Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Nachdem in der Sitzung des Ältestenrates am 3. April 1973 im Einvernehmen mit allen Fraktionen vereinbart wurde, daß im Hinblick auf Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde in dieser Woche keine Fragestunde stattfindet, hat der Ältestenrat bezüglich der für diese Woche eingereichten Mündlichen Anfragen folgendes vereinbart: Soweit ein Fragesteller nicht seine Mündliche Anfrage bis zur Beendigung der Plenarsitzungen in dieser Sitzungswoche zurückgezogen hat, werden die eingereichten Mündlichen Anfragen schriftlich beantwortet.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 2. April 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Burger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Vermehrung und Verbesserung der Erziehungsberatungsstellen - Drucksache 7/329 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/436 verteilt.
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates ({0}) über die Einfuhr von Olivenöl vom Libanon
- Drucksache 7/380 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 1059/69 zur Festlegung der Handelsregelung für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren
- Drucksache 7/381 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festsetzung der mengenmäßigen Ausfuhrkontingente der Gemeinschaft für bestimmte Aschen und Rückstände von Kupfer sowie für bestimmte Bearbeitungsabfälle und bestimmten Schrott aus Kupfer, Aluminium und Blei
- Drucksache 7/383 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({2}) des Rates zur Regelung der Einfuhr von Wein, der unter der Bezeichnung „Cyprus sherry" mit Ursprung in und Herkunft aus Zypern ausgeführt wird, sowie zur Einführung von Beihilfen für gleichartige Weine, die in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung erzeugt und nach Irland und dem Vereinigten Königreich ausgeführt werden
- Drucksache 7/384 -überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({3}) des Rates über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in der Republik Zypern
- Drucksache 7/385 - überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates betreffend Maßnahmen der öffentlichen Hand zur Beeinflussung der Zinssätze von Krediten zur Finanzierung von Ausfuhren in Industrieländer und in Staatshandelsländer
- Drucksache 7/386 -überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({4}) des Rates zur Festlegung bestimmter Ausgangszollsätze
- Drucksache 7/388 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie ({5}) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend Hefe und Heferückstände
- Drucksache 7/389 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({6}) des Rates über die Lieferung von Zucker an das UNRWA im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe auf Grund des Abkommens vom 18. Dezember 1972 mit diesem Hilfswerk
- Drucksache 7/390 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({7}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Republik Libanon - Drucksache 7/391 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({8}) des Rates zur Regelung der Einfuhr einer bestimmten Menge Rohrzucker mit Ursprung in den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar
- Drucksache 7'405 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({9}) des Rates zur Verlängerung der Aussetzung der Einfuhrabgaben und Ausgleichsbeträge
- Drucksache 7/406 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnungen ({11}) Nr. 766/68 und 1052/68 des Rates über die Vorausfestsetzung der Erstattungen auf dem Zucker-, Getreide- und Reissektor
- Drucksache 7/408 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({12}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({13}) Nr. 2829/72 des Rates über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten - Drucksache 7/423 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({14}) des Rates zur Anpassung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst1220
Präsident Frau Renger
und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften anwendbar sind
- Drucksache 7/434 -überwiesen an den Innenausschuß ({15}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({16}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 724/67/EWG hinsichtlich der Interventionsbedingungen für Sonnenblumenkerne in den letzten beiden Monaten des Wirtschaftsjahres
- Drucksache 7/435 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funkstörungen durch Elektro-Haushaltsgeräte, tragbare Elektro-Werkzeuge und ähnliche Geräte
zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Leuchtstoffröhren
- Drucksache V113739 überwiesen an den Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({17}) Nr. 560/73 des Rates vom 26. Februar 1973 zur Änderung der Verordnung ({18}) Nr. 222/73 über die auf dem Agrarsektor für die Währungen der neuen Mitgliedstaaten anzuwendenden Umrechnungskurse
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Meine Damen und Herren, die Ihnen vorliegende Tagesordnung ist das Ergebnis einer interfraktionellen Vereinbarung. Zum Verfahren ist festgelegt worden, daß über die Punkte 1 bis 6 der Tagesordnung eine verbundene Aussprache stattfinden soll. Ich rufe daher die Punkte 1 bis 6 der Tagesordnung auf:
1. a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 ({19})
- Drucksache 7/250 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976
- Drucksache 7/370 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 1973
- Drucksache 7/419 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({20}), Ausschuß für Verkehr, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol
- Drucksache 7/422 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({21}), Ausschuß für Verkehr, Haushaltsausschuß
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern ({22}) - Drucksachen 7/411, 7/442 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung
- Drucksache 7/427 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl ({23}), Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller ({24}), Dr. Blüm und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes ({25})
- Drucksache 7/315 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort in der Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hätte es vorgezogen, den verspätet eingebrachten Haushalt 1973 und die mehrjährige Finanzplanung bis 1976, dann das Steueränderungsgesetz 1973 sowie das Mineralöl- und Branntweinsteueränderungsgesetz, ferner das Sechzehnte Rentenanpassungsgesetz, den Entwurf eines Fünften Anpassungsgesetzes für die Kriegsopferversorgung und das Bundesbesoldungserhöhungsgesetz jeweils gesondert zu behandeln und dafür einen längeren Zeitraum vorzusehen - nicht alles in dieser Woche. Das ist am Widerstand der Bundesregierung und der Regierungsmehrheit gescheitert. Wir halten das für bedauerlich, aber auch für besorgniserregend, weil hier das Wesen der parlamentarischen Behandlung politisch bedeutsamer Vorgänge allmählich ausgehöhlt wird.
({0})
Zu der Haushaltsrede des Bundesministers der Finanzen habe ich gestern, und zwar mit einstimmiger Billigung des Fraktionsvorstandes der CDU/ CSU,
({1})
folgende Erklärung abgegeben:
Auch die mit großer Spannung erwartete Haushaltsrede wirft mehr Fragen auf, als sie beantStrauß
wortet. Der Bundesfinanzminister vermeidet es, auf die eigentlichen Probleme der Wirtschafts- und Finanzpolitik einzugehen.
({2})
Der in der Regierungserklärung bereits begonnene Stil wird fortgesetzt. Inhaltslosigkeit, Unverbindlichkeit, Vorschieben von Sündenböcken scheinen das charakteristische Kennzeichen von Erklärungen dieser Bundesregierung zu werden.
({3})
In der Haushaltsrede fehlen z. B. klare Aussagen über die Wiederherstellung des stabilen Geldwertes, die Auswirkung der Inflationsentwicklung auf die Lebensverhältnisse der einkommensschwächeren Schichten, brauchbare Vorschläge für die Beseitigung der sich aus den offenen und heimlichen Steuererhöhungen ergebenden sozialen Härten und über die zur Verbesserung der Lebensqualität geplanten Maßnahmen auf dem Gebiet des Straßenbaues, des
Bildungswesens, des Umweltschutzes usw. Über die Rede des Finanzministers
- heißt es abschließend als Haushaltsrede könnte man zur Tagesordnung übergehen, gesamtpolitisch handelt es sich um ein Dokument der Unfähigkeit, der Konzeptionslosigkeit und der Ratlosigkeit der Regierung.
({4})
Ich weiß, das ist eine harte Kritik.
({5})
Dazu hat die SPD-Fraktion folgende Erklärung abgegeben:
Die Äußerung des CDU/CSU-Abgeordneten Dr. Franz Josef Strauß über die Haushaltsrede des Bundesfinanzministers Helmut Schmidt ist heute von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mit Empörung zurückgewiesen worden.
({6})
- Die einstimmige Empörung ist bei Ihnen leichter als bei uns die einstimmige Billigung.
({7})
Unter lebhaftem Beifaall der Fraktion erklärte deren stellvertretender Vorsitzender Dr. Alex Möller, soweit die Äußerung überhaupt einen Inhalt habe, stehe sie in völligem Gegensatz zu den Tatsachen. Man müsse schon blind und gehörlos sein, wenn man eine derartige Erklärung abgebe. Strauß ersetze mit dieser Äußerung Politik durch Diffamierungen.
({8})
Ein solcher Versuch müsse mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.
({9})
Sie sehen, ich verhelfe mit der mir zur Verfügung stehenden Zeit auch Ihrer Wertung meiner Ausführungen sozusagen voll zur Geltung.
({10})
- Ach, ich könnte die Sätze von gestern auch wiederholen, ohne Ihre Reaktion zu bringen. Aber Ihre Reaktion spricht so gegen Sie, daß ich sie trotzdem und gerade deshalb gerne gebracht habe.
({11})
Dieser Vorgang ist aus mehrerlei Gründen bemerkenswert. Hier gilt offensichtlich, Herr Wehner, das alte Sprichwort, daß nichts so verletzend ist wie die reine Wahrheit.
({12})
Wer so aufheult, zeigt damit, daß er an seinem wundesten Punkt getroffen ist,
({13}) und beweist gleichzeitig, daß er im Unrecht ist.
({14})
Diese Antwort ist primitiv und bezeichnend für den Stil, mit dem die SPD die politische Auseinandersetzung führt. Sie bringen keinerlei Argumente dafür, daß mein Werturteil über die Rede des Bundesfinanzministers falsch ist.
({15})
- Einstimmigkeit ist bei Ihnen noch lange kein Beweis für Richtigkeit. - Sie bringen keinerlei Tatsachen, die meine Tatsachenbehauptungen widerlegen. Es ist für eine parlamentarische Auseinandersetzung einfach unerträglich, daß Kritik an der Regierung als Diffamierung bezeichnet wird.
({16})
Gerade das nehmen wir Ihnen übel, nicht, daß Sie diese Erklärung von uns zurückweisen, nicht, daß Sie deren Inhalt für falsch erklären, nicht, daß Sie in einer Gegenattacke versuchen, die Kraft dieser Erklärung aus der Welt zu schaffen; das ist Ihr gutes Recht. Aber wenn in dem Stil fortgefahren wird, scharfe Kritik an der Regierung ohne Eingehen auf deren Inhalt als Diffamierung anzuprangern, so ist das eine Verwischung des parlamentarischen Stils und die Verlagerung auf eine emotionale Ebene, wohin sie nicht gehört.
({17})
Aber anscheinend fühlen sich Regierung und SPD bereits in einem Zustande, in dem normale parlamentarische Kritik schon als eine Art Majestätsbeleidigung öffentlich angeprangert wird.
({18})
Wir hatten damals - und ich habe es am 24. Januar gesagt - von der Regierungserklärung des Bundeskanzlers ein Sachprogramm erwartet, ein in sich geschlossenes Werk von beabsichtigten Sach1222
entscheidungen, nicht nur die Aufzählung von Problemen und eine lange Liste von Ankündigungen, Absichtserklärungen, Zielbeschreibungen, Leitlinien und wohltönend formulierten Forderungen.
({19})
Wir sind damals enttäuscht worden. Wir hatten von der Rede des Bundesfinanzministers jetzt wenigstens klare Aussagen über konkrete Sachprobleme erwartet, nämlich über die Wiederherstellung einer ausreichenden Geldwertstabilität, mit welchen Mitteln und in welchem Zeitraum, statt Ausflüchte und Hinweise auf ausländische oder internationale Sündenböcke.
Das gleiche gilt für die Auswirkung der inflationären Entwicklung auf die Lebensverhältnisse der einkommensschwachen Schichten und auch für die Absichten der Bundesregierung, die Härten dieses langanhaltenden Zustands wenigstens für diese Bevölkerungsschichten auszugleichen. Wir hatten auch eine klare Aussage über die steuerpolitischen Absichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit den offenen und heimlichen Steuererhöhungen und den sich daraus ergebenden unsozialen Sonderbelastungen erwartet.
Das gleiche gilt für die Absichten und Pläne der Bundesregierung zur Verbesserung der Lebensqualität, wie es immer heißt, durch Straßenbau, Bildungswesen, Umweltschutz, und zwar im Zusammenhang mit dem Haushalt 1973 und der Finanzplanung bis 1976. Der allgemeine und im übrigen teilweise falsche Satz, daß keine der bisherigen Leistungen des Staates eingeschränkt, aber ein Verzicht auf Leistungsverbesserungen an manchen Stellen unumgänglich geworden sei, genügt wirklich nicht. Denn wenn die gleichen Ansätze nominal ausgebracht werden, wie es zum Teil der Fall ist, dann ist das gleichbedeutend mit einer Einschränkung der Leistungen, weil die anhaltenden Kostensteigerungen und Preiserhöhungen zwangsläufig eine Verminderung der Leistungen ergeben.
({20})
Parlament und Bürger wollen wissen, was damit gemeint ist, wie sich z. B. die Leistungen im Straßenbau und im Hochschulbau angesichts der anhalten- den und zunehmenden Preissteigerungen real entwickeln, nicht nur, wie hoch die nominalen Ansätze sind.
In der Rede des Bundesfinanzministers fehlt auf allen Gebieten die klare Aussage darüber, wie sich die trabende und immer noch zunehmende Inflation - siehe die letzten Zahlen - auf die Leistungen des Staates für seine Bürger auswirkt.
Diese Anforderung wird man doch noch an die Rede des nunmehr nach der letzten Kompetenzänderung dafür allein zuständigen Ministers stellen dürfen.
Es sei nur nebenbei erwähnt, daß es in der nun schon langen Tradition der Haushaltsreden der Bundesfinanzminister anläßlich der Einbringung der Haushalte sowohl üblich war, das Regierungsprogramm in Zahlen, und zwar in aussagekräftigen Zahlen, zu erläutern, wie es andererseits nicht üblich war, die Einführungsrede mit Ausführungen gegen die Länder, gegen einzelne Ministerpräsidenten oder andere dem regierungsamtlichen Zorn verfallene Gruppen oder Personen anzureichern.
({21})
Ich darf Ihnen hier, Herr Kollege Schmidt, noch einen kleinen Nachhilfeunterricht erteilen.
({22})
- Anscheinend können Sie ihn auch brauchen.
({23})
Der Kollege Schmidt hat z. B. mit großem Pathos erklärt, wer als Industrieunternehmer ohne erkennbare Anstrengungen genug Bargeld auf den Tisch legen könne, um die Aktienmehrheit eines Großkonzerns zu kaufen, der möge vorsichtig sein mit der öffentlichen Wehklage über schlechte Erträge.
({24})
Nun, ich zerbreche mir nicht den Kopf des Herrn Sohl, ich zerbreche mir nicht den Kopf der für die Thyssen-Hütte Verantwortlichen; aber ich darf Sie in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, Herr Kollege Schmidt, daß gerade die Tatsache, Abschreibungen noch zu verdienen, aber trotzdem nicht mehr investieren zu können, zu einem Liquiditätszuwachs führt, der solche Aktionen ermöglicht.
({25})
- Entschuldigen Sie, wenn Sie das nicht wissen, fehlen Ihnen die primitivsten Voraussetzungen yolks- und betriebswirtschaftlicher Art.
({26})
Ich habe mit dieser Fusion nichts zu tun. Das sind zwei mitbestimmte Betriebe. Die Betriebsräte haben ebenso wie die Aufsichtsräte dieser Fusion voll zugestimmt. Ich habe öffentlich erklärt, daß ich die Maßnahmen in bezug auf die Kleinaktionäre für höchst bedenklich halte, weil sie nur geeignet sind, ein schiefes Licht auf die Dinge zu werfen und falsche oder auch richtige Verdachtsmomente zu erwecken. Nur kann man mit solchen Vorstellungen, wie sie hier von Bundesminister Schmidt entwickelt worden sind, der Öffentlichkeit das Problem nicht darstellen, nämlich mit der Vorstellung, daß dieser Ankauf durch überhöhte Erträge ermöglicht worden sei. Es ist doch genau umgekehrt, und wenn Sie das nicht glauben, bin ich gern bereit, Ihnen das unter vier, sechs oder acht Augen im einzelnen zu beweisen. Im übrigen geht mich der Fall nichts an.
({27})
Nur halte ich es nicht für zulässig, daß ein Bundesfinanzminister in einer, ich darf sagen, stark emotionalen, Gefühle ansprechenden Weise diese oder jene Problematik im einzelnen aufgreift und sie nach Ursache und Wirkung sachlich falsch darstellt. Darum ging es mir und um nichts anderes.
({28})
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dann müssen wir uns erst über die Geschäftsgrundlage einig werden. Wird die Zeit dann bei meiner Redezeit berücksichtigt?
Sicher! Gestatten Sie die Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Strauß, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß auch das, was ich über Abschreibungen finanzieren kann, vorher verdient werden muß und schlecht verdient werden kann, wenn ich über schlechte Ertragslage klage?
({0})
Herr Kollege Lambsdorff, ich setze bei Ihnen die Grundkenntnis voraus, daß Abschreibungen Kosten sind und daß Kosten in einem ordentlich geführten Betrieb verdient werden müssen, ansonsten er in absehbarer Zeit liquidiert werden muß.
({0})
Es wäre unbedingt nötig gewesen, daß sich der Bundesfinanzminister in seiner Rede ernsthaft mit den Ursachen der anhaltenden inflationären Entwicklung befaßt, statt sich in Hinweise zu flüchten, daß die uns bedrängenden Probleme eine weltweite Dimension hätten, die einzelnen Länder die wirtschafts- und finanzpolitische Autonomie verloren hätten und die Preise des einen eben die Preise des anderen nach sich zögen. Herr Kollege Schmidt, das darf heute in dieser Form nicht einmal an einer Volkshochschule dem mündigen Bürger erzählt werden; in dieser Form, sage ich.
({1})
Natürlich gibt es keine Zweifel, daß eine rein nationale Stabilitätspolitik mit dem Ziele voller Geldwertstabilität überhaupt nicht mehr möglich ist -oder nur unter Inkaufnahme unzumutbarer Nachteile wie Arbeitslosigkeit oder Verzicht auf Wachstum. Dies ist indiskutabel. Es ist aber auch nicht so, daß nationale Stabilitätspolitik, die alle zur Verfügung stehenden Instrumente rechtzeitig einsetzt, keinen Sinn mehr hätte. Zwar kann niemand um sich herum einen unübersteigbaren Zaun errichten und damit für sich eine Oase nationaler Stabilität schaffen, aber es gilt immer noch der alte Grundsatz, den einer Ihrer Vorgänger, Herr Minister, so formulierte: Stability begins at home;
({2})
wir sind bescheidener und sagen: Stabilität beginnt zu Hause.
({3})
- Ich erwähne den Namen eh nicht, weil er ja in parteiamtlicher, offiziöser Diktion zur Unperson geworden ist. Die Tatsache, daß derselbe aus der Regierung und der SPD ausgetreten ist, hat doch aber nicht zur Folge, daß seine von Bundesbankpräsident Klasen im gleichen Wortlaut getroffene
Feststellung falsch ist, daß nämlich unsere Inflation in erster Linie hausgemacht ist.
Hat der Bundesfinanzminister die Luxemburger Beschlüsse vergessen, an denen er mitgewirkt hat? Auch den Finanzministern der EG-Länder ist doch nichts anderes eingefallen, als die einzelnen Mitgliedsländer beschwörend aufzufordern, nationale Stabilitätspolitik zu betreiben, weil es sonst in der Gemeinschaft keine Stabilitätspolitik gibt. Hat denn nicht der Februar-Bericht der Bundesbank eindeutig herausgestelllt, daß die öffentlichen Haushalte einen entscheidenden Beitrag zur Stabilitätspolitik liefern müssen, und damit festgestellt, daß sich die Haushalte bisher dieser Aufgabe entzogen hätten?
Dasselbe gilt auch für den Bundeshaushalt 1973
wie sagt man so schön: für das Sterben zuviel
und für das Leben zuwenig -, der für die Finanzierung des Fortschrittes zuwenig enthält und für
die Wiedereinführung der Stabilität trotzdem zu
groß geraten ist. Wir müssen natürlich die Verantwortung dieser Bundesregierung für mangelnde nationale Stabilitätspolitik und damit für schuldhafte
Förderung inflationärer Entwicklung vom Jahre 1969
an als einen kontinuierlichen Prozeß festhalten und herausstellen. Seit Herbst 1969 sind in der Bundesrepublik die Preise und das Preisniveau für alle spürbar so stark angestiegen, daß die Regierung Brandt die Warnungen vor der kommenden Inflation und den Ruf nach einer Antiinflationspolitik nicht so in den Wind hätte schlagen dürfen, wie es damals leider geschehen ist.
Wir haben es - das möchte ich gerade im Hinblick auf die höhnischen Aufforderungen Ihrerseits sagen, wie wir es denn machen würden - als Opposition allmählich satt, uns zuerst wegen unserer Warnungen und Vorschläge auslachen oder in der Öffentlichkeit angreifen zu lassen
({4})
und uns dann bei jeweils schubartig gestiegenem Preisfieber fragen zu lassen, welche Rezepte wir denn für die sofortige Heilung des Patienten zur Verfügung hätten.
({5})
Sie sind seit 1969, wo der Preisauftrieb trotz des letzten Vierteljahres nur 2,8 % betrug, an der Regierung. Sie hätten eine Inflation dieses Ausmaßes verhindern können, Herr Bundeskanzler. Sie tragen dafür mit Ihren Mitarbeitern und Ihrer Mehrheit allein die Verantwortung.
({6})
Sie haben damals das Angebot der CDU/CSU zu einem Stabilitätspakt mit auch unpopulären Maßnahmen glatt zurückgewiesen.
({7})
Sie haben das Ganze damals als Propaganda und Panikmache einer Opposition, die es nicht verwinden könne, aus dem Regierungssessel verdrängt worden zu sein, sozusagen mit der wirklich linken Hand abgetan.
({8})
Das war noch die Zeit, als der Bundeskanzler sagte, wenn der Preisanstieg einmal 4 % erreiche, dann werde es ernst, dann werde er sich persönlich darum kümmern;
({9})
er glaube aber nicht, daß es dazu kommen werde. Dieselbe Versicherung hat er ungefähr bei jedem weiteren Prozent wiederholt.
({10})
Wir wissen als verwirrte Zeitgenossen jetzt tatsächlich nicht mehr, ob der Preisauftrieb trotz Ihres Eingreifens, wegen Ihres Eingreifens oder ohne Ihr Eingreifen
({11})
nunmehr die 7-%-Marke erreicht hat und noch unverdrossen am Klettern ist.
Haben wir nicht als Opposition Ihre heute nur mehr als schlechten Witz zu empfindenden Zusagen auf Steuersenkung seinerzeit unter Vertauschung der Rollen und Inkaufnahme unpopulärer Konsequenzen und Öffnung verwundbarer politischer Flanken damals eindeutig abgelehnt! Haben nicht wir - ich im besonderen - damals vorgeschlagen, den Konjunkturzuschlag rechtzeitig einzuführen!
Sie haben einfach nicht das Recht, uns die Stimmenthaltung vom Juli 1970 vorzuhalten für eine zu spät ergriffene und dann wirkungslose Maßnahme. Wir sind auch heute nicht bereit, die Mitverantwortung zu tragen. Im Herbst 1969 haben wir es angeboten. Man hätte das Angebot damals nur aufzugreifen brauchen.
({12})
Haben nicht wir Ihre großsprecherischen Ausgabenzusagen als Inflationsmotor gekennzeichnet! Und wie haben Sie damals von der Regierung und von den Regierungsparteien darauf reagiert! Sie haben mit Erklärungen reagiert wie: „Herr Althammer will den Straßenbau kürzen; wir aber wollen den Straßenbau aufrechterhalten und ausdehnen." Auch dies ist eine Aussage, der man heute, wenn man gut veranlagt ist, überhaupt nur noch mit einem milden Lächeln nähertreten kann.
Ich sage das nur, weil Sie vom Anfang Ihrer Machtübernahme an die inflationäre Gefahrenquellen nicht verstopft, sondern verstärkt haben.
({13})
Sie waren von Anfang an inflationistisch und sind es auch heute noch.
({14})
Sie hatten die Mehrheit seit 1969, eine noch stärkere Mehrheit, aus welchen Gründen auch immer, seit 1972.
({15})
Ich habe mir diesen Satz
({16})
unter Einkalkulierung Ihres Gelächters sehr wohl
überlegt. Das ist kein Lapsus linguae, meine sehr
verehrten Damen und Herren. Denn die Mehrheit
zu haben heißt noch lange nicht, recht zu haben. Das Ende der Rechnung gerade auf diesem Gebiet wird noch einmal aufgemacht werden.
({17})
Einmal kommt das Ende der Propaganda und beginnt die Stunde der Wahrheit. Dann werden manche erkennen, was in diesem Land los ist.
({18})
Sie tragen die ganze Verantwortung. Sie hatten und haben alle Vollmachten, nationale- Stabilitätspolitik als Voraussetzung für gemeinschaftliche Stabilitätspolitik zu betreiben. Sie tun es aber nicht, suchen nach Sündenböcken im Ausland und haben den erstaunlichen Mut, bei dieser Vorgeschichte der Opposition heute die politische Last der Mitverantwortung aufbürden zu wollen. Ich sage Ihnen mit allem Nachdruck: Wenn die Bundesregierung von Anfang an nationale Stabilitätspolitik getrieben hätte, dann wäre unsere D-Mark heute noch erheblich mehr wert.
({19})
Sie wäre dann erheblich mehr wert, als sie heute ist.
({20})
- Herr Wehner, wenn Sie mich so dumm anreden,
({21})
muß ich sagen: Ich bin froh, wenn wir noch in Dollars rechnen und nicht schon in Rubeln zu rechnen beginnen.
({22})
- Denken Sie einmal an das, was die Ihnen so ans Herz gewachsene Parteijugend auf diesem Gebiet an langfristigen Empfehlungen bereits heute von sich gibt!
({23})
Wenn Sie nationale Stabilitätspolitik getrieben hätten, dann wäre auch der Preisauftrieb bei unseren Nachbarländern nicht so hoch ausgefallen,
({24})
wie es aus der vom Bundesfinanzminister gestern verlesenen Statistik zu entnehmen ist. Wir hätten das Tempo des internationalen Geleitzuges, so wie es auch früher 20 Jahre lang der Fall war, erheblich vermindern, aber nicht ganz abbremsen können.
({25})
Die österreichischen Preise haben doch nicht die deutschen Preise hochgetrieben,
({26})
sondern der rasche Anstieg der deutschen Preise hat in den Ländern unserer Haupthandelspartner zum dortigen Preisanstieg nicht unerheblich beigetragen.
Wir glauben Ihnen auch Ihre Stabilitätsbeteuerungen nicht mehr. Denn sooft noch diese Regierung betont hat, daß Preis- und Geldwertstabilität unbeStrauß
streitbar zu den obersten Zielen der Wirtschaftspolitik gehören müsse, so regelmäßig sind die Preise gestiegen und ist der Geldwert gesunken, und zwar mit deutlich zunehmenden Jahresraten.
Nicht mit Unrecht hat der Bundesfinanzminister darauf hingewiesen, daß die Länder der Gemeinschaft unterschiedliche Wirtschaftsprobleme haben, was eine gemeinsame Konjunkturpolitik erschwert, nämlich neben dem gemeinsamen Problem der Inflation einige auch die Arbeitslosigkeit, z. B. England. Er hat aber vergessen, hinzuzufügen, daß die Arbeitslosigkeit nicht die Folge zu harter Stabilitätspolitik, sondern lang anhaltender Inflationspolitik gewesen ist.
({27})
Ich sage ausdrücklich: Soweit sind wir noch nicht. Aber es ist erschreckend und muß in das Schuldbuch der Regierung eingetragen werden, daß sich der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1972 genötigt sieht, eine sehr unangenehme Feststellung zu treffen, über die Sie sich noch mehr Gedanken machen müssen als wir; denn wer schuldig ist und die Macht hat, der ist dran.
({28})
- Ach so, Sie wollen zwar die Macht haben, aber nicht schuldig sein? Das geht nicht.
({29}) Es heißt dort:
({30}) darf nicht verkannt werden: Eine Rückkehr zu mehr Geldwertstabilität ohne die Bereitschaft, notfalls auch vorübergehend geringe Abstriche bei den Zielen Wachstum und hoher Beschäftigungsstand zu machen, erscheint nicht mehr möglich.
- So der Sachverständigenrat, nicht Franz Josef Strauß.
Wer proklamiert, es solle jetzt die Stabilität des Geldwerts Vorrang haben, jedoch dürften Einbußen bei anderen Zielen ... keinesfalls hingenommen werden, der leugnet entweder, daß es hier Zielkonflikte gibt - und er müßte nachweisen können, daß die gegenwärtige Teuerung allein das Ergebnis eines wirtschaftspolitischen Kunstfehlers war
- was auch wieder zu Lasten der Regierung ginge und nicht auch das eines einseitigen Zielkompromisses -, oder er weiß, daß er die Stabilität nur verlangt, daß er sie jedoch nicht erhalten wird.
Unter diese Überschrift setzen wir die Stabilitätsbeteuerungen der Regierungserklärung des Herrn Bundesfinanzministers, genau unter diese Überschrift.
Dahin haben Sie von den Regierungsparteien uns gebracht: Einerseits erscheint Ihnen nur anhaltende Inflation als Garantie für Vollbeschäftigung; andererseits aber bedeutet anhaltende Inflation eine Aushöhlung unseres politischen Ordnungssystems, einen allmählichen Abbau marktwirtschaftlicher Funktionsfähigkeit, wachsende soziale Härten und auf lange Sicht noch das Gespenst drohender Unterbeschäftigung.
Der Bundesfinanzminister hat keine Rede zur Durchleuchtung der Probleme gehalten, sondern er hat durch propagandistische Formulierungen die Probleme verschleiert. Es kommt sicherlich gut an, wenn er sagt, daß die Sozialdemokratie mehr zu den Arbeitnehmern neigt, oder an anderer Stelle, daß die Bundsregierung alle verfassungsmäßigen Instrumente benutzen werde, um der Gerechtigkeit zu dienen. Wer Inflation verschuldet, gleichgültig, ob durch Versäumnisse oder falsche Handlungen, begeht das größte Unrecht an den sozial schwächeren Schichten unseres Volkes,
({31})
das heißt an den Arbeitnehmern, Rentnern und den kleinen Sparern. Inflationspolitik ist die unsozialste Politik.
({32})
Die laufende Geldentwertung wird zwar dadurch gemindert, daß in Lohn- und Gehaltsverhandlungen der Ausgleich für die inzwischen erfolgten Preissteigerungen als Minimum für Erhöhungen angesehen wird. Je stärker aber die Inflationsrate und je höher damit die Grenze steigt, von der an erst reale Einkommensverbesserungen eintreten, desto mehr besteht die Gefahr, daß wirkliche Einkommensverbesserungen überhaupt nicht mehr möglich werden - was ja der Sinn des Wachstums war - und die Gewähr für vollen Inflationsausgleich nicht mehr gegeben wird, jedenfalls bei den Tariflöhnen.
Wir hatten im Februar einen Preisanstieg von 6,8 % für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte, von 7,5 % für Zwei-Personen-Haushalte von Rentnern und Sozialhilfeempfängern, von 7,4 % für die einfache Lebenshaltung eines Kindes, von 7 % für die Vier-Personen-Haushalte mit mittleren Einkommen, von 6,3 % für Vier-Personen-Haushalte mit höheren Einkommen. Hieraus ergibt sich die Frage: Wie hoch müssen Lohnsteigerungen sein, wenn nur der Besitzstand an Kaufkraft gewahrt werden soll? Denn hier tritt ein Problem auf, dem die Bundesregierung bis jetzt aus dem Wege geht. Sie hätte diesem Problem bei ihren steuerpolitischen Vorschlägen jetzt nicht mehr aus dem Wege gehen dürfen, einem Problem, das auch nicht mehr auf die ganz lange Bank geschoben werden darf.
Der Bundesminister der Finanzen hat preisend mit vielen schönen Reden die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit seiner finanzpolitischen Maßnahmen begründet, ist aber nicht auf die Tatsache eingegangen, daß infolge der starken Nominallohnsteigerungen in den letzten Jahren, die in den Jahren 1970/71 auch zu echten Einkommensverbesserungen geführt hatten, nunmehr etwa 50 0/0 aller Arbeitnehmer bereits der Steuerprogression der rasch steigenden Tarife unseres Lohn- und Einkommensteuersystems unterworfen werden. Der Finanzminister hat selbstgefällig erklärt, daß die beträchtlichen Steuermehreingänge eine ordentliche Finanzierung des Haushalts ermöglichen, daß also von einer Finanzkrise gar keine Rede sein könne, daß die
Finanzen gesund seien und nur Panikmacher das Gegenteil behaupteten.
({33})
Ist es denn wirklich ordentlich und gesund, wenn die Lohnsteuererträge in der Hauptsache die Steuermehreinnahmen aus inflationären Gründen erbringen, man also ruhig von einer Lohnsteuerexplosion inflationsbedingter Art sprechen kann und muß?
({34})
Jede Lohn- und Gehaltserhöhung führt angesichts dieser Tatsache zu einem rasch ansteigenden Steuersatz für das gesamte steuerpflichtige Einkommen. Deshalb hat sich die Regierung doch in eine unmögliche Lage manövriert. Denn Lohn- und Gehaltsabschlüsse von 8,5 % bei Preissteigerungen von 7 % ergeben doch nur äußerlich ein beruhigendes Bild. In Wirklichkeit bedeuten sie einen Verlust an Kaufkraft, der durch Preisanstieg und überproportional wachsende Steuer- und Soziallasten verursacht wird, also eine Minderung des Lebensstandards. 1973 werden durch den Anstieg der Lohneinkommen - allein durch den Anstieg der Lohneinkommen! - 4,5 Milliarden DM Mehreinnahmen erzielt werden, die doch nichts weiter sind als heimliche Steuererhöhungen, die zusätzlich zu den offenen Steuererhöhungen - Mineralölsteuer - treten.
Ich darf zu diesem letzten Gedanken noch eine Bemerkung anfügen. Die Verbindung von Preisanstieg und überproportionaler Besteuerung, weil über 50 % der Arbeitnehmer die Proportionalzone verlassen haben und in die Progressionszone eingetreten sind, machen heute Ausgleichsbeträge bei Lohnerhöhungen erforderlich, die - und das ist doch das Dilemma, in das Sie sich hineinmanövriert haben ({35})
ihrerseits nicht mehr preisneutral bleiben können. Das heißt, ein Übel nährt das andere. Und da sollen wir als Komplizen Wache stehen, damit sich das weiterhin ungestört vollziehen kann. Nein, wir nicht!
({36})
Ähnliche Probleme ergeben sich für die Sparer und die Rentner. Darauf werden andere Redner im Laufe der Debatte, so nehme ich an, noch eingehend zu sprechen kommen.
Für die Sparer darf ich nur bemerken: Selbst wenn ein Sparer heute von den langfristigen Anlagen Gebrauch macht, die man ihm empfiehlt - z. B. die Stabilitätsanleihe der Bundesregierung, die mit einem inflationären Zinssatz ausgestattet sein muß, wenn sie Absatz finden soll; darüber gibt es keinen Zweifel -, erhält er 8,5 °/o Zinsen. Von diesen 8,5 % Zinsen muß er schon 7 °/o für Preiserhöhungen abziehen. Dann bleiben ihm noch 1,5 °/o. Gehen wir davon aus, daß er keine Vermögensteuer zu zahlen braucht, daß das also entfällt. Dann werden ihm aber trotzdem die 8,5 °/o Zinsen von 1 000 DM also 85 DM - auf sein Arbeitseinkommen als zu versteuernder Mehrbetrag draufgeschlagen. Da nunmehr 50 % aller Arbeitnehmer schon 19 0/o zahlen, weitere 50 % von 19 bis zu 40 % - im Durchschnitt um die 30 % herum - zahlen, ist die Besteuerung dieser 85 DM eine weitere Belastung in Höhe von 2 bis 2,5 % für den Sparer, d. h. zu den 7 % Preiserhöhungen muß er noch 2,5 % mehr Steuerbelastung für dieses zu versteuernde Einkommen in Kauf nehmen. Daran kommt niemand vorbei. Da nützen weder gehässige Zwischenrufe noch höhnisches Gelächter etwas.
({37})
Wir hätten erwartet, daß der Herr Bundesfinanzminister zu diesem Problem in seiner Haushaltsrede Stellung nimmt.
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn sich Herr Staatssekretär Hermsdorf - so sympathisch er mir persönlich ist - die Sache so leichtmacht und die Sparerverluste für völlig fiktiv erklärt und die volle Steuerbelastung der Zinserträge ausdrücklich rechtfertigt.
({38})
Die Sparerverluste sind nicht fiktiv, sehr verehrter Herr Kollege Hermsdorf, die Sparerverluste sind herbe Wirklichkeit der von Ihnen betriebenen Politik und von Ihnen verschuldeten Inflation und nichts anderes.
({39})
In dieser Landschaft heimlicher Steuererhöhungen werden nun neue Steuererhöhungen und der darauf aufgebaute Haushalt angesiedelt. Im Jahr 1972 waren es Branntwein, Mineralöl und Tabak, obwohl der damalige Finanzminister im September 1971 erklärt hatte, wir hätten den Bundeshaushalt 1972 in bezug auf dem Gesamtstaat - Bund, Länder und Gemeinden - an sich ohne Steuererhöhungen finanzieren können. Auch Sie, Herr Kollege Helmut Schmidt, haben in der gemeinsamen Fernsehsendung am 16. November 1972 erklärt: Was den Bundeshaushalt angeht, so könnte er wahrscheinlich, wenn man ganz knapp rechnet und sehr sparsam ist, 1973 noch ohne Steuererhöhungen auskommen. Auch die zweite Steuererhöhung erfolgt also, wenn man den Worten und Ankündigungen der verantwortlichen Minister Glauben schenkt, ohne Notwendigkeit; offenbar, weil diese Regierung nicht bereit ist, knapp zu rechnen und sehr sparsam zu sein.
Zugegeben, Herr Kollege Schmidt, Sie haben in derselben Sendung davon gesprochen, daß nicht die Steuern erhöht, sondern Steuervergünstigungen abgebaut werden. Aber was jetzt unternommen wird, ist nur zum geringen Teil ein Abbau von Steuervergünstigungen - möglicherweise sogar fragwürdiger Art -, sondern die Erhöhung der Mineralölsteuer ist eine echte Steuererhöhung. Wenn sie für den Haushalt nun nicht benötigt wird, sollte sie doch wenigstens stabilitätsfördernden Charakter haben. Aber eine Steuer, die einerseits die Lebenshaltung der sozial Schwächeren belastet - gerade der Arbeiter auf dem Lande mit größeren Anmarschstrecken zum Arbeitsplatz oder zu den Massenverkehrsmitteln ({40})
und andererseits einen gestiegenen Kostenfaktor in der Wirtschaft - nicht nur im Transportgewerbe, sondern auch in der allgemeinen Wirtschaft darstellt, ist dann doch nicht notwendig, wie Sie zugeben, bedeutet eine soziale Belastung, was Sie nicht leugnen können, und bei ihr heben sich stabilitätsfördernde und stabilitätshemmende, d. h. inflationsfördernde und inflationshemmende Kräfte doch gegenseitig auf. Dann verzichten Sie doch jetzt auf diese fragwürdige Steuererhöhung! Sie bringt Ihnen doch nichts.
Sie sagen: Dann können wir die Nettokreditaufnahme vermindern. Ja, wenn Sie die Nettokreditaufnahme vermindern, bleibt der Kreditspielraum bei den meisten Arten der Bundeskreditaufnahme für andere natürlich wieder im gleichen Umfange zur Verfügung.
Der Koalitionspartner, die FDP, hat vor der Wahl jede Steuererhöhung für 1973 entschieden abgelehnt. Der Außenminister Scheel hat damals als FDP-Vorsitzender in der Sendung „Panorama" am 23. Oktober erklärt: „Ich kann doch nicht permanent Steuererhöhungen zu einem Fetisch machen; etwa der Offentlichkeit vorgaukeln, mit Steuerhöhungen wäre die Qualität des Lebens gesichert."
({41})
Ich kann mich völlig auf diese Ausführungen beschränken. Wenn ich recht unterrichtet bin, wurden die Steuererhöhungen gleichwohl für 1973 im Kabinett unter seinem Vorsitz und mit seiner Stimme beschlossen.
Noch nach der Wahl am 28. Januar 1973 erklärte der Kollege Mischnick im Namen der FDP-Fraktion: „Wir sind überzeugt, daß sich der Haushalt 1973 ohne Steuererhöhungen ausgleichen lassen wird." Am Tage nach der Kabinettssitzung, also noch nach der Bekanntgabe der Steuererhöhungen auf einer Pressekonferenz veröffentlichte das „Handelsblatt" ein Interview mit dem sehr verehrten Kollegen Lambsdorff. Er sagte: „Aus etatpolitischen Gründen kommen für die FDP Steuererhöhungen unter keinen Umständen in Frage."
({42})
Wenn das keine etatpolitischen Gründe sein sollten, müßten es stabilitätspolitische sein. Stabilitätspolitisch ist eine Steuer, die sich auf die Schwachen unsozial auswirkt und von der Wirtschaft in vollem Umfang auf die Preise abgewälzt werden kann, gelinde gesagt, ein stumpfes Schwert oder - wie hätte man früher in diesem Hause gesagt? ein „self-defeating instrument".
({43})
Die FDP ist bis zuletzt zu ihren Worten hart geblieben. Als es aber zum Schwur kam, hat sie vor Helmut Schmidt, wie es zu erwarten war, kapituliert. Mit Recht schreibt das „Handelsblatt", das der FDP sehr nahe steht:
({44})
Selbstverständlich kann in einer Regierungskoalition keine der Parteien ihr Programm uneingeschränkt durchsetzen. Der Kompromiß
wird jedoch dann zum Umfall, wenn Bedingungen zuerst zur Koalitionsfrage promoviert und bis zur Stunde des stillen Verzichts ausdrücklich aufrechterhalten worden sind.
Ich könnte hier noch eine ganze Reihe weiterer Stellungnahmen gegen die Steuererhöhungen anführen. Ich will es mit den bisherigen Kostproben sein Bewenden haben lassen.
Aber auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben vor den Wahlen noch anders gesprochen. Sie haben damals, am 16. November in der gemeinsamen Sendung, von leichten Steuererhöhungen gesprochen und zwar in der Form, daß bisherige Steuervergünstigungen abgebaut werden. Der im Steueränderungsgesetz vorgeschlagene Abbau von Subventionen bringt rund 900 Millionen DM, wenn man die Beseitigung des Schuldzinsenabzuges als den Hauptposten anrechnen darf. Die Mineralölsteuererhöhung bringt fast 2 Milliarden DM. Sie tritt bereits 1973 in Kraft, der Subventionsabbau teilweise erst im nächsten Jahr.
Aber der Bundeskanzler erklärte vor der Wahl am 1. August in der „Bunten Illustrierten":
Wenn insgesamt mehr Mittel aufzubringen sind, muß es auch darum gehen, die Lasten gerechter zu verteilen, d. h. die Bezieher höherer Einkommen stärker heranzuziehen als die kleinen Leute.
Helmut Schmidt sagte auf dem Dortmunder Parteitag in der Westfalenhalle:
Die Steuern müssen dahin gepackt werden, wo die Schultern breit und stark genug sind, um zusätzliche Steuern zu tragen.
Trifft die Erhöhung der Steuern auf Benzin und Dieseltreibstoffe wirklich in erster Linie die Bezieher höherer Einkommen, die doch die erhöhten Treibstoffkosten entweder überhaupt nicht spüren, weil sie Dienstwagen fahren, oder von der Steuer absetzen und damit in die ganze Kostengestaltung eingehen lassen können.
Trifft die Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen wirklich in erster Linie die Reichen? Daß die Reichen etwas davon haben, ist richtig. Daß sie aber Schuldzinsen als Werbungskosten abziehen können, und zwar in größerem Umfang als der kleine Mann, ist ebenfalls richtig. Aber in erster Linie trifft die Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen diejenigen, die vielleicht auch infolge der Versprechungen der Bundesregierung an der „erhöhten Lebensqualität" durch höhere Konsumgüter, durch Teilzahlungs- und Abzahlungsverträge - auch bei jungen Familien - früher teilhaben wollen und sich deshalb manches zu Lasten der Zukunft jetzt schon beschaffen. Die werden stärker getroffen als die anderen.
({45})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie brauchen hier nur nachzulesen, was der Vorsitzende des Bundes der Steuerbeamten, Ihr Parteifreund, dazu gesagt hat - das möchte ich beinahe aus Gründen der Rücksichtnahme nicht wiederholen -,
({46})
oder was ein Organ gesagt hat, das beinahe den Charakter eines offiziösen Veröffentlichungsorgans, jedenfalls für Geheimprobleme der Bundesregierung, bekommen hat, ein berühmtes Hamburger Wochenmagazin. Aber ich möchte den Katalog der Zitate abschließen.
Jetzt hat der Finanzplanungsrat empfohlen, den Schuldendeckel nach dem Stabilitätsgesetz anzuwenden. Das wäre ein, wenn auch für sich allein noch unzureichender, aber trotzdem richtiger Schritt in der richtigen Richtung. Aber selbst diese Entscheidung ist in der vorigen Woche auf den Mai vertagt worden, vielleicht auch deshalb, weil die Bundesausgaben bei Anwendung des Grundsatzes, daß die Verschuldung nicht höher sein darf als im Ist-Ergebnis des Vorjahres, um fast 1 Milliarde DM gekürzt werden müßten.
Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben mich vorhin angesprochen. Sie haben noch vor einigen Wochen im Saarländischen Rundfunk bemerkt, daß das erwähnte 15-Punkte-Programm zur Wiedergewinnung der Stabilität eine Art weißer Salbe im Wahlkampf gewesen sei. Das war doch das Stabilitätsprogramm, mit dem die Bundesregierung von damals und die SPD lautstark durchs Land gezogen sind, um die Ehrlichkeit und Wirksamkeit ihrer Stabilitätsbemühungen nachzuweisen.
Ich muß auch wirklich noch einmal die hier ja nicht zum erstenmal gestellte Frage ansprechen, warum man denn - der Bundeskanzler hat noch in seiner Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie auf das fortschrittliche, moderne Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes hingewiesen und gesagt: Dieses Gesetz steht uns zur Verfügung von diesem Gesetz zur Dämpfung der Inflation bis jetzt noch keinen Gebrauch gemacht hat. Wenn man glaubt, keinen Gebrauch von ihm machen zu können - aus den Gründen, die in einer vorhergehenden Debatte hier genannt worden sind , dann muß man dieses Gesetz so ändern, daß es politisch anwendbar ist. Es ist ein Unfug, ein Stabilitätsgesetz mit sich herumzuschleppen, bei stark steigender Inflation immer stolz auf dieses Gesetz als Geheimwaffe hinzuweisen und dann niemals von ihm Gebrauch zu machen mit der Begründung, das sei aus politischen Gründen nicht möglich. Das ist eine Inkonsequenz, die nicht fortgesetzt werden kann.
({47})
Wie steht es denn mit der Verbesserung der Lebensqualität durch diesen Haushalt? Bei den vielzitierten Reformen, die von dieser Koalition und der Bundesregierung versprochen worden sind, handelt es sich doch - auch nach Ihren Worten, Herr Kollege Alex Möller - insbesondere um Investitionen, mit denen wir wieder Anschluß an die private Wohlstandsentwicklung gewinnen müssen, ohne die in Zukunft ein höherer Lebensstandard der Barger unseres Landes einfach nicht mehr möglich ist.
Die Wirklichkeit in dem jetzt vorliegenden neuen Finanzplan bis zum Jahre 1976 sieht aber ganz anders aus. Nach diesem Regierungsprogramm ist geplant, beim Bund den Anteil der Investitionsausgaben an den Gesamtausgaben Jahr für Jahr kontinuierlich sinken zu lassen: von 13,4 % im Jahre 1972 auf 15,2 % im Jahre 1976. Der noch verbleibende Anstieg der Investitionsausgaben, der mit 4,7 % für 1973 gegenüber 1972 noch nicht einmal die Hälfte des Zuwachses der Gesamtausgaben erreicht, außerdem noch der Kaufkraftentwertung durch anhaltende Inflation unterliegt, reicht doch nicht einmal aus, um vorhandene Leistungen zu erhalten, geschweige denn neue Leistungen in Angriff zu nehmen.
({48})
Wir müssen doch von einem Bundesfinanzminister in einer Haushaltsrede erwarten, daß er einmal sagt, wie hier Theorie und Wirklichkeit aussehen. Es gibt doch eine Bildungsplanung, über die unterschiedlich hohe Zahlen veröffentlicht werden; aber alle bewegen sich in astronomischen Größenordnungen, und die Bildungspolitiker der Regierungskoalition brüsten sich mit diesen großen, kostenwirksamen und finanzvoluminösen Ausgaben. Es gibt ein 15-JahreStraßenbauprogramm der Bundesregierung. Geben Sie doch zu, daß das zu einem Märchenbuch geworden ist, dem gegenüber Grimms Märchen noch eine hohe Aussicht auf Verwirklichung haben!
({49})
Wir müssen doch, da wir nicht den Apparat haben, das im einzelnen nachrechnen zu können, von dem dafür zuständigen Minister der Regierung erwarten, daß er uns sagt, wie die wirtschaftliche Entwicklung, die finanzielle Entwicklung, einerseits und die Erfüllung der regierungsamtlichen Versprechungen - Bildungsplanung, Umweltschutz, Straßenbau - andererseits sich zueinander verhalten. Bei den Zuwachsraten werden zudem meistens noch heterogene Dinge zusammengepackt. Da heißt es dann: Steigerung der Verkehrsausgaben. Das bedeutet aber doch nicht Steigerung der Ausgaben für den Straßenbau; die bleiben nominal gleich, werden in der Kaufkraft real geringer. Für den Nahverkehr in den Gemeinden geschieht nicht mehr, als ohnehin vorgesehen war. Das andere geht in das inflationäre Defizit-Loch der Bundesbahn mit den Milliarden-Beträgen hinein, die im Haushalt 1972 wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt sind. Darüber wollen wir doch einmal die Wahrheit hören. Wir sind ja bereit, gemeinsame Verantwortung zu tragen. Aber gemeinsame Verantwortung setzt eine Bestandsaufnahme, setzt Kassensturz und den Offenbarungseid voraus, damit man in der Offentlichkeit dann einmal weiß, worum es geht, und hier nicht weiter ein Schatten- und Gespensterboxen durchführt.
({50})
Zu dem, was die Länder zu erklären haben, wird sicherlich Ministerpräsident Stoltenberg im Laufe der Debatte einiges zu sagen haben.
({51})
Ich nehme es jedenfalls an, da der Herr Bundesfinanzminister ihn und Herrn Filbinger hier in ungewöhnlicher Weise besonders angegriffen hat.
({52})
Aber ist denn Ministerpräsident Kühn bescheidener mit seinen Forderungen? Ist er bescheidener mit seinen Zuwachsraten?
({53})
Hat er nicht 1973 eine Zuwachsrate von über 20 %? Verlangt er nicht 42 % Anteil an der Umsatzsteuer für die Länder? Man soll doch nicht so tun, als wäre das ein CDU/CSU-Problem!
({54})
Die Länder als die Träger der großen Investitionen und als die Finanziers der von der Bundesregierung zu ihrem Ruhme und zur Verbesserung der Lebensqualität verkündeten Reformen sowie die Gemeinden als die Träger der Personalkörper sind doch die Opfer dieser Situation geworden und schreien deshalb entweder nach Kürzung der Programme oder nach Verbesserung ihrer Finanzausstattung. Das sollte man hier einmal zugeben!
({55})
Eines, Herr Bundesfinanzminister, wird Ihnen
nicht so leicht hinausgehen, wie Sie es hier mit leichter Hand, zwischen den Zahlen hintergründig versteckt, im Untergrunde grollend und drohend, was Sie zum Teil auch noch charmant tun können, offensichtlich vorhaben, nämlich wenn die Länder mehr Geld haben wollen, zu sagen: aus der heutigen Finanzmasse des Bundes ist das nicht möglich. Das ist die Ankündigung der nächsten Steuererhöhungswelle für das Jahr 1974.
({56})
Die gleiche Regierung, die 1969 ausgezogen ist und Steuersenkungen versprochen hat, hat die erste große Steuerwelle im Jahre 1972 durchgeführt, hat die zweite im Jahre 1973 eben in Angriff genommen und hat die dritte bereits angekündigt, weil sonst die Länder nicht in der Lage sein werden, ihre finanziellen Erfordernisse zu erfüllen. So geht das in diesem Staate nicht weiter! Hier muß einmal in vollem Umfange die Wahrheit über das, was Sie vorhaben, auf den Tisch gelegt werden!
({57})
Bis jetzt sind durch die Steuererhöhungen nicht wachsende Staatsleistungen finanziert worden, sondern es sind damit die Folgen der Inflation im großen und ganzen ausgeglichen worden. Auch das ist ein Stück bitterer Wahrheit, das man besser zugeben sollte.
({58})
Wir machen nicht in Panik.
({59})
Wir nehmen nicht Begriffe in den Mund, die nicht durch die Tatsachen gerechtfertigt sind. Aber wir "haben es auch satt, daß wir immer nur Unwahrheiten oder halbe Wahrheiten bekommen und daß die Herren in den Ämtern die richtigen Wahrheiten im Herzen oder im Hirn tragen, aber glauben, die Öffentlichkeit sei noch nicht lange genug vorbereitet, um mit den neuen Wahrheiten - sei es auf
dem Gebiet der Wirtschaft und der Finanzen, sei es in der Außenpolitik - vertraut gemacht werden zu können.
({60})
Sie haben als Leistung erwähnt, daß der Haushalt auf 120 Milliarden DM begrenzt worden ist. Aber das ist doch mit Methoden geschehen, die außerordentlich fragwürdig sind. Es stimmt doch nicht, daß der Zuwachs nur 9,5 °/o beträgt. Wenn Sie die Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger hinzurechnen, wenn Sie die anderen Schattenhaushalte hinzurechnen, dann sind es 14 bis 15 °/o. Und Sie können sich das nur leisten, weil die Beitragszahler für die Rentenversicherung seit dem 1. Januar mit 1 °/o mehr zur Kasse gebeten werden und Sie damit in der Lage sind, sich selber Ihre Verpflichtungen bis zum Jahre 1981 zinslos zu stunden.
({61})
Herr Kollege Schmidt, Sie haben ja die Hände in vieler Leute Taschen. Natürlich, das gehört zu Ihrem Berufe. Das haben Sie auch mit den Bankiers gemeinsam,
({62})
nur daß die Bankiers das Geld wieder zurückzahlen müssen, und Sie brauchen es nicht zurückzuzahlen.
({63})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie die Absicht, in den folgenden Jahren, auch wenn es in der Finanzplanung nicht steht, vielleicht zu dem gleichen Mittel der Finanzierung zu greifen, oder sind Sie in der Lage, hier ein definitives Nein mit der Begründung zu sagen, das sei eine einmalige Ausnahme, die nicht mehr erfolgen dürfe?
({64})
Sehr verehrter Herr Schäfer, ich habe im Jahre 1967 unter massiver Kritik des Rechnungshofes zum letzten Mal Schuldscheine an die Rentenversicherungsträger gegeben, und die sind verzinst worden, wenn auch nicht sehr hoch. Aber Sie erlassen sich jetzt ihre eigenen Schulden gegenüber den Rentenversicherungsträgern, und das auch noch zinslos.
({65})
Und wenn Sie es schon hören wollen, darf ich Ihnen auch noch eines dazu sagen: Es ist abgeschmackt - um nicht das Wort „schäbig" zu nehmen -, wenn gemeinsame Beschlüsse der Großen Koalition, die seinerzeit zum Teil von Ihrer Seite vorgeschlagen worden sind zum Teil auch von uns , in der Öffentlichkeit jetzt so behandelt werden, als hätte damals die CDU/CSU allein diese Maßnahmen zu Lasten der sozial Schwächeren durchgeführt. Das war Gemeinschaftsarbeit der Großen Koalition.
({66})
Sich daraus fortzustehlen ist ebenso wahrheitswidrig wie in der Methode schäbig. Unterlassen Sie das bitte in Zukunft!
({67})
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, im letzten Teil meiner Ausführungen zu Ihrer Beruhigung
({68}) noch einige grundsätzliche Bemerkungen machen.
Herr Kollege Schmidt hat wiederholt erklärt, eine baldige Reform des Weltwährungssystems sei dringend nötig; sie hänge allerdings von einer Tendenzwende im internationalen Vertrauen zum US-Dollar ab. Das ist eine unzulässige Vereinfachung, Herr Kollege Schmidt. Das ist natürlich richtig. Aber von einem Finanzminister muß man erwarten, daß er danach in die Tiefe der Probleme geht. Denn warum leidet der Dollar an zu wenig Glaubwürdigkeit oder Vertrauen?! Er leidet darunter nicht zuletzt deshalb, weil sich innerhalb von zehn Jahren die Handelsbilanz der Amerikaner von 6,5 Milliarden Dollar aktiv auf 6,5 Milliarden Dollar passiv entwickelt hat.
Hier müßte ich angesichts Ihrer erweiterten Zuständigkeit gerade von Ihnen erwarten, daß Sie einmal den Zusammenhang der Probleme zwischen der Reform des Weltwährungssystems, handelspolitischem Arrangement und verteidigungspolitischen Konsequenzen offen darlegen.
({69})
Natürlich müssen die Interessen der Industriestaaten, der Entwicklungsländer, Japans, der USA und Europas in einen von konstruktiver Partnerschaft getragenen Geist auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden! Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, eine politische Kontinentaldrift zwischen den USA und den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft könnte auf die Dauer für alle verhängnisvolle Folgen haben. Ich möchte Ihnen für diesen Satz ausdrücklich danken
({70})
und hinzufügen, daß wir voll hinter diesem Satz stehen. Allerdings möchten wir Sie bitten, aus diesem Satz dann auch in der Praxis der Politik der Bundesregierung die Konsequenzen zu ziehen.
({71})
Wo immer man mit führenden Amerikanern zusammentrifft, ist die Rede von der antiamerikanischen Kampagne in der Bundesrepublik sowie von dem wachsenden antideutschen Ressentiment in den den Vereinigten Staaten von Amerika.
({72})
Auch ein Parlament ist dafür da, diese Dinge offen anzusprechen. Denn die Gründe für das wachsende antideutsche Ressentiment in den USA werden nicht durch amerikanische Pflichtübungen
({73})
des Lobes für die Politik dieser Bundesregierung aus der Welt geschafft. Was sind die Gründe für dieses Ressentiment?
({74})
Ich möchte hier, aus Gründen, die selbstverständlich sind, nicht die Namen der Gesprächspartner nennen, aber in diesem Zusammenhang wird uns Ihre Rede, Herr Kollege Schmidt, genannt, die Sie in den USA gehalten haben,
({75})
in der Sie seinerzeit dem amerikanischen Bündnispartner in aufdringlicher Form - vom Adressaten gar nicht gewünscht, und von ihm auch gar nicht benötigt - als „guter Freund" moralische Belehrungen haben zuteil werden lassen, die dann noch im Bulletin regierungsamtlich übernommen und veröffentlicht wurden.
Weiter werden in diesem Zusammenhang auch die aggressiven Reden eines SPD-Oberbürgermeisters, nämlich des Herrn Arndt von Frankfurt, erwähnt, der damals in schärfster Agitation gegen die Amerikaner sicherlich auch aus innerparteilichen Gründen - einen unübersehbaren Vertrauensschaden angerichtet hat.
Es ist die Rede von den antiamerikanischen Gemeinschaftsdemonstrationen junger Sozialisten und Kommunisten in diesem Lande.
({76})
Es ist die Rede von den Ausdrücken, die hier fallen: von den Kriegsverbrechen der Amerikaner und vom Kriegsverbrecher Nixon.
({77})
Es ist die Rede von den Jungsozialisten mit ihrer Tendenz zur Neutralisierung Europas,
({78})
zum Abzug der amerikanischen Truppen, zur Auflösung der Atlantischen Allianz. Das sind die Gründe, die drüben wie ein unterirdisch wirkendes Gift allmählich die Vertrauensgrundlage zu zerstören geeignet sind.
({79})
-Wenn Sie es schon wünschen, dann sage ich es, wenn auch die Reaktion noch gering ist, auch dazu: nämlich das, was als Bahr-Plan demnächst in „Orbis" erscheinen wird und im Vorabdruck in Teilen der deutschen Presse zu vernehmen war. Wissen Sie, wo Rauch ist, muß auch Feuer sein, und wo so viel Rauch ist wie im Falle Bahr, ist sicherlich auch ein Feuer darunter. Die Gedankengänge, die hier veröffentlicht worden sind, die hat Professor Hahn bestimmt nicht erfunden oder erphantasiert.
({80})
Das ist „Made by Egon Bahr", was hier zu lesen war,
({81})
das ist „Made in Germany".
({82})
Wenn sich Herr Hahn verhört haben sollte, was er ausdrücklich verneint hat ({83})
er ist bereit, zu seinem Artikel zu stehen - ({84})
- Ich decke ihn nicht ab, ich sage nur, wenn er die Wahrheit gesagt hat, ist das erschreckend.
({85})
- Herr Bahr braucht Herrn Hahn, nicht ich brauche Herrn Hahn, und Herr Hahn braucht nicht mich.
({86})
- Ach, Herr Wehner, wie empfindlich müssen Sie getroffen sein, welcher Nerv ist jetzt bei Ihnen angesprochen,
({87})
daß Sie wieder die Maske fallenlassen, daß Sie wieder in Ihre rüdesten Zeit zurückfallen.
({88})
Aber wenn immerhin von einer offiziösen Stelle ein solcher Plan
({89})
als Vorschlag eines heutigen Bundesministers, der damals schon in verantwortlicher außenpolitischer Position war, veröffentlicht wird, wären wir doch eine miserable Opposition, wenn wir darauf nicht zu sprechen kämen und Klärung verlangten.
({90})
Herr Bundeskanzler, es genügt auch nicht immer , den Dementierer vom Dienst, einmal Herrn von Wechmar, ein anderes Mal Herrn Grünewald, vorzuschicken. Wenn die SPD in Nürnberg das Denkmal der Mauer, das damals die demokratischen Parteien gemeinsam errichtet haben, einreißen läßt mit der Begründung, es passe nicht mehr in die heutige vom Grundvertrag geprägte Landschaft,
({91})
und Demonstranten gegen diese Maßnahme mit Polizeigewalt entfernt werden, Demonstranten der Jungen Union, die bei 'dem geblieben sind, was wir uns damals gemeinsam geschworen haben, wenn das die Freiheit in unserem Lande ist, wenn das mehr Demokratie ist, gehen wir 'allerdings schönen Zeiten entgegen, wenn das so weitergeht.
({92})
Es genügt nicht, daß einer Ihrer Sprecher erklärt, die
Bundesregierung distanziere sich von dem Akt der
Entfernung dieses Denkmals. Es gibt auch einen innerparteilichen Weg, um diesen empörenden Vorgang wiedergutzumachen und in Ordnung zu bringen. Wir glauben Ihnen Ihr Dementi erst, wenn die Nürnberger SPD bereit ist, das Denkmal mit uns gemeinsam wieder da zu errichten, wo es über zehn Jahre gestanden hat.
({93})
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, Sie haben sich zu Anfang Ihrer Rede darüber beklagt, daß man auf Ihre Einlassung von gestern nicht mit Tatsachenbehauptungen geantwortet habe. Nach dem ich Ihrer Rede mit Interesse und Vergnügen zugehört habe, möchte ich von Ihnen ganz gerne publice et gratis die Erklärung des Begriffes „Tatsachenbehauptung" haben.
Ich glaube, daß Sie die Frage für Ihre eigenen Fraktionskollegen wiederholen müssen, wenn sie verstanden werden soll.
({0})
Ich habe der Presse eine Tatsachenbehauptung entnommen, die ich zuerst nicht glauben wollte und weshalb ich mich bei meinen Parteifreunden in Nürnberg erkundigt habe. Ich habe dort die Bestätigung bekommen, daß die SPD mit ihrer absoluten Mehrheit im Stadtrat gegen die Stimmen der anderen Parteien, der CSU und der FDP, die Entfernung des Erinnerungsdenkmals an den Mauerbau beschlossen hat,
({1})
daß dieses Denkmal entfernt worden ist und daß Demonstranten anderer Parteien, darunter auch der Jungen Union, die dagegen protestiert haben, mit Polizeigewalt entfernt worden sind.
Ich habe zweitens als Tatsachenbehauptung gebracht, daß nach mir zugängigen Presseberichten Herr Grünewald vom Presse- und Informationsamt im Namen der Bundesregierung die Distanzierung ausgesprochen hat.
Ich habe drittens mein Werturteil gebracht - Nummer 1 war Tatsachenbehauptung, Herr Kollege, Nummer 2 ist Tatsachenbehauptung, Nummer 3 ist jetzt ein Werturteil -, das lautet, ich glaube diese Distanzierung erst dann, wenn der Bundeskanzler als Parteivorsitzender die nötige Autorität einsetzt, um seine Nürnberger Parteifreunde dahin zu bringen, daß dieses Denkmal wieder aufgestellt wird, wo es gestanden hat.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Schmidt sagte am Schluß seiner Rede: „Unsere Finanzen sind in Ordnung", und er setzt damit den Sprachgebrauch seines Bundeskanzlers
fort, der bei jeder Gelegenheit zu beteuern pflegt: „Unser Staat ist in Ordnung".
({3})
Herr Kollege Schmidt, es ist nicht nur, wenn ich auf den Schluß Ihrer Rede eingehe, oppositionelles Denken oder oppositionelle Besessenheit, wenn ich Ihnen sage: Unsere Finanzen sind nicht in Ordnung. Wenn sie in Ordnung sind durch inflationsbedingte Steuermehreinnahmen, so ist die formelle Deckung des Haushaltes noch lange kein Anzeichen dafür, daß unsere Finanzen in Ordnung sind.
Herr Bundeskanzler, unser Staat ist auch nicht in Ordnung.
({4})
Der Staat ist genausowenig in Ordnung wie die Finanzen, wenn es in unserem Lande dazu kommt, daß unter „Demokratisierung" die Radikalisierung betrieben wird. Der Bundeskanzler sagt, es gebe keinen eigentlichen Extremismus. Ein von seiner Partei gestellter Oberbürgermeister trägt die Schuld daran - lesen Sie auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" dazu -, daß in einer deutschen Großstadt regelrechte Straßenkämpfe stattgefunden haben, Dutzende von Polizisten zusammengeschlagen worden sind. Wenn das so weitergeht, daß Recht und Gesetz in unserem Lande von einer bestimmten Gruppe mit Duldung oder zu spätem Eingreifen der Verantwortlichen verletzt werden, dann ist unser Land morgen noch weniger in Ordnung, als es heute in Ordnung ist. Dieser Oberbürgermeister ist der gleiche, der die antiamerikanische Rede gehalten hat. Folgende Feststellung, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat ein Ihnen nahestehender Publizist getroffen: „Ein merkwürdiges Unbehagen liegt gegenwärtig über unserem Lande." Es war Hans Heigert von der „Süddeutschen Zeitung". Es ist doch heute so, daß die einen Existenzangst haben und die anderen unzufrieden sind. Und wenn Sie Herrn Schelsky lesen - Sie sollten ihm auch einiges abnehmen -, dann werden Sie einer seiner letzten Äußerungen entnehmen, daß er die Jahre 1949 bis 1969 in der Erinnerung der heute über 40jährigen projiziert als die goldenen Jahre des Aufbaus, der Ruhe und der Zufriedenheit in unserem Lande, die abgelöst werden durch eine Periode der Unruhe, der Unzufriedenheit, der Unsicherheit und wachsenden allgemeinen Mißbehagens. Dieser Staat ist nicht in Ordnung.
({5})
Auf diese Fragen, sehr verehrter Herr Kollege Schmidt, konnten Sie, das gebe ich zu, keine Antwort geben. Aber ich schneide sie deshalb am Ende meiner Rede an, weil wir annehmen, daß der Bundeskanzler zu diesen und anderen Fragen, die in einer politischen Generaldebatte nicht ausgespart werden können, Stellung nehmen wird und Stellung nehmen muß. Denn es geht hier um die Zukunft einer freien Gesellschaftsordnung in unserem Lande. Das kann man nicht mit ein paar Phrasen abtun, das seien Wachstumsentwicklungen der SPD, Pubertätsstörungen der Partei, die ein recht munteres Innenleben zeige. Sie hat schon ein recht munteres Innenleben, aber was wird das Innenleben eines Tages uns erbringen? Die innerparteiliche Auseinandersetzung zwischen denen, die zur Zusammenarbeit mit den Kommunisten bereit sind, und denen, die dagegen sind, muß einmal abgeschlossen werden im Sinne einer Gemeinsamkeit der demokratischen Kräfte in unserem Lande. Da muß ein klarer Trennungsstrich gezogen werden.
({6})
Es geht um die Erhaltung der Freiheit in Westeuropa. Es geht darum, daß die Westeuropäische Gemeinschaft nicht einer paneuropäischen Vision geopfert wird, und es geht, auch wenn Sie es nicht gerne hören, um die Erhaltung der Atlantischen Allianz, die heute einer laufenden Aushöhlung unterworfen ist. In diesem Lande muß die Bundesregierung zu diesen Dingen nicht nur verbal durch Sprecher ihres Presseamtes Stellung beziehen, sondern durch Erklärungen ihrer verantwortlichen Führung und durch konklude Handlungen, Handlungen, die den Worten der Bundesregierung Glaubwürdigkeit geben.
Wir - das habe ich am Ende der Aussprache zur Regierungserklärung gesagt - messen Sie nicht an der wohltätigen Kraft Ihrer Formulierungen, wir messen Sie an dem Wahrheitsgehalt Ihrer Formulierungen in der Ausführung, in der Praxis.
({7})
Das gilt heute. Das hat gegolten für die Regierungserklärung. Das gilt auch für die Rede des Bundesfinanzministers. Hier warten wir darauf, daß in dieser Debatte, die Fragen, die offengeblieben sind, uns beantwortet werden. Wir haben als Vertreter der Opposition einen Anspruch darauf, klare Antworten zu bekommen, und wir sind berechtigt, aus der Verweigerung solcher Antworten oder aus der Umgehung der Fragestellungen unsererseits die Konsequenzen zu ziehen, zu denen wir verpflichtet sind.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Haehser.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Es gibt viele Mitbürger in unserem Lande, die sagen: Der Herr Strauß ist zwar sehr intelligent, aber mögen tun wir ihn nicht. Ich verstehe nicht, daß die Leute den Herrn Strauß nicht mögen,
({0})
denn das, was er hier geboten hat, wurde doch weitgehend mit Charme dargeboten. Ich will auch nur einleitend ein paar Sätze zu seinen Bemerkungen sagen.
Zunächst einmal hat sich Herr Strauß neun Minuten lang mit einer halben DIN-A-4-Seite einer Verlautbarung der SPD-Fraktion vom gestrigen Tage befaßt. Wie schwach muß seine Kritik an der Rede
des Bundesfinanzministers fundiert sein, wenn er darauf so lange Zeit verwendet.
({1})
Meine Damen und meine Herren, der Herr Strauß hat auch von „Gespenstern", von „Grimms Märchen", von „Unwahrheiten" und „Halbwahrheiten" gesprochen, als wenn er gerade auf diesem Gebiet Fachmann wäre.
({2}) So hat er sich hier dargestellt.
Im übrigen lasse ich zwei Geschmacklosigkeiten nicht durchgehen.
({3})
Die eine hat er sich in Beantwortung eines Zwischenrufs in bezug auf die Währung eines Ostblockstaats geleistet. Die andere, die schwerer wiegt, war die, daß er sich in dieser Form über den aus Krankheitsgründen nicht anwesenden Kollegen Bahr geäußert hat.
({4})
Das ist nicht korrekt, um nicht zu sagen, das ist unanständig.
({5})
Was wir im übrigen an Altbekanntem wiedergefunden haben, waren Polemik, Kritik und Panikmache.
({6})
Nicht gehört haben wir wie in der Vergangenheit auch nur einen einzigen konstruktiven Gedanken. Einen solchen Gedanken haben wir in der gesamten Rede des Kollegen Strauß vermißt.
({7})
In der sicheren Erwartung, daß sich noch einige der nachfolgenden Redner mit dieser mit Eifer vorgetragenen Rede des Kollegen Strauß beschäftigen werden, und in der Gewißheit, daß ich anhand meiner eigenen Unterlagen noch verschiedentlich auf seine Äußerungen werde Bezug nehmen können, möchte ich Sie, meine Damen und meine Herren, jetzt zum heutigen Tagesordnungspunkt zurückführen. Das bringt Sie allerdings von Herrn Strauß ein bißchen weg.
({8})
Bevor ich mich dem Haushalt 1973, der mittelfristigen Finanzplanung und anderen Problemen, die in der heutigen Debatte eine Rolle spielen, zuwende, möchte ich noch einmal auf den Haushalt des vergangenen Jahres zurückkommen.
({9})
- Sie wissen, Herr Kollege Dr. Jenninger, daß ich hier und im Haushaltsausschuß gesagt habe: Man muß die Kladde endlich zumachen.
({10})
Aber wenn es um den Nachfolgehaushalt geht - das ist der Haushalt 1973 -, muß ich noch einige Fakten in Erinnerung rufen dürfen, um gewissermaßen den richtigen Einstieg in die Erörterungen des vorliegenden Regierungsentwurfs zu finden.
Meine Damen und meine Herren, Sie wissen, daß uns bei dieser ersten Lesung Schätzungen, Zielsetzungen, Projektionen und Planziffern für 1973 vorliegen, die von der Bundesregierung in den zurückliegenden Monaten erarbeitet und beschlossen worden sind. Wie immer in diesem Beratungsstadium werden wir uns hier, wie es übrigens guter parlamentarischer Brauch ist, über die Richtigkeit und Angemessenheit des Regierungsentwurfes und auch über das Regierungsprogramm für 1973 und die folgenden Jahre, das sich nicht zuletzt auf den Haushalt 1973 stützt, streiten. Behauptungen und Meinungen liehen gegeneinander. Auch das ist guter Brauch zwischen der parlamentarischen Mehrheit und der Minderheit. Meinungen erhärten sich bzw. erweisen sich als falsch oder als richtig erst dann, wenn der Bundeshaushalt aus dem Planstadium herausgetreten und realisiert worden ist.
Aus diesem Grunde will ich nicht darauf verzichten, die Frage zu stellen und sie auch zu beantworten, wie es denn ganz konkret für 1972 aussah. Meine Damen und meine Herren, nichts, aber auch gar nichts blieb von den damaligen Kassandra-Ruren der Opposition übrig,
({11})
die das angebliche Finanzchaos heraufbeschworen, das uns bevorstehe oder uns bereits verschlungen habe. Ich erinnere vielmehr an folgende Fakten.
Erstens. Der Etat 1972 durchlebte wechselhafte Konjunkturphasen, die von der Sorge vor Stagnation im Herbst 1971 bis zum Bemühen um dosiertes Abbremsen einer als zu steil befürchteten wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung reichten.
Zweitens. Die stabilitätsorientierte Finanzpolitik der SPD/FDP-Koalition ermöglichte Ausgabenkürzungen und die Erwirtschaftung von Minderausgaben in einem zuvor nie für möglich gehaltenen Ausmaß. Das bewirkte, daß zwangsläufige Mehrausgaben in Höhe von 2,3 Milliarden DM, wie sie gegenüber dem Plan im Verlaufe des Haushaltsjahres eingetreten sind, lediglich zu einer Planüberschreitung von 700 Millionen DM führten. Selbst diese geringe Überschreitung wäre vermeidbar gewesen, ja, es wäre sogar zu echten Einsparungen gekommen, wenn nicht eine Sonderzahlung an die Deutsche Bundesbahn in Höhe von rund 1,2 Milliarden DM geleistet worden wäre. Von Ihnen ist nur der Auszahlungstermin, nicht aber die Sonderzahlung selber kritisiert worden; letzteres wäre auch unbegreiflich, denn diese Leistung von 1,2 Milliarden DM zusätzlicher Bundeshilfe an die Bundesbahn hat zu einer wesentlichen Verbesserung der Liquidität des Unternehmens geführt.
Drittens. Steuermehreinnahmen wurden zur Verminderung der Neuverschuldung verwendet, so daß die im Frühjahr 1972 noch auf 7,3 Milliarden DM veranschlagte Nettokreditaufnahme schließlich auf rund 3 Milliarden DM gesenkt werden konnte.
Viertens. Das unterstreicht nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion deutlich den Erfolg der Bemühungen um eine stabilitätsorientierte Haushalts- und Finanzpolitik und zeigt, daß die Forderung der Koalitionsfraktionen der 6. Wahlperiode sowie des Finanzplanungs- und Konjunkturrates erfüllt worden ist, die da lautete, Zurückhaltung in der Ausgabenwirtschaft zu üben und die Kreditaufnahme zu begrenzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Haehser, würden Sie, wenn Sie hier schon eine Rückschau halten, der Vollständigkeit halber wenigstens erwähnen, daß der ursprüngliche Ansatz des Haushaltes 1972 106 Milliarden DM betragen hat, daß es dann aber 109 Milliarden waren und eine Steigerung von insgesamt 12% im Vergleich zum Vorjahr eingetreten ist und daß es sich nach Meinung der Sachverständigen somit um alles andere als einen konjunkturgerechten Haushalt handelte?
Lieber Herr Kollege Jenninger, eine Vollständigkeit bei der Betrachtung des Haushalts 1972 können Sie schon deswegen nicht erwarten, weil auf Ihrer Seite ein besonderer Mangel an Interesse an diesen Ausführungen festzustellen ist.
({0})
- Die Kollegen von meiner Fraktion wissen natürlich, was ich zu sagen habe; denn wir haben gestern in unserer Fraktionssitzung darüber geredet.
Weiter gestatten Sie mir doch, Herr Kollege Jenninger - ich weiß, daß Sie es mir gestatten -, daß ich mir die Fakten, die ich verwende, selber aussuche. Einverstanden?
Nun zurück zu den zahlreichen und keineswegs immer einheitlichen Auffassungen der Opposition im Bundestag zum Haushalt 1972.
Angesichts des soeben skizzierten Ablaufs des Etats 1972 standen und stehen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrer Einschätzung der politischen Realitäten nicht eben sehr überzeugend da. Bei aller Bereitschaft unsererseits zu sachlicher und argumentativer Auseinandersetzung mit Ihnen, nicht zuletzt im Haushaltsausschuß, möchte ich diese Bemerkungen vorausgeschickt haben, bevor ich nun die Auffassung der SPD-Fraktion zum Bundeshaushalt 1973 und zur Finanzplanung von 1972 bis 1976 darlege. Vielleicht erblicken Sie, meine Damen und meine Herren, in dem vorher Gesagten eine gutgemeinte Warnung vor neuen
Fehleinschätzungen für das Etatjahr 1973 und die mittelfristige Finanzplanung,
({1})
die allerdings, wenn ich an den Kollegen Strauß denke, bereits wenige Minuten nach seiner Rede zu spät kommt.
({2})
Wenn ich mir einige Presseerklärungen der vergangenen Wochen und Monate ansehe, die über den Etat bereits urteilten, bevor er vorlag, dann kann ich allerdings zu der Befürchtung kommen - und hier unterstreiche ich, was ich sagte; das gilt nicht nur für Herrn Kollegen Strauß, sondern für Sie alle
daß meine Warnung zu spät kommt. Aber Resignation ist mir im Grunde genommen fremd. Trotz der vorangegangenen Rede und der Presseveröffentlichungen der Herren Barzel, Narjes und Höcherl hoffe ich weiter, daß sich die Opposition guten Einsichten auf die Dauer nicht verschließen, sondern endlich zu konstruktiven Beiträgen gelangen wird.
({3})
Ich darf jetzt zum Bundeshaushalt 1973 und zur mittelfristigen Finanzplanung folgendes sagen.
Bei der mittelfristigen Finanzplanung haben wir es mit einem relativ neuen Instrument zu tun. Die SPD hatte sie als damalige Oppositionspartei - hier ist nicht zuletzt der Name des Kollegen Möller zu erwähnen - gegen den langen Widerstand der heutigen Opposition der CDU/CSU gefordert.
({4})
Um so verwunderlicher ist es, daß die CDU/CSU, die früher das Instrument der mittelfristigen Finanzplanung überhaupt nicht wollte, heute zu ständiger Kritik am Inhalt - nicht mehr an der Existenz - bereit ist.
({5})
Die Opposition - Herr Kollege Leicht, Ihr Zuruf deutet darauf hin, daß ich mit dem, was ich jetzt sage, recht habe - mißversteht offenbar die mittelfristige Finanzplanung. Sie scheint anzunehmen, daß alles, was für einen Stichtag an Zahlen zusammengetragen und an Vorstellungen entwickelt worden ist, für alle Zeiten gültig sei und bleiben müsse.
({6})
Dies widerspricht aber dem Sinn des Planungsprozesses und der gesetzlich vorgeschriebenen Fortschreibung.
Wenn man sich eine Pressemitteilung vom 29. März 1973 ansieht, die von der CDU/CSU-Fraktion im Auftrag des Kollegen Hermann Höcherl herausgegeben wurde, der anwesend ist - ich dachte schon, Sie produzierten eine neue, aber ich sehe Sie -, dann kann man nur den Kopf schütteln. Herr Höcherl geht in seiner Kritik beispielsweise an den Ausgabeabsichten für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Ausbildung nicht von den Zahlen aus, die im Etat 1972 enthalten und für 1973 vorgesehen sind und die die Finanzplanung bis 1976 vorsieht, sondern von den Zahlen, die früher in anderen
Finanzplänen gestanden haben. Sollen also - Herr Kollege Althammer, Sie sind Fachmann genug, um diese meine Frage verstehen zu können - neue Erkenntnisse über Möglichkeiten der Realisierung von Etatansätzen ignoriert werden? Das scheint die indessen falsche Auffassung der Opposition zu sein.
Wie ist es in Wirklichkeit mit den Schwerpunkten Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung? Dafür war im Jahre 1972 ein Ansatz von 6 Milliarden DM vorgesehen. In diesem Jahr sind es bereits 6,6 Milliarden DM, und für das Jahr 1976 erscheint in der Finanzplanung eine Summe von 9,3 Milliarden DM. In Prozentzahlen ausgedrückt - für Sie sage ich auch noch die Prozentzahlen - sind folgende Steigerungsraten beabsichtigt: für 1973 von 10,5 % gegenüber dem Vorjahr und für 1974 von 12,8 % gegenüber dem Vorjahr.
({7})
- Wir haben nachher noch Zeit, uns ein bißchen privat zu unterhalten. Ich habe bei Ihnen noch nie Interesse an Haushaitsplanansätzen vorgefunden.
Von einer Vernachlässigung dieser Schwerpunktaufgaben, Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung, kann also überhaupt keine Rede sein.
({8})
Wer das behauptet, kann entweder keine Zahlen lesen oder sieht die Rolle der Opposition darin, die Zahlen zu ignorieren oder zu verfälschen.
({9})
- Das eine schließt das andere in der Tat nicht aus. - Ihnen allerdings, Herr Kollege Jenninger, hat der Zwischenruf des Kollegen Wehner sicher nicht gegolten.
({10})
Ähnlich sieht es beim Thema Umweltschutz aus. Hier ist eine Steigerung von 123 Millionen DM im Vorjahr auf jetzt 208 Millionen DM vorgesehen, und 1976 sollen die Ausgaben 340 Millionen DM ausmachen. Ich kann es mir nicht ersparen, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, als sie zum erstenmal das Thema Umweltschutz mit der Forderung öffentlich ansprach, der Himmel über dem Ruhrgebiet müsse wieder blau werden, nichts anderes als Hohn und Spott von Ihnen geerntet hat. So war das.
({11})
Für die heutige Opposition war Umweltschutz ein Fremdwort, mit dem sie nichts anzufangen wußte.
({12})
- Sie finden in den Etats von CDU-geführten Regierungen, Herr Kollege Lemmrich, keine Ansätze für
den Umweltschutz. Deswegen ist die Kritik an den
hohen Ansätzen, die wir jetzt haben, ungerechtfertigt und zurückzuweisen.
({13})
- Herr Kollege Vogel, für Sie gilt dasselbe wie für einen anderen, dem ich das eben sagte: Sie sind auf vielen Gebieten nur vermeintlich sachkundig, auf diesem hier mit Sicherheit nicht.
({14})
- Ich fahre jetzt mit meinen Ausführungen fort; denn auch Sie geben nur Gastspielrollen im Haushaltsausschuß.
({15})
Deswegen werde ich mit Rücksicht auf die Zeit heute nur Zwischenfragen von Kollegen aus dem Haushaltsausschuß beantworten.
({16})
Meine Damen und meine Herren, neben dem bereits genannten Thema Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung und dem Thema Umweltschutz kann auch im Bereich Raumordnung, Bauwesen und Städtebau von kontinuierlicher Steigerung berichtet werden. Das gleiche gilt für den Schwerpunkt Verkehrswesen und in ihm für den Schwerpunkt Deutsche Bundesbahn. Zu letzterem hat der Herr Bundesminister der Finanzen in seiner Etatrede bereits deutliche Worte gesprochen, die ich ausdrücklich unterstreichen will.
Die Bundesbahn als moderner Verkehrsträger ist nicht wegzudenken. Wer an den Großstadtbahnhöfen die Menschenmassen sieht, die jeden Morgen die Züge verlassen und sie abends wieder besteigen, der weiß zu beurteilen, daß eine Verlagerung des Massenverkehrs von der Schiene beispielsweise auf die Straße nicht durchführbar ist. Wenn ich aber der Bundesbahn die Aufgabe der Personenbeförderung im stadtnahen Bereich zu verbilligten Tarifen übertrage, dann muß ich daraus die Konsequenzen ziehen, und die erscheinen ganz zwangsläufig im Bundeshaushalt.
({17})
Die Kritik, die Herr Kollege Höcherl an dieser unvermeindlichen Konsequenz geübt hat, ist ungerechtfertigt.
Die Erklärung des Kollegen Höcherl atmet im übrigen den Geist kleinlichen Herummäkelns an der Regierungsvorlage der mittelfristigen Finanzplanung, weil eigene Konzeptionen bei der CDU/CSU nicht vorhanden sind. Wie anders ist es zu erklären, daß sich Herr Höcherl sogar daran stößt, daß die Seitenzahl der mittelfristigen Finanzplanung geringer ist als früher. In seiner Presseerklärung vom 29. März 1973 vermerkt er nämlich ausdrücklich, daß die Finanzplanung jetzt nur noch 36 Seiten habe, wäh1236
rend sie früher 132 Seiten gehabt habe. Lieber Herr Höcherl und meine Damen und Herren, ich nehme an, wenigstens dann können mir alle zustimmen, wenn ich sage, daß es weniger auf die Seitenzahl als auf den Inhalt der mittelfristigen Finanzplanung ankommt, und der kann sich sehen lassen.
({18})
Wenn Sie übrigens an den Seitenzahlen herumkritisieren, dann darf ich in Erinnerung rufen, daß es früher bei CDU-Regierungen überhaupt keine Seiten zu zählen gab, weil es keine mittelfristige Finanzplanung gegeben hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Lassen wir das also, und wenden wir uns nun der Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jenninger zu.
Herr Kollege Haehser, würden Sie mir wenigstens darin zustimmen, daß eine Regierung, die z. B. unter dem Begriff „Sonstiges" im Finanzplan 3,6 Milliarden DM ausweist, keine korrekte Berichterstattung für alle Kollegen dieses Hauses bietet, damit sie wissen, was mit diesem Geld geschieht?
Herr Kollege Dr. Jenninger, ich würde Ihnen dann zustimmen, wenn die Bundesregierung diesem Hause und der Öffentlichkeit nur ihr Papier über die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt hätte. Sie legt aber dazu den Haushaltsplanentwurf 1973 vor, und sie legt das große rote Heft über die Finanzen 1973 vor.
({0})
Wenn Sie sich die Mühe machen, da hineinzusehen, finden Sie all die Auskünfte - ich gebe zu, das ist eine Geduldsarbeit -, die Sie jetzt per Zwischenruf von mir verlangen.
({1})
Lassen Sie mich bitte fortfahren. Ich möchte Sie im übrigen - und das paßt vielleicht als zusätzliche Antwort zu dem, was Kollege Jenninger gefragt hat
- vor einer übertriebenen Gläubigkeit in solche Zahlenwerke warnen.
({2})
- Sie als christlich-demokratische Oppositionspartei sollten wissen, daß es Dinge gibt, an die man eher glauben soll als an ein Zahlenwerk.
({3})
Die mittelfristige Finanzplanung ist ein Orientierungsinstrument, ist auch eine Absichtserklärung. Aber - ich wiederhole dies ausdrücklich, da Sie es nicht zu wissen scheinen - sie bedarf ständiger Überarbeitung und ständiger Fortschreibung, wie es das Gesetz auch vorschreibt. Der damalige Bundeskanzler Kiesinger, dem durch sozialdemokratische Initiativen das Instrument der mittelfristigen Finanzplanung erstmals in die Hand gegeben worden war, hat das offenbar auch richtig gesehen. Denn er hat in seiner ersten Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 gesagt, daß es zu dem düsteren Bild der Finanzlage des Bundes gekommen sei, weil eine mittelfristige Vorausschau gefehlt habe. Wörtlich sagte Herr Kiesinger damals:
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
- „Düsteres Bild" der Bundesfinanzen.
. . . Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden.
So hat Herr Kiesinger gesagt.
({4})
- Er hat recht gehabt. Er hat heute sogar noch recht, Herr Kollege Wehner.
({5})
Sie können alle davon ausgehen, daß es zu einer Finanzlage des Bundes, die ein „düsteres Bild" zeigt, nicht mehr kommen wird.
({6})
Das wissen die Partner der sozialliberalen Koalition im Bundestag und die Bundesregierung zu verhindern.
({7})
Wie wir verhindern wollen, daß uns die Konjunktur aus dem Ruder läuft,
({8})
zeigt deutlich der stabilitätspolitische Teil der Rede des Bundesministers der Finanzen. Auf diesen Beitrag möchte ich als Sprecher meiner Fraktion angesichts der Bedeutung für die Etatgestaltung und auch auf Grund der Rede des Herrn Strauß noch einmal ausdrücklich eingehen. Wir werden das Verhalten der Opposition zu dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Stabilisierungsprogramm sehr sorgfältig beobachten.
({9})
Ich befürchte, wir stoßen schon sehr bald auf Widersprüche,
({10})
die sich in verschiedenen Reden und Initiativen der Opposition zeigen. Sie legt einerseits Gesetzentwürfe vor, die Hunderte von Millionen neuer Ausgaben verlangen,
({11})
und andererseits fordert sie die Reduzierung der Staatsausgaben als stabilitätspolitische Notwendigkeit. Dort stecken die Widersprüche,
({12})
die Sie, Herr Lemmrich, durch so unfundierte Zwischenrufe doch nicht aus der Welt schaffen können.
({13})
- Ja.
({14})
Einerseits verweigert die CDU/CSU die Zustimmung zu Einnahmeverbesserungen insgesamt, andererseits fordert sie vom Bund höhere Steueranteile für Länder und Gemeinden. Vielleicht werden Sie sich beim nächsten Teil noch mehr aufregen. Ihre Aufregung ist in aller Regel gleichzusetzen mit Ihrem eigenen schlechten Gewissen, das Sie haben.
({15})
- Ihres Gewissens, vielleicht. Sie hätten vielleicht keines, Herr Kollege Wehner?
({16})
- Als Gesamtfraktion mag das gelten, aber der einzelne wird natürlich eines haben.
({17})
Während die CDU/CSU ihre Forderungen nach mehr Staatsausgaben dem Bundestag und anderen Stellen sehr präzise vorlegt, sagt sie an keiner Stelle, wo sie die geforderten Einsparungen des Bundes veranschlagen möchte.
Vielleicht ist es an dieser Stelle schon angebracht, deutlich zu sagen, daß der Bundeshaushalt nicht nur als Instrument der Konjunktursteuerung gesehen werden kann. Er ist und bleibt das Instrument, mit dem Leistungen für den Staatsbürger und für die Gemeinschaft bewältigt werden.
({18})
Sollen solche Leistungen, meine Damen und meine Herren von der Opposition reduziert werden etwa im sozialen Bereich oder auf dem Gebiet der Verkehrsinvestitionen
({19})
oder auf dem Sektor der Ausgaben des Bundes für sein Personal?
({20})
Sagen Sie endlich deutlich - damit wir es wissen -, wo Sie die Einsparungen, die Sie immer wieder fordern, veranschlagt sehen möchten.
({21})
Solange Sie uns die Antwort auf diese Fragen schuldig bleiben, muß ich Ihre Forderungen nach Einsparungen im Bundeshaushalt als bloßes Propagandagerede abstempeln.
({22})
Denken Sie bitte daran, daß im Bereich des großen Investitionshaushalts des Bundesministers für Verkehr Leistungen festliegen für den Straßenbau, für den Wasserstraßenbau, für die Deutsche Bundesbahn! Wollen Sie das reduzieren?
({23})
Oder denken Sie daran, daß die Aufgaben im Bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durch Gesetze, die wir alle beschlossen haben, zu fast 99 °/o blockiert sind? Wollen Sie sozialpolitisch bedeutsame Gesetze zurücknehmen? Wir sagen Ihnen jetzt schon: das machen wir nicht mit! Dann würden Sie in diesem Bundestag allein dastehen.
({24})
Ich will aber gern noch einmal auf den Bundeshaushalt als Instrument zur Steuerung der Konjunktur zurückkommen. Wissen Sie eigentlich, daß die direkten Investitionen des Bundes im Jahre 1972 nur 5,7 Milliarden DM ausgemacht haben, und wissen Sie, daß auf den Unternehmensbereich bzw. den privaten Sektor 184 Milliarden DM an Investitionen entfallen? Selbst wenn ich die Finanzhilfe des Bundes an Einrichtungen hinzurechne, die selbständig Investitionen betreiben, bleibt der Anteil des Bundes und der soeben angedeuteten Einrichtungen weit hinter den Investitionen der Privaten zurück. Sie wissen, daß nicht nur der Bund als öffentliche Hand investiert, sondern auch die Länder und die Gemeinden. Sparsamkeit des Bundes ist in der derzeitigen konjunkturellen Situation sicher erforderlich, und diesem Gebot kommt der Bund auch nach. Aber die Sparsamkeit des Bundes reicht allein nicht aus; das soll festgehalten werden.
({25})
Die konjunkturelle Lage ist für uns heute in der ersten Lesung des Jahresetats 1973 übrigens sehr viel klarer als ein Jahr zuvor zu beurteilen. Die zu ziehenden Konsequenzen sind sehr viel eindeutiger erkennbar als vor Jahresfrist. Wie schon der Jahreswirtschaftsbericht 1973 so stellt auch der jüngste Monatsbericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers zur wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland fest, daß die Antriebskräfte des konjunkturellen Aufschwungs in der Bundesrepublik immer deutlicher hervortreten. Der Anstieg der Auslandsaufträge eilte zunächst in den Herbstmonaten 1972 der Binnennachfrage voraus. Am Jahreswechsel ließ dann die ansteigende inländische Nachfrage bei der Investitionsgüterindustrie eine beträchtliche Verstärkung der Investitionsabsichten der Unternehmer erkennen. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien verfolgen deshalb eine konjunkturpolitische Strategie, die eine Überforderung der realen Wachstumsmöglichkeiten im Aufschwung rechtzeitig zu verhindern versucht, um den Preisauftrieb zu begrenzen.
Herr Strauß, Sie können das drehen und wenden, wie Sie wollen. Der Herr Bundesfinanzminister hat doch wohl gestern in seiner Rede eine eindrucksvolle aktuelle Darstellung über die Preisentwick1238
lung bei uns im Vergleich zu dem uns umgebenden und mit uns wirtschaftlich verbundenen Ausland gegeben.
({26})
Diese Darstellung zeigt ganz eindeutig, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Preisauftriebsrate am Ende des Geleitzuges sind, wie es der Herr Bundesfinanzminister gestern gesagt hat.
Die mit den internationalen Währungsunruhen verbundenen Gefahren für eine stabilitätsgerechte Konjunktur- und Kreditpolitik innerhalb der Bundesrepublik Deutschland konnten durch die jüngsten währungspolitischen Vereinbarungen erheblich eingegrenzt werden. Insofern haben sich die Aussichten für die Verwirklichung des Stabilisierungsprogramms der Bundesregierung nach zwischenzeitlichen Gefährdungen wieder gebessert.
({27})
Der maßvolle Aufwertungseffekt für die Deutsche Mark wird dazu beitragen, die Überhitzungsgefahren zu mindern, die aus der Stärke der Auslandsnachfrage resultieren, und wird dazu beitragen, den starken Preisauftrieb bei den Einfuhren abzuschwächen. Die Aufhebung der unbegrenzten Interventionspflicht gegenüber dem US-Dollar, verbunden mit den gegenseitigen Bindungen der Währungen von zunächst sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft innerhalb einer engen Bandbreite, schafft günstigere Voraussetzungen für den stabilitätspolitischen Kurs in der Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank.
Das Bündel von stabilitätspolitischen Absichten der Bundesregierung, die diese im Februar zusammen mit dem Haushaltsplan 1973 beschlossen hatte, wurde mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1973 bekanntgegeben und ist hier im Deutschen Bundestag bereits ausführlich debattiert worden. Ich beschränke mich deshalb auf eine kurze Zusammenfassung des finanzpolitischen Beitrages, der sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmeseite betrifft.
Erstens. Die Bundesausgaben 1973 werden auf rund 120 Milliarden DM begrenzt. Sie halten sich damit - wie gestern von Bundesminister Schmidt bereits ausgeführt - an den Rahmenbeschluß, den die sozialliberale Bundesregierung am 6. September 1972, also schon vor den Bundestagswahlen, gefaßt hatte und den sie auch während des Wahlkampfes aufrechterhalten und verteidigt hatte. Damals hat die Opposition die Realisierungsmöglichkeiten dieses Ausgabenrahmens angezweifelt. Wie sich jetzt herausstellt, ist dies zu Unrecht geschehen.
({28})
Sie haben damals von zweistelligen Finanzierungsdefiziten und von einer angeblich erforderlichen Ausgabenvermehrung in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM gesprochen bzw. sich das von Herrn Schiller aufschwatzen lassen. Das sind doch die Tatbestände.
Die Wirklichkeit sieht jedoch so aus, wie wir es schon vor der Bundestagswahl gesagt haben. Die Haushaltspolitik des Bundes steht auf einem soliden Fundament. Bei früheren CDU-Regierungen war solches gradliniges Verhalten vor der Wahl und nach der Wahl längst nicht immer selbstverständlich.
({29})
- Herr Kollege Wagner, da waren Sie noch in Europa und nicht in Bonn. - Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das unrühmliche Haushaltssicherungsgesetz,
({30})
das die Versprechungen wieder einkassierte, die seinerzeit von der Regierung Erhard vor der Wahl dem Bürger gemacht worden waren.
({31})
- Da ist es wieder, das kollektive schlechte Gewissen, von dem ich vorhin gesprochen habe.
Im Gegensatz dazu scheut sich die sozialliberale Koalition nicht, ({32})
- Ich kenne Sie nicht, sonst würde ich Sie mit dem Namen ansprechen; wenn Sie Sachbeiträge liefern, werde ich Sie sicher noch kennenlernen.
({33})
Im Gegensatz dazu scheut sich die sozialliberale Koalition nicht, auch vor der Wahl unpopuläre Maßnahmen zur Erörterung zu stellen. Sie führt den Wähler nicht hinters Licht, und das hat der Wähler der Koalition gedankt.
({34})
Zweitens. Die Zuwachsrate des Bundeshaushalts 1973 wird gegenüber den Ist-Ausgaben um 9,7 v. H. anwachsen und damit noch unter der erwarteten Zunahme des Bruttosozialprodukts, die zur Zeit mit 10,5 % angenommen wird, liegen. Zum Teil liegen die Steigerungsraten der Länder über denen des Bundes, zum Teil auf gleicher Höhe, in keinem Fall unter der des Bundes.
Drittens. Durch eine verschärfte vorläufige Haushaltsführung - die Sie übrigens landauf, landab angreifen und gegen die Sie polemisieren - werden bis zur Verabschiedung des Bundeshaushalts 1973, die wir uns für einen Zeitpunkt vor der Sommerpause vorgenommen haben - und an diesem Vorhaben wollen wir ja auch alle zusammen nicht rütteln lassen -, die Ausgaben wesentlich beschränkt. Das gleiche gilt für das Eingehen von Verpflichtungsermächtigungen.
Außerdem hat die Bundesregierung die Absicht - für deren Verwirklichung ich ihr viel Glück wünsche, wie ich gern hinzufüge , im Etatjahr 1973 2000 Stellen einzusparen, und sie hat die Absicht, die
Subventionierung der Zuwendungsempfänger um 5 v. H. zu vermindern. Wenn ich der Bundesregierung dazu Glück wünsche, daß diese Vorhaben funktionieren, dann biete ich natürlich zugleich die Mitarbeit bei der Realisierung an.
({35})
Viertens. Außerdem ist im Finanzplanungsrat jetzt - nämlich am 29. März - zwischen Bund und Ländern die Durchführung der Rahmenpläne bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a unseres Grundgesetzes konkretisiert worden. Die Ausgaben sollen in der Weise gestreckt werden, daß sie im Vollzug des Haushaltsplanes 1973 um 10% gekürzt werden und daß auch in der mittelfristigen Finanzplanung in gleicher Weise verfahren wird.
Fünftens. Von der Finanzierungsseite her leistet der Bundeshaushalt seinen Stabilitätsbeitrag,
({36})
indem er die Nettokreditaufnahme im Regierungsentwurf - wie schon 1972 - begrenzt, und zwar auf 3,8 Milliarden DM.
({37})
- Sie haben zwar eine schöne Stimme, Herr Lemmrich, aber etwas Vernünftiges hört man von Ihnen auch selten.
({38})
- Ich sehe, einige Ihrer Kollegen stimmen mir bei meinen Ausführungen mit freudigen Gesichtern zu!
({39})
Im bisherigen Finanzplan war für 1973 eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 5,8 Milliarden DM vorgesehen. Die Opposition redet immer nur davon, daß Ausgabeabsichten im jetzigen Finanzplan gegenüber früheren Finanzplänen zurückgestellt worden seien. Sie verschweigt geflissentlich, daß auch eine Kürzung der Kreditaufnahme beabsichtigt ist.
Die Bundesregierung hält im übrigen ihre im internationalen Vergleich niedrige Verschuldensquote, gemessen am Bruttosozialprodukt, und sie hält den niedrigen Anteil des Schuldendienstes, gemessen am Gesamthaushalt, aufrecht. Auch das verschweigt die Opposition, weil das in ihr Gerede vom Finanzchaos nicht hineinpassen würde.
({40})
Sechstens. Der Finanzplanungsrat hat am 29. März dieses Jahres den Vorschlag der Bundesregierung aufgegriffen, wonach durch eine Rechtsverordnung nach § 19 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes die Nettokreditaufnahme aller Gebietskörperschaften, also nicht nur die des Bundes, auf die Summe des Vorjahres begrenzt werden soll.
Siebentens. Außerdem werden Steuermehreinnahmen, wie sie sich gegebenenfalls gegenüber der aus dem Frühjahr 1973 stammenden Steuerschätzung ergeben könnten, bei der Bundesbank stillgelegt, soweit sie nicht vernünftigerweise zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme oder zum Ausgleich nicht abweisbarer Mehrausgaben verwendet werden.
Meine Damen und meine Herren, gerade im Zusammenhang mit dem, was ich eingangs über die Möglichkeiten gesagt habe, die dem Bundeshaushalt zur Konjunktursteuerung gegeben sind, gewinnt dieses von mir aufgezeigte Maßnahmenbündel seine ganze Bedeutung. Ich wiederhole mit anderen Worten, was ich bereits sagte: Mit einer sich über mehrere Jahre hinziehenden Streckung oder Verminderung des öffentlichen Leistungsangebots wäre die Qualität des Lebens nicht zu verbessern, sondern könnten nicht mehr reparable Schäden für die zukünftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung entstehen. Mein Fraktionskollege Dr. Klaus Dieter Arndt, mit dem ich gestern eine Diskussion hatte,
({41})
nannte es so, daß wir es beim Bundeshaushalt noch immer mit eine Stabilitätsfalle zu tun hätten, die uns daran hindere, mit dringenden öffentlichen Investitionen zügiger voranzumarschieren.
Meine Bundestags-Fraktion begrüßt es deshalb ausdrücklich, daß die Bundesregierung den Beitrag der Finanzpolitik zum Stabilisierungsprogramm nicht auf die Ausgabenseite beschränkt, sondern in erheblichem Umfange auch auf die Einnahmeseite ausgeweitet hat. Die steuerpolitischen Maßnahmen, einschließlich der Stabilitätsanleihe, sind - im Gegensatz zu allem vorangegangenen Gerede - sozial und verteilungspolitisch in sich ausgewogen.
({42})
Sie reden so, als ob die deutschen Mitbürger von morgens bis abends nichts anderes täten als Auto zu fahren. In Wirklichkeit müssen sie zwischen ihren Fahrten auch ganz hart arbeiten. Und wenn ich von ausgewogenen Mehrbelastungen spreche, dann darf ich Sie bitten, das, was ich nachher zu sagen habe, korrekt zu beurteilen.
({43})
Mein Kollege Offergeld wird zu diesen ganzen Fragen der Einnahmepolitik noch etwas sagen. Ich beschränke mich daher auf die Aufzählung der Bausteine:
({44})
- Das war allenfalls witzig, aber ziemlich dumm.
({45})
- Ja, ich sehe es kommen; das gilt auch für die nachfolgenden Redner, die ich ausdrücklich warnen will.
({46})
- Es scheint mir fast, daß ich es etwas besser kann als der Kollege Strauß.
({47})
a) Durch die Erhebung einer Stabilitätsabgabe auf die Einkommensteuer von Verheirateten von einem Jahreseinkommen von 200 000 DM an wird ein Aufkommen von 2,4 Milliarden DM erwartet, das bei der Bundesbank stillgelegt wird.
b) Die Stabilitätsanleihe, deren gesetzliche Ermächtigung im Haushaltsgesetz 1973 enthalten ist, wird 4 Milliarden DM privater Kaufkraft abschöpfen, die ebenfalls bei der Bundesbank stillgelegt werden.
({48})
Hier ist wohl die Einfügung angebracht, daß die
Stabilitätsanleihe gut am Markt angekommen ist.
({49})
c) Aus der Erhöhung der Mineralölsteuer sowie der Verkürzung von Zahlungsfristen bei dieser Steuer und auch bei der Branntweinabgabe kommen 1973 1,4 Milliarden DM auf, die zur Verringerung der Nettokreditaufnahme des Bundes eingesetzt werden.
d) Die Bundesregierung ist zum Abbau der steuerlichen Subventionen entschlossen und senkt zunächst die Investitionszulagen für Forschung und Entwicklung sowie die mit regionalpolitischer Zielsetzung. Die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben wird vom nächsten Jahre an beseitigt. Die Abschreibung für Gebäude nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes wird aufgehoben.
Ich zähle diese Maßnahmen nicht nur auf, sondern ich stelle hier fest, daß wir hinter diesen Maßnahmen stehen.
({50})
Mit diesen Maßnahmen wird die Finanzierung notwendiger Ausgaben des Bundes im Jahre 1973 den konjunkturpolitischen Erfordernissen kurzfristig angepaßt und gleichzeitig einer Übersteigerung der privaten Nachfrage entgegengewirkt.
({51})
Mittelfristig kann durch die Maßnahmen die Finanzierung der wachsenden öffentlichen Ausgaben sichergestellt werden.
({52})
Lassen Sie mich, meine Damen und meine Herren, dem Gesagten noch hinzufügen, daß das gesetzte Stabilitätsziel bei von uns allen gewünschter Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung nur dann verwirklicht werden kann, wenn die Bundesregierung nicht alleine steht. Sie bedarf sowohl der Unterstützung aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen als auch der verstärkten Bereitschaft unserer europäischen Partner zu stabilitätspolitischem Bemühen. Der Bund ist ebenso angewiesen auf die Mitwirkung der Länder und Gemeinden, denen trotz gesamtwirtschaftlicher Verpflichtung nach der Verfassung unverändert grundsätzlich die Autonomie ihrer Haushaltswirtschaft garantiert ist.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß wenigstens vorhin ein paar Repräsentanten des Bundesrates anwesend waren. Ich kann mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß die Äußerungen, wie sie aus dem Bundesrat kommen, mich sehr bewegen. Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages erwartet von den Herren des Bundesrates, daß sie nach besten Kräften der Politik der Bundesregierung, die dem Wohle aller Mitbürger und nicht etwa nur den Wählern der sozialliberalen Koalition dienen soll, unterstützen und ihr nicht entgegenwirken.
({53})
Ich sage hier ganz deutlich, eine zufällige Mehrheit von 22 zu 21 Sitzen im Bundesrat
({54})
kann das Votum von über 20 Millionen Wählern, das hinter der sozialliberalen Koalition steht, nicht aus den Angeln heben.
({55})
Wer das versucht, wird Schiffbruch erleiden und wird der Einrichtung und dem Ansehen des Bundesrates Schaden zufügen.
({56})
Meine Damen und Herren, am Schluß ({57})
- Für Sie habe ich nicht gesprochen. Sie haben nur einen Bruchteil verstanden.
({58})
Meine Damen und meine Herren, am Schluß möchte ich namens meiner Fraktion dem Herrn Bundesminister der Finanzen danken für die Vorlage des Etatentwurfs 1973.
({59})
Ich möchte auch den Mitarbeitern danken, die in mühevoller Arbeit an diesem Zahlenwerk mitgewirkt haben.
({60})
Ich sage Ihnen die Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und nicht zuletzt ihrer Mitglieder des Haushaltsausschusses zu, damit aus diesem Entwurf ein Haushaltsplan wird, der zum Wohle der Bürger in diesem Lande realisiert werden kann.
({61})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Absicht, diese erste Lesung des Bundeshaushalts 1973 einmal zu grundsätzlichen Ausführungen über unsere Haushaltspolitik, über die Situation der Haushaltspolitik in diesem Lande und in diesem Hause zu benutzen - ich habe das neulich schon einmal angekündigt -, ist durch die Rede des Kollegen Strauß, wie ich sagen möchte, nur notwendiger geworden und durch die Ausführungen des Kollegen Haehser erleichtert worden, weil er vieles oder fast alles an positiver Betrachtung der beiden Vorlagen, über die wir hier ja wohl zunächst debattieren, verständlicherweise vorweggenommen hat. Ich werde mich also bis auf wenige abschließende Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Strauß heute einmal mit grundsätzlichen Überlegungen zur Situation der Haushaltspolitik befassen.
Nur so viel noch vorweg: Der Kollege Strauß hat bemängelt, wenn ich das richtig verstanden habe, daß die sechs Tagesordnungspunkte, die auf der Tagesordnung dieser Woche stehen, in einer verbundenen Debatte behandelt werden. Er hat das nicht nur bemängelt, er hat das bedauert. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen, einmal die, daß er möglicherweise hier sechsmal diese Platte ablaufen lassen wollte,
({0})
vielleicht nicht unbedingt immer in eigener Person. Es kann natürlich auch sein, daß es da Probleme des innerfraktionellen Ausgleichs gibt, die einen solchen Wunsch nahelegen.
({1})
Ich meine, ein Mann, der, wenn er hier oben steht, so viel wirtschaftliches Verständnis vorgibt, sollte auch etwas von der Arbeitsökonomie halten. Ich glaube, die Verbindung dieser Debatten ist doch als arbeitsökonomisch im Sinne unseres Hauses anzusehen.
Ich würde gern anknüpfen - ohne das hier wiederholen zu wollen - an das, was ich gesagt habe, als ich zum erstenmal vor gut drei Jahren hier in einer ersten Lesung eines Haushaltsplanes sprach. Das, was ich damals über die Grenzen der Möglichkeiten einer antizyklischen Haushaltspolitik gesagt habe, hat sich durch die Erfahrungen der letzten drei Jahre mehr als bestätigt. Dabei müssen wir die Grenzen in doppelter Hinsicht sehen, nämlich die Grenzen der Wirkungen und die Grenzen der Möglichkeiten. Beides berührt sich zum Teil, beides überschneidet sich zum Teil.
Lassen Sie mich diese begrenzten Möglichkeiten einmal an einem Gedankenspiel, an einer Modellrechnung - oder wie immer Sie es nennen wollen - verdeutlichen. Ich möchte dabei an ein sehr richtiges Wort anknüpfen, das der Kollege Strauß bei der Debatte über die Regierungserklärung gesagt hat, von dem nur in seiner heutigen Rede absolut nichts zu spüren war. Herr Strauß hat damals gesagt, als er sich, sozusagen prohibitiv, gegen beabsichtigte Steuererhöhungen wandte, das sei ja nun sicher keine Konjunkturpolitik, denn das sei konjunkturpolitisch nicht wirksam, es sei denn, man lege sie still, denn - und das ist der entscheidend wichtige Satz - Nachfrage sei Nachfrage, von wem immer sie ausgeübt werde, ob von privater Seite, ob von der Wirtschaft oder vom Staat. Ich glaube, das ist eine entscheidende Feststellung, die wir immer an die Spitze unserer Überlegungen über die Möglichkeiten und Grenzen einer antizyklischen Haushaltspolitik stellen müssen.
Wenn wir uns nur gedanklich - ich bitte, das nicht falsch zu verstehen - einmal vorstellten, wir würden in der gegenwärtigen Situation die Steuern um 10 Milliarden DM erhöhen, dann hätten wir ein Haushaltsvolumen von 130 Milliarden DM zur Verfügung. Damit könnten wir sicher viele gute Sachen machen. Die private Nachfrage würde um 10 Milliarden DM geringer sein. Per Saldo würde die Gesamtnachfrage durch diese Transaktion überhaupt nicht beeinträchtigt.
Umgekehrt: wenn wir uns einmal die Vorstellung leisten, wir würden die Steuern um 10 Milliarden DM senken, dann hätten wir ein Haushaltsvolumen von nur 110 Milliarden DM. Das würde nach Lage der Dinge überhaupt nicht ausreichen. Die private Nachfrage hätte 10 Milliarden DM mehr. Aber auch hier derselbe Effekt einer unveränderten Gesamtquantität der Nachfrage, und auf die kommt es konjunktur- und preispolitisch an. Diese beiden Operationen würden unter diesem Gesichtspunkt jeweils plus minus Null ausgehen.
Ich sage das, um hier noch einmal den gewiß schwierigen Versuch zu unternehmen, aus den Debatten des Hauses über die Haushaltspolitik den „Zuwachsratenfetischismus", wie ich es vor kurzem hier bezeichnet habe, herauszubringen.
({2})
Zumindest sollten wir uns von der rein quantitativen Betrachtung lösen, die haushaltspolitisch nur in die Wüste führen kann. Nicht die quantitative Betrachtung ist entscheidend, sondern die qualitative. Da liegt der entscheidende Punkt.
Ich darf das hier wiederum an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn die Regierung im Rahmen des zitierten Prgramms z. B. den Satz für die Investitionszulagen von 10 % auf 7,5 % zu senken vorschlägt, dann schlägt dies, weil hier der bekannte Multiplikatoreffekt zum Ausdruck kommt, viel mehr durch, als wenn ich Hunderte von Millionen für normale Staatsausgaben nicht ausgebe. Ich glaube, das ist der Fehler in der Betrachtungsweise, dem wir vielleicht alle in den vergangenen Jahren erlegen sind, nämlich daß wir die Dinge immer wieder nur rein quantitativ und nicht qualitativ gesehen haben. Wir sollten, wenn wir Konjunkturpolitik über Haushaltspolitik machen, versuchen, so viele solcher qualitativ interessanten, mit Multiplikatorwirkung verbundenen Posten wie möglich zu ermitteln; denn die reine Umverteilung zwischen privater und öffentlicher Nachfrage ist eben prak1242
tisch - ich berufe mich hier wieder auf den Kollegen Strauß - konjunkturpolitisch neutral. Ich meine, daß die ganze Auseinandersetzung, von der wir heute in der Rede des Kollegen Strauß wieder einen mehr oder weniger erfreulichen Höhepunkt erlebt haben, ins rechte Licht gesetzt werden kann,
({3})
wenn wir uns, Herr Kollege Stücklen, einmal ganz nüchtern und sachlich über diese Grundlagen unterhalten und nicht alles hinter einer Nebelwand - ich hätte beinahe ein hartes Wort gebraucht - verbergen.
Lassen Sie mich das noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen, damit es plastisch wird. Für das Land, die Konjunktur und die Preisentwicklung ist es praktisch gleich, ob - wahrscheinlich sind es zum großen Teil sogar noch dieselben Werke - eine Summe X für den Bau von Panzern für die Bundeswehr oder von Lastwagen für die Wirtschaft ausgegeben wird. Das muß man einmal sehr deutlich sehen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß selbst eine weit über dem nominellen Wachstum des Bruttosozialprodukts liegende Zuwachsrate des Haushalts auch dann noch konjunkturpolitisch vertretbar ist, wenn innerhalb dieser Gesamterhöhung eine ganze Reihe entscheidender Punkte mit Multiplikatorwirkung negativ behandelt, d. h. gekürzt oder gestrichen werden.
({4})
Die falschen Vorstellungen über die Möglichkeit der konjunkturellen Einflußnahme durch Haushaltspolitik stammen zudem doch wohl aus einer Zeit, wo wir es mit der genau umgekehrten Situation zu tun hatten, nämlich mit der Rezession. Es wäre eine historische Fleißaufgabe, sich die damaligen Konjunkturhaushalte, von denen es vielleicht einen zuviel gegeben hat - ich will das jetzt nicht untersuchen -, noch einmal anzusehen, wo in der Tat mit der Summe X durch die Multiplikatorwirkung das Mehrfache von X erreicht werden konnte.
Dieses falsche Verständnis der Möglichkeiten der antizyklischen Haushaltspolitik, diese falsche rein quantitative Betrachtung und diese falschen Schlüsse aus einer umgekehrten Situation, als sie jetzt besteht, haben doch zu dem geführt, was ich als einen Zustand bezeichnen möchte, in dem sich die Konjunkturpolitik, so wichtig und nötig und richtig sie ist, immer mehr zur Geisel der Haushaltspolitik entwickelt hat oder umgekehrt die Haushaltspolitik in Gefahr geraten ist, eine bloße Funktion der Konjunkturpolitik zu werden. Die eigentliche Fragestellung, um die es bei einer Haushaltsdebatte gehen sollte, wird dabei völlig verwischt, ich meine die Frage nach der Größenordnung - unabhängig von der konjunkturpolitischen Situation - des öffentlichen Bedarfs und der Form seiner Deckung. Das ist, wenn ich es so formulieren darf, die klassische Fragestellung der Haushaltspolitik, über die zu debattieren wir jederzeit bereit sind.
Die heutige Betrachtungsweise, die auch in den Ausführungen des Kollegen Strauß wieder ihren Ausdruck gefunden hat, ist eben einfach das Ergebnis der jahrelangen Verketzerung der Aufgabe und der Funktion der öffentlichen Haushalte als Inflationsquelle.
({5})
Das hat begonnen, als Sie im Herbst 1969, ohne es zunächst richtig begreifen zu können, auf die Bänke der Opposition gerieten.
({6})
- Herr Kollege Jenninger, darüber werden wir auch noch reden.
Der Herr Kollege Barzel bemüht bei jeder passenden und manchmal wohl auch unpassenden Gelegenheit das Wort von der Solidarität der Demokraten in diesem Hause. Ich meine, wir stoßen hier an einen Punkt, wo es auch um Solidarität gehen müßte, nämlich um die Solidarität der für die Erfüllung der Aufgaben des Staatswesens „Bundesrepublik" Verantwortlichen - und das sind wir alle, nicht nur die Regierung und die Koalitionsparteien.
({7})
Mit anderen Worten: Solidarität der Demokraten in diesem Hause bedeutet eben auch einmal den Verzicht auf Solidarisierung mit jenen, die vielleicht aus berechtigter Interessenlage heraus, aber doch meist in unqualifizierter Art Funktion und Aufgaben nicht nur der Regierung und der Mehrheit in diesem Hause, sondern des gesamten Parlaments, der gesamten Bundesrepublik mit ihrer Verketzerung der Aufgaben der öffentlichen Hände in Frage stellen.
({8})
Das gilt auch für den Bereich der Finanzierung eines Teils der öffentlichen Aufgaben über Kredite. Ich will hier gar nicht all das wiederholen, was ich in den vielen Auseinandersetzungen über den Haushaltsplan 1972 zur Frage der öffentlichen Kredite gesagt habe. Die Bundesregierung hat für das Jahr 1973 einen Anspruch in Höhe von 3,8 Milliarden DM an den Kapitalmarkt angemeldet; das sind nicht mehr als 3 % der gesamten Haushaltssumme. Bei einem Haushaltsvolumen von 120 Milliarden DM ist, wie ich glaube, ein Schuldendienst von etwa 4 Milliarden DM eine sehr solide Basis. Auch in diesen Zahlen kommt zum Ausdruck, wie richtig es ist, daß wir von den Koalitionsparteien ebenso wie die Regierung immer wieder betonen, daß wir solide Finanzen haben. Wir wissen ja auch, wie die Entwicklung in den Jahren 1970, 1971 und 1972 gewesen ist. 1970 betrug die Nettokreditaufnahme 1 Milliarde DM bei einem Haushaltsvolumen von 90 Millionen DM. 1971 belief sie sich bei einem Haushaltsvolumen von 100 Milliarden DM auch nur auf 1 Milliarde DM. Dazu wurden noch Steuereinnahmen in der gleichen Größenordnung bei der Bundesbank freiwillig stillgelegt. 1972 betrug die Nettokreditaufnahme allerdings 3 Milliarden DM, dies aber nur auf Grund der beiden berechtigten und vernünftigen Transaktionen, auf die Herr Kollege Haehser eben schon hingewiesen hat.
Diese Begrenzung des Anspruchs an den Kapitalmarkt - wir Freien Demokraten gehen allerdings davon aus, daß sie nicht nur auf dem Papier stehen sollte; eine weitere Begrenzung dankt uns niemand, sondern andere nehmen sich ihren noch größeren Teil vom Kuchen ({9})
ist nur konjunkturpolitisch und nicht finanzpolitisch zu erklären. Finanzpolitisch könnten wir, um es einmal sehr drastisch zu sagen, viel mehr hinlangen. Das muß man hier, glaube ich, berücksichtigen.
Ich möchte die Gelegenheit benutzen, an dieser Stelle etwas zu dem gewiß heiklen Punkt der Mineralölsteuererhöhung zu sagen. Herr Kollege Strauß hat ein ganzes Bataillon FDP-Stimmen zu möglichen Steuererhöhungen zitiert.
({10})
- Wenn es darauf ankommt, gibt es immer noch genug, Herr Strauß. Ich möchte ganz deutlich folgendes sagen. Die Aussage von uns - einige von uns sind hier ja zitiert worden -, daß für den Haushalt 1973 Steuererhöhungen nicht nötig sind, war immer nur rein finanzpolitisch gemeint. Diese Aussage war so richtig, ist so richtig und bleibt so richtig.
({11})
Meine Damen und Herren, ich wage aber eine Prophezeiung. Welcher Finanzminister auch immer mit einem Kreditanspruch in Höhe von nicht nur 3,8 Milliarden DM, sondern 5 Milliarden DM gekommen wäre - die gleichen Kritiker, die heute die Erhöhung der Mineralölsteuer kritisieren, wären wegen dieser Maßnahme wie die Geier über ihn hergefallen.
({12})
Denjenigen Verbandsfunktionären, die heute leidenschaftliche Reden gegen diese Steuererhöhung halten, würde ich empfehlen, doch einmal ihre eigenen Reden zur konjunkturpolitischen Situation in den letzten drei Jahren nachzulesen. Dann würden sie vielleicht feststellen, daß sie selber nicht unerheblich zu einem Klima beigetragen haben, in dem eine andere Möglichkeit als diese, die wir sehr bedauern, nicht übriggeblieben ist. Das muß einmal im Interesse der intellektuellen Redlichkeit auch in dieser Frage gesagt werden.
({13})
Unabhängig davon, meine Damen und Herren, bleiben unserer Aussagen, die wir hier zu Möglichkeiten der öffentlichen Verschuldung gemacht haben, richtig. Ich könnte mir vorstellen: Je mehr es gelingt, die Haushaltspolitik wieder selbständig zu machen, um so mehr ist es auch möglich, diese Aussagen dann zu verwirklichen. Denn es stellt sich natürlich die Frage: Wann kann man in diesem Land etwas finanzpolitisch Richtiges eigentlich noch verwirklichen? Haben wir die Hochkonjunktur wie heute, dann geht das angeblich nicht, weil wir dadurch - ich bestreite, daß es so ist - die Inflation anheizen. Haben wir eine Rezession, dann wird vermutlich nicht das Kapital am Kapitalmarkt sein, das der Bund dann ganz gern aufnehmen möchte.
({14})
Die Situation ist also immer so, daß irgend etwas im Wege steht.
Die Sachverständigen haben in ihrem Bericht gemeint - das ist in diesem Zusammenhang ganz interessant; ich habe darüber bei der abschließenden Beratung des Haushalts 1972 im Dezember, glaube ich, schon gesprochen -, einen Hauptteil der Verantwortung für die 1972 eingetretenen, bei der Erstellung des Berichts so gut wie absehbaren Preissteigerungen der Zunahme der öffentlichen Kredite zuschreiben zu müssen. Nun ist natürlich interessant, folgendes Ergebnis festzustellen: Die öffentlichen Hände Bund und Länder haben im Jahre 1972 weit weniger öffentliche Kredite aufgenommen, als die Sachverständigen damals bei ihren Berechnungen angenommen haben. Aber der Preisanstieg war exakt so hoch, wie sie ihn angenommen haben. Da kann doch irgend etwas in der Folge von Ursache und Wirkung nicht stimmen. Hier müßte doch wirklich einmal sehr gründlich untersucht werden, wie diese Zusammenhänge sind.
Ich will es einmal sehr vorsichtig ausdrücken: Vielleicht schleppen wir hier irgend etwas von Autoritätsfurcht oder Autoritätsduselei noch mit uns herum, daß wir an das alles, was aus zwei bestimmten Quellen kommt - die eine habe ich genannt, die andere will ich höflicherweise nicht nennen -, als nahezu von Gott gegebene Autorität empfinden, darüber zu diskutieren aufhören und es einfach hinnehmen. Ich glaube da machen wir es uns als Parlament doch etwas zu leicht. Wir sollten auch selber über diese Dinge nachdenken und nicht alles für bare Münze nehmen, was uns dazu von solchen Stellen sachverständiger oder unabhängiger Art gesagt wird.
({15})
Das wäre der Sinn dieser Ausführungen zum Haushalt 1973: hier einen Beitrag völlig jenseits der Parteifronten und insofern grundsätzlich zu leisten, der dazu dient, daß wir uns jedenfalls in begrenztem Maße auf die Notwendigkeit einer souveränen Haushaltspolitik besinnen. Das würde uns das makabre Spiel ersparen, das .wir sicher auch in dieser Debatte wieder spielen müssen. Wenn ich nämlich einmal unterstelle, daß das, was ich sage, falsch, und das, was die CDU sagt, richtig wäre, dann müßten wir zu Recht sagen: Von den öffentlichen Haushalten entfallen ja überhaupt nur gut 40 % auf den Bund; das andere sind Mittel der Länder und Gemeinden. Es beginnt das Spiel, das man so kennzeichnen kann: Haust du unseren Schmidt, dann hauen wir deinen Stoltenberg; und haut ihr unseren Kühn, dann hauen wir euren Kohl. Das wäre vielleicht anderen ganz angenehm. Man kann auch Goppel sagen, um die Symmetrie des Prestiges in der Union herzustellen. Das könnten wir uns damit ersparen.
({16})
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch noch ein paar Worte zur Analyse, wenn Sie so wollen, des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern und - damit im Zusammenhang stehend - natürlich Gemeinden, Minister Schmidt hat völlig recht mit dem, was er gestern in dieser Deutlichkeit gesagt hat: Die heute sichtbare Finanzmasse - so ungefähr war es formuliert - erlaubt zusätzliche Abgaben insbesondere im Bereich der Mehrwertsteuer an die Länder nicht. Das ist eine ganz nüchterne Feststellung, und das entspricht eigentlich dem, was der Kollege Strauß immer fordert, daß die Regierung rechtzeitig die Wahrheit sagt. Man könnte noch ergänzen: Außer einer möglichen Steuererhöhung für die Länder könnten, wenn wir viel Glück hätten, natürlich besonders hohe Steuereingänge, die wir heute noch nicht abzuschätzen wagen, dies teilweise abdecken. Aber beides ist unbefriedigend. Es wäre sowohl unbefriedigend, daß wir diesen Zuwachs dann nicht für Prioritäten im Bundeshaushalt verwenden könnten, und es ist und bleibt unbefriedigend, daß sich der Bund - und, so wie Sie sich bisher benommen haben, eben nur die im Bund Verantwortung tragenden Kräfte - als Steuereintreiber der Länder betätigen muß. Das ist die Crux, mit der wir es hier zu tun haben.
({17})
Ich erinnere an die Neuregelung 1972 mit den 5 % und den Ergänzungszuweisungen. Was haben wir dafür gemacht? Wir haben die Branntweinsteuer und die Tabaksteuer erhöht.
Ich stelle an die Regierung diesmal allerdings die Frage: Ist es nicht doch gesetzestechnisch möglich, diese Dinge, wenn es so kommt, einmal so miteinander zu verzahnen, daß es der CDU-Opposition nicht möglich ist, als feiner Mann der Änderung des Beteiligungsschlüssels zuzustimmen, sich aber bei den dann erforderlichen Steuererhöhungen zu drücken?
({18})
Ich bin dafür, das einmal so zu verzahnen, daß man hier wirklich einmal Farbe bekennen muß.
({19})
- Ach, das waren damals ganz andere Voraussetzungen, Herr Kollege Müller-Hermann.
({20})
- Gut, dann werden Sie eben nicht den Anspruch erheben können, etwas für die Verbesserung der Finanzverhältnisse der Länder getan zu haben. Das ist Ihr Problem.
Diese Zusammenhänge sollten uns eigentlich einen Moment auch einmal Veranlassung geben, die Finanzverfassung und das Verhältnis von Bund und Ländern etwas grundsätzlich zu sehen. Die Finanzminister der Länder spielen in dieser Situation eine, man kann nun sagen: glückliche, man kann auch sagen: makabre Rolle. Das ist nun einmal eine etwas seltsame Art von Finanzministern, die denen, von denen sie gewählt werden, überhaupt nur für die Ausgaben und nicht für die Einnahmen verantwortlich sind. So ist es doch. Das muß man dabei doch einmal sehen. Es kompliziert diese Dinge politisch natürlich um so mehr, wenn sich nicht die Finanzminister, sondern im allgemeinen die Ministerpräsidenten dann noch bemüßigt fühlen, nachdem der arme Teufel seine Schuldigkeit getan und für die Länder die Steuern erhöht hat, ihm in allen. möglichen politischen Fragen, wo Länderinteressen überhaupt nicht zur Debatte stehen, Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
({21})
Im übrigen weist nicht nur die Situation der Länderfinanzminister, sondern überhaupt die der Länderregierungen und der Länderparlamente diese etwas schwierige Konstruktion auf, wobei ich als Hamburger natürlich genau weiß, daß das in den Stadtstaaten jedenfalls etwas anders ist, weil hier immerhin ein gewisses Maß an Finanzhoheit der Gemeinde mit Gewerbesteuersätzen und Grundsteuerhebesätzen gegeben ist.
Aber die Frage ist doch zu stellen, als Denkanstoß - und ich meine, wir sollten eine solche erste Lesung auch einmal dazu benutzen, uns gegenseitig etwas zum Denken aufzugeben, und uns nicht immer nur gegenseitig schlecht machen -: Kann auf die Dauer auf die Identität zwischen denen, die für die Einnahmen, und denen, die für die Ausgaben verantwortlich sind, in einem solchen Ausmaß verzichtet werden? Und eine weitere Frage: Wer garantiert denn dem Bund, daß in den Ländern die Mittel vernünftig, d. h. nach Prioritäten, ausgegeben werden?
({22})
- Sicher, aber ich sagte eben, Herr Kollege Stücklen, die Länderparlamente - dem werden Sie nicht widersprechen können - sind bis auf die Stadtstaaten mit den Ausnahmen, die ich eben zitierte, in der eigenartigen Situation, daß sie gegenüber ihren Bürgern, von denen sie gewählt werden, zwar für die Ausgaben verantwortlich sind, aber nicht für die Einnahmen. Denn ich kenne keine Steuereinnahme, über deren Höhe die Länderparlamente entscheiden. Das ist das Problem, auf das wir hier immer wieder stoßen; dessen müssen wir uns bewußt sein.
Nun konnte natürlich der Vorwurf der gescheiterten Reformpolitik im Rahmen einer solchen Haushaltsdebatte - schon außerhalb des Hauses, aber auch hier heute - vom Kollegen Strauß nicht ausbleiben. Ich habe seit Herbst 1970 - wie ich meine, mit einigem Erfolg für die Sprachregelung innerhalb der Regierung und der Koalition - vor der fatalen Gleichung zwischen Geldausgeben und Reform gewarnt. Denn darüber müssen wir uns im klaren sein: Nicht alles, was Geld kostet, verdient den Namen „Reform" ; aber auch nicht alles, was Reform ist, kostet entscheidend Geld.
({23})
Meine Damen und Herren, wer die Aktivitäten von
Koalition und Regierung gerade in den letzten Tagen
und Wochen sieht, der kann bei Gott nicht behaupten, daß die Reformpolitik irgendwie gestrandet ist. Im Gegenteil, sie läuft auf Hochtouren, und das werden Sie in der Arbeit in den Bundestagsausschüssen in den nächsten Wochen und Monaten noch feststellen.
Ich will hier keinen Wiederholungskurs für Sitzengebliebene oder Dazugekommene veranstalten. Aber wir Freien Demokraten haben hier immer sehr deutlich gezeigt, wie wir die finanzwirksamen Reformen finanzieren wollen, nämlich in vier Stufen, von denen die nächste immer nur angesetzt werden soll, wenn die vorhergehenden nicht ausreichen: 1. Zuwachs auf Prioritäten. Das geschieht in diesem Haushalt, wenn ich an den Bereich Bildung und Forschung denke, bevorzugt. 2. Umschichtung. Auch das geschieht, mit der Einschränkung von Steuervergünstigungen. Ich habe vorhin auch auf die besondere Rolle der Investitionszulagen hingewiesen. 3. Mehr Kredite. Das ist aus den Gründen, die ich vorhin angesprochen habe, nur in begrenztem Maße möglich. Und nur wenn das alles nicht reicht: 4. Steuererhöhungen. Wer behauptet, die Reformpolitik dieser sozialliberalen Regierung sei gescheitert oder stagniere, der ist entweder blind und taub oder böswillig oder beides zusammen.
({24})
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige wenige Gedanken des Kollegen Strauß aufnehmen. Zunächst mußte ich den Eindruck gewinnen, daß er die heutige Debatte, die Erste Lesung des Haushalts 1973 - ich darf das einmal der Ordnung halber sagen -, in eklatanter Weise mit der Lesung des Jahreswirtschaftsberichts 1973 verwechselt.
({25})
Ich muß die Frage stellen: Wo ist denn das Stabilitätsprogramm der Opposition? Es ist noch immer ein Vexierbild. Das wollen wir einmal nach dreieinhalb Jahren solcher Debatten ganz eindeutig feststellen.
({26})
Die Regierung behauptet ja nicht, daß sie in der von uns gemeinsam errichteten und - davon gehe ich aus - gemeinsam bejahten freiheitlichen marktwirtschaftlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung den Zauberstab zur Stabilität in der Hand habe, unabhängig von den außenwirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Regierung sagt nicht mehr, als daß sie ihren in den bescheidenen Grenzen möglichen stabilitätspolitischen Beitrag über Haushaltsund Steuermaßnahmen leistet. Sie verleugnet aber nicht, wie Sie es aus taktischen Gründen tun, daß die entscheidenden Voraussetzungen für mehr Stabilität sich überhaupt jeder Entscheidung, jeder Einflußnahme der Regierung in unserem Wirtschaftssystem entziehen. Ich möchte doch dem Kollegen Strauß empfehlen, diese markigen Reden, die er hier immer hält - wir haben weiß Gott genug davon gehört -, doch einmal vor Gewerkschaften und Unternehmern zu halten;
({27}) denn da werden die Weichen für die Konjunktur- und Preisentwicklung gestellt.
({28})
Diese bösen Worte von der „Inflationsregierung" waren ja die Parolen, mit denen Sie 1969 die Konfrontation begonnen haben. „Inflation" und „Ausverkauf", das waren die Parolen, die zur Verhärtung der politischen Situation in diesem Lande geführt haben. Damit haben Sie gearbeitet, noch ehe die Regierung ihren Amtseid geleistet hatte. Sie haben gar nicht erst abgewartet, wie das läuft. Sie haben das von vornherein unterstellt.
({29})
Diese böse Behauptung von der Inflationsregierung ist auf andere Art und Weise die Dolchstoßlegende der 60er und 70er Jahre. Das muß man einmal sehr deutlich sagen.
({30})
- Wenn Sie nur einmal in der Lage wären, ruhig zuzuhören und nicht immer wie ein Apparat, ohne das Vorhergehende gehört zu haben, bestimmte Parolen in Ihre Fragen und Zwischenrufe hineinzubauen! Aber offenbar sind Sie es nicht; denn ich habe ja auf die wahre Verteilung der Zuständigkeit für Geld und Konjunktur, Konjunktur und Preise in diesem Lande hingewiesen. Das müssen Sie endlich einmal begreifen, sonst können wir nicht miteinander diskutieren.
Das Stillhalteabkommen: Ich dachte, das wäre nun wirklich einmal zu den Akten gelegt. Das war doch ein Abkommen mit doppeltem Boden. Herr Barzel ist hierhergekommen und hat gesagt: Wir bieten Ihnen an, keine ausgabewirksamen Beschlüsse zu fassen. Das hat er mit der einen Hand getan.
({31})
Aber mit der anderen Hand hat Ihre Fraktion massenhaft - ich drücke das heute einmal vornehm aus - einen ausgabewirksamen Antrag nach dem anderen produziert. Sie wollten also ein Spiel mit doppeltem Boden.
({32})
- Sie waren damals, glaube ich, noch nicht da.
Sie wollten hier den feinen stabilitätspolitischen Apostel spielen, aber draußen im Lande natürlich bei jeder Gruppe, auf die es ankommt, sagen: Aber ja, die CDU/CSU beantragt mehr Kindergeld, mehr das, mehr das und mehr das. So kann man natürlich keine Stabilitätspolitik machen.
({33})
Ich muß sagen: Die Form, die Art und Weise, wie nicht nur Herr Strauß, sondern Sie alle der Regierung und der Koalition mit falschen Beschuldigungen bezüglich der gewiß nicht zu verniedlichenden Situation - kein Mensch hat das getan; weder der Bundeskanzler noch der Finanzminister noch irgendein Sprecher unserer Fraktion oder der sozialdemokratischen Fraktion hat die Geldwertentwicklung verniedlicht - eine Verantwortung - ich kann schon einfach nicht mehr sagen: aus Unwissenheit, sondern muß sagen: wider besseres Wissen - anlasten wollen, die ihr nicht zukommt, hätte Ihnen im zivilen Bereich längst gerichtliche Schritte eingebracht. So argumentieren Sie jetzt.
({34})
- Ich weiß natürlich, daß wir uns nicht im zivilrechtlichen Bereich befinden.
Nun, dann wird gesagt, wir würden die Inflation als Garantie für Vollbeschäftigung sehen. So ist das nicht. Nur umgekehrt - da sind wir uns allerdings einig -: Wir sehen eine Rezession nicht als das geeignete Mittel an, dieser Probleme Herr zu werden.
({35})
Wenn man diese Reden hört, muß man sich doch nur immer wieder fragen, in welcher Welt die Leute, die solche Reden halten, eigentlich leben.
Noch eine allerletzte Bemerkung. Das Thema Schattenhaushalte, Herr Leicht, wird ja sicherlich auch noch vertieft.
({36})
Im Zusammenhang mit der Zuwachsrate - unabhängig von der grundsätzlichen Frage des Zuwachsratenfetischismus - ist das Thema zumindest für dieses Jahr ja verbraucht. Denn ich würde sagen: die entscheidenden Positionen der sogenannten Schattenhaushalte waren auch 1972, zum Teil schon 1971 vorhanden. Wenn wir Ihren Ratschlägen 1972 gefolgt wären, hätten wir eine ganz andere Ausgangsbasis für Vergleichsrechnungen. Was soll das also noch?
Lassen Sie mich zum Schluß der ersten Runde der ersten Lesung folgendes sagen. Ein noch so lautes Getöse des Starsprechers der Opposition kann die Wahrheit nicht verschleiern. Diese Wahrheit ist, daß heute auf der Grundlage solider Finanzen ein solider Haushalt als Ausdruck einer in jedem Bereich soliden Politik der sozialliberalen Regierung vorliegt.
({37})
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kirst, ich befürchte nicht, daß Herr Strauß nicht auch in der Lage und, wenn dazu aufgefordert, auch dazu gewillt ist, das Thema, das er heute hier behandelt hat, vor Gewerkschaften zu behandeln. Nur gehe ich davon aus, daß er dort wahrscheinlich auf ein höheres Verständnis stoßen, unter Umständen auch auf seine Argumentation bessere Aussagen bekommen wird als hier.
({0})
Eine zweite Bemerkung zu dem, was Sie sagten. Ein Stabilitätspaktangebot war hier gegeben worden; es wurde von Ihnen zurückgewiesen. Sie können von der Opposition nicht verlangen, daß sie sich daran hält, während Sie, die Sie Verantwortung tragen, sich nicht daran halten.
({1})
Eine dritte Feststellung. Allmählich werden hier in diesem Hause die Fronten verkehrt. Hier sitzt doch die Regierung, und die Regierung trägt die Verantwortung, Herr Kirst. Sie trägt auch die Verantwortung für Wirtschaftspolitik, Preissteigerungsraten, Finanzpolitik. Das müssen Sie zugestehen. Die Frage an die Opposition nach Alternativen stellt sich erst in dem Augenblick
({2})
- sie hat sich 1972 bei den Wahlen gestellt , wenn
1976 erneut zu den Wahlen gegangen wird oder wenn diese Regierung nicht mehr in der Lage wäre, die Verantwortung zu tragen. Dann ist die Stunde der Alternativen der Opposition da.
({3})
Soll ich Ihnen jetzt zitieren, was Herr Möller zu dieser Frage gesagt hat, was Herr Schmidt noch im Jahre 1965 hier verkündet hat, was Oppositions- und was Regierungsrolle ist? Ich möchte Sie damit verschonen.
Zur Inflationsrate habe ich schon gesagt, daß man natürlich auch dafür die Verantwortung tragen muß, wenn man die Regierung innehat. Sie können das nicht auf die verschiedensten Gruppen abwälzen, weil man selbst nicht in der Lage war - diejenigen nämlich, die die Verantwortung tragen -, die entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig einzuleiten.
Nun lassen Sie mich nach den harten Auseinandersetzungen der letzten Monate, wobei es auch um Ordnung oder Unordnung, um Krisen oder nicht Krisen in der öffentlichen Finanzwirtschaft gegangen ist, feststellen, daß die Vorlage, die der Herr Bundesfinanzminister gestern diesem Hohen Hause vorgelegt hat, nach meiner Beurteilung nicht der eigentlich zu erwartende, solide fundierte, mit Zahlenwerken ausgestattete Bundeshaushalt ist. Er ist den Beweis, wenn Sie so wollen, schuldig geblieben. Das hat er auch mit der gestrigen Rede bewiesen.
Von Mackenzie King stammt das Wort: „Die Versprechungen der Parteien von gestern sind die Steuern von heute." Diese Erkenntnis ist ein zweites Mal unter der sozialliberalen Koalition für den Steuerbürger und hier insbesondere für den Autofahrer bittere Wirklichkeit geworden. Notwendig und für die künftige Auseinandersetzung sicherlich hilfreich wäre eine genauere Definition dessen, was
unter der Gefährdung der Staatsfinanzen insgesamt, bei Bund, Ländern und Gemeinden, verstanden werden soll. Es ist natürlich eine Frage, ob ein angeblich armer Staat bei angeblich privatem Reichtum seiner Bürger logisch überhaupt denkbar ist. Natürlich kommt eine Regierung immer zu ihrem Recht. Jede Regierung hat die Macht und den Apparat dazu. Sie kann also, um es deutlich auszudrücken, jederzeit, wenn sie will, sich die nötigen Einnahmen verschaffen, Steuern erhöhen. Jedenfalls wird uns die Frage der laufenden Steuererhöhungen ständig begleiten. Schließlich war es doch diese Regierung - es ist gut, wenn man auch das erwähnt -, die einmal unter Reformen auch Steuererleichterungen verstand und mehr Stabilität verlangte, damit aber kläglich - zumindest der jetzige Stand sagt das aus - gescheitert ist.
Der Haushalt 1973 hat seine Wiege in der Vergangenheit. Insofern hat Herr Haehser recht, wenn er auch über den Haushalt 1972 gesprochen hat. Das wirtschaftlich und finanziell solide Fundament des Jahres 1969 ist, wie ich meine, durch eine Versprechenspolitik verspielt worden. Diese Versprechenspolitik erreichte 1971 mit dem Mammuthaushalt einen Höhepunkt. Gleichzeitig signalisierte dieser Haushalt 1971 das Ende. Denn allein die Schwierigkeiten seiner Fortschreibung bewogen den ersten Finanzminister der Regierung Brandt/ Scheel - er sitzt vor mir - zum Rücktritt, weil er von „Solidität und Stabilität" der Staatsfinanzen, wie er es nannte, eine andere Vorstellung hatte als die meisten seiner Kabinettskollegen.
Die Folgen der Versprechens- und Reformpolitik zeigten sich schon bald in Gestalt gewaltiger Dekkungslücken, weniger zunächst beim Bund als viel mehr damals schon bei Ländern und Gemeinden, weil diese die Hauptlast der Reformpolitik zu tragen hatten, und bei Post und Bahn, die nicht an den Segnungen der Steuerprogression teilhatten.
Der Bundeshaushalt zog dann aber schnell nach und offenbarte das ganze Dilemma, in das sich die Bundesregierung binnen nur drei Jahren hineinmanövriert hat. Der Haushalt 1972 liegt in seinem Abschluß vor. Er ist in der Tat, Herr Haehser - insofern vertrete ich eine andere Meinung als Sie -, kein Ruhmesblatt erfolgreicher Haushaltspolitik. In der Gesamtbeurteilung ist zweifelsfrei, daß der Haushaltsablauf 1972 den stabilitätspolitischen Anforderungen in keiner Weise entspricht. Das bestätigt übrigens auch die Bundesbank; das sagt nicht nur die Opposition. Die Ausgabensteigerung des Bundes betrug nach den offiziellen Zahlen 12 v. H. und war damit in höchstem Grade inflationsfördernd, weil sie erheblich über dem Wachstum der Gesamtleistungen unserer Volkswirtschaft lag.
Entgegen der erklärten Absicht der Bundesregierung waren die Ausgaben des Jahres 1972 höher als die Gesamtausgaben.
({4})
Sie haben als Grund die besonderen Zuwendungen an die Bundesbahn genannt. Aber da muß man dann auch fragen: Warum war es notwendig geworden, der Bundesbahn im Jahre 1972 7,2 Milliarden DM,
glaube ich, an Zuschüssen des Bundes zu geben? Auch diese Frage muß man dann stellen.
Sie haben darauf hingewiesen, daß man großartig gefahren sei. Nun müssen wir aber auch feststellen, daß der Haushalt 1972 erst am 18. Dezember hier verabschiedet worden ist, daß also praktisch ein Jahr lang nach den Regeln des Nothaushaltsrechts - Art. 111/112 GG - gefahren werden mußte und von da her praktisch der Zwang - der gute Zwang, wie ich meine - gegeben war, die Haushaltsführung sparsam zu betreiben. So viel zur Ausgabenseite.
Wie sieht es auf der Erfolgsseite aus? Zweifelsfrei ist, daß trotz der stabilitätswidrigen Ausgabensteigerung wegen des mangelndes Mutes der Regierung zur Prioritätensetzung in der Finanzpolitik und wegen der immer fühlbarer werdenden Inflationsfolgen wichtige Staatsaufgaben nur unzureichend erfüllt werden. Beispielsweise werden bei der Bundesbahn trotz der überplanmäßigen Ausgaben von 1,2 Milliarden - Herr Haehser, das hätten Sie sagen müssen ({5}) die Defizite immer größer.
Unter dem Schlagwort von der Verbesserung der Lebensqualität hat sich die Regierung den ver- stärkten Ausbau der öffentlichen Einrichtungen - wie Straßen, Schulen, Sportstätten usw. - zum Ziel gesetzt. Bereits nach den offiziellen Zahlen für die ersten neun Monate des Jahres 1972 sind jedoch, auch wenn Sie es immer wieder anders sagen, die Bundesausgaben für derartige Sachinvestitionen gegenüber dem Vorjahr sowohl real wie auch nominal zurückgegangen.
({6})
An diesem Bild wird sich, wenn wir das gesamte
Jahr nehmen, sicherlich nichts Wesentliches ändern.
Von daher wird man auch die Frage nach der Gefährdung der Staatsfinanzen insgesamt stellen müssen.
({7})
Denn trotz konjunkturwidriger hoher Ausgabensteigerungen, trotz Steuererhöhungen, trotz Tariferhöhungen bei Post und Bahn, trotz inflationsbedingter gewaltiger Steuermehreinnahmen trägt der Staat nicht mehr, sondern weniger als früher zur Verbesserung der Lebensqualität seiner Bürger bei.
({8})
Ich sage das zum besseren Verständnis des vorgelegten Haushaltsentwurfs 1973, der von demselben Geist geprägt ist wie seine Vorgänger. Darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, daß die noch im alten Finanzplan vorgesehene globale Minderausgabe für 1973 nunmehr nicht mehr im Entwurf erscheint
({9})
und ordnungsgemäß veranschlagt ist, was ich ausdrücklich begrüße.
Die Fixierung des Ausgaberahmens auf 120,4 Milliarden DM hat ihre eigentliche Ursache - Herr
Kollege Haehser, auch da bin ich etwas anderer Meinung als Sie - in den Ereignissen des Wahlherbstes 1972. Anfang September hatte der Bundesfinanzminister in einem haushaltspolitischen Kraftakt das vorgelegte Ausgabenrezept entworfen, um die Gespenster der drohenden Finanzkrise zu verscheuchen. Schon damals also hatte dieser Haushalt seine Geburtswehen; und erst heute, nach sechs Monaten, ist er nun geboren. Ein halbes Jahr liegt zwischen dem ersten Rohentwurf und der heutigen Vorlage. Allein diese zeitliche Verzögerung macht schon das volle Ausmaß der haushaltspolitischen Schwierigkeiten auch denjenigen deutlich, die nicht die Nähkästchenplaudereien des Kollegen Ahlers gelesen oder die vielen widersprüchlichen Äußerungen aus dem Lager der Regierungsparteien zu den Steuererhöhungen zur Kenntnis genommen haben.
Grund des Hinauszögerns der Haushaltsvorlage scheint mir gewesen zu sein, daß die Regierung zunächst Zeit gewinnen wollte, einmal deshalb, weil sie sich im offenkundigen Mißtrauen gegenüber dem eigenen Zahlenwerk des Etatgerüsts 1973 zunächst alle Möglichkeiten der haushaltstechnischen Kniffe, die sich am Ende des Haushaltsjahres bieten, und darüber hinaus wenigstens einen Teil des Jahres im Fahren des Haushalts erhalten wollte, und zum anderen deshalb, weil sie gewisse Korrekturen auf der Einnahmeseite infolge inflationsbedingter Steuermehreinnahmen erwarten durfte.
Nur um den Anschein der Seriösität der von ihr Anfang September 1972 gefaßten Rahmenbeschlüsse zur Haushalts- und Finanzplanung zu wahren, hielt die Bundesregierung am Ausgabeplafonds von rund 120 Milliarden fest. Auf diese Weise erreichte sie es, nicht nur die Steigerungsrate der Bundesausgaben jenen von der EG-Kommission empfohlenen 10,5 % anzugleichen, sondern, nachdem 1,4 Milliarden noch im Jahre 1972 gezahlt waren, diesen Wert mit 9,7 % noch zu unterbieten, um damit gegenüber Landes- und Gemeindeparlamenten ein vorbildliches Finanzgebaren vorzutäuschen. An diesem Sachverhalt ändern auch die Absichtserklärungen der Bundesregierung nichts. Ihre Absicht, Herr Bundesfinanzminister, 2000 Stellen einzusparen - den Willen, dies zu tun, begrüße ich -, steht, wie ich meine, mit der Wirklichkeit nicht in Einklang. Denn erstens handelt es sich nicht um Einsparungen, sondern um vorübergehende Nichtbesetzungen,
({10})
und zweitens kennen Sie so gut wie ich die am Haushalt, am Parlament, wenn Sie so wollen, vorbeigehende Praxis der Nachschiebelisten, die nur über den Haushaltsausschuß läuft.
({11})
Eine Nachschiebeliste von erheblichem finanziellen Gewicht haben wir erst vor wenigen Wochen im Haushaltsausschuß passieren lassen; weitere sind bekanntgeworden. Ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß in den Schubladen der Ressorts, und zwar aller Ressorts, weitere Nachschiebelisten
schlummern, um einen geeigneten Zeitpunkt für das
Nehmen der parlamentarischen Hürde abzuwarten.
({12})
Wenn man es mit der Ankündigung, die Mittel an die institutionellen Zuwendungsempfänger zu kürzen, wirklich ernst meint, frage ich, warum man dann nicht gleich die entsprechenden Kürzungsansätze in den Haushalt eingesetzt hat. Allein das wäre glaubwürdig gewesen. So können wir uns jetzt hinsetzen - das trifft alle Kollegen im Haushaltsausschuß - und im Einzelfall prüfen, ob es möglich ist oder nicht. Nur die Arbeit wird, wenn Sie so wollen, auf das Parlament abgeschoben.
Mit der geplanten Nettokreditaufnahme von 3,8 Milliarden DM verhält es sich im Grunde genauso. Wenn sich der Herr Bundesfinanzminister gestern in seiner Rede hier damit gebrüstet hat, die Schuldenaufnahme in diesem Jahr gegenüber dem Finanzplan 1972 bis 1975 um 2 Milliarden DM zu senken, dann wäre es nur redlich gewesen, auch zu sagen, daß gegenüber dem alten Finanzplan nun im Jahre 1973 mit inflationsbedingten Steuermehreinnahmen und Mehreinnahmen aus Steuererhöhungen zusammen 7,2 Milliarden DM mehr eingehen, als im Finanzplan 1972 bis 1975 geplant war.
({13})
In all Ihrer Bescheidenheit, Herr Minister, unterschlagen Sie die Existenz der Schattenhaushalte, die das Volumen der Schuldenaufnahme in einem anderen Licht erscheinen lassen: die Stundung der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung, die Krankenhausfinanzierung, die Einräumung der Schuldbuchforderung - etwas Neues - an die Saar-Bergwerke, die Olympia-Finanzierung und auch die vom Bundeshaushalt irgendwann einmal abzudeckenden Verluste der Bundesbahn und Bundespost aus früheren Jahren, um nur die wichtigsten Posten zu nennen.
Der ganze Trick, mit all diesen Schwierigkeiten fertig zu werden, besteht also darin, daß die Bundesregierung die Ausgangsbasis für die Ausgabenplanung erhöht, die Steigerungsrate so künstlich senkt, daß sie am Ausgabenplafond festhält, ihn nicht aktualisiert und der Preisentwicklung anpaßt, daß sie inflationsbedingte Steuermehreinnahmen und im übrigen Schuldenaufnahmen außerhalb des Bundeshaushalts außer Betracht läßt.
Die Regierung hat ein weiteres Mal die Steuern erhöht. Nach der Erhöhung der Verbrauchsteuern, die in ihrer vollen Erhebung in diesem Jahr rund 4 Milliarden DM bringen, hat sie eine weitere Erhöhung der Steuern vorgenommen, die knapp 2 Milliarden DM einbringt. Das sind zusammen, ohne jene Milliarden inflationsbedingter Mehreinnahmen, fast 6 Milliarden DM Einnahmeverbesserungen. Zur Konsolidierung des Bundeshaushalts „unvermeidbar" sagt der große, „vermeidbar" sagt der kleine Koalitionspartner. Dies ist eine besonders delikate Art, sich im nachhinein gegenüber dem Wähler zu rechtfertigen. Vermeidbar oder nicht - das ist hier nicht so sehr die Frage -, entscheidend ist meiner Meinung nach, ob die neuen Steuererhöhungen
sachlich dadurch gerechtfertigt sind, daß sie zu einer echten Leistungsverbesserung des Staates führen. Dem ist nicht so. Schon ein globaler Vergleich mit dem Vorjahr läßt erhebliche Zweifel daran aufkommen, daß hier im öffentlichen Bereich mit mehr Steuereinnahmen auch mehr Leistungen erbracht werden. Absolut steigt das Volumen des Haushalts mit runden 10 Milliarden DM wie im Vorjahr. Die Preissteigerungen und die Preiserhöhungserwartungen sind jedoch in diesem Jahr erheblich stärker, und zwar in allen Bereichen. Schrittmacher ist dabei vor allem die Kostenexplosion im Bereich der technischen Entwicklung, die nach und nach auch auf andere Bereiche übergreift. Am deutlichsten zeigt sich das bei den militärischen Beschaffungen, aber auch beim Vordringen der Elektronik in alle Verwaltungsbereiche, von der Polizei über die Medizin zur Finanz- und Steuerverwaltung. Hand in Hand mit der Beschaffung verteuert sich natürlich die Betreuung und Unterhaltung dieser Einrichtungen, weil die Anforderungen an qualifiziertem Personal wachsen. Ich fürchte, daß im Bereich der technischen Entwicklung gerade seitens der öffentlichen Hand und da insbesondere auf dem Gebiet der Datenverarbeitung des Guten zuviel oder oft nicht das Richtige getan wird. Wenn wir heute feststellen, daß in weiten Bereichen der Bundesverwaltung jedes Ministerium seine eigene Datenverarbeitung aufbaut, wenn wir feststellen, daß heute schon über 7000 Beschäftigte in diesem Bereich tätig sind, dann muß man sich allmählich fragen, ob da noch das Richtige dosiert gemacht wird.
({14})
Vielfach handelt es sich dort, wo die Bundesregierung mühsam versucht, eine Verbesserung der Finanzausstattung herauszustellen, nur um die zwangsläufigen finanziellen Auswirkungen früherer Gesetzesinitiativen, so z. B. im Bereich der inneren Sicherheit und beim Umweltschutz. In anderen Bereichen werden besondere finanzielle Anstrengungen angekündigt, die doch bloße zwangsläufige Folgen dynamisierter Gesetzesregelungen sind, wie etwa beim Wohnungsbau und beim Sparprämiengesetz. Weiter werden andere mit Priorität bedachte Aufgabenbereiche genannt, die im Grunde wegen der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre in arge Bedrängnis geraten sind und für die jetzt der Staat Sorge tragen muß. Ich denke vor allen Dingen an den Steinkohlebergbau, die Landwirtschaft, die Entwicklungshilfe und an vieles andere mehr.
Symptomatisch für den Zusammenbruch der ganzen Reformpolitik ist doch auch, daß die Bildung, die einmal den Reformkatalog mit 35 % Steigerungsrate anführte, heute unter „ferner liefen" rangiert. Hier wurde vorhin für 1973 die Zahl von 10,7 % genannt. Noch im Finanzplan des vergangenen Jahres war die Steigerungsrate für 1973 im Bereich der Bildung mit 17 °/o vorgesehen, vorher waren es 20 % und einmal sogar 35 %. Da darf man doch noch fragen, wo denn da die Prioritäten sind und wo sich da das Geld, wenn es schon um Prioritäten geht, in echte Mehrleistungen des Staates umsetzt.
({15})
Doch damit nicht genug. Wir haben überdies allen Grund, die Vollständigkeit des vorgelegten Ausgabenkatalogs anzuzweifeln. Das wird immer so sein. Jeder Haushalt wird gewisse Risiken in sich bergen; aber man muß sich darüber klar sein, daß diese Risiken vorhanden sind und daß man dafür unter Umständen im Laufe des Jahres das nötige Geld zur Verfügung stellen muß. Ich erwähne den Devisenausgleich, den wir hier im Parlament immer mit Diskretion behandelt haben. Mitte des Jahres ist das neue Devisenausgleichskommen mit den USA fällig. Hier kommt mit Sicherheit ein gewaltiger Ausgabebrocken auf den Bundeshaushalt 1973 zu, für den zunächst keine Deckung da ist, es sei denn - und das soll eine Frage sein; ohne jetzt zu werten -, die Regierung beabsichtige, hierfür die Stabilitätsanleihe einzusetzen. Auch denke ich in diesem Zusammenhang an die vielen Wirtschaftsbereiche, die die Hauptleidtragenden der Währungspolitik geworden sind und die in Zukunft staatlicher Unterstützung bedürfen, so vor allein der Steinkohlebergbau, die Werften, die Aluminiumindustrie, die Landwirtschaft und viele andere, die man im Augenblick noch gar nicht alle benennen kann Mit großer Wahrscheinlichkeit wird also das Ausgabensoll von 120 Milliarden nur schwer zu halten sein.
Nun eröffnen sich bei der Frage der Deckung des Ausgabenkolosses interessante Perspektiven. Die Steuerschätzung geht nämlich meiner Meinung nach von sehr optimistischen Voraussetzungen aus. Sie basiert auf einer nur mäßigen Preissteigerung von 5 bis 6 v. H. - daran glaubt niemand mehr im Augenblick - und einer verhältnismäßig gezügelten Gewinnentwicklung der Unternehmen. Erhebliche Steuermehreinnahmen sind also aller Wahrscheinlichkeit nach zu erwarten, vor allem bei der Lohnsteuer, bei der wegen des inflationären Trends immer mehr Arbeitnehmer in höhere Progressions-stufen hineinwachsen. Herr Strauß hat dazu die entsprechenden Ausführungen gemacht.
({16})
Die Einnahmenseite ist nicht voll ausgereift. Man könnte hier in der Tat bei etwas gutem Willen den Ansatzpunkt zu einer besonneneren Finanzpolitik sehen, wenn nicht der Kabinettsbeschluß vom 17. Februar wäre, der besagt - ich darf wörtlich zitieren mit Genehmigung der Frau Präsidentin -:
Im Jahre 1973 anfallende Steuermehreinnahmen werden, soweit sie nicht zum Ausgleich für neu auftretende unabweisbare Mehrbelastungen benötigt werden, auf ein Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank stillgelegt.
Mit dieser salvatorischen Klausel soll also die Kluft zwischen der Haushaltswirklichkeit auf der einen Seite und der Haushaltsplanung überbrückt werden, einer Haushaltsplanung, die einmal aus wahltaktischen Überlegungen entworfen und aus falschem Prestigedenken dann beibehalten worden ist.
Im Rückblick haben wir dann das bekannte Bild: immer mehr Mehrausgaben werden durch mehr Mehreinnahmen gerade noch mit Hilfe weiterer Steuererhöhungen abgedeckt. Das Gift der Inflation,
wenn Sie so wollen, wird so listig und heimlich genommen. Die Geldentwertung wird immer stärker zum integrierten Bestandteil der Staatsfinanzen. Dabei wird zwangsläufig die Krisenanfälligkeit des Staates zunehmen.
Unbestreitbar ist, daß sich die geplanten Steuererhöhungen ausschließlich zugunsten des Bundes auswirken.
({17})
Auch das geschieht nicht ohne Absicht. Der Bund weiß sehr wohl, daß er ab 1974 nicht umhinkann, den Ländern einen größeren Anteil am Steuerkuchen zu geben, und zwar aus Gründen - das muß doch einmal festgehalten werden - der unterschiedlichen Ausgabenstruktur und Aufgabenstruktur der Länder- und Gemeindehaushalte, die ungleich schwerer von der Inflation betroffen werden als z. B. der Bundeshaushalt.
({18})
Mit dem hohen Anteil an Personalkosten, mit der Last, die Träger der öffentlichen Investitionen zu sein, ist es zwangsläufig verbunden, daß die Relation der Zuwächse der Haushalte bei den staatlichen Institutionen in Ländern und Gemeinden eben eher größer sein muß als beim Bund. Bei der Auseinandersetzung sollte man, meine ich, in Zukunft auf diese Dinge etwas mehr achten.
Unter solchen Umständen nimmt es nicht wunder, wenn die Finanzwirtschaft der gesamten öffentlichen Hände immer mehr aus den Fugen zu geraten droht. Es ist bedauerlich, daß das bewegliche Element des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern auf diese Weise zu einer Art Steuererhöhungsautomatismus umfunktioniert wird. Ich meine, alle Seiten dieses Hauses haben ein Interesse daran, das zu vermeiden.
Über die Absicht der Bundesregierung, im Jahre 1973 einen Teilbetrag der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten in Höhe von 2,5 Milliarden DM einzubehalten, ist in den letzten Wochen viel geschrieben und gesprochen worden. Sie alle kennen die scharfen Proteste, die diesmal einheitlich aus allen Lagern kommen. Herr Strauß hat dazu schon Einzelheiten vorgetragen. Diese Maßnahme - das ist unverkennbar; insofern gehört das erst recht hierhin dient ausschließlich der Ausfüllung von Lücken im Bundeshaushalt. Wenn Sie so wollen, ist es eine Zwangsschuldenaufnahme. Mit den erhöhten Beitragssätzen zu Anfang des Jahres - 17 auf 18 v. H. - wird Schindluder getrieben. Man hätte darauf verzichten können, weil man dafür keine Zinsen zahlt. Man nimmt noch nicht einmal die Zinserträge ein, die eventuell notwendig sein werden, um später, ab 1980, die Rentenversicherung zu finanzieren. Die Beitragserhöhungen dienen nicht, wie es fälschlicherweise immer behauptet wird, der Stärkung der Rentenversicherung, nicht der langfristigen Konsolidierung der Rentenversicherungsfinanzen, nicht den Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern einzig und allein zur Auffüllung der Haushaltslücken.
({19})
- Weil damals hinsichtlich der Berechnung eine andere Situation gegeben war,
({20})
weil wir meinten, es sei notwendig, die Zinsen zu bekommen, um im Jahre 1980 mit diesen Zinsen für die Rentenversicherungsträger und eventuell für die Rentner mehr tun zu können.
({21})
Genau das tun Sie nicht, das verhindern Sie mit diesem Beschluß.
({22})
- Dazu, Herr Schäfer, wird morgen mit Sicherheit noch viel gesagt werden;
({23})
dann können Sie sich damit auseinandersetzen. ({24})
Die zinslose Stundung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung bis zum Jahre 1981 - das nehme ich sehr ernst, Herr Kollege Hermsdorf; Herr Schmidt ist nicht mehr da - kulminiert mit dem Auslaufen der geltenden Lastenausgleichsregelung. Die dann einsetzende Defizithaltung des Bundes kann mit Risiken verbunden sein - sie muß es nicht unbedingt sein, aber sie kann und wahrscheinlich wird sie es sein -, die heute kaum überschaubar sind. Zusammen mit der dann fälligen Zahlung der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung kommt ein Ausgabenstoß auf den Haushalt zu, der zu neuen, erheblichen Steuererhöhungen
({25})
bei einer dann vielleicht schon sehr angespannten Lage im Bereich der Steuern zwingt.
In Gesamtwürdigung all dieser Umstände kann von diesem Haushalt 1973, wie ich meine, kein Beitrag zur Wiedergewinnung der Stabilität erwartet werden. „Die Inflation beißt ihre Väter", hat Ludwig Poullain dieser Tage gesagt; und so ist es auch bei diesem Haushalt.
({26})
- Warum? Dürfen nur Sie zitieren, Herr Wehner?
({27})
Aber wenn Sie Wert darauf legen, zitiere ich Sie,
({28}) dann ist es vielleicht lustiger.
({29})
- Betrachten Sie Ihr Gesicht! Daran kann man ablesen, wer Magensäure hat.
({30})
Dieser Haushalt ist eher Opfer der von der Ausgabenpolitik geschürten Inflation als ein gestaltender Faktor. Er ist ein Schritt weiter auf jene reine Verteilerdemokratie zu, wie sie heute manchen Reformern vorschwebt. Daß diese Entwicklung den verbalen Zielvorstellungen der Regierungskoalition diametral entgegensteht, wird erst nach und nach in das öffentliche Bewußtsein dringen. Mit dem Finanzplan 1972 bis 1976 werden alle Grundübel linksliberaler Haushalts- und Finanzpolitik fortgeschrieben. Die Schwierigkeiten werden nicht geringer; sie werden vielmehr größer. In der Stabilitätspolitik wird die Bundesregierung bescheidener, in der Steuerpolitik drakonischer, im Staatsverbrauch verschwenderischer und in ihren Leistungen immer mäßiger.
({31})
Wenn Sie gut zuhören, ist das sehr nett.
Die Schwierigkeiten werden nicht zuletzt deshalb größer, weil die Regierung Ausgaben nach dem Stand von gestern und Einnahmen nach dem Stand von morgen veranschlagt. Es sind aber nicht die inflationsbedingten Risiken allein, die die künftige Entwicklung der Staatsfinanzen überschatten; es sind auch jene Entscheidungen, die schon heute der Abklärung bedürfen, sollen in Zukunft unnötige Reibungsverluste vermieden werden. In der vorigen Woche tagte der Finanzplanungsrat. Er ging auseinander, ohne ein nennenswertes Ergebnis zustande gebracht zu haben, sieht man von dem unwirksamen, weil einstweilen aufgeschobenen Beschluß zum Schuldendeckel der öffentlichen Hand und zur Streckung der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a des Grundgesetzes ab. Auch das Kommuniqué sagt wenig aus. Nicht einmal über die wichtigsten Orientierungsdaten konnte Einvernehmen erzielt werden. Genau das wollte ich gestern mit meinem Zwischenruf an den Herrn Bundesfinanzminister sagen. Ich habe das Stabilitätsgesetz vielleicht öfter gelesen und mindestens so gut erfaßt wie er selber, so daß ich diese Belehrung - er hat den Zwischenruf gar nicht richtig aufgenommen - mit Sicherheit nicht verdient hatte.
Der Anteil der Investitionsausgaben an den Gesamtausgaben, also die Investitionsquote, fällt von Jahr zu Jahr kontinuierlich. Herr Strauß hat die Zahlen schon genannt. Sie fällt von 17,4 % im Jahre 1972 auf 15,2 % im Jahre 1976. Der, absolut gesehen, noch verbleibende Anstieg der Investitionsausgaben reicht bei weitem nicht aus, um dieselben Leistungen des Staates erbringen zu können, um also die Preissteigerungen aufzufangen. Weitere Steuererhöhungen sind da. Entgegen den Wahlversprechungen weisen jedoch die Ausgaben für die öffentlichen Investitionen im Bundeshaushalt sinkende Tendenz auf. Wenn man Reformen weitestgehend mit öffentlichen Investitionen gleichsetzt, wie das ja von verschiedenen Sprechern - angefangen vom Herrn Bundeskanzler über Herrn Möller bis hin zu anderen - getan worden ist, wenn man daran die Qualität des Lebens mißt, so kann die Politik, die sich in diesem Finanzplan dokumentiert, eher als eine Antireformpolitik denn als eine Reformpolitik qualifiziert werden.
({32})
Das Absinken ist nun keineswegs Folge einer sparsamen Ausgabenpolitik; denn die Aufgabe, den bedrohlichen Preisauftrieb zu dämpfen, hat die Bundesregierung allein der staatlichen Einnahmepolitik zugedacht; den fiskalpolitischen Strategiewechsel erhellt das Stabilitätsprogramm vom 17. Februar dieses Jahres. Der Bund konnte sich nicht zur Ausgabendrosselung durchringen; dafür hat er die Last der Konjunkturstabilisierung einseitig dem Bürger in Form empfindlicher Steuererhöhungen aufgebürdet. Man braucht ja nicht erst die einschlägige Literatur zum Problem der konjunkturdämpfenden Wirkungen von Steuererhöhungen zu bemühen, um zu verstehen, worum es geht. Es ist schlankweg Unfug zu glauben, man könne mit der Steuerpolitik Stabilitätspolitik betreiben, wenn gleichzeitig bei den staatlichen Ausgaben aus dem Vollen geschöpft wird, die staatlichen Konsumausgaben überdurchschnittlich steigen und die investiven Ausgaben überdurchschnittlich absinken.
({33})
Auf diese Weise erhalten Sie allenfalls mehr Umverteilung, aber mit Sicherheit nicht mehr Lebensqualität. Dieser Schatten liegt über dem Finanzplan. Die konsumtiven Staatsausgaben wachsen weiter. Die immer wieder angekündigte Umstrukturierung des Haushalts zugunsten der öffentlichen Investitionsaufgaben findet nicht statt. Die Ausgabenansätze für Bildung, Wissenschaft und Forschung, für Umweltschutz, Bundesstraßen und Autobahnen bleiben hinter den Ansätzen früherer Jahre zurück.
Sie haben, Herr Bundesfinanzminister, den Haushalt 1973 als einen Haushalt der Vernunft bezeichnet. Dieses Prädikat können wir ihm nicht geben. Es ist eher ein Haushalt der Ohnmacht, der für wirkliche Reformen zuwenig - das ist vorhin schon gesagt worden - und für die Stabilität zuviel bringt.
({34})
- Darf man denn nicht nüchterne Feststellungen treffen? Es ist ein Haushalt der Umverteilung als Folge einer euphorisch begonnenen, finanziell aber nicht abgesicherten Versprechungspolitik, der immer mehr im Strudel der Inflation unterzugehen droht. Die Konsequenzen sind weitere Steuererhöhungen. Sie sind für die nächsten Jahre, wie wir hier ja hören konnten, bereits vorprogrammiert.
Es ist aber auch ein Haushalt der verspäteten Einbringung. Ich frage die Bundesregierung, insbesondere den Herrn Bundesfinanzminister - er kann da Abhilfe schaffen -, ob sie auch in Zukunft an der bisher geübten Praxis festhalten will, den Haushalt, wie in den letzten beiden Jahren geschehen - ich
muß das insbesondere auf diese beiden Jahre beschränken -, so verspätet einzubringen. Dem Haushaltsausschuß muß, soll er seine kontrollierende Funktion gründlich wahrnehmen, genügend Zeit zur Beratung verbleiben. Schon jetzt ist die Frage zu stellen, ob ein 120-Milliarden-DM-Etat von den Kollegen des Haushaltsausschusses in vier Wochen so bewältigt werden kann, daß man in der Beratung mit ruhigem Gewissen sagen kann: Man kann ihn mitverantworten.
({35})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haehser?
Herr Kollege Leicht, wenn Sie jetzt sagen, es sei die Frage zu stellen, ob das zu bewältigen sei, bedeutet das dann, das Sie sich mit dem Gedanken tragen, darauf hinzuwirken, daß der Bundeshaushalt erst nach der Sommerpause verabschiedet wird?
Wenn Sie abgewartet hätten, was jetzt kommt, Herr Haehser, hätten Sie sich diese Frage ersparen können. Ich wollte nämlich gleichzeitig für meine Kollegen des Haushaltsausschusses und mich erklären, daß wir trotz dieser Feststellung, von der ich aber meine, daß wir sie eigentlich alle begrüßen sollten - ich habe bewußt gesagt: der Herr Bundesfinanzminister ist als erster angesprochen, er kann Abhilfe leisten, und er wird es hoffentlich
) auch tun -, bereit und bemüht sind - ich spreche es jetzt für den Haushaltsausschuß insgesamt aus, weil wir es dort behandelt haben -, die anstehenden Haushaltsberatungen noch vor der Sommerpause abzuschließen. Aber wir weisen mit aller Entschiedenheit auch darauf hin, daß das bisher geübte Verfahren der so späten Einbringung, bei der man dann noch genötigt ist, schnell zu entscheiden, in Zukunft abgeschafft werden muß. Es wäre gut, wenn das ganze Haus diesen Wunsch unterstreichen würde.
({0})
Vizpräsident Frau Funcke: Das Wort hat Herr Abgeordneter von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während Franz Josef Strauß den großen Rammangriff gegen die Regierung zu führen versuchte, überreichte Herr Leicht den Strauß kleiner finanzpolitischer Gänseblümchen, darunter einige größere, allerdings bereits welke Blumen.
({0})
Ich darf zu den einzelnen Vorwürfen, die hier in Hülle und Fülle vorgetragen worden sind, kurz Stellung nehmen.
Sie haben der Regierung vorgeworfen, sie würde ständig höhere Steuern erheben und den kleinen Mann zur Ader lassen.
({1}) Sie sind nicht darauf eingegangen, daß die Steuerlastquote bereits seit Jahren im Absinken begriffen ist und mit den jetzt getroffenen Maßnahmen in etwa wieder den Stand von vor 1969 erreicht.
({2})
Genauso ist es.
({3})
- Dann kommen Sie doch bitte hier vor und fangen Sie an, sachlich zu argumentieren. - Genau die Steuerlastquote ist der Maßstab, mit dem wir messen. Das ist die Meßlatte, mit der wir die Gesamtbelastung der Volkswirtschaft durch Steuern zu messen haben.
Dann sind Sie auf den Haushalt 1971 zurückgegangen und haben gesagt: Die armen Länder sind die großen Opfer bundespolitischer Reformmaßnahmen geworden. Als ob im Jahre 1971 irgendein Lehrer seine Stellung etwa der Bildungsreform des Bundes zu verdanken gehabt hätte! Das sind doch alles alte finanzpolitsiche Planungen der Länder und deswegen von den Ländern mitzuverantworten. Sie können also nicht den Zusammenhang zwischen der Reformpolitik des Bundes und den Personalkosten der Länder hier anführen.
({4})
- Ja, das ist ein schöner pfälzischer Ausdruck, „mein lieber Mann". Das sagt man immer in der Pfalz. Aber das ist kein Argument.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Wenn mir das nicht von der Redezeit abgezogen wird, gern.
Bitte.
Haben Sie mich nicht richtig verstanden, Herr Kollege von Bülow, daß ich darauf hingewiesen habe, daß die Wucht der Personalausgaben bei den Ländern eben bedeutend größer ist, genauso wie im Bereich der Investitionen, und daß das Davonlaufen auf der einen Seite der Preise und auf der anderen Seite der Personalausgaben bei Ländern und Gemeinden natürlich mehr zu Buche schlägt und zu Buche schlagen muß als beim Bund, oder wollen Sie das nicht verstehen?
Sehen Sie, Herr Leicht, das ist eine sachliche Einlassung, über die man durchaus reden kann.
({0})
Aber das, was Sie vorhin gesagt haben, klang anders: „Die Versprechungen dieser unsoliden Bundesregierung haben dazu geführt, daß in den PersonalDr. von Bülow
haushalten soundso viel mehr Ausgaben zu verzeichnen sind"; genau das haben Sie gesagt.
({1})
- Natürlich habe ich genau zugehört; sonst hätte ich mir nicht die entsprechenden Notizen gemacht.
({2})
- Herr Leicht, regen Sie sich doch nicht so auf. Im Haushaltsausschuß haben wir eine hervorragende Atmosphäre. Hier geht es Ihnen von der Fraktion der CDU/CSU immer darum, nachzuweisen, daß Sie gut polemisieren können. Aber wir wollen hier bei den Sachproblemen bleiben, und die möchte ich mit Ihnen zusammen erörtern.
({3})
Sie haben gesagt, der Jahresabschluß 1972 sei unsolide gewesen; er habe 12 % erreicht. Dabei haben Sie verschwiegen, daß die Bundesbahn nach Absprache mit der Opposition einen Zuschuß in Höhe von 1,7 Milliarden DM bekommen hat.
({4})
- Herr Leicht, kommen Sie bitte hier herauf und halten Sie eine zweite Rede. Aber ich bin jetzt nicht bereit, diese Fragen in einem Dialog mit Ihnen zu erörtern. Dann hätten Sie sich in Ihrer Rede anders fassen müssen.
({5})
Dann sind Sie auf die 120 Milliarden DM zu sprechen gekommen. Diese Begrenzung des Haushaltsvolumens auf 120 Milliarden DM liegt Ihnen offensichtlich schwer im Magen. Sonst könnten Sie hier nicht argumentieren, das sei sozusagen nur eine Folge des Wahlkampfes gewesen; denn Sie haben den inflationär aufgeblähten Haushalt, den Sie heute so gern bekämpft hätten, den Punchingball, den Sie gebraucht haben, hier nicht vorgefunden. Ich finde, es ist eine großartige Leistung des Finanzministers und des ganzen Kabinetts, den Haushaltsanstieg in diesem Jahr, wo wir natürlich mit Preissteigerungen zu kämpfen haben, auf deren Ursachen Sie hier nicht eingehen wollen, auf 9,2 % und die Schuldenaufnahme in diesem Jahr auf 3,8 Milliarden DM zu begrenzen, und das bei einem Bruttosozialprodukt von sage und schreibe 900 Milliarden DM; das ist wiederum die Bezugsgröße, zu der nach meiner Ansicht wie nach der mancher Theoretiker die Verschuldungsquote des Bundes in Beziehung zu setzen ist.
Sie haben über die zeitliche Verzögerung der Einbringung des Haushalts 1973 gejammert. Als ob das in früheren Jahren nicht üblich gewesen ist, daß man im Jahre einer Bundestagswahl eine Regierungsbildung abgewartet und diese neue Regierung dann den Haushaltsplan vorgelegt hat! Als ob man das früher nicht hätte beobachten können!
Dann haben Sie davon geredet, daß es sich nur um konjunkturbedingte Mehreinnahmen handle, mit denen in der Finanzkasse gerechnet werden könne. Natürlich hängt das mit der Konjunktur zusammen. Es hängt mit der Beschäftigung zusammen. Wenn wir abwarten, was der Finanzplanungsrat im Endeffekt zu der ganzen Frage sagt, werden wir feststellen, daß wir z. B. eine höhere Beschäftigungsquote haben, als ursprünglich angesetzt war, und dementsprechend wahrscheinlich auch höhere Einnahmen.
Zu den 2 000 Stellen, Herr Leicht: Wir müssen es abwarten. Wir kennen Ihre Äußerungen im letzten Jahr zu der globalen Minderausgabe von über 1 Milliarde DM. Sie haben uns gesagt: Das werden Sie nie erreichen. Wir haben es tatsächlich erreicht. Hinsichtlich der 2 000 Stellen bin ich in gewissem Umfang so skeptisch wie Sie, aber ich nehme an, daß wir auch das erreichen werden.
Zu den 5 % Zuwendungsempfängern teile ich Ihre Meinung, daß es Aufgabe der Regierung wäre, das zu verteilen und nicht dem Parlament zu überlassen.
Dann haben Sie wieder gesagt: Verschuldungsquote nur deshalb so gering, mit 3,8 Milliarden DM - immerhin wird das anerkannt -, weil man mit inflationsbedingten Mehreinnahmen zu rechnen hat. Wenn Sie aber die Argumentation voll zu Ende führen wollen, müssen Sie auf der anderen Seite die inflationsbedingten Mehrausgaben in Rechnung stellen; sonst wird kein Schuh daraus.
({6})
Bei der Datenverarbeitung ist der Haushaltspolitiker mit Ihnen durchgegangen. Die unkoordinierte Einführung der Datenverarbeitung war in den letzten Jahren eine Crux. Das hat man erkannt, und deshalb hat man eine Koordinierungsstelle beim Innenministerium für die Einführung aller neuen Datenverarbeitungen installiert. Wenn Sie die letzten Sitzungen des Rechnungsprüfungsausschusses mitgemacht hätten - die haben Sie leider versäumt ({7})
und die Ausführungen der Vertreter der Ressorts gehört hätten, hätten Sie festgestellt, daß auch da die Dinge den Weg der Besserung gehen.
Dann haben Sie die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft beklagt. 20 % würden ausgewiesen, in Wirklichkeit seien es jedoch nur 10 %. Sie haben nicht in Rechnung gestellt, daß das Bundesausbildungsförderungsgesetz jetzt Bestandteil dieses Haushalts ist. Der allgemeine Haushalt Bildung steigt um 20 %, wenn man die Ausgaben für das Ausbildungsförderungsgesetz abzieht.
({8})
Dann haben Sie über die „Verteilerdemokratie" lamentiert. Das ist eine Gefahr, in der sich jede Demokratie, insbesondere jedoch die heutige Opposition befindet, wie wir ständig feststellen können, die uns Ausgaben in Höhe von Hunderten von Millionen DM aufzudrücken versucht. Aber das beste
Beispiel einer Pleite gegangenen Verteilerdemokratie haben wir unter der Kanzlerschaft Ludwig Erhards gehabt. Da war 1965 der Wahlkampf mit den Geschenken der „Verteilerdemokratie" gewonnen worden. 1966 mußten dann die entsprechenden Positionen in Milliardenhöhe mit dicken Gesetzgebungswerken wieder eingesammelt werden.
({9})
Nach der Wahl brauchte man sich ja dann nicht mehr darum zu kümmern, was die Betroffenen, z. B. die Landwirte, dazu zu sagen hatten. Aber die Quittung haben Sie 1969 und in den folgenden Jahren bekommen.
Die Investitionsquote sinkt. Diese Besorgnis teile ich mit Ihnen. Sie sinkt um 1 bis 1,5 %. Ich glaube, daß wir es hier mit der konsequenten Folge der Theorie zu tun haben, wonach der Staatshaushalt der große Bremsklotz an dem Schwungrad der gesamten Volkswirtschaft mit einer geschätzten Wertschöpfung von 900 Milliarden DM jährlich zu sein habe. Diese Bremswirkung kann auf die Dauer natürlich nicht funktionieren. Ich glaube, wir müssen zu einer Verstetigung der Staatsausgaben kommen und von dieser Theorie wegkommen, die in der Praxis nicht funktioniert.
Ihr ganzes Gerede seit 1969, im Wahlkampf, vor dem Wahlkampf, war nur - wir können es bald nicht mehr hören -: Inflation, Inflation, Staatsbankrott. Wir finden keinen Blick der Opposition über die Grenzen, keine Würdigung, daß mit der Begrenzung des Ausgabenanstiegs ein Beitrag zur Stabilisierung geleistet worden ist, daß die Begrenzung der Nettokreditaufnahme von 3,8 Milliarden DM ebenfalls eine großartige Leistung ist und daß die Stillegung der mit Sicherheit zu erwartenden Steuermehreinnahmen ebenfalls zu einer Reduzierung des Kreditbedarfs des Bundes führen wird. Das Ergebnis all dieser Bemühungen seit 1969, so miserabel die Preissteigerungsquote auch ist, ist, daß wir als Bundesrepublik immer noch im unteren Feld der europäischen Länder mit der Preissteigerung liegen. Sie müssen die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß wir bei den Importpreisen vom Februar letzten Jahres zum Februar dieses Jahres eine Preissteigerung von sage und schreibe 12,2 % zu verzeichnen haben. So ist die Situation draußen in der Welt. Da sind also internationale Faktoren am Werk. Betreiben Sie als Opposition nicht immer diese nationale Nabelschau, und versuchen Sie nicht, das dieser Regierung in die Schuhe zu schieben. Wir könnten weiß Gott ein sachlicheres und fruchtbareres Gespräch miteinander führen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Leicht ist in seiner Rede, in der Darstellung des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung von einem möglichen Idealbild ausgegangen, das nach Lage der Dinge niemand zu verwirklichen vermag. Zu Beginn seiner Ausführungen hat er davon gesprochen, für die Opposition sei die Stunde der Alternative heute nicht gegeben. Ich glaube, daß die Opposition darüber sehr froh ist, und zwar deshalb, weil sie genau weiß, daß der Haushalt eben nach der Lage der Dinge - so wie sie sich in den Zwängen von außen und innen darstellen - nicht wesentlich anders zu realisieren ist, als die Bundesregierung das mit der Vorlage sowohl des Haushalts als auch der mittelfristigen Finanzplanung getan hat.
Es gibt ja nur wenige Punkte, bei denen man bei der Opposition eine Alternative sehen kann. Wenn ich die Unterlagen richtig durchgelesen habe, hat Herr Narjes einen Gegenvorschlag zu den angeblichen Steuererhöhungen gemacht - das ist wohl im Zusammenhang mit dem Stabilitätspaket zu sehen -, die die Bundesregierung vornimmt. Nach diesem Vorschlag soll die Mineralölsteuer wegfallen. An Stelle dessen soll ein Konjunkturzuschlag erhoben werden. Dabei muß ich die Frage erheben, ob der Zinsentgang bei dem Konjunkturzuschlag nicht höher ist als das, was der einzelne Autofahrer auf der anderen Seite hier im Schnitt an Steuermehrleistungen an den Staat zu erbringen hat.
Wenn ich draußen im Lande herumhöre und verfolge, was zu dem Stabilitätspaket gesagt wird: Ich habe kürzlich in einem Artikel gelesen, die Entscheidung der Bundesregierung sei mittelstandsfeindlich. Das hat sich insbesondere auf die Stabilitätsabgabe bezogen. Ich habe daraus geschlossen, daß der Mittelstand für die Opposition bei Einkommen eines einzelnen von 100 000 DM und bei Ehegatten von 200 000 DM beginnt.
Herr Kollege Gallus, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön!
von Bockelberg ({0}) : Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß die Stabilitätsabgabe bei der Körperschaftsteuer bereits bei Gewinnen unter 100 000 DM erhoben werden soll?
({1})
Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege. Aber auch dort sind die Dinge bei weitem nicht so drastisch, wie sie von Ihren Kollegen draußen dargestellt werden. Wenn man etwas so pauschal behauptet, muß man auf jeden Fall auch die Möglichkeit haben, zu sagen, daß die Dinge hier wohl einseitig gesehen werden.
Was die düsteren Voraussagen hinsichtlich der allgemeinen wirtschaftlichen Situation angeht, so glaube ich, hat Herr Kollege Leicht dem, was Herr Kollege Strauß zum besten gegeben hat, nicht nachgestanden; nur in der Unterschiedlichkeit des Temperaments. Ich glaube, das muß man in diesem Zusammenhang einmal erwähnen.
Ich gehöre bestimmt nicht zu denjenigen, die den Haushalt mehr loben wollen, als das möglich ist.
({0})
Aber ich sage: Er verdient das Prädikat gut. Wenn Sie einmal zurückblicken in die Zeit, in der Sie selber Verantwortung getragen haben, meine Damen und Herren von der Opposition, müssen Sie doch alles das bestätigen, was Sie jetzt bezweifeln. Mißtrauen gegen Zahlenwerk, die Tatsache, daß mehr Steuern hereinkommen: Ja, soll die Bundesregierung denn diese Seuermehreinnahmen eventuell eliminieren? Ich bin der Meinung, was die Bundesregierung tut, kommt der Entwicklung entgegen.
Sie rügen darüber hinaus die Tatsache, daß die Bundesregierung versucht, 2 000 Stellen einzusparen. Natürlich muß der Haushaltsausschuß die Dinge sehr hart angehen, wenn man tatsächlich die Einsparung von 2 000 Stellen erreichen will. Aber, Herr Kollege Leicht, ich glaube, ein Anfang kann das sein. Ein Anfang ist gemacht worden. Dies gilt wohl auch für die Schattenhaushalte. Ich bin der Auffassung, man sollte sich gegenseitig, Opposition und Regierungsparteien, darauf einigen, diese Dinge zu bereinigen; denn da bin ich mit Ihnen einig. Nur sind hier keine Sünden dieser Regierung zu bereinigen, sondern das geht viel weiter zurück. Diese Dinge sind viel früher angelaufen.
({1})
Stellen Sie sich vor, Herr Kollege Leicht, Sie hätten hier die Verantwortung und es würde Ihnen jemand von der Opposition vorwerfen, daß die Finanzleute mit Tricks arbeiteten. Das gilt doch wohl für alle Finanzleute, wenn Sie so wollen, auf der ganzen Welt, auch für die Finanzleute der Länder, einschließlich der Gemeinden. Da nehme ich allerdings die Finanzleute des Bundes nicht aus.
({2})
Da nehme ich niemanden aus.
({3})
- Nein, auch nicht die Landwirte. Insgesamt gesehen können wir wohl die Auffassung vertreten, daß dieser Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung eine sinkende Investitionsquote aufzuweisen haben. Aber gerade diese Tatsache - ich glaube, dazu sollten wir uns auch einmal bekennen - wird nicht von heute auf morgen aus der Welt geschaffen werden können.
Dann sprechen Sie hier davon, daß dieser Haushalt gewisse Risiken beinhaltet. Bisher ist wohl noch nie ein Haushalt vorgelegt worden, bei dem man zu Beginn des Jahres nicht mit Risiken hinsichtlich seiner Verwirklichung im Laufe des Jahres rechnen mußte.
({4})
- Herr Kollege Leicht, es ist in den letzten Jahren
noch nie so düster geworden, wie Sie und der Herr
Kollege Strauß das jeweils zu Beginn eines Jahres vorausgesagt haben.
({5})
Diese Hoffnung haben wir als Regierungsparteien. Es wird nach unserer Auffassung auch in diesem Jahr gutgehen. Andererseits sagen Sie: Natürlich müssen die Gemeinden mehr bekommen, und natürlich steht jedem Arbeiter entsprechend der Inflationsrate noch mehr Lohn zu. Da muß ich Sie fragen: Wo soll man denn eigentlich beginnen, die Dinge in die richtige Richtung zu bringen?
({6})
Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung mit der Vorlage des Stabilitätspakets genau den richtigen Weg beschritten hat. Die Opposition wäre gut beraten, wenn sie ihrerseits dort, wo sie Einfluß hat, die Dinge bei den Länderministern auch einmal ins rechte Licht rücken würde.
({7})
- Herr Dr. Jenninger, die Entscheidung, eine Stabilitätsabgabe zu erheben - so fair sollten wir sein, Herr Narjes hat das wenigstens in seinen Ausführungen bekräftigt -, ist im Endeffekt richtig,
({8})
und diese Gelder werden stillgelegt. Nur habe ich hier bis jetzt vermißt, daß das auch von Ihren Sprechern gebührend zum Ausdruck gekommen ist.
Damit würde auch das wohl entfallen, was Sie, Herr Kollege Leicht, hier gesagt haben, diese Entscheidung des Stabilitätspaketes - das war sicherlich gemeint - sei einseitig den Bürgern aufgebürdet worden.
({9})
Ich glaube, daß diese Entscheidung angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Situation von hoher Verantwortung getragen war.
Wenn ich das alles gegeneinander abwäge, so komme ich zu der Auffassung, daß dieser Haushalt tatsächlich nach den gegebenen Umständen ein Haushalt der Vernunft ist. Ich bin der Meinung, daß sowohl der Haushalt dieses Jahres als auch die mittelfristige Finanzplanung die Note „gut" verdienen.
({10})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat nicht erwartet, von der Opposition hier heute zu hören, daß dies einer der vernünftigsten Haushalte sei, die in den letzten Jahren eingebracht wur1256
den. Wir hatten aber erwartet, daß dieser Haushalt zumindest eine sachliche Würdigung finden würde und daß man hinsichtlich der Kritik auch Gegenvorstellungen entwickeln könnte, wie man dies oder jenes anders machen könnte.
Ich erinnere mich, in meiner zwanzigjährigen Tätigkeit als Parlamentarier in diesem Hohen Hause als Vertreter der Opposition Haushaltsreden gehalten und von der Regierung gehört zu haben: das sei zwar eine Alternative, man könne sie aber nicht akzeptieren. Das hieß aber immerhin: wir hatten Alternativen entwickelt. Sie aber haben hier bis zur Stunde keine Alternative.
Herr Kollege Strauß ist nicht mehr hier; das tut mir leid. Ich habe fast den Eindruck, wir könnten hier tun, was wir wollen: die Erklärung ist, bevor wir etwas gesagt haben, schon fertig, nämlich daß man das ablehnen muß. Kollege Strauß kommt mir vor wie ein Mann, der vor dem Spiegel steht, sich rasiert und sich dabei schneidet und dann sagt: Dies wäre mir unter einer christlich-demokratisch geführten Bundesregierung nicht passiert. Das ist so ungefähr die Haltung, die er hier an den Tag gelegt hat.
({0})
- Nicht nur die Länge, sondern auch die Breite des Gesichtes kann dazu veranlassen, sich zu schneiden. Das will ich hier aber nicht weiter erörtern.
Ich möchte nun zunächst auf einige rein sachliche Vorwürfe, die hier erhoben worden sind, kommen, welche bisher von den Kollegen der Koalitionsfraktionen noch nicht oder nur zum Teil behandelt worden sind.
Erster Punkt: Dieser Haushalt sei zu spät eingebracht worden, wie überhaupt die Haushalte in den letzten zwei Jahren zu spät eingebracht worden seien. Herr Kollege Leicht, dem ist nicht so. Der Haushalt 1972 wurde im Oktober 1971 eingebracht. Wir haben dann auf Grund der Situation hier im Parlament - und nicht zuletzt Ihre Fraktion war mit daran schuld - fast ein Jahr lang Haushaltsberatungen gemacht. Dieser Haushalt ist später eingebracht worden. Aber, Herr Kollege Leicht, nennen Sie mir einen Haushalt beim Wechsel der Legislaturperioden, der früher eingebracht worden ist! Jede Regierung - auch wenn es dieselbe blieb - hat sich vorbehalten, nach den Wahlen erst noch einmal über den Haushalt zu reden.
Sie haben gesagt, wir hätten im September den Haushalt gemacht. Damals im September aber, als wir die 120,4 Milliarden DM festgeschrieben haben, ist von Ihrer Seite behauptet worden: Das haben Sie rasch vor den Wahlen erledigt; daran werden Sie sich nach den Wahlen nicht mehr halten! Jetzt, nachdem wir diesen Haushalt vier Monate später genau in der Größenordnung, die damals von Ihnen bezweifelt worden ist, wiederum vorlegen, sagen Sie: Ihr habt aber eine Menge Schwierigkeiten in den Ressorts gehabt. Verehrter Kollege Leicht, ich möchte eine Bundesregierung in den letzten zwanzig Jahren sehen, die bei der Aufstellung des Haushalts keine Schwierigkeiten mit den Ressorts hatte. Soll ich Bundeskanzler Adenauer zitieren, der uns hier immer wieder vorgeführt hat, wie hoch die Anforderungen der Ressorts sind und was man demgegenüber tun kann? Das ist das Normalste im Leben eines Finanzministers, daß die Ressortanforderungen anders sind als die Möglichkeit, sie auf Grund der Finanzdecke zu bedienen.
({1})
- Entschuldigung, Herr Leicht hat doch gesagt: vor lauter Schwierigkeiten. Bitte schön, wir haben die Schwierigkeiten gehabt, wir hatten inzwischen sogar Mehrforderungen in Höhe von 600 Millionen DM, die sich aus Gesetzen ergeben, wir haben deshalb noch gekürzt und sind bei derselben Höhe geblieben, wie wir sie damals im September beschlossen hatten.
Jetzt ist hier von allen Seiten, sowohl von Herrn Strauß als auch von Herrn Leicht, teilweise sogar von den Kollegen der Koalitionsfraktionen, die sinkende Investitionsrate kritisiert worden. Nun muß ich sagen: Ich bestreite nicht, daß die Investitionsrate gesunken ist.
({2})
- Ich freue mich sehr. - Aber ich muß auch hinzufügen: Wenn sie gesunken ist, so möchte ich den Parlamentarier - gleich welcher Fraktion - hier kennenlernen, der aufsteht und sagt: Ich habe das nicht miterzwungen. Oder haben Sie nicht immer die Bundesregierung aufgefordert, sie müsse den Haushalt kürzen? Und wenn er dann gekürzt worden ist, beklagen Sie, daß dieses oder jenes gestrichen worden ist.
Im übrigen sage ich Ihnen folgendes: Ich halte es prinzipiell für falsch, die öffentlichen Ausgaben sozusagen in gute und schlechte auseinanderdividieren zu wollen, sie etwa in investive oder konsumtive Ausgaben aufzuteilen und gleichzeitig zu sagen, die konsumtiven Ausgaben seien überflüssig oder schlecht. Die Philosophie, daß sozusagen nur die Sachinvestitionen den Fortschritt bedeuten, ist völlig falsch. Der Glaube, allein Stein und Beton seien die Investitionen für das Jahrhundert, ist völlig falsch, denn wenn Sie Straßen bauen, aber keine Menschen haben, die diese Straßen unterhalten, oder wenn Sie Schulen bauen, dazu aber keine Lehrer haben, nützen Ihnen die ganzen Sachinvestitionen nichts. Das heißt also, Sie müssen auch die Nachfolgekosten - seien es die Lehrer oder die für etwas anderes - finanzieren. Oder wenn Sie etwa den Sozialhaushalt in der heutigen Größenordnung haben, können Sie doch nicht sagen, das seien schlechte Ausgaben. Oder wollen Sie auf Kosten des Sozialhaushalts mehr Sachinvestitionen haben? Dies müssen Sie dann deutlich sagen; dann können wir uns darüber unterhalten. Aber ich halte einfach nichts davon, sich hier nur an den Sachinvestitionen festzuhalten und Investitionen auf sozialem oder
anderem Sektor dann als schlechte Ausgaben zu bezeichnen.
({3})
Dies ist meiner Ansicht nach auf die Dauer nicht möglich.
Beim nächsten Punkt, der von Herrn Leicht hier angesprochen worden ist, möchte ich doch einmal ein wenig näher hören, was gemeint ist. Er sagte, der Staatsverbrauch sei verschwenderisch. Nun müssen Sie, Herr Kollege Leicht, einmal genau definieren, was Sie mit diesem Staatsverbrauch meinen, in welchen Teilen also der auf dem Tisch liegende Haushalt sozusagen verschwenderisch ist. Ich habe in den vielen Jahren im Haushaltsausschuß und auch jetzt als Parlamentarischer Staatssekretär im Haushaltsausschuß von der Opposition noch nie gehört, eine bestimmte Ausgabe sei verschwenderisch und müsse deshalb gestrichen werden. Wenn man solche Ausdrücke, die ja eine gewisse Verunglimpfung bedeuten, in die Welt setzt, muß man Roß und Reiter nennen und kann sich nicht nur in Verallgemeinerungen verbreiten.
({4})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch unserer Auffassung, daß beispielsweise die Entwicklung der Personalkosten in den letzten Jahren diese Ausgaben haben seit 1963 um 150 % zugenommen und seit 1969, seit wir diese sozialliberale Regierung haben, um über 40 %
- besorgniserregend ist?
Verzeihung, ich weiß jetzt nicht, ob Sie das auf die Höhe der Kosten beziehen oder auf den Stellenzuwachs.
({0})
- Wenn Sie es auf den Stellenzuwachs beziehen, stimmt diese Prozentzahl nicht. Wenn Sie es auf die Kosten - einschließlich Stellenzuwachs - beziehen, dann kann die Zahl stimmen. Nur können Sie in diesem Punkte das Wort „verschwenderisch" nicht anwenden und schon gar nicht die Wendung „verschwenderischer Staatsverbrauch".
({1})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Im Jahre 1972 hatte die Bundesregierung Stellenanforderungen in Höhe von 11 000, einschließlich Soldaten. Die Bundesregierung hat den Haushalt überrollt. Wir haben damals etwas mehr als 400 Stellen beschlossen. Wir hatten in diesem Haushalt - man muß sich das einmal vorstellen, damals hatten wir 11 000 Stellenanforderungen, und die sind nicht bewilligt worden.
Und nun haben wir noch gesagt, wir sparen noch 2000 Stellen ein.
Dies ist nicht einfach, Herr Leicht. Sie wissen genau, daß wir keine Beamten entlassen können. Aber Sie wissen auch, daß soundso viele Stellen frei werden und daß man die nicht wieder zu besetzen braucht. Sie wissen auch, daß über § 15 des Haushaltsgesetzes nachgeschoben werden muß, und wenn Sie eine Botschaft in Peking oder sonstwo einrichten, können Sie nicht die Leute irgendwoher nehmen, sondern Sie müssen neue Stellen schaffen. Das Ganze muß in einen Zusammenhang gebracht werden.
({2})
Und ich kann nur hoffen und wünschen, daß die Haltung, die die Bundesregierung gegenüber den Stellen gehabt hat, auch vom Haushaltsausschuß gebilligt wird, daß also nicht zusätzliche Stellen durch den Haushaltsausschuß beschlossen werden.
({3})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte!
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß Ihre Behauptung, der Haushalt 1972 sei überrollt worden, nicht zutreffend ist, weil trotz der Ankündigung, daß für 1972 nur 488 Stellen genehmigt werden sollten, eben in diesem Jahre 1972 - und zum Teil noch rückwirkend für 1971 - über 700 Stellen im Wege der Nachschiebelisten genehmigt worden sind?
({0})
Herr Kollege, ich muß sagen, damit haben Sie mein Argument überhaupt nicht widerlegt. Wenn ich 11 000 Stellenanforderungen gehabt habe und dann einmal 400 und einmal 700 Stellen nachgeschoben worden sind, so halte ich das trotzdem noch für eine Überrollung des Haushalts; denn zwischen 11 000 und 700 Stellenanforderungen besteht ein wesentlicher Unterschied.
Der zweite Punkt ist bereits durch einen Zwischenruf des Kollegen Schäfer klargestellt worden. Sie wissen ganz genau, gerade in Ihrer damaligen Eigenschaft als Berichterstatter im Innenausschuß, wieviel Stellen wir für die innere Sicherheit im Einvernehmen mit der Opposition und dem ganzen Haus ausbringen mußten und bewußt ausgebracht haben.
(Beifall bei der SPD. - Abg. Matthöfer:
Ist das Verschwendung?! - Abg. Dr.
Schäfer({0})
Ich habe bis zur Stunde in puncto Verschwendung noch keine brauchbare Erklärung gehört. Ich nehme an, daß es ein Lapsus war, der dem Kollegen Leicht unterlaufen ist, und den er nicht wiederholen, sondern zurücknehmen wird.
Ich möchte jetzt noch ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Strauß machen. Herr Kollege Strauß, Sie haben sich als die Zweieinhalb-Milliarden-Stundung bei der Sozialversicherung zur Diskussion stand und Herr Katzer an dieser Stelle einen Zwischenruf machte, dagegen verwahrt und gesagt: Dies könnt ihr nun nicht; damals wart ihn in der Regierung.
Dazu möchte ich Ihnen sagen, Herr Kollege Strauß, daß Sie ganz genau wissen, daß sich der Herr Kollege Katzer in dieser Regierung überhaupt nur mit sozialdemokratischer Unterstützung hat behaupten können. Wenn er diese Unterstützung nicht gehabt hätte, hätte die Sozialpolitik des Kollegen Katzer ganz anders ausgesehen.
({1})
Weiter, Herr Kollege Strauß, wissen Sie auch,
({2})
daß Sie uns damals, als wir in der Krise, in der Rezession, in die Regierung kamen, eine Reihe von Maßnahmen, Kürzungen sozialpolitischer Art, vorgeschlagen haben, die wir als Sozialdemokraten nicht voll akzeptiert haben, woraufhin Sie von Ihren ursprünglichen Vorstellungen abgegangen sind.
({3})
Wir sind Ihnen dann gefolgt; das ist richtig.
Aber ich erinnere auch daran - und deshalb ist diese Behauptung des Kollegen Schmidt durchaus richtig gewesen, daß bei Katzer gestrichen worden ist -, daß damals, zur Zeit von Herrn Katzer, als wir nur einen Rentnerkrankenkassenbeitrag von 2 %, einführen wollten, Sie für einen solchen von 4 % waren. Auch damals haben wir bereits gesagt, daß wir das, wenn wir in der Lage dazu sein würden, abschaffen würden. Wir haben es nicht nur abgeschafft, sondern wir haben das zurückgezahlt. Dies ist der Unterschied in der sozialpolitischen Vorstellung zwischen Sozialdemokraten und CDU.
({4})
Weiter haben Sie hier heute gesagt, wir hätten alles viel früher machen müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Bitte sehr!
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Hermsdorf,
({0})
- wenn dem so wäre, würde ich nicht fragen ({1})
daß alle damals ergriffenen Maßnahmen auf einstimmige Kabinettsbeschlüsse der Regierung Kiesinger/Brandt zurückgehen?
({2})
Ist Ihnen ferner bekannt, daß mehrere der sozialpolitischen Kürzungsmaßnahmen, die ergriffen worden sind, oder solcher, die nicht ergriffen worden sind, auch von sozialdemokratischer Seite stammten?
Teilen Sie nicht mein Urteil, daß es bei einer gemeinsamen Koalition und einstimmigen Kabinettsbeschlüssen, gelinde gesagt, ein Unfug ist, hernach die Last solcher Entscheidungen einem Partner allein auferlegen wollen?
({3})
Ich kann diese Einlassung, die Sie jetzt vorgenommen haben, nicht teilen.
({0})
Ich habe nur zum Teil an Koalitionsverhandlungen zur Bildung der Großen Koalition teilgenommen. Doch bei den Verhandlungen, in denen es um Sozialpolitik und um Finanzpolitik ging, soweit sie damals überhaupt zur Diskussion stand, war ich anwesend. In diesem Zusammenhang muß ich Ihnen ganz offen sagen - das können Sie nicht bestreiten -, daß Ihre Forderungen hinsichtlich der Streichung von Mitteln für sozialpolitische Leistungen so weit gingen, daß wir als Sozialdemokraten nicht mitmachen konnten und daß wir diese Forderung wesentlich heruntergedrückt haben, ehe wir in die Regierung eingetreten sind; das ist der Tatbestand, an dem sie nicht vorbeikönnen.
({1})
- Vor der Bildung der Regierung ging es z. B. darum, daß Sie den Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner auf 4 % festgesetzt haben wollten, wir aber diesen Satz auf 2 % herabgehandelt haben.
({2})
Weitere damalige Forderungen Ihrerseits habe ich ich im Augenblick nicht in Erinnerung. Doch wenn ich einmal in Ruhe darüber nachdenken könnte, könnte ich Ihnen sicherlich noch weitere nennen.
({3})
Herr Abgeordneter Hermsdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Offergeld?
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, wären Sie so freundlich, den Herrn Kollegen Strauß einmal auf die Ursache all dieser Streichungen, die damals erforderlich waren, hinzuweisen?
Ich bin der Auffassung, daß der Kollege Strauß die Ursachen genau kennt, und ich will ihm die Peinlichkeit ersparen, sie hier noch einmal zu nennen. Dies ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist vielmehr, daß Herr Strauß sich dagegen verwahrt hat, daß man hier dem Kollegen Katzer einen Vorwurf macht, und da habe ich mich dahin gehend eingelassen, daß man den Tatbestand der unterschiedlichen Auffassungen in dieser sozialpolitischen Frage sehen muß. Der kann nicht, auch von Ihnen nicht, Herr Kollege Strauß, bestritten werden. - Bitte schön!
Herr Kollege Hermsdorf, wissen Sie denn wirklich nicht, daß diese Vorschläge eines Krankenkassenbeitrags der Rentner doch nicht von mir vor Bildung -
Das habe ich auch gar nicht gesagt. Alles Unheil kann nicht von Ihnen kommen, davon bin ich überzeugt.
({0}) Ich habe nur gesagt - Strauß ({1}) : Darf ich den Satz zu Ende sprechen?
Bitte!
Wissen Sie denn nicht, daß weder dieser Vorschlag noch andere ähnliche Vorschläge vor Bildung der Regierung der Großen Koalition von mir gemacht worden sind, sondern ausschließlich einige Vorschläge zur Steuererhöhung, die wir dann auch gemeinsam durchgeführt haben?
Herr Kollege Strauß, ich habe mich in meiner Rede hier nicht darauf bezogen, daß sie von Ihnen gemacht worden sind. Ich habe gesagt: von der CDU/CSU-Fraktion. Ich habe Sie nur ins Spiel gebracht, weil Sie sich dagegen verwahrt haben. Daß diese Vorschläge sozialpolitischer Art von Ihnen persönlich stammen, habe ich nie behauptet und würde es auch nicht behaupten; das wäre unwahr. Sie sind aber von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Staatssekretär Hermsdorf, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Schäfer?
Ja.
Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte einmal mehr den Herrn Strauß an seinen Artikel erinnern, den er am 30. Juni 1967 im Bonner ,,General-Anzeiger” veröffentlicht hat und wo er als amtierender Finanzminister deutlich gemacht hat, welche Fehler die CDU in ihrer früheren Finanzpolitik gemacht hat.
({0})
Sie lesen uns das ja oft genug selbst vor, denn daß bei uns die Diskussion sozusagen voll im Gange ist, wissen Sie.
Jetzt aber komme ich zu dem Kernsatz, daß der Haushalt sozusagen nicht stabilitätstragend sei. Hier hat Herr Leicht sich sogar bemüht, die Bundesbank zu zitieren und gesagt, die Bundesbank habe sich gegen diesen Bundeshaushalt ausgesprochen. Herr Leicht, das ist inkorrekt.
({0})
Die Bundesbank hat sich nicht gegen diesen Bundeshaushalt ausgesprochen, auch nicht gegen die Kreditaufnahme, sondern sie hat alle öffentlichen Haushalte zusammengenommen, die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Wenn wir hier eine Zuwachsrate von 9,7 oder 10,5 %, gleich, wie Sie rechnen wollen, haben und die Länder haben teilweise 14 bis 15 %, dann bitte ich, doch einmal vor der eigenen Tür zu kehren und Ihren Landesregierungen zu sagen, daß das nun eben wirklich nicht geht.
({1})
Man kann hier nicht immer den Bund verantwortlich machen und darf auch nicht falsch zitieren. Sie müssen hier nachweisen, daß die Bundesbank diesen Haushalt stabilitätspolitisch nicht in Ordnung findet; das hat sie nicht gesagt.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Herr Kollege Hermsdorf, haben Sie in der Betrachtung. die Sie jetzt anstellen, nicht gemerkt, daß ich vom Haushalt 1972 gesprochen habe und nicht vom Haushalt 1973?
({0})
Ich muß offen sagen, dies ist jetzt eine Einlassung, von der ich mich im Protokoll überzeugen will, ob Sie recht haben. Ich bin ziemlich sicher, daß Sie vom Haushalt 1973 gesprochen haben, nicht von 1972. Wenn wir aber schon über den Haushalt 1972 reden, muß ich wirklich sagen, wenn
stabilitätspolitisch jemals in einem Haushalt wirklich etwas unternommen worden ist, dann war es im Haushalt 1972 durch die Herabsetzung der Kreditaufnahme und durch die Streichungen. Sehen Sie sich das Ganze einmal an, was da gemacht worden ist. Das ist geradezu vorbildlich.
Ich will Ihnen sagen, Herr Leicht: der Nachteil ist, daß Sie nichts zur Kenntnis nehmen. Sie machen sich die Welt so, wie Sie sie haben möchten. Wir können hier sagen, was wir wollen, Sie gehen darauf nicht ein, sondern behaupten das Gegenteil: Es muß so sein, weil es die Opposition so will.
({0})
Dieses hat keinen Sinn! Wir sollten hier miteinander reden und diskutieren, und man sollte Vorschläge machen. Man kann über diese und jene Vorschläge reden, es nützt aber überhaupt nichts, nur alles zu verdonnern und keinen einzigen Beitrag zu leisten, wie man es anders machen könnte. Dieser Beitrag ist heute nicht geleistet worden.
Deshalb würde ich Sie bitten: schauen Sie sich diesen Haushalt an, sowohl in seinen Prioritäten als auch in seinem Gesamtvolumen als auch in der Kreditaufnahme. Wenn Sie schon nicht den Mut haben, zu sagen: dieser Haushalt ist ein Haushalt der Vernunft oder der Konsolidierung, so müßten Sie mindestens zugeben, daß das, was hier vorgelegt worden ist, ausgewogen ist und in die Landschaft paßt.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte nicht zu befürchten, daß hier vom selben Hause zwei Reden nacheinander gehalten werden sollen. Nur zu der Kontroverse, die eben stattfand, möchte ich gern etwas beitragen, und ich fühlte mich gehindert, den Parlamentarischen Staatssekretär des Finanzministeriums vom Abgeordnetensitz aus mit einer Zwischenfrage zu behelligen; deshalb spreche ich vom Pult aus.
Herr Kollege Strauß, Sie haben in Ihrer Rede, auf die vielleicht noch zurückzukommen sein wird - vielleicht -, zu der Kontroverse Anlaß gegeben, die im Zusammenhang mit den Kürzungen der damaligen Bundeszuschüsse zu den Rentenversicherungen entstanden ist. Das war 1967. Sie haben diesen Anlaß dadurch gegeben, daß Sie einen Passus aus meiner gestrigen Rede aufgriffen und mir vorwarfen, ich wolle mich von gemeinsamen Beschlüssen der Großen Koalition wegstehlen. Das war Ihr Wortlaut. Davon kann keine Rede sein. Ich stehle mich nicht davon weg, sondern ich habe mich gestern, veranlaßt durch einen Zwischenruf Ihres Kollegen Katzer, zu einigen zusätzlichen Bemerkungen veranlaßt gesehen. Sie haben die Liebenswürdigkeit gehabt, diese völlig verdreht hier wiederzugeben.
Ich darf ausweislich meines gestrigen Sprechzettels in Ihre Erinnerung zurückrufen, was ich gestern gesagt habe. Ich habe gestern über die Zuschüsse des Bundes an die Rentenversicherung in diesem Jahr geredet: 1973 wird ein kleiner Anteil des Bundeszuschusses zinslos gestundet. Um es gleich vorwegzunehmen: keine Rente wird durch diese Regelung um einen einzigen Pfennig geschmälert. Den Versicherungsträgern bleiben allein 1973 Überschüsse von voraussichtlich 6 Milliarden, die nicht für Rentenzahlungen benötigt, sondern in Vermögenswerten angelegt werden. Bei dieser Finanzsituation der Rentenversicherungsträger ist die zeit- liche Streckung eines Teils der Bundeszuschüsse vertretbar.
An dieser Stelle machte Herr Kollege Katzer den Zwischenruf „Unerhört!".
({0})
Außerdem wurde an dieser Stelle der Zwischenruf gemacht - ich hoffe, daß das morgen im Protokoll zu lesen sein wird, wenn es gedruckt sein wird -: „Soziale Demontage der Rentner". Daraufhin habe ich mich veranlaßt gesehen, Herrn Kollegen Katzer zuzurufen, er möge sich bitte selbst in Erinnerung rufen, daß zu der Zeit, als er Arbeitsminister war, Bundeszuschüsse nicht nur etwa gestundet, sondern für mehrere Jahre um insgesamt 4 Milliarden DM gestrichen worden sind.
({1})
- Ja sicherlich. Tun Sie mir mal den Gefallen, den Versuch zu machen, der Aufhellung dieser Kontroverse zu folgen.
Ich habe also gestern diese Bemerkung gemacht auf einen Zwischenruf von Herrn Katzer, der nicht qualifiziert war bei jemandem, der genau wie Sie und wie ich heute vor sechs Jahren an jener Streichung beteiligt war und der es also aus eigener Erfahrung besser wissen muß. Man kann doch heute gegenüber einer Stundung nicht behaupten, das sei soziale Demontage oder das sei unerhört.
({2})
Sie sind heute hergekommen, Herr Strauß, und haben das verdreht dahingehend, als wolle ich weglaufen von etwas, das Sie und viele hier im Saal und ich in einer Notlage gemeinsam beschlossen haben. Dem ist nicht so.
Ich wäre dankbar, wenn Sie das zur Kenntnis nähmen. Auf andere Punkte Ihrer Ausführungen will ich morgen zurückkommen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kreile.
({0})
- Herr Kollege, das liegt selbstverständlich im Ermessen des Hohen Hauses; wenn die Wortmeldungen erschöpft sind, dann werden wir Schluß machen.
({1})
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
- Nein, Herr Kollege, wenn die Wortmeldungen erschöpft sind! An der Zahl der Zuhörer sehen Sie, daß ein gewisser Erschöpfungszustand bereits eingetreten ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kreile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben ein kleines Kolleg oder ein Seminar oder eine Volkshochschulvorlesung über die Vergangenheit erlebt. Ich glaube aber, es geht weniger darum, was einmal während der Zeit der Großen Koalition geschehen ist, es geht auch nicht darum, was nun wirklich jener zu jenem gesagt hat, sondern es geht um den Tagesordnungspunkt, der heute zur Diskussion steht; es geht um die Steuererhöhungsgesetze 1973: das Steueränderungsgesetz 1973 und das Mineralölsteuergesetz 1973.
Wer über Steuererhöhungen heute und zu dieser Stunde spricht, damit darüber hier beschlossen wird, muß sich zunächst einmal Rechenschaft geben, wie sehr sich die steuerpolitische Landschaft und die steuerliche Belastung in den letzten Jahren durch die wachsende Inflation verändert haben. In diesem Jahr werden in die öffentlichen Kassen mindestens 22,6 Milliarden DM mehr Steuern fließen, als ursprünglich von den Steuerschätzern angenommen worden ist.
({0})
- Ja. - Daß sich die Steuerschätzer hier verschätzt haben, liegt nicht an deren mangelnder Kenntnis der volkswirtschaftlichen Entwicklung; dies sind Herren von großer Erfahrung und großem praktischen und wissenschaftlichen Ruf. Aber es liegt an einem durchaus zu begrüßenden Mangel an Phantasie; man konnte sich nämlich, als die Schätzung durchgeführt wurde, nicht vorstellen, daß sich die Inflationsrate so steigern könnte, wie es nunmehr geschehen ist.
Niemand aber darf und niemand wird wahrscheinlich auch verkennen, daß diesen Mehreinnahmen ebenso ein gewaltiger Mehrbedarf der öffentlichen Hände gegenübersteht, der sich ebenfalls aus der Inflation ergibt. Unter diesen Umständen wird es für alle Betroffenen, für die Bundesregierung, die Tarifpartner und die Öffentlichkeit, immer schwerer, den Zusamenhang zu durchschauen und festzustellen, wer nun der eigentliche Verlierer der Inflation ist, der Staat, nämlich die öffentlichen Hände, oder die Bevölkerung.
({1})
- Die Antwort ist natürlich: alle. Aber an dieser Stelle muß auch immer wieder laut und deutlich folgende Antwort in bezug auf einen besonderen Bereich gegeben werden, nämlich: Verlierer der Inflation ist in jedem Fall die große Masse unserer Bevölkerung, ob sie nun durch stagnierende oder abnehmende Staatsleistungen oder durch höhere Steuern oder gar durch beides getroffen wird.
Welche Antwort aber gibt die Bundesregierung? Sie versucht verzweifelt - und dies muß sie auch -, Schritt mit der wachsenden inflationsbedingten Ausgabenflut zu halten. Statt dies aber freimütig zu sagen, redet sie uns - teilweise mit demagogischen Formeln - ein, es gehe darum, einen Gegensatz zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum aufzuheben. Während Steuerfreibeträge und Entlastungen in den unteren Einkommensbereichen jetzt ihre Wirkung verlieren, weil die Bevölkerung durch die Inflation zunehmend in höhere Tarifzonen hineinwächst, wird die Bundesregierung nicht müde, mehr steuerliche Gerechtigkeit für die Bezieher niedriger Einkommen anzukündigen.
Wie verhält es sich aber mit der steuerlichen Gerechtigkeit für die niedrigen Einkommen wirklich? Ein Arbeitnehmer, der z. B. in den Jahren 1968 bis 1972 von der Bruttolohngruppe 12 000 bis 16 000 DM nunmehr in die Bruttolohngruppe 16 000 DM bis 20 000 DM aufgestiegen ist, hat eine Zunahme der durchschnittlichen Lohnsteuerbelastung von 70,4 % zu tragen. Diesen Vorgang darf man in Inflationszeiten nicht etwa mit sozialem Aufstieg verwechseln. Diese Verwechslung nimmt nur das Steuersystem vor, wenn es die Sicherung des Realeinkommens durch höhere Löhne mit einem Einkommenszuwachs echter Art verwechselt und diesen Einkommenszuwachs nach dem höheren Steuersatz besteuert. Wir müssen hier eine Entwicklung bremsen, die dazu führen könnte, daß der Durchschnittsarbeiter schon in rund 20 Jahren bei fortschreitender Inflation dem Einkommenspitzensteuersatz unterliegen würde, ohne daß eine Zunahme des realen Einkommens bei ihm eingetreten ist.
({2})
- Nein, das halte ich nicht für möglich, Herr Kollege, aber ich halte es für notwendig, Sie immer wieder darauf hinzuweisen.
Die Bundesregierung meint nämlich - damit möchte ich Ihren Zwischenruf gleich beantworten -, gerade die Steuererhöhungen nach dem Steueränderungsgesetz 1973 und die Mineralölsteuererhöhung seien ein solcher Bremsvorgang, um den es uns allen doch geht. Es läuft aber etwa darauf hinaus, inflationäre Steuererhöhungen durch zusätzliche gesetzliche Steuererhöhungen beseitigen zu wollen. Dies kann so wenig gelingen, wie es jemals gelungen ist, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben.
Der große Streich dieser Gesetzesvorlagen wird durch einen gewaltigen Griff in die Kasse des sogenannten kleinen Mannes getan. Er nämlich trägt die Hauptlast, wenn Benzin und Dieselkraftstoff um einen Steuerbetrag von 6 °A) pro Liter teurer werden. Wir sollten nicht verkennen, daß sich auch die Erdölländer diesen Vorgang betrachten und zu dem Schluß kommen werden, wenn Benzin und Kraftstoff eine solche Quelle zur Finanzierung des Staatsbedarfs darstellen, dann seien möglicherweise auch die Abgabepreise zu erhöhen. Getroffen wird von beiden in erster Linie doch die arbeitende Bevölkerung, und zwar insbesondere die, die auch von der Kürzung der Investitionszulage in den ohnehin unterprivilegierten dünnbesiedelten Flächenstaaten betroffen wird.
Offenbar haben die Urheber dieses fiskalischen Handstreichs die jüngeren Untersuchungen des Wis1262
senschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium sehr genau gelesen. Dort wird nachgewiesen, daß dem Staat die Finanzierung einer höheren Staatsquote nur dann gelingen kann, wenn das reale Verfügungseinkommen seiner Bürger gemindert wird. Diese Untersuchung wird doch aber nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von den Gewerkschaften gelesen. Diese wissen ganz genau, daß eine Minderung des realen Verfügungseinkommens nur dann eintritt, wenn sie als Gewerkschaften darauf verzichten, zusätzliche steuerliche Belastungen des Arbeitnehmereinkommens durch erhöhte Lohnforderungen zu kompensieren. Dies wird niemand von ihnen erwarten können.
Gerade um diesen Zusammenhang zu verwischen, hat der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede den Versuch der Verniedlichung gemacht, indem er einen idealtypischen Arbeitnehmer erfunden hat, der 10 km von seiner Arbeitsstätte entfernt wohnt und nach der Steuererhöhung durchschnittlich nur 2,15 DM monatlich mehr an Mineralölsteuer für Benzin aufwenden muß. Wie wenig realistisch diese Betrachtungsweise ist, hat dem Herrn Bundesfinanzminister hoffentlich gestern die an dieser Stelle seiner Rede durch das ganze Haus gehende Heiterkeit gezeigt. Er wird mit Bemerkungen dieser Art jedoch nicht das vermeiden, was ihm bevorsteht und was eine ihm durchaus gewogene Tageszeitung als eine hochbrisante Kollision zwischen der Bundesregierung und den Gewerkschaften bezeichnet hat.
({3})
Ist eigentlich - und zwar auf der Grundlage einer jährlichen Inflationsrate von zirka 7 %, die der Bundesfinanzminister gestern als eine optimale Stellung in dem von ihm beschworenen internationalen Geleitzug gefeiert hat
({4})
- schon überdacht worden, welche Auswirkungen die von der SPD im Langzeitprogramm geplante Anhebung der Steuerquote auf 34 % im Jahre 1985 haben wird? Projiziert man dieses Programm auf die Verhältnisse des Jahres 1972 mit einem Bruttosozialprodukt von etwa 820 Milliarden DM zurück, so müßten die Staatsausgaben heute um 85 Milliarden DM höher als geplant sein. Man hat hier zwar gesagt, daß diese projektierten 85 Milliarden DM durch Gebührenerhöhungen, Kreditaufnahmen und Steuererhöhungen finanziert werden sollen; man wird aber doch wohl nicht in der Annahme fehlgehen, daß die Hauptfinanzierungsquelle - dies wird und muß bei einem Staat doch immer der Fall sein - die Steuern sein werden. Eine Finanzierung etwa aus der Einkommen- oder Körperschaftsteuer einschließlich Lohnsteuer würde dann eine Erhöhung dieser Steuern um 280 % bedingen. Das ist ein völlig unmöglicher Vorgang. Andererseits wäre eine Finanzierung aus der Umsatzsteuer nicht ohne eine Verdoppelung des Satzes von 11 % auf 22 % gewährleistet. Auch dieser Weg mag ausscheiden.
Wenn solche Steuern nicht von der Masse der Bevölkerung zu Lasten der realen Verfügungseinkommen erbracht werden, sind sie nur durch Inflation zu. finanzieren. Die hier vorliegenden Gesetzesvorlagen bedeuten aber bereits einen beachtlichen Schritt auf diesen Inflationsweg, denn die neue Steuer - dies hat die Debatte der letzten Wochen doch wirklich jedem klargemacht - wird längerfristig nicht auf eine Minderung der realen Verfügungseinkommen der Arbeitnehmer hinauslaufen, mag sie zunächst auch wohl so gedacht sein. Vielmehr wird sie der Inflation einen neuen und ungeahnten Auftrieb geben. Was das heißt, kann die Bundesregierung in einer Untersuchung der Bundesbank nachlesen. Dort ist nämlich ausgeführt: Die Inflation läßt den Anteil des Staates am realen Sozialprodukt absinken, und zwar um so mehr, je mehr die öffentliche Hand über Steuern und Kredite vom nominellen Sozialprodukt beansprucht. Am Ende ist dann weder Steuergerechtigkeit noch Stabilität, noch öffentlicher Reichtum bewirkt worden, sondern von allem das Gegenteil.
Wir haben schon mehrfach erfahren, daß die Bundesregierung bestimmte Maßnahmen als Gegenteil dessen darstellt, was diese bewirken. Die Mineralölsteuererhöhung wird als Stabilitätsmaßnahme bezeichnet, obwohl von einer Stillegung im Gesetz keine Rede ist. Sie wird zur gleichen Zeit und widerspruchsvoll als Maßnahme zur Bedarfsdeckung
im Einzelhaushalt des Verkehrsministers angepriesen, obwohl uns zunächst die Mitglieder der kleineren Partei dieser Regierungskoalition bis vor kurzem immer wieCer versichert haben, daß Steuererhöhungen für einen Ausgleich des Bundeshaushalts 1973 überflüssig seien. Die Widersprüchlichkeit dieser Steuererhöhungsmaßnahmen wird immer deutlicher. Die Mineralölsteuererhöhung soll also stabilitätsfördernd sein, wo sie in Wirklichkeit gerade das Gegenteil zur Folge hat. Sie soll Einnahmeverbesserung sein, wo in Wirklichkeit die Inflation und damit auf längere Sicht die Haushaltsschwierigkeiten verschärft werden. Diese Steuererhöhungsgesetzentwürfe sind im Grunde genommen nur eines: eine Flucht in Aktivität und Geschäftigkeit um ihrer selbst willen.
Die Verfasser dieses Steuererhöhungsgesetzes unter der falschen Flagge der Stabilität glaubten, die Öffentlichkeit hiervon dadurch ablenken zu können, daß sie als flankierende Maßnahme die sogenannte Stabilitätsabgabe erfunden haben, eine massive Steuererhöhung bei jeder Körperschaft, den großen und den kleinen Körperschaften, den Aktiengesellschaften und den kleinen GmbHs, und bei natürlichen Personen, deren Einkommen eine Spitzenzone erreichen.
Wir wollen durchaus anerkennen, daß man sich hier innerhalb der Regierungskoalition viele Gedanken gemacht hat und wenn das, was man so hört, richtig ist - der mehr der Wirtschafts- als der der Gesellschaftspolitik verhaftete Teil der Koalition einer nach dem Stabilitätsgesetz gestalteten Stabilitätsabgabe oder einem Konjunkturzuschlag den Vorzug gegeben hätte. Hierüber könnte man durchaus reden, insbesondere, daß diese Stabilitätsabgabe auch nicht die sogenannten kleinen Einkommen treffen sollte. Da könnte man bei einer erheblichen Größenordnung anfangen.
Aber worüber wir nicht mit uns reden lassen, ist eine Quasi-Außerkraftsetzung des von diesem Deutschen Bundestag einstimmig gebilligten Stabilitätsgesetzes. Dort sind die Instrumente vorgezeichnet. Es ist unverständlich bzw. nur zu verständlich - aber man will es nicht sagen -, warum man ein bereitgestelltes Instrument nicht handhabt, nur um ein neues, nicht von dem Stabilitätsgesetz gedecktes Instrument zu erfinden, zumal ein Instrument, meine Damen und Herren, das so erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet wie die geplante Ausgestaltung der Stabilitätsabgabe als einer Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes.
Dankenswerterweise hat der ehemalige Bundesfinanzminister Alex Möller bereits am 24. Januar im Bundestag darauf hingewiesen, indem er erklärt hat, er sei der Meinung, daß es verfassungsrechtlich nicht möglich sei, die Ergänzungsabgabe einfach bis ins Unendliche fortlaufen zu lassen und sie auch noch zu erhöhen. Wir sind seiner Meinung. Wenn es aber so ist, dann kann man nicht neben einer fortlaufenden Ergänzungsabgabe eine zweite Ergänzungsabgabe mit dem Namen Stabilitätsabgabe erfinden. Wer wirklich eine Stabilitätsabgabe einführen will, wird solches nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes machen. Der Bundesrat hat dies gefordert. Die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dieser Stellungnahme des Bundesrats erscheint mir reichlich lapidar, wenn gesagt wird, sie habe aus wohlerwogenen Gründen vorgeschlagen, die Stabilitätsabgabe nicht als Zuschlag zur Einkommensteuer, sondern als Ergänzungsabgabe zu erheben. Auf das verfassungsrechtliche Argument aber geht die Bundesregierung überhaupt nicht ein, nämlich auf das Argument, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 9. November 1972 herausgestellt hat: daß der Bund keine Ergänzungsabgabe einführen darf, die wegen ihrer Ausgestaltung, insbesondere wegen ihrer Höhe, die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer aushöhlen würde.
Immerhin haben wir neben der bisherigen 3%igen Ergänzungsabgabe nunmehr eine weitere, wenn auch auf ein Jahr begrenzte 10%ige Erhöhung. Selbst wenn man sie auf zwei Kalenderjahre aufteilt - ich bin ganz sicher, daß dieses Argument kommen wird , bleibt sie immer noch in dem Erhebungszeitraum von einem Jahr eine Erhöhung von 10 %. Der Bund vervierfacht also das Gewicht der bestehenden Ergänzungsabgabe und schöpft damit, und zwar für sich allein, die Steuerkraft der betreffenden Körperschaften und natürlichen Personen in einer Weise aus, die für das normale Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz keinen Spielraum mehr läßt. Mit dieser Maßnahme höhlt der Bund aber die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der Zusammenkompetenz der Länder aus.
Daß diese förderativ-verfassungsrechtlichen Bedenken ernst zu nehmen sind, beweist auch die ungeordnete Art, in welcher das Steueränderungsgesetz 1973 die Stillegung der Stabilitätsabgabe vorsieht. Es ist aus dem Gesetzestext heraus nicht klar, wer die Stillegung aufheben kann, der Bundesfinanzminister allein - etwa durch den mehrfach zitierten Telefonanruf -, die Bundesregierung oder, worauf es durchaus einen Hinweis in der Begründung des Gesetzes gibt - ich gestehe das zu -, der Gesetzgeber. Wo aber fließt bei einer Auflösung der Milliardenbetrag hin? Dies sollte und müßte eine gesetzgebende Körperschaft wissen, bevor sie ein solches Gesetz verabschiedet. Sie darf sich nicht damit begnügen, daß zum geeigneten Zeitpunkt die Bundesregierung vorschlagen will, die stillgelegten Gelder für eine breit gestreute Vermögensbildung einzusetzen. Solche Erklärungen der Bundesregierung ermangeln der Verbindlichkeit. Unverbindliche Erklärungen aber sollten in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren keinen Platz haben.
So entpuppt sich also die angebliche Stabilitätsabgabe als einfache Steuererhöhung. Sie ist der FDP zuliebe, der es nach den Erklärungen von Herrn Dr. Arndt doch immer schwerer fallen muß, immer noch an eine Begrenzung der Abgabe auf Jahresfrist zu glauben, nur anders verpackt worden. Der Bundesfinanzminister hat den Belastungseffekt der Stabilitätsabgabe erst gestern wieder mit dem Belastungseffekt der Mineralölsteuer in Bezug gesetzt. Gerade diese Bezugnahme müßte doch auch Arglose zu dem Verdacht bringen, daß die Erhöhung von Einkommensteuer und Körperschaftsteuer genausowenig zeitlich begrenzt ist wie die auf Dauer angelegte Erhöhung der Mineralölsteuer.
Mit der Verpackung als Stabilitätsabgabe glaubt sich die Bundesregierung der Mühe enthoben, die Steuererhöhung als solche zu rechtfertigen. Mir scheint, daß es dem Anspruch dieses Hauses widerspricht, sich zum Vollzugsorgan zur Verabschiedung von Gesetzen zu machen, die hier nicht offen und eindeutig mit ihrem Ziel und ihrer Auswirkung begründet worden sind.
({5})
- Eben; aber wie lange, das werden Sie nach solchen Gesetzen merken.
Zuletzt noch eines. Diese Strukturerhöhungsgesetze stehen in einem nicht zu leugnenden Zusammenhang mit der Steuerreform. Ich darf deswegen zum Schluß auszugsweise mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten ein Zitat vorlesen. Das Zitat lautet:
Auch die zehnprozentige Stabilitätsabgabe ... ist ein Vorgriff auf die Steuerreform, so daß in diesem Bereich die Manövriermasse ebenfalls verbraucht sein dürfte. Tatsächlich ergibt sich bei der Einkommensteuer ... nunmehr ein Spitzensatz ... von knapp 60 % ... Für die Körperschaftsteuer wird sogar der Satz des SPD-Steuerparteitags von 56 %, der in Kampfabstimmung durchgehalten werden konnte, mit über 57,5 % überrundet.
Der Verfasser dieses Zitats hält - und ich darf noch weiter zitieren beide Steuererhöhungsmaßnahmen politisch und
moralisch für ungerechtfertigt ..., schlichtweg
unverantwortlich und auch als vordergrün1264
dige konjunkturpolitische Maßnahmen unangebracht.
Dies sagt der SPD-Steuerpolitiker und Vorsitzende des Bundes der Steuerbeamten, der Gewerkschaftler Fredersdorf. Diesem Zitat brauche ich hier nichts mehr hinzuzufügen.
({6})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Steuergesetze mit vorgelegt und diese Steuererhöhungen damit begründet, daß sie einerseits der Stabilität und andererseits auch mittelfristig der Finanzierung öffentlicher Ausgaben, und zwar des Bundes, der Länder und der Gemeinden, dienen sollen. Herr Dr. Kreile, damit ist die Steuerreform nicht vorweggenommen oder auch nicht blockiert. In der Opposition beklagen die einen, daß damit Steuerreform nicht mehr möglich wäre, und die anderen bedauern, daß damit die Steuerreform schon vorweggenommen wäre. Beides ist falsch.
Wir sind mitten in der Beratung der Steuerreform. Der Finanzausschuß hat das Grundsteuerreformgesetz schon beschlossen. Nach diesem Teil der einheitswertabhängigen Steuern wird die Erbschaftsteuer beschlossen werden, danach die Vermögensteuer. Wir sind mitten in der steuerpolitischen Arbeit. Sie können davon ausgehen, daß die Steuerreform in dem Tempo, in dem der Bundestag das überhaupt machen kann, verwirklicht werden wird, so wie es von der Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode konzipiert wurde. Es braucht sich also niemand Sorgen zu machen, daß wir dadurch die Steuerreform hier verhindern wollen. Auch die Einkommensteuerreform, und was damit zusammenhängt, wird dadurch weder blockiert noch präjudiziert.
Herr Dr. Kreile, die Löhne und Gehälter, die Einkommen in der Bundesrepublik steigen, und es ist bei einem progressiven Steuertarif eine logische Folge, daß dadurch auch die Steuereinnahmen überproportional steigen. Wegen der Vorbereitungen der Steuerreform haben wir übrigens alle miteinander im Bundestag Anpassungen von Freibeträgen, die an sich fällig gewesen wäre, immer hinausgeschoben. Deswegen ist hier ein gewisser Stau, und auf Grund der Preisentwicklung in den letzten Jahren ist dieser Stau sogar noch größer geworden. Deswegen glaube ich, daß es im Bundestag wohl Übereinstimmung geben wird, daß die betreffenden Freibeträge im Rahmen der Einkommensteuergesetzgebung im Laufe dieser Legislaturperiode angepaßt werden müssen. Daß hierfür große finanzielle Volumina zur Verfügung gestellt werden müssen, ist auch klar.
Herr Dr. Kreile, ich muß es kurz machen, des Abends wegen. Sie beklagen die Vorschläge der Bundesregierung, schlagen aber selbst nichts vor.
Was will die Opposition? Will sie den Konjunkturzuschlag? Der betrifft dann alle gleich. Sie sagten, er müsse bei einer Einkommensgrenze ansetzen, die unterhalb 200 000 DM bei Verheirateten sei. Sagen Sie doch bitte, wo! Bei 50 000, bei 30 000 oder bei 80 000 DM? Die Regierung hat ganz konkrete Vorschläge gemacht. Die Opposition redet darum herum. Sie ist nicht dafür, sie ist dagegen, sagt, sie möchte etwas anderes an Stelle z. B. der Mineralölsteuer, weil sie so unsozial wäre, z. B. den Konjunkturzuschlag. Der Konjunkturzuschlag, erhoben bei der großen Zahl der Beschäftigten - denn wenn Sie es nicht tun, wirkt er ja nicht, dann bringt er nicht die Masse von einigen Milliarden DM, die Sie damit zusätzlich abschöpfen müßten -, würde die Arbeitnehmer sehr viel mehr belasten als die relativ wenigen Mark, durch die die Arbeitnehmer und andere durch die Mineralölsteuererhöhung betroffen sind.
Es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, diese Steuererhöhungen wirkten preiserhöhend. Wenn der Bundeshaushalt mehr durch Steuereinnahmen als durch Erhöhung der Nettokreditaufnahme finanziert wird, dann wirkt das in der Tendenz volkswirtschaftlich stabilisierend, auch wenn nicht zu bestreiten ist, daß sich Verbrauchsteuern natürlich in den Verbraucherpreisen niederschlagen können und eventuell auch werden.
({0})
Preiserhöhend würde in dieser Phase der Konjunktur wirken, wenn der Bund an der Stelle der Steuereinnahmen, mit denen er den Haushalt finanziert und die stillgelegt werden, soweit sie zur Finanzierung des Haushalts nicht nötig sind, die Kreditaufnahme erhöhte.
Herr Dr. Kreile, die Bundesregierung sieht die steuerpolitischen Vorschläge natürlich nicht als Wunderwaffe in der Stabilitätspolitik. Hier kommen viele Maßnahmen zusammen - wahrscheinlich wird im Laufe der Debatte noch darüber gesprochen -: Die Währungspolitik der Bundesregierung, die Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank, die Finanzpolitik des Bundes auf der Aufgaben- und Einnahmeseite - hoffentlich unterstützt durch andere Gebietskörperschaften, vor allem durch die Länder und die großen Gemeinden -, die Wettbewerbspolitik, über die beraten wird - das Kartellgesetz nämlich -, die Tarifpolitik der Tarifpartner und die Preispolitik der Unternehmen, das alles zusammen bildet die Stabilitätspolitik der Bundesregierung. Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union müßten sagen, welche andere Stabilitätspolitik sie machen wollen. Sie schlagen überhaupt nichts vor. Sie reden von Stabilität, aber sagen nicht, was Sie anders täten als die Bundesregierung.
Herr Dr. Kreile, die Bundesregierung hat getan, was sie angekündigt hat, nämlich daß sie zur Finanzierung von mehr öffentlichen Dienstleistungen und Investitionen auch zusätzlich Steuern erheben muß und wird. Sie verlangen in Reden - vor allem in Sonntagsreden - überall größere öffentliche Leistungen. Ob es sich um Autobahnen in Bayern oder
in Niedersachsen handelt, ob es sich um regionale strukturpolitische Maßnahmen im Zonenrandgebiet oder in anderen Regionen handelt, überall stellen Sie draußen Forderungen, verlangen von der Bundesregierung und den anderen Gebietskörperschaften mehr, als wir bieten können, ohne daß Sie selbst den Mut aufbringen, sich auch nur konkret ein einziges Mal öffentlich darüber zu äußern, wie Sie diese Leistungen finanzieren wollen. Das ist die Unglaubwürdigkeit, die ihrerseits in der politischen Diskussion steckt, daß Sie wie gesagt - nämlich mehr Leistungen des Staates verlangen, ohne anzugeben, wie Sie sie finanzieren wollen.
({1})
Vielleicht gibt die Diskussion noch Aufschluß darüber, wie die Opposition die politischen Forderungen, die sie stellt, finanzieren will, welche konkreten Vorschläge sie macht. Herr Strauß hat hier schon öfter gesagt: hic Rhodos, hic salta. Nennen Sie doch Ihre Vorschläge.
({2})
Da haben Sie recht. Wir haben die Verantwortung. Wir werden der Verantwortung dadurch gerecht, daß ein stabilitätspolitisch orientierter Bundeshaushalt vorgelegt wird.
({3})
Wir haben auch die Verantwortung dafür übernommen, daß wir die Ausgaben finanzieren, die wir vorhaben. Die Regierung ist ihrer Verantwortung gerecht geworden. Sie hat sich durchaus nicht gescheut, unpopuläre Maßnahmen vorzuschlagen. Steuererhöhungen sind ja durchaus nichts Angenehmes.
Herr Strauß, Sie werden Ihrer Verantwortung aus der Opposition heraus nicht gerecht, weil Sie nämlich sagen, es müsse anders gemacht werden, ohne daß Sie sagen, wie Sie es anders machen wollen. Wenn sich die Bundesregierung wie Sie verhielte, wäre Ihre Kritik gerechtfertigt. Aber wir werden uns im Laufe dieser Diskussion noch dreimal im Kreise herumdrehen, wenn Sie bei der Linie bleiben, die Sie haben, weil Sie es nicht wagen werden, hier konkret zu sagen, welche Steuern Sie an Stelle derer erhöhen würden, die Sie kritisieren.
({4})
- Ja eben, zur Finanzierung von Aufgaben, die im Bundeshaushalt angegeben sind. Wenn Sie Milliarden-Beträge streichen würden - in diesem Jahr 1,4 Milliarden DM -, könnten wir um 1 Milliarde und 400 Millionen DM weniger an öffentlichen Leistungen erbringen. Wenn Sie der Meinung sind, daß die zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von
1,4 Milliarden DM - oder mehr oder weniger - gestrichen werden müßten, dann müssen Sie hier zugleich auch vorschlagen, welche Ausgaben um 1,4 Milliarden DM gestrichen werden. Aber zu solchen Entscheidungen können Sie sich nicht durchringen. Dazu fehlt Ihnen offensichtlich auch der Mut.
({5})
Meine Zeit, die ich angegeben habe, ist abgelaufen;
({6})
deswegen will ich mich kurzfassen. Wir bitten Sie darum, entweder zu sagen, was Sie anders machen wollen, wie Sie es anders machen wollen, wo Sie Streichungen vornehmen wollen oder wo Sie Vorschläge der Bundesregierung, die wir gemacht haben, durch andere ersetzen wollen und auch zu sagen, wodurch Sie sie ersetzen wollen. Sonst wird diese Debatte weiter so verlaufen wie bisher, daß wir morgen und womöglich auch übermorgen noch dreimal das gleiche von Ihnen hören werden.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier noch ein paar Bemerkungen zu Herrn Dr. Kreile anfügen. Es war für uns zunächst geradezu rührend zu erleben, wie Herr Dr. Kreile Überlegungen über die finanzpolitischen Auswirkungen unserer Parteiprogramme anstellt. Aber ich möchte Ihnen eigentlich raten, diese Bemühungen zu unterlassen, Herr Dr. Kreile, weil wir mit unseren Problemen in diesem Bereich sicherlich ganz allein fertig werden.
({0})
Wir würden von Ihnen gern ein konkretes Rezept bekommen. Mit der Steuerpolitik hat man es hin und wieder mit einer bitteren Medizin zu tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kreile?
Herr Kollege Offergeld, nachdem Sie mir soeben offenbar rührende Naivität zugesprochen haben, daß ich mich um die steuer und finanzpolitischeti Auswirkungen der Politik, welche Ihre Partei betreiben will, kümmere, darf ich Sie fragen: gehen wir immer noch davon aus, daß wir in dem gleichen Staate leben und daß damit die steuer- und haushaltspolitischen Überlegungen der derzeitigen Regierungsparteien auch für die Oppositionspartei, für ihr tägliches Leben und für jedes Mitglied unseres Volkes von entscheidender Bedeutung sind? Wenn Sie mit mir davon aus1266
gehen, müssen Sie zugeben, daß sich jeder um Ihre Überlegungen seine eigenen Sorgen machen soll.
Der späte Abend entschuldigt diese Art der Frage.
({0})
Herr Dr. Kreile, es ist Ihnen unbenommen, sich Sorgen zu machen. Aber ich muß Sie daran erinnern, daß Sie - das haben Sie in der Einleitung Ihres Referats selbst festgestellt - zum Steueränderungsgesetz gesprochen haben. Dieses Steueränderungsgesetz haben Sie allein unter steuertechnischen Gesichtspunkten behandelt. Sie sind dabei nicht auf den gesamten Hintergrund - auf den kommt es entscheidend an - eingegangen. Wir sehen dieses Steueränderungsgesetz als eine Maßnahme in einem ganzen Maßnahmenbündel. Dazu gehören die Kreditlimitierungen und die Beschränkungen des Ausgabenzuwachses. Das ist eine wichtige Maßnahme auf der Einnahmeseite des Bundeshaushalts, und das muß man auch in dieser Diskussion zumindest am Rande erwähnen. Dies ist in Ihrem Diskussionsbeitrag völlig untergegangen.
Das ganze Lamento der Opposition ist für uns unglaubwürdig. Das Lamento über die steigenden Preise, über die fehlenden Maßnahmen der Bundesregierung ist für uns unglaubwürdig, wenn wir zum einen keine Gegenvorschläge erhalten, zum anderen eben auch vermissen müssen, daß Sie sich mit unseren Vorschlägen überhaupt auch nur ernsthaft auseinandersetzen. Wenn Sie über das Steueränderungsgesetz sprechen, hätte dazu eben gehört, daß Sie mehr auf die konjunkturpolitische Implikation der einzelnen Maßnahmen eingegangen wären.
({0})
Bei der Steuerpolitik hat man es mit bitterer Medizin zu tun. Selbst erwachsene Menschen lassen sich, wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, bittere Medizin nur ungern verpassen. Besonders schwierig wird es dann, wenn man es mit Kurpfuschern und Quacksalbern zu tun hat,
({1})
die dem Patienten, von dem sie immer behaupten, er sei krank, einreden wollen, er brauche diese Medizin gar nicht. Sie sind dabei nicht in der Rolle des Gesundbeters, sondern allenfalls des Krankbeters. Sie sagen dem Patienten immer, er sei krank, aber wenn es dann darum geht, ihm Medizin, die bitter sein kann, einzuflößen, sind sie natürlich dagegen und reden dem Patienten ein, er habe dies nicht nötig. Dabei haben wir es nicht mit einem Patienten zu tun - ich sage das, damit es kein falsches Bild gibt , der etwa der Stärkungsmittel bedürfte, sondern mit einem Patienten, der unter hohem Blutdruck, Hypertonie vielleicht, leidet. Wir müssen etwas gegen den übersteigerten Blutdruck tun, und
das hat die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen versucht.
({2})
- Herr Haase, ich glaube, Sie hätten diese Medizin manchmal auch nötig.
({3})
Wenn es um Steuererhöhungen geht, können wir Sozialdemokraten ganz offen sprechen. Wir brauchen dabei kein schlechtes Gewissen zu haben. Wir haben ja auch im Bundestagswahlkampf gesagt, daß erhöhte Leistungen für den Bürger mehr Steuern bedeuten.
({4})
- Ich spreche hier als Sozialdemokrat; Herr Vohrer wird nachher als Freier Demokrat etwas dazu sagen.
Wir haben jedenfalls auch im Wahlkampf - dies kann jeder in unserem Wahlkampfprogramm nachlesen - ganz deutlich gesagt, daß wir mehr öffentliche Investionen, mehr Dienstleistungen für den Bürger im öffentlichen Bereich bereitstellen wollen und daß dies natürlich entsprechend mehr Steuereinnahmen voraussetzt. Wir sagen ganz offen, daß neben der konjunkturpolitischen Wirkung der Steuererhöhungen für uns mittel- und langfristig auch eine Verbesserung der Einnahmestruktur des Bundeshaushalts im Blickpunkt stand.
Wir halten die stabilitätspolitische Wirkung all dieser Maßnahmen für gegeben. Die Kritik, die Stabilitätsabgabe gehe in die Preise über, ist nicht gerechtfertigt. Auch die Kritik, die Stabilitätsanleihe führe nur zu einer Umschichtung von Spargeldern, ist nicht gerechtfertigt, denn sie übersieht, daß die Mittel, die aus der Stabilitätsabgabe und aus der Stabilitätsanleihe eingehen, bei der Deutschen Bundesbank stillgelegt werden, so daß also auf jeden Fall ein Liquiditätsentzug eintreten wird. Dies ist eine stabilitätspolitische Wirkung, die man nicht hinwegdiskutieren kann.
Auch bei der Mineralölsteuer - ich wiederhole das, was heute schon in der Debatte gesagt wurde
- führt eben die Verminderung der Nettokreditaufnahme neben einer Verbesserung der Einnahmestruktur zu einer stabilitätspolitischen Wirkung.
Noch einige Worte zum Abbau der Steuervergünstigungen. Dies ist ja nun ein beliebtes Thema der Opposition, die ja Subventionspolitik nach dem Motto betreibt: Wasch mir den Pelz, aber mach mich um Gottes willen nicht naß! Wir haben noch keinen einzigen konkreten Vorschlag zum Abbau von Subventionen von seiten der Opposition bekommen. Jetzt, wo konkrete Vorschläge gemacht werden, wird an ihnen überall herumgemäkelt.
Sicherlich, Herr Kreile, trifft es zu, daß eine Verminderung der Investitionszulagensätze da und dort zu einer Unterlassung der Investitionen führen wird. Aber dies ist doch gerade das, was wir wollen. Es
geht doch gerade darum, den überhitzten Investitionsgüterbereich etwas abzukühlen.
({5})
Es geht nicht an, von seiten der Bundesregierung Maßnahmen zu fordern, es kann nicht angehen, Herr Strauß, daß man immer wieder Maßnahmen zur Konjunkturdämpfung verlangt - und wir sind uns wohl einig darin, daß im Investitionsgüterbereich die Konjunktur besonders überhitzt ist -,
({6})
und dann, wenn die Bundesregierung irgendwelche Vorschläge macht, die selbst nach Ihren Thesen zu einer Dämpfung der Investitionen führen, diese wiederum kritisiert, ohne aber selbst eine Alternative vorweisen zu können.
({7})
Auch die Kritik, welche von Herrn Strauß an der Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen als Sonderausgaben kam, muß zurückgewiesen werden. Es ist ja wiederum Ihre alte Politik, zu sagen, dies treffe den kleinen Mann, obwohl Sie genau wissen, daß dies nicht zutrifft.
({8})
Der Wohlstandskonsum steigt mit steigendem Einkommen; dies können Sie in jeder Statistik nachlesen. Und Sie wissen auch, welch explosionsartige Zunahme die Wohlstandskredite für langfristige Konsumgüter in der letzten Zeit hatten.
({9})
Wenn man etwas gegen die Überhitzung im Konsumgütersektor tun will, muß man eben etwas Spürbares tun, und dies ist selbstverständlich die Beseitigung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen als Sonderausgaben.
Nur en passant - da brauche ich z. B. Herrn Dr. Kreile ganz gewiß nicht zu belehren - sei vermerkt, daß diese Beseitigung der Abzugsfähigkeit auch dazu führt, daß viele steuerliche Mißbräuche künftig nicht mehr möglich sind.
({10})
Da sind gegenwärtig Mißbräuche möglich über kurzlaufende Lebensversicherungen gegen einen Einmalbeitrag; da kam es zu Steuerersparnissen, und zwar nicht beim kleinen Mann, sondern beim Spitzenverdiener, zu Steuerersparnissen von mehreren zehntausend Mark.
({11})
Es geht auch darum, diese Mißstände zu beseitigen. Und man muß eben den Verdacht haben, daß die Opposition, wenn sie sich gegen diese Maßnahmen wendet, vom kleinen Mann spricht, dabei aber an jemand anders denkt.
({12})
- Ja, den Mißbrauch kann man nicht anders beseitigen - -({13})
- Indem man es für alle verbietet; es ist leider nicht anders möglich.
Im übrigen - auch das wissen Sie, Herr Strauß, ganz genau, und Herr Kreile weiß es wahrscheinlich noch besser - ist der Schuldzinsenabzug -Stichwort: außergewöhnliche Belastung - weiterhin möglich, wenn es sich um Notfälle handelt. Das steht dann in Relation zum Einkommen. Dem kleinen Mann, der wirklich in Not kommt, der nicht für den Wohlstandskonsum Kredit aufnimmt, kann also auf jeden Fall geholfen werden.
Meine Damen und Herren, ich will damit zum Ende kommen. Ich möchte noch einmal hervorheben: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt diese Maßnahmen insbesondere deswegen, weil wir der Auffassung sind, daß die Ausgabenseite des Bundeshaushalts nicht auf die Dauer die Last der gesamten Konjunkturpolitik tragen kann.
({14})
Wir glauben, daß dies zu irreparablen Schäden führen würde, daß es einen Rückstau im Bereich der Investitionen und öffentlichen Dienstleistungen gäbe. Würde man immer nur die Ausgabenseite im Auge haben, wenn es um die Konjunkturpolitik geht, würde dies im gesellschaftlichen und im wirtschaftlichen Bereich zu Schäden führen, die wir nicht vertreten zu können glauben. Darum begrüßen wir, daß die Bundesregierung erstmals ganz konsequent auch die Einnahmeseite bei der Stabilitätspolitik ins Auge gefaßt hat, und wir werden diese Maßnahmen im Parlament unterstützen.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von Herrn Leicht gehört, daß wir in 20 Jahren CDU-Herrschaft, von 1949 bis 1969, goldene Zeiten erlebt haben. Ich glaube, wir erleben jetzt als Koalition goldene Zeiten, wenn wir davon ausgehen, daß wir vier Jahre ohne konstruktive Vorschläge der Opposition leben. Wir können Sie, meine Damen und Herren, aus der Sicht der FDP versichern: Die Wähler wissen konstruktive Vorschläge zu schätzen; sonst wäre es überhaupt nicht verständlich, daß wir als FDP auf allen Ebenen - Bund, Land, Kreis und Gemeinde - so erfolgreich abschneiden,
({0})
erfolgreich abschneiden, weil wir nämlich konstruktive Alternativen vorlegen.
({1})
Sie werden sehen, wir müssen uns zum Ideenwettbewerb auch im Parlament durchringen, und
jener Ideenwettbewerb fehlt im Moment bei der CDU/CSU.. Sie haben auch mit der Marktwirtschaft einige Schwierigkeiten und stehen offensichtlich mit der Marktwirtschaft auf Kriegsfuß; sonst wäre es gar nicht verständlich, daß sich Ihr Chefideologe Erhard jetzt in der „FAZ" gegen Ihren Herrn Barzel wendet, indem er die „humane Leistungsgesellschaft" als eine nebulose Geschichte abtut. Sie sollten sich auch einmal einige Gedanken darüber machen, was Sie auf wirtschaftspolitischem Gebiet wollen.
({2})
Im übrigen habe ich den Eindruck, daß es sich Herr Strauß ein bißchen einfach macht, wenn er den Haushalt 1973 so kritisiert, daß er sagt: zu wenig im Hinblick auf öffentliche Investitionen und zu viel, einen Beitrag zur Stabilität zu liefern. Wenn man das richtig interpretiert, dann würdigt er hier den Haushalt mit einem Kompliment, indem er sagt, hier wurde ein politischer Kompromiß geschlossen, der die beiden Aspekte zwar nicht voll zum Austrag bringen kann, der aber immerhin eine echte Mitte zwischen beiden Aspekten bildet. Daraus aber den Schluß zu ziehen, den Herr Strauß hier angedeutet hat, nämlich die Lohnsteuer, die ihm 4,5 Milliarden DM zu viel einbringt, und die Mineralölsteuer mit 1,4 Milliarden DM Mehreinnahmen abzuschaffen, ist meiner Ansicht nach wenig sinnvoll.
({3})
- Die Erhöhungen, von denen wir hier reden. Insofern müssen wir Sie immer wieder darauf hinweisen, daß wir bei der FDP die kreislauftheoretischen Zusammenhänge sehen:
({4})
daß nämlich die Erhöhung der Einkommensteuer mit ihren 2,4 Milliarden DM Mehreinnahmen für den Bund eine ganz eindeutige stabilitätspolitische Maßnahme ist, die den „kleinen Mann", den Sie immer wieder anführen, keineswegs belastet.
({5})
Insofern müssen wir auch einmal den von Ihrem wirtschaftspolitischen, ich möchte fast sagen: wirtschaftspolemischen Sprecher,
({6})
Herrn Narjes, gemachten Vorschlag anführen, der unter anderem einmal angeregt hat, der Konjunkturzuschlag solle bei 32 000 DM Jahreseinkommen einsetzen. Wenn dieser Vorschlag durchgegangen wäre, dann wäre nämlich genau der von Ihnen immer wieder gehätschelte und als Ihre Zielgruppe anvisierte Mittelstand belastet worden, und derjenige, der ein Jahreseinkommen von 60 000 hat, wäre - wenn Sie schon die Beispiele hier vorrechnen - von Steuermehrbelastungen in Höhe von 1 640 DM getroffen worden.
Wenn wir uns immer wieder von Ihnen sagen lassen müssen, welche Zielgruppen wir mit unseren Maßnahmen träfen, so können wir Sie beruhigen. Wir sind uns dessen bewußt, wen wir treffen, und wir, die wir die steuerpolitischen Entscheidungen als politische Entscheidungen treffen, brauchen uns von der Opposition nicht sagen zu lassen, wen wir hier treffen sollen oder wollen.
({7})
Wir sehen übrigens die Maßnahme der erhöhten Abgabe für die hohen Einkommen auch insofern als ganz sinnvoll an, als wir hier den tarifpolitisch sehr ausgewogenen Vorstellungen der Gewerkschaften mit ihren 8,5 % Lohnsteigerung aus dem Blickwinkel einer sozialen Symmetrie heraus eine stärkere Belastung der hohen und höchsten Einkommen gegenüberstellen. Denn wir sind uns dessen bewußt, daß die Gewinnsteigerungen im Unternehmerbereich im Jahre 1973 wesentlich über der Steigerungsrate von 8,5 %, die wir den Lohnempfängern zubilligen, liegt. Hier haben wir sozialen Konfliktstoff abgebaut.
Was die Rückzahlung betrifft, so haben wir nach wie vor die alte Situation: die Opposition hat hinsichtlich des Konjunkturzuschlags 1971/72 die Rückzahlung zunächst abgelehnt, dann aber bei der jetzigen Regelung wieder die Rückzahlung gefordert. In diesem Zusammenhang wäre es ganz sinnvoll, wenn Sie sich, auch im Hinblick auf die Länderbeteiligung, auf eine konsequente Linie einigen könnten; das wäre uns sehr angenehm.
Was die 5 Pfennig Erhöhung der Mineralölsteuer angeht, so sind wir uns dessen bewußt, daß diese Maßnahme sowohl auf die Preise als auch auf den Lebenshaltungskostenindex durchschlagen wird. Aber wir wollen kaufkräftige Nachfrage abschöpfen und müssen dabei den Nebeneffekt in Kauf nehmen, daß jede Verbrauchsteuer immer preissteigernd wirkt.
Wenn Sie der Regierung und den beiden Koalitionspartnern immer wieder mit dem Jahresgutachten des Sachverständigenbeirates gegenübertreten, wenn Sie uns die Erhöhung der Mineralölsteuer entgegenhalten, dann sollten Sie die entsprechenden Passagen in diesem Gutachten einmal nachlesen, wobei Sie dann feststellen werden, daß dort die Erhöhung der Mehrwertsteuer unter anderem als stabilitätspolitische Maßnahme vorgeschlagen worden ist. Die Mehrwertsteuer wäre zwar ergiebiger, aber ihre sozialen Auswirkungen wären unangenehmer als die der Mineralölsteuer.
Im übrigen bin ich der Ansicht, daß die CDU, die mit dein Ziel: Mehr Stabilität! in den Wahlkampf gezogen ist, die draußen landauf, landab Glauben machen möchte, sie sei die Partei der Stabilität, und die schon im Wahlkampf gesagt hat, daß die Rückgewinnung der Stabilität schmerzhaft sei, einfach nicht glaubwürdig ist. Wenn wir eine Maßnahme vorschlagen, die den Autofahrer monatlich 5 bis
6 DM kosten wird, spricht die CDU vom finanzpolitischen Offenbarungseid der Regierung.
({8})
- Gut, was die Stabilität anbetrifft, so waren wir von der FDP auch nicht sehr glücklich darüber, daß die 0,7 Milliarden DM im Jahre 1973 nicht offiziell stillgelegt wurden. Wir haben uns aber damit abgefunden, daß die Ausgabenplafondierung auf 120,4 Milliarden DM bei den gegebenen Reserven in der Schätzung der Steuereinnahmen, auf die Herr Kreile ja hingewiesen hat, mittelbar dazu führen werden, daß die 700 Millionen DM nicht ausgegeben, sondern bei der Bundesbank stillgelegt werden.
({9})
- Lieber einen Umweg, um das zu erreichen, was man erreichen möchte, also ohne Konzept geradeauszulaufen wie Sie.
({10})
Wir sehen die Steuermehreinnahmen bei der gegebenen Einnahmesituation keinewegs als finanzpolitisch notwendig an, begrüßen sie aber als einen wichtigen Schritt zu mehr Stabilität. Insofern sollten wir eigentlich die Zustimmung der Opposition zu dieser steuerlichen Regelung erhalten.
Der Vorwurf, daß die Anleihe über 4 Milliarden DM nur eine wirkungslose Umschichtung von Spargeldern mit sich bringe, und zwar aus dem Bankenbereich zur Bundesbank, trifft übrigens nicht zu, weil nämlich die Spargelder im Bankensektor zu einer Geldschöpfung geführt hätten, wohingegen sie stillgelegt bei der Bundesbank jenen unerwünschten Effekt nicht hervorrufen. Sie müssen sich etwas mehr daran gewöhnen, daß Sie auf der einen Seite die gütermäßige Betrachtung und auf der anderen Seite die monetäre Betrachtung bei solchen volkswirtschaftlichen Überlegungen im Bereich der Fiskaltheorie mit in Ansatz bringen müssen, denn dann merken Sie, daß jede abgeschöpfte Mark, die nicht mehr als Nachfrage auftritt, stabilitätspolitisch wirksam ist.
Wenn hier Herr Kreile anzudeuten versuchte, daß die FDP einer vorweggenommenen Steuerreform zugestimmt habe, kann ich Sie beruhigen. Wir haben aus dem Kabinett die Feststellung, daß kein Zusammenhang zwischen den Eckwertbeschlüssen und den jetzigen Steuererhöhungen besteht, und darauf legen wir Wert. Wir von der FDP stehen zu den Eckwertbeschlüssen, und Sie alle, die Sie im Ausschuß tätig sind, wissen, daß wir bei der Steuerreform auf der Basis der Eckwertbeschlüsse als reformerischer Motor mitwirken und daß wir zu unserem Wort stehen.
({11})
Wir lassen uns die fiskalpolitischen Mittel als Instrumente zur Herbeiführung der Stabilität von Ihnen nicht madig machen. Wir sind bereit, dem Bürger draußen im Lande unsere Fiskalpolitik zu erläutern, damit die Verängstigungskampagne der CDU nicht weitergeht. Wir haben ja hier Beispiele, daß Zitate, die in der Fiskalpolitik gegen uns angeführt werden, in der Regel nicht aus Vorschlägen der Koalition oder der SPD-Fraktion kommen, sondern aus irgendwelchen Parteitagen, Bezirksparteitagen in Hessen-Süd oder dergleichen, stammen. Die getroffenen Abmachungen, die in den Eckwertbeschlüssen ihren Niederschlag finden, werden von uns in vollem Maße gestützt, und deshalb unterstützen wir auch das hier vorgelegte Steueränderungsgesetz, weil wir der Ansicht sind, daß wir damit einen Beitrag zur Stabilität leisten.
({12})
Meine Damen und Herren, entsprechend den interfraktionellen Vereinbarungen unterbreche ich die verbundene Aussprache über die Punkte 1 his 6 der heutigen Tagesordnung und schließe die heutigen Beratungen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Donnerstag, den 5. April 1973, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.