beobachten wir, daß die Sowjetunion und ihre Verbündeten -- nicht zuletzt gilt das für die DDR - nur zögernd gemäß diesen Festlegungen des Berlin-Abkommens verfahren. Es hat den Anschein, daß die von der Sowjetunion in dem Abkommen anerkannten Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik von ihr selbst und ihren Partnern in Osteuropa in der Praxis noch nicht voll akzeptiert werden. Das ist für uns aber unerträglich. Das kann nicht hingenommen werden, und das wird auch nicht hingenommen werden.
({12})
Ebenso kann und darf niemand ruhig bleiben, wenn in Berlin und an den Grenzen zur Bundesrepublik Deutschland weiter geschossen wird. Gewalt bleibt Gewalt, und es bleibt das Ziel all unserer Bemühungen, an Grenzen und Mauern Gewalt und Schießen endgültig zu überwinden.
({13})
Wir werden ohne Hysterie, ruhig und bestimmt darauf dringen, daß dem Viermächteabkommen nach Buchstaben und Geist in allen Punkten Rechnung getragen wird. Es darf keinen politischen Boykott
Regierender Bürgermeister Schütz
West-Berlins als Messe- und Kongreßplatz geben. Dies sei übrigens auch im Blick auf die morgigen Verhandlungen der Sportverbände aus der DDR und der Bundesrepublik gesagt. Wer beispielsweise Westberliner aus Sportdelegationen der Bundesrepublik Deutschland ausschließen will, muß wissen, daß wir es nicht akzeptieren werden, daß West-Berlin und Westberliner politisch diskriminiert werden.
({14})
Alle müssen sich darüber im klaren sein: Genausowenig wie West-Berlin ein dritter deutscher Staat wird,
({15})
genausowenig sind wir eine vom Weltgeschehen isolierte Insel. In und an Berlin wird also auch zukünftig geprüft werden können, ob und wieweit Entspannung in Europa heute sinnvoll und konstruktiv möglich ist. Wir sind und bleiben fest mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden.
Wir sind uns im klaren darüber, daß mit diesem Vertragswerk nicht alle Probleme gelöst sind. Niemand sollte davon ausgehen und etwa meinen, alle Schwierigkeiten, die sich über 20 Jahre aufgetürmt hatten, seien jetzt mit einem Mal beseitigt. Euphorie ist sicher nicht die geeignete Grundhaltung für die zu erwartende Zusammenarbeit. Denn Interessengegensätze bleiben, aber nicht alle Interessen müssen immer gegeneinander gerichtet sein.
Dieser Grundstein ist für mich ein Markstein in unserer Nachkriegsgeschichte. Er setzt nicht eine Reihe von Marksteinen fort, die seit 20 Jahren gesetzt worden sind und die markierten, wie die Nation auseinanderstrebte. Er zeigt vielmehr an, daß die Wege der Nation auch parallel laufen können, wenn sie so geplant sind und wenn alle es wollen. Die Deutschen, die heute in zwei Staaten leben, brauchen einen Vertrag dieser Art. Er hilft die Substanz erhalten und bewahren.
Meine Damen und Herren, Berlin hat - wie übrigens alle anderen Länderregierungen - im Bundestag dem Gesetzentwurf über den Beitritt zu den Vereinten Nationen zugestimmt. Es stimmt ebenfalls dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu. Heute bitten wir Sie, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, mit Nachdruck, Vertrag und Gesetz zuzustimmen, auch weil das wichtig ist für Berlin.
({16})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Rede des Herrn Regierenden Bürgermeisters haben wir mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Wir könnten nur eines wünschen: daß das von ihm hier gebotene Bild der Berliner Lage auch den so oft zitierten Realitäten entspricht.
({0})
Er kann sich darauf verlassen, daß die Fraktion der CDU/CSU die Bemühungen und die Ziele, die er hier dargestellt hat, ohne jeden Vorbehalt unterstützt.
({1})
Wir haben aber nicht nur ernsthafte Zweifel, sondern wir bestreiten, daß die Politik, für die er sich hier - naturgemäß - eingesetzt hat, dazu führt, die von ihm geschilderten Ziele langfristig zu erreichen.
({2})
Darüber, über die Wirklichkeit und die Zukunftsaussichten wird Kollege Amrehn im Laufe dieser Debatte eingehend sprechen.
Ich möchte die Aussprache mit einer Gesamtwürdigung eröffnen, die schon auf Grund der Funktion der Opposition und auf Grund der gegebenen Problematik sehr kritisch sein muß und nicht einen Hymnus panegyrikus darstellen kann, in den ja manchmal Würdigungen der Regierungspolitik einzumünden drohen.
Es handelt sich um den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Erlauben Sie mir dazu ein grundsätzliches Wort. Dieses Wort ist an die Adresse des Herrn Bundeskanzlers gerichtet. Man kann weder die Menschen in Deutschland noch die Mitglieder des Deutschen Bundestages in solche einteilen, die den Frieden wollen, und in solche, die den Frieden nicht wollen,
({3})
in solche, die Entspannung wünschen, und solche, die keine Entspannung wünschen. Warum sage ich das? Weil das böse Wort des Bundeskanzlers im jugoslawischen Fernsehen nach wie vor im Raum steht und weil heute im Zusammenhang mit dieser Debatte oder morgen oder übermorgen die Möglichkeit besteht, das in Ordnung zu bringen, nämlich das Wort, es gebe auch unter den Wählern der CDU/CSU solche, die den Frieden wollten.
({4})
Was heißt denn das?
Die Frage ist doch nicht, ob jemand für oder gegen den Frieden ist, für oder gegen Entspannung, für oder gegen Sicherheit, für oder gegen Zusammenarbeit und auch nicht - und darum sage ich es - für oder gegen Verträge mit kommunistischen Staaten. Das sind falsche Alternativen, die aus Gründen propagandistischer Wirkung in die Welt gesetzt worden sind.
({5})
Niemand der von mir hier vertretenen Fraktion bestreitet einem Mitglied einer anderen politischen Partei, einer anderen demokratischen Gruppierung die ehrliche und ernste Friedensliebe, den Wunsch
nach Sicherheit und Entspannung, den Wunsch nach normalem Zusammenleben, dem Wunsch nach Zusammenarbeit und dein Wunsch, zu geregelten Verhältnissen zu kommen. Die Frage ist auch nicht, ob jemand das will. Das sollten wir uns gegenseitig als selbstverständlich zuerkennen.
Die Frage ist nur, ob die Politik, die auf der einen Seite bejaht und betrieben wird, auf unserer Seite kritisch gewürdigt und abgelehnt wird, diesen Zielen wirklich dient. Hier geht es nicht um moralische Wertung, sondern hier geht es um politisch-geschichtliche Würdigungen und damit zu verbindende Schlußfolgerungen und um nichts anderes.
Das sage ich ausdrücklich auch im Zusammenhang mit der Frage: für oder gegen Verhandlungen mit kommunistischen Staaten, für oder gegen Verträge mit kommunistischen Staaten? Natürlich sind wir, und zwar ohne eine einzige Ausnahme, der Meinung, daß das Gebot der Vernunft es erfordert, mit kommunistischen Staaten zu verhandeln, was oft andere Methoden und andere Abläufe voraussetzt als Verhandlungen mit anderen Staaten, mit Staaten der demokratischen Welt. Natürlich sind wir für Verträge mit kommunistischen Staaten. Ich bitte, dieses wirklich dümmliche und vergiftende Argument, als ob die eine Seite für Verhandlungen und Verträge sei und die andere, die Opposition, gegen Verhandlungen und Verträge sei, ein für allemal zu unterlassen.
({6})
Es dienst weder der Klärung noch der Atmosphäre.
Auch frühere Regierungen der CDU/CSU haben Verträge mit der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten geschlossen. Ich darf das als bekannt voraussetzen. Auch die letzte von einem CDU- Kanzler geführte Regierung, deren Außenminister Sie waren, Herr Bundeskanzler, hat Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen, mit dem anderen Teil Deutschlands, mit anderen kommunistischen Staaten angestrebt und vorbereitet. Verträge, die dem Gewaltverzicht und der Zusammenarbeit ohne Täuschung des Partners, aber auch ohne Selbsttäuschung gewidmet sein sollten, werden immer unsere Zustimmung finden. Verträge, die in der Wahl der Begriffe und in der Wahl der diese Begriffe ausdrükkenden Formulierungen offen, klar und eindeutig sind, Verträge, die die deutsche Frage und mit ihr das Selbstbestimmungsrecht aller Völker innerhalb des Vertrages - und nicht um den Vertrag herum - für die Weltöffentlichkeit erkennbar offenhalten, Verträge, die keiner Doppeldeutung und schon gar nicht einer gegensätzlichen Deutung zugänglich sein dürfen,
({7})
solche Verträge werden unsere Billigung finden. In diesem Hause ist schon oft darüber gesprochen worden, und insoweit bedarf es wohl keiner Wiederholung. Aber ich muß darauf zurückgreifen, weil der vorliegende Vertrag ein Ergebnis, ein von der Bundesregierung in Verfolgung ihre früheren Methode und Doktrin ausgehandeltes Ergebnis des Moskauer Vertrages ist. Ich sage nicht: Er ist ein zwangsläufiges Ergebnis. Auch der Moskauer Vertrag, von uns als rechtsgültig anerkannt, hätte einen
anderen Vertrag mit der DDR ermöglicht. Hier
möchte ich sehr klar den Trennungsstrich ziehen.
({8})
Aber schon bei der Aushandlung des Moskauer Vertrages und des sogenannten Bahr-Papieres - dabei erinnere ich mich, daß, als das Bahr-Papier auf dem Wege der regierungsamtlichen Indiskretion frühzeitig veröffentlicht und von uns in einer Debatte im Jahre 1970 hier einmal zitiert wurde, und zwar noch vor der Unterschrift unter den Moskauer Vertrag, der Außenminister sagte, es gebe kein solches Papier, es handele sich nur um unverbindliche Protokollnotizen; ich sage das nur hinsichtlich der Glaubwürdigkeit gewisser Bewertungen oder gewisser Feststellungen - hat der Unterhändler der Bundesregierung, der damalige Staatssekretär Bahr, Formulierungen angenommen oder selbst geliefert, die zu einem der merkwürdigsten Vorgänge in der Geschichte der Diplomatie und der internationalen Vertragswerke geführt haben; allerdings mit unübersehbaren Folgen, mit denen die deutsche Politik und die internationale Politik noch auf unabsehbare Zeit belastet werden.
Während nämlich die Vertragspartner - die Sowjetunion, das gleiche gilt auch für Polen - diese Verträge öffentlich als Anerkennungs- und Teilungsverträge ausweisen, in unzähligen Bekundungen im Sinne einer einheitlichen Sprachregelung nur diese Auslegung als möglich und zulässig erklären, hat die Bundesregierung unter Hinweis auf ihren Brief zur deutschen Einheit, unter Hinweis auf andere Bekundungen sich selbst, das deutsche Volk und die Weltöffentlichkeit davon überzeugen wollen, daß es sich hier nur um einen Gewaltverzicht besonderer Art handele, um einen Modus vivendi, um eine Regelung des Nebeneinander in guter Nachbarschaft und wachsender Zusammenarbeit.
Der Versuch - ich sage das, weil die Vorgänge von damals für unsere Haltung von heute von Bedeutung sind und deshalb festgehalten werden müssen -, in dieser geschichtlichen und schicksalshaften Frage trotzdem zu einer Übereinstimmung zwischen den demokratischen Parteien dieses Parlamentes zu kommen, hat zu der Entschließung vom 17. Mai 1972 geführt, die einstimmig im Deutschen Bundestag angenommen worden ist und zu der wir uns nach wie vor ohne jedes Wenn und Aber und ohne jeden Abstrich bekennen.
({9})
Für die CDU/CSU sind Frieden, Sicherheit, Entspannung, Nebeneinander, Zusammenarbeit genauso ernsthafte Ziele wie für alle anderen. Wir haben uns aber damals trotzdem nicht in der Lage gesehen, diesen Verträgen zuzustimmen, weil sowohl die Formulierung der Verträge selbst wie die Behandlung der Entschließung durch die Vertragspartner - der Entschließung vom 17. Mai 1972 - und das Verhalten der Bundesregierung es uns - ich sage sogar: leider; Sie können mir das glauben - unmöglich gemacht haben, unsere Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung
etwa an Hand dieser Verträge zu bekunden. Mit dieser Entschließung ist seinerzeit ein merkwürdiges Spiel getrieben worden, und die dabei gezogenen Lehren hätten ausreichen müssen, um eine Wiederholung verhindern zu können.
({10})
Wir alle haben der Entschließung zugestimmt. Der Vertragspartner hat sie auch - nach einem listenreichen Vorspiel - ohne Widerspruch entgegengenommen. Aber der Vertragspartner auf unserer Seite hat einen Text mit gegenteiliger Auslegung ebenfalls ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen, nämlich die Gromyko-Rede und sonstige Auskünfte des Herrn Gromyko,
({11})
die er in dem entsprechenden sowjetischen Gremium gegeben hat. Der Herr Bundeskanzler hat damals zu unserer Überraschung - nachdem wir uns wochenlang darüber unterhalten haben, daß eine Entschließung die Auslegung der Verträge klären müsse - im Bundestag in einer wohlvorbereiteten und abgestimmten Formulierung erklärt, Rechte und Pflichten könnten ja nur aus dem Vertragstext und nicht aus der Entschließung erläutert werden.
({12})
Es war eines der merkwürdigsten Dinge, Herr Kollege Wehner, daß man selbst den Text der Verträge - zum Teil unter Verwendung sowjetischer Strategieformulierungen, zum Teil unter Verwendung doppeldeutiger Formulierungen - so gestaltet, daß eine gegensätzliche Interpretation durch beide Vertragspartner möglich ist, daß man deshalb eine Entschließung für wünschenswert, notwendig hält und im Sinne der deutschen Interessen sogar als Ziel gemeinsamer Zustimmung ausarbeitet und hernach dann erklärt, daß das, was wegen Unklarheit doppeldeutig ist und deswegen interpretiert werden muß, trotzdem die alleinige Quelle für die Definition der Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag ist. Dazu sagen Sie „sehr gut"!
({13})
Das waren die Gründe, aus denen wir seinerzeit der Entschließung zugestimmt und unseren guten Willen durch Stimmenthaltung bekundet haben.
({14})
- Ich wollte, ich könnte das gleiche bei Ihnen feststellen.
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Es geht hier nicht um ideale und einleuchtende Zielsetzungen, die die Gefühle der Menschheit in Begeisterung versetzen können, sondern es geht sowohl bei den früheren Verträgen wie auch bei diesem Vertrag um ein Stück realer Machtpolitik, bei der weder die Rechte der Deutschen und anderer Völker ad acta gelegt werden dürfen, noch geht es darum, aus deutscher Ostpolitik mit guten Vorsätzen und schönen Zielformulierungen im Zwang eines unerbittlich geschichtlichen Ablaufes sowjetische Machtpolitik gegen die freien Länder Europas entstehen zu lassen. Das ist unsere Aufgabe.
({16})
Auch wenn Sie lachen, Herr Wehner, wage ich es trotzdem zu sagen: Irreführung der Offentlichkeit ist es zu behaupten, damals wäre nur dieser so formulierte Vertrag mit Moskau der einzig mögliche gewesen.
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- Genau das ist ein dümmliches Argument, Herr Wehner!
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Trotzdem ist es für uns eine Selbstverständlichkeit zu sagen, diese Verträge sind völkerrechtlich gültig, wir denken und handeln, wie schon erwähnt, in den Maßstäben: Pacta sunt servanda. Aber was heißt denn das bei gegensätzlicher Deutung und konträrer Schlußfolgerung daraus durch die Vertragspartner? Sicher ist, daß die CDU/CSU die Bundesregierung überall und jederzeit in vollem Umfang darin unterstützen wird, die Verträge im Sinne der gemeinsamen Entschließung vom 17. Mai als der einzig zulässigen Auslegungs- und Anwendungsregel auszulegen und anzuwenden.
({19})
Aber auch umgekehrt wird die CDU/CSU ihre Pflicht als Opposition erfüllen, wenn dieser gemeinsame Rahmen verlassen werden würde. CDU und CSU erkennen auch an, daß die Bündnispartner mit dem Dezember-Kommuniqué des NATO-Rats in Erfüllung selbstverständlicher Loyalitätspflicht - das darf ich allerdings sagen - die Auffassung der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages hinsichtlich der Auslegung des Grundvertrages gestützt haben. Die Zukunft wird erweisen, was Lippenbekenntnis und was ernsthafter Vorsatz ist.
CDU und CSU können ihre Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß nicht nur der sowjetische Vertragspartner und seine im Sinn der BreschnewDoktrin geeinten Bündnispartner diese Verträge, und zwar nicht nur die, anders auslegen, sondern daß es in der öffentlichen Meinung der übrigen Welt, nicht nur hinter vorgehaltener Hand, eine Auslegung gibt, daß dieser Vertrag die deutsche Zustimmung zur Teilung Deutschlands, zur Preisgabe des Selbstbestimmungsrechtes, zur endgültigen Anerkennung aller bestehenden Grenzen und zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR bedeute. Hier stehen wir ja auf Ihrer Seite; aber wir können die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß nicht nur der kommunistische Vertragspartner, sondern die Welt darum herum - mit Ausnahme der Offiziellen bei den NATO-Kommuniqués -, diese Verträge etwas anders auslegen. Etwas anderes zu behaupten heißt, Selbsttäuschung zu betreiben.
Die Bundesregierung kann sich darauf verlassen, daß wir ihr hier zur Seite stehen, unsere Auslegung
allein anzuwenden und durchzusetzen. Wenn aber die Bundesregierung der gegenteiligen Auffassung, daß die Verträge nicht das bedeuten, was ich soeben gesagt habe, zum Durchbruch verhelfen will oder dieser unserer Auffassung wenigstens mehr Geltung in der Weltöffentlichkeit verschaffen will, müßte sie wesentlich mehr tun, als sie bisher getan hat, um diese Auffassung in der Öffentlichkeit plausibel, bekannt und verständlich zu machen.
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Das ist aber offensichtlich aus Gründen der Klimapflege und guter atmosphärischer Verhältnisse nicht geschehen. Vielleicht wird die Bundesregierung beim kommenden großen Staats- und Parteibesuch die Gelegenheit wahrnehmen, das zu tun. Ich teile nicht die Auffassung meines Fraktionskollegen Günther Müller, daß mit dem Wort des Bundeskanzlers, es gebe Besuche, die man lieber gehen als kommen sehe, etwa Leonid Breschnew gemeint sein könnte und damit eine Vorbelastung eines harmonischen Ablaufes eingetreten sein könnte.
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Ich empfehle der Bundesregierung aber überhaupt - Empfehlungen wird man ja wohl noch geben dürfen -, Besucher in Zukunft nicht, jedenfalls nicht öffentlich, in solche Kategorien einzuteilen.
({22})
Da ist mir, Herr Kollege Flach, in den letzten Tagen eine Meldung - vom 8. Mai 1973 stammt sie - auf den Tisch gekommen, ein Auszug aus einem Artikel von Ihnen in der „Welt der Arbeit". Ein sehr interessanter Artikel. Da heißt es u. a., eine Politik Bonns ohne oder gegen die DDR sei nach Lage des Kräfteverhältnisses nicht möglich und auch gar nicht wünschenswert. Nun, ich will mich hier mit Ihnen nicht auseinandersetzen, denn es ist nicht der Sinn meiner Rede, mich mit diesem Artikel zu befassen. Nur, dieser Satz ist mir in der Wiedergabe durch dpa aufgefallen. Es heißt aber dann - und das ist das Schöne -:
Zu Annahmen, die Bundesrepublik könne ihre Politik im Alleingang betreiben, schreibt Karl-Hermann Flach, es gebe übereifrige Moralisten, die Zensuren und moralische Belehrungen über die ganze Welt verteilten, als ob gerade wir Deutsche mit unserer verhängnisvollen Geschichte uns zum Lehrmeister alter und neuer Nationen aufspielen dürften.
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Ich finde das großartig. Das müßte man auf eine Reihe von Fällen ausdehnen. Wenn z. B. der Bundesaußenminister in Madrid mit der Opposition spricht, würden wir gern einmal eine gleiche Meldung aus Moskau, Warschau oder Belgrad vernehmen.
({24})
Oder wenn der Bundesaußenminister zum Zweck der
Klimapflege, auch zur Betonung seiner Unabhängigkeit vom Wohlwollen der Jungsozialisten, eine Reise nach Athen ankündigt, dann sollte er sie auch durchführen und sich nicht von den Jungdemokraten davon abbringen lassen.
({25})
Ich nehme zu den in diesen Ländern herrschenden Regierungs- und Gesellschaftsverhältnissen in keiner Weise wertend Stellung.
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- Weil das hier nicht der Sinn dieser Auseinandersetzung ist. Wenn ich aber Stellung nehme, dann ist Unfreiheit Unfreiheit, gleichgültig wo sie praktiziert wird.
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Dann erlaube ich mir auch nicht, zwischen Staatsgewerkschaften in dem einen Land und in dem anderen Land moralisch zu unterscheiden. Da müssen beide über denselben Kamm geschoren werden - vor allen Dingen, wo das eine Land für uns wahrscheinlich weniger an gefährlicher Potenz enthalten könnte als das andere. Das nur zum Beispiel. Ich erlaube mir dann auch nicht den nur als Feigheit zu bezeichnenden Opportunismus, aus Gründen der Realitätspolitik moralische Grundsatzurteile je nach Partner beliebig zu manipulieren. Entweder oder!
({28})
Deshalb erwarte ich . auch gar nicht, daß etwa die Bundesregierung oder jemand anderes Leonid Breschnew die Frage stellt, ob es in der Sowjetunion Straflager mit politischen Gefangenen gebe, wie viele es gebe und wie die Gefangenen behandelt würden. Das wäre sicherlich ein interessantes Thema; aber es hat keinen Sinn, das zu tun. Es kommt dabei auch gar nichts heraus. Aber wenn man es im großen Maßstab unterläßt, sollte man es im kleineren nicht praktizieren.
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Das verstieße gegen das Gebot der Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit.
Gerade aber die Erfahrungen mit dem Moskauer Vertrag, Herr Bundeskanzler, hätten für die Bundesregierung Anlaß sein sollen, bei der Vorbereitung und dem Aushandeln des Grundvertrages anders zu verfahren als geschehen. Ich bitte auch wirklich sehr, die dämliche Behauptung - so unparlamentarisch dieser Ausdruck auch sein mag - zu unterlassen, ein anderer Vertrag wäre nicht möglich gewesen. Man hat es ja nicht einmal ernsthaft versucht! Der Hinweis, daß auch die DDR die Unmöglichkeit eines anderen Vertrages bestätigt habe, sollte unter solchen nicht verwendet werden, die sich darüber einig sein könnten, daß der Mensch eigentlich ein vernunftbegabtes Wesen sein könnte.
({30})
Der erste große Vorwurf, den wir erheben, ist die Feststellung, daß dieser Vertrag unter einem bestimmten Zeitdruck, und zwar einem selbstgewählten Zeitdruck, verhandelt und abgeschlossen worden ist.
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Niemand kann doch von uns den Märchenglauben verlangen, daß Unterzeichnung des Vertrages und Wahltermin nicht in einem politischen und propagandistischen Zusammenhang standen, und zwar bewußt und gewollt. Der deutschen Öffentlichkeit sollte der Eindruck einer Zauberlandschaft - „Westöstlicher Divan" - suggeriert werden, ihr sollte mit allen Mitteln der Polit-Hypnose vermittelt werden, daß nunmehr die große Eisschmelze begonnen habe, daß Tauwetter eingetreten sei, daß sich die beiden deutschen Staaten und die Menschen aufeinander zubewegten,
({32})
daß ein wohlausgehandeltes und abgesichertes System menschlicher Erleichterungen und Freiheiten zu einem normalen Zusammenleben der Menschen in Deutschland trotz staatlicher Teilung führen würde - und was dergleichen mehr ist. Das ist der erste Vorwurf.
Unser zweiter Vorwurf - er ist nicht persönlich beleidigend gemeint, aber wir sind ja nicht dazu da, uns gegenseitig Komplimente zu machen; da wird ja sicher auch Herr Wehner der gleichen Meinung sein -:
({33})
Dieser Vertrag hätte durch echte Diplomaten vorbereitet und ausgehandelt werden müssen,
({34})
durch Diplomaten, die nicht von Glaubensbekenntnissen wie „Wandel durch Annäherung" hätten besessen sein dürfen, durch Diplomaten, die auch nicht bereits in ihrem geistigen Gepäck schon die Konstruktionspläne für ihr visionäres „Europa der Zukunft" hätten mitschleppen dürfen.
({35})
Und wenn Sie es wissen wollen: ich meine damit das neutralistische Europa eines sogenannten kollektiven europäischen Sicherheitssystems. Sie können mir ruhig sagen: Sie haben sich ja auch öfter für ein europäisches Sicherheitssystem ausgesprochen. Selbstverständlich! Nur können mit diesem Wort völlig gegensätzliche Inhalte verbunden sein. Auch wir wissen, daß die Frage der deutschen Einheit nur in einer Form gelöst werden kann, in der die Umwelt der Deutschen mit der Existenz eines deutschen Staates versöhnt werden kann, sonst überhaupt nicht. Das habe ich immer betont, siehe März 1958 in dieser ja auch von Ihnen oft etwas wohlwollend gewürdigten Rede. Aber wir halten nichts von einem kollektiven europäischen Sicherheitssystem sowjetischer Vorstellung, weil das in seinem unvermeidlichen Ablauf nicht ein Sicherheitssystem, sondern ein Unsicherheitssystem würde.
({36})
- Ich komme darauf aber noch zu sprechen; teilen Sie also Ihre Erregung ein, damit Sie sie durchhalten können.
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Mein dritter Vorwurf ist: Nach den gemachten Erfahrungen und Lehren, die andere, aber auch wir erlebt haben, hätte man in der Wahl der Begriffe und der sie ausdrückenden Formulierungen nicht die Sprache der Doppeldeutigkeit und der Verschleierung, sondern die Kunst der Ausleuchtung, der Klarheit, der Eindeutigkeit anwenden müssen. Hier ist Zweideutigkeit kein Vorzug. Es gibt Situationen, in denen Zweideutigkeit ein Vorzug sein kann; hier bestimmt nicht. Denn nach der Unterschrift unter den Vertrag sind doch die ganzen Fallen und Pferdefüße sichtbar geworden. Warum hat man denn nicht mit den Mitteln der modernen Technik und der Spieltheorie ein Planspiel veranstaltet mit allen möglichen Raffinessen, Finessen, Tricks und Pferdefüßen,
({38})
die vom Vertragspartner vor Unterschrift oder nach Unterschrift sowohl bei der Wahl der Formulierungen wie bei der Anwendung der Formulierungen haben erfunden werden können? Denn daß die andere Seite listenreich und erfindungsreich ist, haben wir doch schon früher gewußt; dafür hätten wir niemanden nach Ost-Berlin zu schicken brauchen.
({39})
Selbst ein sonst so regierungskonformes Magazin, das in Hamburg erscheint, konnte nicht anders, als angesichts des von den DDR-Kommunisten wieder belebten kalten Krieges den bezeichnenden Satz zu schreiben: „Dem Ostberliner Trend von der Kooperation zur Konfrontation steht die Bundesregierung weitgehend hilflos gegenüber." Nicht im „BayernKurier", im „Spiegel" stand's!
({40})
Ja, selbst die gesinnungskonforme Schwester, eine Hamburger Illustrierte, beklagt sich: „Der Grundvertrag ist unterschrieben, die DDR hat ihr Ziel erreicht, wir aber stehen mit leeren Händen da."
({41})
Die wahrlich nicht CDU/CSU-freundliche „Frankfurter Rundschau" verbindet Mitleid mit Tatsachenfeststellungen, wenn sie schreibt, die Bundesregierung, vor allem ihr Chefunterhändler Bahr, müsse das Gefühl haben, hereingelegt worden zu sein. - Einen so großen Mann kann man doch gar nicht hereinlegen!
({42})
Und die „Zeit", die sicherlich am Bundeskanzler und seinen Mitarbeitern jedes gute Haar entdeckt - ist ja gut, wenn man's tut - stellt entspannungsschmerzlich fest: „Ost-Berlin macht aus dem Grundvertrag, was es will."
Die Regierung spricht so gerne von den Realitäten. Herr Bahr meint, der Arger sei nur das Ergebnis des erzielten Fortschritts. Wie ist dann der Katalog der Realitäten? Von den DDR-Grenzwächtern wird weiterhin hemmungslos auf Flüchtlinge geschossen. Die Bundesregierung drückt regelmäßig
Bedauern aus; die Westalliierten versenden Protest per Formblatt. Die Scheußlichkeit der Szenen, die sich seit der Unterzeichnung des Grundvertrages dort abgespielt haben, darf ich als bekannt voraussetzen. Herr Bahr hat seinerzeit versichert, er halte es durchaus für möglich, daß die DDR als Folge des Grundvertrages den Schießbefehl aufheben werde; ähnliches haben wir ja auch heute wieder gehört. Der dafür zuständigere Verteidigungsminister der DDR, Armeegeneral Hoffmann, hat ausdrücklich erklärt, es gebe keinen Anlaß, Schießbefehl und die Grenzsicherungsanlagen aufzuheben,
({43})
einschließlich der automatischen Tötungsanlagen. Gerade der Grundvertrag, so wie er ist, hat zu einer Politik der schärferen Abgrenzung und der noch stärkeren Einschüchterung der Bevölkerung in der DDR geführt.
({44})
Ein Netz von administrativen Maßnahmen hält nicht nur den Besuchervcrkehr untei Kontrolle, was für einen kommunistischen Staat - das wissen wir - eine unabdingbare Voraussetzung ist, sondern sorgt auch dafür, daß an Stelle des verheißenen Stromes von Besuchen ein scharf überwachtes Rinnsal zustande kommt: Verbote, feierliche Selbstverpflichtungen, weder Reisen in den Westen zu unternehmen noch Besucher aus dem Westen einzuladen, erfassen - zum Teil unter Ausdehnung der Geheimhaltungsvorschriften - einen großen Teil der Bevölkerung. Besuche zu Hause sind sowieso unerwünscht und, wo sie stattfinden, müssen sich die Besucher in ein Hausbuch eintragen. Das haben nicht einmal wir, glaube ich, in der unseligen Zeit gehabt.
Die Familienzusammenführung wird in einschneidender Weise behindert, die zugesicherte freie Information und Berichterstattung wird mit Zensurbestimmungen und anderen Schikanen unterlaufen.
Eine Politik der lupenreinen staatsrechtlichen Trennung West-Berlins von der Bundesrepublik, Herr Regierender Bürgermeister, wird doch in jedem Zusammenhang und bei jeder Gelegenheit mit letzter Folgerichtigkeit vertreten: ob es sich hier um die Einbeziehung Westberliner Sportler handelt - wobei wir Ihnen sehr für Ihren hier heute dargelegten Standpunkt danken und ihn ohne jeden Vorbehalt unterstützen -, oder ob es sich um die entwürdigende Behandlung der Bundesrepublik bei der sowjetischen Industrieausstellung handelt.
({45})
Ich habe hier von dem dpa-Korrespondenten bei der UNO, Herrn Peter Fischer, einen Bericht vom 8. Mai 1973. Daraus möchte ich nur zwei Sätze zitieren:
Der Bonner Anspruch auf das Recht, West-Berlin in den Vereinten Nationen außenpolitisch zu vertreten, dürfte in der UNO eine politische Kontroverse auslösen.
({46}) Wie dpa erfuhr, erwarten westliche Diplomaten Proteste der Sowjetunion und der DDR auf ein Berlin-Papier, das die Bundesregierung demnächst angeblich als Begleitschreiben ihrem Antrag auf Aufnahme in die Weltorganisation beiheften will.
({47})
Das heißt, daß die querelles allemandes, daß die deutschen Querelen, die deutschen Streitigkeiten nunmehr auf einem Forum ausgetragen werden, bei dem wir auch kein uneingeschränktes Verständnis etwa für unsere Auslegung des Grundvertrages erhalten werden. Aber darüber mag dann ein anderer Vertreter meiner Fraktion sprechen.
Die Bundesregierung hat sich das Gesetz des Handelns bei diesem Grundvertrag aus der Hand nehmen lassen. Sie ist allein schon durch Methode und Zeitpunkt der Verhandlungen und ihres Abschlusses durch ihre öffentlichen Ankündigungen und Versprechungen in einen Zugzwang versetzt worden, bei dem der Vertragspartner DDR alle Trümpfe in der Hand hat, die Bundesregierung keinen mehr, es sei denn den des innerdeutschen Handels, und den kann man und will man wohl auch nicht als Trumpf betrachten. Man sollte nämlich auch wissen, daß für kommunistische Verhandlungspartner - wenn ihnen das Wasser nicht bis an den Hals geht; und das tut es nicht - das politische Ziel über allen wirtschaftlichen Erwägungen steht.
Es gehört nun einmal zu den unbegreiflichen - um nicht zu sagen: unannehmbaren - Methoden der Ostpolitik dieser Bundesregierung, was uns hier geboten wird: altbekannte Formulierungen sowjetischer Strategie, politisch doppeldeutige Texte, wahlpolitisch bedingte Terminsetzungen, politische Vorleistungen im Vertrag durch die Bundesrepublik, während alle Gegenleistungen nur in zusätzlichen Abmachungen, Erklärungen, mündlichen Vereinbarungen und Briefen meistens entweder als Kann-Bestimmungen manipulierbar oder durch verwaltungsmäßige Handhabung bis zur praktischen Aufhebung abwertbar erscheinen.
Das heißt, wir stehen hier vor einem erschütternden Mißverhältnis zwischen politischen Leistungen der Bundesrepublik und Gegenleistungen des Vertragspartners.
Ein zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR abzuschließender Grundvertrag hätte durchaus die Zustimmung der CDU/CSU finden können - unter folgenden Voraussetzungen:
1. Andere Verhandlungsmethode und Verhandlungen ohne Zeitdruck. Die Tatsache, daß die andere Seite wußte, wann abgeschlossen sein muß, hat ihr von vornherein den längeren Hebel zugespielt.
({48})
2. Textliche Formulierungen, die nicht aus dem Instrumentarium kommunistischer Strategie stammen und auch keine gegensätzlichen Doppelauslegungen erlauben dürfen.
3. Leistungen und Gegenleistung nach Maßstäben der politischen Vernunft, und zwar bewertet in
einem angemessenen Verhältnis des Gleichgewichts.
4. Die Tatsache des Offenbleibens der deutschen Frage und all der Dinge, die damit zusammenhängen, im Vertrag und nicht über die windige und lausige Hintertüre einer Feststellung, daß Rechte und Pflichten der Vier Mächte nicht berührt werden.
Ich komme noch zu einer weitergehenden Bewertung. Der Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und Ost-Berlin hat nur sehr wenig mit bilateralen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten zu tun. In Wirklichkeit ist er - und hier muß man den Rahmen der Betrachtung so weit spannen, wie sich das Thema stellt - der letzte wichtige Baustein einer neuen Phase expansiver sowjetischer Westpolitik.
Bereits vor drei Jahren hat sich die Bundesregierung gegenüber Moskau in Punkt 5 des Bahr-Papiers verpflichtet, daß der deutsch-sowjetische Vertrag und entsprechende Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen sozialistischen Ländern, insbesondere mit der Deutschen Demokratischen Republik, ein einheitliches Ganzes bilden. Zugleich wollen Sie, Herr Bundeskanzler, offenbar vor Eintreffen Ihres sowjetischen Staatsgastes das im September 1971 in Oreanda gegebene Wort einlösen. In dem Kommuniqué heißt es, im Zuge der Entspannung sei der Eintritt beider Staaten in die Vereinten Nationen in angemessener Weise zu fördern. Mit beidem aber erfüllen Sie natürlich Forderungen, die im April 1967 auf der Karlsbader Konferenz der 25 kommunistischen Parteien aufgestellt worden sind. Damit erfüllen Sie eine Strategie, wie sie Vertretern Ihrer Partei - und nicht unwesentlichen Vertretern; einer ist heute wieder im Ministerrang - seinerzeit von italienischen Kommunisten in den Verhandlungen nahegelegt worden sind,
({49})
die damals ohne unser Wissen, also ohne Wissen des Koalitionspartners, geführt worden sind.
Wenn Sie neulich in Ihrer Rede sagen, Sie kennten keine Gemeinsamkeit - damit haben Sie auch mich gemeint -, die über das Verfassungsmäßige hinausgehe, dann setze ich dem entgegen, daß mich das nicht trifft, weil ich an der Auffassung festhalte, daß es trotz der Schärfe der sachlichen Gegensätze und der damit verbundenen, manchmal auch persönlichen Zuspitzung Gemeinsamkeiten zwischen Demokraten in diesem Lande geben muß und daß die Gemeinsamkeit zwischen Demokraten in diesem Lande stärker sein muß, als sie zwischen Kommunistenfreunden und Kommunistengegnern in einer Partei sein muß.
({50})
Herr Bundeskanzler, Sie sind dem deutschen Volk und dem Deutschen Bundestag immer noch eine Auskunft darüber schuldig, wohin denn die Reise weitergehen soll. Nicht nur die Verträge sind doppeldeutig, auch die Politik der Bundesregierung verschwimmt in ihren weiteren Perspektiven. Daran ändern auch Treuebekenntnisse zum Westen oder wiederholte westliche Zustimmungen leider nichts; denn die deutschen Interessen können nur von uns selbst festgelegt und erläutert werden. Manche sehen draußen mit verständlicher Freude und Erleichterung, daß die Deutschen selbst ihnen die Last einer schweren, unbequemen Verpflichtung, die sie natürlich gerne los werden, von ihren Schultern genommen haben. Warum sollten sie dagegen protestieren? Sie haben doch keinen Grund dazu.
Auch wir von der CDU/CSU wissen, daß man nichts Unmögliches verlangen kann. Darum haben wir in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 keine Verträge dieser Art abgeschlossen. Mehr hätten wir nicht erreichen können, und das, was wir hätten erreichen können, nämlich das, was Sie jetzt ausgehandelt haben, erschien für uns unzumutbar.
({51})
Darum ist man damals über diesen Punkt nicht hinausgegangen.
({52})
Das ist ja die Tragik, daß in einer Situation, in der die Sowjetunion verständlichen, erklärbaren und erhöhten Wert auf eine langfristige Regelung ihres Verhältnisses zu ihren westlichen Nachbarn an den Tag zu legen begann, in der Bundesrepublik Deutschland eine Bundesregierung im Amte war, die den Wandel der Zeit nicht gesehen hat, ihn falsch gedeutet und statt drüben einen Wandel durch Annäherung hervorzurufen, eine Anpassung unserer Politik herüben eingeleitet hat, die innen- und außenpolitisch Wurzeln zu schlagen begonnen hat. Darum warnen wir davor.
Auch der Grundvertrag fügt sich in dieses Konzept ein. Natürlich - das sehen wir doch genauso, wir haben genauso menschliche Empfindungen wie jeder andere -- begrüßen wir menschliche Erleichterungen. Natürlich wissen wir, daß der gut reden hat, der nicht auf sie angewiesen ist. Natürlich würden wir gern dem Bundeskanzler glauben, daß er durch die kontrollierte Begegnung den Zusammenhalt der Nation in einem geteilten Lande fördern wird. Aber wird das wirklich so sein? Es ist nun einmal so, daß sich in diesen Verträgen die sowjetischen Strategieziele mit eisernem Griffel eingeschrieben haben. Es ist nun einmal so, daß man im befreundeten Ausland, im neutralen Ausland, in der Dritten Welt den Grundvertrag als die Besiegelung der Teilung Deutschlands publiziert; siehe die „Neue Zürcher Zeitung" seinerzeit oder der „Daily Telegraph", der den Grundvertrag „a basic treaty of recognition" nennt, Grundvertrag der Anerkennung. Der Artikel ist an sich überschrieben „Deutschland - die endgültige Teilung", „Germany - the final division". Man kann diesem Blatt bestimmt nicht etwa Deutschfeindlichkeit vorwerfen.
({53})
-- Ich glaube, daß das intellektuelle Niveau, auf dem Sie sich mit dem Zwischenruf bewegen, der Offentlichkeit einmal klargemacht werden müßte.
({54})
Dieser Artikel enthält aber einige bezeichnende Sätze. Es heißt dort:
Für den einfachen Mann in der DDR bedeutet die diplomatische Anerkennung durch westliche Länder keine Änderung. Vielleicht steigt das Nationalprestige, aber die Mauer wird nicht beseitigt werden, und unnachgiebige Positionen werden es auch weiterhin bleiben.
Aber es heißt dort dann weiter:
Mit zwei Deutschlands
- with two Germanies in den Vereinten Nationen - das eine sieht nach Westen, das andere nach Osten - hat die Todesglocke der bisher obligatorischen Hoffnung auf Wiedervereinigung sicherlich zu läuten begonnen. Es gibt immer noch einen Raum für das Unerwartete, aber für die vorausschaubare Zukunft gibt es keinen Weg, abgesehen vom Kriege, durch den die zwei Staaten wieder ein einziges Land formieren könnten.
Dieser Beurteilung stimmen wir zu.
Wenn aber der Friede im Nachkriegsdeutschland von dem Machtgleichgewicht abhängt, wie es in Jalta und Postdam beschlossen worden ist, dann ist die Anerkennung der DDR durch Frankreich, England, Vereinigte Staaten der Abschluß, Anerkennung dieser Tatsache. Die endgültige Teilung ist der Preis, den das deutsche Volk für den verlorenen Krieg zu bezahlen hat.
Diese Sprache ist hart und brutal. Wir müssen uns dieser Sprache stellen. Aber damit stellt sich die Frage: Ist das der Preis, den wir für den verlorenen Krieg zu bezahlen haben, und kann er in dieser Münze bezahlt werden? Ist es der Preis, den wir für gestern zu zahlen haben, oder ist es die Prämie, die wir für morgen, für den Frieden, zu zahlen haben? Ist es der Preis, den wir für Überleben und für menschliches Leben in Glück und Wohlstand zu zahlen haben?
Leider stammen diese Vorstellungen mehr aus einer statischen Betrachtungsweise. Der Westen neigt mehr zur statischen und der Kommunismus mehr zur dynamischen Betrachtungsweise. Darum darf ich noch ein Wort sagen. Ich erlaube mir hier von Doppelstrategie der sowjetischen Politik zu sprechen. Die Doppelstrategie besteht darin, daß die Sowjets mit diesen Verträgen und nicht zuletzt mit dem Grundvertrag ihren durch Krieg und Nachkriegszeit eroberten Besitzstand endgültig absichern wollen. Das wird als Preis für gestern bezeichnet. Das ist auch ohne jeden Zweifel eines der Konferenzziele der KSZE in Helsinki. Denn nach der Unterschrift der Deutschen unter diese Verträge sollen weitere Verträge mit gleicher Zielsetzung, ähnlichen Formulierungen auch noch mit der Unterschrift aller Teilnehmer dieser Konferenz folgen. Für die Sowjetunion legitim und verständlich, aber für uns ergeben sich eben andere Interessen als für die Sowjetunion. Nicht zuletzt ist das Ziel der Sowjetunion, um mit einer problemfreien Westflanke sich stärker den Problemen ihrer Ostflanke zuwenden zu können. Doch darüber ein anderes Mal.
Die Doppelstrategie besteht aber auch darin, daß sie nicht nur den erworbenen Besitzstand absichern will, sondern daß sie sich mit dieser logisch angelegten, in sich schlüssigen und konsequenten Gesamtstrategie für den Zeitpunkt, der ihr dafür dann passend erscheint, das Tor für die Ausdehnung ihres sowjetischen Einflusses offenhalten will. Wer das nicht sieht, versteht nichts von geschichtlichen Abläufen, geschichtlichen Prozessen und geschichtlichen Gefährdungen. Das ist die Doppelstrategie: einerseits Absicherung, andererseits der Zangengriff einer weiteren möglichen Expansion. Es tut mir leid, daß ich das heute sagen muß - in der Vorwoche vor dem großen Besuch. Aber wir sind ja nicht dazu da, um Höflichkeiten zu sagen, sondern um das zu sagen, was wir für richtig halten, vor Gefahren zu warnen.
({55})
Die sowjetische Deutschlandpolitik - darum wage ich hier diese Prognose - hat doch vier Phasen aufzuweisen. Zwei liegen hinter uns, in der dritten sind wir drin, und die vierte ist nur die Vorprojizierung derselben geschichtlichen Entwicklungslinie, die wir schon über 20 Jahre hinweg oder länger verfolgen können.
Die erste der vier Phasen dauerte von 1945 bis 1955; einmal der Versuch, auf ganz Deutschland Einfluß zu bekommen - ich muß mich sehr kurz fassen, darum läßt sich das nicht näher erläutern; Sie wissen, was ich meine -, in Verbindung damit der Versuch, die Entstehung der Bundesrepublik zu verhindern, dann die Schaffung der DDR als Reaktion auf die Entstehung der Bundesrepublik und eine systematische Politik der Erhaltung der DDR gegenüber allen westlichen Versuchen, auf Viererkonferenzen die deutsche Frage zu lösen. Diese Phase dauerte bis nach der Genfer Konferenz 1955.
Die zweite Phase begann nach Abschluß der Genfer Konferenz. Sie wissen, im Schlußkommuniqué hat die Sowjetunion der Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage freier Wahlen zugestimmt. Nach dieser Konferenz bis zum Jahre 1969 vollzog sich ein Prozeß der pragmatischen Selbstbestätigung und der pragmatischen Anerkennung der DDR, indem man sie als eine verwaltungsmäßige Realität und als ein nicht - außer mit unmöglichen Mitteln - zu änderndes Faktum ins Kalkül einstellen mußte. Diese Politik, Herr Bundeskanzler, endete 1969.
Die dritte Phase ist mit dem Amtsantritt Ihrer Regierung eingeleitet worden. Sie ist vorher systematisch vorbereitet worden, als man in den 15 Jahren drüben systematisch und zäh eine Politik der Anerkennung betrieben hat. Damit hat die Anerkennung der staatlichen Existenz der DDR begonnen, nämlich seinerzeit mit Ihrer Regierungserklärung. Diese dritte Phase ist durch die völkerrechtliche Anerkennung der DDR gekennzeichnet, die alle Staaten der Welt praktisch vorgenommen haben, mit Ausnahme von uns, die wir für uns durch eine verbale Erklärung in Anspruch nehmen, sie nicht vorgenommen zu haben. Ich warte bloß darauf, wann das Argument auftaucht: Jetzt haben alle die DDR
völkerrechtlich anerkannt. Wie lange wollen wir noch beiseite stehen? - Auf dieses Argument warte ich jetzt. Aber es wird heute oder morgen sicherlich noch nicht kommen.
({56})
Im übrigen ist das so schnell geschehen, daß die Regierung drüben in personelle und technische Engpässe geraten ist, weil sie mit ihren Vorbereitungen die Flut der Anerkennungsanträge und die Notwendigkeiten der zu errichtenden Botschaften nicht mehr bewältigen konnte.
Die vierte Phase, Herr Bundeskanzler, wird, wenn die Zeit dafür reif und die Möglichkeit dafür gegeben erscheinen oder wenn es wünschenswert und notwendig erscheint, dadurch gekennzeichnet sein - sie wird heute schon vorbereitet -, daß der Alleinvertretungsanspruch, den Bonn aufgegeben hat, von Ost-Berlin aus erhoben und die Idee der Wiedervereinigung aus dem kommunistischen Potsdam in das kapitalistische oder liberale oder wie auch immer zu nennende Bonn, also wiederum in unser Land, hereingetragen wird. Das ist die vierte Phase, deren Schatten sich heute bereits erkennbar in der politischen Landschaft bemerkbar machen. Ich kann darauf nicht näher eingehen; aber Sie wissen, was ich damit meine.
Ich behaupte: das ist weder professionelle Schwarzmalerei noch Berufspessimismus der Opposition. Das ist nichts anderes als eine nüchterne Analyse der letzten 28 Jahre und eine Vorprojizierung, eine Weiterprojizierung der Kurve der letzten 25 Jahre in die nächste Zukunft hinein.
Ich behaupte nicht - man soll ja nicht den Teufel an die Wand malen und auch nicht in Panikstimmung operieren -, daß diese Entwicklung unabwendbar ist, aber ich behaupte, daß sie nicht ausgeschlossen ist. Sie wird nicht ausgeschlossen sein und in den Bereich des Möglichen rücken, wenn man sie entweder nicht sehen will oder wenn man sie fatalistisch als unvermeidbar hinzunehmen bereit ist oder ihr gar noch mit hintergründigen Überlegungen da oder dort sympathisch bis wohlwollend gegenübersteht. Ich meine damit nicht die gegenwärtige Bundesregierung; aber ich meine damit Randerscheinungen, ohne daß ich sie hier näher kennzeichnen möchte. Sie wissen genau, wen ich damit meine.
Der Bundeskanzler hat ein Treuebekenntnis zum Westen abgelegt. Wir sollten das so nehmen, wie er es gesagt hat. Aber gehört die vierte Phase nicht vielleicht doch bei manchen seiner Mitarbeiter zu den Wahrheiten, die man heute nur im Herzen tragen, aber noch nicht sagen darf, weil die öffentliche Meinung und damit die Mehrheit noch nicht dafür gewonnen werden kann?
({57})
Das wird man wohl noch sagen dürfen.
Der Bundeskanzler bezeichnet die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und in der Atlantischen Allianz als unumstößliche Elemente seiner Außenpolitik und als unerläßliche Voraussetzung jeder Entspannungspolitik. Gut, wir nehmen dieses Wort an. Aber aus dem Munde seines Kanzleramtsministers ist uns eine neue außenpolitische Vision bekanntgeworden. So wie das abgetan worden ist, Herr Bundeskanzler, sollte man es, wenn Sie Wert auf Glaubwürdigkeit in dieser Frage legen, nicht tun. Sie wissen, ich meine damit das, was in der amerikanischen Vierteljahreszeitschrift „Orbis" aus einem Gespräch oder Interview des Professors Hahn mit Ihrem heutigen Bundesminister Bahr, damals im Jahre 1969 aufgenommen, in der Zwischenzeit veröffentlicht worden ist. Sie wissen, Ziffer 1 dieses Plans: Anerkennung der DDR, Ziffer 2: Gewaltverzichtabkommen, diplomatische Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten, Ziffer 3: Truppenabbau in Deutschland; Ziffer 4: Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems mit Auflösung der NATO. Es ist heute nicht an der Zeit und nicht mehr die Möglichkeit, über den Begriff „kollektives Sicherheitssystem" einerseits und wirkliches europäisches Sicherheitssystem andererseits zu reden, weil hier dasselbe Wort sowohl für eine höchst gefährliche Konstruktion wie andererseits für ein höchst erstrebenswertes Ziel verwendet werden kann. Wir haben das zur Sprache gebracht, Herr Bundeskanzler, und Sie haben gereizt darauf reagiert. In der Debatte vom 5. April haben Sie gesagt: „Ich kenne diesen amerikanischen Wissenschaftler nicht. Weshalb hat er vier Jahre mit der Veröffentlichung gewartet und kann jetzt nicht vier Wochen bis zur Wiedergenesung Bahrs warten?" Siehe Bundestagsprotokoll der 27. Sitzung vom 5. April 1973.
Herr Hahn, dazu befragt, hat in einem Brief, den ich gerne zur Verfügung stellen kann, erklärt, er sei von Fritz Erler bereits 1955 mit Brandt bekanntgemacht worden. Sein letztes Gespräch mit Brandt habe er auf der deutsch-amerikanischen Konferenz in Bad Godesberg im Januar 1970 gehabt.
({58})
Seine Reise 1969, wo das Gespräch mit Bahr offensichtlich stattfand, habe er im Auftrag der neuen amerikanischen Regierung zur Erkundung der politischen Lage in der Bundesrepublik unternommen. Solange er leitendes Mitglied des Pentagon Institute for Defence Analyses bis 1971 gewesen sei, habe er sich gewisse Rücksichten auferlegen müssen. Diese seien nunmehr entfallen, nachdem er in einem nicht regierungsamtlichen wissenschaftlichen Institut, dem Foreign Policy Research Institute, Philadelphia, arbeite. Entscheidend für die nunmehrige Veröffentlichung sei aber vor allem gewesen, daß erst jetzt - so schreibt er in diesem Brief - nach dem geradezu generalstabsmäßig abgelaufenen Vollzug des BahrPlans von 1969 die wirkliche Bedeutung der damaligen Äußerungen Bahrs für ihn sichtbar geworden sei.
({59})
Das Zusammentreffen der Veröffentlichung mit der Krankheit Bahrs sei rein zufällig, wie es sich bei einer Vierteljahreszeitschrift ergebe.
Sie hätten das ja aus der Welt schaffen können, Herr Bundeskanzler. Sie hätten ja durch eine andere
Reaktion diese Kontroverse heute verhindern können. Aber daß wir fragen, wenn Ihr engster Berater, wenn Ihr der Bedeutung nach ranghöchster Mitarbeiter, wenn der der Bedeutung nach ranghöchste Bundesminister einen solchen Plan einem Dritten gegenüber enthüllt, ist doch wohl selbstverständlich. Wir wären ja blind und taub und untauglich als Opposition, wenn wir es nicht täten.
({60})
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr, Graf Lambsdorff!
Herr Kollege Strauß, könnte nicht mindestens der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Herrn Professor Hahn auch mit seiner kurz vorher stattgefundenen Tätigkeit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammenhängen?
({0})
Das mag Ihre Deutung sein. Mir ist nicht einmal die Tatsache bekannt.
Herr Dr. Hahn erklärte mir weiter, er warte in aller Ruhe auf ein Dementi von Bahr und sei jederzeit bereit, seine Veröffentlichung vor jedem Gremium der Öffentlichkeit oder auch vor jedem Gericht in Deutschland und Amerika zu bezeugen.
Nachdem die Bundesregierung - das ist jetzt mein Text - auf die parlamentarischen Anfragen des Kollegen von Wrangel eine Stellungnahme verweigert hat, ist nunmehr etwas Eigenartiges eingetreten.
({0})
- Ich suche keine Krampfpointen wie Sie, Herr Wehner, sondern ich rede in Analysen und Tatsachen und Wertungen.
({1})
- Herr Wehner, Sie sind dafur bekannt - vielleicht haben Sie es nicht anders gelernt -, daß Sie durch verbale Kraftakte den Ablauf einer Parlamentssitzung zu unterbinden, zu stören oder zu beeinflussen versuchen.
({2})
Wir haben das damals zur Sprache gebracht. Der Bundeskanzler hat damals reagiert und ein Treuebekenntnis zum Westen abgelegt, wie ich es hier nochmals formuliert und als glaubwürdig bezeichnet
habe. Herr Bahr hat sich damals nicht gleichzeitig geäußert. Das ist verständlich, weil er in einem ihm durchaus zustehenden Krankheitsurlaub war. Er hat sich aber auch nach seiner Rückkehr nicht geäußert. Herr Bundeskanzler, warum sagen Sie denn nicht, das sei für Sie null und nichtig? Die SPD-Fraktion hat damals empört reagiert: Es gebe diesen Plan gar nicht. Die Existenz des Planes wurde also bestritten. Weiter hieß es, es sei doch unfair, ihn in Abwesenheit des Betreffenden zu erwähnen. Als ob einer, über den man hier spricht, immer anwesend sein müßte! Das ist doch auch in den letzten 20 Jahren nicht immer so gehalten worden.
Jetzt kommt aber das Schönste an der ganzen Sache. Herr Bundesminister Ehmke, der Vorgänger von Bahr, hat die Existenz dieses Planes jetzt nicht nur zugegeben, sondern diesen Plan noch verteidigt. Er hat in der ihm eigenen Weise nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung" - das kennen wir von ihm ja - gesagt: Was ist denn an dem Plan so Besonderes? In diesem Plan komme doch nur der Weitblick von Herrn Bahr zum Ausdruck!
({3})
Nun weiß ich gar nicht mehr, was los ist. Herr Bundeskanzler, gibt es diesen Plan nicht, oder lehnen Sie ihn ab, oder besteht er?
({4})
Etwas, was nicht besteht, kann nicht weitsichtig sein.
({5})
Wenn aber etwas besteht, muß man sich doch damit befassen können.
({6})
- Sie können mich nicht irremachen, auch wenn Sie hier solche Ausdrücke gebrauchen, Herr Wehner. Der Beweis, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben, ist die Methode, mit der Sie meine Stellungnahme hier abwürgen zu können glauben.
({7})
Wenn dieser Plan aber nicht existiert, wenn das Ganze also ein Schwindel ist, warum befaßt sich dann der Bundesminister Ehmke damit und nimmt diese Vorstellungen von Herrn Bahr in Schutz und erklärt, sie seien weitsichtig gewesen? Diese Art der Weitsicht geht natürlich auf eine völlig neue Deutung der Begriffe „Weitsicht" und „Weitblick" zurück.
({8})
Man verfährt hier nach der Strategie, dann, wenn man eine Mehrheit dafür gewinnen kann, jeweils einen Teil der Wahrheit bekanntzugeben und das andere zu leugnen oder im Dunkeln zu lassen.
({9})
Wenn man die nächste Etappe erreicht hat, wird der nächste Teil bekanntgegeben und der Rest vorerst noch im Dunkeln gelassen. Zum Schluß sagt man dann: Wie recht habe ich doch gehabt; ich habe diese Entwicklung schon damals vorausgesagt! - Das ist doch die Methode.
Herr Bundeskanzler, hier sollten Sie ein ganz klares und eindeutiges Wort sagen. Es stehen sich doch ohne jeden Zweifel zwei verschiedene europäische Konstruktionen diametral gegenüber. Auf der einen Seite gibt es den Gedanken einer westeuropäischen Union mit staatenbündischem und später bundesstaatlichem Charakter, mit stärkerer politischer Eigenständigkeit und auch einer stärkeren militärischen Selbstverteidigungsfähigkeit. Das ist das eine Modell. Diese Union ist gegen niemanden gerichtet, weder gegen die Sowjetunion noch gegen die USA. Diese europäische Union könnte ja nach Ihrer eigenen Vorstellung, Herr Bundeskanzler, Bestandteil einer europäischen Friedensordnung werden und gleichzeitig Partner der atlantischen Allianz. Sie haben das ja gesagt. Diese europäische Union muß staatliche Züge aufweisen und darf nicht nur ein lockeres Sammelsurium von erhalten gebliebenen souveränen Nationalstaaten sein.
Daß wir hier kritisch werden und uns hier melden, darf Sie doch nicht wundern. Sie würden es doch genauso machen, wenn Sie in der Opposition wären. Ich erinnere Sie noch einmal daran: Herr Bahr sagte, das Grundgesetz verpflichte einen Bundesminister, zwar mit der DDR, aber noch lange nicht mit jedem Bundestagsabgeordneten zu reden. In der gleichen Sitzung konnte man dann noch vernehmen, es gebe eben Wahrheiten, die man noch im Herzen verschließen müsse und erst bekanntgeben dürfe, wenn die Zeit dafür reif sei, weil eine Mehrheit dafür in diesem Hause vorhanden sei. Ich erinnere weiter daran, daß derselbe Bundesminister Bahr in einem Rundfunk- und einem Fernsehinterview sagte, er sei insoweit deutscher Gaullist, als er die Aufrechterhaltung der nationalstaatlichen Souveränität für eine flexible deutsche Ostpolitik gegenüber einer europäischen Integration für notwendig halte. Das ist doch alles gewesen!
Herr Bundeskanzler, wir sind hier in einem Parlament, in dem hart diskutiert wird. Ich tue dies hart, aber ich tue es nicht - ich bitte Sie, mir das zu glauben - mit persönlicher Gehässigkeit, auch wenn ich deutlich rede. Das mag mich von manchem unterscheiden. Aber wenn Sie glaubwürdig sein wollen, müssen Sie sich von diesem Bundesminister trennen, auch wenn Sie ihn nach Amerika mitnehmen.
({10})
Der letzte Gedanke in diesem Zusammenhang! Herr Bundeskanzler, Sie waren vor einigen Tagen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es war ein zum Teil günstiger, zum Teil ungünstiger Zeitpunkt. Aber diesem Ihrem Besuch war ein nicht weiter überraschendes Ereignis vorangegangen. Ich glaube, die Mitglieder dieses Hauses, die bei den letzten Debatten zugegen waren, werden sich erinnern, daß ich in diesem Hause zweimal von dem inneren Zusammenhang der Probleme Währungspolitik, Handelspolitik und Verteidigungspolitik gesprochen habe. Ob wir den Zusammenhang sehen oder nicht, ist eine Frage der intellektuellen Kapazität. Die Frage, ob wir ihn durch einseitige Ablehnung verhindern können, möchte ich mit Nein beantworten, wenn nämlich der andere, und zwar unentbehrliche Partner an diesem Zusammenhang festhält.
Sie kennen die Kissinger-Rede, die natürlich eine Nixon-Rede ist; Kissinger ist hier vorgeschickt worden. Diese Rede, diese sogenannte Atlantik-Charta, trägt die Handschrift Nixons. Das ist die Nixon-Doktrin für Europa, ist die Forderung einer Neuregelung der amerikanisch-europäischen Beziehungen, die Sie im Grundsatz verlangt und gefördert haben, Herr Bundeskanzler. Es ist eigenartig, Herr Wehner, daß Sie in diesem Zusammenhang gleich von einem Monstrum gesprochen haben. „Monstrum" kam gleich aus Ihrem Mund.
({11})
- Es ist doch bei meiner Wertschätzung für Sie unmöglich, daß sie nicht drankommen.
({12})
Als „Skizze eines Monstrums" hat der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion den Vorschlag des amerikanischen Präsidentenberaters bezeichnet, gemeinsam mit den europäischen Verbündeten eine neue Atlantik-Charta zu formulieren.
({13})
- Monstrum und Pfannkuchen sind mir noch in keinem Kochbuch als Synonyme begegnet.
({14})
Natürlich haben der Wandel der Zeit, die weitere Entwicklung, die Veränderung der Verhältnisse, die wirtschaftliche Erstarkung der Europäer, die inneramerikanischen Probleme eine Neuregelung der transatlantischen Beziehungen erforderlich gemacht. Ob wir das sehen oder nicht, ändert doch an den Tatsachen nichts.
Herr Bundeskanzler, Sie sind in einem Teil der Presse als der selbstbewußte, zuversichtliche Staatsmann eines wieder gestärkten europäischen Selbstbewußtseins gefeiert worden.
({15})
- Ich sage ja nichts dagegen. Ich bin der allerletzte, der Unterwürfigkeit unter die Amerikaner jemals praktiziert hätte oder hie gar etwa vorschlagen würde. Aber wir können einmal an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß die Amerikaner die Einheit dieser Problematik betont haben und eine neue Atlantik-Charta verlangen, die man nicht etwa als „Monstrum" abtun kann, Herr Wehner. Zweitens gibt es die Tatsache, daß der Bundeskanzler den Sinnzusammenhang - vielleicht war
es nur eine taktische Phase - abgelehnt hat. Drittens die Tatsache, daß gleichzeitig Nixon in seinem Bericht den Europäern Eigensucht vorgeworfen und eine größere Bereitschaft verlangt hat, die anstehenden Fragen der Währungs- und der Handelspolitik und damit auch der Finanzierung der Verteidigungspolitik in Kompromissen zu lössen.
({16})
- Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Herr Wehner! Das ist doch ein unmöglicher Stil, im Parlament in dieser Weise zu verfahren, wenn man von einem so ernsten Problem spricht, von dem unsere Freiheit und das Überleben der nächsten Generation abhängen!
({17})
Warum sage ich das, Herr Wehner? Durch meine Ausführungen zieht sich - fassen Sie das als Sympathieerklärung auf - ein roter Faden. Ich sage es, weil nämlich eine Politik, die es versäumt, diesen Zusammenhang zu erkennen, sich auf diesen Zusammenhang einzustellen, diesem Zusammenhang mit ehrlicher Glaubwürdigkeit Rechnung zu tragen, über kurz oder lang jeden amerikanischen Präsidenten zu Reaktionen veranlassen wird, die eine stärkere Drift zwischen Europa und den USA, ein Auseinandertreiben der beiden großen Teile des Bündnisses zwangsläufig heraufbeschwören würde. Wenn diese Drift eintritt, dann würden die Neutralisten mit ihrem Europaplan im geistigen Marschgepäck das als möglichen Vorwand benutzen, um diese Konstruktion durchsetzen zu können, und darum reden wir heute darüber.
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist, soweit es in der gegebenen Zeit möglich war, der Versuch, nicht den Grundvertrag mit seinen Bestimmungen im einzelnen zu definieren und zu analysieren, sondern ihn in den Gesamtzusammenhang der sowjetischen Politik, in den Gesamtzusammenhang unserer Politik, der europäischen Politik, der europäisch-amerikanischen und atlantischen Politik und in einen gewissen globalen Zusammenhang zu stellen. Wenn man hier das System der kleinen menschlichen Erleichterungen und Freiheiten, aus dem reichhaltigen Schatz geraubter Freiheiten und Rechte widerrufbar gestattet, trotzdem von uns natürlich begrüßt, in ein Verhältnis zu den großen politischen Dimensionen setzt, die im Vertragstext selbst geregelt werden, dann bitten wir um Verständnis, daß wir - nicht weil wir nein sagen, wenn die Regierung ja sagt, oder umgekehrt - diesem Grundvertrag nicht zustimmen können. Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hätte nach dem Grundsatz eines bekannten Sprichworts handeln sollen:
Gott gebe uns die Gelassenheit, Dinge, die wir nicht ändern können, so hinzunehmen, wie sie sind, er gebe uns die Kraft, Dinge zu ändern, die wir ändern können, und er gebe uns die Weisheit, beides voneinander zu unterscheiden.
Weil die Bundesregierung nicht die Weisheit hatte,
voneinander unterscheiden zu können, was man als
unabänderlich hinnehmen muß und was man als änderbar anpacken kann, sagen wir nein zu diesem Grundvertrag.
({19})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich erst im weiteren Verlauf, nachdem sich die Fraktionen geäußert haben, ausführlicher äußern, und der Bundesaußenminister wird morgen früh ohnehin den Grundlagenvertrag und die Frage des Beitritts zu den Vereinten Nationen in die allgemeinen, aktuellen außenpolitischen Bemühungen unserer Regierung einordnen. Aber Kollege Strauß hat mich zweimal direkt angesprochen. Ich halte es für richtig, darauf jetzt zu antworten und nicht bis, sagen wir mal, morgen mittag oder nachmittag oder wann auch immer zu warten.
Zunächst hat sich Herr Kollege Strauß, wie es auch in einer Mündlichen Anfrage nachzulesen ist, beschwert gefühlt -- ganz offensichtlich, weil er die Niederschriften über den Vorgang nicht kannte oder nicht kennen konnte; man hätte sie ihm zeigen können, denn sie sind vom Bundespresseamt veröffentlicht -, er und seine Freunde haben sich beschwert gefühlt durch Ausführungen, die ich am 19. April, d. h. am Gründonnerstag, am frühen Abend oder am späten Nachmittag vor Vertretern einer Belegschaft in Jugoslawien, in Pula, gemacht haben soll. Ich darf, Herr Kollege Strauß, hier zunächst jemanden zitieren, der dabei war, nämlich Andreas Razumovsky, der für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" aus Jugoslawien berichtet, bekanntlich nicht meiner Partei angehört und zu der von mir geführten Regierung in keiner besonderen Beziehung steht, außer daß er ein Staatsbürger dieser Republik ist wie viele andere auch. Er hat diese Veranstaltung, an der er teilgenommen hat, für seine Zeitung geschildert. Da sagt er zunächst:
In einem Land . . .
- das er nun im einzelnen beschreibt ist solch eine Sendung, aber auch der Umstand, daß sie ungekürzt ausgestrahlt wird, ein Ereignis.
Er sagt - entschuldigen Sie, das kann jetzt wie Seltbslob klingen, wenn ich es vorlese; ich bitte um Nachsicht dafür -:
Brandt findet den richtigen Ton. Und ohne daß es auch nur im entferntesten so klänge, als wolle er sich hier anbiedern, spricht er die jugoslawischen Ingenieure, Arbeiter ... als „Kollegen" an. Die Fragen wirken oft klischeehaft, . . . Auch eindeutige Fangfragen sind darunter. Nein, sagt Brandt, die Bundesrepublik stehe fest auf dem Boden der Europäischen Gemeinschaft und des Atlantikpakts.
- Das sage ich also nicht nur hier und in Amerika, sondern auch dort.
Die Marktwirtschaft werde in Deutschland nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil sie sich als zweckmäßig erwiesen habe, betrieben; man wechsle politische Anschauungen und Bündnis-Systeme nicht wie man aus einem Fußballverein austrete.
Dann steht hier - aber das habe ich gleich noch zu ergänzen durch die wörtliche Niederschrift; die habe ich nämlich auch, weil ein Stenograph des Bundespresse- und Informationsamtes zugegen war -in der Niederschrift von Andreas Razumovsky:
Man möge doch die Unterschiede
- er gibt es also in indirekter Rede wieder in den Fragen der Außenpolitik zwischen den
Parteien der Bundesrepublik nicht überschätzen,
sagt der Bundeskanzler nach einer Anspielung
- also in einer der Fragen - auf die in Jugoslawien gerne . . .
behaupteten Vorstellungen, die nun auch wieder geschildert werden.
Dann steht dort eine Bezugnahme auf die FDP und den Bundesaußenminister, und dann zitiert Razumovsky folgendes in Anführungszeichen:
„Ich muß Sie bitten, daß Sie das ganz ernst nehmen", sagt Brandt zu seinem Publikum, das auch das Fernsehpublikum Jugoslawiens ist. Die Wähler der CDU und CSU seien in ihrer Mehrheit genauso für den Frieden, „wie die Wähler meiner Partei."
Ich komme darauf gleich zurück.
Dann heißt es zum Schluß:
Brandts Auftritt war frei von jeder Überheblichkeit. Das hat seinem auf Mitteilung, Übermittlung einer Botschaft gerichteten Auftreten vor diesem Publikum jedenfalls besondere Glaubwürdigkeit verliehen.
Das ist ja nicht so schlecht, was Razumovsky als seinen Eindruck berichtet.
({0})
Jetzt habe ich mir angeschaut, was in der Niederschrift steht. Da heißt es folgendermaßen:
Aber bitte, ich muß Sie bitten, dieses ganz ernst zu nehmen, daß unter den Wählern der christlich-demokratischen Partei oder auch ihres bayerischen Flügels, der bei uns Christlich-Soziale Union heißt, daß unter den Wählern dieser beiden Parteien viele sind, die genauso für den Frieden eintreten
- so heißt es, nicht: „für den Frieden sind" wie die Wähler, die meiner Regierung ihr direktes Vertrauen gegeben haben.
({1})
Nun ist zunächst von meiner Regierung die Rede und nicht von meiner Partei. Das wird meinen Koalitionspartner dabei interessieren. Das können
Sie alles nachlesen in der Kommentarübersicht vom 24. April 1973.
({2})
Jetzt will ich noch deutlicher werden: Unser ganzes Volk ist für den Frieden. Das Eintreten im gleichen Sinne wie die, die für diese Regierung gestimmt haben, bedeutet darüber hinaus, daß auch eine Menge Ihrer Wähler für unsere Verträge sind und auch für diesen Grundvertrag. Daran gibt es doch überhaupt keinen Zweifel.
({3})
Das ist der erste Punkt.
Jetzt kommt der zweite. Ich weiß nicht, was das Gerede von einem neutralistischen Europa eines kollektiven Sicherheitssystems soll. Diese Regierung hat ihre europäische Ost-West-Politik in Ergänzung der Politik der westeuropäischen Einigung entwickelt noch zur Zeit der Großen Koalition, dann verstärkt in der jetzigen Zusammensetzung im Rahmen der Atlantischen Allianz; damals durch Mitarbeit am Harmel-Bericht, noch in Reykjavik 1968, als noch zur Zeit der Großen Koalition. Das haben wir fortgeführt. Wir haben es entwickelt im Rahmen der politischen Zusammenarbeit der Neun. Und wenn Sie, Herr Kollege Strauß, gelesen hätten, was jetzt veröffentlicht worden ist als Ergebnis der Gespräche in Washington oder auch schon davor - Sie haben hier den Berater des Präsidenten zitiert -, dann hätten Sie auch zur Kenntnis nehmen und denen sagen sollen, die Ihnen zuhören, daß dort von der Regierung der Vereinigten Staaten festgestellt wird, die Auffassungen der Vereinigten Staaten und der westeuropäischen Verbündeten, besonders der Bundesrepublik Deutschland, seien in den hinter uns liegenden Jahren fugenlos, nahtlos aufeinander abgestimmt gewesen. Wenn Sie uns schon nicht glauben, könnten Sie vielleicht die Güte haben, nicht einfach zu unterstellen, daß der Hauptverbündete in diesen Zusammenhängen lügt.
Meine Damen und Herren, im übrigen kriegen Sie es, Herr Strauß, schon von der Zeit her - es ist zehn Minuten vor halb Sieben - nicht mehr hin, vom Rücktritt Barzels durch die Forderung, Bahr solle zurücktreten, abzulenken.
({4})
Auch ein paar Stunden vorher wäre das nicht gegangen.
({5})
Hier wird im Verlauf der Debatte, wenn Sie es unbedingt wollen, auch über Orbis gesprochen werden; aber Sie kriegen es nicht hin, aus einer Debatte über den Grundvertrag eine Debatte darüber zu machen, was man eigentlich von einem, der sich Professor nennt, halten soll, der sich nach einem Gespräch Notizen macht, sie damals nicht dem Betreffenden gezeigt hat und sie später nicht einmal, wenn er sie vier Jahre später, in welcher Deutung auch immer, veröffentlicht, dem Gesprächspartner
zu zeigen für notwendig hält. Dies wird von seriösen Wissenschaftlern als unseriös betrachtet.
({6})
Wie gesagt, hierzu wird noch Stellung genommen werden. Soweit ich erwähnt werde - ich werde an ein oder zwei Stellen erwähnt -, stimmt nicht, was dort steht. Ich ziehe daraus meine Schlüsse für den Rest.
({7})
- Herr Kollege Strauß, ich kann mich nicht erinnern, mit ihm jemals gesprochen zu haben. Bei den deutsch-amerikanischen Veranstaltungen, die Sie erwähnen - ich will nicht bestreiten, daß er bei solchen Gelegenheiten dabei war -, hat er sich mir gegenüber nicht so deutlich gemacht, daß Begegnungen mit ihm in meiner Erinnerung haften geblieben wären.
({8})
Wenn wir im übrigen, Herr Kollege Strauß, Ihrer
lassen Sie mich es so deutlich sagen - Besserwisserei gefolgt wären, säßen wir heute weder in Helsinki noch in Wien mit am Verhandlungstisch,
({9})
sondern die Entwicklung der Mächte aufeinander zu und miteinander wäre an uns vorbeigegangen.
({10})
Wir sind den Weg gegangen, der zu mehr Zusammenarbeit und zu mehr Sicherheit führt und der den Menschen schon zugute kommt und noch mehr zugute kommen soll.
({11})
Nun zu dem, was Sie zum Schluß über die Vereinigten Staaten gesagt haben. Es tut mir wirklich leid, daß der Vertreter der großen Opposition zu diesem Gegenstand spricht, ohne sich vorbereitet zu haben. Herr Kollege Strauß, der Außenminister hat, nachdem wir aus Washington zurückgekommen sind, an alle drei Fraktionsvorsitzenden, auch an den Ihrer großen Fraktion, eine Unterrichtung über den Ertrag geschickt, nämlich über das hinaus, was wir im Bulletin - nicht als bloßes Kommuniqué, sondern als gemeinsame politische Erklärung - veröffentlicht haben. Alle drei Fraktionsvorsitzenden haben diese Unterrichtung in Händen, außerdem noch eine nicht für das Plenum bestimmte, die Berlin betrifft. Aber das andere beantwortet Dinge, von denen Sie hier so tun, als seien sie nicht oder im Gegensatz zu dem, was Sie behaupten, vorgebracht worden. Ich kann darauf gar nicht eingehen, sondern muß Sie bitten, sich besser vorzubereiten, wenn Sie zu einer so wichtigen Frage hier sprechen, wie Sie das getan haben.
({12})
Herr Kollege Strauß hat hier wieder einmal darzulegen versucht, daß er nicht nur über mehr politische Einsicht oder, wie er zum Schluß gesagt hat, Weisheit verfügt als - das ginge noch an - die eigene Regierung, sondern über mehr als diese und alle Verbündeten zusammen. Herr Strauß, dagegen spricht die Vermutung, dagegen spricht die Erfahrung. Wir bemühen uns - lassen Sie mich das ganz deutlich sagen -, in einer veränderten Weltlage die deutschen Interessen in Europa und in der Welt zu vertreten. Davon lasse ich mich auch nicht abbringen, meine Damen und Herren.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Herrn Kollegen Strauß hat deutlich erkennen lassen, warum sich die CDU/CSU- Fraktion in ihrem desolaten Zustand befindet.
({0})
Meine Damen und Herren, auch Ihr starker Beifall hat das nicht verdecken können. Die prinzipielle Ablehnung der Ost- und Deutschlandpolitik, die der Fraktion hier aufgezwungen werden soll, kann doch unmöglich zum gemeinsamen Nenner Ihrer Politik werden.
({1})
Die Form der gewählten Argumentation ist bereits durch die Eröffnung der Ausführungen bestimmt worden. Da wird ein Popanz aufgebaut und dann draufgeschlagen. Niemand will der Opposition den Willen zum Frieden absprechen. Aber, meine Damen und Herren, den Sinn für eine realistische Politik, die dem Frieden dienen kann, den müssen wir Ihnen allerdings absprechen.
({2})
Der Kollege Strauß hat sich an ein Thema herangewagt, von dem ich meine, das hätte er ganz bestimmt besser meiden sollen. Er hat nämlich von dem „Spiel" gesprochen, das mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 getrieben worden ist. Hier würde ich allerdings sagen: Wenn einer damit ein Spiel getrieben hat, ein böses Spiel, dann war es die CDU/CSU dieses Hauses.
({3})
Mit dieser Entschließung sollte der Opposition der Weg zur Zustimmung zu den Moskauer Verträgen eröffnet werden. Alles haben die Regierung und die die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen getan, um Ihnen diesen Weg begehbar zu machen. Und nachdem es zu dieser gemeinsamen Entschließung gekommen ist, sind Sie von dem Weg, der damit gemeinsam gegangen werden sollte, wieder zurückgetreten. Von dieser Haltung, die Sie damals gezeigt haben, führt der direkte Weg zu Ihrer heutigen Situation und zum Rücktritt von Herrn Barzel.
({4})
Weder in den Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß noch in dem Ausschußbericht des Kollegen Jäger ist ein für mich unbegreiflicher Widerspruch aufgeklärt worden. Von der Opposition wird das Vertragswerk an einem Ergebnis gemessen, das doch begreiflicherweise erst durch die Anwendung der Vereinbarungen erreicht werden kann.
({5})
Eben dies will die Opposition aber verhindern. Nun muß sie mit diesem nicht zu klärenden Widerspruch auch leben.
Meine Damen und Herren, dem hier verkündeten und wiederbelebten absoluten Nein zur Ost- und Deutschlandpolitik werde ich nicht in einem Kontrastprogramm in der Art eines Jubelchors antworten. Ich werde mich bemühen, die Zustimmung meiner Fraktion zu der Politik dieser Regierung zu formulieren, zu einer Politik, die im Zeichen einer Friedenssehnsucht in der Welt so betrieben werden muß und nicht anders betrieben werden kann.
({6})
Ich werde gleichzeitig jene Probleme, jene Schwierigkeiten, die uns beschäftigen, hier nicht verdrängen, sondern deutlich ansprechen, um damit der Bundesregierung bei der Erfüllung dieser Politik die erforderliche Unterstützung zu leihen.
Meine Damen und Herren, mit der Ratifizierung des Grundlagenvertrages und mit der Zustimmung zum Beitritt in die Vereinten Nationen wird doch ein Abschnitt deutscher Nachkriegspolitik beurkundet, über den der Wähler bereits am 19. November 1972 entschieden hat. Die damalige Bundesregierung hat diese Entscheidung bewußt gesucht; sie hat ihre Ostpolitik und insbesondere die Deutschlandpolitik mit dem paraphierten Grundlagenvertrag in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen gestellt und für die Fortsetzung dieser Politik um Zustimmung gebeten.
Wenn Sie so wollen, ist hier eine plebiszitäre Entscheidung gefallen. Die klare Antwort des Wählers kann dem Parlament gleichwohl nicht seine Verantwortung abnehmen.
({7})
Die Beratung des Ratifizierungsgesetzes und die Abstimmung darüber ist ganz gewiß mehr als der
schematische Vollzug des bekundeten Volkswillens.
({8})
- Verehrter Herr Kollege, ich habe versucht, Ihnen das mit diesen Bemerkungen ausdrücklich zu bestätigen.
Und doch, so meine ich, sollte die politische Vernunft gebieten, daß wir uns bei der parlamentarischen Behandlung nunmehr auf das Wesentliche beschränken, denn die Grundpositionen aller Beteiligten sind seit langem festgefügt. Deshalb, so glaube ich, ist die CDU auf dem Holzweg, wenn sie die Auseinandersetzung über den Grundlagenvertrag jetzt so führen will, als hätte es den 19. November nicht gegeben. Sie mag sich selbst fragen, ob sie gut beraten war, die Auseinandersetzung über den Grundlagenvertrag im Wahlkampf auszuklammern. Nachdem sie es aber einmal getan hat, muß sie die Wahlentscheidung nun auch gegen sich gelten lassen.
Ich nehme damit einen Hinweis des Berichterstatters auf, denn Herr Jäger hat für die Opposition darauf hingewiesen, daß die Beratungszeit verkürzt worden sei. Ich meine, es ist absolut unergiebig, den Meinungsstreit in der Sache auch noch auf den Gang der Ausschußberatungen auszudehnen. Es soll deshalb von mir aus auch unerörtert bleiben, daß die Opposition ihren vermeintlichen Vorwurf ungebührlich verkürzter Behandlungszeit doch nur deshalb erheben kann, weil sie die angebotenen Ausweichzeiten abgelehnt hat. Ich will mich über die Gründe hier nicht verbreiten.
({9})
Letzlich dürfte aber doch für jeden objektiven Betrachter feststehen, daß wir uns zu jedem beliebigen Zeitpunkt, wie viele Wochen Ausschußberatungen auch immer ins Land gegangen wären, in derselben Frontstellung des Für und Wider wie heute gegenüberstehen würden. Meine Damen und Herren, gehen wir deshalb menschlich miteinander um, verkürzen wir die Darstellung der unterschiedlichen Positionen auf das sachlich Notwendige.
Diese parlamentarischen Konsequenzen aus einer vorgegebenen politischen Entscheidung ziehen heißt doch in keiner Weise, daß der Opposition ihre Rechte geschmälert werden sollten. Im Gegenteil, die Erfahrung lehrt, daß sich bei der Ausübung der Macht nur zu leicht die Neigung zu Unduldsamkeit und Überheblichkeit einstellt. Im Interesse des demokratischen Staates und seiner Bürger kann deshalb auf eine starke parlamentarische Opposition gar nicht verzichtet werden. Das sollte allerdings andererseits auch die Bereitschaft und die Fähigkeit der Opposition voraussetzen, Meinungen und Argumente zu werten und für eine Meinungbildung offen zu sein. Eine Opposition, die nur Obstruktion treibt und ohne Alternativen bleibt, wirkt auf die Dauer steril. Einer Opposition, die sich allerdings, so scheint es mir fast zu sein, selbst umbringt, kann auch mit allem guten Willen von niemandem mehr geholfen werden.
({10})
Die Debatte über den Grundlagenvertrag könnte, so meine ich, auch dadurch gewinnen, daß die in einer außerordentlich sachlichen Aussprache des Bundesrats ausgetauschten Argumente hier nicht noch einmal in extenso wiederholt werden. In der so gesehenen Begrenzung des Themas möchte ich mich deshalb auf folgende Fragen beschränken:
Erstens. Inwieweit entspricht der Vertrag den Zielvorstellungen der Bundesregierung, die sie mit den 20 Punkten von Kassel der Öffentlichkeit unterbreitet hat?
Zweitens. Was bedeutet der Vertrag für die Einheit der Nation?
Drittens: In welcher Weise sind die Interessen Berlins gewahrt?
Viertens. Welche Konsequenzen sind aus diesem Vertrag und auf Grund des Verhaltens des Vertragspartners für die Zukunft und insbesondere für die Folgeverträge zu ziehen?
Natürlich muß sich die Bundesregierung an jenen Vorstellungen messen lassen, die sie in den 20 Punkten von Kassel über Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR am 21. Mai 1971 durch den Bundeskanzler vorgelegt hat. Mit dem Ergebnis, so meine ich, kann sich diese Bundesregierung sehen lassen. Auf die positiven Ergebnisse hat sie bei der Begründung der Vorlagen in erster Lesung bereits zu Recht hingewiesen. Die Berichterstattung über die Beratung in den Ausschüssen hat die einzelnen Elemente noch einmal in Erinnerung gebracht. Die Fakten sprechen für sich und bedürfen keiner lobenden Kommentierung.
Zuzugeben ist, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, einen Vertrag über die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland zu schließen, der sich sowohl auf das gemeinsame Interesse am Frieden und die Gestaltung der Zukunft als auch auf den Zusammenhalt der Nation gründet. Sie hat das oberste Ziel ihrer Politik, die auf Einheit der Nation ausgerichtet ist, nicht zum Vertragsinhalt machen können. Die Regierung der DDR hat es abgelehnt, die besondere Lage in Deutschland und der Deutschen in dem Vertrag in der Weise zu beschreiben, daß sie in zwei Staaten leben und sich dennoch als Angehörige einer Nation verstehen.
Wegen der fixen Idee von zwei deutschen Nationen, die die DDR offensichtlich zur Absicherung ihrer Abgrenzungstheorie kreiert hat, konnte die Bundesregierung ihren Standpunkt nicht im Vertrag bestätigt bekommen. Sie hat sich mit einer einseitigen Erklärung begnügen müssen. Entscheidend bleibt jedoch, daß sie damit die eigene Rechtsposition gewahrt und bei offenem Dissens die Erfüllung ihrer Vorstellung für die Zukunft offengehalten hat.
Die völkerrechtliche Wirksamkeit dieses Vorgangs wird keineswegs durch die wenig qualifizierte Erklärung beseitigt, die der Verhandlungsführer der DDR, Herr Staatssekretär Kohl, dazu vor der Presse abgegeben hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Regierung der DDR die Note der Bundesregierung nicht zum Bestandteil ihres Ratifizierungsvorganges gemacht hat.
Hier setzt nun die Kritik der Opposition ein. Der Vertrag, der die Einheit der Nation wahren soll und nach der Verpflichtung des Grundgesetzes zu wahren hat, ist nach ihrer Auffassung mit der Teilung des deutschen Staates und seiner Nation erkauft worden. Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Wenn die gefundene Regelung in der angeführten
Weise auch hinter den Kasseler Punkten zurückbleibt,
({11})
so wird sie in der Kritik der Opposition doch zu Unrecht als Teilungsvertrag und Verzicht auf die Einheit der Nation gekennzeichnet. Gerade in einer für die deutsche Nation so lebenswichtigen Frage muß man mit seinen Argumenten sehr sorgsam umgehen. Auch dann, wenn man den Vertrag ablehnen will, darf man nicht mit Unterstellungen argumentieren, die dem tatsächlichen Sachverhalt und die dem Geschehen nicht angemessen sind und die eines Tages von jenen, die die Teilung der Nation um jeden Preis herbeiführen wollen, gegen den eigenen Standpunkt ins Treffen geführt werden können.
({12})
Bei Abwägung der Interessen war es in jedem Falle wichtig, den Vertrag jetzt so abzuschließen, wie er bei der augenblicklichen Haltung der DDR abgeschlossen werden konnte, und damit den Weg für eine Politik der Menschlichkeit freizumachen, in der die Einheit der Nation durch vielfältige Begegnungen praktiziert werden kann.
Herr Abgeordneter Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte!
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Hoppe, haben Sie nicht bemerkt, daß die Sprecher der CDU/CSU einen sehr deutlichen Unterschied machen zwischen der Feststellung, daß der Vertrag in der Welt als Teilungsvertrag verstanden wird, und der Behauptung, die wir nicht aufstellen, daß der Vertrag ein Teilungsvertrag sei?
Verehrter Herr Kollege Mertes, so wie Sie zwischen unserer Auffassung und der Meinung der Welt teilen, differenzieren Sie mir leider etwas zu stark zwischen Ihren Meinungsäußerungen hier im Plenum und draußen in der Bevölkerung unseres Landes.
({0})
Dort sprechen Sie von einem Teilungsvertrag, und gerade deshalb trete ich dieser Argumentation und dieser Auffassung hier mit Nachdruck entgegen.
Die Rechtspositionen sind nicht aufgegeben worden. Da die Entwicklung im Sinne der Vertragsvorstellungen der Bundesregierung offengehalten wurde, bleibt es auch mit diesem Minus ein Gewinn, daß endlich die Grundlagen für eine Regelung geschaffen wurden, die die Verbindungen zwischen der Bevölkerung in den beiden deutschen Staaten verbessert. Schließlich hat die Politik den Menschen zu dienen, und sie darf dafür nicht dadurch untauglich werden, daß sie Prinzipienreiterei betreibt. Wir
haben lange genug geglaubt, Politik nach unseren Wunschvorstellungen treiben zu können. Damit haben wir uns zu lange den Weg für praktische Regelungen verbaut. Die Bundesregierung hat jetzt das gegenwärtig Mögliche erreicht und verdient dafür volle Zustimmung und Unterstützung.
Was den Streit um die Bedeutung des Vertragswerkes für die Erhaltung der Einheit der Nation angeht, scheint die Auseinandersetzung manchmal gespenstische Formen anzunehmen. Wenn ich die Dimensionen noch einmal betrachte, die der Kollege Strauß dazu ausgebreitet hat, um zu vergleichen und um zu einer negativen Antwort zu gelangen, dann kann ich nur bedauern, in welcher Weise wir diese so wichtige und so zentrale Position der Politik selbst abwerten.
Wer die im Hinblick auf das Viermächteabkommen über Berlin eingeräumten Besuchsmöglichkeiten schon zu Ostern und Pfingsten genutzt hat und dabei die gewonnenen Eindrücke aus zahlreichen Begegnungen auf sich hat wirken lassen, dem kann nicht verborgen geblieben sein, welch unmittelbares Bedürfnis nach persönlicher Bestätigung aller Beziehungen besteht, die ein Volk mit gemeinsamer Sprache und Geschichte verbindet. Verwandte, Freunde und Fremde haben doch in vielfältiger Weise den Willen bezeugt, sich auch durch eine noch so verbohrte Abgrenzungsideologie nicht das Gefühl für die Zusammengehörigkeit einer Nation austreiben zu lassen. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Zweifel an dem Sinn der Entspannungspolitik dieser Regierung, die sich mit Nachdruck um eine Normalisierung ihrer Beziehungen auch zur DDR bemüht, blutleer und wirklichkeitsfremd aus.
Für die von der Außenwelt weitgehend abgesperrte Bevölkerung der DDR wird das Gespräch mit dem Besucher aus der Bundesrepublik zu einem wahren Lebenselixier. Dies beschränkt sich keineswegs auf die Generation, deren kritische Einstellung und Erfahrung aus Erinnerungen gespeist wird, sondern es gilt mindestens in gleicher Weise für die heranwachsende Jugend, die zwar die Exerzitien des Marxismus-Leninismus vorzüglich beherrscht, aber die deshalb um so deutlicher den bedrückenden Kontrast zwischen Theorie und Praxis empfindet. Sie alle stehen in einer kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Umwelt.
Wenn wir die dabei erforderliche Hilfestellung nicht Funk und Fernsehen allein überlassen wollen, dann ist jeder einzelne von uns aufgefordert, die DDR als Reise- und Besuchsland zu entdecken. Wir werden nicht eine so eruptive Welle noch einmal erleben, wie wir sie 1963 bei der Begegnung der Menschen in der geteilten Stadt Berlin zu verzeichnen hatten. Damit braucht niemand zu rechnen. Andererseits sollten wir uns aber auch davor hüten, den sich entwickelnden Reise- und Gedankenaustausch von hüben nach drüben auf ein Rinnsal herabzudiskutieren. Es bleibt zu hoffen, daß sich nach der Ratifizierung des Grundlagenvertrags ein Maß an Kontakten und Begegnungen entwickelt, das kraftvoll genug ist, die Einheit der Nation lebendig zu erhalten.
Folgerichtig wird hier vollendet, was 1963 von dem jetzigen Bundeskanzler als damaligem Regierungschef des Senats von Berlin mit der Politik der kleinen Schritte begonnen wurde. Die CDU hat damals die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Passierscheinregelungen wurden zunächst gegen den erklärten Willen der CDU vereinbart und dann mit ihrer nörgelnden Zustimmung und Duldung durchgeführt. Seither ist die CDU aus dem Tritt geraten, und bis heute hat si nicht wieder Schritt gefaßt, nein, heute ist sie sogar endgültig ins Schleudern geraten.
({1})
Nicht daß die Regierung und die Regierungsparteien darüber untröstlich sein müßten. Das ganz gewiß nicht. Aber für die Durchsetzung dieser Politik - und sie wird uns im Hinblick auf die Folgeverträge noch lange und häufig beschäftigen - wäre es besser, wenn wir alle von einer gemeinsamen Grundhaltung ausgehen könnten.
({2})
Die Einbeziehung Berlins in das Vertragswerk hätte man sich anders vorstellen können. Es ist sicher nicht vermessen, zu sagen, daß zwingendere Lösungen denkbar sind. Auch der Hinweis der Bundesregierung auf die Vorbehaltsrechte der Alliierten und den Text des Viermächteabkommens vermag diesen Eindruck nicht zu beseitigen. Ein Vergleich mit den Übernahmeformeln für internationale Verträge zeigt, daß die Bindung für die Folgeverträge sehr wohl mit der Respektierung der alliierten Entscheidungskompetenzen zu vereinbaren gewesen wäre. Allerdings räumt die verpflichtende Erklärung der Bundesregierung, daß sie mit der DDR keine Folgeverträge ohne Einbeziehung Berlins - sofern die Alliierten dem zustimmen - schließen wird, die möglichen Bedenken aus. Das gegebene Wort der Bundesregierung läßt Zweifel in dieser Frage jetzt nicht mehr zu.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Vertretung Berlins in der UNO nach Inhalt und Form in zufriedenstellender Weise geregelt werden konnte. Es bleibt abzuwarten, ob die Reihe negativer Erfahrungen, die im Verhalten der DDR und der Sowjetunion in bezug auf Berlin zu verzeichnen waren, damit nun ein Ende nimmt. Schließlich sollten der Moskauer Vertrag und das damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende Viermächteabkommen über Berlin nicht nur die Sicherung Berlins erreichen, sondern selbstverständlich auch die internationale Repräsentation Berlins durch die Bundesregierung durchsetzen, ausgenommen natürlich in Sicherheits- und Statusfragen.
Zur Zeit ist leider festzustellen, daß auf dem Felde der internationalen Beziehungen die im Viermächteabkommen anerkannte Zuordnung Berlins zur Bundesrepublik partiell wieder bestritten wird. In wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Angelegenheiten sieht es ganz so aus, als solle die Dreistaatentheorie wieder Urständ feiern. Es wäre auch nicht gut und dem Ansehen der Bundesregierung nicht bekömmlich, wenn diese AuseinandersetHoppe
zungen den unmittelbar Betroffenen aufgebürdet würden, mögen es Industrie- oder Sportverbände sein.
Bei der Sowjetunion als der maßgebenden Führungsmacht des Ostblocks ist hier eine Änderung der bisherigen Haltung dringend geboten.
({3})
Erst ein Einlenken der Sowjetunion kann die bislang immer noch bestehende Diskriminierung Berlins in den internationalen Beziehungen zum Ostblock beseitigen. Gerade das aber war nach den Vorstellungen der Bundesregierung und doch wohl auch der sowjetischen Regierung ein wichtiger Punkt des Viermächteabkommens. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Vertragspartnern kann aber nur dann entstehen, wenn sie sich entsprechend den Vertragsabsichten und Vertragserwartungen verhalten.
({4})
Die jüngsten Vorgänge bei der sowjetischen Handels- und Industrieausstellung in Berlin sind ganz bestimmt nicht geeignet, den Prozeß vertrauensvoller Zusammenarbeit zu fördern.
Das seltsame Gebaren der Sowjets in und um Berlin wie auch ihre Weigerung, Berlin in die technischen und wissenschaftlichen Kooperationsverträge einzubeziehen, könnte allenfalls noch als besonderer Regieeinfall im Hinblick auf den Besuch ihres Parteichefs in Bonn verstanden werden. Vielleicht soll ihm Gelegenheit verschafft werden, mit großer Geste alle Schwierigkeiten vom Tisch zu wischen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Sowjetunion, die DDR und die übrigen Länder des Ostblocks müssen jedenfalls erkennen, daß es in dieser Frage für die Bundesregierung keinen Handlungsspielraum gibt.
({6})
Streitfragen der Vergangenheit sind mit dem Viermächteabkommen entschieden worden. Alle Beteiligten täten gut daran, hier nicht länger ihr Betätigungsfeld für diplomatische Eröffnungspartien bei den jeweiligen Verhandlungen zu suchen. Dies dem sowjetischen Parteichef bei seinem bevorstehenden Besuch in Bonn klarzumachen, dürfte auch dann eine sinnvolle Aufgabe der Bundesregierung sein, wenn die sowjetische Führungsspitze dieses Thema unter Hinweis auf die Viermächteverantwortung gern unerörtert lassen möchte.
({7})
Erst eine Kurskorrektur kann die Sowjetunion zu einer guten, partnerschaftlichen Beziehung zur Bundesrepublik bringen. Für Leonid Breschnew könnte dies dann bedeuten, daß er zu einem allseits gern gesehenen Besucher der Bundesrepublik avancieren würde.
Zugleich würde dies jene Signalwirkung ausüben, die nötig ist, um die gegenwärtig noch bestehenden
Hemmnisse und Schwierigkeiten im Verhältnis zu den übrigen Ostblockstaaten abzubauen. Dabei wird die DDR allerdings noch eine Sonderrolle spielen und störrisches Selbstbewußtsein zeigen. In der Phase des Nebeneinander der beiden deutschen Staaten wird Berlin dies besonders spüren. Trotz der gewonnenen Sicherheit durch das Viermächteabkommen werden sich in den nächsten Jahren positive Entwicklungstendenzen nur zögernd durchsetzen lassen.
Die DDR wird eifersüchtig darauf achten, daß West-Berlin von der Entspannung in Europa erst dann einen Gewinn hat, wenn Ost-Berlin zuvor sein Prestigebedürfnis gedeckt hat. Bis dahin wird das Veto Ost-Berlins die Entwicklung des freien Teils der Stadt immer wieder zu stoppen versuchen. Die Bundesregierung sollte deshalb ihre Förderungsmaßnahmen für Berlin gegenwärtig nicht in Zweifel ziehen. Mit einem alten Erfolgsrezept möchte ich hier den dringenden Rat geben: Keine Experimente!
Meine Damen und Herren, wenn es über die Bedeutung der menschlichen Kontakte als Mittel der Politik der Bundesregierung bei uns noch unterschiedliche Auffassungen geben mag, ist demgegenüber eindeutig festzustellen, daß die Regierung der DDR darüber keine Zweifel hat. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß sie sich in mannigfacher Weise bemüht, die Zahl dieser Begegnungen einzugrenzen? Sie weiß um die Kraft des freien Wortes und die Macht des unkontrollierten Gedankenaustauschs.
Nicht von ungefähr haben die Regierung der DDR und die Regierung der Sowjetunion vor Abschluß des Grundlagenvertrages wie auch des Viermächteabkommens sorgenvoll gefragt, ob sie die damit verbundenen Risiken eingehen können. Erst nach einem politischen Nachhilfeunterricht aus Moskau hat sich die DDR-Regierung dazu durchgerungen, diesen Weg mitzugehen. Verständlich also, daß sie immer wieder fürchtet, die absolute Kontrolle über ihre Staatsbürger zu verlieren.
Verständnis dafür zu bekunden heißt aber noch lange nicht Praktiken gutheißen, die zur Umgehung oder zur Aushöhlung abgeschlossener Verträge führen.
({8})
Es fällt der DDR, die sich großsprecherisch mit dem Weltniveau in allen Bereichen brüstet, offenbar verteufelt schwer, schlichte Verpflichtungen zu erfüllen. Seit Abschluß des Grundlagenvertrages ist die Bevölkerung der DDR vermehrt einem staatlichen Druck ausgesetzt. Mit administrativen Maßnahmen wird Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit genommen, Besuche zu empfangen. Einem anderen Teil werden nachteilige Folgen für den Fall in Aussicht gestellt, daß er Besuche einladen sollte.
({9})
Es ist bedrückend, aber auch lächerlich zugleich, mit ansehen zu müssen, wie mehr und mehr Einrichtungen bis hin zu völlig unbedeutenden Betrieben mit dem Stempel „geheim" versehen werden und
wie die Mitarbeiter in diesen Betrieben dadurch krampfhaft zu Geheimnisträgern deklariert werden, denen jeder Westkontakt von vornherein untersagt ist.
({10})
Diese Form einer Vertragserfüllung auf dem geringsten Nenner darf die Bundesregierung nicht durchgehen lassen.
({11})
Die DDR drängt als zweiter deutscher Staat auf gleichberechtigte Behandlung auf der internationalen Ebene. Sie muß sich dann auch mit den Grundsätzen des Völkerrechts messen lassen.
({12})
In schlechter Erinnerung ist auch die grobe Vertragsverletzung der DDR in bezug auf die vereinbarten Arbeitsmöglichkeiten der Journalisten. Wenn die vereinbarte Rechtslage jeweils einseitig nach Vorstellungen der DDR zum Nachteil der Betroffenen abgeändert werden kann und somit Vertragsinhalte willkürlich zu verändern sind, dann werden die Vereinbarungen selbst fragwürdig. Was hier geschehen ist und diesmal nach Konsultationen durch die Zusage rechtsverträglicher Handhabung korrigiert scheint, darf sich in Zukunft nicht wiederholen.
Schließlich hat der Beginn der Verhandlungen über Sportbeziehungen gezeigt, daß die DDR noch weit davon entfernt scheint, den Status Berlins so zu akzeptieren, wie er nach unser aller Auffassung im Viermächteabkommen vom 3. Juli 1972 eindeutig festgelegt ist. Sie hat auch jener Absichtserklärung zuwidergehandelt, die der Grundlagenvertrag für die Einbeziehung Berlins in künftige Vereinbarungen enthält. Das ist nicht die Art, in der Vertragsparteien üblicherweise miteinander umzugehen haben. Nach den langen Jahren der Konfrontation ist es aber wohl tatsächlich noch nicht zu erwarten, daß der Grundsatz von Treu und Glauben schon jetzt das Verhalten der Beteiligten bestimmen kann. Verstehen wir das befremdliche Verhalten deshalb als Nachhutgefecht, und deuten wir es als den politischen Beitrag der DDR innerhalb des Ostblocks bei den Auseinandersetzungen um die Sonderstellung Berlins.
Es ist allerdings mehr als ärgerlich, wenn dies mit einem instinktlosen Verhalten bei uns selbst einhergeht. Was sich an den Fahrkartenschaltern der Bundesbahn für Reisen nach Berlin abgespielt hat, zeigt ein Maß von Ignoranz, das wir uns in der politischen Auseinandersetzung mit dem Ostblock nicht mehr leisten sollten.
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Jetzt und künftig werden wir die Kommunisten nicht als fördernde Mitglieder unseres parlamentarischen Systems und unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung betrachten können. Die aufgeführten Beispiele stehen deshalb nicht für Ausnahmen oder Pannen. Sie sind Ausdruck des kommunistischen Herrschaftsanspruchs und des systemimmanenten Zwanges zu absoluter Kontrolle und Parteihörigkeit. In der Begegnung mit der Welt der Bundesrepublik wird die DDR deshalb keine Skrupel empfinden, Möglichkeiten aufzuspüren und auszunutzen, den eigenen Herrschaftsbereich abzuschirmen und sich in unseren einzumischen.
Dem ist die Bundesregierung bisher mit Erfolg entgegengetreten, und sie wird den Winkelzügen der anderen Seite auch künftig Paroli zu bieten haben. Die bisherigen Erfahrungen werden - dessen bin ich überzeugt - ihr dabei ein guter Ratgeber sein. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung bei ihren Bemühungen der Unterstützung aller Fraktionen dieses Hauses gewiß sein dürfte.
Mit der Ratifizierung des Grundlagenvertrages und dem Beitritt der beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen leisten wir im Zusammenhang mit den Verträgen von Moskau und Warschau und, wie wir hoffen, bald auch mit Prag unseren Beitrag zur Wiedergewinnung des Friedens in Europa. Dies ist ein Beitrag, den viele in der Welt und nicht zuletzt auch unsere Verbündeten als längst überfällig empfunden haben. Es hat aber schließlich schmerzlicher Einsichten bedurft, um zu erkennen, daß ein Interregnum zweier Staaten in Deutschland hingenommen werden muß. Auch das Bekenntnis zum Gewaltverzicht und zur Aussöhnung konnte nur dadurch glaubwürdig werden, daß wir uns dazu verstanden haben, keine Ansprüche mehr auf das Gebiet jenseits von Oder und Neiße geltend zu machen.
Ein Kanzler der Bundesrepublik hat vor einigen Jahren schon einmal davon gesprochen, daß die Nachkriegsepoche beendet sei. Ich will mit dem verehrten Herrn Kollegen Erhard in dieser Frage keinen Streit beginnen. Dennoch möchte ich diese Kennzeichnung für den jetzigen Abschnitt der deutschen Politik gebrauchen. Erst mit der Ratifizierung des Grundlagenvertrages und mit dem UNO-Beitritt kann nach meiner Überzeugung das Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte als abgeschlossen betrachtet werden.
Die staatliche Einheit der Nation wiederzuerlangen, bleibt die Aufgabe der Zukunft. Die Chance dazu hat das Vertragswerk bewahrt. Ob sie von unserer oder einer späteren Generation genutzt werden kann, vermag ich ebensowenig zu sagen wie die Kritiker dieser Politik. Es wird notwendig sein, die Möglichkeiten einer solchen Entwicklung durch tägliche Anstrengungen zu bewahren und zu mehren. Es wäre gut, wenn wir uns dazu etwas mehr auf das Gemeinsame besinnen könnten. Dies setzt allerdings den ernsten Willen zur Zusammenarbeit auf allen Seiten dieses Hauses voraus, und dahin gehende Angebote müssen mehr als nur taktische Manöver sein.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der Freien Demokraten wird dem Entwurf eines Gesetzes zur Ratifizierung des Grundlagenvertrags und dem Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt zu den Vereinten Nationen in der Überzeugung zustimmen, damit den Menschen in den beiden Staaten in
Deutschland und zugleich dem Frieden in der Welt gedient zu haben.
({14})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre reizvoll, die Frage zu untersuchen, für wen heute Herr Strauß hier gesprochen hat, für die CSU, für die CDU, für beide Fraktionen,
({0})
für seine eigenen Anhänger, für die Anhänger des Oppositionsführers a. D., für die Gegner oder für die Befürworter des UNO-Beitritts.
({1})
Auf jeden Fall, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, hat sich Herr Strauß mit dieser Rede nicht als der neue, große Führer der Opposition qualifiziert.
({2})
Wir sind der Auffassung, daß es - ich glaube, das sollte gerade im Zusammenhang mit dieser Debatte deutlich gesagt werden - eine schlechte und auch eine gefährliche Sache ist, wenn eine Opposition führungslos geworden ist. Über diese Tatsache empfinden wir keine Schadenfreude, weil wir der Meinung sind, daß eine parlamentarische Demokratie nur dann funktionieren kann, wenn wir auch eine funktionsfähige Opposition haben. Eine Opposition kann aber dann nicht mehr ihre Aufgabe ordnungsgemäß wahrnehmen und erfüllen, wenn sie ihre persönlichen Auseinandersetzungen und ihre persönlichen Querelen mit grundlegenden und für die Interessen unseres Volkes und der gesamten Nation wichtigen Fragen, wie dem Beitritt zur UNO, verbindet und diese Fragen damit belastet.
({3})
Darüber können auch, Herr Kollege Strauß, verbale Kraftakte, die Sie Herrn Wehner vorgeworfen haben, und auch Polemiken und abgedroschene Leerformeln wie wir sie heute wieder von Ihnen gehört haben, nicht hinwegtäuschen.
({4})
Mit dieser Rede hat Herr Strauß nicht nur seiner eigenen, sondern auch derjenigen Partei, in der er im Begriff ist, die Macht zu ergreifen, und der Bundesrepublik Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen.
({5})
Nach dieser Rede des Herrn Strauß muß man sich die Frage vorlegen, wo denn die Alternative der Opposition zu der Deutschland- und Ostpolitik der Bundesregierung ist, wo denn die Vorschläge sind, wo denn die Angebote sind, in denen die Forderungen, die Herr Strauß heute wieder in der Debatte aufgestellt hat, verwirklicht werden können. Wenn Herr Strauß davon gesprochen hat, daß all das, was die sozialliberale Koalition mit ihrer Deutschland- und Ostpolitik in den letzten zwei Jahren, gerade auch an menschlichen Erleichterungen, erreicht hat, von der Opposition schon vor vielen Jahren hätte erreicht werden können, dann empfinde ich das als Zynismus gegenüber den Menschen, die davon betroffen sind.
({6})
Herr Kollege Strauß hat von den Vorgängen um den Moskauer und den Warschauer Vertrag gesprochen und hat diese Vorgänge noch einmal beleuchtet. Aber gerade wenn wir uns diese Vorgänge um den Warschauer und den Moskauer Vertrag noch einmal vor Augen führen, müssen wir feststellen, daß weder damals noch heute die Opposition eine klare und eindeutige Politik verfolgt hat.
({7})
Damals sprachen Sie vom „Jetzt nicht", damals sprachen Sie vom „So nicht" und damals sprachen Sie vom „Überhaupt nicht". Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU wissen doch am besten, welche Rolle Herr Strauß damals in den Auseinandersetzungen in seiner Fraktion um die Verträge von Warschau und Moskau gespielt hat.
({8})
Die Resolution vom 17. Mai 1972, Herr Kollege Strauß, von der Sie - ({9})
- Entschuldigen Sie bitte, das gehört genauso zum Thema wie das, was Sie hier gesagt haben. Sie haben doch das Thema Moskauer und Warschauer Vertrag hier angeschnitten. Ich gehe darauf ein, ob Ihnen das paßt oder nicht. ({10})
Sie haben von der Resolution vom 17. Mai 1972 gesprochen. Auf Grund dieser Resolution, die von allen Parteien im Bundestag gemeinsam ausgearbeitet worden ist, wollten Sie diesen Verträgen zunächst zustimmen. Dann aber haben Sie die Verträge gleichwohl abgelehnt und schließlich Ihre Fraktion zur Stimmenthaltung und damit zur Flucht aus der Verantwortung in dieser Frage gezwungen.
({11})
Ich bin der Meinung, Herr Strauß, Sie sind am wenigsten geeignet, sich hier als Sachwalter deutscher Interessen aufzuspielen.
({12})
Es gibt eben Leute, auch hier im Bundestag, die sich nicht damit abfinden können, daß die Deutsch1466
land- und Ostpolitik früherer Bundesregierungen, die sie 20 Jahre verfolgt haben,
({13})
gescheitert ist. Wir wissen heute - Herr Kollege Pfeffermann, das gilt auch für Sie -, daß die Politik der Stärke, die 20 Jahre in diesem Haus vertreten worden ist, die Wiedervereinigung nicht nur nicht erreicht hat, sondern daß wir im Zeitpunkt der Übernahme der Regierung durch die sozialliberale Koalition von diesem Ziel ferner waren denn je.
({14})
Die Isolierung in der Welt, in der Sie sich mit Ihrer Auffassung befinden, haben Leute wie Herr Barzel und auch Herr Carstens, die jetzt in Amerika waren, wieder deutlich zu spüren bekommen.
({15})
- Herr Kollege Carstens, Sie haben vor zwei Stunden in Ihrem Bericht davon gesprochen, daß es im Zusammenhang mit dem UNO-Beitritt gute Gründe für beide Positionen in Ihrer Fraktion gibt. Dann muß man die Frage stellen, welcher dieser beiden guten Gründe denn nun den Ausschlag gegeben hat, den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU zum Rücktritt zu bringen.
({16})
Sie haben auch darauf hingewiesen, Herr Carstens, daß der UNO-Vertrag ein guter und hervorragender Vertrag ist. Warum konnten Sie dann in Ihrer Fraktion keine Mehrheit für die Zustimmung der Bundesrepublik zu diesem Vertrag finden? Wollen wir uns denn in dieser Frage, auch in dieser Frage weiterhin das Gesetz des Handelns durch die andere Seite, durch die DDR aufzwingen lassen?
({17})
Wollen wir denn die internationale Entwicklung, wie wir es 20 Jahre getan haben, immer vorauseilen lassen? Wollen wir dieser internationalen Entwicklung immer wieder hinterherlaufen? Das ist doch eine ganz entscheidende Frage.
Herr Abgeordneter Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?
Bitte.
Herr Kollege Metzger, würden Sie uns bitte sagen: Wie haben Sie das eben gemeint, als Sie die Frage stellten, ob wir uns auch in dieser Frage unter den Druck der anderen Seite setzen lassen wollen?
Ich habe das so gemeint, wie ich das gesagt habe, Herr Kollege Marx.
({0})
Ich habe hier einen Beitrag aus der „Segeberger Zeitung" vom 28. April: „Ja zum UNO-Beitritt, nein zum Grundvertrag". In dieser Zeitung hat Herr Carstens - ein wörtliches Zitat - ausgeführt:
Daran kann es keinen Zweifel geben - und dies steht auch nicht im Widerspruch zu unserer ablehnenden Haltung zum Grundvertrag -, daß die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für einen Beitritt der Bundesrepublik zur UNO stimmen wird.
Ich frage also: Warum hat denn die CDU/CSU - in Ihrer Mehrheit zumindest - diese Prognose nicht erfüllt, die Sie noch vor wenigen Tagen gegeben haben?
({1})
Es gibt Leute, die können sich - ich sage das nach den Ausführungen des Herrn Strauß heute nachmittag ganz bewußt - auch mit der Politik der Entspannung, des Ausgleichs und der Verständigung mit unseren Nachbarn im Osten nicht abfinden, weil sie befürchten, daß damit ihre eigene Macht und ihr eigener politischer Einfluß gefährdet werden. Das hat nichts mit moralischen Wertungen zu tun, sondern das ist eine Frage handfester machtpolitischer Interessen.
({2})
Wir sind der Überzeugung, daß die zweite Beratung und Schlußabstimmung über das Gesetz zu dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR und über das Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen eine Epoche deutscher Geschichte beenden wird, die gekennzeichnet war durch eine Vertiefung der Spaltung Deutschlands, durch eine Zunahme der Konfrontationen und der Feindseligkeiten zwischen beiden deutschen Staaten und nicht zuletzt durch die Trennung und ein zunehmendes Auseinanderleben der Menschen in der Bundesrepublik und der DDR.
In dieser Zeit, in dieser Epoche waren Gespräche, Verhandlungen und vertragliche Vereinbarungen zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten über alle Fragen, die mit dem Zusammenleben der Menschen in den beiden Staaten und mit der Regelung zwischenstaatlicher Probleme zusammenhängen, ausgeschlossen. Die heutige Opposition hat in diesen zwanzig Jahren, in denen Sie die Richtlinien der Politik bestimmte, auch gar nicht den Versuch dazu unternommen, weil solche Gespräche und Verhandlungen nicht in Ihr Konzept gepaßt hätten.
Diese historischen Tatsachen müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, wenn wir die heutige politische und auch rechtliche Situation in der Bundesrepublik und in der DDR und das Verhältnis beider Staaten zueinander würdigen und richtig einschätzen wollen. Diese Entwicklung und die Ergebnisse dieser Entwicklung müssen wir - ob sie uns passen oder nicht - zum Ausgang unserer heutigen Überlegungen und auch zum Ausgang unserer heutigen Entscheidungen machen.
Wir müssen - auch das sollte klar und unmißverständlich gesagt werden - Illusionen verabMetzger
schieden, die bei uns in der Bundesrepublik viel zu lange gepflegt wurden. Es war für uns alle eine bittere Erkenntnis - sie list von den Sozialdemokraten schon früh vorausgesagt worden; Teile der Opposition wollen sie heute immer noch nicht wahrhaben -, festzustellen, daß die Bundesregierungen in den ersten vier Wahlperioden des Deutschen Bundestages das erklärte Ziel ihrer Politik nicht erreichen konnten, die Spaltung unseres Volkes zu überwinden, die Wiedervereinigung zu erreichen und die nationale Einheit zu sichern. Wir wehren uns deshalb mit Entschiedenheit dagegen, ,daß man heute in der Diskussion um den Grundlagenvertrag und um den UNO-Beitritt immer wieder den Eindruck zu erwecken versucht, als sei die heutige Bundesregierung, als sei die heutige Regierungskoalition für die Entwicklung der letzten 25 Jahre verantwortlich, als hätten Bundesregierung und Koalition diesen Zustand, in dem wir uns heute in Deutschland und Europa befinden, durch die Gespräche und Verhandlungen der letzten drei Jahre und durch den Abschluß der Verträge - auch derjenigen, über die wir morgen oder übermorgen abstimmen werden - überhaupt erst geschaffen.
({3})
Wir standen und stehen vor der Alternative, die für uns keine Alternative mehr ist, die Politik der Konfrontation und des Gegeneinander fortzusetzen - mit allen Nachteilen für die Menschen hier und drüben - oder den Versuch zu unternehmen, zu einem Ausgleich, zu einer Verständigung und zu einem geregelten Nebeneinander zu kommen.
Wir können lange darüber diskutieren, streiten und rechten - wir haben das auch im Rechtsausschuß und in den anderen Ausschüssen getan -, ob und welche Formulierungen in diesem Vertragswerk hätten anders, vielleicht auch besser und eindeutiger sein können. Wir wissen auch, daß diese Regelungen, über die wir morgen oder übermorgen abstimmen werden, nicht allumfassend und nicht abschließend sind. Wir haben auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir eine Politik der kleinen Schritte verfolgen. Wir befinden uns am Anfang eines langen und beschwerlichen Weges, auf dem es zweifellos Hindernisse und Schwierigkeiten, auf dem es auch Rückschläge geben wird, wie wir sie gerade in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben. Niemand von uns ist so vermessen zu behaupten, daß wir am Ende dieses Weges alle unsere Ziele erreichen können.
Dieser Grundvertrag beseitigt auch nicht - auch darüber sind wir uns im klaren - den Stacheldrahtzaun und die Minenfelder, die - auch das sollte am Rande noch einmal erwähnt werden, weil hier immer wieder ein falscher Eindruck erweckt wird -nicht in der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition geschaffen wurden.
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Wir werden uns aber darum bemühen und werden immer wieder darauf drängen, daß der Schießbefehl aufgehoben und die Schußanlagen an der Grenze beseitigt werden.
Wir sind uns auch darüber im klaren, daß es nach der Ratifikation dieses Grundvertrages kein Idyll der deutschen Nachbarschaft geben wird, Die Koexistenz so grundverschiedener Gesellschafts- und Staatssysteme ist schwierig, und sie wird nicht dadurch einfacher, daß es hier in der Bundesrepublik und auch drüben in der DDR immer wieder Kräfte gibt, die diese Gegensätze zur Fortsetzung der Politik der totalen Abriegelung benutzen möchten.
({5})
Von unserer Seite wird die Auseinandersetzung offensiv ausgetragen; das ist genau richtig. Wir müssen endlich einen Anfang machen, um vorwärtskommen zu können! Die sich aus dem Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau, aus dem Abschluß des Viermächteabkommens über Berlin und aus dem Abschluß des Verkehrsvertrages ergebenden Entwicklungen und auch Erfolge allein auf dem Gebiet der menschlichen Erleichterungen bestätigen die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. Wir sollten einmal ehrlich sein: wer von uns hätte diese positive Entwicklung vor zwei oder drei Jahren für möglich gehalten, die heute von den Menschen in der Bundesrepublik und in der DDR erkannt und anerkannt wird.
Herr Kollege Hoppe hat bereits darauf hingewiesen, daß diese Politik von den Wählern am 19. November mit großer Mehrheit bestätigt wurde.
Wir stimmen auch Bundeskanzler Willy Brandt zu, wenn er immer wieder sagt, daß eine Politik der kleinen Schritte besser ist und für die Menschen mehr bringt als eine Politik großer und grundsätzlicher Erklärungen und Deklamationen, die vielleicht formelle Rechtspositionen bekräftigen, die aber von der internationalen Rechtsgemeinschaft nicht mehr anerkannt werden oder zu deren Durchsetzung jede Voraussetzung fehlt.
Wir wissen auch, daß es sich bei den Vereinbarungen im Grundlagenvertrag nicht um Optimal- oder Maximallösungen oder - ich will es noch bescheidener sagen - Optimal- oder Maximalregelungen handeln kann. Ich will jetzt nicht darüber philosophieren, ob es im menschlichen Zusammenleben überhaupt solche Optimal- oder Maximallösungen gibt. Gerade diejenigen, die in der praktischen Politik tätig sind - das gilt für die Regierung genauso wie für die Opposition - sollten hier keine Illusionen haben. Nicht ohne Grund warnen wir in der politischen Auseinandersetzung immer wieder Schwärmer und Weltverbesserer, die eine Politik des Alles oder Nichts fordern oder betreiben. Was aber für den innen- oder gesellschaftspolitischen Bereich gilt, muß in gleicher Weise auch für die Außenpolitik gelten.
Jeder Bürger in diesem Staat weiß, daß unterschiedliche Interessen, sei es im politischen, wirtschaftlichen oder auch im familiären Bereich, nur durch gegenseitiges Nachgeben und durch Kompromisse überwunden und ausgeglichen werden können. Dazu müssen Gespräche und Verhandlungen geführt werden. Die Ergebnisse dieser Gespräche
und Verhandlungen werden in Verträgen festgehalten.
Natürlich ist es einfach - wie es hier von der Opposition immer wieder geschieht -, Forderungen zu erheben. Ich frage aber die Opposition, warum sie diese Forderungen nicht in ihrer Regierungszeit - 20 Jahre standen ihr zur Verfügung - verwirklicht hat.
Verträge kommen nur dann zustande - auch das wissen wir aus unserem privaten Bereich -, wenn beide Vertragspartner zum Nachgeben bereit sind. Leistung und Gegenleistung, Geben und Nehmen sind die Merkmale solcher Vereinbarungen. Dort, wo ein Vertragspartner seine Interessen einseitig und ohne Rücksicht auf die Interessen des anderen Vertragspartners durchsetzt, handelt es sich nicht mehr um einen frei ausgehandelten Vertrag, sondern um ein Diktat auf der einen und um eine Unterwerfung auf der anderen Seite. Das gilt auch für internationale Verträge.
Wir können feststellen, daß bereits nach der Paraphierung des Grundvertrages - trotz restriktiver Maßnahmen der DDR-Behörden und der in zahlreichen Fällen aufgetretenen Schwierigkeiten - Verbesserungen im Reiseverkehr, in der Familienzusammenführung, im Post- und Fernmeldewesen und auf vielen anderen Gebieten erreicht werden konnten, obwohl der Vertrag erst nach der Ratifizierung Rechtsverbindlichkeit erlangen wird.
Unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten, die auch nach der Ratifizierung des Vertrages auftreten und nicht ausgeschlossen werden können, werden wir uns korrekt an das halten, was wir vertraglich vereinbart haben. Aber wir werden auch mit Nachdruck darauf bestehen, daß unser Vertragspartner dem nachkommt, was er zu erfüllen übernommen hat. Dabei sollten wir nicht - wie das die Opposition in den Ausschußsitzungen immer wieder getan hat - die Vertragsbestimmungen restriktiv und kleinlich auslegen. Wir sollten, wie das der Vizepräsident des Bundes der Mitteldeutschen, Werner Bader, auf der Tagung seines Verbandes am Wochenende in Frankfurt mit Recht gefordert hat, keine minimale, sondern eine maximale Interpretation des Vertrages vornehmen und ihn mit Leben erfüllen.
Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist überzeugt davon, daß der Grundlagenvertrag und seine Zusatzprotokolle ebensowenig gegen das Grundgesetz und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen wie der Beitritt zur Charta der Vereinten Nationen, und daß diese Vertragswerke weder die Wiedervereinigung Deutschlands zusätzlich erschweren oder ausschließen noch die Einheit der Nation in Frage stellen. Zu dieser Überzeugung sind wir nicht nur auf Grund eigener Prüfungen und Erkenntnisse und auf Grund eingehender Beratungen im Rechtsausschuß gekommen, sondern auch auf Grund gutachtlicher Stellungnahmen angesehener und anerkannter Staats- und Völkerrechtler.
Es ist immer ein zweifelhaftes und oft auch wenig taugliches Unterfangen, bei politischen Entscheidungen - und darum handelt es sich bei den Schlußabstimmungen über diese beiden Vertragswerke - mit rechtlichen Argumentations- oder Interpretationskünsten die Beratungen oder Entscheidungen hinauszögern oder verhindern zu wollen. Wir erleben es nicht zum erstenmal, daß Entscheidungen, die das Parlament der Bundesrepublik Deutschland zu treffen hat, zu Verfassungsfragen hochgespielt werden.
Selbstverständlich nehmen wir das Grundgesetz ernst, auf dem Gebiet der Außen- und Deutschlandpolitik genauso wie im innenpolitischen Bereich und auch bei der Verwirklichung solcher Verfassungsaufträge wie z. B. der Sozialbindung des Eigentums. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie in der Vergangenheit auf innenpolitischem Gebiet die Verfassungsaufträge so ernst genommen hätten wie hier in dieser Frage, wären wir heute in der Verwirklichung unseres Sozialstaats ein gutes Stück weiter.
({6})
Das Wiedervereinigungsgebot bedeutet nicht - das hat das Bundesverfassungsgericht klar gesagt; da helfen keine Interpretationen -, daß die Organe der Bundesrepublik bestimmte Handlungen zum Zwecke der Wiedervereinigung vornehmen müßten. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:
Den zu politischem Handeln berufenen Organen der Bundesrepublik muß es überlassen bleiben zu entscheiden, welche Wege sie zur Herbeiführung der Wiedervereinigung als politisch richtig und zweckmäßig ansehen.
Es gibt also keinen vom Grundgesetz vorgezeichneten Weg zur Wiedervereinigung. Dieser Weg könnte z. B. auch ein Zusammenschluß zweier Staaten sein.
Das Wiedervereinigungsgebot ist auch keine von den politischen Realitäten isolierbare Rechtspflicht. Vielmehr - auch das wurde vom Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen festgestellt - kommt der politischen Ausgangslage des Vertrages besondere Bedeutung zu. Es wird also nicht um des Unmöglichen willen verboten, das Mögliche anzustreben. Auch dieser Grundsatz wurde vom Bundesverfassungsgericht entwickelt, und es wurde deutlich gemacht, daß die tatsächlichen politischen Entwicklungen zu berücksichtigen sind.
Das Gericht - nun wieder ein wörtliches Zitat - „könnte eine Maßnahme der politischen Organe nur dann als verfassungswidrig beanstanden" - so steht es in dieser Entscheidung -, „wenn die Verletzung des Verfassungsgebots der Wiedervereinigung durch sie evident und die Maßnahme unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen wäre". Soweit politische Maßnahmen also nur möglicherweise der Wiedervereinigung abträglich sind, besteht politische Ermessensfreiheit.
Gerade wenn man diese vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Grundlage der rechtlichen Prüfung macht, kommt man zu dem Ergebnis, daß weder der Grundlagenvertrag noch der Beitritt der Bundesrepublik zur Charta der VereinMetzger
ten Nationen gegen das Wiedervereinigungsgebot verstoßen: Erstens. Das Vertragswerk schließt eine Wiedervereinigung weder dem Wortlaut noch dem Inhalt nach aus. Die deutsche Frage und die Frage der Einheit der Nation werden wie bisher offengehalten.
Zweitens. Aus dem Vertrag und seinen Instrumenten wird deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland die deutsche Frage nicht nur offenhält, sondern weiterhin das politische Ziel verfolgt, wie es klar und unmißverständlich in dem Brief zur deutschen Einheit zum Ausdruck kommt, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt."
Durch diesen Brief wird auch gegenüber der Weltöffentlichkeit noch einmal klargestellt und bestätigt, daß der freie Teil Deutschlands auf die bisher verfolgte Politik der Wiederherstellung der staatlichen Einheit nicht verzichtet.
({7})
Drittens. Darüber hinaus bestätigen der Grundvertrag und seine Zusatzprotokolle - und das sind wesentliche Elemente, auch wenn Herr Strauß das nicht wahrhaben will - die Anerkennung der Viermächteverantwortung für Gesamtdeutschland und Berlin; die Anerkennung der Verpflichtung der drei Westmächte aus dem Deutschland-Vertrag, die Einheit Deutschlands anzustreben; die Fortsetzung des innerdeutschen Handels und den Vorbehalt der Bundesrepublik zur Staatsangehörigkeitsfrage.
In politischen und juristischen Fachkreisen, auch im Rechtsausschuß, wurde viel darüber diskutiert und geschrieben, ob eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik dem Wiedervereinigungsgebot und damit unserem Grundgesetz entgegenstehen würde - ich betone: würde. Ich will diese Diskussion hier nicht fortsetzen. Denn wir stehen auf dem Standpunkt, daß weder die Ratifikation des Grundlagenvertrages noch der Beitritt der beiden deutschen Staaten zur Charta der Vereinten Nationen eine Anerkennung der DDR als Völkerrechtssubjekt durch uns, durch die Bundesrepublik, beinhaltet. Es ist unstreitig, daß eine völkerrechtliche Anerkennung eine Willenserklärung voraussetzt. Eine solche Willenserklärung erfordert einen entsprechenden Willen des Erklärenden.
Bereits in der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen, daß ein solcher Wille der Bundesregierung - das hat sie auch immer wieder zum Ausdruck gebracht -- niemals vorhanden war, weder bei der Unterzeichnung des Vertrages noch heute oder morgen bei der Schlußabstimmung über diese Verträge. Das wird auch durch Inhalt und Begriffsbestimmungen im Vertragswerk bestätigt, so daß auch von einer stillschweigenden Anerkennung nicht die Rede sein kann.
Ich möchte davor warnen, daß wir durch Wiederholung gegenteiliger Argumente - auch hier im Bundestag - immer wieder unsere eigene Position nicht nur gegenüber der DDR, sondern auch in der Weltöffentlichkeit schwächen.
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Der Vertrag enthält keine Vereinbarung über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Es werden keine Botschafter, sondern „Ständige Vertreter" ausgetauscht. Es erfolgt kein Austausch von Ratifikationsurkunden, sondern ein Austausch entsprechender Noten". Dabei - das möchte ich am Rande bemerken - ist die Ratifizierung zwischenstaatlicher Verträge keineswegs nur für die völkerrechtliche Vertragspraxis typisch, sondern auch im innerstaatlichen Bereich durchaus üblich. Hierfür gibt es bei uns hier in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Beispielen.
({9})
Auch das Bekenntnis der beiden Vertragspartner zu den Grundsätzen der Gleichberechtigung in Art. 1 sowie der Unabhängigkeit und der Selbständigkeit in den Art. 2 und 6 bedeutet keine stillschweigende völkerrechtliche Anerkennung. Hierbei handelt es sich um Prinzipien, die im innerstaatlichen Bereich -etwa Verhältnis zweier Bundesländer zueinander - ebenso Anwendung finden wie im völkerrechtlichen Verkehr.
Schließlich kann auch aus dem Bekenntnis zur Souveränität aller Staaten in Europa in der Präambel des Grundvertrags und aus der Bekräftigung des Grundsatzes der souveränen Gleichheit in Art. 2 des Vertrags nicht auf eine völkerrechtliche Anerkennung geschlossen werden. Das Bekenntnis zu diesem Prinzip erfolgt unter Bezugnahme auf die Charta der Vereinten Nationen. Sowohl im völkerrechtlichen Schrifttum als auch nach der Praxis der Vereinten Nationen ist das Verhältnis der Mitglieder untereinander nicht notwendigerweise ein solches souveräner Staaten. Außerdem schließt die gemeinsame Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen nicht notwendigerweise die Anerkennung eines bisher völkerrechtlich nicht anerkannten Staates ein. Auch hierfür gibt es eine Reihe von Beispielen. Das wurde in den Diskussionen und Beratungen des Rechtsausschusses auch von den Vertretern der Opposition anerkannt.
Insgesamt ist deshalb festzustellen, daß dieser Vertrag bzw. diese Verträge das Wiedervereinigungsgebot nicht nur nicht verletzen, sondern endlich die Möglichkeit zu einem aktiven Handeln im Interesse der Aufrechterhaltung der nationalen Einheit geben.
Die in dem Zusatzprotokoll zu Art. 7 des Vertrages vorgesehenen Maßnahmen tragen zur Wahrung der Einheit der Nation bei und stärken die in den letzten 25 Jahren immer schwächer gewordene Klammer zwischen den beiden deutschen Staaten.
Der Vertrag verstößt auch nicht gegen die in Art. 23 des Grundgesetzes festgelegte sogenannte Offenhaltungspflicht, nach der das Grundgesetz in anderen Teilen Deutschlands nach deren Beitritt in Kraft zu setzen ist. Hiermit hat das Grundgesetz einen vor mehreren möglichen Wegen zur Wiedervereinigung ausdrücklich geregelt.
Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet dieser Grundgesetz-Artikel, daß die Bundesrepublik Deutschland die Beitrittsmöglichkeit der anderen Teile Deutschlands nicht beschränken oder erschweren darf. In der Entscheidung heißt es wörtlich:
Dabei darf jedoch der tatsächliche Zustand nicht außer acht gelassen werden, der das Fernbleiben bestimmter deutscher Gebiete vom Geltungsbereich des Grundgesetzes veranlaßt hat und weiter veranlaßt.
Auch hier kommt es auf die tatsächlichen politischen Verhältnisse, auf die Realitäten an. Durch die Bestimmungen des Art. 23 unseres Grundgesetzes wird auch „nicht etwa eine verfassungsrechtliche Garantie dafür übernommen, daß die deutschen Gebiete außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes jederzeit tatsächlich beitreten können". Auch das wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Das heißt mit anderen Worten, die Bundesrepublik Deutschland darf nichts tun, um sich gegenüber beitrittswilligen Teilen Deutschlands abzukapseln. Sie darf also keine Regelungen treffen, die den Beitritt beispielsweise an zusätzliche, im Grundgesetz nicht genannte Voraussetzungen knüpfen würde. Etwas Derartiges enthält der Grundvertrag nicht, etwas Derartiges ist im Grundvertrag nicht vorgesehen.
Auf einen letzten Punkt möchte ich noch eingehen, der in der Diskussion auch im Rechtsausschuß und in anderen Ausschüssen immer wieder eine Rolle gespielt hat. Er betrifft Art. 16 des Grundgesetzes, das Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Wir sind der Auffassung, daß auch diese Verfassungsbestimmung durch den Grundvertrag nicht verletzt wird. Auf Grund des im Vertragswerk enthaltenen Vorbehalts zur Staatsangehörigkeitsfrage kann die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor von einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit ausgehen. Auch das wurde von der Opposition in den Ausschußberatungen nicht bestritten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind überzeugt davon, daß dieser Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ein guter Anfang ist, der sich in die aktive Deutschland- und Ostpolitik einfügt, ohne grundlegende Rechtspositionen und ohne grundlegende politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland und Berlins aufzugeben. Wir werden deshalb dem Grundlagenvertrag und auch dem Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen mit gutem Gewissen zustimmen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Amrehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich dem Grundvertrag und seinem besonderen Bezug auf Berlin zuwende, möchte ich mich mit der Zwischenantwort beschäftigen, die der Herr Bundeskanzler auf die Ausführungen unseres Kollegen Strauß gegeben hat. Der Bundeskanzler hatte zu Recht erkannt, daß sich der Kollege Strauß und viele in diesem Hause mit ihm darüber beschwert fühlen, daß in Jugoslawien Äußerungen gefallen sind, die den Eindruck erweckt haben, als gäbe es unter den CDU-Wählern solche, die für den Frieden sind, und solche, die weniger für den Frieden sind.
({0})
Der Bundeskanzler hat uns daraufhin einen Artikel verlesen und außerdem die Stellen wörtlich zitiert, wie sie im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung veröffentlicht worden sind. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier sagen, dies war kein Dementi, sondern eine Bestätigung dessen, was der Kollege Strauß hier gesagt hat.
({1})
- Wenn uns der Herr Bundeskanzler vorgelesen hat, Herr Wehner, daß es unter den Wählern der CDU/CSU solche gebe, die den Frieden in der Weise wollten wie die Regierung,
({2})
dann weiß der Bundeskanzler, der doch ein kluger Mann ist und Worte sehr wohl wägen kann,
({3})
ganz genau, welchen Eindruck er damit in der Öffentlichkeit erweckt, nämlich den, daß manche nicht für den Frieden seien. Dann hätte er eben sagen sollen: „manche, die seine Politik unterstützen", aber indem er den Ausdruck „Frieden" benutzt hat,
({4})
hat er diesen Eindruck doch heraufbeschwören wollen.
({5})
Nun lassen Sie mich daran erinnern, daß der Herr Bundeskanzler schon einmal gebeten worden war, solche Unterscheidungen zu unterlassen. Er hat hier vor dem Hause einmal eine Erklärung abgegeben, die uns befriedigt hat. Wir haben gemeint, das sei ein für allemal erledigt. Die heutige Erklärung hat uns nicht befriedigen können.
({6})
- Ich überlasse es Ihnen, Herr Kollege Wehner, Bewertungen auszusprechen. Mir liegt daran, Klarstellungen hier vorzunehmen.
({7})
Zweiter Punkt! Der Herr Kollege Strauß hat dem Bundeskanzler bestätigt, er halte dessen Bekenntnis zum westlichen Bündnis für aufrichtig. Wenn das so ist und der Bundeskanzler eben wünscht, daß ihm in diesem Punkt geglaubt wird - und daran haben wir alle ein Interesse -, dann war es doch
wohl konsequent vom Kollegen Strauß, zu sagen: dann muß der Bundeskanzler hier vor diesem Hause sagen, alle die Gedanken, die in jenem Interview enthalten gewesen seien, seien für ihn, den Bundeskanzler, null und nichtig.
({8})
So hat der Herr Strauß das gesagt. Wie lautete die Antwort des Bundeskanzlers? Er habe in dem Text zwei Fehler entdeckt, und danach nehme er die Bewertung des Ganzen vor. Ich mache mir die Methode nicht zu eigen,
({9})
die der Herr Hahn angewendet hat. Ich halte es auch für zweifelhaft, ob man so vorgehen darf.
({10})
Aber wenn nun hinterher ein Bundesminister den Weitblick von Herrn Bahr in diesem Interview lobt, wenn er den klugen Blick von Herrn Bahr mit diesem Interview hervorhebt und sich mit den darin enthaltenen Gedanken identifiziert, dann bestätigt man doch den Gedankengang, der in einem solchen Interview enthalten ist. Dann hat allerdings ein Bundeskanzler, wie mir scheint, die Pflicht, in aller Form von dem Mann und von den Gedanken abzurücken, die da zum Ausdruck gebracht worden sind.
({11})
Sonst belastet das Interview eben den Bundeskanzler und die deutsche Politik. Ich hätte gewünscht, hierzu hätte der Kanzler sehr klare Worte gesagt. Er hat es nicht getan. Ich bedauere das deshalb, weil der Herr Kollege Strauß bemüht gewesen ist, bei aller Kritik doch wenigstens in existentiellen Fragen eine Basis der Gemeinsamkeit zu bewahren, zwischen uns allen eine Basis der Gemeinsamkeit für die Zukunft zu sichern. Wenn solche Distanzierungen dann allerdings nicht erfolgen, fürchte ich, daß das Bemühen um Gemeinsamkeiten gefährdet wird, die wir alle nach meiner Überzeugung noch ganz dringend brauchen werden, um den kommenden Belastungen widerstehen zu können, unter denen wir alle noch zu leiden haben werden.
Und nun möchte ich den Kollegen Metzger beruhigen: Der Herr Kollege Strauß hat für die ganze CDU/CSU gesprochen, und er konnte doch darüber keinen Beifall haben,
({12}) - keinen Zweifel haben
({13})
nach dem Beifall, den ihm diese Fraktion ovations-artig gespendet hat.
({14})
Meine Damen und Herren und Herr Kollege Metzger, man muß nicht der Ansicht von Herrn Strauß
sein. Ich bin seiner Ansicht, aber man muß es nicht sein; Sie dürfen eine andere haben.
({15})
Das ist Ihnen nicht nur gegönnt, sondern ich meine, es ist auch ein Stück Menschenrecht, Meinungsfreiheit besitzen zu dürfen.
({16})
Aber jedermann muß doch wohl anerkennen, daß hier ein Politiker von Rang Gedanken in einer Zusammenschau vorgetragen hat, die nicht ohne Eindruck bleiben kann, mit der man sich gedanklich auseinanderzusetzen hat und die man nicht damit abqualifizieren kann, daß man sagt, das seien abgedroschene Leerformeln. Wer einen anderen so qualifiziert, qualifiziert sich, glaube ich, selber ab.
({17})
Nun möchte ich noch einen großen Irrtum ausräumen. Hier ist gesagt worden, der Kollege Strauß habe die Fraktion der CDU/CSU zu einer Entscheidung gezwungen. Meine Damen und Herren, nie-mend wird bestreiten, daß der Kollege Strauß ein urwüchsiger und sehr kraftvoller Politiker ist. Aber ich glaube, diese Macht besitzt er nicht, und wir sollten unsere eigenen Kollegen nicht mit der Behauptung diffamieren, daß er eine ganze Fraktion zu einer Entscheidung zwingen könne. Wir nehmen für uns in Ansnruch, daß jeder für sich seine Entscheidung so fällt, wie er es für richtig hält.
({18})
- Davon rede ich bereits, und ich will jetzt auf zwei Punkte eingehen, die auf das Konto von Herrn Kollegen Metzger kommen.
Herr Kollege Metzger, auch Sie haben wieder die Frage gestellt, weshalb wir denn Forderungen stellten, wir, die wir in der Vergangenheit versagt hätten, wir, die wir diese Verträge ja gar nicht wollten. Lassen Sie mich darauf ein für allemal sagen: Solche Verträge werden nicht nur für die Koalitionspartner geschlossen,
({19})
sondern sie werden für das Volk, auch für uns geschlossen. Die Preise dafür zahlen wir alle. Dann bestehen wir allerdings auch darauf, daß die Gegenforderungen, die wir dabei haben, erfüllt werden.
({20})
Die Bundesregierung hat sich ein weitgestecktes Ziel gesetzt. Wiederholt hat sie erklärt, sie wolle mit dem Grundvertrag über ein organisiertes Nebeneinander der beiden Staaten in Deutschland zum Miteinander kommen. Wer von uns fühlte sich durch ein solches Ziel nicht zutiefst angesprochen, wer wollte nicht selber von Herzen daran mitwirken, ein Miteinander herbeizuführen, das den Menschen im anderen Teil Deutschlands mehr Bewe1472 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Amrehn
gungsfreiheit und mehr Menschenrechte bringt? Wir sind alle durch zu viel Bitterkeiten und durch zu viele Enttäuschungen hindurchgegangen, als daß wir nicht für alle Anstrengungen aufgeschlossen wären, die unternommen werden, um zu einem solchen friedlichen und freiheitlichen Miteinander zu kommen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß sie mit dem Grundvertrag die Grundlage dafür schaffe.
({21})
Am Tag der Unterzeichnung hat der Herr Bundesminister Bahr dazu erklärt:
Der Vertrag ist das Fundament, auf dem das
Gebäude der Beziehungen der beiden deutschen
Staaten wachsen soll zum Wohle der Menschen.
Das strahlt Zuversicht aus, und das hat unbezweifelbar viele Hoffnungen geweckt. Der Bundeskanzler hat etwas später ergänzt:
Unsere ideologischen Differenzen zur DDR sind fundamental und werden es nach menschlichem Ermessen bleiben.
Ich nehme das genauso, wie der Kanzler es gesagt hat. Diese Worte zeigen ja die ungeheuren Schwierigkeiten auf, in denen deutsche Politik in den vergangenen zwei Jahrzehnten gemacht worden ist, und die ungeheuren Schwierigkeiten, vor denen deutsche Politik auch heute noch steht.
Deswegen haben wir verantwortlich zu prüfen, wie es denn mit der Tragfähigkeit des Fundamentes steht, wenn die ideologischen Differenzen der beiderseitigen Baumeister fundamental bleiben.
({22})
Ich schließe den Erfolg solcher Bemühungen deswegen nicht von vornherein aus. Die Frage ist nur: Gibt es im Vertrag genug abgesicherte Eckpfeiler praktischer Vernunft, um die kommenden Belastungen ideologischer Differenzen auszuhalten?
({23})
Diese Frage ist nicht damit zu beantworten, der Wähler habe über ,den Grundvertrag entschieden. Die Frage ist auch nicht damit zu beantworten, daß man sagt, der Vertrag habe hier im Haus eine Mehrheit. Ich glaube, Sie werden selbst einräumen, daß das zu oberflächlich wäre. Wir wissen auch, ,daß der Vertrag hier angenommen wird.
Dennoch ist es in dieser Stunde noch durchaus offen, ob sich Regierung und Koalitionsmehrheit in ihrer Selbstgewißheit darüber wirklich ganz wohl fühlen können. Denn seit der Unterzeichnung hat sich doch einiges ereignet und an Erfahrungen satemeln lassen, was auch die Befürworter des Vertrages skeptisch machen muß, ob sich denn ihre Erwartungen auch nur annähernd so verwirklichen, wie sie es sich gedacht haben und ich in manchen Zeiträumen unmittelbar nach der Unterzeichnung beispielsweise des Berlin-Abkommens selbst auch erhofft habe.
Ich weiß, daß es inzwischen einschränkende Worte von der Seite der Regierung wie der Koalition gibt, man solle sich keine Illusionen machen, man solle seine Hoffnungen nicht zu hoch schrauben, wir müßten Abstriche machen von früheren Vorstellungen. Herr Bahr hat im März in einem Interview erklärt, es sei eine ernste Frage, ob die Abgrenzungspolitik der kommunistischen Seite nicht die Basis dieser Politik zerstöre. Ob die Möglichkeiten neuer Begegnungen zu einem anderen Ergebnis führten als zu tieferer Trennung wie in der Vergangenheit, halte er für eine Chance, nicht für eine sichere Sache. Das klingt alles sehr viel abgewogener und vorsichtiger, als es zu Anfang lautete.
Darf ich daran erinnern, meine Damen und Herren: Erst nach dem Abschluß der Verhandlungen ist in der DDR jene neue Journalistenanordnung erlassen worden, deren Inhalt, meine ich, dem widersprach, was im Vertrage ausgemacht war. Nun ist mir bekannt, daß dagegen protestiert worden ist. Und mir ist bekannt, daß es eine mündliche Antwort gibt, man werde sich an seine Vertragsverpflichtungen halten. Aber ich weiß ebenso, daß jeder Journalist, der hinübergeht, sich dort unter dem Schwerte jener neuen Anordnung bei seiner Tätigkeit fühlt, daß im übrigen der Austausch sich keineswegs in der Weise vollzieht, wie es vereinbart worden ist, und daß die Schwierigkeiten bis in die letzten Tage anhalten. Erst kürzlich hat ein Westberliner Fernsehteam wieder keine Einreisegenehmigung für einen bestimmten Tag bekommen, weil die Anmeldung eine Woche vorher nicht ausreichend Zeit gebe, um eine Genehmigung zu erteilen. Jeder spürt die Fadenscheinigkeit der Begründung und außerdem die einseitige Modifizierbarkeit der Zusagen, die man gegeben hat; man behält sich vor, sie jeweils ganz nach eigenem Geschmack auszulegen.
Meine Damen und Herren, erst nach Abschluß der Vereinbarungen sind doch die Beschränkungen für die Besuchsmöglichkeiten ausgesprochen worden. Diese Besuchsmöglichkeiten sind zwar vertraglich eingeräumt worden, dann aber durch Verwaltungsmaßnahmen im einzelnen wieder unterbunden worden, unter ganz schwerem Druck auf die Bewohner der DDR. Jeder muß sich noch einmal vergegenwärtigen, daß die Einladung zu einem Besuch für mehrere Tage in der DDR immer nur von Bewohnern der DDR ausgesprochen und daß die Genehmigung nur von ihnen beantragt werden kann Wenn vom Westen aus die Initiative ergriffen wird, kommen immer nur Reisen über Reisebüros in Betracht.
({24})
Entgegen allem, was vereinbart ist, und nach Art und Maß völlig neu, sind drüben Briefverbote ausgesprochen worden, und es gibt sogar Verbote, mit dem Westen zu telefonieren. Entgegen verpflichtenden Vereinbarungen im Grundvertrag wird der Sportverkehr bis heute nicht gefördert. Es gibt die Weigerung der DDR, auch nur darüber zu sprechen, ob der Landessportbund Berlin zum Deutschen Sportbund gehört. Das alles kann doch wohl kein Vertrauen in die Erfüllungsbereitschaft des Vertragspartners schaffen. Das hat der Kollege Hoppe hier vorhin sinngemäß gesagt. Ich kann das nur unterstreichen.
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Amrehn
Meine Damen und Herren, die Familienzusammenführung ist ins Stocken geraten. Zugesagte Ausreisen werden nicht genehmigt. Erst nach Abschluß der Verhandlungen ist das System der Tötungsmaschinen richtig ausgebaut worden; es sind Menschen darin umgekommen. In Berlin und an der Grenze wird bis in die letzten Tage weiter geschossen.
Hatte uns nicht jemand gesagt, mit der Verabschiedung des Moskauer Vertrages werde das Schießen ein Ende nehmen? War das nicht für manchen im Hause sogar eine Grundfrage seiner Einstellung zum Moskauer Vertrag? Das hat doch wohl alles nichts mit der anderen Frage zu tun, ob wir den Grundvertrag schon ratifiziert haben oder nicht.
Wir haben immer wieder gehört - auch vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen haben wir das gestern oder vorgestern in einem Interview wieder gehört -, erst müsse ratifiziert sein, dann träten alle diese Verbesserungen und Erleichterungen ein.
Meine Damen und Herren, wenn jetzt schon vorhandene bindende Verpflichtungen nicht erfüllt werden, wie will man dann eine Erfüllung dessen erwarten, was in Art. 7 nicht als Verpflichtung übernommen ist, sondern nur als Bereitschaftserklärung, als Absichtserklärung, als das Aussprechen einer Erwartung oder einer Hoffnung? Journalistenaustausch, Handel und Sportverkehr, mehr als diese drei Punkte - Inaussichtstellungen, für die wir die großen Entscheidungen des Grundvertrages zugunsten der DDR treffen sollen - steht in Art. 7 nicht darin.
({25})
Wenn ich Herrn Kollegen Heyen heute richtig verstanden habe, meinte er, wir hätten mit diesem Vertrag feste politische Währung bekommen. Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß wir mit diesem Vertrag einen Großkredit in harter politischer Währung an die DDR gegeben haben, ohne sicher zu sein, ob wir die Münze erhalten, die uns versprochen worden ist.
Wie steht es sonst mit dem Geist der Erfüllung der Verträge? Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht, ja, ich erkenne ausdrücklich an, daß es eine Reihe menschlicher Verbesserungen gibt. Es gibt die Verbesserungen bei Reisen nach dem Osten, in die DDR. Es gibt die Möglichkeiten des Besuchs von West-Berlin nach Ost-Berlin, die es für viele Jahre nicht gegeben hat. Es gibt die beträchtlichen Erleichterungen auf den Transitstrecken.
Aber, meine Damen und Herren, es hat doch wohl auch kein Skeptiker für möglich gehalten, daß wir nach dem Grundvertrag und der Berlin-Vereinbarung in Berlin eine Ausstellung haben werden, auf der ein Vetreter des Bundes nicht erscheinen soll und auf keinen Fall sprechen darf, daß infolgedessen auch ein Vertreter des Senats auf dieser Ausstellung in Berlin nicht spricht, daß die Bundesflagge vor unseren Ausstellungshallen nicht gezeigt werden darf und daß infolgedessen auch die Berliner Flagge nicht allein aufgezogen wird und daß zu guter Letzt in Berlin ({26}) vor den Ausstellungshallen nur noch die sowjetische Flagge weht. Wer hätte das für möglich gehalten, meine Damen und Herren!
({27})
Es hätte doch keiner geglaubt, daß beim Rundgang des sowjetischen Botschafters durch die Ausstellung an der Seite des Regierenden Bürgermeisters der Versuch unternommen wird, den Vertreter des Bundes, den Staatssekretär des zuständigen Ministeriums, mit Brachialgewalt von der Spitzengruppe fernzuhalten. Wir hätten es für ausgeschlossen gehalten, auch ich, daß eine Einladung in einen sowjetischen Pavillon erfolgt, daß dort der Regierende Bürgermeister Zutritt hat und auch hineingeht, aber der Vertreter des Bundes, ein Staatssekretär, draußen vor der Tür stehenbleiben muß.
({28})
Meine Damen und Herren, das ist doch ein Maß von Selbstentäußerung und Selbstverleugnung, das ich nicht anders als beschämend kennzeichnen kann.
({29})
Wäre es ein einzelner Betriebsunfall, könnte man darüber hinweggehen. Ich gehe sogar so weit, zu sagen: Es würde nicht einmal auf den Wortlaut von Vereinbarungen ankommen, wenn man seit der Unterzeichnung das Empfinden haben dürfte, daß hier nun auf beiden Seiten der gute Wille zum Miteinander wirksam ist, daß das, was bereits verpflichtend vereinbart ist, auch erfüllt wird, daß da der Geist dahintersteht, der diesen Vertrag nach unserer Meinung ausfüllen sollte. Aber der Staatssekretär, von dem ich sprach, hat gesagt, das Verhalten, das er in Berlin erfahren mußte, widerspreche dem Geist und dem Buchstaben der Vereinbarungen, die man beschlossen hat.
({30})
Widerspricht es denn nicht dem, was wir erwartet haben, dem, was wir als Geist und Buchstaben der Vereinbarung angesehen haben, wenn jetzt seit mehreren Wochen in den geplanten Verträgen mit der UdSSR um eine Berlin-Klausel so wie früher gefeilscht werden muß, als gäbe es überhaupt gar keine Berlin-Vereinbarung!
({31})
Wir hatten doch alle gehört und geglaubt, das sei nun vorbei, nun sei alles klar, Berlin werde für die Zukunft in den gegenwärtigen Beziehungen keine Reibungsfläche mehr sein.
Aber auf der Buchmesse in Moskau mußten die 32 Verlage West-Berlins, die im Rahmen einer Bundesausstellung dort auftreten wollten, ihre Stände neben denen der Bundesrepublik aufbauen und eine Berlin-Fahne extra davorstellen; sonst wäre es nicht genehmigt worden. Das alles nach der Berlin-Vereinbarung!
In Sofia ist verboten worden, auf einer Ausstellung des Bundes, auf der sich der Bund „Deutsche Bundesrepublik" nennen mußte,
({32})
von Westberlin Photographien zu zeigen. Bei Verträgen mit Westberliner Unternehmungen, die das Wort „Berlin" im Namen führen, wird verlangt und teilweise erreicht, daß im Vertrag der Name „Berlin" aus dem Firmennamen, der im Handelsregister steht, gestrichen wird.
({33})
Meine Damen und Herren, die Sowjetunion, die CSSR und Polen nehmen weiterhin nicht an der „Grünen Woche" teil, obwohl wir die Namen wie Pommern und Mecklenburg und Schlesien von den Dächern unserer Ausstellungshallen heruntergenommen haben.
({34})
Nun ist ganz gewiß keine Nation verpflichtet, an Ausstellungen in Berlin teilzunehmen. Aber, meine Damen und Herren, hier wird doch der Geist spürbar, in dem solche Verträge offenbar geschlossen worden sind, und der Geist, wie er erfüllt wird.
Die Sowjetbotschaft in Ost-Berlin hat wissen lassen, daß sie am Reitturnier in West-Berlin nur teilgenommen habe, weil die Turniergemeinschaft dieses Reitturnier organisiert habe und nachdem schriftlich bestätigt worden sei, daß das Turnier nicht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stehe.
({35})
In die Westdeutschland-Tourneen östlicher Künstlergruppen wird West-Berlin bis auf den heutigen Tag nicht einbezogen.
Jedesmal, wenn der Bundespräsident nach Berlin kommt, erhebt ADN öffentlichen Protest gegen die Anwesenheit des Bundespräsidenten. Der Regierende Bürgermeister Schütz hat dazu erklärt: Ich messe den Protesten einen hohen Stellenwert bei. ADN ist da drüben etwas ganz anderes als bei uns dpa. Man soll nicht so tun, als ob das im Grunde genommen nicht wichtig sei. Mit welchem Recht werden überhaupt diese Proteste erhoben, mit welchem Recht wird noch nach der Berlin-Vereinbarung Einspruch erhoben? Ich kann nur dankbar sein, daß der Bundespräsident trotz allem mit großer Regelmäßigkeit nach Berlin kommt und in diesem Punkte ganz feste Haltung zeigt. Aber die Reibungen haben doch nicht aufgehört. Immer wieder wird neu um diese Position so wie in der Vergangenheit gefochten.
Nach Bulgarien dürfen bis heute von West-Berlin aus keine Maschinen im Nonstopverkehr fliegen, obwohl West-Berlin doch einbezogen sein soll. Den Österreichern und den Skandinaviern ist der NordSüd-Flugverkehr über Berlin gestattet worden. Aber die Voraussetzung dafür, daß die Landung wechselweise auch in Tempelhof oder Tegel in West-Berlin stattfinden sollte, wird wieder nicht erfüllt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch in allem Ernst sagen: Es hat auch in der Zeit seit dem Inkrafttreten des Transitabkommens bereits eine mehrstündige Autobahnsperre gegeben. Der Bundesminister Franke hat dagegen protestiert, und wir schließen uns an, weil es gegen die Berlin-Vereinbarungen verstößt.
Hier ist zu damaliger Zeit, als der Grundvertrag eingebracht wurde, gesagt worden: Was haben wir früher dagegen tun können? Ich frage mich: Was können wir heute mehr dagegen tun als Einspruch erheben und sagen: Das ist eine Verletzung der Vereinbarung, die es ja auch früher gegeben hatte, wenn auch heute in besserer Form; ich räume das ein.
Meine Damen und Herren, nehmen wir es genauso ernst, wie der Herr Schütz es gesagt hat! Als in West-Berlin wegen gesetzwidrigen Vorgehens zwei östliche Transportpolizisten festgenommen wurden, ist massiv damit gedroht worden, daß man Schwierigkeiten auf den Autobahnen machen werde, wenn die Transportpolizisten nicht sofort freigelassen würden. Das Ergebnis war: Die Transportpolizisten waren trotz Haftbefehls nach Verhängung einer Geldstrafe am nächsten Tag frei.
Der Transitverkehr funktioniert im großen und ganzen reibungslos. Das ist heute gesagt worden. Ich bestätige das. Aber niemand kann sagen, daß nicht doch dieser Verkehr möglicherweise auch anfällig sei. Ich glaube, Herr Bahr war es, der einmal gesagt hat, der Wert des Abkommens werde sich in Schlechtwetterzeiten erweisen müssen. Wie sieht das dann erst aus, wenn das schon in relativen Gutwetterzeiten möglich ist?
({36})
Auf Grund des Abkommens sind neuerdings Reisen von West-Berlin zur Besichtigung Potsdams wieder organisiert worden. Aber Westdeutsche und Westberliner dürfen nicht in einem Autobus sitzen. Wer uns politisch so auseinanderdividiert kann sich nicht das Lob verdienen, daß er nun guten Willens daranginge, ein Miteinander mit uns herbeizuführen.
({37})
Der Senat hat dazu gesagt, er bedauere diese Entscheidung, er halte sie für unpraktisch. Ja, ich sicher auch. Aber ist das nun nicht wirklich ein Ausdruck der Ohnmacht oder der Schwächlichkeit, das alles sein zu lassen, was man zu einem solchen Vorgang zu sagen hat?
({38})
Ich frage mich: Wo ist denn nun der größere politische Spielraum, den Berlin gewonnen haben soll?
({39})
Herr Schütz sah sich veranlaßt, am 1. April 1973 zu sagen, eine weitere Isolierung West-Berlins wäre eine Fortsetzung des kalten Krieges mit anderen Mitteln und nicht der Weg, den der Grundvertrag klar vorzeichnet. Seitdem hat sich bis heute nichts gebessert, sondern eher manches weiter verschlechtert. Darum ist es mir ganz unverständlich, wie man eine Brücke zwischen dem, was in Berlin auch vom Regierenden Bürgermeister seit Wochen an Kritik vorgetragen worden ist, und dem schlagen kann,
was er heute von diesem Podium aus gesagt hat, wo er so tut, als wäre alles in bester Ordnung.
({40})
Herr Schütz ist es doch gewesen - ich muß das anerkennen -, der den Besuch in Moskau, zu dem er eingeladen war, abgesagt hat, weil unserem Botschafter dort untersagt wird, den Besuch für ihn zu organisieren, und dem Regierenden Bürgermeister Schütz untersagt wird, in unserer Botschaft dort einen Empfang zu geben.
({41})
Ich wiederhole: Ich verkenne nicht die Verbesserungen auf den Transitwegen, und ich würdige jede einzelne Möglichkeit des privaten Besuches einer Familie, den sie seit den Berlin-Vereinbarungen in dem anderen Teil der Stadt machen kann. Aber hier darf sich doch kein Kollege der Frage entziehen, was eben doch mit solchen menschlichen Verbesserungen, oder sagen wir besser: mit dem Abbau der Unmenschlichkeiten gleichzeitig an politischen Konzessionen gefordert wird.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Frage sagen, Herr Kollege Hoppe, die Sie immer wieder hochbringen, zur Frage der Passierscheine vor zehn Jahren. Die CDU/CSU war nie gegen Passierscheine, aber sie war gegen Passierscheine, wenn von uns der Preis aus der politischen Substanz gefordert wurde.
({42})
Nun kann ich nur feststellen: Es ist doch ein SPD/ FDP-Senat gewesen, der im Jahre 1966 die Passierscheinverhandlungen wieder beendet hat, weil auch er die politischen Forderungen des Ostens damals für unzumutbar gehalten hat,
({43})
- Weil es in Berlin abgelehnt worden war. Ich habe mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister gesprochen. Er hat mir selbst erklärt, das, was jetzt verlangt werde, sei unzumutbar. Das war ein Mann, der so weit links steht wie eben Herr Albertz.
Ich selbst kann auch die Augen nicht davor zumachen, daß wir zwar früher schon - jedenfalls ich - das Stimmrecht für die Berliner hier im Hause gefordert haben.
({44})
Wir haben das nicht durchgesetzt; dafür gibt es hundert Gründe. Aber wir haben das damals fordern können, ohne daß die Russen gewagt hätten, Einspruch gegen das zu erheben, was wir von den Westmächten wollten. Ob es sehr glücklich war, die Frage des Stimmrechts kürzlich neu aufzuwerfen, lasse ich dahingestellt; aber es ist das erstemal, daß die Sowjets auf Grund des Viermächteabkommens einen Rechtstitel zu haben glauben, bei allen drei Westmächten und bei der Bundesregierung intervenieren zu dürfen, weil wir darüber diskutieren.
({45})
Außerdem war auch der Berliner Senat der Meinung, daß die Bundesrepublik im Flugverkehr gewisse Repressalien ergreifen sollte, wenn West-Berlin gezwungen wird, keine Flüge direkt nach Bulgarien auszuführen oder anzunehmen. Wiederum war es sowjetische Intervention, die die Repressalie hier beim Bund unterbunden hat.
Meine Damen und Herren, was jetzt bei der Ausstellung in Berlin passiert ist, ist eine direkte sowjetische Intervention in den Bereich West-Berlins hinein, woran früher niemand gedacht hätte, was jetzt erst nach der Viermächtevereinbarung passiert.
({46})
Das sind alles offenkundige Vorfeldübungen für neue politische Geländegewinne, und wir sollten in diesen Dingen wahrhaftig - ich habe den Eindruck, daß ,das heute wenigstens insoweit gelingt - jene gemeinsame Haltung beziehen, die es verhindert, daß hier neue Einbrüche stattfinden können.
Wir können die Bundesregierung nur auffordern, in den Verträgen mit der Sowjetunion, die jetzt zur Debatte stehen, darauf zu bestehen, daß eine einwandfreie und befriedigende Berlin-Klausel nach der Berlin-Vereinbarung in die Verträge hineinkommt, oder nicht zu unterschreiben, wenn das nicht gelingt.
({47})
Neuerdings haben wir erleben müssen, daß die Sowjets in West-Berlin die Vorlegung der Geschäftsverteilungspläne des Bundeshauses gefordert haben.
({48})
Das ist vom Bund zurückgewiesen worden, und darin hat er selbstverständlich unsere Unterstützung. Aber was sind das für Zumutungen
({49})
nach der Berlin-Vereinbarung, die es vor der BerlinVereinbarung nicht gegeben hat! Die Erwartung, Berlin sei endlich aus den Schwierigkeiten und aus dem Streit heraus, hat sich bisher nicht erfüllt.
Meine Damen und Herren, bei alledem, wovon ich gesprochen habe, geht es nur um die Herstellung des Zustandes, von dem wir meinen, daß er längst rechtlich und verbindlich geordnet sei, um Rechte, die West-Berliner oder der Bund haben. Bisher war überhaupt noch keine Rede von den Verbesserungen, die für die Menschen drüben kommen sollen, von den Reiseerleichlerungen für sie, wenn ich von den Notfallreisen absehe, die es immerhin gibt. Aber wo sind denn die Menschenrechtsverbesserungen, die Verkehrsverbesserungen und die Reiseerleichterungen von Ost nach West für die Menschen drüben? Deswegen wird der Grundvertrag doch wohl eigentlich gemacht, nicht um unsere Lebenslage zu verbessern. Von dem ist noch gar keine Rede.
Ich frage heute anklagend auch danach: Was hat die Bundesregierung in den fast zwei Jahren seit der Unterzeichnung der Berlin-Vereinbarungen ge1476
tan, um die Erweiterung der Beziehungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik nach den Verträgen herbeizuführen? Was ist eigentlich geschehen? Ich kann nur sagen: ich sehe keine einzige Aktion.
({50})
Der Regierende Bürgermeister hat heute davon gesprochen, es gebe eine dynamische Entwicklungsmöglichkeit nach der Viermächtevereinbarung. Einverstanden. Aber wo sind die Initiativen, wo sind die Aktionen? Nichts von alledem ist bis heute spürbar geworden!
So erweist sich die Berlin-Regelung noch nicht als der Beginn einer neuen Ara eines Geistes der gutnachbarlichen Beziehungen, des guten Willens auf allen Seiten zum Miteinander, sondern leider als Quelle neuer .Auslegungskünste über das, was uns geregelt erschien, als Instrument neuer Streitigkeiten und Einschränkungen und als Objekt östlicher Vertragsverletzung.
Vor diesem Hintergrund sind die Berliner ganz besonders „erfreut", zu erfahren - Herr Hoppe hat darauf hingewiesen -, daß Fahrkarten nach Berlin künftig hier am Auslandsschalter zu kaufen sind - mit der Pikanterie, daß in Ost-Berlin die Fahrkarten selbstverständlich weiterhin, aber nicht ohne politischen Hintergrund, am Inlandsschalter verkauft werden.
Ich habe mit Erstaunen gehört - ich hätte das Herrn Schütz hier gern noch einmal gesagt -, daß der Breschnew-Besuch nicht mit solchen Berliner Problemen belastet werden soll. Als ginge es dabei nicht auch um ganz vitale Interessen der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren!
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Man faßt sich hinterher noch an den Kopf und fragt sich, was wohl die Bundesregierung gedacht haben mag, als sie beschlossen hat, die Rückerstattung der Visagebühren, die doch zugesichert war, aufzuheben. Das reimt sich doch überhaupt nicht in das Bild von der Festigung der Beziehungen mit West-Berlin.
Nach alledem war es um so nötiger, zur Sicherung der Stellung West-Berlins in dem Grundlagenverhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten eine Berlin-Klausel in den Grundvertrag einzubauen,
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eine Klausel, meine Damen und Herren, die ein für allemal unwiderruflich die Verpflichtung begründet, in den Grenzen der alliierten Vorbehalte WestBerlin in alle Folgeverträge einzubeziehen.
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Das ist nicht geschehen. Das ist ein fundamentales Manko des Grundvertrages.
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Nebenbei: Wenn Herr Schütz heute davon sprach, daß in soundso viele Verträge mit dem Osten in der Vergangenheit keine Berlin-Klausel eingebaut worden sei,
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dann hat er damit recht in der Frage z. B. des Konsularabkommens mit der Sowjetunion. Aber man sollte doch Aktionen, die man damals mindestens mitgetragen hat, wenn man auch nicht zugestimmt hat, hinterher nicht diffamieren, wenn man das Motiv, das damals dahintersteckte, würdigt, nämlich, auf diesem Wege den Versuch zu machen, ein besseres Klima gegenüber der Sowjetunion zu schaffen.
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- Das sollten gerade Sie nicht verurteilen, Aber im übrigen ist die Zahl insofern völlig falsch, als doch auch die Sowjetunion West-Berlin in den Handelsvertrag ohne Klausel praktisch einbezogen hat und die anderen Staaten zum größten Teil eine Nebenklausel geduldet haben, daß der Vertrag für das D-Mark-Währungsgebiet West gilt. Wir wollen also nachträglich die Dinge nicht anders darstellen, als sie in Wahrheit gewesen sind.
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Aber jetzt, nach all diesen Erfahrungen, mußte es doch unser Ziel sein, fußend auf der alliierten Vereinbarung jedem Versuch zu widerstehen, WestBerlin weiterhin als politischen Hebel zu benutzen. Deshalb war es eine Verpflichtung, Berlin ein für allemal in den Grundvertrag einzubeziehen. Entweder will man Entspannung um Berlin ehrlich; dann konnte es keine überzeugenden Gründe mehr geben, diese Klausel zu verweigern. Oder man will sich die Klausel in jedem Einzelfall neu abhandeln lassen, dann, meine Damen und Herren, werden wir dafür immer wieder neu zu bezahlen haben.
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Das Fehlen der Klausel ist eine deutlich erkennbare Quelle vorhersehbarer neuer Reibungen und Pressionen.
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Es ist die Behauptung aufgestellt worden, Berlin sei ja einbezogen. Das ist doch offensichtlich falsch. Es gibt eine mündliche Erklärung, die dann schriftlich festgehalten worden ist. Danach besteht Einvernehmen, daß die Ausdehnung von Abkommen und Regelungen auf Berlin in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen im jeweiligen Fall vereinbart werden kann. Hier ist heute schon ausgeführt worden, daß diese Erklärung im Grunde nur eine Wiederholung der Viermächteklausel ist. Sie hat auch gar keinen vertraglichen Charakter, weil sie überhaupt keine Bindung enthält. Bei den Alliierten ist in ihrer Vereinbarung eine Ermächtigung an die Bundesregierung und an den Senat erteilt worden, daß für Berlin auch die Bundesverträge gelten können. Diese Ermächtigung ist von der Bundesregierung nicht genutzt worden, obwohl sie sie hätte nutzen können.
Darf ich fragen, Herr Präsident, wie viele Minuten ich noch habe.
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Die Lampe brennt rot; Sie haben keine Zeit mehr.
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Darf ich dann wenigstens in wenigen Sätzen abschließen.
Meine Damen und Herren, heute und auch in der ersten Lesung des Grundvertrages haben wir mehrmals hören müssen, die Alliierten hätten es als unzulässig angesehen, eine solche Klausel aufzunehmen. Wir haben weiter gehört, in der Berlin-Vereinbarung sei überhaupt nicht geregelt, wie die Berlin-Klausel zwischen den beiden deutschen Staaten aussehen solle. Meine Damen und Herren, alle diese Erklärungen sind falsch. Die Alliierten haben sich mit dieser Frage überhaupt nicht beschäftigt;
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sie haben sich in diesem Punkte nicht eingemischt. Hier hätte diese Klausel erreicht werden können, wenn wir geduldiger, zäher und dann auch besser verhandelt hätten. Das haben doch auch Sozialdemokraten und Freie Demokraten für notwendig und für erreichbar gehalten, und es ist nicht erreicht worden.
Ich beschränke mich auf diese Sätze und sage: Ein Grundvertrag, der dieses vitale Interesse der Bundesrepublik, West-Berlin in die Verträge einzubeziehen, nicht regelt, verdient nicht den Namen „Grundvertrag".
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Groß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Amrehn, Sie haben eben mit vielen Daten darzulegen versucht, daß dieser Vertrag nicht anzunehmen sei. Aber was muß man von dem Argument halten, wenn Sie hier fast melodramatisch darstellen, daß der Berliner Senat zwei Transportpolizisten, nachdem sie eine Geldstrafe bekommen hatten, wieder entlassen habe? Was hat das mit der Sache zu tun? Warum soll denn beispielsweise noch ein Grund bestehen, jemanden festzuhalten, wenn er seine Strafe bekommen hat?
Ich meine, wenn Ihre Argumente von dieser Art und Sorte sind, weiß ich nicht, ob es sich wirklich im einzelnen lohnt, auf sie einzugehen.
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Nach der Rede von Herrn Kollegen Amrehm mußte man den Eindruck haben, als sei der der Meinung, daß alles Schlechte, was hier passiert oder passiert ist und was ja von niemandem in diesem Hause bestritten wird, eine Folge des Grundvertrages, der noch nicht in Kraft ist, sei, daß aber alles Gute, das Herr Amrehn hier ja ausdrücklich festgestellt hat, von selbst gekommen, uns sozusagen von irgendwo zugeflogen sei. Und das kann doch wohl nicht sein.
Ich glaube, es war eine gute Entwicklung innerhalb der CDU/CSU, die sie dazu geführt hat, zu erkennen, daß mit Hilfe von juristischen Argumenten im Zusammenhang mit außenpolitischen Fragen nicht mehr allzuviel anzufangen ist und daß man sich hier in Fallstricke verwickelt, die einem hinterher sehr übel anstehen.
Nur: In einem Bereich, der verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Betrachtung zugänglich ist, sollte man dann auch - so meinen es die Koalitionsfraktionen - sauber argumentieren.
Herr Dr. Hupka, Sie haben geschrieben, allein durch die Tatsache, daß man diesen Vertrag im Osten Berliner Vertrag nenne, könne der Verdacht entstehen, daß er in eine Parallelität mit dem Warschauer und Moskauer Vertrag gestellt werde. Dieses Argument ist nun doch wirklich weder ein rechtliches noch ein politisches.
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sondern allenfalls, Herr Dr. Hupka, ein philologisches, aber mit Sicherheit kein ernst zu nehmendes.
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Wenn wir jetzt den Grundvertrag einmal daraufhin abklopfen, meine Damen und Herren, welche Argumente rechtlicher Natur gegen ihn eingewandt werden, so können wir feststellen, daß es einmal das Wiedervereinigungsgebot ist, das hier nach Meinung der CDU/CSU - oder besser gesagt: von Teilen der CDU/CSU - angeblich verletzt sei. Sie alle aber kennen doch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich festgestellt hat - das ist doch x-mal in diesem Hause gesagt worden -, daß nur dann eine Regelung gegen das Wiedervereinigungsgebot, gegen die Wiedervereinigungspflicht, verstoße, wenn eine solche Regelung offenkundig nicht zu dem Ziele führen könne, die Wiedervereinigung herbeizuführen. Sie müßten einmal umgekehrt fragen: Konnte denn bzw. kann denn die von Ihnen verfolgte Politik überhaupt je zu einem Ergebnis führen, das dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes entspricht? Dann wird doch erst ein Schuh daraus!
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Es wird davon gesprochen - Herr Stücklen hat es einmal in einem Artikel in der „Deutschen Umschau" geschrieben -, daß das Beitrittsrecht - Art. 23 des Grundgesetzes - verletzt sei, weil jetzt nicht nur die Zustimmung der vier ehemaligen Siegermächte nötig sei, sondern auch die Zustimmung der DDR. Ich frage mich, wie Sie sich das, wenn man diesem Gedankengang überhaupt einmal folgen soll, vorstellen. Soll denn jener Teil, der eines Tages beitreten sollte, völlig unorganisiert, ohne eine irgendwie geartete Regierung sein, die auch ein Wörtchen dazu zu sagen hat?! Es ist doch eine geradezu naive Vorstellung, daß hier eine Summe von Deutschen ohne irgendeine Verfassung oder ein verfassungsähnliches Gebilde, ohne eine Regierung beitreten will.
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- Graf Stauffenberg, ich glaube, daß Sie uns das wohl auch nicht einreden wollen.
Wenn man im übrigen hinsichtlich des Beitritts zu den Vereinten Nationen, der Ihnen, meine Damen und Herren, innerhalb Ihrer Fraktion offenbar noch größere Schwierigkeiten als der Grundvertrag bereitet, behauptet, daß dies gleichzeitig eine Anerkennung der DDR bedeute, dann sollte man füglich auch einmal die völkerrechtliche Literatur studieren, und zwar nicht nur die deutschsprachige, sondern auch die des Ostens; das scheint mir nützlich zu sein. Da ergibt sich das ganz Merkwürdige, daß sogar die maßgebenden Völkerrechtler der DDR wie der Sowjetunion der Meinung sind, daß ein Eintritt in die Vereinten Nationen nicht automatisch die Anerkennung eines anderen Staates mit sich bringt.
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Ich meine, daß dieser Umstand durchaus mit der Praxis übereinstimmt. Man denke etwa an das Verhältnis Israels zu den arabischen Staaten oder auch an die Frage, ob etwa die Bundesrepublik mit dem Eintritt in die Vereinten Nationen die Sowjetrepublik Ukraine anerkennen wollte.
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- Das scheint, wie Sie so sagen, nicht strittig zu sein in Teilen Ihrer Fraktion; wenn ich aber Herrn Stücklen und anderen folge, scheint es sich dort jedenfalls noch nicht herumgesprochen zu haben.
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- Dann mag da eine neuere Erkenntnis eingetreten sein. Diese Behauptung ist jedenfalls in Ihrem Bereich immer wieder aufgestellt worden und sollte hier noch einmal zurückgewiesen werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir aber - wie ich meine, mit Recht - auf eine Argumentation mit juristischem Vokabular verzichten, sollten wir uns doch über einige Dinge klar sein. Wenn wir uns zufälligerweise einmal in dem Bereich umtun, den wir Zonenrandgebiet nennen, werden wir sehr schnell feststellen, daß die Bevölkerung dort von diesem Vertrag offensichtlich weitaus mehr erwartet als die Opposition.
Wir sind uns darüber klar, daß dies kein normaler Vertrag ist, daß dies kein Vertrag ist, der allen Idealansprüchen genügt, und daß wir es mit einem Partner zu tun haben, der sich erst an einige Gepflogenheiten im Umgang mit nichtöstlichen Staaten wird gewöhnen müssen. Ich würde es aber für eine glatte Illusion halten, wenn wir meinten, daß ein Verhältnis, das nun bald 28 Jahre lang andersherum gehalten worden ist, nunmehr in kürzester Zeit so geregelt wird, wie wir das alle in diesem Hause möchten; denn daß jemand in diesem Hause diese Verhältnisse und diese, je nachdem, wie Sie es nennen wollen, Schikanen, Sticheleien und Mißhelligkeiten gutheißen wollte, kann ich nicht annehmen.
Ich meine, daß dieser Vertrag alle Schwierigkeiten berücksichtigt. Er findet seine Rechtfertigung letzten Endes darin, daß wir vom Grundgesetz den
Auftrag haben, menschenwürdige Verhältnisse, mehr Möglichkeiten für Menschen zu schaffen, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch für die Deutschen in der DDR. Herr Kollege Amrehn hat hier wiederholt festgestellt und es auch begrüßt, daß dieser Vertrag, wenn auch nicht in idealer Form, mehr Erleichterungen für Deutsche bringt. Das ist das ausschlaggebende, das entscheidende Argument. Die Forderung, die er dann aufstellte, wir dürften aber keine politische Substanz aufgeben, ist jedoch nicht weiter substantiiert worden. Es ist nur eine juristische, möglicherweise auch nur eine politische Schimäre, die wir aufgeben,
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und zwar für die Möglichkeit, mehr für Deutsche zu tun. Ich muß gestehen, mir scheint das mehr dem Auftrage des Grundgesetzes 'zu entsprechen, als wenn man sich an juristischen und politischen Schimären orientiert.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mattick. Er ist der letzte Redner des heutigen Abends.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irgendwie habe ich überlegen müssen, in welchem Parlament ich mich befinde, als Herr Amrehn sprach.
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Es war so unwirklich, was hier alles dargestellt wurde.
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Das ist der gleiche Mann, der immer, wenn wir uns in Berlin bemüht haben, kleine Schritte zu gehen, gegen jeden dieser kleinen Schritte war; denn von Herrn Amrehn kommt die Theorie, daß man in Berlin die Wunde der deutschen Frage offenhalten muß.
Ich muß daran erinnern: Herr Amrehn, Sie haben hier nicht gesagt, daß es 25 Verträge gibt, die frühere Regierungen mit östlichen Ländern ohne jegliche Berlin-Klausel abgeschlossen haben.
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Sie klagen uns hier an, daß wir noch nicht alles in der Tasche haben! Was ist das für eine Rede gewesen, die hier von vorne bis hinten den Versuch macht, die Lage so darzustellen, als ob Berlin vor dem Untergang stehe!
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Die Menschen, die das draußen hören und von Berlin nichts wissen, müssen wirklich glauben: jetzt sind wir am Ende. Herr Amrehn, die Berliner Bürger werden Ihnen dankbar sein, wenn von unseren Gegnern ausgeschöpft wird, was Sie heute hier über
unsere Stadt gesagt haben. Ich will Ihnen folgendes sagen.
Herr Abgeordneter Mattick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Carstens?
Ja, bitte. Ich wollte zwar nur noch drei Minuten reden, aber bitte!
Herr Kollege Mattick, ist Ihnen bekannt, daß in der Zeit, als Gerhard Schröder Bundesminister des Auswärtigen war, Verträge mit Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien geschlossen worden sind, die eine Berlin-Klausel enthielten, und zwar ohne daß auf irgendwelche fundamentale deutsche Rechte verzichtet wurde?
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Es gab ja auch keine Gründe, auf deutsche Rechte zu verzichten, Herr Kollege, denn
Ps handelt sich um - ({0})
-- Die Feststellung bleibt doch, daß es 25 Verträge ohne Berlin-Klausel gibt. Da ging es um die Fragen der Substanz.
Im Grunde genommen ist doch folgendes zu bedenken. Frühere Bundesregierungen haben in der Frage Berlin effektiv eine Politik des „Offenhaltens der blutenden Wunde" betrieben. Als wir die Pasdebattierten, war Herr Amrehn dagegen. Als es eine Begegnung zwischen dem Regierenden Bürgermeister und Chruschtschow geben sollte, war Herr Amrehn dagegen. Alle Versuche in früherer Zeit, die Dinge aufzulockern, Bewegung hineinzubringen, sind, soweit es sie überhaupt gab, an der Haltung des damaligen Bürgermeisters Amrehn in Berlin gescheitert.
Was klagen Sie denn hier an, Herr Amrehn? Wer hat Ihnen denn versprochen, daß nach 20jähriger
Totenstille und dem Beginn einer neuen Politik das Paradies für Berlin ausbricht? Wer hat Ihnen denn das versprochen? Doch keiner von der Regierungsbank oder von den Regierungsparteien. Wir haben hier immer dargestellt, daß dies ein Anfang eines schweren Weges ist. Wir haben hier ebenso deutlich gemacht, daß wir es bei dem Partner DDR und bei dem Partner Sowjetunion mit Systemen zu tun haben, die mit ganz anderer Zielvorstellung an die deutsche Frage herangegangen sind. Sie fragen jetzt: Was ist denn geworden? Herr Amrehn, wissen Sie denn, daß die DDR in ihrem Zehnjahresplan Berlin als Ganzes als Hauptstadt vorbereitet hatte und die ideologischen Vorbereitungen dazu treffen wollte? Ist das kein Schritt, der hier gegangen worden ist: daß heute die Sowjetunion diese Berlin-Vereinbarung mit uns getroffen hat, daß die DDR sich damit abfinden muß?
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Das alles haben Sie hier nicht gesagt. Sie haben ein schwarzes Bild nach dem anderen gemalt und haben außer acht gelassen, was sich in Berlin alles verändert hat.
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- Ja, Sie haben anerkannt, daß es wenigstens einen freien Zugang gibt. Aber hier malen Sie auch schon wieder den schwarzen Mann ins Bild: „Das kann ja wieder anders werden." Wir sollten zusammenstehen in dem Willen, daß es nicht wieder anders werden kann. Wer so über Berlin debattiert, wie Sie, Herr Amrehn, der baut nicht auf, sondern der zerstört die Versuche, die im Gange sind.
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Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. Mai, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.