Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({0}) des Rates betreffend die gegenüber Portugal anwendbare Zollbehandlung
Beschluß der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Eröffnung von Zollpräferenzen für die unter die Zuständigkeit dieser Gemeinschaft fallenden Erzeugnisse mit Ursprung in Portugal ({1})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Verordnung des Rates
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Österreich zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Finnland zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Island zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Norwegen zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs Erzeugnisse mit Ursprung in oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Portugal zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Schweden zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist
zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/76 des Gemischten Ausschusses EWG-Schweiz zur Änderung der Liste A, die dem Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen als Anhang beigefügt ist ({2})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft
Verordnung ({3}) des Rates zur Aufstockung des durch die Verordnung ({4}) Nr. 126/76 für das Jahr 1976 eröffneten Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs ({5})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Bericht der Kommission an den Rat über den Stand der
Hopfenerzeugung und -vermarktung der Ernte 1975
Verordnung ({6}) des Rates zur Festsetzung der Beihilfe an Hopfenerzeuger für die Ernte 1975
Verordnung ({7}) des Rates über Sondermaßnahmen zur Stabilisierung des Hopfenmarktes ({8})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Verordnung ({9}) des Rates zur Anpassung bzw. Änderung der Verordnung 2/71 zur Durchführung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften ({10})
überwiesen an den Haushaltsausschuß
Verordnung des Rates zur Aufrechterhaltung der Genehmigungspflicht für die Einfuhr nach Italien von Rohrformstücken, Rohrverschlußstücken und Rohrverbindungsstücken aus Temperguß mit Ursprung in Taiwan ({11})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft
Mitteilung an den Rat betreffend die Unterzeichnung und den Abschluß eines Rahmenabkommens über handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kanada und den Europäischen Gemeinschaften ({12})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft
Verordnung ({13}) des Rates zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung ({14}) Nr. 1267/69 zur Festlegung der Sonderbestimmungen, die bei der Einfuhr von unter die Verordnung ({15}) Nr. 1059/69 fallenden Waren aus Griechenland in die Gemeinschaft anwendbar sind ({16})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft
Verordnung ({17}) des Rates zur Eröffnung von Zollpräferenzen in Form von teilweisen Aussetzungen der Zollsätze für Fertigwaren aus Jute mit Ursprung in Indien, Thailand und Bangladesch und für Fertigwaren aus Kokosfasern mit Ursprung in Indien und Sri Lanka ({18})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft
Verordnung ({19}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({20}) Nr. 2757/75 hinsichtlich der Beitrittsausgleichsbeträge und deren Koeffizienten für Getreide ({21})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Meine Damen und Herren, für die Große Anfrage betreffend Auswirkungen der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen - Tagesordnungspunkt 74 - ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Dauer der Aussprache auf vier Stunden festgelegt. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Das ist der Fall; es ist so beschlossen.
Die Unterrichtung durch die Bundesregierung zu dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 30. Januar 1976 betreffend Sportpolitik - Drucksache 7/5435 - soll nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Sportausschuß überwiesen werden. Ich frage, ob sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch erhebt. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes und der Reichsversicherungsordnung sowie um die zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir diese Zusatzpunkte jetzt sofort behandeln. - Ich rufe daher jetzt diese Zusatzpunkte auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes und der Reichsversicherungsordnung
- Drucksache 7/5480 -
aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({22}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/5560 Berichterstatter:
Abgeordneter Carstens ({23})
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({24})
- Drucksache 7/5559 -Berichterstatter:
Abgeordneter Burger
({25})
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache 7/5376 Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({26})
- Drucksache 7/5559 Berichterstatter: Abgeordneter Burger ({27})
Ich frage die Berichterstatter, ob eine Ergänzung der Berichte gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich bedanke mich bei den Berichterstattern. Wir treten in die zweite Beratung ein. - Das Wort wird nicht begehrt.
Ich rufe Art. 1 bis 4 in der Fassung des Ausschußantrags mit Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß das Gesetz einstimmig angenommen worden ist.
Es liegen noch zwei Ausschußanträge vor. Wer dem Ausschußantrag II.1 auf Drucksache 7/5559, den Gesetzentwurf des Bundesrats Drucksache 7/5376 abzulehnen - das ist die Konsequenz aus der dritten Beratung - zuzustimmen -wünscht den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wer dem Ausschußantrag II.2 auf Drucksache 7/5550 - es handelt sich um eine Entschließung - zuzustimmen wünscht, den bitte ich ebenfalls um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 74 der Tagesordnung auf: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Auswirkungen der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen auf die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 7/5120, 7/5455 In die Beratung dieses Punktes führen wir auch den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP Drucksache 7/5557 ein.
Zur Begründung der Großen Anfrage hat sich Herr Abgeordneter Dr. Mertes ({28}) zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU- Fraktion hat als erste und als einzige Fraktion dieses Hohen Hauses die in unserem Lande weithin unbekannte Bedeutung der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen mehrfach hervorgehoben, einer Veranstaltung, die in Wirklichkeit Meeresaufteilungskonferenz heißen müßte. Unter dem Eindruck der Entwicklung in Caracas hat sie bereits im Herbst 1974 in höchst sachlicher Form eine umfassende Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Sie hat Berichte der Regierung im Auswärtigen Ausschuß und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit veranlaßt. Sie hat Journalisten und Vertreter der politischen Bildungsarbeit darauf hingewiesen, wie falsch die Meinung ist, es handele sich bei der Seerechtskonferenz um eine abgelegene Materie für Marinespezialisten oder um unpolitischen juristischen Formelkram - um einen Ausdruck zu gebrauchen, der nach 1969 bei der SPD so beliebt war.
Die CDU/CSU will mit ihrer letzten Großen Anfrage, die wir heute beraten, zum Abschluß dieser Legislaturperiode noch einmal die deutsche Öffentlich auf das ganze Ausmaß dessen hinweisen, was für unser Land bei dieser Meeresaufteilungskonferenz auf dem Spiel steht. Wir haben uns bei der Anfrage nicht nur von der kritischen Haltung leiten lassen, die Pflicht der Oppostion ist und die natürlich auch heute ihren Ausdruck finden muß. Wir haben vielmehr mit unseren Einzelfragen erneut eine staatspolitisch bewußt konstruktive Einstellung - das
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Dr. Mertes ({0})
kann jeder schwarz auf weiß nachlesen -- bewiesen, von der wir erwarten, daß die Verantwortlichen der Bundesregierung sie auch drei Monate vor der Bundestagswahl ausdrücklich würdigen. Das gleiche gilt für unseren Entschließungsantrag.
Unsere Sorge bezieht sich auf einige wesentliche Elemente der bisherigen Konferenzentwicklung. Diese Sorge hat auch die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nicht ausgeräumt. Nach eingehender Prüfung können wir bei unserem Informationsstand den Optimismus keineswegs teilen - unabhängig von ihren richtigen Sachaussagen, die wir begrüßen --, den diese Antwort verbreitet. Meine Kollegen werden Sorgen und Bedenken noch im einzelnen vortragen.
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat den sogenannten Nord-Süd-Konflikt immer wieder zum Anlaß genommen, um die ständig zunehmende Bedeutung dieses Feldes unserer gesamten Außenpolitik hervorzuheben. Herr Bundesminister des Auswärtigen, ich glaube, es muß viel stärker darauf geachtet werden, daß die gesamtpolitischen Elemente der Wirtschaftspolitik in diesem Felde und die Entwicklungspolitik den umfassenderen Gesichtspunkten der Außenpolitik untergeordnet werden, als das derzeit der Fall ist.
Dem Nord-Süd-Konflikt ist weitgehend auch die Seerechtskonferenz zuzuordnen. Ihr politischer Zusammenhang mit der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung - Stichwort Nairobi - und mit den Plänen für eine neue, für eine dirigistische Weltwirtschaftsordnung ist unverkennbar. Die Konferenz stellt gleichzeitig die politische Koordinationskraft der Europäischen Gemeinschaft und des Atlantischen Bündnisses auf eine Bewährungsprobe. Sie wird - positiv oder negativ - europapolitische Rückwirkungen haben.
Seit der Erdölkrise im Herbst 1973 wächst in unserer Bevölkerung immer mehr die Erkenntnis, daß zu der Ost-West-Spannung, die in unmittelbarer Weise die Freiheitsinteressen des ganzen deutschen Volkes und die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland trifft, die Nord-Süd-Spannung getreten ist. Sie berührt in den kommenden Jahren in wachsendem Maße von außen her die Grundlagen unserer wirtschaftlichen, unserer sozialen und politischen Existenz.
Das Verständnis für die Rechte der Staaten und Völker der Dritten Welt ist hierzulande stetig gewachsen, nicht zuletzt dank der intensiven Erziehungsarbeit der christlichen Kirchen. Aber es wäre eine falche Vorstellung von internationaler Gerechtigkeit, wenn mit den Bemühungen um eine bessere Ordnung der Rechte an den Weltmeeren eine Schwächung unserer wirtschaftlichen Potenz einherginge.
Unsere konstruktiven Intentionen gelten der nächsten Sitzungsperiode der Meeresaufteilungskonferenz in New York im August und im September dieses Jahres. Wenn unsere Delegation dort auf die gründliche Beachtung der abschließenden Konferenzentwicklung durch die parlamentarische Opposition in Bonn hinweisen kann, so kann dies die deutsche Verhandlungsposition nur stärken. Die Opposition nimmt hier eine spezifisch außenpolitische Aufgabe des Parlamentes überhaupt wahr; denn es obliegt dem Parlament nicht nur, zu einem Verhandlungsergebnis ja oder nein zu sagen, sondern es obliegt ihm auch, die Regierung rechtzeitig mit Kontrolle, Kritik, Sorge und Rat zu begleiten. Als konstruktiv sollte die Bundesregierung auch die Tasache werten, daß unsere Fragen sehr verantwortungsbewußt und sorgfältig abgewogen sind, und keines der noch offenen Themen zu Lasten der deutschen Interessen präjudizieren. Wir haben dabei den Sachauskünften der Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage und in den Ausschüssen, soweit diese Informationen abträgliche Entwicklungen zu deutschen Lasten erkennen lassen, durchaus Rechnung getragen. Der Bitte der Regierung, bestimmte heikle Gegenstände den Ausschußberatungen zuzuweisen, werden wir entgegenkommen.
Meine Damen und Herren, angesichts der inhaltlichen Bedeutung und langfristigen Tragweite der Schlußdokumente der Seerechtskonferenz gehen wir davon aus, daß diese der Zustimmung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates bedürfen. Darauf sollte auch die deutsche Verhandlungsdelegation deutlich genug hinweisen.
Meine Damen und Herren, warum ist diese Meeresaufteilungskonferenz für unsere deutschen Interessen, für den internationalen Frieden, für den Wohlstand aller Völker von so außerordentlicher Bedeutung? Warum haben wir die Sorge, daß im Falle unausgereifter Schlußdokumente, etwa durch kautschukartige Begriffe wie „friedliche Durchfahrt" durch Küstenzonen oder Meerengen oder infolge von Formelkompromissen, die bleibenden Gegensätze und Unstimmigkeiten nur verschleiert werden, daß also diese Konferenz die Gefahren neuer Konfliktfelder in den internationalen Beziehungen schafft?
Eines der Fundamente unseres Wohlstandes und
ich wiederhole das - unserer Fähigkeit zur Beteiligung am Abbau des Nord-Süd-Gefälles, zu der wir verpflichtet sind, ist die Freiheit der Meere. Sie soll auf dieser Konferenz teilweise ganz abgeschafft, teilweise stark eingeschränkt werden:
({1})
1) Das nationale Küstenmeer soll zugunsten der Küstenländer von drei auf zwölf Seemeilen ausgedehnt werden;
2) darüber hinaus soll eine exklusive Wirtschaftszone zugunsten der Küstenländer von wenigstens 200 Seemeilen geschaffen werden;
3) der übrige Teil der Meeresschätze soll einem internationalen Meeresbodenregime unterstellt werden, dessen Struktur und dessen Befugnisse in entscheidenden Punkten noch ungeklärt sind. Gerade auch hier verbieten sich Formelkompromisse, die schwerwiegende Dissense nur verdecken.
Zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland zeichnen sich folgenschwere Verschlechterungen in allen diesen Bereichen ab. Die heraufkommenden Gefahren
1845R
Dr. Mertes ({2})
für die Zukunft unseres Landes sind der deutschen Öffentlichkeit kaum bewußt. Die Bundesregierung hat es versäumt, auf die fundamentale Bedeutung der Meeresaufteilungskonferenz der Öffentlichkeit gegenüber mit dem nötigen Nachdruck hinzuweisen. Wir können das Selbstlob der Bundesregierung auf unsere diesbezügliche Frage 17 nicht als berechtigt anerkennen.
({3})
Wir fordern, daß die notwendige Neuordnung des Meeresvölkerrechts mit ihren Auswirkungen auf Jahrzehnte für alle Beteiligten ökonomisch sinnvoll gestaltet wird und die Tür zu künftigen Verbesserungen offenläßt. Das heißt, daß es nicht durch emotional-ideologisch geprägte Mehrheitsbeschlüsse zu abschließenden Entscheidungen kommt, die statt Fortschritt in Wirklichkeit Rückschritt, statt vernünftigen Interessenausgleichs in Wirklichkeit institutionalisierten Streit, statt Recht Unrecht mit sich bringen.
Meine Damen und Herren, der Gedanke, das Meer sei ein gemeinsames Erbe der Menschheit - in knapper Rechtsformel: ein res omnium, nicht eine res nullius -, sollte - so hieß er - die 3. Seerechtskonferenz beherrschen. Es gehört zu den Ironien und zu den Ungereimtheiten der Entwicklung der letzten Jahre, daß diese Konferenz in Wirklichkeit aber vom Gedanken rein nationaler Souveränitätsrechte und Wirtschaftsinteressen bestimmt wird. Ihm frönen vor allem die Staaten, die durch ihre langen Küsten bisher ohnehin schon von der Natur begünstigt waren. Sie sind es, die ein Maximum an Küstenmeer, an Wirtschaftszone, an Festlandsockel fordern, hingegen den benachteiligten Staaten - und dazu gehört vor allem die Bundesrepublik Deutschland eindeutig - ein Minimum an verbleibender Freiheit der Schiffahrt, des Rohstoffzugangs, des Fischfangs und der Meeresforschung gestatten wollen.
In merkwürdigem Gegensatz zu diesem Wirtschaftsnationalismus steht die Tatsache, daß der Gedanke des gemeinsamen Menschheitserbes reduziert wurde auf die Hohe See und auf den Meeresboden außerhalb der 200-Seemeilenzone, und zwar in denaturierten, d. h. dirigistischen Vorstellungen.
Dazu kommt folgendes: Für die 113 Länder der Dritten Welt - und dabei handelt es sich teilweise um Ministaaten, die im Gegensatz zu uns praktisch überhaupt keinen Beitrag zu den materiellen Grundlagen der Tätigkeit der Vereinten Nationen leisten - ist die Neugestaltung der Nutzungsrechte am Meer auch ein Feld, auf dem sie ihre Vorstellungen einer neuen, einer gelenkten Weltwirtschaftsordnung durchsetzen wollen, die auch in Nairobi eine so zentrale Rolle spielt.
Während dieser Debatte wird der Deutsche Bundestag zu prüfen haben, wie auf der Konferenz mit Unterstützung durch dieses Parlament und die öffentliche Meinung die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und die wohlverstandenen Interessen der internationalen Staatengemeinschaft - ich denke dabei besonders an die Europäische Gemeinschaft, aber eben auch an die Dritte Welt - noch wirksamer gewahrt werden können.
Wir gehören zu den geographisch benachteiligten Staaten dieser Konferenz. Wir haben nur eine kurze Küste, sind aber als einer der stärksten Industrie- und Handelsstaaten der Welt und als rohstoffarmes Land auf den freien Zugang zu den Weltmeeren angewiesen. Wir benötigen angesichts unseres großen Außenhandelsvolumens und der dazugehörenden Handelsflotte, also ganz wesentlicher Grundlagen unserer wirtschaftlichen und auch sozialen Leistungsfähigkeit,
({4})
einen ungehinderten Seeverkehr sowie einen freien Zugang zu den Fischgründen der Fernfischerei.
Die geplanten Wirtschaftszonen der Küstenstaaten würden die Möglichkeiten der deutschen Fernfischerei sowie die der deutschen Meeresforschung bedeutend einengen. Der freie und ökonomisch sinnvolle Zugang zu den Rohstoffen auf dem Meeresboden ist für unsere rohstoffabhängige Wirtschaft zur Zeit in seiner kapitalen Wichtigkeit gar nicht hoch genug einzuschätzen.
({5})
Dies wird ein Dauerthema der nächsten Jahrzehnte sein.
Sie werden bemerkt haben, daß die einleitende Kritik in unserer Großen Anfrage deutlich zwischen dem politisch verantwortlichen Kabinett einerseits und der vor Ort tatsächlich verhandelnden deutschen Delegation andererseits unterscheidet. Diese Unterscheidung ist nicht taktisch gemeint, sondern sie läßt den Kern unserer eigentlichen politischen Kritik als Opposition erkennen. Sie richtet sich an die Adresse des Bundeskanzlers und des Kabinetts einschließlich des Staatsministers Moersch, der zwar seit 1975 dem Namen nach der sogenannte Leiter der deutschen Delegation ist,
({6}) aber der Konferenz nur sporadisch beiwohnte
({7})
und der dabei gegenüber der Presse die kritischkonstruktive Haltung der Opposition leider wenig sachgerecht würdigte.
({8})
Die Reaktion der Bundesregierung auf unsere kürzlichen Anmerkungen beantwortet nicht die folgenden Fragen, Herr Kollege Stahl, passen Sie genau auf. Ich glaube, Sie werden mir sogar zustimmen. Ich höre, daß auch bei Ihnen über das Thema der außenpolitischen Gewichtung der Seerechtskonferenz durch das Kabinett durchaus kritisch diskutiert wird.
({9})
Erste Frage: Warum hat sich das Kabinett intensiv mit der Seerechtskonferenz ernsthaft erst seit kurz vor der 4., also der kürzlichen, New Yorker Sitzungsperiode befaßt?
({10})
Dr. Mertes ({11})
Die Antwort ist offenkundig: Das Kabinett - Herr Kollege, Sie werden dem in Ihrem Herzen wahrscheinlich sogar zustimmen - hat die Tragweite der Konferenz nicht erkannt und ihr demgemäß nicht jene politische Bedeutung zugemessen, die sie spätestens seit der politischen Blockbildung der Dritten Welt in den Jahren seit 1973 nun einmal hat.
({12})
Nächste Frage: Warum ließ die Zusammenarbeit der westlichen Industriestaaten, insbesondere der amerikanischen Delegation, aber auch der Länder der Europäischen Gemeinschaft, mit der deutschen Delegation in entscheidenden Phasen der Konferenz so sehr zu wünschen übrig?
Auch hier liegt die Erklärung auf der Hand: Die Nichtbehandlung oder ungenügende Behandlung der Konferenz durch das Kabinett führte dazu, daß das wirtschaftliche und politische Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in entscheidenden Phasen nicht angemessen in die Waagschale der Sondierungsgespräche und Verhandlungen geworfen werden konnte.
({13})
Es ist nun einmal Aufgabe der politischen Verantwortungsträger, also des Kabinetts, in schwierigen Fragen den politischen Willen unseres Landes zu artikulieren und zur Geltung zu bringen -- sei es gegenüber europäischen Ländern wie etwa Großbritannien, sei es gegenüber bestimmten Schlüsselstaaten der Dritten Welt; gegenüber wem auch immer. Ob und wie das Gewicht unserer bilateralen Leistungen gegenüber bestimmten Staaten oder unseres wirtschaftlichen Potentials überhaupt ins Spiel gebracht werden soll, das ist eine eminent politische Entscheidung, die nur von Regierungschef zu Regierungschef oder von Außenminister zu Außenminister oder zumindest von Fachminister zu Fachminister zu verwirklichen ist.
Dritte Frage, die wir uns stellen müssen: Warum könnte sich die deutsche Seite nicht stärker auf den Standpunkt stellen, daß sie mit der bestehenden Rechtsordnung aus eigener Interessensicht noch durchaus zufrieden sein kann d. h., daß konkrete Gegenleistungen erbracht werden müssen nach dem Prinzip do ut des, wenn sie Forderungen der Dritten Welt und ihrer europäischen Sympathisanten auf Veränderungen des Status quo zustimmen soll?
({14})
Die Antwort ist klar: Nur das Gewicht unmißverständlicher politischer Willensbekundungen des Kabinetts gegenüber den Regierungen der betreffenden Staaten hätte den deutschen Delegierten den Rücken gestärkt. Diese Rückenstärkung erfolgte entweder nicht oder sie erfolgte nicht intensiv genug und nicht rechtzeitig genug.
Die CDU/CSU-Fraktion legt andererseits Wert darauf, bei dieser Gelegenheit die Leistungen unserer deutschen Delegation in Caracas, Genf und New York ausdrücklich zu würdigen. Anerkennung und Dank des ganzen Hauses gebühren insbesondere Herrn Botschafter Karl-Hermann Knoke, dem tatsächlichen Leiter der deutschen Delegation in den letzten Jahren. In der ihm eigenen Sachlichkeit gelang es ihm, unsere Delegation straff zu führen; eine Aufgabe, die angesichts der heterogenen Ressortzusammensetzung, der Vielschichtigkeit unserer Interessen und der schwer überschaubaren Zahl materieller und prozeduraler Probleme ganz besonders schwer ist. Wir möchten auch den Rechtsberater der Delegation, Herrn Professor Günther Jaenicke, mit Dank hervorheben, der als international anerkannter Fachmann zur Konsistenz und zur Ausdauer der deutschen Delegation erheblich beigetragen hat. Diese namentliche Nennung bedeutet keine Minderung der Leistung der Gesamtheit der deutschen Delegation.
Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage: Hätten die Herren Willy Brandt und Egon Bahr in den ersten sechs Monaten der SPD /FDP-Regierung, als die Weichen der neuen Ostpolitik gestellt wurden, bei den Verhandlungen mit den Staaten des Warschauer Paktes nur die Hälfte des Rates loyaler und erprobter Sachkenner entgegengenommen, auf die sich die Regierung jetzt ausschließlich stützt, ohne ihnen genügend politischen Rückhalt zu geben, so wäre dem deutschen Volk viel Schaden, viel Unfrieden und viel Bitterkeit erspart geblieben.
({15})
Ein kurzes Wort noch zu den sicherheitspolitischen Aspekten der Konferenz. Die Ausdehnung der Küstengewässergrenze von drei auf zwölf Seemeilen schafft 116 neue Meerengen im rechtlichen Sinn.
({16})
Zahlreiche dieser Meerengen und ihre Durchfahrtsrechte sind wichtig für die Bewegungsfreiheit der deutschen und verbündeten Seestreitkräfte, von denen in hohem Maße die Friedenssicherung abhängt. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten haben zwar ein ähnliches materielles Interesse. Aber das rechtfertigt noch lange nicht vordergründige Bemerkungen der Art, wie sie Staatsminister Moersch kürzlich im ZDF machte, wo er wörtlich sagte -- ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Wir können darauf vertrauen, - hören Sie genau zu daß die Interessengemeinschaft der Sowjetunion und der USA in diesem Falle auch Regelungen hervorbringt, die allgemein unseren Verteidigungsinteressen entsprechen.
Welche mechanistische, welche unpolitische, welche ahistorische Vorstellung von Sicherheit spricht aus solchen Worten!
({17})
Die eher beschreibende als politisch wertende Antwort der Regierung auf unsere Frage 4
({18})
- Ihr Gelächter werte ich als Zustimmung, Herr
Kollege Wehner - konnte unsere Sorgen nur verstärken. Ganz und gar fehlt dabei die Würdigung
Dr. Mertes ({19})
derjenigen Aspekte, die - neben der Bewegungsfreiheit der Seestreitkräfte - das politisch entscheidende Element darstellen. Der britische NATO-Botschafter Sir John Killick hat auf der Wehrkundetagung in München 1976 auf die sicherheitspolitischen Einflüsse von Staaten außerhalb der NATO und des Warschauer Paktes auf die weltweiten Interessen der westlichen Welt hingewiesen. Er schließt - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Obwohl die Teilnehmer der UNO-Seerechtskonferenz auf den Schutz ihrer nationalen und strategischen Interessen geachtet haben dürften, scheint es nicht so, also ob die möglichen Auswirkungen auf das Bündnis oder die Ost-West-Beziehungen hinreichend erörtert oder durchdacht worden seien.
({20})
Aus dem Munde eines vorsichtigen britischen Diplomaten sind das sehr starke, sehr bedenkenswerte, sehr ernst zu nehmende Worte.
Ich brauche nur auf die Zusammenhänge zwischen Seemacht, Seerecht und Versorgung im Krisenfall oder im Ernstfall, zwischen der innenpolitischen Entwicklung einiger Staaten der Dritten Welt und der sowjetischen Stützpunktpolitik, zwischen den erstrebten Verfügungsrechten der Dritten Welt und den Einflußkanälen der Sowjetunion hinzuweisen, um das ganze Ausmaß an Risiken kurz anzuleuchten, das mit den Ergebnissen dieser Konferenz auf uns zukommt. Risiko aber ist das Gegenteil von Sicherheit.
Lassen Sie mich abschließend sagen: in der nächsten Sitzungsperiode der Meeresaufteilungskonferenz wird darauf zu achten sein, daß sich die in Nairobi zutage getretenen politischen Schwächen der Industriestaaten nicht fortsetzen. Wir wollen ausgereifte, nicht unter Zeitdruck stehende Dokumente mit klaren Inhalten, die nicht zu Auslegungskonflikten führen.
({21})
-- Um so besser, Herr Kollege Stahl.
({22})
--- Lesen Sie doch die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage, dann werden Sie sehen, daß diese Sorge auch dort zum Ausdruck kommt.
({23})
Wir brauchen neue Regelungen, die nicht einer abstrakten Gerechtigkeitsideologie, geboren aus politischem Ressentiment und wirtschaftlicher Unvernunft, nachlaufen, sondern die der Tatsache Rechnung tragen,
({24})
daß der Abbau des Nord-Süd-Gefälles nur stattfinden kann, wenn die aus kreativer Freiheit erwachsende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer
Volkswirtschaft weiterhin angemessen erhalten bleibt.
({25})
Wir wünschen Regelungen, die die Namen des Rechtes und der Vernunft wirklich verdienen. Kommt es nicht so, wird diese Konferenz böse Auswirkungen haben, auch wenn die Opfer dieser Folgen heute noch für das blind sind, was hier auf dem Spiele steht.
({26})
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ankündigung des Kollegen Mertes, einen sachlichen Beitrag zu liefern, ist wie bei der Betrachtung aller internationaler Konferenzen der letzten Zeit der Versuch gefolgt, für all das, was nicht erwartungsgemäß verläuft, allein die Bundesregierung verantwortlich zu machen,
({0})
als hätte sie die Stabsführung auf Konferenzen, an denen 150 Staaten teilnehmen.
({1})
Meine verehrten Kollegen von der Opposition, ich habe manchmal den Eindruck, daß Sie bei der Einschätzung von Möglichkeiten auf internationalen Konferenzen den Grundsatz „Viel Feind, viel Ehr" dem Versuch vorziehen, unsere Interessen beharrlich und nüchtern durchzusetzen.
({2})
Es lohnt sich wirklich, einmal die Liste der internationalen Konferenzen der letzten zwei Jahre vorzunehmen, bei denen Sie uns jeweils als einzigem Staat Nichtzustimmung empfohlen haben. Ob es die Konferenz in Nairobi war, ob es die 7. Sondergeneralversammlung war, ob es die KSZE war: wo stünden wir heute, wenn wir nicht überall konstruktive Verhandlungsführung eingesetzt und den Zustand der Isolation bevorzugt hätten?
({3})
Deshalb sollte man auch in einer Wahlkampfphase in einer Großen Anfrage darauf verzichten können, so etwas schriftlich niederzulegen:
Sie
- nämlich die Bundesregierung hat auch in der Vorbereitung der gegenwärtigen Konferenzrunden die deutschen Interessen in ganz unzulänglicher Weise behandelt und verteidigt.
Wer einmal in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage, Herr Kollege Mertes, die unterschiedlichen Interessenlagen auch unserer engsten Freunde und Verbündeten, die wir dort bewußt einmal aufgezeigt haben, gelesen hat, der wird erst erkannt haben, daß es nicht ein Lager hier, ein Lager dort gibt,
({4})
sondern daß die Interessenlagen von Problem zu Problem immer wieder unterschiedlich sind. Meine verehrten Kollegen, es ist eben doch nicht so, daß die 200-Seemeilen-Zone eine Erfindung nur der Entwicklungsländer ist. Unser Hauptverbündeter hat bereits durch Gesetzgebungsakt diese Zone in Kraft gesetzt. Das müssen wir auch mit berücksichtigen.
({5})
M_ ine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal über den Inhalt der Antwort der Bundesregierung hinaus die Position der Bundesregierung heute, genau einen Monat vor Beginn der 5. Session der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen, darlegen. In dieser Verhandlungsphase wird die Erörterung der vorliegenden Verhandlungstexte, die in der 4. Session im Frühjahr dieses Jahres begonnen hat, fortgesetzt und vertieft werden. Ihr kommt daher auch dann große Bedeutung zu, wenn wir noch nicht mit Sicherheit erwarten können, daß sie schon zu einem Abschluß der Konferenz durch eine Einigung führt.
Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß sie durch die Große Anfrage die Gelegenheit hat, in diesem Stadium ihre Position zu den Fragen darzulegen, mit denen sich diese Konferenz auseinandersetzt und die insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sind. Wir wissen alle und wahrlich nicht nur eine Fraktion dieses Hauses, daß es hier um erhebliche politische und wirtschaftliche Interessen unseres Landes geht. Weil das so ist, hat sich die Bundesregierung von Anfang an mit allen Kräften darum bemüht, durch konstruktive Arbeit und Mitarbeit in der Konferenz auf deren heute im einzelnen noch nicht klar abzusehende Auswirkungen in einer Weise Einfluß zu nehmen, die die Befriedigung dieser unserer Interessen in höchstmöglichem Maße sicherstellen soll.
({6})
Diese Zielsetzung wird auch im weiteren Verlauf der Verhandlungen die Haltung der Bundesregierung bestimmen.
({7})
Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Wir befinden uns im Verlauf der Verhandlungen. Wir haben das zu berücksichtigen, wenn wir unsere Haltung auf der Konferenz öffentlich darlegen. Die legitime parlamentarische Beratung würde ihres Sinnes beraubt, wenn sie zu einer Beeinträchtigung der Verhandlungsposition führen würde. Deshalb wird die Bundesregierung wie in der Vergangenheit auch in Zukunft die darüber hinausgehenden notwendigen Informationen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages erteilen und dort auch die notwendige Detaildiskussion führen.
({8})
Zweitens. Die offenkundige Schwierigkeit der Verhandlungen hat ihren Grund darin, daß es sich nicht nur um komplizierte Interessenlagen, sondern auch um äußerst komplexe Sachverhalte handelt.
({9})
Die Bundesregierung hat sich deshalb von Anfang an darum bemüht, bei der Erarbeitung ihrer Verhandlungspositionen die Interessen and Auffassungen derjenigen zu berücksichtigen, die in der jeweils anstehenden Frage unmittelbar und in ähnlicher Weise betroffen sind. Wir haben die vier Küstenländer der Bundesrepublik Deutschland frühzeitig in den Prozeß der amtlichen Meinungsbildung einzuschalten versucht. Als ihr Wortführer hatte Schleswig-Holstein nicht nur die Möglichkeit der Teilnehme an Ressortbesprechungen sondern auch die Möglichkeit der Entsendung eines Beraters als Mitglied der deutschen Delegation. Ich muß hier allerdings, Herr Kollege Narjes - vielleicht sollten Sie das in Schleswig-Holstein einmal sagen -, beklagen, daß von dieser Mitwirkung nur unzureichend Gebrauch gemacht wurde und eine Mitreise angeblich aus Kostengründen unterbleiben mußte.
({10})
Nach meiner Überzeugung wäre eine stärkere Einschaltung des Vertreters der Küstenländer sehr wohl nützlich gewesen. An der Bundesregierung hat es jedenfalls nicht gelegen.
({11})
Die Bundesregierung legt auch weiterhin Wert auf einen ständigen Meinungs- und Informationsaustausch mit den Küstenländern. Ich möchte dieses Angebot hier heute noch einmal wiederholen und auch für die Zukunft unsere Bereitschaft zu jeder Form des Meinungsaustausches und der Abstimmung zusichern.
Die Bundesregierung hat ferner - und auch das ist wichtig - in konstruktiver Zusammenarbeit mit den einschlägigen Verbänden ein klares Bild von der Interessenlage der unmittelbar Betroffenen zu ge18462
winnen und deren Sachverstand zu nutzen versucht. Bereits zur Session in Caracas standen Verbandsvertreter der Verhandlungsdelegation als Berater zur Verfügung. Ich nenne hier nur den Verband Deutscher Reeder, den Verband der deutschen Hochseefischereien, die Arbeitsgemeinschaft für meerestechnisch gewinnbare Rohstoffe. Die Verbände beurteilen die Lage auf der Seerechtskonferenz und, meine verehrten Kollegen, auch die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland auf dieser Konferenz ebenso nüchtern wie die Bundesregierung selbst.
({12})
Sie stellen sich schon heute in ihren Dispositionen darauf ein, daß das Ergebnis der Konferenz in vieler Hinsicht eine neue Lage schaffen wird. Die Bundesregierung schuldet deshalb den Verbänden Dank für konstruktives und weitsichtiges Mitwirken und ihre nützlichen Vorschläge bei der Ausarbeitung der deutschen Verhandlungsposition.
Drittens. Vergegenwärtigen wir uns, worum es bei der 3. Seerechtskonferenz im Grunde geht. Das, meine Damen und Herren, ist nicht möglich, ohne diese Konferenz in eine historische Perspektive einzuordnen. In der Themenstellung der Konferenz offenbart sich in sehr konkreter Weise ein geschichtlicher Wandel, der unsere Zeit insgesamt kennzeichnet. Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere die letzten Jahre haben fundamentale Veränderungen in den technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen der Völker dieser Welt und ihres Zusammenlebens gebracht. Nicht zuletzt die Bevölkerungsexplosion, aber auch die steigende wirtschaftliche Entwicklung haben der Welt vor Augen geführt, daß ihre Ressourcen begrenzt sind und daß große Anstrengungen unternommen werden müssen, die bestehenden und die steigenden Bedürfnisse zu befriedigen.
Das Meer, bisher in erster Linie als Transportweg und als Fischgrund begriffen, wird heute als reale Möglichkeit gänzlich neuer Nutzungen erkannt. Vor allem in den letzten Jahren sind wir Zeuge einer außerordentlichen Entwicklung von Technologien gewesen, die es dem Menschen erlauben, die im Meer liegenden Ressourcen unter ökonomischen Bedingungen zu erschließen. Das Meer stellt sich eben nicht mehr nur als Wasseroberfläche für die Schifffahrt oder als Fischgrund dar. Vielmehr rücken neue Territorien unter Wasser mit einem außerordentlichen und heute eben erschließbaren Reichtum an Naturschätzen in die Interessensphären der Staaten ein. Wir können davon ausgehen, daß dabei noch längst nicht alle Möglichkeiten erforscht sind.
Gleichzeitig sind wir der Schutzbedürftigkeit des Meeres gewahr geworden. Ich nenne den gesteigerten Schiffsverkehr, hier insbesondere die Gefahr von Tankerkatastrophen, ich meine aber auch die Gefahr des Überfischens.
Zuletzt, aber entscheidend, die neue politische Dimension, mit der wir es zu tun haben. Wenn die unermeßlichen Ressourcen des Meeres heute technisch zugänglich geworden sind, so stellt sich die Frage, wem sie zugänglich sein müssen und wer über sie verfügen kann, nicht mehr unter den Vorzeichen, unter denen sich die Frage der Nutzung der Hohen See vor 300 Jahren gestellt hat, nämlich als eine Frage, die von einer beschränkten Zahl klassischer Schiffahrtsländer im Sinne der Freiheit der Meere, also des Gemeingebrauchs, entschieden worden ist, die als allgemein anerkanntes Ordnungsprinzip bis heute gilt.
Jene Frage stellt sich heute in einer gewandelten Welt von mehr als 150 Staaten, die im Verhältnis der Gleichberechtigung zueinander leben und - das wollen wir ausdrücklich anerkennen - die alle gleichermaßen das Recht in Anspruch nehmen, an den Ressourcen unserer enger werdenden Welt teilzuhaben.
({13})
Dabei machen sich Tendenzen bemerkbar, die es ablehnen, das Prinzip des Gemeingebrauchs auf die neuartigen Nutzungen in vollem Umfang zu übertragen. Vielmehr wird gefordert, bei diesen Nutzungen bestimmten Mitgliedern der Staatengemeinschaft mit besonderen Bedürfnissen eine Vorzugsstellung einzuräumen und diese mit dem Gebot einer gerechteren Verteilung zu begründen. Mit solchen Tendenzen und mit ihren Motiven haben wir uns auseinanderzusetzen. Dabei sollte es keines Hinweises bedürfen - darüber müssen wir uns, glaube ich, alle im klaren sein -, daß hier ein neues, außerordentliches Konfliktpotential entstanden ist.
({14})
Wir wollen uns daran erinnern, daß das Seevölkerrecht, wie es sich vor 300 Jahren herausgebildet hat, das Produkt heftiger bewaffneter Auseinandersetzungen gewesen ist.
({15})
Legten wir die Maßstäbe der Vergangenheit an, so könnte uns niemand garantieren, daß uns nicht auch die neue Lage in schwere Konflikte führen würde.
Wir sollten es deshalb als einen ermutigenden Vorgang begreifen, wenn sich heute 147 Staaten zusammentun und den Versuch unternehmen, der neuartigen Problematik auf dem rationalen Weg des einvernehmlichen Interessenausgleichs durch Schaffung einer neuen rechtlichen Ordnung Herr zu werden.
({16})
Wir sollten die heute im Seevölkerrecht festzustellende Tendenz begrüßen, nicht nur solche Gebiete zu reglementieren, die im Sinne eines geordneten Gemeingebrauchs um der Gefahrenabwehr willen einer Ordnung bedürfen, sondern grundsätzlich alle Arten der Nutzung der Hohen See in einer kodifizierten Form zu normieren, damit es gelingt, die verschiedenen Nutzungen des Meeres miteinander in Einklang zu bringen.
Es geht jetzt darum, für den Seeverkehr in einer den Geboten des Schutzes der Meeresumwelt geBundesminister Genscher
recht werdenden Weise grundlegende Freiheiten zu sichern. Es gilt, den Tiefseebergbau in einer vernünftigen, die Interessen aller Länder dieser Erde berücksichtigenden Weise zu regeln.
({17})
Es geht also bei dieser Seerechtskonferenz nicht, wie vielfach vordergründig gemeint wird, nur um die Ausdehnung des Küstenmeeres auf zwölf Seemeilen und die Bildung einer 200 Seemeilen umfassenden Wirtschaftszone oder um die Veränderung von Fischereirechten. Es geht um die weltweite und die friedliche Lösung eines für die politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung aller Länder hochbedeutsamen Problemkomplexes.
({18})
--- Um so leichter, Herr Kollege, sollte es Ihnen fallen, der Bundesregierung zuzustimmen.
({19})
Viertens. Ich wiederhole: Es ist ermutigend, daß der Versuch einer einvernehmlichen Etablierung einer Ordnung unternommen wird. Ob ihm Erfolg beschieden ist, ob eine solche Ordnung von allen als gerecht betrachtet werden und ob sie daher dauerhaft sein kann, wird allerdings davon abhängen, welche Regelungen zu den einzelnen Fragen gefunden werden. Es kann bei der Ausgangslage nicht verwundern, wenn sehr verschiedene Vorstellungen zum Ausdruck gebracht werden. Die Neuartigkeit des Problems erfordert einen Lernprozeß, der für keinen der Beteiligten leicht ist und der von jedem eine politische und psychologische Einstellung verlangt.
Das zeigt sich auch an der Entwicklung der VNSeerechtskonferenzen. Die ersten beiden Konferenzen, die 1958 und 1960 in Genf stattfanden, waren vornehmlich von der Tradition überkommener Regeln geprägt. Die erste Konferenz endete mit der Verabschiedung von vier Konventionen, nämlich über das Küstenmeer, die Hohe See, den Festlandssockel und die Fischerei. Die zweite Konferenz endete ergebnislos, weil eine Einigung über die 1958 offengebliebene Frage der seewärtigen Begrenzung des Küstenmeeres nicht erreicht werden konnte. Rasch änderten sich die Voraussetzungen seit 1960. Der Tiefseebergbau trat als neue Meeresnutzung in den Bereich des Möglichen. Neue Staaten entstanden. Die in der „Gruppe der 77" zusammengeschlossenen 112 Entwicklungsländer fordern, an der Schaffung eines neuen Seevölkerrechts mitzuwirken. 1967 wurde der Meeresbodenausschuß der Vereinten Nationen eingesetzt. Im Dezember 1970 beschloß die Generalversammlung der Vereinten Nationen nahezu einstimmig, daß der Meeresboden jenseits der nationalen Jurisdiktion als gemeinsames Erbe der Menschheit einem Sonderregime und einer internationalen Behörde unterstellt werden soll. Zugleich wurde der Aufgabenbereich des Meeresbodenausschusses um die allgemeinen Fragen des Seevölkerrechts, den Schutz der Meeresumwelt, die wissenschaftliche Meeresforschung und den Transfer mariner Technologie erweitert.
Schließlich wurde am 16. Februar 1973 die jetzt laufende 4. VN-Seerechtskonferenz durch Beschluß der Generalversammlung zur 1. Session im Dezember 1973 nach New York einberufen, der die Sessionen in Caracas, in Genf und im Frühjahr dieses Jahres in New York folgten. Die in bezug auf den materiellen Inhalt einer zukünftigen Seerechtskonvention bedeutungsvolle 5. Session beginnt, wie ich schon erwähnte, am 2. August in New York; sie soll bis zum 17. September dauern.
Fünftens. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß bei gutem Willen aller die 3. VN-Seerechtskonferenz zu konkreten Ergebnissen führen kann. Die Bundesregierung steht mit dieser Auffassung nicht allein.
({20})
Es herrscht unter den Beteiligten Übereinstimmung, daß der nach der 4. Session vorgelegte revidierte Verhandlungstext gegenüber dem ursprünglichen Verbesserungen enthält. Ich betone: Hier ist eine hinnehmbare Grundlage für ernsthafte Verhandlungen gegeben. Ich wäre dankbar, wenn wir auch hier eine Übereinstimmung feststellen könnten.
({21})
Ich sage dabei nicht, daß dieser Text nicht in vielen Teilbereichen noch verbesserungsbedürftig sei; im Gegenteil, Sie werden aus unserer Antwort auf die Große Anfrage und auch aus meinen Ausführungen an dieser Stelle genau das entnehmen können. Wichtig aber ist - und das ist nicht zuletzt auch auf unsere Mitwirkung an dieser Konferenz zurückzuführen , daß eine Grundlage dafür geschaffen wurde, in vertieften Verhandlungen die großen Probleme, denen wir, unsere Partner und die Staatengemeinschaft sich gegenübergestellt sehen, meistern zu können.
Sechstens. Ich möchte diese grundsätzlicheren Betrachtungen abschließen, indem ich auf ein Thema eingehe, das mit den schon angesprochenen fundamentalen strukturellen Veränderungen in unserer Zeit zu tun hat. Unleugbar spielen die Länder der Dritten Welt auf der Seerechtskonferenz eine nicht weniger bedeutende Rolle als anderswo. Ebenso unleugbar verfolgen sie dort ihre eigenen, besonderen Interessen. Es kann niemanden verwundern, daß die Seerechtskonferenz von vielen Beteiligten, insbesondere eben aus dem Kreis der Entwicklungsländer, im Lichte der Bestrebungen um eine neue Weltwirtschaftsordnung gesehen wird. Nach unserer Auffassung kann und soll die Seerechtskonferenz indessen der Erwartung im Bereich der UNCTAD nicht vorgreifen und sie auch nicht präjudizieren.
({22})
Sie braucht das auch nicht, um zu Ergebnissen zu kommen, die für alle annehmbar sein sollten.
Siebtens. Lassen Sie mich nunmehr auf Einzelbereiche der Problematik der Konferenz eingehen.
Die Bundesregierung ist von jeher gegen eine monopolistische internationale Meeresbodenbehörde gewesen. Sie hat, meine Damen und Herren - das kann schon heute als Verhandlungserfolg abgehakt werden -, zusammen mit anderen Staaten erreicht, daß im revidierten Verhandlungstext vom Behördenmonopol abgegangen worden ist und daß jetzt auch private Unternehmen die Chance haben sollen, in Konkurrenz zur Meeresbodenbehörde Tiefseerohstoffe zu nutzen. Ich halte das für einen ganz wesentlichen Fortschritt.
({23})
Die Bundesregierung setzt sich weiterhin dafür ein, die Befugnisse der Behörde an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert auszugestalten. Das stellt uns aber auch vor die Frage, eine mit der Deklaration des internationalen Meeresbodens zum gemeinsamen Erbe der Menschheit zu vereinbarende, den Interessen aller Länder gerecht werdende Lösung zu finden.
Die Opposition hat in ihrem Pressedienst vom 15. März 1976 verlangt, die Zuständigkeit der internationalen Meeresbodenbehörde dürfe sich nur auf den Meeresboden, nicht jedoch auf die Wassersäule und auf den Luftraum erstrecken. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat diese Forderung von Anfang an - also vor der Genfer Session - erhoben.
({24})
Es ist ihr -- und auch das halte ich für einen Erfolg - im Verein mit anderen Staaten gelungen, die Zuständigkeit der internationalen Meeresbodenbehörde im revidierten Verhandlungstext auf den Meeresboden zu beschränken.
Die Bundesregierung hat entsprechend ihrer bereits vor Genf erarbeiteten Position zusammen mit anderen Staaten erreicht, daß die Aktivitäten der internationalen Meeresbodenbehörde im revidierten Verhandlungstext auf die Exploration und die Exploitation beschränkt wurden - gegen den Widerstand vor allem der „Gruppe der 77", aber z. B. auch unseres EG-Partners Irland.
Die Exploration des Meeresbodens aus der Zuständigkeit der internationalen Meeresbodenbehörde ausnehmen zu wollen erscheint angesichts der Mehrheitsverhältnisse auf der Konferenz und der wirtschaftlichen Bedeutung der Exploration unrealistisch. Andererseits ist es gelungen, eine Koordinierungs- und Harmonisierungskompetenz der internationalen Meeresbodenbehörde für die wissenschaftliche Meeresforschung, wie sie noch im Genfer Verhandlungstext vorgesehen war, im revidierten Verhandlungstext von New York zu eliminieren.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung tritt in konstruktiver Haltung zur Dritten Welt und in realistischer Einschätzung der Konferenzsituation sowie der politischen und wirtschaftspolitischen Konstellation in den Vereinten Nationen wie für die Berücksichtigung der eigenen auch für die Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer ein. Die von ihr geforderte Ausgestaltung des Meeresboden-regimes sieht eine angemessene Berücksichtigung der Entwicklungsländer bei der Vergabe und bei der Reservierung von Gebieten zum Meeresbergbau vor. Die Bundesregierung erörtert auch eine angemessene Berücksichtigung der Entwicklungsländer hinsichtlich des Einkommens aus dem Tiefseebergbau. Die Nutzung des Meeresbodens darf ja auch nicht zu einer weiteren Verzerrung im Entwicklungsstand und den Entwicklungsmöglichkeiten zwischen Industrienationen und Staaten der Dritten Welt führen.
Die Bundesregierung bemüht sich seit der Genfer Session zusammen mit den Industriestaaten der westlichen Welt darum, den Entscheidungsmechanismus der internationalen Meeresbodenbehörde so zu gestalten, daß unseren Interessen, den Interessen eines potentiellen Produzenten und Verbrauchers mariner Rohstoffe, Rechnung getragen wird. Die Bundesregierung hat sich immer gegen einen Modus gewandt, mit dem sich die Dritte Welt über die Interessen der westlichen Industrienationen hinwegsetzen könnte. Auf Grund der Bemühungen der Bundesregierung und der Regierungen von Staaten mit gleicher Interessenlage erscheint es heute als gesichert, daß das zu schaffende Streitbeilegungsergan unabhängig und nicht weisungsgebunden sein wird. Auch das, meine Damen und Herren, ist gegenüber den Aussichten bei Konferenzbeginn ein erheblicher Erfolg. Ich erwähne das nicht, um hier die Leistungen der Bundesregierungen in besonderer Weise herauszustellen, sondern einfach um die Bundesregierung gegen den Vorwurf zu verwahren, sie habe die deutschen Interessen nicht in ausreichender Weise wahrgenommen.
Achtens. Die Bundesregierung hat im Verein mit den EG-Partnern und anderen europäischen Staaten zumindest erreicht, daß die Beachtung eines objektiven Kriteriums im revidierten Verhandlungstext bei der Festsetzung der Höchstfangmengen durch Zugrundelegung wissenschaftlicher Daten vorgesehen wird.
Was aber -- so müssen wir uns fragen, meine Damen und Herren hat die Entwicklungsländer dazu geführt, die Forderung nach einer 200 Seemeilen messenden Wirtschaftszone zu erheben? Im Zugriff auf die biologischen Ressourcen einer 200 Seemeilen ausmachenden Wirtschaftszone vor ihren Küsten glauben diese Länder ihrem zum Teil katastrophalen Eiweißmangel abhelfen zu können. Wir sollten dabei die Möglichkeiten zur Kooperation, zur Weiterentwicklung unserer Fischereitechnologie und zur Bereitstellung unseres Know-how, die uns gegeben sind, nicht übersehen.
Es sind aber nicht nur die Entwicklungsländer, die die 200-Seemeilen-Wirtschaftszone fordern, sondern auch Langküstenstaaten der entwickelten Welt machen sich diese Forderung zu eigen.
({25})
Selbst die USA haben die 200-Seemeilen-Fischereizone durch Gesetzgebungsakt des Kongresses mi i
Wirkung vom 1. März 1977 einseitig in Kraft gesetzt.
({26})
- Wenn Sie sagen, Herr Todenhöfer: „Die nehmen ihre nationalen Interessen besser wahr als wir" das war doch Ihr Einwurf , dann sage ich nur: Da sehen Sie, mit welcher Konfliktstrategie Sie in eine solche Verhandlung und Konferenz hineingingen.
({27})
Es wird argumentiert, die Fischbestände seien namentlich von Fernfischerei betreibenden Nationen in den Schelfgewässern vor ihren Küsten so gelichtet worden, daß dem Küstenstaat das Fischereimanagement in einer ausgedehnten Küstenzone zur Erhaltung der Fischarten übertragen werden muß. Meine Damen und Herren, es muß an dieser Stelle der deutschen Hochseefischerei bescheinigt werden, daß sie auch dort, wo sie modernste Schiffe eingesetzt hat, durch Verwendung genügend weitmaschiger Netze stets für das Überleben der Jungfische gesorgt hat. Vorwürfe der Ausplünderung der Meeresschätze vermögen die deutsche Hochseefischerei nicht zu treffen. Diese Vorwürfe scheinen an die Adresse von Nationen gerichtet zu sein, die im Vergleich zu uns mehr als das Zwanzigfache an Tonnengewicht fischen. Diese Position wird es uns ermöglichen, in den von uns angestrebten Verhandlungen z. B. mit den Vereinigten Staaten und Kanada unsere Fischereiinteressen auch in diesen Gebieten für die Zukunft zu wahren. Auch das war übrigens Gegenstand der von manchen für überflüssig erklärten Zusammenkunft in Puerto Rico.
Die Alternative zur nationalen Wirtschaftszone mit nationalem Management hätte im Ausbau internationaler globaler und regionaler Fischereikommissionen gefunden werden können. Zu einer solchen Lösung bestand leider bei den Staaten, die auf Bildung einer Wirtschaftszone drängen, keine Neigung.
Nicht nur Entwicklungsländer, sondern auch entwickelte Länder streben nach Ausdehnung ihrer Souveränität. Auch die 51 Mitglieder zählende Gruppe der Binnenstaaten und der geographisch benachteiligten Staaten kann nicht etwa gegen die Wirtschaftszone mobilisiert werden, nachdem sich 13 afrikanische Binnenstaaten auf dem Gipfeltreffen der Organisation für afrikanische Einheit im Juni 1974 zum Gedanken der Wirtschaftszone bekannt haben.
Wir müssen versuchen, die Einengung der Bewegungsfreiheit unserer Hochseefischerei im Zuge der Seerechtskonferenz durch Anwendung der gemeinsamen Fischereipolitik der EG mit. ihrem Recht des gleichen Zugangs zu den künftigen Wirtschaftszonen der EG-Staaten zu mindern. Aber auch das, meine Damen und Herren, wird innerhalb der EG nicht unerhebliche Probleme schaffen. Ich möchte darauf schon jetzt hingewiesen haben.
Außerdem müssen wir versuchen, in bilateralen Abkommen mit Drittstaaten weiteren Ausgleich zu finden. Ich habe hier schon auf die Gespräche mit Kanada und den Vereinigten Staaten hingewiesen. Noch liegt die Verhandlungskompetenz bei der Bundesregierung. Sie wird im Zuge der Vergemeinschaftung der Wirtschafts- bzw. Fischereizonen später auf die EG übergehen. Bei diesem Abkommen können wir jetzt -- oder später die EG - unsere fischereiwissenschaftlichen Kenntnisse, unser Knowhow und unsere Technologie sowie unsere Ausbildungsmöglichkeiten nutzbringend einsetzen. Freilich müssen wir uns darüber klar sein, daß derlei Abkommen nur mit solchen Staaten möglich sein werden, die Überschüsse aufzuweisen haben.
Neuntens. Im Zusammenhang mit der Europäischen Gemeinschaft fordert die Opposition im Pressedienst vom 22. April 1976 und auch im Deutschland-Union-Dienst:
Von entscheidender Bedeutung ist, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft als eine Einheit auftreten und die Konvention auch von der EG-Kommission unterzeichnet wird.
Diese Forderung hat die Bundesregierung seit Beginn der Seerechtskonferenz verfolgt. Allein in der
. Session in New York haben deshalb nicht weniger als 80 Koordinierungssitzungen im EG-Rahmen stattgefunden. Schon zuvor und seither wurden zwischen den Sessionen regelmäßige EG-Koordinierungen durchgeführt. Dank intensiver Bemühungen
aller Partnerländer ist es gelungen, eine gemeinsame Position zum Wirtschaftszonenkonzept, zu den Fischereiartikeln der Konvention, zu den Hohe-SeeArtikeln, zu den halbgeschlossenen Meeren, zum Archipelstaaten-Sonderregime, zur wissenschaftschaftlichen Meeresforschung, zum Transfer mariner Technologie und zur EG-Klausel zu erarbeiten. Beim internationalen Meeresbodenregime und beim Schutz der Meeresumwelt gegen von Schiffen ausgehende Verschmutzungen konnten die Positionen angenähert werden. Ihre vollständige Harmonisierung wird weiter angestrebt.
Zehntens. Lassen Sie mich nun etwas zu der Freiheit des zivilen und militärischen Seeverkehrs sagen. Seine Freiheit von Hindernissen ist ein Anliegen, das der Bundesregierung ebenso wie den Regierungen ihrer Bündnispartner am Herzen liegt. Übrigens geht -- dies als Interessengleichlage hervorzugehen ist ja nicht falsch das Interesse der Warschauer-Pakt-Staaten in die gleiche Richtung, wenn auch mit unterschiedlichen Vorstellungen in der Sache;
({28})
das ändert nichts daran, daß auf Konferenzen jede Stimme wichtig ist.
Der zivile Seeverkehr, der 85 % unseres zwischenstaatlichen Güterverkehrs erfaßt, ist für die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer Abhängig18466 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Bundesminister Genscher
keit vom Außenhandel von lebenswichtiger Bedeutung. Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß sich der internationale Seeverkehr in der Nähe der Küsten vollzieht. Die Ausdehnung des Küstenmeeres auf 12 Seemeilen und die Errichtung von 200-Seemeilen-Wirtschaftszonen dürfen nicht zur Behinderung des deutschen Seeverkehrs führen. Der Grundsatz der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer muß aufrechterhalten werden. Darüber hinaus muß in den internationalen Wasserstraßen, die durch Ausdehnung des Küstenmeeres auf 12 Seemeilen künftig in das Küstenmeer von Anrainerstaaten fallen, ebenso wie in der Wirtschaftszone gänzlich freie Durchfahrt bzw. freier Überflug herrschen.
Sowohl der Genfer Verhandlungstext wie der revidierte New Yorker Verhandlungstext kommen diesen Forderungen nahe. Gefährdet werden könnte unsere Seeschiffahrt durch zu weitreichende Befugnisse der Küstenstaaten auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes, wenn diese Bestimungen nämlich sinnwidrig zur Durchsetzung anderer Ziele angewandt würden.
Die Bundesregierung hält die Regelung des revidierten New Yorker Verhandlungstextes, was den Schutz gegen Gefahren aus der Versenkung von Abfallstoffen und gegen Gefahren z. B. des Ablassens von 01 durch Schiffe anbelangt, für einen tragfähigen Kompromiß. Er sucht den beiden Faktoren, nämlich Schiffahrt auf der einen Seite und Erhaltung der Meeresumwelt auf der anderen Seite, in etwa Rechnung zu tragen. Ein besonderes Problem stellt die sogenannte Versorgungsschiffahrt, d. h. die Schiffahrt zur Versorgung von Bohrinseln und ähnlichem, in den Wirtschaftszonen dar. Hier machen sich schon heute Tendenzen breit, diese Art der Schiffahrt der nationalen Schiffahrt vorzubehalten.
Elftens. Die wissenschaftliche Meeresforschung wird sich damit abfinden müssen, daß sie, soweit sie ressourcenbezogen ist, in der künftigen Wirtschaftszone nur noch mit Genehmigung des jeweiligen Küstenstaates vor sich gehen wird. Diese Regelung ist die logische Folge der Ressourcenhoheit des Küstenstaates. Nicht dagegen befriedigt ein Kostenregime auch für die Grundlagenforschung, wie es im revidierten Verhandlungstext vorgesehen oder noch vorgesehen ist.
Die Bundesregierung wird sich im Verein mit den Regierungen der 18 Hauptforschungsstaaten für eine Änderung dieser Regelung auf der 5. Session einsetzen. Sie sieht es nicht als ausreichend an, daß die Genehmigung zur Grundlagenforschung im Regelfall erteilt werden soll.
Beim Transfer mariner Technologie wird darauf zu achten sein, daß kein Zwangstransfer stattfindet, insbesondere keine patentierte Technologie ohne Einwilligung privater Patentinhaber übertragen wird.
Zwölftens. Zum Abschluß noch ein grundsätzlicher Gedankengang zur Streitregelung. Wenn, was wir alle hoffen, eine Neuordnung des Seerechts als ein von einer großen Mehrheit von Staaten getragener Kompromiß zustande kommt, ist damit das Konfliktpotential als solches nicht beseitigt. Es wird lediglich in eine Ordnung gefügt. Streitfälle, die schon jetzt vorausgesehen werden können und die natürlich entstehen werden, bedürfen innerhalb dieser Ordnung und zur Erhaltung derselben einer Streitregelung. Diese Streitregelung muß nach Auffassung der Bundesregierung eine durchgehende, d. h. alle Kapitel der künftigen Seerechtskonvention erfassende, obligatorische Streitregelung sein. Wir erachten dies schon aus dem Grunde für notwendig, weil nur durch eine Streitregelung verbleibende Rechte der Staatengemeinschaft in der Wirtschaftszone ebenso wie Rechte von Staaten und Unternehmen aus der Betätigung am internationalen Meeresboden geschützt werden können. Andernfalls würden wir es erleben, daß Küstenstaaten ihre Rechte in der Wirtschaftszone einseitig ausweiteten mit dem Ergebnis, daß die Wirtschaftszone schließlich nicht mehr von einem Küstenmeer von 200 Seemeilen Ausdehnung zu unterscheiden wäre.
Dreizehntens. Ich möchte vorab noch einen Gedanken aufnehmen, der in der Großen Anfrage - z. B. in Frage 8 - auftaucht: die Frage, ob es der Bundesrepublik Deutschland möglich wäre, sich gegebenenfalls von der Seerechtskonferenz zurückzuziehen.
Meine Darren und Herren, Sie wissen, daß die verschiedenen Materien der Seerechtskonferenz als Paket behandelt werden. Ein Zurückziehen der Bundesrepublik von der Konferenz würde zunächst einmal den Gang der Dinge nicht aufhalten, sondern allenfalls in einer uns unangenehmen Richtung beschleunigen. Die Seerechtskonferenz dürfte nach allem menschlichen Ermessen zu konkreten Ergebnissen kommen. Würde eine isolierte Bundesrepublik Deutschland einer Seerechtskonvention nicht zustimmen, würde sie sich außerordentlichen Schwierigkeiten nach dem Inkraftsetzen der Konvention durch die Vertragsstaaten ausgesetzt sehen. Die Anwendung der Konvention durch die große Mehrheit der Vertragsstaaten würde eine Staatenpraxis zur Folge haben, die auf die Dauer die Gefahr mit sich brächte, in ihren Grundfragen der Bundesrepublik Deutschland als Völkergewohnheitsrecht entgegengehalten zu werden. Wir würden uns der Möglichkeiten des weiteren Mitgestaltens etwa beim Meeresbodenregime, beim Umweltschutz, beim Fischereiregime usw. begeben.
Ein Scheitern der Seerechtskonferenz insgesamt ist nicht abzusehen. Trotzdem will ich auch dieser Frage, was geschehen könnte, wenn die Konferenz scheiterte, hier einige Aufmerksamkeit widmen. Ein Scheitern auch nur in Teilbereichen würde eine Kette einseitiger, in jedem Falle für uns nachteiliger Maßnahmen auf dem Gebiet des Völkerrechts in Gang setzen.
({29})
Das hätte zur Folge, daß das Konfliktpotential größer würde und daß es zu anarchischen Zuständen käme. Ein Kurzküstenstaat wie die Bundesrepublik Deutschland hätte darunter besonders zu leiden.
Vierzehntens. Uns leiten auf dieser Konferenz wichtige Interessen, die ich noch einmal zusammenfasse:
Wir wünschen den freien, rechtlich geordneten und nicht diskriminierten Zugang zu den Rohstoffen des Tiefseebodens.
Wir brauchen den ungehinderten Seeverkehr.
Uns liegt an der Sicherung unserer Eiweißversorgung aus dem Meer sowie an den Möglichkeiten zum Einsatz und zur Weiterentwicklung unseres Know-how, unserer Technologie und der Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Fischereisektor.
Wir wollen eine internationale Regelung des Meeresumweltschutzes unter Ausschluß von Mißbrauchsmöglichkeiten.
Unsere wissenschaftliche Meeresforschung muß sich betätigen können.
Insgesamt kann festgestellt werden: auch der Bundesrepublik Deutschland wie ihren Bürgern muß der ihnen zukommende Freiheitsspielraum gesichert bleiben.
Für die Wahrung dieser Interessen setzt sich die Bundesregierung auf der Seerechtskonferenz mit aller Energie ein. Deshalb arbeitet die Bundesregierung auf dieser Konferenz konstruktiv mit, um so dazu beizutragen, daß eine von der überwiegenden Mehrheit der Völkergemeinschaft getragene und für uns vollziehbare Neuregelung der seerechtlichen Fragen möglich wird. Nur durch ein Gelingen der Seerechtskonferenz kann Anarchie vermieden werden, die als Folge von Alleingängen und durch Anwendung des Rechts des Stärkeren oder des örtlich Näheren unweigerlich eintreten würde. Die zu schaffende Neuordnung wird sicherlich nicht in allen Punkten unseren Idealvorstellungen entsprechen. Insofern wird unsere Situation nicht anders sein als die der anderen 146 Teilnehmerstaaten auch. Wenn 147 Länder - jedes mit seinen eigenen Interessen - zu einer Einigung zu kommen suchen, wird diese Einigung immer nur als Kompromiß denkbar sein.
Diese Konferenz unterscheidet sich außerdem dadurch, daß sie sich von Problem zu Problem jeweils unterschiedlich zusammengesetzten Interessengruppierungen gegenübersieht.
({30})
Das macht die Arbeit nicht leichter. Wir haben auch darüber in unserer Antwort auf die Große Anfrage ausführlich Auskunft gegeben.
Ich darf wiederholen, meine Damen und Herren: Mit der 5. Session der Seerechtskonferenz beginnt ein entscheidendes Stadium. Die Bundesregierung wird sich ihrer Verantwortung, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland auf dieser Konferenz zu wahren, auch in dieser Phase mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten stellen. Wir sind der Meinung, daß auch hier die konstruktive Mitarbeit der Politik des „Alles oder Nichts" vorzuziehen ist.
({31})
Das
Wort hat der 1-lerr Abgeordnete Grunenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein geringerer als der amerikanische Außenminister hat die Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen als eine der umfassendsten und wichtigsten Konferenzen der Weltgeschichte bezeichnet. Worum geht es? Zwei Weltkriege haben die Machtverhältnisse auf der Erde entscheidend verändert. Das koloniale Zeitalter ist zu Ende gegangen. Der Fortschritt mariner Technologien, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schienen, machte es möglich, die Schätze, insbesondere des Meeresbodens und des Meeresunterbodens, in großem Umfange auszubeuten. Öl und Gas, Manganknollen, interessant wegen ihres Gehalts an Nickel, Kupfer und Kobalt, aber auch Erzsände, Erzschlemme und -seifen gewinnen angesichts der Verknappungstendenzen bei terrestrischen Vorkommen und wachsendem Bedarf der Welt immer größere Bedeutung. Der Bevölkerungszuwachs in zahlreichen Ländern macht die Ressourcen lebender Art zu einer bedeutenden zusätzlichen Nahrungsquelle. Manche Länder haben in dem Fischreichtum vor ihren Küsten ihren fast einzigen Reichtum. Angesichts der manchmal recht ungehemmt betriebenen Fischerei einzelner Nationen - trotz internationaler Vereinbarungen - wurden die Fischbestände in manchen Bereichen stark reduziert. Einzelne Arten sind fast ausgerottet. So ist es denn kein Wunder, daß sich Völker, die in ihrer Technologie noch nicht so weit fortgeschritten sind, gegen eine ungeregelte Ausbeutung des Meeres wehren.
Vor diesem Hintergrund beurteilt die SPD-Fraktion das Bestreben der internationalen Staatengemeinschaft, eine konfliktverhütende Neuregelung der Rechte auf, in und unter den Meeren herbeizuführen.
({0})
Sie allein kann der Gefahr einer Anarchie, einer Anarchie durch buntscheckige und einseitig erklärte Ansprüche, wie sie schon von mehr als 20 Staaten ausgesprochen sind und von anderen angestrebt werden, entgegensteuern und eine weltweit gültige und verbindliche Lösung der nationalen und internationalen Rechte am Meer und am Meeresboden herbeiführen.
Zwei Problemgruppen stehen dabei im Vordergrund.
Erstens. Für die Küstenvorfelder steht fest: der Küstenstaat erhält bevorrechtigte Nutzung. Ebenso gehört hierher das Problem von 120 neuen „juristischen" Meerengen, die durch die Verbreiterung des Küstenmeeres von drei auf zwölf Seemeilen entstehen. Auf die Probleme, die sich aus der Einrichtung von Wirtschaftszonen und der Nutzung des Festlandsockels ergeben, komme ich im einzelnen noch zurück.
Zweitens der Tiefseeboden. Er enthält unermeßliche Schätze an Mineralien, die auf der Erde teilweise so selten sind, daß sie als strategische Mine18468 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode 257. Sitzung. Bonn, Freitag, cien 2. Juli 1976
ralien bezeichnet, werden konnten. Nur eine kleine Gruppe von Industriestaaten besitzt die Technologie, in Tausenden von Metern Wassertiefe diese Vorkommen auszubeuten. Ihr gegenüber steht die geschlossene Gruppe der Entwicklungsländer, die selbst nicht abbauen können, zum Teil aber als Landproduzenten Konkurrenz fürchten und daher eine Internationalisierung des Meeresbodenbergbaus fordern. Sie sehen nicht ein - und manche ihrer Argumente sind verständlich -, daß eine Handvoll reicher und technologisch fortgeschitlener Staaten diese Schätze, die einmal als „Erbteil der Menschheit" bezeichnet worden sind, um das der Erbenstreit nun auf der Konferenz geführt wird, ausbeuten dürfen, ohne daß die überwältigende Mehrheit der Staaten daraus Nutzen ziehen kann.
Vor diesem Hintergrund muß das Verhandlungspaket der Seerechtskonferenz gesehen und politisch gewertet werden.
({1})
Es ist schier unmöglich, die Interessengruppen und Koalitionen der Konferenz im einzelnen darzustellen, die im Hintergrund die Fäden gezogen und Sonderinteressen und Gruppeninteressen miteinander und gegeneinander abgeklärt haben. Die Gruppe der von der Natur begünstigten Staaten mit langen Küsten hat es zum Beispiel in jahrelanger, ja jahrzehntelanger Kleinarbeit verstanden, eine Mehrheit für ihre Forderungen zu finden.
Diese Forderungen sind: Neben der Verbreiterung des Küstenmeeres auf 12 Seemeilen soll eine daran anschließende Wirtschaftszone von insgesamt 188 Seemeilen den Küstenstaaten zur bevorrechtigten, vielleicht sogar exklusiven Nutzung zugesprochen werden. Auch der Festlandsockel soll unter bestimmten Bedingungen bevorrechtigt vom Küstenstaat genutzt werden können.
Aus dieser zu erwartenden Regelung ergibt sich ein ganzes Bündel von Problemen. Einige seien genannt: Das Durchfahrt- und Überflugrecht durch und über 120 neue juristische Meerengen, die durch die Küstenmeerverbreiterung entstehen, muß geregelt werden. Es stellt sich die Frage, welche Rechte der Küstenstaat sowohl in der Wirtschaftszone als auch über den Festlandsockel ausüben darf. Welche Forderungen sind an den Meeresumweltschutz zu stellen und welche Schiffssicherheitsbestimmungen darf der Küstenstaat etwa einseitig verfügen und damit internationale Standards entweder überoder unterschreiten? Solche und eine Unmenge anderer Fragen berühren den Weltseeverkehr empfindlich und bedürfen einer umfassenden und zweifelsfreien Beantwortung.
({2})
Man ist ihr näher gekommen. Die beiden Supermächte haben auf diesem Feld von Anfang an dargetan, daß sie hier keine Unklarheiten dulden werden. Für sie war eine konventionsrechtliche Regelung, die die Interessen ihrer zivilen und militärischen Schiffahrt nicht berücksichtigt, einfach nicht annehmbar. Aus diesem Grund ist damit zu rechnen, daß eine Regelung zustande kommt, die die Schiffahrtsfreiheit weitgehend aufrechterhält.
Während es in der Frage der Neuordnung im küstennahen Bereich zu Interessenkoalitionen zwischen Nord, Süd, Ost und West gekommen ist, waren in der Frage des Tiefseebergbaus die Fronten über Jahre hinweg verhärtet. Hier ist die Dritte Welt in der Gruppe der 77 solidarisch organisiert. Mit etwa 110 Mitgliedern verfügt sie über eine Zweidrittelmehrheit. Sie forderte lange Zeit eine Nutzungsordnung des Tiefseebodens mit einer internationalen Meresbodenbehörde. Diese sollte ein Nutzungsmonopol der Tiefseeschätze, das bis zur Verhüttung und Vermarktung gehen sollte, erhalten.
Die Industrieländer - westliche wie östliche hielten dem entgegen, daß allein sie über Kapital und Technologie verfügten, um Meeresbodenbergbau zu betreiben. Allerdings erkannten sie schon bald, daß ihr Ziel, eine internationale Meeresbodenbehörde auf den Rang eines Bergamts herabzudrücken, das Lizenzen vergibt, nicht durchzusetsen war.
Inzwischen bahnt sich ein Kompromiß an. Die Vereinigten Staaten schlugen schon im vergangenen Jahr durch Henry Kissinger ein Mischsystem vor, das die Richtung festlegte, in der eine Kompromißlösung herbeizuführen ist. Demnach kann eine künftige Meeresbodenbehörde mit technologischer und Kapitalhilfe der Industriestaaten selber Tiefseebergbau betreiben, während dafür Unternehmen und Staaten der Meeresbergbau zu praktikablen Bedingungen ermöglicht wird.
Die Bundesrepublik Deutschland ist vielleicht zu spät in die UNO gekommen; ein Jahr eher wäre besser gewesen. Eine ganze Anzahl von Vorentscheidungen zur Seerechtsproblematik waren zu diesem Zeitpunkt schon gefallen. Trotzdem hat die Bundesregierung rechtzeitig ihre Interessenschwerpunkte festgelegt. Sie werden heute noch einmal in der Entschließung der Koalitionsfraktionen nachdrücklich unterstrichen und gelten weiterhin:
Erstens die Freiheit des See- und Luftverkehrs. Hier hat die Bundesrepublik an der Seite der Hauptschiffahrtsnationen einschließlich der Supermächte große Chancen, eine künftige Konvention ur Schiffahrtsfreiheit, die allen Ländern dient, zur Verabschiedung zu bringen.
Zweitens der Tiefseebodenbergbau. Freier, geordneter, nicht diskriminierender Zugang zu den Ressourcen des Tiefseebodens ist für ein Land wie die Bundesrepublik, das 10 % der Weltbergbauproduktion der wichtigsten Mineralien verbraucht und nur 1 % selbst zu fördern vermag, vordringlich. Der Kompromiß, der sich abzeichnet, rechtfertigt Investitionen, die von der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland getätigt und von der Bundesregierung mit erheblichen Mitteln gefördert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Interessen ist die deutsche Fernfischerei. Sie wird durch künftige Wirtschaftszonen hinsichtlich ihrer traditionellen Fanggründe Einbußen hinnehmen müssen. sie werden aber durch gemeinsame Nutzung eines künftigen EG-Meeres gemildert werden können. Die SPD-Fraktion unterstützt die nachdrücklichen
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 257. Sitzung. Bonn, Freitag, cien 2. Juli 1976 18469
Bemühungen der Bundesregierung, ei tie gemeinsame Fischereiordnung der EG beschleunigt zu erreichen. Darüber hinaus ist es notwendig, der Fernfischerei traditionelle Fanggründe auch durch bilaterale Abkommen zu erhalten und neue hinzuzugewinnen. Dabei sind Know-how, Fangtechnologie und Ausbildungskapazitäten im Fischereisektor wichtige Trümpfe in unserer Hand.
({3})
Forschungsexpeditionen nach neuen Fanggründen und die überaus erfolgreiche Expedition in die Antarktis zur Erschließung der größten Eiweißreserve der Erde eröffnen wichtige Ausweichmöglichkeiten für die Zukunft. Das Seefischereivertragsgesetz, das der Bundestag in der letzten Woche einstimmig verabschiedet hat, gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Die Meeresforschung, die de iure eingeschränkt werden soll, ist tatsächlich zusammen mit dem hohen, weltweit anerkannten Stand der deutschen Meerestechnologie ein Kapital, das es der Bundesrepublik ermöglicht, in Wirtschaftszonen und Festlandssockeln von Drittstaaten über gemeinsame Unternehmungen und eine Vielzahl von Kooperationsformen tätig zu werden.
Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages ist der Meinung, daß die Handels-, Schiffahrts-, Rohstoff- und Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland durch eine weltweit akzeptierte Neuordnung, die einseitig erklärte und willkürlich begründete Ansprüche ausschließt, am ehesten gesichert werden. Die Ablehnung eines neuen Meeresvölkerrechts, auch wenn es in manchen Punkten nicht unseren Idealvorstellungen entsprechen sollte, würde uns gegen den Rest der Welt ins Abseits stellen.
Der vorliegende Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen wird der Bundesregierung und der Delegation, der für ihre bisherige Verhandlungsführung auf der Seerechtskonferenz Dank und Anerkennung gebührt, bei den zukünftigen Verhandlungen zum Wohle der Bundesrepublik Deutschland von überaus großem Nutzen sein.
({4})
Ich
weise darauf hin, daß mit der Drucksache 7/5561 inzwischen ein weiterer Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU eingebracht und im Hause verteilt worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat - um damit anzufangen - in seiner Rede die Koordinierung der norddeutschen Küstenländer und die Rolle Schleswig-Holsteins angesprochen. Ich beklage wie Sie, daß die letzte Sitzung ohne einen Beobachter aus Norddeutschland ablief. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Finanzierung dieses Beobachters nach meiner Information durch die vier Küstenländer gemeinschaftlich erfolgen sollte und daß die Finanzierungsverabredung für diese Sitzung nicht zustande kam, weil die beiden weltoffenen Hansestädte, also die beiden sozialdemokratisch geführten Städte Bremen und Hamburg, nicht in der Lage bzw. bereit waren, sich an dieser Finanzierung zu beteiligen.
({0})
- Ich antworte auf Fragen und Bemerkungen, die die Bundesregierung, die von Ihnen gestützt wird, Herr Kollege Wehner, vorgebracht hat.
({1})
In diesem Zusammenhang sollte ich auch darauf hinweisen, Herr Bundesaußenminister, daß mir nicht bekannt ist, daß zu irgendeinem Zeitpunkt zu diesem Thema ein politisches Gespräch etwa der Länderministerpräsidenten Norddeutschlands mit der Bundesregierung stattgefunden hat.
Zweitens. Herr Bundesminister, Sie haben von der Haltung oder der Auffassung der Opposition über deutsche Konferenzmöglichkeiten eine Karikatur gezeichnet, indem Sie uns unterstellen, wir hätten eine Art deutsche Alleinverantwortung für alles behauptet, was auf diesen Konferenzen geschieht. Herr Bundesaußenminister, wir kennen die Grenzen der deutschen Möglichkeiten, wir leiden nicht an Großmannssucht, und wir sind auch nicht bereit, eine Sprache zu akzeptieren, wie diese Regierung sie gebraucht und die uns im Ausland seit Monaten angekreidet wird.
({2})
Wir kennen aber auch unsere Möglichkeiten und unsere Mitverantwortung für alles, was auf diesen Konferenzen geschieht. Wir werden Sie allein, aber auch in vollem Umfang daran messen, ob Sie diesen Möglichkeiten und dieser Mitverantwortung gerecht geworden sind.
Meine dritte Vorbemerkung. Herr Bundesaußenminister, ich glaube, wenn die Bundesregierung sich 1972/73 nur einmal politisch so viel um diese Konferenz gekümmert hätte wie jetzt, nachdem unsere Große Anfrage sie dazu zwingt, hätte die Konferenz einen anderen Verlauf genommen.
({3})
Die Themen der heutigen Debatte sind durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet, die schon angeklungen sind. Die erste ist, daß es sich hier um eine der wichtigsten Konferenzen handelt, die je stattgefunden haben. Die amerikanische Presse vergleicht sie mit SALT, mit der Weltbevölkerungskonferenz oder den anderen großen Konferenzen. Für 70 % der Oberfläche dieses Planeten werden Macht- und Rechtsverhältnisse neu geordnet.
Die zweite Besonderheit ist, daß die komplizierte Gemengelage von sicherheits-, außen-, entwicklungs-, außenwirtschafts-, energie-, wissenschaftspolitischen und anderen Einzelthemen und Einzelinteressen zum Ende dieser Legislaturperiode uns allen ein Signal für die weitere Entwicklung der Weltpolitik zu einer höchst unvollkommenen Weltinnen18470
politik mit einer wachsenden Zahl von Konfliktstoffen setzt, die wir noch längst nicht unter Kontrolle haben. Wir haben sehr wohl bemerkt, Herr Bundesaußenminister, wie häufig Sie das Wort Anarchie in Ihrem Vortrag wie auch in der Beantwortung der Anfrage gebraucht haben. In der Tat droht sie uns als Gefahr.
Die dritte Besonderheit ist, daß diese Debatte vor Abschluß der Konferenz stattfindet und deshalb Möglichkeiten eröffnet, auf das Verhalten der deutschen Delegation und damit auf den Verhandlungsablauf Einfluß zu nehmen.
Viertens legen die Tragweite der Probleme und die Schwierigkeiten ihrer Lösung von Anfang an die Feststellung nahe, daß kein Partner dieser Verhandlungen an einem ungebührlichen Zeitdruck interessiert sein sollte; das sollte schon gar nicht Deutschland sein. Die Qualität der Kompromisse und vor allem die friedensichernde Lösung der Probleme sollten Vorrang vor allen innenpolitischen Erwägungen haben, mit denen diese Konferenz von einigen Teilnehmern nicht immer verantwortungsvoll unter Druck gesetzt wird.
Das Konferenzergebnis wird die bisher tragende Völkerrechtsregel der Freiheit der Meere nachhaltig beeinträchtigen. Um ein Beispiel zu wählen: wenn bisher bei einem Abstand zweier Küsten von 1000 Kilometern davon nur 6 Seemeilen Hoheitsgewässer waren, also nur 1 % der Gesamtdistanz, besteht jetzt die Gefahr, daß je nach Ausgestaltung der Wirtschaftszonen 400 Meilen - das sind mehr als 740 Kilometer - irgendwelchen nationalen Hoheitsbefugnissen unterworfen sein können, und der verbleibende Rest von wenig mehr als 250 Kilometern, also ein Viertel der ursprünglich allein der hohen See unterworfenen Strecke, könnte sogar noch weiter dadurch beschränkt werden, daß eine Kontinentalschelfregelung über 200 Seemeilen hinausgeht.
In der emotionalisierten Debatte über diese Nationalisierung der hohen See ist sogar die historische Ausgangslage verfälscht worden. Die Freiheit der Meere ist - um im Jargon der heutigen Zeit zu sprechen - kein postkolonialistischer Restbestand der alten Seefahrernationen, sondern geht zurück auf die berechtigten Forderungen der kleinen Seefahrernationen des 17. und 18. Jahrhunderts auf eine durch die großen Seefahrernationen nicht behinderte diskriminierungsfreie Nutzung der hohen See.
({4})
Aus dem Interview des Staatsministers Moersch vom Auswärtigen Amt habe ich indessen den Eindruck gewonnen, daß auch er diesen historischen Zusammenhang nicht mehr erkannt hat. Hugo Grotius hat für die Rechte des kleinen Holland gegen England, Spanien und Frankreich gekämpft. An sich sollte man meinen, daß dieselbe Interessenlage auch heute noch manchen Entwicklungsländern eher entspricht als eine Beseitigung der Freiheit der Meere.
({5})
Die wirtschaftliche Bedeutung des freien Seeverkehrs ergibt sich am besten daraus, daß wir feststellen, daß 85 % cies Welthandelsvolumens über See abgewickelt werden. Jede Diskriminierung, Behinderung oder willkürliche Verteuerung des Seetransports müßten also automatisch den Welthandel insgesamt treffen.
Aber auch das sollte gesagt werden: Die Freiheit der Meere ist die einer liberalen Weltwirtschaftsordnung angemessenste Regelung der Rechtsverhältnisse auf einem möglichst weit ausgedehnten Bereich der hohen See. Wir haben die Freiheit der Meere leider viel zu lange als eine Selbstverständlichkeit des Weltseeverkehrs betrachtet mit der Folge, daß sich niemand mehr für diesen Grundsatz politisch verantwortlich fühlte, geschweige denn bereit war, seine Verletzungen zu bekämpfen. Die heutige Situation wäre sicherlich zufriedenstellender, hätte die Serie der einseitigen Verletzungen des Grundsatzes der Freiheit der Meere namentlich seit 1945 insbesondere durch die Staaten Nord- und Südamerikas ernsthafteren Widerstand gefunden.
Nur so hat sich die unbillige Situation entwickeln können, daß etwa in den Bereichen der freien Seefahrt oder Fischerei heute viele Staaten mit der Forderung auf einen entschädigungslosen Verzicht auf ihre traditionellen Rechte konfrontiert werden und sie nicht mehr selbst wirksam schützen können. Dies gilt auch für die Forderung nach einem entschädigungslosen Verzicht auf die nach bisherigem Recht mögliche freie Nutzung der Meeresbodenschätze. Die Unvollkommenheit der Weltvölkerrechtsgemeinschaft und die mangelnde ordnungspolitische Verantwortungsbereitschaft für Bestand und Entwicklung der liberalen Weltwirtschaftsordnung spielen sich also in diesen Zumutungen und in der äußerst komplizierten Konferenzlage zum Nachteil aller, nicht zuletzt auch des Weltfriedens wider.
So wie in den letzten 30 Jahren eine vielfach unbedachte Verfolgung begrenzter Interessen das Recht der Freiheit der Meere nachhaltig geschwächt hat, so sehr geschwächt hat, daß die Alternative zum Scheitern dieser Konferenz nur Anarchie sein soll, so droht auch heute auf dieser Konferenz die Überbetonung materieller Einzelinteressen den Blick dafür zu versperren, daß dort insgesamt zahllose kriegsfähige - wenn ich mich so ausdrücken darf - Konfliktstoffe geschaffen werden, deren Risiken in keinem Verhältnis zum materiellen Nutzen der Betreiber dieser Änderungen stehen. Die blutige Geschichte der Menschheit zeigt uns, wieviel Unglück die Folge von Grenzstreitigkeiten gewesen ist.
Wer sagt uns, daß die möglichen Streitigkeiten um die zahllosen neuen Seegrenzen nicht künftig ebenfalls wieder Konfliktstoffe dieser Art liefern? Es muß nicht immer bei den Rammversuchen und dem Kappen der Fangleinen bleiben, mit denen unter dem Schutz kleiner Kanonen der beklagenswerte britisch-isländische Fischereikrieg geführt wird. Wir würden die Gesamtlage falsch interpretieren, wenn wir diesen Streit unserer beiden NATO-Partner als eine rein lokale Besonderheit deuten würden.
({6})
Er ist vielmehr symptomatisch für die Zunahme der Rechtlosigkeit auf See. Ein Blick in die explosiven Komplikationen der griechisch-türkischen Auseinandersetzung um die Ägäis macht dies ebenso deutlich wie ein Studium der schwierigen Seegrenzprobleme in Südostasien.
Überdies schafft allein die Ausdehnung des Küstenmeeres auf 12 Meilen mehr als 100 neue Meerengen. Wer die Macht- und Kriegsgeschichte um die wenigen schon bestehenden Meerengen im Auge hat, wird sich nur schweren Herzens mit dem Gedanken abfinden können, daß hier ohne Not mehr als 100 weitere Meeresengen zusätzlich geschaffen worden sind.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich für uns zwingend das deutsche Interesse, die Ausweitung der Hoheitsgebiete so klein wie möglich zu halten und sie dort, wo ihre Ausweitung unvermeidlich ist, so präzise wie nur irgend denkbar zu beschreiben und zu begrenzen. Jeder nationale Ermessensspielraum schafft Vorwände für Willkür, Diskriminierung und damit Konfliktstoffe. Dies gilt für das Küstenmeer, besonders aber auch für die Ausdehnung der Nutzungsrechte auf die sogenannte Wirtschaftszone. Aus ihr sollte kein allgemeiner Hoheitsanspruch abgeleitet werden können, damit das Recht der hohen See die Regel und seine Einschränkungen die Ausnahme bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, welch ein Interesse eine verantwortliche Regierung an einer anderen Lösung haben könnte, sofern - dieser Gesichtspunkt scheint mir bei dem, was bisher zur Konferenz gesagt worden ist, nicht genügend beachtet geworden zu sein - die militärische Sicherheit, die allgemeine Sicherheit der Anlagen in den Wirtschaftszonen garantiert ist
Aus dem Vorgesagten ergibt sich des weiteren aber auch unser Interesse, Schelfgebiete jenseits der Wirtschaftszone nicht auch noch hoheitsmäßig aufzuteilen. Dies wäre der Anfang der Totteilung aller Meere und liefe unseren Sicherheitsinteressen zuwider. Wenn ich richtig unterrichtet bin, würde eine solche hoheitsmäßige Schelflösung dazu führen, daß 45 % der Arktis in sowjetisches Hoheitsgebiet umgewandelt würden. Schließlich sollte eine solche Ausdehnung auch den Interessen der Entwicklungsländer zuwiderlaufen; denn durch sie würde der Anwendungsbereich des vorgesehenen Meeresbodenregimes eingeengt und folglich auch ihre Hoffnung auf Erlöse aus diesem Regime gemindert werden.
Indessen, so klar unser Interesse gegen die Ausdehnung einer hoheitsrechtlich konzipierten Wirtschaftszone auf den Schelfbereich spricht, so deutlich sollte auch erkannt werden, daß es einen Zusammenhang zwischen diesem unserem Interesse und der praktischen Ausgestaltung des Meeresbodenregimes gibt. Sollte ein solches Regime in Erfüllung einiger Extremforderungen rein dirigistischen Entwicklungen und der Bildung von Rohstoffmonopolen Vorschub leisten, könnte für unsere Delegation ein unerwünschter Zielkonflikt entstehen, der in Abwägung unserer überragenden Bedenken gegen jeden Dirigismus zu einer anderen Beurteilung unserer Interessenlage führen müßte. Wenn ich die Antwort richtig verstanden habe, bewertet die Bundesregierung diese Interessenlage etwa ähnlich. Es wird deshalb Aufgabe unserer Delegation sein, bei den Verhandlungen über das Meeresbodenregime deutlich auf den Zusammenhang zwischen seiner liberalen Ausgestaltung und seinem geographischen Anwendungsbereich hinzuweisen.
Es ist für uns bei dem gegenwärtigen Informationsstand leider nicht erkennbar, warum die Kornmission der Europäischen Gemeinschaften in ihren Vorschlägen an den Ministerrat, die leider zu dieser Debatte hier nicht vorliegen, der Ausweitung der hoheitsmäßig konzipierten Wirtschaftszone auf den Kontinentalschelf nicht widersprochen hat.
Eine besondere Gefahr der anstehenden Lösung liegt in den vielen Mißbrauchsmöglichkeiten, die mit der Einräumung aller möglichen Kontroll- und Eingriffsbefugnisse im erweiterten Küstenmeer und in der Wirtschaftszone verbunden sein können. Es sind unterschiedliche Bau-, Bemessungs-, Ausrüstungsvorschriften denkbar, unterschiedliche Standards der Verschmutzung. Aus diesem Kontrollrecht - darauf kommt es an - können Wettbewerbsverzerrungen und Vorwände für das Anhalten und die Inspektion von Schiffen herauskonstruiert werden. Was das wirtschaftlich bedeutet - das sollte ich hervorheben -, leuchtet am besten ein, wenn man sich vergegenwärtigt, daß für die modernsten Container-Schiffe die Tageskosten mittlerweile 100 000 DM erreichen dürften.
Was immer in den im Augenblick noch nicht vorliegenden Streitschlichtungstexten enthalten sein mag - wir befürworten eine möglichst obligatorische und wirksame Streitregelung -: ihre praktische Wirksamkeit wird davon abhängen, wieweit im Falle von Rechtsverstößen mit Sanktionen bewehrte Urteile durchgesetzt werden können. Vermutlich wird sich doch wie bisher der militärisch und wirtschaftlich stärkere mit allem durchsetzen können, sofern er nur ein Minimum an rabulistischer Fassade zu errichten sich bemüht.
Wenn dies, wie ich leider fürchten muß, richtig ist, so ergibt sich daraus auch der ganze Rückschritt der neuen Rechtsordnung im Vergleich zum bisherigen Völkerrecht. Es besteht die Gefahr, daß das Recht des Stärkeren praktisch stärker prämiert wird, als es bisher der Fall war.
Hat eigentlich jemand auch schon einmal - ich möchte diese Frage hinzufügen - darüber nachgedacht, daß die Erhebung von Kontrollgebühren bei Inspektionen leicht zur Erhebung von modernen Wegelagerergebühren umfunktioniert werden kann oder daß die Hoheitsrechte für Flaggendiskriminierung und Ladungslenkung mißbraucht werden können? Auch diese Gesichtspunkte sollten in die Konferenz einfließen.
Wir werden und müssen das Konferenzergebnis im übrigen nicht zuletzt auch daran messen, wie es sich auf den freien Seeverkehr für Handels- und Kriegsschiffe insbesondere in der Nord- und Ostsee auswirkt. Glasklare, eindeutige Rechtsverhältnisse müssen - gerade im Blick auf die Ostsee - die unverzichtbare Voraussetzung für die Billigung des
Verhandlungsergebnisses durch dieses Haus sein. Insoweit enthält die Antwort auf die Große Anfrage noch sehr viel Zukunftserwartungen, aber wenig Konkretes. Wir hoffen, daß jene glasklare Präzision am Ende der Konferenzserie erreichbar ist.
Was die anderen Streitpunkte - ich beziehe mich hier auf die Freiheit der Meere - anbelangt, so haben wir in der Antwort keine gravierenden Unterschiede entdeckt.
Was nun die Bestimmungen über das Meeresbergbau-Regime angeht, so sind wir uns alle darüber einig, daß sie von welttragender und präjudizierender Wirkung sind. Die entdeckten und vermuteten Mengen werden im Falle vieler Rohstoffe von überragender Bedeutung für die Entwicklung von Angebot und Preisen über Jahrzehnte hin sein können. Es gibt deshalb ein vitales deutsches Interesse daran, daß die Zugangsregelungen der Seerechtskonferenz den Marktmechanismus im Hinblick auf diese Rohstoffe nicht verzerren, manipulieren oder gar ganz ausschalten.
Es war deshalb richtig, daß die Delegation der Bundesrepublik ein marktwirtschaftliches Lizenzsystem vertreten hat und sich unter dem Druck der Verhandlungsereignisse nur widerwillig dem Gedanken eines Mischsystems zugewandt hat. Unsere Vorbehalte sind um so größer, als noch nicht einmal gesichert zu sein scheint, daß die Abbaufelder im Verhältnis von 50 : 50 aufgeteilt werden. Jedes dirigistische Behördenmonopol über den Meeresbergbau ist jedenfalls prinzipiell abzulehnen. Ich freue mich, daß insoweit zwischen Regierung und Opposition keine Meinungsverschiedenheit besteht.
Dasselbe gilt aber auch für alle Bestimmungen und Möglichkeiten, mit denen vor allem Fördermengen, Förderzeitpunkt und Preise für Bergbauprodukte außerhalb des Marktgeschehens beeinflußt werden sollen, oder gar - wie gelegentlich erörtert - für marktregulierende Interventionsinstrumente einer solchen Behörde. Es ist auch nicht erkennbar, warum eine solche Behörde internationalen Rohstoffabkommen beitreten sollte.
Uns geht es um funktionsfähige Märkte und nicht um wohlstandsfeindliche und damit letztlich unsoziale politische Machtpositionen. Wir fordern den freien Zugang zu allen Rohstoffen auf dem Meeresboden. Auch hier stehen wir wieder vor der eigenartigen, geradezu absurden Situation, daß ein Teil der Entwicklungsländer, der weder Öl noch Rohstoffe produziert, hartnäckig gegen sein eigenes wohlverstandenes Interesse stimmt, ohne dafür von anderen Entwicklungsländern auch nur im geringsten eine Kompensation zu erhalten. Ist es blockinterner Terror, oder ist es nur ein massenpsychologisches Phänomen? Eine Fortsetzung solcher Politik würde jedenfalls nahezu alle davon betroffenen Staaten an den Rand des Abgrundes bringen müssen.
Angesichts dieser grundsätzlichen Position vermögen wir nun für eine Meldung keine Rechtfertigung zu erkennen. Es heißt, daß für 20 Jahre die Mengen der Erzproduktion vom Meeresboden begrenzt sein und sich am Wachstum des Nickelverbrauchs orientieren sollten. Wir wären insbesondere dem Bundeswirtschaftsministerium sehr dankbar für eine präzise Information über die Entstehungsgeschichte, die Motive und die Bedeutung dieses Rezepts, das mir eher aus einer dirigistischen Giftküche zu kommen scheint, als das es auf eine liberale Grundhaltung zurückgeführt werden kann.
Im übrigen wollte ich nicht unterlassen, die Diskussion über Meeresbergbau und die Förderung von Kohlenwasserstoffen auch dadurch zu ergänzen, daß beides - Fördertechnik für Meeresrohstoffe und Kohlenwasserstoffe - ein industriepolitisches Anliegen allergrößter Bedeutung für deutsche Wissenschaft, deutsche Technik und deutsche Wirtschaft ist.
Zum Schluß einige Worte zur Europäischen Gemeinschaft. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, daß eine geschlossene Position der Europäischen Gemeinschaft wünschenswert gewesen wäre. Sie hätte, rechtzeitig begonnen, das Gesamtinteresse der Gemeinschaft so formulieren können, daß die regionalen Einzelinteressen darin sinnvoll aufgefangen worden wären. Das ist aus vielen Gründen zu spät und zu zaghaft begonnen worden; die üblichen Gründe der Handlungsschwäche der Europäischen Gemeinschaft haben auch dieses Thema nicht verschont. Vor allen Dingen hat die Europäische Gemeinschaft - das richtet sich an alle Ministerratsteilnehmer - diese Konferenz viel zu lange als ein Fischereithema behandelt.
Ich muß aber auch hinzufügen, daß manches reibungsloser und besser in der Gemeinschaft abgelaufen wäre, wenn bei Gelegenheit der Beitrittsverhandlungen, spätestens bei den Renegociations, diesen Themen, jedenfalls in ihren Grundzügen, als Verhandlungsgegenstand mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre. Wir können heute nur hoffen, daß insbesondere Großbritannien sich zu einer Fischereipolitik durchringt, die mit Geist und Buchstaben der Römischen Verträge vereinbar ist. Bei aller Berücksichtigung nationaler und regionaler Besonderheiten und legitimer Interessen darf die Gemeinschaft nicht zu einer Einbahnstraße der Leistungen umgebaut werden.
Wir gehen im übrigen davon aus und haben mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß die Konferenz-Akte eine befriedigende EG-Klausel enthält und von den zuständigen Gemeinschaftsorganen unterschrieben wird. Wir erwarten aber auch, daß die Gemeinschaft, sollte die Konferenz positiv beendet werden, unverzüglich verhandlungsbereit ist in den Fischereiproblemen, die dann dringender Lösung bedürfen. Sollte in der Sache allerdings eine befriedigende Gemeinschaftsposition nicht zu erreichen sein, so müßte die Bundesregierung noch deutlicher als bisher versuchen, unsere Interessen im Verband mit den geographisch benachteiligten Staaten zu verfolgen.
Wir verkennen nicht, daß unter den Bedingungen und im Verlaufe der Konferenz sich eine Situation ergeben hat, die auf eine Serie von Kompromissen in Paketverhandlungen hin drängt. Wir bezweiDr. Narjes
fein, daß die politischen Daten, die im Konferenzverlauf für die Deutschland interessierenden Probleme gesetzt wurden, optimal ausgefallen sind. Der darin liegende Vorwurf richtet sich - ich wiederhole, was Herr Kollege Mertes gesagt hat - nicht an die deutsche Delegation unter der hervorragenden Führung des Botschafters Knoke, sondern an die Bundesregierung, die dieses Thema jahrelang mit politischer Gleichgültigkeit begleitet hat. Alle Nachweise von Fleiß und Geschäftigkeit können diesen Vorwurf nicht entkräften.
({7})
Die Delegation hat unser Vertrauen, und ich lege Wert auf die Feststellung, daß sie auch in der nächsten Runde während des deutschen Wahlkampfes nicht unter irgendeinem tagespolitischen Erfolgsoder Zeitdruck steht.
({8})
In der Sprache alter Konferenzhasen gibt es den Begriff des Hardliners, des konsequenten Verhandlers. Die Delegation sollte schon heute wissen, daß sie niemand tadeln wird, wenn sie als Hardliner der praktischen Vernunft und einer verantwortlichen Friedenspolitik dem einen oder anderen auch einmal unbequem wird. Die Solidität und Qualität der Konferenzlösungen haben Vorrang vor allen anderen Erwägungen. Die Delegation sollte indessen auch über Rückfallpositionen und Alternativen nachdenken, falls die Konferenz ganz oder teilweise - etwa im Bereich des Meeresbodenregimes -scheitert.
Wir bedauern, daß die öffentliche Meinung von dieser für das 21. Jahrhundert wie für unsere Zeit so wichtigen Konferenz keine Notiz nimmt. Offensichtlich werden die Massenmedien mit dem Stoff nicht fertig. Der nächste Bundestag hat daher viel Anlaß, den Fragen der Seefahrt, des Meeresbergbaus, der Erschließung der Ozeane höhere politische Qualität und Priorität einzuräumen, als das bisher der Fall gewesen ist.
({9})
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst, um auf den historischen Exkurs von Herrn Narjes einzugehen, etwas zum historischen Hintergrund dieser Frage sagen. Denn ich hatte den Eindruck, daß Sie dabei im Zusammenhang mit Grotius eine falsche Darstellung gewählt haben. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß sich Grotius damals für die Niederlande eingesetzt hat, für einen Staat, der heute wohl in der Tat nicht zu den großen gerechnet werden kann. Zu dem Zeitpunkt aber, als er den Grundsatz aufgestellt hatte, die Souveränität eines jeden Landes solle nicht weiter reichen als die Schußkraft seiner Kanonen - das waren damals drei Seemeilen -, waren die Niederlande die bei weitem stärkste See- und Handelsmacht. Und dieser Grundsatz hatte damals überhaupt nicht den Zweck, die kleinen, damals unbedeutenden Seemächte zu schützen, sondern ganz im Gegenteil, er sollte die Kolonial- und Handelsinteressen der Niederlande auch in Ostindien schützen. Ich finde, man sollte diese Zusammenhänge nicht verkehren, wenn Sie hier schon einen historischen Ansatz suchen.
({0})
Der geschichtliche Hintergrund, Herr Kollege Narjes, ist auch wichtig, wenn man die vehementen Forderungen gerade der jungen Staaten der Dritten Welt nach einem nicht aus der Kolonialzeit stammenden Seevölkerrecht beurteilen will. Dies hat, denke ich, auch etwas mit Psychologie zu tun.
({1})
- Ja, Herr Kollege Narjes, wenn Sie jedes psychologische Hemmnis mit Rationalität überwinden könnten, sähe es mit Ihrer politischen Aussage und mit dem politischen Handeln Ihrer Fraktion sicherlich ganz anders aus.
({2})
Ich möchte, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, darüber hinaus mein Unverständnis über Tonart und Tendenz, wie sie den gesamten Text Ihrer Anfrage, einige Ihrer Bemerkungen hier und noch mehr allerdings die publizierten Äußerungen mehrerer Sprecher Ihrer Fraktion kennzeichnen, zum Ausdruck bringen. Sie bringen an der Sache vorbeigehende, bewußt Unsicherheit suggerierende Formulierungen und fördern damit natürlich überhaupt nicht die Lösung eines derart schwierigen Problems, das ohnehin schon ausreichend emotional belastet und von sehr divergierenden Einzelinteressen gekennzeichnet ist. Ihre hier vorgebrachten Töne, aber auch die Töne in Ihren Presseverlautbarungen passen meines Erachtens nicht zu jemandem, der in diesem Lande politische und damit eben auch außenpolitische Verantwortung übernehmen möchte - aber nicht wird.
({3})
- Na gut, wir warten ab, wie es am 3. Oktober ausgehen wird, Herr Mertes. Ich habe nur ähnliche Prophezeiungen sehr selbstsicherer Art von Ihnen gehört;
({4})
ich bin da ganz anderer Meinung.
Es geht jedenfalls, meine ich, nicht an, daß Sie bei einer internationalen Verhandlungsrunde, an der mehr als 140 Staaten beteiligt sind, hier mit einer derartigen säbelrasselnden Kraftmeierei auftreten und so salopp die Interessen ganzer Gruppen
von Staaten beiseiteschieben wollen, wie Sie das hier versucht haben.
({5})
- Herr Kollege Mertes, Ihre sachlichen Beiträge, mit denen ich mich auseinandersetzen wollte und möchte, haben mich an sich eher gereizt, etwas zu dazu sagen, als Ihre jetzigen Kommentare.
({6})
Wir Freien Demokraten wollen von daher jetzt auch nicht spekulativ im Vorgriff auf die fünfte Verhandlungsphase im August jubilieren oder resignieren - dazu ist es jetzt zu früh -, sondern wir vertrauen den Mitgliedern unserer Delegation ebenso, wie Sie dies getan haben, die natürlich unter der politischen Führung dieser Regierung und nach den politischen Maximen dieser Regierung das umzusetzen haben, was politisch gesetzt wird.
({7})
Und ich muß Ihnen sagen, mir erscheint Ihre Argumentation nicht nur in diesem Bereich etwas eigenartig. Was haben Sie sich eigentlich gedacht, als Sie in Frage 7 formuliert haben:
Hat die Bundesregierung klare Vorstellungen über die Grenzen der deutschen Konzessionsmöglichkeiten hinsichtlich der Interessen mit „herausragender politischer Bedeutung"? Wo liegen diese?
({8})
- Sie haben eine Anfrage eingebracht und haben nicht dazugeschrieben, dies möge man bitte im Ausschuß beantworten; Sie haben dies in der Antwort auf die Anfrage beantwortet haben wollen.
({9})
Wer so fragt, muß sich doch wirklich sagen lassen, daß es ein abenteuerliches Verständnis von Politik und politischen Verhandlungsmöglichkeiten ist, das dadurch zum Ausdruck kommt.
({10})
Was von Ihnen an sachlichen und konstruktiven Beiträgen zu erwarten ist, ist in der Tat - darauf muß ich noch einmal verweisen - daran deutlich geworden, daß Sie offenbar kein besonderes Interesse daran hatten, Einfluß auf das zu nehmen, was in diesen Verhandlungen zur Sprache gebracht wird;
({11})
denn wie ist es sonst zu erklären, daß der Schleswigholsteinische Wirtschaftsminister, den nun einmal Ihre Partei stellt, der CDU-Wirtschaftsminister Westphal, die Teilnahme an der Arbeit der Delegation abgelehnt - „aus Kostengründen",
({12})
was ohnehin schon ein Witz ist -, dann aber anschließend mit großem Gefolge nach Houston fährt? Das war wahrscheinlich wichtiger.
({13})
Dafür also gab es Geld, für die so konsequenzenreiche Seerechtskonferenz anscheinend nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Gern.
Herr Kollege, sind Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich hier um einen Vertreter der vier Küstenländer handelt, für die Schleswig-Holstein die Federführung hat, und daß das Reisebudget nicht zustande gekommen ist, wie ich schon einmal erklärt habe?
({0})
Wenn man mir sagt, daß der Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins aus Gründen des Reisebudgets nicht dorthin fahren kann,
({0})
gleichzeitig aber in der Lage ist, mit einer großen Delegation nach Houston in Texas zu fahren, kann ich den darin liegenden Widerspruch in der Tat nicht verstehen.
({1})
Es hat wahrscheinlich politische Gründe, daß es möglich ist, daß die Bundesregierung mit den Vertretern der betroffenen Länder entschieden besser kooperieren kann und mit ihnen zu einem weitsichtigen Konzept mit längerfristigen Perspektiven gekommen ist. Wir sind auch ganz sicher, daß die sachliche Zusammenarbeit auf dieser Ebene sich positiv auf unsere Verhandlungsposition auswirken wird.
Ich möchte auch noch einmal unterstreichen, was vom Bundesaußenminister hier gesagt wurde, weil die Fraktion der Freien Demokraten diese Position teilt. Wir halten es wirklich für ein unverantwortliches und gefährliches Spiel mit den Interessen der Bundesrepublik, wenn Sie uns in Frage 8 den Gedanken mehr oder weniger nahelegen, uns in einer
bestimmten Situation aus dieser Verhandlungsrunde zurückzuziehen.
({2})
Dieser Vorschlag, der in Ihrer Frage unmißverständlich zum Ausdruck kommt, ist unseren Interessen diametral entgegengesetzt.
({3})
Wir setzten uns unendlich größeren Schwierigkeiten - sprich: vielleicht auch Sanktionen - aus, wollten wir uns selbst ausschließen. Ein Nichtunterzeichnen der von uns mit Zuversicht erwarteten Ergebnisse isoliert uns sukzessive auch sonst auf dem internationalen Parkett. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie dies wollen. Die Anwendung der Konvention durch die große Mehrheit der Vertragsstaaten hätte eine Staatenpraxis zur Folge, die auf die Dauer die Gefahr mit sich brächte, in ihren Grundfragen der Bundesrepublik Deutschland als Völkergewohnheitsrecht entgegengehalten zu werden. Wie wollen Sie unter den dann unvermeidlich eintretenden Umständen auch nur irgendetwas, zum Beispiel auf dem Felde der Meeresbodenforschung oder -ausbeutung, erreichen? Welche Chancen der Mitgestaltung blieben uns denn, wenn wir uns dieser Möglichkeit begäben?
Wir unterstreichen die Auffassung, daß am Ende einer solchen Politik, die möglicherweise dann sogar leider Nachahmer fände, tatsächlich das übrig bleibt, was hier als „Anarchie" bezeichnet wurde.
Das Scheitern dieser Konferenz provozierte eine endlose Kette einseitiger protektionistischer Maßnahmen, die für Staaten, die ähnlich wie wir geographisch benachteiligt sind, besonders große Nachteile mit sich brächte und besonders schmerzliche Folgen hätte. Wir sind - ich glaube, da unterscheiden wir uns - nicht so verhandlungsblind, daß wir glauben, wir könnten unsere Idealvorstellungen durchsetzen. In diesen Idealvorstellungen unterscheiden wir uns nämlich gar nicht. Diese sind wahrscheinlich naturgemäß uns allen gemeinsam.
Aber ich glaube, wir unterscheiden uns darin, daß wir eine realistischere Einschätzung bezüglich der Möglichkeiten und der notwendigen Kompromisse, die eben bei einer solch großen Verhandlungsrunde notwendig sind, vornehmen. Bei dieser Seerechtskonferenz kommt - das ist ja wohl niemandem entgangen - erschwerend hinzu, daß sie sich von anderen Konferenzen dadurch unterscheidet, daß je nach den zu behandelnden Problemen immer neue Konstellationen und Koalitionen zwischen verschiedenen Staaten und Staatengruppen auftreten. Von daher lassen sich Pauschalrezepte, wie wir sie gehört haben, nicht umsetzen, und von daher hilft allein die Abstimmung mit unseren europäischen Partnern hier auch nicht weiter, sosehr wir sie auch für notwendig halten und betreiben.
Ich möchte nun zu einigen wesentlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland kommen, die durch die Hauptmaterie in der Konferenz auf einigen Gebieten berührt werden.
Unser Interesse an einem möglichst freien Zugang zu den Rohstoffen des Meeresbodens stößt, was die Vorkommen auf und unter dem Tiefseeboden außerhalb nationaler Jurisdiktion angeht, auf die Forderung der Entwicklungsländer, aber auch einer Reihe von Ländern, die dieselben Rohstoffe auf dem Land fördern, ihre Verwaltung und Ausbeutung einem monopolistischen supranationalen Regime, nämlich einer zu schaffenden Internationalen Meeresbodenbehörde, zu unterstellen. Ein ebenfalls zu schaffendes behördeneigenes Unternehmen soll dann eventuell das ausschließliche Recht haben, die Ressourcen des Tiefseebodens zu fördern und zu vermarkten.
Diese extremen Forderungen werden von der Bundesregierung, wie hier vorgetragen worden ist, und von allen hochindustrialisierten Staaten mit großem Rohstoffbedarf, insbesondere denjenigen, die zum Meeresbergbau schon befähigt sind, abgelehnt. Wir halten das auch für richtig. Die terrestrischen Förderländer könnten, wenn die Behörde nach ihren Vorstellungen strukturiert würde, zusammen mit den Entwicklungsländern durch Mehrheitsentscheidungen in der Behörde die Ausbeutung des Tiefseebodens in dem von ihnen gewünschten Ausmaß unterbinden, um die Konkurrenz des Meeresbergbaus niederzuhalten. Mit den übrigen am Meeresbergbau interessierten Ländern sind wir jedoch der festen Auffassung, daß der Zugang zum Tiefseeboden zur Vermeidung von Konflikten zwar geregelt werden, dabei aber grundsätzlich frei sein muß.
In dieser Frage gibt es übrigens eine eindeutige Nord-Süd-Frontstellung. Bislang traten leider alle Entwicklungsländer - sie haben auf der Konferenz die Zweidrittelmehrheit - ohne Rücksicht auf die im einzelnen abweichenden nationalen Interessen - hier teile ich Ihre Auffassung - geschlossen und solidarisch für eine Monopolstellung der Meeresbodenbehörde ein. Hier liegt in der Tat der kardinale Punkt, wo die Konferenz im weiteren Verhandlungsablauf in Schwierigkeiten kommen könnte. Allerdings haben wir bei sorgfältigem Studium der vorgelegten Zwischenergebnisse die Hoffnung, daß in dieser Frage des Zugangs staatlicher und privater Unternehmen zu den Tiefseeressourcen ein sich allmählich abzeichnender Kompromiß gesichert werden kann.
Der Festlandsockel ist vor allem seiner Erdöl- und Erdgasvorkommen wegen interessant. Nach geltendem Völkerrecht ist deren Ausbeutung bereits bis zu einer Wassertiefe von 200 m oder, soweit technologisch ausbeutbar, dem Küstenstaat vorbehalten.
Eine Reihe von Staaten, z. B. Kanada, Australien, Argentinien, Großbritannien, treten nun dafür ein, daß die Festlandsockelrechte des Küstenstaats bis zum natürlichen Außenrand des Sockels, dem sogenannten outer edge, ausgedehnt werden sollen.
Das würde z. B. bedeuten, daß Kanada stellenweise bis zu 665 Seemeilen in die See hinaus Festlandsokkelrechte haben würde.
Das Sockelrandkonzept hat bereits in den informellen Verhandlungstext Eingang gefunden. Andere Länder, vor allem solche mit schmalem Sockel und die geographisch benachteiligten, vom Meer abgeschnittenen Staaten, sind der Auffassung, daß die Festlandsockelrechte an der 200-SeemeilenGrenze ihr Ende finden sollten mit der Folge, daß das über diese Linie hinausgehende Sockelstück in den Zuständigkeitsbereich der Internationalen Meeresbodenbehörde fallen würde.
Bei der Abwägung dieser beiden Positionen muß man sich vor Augen halten, daß die Vorkommen an Kohlenwasserstoffen auf dem Sockel zwischen der 200-Seemeilen-Linie und seinem äußersten Rand auf 40 Milliarden t geschätzt werden; das sind 13 % der Gesamtlagerstätten in der Welt. Ein wesentlicher Teil davon befindet sich auf den Sockeln verbündeter - wie Kanada - oder befreundeter Staaten. Von daher drängt sich für mich die Frage auf, ob wir diese für unsere Energieversorgung wichtigen Vorkommen nicht besser in den Händen dieser Länder, mit denen wir bilaterale Abkommen treffen könnten, wissen als in der Zuständigkeit der Behörde. Die Bundesregierung - das ist bekannt - hat sich gerade in dieser Frage des freien Zugangs zu den Rohstoffen des Meeres die größte Mühe gegeben, ihre Haltung überall bekannt und verständlich zu machen. Herr Kollege Mertes, daß Sie das jetzt nicht jubilierend unterstützen können, geht schon aus Ihrer taktischen Ausgangslage hervor. Aber Sie werden uns doch zubilligen, daß wir diese Bemühungen der Bundesregierung zu diesem Teil des Gesamtproblems nachdrücklich herausstreichen.
({4})
In zahlreichen bilateralen Gesprächen und multilateral in Koordinierungssitzungen, auf die hier hingewiesen worden ist, ist der Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland immer wieder dargelegt worden. Wir haben mittlerweile aus unseren Gesprächen und Informationen den Eindruck, daß es dank dieser Bemühungen in der letzten Zeit gelungen ist, in dieser Frage um einiges weiterzukommen.
Die Freiheit der Schiffahrt wird einmal durch die bevorstehende Erweiterung des Küstenmeeres auf 12 Seemeilen eingeengt. In den auf diese Weise erheblich ausgedehnten Küstenmeeren wird sich räumlich der überwiegende Teil des Seeverkehrs abspielen. Im Küstenmeer hat aber der Küstenstaat schon nach klassischem Völkerrecht volle Hoheitsbefugnisse, die im wesentlichen nur durch das Recht auf friedliche Durchfahrt eingeschränkt sind. 116 internationale Wasserstraßen, die heute noch hohe See mit völliger Freiheit der Schiffahrt sind, würden, wenn sich die jetzige Tendenz durchsetzte - was noch offen ist -- wohl Küstenmeer der Anliegerstaaten werden.
Auf diesem Gebiet - hier möchte ich auf das eingehen, was Herr Staatsminister Moersch gesagt hat - sind wie auch in einem anderen Punkte unsere Interessen mit denen der Hauptschiffahrtsnationen, darunter sowohl die USA als auch die Sowjetunion, identisch. Das war wohl das, was Staatsminister Moersch sagen wollte. So verstehe ich jedenfalls seine Äußerung, daß es ja nicht notwendig sei, daß wir uns in jeder Frage zum Vorreiter bestimmter Anliegen machen und uns aus dem Fenster hängen müßten,
({5})
wenn schon andere da sind, die hier bestimmte Interessen vertreten. Es könnte ja auch sein, daß in den internationalen Verhandlungsrunden die Bundesrepublik sehr schnell den Eindruck eines permanenten Querulanten macht, wenn sie meint, in jedem einzelnen Anliegen, bei jedem einzelnen Punkt die erste sein zu müssen, die auf den Tisch haut.
Meine Damen und Herren! Über die Interessen der deutschen Fernfischerei und die Probleme, die sich aus dem möglichen Ablauf der Konferenz ableiten lassen, ist bereits gesprochen worden, darauf ist bereits hingewiesen worden. Nun trifft die zu erwartende seerechtliche Veränderung unsere Seefischerei nicht unvorbereitet. Das Bundesernährungsministerium hat im vorigen Jahr eine Konzeption seiner Fischwirtschaftspolitik vorgelegt, in der die zu erwartenden Veränderungen schon in Rechnung gestellt worden sind. Die Regierung ist also darauf eingerichtet, flexibel zu reagieren, wie sie das ja im allgemeinen ist.
({6})
Wir halten es für vernünftig, durch eine vorsichtige Förderungspolitik eine Mindestfangkapazität zu erhalten, damit es nicht zu unnötigen Versorgungsengpässen kommt. Wir sind zuversichtlich, daß sich auch in Zukunft Fangmöglichkeiten für die deutsche Seefischerei ergeben werden - in den Gemeinschaftsgewässern ebenso wie auch in den Wirtschaftszonen von Drittländern; denn viele Drittländer werden mittelfristig gar nicht in der Lage sein, die Fischvorkommen vor ihren Küsten selbst optimal zu nutzen. Wir sehen deshalb durchaus Chancen für vertragliche Vereinbarungen über Fangrechte oder für Kooperationsabkommen. Die deutsche Hochseefischerei ist wegen ihres hohen technischen Standes sicherlich ein attraktiver Kooperationspartner, und dies ist wiederum nicht zuletzt wegen der gezielten Förderungspolitik der Bundesregierung der Fall.
Wir begrüßen es, daß sich die Bundesregierung eindeutig dafür ausgesprochen hat, daß die Europäische Gemeinschaft mit ihrem wirtschaftspolitischen Gewicht die notwendigen Verhandlungen über Fischereirechte führen soll. Hier gilt es allerdings in der Tat, rasch zu handeln.
Einige Worte zur wissenschaftlichen Meeresforschung. In der Wirtschaftszone und am Festlandsockel ist mit Einschränkungen für die deutsche ForMöllemann
schung zu rechnen. Am Tiefseeboden der hohen See soll nach den Vorstellungen der Gruppe 77 die sogenannte Internationale Meeresbodenbehörde Regelungsbefugnisse erhalten. Für Wirtschaftszone und Festlandsockel beanspruchen die meisten Küstenstaaten die Forschungshoheit. Die Folge wäre eine Genehmigungspflicht für jede Forschungstätigkeit Dritter. Hier muß sich zum Schutze unserer Interessen ebenfalls - aber das wird wahrscheinlich auch das Maximum sein - ein Differenzierungskonzept durchsetzen lassen: Genehmigungspflicht für ressourcenbezogene Forschung, Freiheit für Nicht-Ressourcen-Forschung; gegebenenfalls wird diese mit Auflagen verbunden sein. Im Bereich des Tiefseebodens der hohen See erscheint es nicht ausgeschlossen, daß es möglich sein wird, die Forschungsfreiheit zu erhalten.
Wir begrüßen es, daß die Koordinierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft seit der Genfer Session im Mai 1975 auf den Ebenen der Delegationsleiter und Sachverständigen noch intensiver geworden ist. Der gemeinschaftliche Vorschlag einer EG-Klausel, durch die es der EG ermöglicht werden soll, Vertragspartei der zu erwartenden Konvention zu werden, und sichergestellt werden soll, daß die Konvention der Anwendung des EG-Rechts unter den Neun nicht entgegensteht, zeichnet sich ja erfreulicherweise deutlich ab. Die Aussichten, zu einer gemeinschaftlichen Haltung zur Wirtschaftszone, insbesondere zu Fischerei- und anderen Fragen, und möglicherweise auch zum Fragenkreis der Festlandsockelabgrenzung zu gelangen, erscheinen uns nicht ungünstig. Auch Großbritannien hat inzwischen keinen Vorbehalt mehr gegen eine EG- Klausel.
Ein für alle EG-Mitglieder akzeptables, internes Fischereiregime ist aber die Voraussetzung dafür, daß im Hinblick auf die Fischerei eine EG-Wirtschaftszone entsteht. Was den breiten britischen und irischen Festlandsockel angeht, so besteht nach unserer Auffassung zu ihm Zugang auf Grund der EG-Niederlassungsfreiheit. Wenn wir zu einem EG- Fischmeer und zu einer Vergemeinschaftung des EG-Festlandsockels gelangen, entfällt auf wichtigen Gebieten unsere geographische Benachteiligung. Sie bleibt allerdings hinsichtlich unserer verkehrswirtschaftlichen Interessen weiter bestehen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich wie immer das Ergebnis der Konferenz im Detail aussehen wird, die Nutzung des Meeres in vieler Hinsicht den Verhältnissen auf dem festen Land annähern wird: Wer sich außerhalb seines eigenen Gebietes wirtschaftlich oder sonst betätigen will, bedarf entweder einer Erlaubnis oder muß sich zumindest Beschränkungen gefallen lassen. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch ihre Bundesregierung -- im Zusammenwirken mit der Kommission - die Probleme und die in ihrer Auswirkung auch auf künftige Generationen sicherlich große Bedeutung dieser Konferenz von Anfang an erkannt und sich darauf entsprechend eingestellt. Sie hat die Fragen der Seerechtskonferenz systematisch zum Gesprächsgegenstand fast aller bilateralen Gespräche gemacht. Sie hat die größten Anstrengungen unternommen, im Rahmen der EG zu gemeinsamen Positionen zu kommen,
({7})
sie mit den NATO-Partnern abzustimmen und innerhalb der WEOG, deren Vorsitz sie eine Zeitlang hatte, Gegensätze auszugleichen.
Nur auf diese Weise können unsere vielfältigen Interessen wirkungsvoll vertreten werden. Wir gehen davon aus, daß die sozialliberale Bundesregierung auch in der nächsten Session und für den Fall, daß dies nicht die abschließende sein wird, auch in der übernächsten im nächsten Jahr mit Nachdruck für unsere Interessen eintreten wird. Wir wissen und unterstreichen, daß dies nur in enger Abstimmung mit unseren Partnern geschehen kann. Wir wissen auch, welche von uns auch nicht mit verbalen Kraftakten zu verschiebenden - Grenzen unseren eigenen politischen und ökonomischen Interessen in diesem Bereich gesetzt sind. Aber wir sind sicher, daß niemand mehr als diese sozialliberale Bundesregierung diesen Interessen gerecht zu werden imstande ist.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Dohnanyi.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich ein Versäumnis gutmachen. Wir sprechen hier an diesem Tag über das Meer. Dabei sollte man berücksichtigen, daß man das Meer nicht nur zum Befahren, zum Fischen und zum Bergbauen benutzen kann, sondern auch zum Schwimmen.
({0})
Zur Sache. Es liegt eine umfassende Antwort der Bundesregierung vor. Der Außenminister hat sie noch einmal in historische Perspektiven gebracht und ergänzt. Die Kollegen der Koalition haben viel zur Sache gesagt.
Der Beitrag der Union ist, so scheint mir in diesem Zeitpunkt, im wesentlichen mit zweierlei zu charakterisieren. Der Kollege Mertes hat - ein bißchen spät - die Konferenz umgetauft in eine Meeresaufteilungskonferenz.
({1})
Das ist sie von der Sache her. Aber wir brauchen ja wohl den Namen nicht zu ändern.
Das Seerecht ist im übrigen, wie hier schon gesagt worden ist, natürlich aus Gründen der Entwicklung der Technik und anderen Entwicklungen neu zu formulieren und zu regeln.
Herr Kollege Narjes, Sie haben nach meinem Eindruck im wesentlichen über historische Machtverschiebungen geklagt. Mit solchen haben wir es in der Tat zu tun. Sie haben aber, scheint mir, nichts Neues über die deutschen Interessen sagen können,
die wir ja in der Perspektive wohl fast gleich sesen. Sie haben wenig, zu wenig über die Interessen anderer gesagt, aus denen ja die Konflikte entstehen. Sie haben gar nichts Konkretes dazu gesagt, Herr Kollege Narjes, wie unsere Interessen angesichts dieser Konflikte besser gewahrt werden können. Hier gab es also keinen konkreten Beitrag.
Wie durch die Antwort und durch die heutigen Einlassungen - auch des Bundesaußenministers -deutlich geworden ist, hat die Regierung die Entwicklungen in keiner Weise unterschätzt. Die Regierung hat in ihrer Antwort zu Recht darauf hingewiesen, daß - das haben auch Sie aufgegriffen -die Entwicklung im Grunde 1945 eingesetzt hat und daß es 1958 eine Konferenz gab, bei der zwar der Festlandsockel festgeschrieben wurde, aber die Fischereizonen noch nicht etabliert werden konnten. Die Machtverhältnisse haben sich seitdem weiter verschoben. Wir haben es daher auch heute mit einer Situation zu tun, die konkret behandelt werden muß und bei der Klagen über die Schwierigkeiten, Herr Kollege Narjes, nicht ausreichen.
Das Kabinett hat sich mit den Problemen befaßt. Hier ist behauptet worden, es habe sich zu spät damit befaßt. Herr Kollege Mertes, die Lage und die Interessen waren eben so klar, daß es zusätzlicher ausdrücklicher Kabinettsbeschlüsse in dieser Angelegenheit gar nicht bedurfte.
({2})
Es war ganz klar, auf welcher Linie und auf welcher Grundlage die Verhandlungen zu führen waren.
Daß es schwierig ist, innerhalb der eigenen Europäischen Gemeinschaft und der Partner innerhalb der NATO auf einen Nenner zu kommen, ist hier ja allgemein anerkannt worden.
({3})
- Ich habe gehört ich weiß nicht, ob die Nachricht stimmt; ich will sie hier einfach wiedergeben -, Herr Kollege Mertes, daß Frankreich am kommenden Montag die 200-Seemeilen-Wirtschaftszone erklären werde. Wenn das zutrifft, sieht man daraus, wie die Entwicklungen laufen trotz der Bemühungen und Anstrengungen, die wir unternehmen und die von Ihnen damit kommentiert werden, daß Herr Narjes sagt, der Bundeskanzler hätte nicht zu der Besprechung nach Puerto Rico fahren, sondern absagen sollen. So ist die Lage.
({4})
lnnerhalb dessen, was hier möglich ist, gibt es gemeinsame EG-Positionen zu Forschung, Technologie, Transfer und im Fischerei-Bereich. Das ist alles gesagt worden. Ich begrüße es für meine Fraktion ausdrücklich, daß der Bundesaußenminister nochmals darauf aufmerksam gemacht hat, daß nicht nur nach außen der Versuch der Koordinierung mit den Partnern gemacht worden ist, sondern daß man auch mit den Verbänden bei uns im Land gesprochen hat. Herr Kollege Mertes und Herr Kollege Narjes, diese Verbände haben offenbar eine viel realistischere Sicht dessen, was hier möglich ist, als Sie den Leuten manchmal weismachen wollen.
Die Regierung hält in Fragen der Weltwirtschaftsordnung an einem klaren Kurs fest. Die Regierung hat an verschiedenen Stellen gesagt, daß diese Weltwirtschaftsordnung gerechter gestaltet werden muß. Ich möchte auch noch einmal unterstreichen, Herr Kollege Narjes, daß dabei unsere Vernunft natürlich nicht immer die Vernunft ist, die von allen anderen auch anerkannt wird, unsere Positionen, unsere Interessen nicht immer die sind, mit denen alle anderen auch einverstanden sein müssen. Hier ist die Regierung sehr klar: Sie unterstreicht nicht nur, was die Bundesrepublik Deutschland will, sondern sie kennt und sieht auch die Interessen und Auffassungen der anderen.
Herr Kollege Narjes, Entwicklungsländer haben leider auch das Recht auf historische Irrtümer. Um so wichtiger war es, daß von seiten der Bundesregierung in Puerto Rico noch einmal auf die Auswirkungen bestimmter Rohstoffregelungen hingewiesen worden ist,
({5})
und zwar mit Hilfe eines Rechenmechanismus, von dem man das ablesen konnte.
- Herr Kollege Todenhöfer, was heißt „zu spät", es wäre ja noch später gewesen, wenn man gar nicht nach Puerto Rico hätte fahren können. Sie haben doch gesagt, wir sollten absagen.
({6})
Nein, die Bundesregierung sieht die Probleme, sieht die Konflikte, und sie will verhandeln. Die CDU/CSU redet von Kooperation, und sie will gar nicht verhandeln. Das ist doch der wirkliche Unterschied.
({7})
- Ich glaube das deswegen, Herr Mertes, weil ich Ihre Positionen, die Sie zu den verschiedenen Verhandlungen, die wir international führen müssen, öffentlich beziehen, immer wieder verfolgen kann. Deswegen glaube ich, daß das, was ich gesagt habe, richtig ist.
Wir werden unsere Interessen nur wahrnehmen können, wenn wir die Interessen anderer auch berücksichtigen.
({8})
Das gilt für die Welthandelskonferenz, das gilt für die Seerechtskonferenz, und das gilt für andere Bereiche internationaler Verhandlungen. Die Opposition macht hier immer wieder denselben Fehler:
Sie will, wie der Bundesaußenminister zum Schluß seiner Rede sagte, eine Politik des Alles oder Nichts verfolgen. Herr Kollege Mertes - ich sage das auch noch einmal ausdrücklich dem Kollegen Todenhöfer, der ja wohl auch noch sprechen wird -, nur wenn man keine Prinzipienreiterei betreibt, nur dann kann man zu einem praktischen Ergebnis kommen.
({9})
Dogmen dürfen auf keiner Seite zu einem Prestige gemacht werden, weder auf der Seite der Entwicklungsländer noch aber auch auf unserer Seite.
({10})
- Herr Kollege, ich bedaure wirklich, daß wir diese Debatte nicht aufnehmen können. Nach dem Unsinn, der von Ihrer Partei, von Ihrer Fraktion vor einigen Tagen in der Debatte über die Probleme der jungen Leute in unserem Land verbreitet worden ist, täte ich das gerne, Herr Carstens. Darauf würde ich ja gerne einmal eingehen.
({11})
Gemessen an diesem Maßstab, an dem, was wir an eigenen Interessen wahren können, wenn wir die Interessen der anderen sehen, hat die Bundesregierung Erhebliches durchgesetzt. Wir sind eben nur ein Land unter neun Ländern in der EWG und nur ein Staat unter den 15 wichtigen Industriestaaten und
- der Bundesaußenminister hat mit Recht darauf hingewiesen - nur eine Nation unter 150 Nationen. Wir dürfen uns hier nicht überschätzen.
Herr Kollege Mertes, mit dem schönen lateinischen Spruch - ich weiß ja nicht, was das auf sich hat; Sie sprechen in letzter Zeit immer mehr Latein; Franz Josef Strauß hat das ja hier eingeführt, er setzt sich jetzt offenbar auch bei der Sprache durch - „do ut des", mit alledem ist das nicht mehr zu machen. Die Europäer sind eben nicht mehr allein. Wir müssen uns mit den Interessen auseinandersetzen, die in den letzten 20, 25 Jahren nicht nur Interessen, sondern auch zu Mächten geworden sind. Sie glauben ja immer, daß, wenn man einen harten Trompetenton ausstößt - in welchem Bereich der Politik auch immer -, die Mauern von Jericho schon fallen werden. Aber damit ist es eben nicht gemacht.
({12})
- Nein, das ist ein großer Unterschied. Der Bundeskanzler spricht offen über die Situation in verschiedenen Ländern. Aber er realisiert auch die Interessen der anderen, wenn er unsere eigenen in die Diskussion bzw. Verhandlung einbringt.
({13})
Herr Kollege Mertes -- wir haben uns darüber ja schon manchmal an anderer Stelle unterhalten -, es ist ein historischer Fehler der deutschen Rechten, daß sie immer wieder geglaubt hat - im Laufe unserer Geschichte an vielen Punkten zu beweisen --, der Alleingang, die Stärke seien das wirklich Entscheidende und Wichtige, und daß sie aus der Lage Deutschlands im Laufe unserer Geschichte nie ausreichend erkannt hat, wie notwendig und wie produktiv der Kompromiß sein kann. Es ist auch ein zentraler Unterschied zwischen den Koalitionsfraktionen und der Opposition in diesem Hause, daß wir realistischer einschätzen, was die wirklichen Interessen unseres Landes sind, während Sie diese Interessen zu einem formalen Fetisch erheben.
({14}) Deswegen, Herr Kollege Mertes,
({15})
- lassen Sie mich diesen Gedanken bitte zu Ende bringen, - war es wichtig, daß die erste Regierungserklärung mit dem Satz endete: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn, nach innen und nach außen, sein. Das ist eine andere Politik, als Sie sie anstreben.
({16})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Aber gerne, Herr Kollege Mertes.
Herr Kollege von Dohnanyi, teilen Sie meine Auffassung, daß es einen legitimen Streit in diesem Hause darüber geben kann und oft sogar geben muß, was denn nun realistische Politik ist, und ist Ihnen bekannt, welche und wie viele internationale Verträge in 20 Jahren CDU-Regierungspolitik erfolgreich ausgehandelt worden sind?
Herr Kollege Mertes, das ist richtig, und ich bestreite nicht, daß die Auseinandersetzung über die Interessen verschiedene Einschätzungen bedeutet. Ich möchte noch einmal unterstreichen: Ich bestreite Ihnen nicht Ihre gute Absicht; aber die deutsche Rechte hat in der Geschichte unseres Landes einen kontinuierlichen Fehler in der Einschätzung gemacht, was die wirklichen Interessen unseres Landes sind. Sie setzen diesen Fehler heute fort.
({0})
Das galt für die Entspannungspolitik, wo Sie jetzt
versuchen, auf unser Boot zu steigen, und das gilt
leider auch für die Fragen des Nord-Süd-Konfliktes.
Herr Kollege Mertes, Sie sagen übrigens, seit der Ölkrise reden wir über den Nord-Süd-Konflikt.
({1})
Die Sozialdemokraten haben das schon im Godesberger Programm stehen, und es war in der ersten Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Brandt enthalten. Wir haben nicht auf die Ölkrise warten müssen.
({2})
- Ich habe es so in Erinnerung; aber ich bin gern bereit, das zu korrigieren, wenn das Protokoll es anders ausweist.
({3})
Ich will keine unnötige Schärfe in die Debatte des letzten Tages bringen;
({4})
aber ich frage mich wirklich manchmal, was schlimmer wäre: wenn Sie an Ihre Illusionen wirklich glauben, oder wenn Sie diese Illusionen, mit denen Sie heute Thesen der Ostpolitik, Thesen der Lösung von Nord-Süd-Konflikten zu begründen suchen, nur vortragen, um den Wähler zu täuschen.
({5})
Ich fürchte - ich halte das für das Schlimmere , Sie glauben leider an diese Illusionen.
({6})
-- Nein, die habe ich eigentlich nicht, Herr Kollege Müller-Herrmann; das kann man nicht sagen.
({7})
- Auf den 3. Oktober warten wir alle mit Seelenruhe, Herr Kollege. Wir werden dann schon sehen, daß Sie weiter in Ihrer Rolle der Opposition und hoffentlich etwas produktiver sein werden als heute.
({8})
Ich will meine These ({9})
- Ich bin lieber auf dem 13. Platz auf der richtigen Seite als auf dem ersten bei der falschen.
({10})
Ich will meine These an der Frage aufnehmen: was geschieht, wenn nichts geschieht? Diese Frage ist hier schon aufgeworfen worden und der Bundesaußenminister hat dargelegt, was passieren würde, wenn die Konferenz scheiterte, welche chaotischen Folgen damit verbunden sein könnten, wie sich das Gewohnheitsrecht gegen uns entwickeln würde. Wir haben z. B. in der Frage des Mischsystems Einfluß gehabt. Wir alle hatten das Monopol gefürchtet; aber das Mischsystem ist auf unsere Verhandlungsführung zurückzuführen.
({11})
- Herr Kollege Mertes, diesen Einfluß konnten wir nur geltend machen, weil wir an diesen Verhandlungen teilnehmen konnten. Als der Meeresbodenausschuß der UNO in den Jahren 1970 bis 1973 tagte, waren wir nur Beobachter. Wenn ich mir das Protokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 11. Mai 1973 ansehe, stelle ich fest, daß Herr Kollege Mertes, Herr Kollege Narjes und der wohl noch auf der Rednerliste gemeldete Kollege Todenhöfer gegen den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen gestimmt haben.
({12})
Wie sollten wir eigentlich unsere Interessen wahren, wenn wir nicht einmal in den Vereinten Nationen wären? Das ist letzten Endes Ihre Politik, und darunter muß man einmal eine Bilanz ziehen.
({13})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ({0}) ?
Gerne.
Herr Kollege von Dohnanyi, teilen Sie meine geschichtliche Feststellung, daß von 1949 bis 1969 alle Parteien dieses Hauses den Beitritt zu den Vereinten Nationen aus deutschlandpolitischen Gründen abgelehnt haben?
Herr Kollege Mertes, ich teile Ihre Auffassung, dies ist die Tatsache. Nur hat die Bundesregierung 1969, die Koalition aus Freien Demokraten und Sozialdemokraten, eine Öffnungspolitik möglich gemacht, die den Eintritt in die Vereinten Nationen für uns sinnvoll erscheinen ließ. Sie wollten das, als es deutlich sinnvoll wurde, immer noch verhindern.
({0})
Übrigens hat es vier Gegenstimmen gegeben: Dr. Blüm, Dr. Hornhues, Herr Kiep und Dr. Klein ({1}) haben damals für den Beitritt zu den Vereinten Nationen gestimmt; sie waren damals eine kleinste Minderheit . Die Spaltung in Ihrer Partei in Fragen der Vernunft ist offenkundig.
({2})
Siehe die untenstehende Berichtigung dieser Angabe durch Abg. Dr. von Dohnanyi ({3}).
- Das würde mich jetzt sehr wundern, denn ich habe hier das Protokoll mit der Debatte über den Beitritt zu den Vereinten Nationen vorliegen.
Die Politik der Isolierung, die darauf hinauslaufen würde, daß man, wie Herr Narjes sagt, sogar Konferenzen absagt, ist nicht die Politik, die die Bundesregierung verfolgt und verfolgen kann. Regierungsverantwortung in dieser Zeit ist kein Amt für Trotzköpfe, sondern eine Aufgabe der Bereitschaft zum Kompromiß. Auf dieser Linie folgen wir der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, deswegen möchte ich für meine Fraktion - ({4})
- Nicht so unruhig, Herr Kollege Mertes, nur weil es trifft. Sie haben sich so verhalten, wie ich es dargestellt habe. Das wissen Sie selbst besser.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung bei den Verhandlungen
({5})
und bei der Fortführung der Verhandlungen auf der bisherigen Linie. Ich halte es übrigens für einen schlechten Stil, Herr Kollege Mertes, die Beamten zu loben und dann der Regierung zu sagen, was die Beamten getan haben, hat die Regierung gewissermaßen nicht zu verantworten. Seit wann können wir eigentlich trennen?
({6})
- Sie haben gesagt: Die Beamten haben fabelhafte Arbeit geleistet, aber die Regierung habe sich politisch nicht darum gekümmert.
({7})
- Aber so mußte man es doch verstehen. So war es doch auch gemeint. Sie wollten doch einen Keil zwischen die Delegation und die Bundesregierung treiben. Da gibt es doch gar keinen Zweifel.
({8})
Wir unterstützen also die Verhandlungen in dem Sinne, wie es von der Bundesregierung konzipiert ist und wie sie von der Delegation entsprechend den Richtlinien geführt werden. Unser Interesse ist es, unter den gegebenen, Herr Kollege Mertes, nicht unter den erträumten Machtverhältnissen optimale Kompromisse zu erreichen. Unser Interesse ist es, unter den gegebenen Tendenzen in der Welt - auch darauf hat der Herr Außenminister hingewiesen - Probleme des Umweltschutzes, des Überfischens, auch Nutzungsrechte zu identifizieren, damit verhindert werden kann, daß solche Tendenzen weiterhin in dieser Welt Schwierigkeiten schaffen. Wir müssen diese Schwierigkeiten beseitigen.
Unser nationales Interesse wird von dieser Koalition und von dieser Bundesregierung in den Fragen der Seerechtskonferenz ausgezeichnet wahrgenommen.
({9})
Wir können die Bundesregierung nur ermutigen, die Verhandlungen auf gleicher Linie fortzuführen.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr von Dohnanyi, Sie haben die Rechnungen gepriesen, die der Bundeskanzler in Puerto Rico vorgelegt hat. Ich meine, diese kam ein halbes Jahr zu spät. Wenn diese Rechnungen vorher präsentiert worden wären und wenn sich der Bundeskanzler vorher mit dieser Materie befaßt hätte, wäre es nicht zu den Ergebnissen von Nairobi gekommen.
Herr Bundesaußenminister, ich weiß nicht, wie Sie sich in der Regel mit Ihrem Staatsminister Moersch abstimmen.
({0})
Ich habe nur mit einigem Erstaunen Ihre positive Darstellung des Verhandlungsstandes zur Kenntnis genommen, nachdem selbst Thr Staatsminister Moersch mehrfach erklärt hat, wir gehörten leider zu den Verlierern dieser Seerechtskonferenz. Irgend etwas klappt da in der Abstimmung zwischen den beiden Herren nicht.
Meine Damen und Herren, die internationale Seerechtskonferenz ist - und über diese Frage müssen wir uns hier völlig klar werden - dabei, ein Stück traditioneller Freiheit und Menschheit, nämlich die Freiheit der Meere zu beseitigen. Das Entscheidende ist, daß sie sich damit in die fast unübersehbare Kette internationaler Konferenzen ähnlicher Zielrichtung einreiht. Die kürzlich beendete Welthandelskonferenz in Nairobi, deren Hauptgegenstand die Beseitigung des freien Rohstoffmarktes war, und die 6. und 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen,-auf denen die UNO-Mehrheit eine vom Mißtrauen gegen die Freiheit geprägte Neue Weltwirtschaftsordnung forderte, sind nur einige dieser Konferenzen gegen die Freiheit.
Gegenüber dieser Generaloffensive auf die Freiheit der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat die Bundesregierung - das ist unser Vorwurf -eine bemerkenswert gleichgültige Haltung eingenommen,
({1})
obwohl wir wie kaum ein anderes Industrieland, Herr Kollege Stahl, auf den freien Handel und die freie Schiffahrt angewiesen sind und obwohl unsere wirtschaftliche Zukunft davon abhängt, wie die Frage Weltplanwirtschaft oder freie Weltwirtschaftsordnung international entschieden wird. Es reicht nicht aus, von Zeit zu Zeit in einer Grundsatzrede
- das sage ich an Ihre Adresse, Herr Bundesaußenminister - ein feierliches Ja zur Freiheit zu sagen, um sich dieses Ja dann auf internationalen Konferenzen scheibchenweise wieder abringen zu lassen.
({2})
Kleinere Länder können sich vielleicht aus dieser weltweiten Auseinandersetzung herausstehlen; die Bundesrepublik Deutschland kann dies nicht. Sie muß, wenn sie jenes freiheitliche System verteidigen will, dem sie ihren Wohlstand verdankt, auch in unerfreulichen und schwierigen Konferenzsituationen
({3})
- und dies ist eine schwierige Konferenzsituation - Stehvermögen zeigen.
({4})
Daran hat die Bundesregierung es jedoch leider nicht nur auf der Welthandelskonferenz in Nairobi und auf der Seerechtskonferenz in New York, sondern auch auf vielen anderen Konferenzen fehlen lassen. Sie hat bis heute keine Strategie gegenüber den inhaltlichen Angriffen auf die Freiheit der Meere und die Freiheit der Weltwirtschaftsordnung vorgelegt, und sie hat vor allem kein Konzept gegen die Strategie des planwirtschaftlichen Blocks der Dritten Welt gefunden, der versucht, die Industrieländer mit einer Lawine von Konferenzen zu überrollen, um sie von Konferenz zu Konferenz immer weiter in die Defensive zu drängen.
({5})
Für die Seerechtskonferenz beispielsweise gibt es bis heute keine vom Kabinett festgelegte klare Verhandlungsstrategie. Wer sich die Dimension dieser größten UN-Konferenz seit Bestehen der Vereinten Nationen vor Augen führt, wer sich vor Augen führt, daß hier 70 % der Erdoberfläche zum Teil in einer Art Freibeuteraktion verteilt werden, wer sich vor Augen führt, daß hier nach Schätzungen die 4 000fache Menge an Mangan oder die 1 500f ache Menge an Nickel liegen - um nur einige Zahlen zu nennen -, kann dies bei der fast völligen Importabhängigkeit der Bundesrepublik bei diesen Rohstoffen nur fassungslos zur Kenntnis nehmen.
({6})
Herr Außenminister, es reicht bei einer derartigen Konferenz nicht aus, von Zeit zu Zeit einen - ich sage das einmal vorsichtig - nicht immer sehr gut vorbereiteten Staatsminister nach New York zu schicken, der dort mit der Gelassenheit des Desinteressierten feststellt, wir gehörten eben nun einmal zu den großen Verlierern dieser Konferenz. Wir würden auf keiner Konferenz zu den großen Verlierern zählen,
({7})
wenn die Bundesregierung und dieser Bundeskanzler die nationalen deutschen Interessen mit derselben Härte und derselben Zähigkeit verteidigten, wie sie heute ihr Amt verteidigen.
({8})
Meine Damen und Herren, die Pflicht eines deutschen Bundeskanzler ist es, nicht nur Tagesentscheidungen mit Entschlossenheit zu treffen, sondern sich auch Problemen zu stellen, die über den Wahltag hinausreichen und die das Schicksal unseres Landes in den nächsten Jahren und in den nächsten Generationen entscheidend bestimmen werden.
({9})
- Dies tut er leider nicht, denn die Vorbereitung der Bundesregierung auf die Seerechtskonferenz war - ähnlich wie die auf der Welthandelskonferenz in Nairobi - völlig unzureichend. Man kann sich auf eine Konferenz von dieser geschichtlichen Dimension nicht nur beiläufig, unverbindlich und dann auch noch außerhalb der Tagesordnung einer Kabinettssitzung vorbereiten. Daß dabei keine Konzeption und keine Strategie entstehen kann, wissen auch der Bundeskanzler und die sozialdemokratische Fraktion. Diese Nachlässigkeit bei der Wahrung fundamentaler deutscher Interessen begründet gerade den Vorwurf der Opposition gegenüber Bundeskanzler Schmidt. Ich bestreite auch hier nicht die Tüchtigkeit des Kanzlers im politischen Tagesgeschäft. Die fast ausschließliche Orientierung dieser Tüchtigkeit auf den 3. Oktober darf aber nicht dazu führen, daß wesentliche langfristige Interessen unseres Landes verspielt werden.
({10})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat darüber hinaus in ihrem taktischen und strategischen Vorgehen eine Reihe schwerwiegender Fehler gemacht. Sie hat es insbesondere versäumt, sich stärker mit der Gruppe der geographisch benachteiligten Länder zu verbünden, die immerhin die Möglichkeit einer Sperrminorität besitzen. Da die Bundesregierung eine eindeutige politische Marschroute nicht für notwendig hielt, schwankte sie zwischen EG-Koordinierung, Zusammenarbeit mit den USA und Mitarbeit in der Gruppe der geographisch benachteiligten Länder hin und her. Das Resultat war, daß die Bundesregierung sich in kaum einem wesentlichen Punkt durchsetzen konnte und heute in vielen Punkten zwischen allen Stühlen sitzt. Das hat den Bundeskanzler und auch den Bundesaußenminister nicht daran gehindert, das Ergebnis der 4. Sitzungsperiode der Seerechtskonferenz durch den Regierungssprecher Bölling als - so wörtlich -„zufriedenstellend" bezeichnen zu lassen - eine Feststellung, bei der sich selbst die Mitglieder der deutschen Verhandlungsdelegation ungläubig die Augen reiben werden. Herr Botschafter Knoke, es muß für Sie, der Sie heute ja anwesend sind, ein Erfolgserlebnis ganz besonderer Art sein, solch bedrückende Zwischenergebnisse mit nach Hause nehmen zu müssen, um dann aus dem Mund des RegieDr. Todenhöfer
rungssprechers zu erfahren, diese Ergebnisse, die Sie selbst als im Kern bedrückend empfinden müssen, seien zufriedenstellend.
({11})
- Ich zitiere niemanden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Dohnanyi?
Bitte schön.
Herr Kollege Todenhöfer, würden Sie nicht zugeben, daß sich die Frage, ob ein Ergebnis zufriedenstellend ist oder nicht, nur unter dem Maßstab dessen beantworten läßt, was unter den gegebenen Umständen hätte erwartet werden können? Ist es nicht wahrscheinlich, daß der Sprecher der Bundesregierung in diesem Falle - im Gegensatz zur Opposition das im Auge hatte, was erreichbar ist, und daß er das Ergebnis, gemessen an diesem Maßstab, zwar nicht für ein Ergebnis, über das man in Freude und Heiterkeit ausbrechen kann, wohl aber für ein zufriedenstellendes Ergebnis hält?
Dieses Ergebnis kann nur der als zufriedenstellend bezeichnen, der die single negotiation texts nicht gelesen und sich mit den Zwischenergebnissen und der Materie der Konferenz nicht befaßt hat.
Meine Damen und Herren, dies ist die altbekannte Sprache der Verharmlosung, die die Bundesregierung schon auf der 7. Sondergeneralversammlung, auf der Welthandelskonferenz in Nairobi und auch bei anderen Konferenzen benutzt hat, auch dann, wenn von ihren nationalen Interessen nichts mehr übriggeblieben war.
Auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Seerechtskonferenz, die übrigens in einem erstaunlichen Widerspruch zu den Berichten steht, die wir aus New York haben, wird das ganze Ausmaß des für die Zukunft unseres Landes schlicht und einfach katastrophalen Konferenzverlaufes heruntergespielt und verschwiegen. Ich beschränke mich hier auf ein Beispiel. In ihrer Antwort vom 28. November 1974 auf unsere Kleine Anfrage hatte die Bundesregierung noch erklärt - ich zitiere -:
Die Bundesregierung hat seit Jahren die wirtschaftspolitische Notwendigkeit erkannt, der deutschen Industrie den freien, geordneten und nichtdiskriminierenden Zugang zu den Rohstoffen der Tiefsee zu wirtschaflichen Bedingungen zu eröffnen.
Heute hat die Bundesregierung de facto jedoch bereits eine dirigistische - ich betone: dirigistische - Meeresbodenbehörde akzeptiert, die weitgehende Rechte der Rohstoffreglementierung haben wird - ich darf nur an Art. 9 des Annexes erinnern - und von der jeder weiß, daß sie, wenn sie einmal geschaffen ist, eine Wirtschaftsbürokratie schlimmsten Ausmaßes sein wird, die unter Ausschaltung des freien Marktes nicht nach wirtschaftlicher Vernunft, sondern nach politischen Gesichtspunkten entscheiden wird. Wahrhaftig eine bemerkenswerte Verteidigung des freien, geordneten und nichtdiskriminierenden Zugangs zu den Rohstoffen der Tiefsee!
Diese Meeresbodenbehörde, wie sie sich jetzt abzeichnet, wenn man diesen Art. 9 des Annexes zur Kenntnis nimmt, ist übrigens ein anschauliches Beispiel für den dirigistischen Geist der Neuen Weltwirtschaftsordnung, der zunehmend auch die Seerechtskonferenz bestimmt. Das ist kein Vorwurf an die Regierung, aber eine Feststellung, die sie zu mehr Aktivität schon zu Anfang hätte zwingen müssen. Zwangsläufig drängt sich die Parallele zum gemeinsamen Fonds des integrierten Rohstoffprogramms von Nairobi auf. Meine Damen und Herren, man darf gespannt sein - und hierüber wird ja in diesem Hause eines Tages wieder debattiert werden , welche der beiden Bürokratien als erste das Licht der Welt erblicken wird, und mit Zuversicht darf dann der Vorschlag erwartet werden, beide Bürokratien zu einer weltweiten internationalen Rolistoffbehörde zusammenzuschließen, es sei denn, diese Entwicklung würde endlich aufgehalten.
Meine Damen und Herren, wir müssen leider mit großer Sorge feststellen - und deswegen haben wir auch auf dieser Debatte noch in dieser Legislaturperiode bestanden -, daß die Bundesregierung durch ihre - das ist der entscheidende Punkt - gleichgültige Haltung diese Entwicklung entscheidend begünstigt hat. Dem für die Rohstoffpolitik federführenden Wirtschaftsminister und Verfasser des Buches „Mut zum Markt" fehlt in der politischen Praxis offensichtlich gerade jener Mut zum Markt, von dem er -- bis Nairobi - so gerne gesprochen hat, und auch der Bundeskanzler, der sich mit PrinzHeinrich-Mütze so gerne die Attitüde des Seefahrers gibt, ist offenbar nicht in der Lage, in dieser lebenswichtigen Frage für d e n klaren Kurs zu sorgen, von dem die Zukunft unseres Landes mehr, als es die Offentlichkeit bis heute weiß, abhängt. Im Gegenteil: der Bundeskanzler hinterläßt in der Frage der freien Weltwirtschaftordnung und in der Frage der Freiheit der Meere der kommenden Bundesregierung ein unendlich schwieriges Erbe. Ich sage dies nicht gerne, aber es muß in dieser letzten Bundestagsdebatte gesagt werden: Der Bundeskanzler hat dort, wo es um die Verteidigung des freiheitlichen Systems der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ging, durch seine Gleichgültigkeit und durch sein Desinteresse diesem Lande und seiner Zukunft erheblichen Schaden zugefügt.
({0})
Zu einer ganz kurzen Einlassung hat der Herr Abgeordnete von Dohnanyi das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren von der Opposition! Ich wollte einen Irrtum, den ich vorhin begangen habe, nicht länger stehen lassen als unbedingt notwendig. Ich hatte in der Tat die falsche Seite ergriffen, Herr Kollege Mertes. Für Sie galt mein Zitat, für Herr Todenhöfer und für Herrn Narjes nicht. Die CDU/CSU hat mit Mehrheit gegen den Beitritt gestimmt, aber eine immerhin 99 Stimmen umfassende Minderheit hat dafür gestimmt. Ich habe mich geirrt, und ich bitte, daß ich das im Protokoll entsprechend korrigieren darf.
({0})
Das Wort hat der Herr Staatsminister Moersch.
Meine Damen und Herren!
({0})
Nachdem der Kollege Todenhöfer hier sozusagen pflicht- oder erwartungsgemäß aufgetreten ist, hatte ich eigentlich am Schluß den Eindruck, Herr Todenhöfer, Sie hätten noch einen markigen Satz sprechen sollen, z. B.: Sozialismus zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
({1})
Oder Sie hätten als Admiral endlich einmal die Flotte auslaufen lassen sollen, um diese deutschen Belange durchzusetzen.
({2})
Aber da Sie möglicherweise bei der Marine nicht gedient haben und deswegen ins Schwimmen gekommen sind, wird das so leicht nicht gelingen.
({3})
Herr Todenhöfer, das war eine Vorstellung, die Ihre Kollegen mit großer Zurückhaltung aufgenommen haben. Vielleicht ist Ihnen das nicht aufgefallen. Aber Sie werden sicher noch Gelegenheit haben, dem deutschen Volk einmal mitzuteilen, wie Sie es nun eigentlich meinen und wie man endlich die Welt zu Todenhöfer bekehren kann, denn dies offensichtlich haben Sie vor.
Ich muß mich nachträglich darüber freuen, daß ich Ihnen mit zwei oder drei Zitaten Gelegenheit gegeben habe, zum Seerechtsexperten zu werden. Denn ohne daß diese Zitate in der Presse erschienen wären, hätten Sie sich möglicherweise mit der Sache nicht so sehr auseinandergesetzt.
({4})
Da ist zum ersten das Wort von den „Verlierern". Herr Todenhöfer, ich muß die Antwort wiederholen, die ich darauf schon einmal gegeben habe. Erstens einmal habe ich auf Fragen von sachkundigen Korrespondenten in New York festgestellt: Wenn eine 200-Seemeilen-Wirtschaftszone eingerichtet wird, kann die Bundesrepublik Deutschland dabei nichts gewinnen, weil die Nordsee bereits aufgeteilt ist. Und wenn - so habe ich gesagt - diese 200Seemeilen-Wirtschaftszone mit den Fischereirechten für Island, Norwegen, Kanada und USA eingerichtet wird, wird die Bundesrepublik Deutschland Fischgründe verlieren, die sie bisher frei nutzen konnte.
Nun kann es ja sein, daß man das ungern hört, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Herr Todenhöfer in der Lage sein sollte, sprachlich herauszufinden, daß man dann, wenn man etwas verloren hat, Gewinner sein sollte.
({5})
Insofern war das, was ich gesagt habe, wohl nicht falsch.
Ich habe aber auch gesagt - das ist natürlich weniger interessant gewesen, aber ich kann es hier wiederholen -, daß wir auf Grund unserer technischen Möglichkeiten beim Meeresbodenbergbau eine Rolle spielen werden, wenn ein Meeresbodenregime geschaffen ist, und daß wir dabei Chancen haben. Und ich habe gesagt, daß wir auf Grund unserer hockentwickelten Fischereiwirtschaft auf andere Weise Ausfälle ersetzen können, die wir in traditionellen Fanggründen hatten. Und ehe Herr Todenhöfer überhaupt gemerkt hat, daß dies ein Thema ist, habe ich darüber längst mit mehreren Ländern verhandelt und gesprochen; ich will das nachher gern einmal zitieren. - Soviel zum Tatsächlichen.
Aber, wie gesagt, Horror muß sein, wenn Todenhöfer spricht; also wird die Bundesregierung sozusagen für alles und jedes verantwortlich gemacht. Und dann kommen beim Kollegen Todenhöfer Passagen vor, die außenpolitisch außerordentlich „nützlich" sind; ich betone die Anführungszeichen, Herr Todenhöfer, damit Sie nicht wieder falsch zitieren. Wenn Sie vom „planwirtschaftlichen Block der Dritten Welt" oder von den „Freibeutern der Meere" und anderem sprechen, erinnert das viele Leute in der Welt an die germanischen Untugenden, die man in diesem Lande nach zwei Weltkriegen eigentlich hätte ablegen sollen.
({6})
Sie stehen in einer merkwürdigen Weise in der Kontinuität unserer Geschichte, die ich eigentlich am liebsten aufgegeben hätte.
({7})
Ach, es ist ja ein Glück, daß Sie diese Gelegenheit zu solchen Zwischenrufen haben. - Ich habe nicht den Eindruck, daß alle Ihre Kollegen in der CDU/ CSU dieses markige Germanentum, das hier jeweils in entwicklungspolitischen Fragen produziert wird, besonders schätzen. Es gibt nämlich in Ihrer Fraktion einige, die schon einmal außenpolitisch aktiv tätig gewesen sind, und die wissen ja, daß Außenpolitik nicht darin besteht, daß man sich im BundesStaatsminister Moersch
tag hinstellt und die Welt Mores lehrt, sondern darin, daß man sich mit den Interessen anderer befaßt und sich darauf einstellt. Und diese Kollegen haben geschwiegen.
({8})
Ich muß auch den Kollegen von der CDU/CSU - die CSU hat sich ja nicht beteiligt; sie ist in diesem Zusammenhang wohl etwas landlocked --, ich muß also den Kollegen von der CDU doch sagen, daß es in der Frage, wie die Verhandlungsrichtlinien einer Regierung zustande kommen, verschiedene Möglichkeiten gibt. Es ist natürlich ein Märchen - wie anderes ein Märchen war -, es habe keine Verhandlungsrichtlinien und keine Verhandlungsposition der Bundesregierung gegeben. Seit es diese Fragen gibt, gibt es keine klare Verhandlungsrichtlinie und keine klare Verhandlungsposition. Die Delegation hat sie selbstverständlich schriftlich bekommen. Durch eine gemeinsame Abstimmung aller Ressorts der Bundesregierung, die daran beteiligt waren, ist diese Verhandlungsrichtlinie als Richtlinie der Bundesregierung entstanden; das entspricht völlg der Verfassung. Die Lektüre des Gesetzestextes klärt manche Zweifel. Diese Richtlinie ist geschaffen worden, bevor in Genf die eigentliche Vorbereitungskonferenz begonnen hat, nämlich vor dem 28. Februar 1975. Und sie ist offensichtlich sehr klar.
Ich möchte noch ergänzen, was der Kollege von Dohnanyi hier gesagt hat. Sehen Sie, es freut mich sehr, daß die Opposition die beamteten Mitglieder der Verhandlungsdelegation heute gelobt hat. Das ist mit vollem Recht geschehen.
({9})
Ich frage mich nur, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, daß so fähige Leute in die Verhandlungsdelegation berufen wurden.
({10})
Wahrscheinlich die Opposition, nehme ich an; das wäre natürlich ein neuer Zustand. Aber man mußte das sozusagen heraushören.
({11})
- Herr Mertes weiß das sicherlich alles viel besser. Das ist mir schon klar.
Wenn Sie Ausflüge in die Geschichte machen, muß ich darauf zurückkommen. Ich möchte Ihnen ein kleines Beispiel aus unserer deutschen Geschichte - nicht immer der erfreulichsten Seite - berichten, das eigentlich dieses Thema ein für allemal geklärt hat. Als nämlich Hindenburg in den 20er Jahren von einem Reporter der „Vossischen Zeitung" gefragt wurde, wie es nun eigentlich mit der Geschichte der Schlacht von Tannenberg sei, ob da der Ludendorff gewonnen habe, weil der ein großer Stratege war, wie wir alle wissen, oder ob es doch Hindenburg war, da hat der alte Hindenburg in einer klaren Antwort, die ich der Opposition zum Nachdenken empfehle - denn Hindenburg steht Ihnen ja sicher noch relativ nahe, wenn ich hier einige reden höre -,
({12})
gesagt: „Wenn sie verloren gegangen wäre, wäre ich es gewesen." Soviel zur Verantwortlichkeit gegenüber Delegationen.
({13})
- Herr Werner, die Freie Reichsstadt Ulm hat schon geistvollere Zwischenrufer hervorgebracht, als Sie das sind. Verlassen Sie sich darauf!
({14})
Da ist schon einmal einer in die Donau gefallen und hat dabei viel gelernt!
Noch ein Wort zur Geschichte.
({15})
Der Kollege Mertes hat mir heute das hat mich
getroffen; das will ich ganz offen sagen - ahistorisches Verhalten vorgeworfen.
({16})
- Gut. Kollege Mertes, das hat mich deswegen so überrascht, weil Sie mich kürzlich irrtümlich für einen Historiker gehalten haben, wenn ich mich recht entsinne.
({17})
Nun werde ich mich ja entscheiden müssen, was ich bin. Ich habe nicht Geschichte studiert, wie Sie wissen.
({18})
- Herr Hupka merkt das; denn seine Geschichtsbetrachtung ist in der Tat nicht die meine. Ich würde mich auch schämen, wenn das so wäre.
({19}) Nein, die Sache ist ganz anders.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Werner?
Aber sicher.
Herr Staatsminister, da Sie versuchen, das Ganze durch historische Reminiszenzen ein bißchen zu würzen - dafür habe ich natürlich Verständnis -, darf ich Sie fragen, ob Sie eigentlich nicht wissen - Sie geben sich ja so historisch beschlagen -, daß es Hoffmann beim Generalstabschef war, der die Pläne ausgearbeitet hat, die zu dem führten, was wir gemeinhin „Tannenberg" nennen?
({0})
Wissen Sie, Herr Werner, ich möchte hier offen bekennen: es gibt einen Teil der Geschichte, mit dem ich mich nicht intensiv befaßt habe: das ist die Militär- und Schlachtengeschichte, weil nämlich im Gegensatz zu manchem, der hier im Saal ist, mein Bedarf an kriegerischen Erkenntnissen durch eigene Erfahrungen in fast drei Jahren völlig gedeckt war.
({0})
Aber ich möchte hinzufügen, falls Sie das als Landsmann beruhigt, daß es einen gewissen General Groener gab, der die ursprüngliche Planung für den Feldzug mit entworfen hatte. Der war aus Ludwigsburg, deswegen weiß ich das zufällig.
({1})
- Ich werde bei Ihnen, Herr Studienrat, darüber Nachhilfeunterricht nehmen; denn Sie sind staatlich geprüft auf diesem Gebiet, das kann ich nicht vorweisen.
({2})
- Nach Niveau hatten Sie eigentlich noch nie Bedürfnis, wenn ich Sie hier reden gehört habe. Das ist etwas völlig Neues.
({3})
Herr Staatsminister, würden Sie bitte zum Thema zurückkommen.
({0})
Ich bin gern bereit, Frau Präsident, zum Thema zurückzukommen. Ich höre nur gerade mit großer Aufmerksamkeit die wesentlichen Zwischenrufe des Herrn Fraktionsgeschäftsführers der CDU. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, wie Sie verstehen werden.
Ich möchte zur historischen Betrachtungsweise etwas sagen, weil es hier falsch dargestellt und vielleicht auch mißverständlich aufgefaßt wurde. Richtig ist, daß die Holländer im Streit mit den Engländern ihre Seerechtsvorstellungen durchgesetzt haben. Aber richtig ist auch ohne jeden Zweifel, daß damals die Länder, die sich heute um die Schätze des Meeres bemühen, nicht vorhanden gewesen sind, sondern Kolonialgebiete der Holländer und der Engländer gewesen sind. Daher ist die Frage berechtigt, ob das, was im 17. und 18. Jahrhundert als Meeresrecht, als Seerecht entstanden ist und sich weiterentwickelt hat, von den anderen eigentlich jemals als ein für sie verbindliches Recht betrachtet worden ist. Das ist eben nicht der Fall. Deswegen ist es zu dieser Konferenz gekommen.
Ein anderer ehemaliger Kolonialstaat hat nach 1945 den ersten Schritt getan. Es wird die Opposition möglicherweise überraschen, wenn ich das jetzt mitteile. Es handelt sich nämlich um den jetzt 200 Jahre alten Staat USA. Die USA haben sich nach 1945 die Wirtschaftszonenvorstellung zu eigen gemacht, weil es ihnen damals als, wenn ich es recht sehe, einzigem Staat möglich war, Kohlenwasserstoffe im Schelf vor der Küste zu gewinnen. Das war der Ausgangspunkt für eine Reaktion der lateinamerikanischen Staaten, die sich wiederum gewissermaßen als Kolonialerben der spanischen Seehoheitsvorstellungen ihrerseits ein neues Hoheitsgebiet schaffen wollten.
Die Länder der Dritten Welt, von denen Herr Todenhöfer hier eben so abfällig gesprochen hat, sind daran - im engen Sinne des Wortes - überhaupt nicht beteiligt gewesen, sondern das war eine Sache, die aus der europäischen Rechtsgeschichte entstanden ist.
Ich muß hier einen weiteren Punkt anmerken. Es betrifft die Interessengemeinschaften der Großmächte. Diese Bemerkung wird nicht dadurch falsch, daß ich sie gemacht habe. Es ist doch so gewesen, daß ich gefragt wurde, ob wir denn nicht die Vorreiter in der Frage der neuen Meerengen- und der Durchfahrtsregelung sein müßten. Wer halb zitiert, hat ganz gewonnen. Jedoch werden Sie, nachdem sie nur halb zitiert haben, erst dann gewonnen haben, wenn das hier ohne Widerspruch hingenommen wird.
Tatsache ist, daß wir darauf hingewiesen haben, daß diese Frage sowohl von den USA als auch von der Sowjetunion in der Seerechtskonferenz schon eindeutig beantwortet worden war, wenn auch noch keine Regelung getroffen war, nämlich in dem Sinne, daß sie sagten: Eine Konvention verpflichtenden internationalen Charakters werden wir beide - die USA und die Sowjetunion - nicht unterzeichnen, wenn sie nicht diese Durchfahrtsrechte in vollem Umfang sichert.
An die Bundesregierung wurde die Frage gerichtet: Müssen denn wir, wenn die USA und die Sowjetunion so eindeutig Stellung genommen haben, die Speerspitze übernehmen, um diese Auffassung als Hauptsache sich zu eigen zu machen, nachdem sich andere schon so engagiert hatten? Da habe ich gesagt: Nein, wir wollen unsere Kräfte auf die Fragen konzentrieren, die für uns in besonderer Weise bedeutsam sind, z. B. das Meeresbodenregime. Ich meine, das war richtig.
Nun kann ich Herrn Kollegen Narjes sehr deutlich noch eine Frage beantworten. Er fragte, warum hier die Nickelfrage aufgekommen sei. Antwort: durch Chile. Es gibt Länder, darunter Chile - es gibt auch noch andere Nickelproduzenten in der Welt -, die es zur Bedingung des Eingehens auf den im wesentlichen von Brasilien und Singapur getragenen Kompromiß gemacht haben, daß innerhalb der nächsten 20 Jahre die Nickelgewinnung vom Meeresboden nicht höher sein soll als der Verbrauchszuwachs in der Welt. Das ist eine Regelung, die wir nicht etwa unterstützt haben; damit das ganz klar
Deutschei Bundestag - 7. Wahlperiode Staatsminister Moersch
ist. Aber die USA haben bei der Abwägung ihrer Interessen bis jetzt offensichtlich die Meinung vertreten, daß man darüber reden könne; wohlgemerkt: die USA.
Wir haben immer den Standpunkt vertreten, daß solche Abhängigkeitsbedingungen nicht geschaffen werden sollten. Ich werde in den nächsten Tagen Gelegenheit haben, mit den Chilenen in Santiago u. a. über diese Frage zu sprechen, nämlich am nächsten Montag. Das ist mir eine sehr wichtige Frage.
Damit komme ich nun zu dem Thema, wie sich eine Delegationsleitung eigentlich offiziell abspielt. Die CDU hat darüber offensichtlich merkwürdige Vorstellungen. Ich will Ihnen ganz offen gestehen: Ich hatte nie die Absicht, im Kreis von 146 Delegationschefs Verhandlungen über Einzelthemen zu führen, sondern ich hatte die Absicht, die politische Funktion gegenüber den fachlichen der Herrn Botschafters Knoke so auszuüben, daß ich mit möglichst vielen Regierungen und Staaten der Welt zwischen den Konferenzen über solche Einzelpunkte spreche, wie etwa mit Chile über Nickel. Das habe ich in mehreren Dutzend Fällen getan, ohne die Opposition zu informieren; das mache ich mir allerdings zum Vorwurf.
Hinzu kommt, daß sich die Opposition für dieses Thema überhaupt nie interessiert hat.
({0})
Ich habe im Auswärtigen Ausschuß wiederholt eine Unterrichtung angeboten. Zweimal mußte die Unterrichtung ausfallen, weil sich die Oppositionsabgeordneten schlagartig verflüchtigt hatten, als dieser Tagungsordnungspunkt aufgerufen wurde. Das heißt, es war nämlich überhaupt kein Interesse dafür vorhanden.
({1})
- Das ist keine Karikatur, das ist die Wahrheit! Herr Mertes, wenn Sie damit nicht angefangen hätten, würde ich hier nichts aus dem Nähkästchen erzählen. Diesen Sachverhalt weist das Protokoll des Auswärtigen Ausschusses ganz eindeutig aus. Ihr Interesse an dieser Frage kam erst hoch, als Herr Todenhöfer sah,
({2})
daß man daraus möglicherweise durch kontroverse Presseerklärungen Honig saugen könnte.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte schön, Herr Mertes.
Herr Kollege Moersch! Ist Ihnen bekannt, daß wir im Herbst 1974 eine Kleine Anfrage mit 26 Einzelfragen eingereicht haben?
- Nachdem diese erschöpfend behandelt worden waren, war Ihr Informationsbedürfnis offensichtlich völlig befriedigt.
({0})
Den Eindruck hatte ich, weil ich im Auswärtigen Ausschuß wiederholt angeboten hatte, über weitere Entwicklungen zu informieren.
({1})
Ich will zum Festlandsockel noch auf ein Problem hinweisen, das Herr Narjes ebenfalls angeschnitten hat. Herr Kollege Narjes, wir sind uns völlig darüber einig, daß wir hier die Position zu wahren haben, die wir von Anfang an eingenommen haben. Aber ich möchte Sie bitten, in Ihrer Fraktion doch einmal zu klären, wie wir nun eigentlich Verhandlungen führen und wie wir vorgehen sollten. Der Herr Kollege Todenhöfer hat wieder markige Worte über die Möglichkeit der Gruppe der 51 gesprochen. Er hat überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, daß etwa 13 von den 51 - das wurde ja schon gesagt - inzwischen ganz andere Positionen einnehmen; so z. B. darin, was etwa die Frage der Wirtschaftszone und möglicherweise den Festlandsockel betrifft.
({2})
- Liechtenstein ist bisher der 51. Staat gewesen.
({3})
- Gut, dann zählen Sie es nach.
({4})
Tatsache ist, daß jedenfalls eine geschlossene Position in der Frage der Wirtschaftszone nicht zu erreichen war und am Ende möglicherweise auch gar nicht unseren Interessen entsprochen hätte. Wir müssen z. B. in der Frage der gemeinsamen EG-Position doch berücksichtigen, wie unsere Partner darüber denken. Herr Narjes! Sie als Mann, der mit den EG-Fragen besonders vertraut ist, wissen doch, daß wesentliche Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft in der Frage der Ausdehnung des Festlandsockels über die 200 Seemeilen hinausgehen wollen. Sie wissen doch sicherlich auch, daß die wesentlichen Partner in der Atlantischen Gemeinschaft eine andere Haltung einnehmen, als sie hier zum Teil empfohlen worden ist. Ich meine Kanada, die USA - übrigens auch Dänemark -, Norwegen und andere. Für uns sollte unstrittig sein, daß wir in dieser Frage endgültig erst Antwort geben können, wenn wir die Ausgestaltung des Meeresbodenregimes genau kennen.
Es ist doch überhaupt kein Zweifel darüber möglich, daß wir unter Umständen mit Staaten wie Ka18488
nada, USA, vor allem Dänemark, Norwegen bilaterale Lizenzverhandlungen über die Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen leichter führen können als etwa mit einer internationalen Behörde. Wie das Gesamtpaket aussieht, hängt also davon ab, wie man die deutschen Interessen am besten wahren kann.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Ja, bitte!
Herr Kollege Moersch, sind Sie so liebenswürdig, davon Kenntnis zu nehmen, daß ich in Würdigung aller der von Ihnen eben beschriebenen Umstände sehr deutlich zwischen der hoheitsmäßigen Ausdehnung von Zonen und der Ausdehnung von Nutzungsrechten unterschieden habe, um genau dem Dilemma, das sie beschrieben haben, zu entgehen?
Herr Kollege Narjes, ich nehme das zur Kenntnis, und ich habe mit großer Aufmerksamkeit gehört, was Sie gesagt haben. Nur möchte ich die Opposition einfach bitten, einmal zu klären, wer denn nun für die Opposition gesprochen hat.
({0})
Was Herr Todenhöfer gesagt hat - und wie er das dargestellt hat -, steht in einem Widerspruch zu dem, was Herr Narjes eben in der Zwischenfrage noch einmal bestätigt hat. Es wäre für die Bundesregierung u. a. schon nützlich, einmal zu wissen, wie sich eigentlich die Opposition die Verhandlungen internationaler Art auf diesem Gebiet denkt. Wenn wir mit Herrn Todenhöfer sagen, nationale Positionen über alles, über alles in der Welt, dann ist der Fall ziemlich einfach zu lösen.
({1})
Wenn wir aber sagen, wir wollen eine EG-Position, dann müssen wir mit den übrigen Staaten der Europäischen Gemeinschaft zusammen Kompromisse finden.
({2})
- Herr Reddemann! Es wird Ihnen nicht gelingen, mich durch Ihre Zwischenrufe zu stören. Verlassen Sie sich darauf.
({3})
Diese Tatsache müssen Sie meiner Ansicht nach zur Kenntnis nehmen. Wir haben uns jedenfalls bisher aus verhandlungstaktischen Gründen sehr genau angesehen, wie wir zu einer gemeinsamen EG-Position kommen können. Und es ist wiederum ein Widerspruch in den Darstellungen der Opposition,
wenn sie uns durch Herrn Todenhöfer empfiehlt, streng auf die Gruppe der 51 zu setzen,
({4})
andererseits aber eine gemeinsame EG-Position verlangt; denn die Mitglieder der EG sind - mit Ausnahme von Luxemburg, Belgien und uns - keine Mitglieder der Gruppe der 51. Auch dies muß man sehen.
({5})
- Nein, Herr Todenhöfer, das Rätsel können Sie wahrscheinlich nicht lösen; Sie können es hier nur stellen.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. Meine Damen und Herren, es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Bundesregierung in den ganzen Jahren dieser Diskussion gut beraten war, mit großer Behutsamkeit, aber auch mit großem Nachdruck die Gesamtwirkungen einer neuen Seerechtskonvention in sehr vielen bilateralen Gesprächen in der Welt darzustellen. Es war ja bisher völlig unbestritten, daß es über die Definition der Interessen der Bundesrepublik Deutschland gar keine unterschiedlichen Meinungen und Zweifel geben kann. Sonst hätten die Küstenländer nicht so mitgearbeitet, wie sie das getan haben.
Ich habe allerdings den Eindruck gewonnen - heute haben Sie das durch Herrn Mertes und Herrn Narjes ein bißchen zurückgenommen, aber bei Herrn Todenhöfer kam das wieder auf -, daß dann, wenn es nach Meinung von Sprechern der CDU wie Herrn Todenhöfer geht, die Probleme zunächst einmal dadurch gelöst werden müßten, daß man beschließt, die Bundesrepublik Deutschland sozusagen zu verlegen und zu einem Langküstenstaat zu machen.
({6})
Da Sie sich mehrheitlich wohl darüber im klaren sind, daß dies nicht gelingen wird, sind wir gut beraten, wenn wir unsere Verhandlungen in der gleichen sachlichen Weise weiterführen, wie wir es bisher getan haben, und den Lärm dazu einigen wenig kompetenten Oppositionssprechern überlassen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertes ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur zwei kurze Klarstellungen.
Die erste: Herr Kollege von Dohnanyi hat uns hier ex cathedra in Gute und Böse, in realistische und unrealistische CDU-Abgeordnete eingeteilt. Ein Teil der CDU/CSU-Fraktion hat dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen zugestimmt, und zwar unter der von der Bundesregierung ausdrücklich zugesagten Voraussetzung, ja Absicht, daß sie erstens in allen Gremien der UNO das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands im Sinne des Grundgesetzes und des
Deutscher Bundestag - .Wahlperiode - 257 Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Juli 1976 18489
Dr. Mertes ({0})
Briefes zur Deutschen Einheit aktiv vertreten werde und daß zweitens - dies ist ein ganz entscheidender Punkt - Berlin ({1}) in der UNO eindeutig von der Bundesrepublik Deutschland vertreten wird. Ich erinnere mich sehr genau an die Antwort des Bundeskanzlers Brandt auf eine entsprechende Frage des Kollegen Kliesing.
Ein anderer Teil der CDU/CSU-Fraktion hatte im Hinblick auf die dieser Auffassung bis dahin jedenfalls entgegenstehende und allgemein bekannte Haltung der Sowjetunion Zweifel an der Durchführung dieser Zusage und sagte deshalb - das geht aus den Bundestagsprotokollen ganz klar hervor - nein zum Beitritt. Sie selbst können inzwischen beurteilen, ob und wieweit die Zusagen der Bundesregierung Brandt /Scheel eingehalten wurden oder eingehalten werden konnten.
Die zweite Klarstellung bezieht sich auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Moersch zum Thema Informationsbedürfnis. Herr Staatsminister, wir haben niemals kritisiert, daß wir zuwenig Einzelinformationen bekommen haben. Im Gegenteil, wir möchten in bezug auf die Seerechtskonferenz ausdrücklich anerkennen, daß die Regierung kooperativ war, wenn wir uns als Fraktion oder als Ausschußmitglieder sachkundig machen wollten; die entsprechenden Sachinformationen sind uns bzw. dem Parlament nicht versagt worden. Strittig sind hier nicht Einzelheiten, sondern strittig ist hier die politische Gesamtwertung des Verhaltens der politisch Verantwortlichen in der Bundesregierung. Nichts anderes stand und steht hier zur Debatte.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schleifenbaum.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein erster Eindruck heute morgen, als ich die Rednerriege der Opposition hier vorfand, war: Oeuf, Oeuf, que lac je, ei, ei, was sehe ich? Ich seh' recht: Kollege Todenhöfer spricht zum Seerecht, nachdem er am Mittwoch hinten runtergefallen war und nicht sprechen durfte,
({0})
sondern sich durch Franz Josef Strauß vertreten ließ,
({1})
der sich bei dieser Gelegenheit wohl auch als Entwicklungshilfeminister empfehlen wollte.
({2})
Nun ist Kollege Todenhöfer wieder vom Meeresboden aufgetaucht, aber nach seiner heutigen Abschiedsvorstellung wird die Union wohl selbst dafür sorgen, daß sich die Wogen bald wieder über ihm glätten werden.
({3})
- Na ja, da es hier um das Seerecht geht, würde ich Ihnen gewissermaßen konzedieren, daß wir insofern in einem Boot sitzen.
({4})
Im übrigen: Wo ist denn der Herr Strauß heute? Er hat den Heubl-Schnupfen.
({5})
Die Opposition will der Öffentlichkeit mit Ihrer Großen Anfrage suggerieren -- ({6})
- Frau Präsident, ich hoffe, daß die Störungen nicht von meiner Redezeit abgehen.
Herr Abgeordneter, fahren Sie doch bitte in Ihrer Rede fort.
Die Opposition will der Öffentlichkeit mit ihrer Großen Anfrage suggerieren, daß die Bundesregierung die nationalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland auf der Seerechtskonferenz ungenügend vertritt. Dies ist heute durch den Bundesaußenminister, den Staatsminister und auch durch die Antwort der Bundesregierung überzeugend entkräftet worden. Es hat sich herausgestellt, daß die Bundesregierung seit Jahren Positionen vertritt, die die Union jetzt der staunenden Öffentlichkeit zum Patent anmelden will. Ich frage mich allerdings, ob die Union die nationalen Interessen wahrt, wenn Sie hier auch vor der internationalen Öffentlichkeit die Verhandlungsposition der Bundesregierung auf der 5. Session der 3. Seerechtskonferenz sezieren wollen. Für ein außenpolitisches Lob, wie Sie, Herr Mertes, es hier für Ihre Union gefordert haben, ist überhaupt kein Anlaß. Sie greifen hier eine Verhandlungsführung der Bundesregierung an, die, wie sich ergeben hat, durch jahrelange bilaterale Gespräche und in zahlreichen Ausschußsitzungen innerhalb der EG und auf den Sessionen der Seerechtskonferenz schon mehr erreicht hat, als die Opposition überhaupt angemeldet hatte.
Nun wollen Sie die Latte noch ein bißchen höher legen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Konferenz scheitert.
({0})
Todenhöfer ist in den „Husumer Nachrichten" vom 29. April in dieser Art zitiert worden. Damit gebe ich Ihnen konkret an, wer das sagt. Es scheint ja überhaupt Ihre außenpolitische Lieblingsbeschäftigung in den letzten Jahren gewesen zu sein, zu versuchen, internationale Konferenzen an der Bun18490
desrepublik scheitern zu lassen. Ich finde es unverantwortlich von Ihnen, immer wieder den Versuch zu machen, die Bundesrepublik Deutschland in die Rolle des internationalen Störenfrieds zu drängen. Wie tief sind Sie gesunken! Adenauer hat es verstanden, Außenpolitik auf der Grundlage der Verständigung mit anderen Völkern aufzubauen, wenn er sich auch leider dabei schwerpunktmäßig nur dem Westen zuwandte.
({1})
Aber was machen Sie? Sie haben selbst der Isolation der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Westen das Wort geredet.
({2})
Sie haben die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland behindert. Sie haben eine Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland behindert, die in vollem Consensus und auf ausdrücklichen Wunsch unserer Alliierten zur weltweiten Entspannung beitragen soll. Sie haben die Konferenz in Helsinki zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa scheitern lassen wollen und ein Konferenzergebnis abgelehnt, dem selbst der Vatikan zustimmte.
({3})
Sie haben hier die Polen-Verträge abgelehnt.
({4})
Das Rückzugsgefecht im Bundesrat hat Ihre Konzeptionslosigkeit entlarvt.
({5})
Sie haben das Scheitern der IV. Welthandelskonferenz in Nairobi riskieren wollen, indem Sie von der Bundesregierung eine Position verlangten, die nicht einmal für unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft kompromißfähig gewesen wäre.
Wo bleibt eigentlich Ihr konkreter Beitrag zum europäischen Gemeinschaftsgeist, den Sie in Ihrer Anfrage zur Seerechtskonferenz wieder so scheinheilig beschwören? Sie haben der Bundesregierung eine Absage auf die Einladung des US-Präsidenten Ford zur Konferenz von Puerto Rico zumuten wollen. Sie haben das Konferenzergebnis von Puerto Rico hier am Mittwoch in einer Weise abgehandelt, daß es eine Ohrfeige für die daran Beteiligten verbündeten Industrieländer ist.
Ihre Außenpolitik ist ein einziger Torso.
({6})
Unter dem Vorwand, nationale Interessen zu vertreten,
({7})
behindern Sie unsere Außenpolitik. Ich glaube, daß
unsere nationalen Interessen durch die Schaffung
gemeinsamer Positionen mit unseren wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partnern am besten gewahrt werden. Dabei können unsere eigenen Interessen dort natürlich nicht immer voll durchgesetzt werden, wo sie mit den Interessen dieser Partner kollidieren. Außenpolitik des Friedens war immer nur erfolgreich, wenn Sie einen für alle tragbaren Interessenausgleich zum Ziel hatte.
({8})
Außenpolitik der unnachgiebigen Konfrontation, wie Sie sie betreiben, ist uns Deutschen noch nie gut bekommen. Es ist auch nicht einzusehen, was sie uns auf der Seerechtskonferenz einbringen könnte. Sie tun so, als ob die Bundesregierung nur entsprechende Verhandlungsrichtlinien an die fleißige Delegation zu geben brauche und schon alles nach unserem Wunsch laufe. Aus welcher Einschätzung deutscher Omnipotenz nehmen Sie eigentlich diese Erwartung?
Der beste Rat, den ich Ihnen geben kann, ist: Verlangen Sie doch eine längere Küste und einen ferneren Festlandsockel für die Bundesrepublik Deutschland!
({9})
Ich finde, daß die Bundesregierung mit viel Verhandlungsgeschick auf dem besten Weg ist, auf dieser Seerechtskonferenz mehr herauszuholen, als nach unserer geographischen Situation und auch in Anbetracht der ungewohnten Fronten unter den Ländern dieser Erde in diesen Fragen zu erwarten wäre.
Die Bilanz der Außenpolitik der Union ist ein einziger Offenbarungseid. Sie haben eine Menge Porzellan zerschlagen.
({10})
Ich bin zuversichtlich, daß der Wähler am 3. Oktober verhindern wird, die Bundesrepublik Deutschland dem Risiko christdemokratischer Isolationspolitik auszusetzen.
({11})
Es gibt nur wenige Regionen dieser Erde, in denen die Außenpolitik der Union kein Risiko für die Bundesrepublik Deutschland wäre.
({12})
Dazu gehört im Fadenkreuz 160 Grad westlicher Länge und 10 Grad südlicher Breite die Union Islands; dazu gehört im Fadenkreuz 60 Grad östlicher Länge und 80 Grad nördlicher Breite das FranzJosef-Land.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider sind nicht alle Auslassungen von seiten der Regierungskoalition, wie ich meine, der Sache angemessen gewesen.
({0})
Das war Wahlkampfstil und Polemik, die zu diesem ernsthaften Thema einfach nicht gehört hätten.
({1})
Ich möchte zum Abschluß dieser Debatte festhalten, daß es in der Beurteilung der Situation doch auch ein ganz gehöriges Stück an Übereinstimmung gibt, bei auch vorhandenen Meinungsverschiedenheiten in der Bewertung des einzuschlagenden Wegs und auch in der Bewertung der Aufbereitungs- und Vorbereitungsarbeit der Regierung.
({2})
Es besteht gar kein Zweifel, daß der Bundeskanzler und, ich glaube, auch der Herr Bundesaußenminister die existentielle Bedeutung der auf der Seerechtskonferenz zur Entscheidung anstehenden Fragen in ihrer Substanz einfach nicht richtig erkannt haben.
({3})
Das äußert sich auch daran - Herr Minister Genscher, Sie werden mir das bestätigen müssen -, daß in der für die Koordination zuständigen Abteilung Ihres Amtes ein ständiges Wechseln von Personen stattgefunden hat, so daß schon von daher eine Kontinuität der Verhandlungsführung nicht gewährleistet werden konnte.
({4})
- Ich spreche von der Koordinierungsstelle in Ihrem Hause, die sich durch einen ständigen personellen Wechsel alle paar Monate ausgezeichnet hat. Damit konnte eine Kontinuität in der Beobachtung und bei der Aufbereitung der Konferenz nicht genügend gewährleistet werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch bemängeln, daß erst sehr spät intensive Gespräche mit der amerikanischen Verhandlungsdelegation aufgenommen worden sind. Eine frühzeitige und damit rechtzeitige Abstimmung hätte uns bei einer vielfältigen Übereinstimmung der Interessen manches Problem leichter lösen lassen, als das jetzt der Fall ist. Ein weiterer Punkt der Kritik ist sicherlich der, daß die fehlende Ministerrepräsentanz auf der europäischen Ebene wie auch auf der Seerechtskonferenz selbst verhindert hat, die Koordinierungsgespräche von vornherein auf einer höheren Ebene zu führen. Und daß Herr Kollege Moersch, der offizielle Delegationsleiter, zuletzt in New York gewesen ist, war mit Sicherheit der Ausdruck einer Statistenrolle und keine hilfreiche Unterstützung der auf der Konferenz selbst amtierenden Verhandlungsdelegation.
({5})
Ich glaube, in diesem Hause besteht völlige Übereinstimmung darüber, daß wir als ein Staat unter 150 Staaten natürlich nicht alleine unsere nationalen Interessen werden durchsetzen können. Niemand sollte so naiv argumentieren - wie das von verschiedenen Seiten geschehen ist -, wir verträten eine Alles-oder-Nichts-Position. Natürlich wissen wir, daß Kompromisse gefunden werden müssen und daß man sie um so eher im Interesse unserer eigenen Wünsche erreicht, je mehr Partner man findet, die ihre Positionen auf der gleichen Linie vertreten. Darum geht es: ob da nicht früher und in klügerer Weise das Nötige an Vorkehrungen hätte getroffen werden müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Bitte.
Herr Kollege Müller-Hermann, Ihren letzten Sätzen ist voll zuzustimmen. Aber wäre es dann nicht zweckmäßig, daß Sie wenigstens innerhalb Ihrer Fraktion einmal einen Konsens herstellen um zu verhindern, daß der Kollege Todenhöfer den Standpunkt vertritt, den er soeben vorgetragen hat und der doch der deutschen Position - siehe Nairobi - sicherlich mehr schadet als nützt?
({0})
Sehr verehrter Kollege, es wird Ihnen nicht gelingen, einzelne Kollegen gegen die Fraktion auszuspielen; wir stehen hinter dem Kollegen Todenhöfer.
({0})
Zum zweiten sind wir uns sicherlich auch darüber im klaren, daß wir uns in einem Prozeß gewaltiger weltweiter struktureller Veränderungen befinden und daß die sogenannten Entwicklungsländer natürlich ihren Anspruch anmelden - das ist aus ihrer Sicht ein völlig legitimer Anspruch -, an den Gütern dieser Welt angemessen beteiligt zu werden. Aber ich glaube, wir sollten mit guten Gründen und aus voller Überzeugung davon ausgehen, daß sich die Ordnungsprinzipien einer weltfreien Weltwirtschaftsordnung eines freien Welthandels, einer freien Schiffahrt und der Freiheit der Meere bewährt haben und es einer Schizophrenie gleichkommt, wenn wir in einer Welt, die zusammenwachsen soll und muß, überall neue nationale Protektionismen und neue nationale Zuständigkeiten schaffen. Das muß im Endergebnis zu einer Wirtschaftsordnung in der Welt führen, die es uns sicherlich nicht leichter macht, für alle Menschen in dieser Welt einen angemessenen Lebensstandard und Wohlstand zu
errreichen. Das ist die Grundposition, von der wir ausgehen.
({1})
Wir haben Ihnen eine Entschließung vorgelegt, die, wie Sie mir bestätigen werden, ganz bewußt sehr ausgewogen, sehr konstruktiv und als eine zusätzliche Hilfestellung für die Bundesregierung in einer schwierigen Verhandlungsposition gedacht ist.
({2})
- Herr Kollege Wehner, lesen Sie sich bitte einmal diese Entschließung genau durch!
({3})
Sehr verehrter Herr Wehner, Sie sind ja jetzt auch in einem fortgeschrittenen Alter und müssen auch einmal lernen, daß es in einer parlamentarischen Demokratie sehr wohl ein ausgewogenes Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition geben könnte, wenn nicht ein Mann wie Wehner sagen würde: Wir brauchen diese Opposition nicht.
({4})
- Wenn das eine falsche Darstellung ist, nehme ich das gern zur Kenntnis.
({5})
Wenn wir gemeinsam der Überzeugung sind, daß bei den künftigen Sessionen der Seerechtskonferenz unsere Bundesregierung bei der Vertretung der nationalen Interessen in einer sehr schwierigen Verhandlungsposition ist, wäre es um so wünschenswerter und notwendiger gewesen, wenn diese Bundesregierung bei ihren zukünftigen Verhandlungen auf eine einstimmig angenommene und einmütig vorbereitete Entschließung dieses Hohen Hauses hätte zurückgreifen können.
({6})
Ich empfinde es als ein Armutszeugnis, daß von seiten der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung hier nicht der geringste Versuch gemacht worden ist, ein Feld der Übereinstimmung zu finden, das im Grunde - wenn man die Substanz der beiden Entschließungsanträge vergleicht - vorhanden gewesen wäre. So kommen wir jetzt zu zwei Entschließungen, und eine wird hier angenommen werden. Das ist weder der notwendige parlamentarische Stil
({7})
noch entspricht dieser Zustand den Gegebenheiten, die gerade im Blick auf eine so wichtige Konferenz wie die Seerechtskonferenz notwendig wären.
Unserer Entschließung liegen drei Zielsetzungen zugrunde. Einmal wollen wir der Bundesregierung für die Vertretung bestimmter Positionen den Rükken stärken, zum zweiten wollen wir der Regierung noch einmal konkrete Aufträge geben, alles daranzusetzen, daß wir eine gemeinsame Haltung der Europäischen Gemeinschaft zu den Grundfragen der Seerechtskonferenz finden und am Ende der Verhandlungen die Europäische Gemeinschaft als ein selbständiger Partner der Schlußakte der Seerechtskonferenz ihre Unterschrift geben kann, weil wir nicht zuletzt auch eine Stärkung der Position der einzelnen Mitgliedstaaten darin sehen würden, wenn es gelänge, eine gemeinsame Haltung der Europäischen Kommission, der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen und auch ein europäisches Meer zu etablieren, das im Geben und Nehmen mit anderen Partnern auch die bundesrepublikanische Position etwa bei der Frage der Fischereirechte sicherlich erleichtern könnte.
({8})
Drittens geht es bei der Entschließung darauf hinaus, daß wir der Regierung die Grenzen deutlich machen wollten, über die sie nicht hinausgehen darf, wenn sie eines Tages für das Verhandlungsergebnis die Unterstützung und Zustimmung des Parlaments brauchen wird.
Mein sehr verehrten Damen und Herren, nachdem meine Kollegen zu den einzelnen Positionen das Nötige gesagt haben, möchte ich das nicht wiederholen. Ich möchte abschließend anmerken: Es geht bei den Fragen dieser Seerechtskonferenz um Grundpositionen und Grundentscheidungen, von denen nicht nur wir, sondern auch künftige Generationen so oder so, im Nutzen oder Schaden die Folgewirkungen zu tragen haben. Da ist es um so notwendiger, daß in dem Bemühen, einen möglichst großen Consensus innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und im Lager der Industrienationen zu finden, die Bundesregierung unsere deutschen nationalen Interessen kraftvoll vertritt, aber eben auch bemüht bleibt, eine Übereinstimmung zu finden, die auch den berechtigten Anliegen der Entwicklungsländer entgegenkommt.
({9})
Aber die Grundposition der Freiheit unserer Weltwirtschaftsordnung und der Freiheit der Meere, des Rechts auf freien Zugang aller zu den Schätzen des Meeres, das muß unter allen Umständen gesichert bleiben. Das ist unser Anliegen, das ist unser Auftrag an die Regierung.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Dohnanyi.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zum Antrag der Opposition. Herr Kollege Müller-Hermann, natürlich
gibt es eine Vielzahl von Punkten in Ihrer Entschließung, die mit den Punkten übereinstimmen, die in der Entschließung der Koalitionsfraktionen enthalten sind. Unsere Kritik geht einmal dahin, daß dies eine sehr lange Entschließung ist - sie ist doppelt so lang wie die unsere ({0})
mit einer Vielzahl von Worten, worunter eben leider auch falsche Worte sind. Ich will sagen, wo die falschen Worte sind.
Da heißt es einmal unter III:
Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, folgende politische Grundpositionen . . .
Das stimmt gar nicht, denn eine Reihe dieser Positionen hat die Bundesregierung längst vertreten. Das ist auch heute wieder deutlich geworden.
Dann gibt es kritische Bedenken gegen Ihren Entschließungsantrag unter III B 2, wo doch eben gerade, weil Sie so umfassend und umfangreich formulieren, dann auch Worte enthalten sind wie „Schritt zu einer planwirtschaftlichen Neuen Weltwirtschaftsordnung" oder „kein Spielraum für Willkürentscheidungen"
({1})
Dieses alles sind Dinge, die interpretierbar sind. Da ist also eine härtere und klarere Abgrenzung notwendig, wie sie sich in einer kürzeren Entschließung, in einem kürzeren Antrag ermöglichen läßt.
Als dritten Punkt möchte ich folgenden nennen. Sie haben eben gesagt, die Bundesregierung müsse in der Entschließung gewissermaßen ganz hart die Grenzen erkennen, über die man nicht hinausgehen könne. Ich finde es nicht gut, einen Entschließungsantrag so zu formulieren, indem man gewissermaßen Verhandlungspositionen so absteckt, daß man entweder sagt, die sind so weit zurückgenommen, daß dann wirklich Ende ist, oder sagt, notfalls muß man doch wieder darüber hinausgehen. Hier wird noch verhandelt. Der Bundesaußenminister hat das auch gesagt. Die Grenzen sollten eben gerade nicht so hart abgesteckt werden, denn die Regierung braucht ja den Spielraum für die Verhandlungen.
Da können wir natürlich auch nicht ganz vergessen, Herr Müller-Hermann, was Sie wohl am 18. Februar als Ergebnis einer Besprechung oder sogar eines Beschlusses - ich weiß es nicht genau - Ihres Fraktionsvorstandes gesagt haben, worin es die Formulierung gibt:
Die möglichen Nachteile
- ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem Scheitern der Seerechtskonferenz wären nicht größer als die beabsichtigten Regelungen.
Das bezieht sich auf das Problem des Meeresbodenregimes. Das ist ein wichtiges Problem. Dennoch ist
eine solche Formulierung nicht im Einklang mit
dem, was hier von seiten der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung gesagt wurde, und zeigt eine Tendenz an, die wir in Ihrer Entschließung leider wiedererkennen.
Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ist begründet worden. Ich brauche das also nicht mehr im einzelnen zu tun. Weil aber der Kollege Müller-Hermann noch einmal gesagt hat, der Bundeskanzler habe hier seinen. Verpflichtungen nicht ausreichend entsprochen, möchte ich das im Namen meiner Fraktion noch einmal ausdrücklich zurückweisen
({2})
und gerade deswegen auch auf dem letzten Absatz bestehen, der lautet: Der Deutsche Bundestag dankt der Bundesregierung und ihrer Delegation für ihre Verhandlungsführung auf der Konferenz und gibt der Erwartung Ausdruck, daß ein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann.
Mit dieser Begründung, meine Damen und Herren, bitte ich um Annahme der Entschließung der Koalitionsfraktionen. Herr Kollege Müller-Hermann, ich glaube, bei einer nüchternen Betrachtung hätte die CDU/CSU die Möglichkeit, dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen. Er ist knapper, er ist präziser, er grenzt die Verhandlungen nicht ein, er übt keine unangemessene Kritik an der Bundesregierung. Wenn Ihnen an einer gemeinsamen Position so gelegen ist: diese neutral abgefaßte Entschließung ist eine Chance für diese gemeinsame Position.
({3})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Beratungen und kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Ich lasse zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP auf Umdruck 7/5557 abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5561. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung noch ergänzt werden um die
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern ({1})
- Drucksache 7/5562 - Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
Präsidentin Frau Renger
Das Haus ist damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat zu dem vom Bundestag am 3. Juni 1976 verabschiedeten Gesetz am 25. Juni den Vermittlungsausschuß angerufen.
Er schlug zunächst vor, in § 48 Abs. 1 Satz 1 das Wort „Berufsfeuerwehr" durch das Wort „Feuerwehr" zu ersetzen.
({0})
Damit soll klargestellt werden, daß vom Ausgleich bei besonderen Altersgrenzen auch die hauptberuflichen Feuerwehrleute betroffen werden sollen, die in Gemeinden mit freiwilliger Feuerwehr die ständigen Wachen besetzen. Der Vermittlungsausschuß hält diese Klarstellung des vom Bundestag Gewollten für sachdienlich und schlägt eine entsprechende Änderung vor.
Der Bundestag hat das Inkrafttreten des Gesetzes für den 1. Oktober 1976 beschlossen. Der Bundesrat sprach sich für das Inkrafttreten am 1. Januar 1977 mit der Begründung aus, die mit dem Gesetz gewollte Vereinheitlichung sei verwaltungsmäßig schwierig und brauche eine etwas längere Anlaufzeit. Auch dieser Ansicht hat sich der Vermittlungsausschuß angeschlossen.
Die übrigen Vorschläge sind Folgeänderungen, die sich aus dem späteren Inkrafttreten ergeben.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Vermittlungsvorschlag zuzustimmen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/5562 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich am Ende dieser Beratung noch einige Worte zu dem Hohen Hause sage.
Anläßlich der heutigen, der letzten Sitzung des Bundestages vor Eintritt in die Sommerpause, mit der die eigentliche Gesetzgebungsarbeit des Bundestages abschließt, erlaube ich mir - guter parlamentarischer Tradition folgend - eine ganz kurze Bilanz der vergangenen vier Jahre zu ziehen.
Das Arbeitspensum dieses 7. Bundestages war -ich brauche es nicht ausdrücklich zu betonen - außerordentlich umfangreich. Statistische Angaben können das Ausmaß der parlamentarischen Arbeit nur unzureichend belegen. In 257 Plenarsitzungen wurden 658 Gesetzentwürfe behandelt und 515 Gesetze verabschiedet. Die Zahl der Sitzungen von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betrug mehr als 2 140. Die Zahl der Großen Anfragen in der 7. Wahlperiode betrug 24, die der Kleinen Anfragen 438. In den Fragestunden wurden in diesem Zeitraum 17 295 Fragen gestellt. Die Bundesregierung hat dem Bundestag zwölfmal im Rahmen der Kurzinformationen aus dem Kabinett Bericht erstattet. Achtzehnmal wurden Aktuelle Stunden abgehalten. Auch die Zahl der Petitionen stieg erheblich und lag z. B. im Jahr 1975 bei 11 400.
Darüber hinaus sind auch in dieser Wahlperiode wiederum Sitzungen von Ausschüssen des Bundestages und von Fraktionsgremien in Berlin abgehalten worden. Insgesamt waren es 158, davon 63 Sitzungen von Ausschüssen und Unterausschüssen, 31 Fraktions- und Fraktionsvorstandssitzungen sowie 64 Arbeitskreis- und Arbeitskreisgruppensitzungen der Fraktionen. Hinzu kommen noch Tagungen der europäischen und internationalen Gremien. Auch darin ist ein Beitrag des Bundestages zur engeren Bindung Berlins mit dem Bund zu sehen.
Nimmt man diese Zahlen als Maßstab, so darf wohl gesagt werden, daß das Parlament der Bundesrepublik Deutschland sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung als auch in seiner Funktion der Kontrolle von Regierung und Verwaltung sowie als Forum der öffentlichen Diskussion seinen Aufgaben voll nachgekommen ist.
Es ist keineswegs so, daß im Bereich der Gesetzgebung Regierungsmehrheit und Opposition stets unterschiedlicher Auffassung sind, wie dies in der Öffentlichkeit häufig angenommen wird. 482 Gesetze sind einmütig verabschiedet worden. Bei 33 Gesetzentwürfen - in der 6. Legislaturperiode waren es 15 von 333 verabschiedeten Gesetzen - erfolgte die Verabschiedung im Plenum gegen die Stimmen der Opposition. Es sollte nicht verschwiegen werden, daß zu diesen kontroversen Gesetzentwürfen gerade einige politisch gewichtige Gesetzesvorhaben gehörten.
Eine gewisse Erschwerung bedeutet es auch immer noch, daß die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen immer wieder zu unterschiedlichen Interpretationen geführt hat. Sicherlich kann keine Rede davon sein, daß der durch manche Plenardebatten in der Offentlichkeit entstandene Eindruck einer unversöhnlichen Konfrontation für die praktische Parlamentsarbeit charakteristisch war. Parlamentarische Arbeit ist ungeachtet gegensätzlicher Auffassungen und Zielsetzungen und trotz mancher Schärfen nicht nur Auseinandersetzung, sondern auch Zusammenarbeit und Zusammenwirken. Ich gestehe, um so schmerzlicher habe ich es empfunden, daß in einigen Debatten der Eindruck entstehen konnte, auch gemeinsame Grundüberzeugungen seien in Frage gestellt.
Angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes möchte ich an Sie, meine Kolleginnen und Kollegen - und an mich selbst auch -, appellieren, diese fundamentalen Gemeinsamkeiten nicht aufzugeben. Keinesfalls dürfen aus politischen Widersachern Feinde werden.
({0})
Präsidentin Frau Renger
In diesem Hause müssen wir uns immer wieder zu fairer parlamentarischer Arbeit zusammenfinden können.
Die Tage des Rückblicks auf das 25jährige Bestehen des Grundgesetzes gewinnen ihre ganze Bedeutung erst vor dem Hintergrund der Ergebnisse, die auf der Grundlage unserer Verfassung und unseres parlamentarischen Systems erzielt wurden: nämlich ein zuvor nicht gekanntes Maß an Freiheit, sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit. Daran haben alle im Bundestag vertretenen Fraktionen ihren Anteil.
Im Zusammenhang mit dieser Aufbauleistung verdient die Ausstellung im Reichstagsgebäude in Berlin Erwähnung, die die Kontinuität der Demokratie in Deutschland dokumentiert, eine Kontinuität demokratischer Kräfte und Bestrebungen trotz schwerer Rückschläge und Belastungen. Daß die Deutschen auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken können und Geschichtsbewußtsein besitzen, macht gerade diese Ausstellung deutlich, die sich regen Zuspruchs aus der Bevölkerung, vor allem auch von seiten der Jugend, erfreut.
Auf die Schwierigkeiten, die darin bestehen, daß das Parlament und seine Mitglieder verschiedenen Aufgaben gleichzeitig gerecht werden müssen, habe ich bereits bei Antritt dieses Amtes hingewiesen. Hierzu gehören die Kommunikation zwischen Bürger und Parlament, die Vermittlung des politischen Geschehens an die Bevölkerung sowie die Erfüllung der vielfältigen parlamentarischen und politischen Aufgaben. Lassen Sie mich insbesondere auf den ersten Aspekt eingehen.
Die ständige Aufgabe, der wir uns gegenüberstehen, besteht darin, die Distanz zwischen der Bevölkerung und dem Parlament zu überwinden, das Parlament im Bewußtsein der Wähler präsent zu machen und Verständnis für seine Aufgaben bei der Bevölkerung zu wecken. Diesem Anliegen haben auch die Bürgergespräche gedient, die ich in allen Teilen des Bundesgebiets führen konnte. Den gleichen Zweck hatten die Kontakte, die zwischen dem Bundestag und den Landesparlamenten durch meine Besuche in den Landeshauptstädten geknüpft wurden.
Schließlich darf auch nicht vergessen werden, daß sich in den hohen Zahlen von Besuchern im Bundeshaus niederschlägt, in welch großem Maß bei den Bürgern Interesse an der Arbeit des Bundestages besteht. Insgesamt haben in dieser Legislaturperiode rund 850 000 Personen den Deutschen Bundestag besucht.
({1})
Das Bemühen um Kommunikation zwischen Abgeordneten und Wählern steht leider oft auch unter dem Zwang, als Abgeordneter überall präsent zu sein. Vielleicht sollte an dieser Stelle einmal deutlich gesagt werden, daß es eine Überforderung des Abgeordneten bedeutet, wenn er praktisch an jedem Wochenende in Ausübung seines Mandats unterwegs sein muß. Auch Parlamentarierfamilien haben ein Recht auf den in Bonn tätigen Vater oder die Mutter.
({2})
Vielleicht darf ich hier den Gedanken aufgreifen, daß Abgeordnete wenigstens an zwei Wochenenden im Monat eine Ruhepause haben sollten.
({3})
Um die internationalen Probleme kennenzulernen und an der Lösung mitarbeiten zu können, ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Parlamenten und die Begegnung mit Abgeordneten anderer Länder außerordentlich wichtig. Nicht zuletzt macht auch die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen solche Begegnungen dringend notwendig. Manche offenen Fragen im internationalen Bereich konnten dadurch zügiger behandelt und manche Streitpunkte aus der Welt geschafft werden.
Wir haben in dieser Legislaturperiode Parlamentsdelegationen aus zahlreichen Ländern bei uns empfangen können, ebenso wie Delegationen des Deutschen Bundestages ausländischen Parlamenten Besuche abgestattet haben. Einen gewissen Höhepunkt in diesem Bereich bildet die Konferenz der europäischen Parlamentspräsidenten, die vom 8. bis 10. Juli 1976 hier in Bonn stattfinden wird.
Es ist zu bedauern, daß vor Eintritt des Bundestages in die Sommerpause einige Gesetzesvorhaben nicht mehr verabschiedet werden konnten. Dies gilt insbesondere auch für die im Rahmen der Parlamentsreform angestrebte Revision der Geschäftsordnung für dieses Hohe Haus. Ich glaube, wir stimmen darin überein, daß Arbeitsstil und Arbeitsbedingungen, unter denen wir Parlamentarier unserer Aufgabe nachkommen, kontinuierlich den sich verändernden Gegebenheiten angepaßt werden müssen. Interesse findet das Parlament bei seiner Arbeit nämlich nur dann, wenn die Debatten kurz und prägnant ausfallen und erkennbar zur politischen Willensbildung beitragen. Es muß in unser aller Interesse liegen, die Funktionsfähigkeit des Bundestages zu verstärken und die parlamentarische Arbeit rationeller zu gestalten. Um die Arbeit des nächsten Parlaments zu erleichtern, möchte ich die dringende Bitte aussprechen, daß das Hohe Haus noch in der laufenden Legislaturperiode die allen Fraktionen vorliegenden Änderungen und Ergänzungen zur Geschäftsordnung des Bundestages verabschiedet.
({4})
Meine Damen und Herren, Parlamentsreform heißt aber nicht nur, die Geschäftsordnung geänderten Verhältnissen anzupassen, sondern auch, die Arbeitsmöglichkeiten für die Abgeordneten und ihre Hilfskräfte, d. h. unsere Mitarbeiter, zu verbessern, indem auch ausreichende Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Diese sind in ihrem augenblicklichen Zustand zum Teil unerträglich.
({5})
Präsidentin Frau Renger
in diesem Zusammenhang möchte ich anfügen, daß die Neubauten für das Parlament dringend notwendig sind, wobei sich unser parlamentarisches System in der Zuordnung und im architektonischen Ausdruck dieser Neubauten manifestieren sollte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß Worte des Dankes sagen denjenigen unserer Kolleginnen und Kollegen, die mit Ende dieser Legislaturperiode von der Arbeit im Deutschen Bundestag Abschied nehmen, aber sicherlich im politischen Leben weiter ihre Rolle spielen, Dank sagen meinen Kollegen, die als Mitglieder des Präsidiums und des Ältestenrates - also hier im besonderen den Geschäftsführern - am reibungslosen
Ablauf des parlamentarischen Geschehens mitgewirkt und ihn entscheidend beeinflußt haben, sowie auch allen Mitarbeitern dieses Hauses für die geleistete Arbeit.
({6})
Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen einen - wahrscheinlich kurzen - erholsamen Urlaub und einen Wahlkampf, dem bei aller Härte ein Schuß Humor nichts schaden kann.
({7})
Die Sitzung ist geschlossen.