Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/30/1976

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) - Meine Damen und Herren, es ist gerade Punkt 9 Uhr. Vielleicht haben Sie noch einen Moment Geduld. ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist die Zeitdauer für die Aussprache über die Tagesordnungspunkte für heute wie folgt vorgesehen: Regierungserklärung 4 Stunden, Große Anfrage betr. junge Generation sowie Entwurf eines Ausbildungsplatzförderungsgesetzes und weitere drei Gesetzentwürfe zur gleichen Sache insgesamt 6 Stunden, jedoch keine Verbindung der Tagesordnungspunkte 3 und 4 in der Aussprache, Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Körperschaftsteuerreformgesetz 30 Minuten, Entwurf eines Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung 30 Minuten. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, in Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, die in der Fassung des Beschlusses vom 21. Januar 1976 für jede Sitzungswoche zwei Fragestunden mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten vorsehen, heute und morgen nur eine Fragestunde von je 60 Minuten durchzuführen. - Das Haus ist auch damit einverstanden; so beschlossen. Für den Abgeordneten Dr. Schellenberg, der sein Amt als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses niederlegt, schlägt die Fraktion der SPD den Abgeordneten Henke als stellvertretendes Ausschußmitglied vor. - Auch hier erhebt sich kein Widerspruch; damit so beschlossen. Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 25. Juni 1976 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt: Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht - Fernunterrichtsschutzgesetz - FernUSG Drittes Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes Zweites Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Körperschaftsteuerreformgesetz Gesetz zur Änderung der Bundes-Apothekerordnung Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer ({2}) Viertes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes ({3}) Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ({4}) Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden ({5}) Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes Gesetz zu dem Vertrag vom 10. Juli 1975 zur Änderung bestimmter Vorschriften des Protokolls über die Satzung der Europäischen Investitionsbank Gesetz zu dem Vertrag vom 31. Oktober 1975 zur Änderung des Vertrages vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten Gesetz zu dem Abkommen vom 31. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über den Seeverkehr Gesetz zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1976 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist. In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat ferner beschlossen, hinsichtlich der nachfolgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird: Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern ({6}) Gesetz zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung ({7}) Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege ({8}) Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren ({9}) Gesetz über die Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts Gesetz zur Änderung des Viehseuchengesetzes Seine Schreiben werden als Drucksachen 7/5496, 7/5497, 7/5498, 7/5499, 7/5500 und 7/5501 verteilt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 22. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Geisenhofer, Burger, Braun, Frau Hürland, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Schäuble, Dr. Spies von Büllesheim, Maucher, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Konzeption der Werkstatt für Behinderte ({10}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/5483 verteilt. Präsident Frau Renger Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 24. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Russe, Springorum, Zeyer, Dr. Müller-Hermann, Eigen, Schmidhuber, Dr. Stavenhagen, Müller ({11}), Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU betr. brennstofftechnische Auslegung sowie Altersstruktur der Kraftwerke ({12}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/5487 verteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Müller-Hermann, Dr. Narjes, Zeyer, Vehar und der Fraktion der CDU/CSU betr. Politische Beamte in Vorständen von Banken des Bundes ({13}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5506 verteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Müller-Hermann, Dr. Narjes, Zeyer, Vehar und der Fraktion der CDU/CSU betr. Betriebsbesichtigung und Teilnahme an Personalversammlungen bzw. Betriebsversammlungen von Post und Bahn bzw. bei Unternehmen mit Bundesbeteiligungen ({14}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5504 verteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Müller-Hermann, Dr. Narjes, Zeyer, Vehar und der Fraktion der CDU/CSU betr. Beamte des Bundeskanzleramtes in Aufsichtsräten gewerblicher Unternehmen mit Bundesbeteiligungen ({15}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5505 verteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Müller-Hermann, Dr. Narjes, Zeyer, Vehar und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bundestagsabgeordnete in Aufsichtsräten von Bundesunternehmen ({16}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5503 verteilt. Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 23. Juni 1976 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat: Verordnung ({17}) des Rates zur Änderung der Verordnungen ({18}) Nrn. 87/76, 88/76, 90/76 und 92/76 zur Festsetzung von Richtplafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhr bestimmter Waren mit Ursprung in Osterreich, Finnland, Norwegen und Schweden ({19}) Verordnung ({20}) des Rates zur Änderung des Anhangs IV der Verordnung ({21}) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein und zur Änderung des Gemeinsamen Zolltarifs in bezug auf die bei den Weinzollsätzen anzuwendenden Wechselkurse ({22}) Verordnung ({23}) des Rates zur Tilgung einiger Waren in der Anlage zur Verordnung ({24}) Nr. 2603/69 des Rates zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung ({25}) Verordnung ({26}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({27}) Nr. 2886/75 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifstelle 48.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs und zur vorübergehenden Ausdehnung dieses Kontingents auf bestimmte andere Papiere ({28}) Verordnung des Rates über die Einfuhrregelung für bestimmte Textilerzeugnisse mit Ursprung in Brasilien ({29}) Verordnung ({30}) des Rates zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte industrielle Waren ({31}) Verordnung ({32}) des Rates zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung der in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung anwendbaren Zollsätze für die Einfuhr von einigen chemischen Erzeugnissen aus den neuen Mitgliedstaaten ({33}) Verordnung ({34}) Nr. 667/76 des Rates vom 25. März 1976 zur Verlängerung der Geltungsdauer der vollständigen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Frühkartoffeln der Tarifstelle 07.01 A II a) und Kartoffeln der Tarifstelle 07.01 A III b) Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung betr. Konferenz von Puerto Rico Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Gelegenheit, dem Bundestag unmittelbar nach der gestrigen Rückkehr aus Puerto Rico Rechenschaft zu geben, über das, was dort die Staats- und Regierungschefs Kanadas, Frankreichs, Italiens, Japans, der USA, Großbritanniens und der Bundesrepublik, begleitet und unterstützt von ihren Außen- und Finanzministern, beraten haben. Motiv und Zentrum der auf Einladung und Initiative des amerikanischen Präsidenten zustande gekommenen Konferenz waren die konjunkturpolitischen und die strukturpolitischen aktuellen Fragen der Weltwirtschaft. Das Treffen bot auch Gelegenheit und Zeit zum Meinungsaustausch über außenpolitische Fragen von gemeinsamem Interesse oder gemeinsamer Verantwortung. Lassen Sie mich an den Anfang stellen: Die Beteiligten waren sich bewußt, daß die besprochenen Probleme nicht nur das wirtschaftliche Schicksal der am Tisch vertretenen Industrieländer tiefgreifend beeinflussen, sondern ebenso auch das der Entwicklungsländer wie natürlich auch der nicht direkt vertretenen Industrieländer. Die Bundesregierung hatte hinsichtlich der Europäischen Gemeinschaft als Ganzer der Vorstellung der neun Außenminister zugestimmt, die Präsidenten von Ministerrat und Kommission einzubeziehen. Dieser Gedanke ist jedoch innerhalb der EG nicht allgemein akzeptiert worden. Übrigens ist die EG in Puerto Rico nicht präjudiziert worden. Sie wird ihre eigenen Beschlüsse im Laufe der Zeit noch zu fassen haben. Die EG hat sich übrigens mit den sogenannten Dreierkonferenzen, wie mir scheint, nun endlich ein Konsultationsverfahren entwickelt - man könnte sagen, nach Art unserer sogenannten Konzertierten Aktion -, was man zugleich als ein wichtiges Ereignis, als einen Erfolg ansehen darf. Am 24. Juni 1976 haben sich Regierungen, Kommission und die Sozialpartner aus neun Mitgliedsstaaten erstmalig auf gemeinsame Schlußfolgerungen zur Wiederherstellung von Stabilität und Wachstum in den neun Ländern der Europäischen Gemeinschaft einigen können. Ich habe den Eindruck, wenn ich das in Klammern dazu sagen darf, daß hierbei der in unserem Lande bestehende Consensus zwischen Sozialpartnern und Bundesregierung auf die übrigen abgefärbt hat. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß nach allgemeiner Überzeugung in Puerto Rico die Rezession in den führenden Industrieländern nunmehr überwunden ist. Dies ergab die gemeinsame Analyse der Entwicklung seit der Konferenz von Rambouillet vom Herbst des vorigen Jahres. Die damals in Rambouillet vorgenommene Vertiefung der kreditpolitischen, der haushalts-, währungs- und handelspolitischen Koordination hat, so haben wir jetzt im Beginn des Sommers 1976 in Puerto Rico gemeinsam feststellen dürfen, einen sehr guten Erfolg erzielt. Ich füge hinzu, daß dies unser Eindruck auch für jene Länder ist - zwei von ihnen waren am Tisch vertreten -, die zeitlich in ihrem Wirtschaftsaufschwung noch ein wenig hinter der allgemeinen Entwicklung der führenden Industrienationen herhinken. Während in Rambouillet die für 1976 zu erwartende Steigerung des Welthandels damals noch auf etwa 5 bis 6 % geschätzt worden war, kommen wir heute zu dem gemeinsamen Einschätzungsergebnis, daß 1976 der Welthandel um 10 % steigen wird, was eine entsprechende Inanspruchnahme der Produktionskapazitäten in den Industrieländern, was eine entsprechende Steigerung der Beschäftigung in den Industrieländern mit sich bringen wird. Besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika, in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich und in Japan entwickelt sich der Aufschwung deutlich stärker, als in Rambouillet seinerzeit noch erwartet wurde, und er zieht durch die Expansion in diesen wirtschaftlich starken Industrieländern auch den Erholungsprozeß in anderen Ländern und im Rest der Welt mit sich. Wenn Rambouillet eine wichtige Quelle des sich international ausbreitenden Vertrauens darein gewesen ist, daß dieser neue weltweite Wirtschaftsaufschwung sich trägt und sich verstärkt, so kann man in bezug auf das Treffen von Puerto Rico sagen, daß wir, nicht jeder allein auf sich selbst gestellt, sondern in gemeinsamer, in koordinierter, in eng aufeinander abgestimmter Handlungsweise gemeinsam dabei sind, stetiges Wachstum und Vollbeschäftigung zurückzugewinnen. Natürlich stellen sich mit den gelösten Aufgaben, die wir hinter uns lassen werden, gleichzeitig neue Aufgaben, um deren Lösung es gegenwärtig geht. Es geht gegenwärtig nach unserer gemeinsamen Meinung in Puerto Rico darum, den Aufschwung zu konsolidieren und ihn zu verbreitern, vornehmlich durch die weitere Stärkung und Festigung des Vertrauens der privaten Investoren. Ich fühle mich durch die Tatsache ermutigt, daß die Staats- und Regierungschefs unsere Auffassung unterstützen, daß hierzu nichts stärker beizutragen vermag als weitere Fortschritte bei der Bekämpfung der Weltinflation und bei der Reduzierung der Preissteigerungsraten. Es geht dabei um Inflationsbekämpfung nicht als Ziel in sich oder als Ziel an sich selbst, sondern es geht um Stärkung der Investition und damit der Grundlagen sowohl eines anhaltenden Wachstums als auch insbesondere - dies ist von allen besonders herausgestellt worden - der Schaffung neuer, dauerhafter Arbeitsplätze. Es war für die Überwindung der weltweiten Rezession bedeutsam, daß eine Abkapselung der Welthandelspartner durch handelspolitischen Protektionismus, den Vereinbarungen von Rambouillet gemäß, im wesentlichen vermieden worden ist. Es gibt ein paar Ausnahmen, an denen wir uns nicht beteiligt haben; wir sind hier ohne Tadel. Aber im wesentlichen ist der Protektionismus vermieden worden. Die Finanzierung großer Zahlungsdefizite bei einigen unserer wichtigsten Nachbarn und Partner hat ebenso bedeutsam dazugehört. Es ist leider so, daß die Weltwirtschaft - wenn man sie einmal einen Augenblick strukturell betrachtet -, gegenwärtig durch Zahlungsdefizite von drei Vierteln oder vier Fünfteln aller Staaten der Welt gekennzeichnet ist, denen Zahlungsbilanzüberschüsse einer relativ kleinen Zahl von Ländern gegenüberstehen, vornehmlich der OPEC-Länder, die infolgedessen auch Pflichten haben, zur Finanzierung der Defizite der anderen beizutragen. Unser eigenes Land hat es dabei an Solidarität, entweder allein oder gemeinsam mit anderen, nicht fehlen lassen. Ich darf an den gewaltigen Stützungskredit erinnern, den die Notenbanken der ZehnerGruppe über Pfingsten für Großbritannien bereitgestellt haben. Die Bundesrepublik Deutschland hatte dabei allein einen Anteil von zwei Milliarden DM oder 800 Millionen Dollar. Ich erinnere auch an unseren enormen bilateralen Währungskredit vorher zugunsten Italiens in einer Größenordnung von fünf Milliarden DM. Die ermutigenden Fortschritte in Großbritannien, Fortschritte auf dem Weg zu einem neuen sozialen Konsensus zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern, die in Puerto Rico mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden sind, rechtfertigen, wie uns scheint, die Manifestation gewachsenen Vertrauens in das britische Pfund. Den Kurs multilateraler Hilfsbereitschaft, wenn und soweit sich gegenüber einzelnen Ländern Zahlungsbilanzbeistand als notwendig erweisen sollte, haben wir nach sehr sorgfältiger Erörterung, die in dem Kommuniqué nach außen nicht so breit zum Ausdruck kommt, gemeinsam bekräftigt. Aber wir haben sehr einmütig auch festgestellt, daß Beistand im Bedarfsfall auch dadurch gerechtfertigt werden muß, daß sich ein Empfängerland einer besonderen wirtschaftspolitischen Disziplin zur Rückgewinnung seiner eigenen wirtschaftlichen Stabilität unterzieht. Im übrigen wächst überall das Bewußtsein, daß unsere Bemühung um soviel Stabilität der Wechselkurse wie nur möglich vor allem auf eine einheitlichere wirtschaftspolitische „performance” der wichtigsten Volkswirtschaften gestützt sein muß, wenn Sie mir ausnahmsweise einmal ein Wort aus dem englischen Jargon jener Verhandlungen erlauben wollen. Um die protektionistischen Kräfte in der Welt in Schach zu halten, waren sich die großen Welthandelsnationen, die in Puerto Rico versammelt waren - ich füge ein, daß sie nach einer Schätzung, die der japanische Ministerpräsident Miki während der Unterhaltung anstellte, etwa 60 % des Weltsozialprodukts und rund 50 % des Welthandels vertraten -, einig, daß bei den multilateralen Handelsverhandlungen in Genf so schnell wie möglich weitere Fortschritte erzielt werden müssen. Wir müssen das System des internationalen Handels noch offener gestalten, unter Einbeziehung der Entwicklungsländer, weitere Öffnung unserer Märkte für sie, soweit sie noch nicht ganz geöffnet sind. Unsere gemeinsamen Bemühungen zielen darauf ab, die GATT-Verhandlungen im Laufe des Jahres 1977 - also bis zum Jahresschluß 1977 - erfolgreich abzuschließen. Wer die Fragen der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West und dabei den sich geradezu stürmisch entwickelnden West-Ost-Handel in die wirtschaftspolitische und die außenpolitische Analyse einbezieht - wie es dort sorgfältig geschehen ist -, kann sich nicht nur mit dessen kurzfristigen, sehr positiven beschäftigungspolitischen Aspekten begnügen, die ja besonders während der jetzt hinter uns liegenden Rezessionsphase hoch zu bewerten sind, sondern darüber hinaus muß der Handel in das viel weitere Gebiet der politischen Beziehungen zwischen Ost und West eingebettet gesehen werden, innerhalb dessen er zu einer globalen Ausgewogenheit beitragen soll. Wir haben festgestellt, daß sich die Sowjetunion und die übrigen Comecon-Länder selbst als Empfänger westlicher Kredite sowie der damit bezahlten westlichen Investitionsgüter, Anlagegüter, Ernährungsgüter immer stärker in die Weltwirtschaft integrieren. Das kann auch ihr Interesse an der Funktionstüchtigkeit dieser einen Weltwirtschaft berühren, d. h. letztlich: steigern. Die damit verbundenen Fragen verdienen ihre wie auch unsere gesteigerte Aufmerksamkeit. Wir haben in Puerto Rico nicht weniger Aufmerksamkeit, wir haben sorgfältige Analyse den Fragen der Entwicklungsländer und der Gestaltung des weiteren und fortgesetzten Dialogs mit ihnen gewidmet. Wir teilen ihre Zielsetzung, ihre wirtschaftliche Zukunft zu verbessern. Uns war in Puerto Rico sehr deutlich bewußt, daß den Industrieländern hierbei eine Schlüsselrolle zufällt. Seit Rambouillet im vergangenen Jahr ist auch in dieser Hinsicht die Zeit nicht ungenutzt verflossen. Auf der Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit in Paris ist der Dialog zwischen Entwicklungs- und Industrieländern über wichtige Gegenstände der gegenseitigen Beziehungen begonnen und für beide Seiten im Geiste der Zusammenarbeit erfolgreich geführt worden. Auf der Konferenz des Weltwährungsfonds in Jamaika am Anfang dieses Jahres haben die Industrieländer sodann substantiell zur Verbesserung der Erlösstabilisierung zugunsten der Entwicklungsländer und zur Verbesserung der Finanzierung von deren Leistungsbilanzdefiziten erheblich beigetragen. In UNCTAD IV in Nairobi schließlich sind weitere Einigungen über die zukünftige Behandlung der Fragen hinzugekommen, die die Entwicklungsländer vor allem im Rohstoffbereich beschäftigen. Darüber ist im Deutschen Bundestag unmittelbar nach Abschluß jener Konferenz am 2. Juni 1976 eine Debatte geführt worden. Es gibt keinen Anlaß, sie zu erneuern. Aber ich möchte in bezug auf unsere Gespräche in Puerto Rico noch das Folgende hinzufügen. Erstens. Es wäre ein Mißverständnis, anzunehmen, daß eines der Industrieländer die Ergebnisse von Nairobi in Frage stellt. Zweitens. Wir werden danach streben, daß Lösungen auf dem Rohstoffeld, denen wir zustimmen, die bewährten Marktmechanismen, die Anpassungsfähigkeit und die Flexibilität der Weltwirtschaft so wenig wie möglich beeinträchtigen. Wir haben deshalb in Puerto Rico unser Modell der Erlösstabilisierung anstelle einer Vielzahl von Rohstoffabkommen mit hochentwickelten Interventionsmechanismen erneut zur Diskussion gestellt - wie wir auch der Ansicht sind, daß andere Vorschläge - wie der amerikanische Vorschlag einer Rohstoffbank - hilfreiche und positive Elemente der weiteren Diskussion darstellen. Drittens. Gerade um den Gesprächen mit den Entwicklungsländern einen guten Fortschritt zu sichern, werden sich die Industrieländer verstärkt darum bemühen, ihre Positionen einander weiter anzunähern und ihre positiven Vorschläge in ihrer Tragweite für die Entwicklungsländer zu verdeutlichen. Persönlich fühle ich mich recht sicher, daß die in Puerto Rico erörterten und vertieften rohstoffpolitischen Fragestellungen hierzu auch tatsächlich verhelfen werden. Wir haben dort natürlich keine international bindenden Beschlüsse gefaßt. Dies ist Sache zum Teil der nationalen Kabinette, der nationalen Parlamente und zum Teil der zuständigen internationalen Gremien, z. B. auch der Europäischen Gemeinschaft. Ich bewerte das Treffen in dem, was es zur Klärung erbracht hat, durchaus als einen Erfolg. Es war kein verlorenes Wochenende. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß von unserem ersten Treffen in Rambouillet ein breiter Strom des Vertrauens in die zukünftige positive Entwicklung der Weltwirtschaft ausgegangen ist. Man kann heute ohne Übertreibung sagen, daß das damals erzeugte Vertrauen gerechtfertigt war. Ich erwarte, daß auf weiteren Feldern der Wirtschaftspolitik in Zukunft von Puerto Rico solches Vertrauen ausgeht. Dieses Treffen hat erneut gezeigt, daß das Wort von der Solidarität der westlichen Welt keine leere Formel ist, sondern daß wir in der Lage sind, diesem Anspruch in der Tat gerecht zu werden. Im übrigen ist Puerto Rico genauso wie Rambouillet faktischer Ausdruck der Interdependenz, d. h. der gegenseitigen Abhängigkeit, der einzelstaatlichen Volkswirtschaften sowie ihrer Probleme in einer International-Ökonomie, in dem einen gemeinsamen ökonomischen Weltsystem. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß die Zusammenkunft in Puerto Rico auch deswegen wertvoll war, weil in diesem Treffen auch Themen außerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik unter den interessierten Partnern besprochen werden konnten. So hat es z. B. für die Außenminister der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik Gelegenheit zu einer Erörterung der Erklärung der sowjetischen Regierung vom 22. Mai 1976 sowie zur Konsultation der Drei Mächte wegen der Berlin-West betreffenden Teile unserer Antwort gegeben. Bei diesem Gespräch zwischen den Außenministern hat sich volle Übereinstimmung herausgestellt. Lassen Sie mich bitte in Ergänzung der Bewertung der Weltwirtschaftslage in Puerto Rico einige Bemerkungen zum Wirtschaftsaufschwung in unserem eigenen Land hinzufügen. Niemand kann heute bezweifeln, daß die Bundesrepublik die tiefste Rezession der Nachkriegszeit überwunden hat. Es wird auch niemand mehr bezweifeln, daß wir diese Rezession wesentlich wegen des kontinuierlichen Vertrauens in unser vorbildliches Netz der sozialen Sicherung überwunden haben. ({0}) Wir werden in diesem Jahr in der Bundesrepublik ein reales Wochstum von 60/0 oder darüber hinaus haben. Auf jeden Fall wird unser Bruttosozialprgdukt in diesem Jahr, 1976, real stärker ansteigen als I in den vergangenen fünf Jahren. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft ({1}) hat festgestellt, daß der gegenwärtige Konjunkturaufschwung ebenso kräftig sei wie der von 1967/68. Wir haben schon jetzt wieder das Produktionsniveau erreicht, das wir 1974 vor der Rezession hatten. Diese erfreuliche Entwicklung ist das Ergebnis einer konsequenten Politik. Dies wird uns von den Wirtschaftsforschungsinstituten und der Bundesbank gleichermaßen bescheinigt. Diese Politik hat den Mut verlangt, eine hohe Kreditfinanzierung in Kauf zu nehmen, um daraus vier Konjunkturprogramme, spezielle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, Investitionszulage, den Verzicht auf Aufkommensneutralität der Steuerreform, um daraus Erweiterungen der Sozialleistungen in verschiedenster Weise und um daraus insgesamt eine gewaltige Steigerung der Binnennachfrage zu finanzieren. In der großen Depression zu Beginn der 30er Jahre hatte Heinrich Brüning versucht, durch Ausgabenkürzung einen ausgeglichenen Staatshaushalt wiederherzustellen. Wir haben in dieser Rezession diesen Fehler nicht wiederholt, wir haben im Gegenteil trotz konjunkturbedingter Steuerausfälle die Staatsausgaben gesteigert. Dies lag in der Tat voll auf der Linie der international abgestimmten, zuletzt in Rambouillet gemeinsam bestätigten, gemeinsam verfolgten Politik - so in Amerika, so in Japan, so in Frankreich, so bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Dadurch haben wir in der Mitte des vorigen Jahres die Wende der Konjunktur in unserem Lande in der Tat herbeigeführt. ({2}) Wir haben unmittelbar anschließend noch einmal unseren Mut gebraucht, um durch das Haushaltsstrukturgesetz und durch die Steuervorlagen das Ausmaß der Kreditfinanzierung wieder abzufangen, nachdem sich der Aufschwung abzeichnete. Dieser Teil unserer Politik wird durch die Empfehlungen von Puerto Rico nachträglich legitimiert. Vielleicht darf ich den Wunsch hinzufügen, daß die sich bisher einem Teil unserer Vorlagen versagende Mehrheit des Bundesrates sich die Erklärungen von Puerto Rico zur Richtschnur nehmen möge. Ich habe allerdings nicht das Vertrauen, daß der Bundesrat dies hören wird. Wir hätten das alles nicht erreichen können ohne die enge Zusammenarbeit mit den Koalitionsfraktionen, d. h. ohne die enge Zusammenarbeit mit der Gesetzgebungsmehrheit des Deutschen Bundestages. Ich möchte den beiden Fraktionen sowie ihren beiden Vorsitzenden dafür ausdrücklich Dank sagen. ({3}) Die von der Bundestagsmehrheit beschlossenen Maßnahmen mit konjunktureller Wirksamkeit hatten eine Größenordnung von ungefähr 35 Milliarden DM. Mit diesen Maßnahmen haben wir nicht nur, wie gesagt, in unserem eigenen Lande die Wende herbeigeführt, sondern auch zur Stabilisierung der Beschäftigung in unseren Partnerländern erheblich beigetragen. ({4}) Ich will dies erhärten. Wegen des tiefen Einbruchs der Weltkonjunktur in 1975 sind in jenem Jahre unsere Ausfuhren in die westlichen Industrieländer um 8 % zurückgegangen. Unsere Einfuhren aus den westlichen Industrieländern sind jedoch zugleich wegen der besseren konjunkturellen Entwicklung bei uns um 6 % angestiegen. Mit dieser Verschiebung der Balance - weniger Einkäufe der anderen bei uns, aber mehr Einkäufe unsererseits bei den anderen - haben wir ganz erheblich die konjunkturelle Entwicklung in den Partnerländern positiv beeinflußt. Und aus gutem Grunde hat die Bundesbank deshalb in ihrem Jahresbericht die Bundesrepublik Deutschland, wie übrigens auch die Vereinigten Staaten von Amerika, als Konjunkturlokomotive bezeichnet. In jedem bisherigen Konjunkturaufschwung ist die Entwicklung am Arbeitsmarkt nur mit zeitlicher Verzögerung der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung gefolgt. Trotzdem zeigt sich auch der Arbeitsmarkt nun schon deutlich in aufwärts gerichteter Entwicklung. Wir wissen, daß sich die Zahl der Kurzarbeiter ganz wesentlich verringert hat, daß sie seit Beginn des Jahres um mehr als zwei Drittel zurückgegangen ist, daß die Arbeitslosigkeit wesentlich zurückgegangen ist. Ich gehe davon aus, daß sie im Juni - obgleich die Zeit der Betriebsferien kurz vor der Tür steht, der Juni infolgedessen, was neue Einstellungen anbetrifft, nicht so besonders günstig gelagert ist - unter 900 000 sinken wird, nachdem die Arbeitslosenzahl ja zu Beginn des Jahres viele besorgt gemacht hatte, daß sie auf eineinhalb Millionen ansteigen würde. Ich gehe auch davon aus, daß die Arbeitslosenquote bei den Jugendlichen, die im Mai schon mit 3,5 % deutlich niedriger lag als beim Durchschnitt, weiterhin überproportional sinken wird. Diese wirtschaftliche und soziale Erholung - und die höhere Stabilität als in anderen Teilen der Welt - hat dazu geführt, daß unsere Währung, daß die Deutsche Mark, neben dem Schweizer Franken ihre Stellung als härteste, als stabilste Währung unangefochten hält. Seit Beginn dieses Jahres hat sich der Wert der D-Mark gegenüber allen Währungen der Welt im Durchschnitt noch einmal um 6 % erhöht. Ich nenne keine einzelnen Währungen, gegenüber denen natürlich die Werterhöhung der D-Mark noch viel größer ist. Wie die Entwicklung unserer Exporte in den letzten Monaten zeigt, hat die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportwirtschaft in keiner Weise gelitten. Neben der in aller Welt anerkannten Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ist besonders die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportwirtschaft auch darauf zurückzuführen, daß die Bundesrepublik Deutschland neben der Schweiz die niedrigsten Preissteigerungsraten hat. Im Mai lagen z. B. die Verbraucherpreise um 5,0 % höher als vor einem Jahr. Der Durchschnitt der Preissteigerungsraten der in Puerto Rico vertreten gewesenen Ländern dürfte bei deutlich mehr als dem Doppelten liegen. Unsere Preissteigerungsrate bei Verbraucherpreisen von 5,0 %, die wir im Mai erreicht hatten, hatten wir davor zuletzt im Frühjahr 1972. Natürlich sind die Wiederherstellung und die Sicherung der Vollbeschäftigung nach wie vor das oberste Ziel. Und wir wollen dieses Ziel in der Form eines stetigen Aufschwungs erreichen. Wir wollen kein neues Ansteigen der Preisraten, weshalb wir auch die Warnung des Hamburger Instituts für Weltwirtschaft vor einer Unterschätzung der Stärke des Aufschwungs ernsthaft registrieren. Aus den gleichen Vorstellungen sind wir schon sehr frühzeitig, zu Beginn dieses Jahres, mit der Bundesbank übereingekommen, durch die Festlegung einer Zielgröße für das Wachstum der Zentralbankgeldmenge den monetären Spielraum auch für die Aufschwungphase einzugrenzen. Die Gewerkschaften haben diesen Rahmen bei ihren Tarifabschlüssen berücksichtigt, und man darf mit großer Genugtuung sagen, daß gegenwärtig in dieser Aufschwungphase von den Löhnen in der Bundesrepublik Deutschland kein Kostendruck und kein Preisdruck ausgehen. ({5}) Was den Kostendruck angeht, so sieht das allerdings bei den Rohstoffen, die wir aus der Welt importieren müssen, anders aus. Allein im Laufe der letzten sechs Monate sind die internationalen Rohstoffpreise schon wieder um 10 % gestiegen. Das liegt leider völlig außerhalb unserer eigenen Dispositionsmöglichkeiten, wie jeder verstehen wird. Andererseits führen bei unseren deutschen Unternehmen bessere Kapazitätsauslastungen und damit verbundene erhebliche Produktivitätssteigerungen zu einem erheblichen Anstieg der Unternehmenserträge. Das ist auch notwendig; denn die gewerblichen Investitionen müssen ja weiterhin ansteigen. Wir erwarten von unseren Unternehmen jedoch, daß sie die Preiserhöhungsspielräume, die am Markt durchsetzbar werden, nicht tatsächlich ausschöpfen. ({6}) Dieser Appell ist in einer Marktwirtschaft in der Tat ganz genauso gerechtfertigt wie andere Appelle an die Adresse der Gewerkschaften, die ihre Spielräume tatsächlich auch nicht ausgeschöpft haben. ({7}) Eine Marktwirtschaft erlaubt jedermann, seine Spielräume auszuschöpfen. Ob das aber für den Gesamtzusammenhang dieser Wirtschaft vernünftig ist, sollte sich jedermann fragen. Die Unternehmen sollten begreifen, daß sich eine solche Zurückhaltung in der Preispolitik für unsere Volkswirtschaft insgesamt und damit auch für sie selbst auszahlt, nämlich in der Form einer Konsolidierung und Verstetigung des jetzt erreichten Aufschwungs. Lassen Sie mich einen Blick auf unsere Partnerländer in der Europäischen Gemeinschaft werfen. Premierminister Callaghan wird uns in seiner neuen Eigenschaft als britischer Regierungschef heute in Bonn besuchen. Es ist ein Arbeitsbesuch, bei dem wir in einem eingehenden Meinungsaustausch solche Fragen erörtern wollen, die unsere beiden Länder wie auch die Gemeinschaft berühren. In der kommenden Woche, am Montag und Dienstag, werden Präsident Giscard d'Estaing, Premierminister Chirac sowie eine Reihe von Mitgliedern der französischen Regierung mit ihren deutschen Kollegen Konsultationen führen. Für uns ist dies zwar ein vertrautes Ereignis. Gleichwohl möchte ich besonders unterstreichen, welch große Bedeutung dieser zur Selbstverständlichkeit gewordene deutsch-französische Meinungsaustausch für jeglichen Fortschritt in Europa besitzt. Mit Blick auf Italien möchte ich bemerken, daß wir alle besorgten Anteil an den jüngsten Parlamentswahlen unseres italienischen Partners genommen und aufgeatmet haben, als die demokratischen Parteien die eindeutige Mehrheit erhielten. ({8}) Wir drücken die Hoffnung aus, daß es den demokratischen Kräften Italiens gelingen möge, die als notwendig anerkannten ökonomischen und sozialen Reformen durchzusetzen und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu stabilisieren. Ich füge erneut hinzu: Unserer Solidarität können sie dabei gewiß sein. Nach dem Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks werden wir in absehbarer Zeit durch den Beitritt Griechenlands eine Gemeinschaft der Zehn werden. Mit der Stabilisierung seiner demokratischen Strukturen nähert sich Portugal Europa an. Wie man hoffen darf, wird sich auch Spanien im weiteren Verlauf seines Demokratisierungsprozesses, auf den wir setzen, auf die Europäische Gemeinschaft hin ausrichten. Es ist ganz klar, daß damit für die betroffenen Länder Vorteile verbunden sein werden. Aber für die Gemeinschaft als Ganze werden damit natürlich auch Schwierigkeiten und Probleme verbunden sein, insbesondere Belastungen auch finanzieller Art für die Gemeinschaft und ihre bisherigen Glieder. Gleichwohl wird sich die Gemeinschaft und werden sich ihre Mitgliedstaaten der Verantwortung für die Entwicklung der Demokratie in Europa nicht entziehen wollen. Lassen Sie mich abschließend das Ergebnis von Puerto Rico bewerten. Ich möchte das genauso tun, wie ich es dort an Ort und Stelle schon in San Juan getan habe: Erstens hebe ich die übereinstimmende Feststellung hervor, daß wir dank unserer im Rambouillet aufeinander abgestimmten Politik in vielen Bereichen insgesamt aus der Weltrezession herausgekommen sind. Zweitens hebe ich unsere Einigkeit im politischen Willen hervor, auch im Aufschwung die Weltinflation entschlossen und nachhaltig und gemeinsam zu bekämpfen. Drittens hebe ich unsere gemeinsame Entschlossenheit hervor, die Investitionsneigung in unseren Volkswirtschaften zu fördern, um auf diese Weise neue Arbeitsplätze zu schaffen, die gegenwärtig noch vorhandene Arbeitslosigkeit zu vermindern, einen hohen Stand der Beschäftigung und in der Tat Vollbeschäftigung wieder zu erreichen. Viertens. Um dieses Ziel zu erreichen, waren wir uns in Puerto Rico über die Notwendigkeit und über die Einsicht im klaren, daß wir in unseren Ländern einen sozialen Konsensus brauchen. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß, wie ich es sagte, von Rambouillet aus ein breiter Strom weltweiten Vertrauens in die zukünftige positive Entwicklung der Weltwirtschaft ausgegangen ist. Man kann heute ohne Übertreibung sagen, daß dieses damalige Vertrauen gerechtfertigt war. Ich erwarte, daß von Puerto Rico aus nunmehr auf weiteren Feldern der Wirtschaftspolitik ein solches Vertrauen sich ausbreiten und auf der ganzen Welt verbreiten wird. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Strauß. Er hat eine Redezeit von 60 Minuten beantragt.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seinem bekannt lapidaren Stil das Resümee aus der Gipfelkonferenz von Puerto Rico laut seiner Rede so formuliert: „Es war kein verlorenes Wochenende." Es ist sehr beruhigend, das zu hören. Ich hoffe, daß Sie noch viele nicht verlorene Wochenenden haben werden, Herr Bundeskanzler, auch solche, bei denen Sie sich der verdienten politischen Ruhe erfreuen können. ({0}) - Nehmen Sie ihm doch nicht sogar das übel bei Ihrer Zertstrittenheit! ({1}) - Sie müssen schon sehr nervös sein, wenn Sie sogar die langweilige Darstellung einer überflüssigen Konferenz so unruhig macht! ({2}) Laut einer Zeitungsmeldung hat der Herr Bundeskanzler - schon etwas lakonischer oder materialischer - erklärt: „Ich fand die Sache gut; für mich hat sie sich gelohnt!" Ich möchte zu dieser Konferenz einige kritische Anmerkungen machen, mit denen ich wahrlich nicht alleinstehe. Was den Zeitpunkt dieser Konferenz anlangt, möchte ich behaupten, daß sie wahrscheinlich jetzt nicht abgehalten worden wäre, wenn nicht in einigen Teilnehmerländern das Bedürfnis bestanden hätte, sich innenpolitisch durch spektakuläre außenoder weltpolitische Zusammenkünfte aufzupolieren. ({3}) Ich darf hier eine kleine Blütenlese bieten. Die „Neue Zürcher Zeitung" schrieb unter dem 25. Juni aus Washington: Nicht nur zynische White-house-regulars - das sind hauptamtlich dem Weißen Haus zugeteilte Korrespondenten - lassen sich dieser Tage mit dem Spruch vernehmen, sie folgten am Wochenende Präsident Ford auf den Wahlkampfpfad nach Puerto Rico. Der Westdeutsche Rundfunk/Norddeutsche Rundfunk brachte folgende Stellungnahme: Hätten wir nicht Wahlkampf in der Bundesrepublik, vor allem aber in den USA, der Wirtschaftsgipfel hier in Puerto Rico würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders verlaufen: weniger spektakulär, aber effizienter. Durch die jetzt gewählte aufwendige Form, die ein wenig peinlich an den Ausspruch erinnert „There's no business like show-business" - er ist sogar so freundlich, das zu übersetzen, damit der Bundeskanzler, der es nicht bräuchte, es versteht -({4}), sind, wenn auch ungewollt, Erwartungen erweckt worden, die ganz sicher nicht erfüllt werden, die auch nicht erfüllt werden können .. . Und wir dürfen hinzufügen: die nach Abschluß der Ereignisse auch nicht erfüllt worden sind. Wenn ich, Frau Präsidentin, hier noch eine kleine Blütenlese der gezogenen Schlußfolgerungen vornehmen darf, so gibt es ja einen Unterschied zwischen den Berichterstattern. Diesen Unterschied zwischen der „Oberkaste" und der „Unterkaste" habe ich der „Frankfurter Allgemeinen" entnommen: Die „Oberkaste" der Berichterstatter waren diejenigen, die mitten in das Heiligtum der Beratungen zugelassen worden sind und dort auf vorgeschriebenen Gängen im Garten oder im Hotel lustwandeln durften und dabei ihre Informationen sozusagen aus erster Hand - auch vom Herrn Bundeskanzler - beziehen durften. Die „Unterkaste" waren diejenigen, die weit entfernt zurückbleiben mußten, weil sie nicht in das abgesperrte Gelände zugelassen wurden, und die mußten dann von den Brosamen leben, die vom Tisch der Oberkaste abgefallen waren. - So ergibt sich auch eine ganz nette Kategorisierung der jeweiligen Kommentare. Ein Organ der Bundesrepublik, das sicherlich nicht unter die „Helfershelfer der CDU/CSU", also unter die, wie die SPD meint, im allgemeinen konservative Tagespresse subsumiert werden kann - welche Vorstellungen die von „Tagespresse" haben, müßte man auch noch einmal näher klären -, ({5}) schreibt: Nicht nur wegen der Anfangsbuchstaben des Konferenzortes Puerto Rico wird das Treffen der wirtschaftlich Mächtigen der westlichen Welt als P({6})-R({7})-Gipfel in die Annalen eingehen. Was Skeptiker vorher schon befürchtet hatten, wurde durch den Verlauf der zweitägigen Tagung in die Karibik bestätigt. Die wirtschaftlichen Probleme untereinander und in den Beziehungen zur Dritten Welt sind derzeit noch viel zu wenig unter Kontrolle, als daß mit ihnen auf einem Weltgipfel brillant jongliert werden könnte. Da wegen entscheidender Wahlen in den wichtigsten Ländern USA und Bundesrepublik aber Erfolge präsentiert werden mußten, flüchteten sich die Teilnehmer in Appelle und Bekenntnisse zu Gemeinsamkeiten, die zu nichts verpflichten und die nichts kosten. Mit der Inflationierung der Weltgipfeltreffen geraten auch die regierenden Gipfelstürmer immer mehr in Gefahr, sich selbst zu entwerten. Für diese Gipfeltour in ausgetretenen Pfaden hätten Kuriere genügt, die die notwendigen Papiere aus den einzelnen Hauptstädten auf niedriger Ebene von Zeit zu Zeit austauschen können. Dort ist man auch näher an den Realitäten. Und im „Bonner General-Anzeiger" heißt es: Eine Gipfelkonferenz muß erfolgreich sein und wird auch nie ohne Erfolg enden. Selbst wenn keine konkreten Ergebnisse zu erzielen sind, werden derartige Mammutkonferenzen wie die von Puerto Rico mit einem greifbaren Ergebnis von allen Beteiligten verkauft werden müssen, um wenigstens die Existenzberechtigung eines derartig exklusiven Kreises zu beweisen. Weiter heißt es dort: Die Abschlußerklärung von Puerto Rico ist nur ein verbaler Erfolg der Industrienationen. An ihnen wird es liegen, ob er auch in zählbare Erfolge umgemünzt werden kann. In Puerto Rico wurden die Ansprüche sehr hoch geschraubt; die Regierungschefs werden sie kaum alle erfüllen können. Im „Handelsblatt" dieser Tage heißt es ({8}) - ja, ich möchte Ihnen hier nur einen Beitrag zur „konservativen Tagespresse" vermitteln -: ({9}) In einem Punkt zumindest scheint das Wirtschaftsgipfeltreffen der sieben wichtigsten Industrieländer in Puerto Rico alle Erwartungen bestätigt zu haben: Es war weitgehend überflüssig. Und am Ende dieses brillant geschriebenen Beitrages heißt es: Purto Rico war ein Gipfel zuviel. Die „Frankfurter Allgemeine" kennzeichnet das Ergebnis mit der Überschrift: „Das Ergebnis lohnt den Aufwand nicht." Das ist der erste Punkt unserer Kritik: Man soll wesentliche außenpolitische - dazu gehören auch weltwirtschaftliche - Probleme nicht unter dem Aspekt innenpolitischer Ereignisse und bevorstehender Wahlen aus wahlkampfpolitischen Gründen spektakulär in den Vordergrund stellen. ({10}) Das schadet der Lösung der Probleme, es schadet auch dem Ansehen der Beteiligten. Ich darf hier eine zweite kritische Bemerkung machen. Diese Konferenz war zwischen den Teilnehmern ganz offensichtlich ebenso schlecht vorbereitet wie die UNCTAD-Konferenz in Nairobi. ({11}) Ich weiß, daß die Konferenz von Puerto Rico innerhalb der Bundesregierung mit einem Vorlauf von mehreren Wochen eingehend vorbereitet worden ist. Ich sage das ausdrücklich, damit sich die Kritik mangelnder Vorbereitung genau auf das bezieht, was wir meinen, und wir meinen nur etwas, was wir objektiv für richtig halten. Ich sage es vor allem, um den Unterschied zwischen Kritik und Polemik klarzustellen. Uns wird immer Polemik unterstellt. Das ist eine Behandlung der Opposition, die einer Regierungspartei unwürdig ist. Es gibt auch andere Beispiele dafür. ({12}) Innerhalb der Bundesregierung ist diese Konferenz besser vorbereitet worden als die von Nairobi, die praktisch überhaupt nicht vorbereitet worden ist. ({13}) Aber zwischen den Teilnehmern ist diese Konferenz sehr schlecht oder überhaupt nicht vorbereitet worden. Denn wenn eine solche Konferenz einen Sinn haben soll, dann muß ihr eine längere Periode diplomatischer Verhandlungen - auch auf Expertenebene - vorangehen, damit wenigstens greifbare Ergebnisse erzielt werden können, selbst wenn diese Ergebnisse noch nicht völkerrechtlich verbindlichen Charakter haben können. Sonst ist der Vorwurf berechtigt, daß es sich hier nicht um politische Geschäfte, sondern um Show-Business handelt, das aus innenpolitischen Gründen getätigt wird. ({14}) Es ist - das ist unsere dritte ernst gemeinte Kritik - kein Fortschritt zu einem gemeinsamen Programm der Industrieländer gegenüber den Rohstoffländern, die großenteils Entwicklungsländer sind, erzielt worden. Ich möchte auch hier einige Bemerkungen zu dem Verbund zwischen Nairobi und Puerto Rico machen. Schon die UNCTAD-Konferenz IV in Nairobi ist mangelhaft vorbereitet worden. Die Bundesregierung wußte doch seit vier Jahren, daß die UNCTAD-Konferenz IV kommt. Eine Vielzahl von Konferenzen ging voraus, darunter Nairobi 1974, ferner die sechste und die siebte UNO-Sondergeneralversammlung. Schon bei der letzten UNO-Sondergeneralversammlung trat zutage, daß die Bundesregierung in zwei Sprachen spricht, in zwei zum Teil gegensätzlichen Linien denkt ({15}) und daß der Bundeskanzler, aus welchen Gründen auch immer, nicht die Kraft hat, diese widerstreStrauß benden Linien zu einer vernünftigen Gesamtlinie zu koordinieren. ({16}) Gerade in New York sind doch, zum Teil gegen den Widerstand der Amerikaner, von fast allen Beteiligten generelle Zusagen gegeben worden. Dabei war der Unterschied - um nicht zu sagen: der Gegensatz - in der Meinung zwischen dem Bundesminister Bahr auf der einen Seite und dem Bundesminister Friderichs auf der anderen Seite unverkennbar. Er war so deutlich, daß dieser Gegensatz, den der Bundeskanzler weder zu überwinden noch zu koordinieren vermochte, zu einer Belastung für die Position der Bundesrepublik in der sich anschließenden Konferenz in Nairobi geworden ist. Es steht hier nun einmal die Vorstellung, daß man eine Weltwirtschaftsordnung mit stark dirigistischem Charakter einführen solle, um den Forderungen der Entwicklungsländer entgegenzukommen, obwohl sie davon wahrscheinlich gar nicht das haben werden, was sie sich davon erwarten - da gebe ich dem Bundeskanzler in seinen Ausführungen recht, die er offensichtlich am Rande der Konferenz oder auch auf der Konferenz gemacht hat -, der Vorstellung des Herrn Bundeswirtschaftsministers gegenüber - der ich für meine Person und wohl auch für meine politischen Freunde zustimmen darf -, daß auch im weltwirtschaftlichen Verkehr marktwirtschaftliche Grundsätze aufrechterhalten werden müssen, daß riesige dirigistische Eingriffe vermieden und daß die damit verbundenen kostspieligen bürokratischen und funktionärmäßißen Apparaturen auf alle Fälle verhindert werden müssen. ({17}) Der jetzige Bundeskanzler war 1974 in Nairobi anwesend, damals in seiner Eigenschaft als Finanzminister. Er hat damals eine Verdoppelung der deutschen Entwicklungshilfeleistungen versprochen. In seiner Eigenschaft als Kanzler ließ er eine Finanzplanung verabschieden, in der ein Rückgang der deutschen Entwicklungshilfe auf 0,25 % des Bruttosozialprodukts im Jahre 1976 vorgesehen ist. Das geschah, nachdem er einige Zeit vorher dem international für 1980 konzipierten 0,7 %-Ziel zugestimmt hatte. ({18}) Diese Vorgänge sind es doch, die mehr als eine offene und klare Festlegung der eigenen Position Mißtrauen säen und geeignet sind, eine unerschöpfliche Quelle von Spannungen zwischen den Ländern der dritten und vierten Welt einerseits und den Ländern der ersten und zweiten Welt, allgemein die Industrieländer genannt, und den halbenwickelten Ländern andererseits hervorzurufen. Die Fraktion der CDU/CSU hat die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, eine gemeinsame Position der Europäischen Gemeinschaft und der Industrieländer herbeizuführen und unserem Ordnungssystem entsprechende Gegenvorschläge zu erarbeiten und sie auch innerhalb der Industrieländer zu vertreten. Davon ist praktisch nichts geschehen. In Nairobi war die deutsche Delegation mangels Weisungen aus Bonn über eine längere Konferenzdauer unfähig, den deutschen Standpunkt zu vertreten. Man müßte, genau genommen, sagen: Sie konnte keinen deutschen Standpunkt vertreten, weil es einen bestimmten Standpunkt als den deutschen Standpunkt nicht gab, ({19}) wobei die Akzentunterschiede, um nicht zu sagen: Gegensätze zwischen Bundesminister Bahr und Bundesminister Friderichs ja auch auf dieser Konferenz - sehr zum Spektakel der anderen - unverkennbar deutlich geworden sind. Einmal setzte sich die eine Linie durch; einmal setzte sich die andere Linie durch. Als Herr Friderichs wegen des FDP-Parteitages früher abreisen mußte, nutzte der andere die Gelegenheit, um die eine Variante der Einstellung der Bundesregierung zu diesem Problem zu vertreten, weil der andere nicht anwesend war. ({20}) - Das geht in Interviews natürlich noch so weiter. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Puerto Rico nach dem, was wir den Zeitungen entnommen haben, eine sehr vernünftige und, soweit die Zeitungsberichte Ihre Meinung zutreffend wiedergeben, von uns weitgehend gedeckte Haltung eingenommen. Sie müssen diese Haltung vorher in Ihrem Kabinett durchsetzen. ({21}) Sie müssen die verschiedenen Bundesministerien - es sind ja insgesamt vier - auf diese Linie einschwören. Ein Oberseminar in Puerto Rico zu halten, wenn man daheim nicht einmal Schule halten kann, ({22}) dient noch wahrlich nicht der Verbesserung der Glaubwürdigkeit. ({23}) Hinzu kommt, daß die undurchsichtige Haltung der Bundesregierung in Nairobi im Gegensatz zu der klaren Stellungnahme der USA stand. Wenn diese Zusammenkunft der Industrieländer - des Klubs von Rambouillet, nunmehr erweitert durch Kanada; ich werde zur Zusammensetzung noch ein Wort sagen müssen - wirklich einen Sinn haben soll, mehr Sinn, als ein schönes Wochenende zu verbringen, dieses Wochenende nicht für verloren zu erklären, mehr Sinn, als die Feststellung von Tatsachen gemeinsam vorzunehmen - zu diesem Zweck hätte man nicht zusammenzukommen brauchen; dies war schon seit Julius Caesars Zeiten nicht mehr notwendig; im Zeitalter der modernen Nachrichtenelektronik ist es auch auf anderem Wege möglich, eingetretene oder gemeinsam behauptete Tatsachen der Öffentlichkeit als gemeinsame Meinung zu übermitteln -, wenn also mehr dabei herauskommen soll, als unverbindliche Absichtsbekundungen in die Welt zu setzen, wobei mancher im Hintergrund schon daran denkt, daß er diese doch nicht einhalten kann oder wird, wenn innenpolitische Notwendigkeiten ihm einen anderen Kurs einzuschlagen geraten erscheinen lassen, d. h., wenn solche Konferenzen einen Sinn haben sollen, so ist es wenig nützlich, im Blick auf die Lebensfrage des Verhältnisses zwischen der industrialisierten Welt und den Ländern der dritten und vierten Welt, den Rohstoffproduzenten, den Erdölproduzenten - es gibt, wie Sie in Puerto Rico ja mit Recht festgestellt haben, auch unter den reicheren und leistungsfähigen Industrieländern, also Ländern, die nicht zur dritten und vierten Welt gehören, Rohstoffproduzenten in gewaltigem Ausmaße, was eine Fülle von Problemen mit sich bringt, die Ihnen sicherlich nicht unbekannt sind -, zu philosophieren und zu dozieren. Wenn Sie davon sprechen, daß die Bundesrepublik schon seit langer Zeit ein wirtschaftlicher Riese sei, aber nunmehr dank Ihrer energischen Führung, die sich auf diesem Gebiet besonders eindrucksvoll bemerkbar gemacht habe, auch den politischen Rückstand aufgeholt habe, so daß neben dem wirtschaftlichen Riesen jetzt auch der politische Riese in Puerto Rico sichtbar in Erscheinung getreten sei, dann muß eben dieser „Riese" - es gibt manchmal auch Gummiriesen ({24}) auch seine Möglichkeiten, seine Einflußnahme dazu benutzen, um durch sein Gewicht eine gemeinsame Konzeption der Industrieländer herbeizuführen, wobei es wesentlich auch auf die Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und auf die wahrscheinlich schwierigere Abstimmung mit Frankreich andererseits ankommt. ({25}) Sonst bleibt das Ganze ein weltwirtschaftliches Oberseminar, aber mehr nicht. Dafür ist diese Riesenveranstaltung in einer Zeit, wo man nur von Sparsamkeit und Einschränkung der öffentlichen Haushalte redet, wahrlich ein sehr kostspieliges Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler gewesen. ({26}) Die Probleme der Dritten Welt sind nur in einer konsequent angewandten, freien Weltwirtschaftsordnung lösbar. Auch der amerikanische Vorschlag einer Rohstoffbank, die nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen Finanzierungshilfe für die Diversifizierung im Rohstoffbereich vornehmen soll, ist prüfenswert. Die UNCTAD-Vorschläge selbst werden von uns nicht angenommen. Sie laufen auf ein in sich geschlossenes System mit Regelungen ähnlich den Agrarmarktordnungen für möglichst viele Rohstoffe hinaus, einschließlich Marktinterventionen, internationaler Lagerhaltung mit ihrer unübersehbaren Kostenentwicklung, finanziert durch einen internationalen Fonds durch Festsetzung von Abnahme-und Lieferverpflichtungen. Derartige Vorschläge würden den Grundstoffsektor aus der marktwirtschaftlichen Ordnung mit schwerwiegenden strukturellen und finanziellen Folgen herauslösen. Sie würden auch dazu führen, daß die innerhalb der nationalen Volkswirtschaften abgelehnte Planwirtschaft auf dem Wege über die Rohstoffbewirtschaftung sozusagen durch die Hintertür wieder hereinkommen würde. Sie würde auch den ärmsten Entwicklungsländern keine Vorteile bringen, sondern die rohstoffreichen Industrieländer, wie Australien, Kanada, USA, UdSSR und auch Südafrika, begünstigen. Eine Politik, die die strukturelle Anpassung über den Marktmechanismus fördert und die die Industrialisierung der Entwicklungsländer durch verschiedene staatliche Anreize unterstützt und beschleunigt, ist der bessere und der wirksamere Weg. Über die vor Konferenzbeginn in Puerto Rico als wichtigstes Thema genannte künftige Haltung der seit UNCTAD IV leider total zerstrittenen Industrienationen gegenüber den Forderungen der Entwicklungsländer ist in der gemeinsamen Erklärung nichts mehr enthalten. Was könnte unsere Bewertung dieser Konferenz eher rechtfertigen als die Tatsache, daß das am schwersten wiegende Problem, mit dem sich eine Konferenz der Industrieländer zu befassen hat, als solches auch vor der Konferenz bezeichnet, in der Abschlußverlautbarung dieser Konferenz nicht einmal mehr erwähnt wird? Wo ist auf dieser Konferenz davon auch von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in dem vorher erwähnten Sinne gesprochen worden? Aber wie schlecht diese Konferenz vorbereitet war, wie übereilt sie einberufen wurde und daß sie mehr auf Wirkung nach außen als auf Qualität nach innen abgestellt war, wird doch dadurch bewiesen, daß sie zur Lösung dieser Fragen gar nichts erbracht hat, wie es ja überhaupt oft die Eigenart solcher Konferenzen ist, das, was die Konferenzteilnehmer unter sich nicht vereinbaren können, in Form eines gemeinsamen Appells an sich selber als für die Zukunft zu lösende Probleme der staunenden Öffentlichkeit zur allgemeinen Bewunderung bekanntzugeben. Das ist ja nicht das erste Mal. ({27}) Die umstrittenen internationalen Rohstoffonds sind mit keinem Wort erwähnt. Noch nicht einmal das Wort „Rohstoff" ist in der offiziellen Verlautbarung enthalten. Es werden nur „weitere Prüfungen und Abstimmungen der Industrieländer" als notwendig bezeichnet. Man muß ja manchmal auch vorn argumentum e contrario ausgehen, um den Blödsinn von verschiedenen Formulierungen voll zu begreifen. Wenn man nämlich einmal das Gegenteil von dem formuliert, was hier formuliert ist, dann wird man merken, daß mit selbstverständlichem Blabla die Öffentlichkeit über die tatsächliche Hohlheit und Leere der wirklichen Ergebnisse hinweggeführt werden soli. ({28}) Das Problembewußtsein soll auf beiden Seiten geschärft werden, daß Rohstoffabkommen keinesfalls allen Entwicklungsländern einen Vorteil bringen. Alternativen zu den Forderungen der Entwicklungsländer sind vom Bundeskanzler offenbar nicht entwickelt worden. Auch diese Gipfelkonferenz brachte gegenüber den vorangegangenen zahllosen Konferenzen keinerlei Fortschritte. Sie wurde deshalb mit Recht von mir als Public-Relations-Konferenz bezeichnet. Herr Kollege Wehner, wenn Sie sich die Sorgen des amerikanischen Präsidenten auch bei anderen Anlässen so zu Herzen nähmen, z. B. in der Frage des Eurokommunismus, in der Frage von Volksfrontstrategien in Europa, dann wäre ihm wahrscheinlich wesentlich - wesentlich! - mehr geholfen, als ihm etwa durch meine Kritik an der Art der Abhaltung solcher Konferenzen an Ungemach widerfährt. ({29}) Ich darf noch ein kritisches Wort zur Zusammensetzung der Konferenz sagen. Hier ist auch der Dissens, der Gegensatz innerhalb der Bundesregierung sichtbar geworden. Wir halten es für keine gute Sache - der Bundeskanzler ist darüber mit bemerkenswert geschmeidigen Gummiformulierungen hinweggegangen -, wenn die Europäer bei dieser Konferenz nicht als Gemeinschaft repräsentiert worden sind. Ich teile die Meinung des Bundeskanzlers in einem Punkte, daß nicht alle Mitglieder der Gemeinschaft, heute neun, morgen zehn, an einer solchen Konferenz beteiligt werden können, weil sonst der Kreis für eine wirksame Konferenz zu groß würde. Aber ich rede von wirksam! ({30}) Für das vorliegende Ergebnis hätte man alle einladen können. Da wäre es gleich gewesen. ({31}) Es wäre aber nicht nur aus Gründen der protokollarischen Höflichkeit oder internationaler Reputation notwendig gewesen, die Gemeinschaft durch zwei Repräsentanten, den Vorsitzer des Ministerrats und den Präsidenten der Kommission, vertreten zu lassen. ({32}) Diese Art der Zusammensetzung von Konferenzen ist ein Rückschritt in die Kabinettsdiplomatie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, ist ein Rückschritt in die Zeit, wo einige größere Mächte auch in Europa, was dem Stil des Wiener Kongresses entsprach, was dem Stil des 19. Jahrhunderts entsprach, nämlich die klassische Pentarchie, die Politik Europas, wenn auch oft gegensätzlich, vertreten haben. ({33}) Dazu gehörte Großbritannien, dazu gehörte Frankreich, später Preußen-Deutschland, Österreich-Ungarn und das damalige zaristische Reich. Das war die Pentarchie, die damals für Europa gesprochen hat, allerdings oft auch sehr gegensätzlich, und in Kriege miteinander verstrikt war. Europa ist ein Kontinent des Maßes und der Mitte, und gerade die Größeren in Europa, die ja ihrerseits auch wieder, verglichen mit anderen, Zwerge sind, täten gut daran, die Kleineren nicht ihre Überlegenheit zu sehr spüren zu lassen. ({34}) Die kleineren Länder, auch Dänemark, stellten doch die Grundsatzfrage einer Gemeinschaftsvertretung auf internationalen, alle Mitgliedstaaten betreffenden Konferenzen zur Debatte. Sie verlangten als Voraussetzung für eine Vertretung der Europäischen Gemeinschaft durch Ratspräsident und Kommissionsmitglied eine positive Grundsatzentscheidung über eine Festlegung von Regeln für Vorabkonsultationen. Ich weiß, daß ein uns befreundetes Land sich diesem Vorschlag, wie ich ihn hier vertreten habe, widersetzt hat. Aber auch eine gründliche Vorbereitung dieser Konferenz hätte es mit sich gebracht, daß diese Frage zu eng diskutiert worden wäre. Wenn ein europäisches Gemeinschaftsbewußtsein geschaffen werden soll, dann kann es nur geschaffen werden, wenn die Kleineren in Europa den Eindruck haben, die Sicherheit und überzeugende Gewißheit haben, daß sie von den Großen nicht überfahren werden. Selbst wenn die Großen sagen, sie hätten nichts präjudiziert, wenn die Großen sagen, sie hätten auch die Interessen der Kleineren wahrgenommen, diese Art der Bevormundung oder der außenpolitischen Fürsorgeerziehung im Sinne einer absoluten Monarchie - der Oberhirte sorgt ja für alle, der Monarch oder die Monarchen sorgen auch für die anderen entspricht nicht dem Geist und dem Stil der Europäischen Gemeinschaft, wie sie angelegt war und wie sie vollendet werden muß, mag es noch so lange dauern. ({35}) Der luxemburgische Ratspräsident Thorn erklärte doch, er habe Angst vor dem nationalistischen Denken der Mächte Frankreich, Deutschland, Großbritannien, also der Großen in der Gemeinschaft; so die „Süddeutsche Zeitung" vom 24. Juni. Der Sprecher der belgischen Regierung gab ihr Bedauern bekannt, daß diese Gelegenheit verpaßt wurde, die Identität Europas zum Ausdruck zu bringen. Der dänische Außenwirtschaftsminister sprach nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen" vom gleichen Tage in der letzten Sitzung der EG-Außenminister von einem Skandal. Nach demselben Bericht der „FAZ" war in derselben Sitzung vom Machtmißbrauch der Großen und von ihrem immer unerträglicher werdenden Prestigedenken die Rede. Der Bundeskanzler sagte, die EG sei nicht präjudiziert worden. Das ist auch anzunehmen; denn man kann nichts präjudizieren, wenn man nichts beschließt. Insoweit ist der Vorwurf weniger scharf, als er sonst gemeint sein müßte. Aber man hat gerade von dieser Konferenz in Puerto Rico die Behandlung von Problemen erwartet, die auch in der berühmten Nord-Süd-Dialog-Konferenz auf dem Tisch liegen, und zwar als Dauer-Themen dieser KIWZ. Bei dieser KIWZ können die Länder der EG nicht nur, sondern müssen mit einer Zunge sprechen. Hier genügte schon der Widerspruch Luxemburgs, um eine gemeinsame Haltung der EG zu verhindern. Also wäre es doch ein Gebot der Klugheit und für die Bundesrepublik auch eine besondere Aufgabe, ausgleichend zu wirken, damit von vornherein bei der Behandlung solcher Themen durch Einladung der Europäischen Gemeinschaft in Gestalt der beiden genannten Funktionsträger Spannungsmöglichkeiten, Konfliktstoffe und Mißtrauensansätze vermieden werden. Wir würden jedenfalls dafür plädieren, daß man diese Art des demonstrativen Ausschlusses einer Reihe von einzelnen Mitgliedern, die nur durch einen gemeinsamen Repräsentanten vertreten werden wollen, in Zukunft nicht mehr fortsetzt. ({36}) Wir wissen auch, daß der Herr Bundesaußenminister selbst diese Meinung innerhalb der Bundesregierung vertreten hat. Aber der Herr Bundeskanzler glaubte offensichtlich, daß die Abhaltung der Konferenz in den Kreisen, wie sie stattgefunden hat, die Bedeutung der einzelnen Teilnehmer erhöhen, vielleicht auch die wirkungsvollere Bühne ergeben würde und daß sich, sozusagen im Kreise der Mächtigen, mit entsprechendem Selbstgefühl leichter reden lasse; davon haben wir schon manche Kostprobe bekommen. Ich darf als weiteren kritischen Punkt erwähnen: lohnt es sich, eine Gipfelkonferenz abzuhalten, um gemeinsam Aufschwungstendenzen festzustellen? Ich habe das vorher schon einmal in einem Halbsatz erwähnt. Das ist wahrscheinlich nicht eine Gipfelkonferenz wert. Man mag über die Aufschwungstendenzen denken wie auch immer, auch darüber, wie stark sie in einzelnen Ländern sind. Aber um das festzustellen, hätte es genügt, Kuriere auszuwechseln. Seit einigen Jahrzehnten gibt es sogar Fernschreiben, mit denen man sich das gegenseitig mitteilen kann. Auch Rundfunk und Fernsehen spielen hier eine wesentliche Rolle. Auch wenn die Konferenz noch weiterhin der Sicherung der Stabilität gewidmet war, so ist zur Feststellung dessen, was angeblich oder wirklich ist, keine Konferenz nötig. Aber zur Sicherung der Stabilität würde es nicht genügen, mannhafte Erklärungen abzugeben, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und einen Appell an sich selber zu richten, sondern dazu müssen verbindliche Festlegungen getroffen und nicht nur Bekundungen des guten Willens und der schönen Absichten geäußert werden. Das Ganze wurde sozusagen aufpoliert mit der reuigen Feststellung in die Einsicht über bisherige Fehler. Ich bin überzeugt, daß die reuigen Feststellungen der Einsicht in bisherige Fehler auch in einigen Jahren bei der nächsten Konferenz wieder genauso getroffen werden. Wenn ich hier über solche Gipfelkonferenz noch ein allgemeines Wort sagen darf: mit welchen bombastischen Ankündigungen, mit welchen schwülstig-phrasenreichen Kommuniques sind die europäischen Gipfelkonferenzen im Laufe der Jahre seit 1969 veranstaltet worden, ({37}) und was ist dabei herausgekommen! Herr Kollege Wehner, ich habe hier nicht von Schuld gesprochen. Ich könnte sehr wohl davon reden, aber die Zeit reicht nicht, und ich verteile die Schuld nicht einseitig. Aber die Vorgänge seit 1969, als der abenteuerliche Marsch in ostpolitisches Gelände von Dilettanten mit zweifelhaftem Ergebnis unternommen wurde, als sich der Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik aus dem Westen nach dem Osten verlagerte - auch das war ein Faktor, der dazu beigetragen hat; auch andere Faktoren zählen hier mit -, haben dazu beigetragen, daß wir in den letzten sechs Jahren in Europa schwerwiegende Rückschläge zu verzeichnen haben. ({38}) Bemerkenswert in der Erklärung des Bundeskanzlers - das hat er sowohl auf der Konferenz laut Zeitungsberichten, auf die wir ja angewiesen sind, gesagt als auch hier, allerdings mit wesentlich vorsichtigeren Formulierungen - sind seine Auslassungen über den Osthandel. Ich weiß nicht, ob der Osthandel als konjunkturpolitisches Ausgleichsinstrument zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation im Sinne einer Ausweitung unseres Instrumentariums regelmäßig in Betracht gezogen werden sollte. Daß er diese Funktion zeitweise zum Teil erfüllen mußte, ist in dem Versagen auf anderen Gebieten begründet. Daß der Osthandel nach dem Grundsatz „do ut des" - ich gebe, damit du gibst - oder „cash and carry" hole und zahle betrieben werden soll, ist selbstverständlich auch unsere Meinung. Es gehört zu den ewigen Legenden, die durch Wiederholung nicht wahrer werden, daß die Fraktion der CDU/CSU und die beiden Unions-Parteien gegen Osthandel wären. Wir halten den Handel für ein wesentliches Mittel der Verständigung der Völker, für ein wesentliches Mittel des guten Auskommens, für ein wesentliches Mittel erträglicher oder hoffentlich guter Nachbarschaft, auch für ein wesentliches Mittel zur Vorbereitung der Lösung politischer Probleme. Das sage ich nicht zum erstenmal, sondern - ich weiß nicht -, vielleicht zum tausendsten Male. ({39}) Bedenklich aber ist - das haben Sie in Puerto Rico offensichtlich angeschnitten, aber nur in Puerto Rico -, wenn der Osthandel dazu dient, durch Vorausfinanzierung unserer Exporte Absätze zu erzielen, kommunistischen Regierungen zu helfen, die Verschwendung kommunistischer Planwirtschaften, die Falschzuweisung von Produktionsfaktoren und die damit verbundene Vernichtung volkswirtschaftlicher Werte sowie sonstige wirtschaftliche Versäumnisse durch das Ergebnis der Arbeit sogenannter kapitalistischer - wir sagen: demokratischer - Staaten zu überbrücken. Wir haben keinen Anlaß, kommunistischen Regierungen zu ersparen, mit der ökonomischen Wirklichkeit konfrontiert zu werden. ({40}) Wir haben auch keinen Anlaß, durch das Ergebnis westlicher industrieller Leistungen, wissenschaftlicher Leistungen, technischer Leistungen, organisatorischer Leistungen den Mächten des Warschauer Paktes zu helfen, einen überproportional hohen Anteil ihres Sozialproduktes für Rüstungszwecke, zum Aufbau, Ausbau und zur laufenden Modernisierung einer weltweiten riesigen Angriffsmaschinerie zu verwenden; ({41}) nicht nur zum Aufbau ihrer eigenen Verteidigungsstreitkräfte mit offensivem Charakter, sondern auch zur Unterstützung weltweiter Rüstungslieferungen, die jährlich viele Milliarden Dollar Gegenwert ausmachen und deren Zweck doch darin besteht, an gewissen Schwerpunkten der Welt Unruhen zu stiften, Bürgerkriege zu entfesseln, zu unterstützen und Länder in kommunistische Abhängigkeit zu bringen. ({42}) Viele Tausende von Menschen - Hunderttausende kann man allmählich sagen - hätten in den letzten Jahren nicht ihr Leben gelassen, wenn nicht mit Hilfe dieser Rüstungslieferungen - und zwar ohne Bezahlung - Vernichtungswaffen modernster Art in gewisse Hände geliefert worden wären. ({43}) Sie haben ja eine solche Einsicht in Puerto Rico selbst geäußert: daß man sich fragen müsse, ob man die Aufrüstung des Warschauer Paktes auch weiterhin durch Osthandel finanzieren solle. ({44}) So entnahm ich es einer Pressemeldung; das steht natürlich nicht im offiziellen Kommuniqué. Ohne Zweifel ist löblich, was dort über Italien und Großbritannien beschlossen worden ist. Löblich ist nicht nur die Bereitschaft zur Hilfe, löblich ist auch die Absicht, diese Hilfe von der Erfüllung bestimmter Auflagen abhängig zu machen. Hier beginnt ein ganz schwieriges Problem, ein politisches Problem, ein psychologisches Problem mindestens genauso sehr wie ein wirtschaftliches Problem. Ich habe seinerzeit im Namen unserer Fraktion erklärt, Herr Bundeskanzler, daß wir natürlich nicht gegen den Fünf-Milliarden-Kredit zugunsten Italiens gegen Verpfändung italienischen Goldes Stellung nehmen. Aber wir wissen, daß dieser Kredit zum Teil die Vorausfinanzierung unseres Exports nach Italien war; denn sonst wäre die Zahlungsunfähigkeit Italiens vielleicht oder schneller eingetreten. Das habe ich damals hier ausdrücklich festgestellt. Daß aber dieser Kredit sich psychologisch in Italien nicht gerade zugunsten der deutsch-italienischen Beziehungen ausgewirkt hat, steht außer jedem Zweifel. ({45}) Darum muß man sich einmal - das ist keine überhebliche Härte, sondern eine besorgte Bitte - ernsthaft überlegen, wie man den andern nicht erspart, sich der wirtschaftlichen Wirklichkeit zu stellen. Solange die Zustände in manchen Ländern, zum Teil durch bestimmte politische oder gesellschaftliche Kräfte verursacht, auf den Ruin dieser Länder bzw. die Zerstörung ihrer Gesellschaftsordnung ausgehen, ist es nicht unsere Aufgabe, sie mit dem Ertrag unserer Arbeit weiterhin aus dem Leihhaus zu unterstützen, damit sie sich dieser Konfrontation der Wirklichkeit entziehen können. ({46}) - Darauf gebe ich Ihnen am Ende meiner Ausführungen eine kurze Antwort. Niemand kann sich - darüber möchte ich mich mit Ihnen gern in der Öffentlichkeit auseinandersetzen ({47}) - ich rede ja auch hier - dem Standpunkt der Vernunft entziehen, daß die Begegnung mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht auf die Dauer hinausgeschoben werden kann. ({48}) Daß Hilfeleistungen einen Sinn haben müssen und warum sie keinen Sinn haben können, werde ich - nicht zu Ihrer Freude - am Ende meiner Ausführungen zu diesem Kapitel und am Ende meiner Ausführungen überhaupt sagen. ({49}) Weiter heißt es in der Rede des Herrn Bundeskanzlers: Der Aufschwung muß konsolidiert und verbreitert werden, und zwar vornehmlich durch die weitere Stärkung und Festigung des Vertrauens der privaten Investoren. ({50}) - Dann sind Sie mit den derzeitigen wirtschaftlichen Tatsachen wie durchweg - das sind wir ja gewohnt - nicht auf vertrautem Fuß. Ich darf zur Stärkung und Festigung des Vertrauens der privaten Investoren sagen: Hören Sie einmal in die mittelständische Wirtschaft hinein! Unsere Sorge gilt ja nicht der Erhaltung der großen Konzerne, deren Notwendigkeit von niemandem bestritten wird, für die aber niemand mehr getan hat als die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung der letzten Jahre - und zwar gegen den Mittelstand! ({51}) Wenn zum Beispiel in der Jugendkonferenz der SPD in Solingen von einem katastrophalen Mangel an Ausbildungsplätzen und von einem Skandal der Jugendarbeitslosigkeit die Rede ist, dann möchte ich fragen: Wer ist denn eigentlich damit gemeint? Denn das Problem bestand in den 60er Jahren und bei Änderung der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik kaum der Theorie nach, geschweige denn der Praxis nach. Aber gut, lassen wir das. Würden wir so etwas sagen, käme das unter die Rubrik „Ehrabschneider" - eine bekannte Broschüre, ein dickes Werk. hi dieser SPD-Jugendkonferenz wurde eine Resolution verabschiedet, die als Heilmittel für die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit und für die Überwindung des Mangels an Ausbildungsplätzen nichts anderes zu empfehlen wußte als die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und staatliche Investitionsplanung, -lenkung und -kontrolle. Der Herr Bundesparteivorsitzende der SPD hat in dieser Konferenz gesprochen. Er hat sich aber dort erstaunlicherweise überhaupt nicht gegen die vorliegenden Beschlüsse dieser Art gewandt. ({52}) Als sich nach der Konferenz allseits ein negatives Echo breit machte, sagte der Bundesparteivorsitzende der SPD, Willy Brandt, das seien ja nur ein paar alte Ladenhüter gewesen. Was ist das für eine Partei, deren Jugendfachkonferenz nach Meinung des Vorsitzenden nur alte Ladenhüter beschließen kann? ({53}) Da fehlt es doch gewaltig an der politischen Bildung. Und da ist auch Ihr ökonomischer Nachhilfeunterricht, Herr Bundeskanzler, ganz offensichtlich erfolglos gewesen. ({54}) Ich weiß, daß Ihnen das Thema nicht paßt. Drum sage ich es ja! Welche verheerende Unkenntnis der ökonomischen Zusammenhänge spricht aus dem Vorschlag, daß man Jugendarbeitslosigkeit und Mangel an Ausbildungsplätzen durch staatliche Lenkung und Kontrolle der Investitionen und durch Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien herbeiführen könne. Wenn Sie damit anfangen würden, dann hätten wir in Bälde das Doppelte an Arbeitslosigkeit, gerade bei der Jugend. Was wäre dann die Folge? Die Folge wäre, daß dann die Gesellschaftsveränderer, die es in Ihren Reihen, bei der SPD, in wachsender Zahl gibt, sagen würden: Das System hat versagt, es muß durch ein anderes System ersetzt werden. ({55}) - Ich habe über Puerto Rico schon gesprochen. Jetzt sage ich meine Meinung, unsere Meinung zu einem bestimmten Teil der Rede des Herrn Bundeskanzlers über Puerto Rico. ({56}) Wenn er von der Notwendigkeit spricht - wir bejahen das ja -, daß das Vertrauen der Investoren gestärkt werden muß, dann wird das Vertrauen der Investoren, vor allen Dingen im mittelständischen Bereich, nicht dadurch gestärkt, daß man dauernd Schreckgespenster an die Wand malt. ({57}) und daß die offizielle Jugendkonferenz der stärksten, immer noch stärksten Partei, wie sie hier im Bundestagvertreten ist, solche Zukunftspläne zur Lösung unserer gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen an die Wand malt. Das ist es doch! ({58}) Auf der gleichen Ebene liegt es doch auch, wenn auf dem SPD-Parteitag in Dortmund - da kann man nun nicht mehr sagen, es war nur die Jugend - von einer Investitionsmeldepflicht und einer Sammelstelle für die Annahme solcher Investitionsanmeldungen gesprochen wird. Das ist doch nur der Anfang auf diesem Wege. Am Ende dieses Weges steht doch eine zunehmende Vergesellschaftung unserer Wirtschaft mit der Erfüllung der Forderungen, wie sie auf der SPD-Jugendkonferenz erhoben worden sind. ({59}) Ich frage hier: Warum hat man sich denn nicht in der Konferenz diesen jungen Leuten gestellt? Ich bestreite diesen jungen Leuten zwar nicht ein hohes Maß an Idealismus, ein hohes Maß an politischem Engagement, aber warum treten dann nicht die älteren Würdenträger der SPD ihnen mit ihrer Erfahrung dort gegenüber und sagen: Genossen, laßt doch solche Beschlüsse! Hernach erklären Sie solche Beschlüsse als Ladenhüter, um sich in der Öffentlichkeit der unangenehmen Wirkung zu entziehen. Bei der Gelegenheit - Festigung des Vertrauens - darf ich hier eine sehr deutliche Bitte und Mahnung aussprechen: Man möge Schluß machen mit der Verteufelung bestimmter soziologischer Schichten! Es fing doch schon damals an mit der Aktion „Gelber Punkt", als die Unternehmer in Jahren sinkender Erträge und zurückgehender Investitionsfähigkeit schlechterdings als Preistreiber diffamiert wurden. Es kamen die Makler, es kamen die Ärzte hinzu. Es kamen die Börner'sche Geheimliste der Privilegierten hinzu: die Bauern, die Beamten usw. Und jetzt ist ein Werk entstanden, dieses Werk „Helfershelfer der CDU/CSU". Ein großer Teil dieser Helfer und Helfershelfer geht beim Herrn Bundeskanzler aus und ein. ({60}) Es gibt in diesem Werk eine Reihe von Namen, deren Träger leider nicht mehr leben, eine Reihe von Namen, deren Träger die dort genannten Funktionen gar nicht mehr ausüben. Dann wird neben der NPD der Bundesverband der Deutschen Industrie usw. genannt. Mit diesen Methoden vergiften Sie nur die öffentliche Meinung und schaffen Sie gesellschaftliche Spannungszustände! ({61}) Denn die Ursache des wirtschaftlichen Rückschlages ist am allerletzten das Ausland. Es ist zwar auch beteiligt, aber an letzter Stelle. Maßgebend beteiligt sind die Fehler und Versäumnisse, die innenpolitisch, auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Finanzpolitik begangen wurden. Maßgebend ist die in den letzten Jahren eher noch ansteigende als abebbende Vertrauenskrise in eine gesicherte Zukunft. ({62}) Wenn man in Puerto Rico den privaten Unternehmer und seine Investitionen als die Voraussetzung für Beendigung der Arbeitslosigkeit, Wiederherstellung der Vollbeschäftigung, Erzielung eines ausreichenden Wachstums ohne inflationäre Schübe mit Recht herausgestellt hat, dann läge die Erfüllung der guten Willenserklärung von Puerto Rico darin, daß man in der Bundesrepublik endlich einmal beginnen würde, diese Reizworte einzustellen, die Sprache der Beschimpfung zu beenden, um innerhalb der eigenen Reihen aller politischen Parteien für ökonomische Vernuft statt für das Gegenteil zu sorgen. ({63}) Vielleicht habe ich Ihnen dabei sogar noch geholfen, Herr Bundeskanzler. Wenn der Herr Bundesparteivorsitzende der SPD die Mitbestimmungsdiskussion in den letzten Tagen dahin wiederbelebt - ich weiß nicht, was ihn dazu veranlaßt hat -, daß man nunmehr statt der bisher erreichten Lösung eine Art Drittelparität - Kapital, Arbeit und öffentliches Interesse herstellen müßte, dann glaube ich nicht, meine Damen und Herren, daß man dazu noch sehr viel zu sagen hat, wenn man diese Drittelparität, wie sie beim Volkswagenwerk zum Teil schon verwirklicht ist, dem Management und den betriebswirtschaftlichen Ergebnissen der privatwirtschaftlich geführten Unternehmungen der deutschen Automobilindustrie gegenüberstellt. Das bezieht sich auch auf die Preiserhöhungen. Preiserhöhungen sind doch meistens eine Folge des Kostendruckes. Ich verhehle nicht, daß manche auch Preiserhöhungsspielräume ausnutzen. Aber das ist die Minderheit. Man lese einmal die Geschäftsberichte, die jetzt zur Zeit der Hauptversammlungen von den großen und kleineren Unternehmungen wieder vorgelegt werden. Daraus ergibt sich, daß auch die Preiserhöhungen der letzten Jahre und Monate noch nicht ausreichen, die gestiegenen Kosten zu bewältigen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bangemann? ({0})

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr. Ich bin erfreut, Sie wieder zu sehen, Herr Kollege! ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Bangemann, Sie haben das Wort.

Dr. Martin Bangemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000089, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde mit dem Beifall etwas warten! Herr Kollege Strauß, ist Ihnen bekannt, daß die Kollegen aus Ihrer eigenen Fraktion im Europäischen Parlament diese Drittelparität bei der Mitbestimmung bei dem Statut zur europäischen Aktiengesellschaft mit Vehemenz verteidigt und durchgesetzt haben gegen - das darf ich hinzufügen - den Widerstand der liberalen Fraktion?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich war in meiner Partei ja schon immer ein Liberaler. ({0}) Das hat mir gegenüber den Konservativen schon manche Schwierigkeiten eingebracht. Sie werden es nicht glauben. Aber ich vertrete hier die Meinung dieser Fraktion. Und wir wollen keine neue Mitbestimmungsdiskussion für die Bundesrepublik in Gang setzen. Was einmal europäisches Unternehmensrecht werden wird, ist eine andere Frage. Aber auch hier dürfen die ökonomischen Gesetze, die Erfahrungen mit der Wirklichkeit nicht zugunsten scheinbar perfekter oder gerechter Lösungen vernachlässigt werden. ({1}) Die Leidtragenden sind doch nur die Arbeiter in Europa und nicht die Kapitalgeber. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist vom Kampf gegen die Arbeitslosigkeit die Rede gewesen. Über dieses Thema haben wir uns hier schon oft unterhalten. Es ist die Rede gewesen von der Belebung der Investitionen. Auch über dieses Thema haben wir uns schon oft unterhalten. Der Herr Bundeskanzler hat in der Spätphase, schon in der Notphase, in die diese Regierung eingetreten war, als der wirtschaftliche Rückschlag kam, von der Notwendigkeit höherer Erträge gesprochen. Höhere Erträge sind sicherlich die Voraussetzung für Investitionen. Aber, Herr Bundeskanzler, wir haben von der Bundesregierug noch nie gehört, welche Vorstellungen sie hat, außer durch stärkere Auslastung der Kapazitäten, die anteiligen Generalkosten zu senken, d. h. die Kosten je Stückeinheit zu mindern, und damit die Erträge zu verbessern. Es muß doch auch einmal davon gesprochen werden, daß sowohl beim Arbeitnehmer wie beim Arbeitgeber, bei Unternehmungen die Belastungen mit Steuern und Zwangsabgaben längst das Maß überschritten haben, das für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung der angeblich von Ihnen angestrebten und in Puerto Rico bestätigten Art erforderlich wäre. ({3}) Die Renditen sind doch - sowohl am Umsatz als am Kapital gemessen - gewaltig zurückgegangen. Ich darf auch hierzu wieder eine wirtschaftliche Selbstverständlichkeit ausdrücken: Wenn die Rendite für das Haftungskapital nicht mindestens gleich groß wird - auch das reicht aber nicht aus -, nicht wieder erkennbar höher wird als der Zins, den man für zur Verfügung gestelltes Fremdkapital bekommt, von wem kann man denn dann in einer klassen18200 kämpferisch umwölkten Landschaft mit Wetterleuchten am Horizont noch erwarten, daß er Haftungskapital zur Verfügung stellt? ({4}) Nach Meinung des Herrn Bundeswirtschaftsministers ist sogar eine 5,7%ige Steigerung der Investitionen viel zuwenig; der Herr Bundeswirtschaftsminister sprach von der Notwendigkeit einer Steigerung der Investitionen von jährlich real, also zu festen Preisen, von 8 bis 9 %, damit ein Wachstum zur Aufrechterhaltung oder zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung und zur Sicherung unserer sozialen Leistungsfähigkeit, die ja davon abhängt und die von uns mit dem System der Marktwirtschaft in allen entscheidenden, fundamentalen Gesetzen geschaffen worden ist. Wenn man eine reale Steigerung von 8 bis 9 % bei den Investitionen für ein reales Wachstum von 4 bis 5 % zugrunde legt, dann sind die Summen, die ich nenne, nicht ausreichend. Ich nenne nur die 5,7 %. Hätte man die Investitionen vom Jahr 1970 an jährlich - das gilt auch für 1976 - um real 5,7 % gesteigert, dann hätten 170 Milliarden DM mehr investiert werden müssen. Das sind 170 Milliarden DM nominal, d. h. zu den jeweiligen Preisen. Zu festen Preisen des Jahres 1970 oder 1969 wären es 110 Milliarden DM. Aber zu jeweiligen Preisen, fortgeschrieben mit der Preissteigerungsrate, sind es eben 170 Milliarden DM, die mehr hätten investiert werden müssen. Alle Sachverständigen wissen und stellen es zum Teil auch öffentlich fest, daß die Nichtvornahme dieser Investitionen die Ursache für unsere Arbeitslosigkeit von 1 Million ist, daß das Versäumnis dieser Investitionen 1 Million Arbeitsplätze vernichtet hat. ({5}) Alle schönen Reden, seien es die von Puerto Rico oder solche anderswo, führen doch nicht an der Tatsache vorbei, daß hier die Richtung im Grundsätzlichen geändert werden muß. ({6}) Das geht nur auf dem Weg über eine befriedete gesellschaftspolitische Atmosphäre, ({7}) zu der auch der soziale Konsensus gehört, zu der aber auch gehört, daß nicht Hetze gegen andere soziologische Schichten zur Bemäntelung der eigenen Fehler und Versäumnisse, als Feigenblatt, verwendet wird. ({8}) Wie Sie auch wissen, Herr Bundeskanzler - leider reicht die Statistik nicht aus, um alle Zweige zu erfassen; vielleicht habe ich auch nicht die Zeit gehabt, das umfassend zu lesen -, müßten bei den 1 000 industriellen Aktiengesellschaften der Bundesrepublik heute 17 Milliarden DM mehr Haftungskapital vorhanden sein, damit das Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital des Jahres 1969, das ohnehin niedriger war als in vergleichbaren ausländischen Industrieländern, wiederhergestellt werden kann. Herr Bundeskanzler, wer die Probleme an der Wurzel anpacken will, kann an diesen Tatsachen nicht vorbeigehen. Das ist dis A und O einer jeden wirtschaftlichen Erholung. Wir leugnen nicht die Aufschwungtendenzen. Wir freuen uns, daß sie eingetreten sind. Nur können wir etwas ironisch feststellen: Es hätte nie einen Abschwung gegeben und deshalb keines Aufschwungs bedurft, wenn man die Vorschläge, Lehren, Warnungen und Mahnungen der Fraktion der CDU/CSU und ihrer Redner ernst genommen hätte. ({9}) Sie müssen sich dieser Probleme annehmen, Herr Bundeskanzler. Sonst wird es immer nur mehr oder minder kurz- oder mittelfristige Ausschläge nach oben oder unten geben. Das sind hektische Konjunkturzyklen. Aber die Grundfragen, die Investitionsfähigkeit der deutschen Wirtschaft - das ist die materielle Seite - und die Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft - das ist die psychologische Seite -, werden dadurch nicht behoben werden. Wenn der Aufschwung so stark wird, wie Sie ihn glauben sehen zu können, gibt es noch nicht den leisesten Zweifel, daß er leider zwangsläufig wieder mit einem Auftrieb der Preise verbunden sein wird. Dafür ist der Inflationssockel, auf dem der Aufschwung begonnen hat, viel zu hoch gewesen. Wir kommen dann wieder in Verteilungskämpfe hinein, an deren Ende nach dem Circulus vitiosus wieder dieselben Übel auftreten werden, so daß sich Ursache und Wirkung in einem Teufelsmechanismus gegenseitig ablösen. Diese Dinge müssen zu Hause beschlossen werden. Dann kann man schöne Absichtsbekundungen in Puerto Rico abgeben. Ansonsten: Außer Spesen nichts gewesen! ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Ergebnisse der Weltwirtschaftskonferenz von Puerto Rico. ({0}) Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Delegation verdienen Dank und Anerkennung für die konstruktive und realistische Verhandlungsführung, die an den weltwirtschaftlichen Notwendigkeiten orientiert war, aber in keiner Phase der Verhandlung die berechtigten und wohlabgewogenen Interessen der Bundesrepublik vernachlässigt hat. Ergebnis und Verlauf dieser Konferenz geben der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darüber hinaus Anlaß zu der Feststellung, daß die Erfahrungen der letzten zwei Jahre und diese Konferenz bestätigen, wie richtig die von Bundeskanzler Helmut Schmidt schon am Beginn der Weltrezession eingeschlagene Linie war, daß weltwirtschaftDeutscher Bundestag - 7. Wahlperiode lich gemeinsames Handeln unverzichtbar ist, und daß nur weitere Kooperation (Ruf den wichtigsten Feldern der Wirtschaftspolitik zur Lösung der Probleme führen kann, die für viele Länder als Folge der Weltrezession noch längst nicht überwunden sind. Meine Damen und Herren, diese Feststellungen gelten nicht nur aus der Sicht der Bundesrepublik; sie sind das Ergebnis der Beratungen unter den sieben großen Industrienationen. Schon diese Gemeinsamkeit rechtfertigt die Konferenz von Puerto Rico. In der Öffentlichkeit ist diese Konferenz allzu leichtfertig - leider hat sich der Vorsitzende der CSU an dieser Leichtfertigkeit sehr direkt beteiligt -- als Schaugeschäft, als wahlkampfbezogen und dergleichen bezeichnet worden. Der Abgeordnete Strauß hat hier von einer „überflüssigen Konferenz" gesprochen. Ich weiß nicht, ob er damit den CSU-Parteitag, der an diesem Wochenende stattfand, gemeint hat. Die Konferenz von Puerto Rico kann er doch wohl nicht gemeint haben. Ich hatte bisher wenigstens die Hoffnung, daß der Kollege Strauß mit einer Einladung des Präsidenten unseres wichtigsten Bündnispartners etwas sorgfältiger umginge, als er es hier getan hat. ({1}) Aber das ist eine Angelegenheit des Kollegen Strauß, nicht unsere. Über die allgemeine Bedeutung hinaus, die darin liegt, daß in Puerto Rico festgestellt werden konnte, daß die in Rambouillet vereinbarte gemeinsame Linie gezielter Wachstums- und Stabilitätspolitik gleichzeitig Erfolg gehabt hat, verdienen drei konjunktur- und währungspolitische Schwerpunkte aus den Beratungen in Puerto Rico hervorgehoben zu werden. Erstens. Trotz unterschiedlichen Tempos in der Überwindung der Weltrezession konnte gemeinsam festgestellt werden, daß eine positive Tendenzwende in der Wirtschaftsentwicklung überall eingetreten ist. Bei aller dem unterschiedlichen Tempo in der Rezessionsbekämpfung entsprechenden unterschiedlichen Prioritätensetzung bei den kurzfristigen wirtschaftspolitischen Zielen ist in allen Staaten die Erkenntnis gewachsen, daß stabilitätspolitische Bemühungen auch bei den Zielen Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung unverzichtbar sind. Der Abgeordnete Strauß hat hier von schlechter Vorbereitung der Konferenz gesprochen. Aber gleichzeitig hat Herr Strauß dem Bundeskanzler recht gegeben in seinen Ansichten über die Rohstoffpolitik, ohne dabei allerdings darauf zu verzichten, hier die Bemerkung zu machen, das habe nur so am Rande der Konferenz stattgefunden. Der - wie er uns hier durch seine Zitate bewiesen hat - sehr sorgfältige Zeitungsleser Strauß hätte eigentlich zur Kenntnis nehmen müssen, daß genau dieses Thema, das Thema der künftigen Rohstoffsicherung und des Verhältnisses zwischen Industrienationen und Rohstoffproduzenten, das zentrale Thema des Bundeskanzlers auf der Konferenz in Puerto Rico war. Aber auch das ist eine Geschmacksfrage des Kollegen Strauß. Wir können zu den Ergebnissen der Konferenz hier noch einmal eindeutig feststellen - das muß zu wiederholten Malen geschehen -, daß sich der stabilitätspolitische Vorlauf der Bundesrepublik gelohnt hat und daß er sich auch für die internationale Zusammenarbeit ausgezahlt hat. Er ermuntert uns zu konsequenter Fortsetzung unserer erfolgreichen wirtschaftspolitischen Linie. Wir müssen zweitens feststellen: Die Bestätigung des Vorrangs multinationaler Maßnahmen bei eventuell notwendigen Währungshilfen, wie sie in Puerto Rico einmütig vorgenommen worden ist, verdient unsere uneingeschränkte Zustimmung. Die Chance, die Hilfen mit zweckentsprechenden Auflagen zu versehen, ist bei multilateralen Maßnahmen sehr viel größer als bei bilateralen Möglichkeiten, und gleichzeitig erhöhen sich die Chancen, das gesteckte Ziel auch zu erreichen. Der Abgeordnete Strauß hat unterstrichen, daß multinationale Vereinbarungen dazu sehr viel geeigneter sind, und er hat betont, daß Hilfen wirksam sein müssen. War es wirklich zuviel verlangt, dann wenigstens in diesem Punkt der Konferenz von Puerto Rico ihre Notwendigkeit und die Richtigkeit der dortigen Beratungen zu bestätigen? Meine Damen und Herren, drittens ist die allgemeine Anerkennung hervorzuheben, die der britische Sozialkonsens bei allen Partnern der Konferenz gefunden hat. Gemeinsam mit dem über Pfingsten vereinbarten multilateralen Stand-by-Kredit wird dies wesentlich zur Überwindung der ökonomischen Schwierigkeiten in Großbritannien beitragen. Aber eine Debatte über die Ergebnisse der Weltwirtschaftskonferenz hier im Deutschen Bundestag kann sich nicht auf die weltweiten Aspekte beschränken. ({2}) Die Rolle der Bundesrepublik in diesem weltwirtschaftlichen Konzert und die Rückwirkungen auf die eigenen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten müssen hier angesprochen werden. Und auch wenn es nicht immer und überall gern gehört wird, muß hier - und genau deshalb ist meine Adresse an Sie gerichtet - festgehalten werden: Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, die uns in die Lage versetzte, als einer der ersten Industriestaaten aus der Weltrezession herauszukommen - und das in überall, bis auf die Oppositionsbänke, anerkannter politischer und sozialer Stabilität -, hat nicht nur Respekt und Anerkennung gefunden, sie hat auch dazu geführt, daß die Bundesrepublik in internationalen Verhandlungen zunehmend an Gewicht gewonnen hat. Was durch die Friedens- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition seit 1969 vorbereitet wurde, hat auf diese Weise auch auf wirtschaftspolitischem Gebiet seine Abrundung erfahren. Nach sieben Jahren sozialliberaler Regierungsverantwortung ist die Bundesrepublik ein Staat geworden, dessen Stimme auf Grund der moralischen Qualität seiner realistischen, nicht länger an Wunschvorstellungen orientierten Außenpolitik, auf Grund seiner ebenso beispielhaften wie erfolgreichen Wirtschafts-und Finanzpolitik, aber auch auf Grund seiner wirtschaftlichen Stärke und Leistungskraft von niemandem überhört wird. Es ist kaum verwunderlich, daß diese Verbesserung unserer politischen Position nicht überall nur mit Wohlwollen verfolgt wird. Gläubigerländer haben sich selten der uneingeschränkten Zustimmung ihrer Schuldner versichern können. Doch das, was an uns lag - und darauf hat der Herr Bundeskanzler hier eindringlich hingewiesen -, um unsere Handelspartner an den wirtschaftlichen Erfolgen partizipieren zu lassen, haben wir getan. Es ist noch einmal hervorzuheben, daß die Bundesrepublik selbst im Rezessionsjahr 1975, in dem andere Volkswirtschaften wie Frankreich, Großbritannien und Italien ihre Importe um 10, 7 und 19 % verringern mußten, ihre Importe noch um real ein halbes Prozent steigern konnte. Ein halbes Prozent reale Steigerung in einem Rezessionsjahr, das war ein ganz wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Konjunktursituation bei unseren Handelspartnern. Von dieser Steigerung deutscher Importe profitierte beispielsweise Frankreich dadurch, daß die Importe von dort nach Deutschland von 20,9 Milliarden auf 22,1 Milharden DM gestiegen sind; bei Großbritannien gab es eine Steigerung von 6,2 auf 6,9 Milliarden DM und bei Italien sogar eine von 14,9 auf 17,2 Milliarden DM. Dieser positive Beitrag der Bundesrepublik zur Überwindung der weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten sollte eigentlich von einem Oppositionsredner wie Franz Josef Strauß zumindest bemerkt und nicht völlig negiert werden. Meine Damen und Herren, die Realität in der Bundesrepublik ist die der politischen und sozialen Stabilität. Niemand wird dem Bundeskanzler vorwerfen können, daß er diese Realität im Ausland nicht überzeugend darstelle, jene Realität, die die Bundesrepublik zu einer Art Modell für progressive und erfolgreiche Politik werden ließ. Und auch wenn Sie es, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht so gern hören, weil es nicht in ihr Konzept paßt: ({3}) Zu dieser Realität, verehrter Herr Kollege, noch ein paar Fakten, die gerade deshalb ausführlich dargestellt werden müssen, weil der Kollege Strauß auch heute und hier allen Prognosen der Konjunkturforschungsinstitute, der Deutschen Bundesbank, allen Sachverständigen zum Trotz den Aufschwung zwar nicht mehr völlig leugnen konnte, ihn aber doch noch einmal zu relativieren versucht und noch einmal versucht hat, die Ursachen völlig anders darzustellen, als sie in der Realität sind. ({4}) - Er tut ihm weh, und darum versucht er, solange es geht, ihn zu leugnen; aber dieser Aufschwung ist inzwischen so kräftig geworden, daß ihn selbst Herr Strauß nicht übersehen kann. Der Bundeskanzler hat schon auf das Kieler Institut für Weltwirtschaft, ein sehr renommiertes Institut, das von Professor Giersch geleitet wird, hingewiesen, das die Antriebskräfte des sich gegenwärtig entfaltenden Aufschwungs mindestens ebenso, wenn nicht noch stärker einschätzt als die des Aufschwungs von 1967 und 1968. Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß alle Konjunkturdaten inzwischen eindeutig auf Grün zeigen. Das Ifo-Institut, in München beheimatet - deshalb sollte Herr Strauß doch wenigstens diese Ergebnisse zur Kenntnis nehmen -, schätzt den Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen für das erste Halbjahr 1976 auf 12 bis 14 0/0; ein Anstieg, der sich nur sehr schwer mit den von Herrn Strauß ausgebreiteten Fakten über die von ihm hochmanipulierte Investitionslücke in Übereinstimmung bringen läßt. Tatsache ist - das verdient für die Solidität des Wirtschaftsaufschwungs besonders hervorgehoben zu werden -, daß die Antriebskräfte des gegenwärtigen Konjunkturaufschwungs vorwiegend vom Binnenmarkt getragen werden; von dem, der daran zweifelt, im letzten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank nachzulesen, die vielleicht auch für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, eine objektive Quelle für Wirtschaftsaussagen ist. Diese Tatsache steht allerdings in völligem Widerspruch sowohl zu dem, was Herr Müller-Hermann noch vor kurzem an Relativierung des Aufschwungs verbreitet hat, als auch zu dem, was Herr Strauß hier sagen wollte. Aber, meine Damen und Herren, Sozialdemokraten übersehen auch nicht, daß das heute sichtbare Plateau der nächsten Hochkonjunktur zwar eine Vielzahl der heute erkennbaren Probleme leichter lösbar machen wird und daß die Schwierigkeiten zu überwinden sind. Diese Hochkonjunktur bietet uns die Chance, binnen- und außenwirtschaftlich längst fällige Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen in der Bundesrepublik zu überwinden. Die nach der Ölpreiskrise und vor allem nach der Ablösung des Systems fester und falscher Wechselkurse, das wir bis 1973 hatten, sichtbar gewordenen Strukturschwächen dürfen nicht unter der neuen Konjunkturwelle übersehen werden. Es gilt, die Möglichkeiten einer verbesserten Konjunkturlage gezielt zu notwendigen Strukturveränderungen zu nutzen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat am Wochenende in Bremen zu den vielfältigen strukturpolitischen Aufgaben Antworten gegeben, Antworten, die im Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen der Bundesrepublik erarbeitet worden sind. Diese Fachkonferenz war von den Beteiligten her keine sozialdemokratische Konferenz, sondern auf ihr waren Gewerkschaften, Unternehmer, Wissenschaftler und Angehörige von Konjunkturforschungsinstituten vertreten. Auf dieser Konferenz sind Antworten gegeben und Lösungen in Aussicht gestellt worden, die mittel- und längerfristig realisierbar sind. Wo aber sind die Antworten der CDU/CSU im Hinblick auf Lösungen der Probleme der Zukunft in der Bundesrepublik? Es hätte Herrn Strauß gut angestanden, auf diese Fachkonferenz unter dem Thema „Modernisierung der Wirtschaft - sichere Arbeitsplätze" - einzugehen und sich nicht mit alten Ladenhütern zu befassen. Leider hat er das nicht getan. Ich glaube auch nicht, daß wir die Antworten der CDU/CSU in jener Presseerklärung des Leiters ihres Arbeitskreises „Wirtschaftspolitik" vom 25. Juni 1976, des Kollegen Müller-Hermann, finden werden, in dem versucht wird, den inzwischen von niemandem mehr bezweifelten Konjunkturaufschwung zu relativieren, und in dem es vor allen Dingen - diese merkwürdige Volte will ich diesem Haus doch nicht vorenthalten - anschließend heißt - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Dabei kommt die Stunde der Wahrheit erst im sicheren Aufschwung. Alle jene Probleme, die durch die Rezession lediglich unter den Teppich gekehrt wurden, werden sich dann zusätzlich wieder voll entfalten. Warten wir ab, ob die Beurteilung der Probleme durch den Bundeskanzler in Puerto Rico anders ausfallen wird als vor dem Wahlparteitag der SPD in Dortmund. Herr Müller-Hermann und die gesamte Fraktion der CDU/CSU müssen hier bitter enttäuscht werden. Die Antworten sind nicht anders ausgefallen. Die Antworten, die die Sozialdemokratische Partei zu geben hat, sind vor und nach Puerto Rico unverändert realistisch. Herr Strauß ist hier aber mit einer Vielzahl von Zitaten aufgetreten und hat mit einer Vielzahl von Zitaten versucht, das Ergebnis dieser Weltwirtschaftskonferenz zu negieren und so zu tun, als wäre es gar nicht da. ({5}) - Ja, das war ein sehr bemerkenswerter Satz, den der Herr Kollege Strauß hier gegenüber unseren wichtigsten Bündnispartnern gebraucht hat, ein sehr bemerkenswerter Satz, der entscheidend dazu beitragen wird, das bayerische Ansehen - das deutsche Ansehen kann davon nicht berührt werden - im Ausland zu heben. ({6}) Es ist aber wohl notwendig, auf die anschließenden Ausführungen des Kollegen Strauß hier etwas ausführlicher einzugehen. Er hat unter anderem gesagt, es hätte nie einen Abschwung in der Wirtschaft gegeben, wenn man die Vorschläge der Opposition befolgt hätte. Man muß nun versuchen, sich diese Vorschläge zusammenzusuchen, wenn der Abgeordnete Strauß hier behauptet, es hätte nie einen Abschwung gegeben, wenn man seine Vorschläge befolgt hätte. So leid es mir tut, ich muß hier auf jene Rede - denn nur dort finden sich Vorschläge bzw. Nichtvorschläge - vom 18. und 19. November 1974 zurückgreifen, die der Abgeordnete Strauß in einem inzwischen leider dadurch berühmt gewordenen Ort gehalten hat. Herr Strauß hat damals u. a. gesagt - ich zitiere -: Ich habe das unter anderem damit begründet, daß es jetzt keinen Sinn hat, von uns aus irgendein konjunkturpolitisches Rezept zu erarbeiten und zu empfehlen. Erstens ist der Patient in einem Zustand, wo er unter zwei großen Beschwerden leidet, nämlich Zerrüttung der Staatsfinanzen und Inflation mit steigender Arbeitslosigkeit. Das heißt, es gibt kein Rezept, das der Bekämpfung beider Krankheiten dient. Man kann immer nur einer Krankheit zu Leibe rücken, und jedes Rezept, das der einen Krankheit zu Leibe rückt, vermehrt das Übel auf der anderen Seite, so daß man also hier auch eines Tages zu einem dosierten Einsatz von Mitteln über längere Zeit hinweg kommen muß. Herr Strauß hat damals an die Adresse der Bundesregierung gesagt: Sie haben fünf Jahre alles getan, um eine im Kern gesunde Wirtschaft systematisch, aber absolut sicher zu ruinieren, und damit den Boden für eine moderne Zukunftsgesellschaft verdorben. Ich möchte den Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion sehr empfehlen, dies noch einmal nachzulesen und die damaligen Aussagen des Kollegen Strauß mit der gegenwärtigen Wirklichkeit in der Bundesrepublik ({7}) und mit dem zu konfrontieren, was in Puerto Rico gesagt worden ist. ({8}) Genau dieser Punkt, nämlich daß der Kollege Strauß die gleichzeitige Bekämpfung von Inflationsraten und Arbeitslosigkeit für nicht möglich hält, was lange Zeit eine zwar irrtümliche, aber in der Welt weit verbreitete Ansicht war, hat die Weltwirtschaftskonferenz von Puerto Rico zu einem Erfolg werden lassen. Es ist endlich weltweit anerkannt worden, daß man nicht nur das eine oder das andere tun kann, sondern daß man gleichzeitig und gezielt Stabilitäts- und Wachstumspolitik betreiben muß und daß man nur mit gleichzeitig auf beide Ziele gerichteter Politik jene Erfolge haben kann, die die Bundesrepublik, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Japan und andere jetzt in der Überwindung der Rezession aufzuweisen haben. Das Rezept des Kollegen Strauß, daß man nämlich beides gemeinsam nicht tun könne, hätte uns wohl sehr viel tiefer in die Rezession hineingeführt. Aber wenn man die damaligen Intentionen des Kollegen Strauß noch richtig in Erinnerung hat, weiß man, daß es ja wohl auch seine Absicht war, die Bundesrepublik tiefer absinken zu lassen. Nur, niemand in diesem Lande ist dem Abgeordneten Strauß und der CDU/CSU-Fraktion bei diesen Intentionen gefolgt. ({9}) Herr Strauß hat hier wiederholt erklärt, daß er nur sage, was er auch objektiv für richtig halte. Er hat sich dabei u. a. auch auf den Parteitag in Dortmund bezogen und versucht, aus einer Aussage auf dem Dortmunder Parteitag, in der sehr gezielt und konkret und mit voller Absicht die Modernisierung der Volkswirtschaft, die wir nötig haben, in den Mittelpunkt der Schwerpunktaussagen des Regierungsprogramms 1976-1980 gestellt worden war, unter Hinzufügung einiger Worte und unter Weglassung des davor- und dahinterstehenden Zusammenhangs wiederum einen alten Ladenhüter aufzubauen. Damit das nicht in dieser leicht verschleierten Version stehenbleibt, möchte ich diesem Hause jenen Passus aus dem Regierungsprogramm 1976-1980, den Herr Strauß unvollständig und unter Weglassung einiger Ausdrücke zitiert hat, vorlesen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Es heißt unter der Überschrift „Modernisierung der Volkswirtschaft" im Regierungsprogramm 1976 bis 1980: Es ist daher eine vordringliche Aufgabe sozialdemokratischer Politik, durch Verbesserung von Organisation, Verfahren und Koordination die Planungsfähigkeit des Staates systematisch zu erhöhen. Die wichtigste Voraussetzung hierzu ist ein systematischer Ausbau des Instrumentariums der wirtschaftlichen Diagnose und Prognose. Dazu gehören bessere statistische Informationen, bessere Methoden zur Analyse des wirtschaftlichen Strukturwandels, Beratung der Unternehmen, der Gewerkschaften und der Politik auch in Strukturfragen durch die Wissenschaft. Dazu gehört der Mut, sich an einer Vorausschau der Branchenentwicklung zu beteiligen. Hierzu ist die Einführung einer Informationspflicht über geplante gewerbliche und öffentliche Investitionen von einer bestimmten Größenordnung an zu befürworten, die es uns besser als bisher möglich macht, im Rahmen einer zielorientierten Wirtschaftspolitik öffentliche Daten für die einzelwirtschaftlichen Entscheidungen zu setzen. Allerdings ist es auch notwendig, daß sich Unternehmensverbände und Gewerkschaften mehr als bisher um die Strukturfragen der Wirtschaft bemühen. Wir wissen inzwischen - auch der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen -, daß die Versuche zur Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Gruppen, die in der Bundesrepublik zu dieser politischen und sozialen Stabilität, der wir uns rühmen können, geführt haben, auf der europäischen Ebene wiederholt werden. Darauf wird noch einzugehen sein. Es hätte aber auch dem Kollegen Strauß gut angestanden, darauf einzugehen und hier nicht unter der Behauptung, nur objektiv die Wahrheit zu sagen, genau das Gegenteil zu tun, wie auch seine Zahlen über die von ihm hochstilisierte Investitionslücke von, wie er gerechnet hat, 170 Milliarden DM einer Überprüfung nicht standhalten und einer ernsthaften Korrektur bedürfen. Meine Damen und Herren, es gibt gerade zu dem Thema der lange genährten Legende von der Überalterung und der Vergreisung der Produktionsstruktur in der Bundesrepublik, die ja eng mit der von Herrn Strauß apostrophierten Investitionslücke zusammenhängt, eine ganz neue Untersuchung des Statistischen Bundesamtes, die hier festgehalten zu werden verdient. Ich erwähne nur die wesentlichen Feststellungen aus dieser umfassenden Arbeit: Es geht daraus hervor, daß der Anlagenbestand der deutschen Wirtschaft keineswegs so überaltert ist, wie uns das eine von Vorurteilen genährte öffentliche Meinung - und wer die genährt hat, hat sich heute wieder erwiesen - in den letzten Jahren einreden wollte. Das gilt vor allem für die Ausrüstungsinvestitionen. Das Erneuerungstempo der Ausrüstungen ist wiederum entscheidend für die Produktivitätsentwicklung. Es ergeben sich aus dieser Berechnung des Statistischen Bundesamtes folgende Feststellungen: Das Ausrüstungsvermögen betrug 1975 rund 60 % des gesamten Anlagevermögens, dessen Bestand übrigens zu gut 90 % aus dem Zeitraum ab 1950 stammt. Fast die Hälfte, exakt 47 % der Ausrüstungen, wurde in den Jahren 1970 bis 1974 investiert. Während Anfang 1960 der Anteil der fünf jüngsten Investitionsjahrgänge am gesamten Ausrüstungsvermögen der gewerblichen Wirtschaft 45 % betrug und Anfang 1970 auf Grund der Nachwirkungen der damaligen Rezession von 1966/67 auf 44 % zurückging, erreichte er Anfang 1975 47 %. Meine Damen und Herren, 47 % Anteil an den fünf jüngsten Investitionsjahrgängen, 2 Prozentpunkte mehr als 1960, das gibt ja wohl keinen Anlaß, von Vergreisung der Produktionsstruktur zu sprechen, sondern genau das Gegenteil ist zutreffend - auch wenn Sie den Kopf schütteln, Herr Kollege Narjes , die Produktionsstruktur der Bundesrepublik hat sich verjüngt und ist nicht überaltert. Da sollte man zumindest das Statistische Bundesamt in seinen Berechnungen ernst nehmen. Niemand wird unterstellen, daß diese Angaben zugunsten der Sozialdemokraten verfälscht worden sind.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Bitte.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehrenberg, nur zur Versachlichung: Werden Sie den Zahlen und Berechnungen widersprechen, die das Deutsche Institut in Berlin zu diesem Thema veröffentlicht hat?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Deutsche Institut in Berlin hat andere Berechnungszeiträume, hat aber im übrigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes - diese Untersuchung ist neuer - nicht widerlegt.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehrenberg, darf ich eine Zusatzfrage stellen? - Sind Sie mit mir darüber einig, daß es eine Frage ist, ob wir die Statistik auf die Industrie verengen oder die gesamtwirtschaftliche Ausrüstung nehmen?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist natürlich eine Frage. Aber wenn ich über die Überalterung oder Nichtüberalterung der Industrie rede, dann muß ich diesen Sektor und keinen anderen nehmen, wie auch entscheidend für die Produktivität die Ausrüstungsinvestitionen sind und nicht die Bauten, Herr Kollege Narjes. ({0}) Darüber sollten wir uns also nicht streiten. Gerade bei den Ausrüstungen kommt das von mir hier genannte positive Ergebnis zum Vorschein. Wenn Sie die Bauten hineinziehen, wird es etwas weniger günstig. Aber ob ein Bau mehr oder weniger veraltet ist, sagt nichts über die Leistungsfähigkeit der dort installierten Anlagen. ({1}) - Das mit Sicherheit, Herr Kollege Reuschenbach. Die zweite Feststellung, die hier notwendig ist, wenn immer wieder das Erlahmen der Produktivkraft in der deutschen Wirtschaft befürchtet wird: Schon im August 1975 hat der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten festgestellt, daß über dem konjunkturbedingten Einbruch der Auslandsnachfrage nicht vergessen werden darf, wie erfolgreich das deutsche Produktionsprogramm sich in den vergangenen Jahren international bewährt hat und daß dieser Erfolg auch die Zukunftserwartungen der deutschen Wirtschaft bestimmen sollte. Diese Zukunftserwartungen der deutschen Wirtschaft, die Herr Strauß immer noch - ich kann es nur so ausdrücken - mies darstellt, wie er es hier gemacht hat, finden inzwischen Monat für Monat in der Verbesserung der Auftragseingänge ihre positive Bestätigung. Es zeigt sich, daß der Sachverständigenrat mit seiner Einschätzung der Situation schon im August 1975 sehr richtig gelegen hat. Es ist auch notwendig, in dieser Auseinandersetzung im Anschluß an das, was der Kollege Strauß gesagt hat, einige Anmerkungen zum Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik zu machen. Es hat hier in den letzten Monaten sehr viele Äußerungen über strukturelle Arbeitslosigkeit gegeben, die auf wenig empirischem Material beruhten, die sehr spekulativ waren und die sicher nicht dazu beigetragen haben, das Konjunkturklima zu verbessern. Es wird sich in sehr kurzer Zeit herausstellen, daß ein großer Teil dessen, was wir monatelang strukturelle Arbeitslosigkeit genannt haben, konjunkturelle Ursachen gehabt hat und mit besserer Konjunktur überwindbar ist. Gerade vor wenigen Tagen hat das Institut der Deutschen Wirtschaft - ich glaube, Herr Narjes, darüber werden wir uns einigen können -, ein ernst zu nehmendes, wenn auch einseitig aus der Unternehmersicht orientiertes Institut, festgestellt, daß die Arbeitsmarktprobleme sich vor allem mit erfolgreicher Konjunkturpolitik lösen lassen und daß bei einer Fortsetzung des jetzt erkennbaren Wachstumstrends wahrscheinlich schon bis 1980 die Gefahr einer Facharbeiterlücke sehr viel größer ist als ein Sockel struktureller Arbeitslosigkeit. Daß die Chancen für die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung gut stehen, zeigt meines Erachtens auch die Entwicklung unserer Exporte im ersten Quartal 1976 mit einem Anstieg um 14,6 % gegenüber dem Vorjahr auf die bisher in einem einzigen Quartal nie erreichte Rekordhöhe von rund 60 Milliarden DM. Dieser Exportanstieg wird vor allem von der Nachfrage aus Industrieländern getragen, während der Export in die Entwicklungsländer wegen der Devisenschwierigkeiten und der Verwerfungen der Weltmärkte leider zurückgegangen ist. Die Konferenz von Puerto Rico gibt Anlaß zu der optimistischen Erwartung, daß sich dieser Exportanstieg in der nächsten Zeit fortsetzen wird; denn der Aufschwung in einer Reihe unserer Handelspartner ist stärker als bisher angenommen. Das hat die eingehende Analyse dort ergeben. Die Entwicklung dieser Exportchancen zeigt aber auch, daß unser Export in Zukunft ganz überwiegend bei den hochwertigen Gütern, bei höheren Technologiestufen liegen wird, daß die strukturellen Probleme auch in der Exportwirtschaft in Zukunft unsere besondere Aufmerksamkeit erfordern. Aus einer ebenfalls vor wenigen Wochen veröffentlichten Untersuchung des Erlanger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über die Struktur der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik verdienen zwei Feststellungen hervorgehoben zu werden. Ich hatte gehofft, daß der Abstand von München bis Erlangen nicht so groß ist, daß Herr Strauß, bevor er hier seine Ausführungen über den Arbeitsmarkt gemacht hat, diese Untersuchung zur Kenntnis genommen hätte. Lassen Sie mich zwei Feststellungen daraus hervorheben. Erstens. Das Ausmaß struktureller Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ist gegenwärtig eher niedriger zu veranschlagen, als es zum Beispiel in der vorangegangenen Rezession um 1967 der Fall war. Gemessen an der Verteilung auf Regionen und Berufe ist die Arbeitslosigkeit gegenwärtig entschieden ausgewogener als z. B. 1967. Die Chancen für eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung bei hinreichender Nachfrage sind also eher größer als damals. Zweitens. Das jährliche Tempo des sektoralen Strukturwandels der Beschäftigung war in den 60er Jahren im Durchschnitt niedriger als in den 50er Jahren und lag im Zeitraum 1970 bis 1975 trotz der Beschleunigung in der Rezession 1974/75 unter dem Durchschnitt der 60er Jahre. Beide Feststellungen widersprechen sowohl dem Tenor in der öffentlichen Diskussion um das Problem struktureller Arbeitslosigkeit als auch, und zwar sehr deutlich, den permanenten Erklärungen der CDU/CSU und auch dem, was heute in diesem Hause von der CDU/CSU-Fraktion gesagt worden ist. Auch das so brisante und von uns sehr ernst genommene Thema der Jugendarbeitslosigkeit wird durch die gegenwärtige Entwicklung relativiert, nicht im Sinne der Dringlichkeit dieses Problems, wohl aber in seinen Dimensionen. Es zeigt sich, daß hier Lösungen möglich sind. Die Bundesanstalt für Arbeit hat mit Recht von einer überdurchschnittlichen Abnahme der Zahl arbeitsuchender Jugendlicher im Mai gesprochen: 3,6% bei einem Bundesdurchschnitt von 4,2 %. Auch diese 3,6 % sind viel zuviel. Sozialdemokraten werden in ihren Bemühungen nicht nachlassen, diese Jugendarbeitslosigkeit Schritt für Schritt zu beseitigen und auf dieses Ziel alle Anstrengungen der Wirtschafts- und Bildungspolitik zu richten. ({2}) Aber mit der ewigen Wiederholung von Schlagworten und dem Nein bei konkreten Maßnahmen, wie es in diesem Hause durch die CDU/CSU-Fraktion bei der Berufsausbildung geschehen ist, ist den Problemen der Jugendarbeitslosigkeit nicht beizukommen. Zu der Notwendigkeit differenzierender Betrachtung auch hier noch ein weiterer Hinweis. Zahlreichen, einen Ausbildungsplatz suchenden jungen Menschen stehen heute beispielsweise im Baugewerbe 30 000 nicht besetzte Ausbildungsplätze gegenüber, obwohl Bauunternehmen für die Zukunft dringend Facharbeiter suchen. Und auch in den Personal- und Ausbildungsabteilungen des Bergbaus und einer Reihe anderer Industriezweige wird heute schon mit großer Sorge darüber nachgedacht, wie sich der Facharbeiterbedarf dieser Branchen für die Zukunft - bei gleichzeitiger Übernachfrage nach Ausbildungsplätzen in anderen Branchen - wird befriedigen lassen. Ich riskiere die Voraussage einer zu befürchtenden Facharbeiterlücke für die 80er Jahre, wenn wir jetzt nicht durch die Bereitstellung entsprechender Ausbildungsplätze sehr schnell und sehr intensiv gegensteuern. Deshalb ist es absolut unverantwortlich, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit allen Mitteln versuchen, die von der Bundesregierung und der Parlamentsmehrheit angestrebte Reform der beruflichen Bildung zu verhindern. Das ist Ihr nichtpositiver Beitrag zur Lösung dieses Problems. ({3}) Herr Kollege Narjes, der Zwischenruf zeigt nur, daß Sie entweder demagogisch bleiben wollen oder das Problem nicht erkannt haben. ({4}) Auch die deutsche Industrie, die bisher auf Grund der demographischen Entwicklung für die nächsten Jahre sehr schwierige Arbeitsmarktprobleme voraussagte, hat inzwischen, wie die schon zitierte Studie beweist, ihre Meinung revidiert. Sie erwartet von einem kräftigen Wirtschaftswachstum, das in Gang gekommen ist, die Lösung eines Teils der Probleme. Und das Institut der Deutschen Wirtschaft setzt hier eine einzige Vorbedingung; es meint nämlich, daß wir nicht nochmals wie während des Aufschwungs 1969 bis 1971 einen kräftigen Schub von Gastarbeitern verkraften könnten. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang mit dem Anwerbestopp die Weichen für die Zukunft bereits richtig gestellt, und wir werden bei dieser wohlüberlegten Politik bleiben. Für unsere so stark exportorientierte Volkswirtschaft brachte die Konferenz von Puerto Rico neben vielem anderen die Bestätigung, daß das öffentliche Bewußtsein für die Notwendigkeit und Nützlichkeit eines freien Welthandels zunimmt. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat diese Notwendigkeit im Verlauf der Konferenz eindringlich dargestellt. Das Echo darauf ist nicht ausgeblieben. Für uns, für eine Nation mit mehr als einem Viertel ihres Sozialprodukts in Abhängigkeit von den Bewegungen auf den Märkten der Welt ist der freie Handel eine unverzichtbare Bedingung auf dem Weg zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung. Die Konferenz von Puerto Rico ist eine wichtige Station auf diesem Weg. Sie wird allen hier vorgebrachten Versuchen zur Diskriminierung dieser Konferenz zum Trotz auch in rückblickender Betrachtung als eine wichtige Station auf diesem Weg zu gelten haben. Es bleibt ein Sonderproblem anzusprechen: das Problem der Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft an den für die internationale Koordination der Wirtschaftspolitik notwendigen Gipfelgesprächen. Leider - und dieses „Leider" muß betont werden - hat es vor der Konferenz reichlich Verstimmungen gegeben. Einige Spannungen werden nur allmählich abgebaut werden können. Die in Puerto Rico beteiligten Staaten der Europäischen Gemeinschaft müssen sich einzeln und gemeinsam kräftig bemühen, dazu beizutragen, diese Spannungen abzubauen. Die Bundesrepublik wird - dessen bin ich sicher - ihren Teil dazu leisten. Aber sie kann es nicht allein. Sie kann es schon deshalb nicht allein, weil die Spannweite der Mißverständnisse und Vorbehalte sehr weit reicht - angedeutet durch den französischen Standpunkt einerseits und den niederländischen Standpunkt andererseits. Wir sind sicher: Die Bundesrepublik wird alles ihr Mögliche tun, um zum Ausgleich und zu einer künftig befriedigenden Lösung beizutragen. Aber es hilft diesem Bemühen um Ausgleich nicht, wenn der Kollege Strauß hier vor einem Rückfall in die Kabinettspolitik des 19. Jahrhunderts warnt und sich zu ähnlichen, unsere größten Handelspartner in Europa diffamierenden Bemerkungen hinreißen läßt. ({5}) Lassen Sie mich abschließend auf einen sehr positiven Aspekt in Europa eingehen, einen Aspekt, den auch der Bundeskanzler schon in begrüßenswerter Deutlichkeit angesprochen hat, der aber leider in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik viel zuwenig Beachtung findet. Am 24. Juni 1976 trafen sich in Luxemburg die Vertreter der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberorganisationen mit den Mitgliedern des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, um eine eingehende Aussprache über das Problem der Beschäftigung und der Stabilität in der Gemeinschaft in Anknüpfung an die Brüsseler Gespräche vom 14. November 1975 über die wirtschaftliche und soziale Lage in der Gemeinschaft zu führen. Die Ergebnisse dieser im Herbst 1975 von dem deutschen Vizepräsidenten der Kommission, Wilhelm Haferkamp, initiierten Dreier-Konferenz sind durchaus anzuerkennen. In dem gemeinsamen Kommuniqué heißt es unter anderem - ich darf zitieren : Alle Teilnehmer betonen die Notwendigkeit einer raschen und gleichzeitigen Wiederherstellung der Vollbeschäftigung und optimalen Beschäftigung sowie der Stabilität in der Gemeinschaft. Sie stellten fest, daß zwischen diesen beiden Zielen eine enge Verbindung entsteht. Sie stellten ferner fest, daß keines dieser Probleme künftig unabhängig vom anderen gelöst werden kann.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Kollege Ehrenberg, Sie haben mit Recht die Gespräche der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Luxemburg gelobt. Hätten Sie es nicht für noch schöner gehalten, wenn außer diesen beiden Gruppen die nicht unbedeutende Gruppe der europäischen Verbraucher vertreten gewesen wäre?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Burgbacher, das wäre sicher begrüßenswert. Wenn die europäischen Verbraucher eine entsprechende Organisationskraft vorzuweisen hätten, würde da bin ich ganz sicher - das dieses Treffen organisierende Kommissionsmitglied Wilhelm Haferkamp diese Anregung sehr schnell aufnehmen. Voraussetzung ist, daß es möglich ist ich wage allerdings zu bezweifeln, ob es möglich ist - , eine repräsentative Verbraucherorganisation in allen europäischen Staaten aufzuspüren. ({0}) - Ich bitte um Vergebung: Ich habe das akustisch nicht verstehen können, Herr Kollege! ({1}) Meine Damen und Herren, ich meine, diese gemeinsam formulierte Übereinstimmung in den wirtschaftspolitischen Zielen der Dreier-Konferenz in Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist das Ergebnis eines sehr langwierigen Prozesses zu einem sozialen Konsens in Europa. Leider muß ich hier nochmals - allerdings zum letzten Male - auf Herrn Strauß zurückkommen, Das, was er hier zur Mitbestimmung in Europa gesagt hat und was er überhaupt an Vokabeln wie Bevormundung, autoritäre Monarchie, Kreise der Mächtigen und Ähnlichem von sich gegeben hat, war kein positiver Beitrag zu diesem notwendigen und begrüßenswerten sozialen Konsens in Europa. Das war - wie so oft - der Versuch, Sand in das Getriebe einer positiven Entwicklung zu streuen. Ich meine, wir sollten hier ausdrücklich zur Kenntnis nehmen und anerkennen, daß es in den gemeinsamen Schlußfolgerungen der Dreier-Konferenz abschließend heißt: Die Regierungen werden einen wesentlichen Beitrag zur Wiederherstellung der Preisstabilität leisten durch die mittelfristige Herabsetzung der Haushaltsdefizite, eine Geldpolitik, die den Wachstumsaussichten des Sozialprodukts entspricht, eine aktive Wettbewerbspolitik und eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Meine Damen und Herren, diese Aussage schlägt die Brücke zur Konferenz von Puerto Rico und zur Situation in der Bundesrepublik. Hier in der Bundesrepublik, hier ist bereits seit Jahren so gehandelt worden, wie es dort in den Zielen jetzt dargestellt wird. Die Bürger in der Bundesrepublik wissen, daß hier so gehandelt worden ist. Sie werden dieses Wissen auch nicht über die inzwischen ja schon zur Lächerlichkeit anheimgefallene Parole „Freiheit oder Sozialismus” vergessen. Die Bürger der Bundesrepublik wissen, daß die kommende Hochkonjunktur mit ihren Chancen und Risiken von denen gemeistert werden muß, deren konsequente Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik diesen Aufschwung erst herbeigeführt hat. Um eine weitere Parole von Ihren vielen aufzunehmen: Die Bürger der Bundesrepublik wissen, daß man „Aus Liebe zu Deutschland" dieses Land nicht der CDU überlassen kann. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Strauß, ich frage mich zunächst, ob wir eigentlich von Ihnen die Erlaubnis haben, hier überhaupt noch zu sprechen, da wir am Wochenende aus München über alle deutschen Fernsehsender hören mußten, wir sollten doch besser das Maul halten. Nun, meine Damen und Herren, wir werden uns das Maul nicht verbieten lassen. Wir werden das sagen, was zu den Problemen, auch zu den heute erörterten Problemen, zu sagen ist, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob uns das von Ihnen, Herr Strauß, genehmigt wird oder nicht. ({0}) Wir haben vor einigen Tagen in der Presse gelesen, daß Ihre Versammlungen, vor allem diejenigen, die Sie in Norddeutschland durchführen - Herr Narjes wird dazu wahrscheinlich eine eigene Beurteilung liefern können -, einen relativ hohen Freizeitwert hätten. Ich kann nicht behaupten, daß das, was Sie heute hier gesagt haben, einen sehr hohen Freizeitwert besessen hat. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre gute Kondition in den Schlammringkämp18208 fen zwischen München und Bonn der letzten Tage eingebüßt haben. ({1}) Im übrigen aber, Herr Kollege Strauß: Ich hatte ja schon in der Debatte zum Bundeshaushalt versucht, Ihnen das Zitieren ausländischer und inländischer Zeitungsstimmen zu verleiden, indem ich einiges ausgegraben habe, was da so über Sie geschrieben worden ist. Aber es hat; wie ich gesehen habe, nichts geholfen. Die Presseschau ist heute fortgesetzt worden. Ich muß mich also belehren lassen. Ich tue das am besten durch das heutige Kalenderblatt der Deutschen Pfandbriefanstalt, durch das Kalenderblatt vom 30. Juni mit der Überschrift: „Niemand kann einem alten Hund einen neuen Trick beibringen." ({2}) Ich will lieber, Herr Kollege Strauß, Sie höchstpersönlich zitieren und ein wenig von dem anführen, was Sie uns in den letzten Wochen zwischen den Debatten sonst sind Sie ja nicht hier - in der Öffentlichkeit geboten haben. Da greift man am besten auf das zurück, wofür Sie die Urheberschaft sicherlich bestätigen werden, so z. B. auf Ihr Interview in der „Zeit". Nur zwei Bemerkungen! Die erste Bemerkung, die man dort nachlesen kann, allgemein mit Schütteln des Kopfes, wie ich annehme: Franz Josef Strauß: Ich muß hier gleich eine Legende zerstören, nämlich, daß ich bisher die Aufstellung eines Schattenkabinetts verhindert hätte. Dieses Thema ist bisher weder von der Führung der CDU noch der CSU angeschnitten worden. ({3}) Wer soll das eigentlich glauben, meine Damen und Herren, nachdem wir die Deutschlandfunk-Erklärung des Herrn Kohl, in der Zeit vom Februar bis Ende Mai wolle er die Regierungsmannschaft bekanntgeben, alle kennen? ({4}) Darüber ist in Puerto Rico nicht geredet worden, weil dort internationale Politik gemacht wurde. Das wird aber auch nicht in München geregelt werden; darauf können Sie sich verlassen. ({5}) Herrn Strauß' zweite Behauptung lautete, wir hätten bei der Entwicklung der öffentlichen Finanzen 21 Milliarden DM im Jahr für Sparförderung ausgegeben. Woher haben Sie eigentlich diese abenteuerliche Summe, Herr Kollege Strauß? Die Sparförderungsaufwendungen lagen ein bißchen über einem Drittel dieses Betrages in den letzten Jahren, und wer sich für die Abschaffung der Sparförderung einsetzt, der sollte wenigstens richtige Zahlen bringen. ({6}) Wir haben heute morgen - und das ist der dritte Punkt dessen, was Sie, Herr Strauß, uns in den letzten Tagen geboten haben - von Ihnen gehört, Sie seien in Ihrer Partei schon immer ein Liberaler gewesen. ({7}) Man müßte sich einmal bei Herrn Heubl danach erkundigen, was der Liberale im Abmarsch ({8}) so in den letzten Monaten geboten hat. Ich kann nur sagen: Das, Herr Strauß, was Sie in dieser Auseinandersetzung geleistet haben, erinnert mehr an den Chef einer stalinistischen Kaderpartei als an einen Liberalen. ({9}) - Ich bin nominiert und ziehe daraus den Schluß, daß ich die Auseinandersetzung mit solchen politischen Methoden in aller Schärfe insbesondere dann führen werde, wenn so jemand für sich in Anspruch nimmt, Wahrer der Freiheit in diesem Lande zu sein und gar die Arroganz besitzt, sich als Liberalen zu bezeichnen. ({10}) Meine Damen und Herren, wenn so etwas möglich ist, wenn ein solcher Umgang innerhalb der eigenen Partei zum politischen Brauch und zu den politischen Spielregeln in der Bundesrepublik gehören sollte - was glücklicherweise nicht überall der Fall ist -, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß die von Ihnen schon 1972 kritisierten angeblich ungebetenen Hilfstruppen auch dieses Mal schon wieder auf den Plan treten. Was ich in den letzten Tagen auf meinen Schreibtisch bekommen habe von Leuten, bei denen ich nicht die CDU/CSU mit den Verfassern identifiziere, spottet jeder Beschreibung und erinnert aufs schönste an das, was wir im Schmutzkampf des Jahres 1972 erlebt haben. Ich gebe nur drei Stellen wieder. Da werden der Bundesminister Bahr als ein Gaukler von Rang, die Ostverträge als Verträge des Verrats und der Unterwerfung bezeichnet; da wird Herrn Wehner unterstellt: Läuft alles nach Plan, dann wird es gelingen, euch unter Hammer und Sichel zu bringen. Und da wird geschrieben: Deutsche in Afrika werden uns nicht betrüben; die haben wir schon lange abgeschrieben. - Und das wird dem Bundesaußenminister zugeschrieben. ({11}) Und in der Schrift, die schon etwas älter ist, aber jetzt versandt wird, werden unsere jüdischen Mitbürger aus der Nazizeit als „schlaue Ratten" bezeichnet. Man kann solchen Schmutz überhaupt nicht anfassen, aber ich sage Ihnen, ohne daß ich Sie mit der Urheberschaft dessen identifiziere, daß Sie den Geist und die Atmosphäre schaffen, in der so etwas gedeihen kann und in der sich Menschen erfrechen können, so etwas loszuschicken. ({12}) - Wenn Sie „glatte Verleumdung" sagen, dann will ich an folgendes erinnern: Ich habe von dieser Stelle aus dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU gesagt, daß einer Ihrer Kollegen in meinem Wahlkreis geschrieben habe, diese Regierung sei keine Regierung, sondern ein Regime. Und ich habe aus der Zwischenfrage von Herrn Professor Carstens, ob er das etwa geschrieben habe, geschlossen, daß er sich diese Formulierung nicht zu eigen macht. Was hat er getan? Er hat inzwischen einen Brief geschrieben, der in der „Kölnischen Rundschau" veröffentlicht worden ist und in dem es heißt: „Wenn man daraus eine Distanzierung macht, so ist dies eine Fehlinterpretation." ({13}) Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Geist weiter betreiben, werden Sie noch mehr solcher Schriften produzieren und die geistige Urheberschaft und Verantwortung dafür nicht zurückweisen können. ({14}) - Ich werde jetzt über Puerto Rico reden. Puerto Rico ist in der Tat ja nicht nur ein aktueller Anlaß, um sich mit dem Ergebnis dieser Konferenz zu beschäftigen - dies wird geschehen -, sondern es ist auch ein Anlaß zum Rückblick auf vier Jahre Agierens dieser Bundesregierung auf weltwirtschaftlichen Konferenzen. Es wäre völlig verfehlt, Puerto Rico als ein einzelnes Unternehmen zu sehen. Man muß diese Konferenz in der Reihe dessen sehen, was sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Weltwirtschaft unter unserer Beteiligung getan hat. ({15}) Das beginnt im Mai 1973 mit dem formellen Ende von Bretton Woods, mit dem Einführen der freien Wechselkurse, als es diese Bundesregierung im Gegensatz zu ihren Vorgängern fertiggebracht hat, diese Regelung ohne außenpolitischen Schaden zu bewerkstelligen und damit die Grundlage für unsere Stabilitätspolitik zu schaffen. Das setzt sich im September 1973 mit der GATT-Konferenz in Tokio fort. Wer wollte denn bestreiten, daß ohne das Auftreten des Bundeswirtschaftsministers auf dieser Konferenz Fortschritte im Abbau internationaler Handelshemmnisse nicht möglich gewesen wäre? Mit Ihnen allen, so nehme ich an, beklage ich, daß diese Fortschritte nicht groß genug geworden sind, daß die amerikanische Handelsgesetzgebung zwei Seiten hat und daß auch die häßlichen Seiten sichtbar geworden sind. Aber stellen Sie sich einmal vor, was für Importrestriktionen, was für Handelshemmnisse wir ohne den entschlossenen Einsatz der Bundesregierung auf diesem Gebiet in der Zeit der Rezession gegen uns aufgebaut gesehen hätten! Tokio, meine Damen und Herren, und das Auftreten der Bundesregierung, insbesondere des Bundeswirtschaftsministers, sind Gründe dafür, daß in der weltweiten Rezession nicht mehr Handelsschranken errichtet worden sind. Dann kam die Energiekonferenz in Washington Anfang 1974. Damals sind es der Finanzminister Schmidt und der Außenminister Scheel gewesen, die eine rationale Grundlage für die internationale Energieagentur, für ein vernünftiges Weiterbehandeln energiepolitischer Probleme überhaupt geschaffen haben. Erinnern Sie sich an die Konfrontation mit dem damaligen französischen Außenminister! Man darf es hier doch einmal offen aussprechen. Man denke auch an die Reaktion unserer amerikanischen Partner: „Ohne die Beteiligung der Deutschen wäre diese Konferenz ein Fiasko geworden." Im April 1975 gab es die Beteiligung der Bundesregierung an der OECD-Konferenz in Washington. Der 25-Milliarden-Kissinger- oder, genauer gesagt, der OECD-Solidarity-Fund wäre ohne unsere Mitwirkung nicht denkbar gewesen. Der Bundesfinanzminister hat daran mitgearbeitet. Im September 1975 war die Rede des Bundesaußenministers auf der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen. ({16}) - Wir kommen durchaus noch zu dem Thema. Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen. Wir werden auch über Nairobi noch sprechen. Keine Sorge! -Es war eine wegweisende Rede zur Behandlung weltwirtschaftlicher Probleme in liberalem, in marktwirtschaftlichem Geist. ({17}) Im November 1975 gab es in Rambouillet zum erstenmal Beschlüsse darüber, daß man weltweit abgestimmte Konjunkturpolitiken machen müsse. Der entsprechende Fortschritt konnte ja in Puerto Rico bereits abgezeichnet, ja, einkassiert werden; so schnell hatten wir das selbst bei kühnem Optimismus nicht erwartet. In diesem Jahr, im Januar 1976 war Jamaika. Der Bundesfinanzminister war für die Bundesregierung dabei. Es ging um die Behandlung der Weltwährungsprobleme, darum, trotz freier Wechselkurse, trotz Floatens ein System und Absprachen herbeizuführen und damit die Grundlage für das zu schaffen, was jetzt in Puerto Rico zu Wechselkursmanipulationen gesagt worden ist. Schließlich hatten wir im Mai 1976 Nairobi. Meine Damen und Herren, bei aller Problematik der Rohstofffrage sollte doch nicht einfach unter den Tisch gekegelt werden, daß das Ende der Indexierung in Nairobi unterschrieben worden ist und daß das Ende des Schuldenstreichens ebenfalls unter18210 schrieben worden ist. Diese beiden für uns unakzeptablen Punkte sind doch aus der Diskussion heraus. ({18}) Nun zu den Rohstoffen. Dies ist der Beginn rationaler Rohstoffgespräche geworden. Ich weiß, daß das, was hier an Entwicklungsgefahren auf uns zukommt, für uns bedenklich werden kann. Niemand bestreitet das. Aber ich weiß auch, daß, wenn wir uns nicht zusammensetzen, über jeden einzelnen Rohstoff reden und die Interessengegensätze auszugleichen versuchen, Riesenkonferenzen mit 3 000 Teilnehmern - Bundesminister Bahr hat darauf in der Diskussion sehr eindrucksvoll hingewiesen - ein psychologisches Klima haben, das man überhaupt nicht mit demjenigen der Sieben oder der Neun vergleichen kann, die jetzt in Puerto Rico am Konferenztisch gesessen haben. ({19}) - Ich will über die Vorbereitung von Puerto Rico nichts sagen. Es ist immer leicht, zu sagen, etwas sei schlecht vorbereitet gewesen. Diese Konferenz war nicht schlecht vorbereitet. Aber lassen Sie mich eines sagen: Was Nairobi und die künftigen Gespräche anlangt, so hat der Bundeskanzler mit Recht und eindrucksvoll die Modellrechnungen aufgemacht, wie Rohstoffabkommen in der praktischen Wirklichkeit von Land zu Land denn tatsächlich aussehen. Meine Damen und Herren, ich zweifle gelegentlich an der wirtschaftlichen und politischen Vernunft auch der einen oder anderen Regierung in dem einen oder anderen Partnerland. Aber ich zweifle letztlich nicht daran, daß sie noch rechnen und sich sagen können, daß eins und eins zwei ist und nicht zweieinhalb. Sie werden eines Tages dahintersteigen, daß diese eindrucksvollen Rechnungen nicht zu widerlegen sind. ({20}) Da wir bei der Vorbereitung sind, Herr Kollege: Was hatte denn die Opposition in Sachen Puerto Rico vorher zu sagen? Da habe ich mit Interesse gelesen, daß der Vorsitzende der CDU, der Kanzlerkandidat Helmut Kohl, konkrete Ergebnisse gefordert hat. Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Damen und Herren: Ich kann mir das Wort „konkret" im Zusammenhang mit Herrn Kohl so wahnsinnig schlecht vorstellen. ({21}) Das ist doch eigentlich genau das, was normalerweise bei ihm nicht vorhanden ist. ({22}) - Ich dachte zunächst, Sie sprächen vom Regen und von der Geschichte mit dem Schirm; aber das bezog sich ja auf Herrn Strauß. Jetzt sind Sie schon im Nebel. Herr Kohl hat weiter geschrieben: Was wir brauchen, ist ein stabiler Aufschwung ohne Inflation. - Da sind wir sicher sehr einig. Die CDU geht davon aus, daß diese internationale Konferenz die nationalen Anstrengungen für eine solche Politik fördert. Meine Damen und Herren, ich kann dazu nur sagen, der Kanzlerkandidat Kohl hat von den Stabilitätsvorgängen in dieser Welt keine Ahnung, denn genau umgekehrt ist es richtig, und genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung in diesem Lande ist zum Vorbild für die anderen in Puerto Rico geworden. Was soll denn dieser Satz? ({23}) Wörtlich haben uns die Italiener und die Engländer in Puerto Rico erklärt: Wir können uns erst morgen die Stabilitätspolitik leisten, die sich die Bundesrepublik Deutschland schon gestern leistete. W i r haben im Kreise der Neun, die dort zusammengesessen haben, mit der Stabilitätspolitik angefangen; wir haben überhaupt erst die Grundlage für die Stabilitätspolitik geschaffen, und die anderen beneiden uns, wie Sie wissen, um die Ergebnisse dieser Stabilitätspolitik, die wir noch lange nicht für das Nonplusultra, noch lange nicht für das Ziel halten, das wir erreichen müssen. Aber die Ergebnisse können sich doch im Kreise der Vergleichsziffern, die Sie auf aller Welt finden, sehen lassen. ({24}) Es ist wirklich sehr schade, meine Damen und Herren, daß der Ministerpräsident Kohl nicht in Puerto Rico dabeisein konnte. Aber vielleicht wäre er besser auf die Bahamas gereist. ({25}) - Ihre Wißbegier, Herr Kollege Gallus, ist wie immer schwer zu befriedigen. Ich meine, er sollte sich dort um die Bank for Credit and Foreign Commerce Overseas Ltd. in Nassau ({26}) kümmern, eine Enkeltochter der Landesbank von Rheinland-Pfalz, die einen Kredit von 133 Millionen Dollar unter Verstoß gegen das Militärregierungsgesetz Nr. 53 an die DDR gegeben hat. Ich glaube, das wäre eine dankenswerte Aufgabe. ({27}) - Das werden wir ja dann mit Interesse hören. Ich werde das mit Aufmerksamkeit verfolgen. ({28}) - Nein, der hat das auch gar nicht vor. Es gibt Leute, die machen ähnliche Fehler, nur: die einen wollen nicht Kanzlerkandidat werden. Ich wiederhole noch einmal, was ich schon sagte: Wer BunDr. Graf Lambsdorff deskanzler werden will, muß sich schon einer besonders strengen Beobachtung unterziehen. ({29}) - Was Ihren Zwischenruf anlangt, das sei nicht seriös, bin ich mit Ihnen der Meinung, daß solche Geschäftspraktiken nicht seriös sind. ({30}) Es wurde die Frage gestellt: War Puerto Rico eigentlich notwendig, und hat es sich gelohnt? Heute schreibt Frau Kaps - sie ist eine kenntnisreiche und aufmerksame Beobachterin der wirtschaftspolitischen Szene in Washington - in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", es sei vielleicht finanziell doch ein wenig aufwendig gewesen. Man kann sich auch die Frage stellen, ob sich die körperliche Strapaze lohnt, sich für ein Wochenende nach Puerto Rico zu begeben. Herr Strauß hat gesagt, es sei ein verlorenes Wochenende gewesen. Der Bundeskanzler hat erklärt, es war keines. Wir meinen, meine Damen und Herren, der Aufwand hat sich gelohnt, und zwar ganz einfach aus folgenden Gründen: Wenn es weltwirtschaftliche Zusammenhänge gibt, von denen das Wohl und Wehe dieses Landes mit abhängig ist, dann ist es richtig, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen. Wenn Wirtschaftspolitik auch Psychologie und Beeinflussung der Menschen ist, die in dieser Wirtschaft tätig sind, muß man davon ausgehen, daß weltweit bekundete Zusammenarbeit notwendig ist. Der Kollege Strauß hat den Norddeutschen Rundfunk zitiert. Er konnte im Bayerischen Rundfunk eine sehr viel positivere Beurteilung dieser Konferenz hören. Daß unterschiedliche Urteile vorliegen, ist ja gar kein Wunder. Aber wer von Showbusiness spricht, verkennt zunächst einmal, daß ein gewisses Mindestmaß von Showbusiness schlichtweg zum Beeinflussen weltwirtschaftlicher Zusammenhänge und zur Lösung der Probleme gehört; das können Sie gar nicht bestreiten. Und wer von einer „Wahlkampfveranstaltung" des amerikanischen Präsidenten spricht, geht, meine Damen und Herren, höchst leichtfertig mit den deutschamerikanischen Beziehungen um. ({31}) Wir teilen die Besorgnis und die Kritik an der Tatsache, daß die Organe der Europäischen Gemeinschaft nicht beteiligt gewesen sind. Wir möchten darauf hinweisen, daß dies nach unserer Einsicht in die Zusammenhänge offensichtlich nicht in erster Linie auf die französische Regierung zurück-zufuhren ist. Wir möchten gern, daß der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft ein Verfahren entwickelt, in dem solche Schwierigkeiten nicht mehr auftreten. Aber, meine Damen und Herren, wir wollen auch eines mit aller Deutlichkeit sagen: Wenn sich überhaupt ein Außenminister der beteiligten Länder redlich und bis zur letzten Stunde darum bemüht hat, eine Beteiligung des Ratspräsidenten und des Kommissionspräsidenten zu erreichen, dann war es der Außenminister Hans-Dietrich Genscher, wofür wir uns bedanken. ({32}) - Erfolglos, jawohl. Aber wird man sich nicht vielleicht auch gelegentlich einmal für erfolglose Bemühungen bedanken dürfen, Herr Kollege? ({33}) Ist der Erfolg nach Ihrer Auffassung das einzige Kriterium, das Dank verdient? Doch wohl kaum! Bitte, Herr Kollege Narjes!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zwischenfrage.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie die Freundlichkeit haben, mir zu bestätigen, daß die Mühen des Bundesaußenministers wesentlich erfolgreicher gewesen wären, wenn von vornherein gar nicht erst zugestimmt worden wäre? ({0}) Dr. Graf Lambsdorff ({1}) : Wenn was?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die Einladung von vornherein gar nicht erst angenommen worden wäre! ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, ich verstehe Sie immer noch nicht.

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wären die Bemühungen des Bundesaußenministers nicht wesentlich erfolgreicher gewesen, wenn nicht zuvor die Zustimmung, die Zusage des Bundeskanzlers vorgelegen hätte?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Zusage wofür?

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu dieser Einladung, zur Teilnahme in Puerto Rico! ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Narjes, es ist völlig selbstverständlich, daß wir eine Einladung zu einem solchen Gespräch in dieser Zusammensetzung annehmen. ({0}) Und ich halte überhaupt nichts davon, eine solche Einladung oder die Annahme einer solchen Einladung gegenüber den Amerikanern und anderen von Bedingungen abhängig zu machen. ({1}) Sie mißverstehen die Art und Weise, in Partnerschaft in der Welt miteinander umzugehen, wenn Sie glauben, wir könnten Friß-Vogel-oder-stirb-Konditionen aufstellen. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte!

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Graf Lambsdorff, steht nicht dieses Verhalten des Bundeskanzlers im Widerspruch zu den Ergebnissen eines informellen Außenministertreffens in Lucca nach Rambouillet, bei dem alle Beteiligten gemeinschaftsfreundliches Verhalten im Wiederholungsfalle zugesagt haben, so daß eine Vorab-Konsultation damals schon Verpflichtungsinhalt war? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Narjes, wenn es richtig wäre, daß das Nichtzustandekommen der Einladung und der Vertretung der Europäischen Gemeinschaft an der Antwort des Bundeskanzlers gelegen hätte, hätten Sie für Ihre Frage einen Schein der Berechtigung. Aber wir wissen ja, daß dies - mit oder ohne vorherige Annahme durch den Bundeskanzler - nicht die entscheidende Frage dafür war, ob der Ratspräsident und der Kommissionspräsident dorthin konnten. Sie wissen ganz genau, wer die Schwierigkeiten bereitet hat, daß sie von den kleineren Ländern ausgegangen sind und daß das mit dieser Frage überhaupt nichts zu tun gehabt hat. ({0}) Meine Damen und Herren, wie ist das Ergebnis von Puerto Rico zu würdigen? Nun, zunächst einmal ist übereinstimmend festgestellt worden, daß die Rezession überwunden worden ist. Auch der Kanzlerkandidat Kohl hat in seiner Stellungnahme zu Puerto Rico den gerade in Gang kommenden weltweiten Aufschwung erwähnt. ({1}) Ich weiß nicht, Herr Müller-Hermann, ob Sie das gelesen haben, bevor Sie Ihre Stellungnahme geschrieben haben. Ich komme gleich noch auf die Stellungnahme von Herrn Müller-Hermann vom 25. Juni zurück; Sie werden mir dies erlauben. Meine Damen und Herren, es ist weiter Übereinstimmung in der Auffassung erzielt worden, daß neue Arbeitsplätze nur durch Investitionen zu schaffen sind. Ich meine, wir sollten in diesem Zusammenhang einmal den langersehnten Fortschritt durch den Stabilitätspakt zwischen der britischen Regierung und den britischen Gewerkschaften erwähnen. Wir alle haben doch voll Verzweiflung auf diese Entwicklung gesehen. ({2}) Daß hierfür der soziale Konsens, den Puerto Rico zum Inhalt dieser Politik gemacht hat, unerläßlich notwendig ist, daran gibt es in diesem Lande, wie ich hoffe, keinerlei Zweifel; darin sind wir alle miteinander einig. In diesen sozialen Konsens beziehe ich durchaus ein, daß einzelne Gruppen in diesem Lande nicht ungerechtfertigt kritisiert und pauschal verurteilt werden dürfen. In Puerto Rico ist eine Erkenntnis laut geworden, nach der wir viele Jahre lang, alle, die wir hier sind, gerufen haben: Wachstum und Wohlstandsmehrung in der Welt sind mit Inflation nicht denkbar. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Fortschritt gegenüber dem, was wir noch vor wenigen Jahren an Reflationierungsideen und ähnlichem aus anderen Ländern gehört haben, und an welchem Beispiel hat sich denn diese Willensbekundung ausgerichtet, wenn nicht an unserem? Es ist in Puerto Rico davon gesprochen worden, es solle keine Wechselkursmanipulationen mehr geben. Wir haben im Bereich des französichen Franken einiges erlebt. Der Bundesfinanzminister wird selbst wissen, wie sehr in der deutschen Wirtschaft darüber geklagt worden ist, daß sich die Japaner in der Vergangenheit an solche lobenswerten Absichten nicht gehalten haben, und wie wichtig das für einen Teil unserer exportierenden Wirtschaft ist, insbesondere in einem Bereich, dem er sich, wie ich weiß, auch wahlkreismäßig verbunden fühlt. Wir haben - hier wird es interessant - über multilaterale Hilfen Einigung erzielt, multilaterale Hilfen, meine Damen und Herren, unter Auflagen. Natürlich ist am Rande das Italien-Problem besprochen worden, ein Problem, meine Damen und Herren von der Opposition, dessen Lösung Ihren Freunden in Italien, die erfreulicherweise wieder die stärkste Partei geworden sind, und nicht die Kommunisten, helfen soll. Daß dies ein Thema ist, das Bundeskanzler und Außenminister nicht an dieser Stelle ausbreiten können und öffentlich behandeln werden, wird Ihre Zustimmung finden. Ich wiederhole noch einmal - es hat mich erschreckt, was der Kollege Strauß dazu gesagt hat -, daß Kredite an Italien billiger sind als Importsperren und Handelshemmnisse, denen wir uns sonst ausgesetzt sähen. ({3}) Und Herr Strauß, der die Diskussion, wie Sie sehen, wieder verlassen hat, muß die Frage beantworten, was er denn mit seinem Satz vorhin meinte. Jetzt Kredite geben, bevor sich die politischen Verhältnisse in Italien geklärt haben? Erst Kredite geben, wenn die Kommunisten eines Tages doch noch gewonnen haben? Oder vorher Kredite geben? Wie stünden wir eigentlich da, wenn sich der amerikanische Präsident Truman im Jahre 1946 nicht entschlossen hätte, Kredite an Griechenland, Kredite in den Marshallplan zu geben, bevor nichtdemokratische Parteien die Herrschaft übernommen hatten? Ist es unsere Verpflichtung, in einem jetzt labilen, aber vielleicht doch noch aussichtsreichen Zustand, der sich am 20. Juni als widerstandsfähiger erwiesen hat, als manche von uns befürchtet hatten, zu helfen, oder sollen wir vielleicht erst kommen, wenn alles im Bach liegt? ({4}) Worauf bezogen sich denn die Mißverständnisse, von denen Herr Strauß vorhin so pauschal gesprochen hat? Sie bezogen sich darauf, daß wir erstens eine Absicherung durch Goldvorräte verlangt und bekommen haben - das wurde nicht so gerne geDr. Graf Lambsdorff sehen -, und sie bezogen sich zweitens darauf, daß wir versuchten, mit solchen Kredithergaben gewisse wirtschaftspolitische Auflagen zu verbinden. Wie sollten wir denn anders? Dies führt uns dazu, daß es richtig ist und richtig bleibt: Multilateral müssen solche Kredithilfen gegeben werden; multilateral kann man Auflagen durchsetzen, ganz gewiß nicht alleine als Bundesrepublik Deutschland. Der Internationale Währungsfonds, die Europäische Investitionsbank und wer immer sind dafür geeignet und können solche Auflagen machen, aber doch nicht die Bundesrepublik Deutschland, wir ganz alleine. Welchen Schwierigkeiten sähen wir uns ausgesetzt? Auch das Rohstoffproblem ist in Puerto Rico behandelt worden. Es ist sicher in der Abschlußerklärung zu kurz gekommen, weil die Franzosen nach wie vor Widerstand leisten und nicht innerhalb von 48 Stunden über ihren Schatten springen konnten. Wer erwartet denn so etwas? Aber diese Rechnung soll keinen Eindruck auf die französische Regierung gemacht haben? Die Stimmen vom Konferenzort lauten alle anders. Führen Sie sich dies doch einmal vor Augen: Überwundene Rezession, Arbeitsplätze nur durch Investitionen, Wachstum und Wohlstand nur ohne Inflation, keine Wechselkursmanipulationen, multilaterale Hilfen, Rohstofffragen. Meine Damen und Herren, dies liest sich doch wie ein Katalog bundesrepublikanischer Wirtschaftspolitik der vergangenen vier Jahre. Was ist es denn anderes? ({5}) Wir wollen wahrlich nicht, daß am deutschen Wesen die Welt genesen soll. Keiner sollte uns mißverstehen. Daß wir aus der Rolle des politischen Riesen und des wirtschaftlichen Zwerges hinausgewachsen sind - oder dabei sind, es zu tun -, wird uns noch mit vielen Problemen konfrontieren. Diese Situation wird nicht leicht zu bewältigen sein. Ich sage jedenfalls für meine Freunde mit aller Deutlichkeit: Wir wollen Partnerschaft und Gleichberechtigung, vor allem in Europa. Wir wollen keine politischen Riesen. Wir wollen kein politischer Riese sein. Wir brauchen für die Politik keine Riesen, weder weiße noch schwarze. ({6}) Meine Damen und Herren, nur die Erfolge - und allein Erfolge überzeugen, nicht das viele Reden und das viele Argumentieren, nicht Vorträge und Versammlungen - konsequenter marktwirtschaftlicher Wirtschaftspolitik in den USA und der Bundesrepublik sind die Voraussetzungen für die Beschlüsse von Puerto Rico gewesen, nichts anderes, wie ich meine. Nun sieht es bei uns, wenn ich der einen oder anderen Bekundung Glauben schenken darf, allerdings jammervoll aus. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: Nicht zu verantwortende Arbeitslosigkeit und beschäftigungslose Jugendliche, ungeschlossene Investitions- und Wachstumslücken, erschrekkende Staatsschulden, echte Einbußen im Lebensstandard der Arbeitnehmer um! Gefahren fur die Sicherung der sozialen Sicherungssysteme - das sind die Flurschäden der von der Regierung mit zu verantwortenden Rezession. Dabei kommt die Stunde der Wahrheit erst im sicheren Aufschwung. Alle jene Probleme, die durch die Rezession lediglich unter den Teppich gekehrt wurden, werden sich dann zusätzlich wieder voll entfalten. Herr Müller-Hermann, Sie werden sich als Verfasser wiedererkannt haben. ({7}) Aber es ist natürlich gerade andersherum richtig. Nicht der sichere Aufschwung legt die strukturellen Fehler bloß, und nicht die Rezession hat es möglich gemacht, Probleme unter den Teppich zu kehren. Herr Müller-Hermann, die Rezession ist doch der Vorgang gewesen, der strukturelle Fehler und Mängel, die wir gar nicht bestreiten, offengelegt und uns gezeigt hat, was wir anders machen müssen. ({8}) Ihr Denkansatz ist genau umgekehrt; Ihr Ansatz ist aber falsch.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Müller-Hermann?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie mir wenigstens bestätigen, daß eine kluge Politik gerade die strukturellen Probleme in den Phasen der Hochkonjunktur anpackt, weil dann die Übergänge am leichtesten zu bewirken sind, und daß Sie in dieser Hinsicht total versagt haben?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Müller-Hermann, wenn Sie die Gabe der Prophezeiung in die Politik einführen, mögen Sie vielleicht recht haben. Es ist auch völlig gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt Sie die strukturellen Probleme anpacken. Sie können sie erst anpacken, wenn Sie sie sehen und wenn sie evident geworden sind. Sie sind in der Rezession evident geworden, ({0}) und es kommt für uns darauf an, daß wir die Lehren aus diesen Problemen, aus diesen Schwierigkeiten, aus diesen Einsichten ziehen, und dazu sind wir bereit. ({1}) Wir könnten natürlich alles das, was sich an Problemen gezeigt hat, jetzt in einem maßvollen und sich weiterentwickelnden Aufschwung mit ein paar Inflationsspritzen wieder unter den Teppich kehren. Dann hätten wir für drei bis fünf Jahre scheinbare Ruhe. Wir werden dies nicht machen, weil die Probleme sonst nach drei bis fünf Jahren deutlich ver18214 schärft und doppelt schwierig wieder auf uns zu kommen werden. ({2}) Meine Damen und Herren, was die Wirtschaftspolitik anbelangt, so sind wir natürlich arge Stümper gewesen. Es hätte nie einen Abschwung gegeben, wenn die Vorschläge der CDU/CSU befolgt worden wären. So hat Herr Kollege Strauß vor einer Stunde hier getönt. Wir müßten das eigentlich abschreiben und den Regierungen in Tokio, Washington, London und Paris schicken. Wir müßten ihnen eigentlich jeden der klugen Ratschläge des Herrn Strauß übermitteln. Der weltweite Abschwung wäre schließlich nicht erfolgt, wenn wir den Ratschlägen der CDU/CSU gefolgt wären. Meine Damen und Herren, wen wollen Sie eigentlich im Ernst damit überzeugen? ({3}) - Nein, wir sind nicht in der Wahlversammlung. Sagen Sie das einmal Herrn Strauß. ({4}) Herr Müller-Hermann, Herr Strauß behandelt die Dinge wie in einer Wahlversammlung. Er stellt sich - wie so viele von Ihnen - auch in einer Wahlversammlung nicht der Diskussion, sondern liefert seine Rede ab und verschwindet. Dies tut er ja auch hier immer. ({5}) - Herr Wehner, ein Gartenfest bayerischer Provenienz hat es, glaube ich, gestern abend gegeben. Ob Herr Strauß dabei war, weiß ich allerdings nicht. Es wäre interessant, zu erfahren, ({6}) ob er zu den Gästen des Herrn Heubl gehört hat. ({7}) Meine Damen und Herren, was die Investitionslücke anlangt - ich möchte mich gern mit einigen der konjunkturpolitischen Überlegungen auseinandersetzen, die Herr Strauß angestellt hat -, so bin ich durchaus mit ihm darüber einig. Ich glaube aber, daß der Kollege Ehrenberg die richtigen Hinweise gegeben hat, daß wir Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen, Herr Narjes, voneinander zu trennen haben. Wenn Sie den heutigen Bundesbankbericht für den Monat Juni sehen, so läßt sich da lesen, in welchem Umfange die Ausrüstungsinvestitionen im ersten Quartal dieses Jahres - ich will Sie mit den Ziffern nicht langweilen - nach Feststellung der Bundesbank angewachsen sind. Auf die kommt es aber an. Es ist sicherlich richtig, daß in einer Wirtschaft, die in vollem Schwung gewesen ist und allen Nachholbedarf gedeckt hat, eines Tages die Bauinvestitionen hinter dem allgemeinen Durchschnitt der Ausrüstungsinvestitionen zurückbleiben und zurückbleiben müssen. Insofern, glaube ich, hat Herr Ehrenberg recht. Was Mitbestimmung und Preiserhöhungsfragen in mitbestimmten Aufsichtsräten anbelangt, so haben wir uns dazu geäußert. Ich bleibe bei dieser Meinung. Wir gehen davon aus, daß wir eine Mitbestimmungsregelung gefunden haben, die mit großer Mehrheit in diesem Hause beschlossen wurde, von meiner Fraktion sogar einstimmig. Sie wurde und wird vom ersten bis zum letzten Mitglied vertreten. ({8}) - Sie waren alle da, Herr Kollege van Delden. Wer in dieser Frage eine andere Meinung vertreten wollte, der wäre hier erschienen und hätte dies getan. Da können Sie sicher sein. In dieser Frage, in der wir uns natürlich vorher in der Fraktion der Zustimmung versichert haben, hat es zum letzten Kompromiß nicht eine einzige abweichende Meinung mehr gegeben. Dies werden wir in den nächsten Jahren nun erst einmal ausprobieren. Wir werden Erfahrungen sammeln, so wie es der Bundeskanzler in seinen ursprünglichen Entwurf hineingeschrieben hatte. Daß mit der Mitwirkung der Freien Demokraten keine Investitionslenkung zu machen ist, das wissen wahrscheinlich sogar diejenigen, die sich in Solingen wieder einmal zu einem mutigen Akt aufgerafft haben. Daß wir für Investitionsmeldestellen ebenfalls nicht zu haben sind, das wissen auch diejenigen, die das in Dortmund beschlossen haben. Jedermann hat aber die Freiheit, das zu beschließen, was er für richtig hält. Er muß sich die Mehrheiten suchen. Dafür gibt es keine. Meine Damen und Herren, nun hat Herr Strauß gesagt, die Ertragsverbesserung nur durch die Mengenkonjunktur ginge nicht; das reichte nicht. Ich bin einig. Ich glaube aber, die Ertragsverbesserung ist die erste Stufe, und in dem Zusammenhang ist ein Appell an die Preisdisziplin der Unternehmen notwendig. Der Herr Bundeskanzler hat dies heute zu Recht getan. Ich weise noch einmal auf die Zahl hin, die für die Kostenlage und für die Gewinnsituation der Unternehmen so entscheidend ist: 1 % Lohnerhöhung in der gewerblichen Wirtschaft kostet der Wirtschaft in der Bundesrepublik im Jahr 4,5 Milliarden DM. Das Gesamtaufkommen aus Vermögensteuer - gewerblich und privat liegt bei 4,1 Milliarden DM. Hier sieht man die Relation zwischen der Bedeutung vernünftiger, verantwortungsbewußter Tarifpolitik, die wir den Gewerkschaften auch hier und heute und zum wiederholten Male bescheinigen, und den Möglichkeiten, die der Fiskus durch seine Einwirkungen haben könnte. Ich möchte eine abschließende Bemerkung zu dem machen, was Herr Strauß zum Osthandel gesagt hat. Wie er es hier behandelt hat, so kann man dazu, wie ich meine, nicht Stellung nehmen. Er sagt: Wir haben den Osthandel immer begrüßt, aber natürlich darf er nicht dazu dienen, daß man Kräfte des Bruttosozialprodukts in den Empfängerländern freisetzt, die dann für Rüstung eingesetzt werden können. Wollen Sie einmal sagen, wie Sie das verhindern können? Wollen Sie einmal sagen, wie Sie unter solchen Umständen überhaupt noch Außenhandel und Export betreiben wollen, wohin auch immer? ({9}) - Herr van Delden, was die Kreditgewährung anlangt, so haben wir, abgesehen von einigen hier offen als politisch motivierten und aus der Geschichte begründeten Krediten, darauf gedrungen, daß geschäftsmäßige Konditionen, insbesondere in den Geschäftsbeziehungen mit der Sowjetunion, durchgesetzt worden sind. Denken Sie an die KurskFinanzierung. Das war nicht immer einfach. ({10}) - Aber, Herr Wehner, ich bin überzeugt, daß die noch lange durch die Röhre gucken werden, bevor das wiederkommt. ({11}) Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren, wir sind nicht nur dagegen, weil wir politisch keine Zugeständnisse in Richtung der Kritik von Herrn Strauß machen wollten, sondern auch deswegen, weil wir doch ganz genau wissen, daß ein sinnloser Zinskonditionenwettbewerb nur dazu führte, daß unsere Konkurrenten im Westen wieder um ein halbes Prozent heruntergingen und daß wir uns letztlich nur zugunsten unserer Käufer zu Tode konkurrierten. So unsinnige kaufmännische Gepflogenheiten wollen wir nicht gerne mitmachen. ({12}) Aber ich sage Herrn Strauß, daß er hier die Antwort geben muß: Osthandel ja oder nein, aber nicht nach der Methode „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß". Wo wären wir ohne diesen Osthandel, der wahrlich noch keine überragende Bedeutung im Rahmen unseres Gesamtexports hat? ({13}) Wo wären wir ohne diesen Osthandel in der letzten Rezession geblieben? Wie gut hat der uns getan! In wievielen Betrieben und Unternehmen hat er Arbeitsplätze gesichert! ({14}) Meine Damen und Herren, Herr Müller-Hermann, wer über die Wirtschaftslage der Bundesrepublik zutreffend informieren will, der sollte nicht Ihre Ausführungen vom 25. Juni zur Hand nehmen, die, wie ich gesehen habe, auch keine Beachtung gefunden haben, sondern der sollte sich den neuesten Bundesbankbericht nehmen. Ich will das nicht verlesen. Ich nenne nur die Stichworte Ausrüstungsinvestitionen und Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Wo landen wir denn? Der Bundeskanzler hat es richtig gesagt: 4,5 % Zuwachs haben wir am Anfang dieses Jahres angenommen. Wo werden wir hinkommen? Wahrscheinlich wird der Zuwachs eher bei 6,5 % als bei 6 % liegen. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück. Herr Ehrenberg hat sich so ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt, daß ich mich darauf beziehen kann. Dies ist noch nicht gelöst. Dies ist noch nicht zufriedenstellend. Aber wir sind auch hier auf dem richtigen Wege. Wenn mich meine ersten Informationen nicht trügen, meine Damen und Herren, so werden wir für den Monat Juni aller Voraussicht nach - wenn die Entwicklung so weitergeht, wie sie bisher gelaufen ist - zum erstenmal eine monatliche Preissteigerungsrate unter 5 % haben. Gegen allen Pessimismus, gegen alle Schwarzmalerei, auch auf der Preissteigerungsseite gehen die Zahlen zurück. Es gibt ein Problem, natürlich. Wenn Sie das Verantwortungsbewußtsein der Gewerkschaften oder die Möglichkeiten der Gewerkschaftsführung durch solch törichte Bemerkungen auf die Probe stellen, wie sie Herr Kohl am 1. Mai in der „Welt der Arbeit" gemacht hat, wo er praktisch zu Nachschlägen aufgefordert hat, dann allerdings haben Sie die Probleme ins Haus geholt. Das war die dümmste Äußerung, die in dieser Lage und zu diesem Problem überhaupt gemacht werden konnte. ({15}) Sie hat erneut deutlich gemacht, meine Damen und Herren, daß es ihm an dem notwendigen Hintergrund von Kenntnissen zu diesen wichtigen Problemen der Bundesrepublik fehlt. ({16}) - Wir haben natürlich noch genügend Probleme, Herr Müller-Hermann, und wir werden immer Probleme haben. Aber die Frage ist doch: Wer ist kompetent, und wer hat die Fähigkeiten, diese Probleme zu lösen? Was soll man eigentlich vor dem Hintergrund der Konferenz von Puerto Rico anders feststellen, als daß erstens der Bundeskanzler Helmut Schmidt die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge begriffen und danach gehandelt hat, bevor sie der Opposition überhaupt nur dämmerten? ({17}) Dieser Bundeskanzler, meine Damen und Herren, ist in der Welt nun einmal ein geachteter Partner gerade bei wirtschaftlichen Problemen. Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU fängt sechs Monate vor den Wahlen an, sich in der Welt erst einmal persönlich vorzustellen. ({18}) Zweitens. Der Bundesminister Hans-Dietrich Genscher hat seit je gewußt, daß Wirtschafts- und Außenpolitik untrennbar zusammengehören, und er hat danach gehandelt. Die New Yorker Rede ist das eindeutige und beste Beispiel dafür. ({19}) Von seinem für ihn vorgesehenen Nachfolger kann man gar nichts sagen, weil Herr Kohl ihn nicht benennen darf. ({20}) Drittens. Der Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs hat bewiesen, daß er in schwieriger Zeit Nervenstärke besessen und an marktwirtschaftlichen Prinzipien festgehalten hat, als man damit unter Beschuß geriet, eine Haltung, meine Damen und Herren - ich wiederhole das -, die für den internationalen Akkord in Puerto Rico ursächlich gewesen ist. ({21}) Die Opposition, Herr Narjes - ich bitte, das nicht persönlich zu verstehen; Sie kennen meine Wertschätzung für Sie -, hat Sie vor vier Jahren als Ministerkandidaten hierher geschickt und jetzt auf eine Stelle der Landesliste plaziert, auf der Sie leider - wie ich dreimal unterstreiche, weil wir Sie als Ausschußvorsitzenden schätzen gelernt haben - darum bangen müssen, ob Sie wieder hierher zurückkehren. ({22}) Diese Bundesregierung verdient das Vertrauen, das ihr in Deutschland und in der Welt entgegengebracht wird. Diese Bundesregierung wollen Sie ablösen. Frage: Warum denn eigentlich? ({23})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Bundesaußenminister Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige außenpolitische Aspekte der heutigen Diskussion geben dem Außenminister Anlaß - am Ende der Debatte, wie es scheint -, das Wort zu ergreifen. Vorab allerdings möchte ich sagen: Ich rate meinen Kollegen im Geschäftsordnungsausschuß des Deutschen Bundestages, einmal darüber nachzudenken, ob man nicht eine Bestimmung einführen sollte, die es möglich macht, die Führung der Opposition bei wichtigen Debatten herbeizuführen. ({0}) Ich denke, meine Damen und Herren, diese Debatte am Ende dieser Legislaturperiode ist vom Bundeskanzler nicht nur genutzt worden, um das erfolgreiche Ergebnis des Gipfels in Puerto Rico darzustellen, sondern er hat zugleich eine Bilanz der wirtschaftspolitischen Lage und der Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiet gegeben. ({1}) Hier hätten Sie die Gelegenheit gehabt, meine Damen und Herren, sich angesichts dieser positiven Entwicklung mit Ihren eigenen schwarzmalerischen Parolen der letzten Jahre und Monate auseinanderzusetzen. ({2}) Es gehört auch zur Kraft einer Opposition, daß sie den Irrtum im Kampf gegen die Regierung eingesteht und zugibt, daß diese Bundesrepublik Deutschland wirtschaftspolitisch auf einem guten Wege ist, was inzwischen alle in unserem Land erkannt haben. ({3}) Meine Damen und Herren, die Art, wie Sie heute die Debatte geführt haben, wie Sie einer wirtschaftspolitischen Debatte am Schluß der Legislaturperiode ausweichen, ist das Eingeständnis Ihres Versagens, ist das Eingeständnis, daß die Bundesregierung die richtige Politik gemacht hat, die sie jetzt auch international durchsetzt. ({4}) - Nein, Herr Kollege, es ist notwendig, daß wir die in der Abwesenheit und Enthaltung Ihrer Fraktion liegende Mißachtung des Parlaments als Ortes der politischen Auseinandersetzung und Diskussion öffentlich rügen. ({5}) - Dann beteiligen Sie sich, dann sagen Sie doch etwas zu den wirtschaftlichen Ausführungen des Bundeskanzlers! Geben Sie doch zu, daß wir uns im Aufschwung befinden; geben Sie doch zu, daß wir stabilitätspolitisch einen großen Erfolg haben und daß auch die Arbeitsmarktprobleme abnehmen! ({6}) - Wenn Sie darüber lachen, Herr Kollege, sage ich Ihnen: Alle anderen Länder beneiden uns um diese wirtschaftliche Lage. ({7}) - Ja, Sie hören das nicht gern, ich weiß das. Trotzdem werden wir das jetzt und auch in den vor uns liegenden Monaten sagen, damit der Öffentlichkeit deutlich wird: wir sind auf dem richtigen Wege, und wir, die beiden Regierungsparteien gemeinsam diesen richtigen Weg auch in den kommenden vier Jahren weiter gehen können. ({8}) Aber, meine Damen und Herren, ich habe hier das Wort ergriffen, um einige außenpolitische Bemerkungen zu machen. Herr Kollege Narjes hat in einer Zwischenfrage an den Kollegen Graf Lambsdorff es als möglich unterstellt, daß der Bundeskanzler eine Einladung des amerikanischen Präsidenten zu dieser Konferenz abgelehnt hätte. Herr Kollege Narjes, sind Sie sich eigentlich bewußt, was es für die westliche Solidarität bedeutet hätte, wenn die Bundesregierung zu dieser Einladung nein gesagt hätte? Sehen Sie, meine verehrten Damen und Herren, ich möchte, nachdem hier in einer unzulässigen Weise die Motive der amerikanischen Regierung kritisiert worden sind, ganz eindeutig sagen, was die Bundesregierung von dieser Konferenz hält. Wir sind der Meinung, daß die Einladung des amerikanischen Präsidenten zu dieser Konferenz aus guten Gründen erfolgt ist. ({9}) Wir sind der Meinung, daß diese Konferenz in der Sache notwendig war, daß sie im Ergebnis erfolgreich war und daß der Zeitpunkt für die Konferenz genau richtig gewählt worden ist. ({10}) Er ist deshalb richtig gewählt worden, weil der amerikanische Präsident vermeiden wollte, diese in diesem Jahr noch notwendige Konferenz in die heiße Phase des amerikanischen Wahlkampfes hineinzuziehen. Meine Damen und Herren, nicht die Konferenz hat aus wahltaktischen Gründen stattgefunden, sondern Sie kritisieren diese Konferenz aus wahltaktischen Gründen, weil Sie nicht zugeben können, daß die Bundesregierung an einer erfolgreichen internationalen Veranstaltung teilgenommen hat. ({11})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesaußenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte!

Dr. Karl Heinz Narjes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesaußenminister, sind Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich meine Frage nach dem Zeitpunkt und der Form der Zustimmung aus den Umständen auf die Beziehungen der Bundesrepublik zu den europäischen Partnern und auf die Erfüllung ihrer den europäischen Partnern früher gegebenen Verpflichtungen bezog, solche Veranstaltungen gemeinschaftskonform, gemeinschaftstreu durchzuführen, und daß es sich nicht um das Problem „Deutschland - Amerika" handelt, sondern um das Problem „Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft"?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Kollege, ich werde zu den Gemeinschaftsproblemen noch sprechen. Ihre Frage konnte nur als eine Kritik an der Zusage des Bundeskanzlers verstanden werden, ({0}) und das bedurfte hier der Zurückweisung. Meine Damen und Herren, ich halte es für schlechthin unzulässig, daß eine Konferenz von sieben Staats- und Regierungschefs - darunter auch der deutsche - mit dem Wort „Blabla" vor dem Deutschen Bundestag bedacht wird. ({1}) Ist man sich eigentlich gar nicht der Tatsache bewußt, daß darunter unsere Hauptverbündeten sind, daß darunter drei Länder sind, die für Berlin verantwortlich sind, daß es sich um NATO-Partner handelt, um Partner in der Europäischen Gemeinschaft? Glauben Sie, daß man so mit seinen engsten und besten Freunden umgehen kann? Von mir aus können Sie den Beitrag der Bundesregierung kritisieren. Aber, bitte, verlegen Sie Ihren innenpolitischen Wahlkampf nicht noch auf die Trübung der außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland! ({2}) Meine Damen und Herren, es ist unbestreitbar, daß die Zusammenkunft - ({3}) - Herr Kollege, können Sie nicht ruhig zuhören? Wenn es mir gelungen sein sollte, durch meine Rede doch noch zu veranlassen, daß Sie, Herr MüllerHermann, noch das Wort ergreifen, wäre das ein zusätzlicher Erfolg meiner Ausführungen. ({4}) Diese zweite Konferenz dieser Art war wirtschaftspolitisch notwendig. Ich denke, Sie sollten anerkennen, daß der Bundeskanzler es vermocht hat, vorher als Finanzminister, seit seinem Amtsantritt als Bundeskanzler die Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik der wichtigsten Industrienationen der Welt zu einem zentralen Thema der Gespräche der Regierungschefs zu machen. Das, was wir heute als deutschen Erfolg verbuchen können, ist doch ein Ergebnis dieser gemeinsamen, koordinierten Anstrengungen. Jeder sollte dieses Ergebnis anerkennen und nicht versuchen, Konferenzen dieser Art in ihrer Bedeutung herabzusetzen. Ich halte es für einen großen Erfolg internationaler Politik, daß heute die Regierungschefs der wichtigsten Industrieländer in dieser Weise zusammenkommen, einen Meinungsaustausch haben und danach in ihren eigenen Ländern die dort verabredete Politik auch tatsächlich durchsetzen. ({5}) Das können Sie doch gar nicht leugnen. Sie sind die einzigen, die leugnen, daß von dem Gipfel in Rambouillet positive Ergebnisse ausgegangen sind, und Sie werden wahrscheinlich die einzigen bleiben, die leugnen, daß auch von der Zusammenkunft in Puerto Rico positive Ergebnisse ausgehen. Wenn der Regierungschef des eignen Landes dabei ein ganz wesentliches Verdienst hat, dann sollte man auch im Wahlkampf noch in der Lage sein, dem eigenen Regierungschef das vor dem Parlament zu bescheinigen. Das würde Ihre Wahlaussichten möglicherweise sogar erhöhen und nicht schmälern, anders als Ihre nur gesuchte auch in der Sache unberechtigte Kritik. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur Haltung der Europäischen Gemeinschaft machen. Niemand wird in seinem politischen Handeln ohne Kritik bleiben können. Aber eines steht fest: Auch die kleineren Partner in der Europäischen Gemeinschaft bescheinigen der Bundesregierung, daß sie alles in ihren Kräften Stehende getan hat, um die Teilnahme des Präsidenten der Kommission und des Präsidenten des Ministerrates zu ermöglichen. Daß das am Ende aus anderen Gründen gescheitert ist, lastet außer Ihnen der Bundesregierung niemand an. Wir wissen, daß die Lebens- und Funktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft ganz wesentlich davon abhängt, daß Große und Kleine, unabhängig von ihrem wirtschaftlichen und politischen Gewicht, gleichberechtigte Mitglieder sind. Deshalb haben wir uns so verhalten, und es sollte nicht die eigene Opposition das Handeln und Verhalten der eigenen Regierung in dieser Frage in Zweifel ziehen. Hier gibt es auch eine Verantwortung für die eigene nationale außenpolitische Position, die man auch in Wahlkampfzeiten nicht vergessen sollte. ({7}) Es hat in dieser Frage auch keine Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeskanzler und mir gegeben. Meine Damen und Herren, was die Hilfe für Italien angeht, so sind wir uns sehr wohl der Probleme bilateraler Hilfe bewußt. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht, multilateral zu helfen. Das werden wir tun - mit der gebotenen Zurückhaltung und unter den notwendigen wirtschaftlichen Voraussetzungen, aber aus europäischer Solidarität, weil wir ein Interesse daran haben, daß auch Italien den Weg der wirtschaftlichen Gesundung gehen kann. Die Haltung der Bundesregierung ist nicht nur auf dieser Konferenz, aber auch auf dieser Konferenz darauf ausgerichtet gewesen, international die notwendigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ihr ermöglichen, in eigenem Rahmen ihre erfolgreiche Wirtschaftspolitik fortzusetzen. Diesen Weg werden wir weitergehen, weil wir wissen, daß soziale Sicherheit, wirtschaftliches Wachstum, sozialer Frieden und Fortschritt auch für die politische Stabilität notwendig sind. Diese politische Stabilität wollen wir durch unsere Politik erhalten. Deshalb setzen wir Leistung gegen Schwarzmalerei. ({8})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Prof. Carstens.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000321, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich vorstellt, daß das die letzte Rede dieses deutschen Außenministers vor dem deutschen Parlament gewesen sein kann, dann wird man der Nachwelt zurufen müssen: O hättest du geschwiegen, du wärst ein Philosoph geblieben! ({0}) Daß die SPD Selbstbeweihräucherung betreibt, daran haben wir uns schon seit vielen Monaten gewöhnen müssen, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Daß sich die FDP durch ihren Außenminister an dieser Selbstbeweihräucherung beteiligt, ist ein Armutszeugnis für die FDP und ihren Außenminister. ({1}) Aber es zeigt mit aller Deutlichkeit, daß diese FDP in guten wie in bösen Tagen fest an die SPD gekettet ist, dieselbe SPD, die soeben mit dem von ihr veröffentlichten Katalog der Helfershelfer einen massiven Angriff gegen die Pressefreiheit richtet. Echt liberales Gedankengut, meine Herren von der FDP! Freuen Sie sich darüber; Sie sind im richtigen Boot! Ich beglückwünsche Sie dazu! ({2}) Man muß doch wirklich sagen: Wenn jetzt der Versuch gemacht wird, dem deutschen Volk in der letzten Sitzung dieses Bundestags den Eindruck zu vermitteln, als ob hier wirtschaftlich und finanziell alles zum besten bestellt sei, dann klingt das doch wie reiner Hohn in den Ohren derer, die unter der Wirtschaftsrezession und der Arbeitslosigkeit leiden. ({3}) 900 000 Arbeitslose haben wir immer noch! 1 Million Arbeitsplätze sind durch die Politik der Regierung Schmidt und Genscher vernichtet worden. Das muß doch mal mit aller Deutlichkeit gesagt werden: ({4}) Durch die Inflationspolitik dieser Regierung sind 1 Million Arbeitsplätze vernichtet worden. 30 000 Betriebe sind in Konkurs gegangen. Unterhalten Sie sich doch bitte mal mit den Unternehmern der mittelständischen Betriebe, die in Konkurs gegangen sind, und versuchen Sie, ihnen klarzumachen, in was für einer herrlichen Welt sie leben! Das muß auf die doch alles wie Hohn wirken! ({5}) Unterhalten Sie sich bitte mal mit den Rentnern, meine verehrten Herren von der Regierungskoalition, mit den Rentnern, deren Wohngeld nicht erhöht wird. Sie haben in der letzten Woche einen Antrag abgelehnt, wonach das Wohngeld für die Rentner hätte erhöht werden sollen. ({6}) Im gleichen Augenblick werfen Sie 100 Millionen DM für nutzlose Propaganda zum Fenster hinaus. ({7}) Dr. Carstens ({8}) Das sind doch Tatsachen, die der deutsche Bürger wissen muß, nachdem er dieses seltsame Schauspiel von sich gegenseitig beweihräuchernden Politikern der beiden Koalitionsparteien über sich hat ergehen lassen müssen. Nun zur Konferenz in Puerto Rico. Sie hat nichts erbracht, was nicht schon eine Woche vorher - ({9}) - Ich bin nicht bereit, irgendwelche Fragen von Ihnen zu beantworten, Graf Lambsdorff! ({10}) Diese Konferenz hat nichts erbracht, was nicht eine Woche vorher in der Konferenz der OECD in Paris gesagt worden war und was der amerikanische Außenminister nicht bereits dort vorgetragen hat. Die OECD-Konferenz hat ihren Zweck voll erfüllt. Warum das hinterher auf einer Gipfelkonferenz wiederholt werden mußte, das uns oder dem deutschen Volk deutlich zu machen, ist Ihnen nicht gelungen, auch wenn Sie sich noch so sehr anstrengen. ({11}) Wenn ich nun den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, den Herrn Kollegen und FDP-Parteivorsitzenden Genscher, an die Opposition appellieren höre, sie möchte im Umgang mit den Partnern und Freunden doch etwas behutsamer sein, dann muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Genscher: Entweder hat Sie Ihr Gedächtnis verlassen, oder Sie sind mittlerweile auf beiden Augen blind geworden. Sonst könnten Sie etwas Derartiges nicht sagen. ({12}) Wer war es denn, der in einer Serie von Schlägen auf die engsten Bundesgenossen der Bundesrepublik Deutschland herabgeschlagen hat? Das war Bundeskanzler Helmut Schmidt! ({13}) - Sie, lachen meine Herren. Aber fahren Sie einmal nach Frankreich, erkundigen Sie sich einmal, wie das gewirkt hat, als Bundeskanzler Schmidt sagte ({14}) - das können Sie durch noch so viel Kopfschütteln nicht aus der Welt bringen -, daß General de Gaulle für die sozialen Verhältnisse in Frankreich und für das Anwachsen der kommunistischen Partei verantwortlich sei. General de Gaulle ist in den Augen der Franzosen - übrigens auch der Kommunisten in Frankreich, das möchte ich Ihnen einmal sagen - die große historische Persönlichkeit dieses Jahrhunderts, und es blieb dem deutschen Bundeskanzler Schmidt vorbehalten, den General de Gaulle in dieser Form abzuwerten. Das war ein Meisterstück politischen Fehlverhaltens, wie wir es selten gehabt haben. ({15}) Und dann wollte sich der amerikanische Außenminister, Herr Kissinger, mit dem südafrikanischen Ministerpräsidenten, Herrn Vorster, in Hamburg treffen. Herr Genscher war damit einverstanden, daß die beiden nach Hamburg gingen. Aber Herr Bundeskanzler Schmidt war nicht damit einverstanden und hat die beiden aus Hamburg - na, he-rauskomplimentiert kann man ja in diesem Zusammenhang wohl kaum sagen - herauskatapultiert, nachdem er zuvor gesagt hatte - man muß sich das alles einmal vergegenwärtigen, in welchem Lande wir leben und mit welcher Regierung wir es hier zur Zeit zu tun haben -, er wisse wohl, warum er die Herren Gierek und Giscard nach Hamburg und nicht in die Stadt des Franz Josef Strauß einlüde. Das müssen Sie sich vorstellen! ({16}) Eine derartige Äußerung macht der Mann, der für sich immer noch in Anspruch nimmt, der Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland zu sein, ({17}) und der insoweit, meine ich, die Verpflichtung hat, für alle Deutschen zu sprechen und die Interessen aller Deutschen im Auge zu behalten. ({18}) Nein, meine Damen und Herren, die Versuche, sich in der Diskussion, die heute hier stattgefunden hat, noch in letzter Minute als strahlende Helden vor der deutschen Öffentlichkeit zu präsentieren, werden Ihnen nicht gelingen. Die Deutschen haben verfogt, was diese Regierung, diese Regierungskoalition in sieben Jahren an schweren Schäden für unser Land und für unser Volk heraufbeschworen hat. ({19}) Die Deutschen werden dieser Regierung und dieser Regierungskoalition am 3. Oktober die Quittung dafür geben, die sie verdient. ({20})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem geglückten Auftritt des verehrten Herrn Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU muß ich nur sagen: Ich kann es ihm nachfühlen, daß er sich hier so gebärdet, als könne er sagen: Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! ({0}) Herr Carstens, weil Sie hier dem Bundeskanzler glaubten eins ankleben zu können mit einer Bemerkung darüber, was er dem Herrn de Gaulle angetan habe: Ich kann mich ja noch erinnern, verehrter Herr damaliger Staatssekretär, wie Sie ohne Hosen da18220 standen, als Frankreich aus der NATO-Integration austrat und Sie schwarz-weiß-rot statt NATO-konform darauf reagierten. Das weiß ich doch! ({1}) - Ach, hören Sie mal! Sie Schreihals waren doch nicht dabei, als der langjährige Außenminister Schröder, dem Herr Carstens gedient hat, damals in Vier-Augen-Gesprächen mit mir aus dieser Lage herauszukommen versuchte. Und wenn es nicht weiterging, holte er sich den Herrn Carstens mit den Leitz-Ordnern, und dann kam der. Wenn wir darüber reden wollen, wer damals matt saß: Das war der, der heute hier auftritt, als sei er ein wirklicher Reiter. ({2}) Nichts sind Sie! Sie können noch nicht einmal reiten. ({3}) Ich lese hier vor, was der Vorredner des Herrn Carstens, nämlich der eigentliche Vorsitzende, der jetzt wieder hier sitzt, von der kleineren Unionsschwester, gesagt hat, der ja auch einmal ausführte: In der Bonner Koalition bin ich die Nr. 2, aber ich habe als Nr. 2 der Nr. 1 Ratschläge zu geben und kann zusehen, wie die ihre Klimmzüge machen. Ich kann diese Rolle des Herrn Strauß verstehen. Aber ich will ihn hier zitieren, auch zur Erinnerung des Herrn Carstens, der das offenbar vergessen hat, so daß man sich das gelegentlich in Erinnerung rufen muß. Als Herr Strauß Finanzminister war, kam unter seinem Namen das Buch „Finanzpolitik - Theorie und Wirklichkeit" heraus. - Im Jahre 1969, damit Sie es holen - es ist auch in der Bibliothek - oder kaufen können. ({4}) Ich habe ja nichts dagegen, daß dabei auch noch etwas verdient wird: Verlag Franz Vahlen, Berlin 45, usw. Darin steht dann - und das muß man auf der Zunge zergehen lassen -: Man kann einem Volke, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeiungen die Zukunft als gefährdet vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen erst die Gefahren heraufbeschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll. ({5}) - Sie werden doch Herrn Strauß nicht stören, wenn ich ihn zitiere! Dazu gehört auch der leichtfertige, das Gesetz der Dimensionen verletzende Gebrauch der Begriffe „Krise", „Depression", "Inflation„ und ähnliches. Ich höre den Strauß richtig knirschen, ({6}) als er das damals sagte. Das war auf der Seite 31. Auf der Seite 30 hat er sich mit den „üblichen Kassandra-Rufen von der großen Krise, die auch einen Gesunden halbkrank machen können", auseinandergesetzt. Ich verstehe Herrn Strauß' Rolle, nachdem er hier über Puerto Rico reden muß und über eine Situation, von der hier der Bundeskanzler und der Außenminister mit Recht gesagt haben, jeder müsse eigentlich froh darüber sein, daß sich angesichts der verheerendsten internationalen ökonomischen Verwerfungen die Staatsmänner dieser Länder in dieser Weise gefunden haben. Auch an Rambouillet ist erinnert worden. ({7}) - Ich kann ja Ihre Lage verstehen. Sie sind in die Rolle der Schreihälse ({8}) gewiesen worden. Weiter gar nichts! Nur das können Sie nicht so gut. ({9}) Wie ist denn das? Hier haben Sie doch das Blatt des Mannes mit der Zukunft, ({10}) das Ludwigshafener Rezept, das zum Sonthofener Rezept ({11}) wie das Eintrittsbillet zu einer „Bauernhochzeit" gehört, groß aufgemacht. Darin steht doch, daß man mit der Wirtschaftspolitik bei dieser Wahl nichts wird machen können, ({12}) daß doch bei der Wirtschaftspolitik niemand mehr vom Stuhl gerissen wird, daß die konjunkturellen Zusagen des Bundeskanzlers mit nur geringer Verzögerung eintreten werden. Man muß daher also etwas anderes suchen, und dann haben Sie diese tollen Erkläungen darin: „Es besteht die Gefahr, daß die SPD, die mit ihrer verfehlten Ostpolitik die Bundestagswahl 1972 gewonnen hat, sich nunmehr mit ihrer verhängnisvollen Wirtschafts- und Finanzpolitik, deren verheerende Folgen sich erst nach der Wahl herausstellen werden, den Wählern als Erfolg zeigt und präsentiert und die Wahlen gewinnt." Natürlich ist Ihre Lage schwer, wenn Sie hinterher das, womit diese Regierung und ihre Koalition sich beim Volk durchgesetzt hat, weil man es nicht mehr bestreiten kann, auf eine andere Weise aus der Welt schaffen müssen. Sie scheuen doch die AusDeutscher Bundestag 7. Wahlperiode Wehner einandersetzung, das Streiten um die wirklichen Tatsachen in der Politik. ({13}) Sie wollen doch die Gespensterschlachten. Sie müssen doch solchen Senf machen, wie der arme Herr Carstens, der an sich der Debatte überhaupt nicht gefolgt ist - wie soll der denn auch? ({14}) und hier solch einen Ritt machen muß. Schönen Dank für Ihre heute morgendliche schlechte Kondition! Vielleicht macht es der Kanzlerkandidat heute nachmittag besser, wenn er über die Zukunft spricht. ({15})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung betreffend Konferenz von Puerto Rico. Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Zukunftschancen der jungen Generation in der Bildung und im Beruf - Drucksachen 7/4836, 7/5099 Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Pfeifer. ({0})

Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zukunftschancen der jungen Generation sind heute mehr als je in den letzten Jahren zu der Frage geworden, welche die jungen Menschen in unserem Land, aber auch die älteren Menschen, vor allem die Elternhäuser, bewegt. Jugendarbeitslosigkeit, die Sorge der Jugendlichen um Ausbildungsstellen, ausgebildete Jugendliche ohne adäquaten Arbeitsplatz, Numerus clausus, stellungslose Lehrer trotz Lehrerbedarfs vor allem in den Berufsschulen, und rückläufige Berufschancen der Hochschulabsolventen - meine Damen und Herren, hinter jedem dieser Begriffe stehen die Probleme und Zukunftssorgen einer ganzen jungen Generation, deren Bildungs-, Berufs- und Zukunftschancen sich in den vergangenen Jahren wesentlich verschlechtert haben. Viele junge Menschen leben heute in unserem Land zunehmend unter dem Eindruck, daß sie hinsichtlich ihrer Berufs-, Aufstiegs-und Entwicklungsaussichten immer mehr vor verschlossenen Türen stehen. Dies ist ohne Zweifel mit die schwerste Hypothek, die nach sieben Jahren SPD/FDP-Koalition auf unserem Land lastet. ({0}) Unsere Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode muß es deshalb sein, diese Türen insgesamt nicht noch weiter zuschlagen zu lassen, diese Türen insgesamt Stück für Stück wieder zu öffnen und den jungen Menschen wieder mehr Zuversicht und Vertrauen in die eigene Zukunft zu geben. Wir wollen nicht, daß eine in ihrer Hoffnungen enttäuschte junge Generation immer mehr in Anpassung und Mutlosigkeit verfällt; denn wir brauchen junge Menschen, die wach, kritisch und solidarisch zur Gemeinschaft stehen und die ihre und unsere Zukunft mit Selbstbewußtsein gestalten. ({1}) Aber auch die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und die Sicherung des sozialen Friedens verpflichten uns zu den äußersten Anstrengungen, jedem Menschen und damit auch jedem jungen Menschen seine individuelle Lebenschance zu gewährleisten. Wir müssen schließlich auch deshalb verhindern, daß immer mehr junge Menschen im Blick auf die eigene Zukunft den Eindruck gewinnen, sie stünden vor einer vernagelten Welt, weil es uns sonst auf die Dauer immer schwerer sein wird, diese jungen Menschen von den Vorzügen der freiheitlichdemokratischen und sozialen Grundordnung unseres Staates zu überzeugen. Denn zwischen Chancengerechtigkeit und Sicherung der Freiheit des Menschen besteht ein enger Zusammenhang. ({2}) Wer den jungen Menschen Vertrauen und Zuversicht in ihre eigene Zukunft zurückgeben will, sollte aber zunächst einmal eines unter keinen Umständen tun, nämlich den jungen Menschen etwas versprechen, was er nicht halten kann. ({3}) Ich halte es schlicht für verantwortungslos, bei den jungen Menschen erneut mit haltlosen Versprechungen Hoffnungen zu wecken, die man selber nicht erfüllen kann. ({4}) Insofern war das Versprechen des Bundeskanzlers bei der Vorlage des SPD-Wahlprogramms in der Pressekonferenz vom 10. Mai, er werde im nächsten Jahr abgesehen von dem Fach Medizin den Numerus clausus abschaffen, ein empörender Vorgang. ({5}) Wenn dies so einfach wäre, warum hat die Bundesregierung den Numerus clausus dann nicht bei weit geringeren Abiturientenzahlen, als wir sie demnächst haben werden, schon längst abgeschafft!? ({6}) In Wahrheit ist dieses Versprechen genauso unseriös wie das Versprechen der Bundesregierung aus dem Jahre 1971, den Numerus clausus werde es 1975 abgesehen von dem Fach Medizin nicht mehr geben. ({7}) Meine Damen und Herren, da sieht man, was man von solchen Versprechen in Wahrheit zu halten hat. ({8}) Am Tag nach dieser Pressekonferenz allerdings hat der Bundeskanzler hier im Plenum des Bundestags und später in einer Illustriertenanzeige versucht, eine Front aufzubauen, wonach er und seine Partei gegen und die Union für den Numerus clausus sein soll. Meine Damen und Herren, dies ist nicht nur falsch, es macht auch klar, um was es dem Kanzler letztlich ging. Es ist ihm - das ist jedenfalls meine Überzeugung - letztlich gar nicht um die Sache, also um den Numerus clausus, gegangen; es ging ihm um den Wahlkampf. ({9}) Dazu sage ich: Wer so redet und handelt, ({10}) der meint es letztlich nicht ehrlich mit den jungen Menschen in diesem Lande. ({11}) Was die jungen Menschen von uns erwarten, das sind nicht Versprechungen, die am Tage nach der Wahl platzen wie ungedeckte Wechsel. Die jungen Menschen erwarten von uns eine nüchterne, realisierbare politische Perspektive, welche ihnen in ihrer konkreten Situation hilft, die vor allem auch dort vom Mut zur Wahrheit geprägt ist, wo diese Wahrheit unpopulär ist. Eine solche realistische Perspektive aufzuzeigen, das ist unser Ziel, das wir mit dieser Großen Anfrage und der jetzt beginnenden Debatte verfolgen. Eine der entscheidenden Ursachen für die gegenwärtige Misere sehe ich in dem von der Bundesregierung mit der Vorlage des Bildungsberichts 1970 eingeleiteten Versuch, die Entwicklung des Bildungswesens bewußt von der Entwicklung des Beschäftigungswesens abzukoppeln. ({12}) Am deutlichsten läßt sich dies an einer Zahl erklären. Die Bundesregierung ging in ihrem Bildungsbericht 1970 von der Vorstellung aus, daß bis zum Jahre 1980 50 von 100 Kindern eines Altersjahrgangs - jetzt formuliere ich sicher korrekt - zum Abitur II, aber damit eben auch zur Hochschulzugangsberechtigung, gelangen sollten, während für nur 25 v. H. ein Studienplatz bereitgestellt werden sollte. Was die anderen 25 v. H. tun sollten, ließ die Bundesregierung ebenso offen wie die Antwort auf die Frage nach den Berufschancen für all diejenigen, für die ein Studienplatz vorgesehen war. ({13}) Meine Damen und Herren, wir, die Union, haben uns seinerzeit leidenschaftlich gegen diese Absicht zur Wehr gesetzt. Heute, nur fünf Jahre später, erlauben Sie mir zu dieser Aussage des Bildungsberichts 1970 drei Feststellungen. Erstens. Die Zielsetzung des Bildungsberichts war in seinen entscheidenden Punkten und Strukturen falsch. Wer 50 v. H. der jungen Menschen eines Altersjahrgangs zur Hochschulberechtigung führen, aber dann nur 25 von diesen 100 einen Studienplatz anbieten will, ohne zu sagen, was die anderen, für die ein Studium nicht vorgesehen war, eigentlich tun sollen, hat damit entgegen seinen damaligen Behauptungen in Wahrheit den Numerus clausus samt seinen, wie wir heute sehen, kaum mehr erträglichen Auswirkungen auf das pädagogische Klima der Gymnasien zum Programm seiner Bildungspolitik gemacht. ({14}) Zweitens. Die Bundesregierung hat in ihrer Bildungspolitik von Anfang an die Zahl der Abiturienten zum entscheidenden Kriterium für die Qualität des Bildungswesens erklärt. ({15}) Meine Damen und Herren, dies war falsch. Es ist ein grundlegender Irrtum und übrigens auch eine Ungerechtigkeit gegenüber vielen Nichtakademikern in unserem Lande, wenn angenommen wird, nur eine akademische Ausbildung könne qualifizierte Schul-und Berufsausbildung sein. ({16}) Die Qualität eines Lebens bemißt sich nicht am Abitur. ({17}) Der Wert eines freiheitlichen Gemeinwesens mißt sich nicht an der Zahl der Abiturienten. Qualifizierte Bildung entsteht in einem freiheitlichen Staatswesen vor allem dort, wo der Mensch lernt, sich frei und verantwortlich für seine Mitmenschen und für seine Umwelt zu entfalten und wo er vor allem lernt, daß wir ein Mindestmaß von Übereinstimmung im Umgang miteinander und im Wertbewußtsein brauchen, wenn wir uns ein freies und soziales Gemeinwesen erhalten wollen. ({18}) Dies aber heißt doch, daß wir statt der Überbetonung des Stofflichen, statt der Überbewertung der theoretisch-wissenschaftlichen Ausbildung in der Schule endlich wieder mehr Raum für das Erzieherische zurückgewinnen müssen. Hier könnte und muß doch gerade die berufliche Bildung dazu beitragen, einer auf das Akademische hin theoretisch verengten Bildung nicht nur ihre praktische, sondern auch und vor allem ihre soziale Dimension wieder zurückzugeben. Dies ist für mich einer der Kernpunkte, um die es bei der Diskussion um die künftige Ausgestaltung auch des beruflichen Bildungswesens gehen muß. Es ist doch geradezu grotesk, wenn die Bundesregierung, statt der beruflichen Bildung vor allein einmal auch eine solche Dimension zu geben, jetzt ihre ganzen Anstrengungen auf die Durchsetzung eines Finanzierungs- und Steuerungssystems konzentriert, ({19}) das diejenigen, die ausbilden, überhaupt nicht wollen, weil es ihnen nicht hilft. ({20}) Drittens. Die geschilderte Überbetonung von Abitur und Studium offenbart schließlich, daß die Bundesregierung von Anfang an das Bildungssystem ohne Orientierung am Beschäftigungssystem entwickeln wollte. Meine Damen und Herren, um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich wäre es nicht zu verantworten, jungen Menschen nur deshalb Ausbildung vorzuenthalten, weil für die nähere Zukunft ein. geringer Bedarf erwartet wird. ({21}) Aber Ausbildung muß doch dem jungen Menschen auch helfen, einen Beruf zu finden, ({22}) in dem er sich bewähren und seine Fähigkeiten entfalten kann. ({23}) Hieran geht aber der Bundeskanzler mit seinem Numerus-clausus-Versprechen restlos vorbei, denn bis heute ist er noch mit keinem Wort auf den gnadenlosen Verdrängungswettbewerb zwischen den höher Qualifizierten und den minder Qualifizierten eingegangen, der mit seiner bildungspolitischen Perspektive letztlich verbunden ist, und bis heute ist er mit keinem Wort auf den dadurch an den Universitäten sich nochmals verschärfenden Leistungsdruck eingegangen, im Vergleich zu dem der jetzige an den höheren Schulen geradezu idyllisch ist. Meine Damen und Herren, aus allen diesen Gründen müssen wir für die Zukunft zunächst eine grundlegende Kurskorrektur in der Bildungspolitik dahin vollziehen, daß die Entwicklung des Bildungswesens und die Entwicklung des Beschäftigungswesens wieder mehr in Übereinstimmung miteinander gebracht werden. ({24}) Dies aber zwingt zunächst einmal zu folgender Überlegung: Der Staat, der bisher fast zwei Drittel aller Hochschulabsolventen in den öffentlichen Dienst übernommen hat, wird demnächst nur noch etwa 15 % der Hochschulabsolventen aufnehmen können. Da die Wirtschaft dies bei weitem nicht ausgleichen kann, ist die Chance für Akademiker auf eine adäquate berufliche Tätigkeit eindeutig im Sinken begriffen. ({25}) Die Abiturienten ziehen daraus bereits Konsequenzen. Während noch vor drei Jahren fast 90 % der Abiturienten einen Studienplatz angestrebt haben, sind es heute nur noch 79 %; über 20 % suchen also eine Alternative zum Studium. Leider haben wir aber derzeit solche Alternativen nicht in nennenswertem Ausmaß, und deshalb beginnen viele Abiturienten, die dies eigentlich gar nicht mehr wollen, letztlich doch wieder, zu studieren. Meine Damen und Herren, es ist unter den Abiturienten also eine völlig logische Bewußtseinsänderung im Gange, die allerdings von der Bildungspolitik dieser Bundesregierung bisher noch überhaupt nicht aufgenommen worden ist. ({26}) Ganz im Gegenteil, der Bundeskanzler mit seiner einseitig auf das Numerus-clausus-Problem gerichteten bildungspolitischen Perspektive geht an dieser Bewußtseinsveränderung vorbei, dreht sie sogar geradezu in das unerwünschte Gegenteil. Ich meine, statt den Blickwinkel mehr oder weniger nur auf das Numerus-clausus-Problem beim Hochschulzugang zu verengen, wäre es doch viel richtiger und vernünftiger, sich in den nächsten Jahren vor allem darauf zu konzentrieren, für die Abiturienten attraktive Alternativen zum Hochschulstudium und für die noch nicht in die Oberstufe des Gymnasiums aufgestiegenen Schüler attraktive Alternativen zum Abitur und zum Studium zu entwickeln, damit diejenigen, die ein Hochschulstudium gar nicht mehr anstreben, nicht länger nur mangels einer Alternative zum Studium gezwungen werden. Dies muß doch die Perspektive der nächsten Jahre sein! ({27}) Und dies wiederum ist nun allerdings ein Problem, das vor allem mit der inhaltlichen Entwicklung unseres Berufsbildungssystems in der Zukunft und mit dem Stellenwert zusammenhängt, den wir dem Berufsbildungswesen künftig geben wollen. Vor diesem Hintergrund ist es doch im Grunde wiederum nur bedauerlich, daß sich die Diskussion über die berufliche Bildung derzeit im Parlament auf einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen eingeengt hat, ({28}) der inzwischen überall als Rumpf- oder auch als Schrumpfgesetz bezeichnet wird. Statt diesen Streit auf die Spitze zu treiben, wäre es doch viel vernünftiger, wir würden uns heute zur Finanzierung der beruflichen Bildung auf das Modell einigen, das der Bundeswirtschaftsminister am 9. April hier vorgetragen hat, und wir würden uns in der Zukunft darauf konzentrieren, das berufliche Bildungssystem so auszubauen, daß auch berufliche Bildungswege überall den Zugang zu verantwortlichen Berufen in Staat und Gesellschaft eröffnen. ({29}) Es wäre vernünftiger, wir würden uns darauf konzentrieren, daß als Alternative zur theoretisch-wissenschaftlichen Ausbildung ein breit gefächertes Angebot von beruflich orientierten Bildungswegen entsteht, einschließlich dualer Ausbildungswege auch im Hochschulbereich, Dadurch würden wir verhindern, daß immer noch mehr junge Menschen ihre Zukunft auf die akademischen Berufe hin orientieren, obwohl sich dort die Berufschancen verringern und obwohl uns die Bildungsökonomen sagen, daß schon in den achtziger Jahren nicht mehr von einer Lehrstellenlücke die Rede sein wird, wohl aber, wenn wir nicht aufpassen, sich wieder eine kontinuierlich wachsende Facharbeiterlücke und eine Lücke an höheren Technikern auftun wird. Es hat doch wenig Sinn, den Anteil der Abiturienten und Akademiker in einer im Interesse der jungen Menschen nicht mehr zu verantwortenden Weise zu steigern und gleichzeitig in Kauf zu nehmen, daß in der Zukunft eine Lücke an qualifiziert ausgebildeten Facharbeitern und Technikern entsteht. Es ist doch gerechter und humaner, das berufliche Bildungswesen so auszubauen, daß es dem 16jährigen neue Ausbildungs- und Aufstiegschancen eröffnet, die er heute nicht hat, auf die er aber wartet, als den 19-oder 20jährigen durch neue Versprechungen zu einem Hochschulstudium zu motivieren, an dessen Ende für den 25- oder 27jährigen dann die fehlende Berufschance steht. Einerseits die Abiturientenquote als nahezu alleinigen Maßstab für die Qualität des Bildungswesens zu nehmen, andererseits jahrelang die berufliche Bildung und etwa auch die Hauptschule zu vernachlässigen, diese falsche Symmetrie in der Bildungspolitik der Bundesregierung muß jetzt endlich korrigiert werden. ({30}) Diese falsche Symmetrie ändern Sie nicht mit einem neuen Rumpf- oder Schrumpfgesetz, sondern die ändern Sie eben nur mit der von uns verlangten grundlegenden Kurskorrektur in der gesamten Bildungspolitik. ({31}) Meine Damen und Herren, 70 % der jugendlichen Arbeitslosen sind deshalb arbeitslos, weil sie über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Die Kurskorrektur muß deshalb auch den Gedanken einbeziehen, daß es besser gewesen wäre, wenn sich die Bildungspolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren mehr darauf konzentriert hätte, einer größeren Anzahl von jungen Menschen zu einer abgeschlossenen Berufsbildung zu verhelfen, statt die Zahl und den Anteil der Abiturienten in einer im Interesse der jungen Menschen nicht mehr zu verantwortenden Weise zu steigern. Das wäre mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Lande gewesen. ({32}) Gleichzeitig mit einer solchen Kurskorrektur im Bildungswesen müssen wir aber auch einige der bestehenden Strukturen im Beschäftigungswesen überdenken. Einen der Gründe für die Fehlentwicklung der letzten Jahre sehe ich darin, daß unsere Berufs-, Laufbahn- und Besoldungsstrukturen vor allem im öffentlichen Dienst zwar nicht überall, aber doch in vielen Bereichen von der Vorstellung bestimmt werden, daß in der Regel nur derjenige zu den hohen und höheren Verantwortungsbereichen aufsteigen können soll, der an einer Universität studiert hat. Warum streben denn immer mehr Studenten an den Fachhochschulen auch noch ein anschließendes Universitätsstudium an? Die entscheidende Ursache liegt doch nicht darin, daß die Absolventen der Fachhochschulen beim Einstieg in den Beruf - z. B. im öffentlichen Dienst - niedriger besoldet werden als die Absolventen eines Universitätsstudiums. Die entscheidende Ursache liegt vielmehr darin, daß die Absolventen des Fachhochschulstudiums in vielen Bereichen - vor allem des öffentlichen Dienstes in aller Regel am Ende ihres Berufslebens erst in die Besoldungsstufe eintreten, in welcher - wenigstens bis heute - der Akademiker beginnt. Es ist doch nur logisch, daß junge Menschen dann, wo immer dies geht, ihre Chance zunächst einmal im Universitätsstudium suchen. Solange die Aufstiegschance im Beruf zwar nicht überall, aber vielerorts letztlich immer von der Berechtigung abhängt, die sich jemand im Bildungswesen erworben hat, dabei aber weniger die Leistung, die er im Beruf erbracht hat, ins Gewicht fällt, so lange wird bei den jungen Menschen der Drang zu der Spitze der Bildungspyramide nicht entscheidend nachlassen. Wir werden die berufliche Bildung letztlich nur zu einer gleichrangigen und gleichwertigen Alternative zu Abitur und Studium entwickeln können, wenn wir endlich die immer mehr perfektionierte Durchlässigkeit im Bildungswesen durch mehr Durchlässigkeit in den Berufs- und Laufbahnstrukturen ergänzen. Der Zugang zu den verantwortlichen Berufen in Staat und Gesellschaft darf nicht länger überwiegend ein Hochschulstudium zur Bedingung haben. Auch der Hochschulabsolvent muß sich künftig damit abfinden, daß er beim Aufstieg in höhere Positionen in einem ständigen Wettbewerb mit dem tüchtigen und im Beruf durch Leistung bewährten Nichtakademiker steht, so daß nicht das Diplom, sondern nur seine Tüchtigkeit ihn nach oben bringen kann. ({33}) Meine Damen und Herren, diese Veränderung der Berufsstrukturen und diese von mir befürwortete Aufwertung der beruflichen Bildung, die Verbreiterung des alternativen Angebots in der beruflichen Bildung werden bewirken, daß der Drang in die Einbahnstraße „Abitur und Studium" abnimmt und damit ohne zusätzliches formales Ausleseverfahren am Ende der Sekundarstufe I der Anteil der Schüler, die in die Oberstufe des Gymnasiums überwechseln möchten, zurückgeht und sich mehr Schüler ihre Chance zum Aufstieg über qualifizierte berufliche Bildung und qualifizierte Leistung im Beruf suchen werden. Darauf muß es uns ankommen. Leider verfügen wir heute weder über attraktive Alternativen zum Studium in ausreichender Zahl noch sind wir in unseren Bemühungen um durchlässigere Berufs- und Laufbahnstrukturen im öffentlichen Dienst so weit gekommen, wie es an sich notwendig wäre. Beides läßt sich auch nicht mehr auf einen Schlag nachholen. Wir müssen aber beides erreichen, wenn wir die Ausbildungschancen der jungen Menschen tatsächlich verbessern wollen. Als weitere Aufgabe bleibt dann, denen zu helfen, die sich derzeit in der Oberstufe des Gymnasiums befinden und damit auf das Abitur programmiert sind. Meine Damen und Herren, wir wollen nicht, daß eine Entwicklung eintritt, in der diese Abiturienten, weil sie keine Studienplätze finden, nun auch noch den Realschülern und Hauptschülern die Studienplätze wegnehmen. Aus diesem Grunde wird man eben alle Anstrengungen unternehmen müssen, um in den nächsten Jahren möglichst jedem dieser Abiturienten, der keinen für Abiturienten geeigneten Ausbildungsplatz als Alternative zum Studium findet, zwar nicht in jedem Fall den von ihm gePfeifer wünschten Studienplatz, aber doch wenigstens einen Studienplatz anbieten zu können. Eine Ausweitung des Studienplatzangebots halte ich insbesondere in praxis- und anwendungsbezogenen Studiengängen, also beispielsweise in den Fachhochschulen, für möglich und sinnvoll. Dort sind teilweise noch Kapazitäten frei. Diese Ausweitung des Angebots ist auch möglich, wenn man, wie es die Westdeutsche Rektorenkonferenz vorgeschlagen hat, im gesamten Hochschulbereich vorhandene Studienkapazitäten überlastet. Dieses Angebot ist hilfreich. Allerdings sollte dabei im Interesse junger Menschen und ihrer Zukunftschancen eine Grenzlinie nicht überschritten werden. Meine Damen und Herren, es wäre überaus bedenklich, wenn wir es zuließen, daß durch Überlastquoten weitere Stagnation und Rezession in der Hochschulforschung einträte. Dies sage ich vor allem auf Grund folgender Überlegung. Die verminderten Berufschancen der Akademiker habe ich dargelegt. Aber auch für die Nichtakademiker ist es heute oft nicht mehr ganz einfach, im Anschluß an die Ausbildung einen Arbeitsplatz in der Berufswelt zu finden. ({34}) Dies zwingt zu der Frage: Werden wir eigentlich überhaupt genügend Arbeitsplätze haben, um allen jungen Menschen aus den altersstarken Jahrgängen der 60er Jahre im Laufe der 80er Jahre einen Arbeitsplatz anbieten zu können? Dies ist gegenwärtig eine der existentiellen Kernfragen für die jungen Menschen in unserem Lande geworden. ({35}) Meine Damen und Herren, wir haben heute etwas weniger als 1 Million Arbeitslose in unserem Lande. Wenn alle aus den altersstarken Jahrgängen in den 80er Jahren einen Arbeitsplatz bekommen sollen, müssen wir aber nochmals eine weitere Million zusätzlicher Arbeitsplätze schaffen und außerdem noch den Verlust an Arbeitsplätzen durch Rationalisierung und Strukturveränderungen ausgleichen. Ich habe nicht die Überzeugung und, ich glaube, die jungen Menschen in diesem Lande zunehmend auch nicht mehr, daß die derzeitige Regierungskoalition in der Lage ist, dieses Beschäftigungsproblem zu lösen; denn sie hat in ihrer Regierungszeit ja über 1 Million Arbeitsplätze verloren und damit diese ganzen Probleme erst hervorgerufen. ({36}) Aber lösen werden wir insgesamt diese Probleme erst dann, wenn in diesem Lande wieder wesentlich mehr investiert wird, als es in den Regierungsjahren des derzeitigen Bundeskanzlers der Fall gewesen ist. Dies heißt aber konkret, daß künftig ein größerer Teil des Bruttosozialprodukts in die Investitionen gehen muß. Ich bin mir völlig darüber im klaren, was dies bedeutet. Wir können die Wertschöpfung unserer Wirtschaft nicht gleichzeitig verzehren und investieren wollen. Jede Mark, die investiert werden soll, müssen wir deshalb dem Konsum entziehen. Aber wenn wir die Zukunftschancen unserer jungen Generation sichern wollen, dann müssen wir uns eben in der Zukunft bei dieser Alternative stärker für die Zukunftsinvestitionen entscheiden. Ich halte dies auch für ein Gebot der Gerechtigkeit. Denn es ist nicht gerecht, wenn die eine Generation, die in den 60er Jahren und auch noch in den beginnenden 70er Jahren an der Schwelle zum Berufsleben stand, alle Chancen offen hatte, die Generation dagegen, die heute in den Schulen ist, zunehmend vor den verschlossenen Türen steht. ({37}) Es gilt eben auch Chancengerechtigkeit zwischen den einzelnen Generationen zu verwirklichen, wenn wir unsere Gesellschaft von schweren Konflikten zwischen. den Generationen freihalten wollen. Diese Chancengerechtigkeit zwischen den Generationen erreichen wir aber nur, wenn wir uns zur Solidarität unter den Generationen bekennen und auch bereit finden. Deshalb kann es nicht so bleiben wie in den letzten Jahren, daß die eine Generation, die derzeit im Produktionsprozeß steht und sich dort in starken Verbänden organisiert hat, einen immer größeren Anteil des Bruttosozialprodukts verzehrt, um eigene auch durch die Anspruchsinflation dieser Bundesregierung geweckte Interessen zu befriedigen, und dies ohne Rücksicht auf die negativen Folgen für die Zukunftschancen der nachwachsenden Generation, die nämlich auf Investitionen angewiesen ist, die sich heute aber gegen die Aufzehrung ihrer Zukunftschancen nicht wehren kann, weil eben Jugend keine starke Lobby hat. ({38}) Meine Damen und Herren, weil das nicht so bleiben kann, beginnt hier die Aufgabe des Staates, nämlich die starken Organisationen bei der Verfolgung ihrer Interessen so weit zurückzuhalten, daß auch dem einzelnen, dem Nichtorganisierten, also z. B. dem jungen Menschen, Gerechtigkeit im Verteilungskampf um das Bruttosozialprodukt widerfährt. Unser Staat verliert an Glaubwürdigkeit und Autorität, wenn er jenen Gruppen nicht hilft, die sich nicht selbst helfen können. Zu diesen Gruppen gehört die junge Generation, und dazu gehört ihre Zukunftssicherung. Deshalb haben wir die Aufgabe, wo immer wir Einfluß auf die Verteilung des Bruttosozialprodukts nehmen können, auch dafür zu sorgen, daß eben mehr als bisher in Arbeitsplätze und Berufschancen von morgen in diesem Lande investiert wird, daß vor allem die Ausbildungsbereitschaft in der Wirtschaft wieder wächst und nicht durch falsche gesetzgeberische Maßnahmen gehemmt oder abgebaut wird. Zu diesen Zukunftsinvestitionen gehören auch die Investitionen in Forschung und Technologie. Denn Forschung und Technologie sind in der Zukunft mehr denn je Grundlage für wirtschaftliches Wachstum, für Export, für Wettbewerbsfähigkeit und damit auch für die Sicherung der Arbeitsplätze von morgen. ({39}) Meine Damen und Herren, das Ziel unserer Großen Anfrage ist es, die Bundesregierung zu einigen grundlegenden Korrekturen in der Bildungspolitik zu bewegen. Bldungspolitik darf nicht länger dazu ausersehen sein, Hilfsdienste zur Veränderung der Gesellschaft zu leisten. Maßstab für die Bildungspolitik hat wieder ausschließlich der junge Mensch zu sein, die Sicherung seiner Berufs- und Lebenschancen und seiner Erziehung zum urteilsfähigen Bürger, der politische, soziale und kulturelle Zusammenhänge erkennt und der fähig und bereit ist, unsere freiheitliche und soziale Ordnung zu bewahren und weiterzuentwickeln. Dies ist immer unsere Leitlinie gewesen, und dies wird auch in der nächsten Periode des Bundestages unsere Leitlinie bleiben. ({40}) Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, nach der Begründung zu diesem Tagesordnungspunkt, der Großen Anfrage der CDU/CSU, unterbrechen wir die Behandlung dieses Punktes und treten in Punkt 1 der Tagesordnung ein, nämlich die auf 60 Minuten begrenzte Fragestunde - Drucksachen 7/5482, 7/5515 -. In dieser Fragestunde liegen zunächst Dringliche Mündliche Anfragen vor. Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Jenninger auf: Welche Maßnahmen trifft die Bundesregierung vorsorglich, um die in einigen Regionen der Bundesrepublik Deutschland durch die langanhaltende Trockenheit sich abzeichnenden Ernteausfälle für die Landwirtschaft auszugleichen? Zur Beantwortung steht der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Bundesminister Ertl, zur Verfügung.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Präsident! Herr Kollege Jenninger, von der Auswirkung der Trockenheit sind einzelne Regionen des Bundesgebiets besonders betroffen. Es handelt sich hierbei um die leichteren Böden Norddeutschlands und den südlichen Teil von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, des Saarlandes und weite Gebiete Hessens, um das Oberrheintal sowie um Unter- und Mittelfranken. Endgültige Aussagen über die Ernteaussichten im Bundesgebiet können jedoch erst gemacht werden, wenn die ersten Ernteergebnisse der in diesen Tagen vorzeitig beginnenden Ernte vorliegen. Die Bundesregierung verfolgt bereits seit Wochen im engen Kontakt mit den Bundesländern und den Landwirtschaftskammern die Auswirkungen der Trockenheit. Seit Mitte Juni befaßt sich im BML eine Arbeitsgruppe mit den Möglichkeiten, die Auswirkungen von Ernteausfällen abzumildern oder auszugleichen, wobei ich natürlich für den Regen keine Zuständigkeit habe, Herr Kollege Jenninger. Um Liquiditätsengpässe in den betroffenen Betrieben zu verhindern, ist unter anderem an folgendes gedacht: Stundung fälliger Steuerzahlungen sowie Herabsetzung von Steuervorauszahlungen; Stundung oder Aussetzung von Kapitaldienstleistungen auf Grund betrieblicher Investitionen, wobei dafür die Zustimmung der Länder eingeholt werden muß, soweit es sich um die Gemeinschaftsaufgaben handelt. Darüber hinaus werden wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern die Möglichkeit prüfen, wie die Rauhfutterversorgung in DürreRegionen gegebenenfalls durch einen überregionalen Ausgleich sichergestellt werden kann. Ich darf Ihnen auch sagen, daß wir diesbezüglich mit dem Berufsstand in Verbindung stehen, um gemeinsame Lösungen zu finden. In diese Prüfungen werden seitens meines Ressorts Überlegungen einbezogen, inwieweit man Transporthilfen z. B. durch Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz und das Technische Hilfswerk in Anspruch nehmen kann. Dazu bedarf es der Zustimmung der Ressorts, und es bedarf vor allem der entsprechenden Anträge. Trotz der sich für die Landwirtschaft bei weiter anhaltender Trockenheit abzeichnenden schwierigen Situation braucht der Verbraucher in der Bundesrepublik nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen. Die Bundesregierung hat für eine ausreichende Vorratshaltung Sorge getragen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, haben Sie auch schon Überlegungen angestellt, eventuelle Getreideexporte in Drittländer, wenn die Ernte, so wie befürchtet wird, bei uns in weiten Bereichen 10 oder gar 20 % niedriger ist, zu reduzieren?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Wir sind nie ein klassisches Getreideexportland gewesen. Wenn wir Getreide exportiert haben, Herr Kollege Jenninger, haben wir das getan, um den Binnenmarkt zu entlasten. Insoweit ist dieses Bedürfnis nicht gegeben. Im Moment haben wir drei Millionen Tonnen Getreide im Lager, so daß ich mit ruhigem Gewissen sagen kann, daß die Anschlußversorgung ausreichend gegeben ist. Es müßte schon etwas ganz Exorbitiantes eintreten, bevor Schwierigkeiten entstehen. Selbstverständlich wird auch die Exportpolitik nach den eigenen Versorgungsgegebenheiten überprüft. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, bedeutet Ihre Aussage, daß Sie der Landwirtschaft in den Gebieten mit Dürreschäden durch die Stundung von Steuern und Abgaben helfen wollen, daß Sie die Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe revidieren wollen, oder wie wollen Sie den 60 %igen Anteil bei der Gemeinschaftsaufgabe für den Bund anders finanzieren?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Die Steuerstundung hat nichts mit der Gemeinschaftsaufgabe zu tun, Herr Kollege. ({0}) Es kommt zunächst darauf an, ob es ein Landwirt ist, der Steuern zahlt; denn es kann nur etwas geBundesminister Ertl stundet werden, wenn überhaupt Steuern gezahlt werden. ({1}) Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, noch eine Frage zum Umfang der Dürreschäden. Es war vor wenigen Tagen im Rundfunk und in den Zeitungen von einem geschätzten Ernteausfall von 10 % die Rede. Sind Sie auf Grund der anhaltenden Dürre der letzten Tage nicht der Meinung, daß diese Zahl leider weit überschritten werden wird?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Jede Schätzung ist falsch; denn jedermann weiß, daß ich in dieser Frage genaue Mengen erst angeben kann, wenn die Ernte in der Scheuer ist. Alle Schätzungen sind problematisch. Es wird auch sehr davon abhängen, wie der weitere Witterungsverlauf ist. Das gilt auch zum Beispiel für die Rauhfutterernte. Herr Kollege Ritz, meine Arbeitsgruppe befaßt sich im Moment mit einer Bestandsaufnahme für ZwischenfruchtbauSaatgut, damit wir für den Fall, daß es regnet, was ich hoffe und wünsche, unverzüglich genügend Saatgut haben, um den Zwischenfruchtbau zu bewältigen. Angenommen, es würde in den nächsten 14 Tagen regnen - ich hoffe, daß es möglichst früher der Fall sein wird; aber keiner von uns weiß das -, könnten wir jetzt nach der frühen Ernte mit Zwischenfruchtbau die Futterlücke wiederum erheblich verringern. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, da Sie in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Bundesland Rheinland-Pfalz erwähnt haben, darf ich Sie fragen, ob dieses Bundesland von sich aus an Ihr Haus herangetreten ist, um eventuelle Maßnahmen zu koordinieren.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Das Bundesministerium ist an die Länder herangetreten und hat sie gebeten, erstens bei der Schadenfeststellung zu helfen, soweit Schaden überhaupt gegeben ist, und zweitens dem Bundesministerium Informationen über den Saatenstand zu geben, um uns damit überhaupt einen Überblick zu geben, in welchem Ausmaß man möglicherweise mit Minderernten und rückgängigen Ernteerträgen rechnen muß. In dieser Woche findet in meinem Hause noch eine Besprechung mit allen Ländern statt. Das einzige Land außer dem Land Rheinland-Pfalz, das sich zusätzlich fernschriftlich gemeldet hat - allerdings zu Rindermaßnahmen -, ist das Saarland. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Susset.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, nachdem Sie auf Anfrage vom Kollegen Ritz erklärten, jede Schätzung sei falsch, frage ich, ob Sie vielleicht auch bereit wären, in der Öffentlichkeit darauf hinzuwirken, daß die optimistischen Prognosen hinsichtlich der landwirtschaftlichen Einkommen in der Bundesrepublik durch diese Dürre etwas reduziert werden?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Kollege Susset, hier muß ich Sie leider sehr enttäuschen. Von einem versierten Agrarfachmann nehme ich an, daß er weiß, daß das Wirtschaftsjahr heute abgeschlossen wird, so daß die Ernteergebnisse und die Einkommen des Wirtschaftsjahres 1975/76 von der kommenden Ernte überhaupt nicht tangiert werden. Die jetzige Situation wird die Vorausberechnung der Einkommenssituation für das Wirtschaftsjahr 1976/ 77 beeinflussen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, wird Ihr Haus dafür Sorge tragen, daß durch entsprechende Interventionen auf den Fleischmärkten jene Landwirte, die zu Notverkäufen zur Unzeit gezwungen sein könnten, nicht noch durch sehr niedrige oder zusammenbrechende Preise bestraft werden?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Kollege Kiechle, das ist der Gegenstand der zweiten Frage. Aber wenn es der Herr Präsident gestattet, kann ich auch die zweite Frage schon beantworten. Vizepräsident von Hassel: Wir sollten erst diese Frage abwickeln. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.

Dr. Isidor Früh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, da die Trockenheit nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Problem ist, das eine große Rolle spielen wird und vermutlich im Europäischen Parlament in der nächsten Woche besprochen werden wird, frage ich: könnten Sie die Zusicherung geben, falls man dort zu Sondermaßnahmen kommt, daß sich die deutsche Bundesregierung nicht dagegen sperren würde, wenn daraus Sonderausgaben entstünden?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Kollege Früh, mir ist nur bekannt, daß es bisher im Europäischen Parlament zu keiner Einigung gekommen ist und daß ein entsprechender Antrag an den Landwirtschaftsausschuß zurückgewiesen worden ist. Selbstverständlich wird der Ministerrat zu prüfen haben, welche Möglichkeiten es gibt, falls das Parlament dort überhaupt beschlußfähig ist. Das ist zunächst einmal der Tatbestand. Aber ich habe nichts dagegen, wenn sich das Parlament an dieser Sache konstruktiv beteiligt. Zweiter Punkt. Der Ministerrat braucht keine Aufforderung. Er hat z. B. auf dem Rindersektor - das wird in der Antwort auf die zweite Dringliche Frage deutlich - bereits Beschlüsse gefaßt. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, was unternimmt Ihr Haus, um die Ernteschätzungen jeweils zu aktualisieren, d. h. so schnell wie möglich auf den neuesten Stand zu bringen?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Wir fragen dort rück, wo die Ernteermittlungen gemacht werden, d. h. bei den amtlichen Schätzern und bei den Ländern; die berichten wöchentlich über den Erntestand. Diese Ergebnisse werden bei uns hochgerechnet. Auf Grund dieser Ergebnisse geben wir unsere Meldungen heraus. Diese Meldungen sehen im Moment so aus, daß die Lage sehr unterschiedlich ist. Es gibt immer noch Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland, in denen wir davon ausgehen können - das muß ich mit sehr großem Vorbehalt sagen; ich habe nicht die Kompetenz für das Wetter, um das noch einmal zu bemerken -, sogar noch Spitzenerträge zu erzielen, und zwar nicht etwa nur in kleinen Regionen, sondern in ganz beachtlichen Teilen Deutschlands. Deshalb meine ich, daß wir vor einer Situation stehen, deren Entwicklung uns Sorge macht - übrigens mit jedem Tag größere Sorge -, die aber im Moment keinen Anlaß bietet - im Gegensatz z. B. zu Frankreich und anderen Ländern -, überdramatisiert zu werden, allerdings auch nicht bagatellisiert zu werden. Vielmehr werden wir in der Hofnung, daß der Regen noch kommt, dann das Nötige tun, damit die einzelnen Landwirte nicht in Liquiditätsschwierigkeiten geraten und wir darüber hinaus die Versorgung sicherstellen können. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Jenninger auf: Was unternimmt die Bundesregierung gegen die äußerst kritische Lage vor allem an den süddeutschen Rindermärkten, die sich durch das Zusammentreffen der Auswirkungen der italienischen Bardepotregelung und das durch die langanhaltende Trockenheit erhöhte Angebot an Rindern noch verschärft hat? Bitte, zur Beantwortung, Herr Bundesminister.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Kollege Jenninger, für den Rindfleischsektor hat die Bundesregierung bereits in den letzten Wochen eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, um die Auswirkungen der Dürre und der italienischen Bardepotregelung zu mildern. Zur Unterstützung der staatlichen Interventionskäufe wurde schon Mitte Juni 1976 eine EG-Beihilfeaktion für die private Lagerhaltung von 38 000 Tonnen Rinderhälften und 30 000 Tonnen Vorderviertel von Rindern beschlossen, die nicht nur männliche Schlachttiere, sondern auch Kühe und Färsen einschließt. Bei dieser Aktion, die ab 1. Juli 1976, also ab morgen, anläuft, konnte von deutscher Seite durchgesetzt werden, daß die bisherige Beschränkung auf Einlagerungen in EG-zugelassenen Kühlhäusern aufgehoben wird, so daß zusätzliche Lagerkapazitäten verfügbar sind. In Anbetracht der zunehmenden Marktanlieferungen hat die Bundesregierung in Ausnahmefällen zugestimmt, daß im Rahmen dieser Aktion bereits ab 28. Juni 1976 erschlachtetes Fleisch berücksichtigt werden kann. Die Stützungskäufe der EVSt Schlachtvieh sind bis zur Erschöpfung der inländischen Einfrier- und Lagerkapazitäten verstärkt worden. In der laufenden Woche wurden Zuschläge für die Übernahme von 8 390 Bullen gegenüber 5 490 in der Vorwoche erteilt. Bei der Aufstockung dieser Mengen wurden insbesondere die Trockengebiete in Nordbayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland berücksichtigt. Zur Beschaffung zusätzlicher Kühlräume in den benachbarten EG-Ländern ist die EVSt Schlachtvieh angewiesen worden, entsprechende Kontakte aufzunehmen. Nach den bisherigen Verhandlungen ist zu erwarten, daß diese Bemühungen positiv verlaufen. Weiterhin ist von deutscher Seite am 21./22. Juni 1976 im Agrarrat in Luxemburg ein Antrag auf Gewährung einer vorübergehenden Konservierungsaktion für Rindfleisch mit EG-Beihilfen gestellt worden. Dieser Antrag wird zur Zeit von der EG-Kommission geprüft und soll die laufende nationale Konservierungsaktion auf eine breitere Basis stellen. Außerdem wird diese nationale Konservierungsaktion verlängert und mengenmäßig aufgestockt. Ein weiterer deutscher Antrag soll sicherstellen, daß ab 26. Juli 1976 auch Ochsen A wieder in die Interventionskäufe der EVSt einbezogen werden. Eine entsprechende Zusage der EG-Kommission liegt bereits vor. Zur Wahrnehmung von Exportmöglichkeiten werden alle zulässigen nationalen Möglichkeiten ausgeschöpft, nachdem eine Erhöhung der Exporterstattungen für Rindfleisch seitens der EG-Kommission bisher abgelehnt worden ist. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, sehen Sie weitere Möglichkeiten der Exportförderung, speziell im Hinblick auf die Regionen, die von. der Dürre besonders betroffen sind?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir zur Zeit alle nationalen Möglichkeiten ausschöpfen. Dazu bedarf es Verhandlungen nicht nur innerhalb der Ressorts, sondern es bedarf vor allein Verhandlungen mit der Kommission, weil auch Exporthilfen bei der Kommission notifiziert werden müssen. Aber ich gehe von der Annahme aus, daß wir diese Schwierigkeiten lösen können. Zwar handelt es sich nicht um unbeachtliche Kontrakte. Aber ich glaube, daß ich keine Einzelheiten nennen sollte. Das wäre wohl eher schädlich als nützlich. Vizepräsident von Hassel: Die zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, da Sie auch Verbraucherminister sind, möchte ich Sie fragen, ob Sie eine Möglichkeit sehen, die deutschen Verbraucher von seiten der Bundesregierung aufzufordern, in den kommenden Wochen Fleisch auf Vorrat zu kaufen, damit diese für unsere Landwirtschaft schwierige Lage gemeistert werden kann.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Es ist eine nützliche Anregung. Es geht natürlich nur, soweit Kühleinrichtungen in den Haushalten vorhanden sind. Ich sehe mich nicht imstande, an jede Hausfrau eine Gefriertruhe zu liefern; ihr Vorhandensein würde ich im Interesse einer gesunden Haushaltsführung begrüßen. Aber das muß ich natürlich der freien Entscheidung der Hausfrau überlassen. ({0}) Da wir im Moment eine Situation haben, in der die Erzeugerpreise unter denen des Vorjahres liegen, gehe ich von der richtigen Annahme aus, daß die aufnehmende Hand und die verarbeitende Wirtschaft diese Preissenkungen, die in dieser Woche sehr beachtlich waren - wir haben jetzt dafür Sorge zu tragen, daß dieser Trend wieder gebremst wird -, an die Verbraucher weitergegeben werden. Das ist natürlich die beste Anregung für den Konsum. Ich bin davon überzeugt, daß bei preiswerterem Fleisch der Konsument von selbst einsteigen wird. Das schließt nicht aus, daß man gerade auf diesen Zustand besonders hinweist. Dafür gibt es auch ein bedeutendes Unternehmen. Das nennt sich CMA. Das wird sich dieser Sache annehmen. Ich werde sie auf jeden Fall darum bitten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, abgesehen von den Mehraufwendungen aus der Bundeskasse, die für die Deponierung der Fleischmengen erforderlich sind: wie hoch schätzen Sie die durch das Bardepotsystem Italiens ausgelösten Preiseinbußen ein, die die deutsche Landwirtschaft dadurch insgesamt bereits hat hinnehmen müssen?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ich glaube, daß wir das nicht quantifizieren können; denn bis zur letzten Woche - den Markt dieser Woche müssen wir ausnehmen - kann man nicht sagen, daß es sich um einen exorbitanten Rückgang der Erzeugerpreise handelt. Es gab Schwankungen. Ich muß Ihnen übrigens sagen, die Rückgänge der Lieferungen sind nicht in dem Umfange eingetreten, wie es befürchtet wurde. Wir haben Rückgänge, aber wir haben eine unterschiedliche Marktsituation. Z. B. werden wir heute von der exportierenden Wirtschaft gebeten, keine Hinterviertel mehr einzufrieren, sondern sie für den Italientransport zur Verfügung zu stellen. Das Geschäft geht also erträglich; es geht besser, als es anzunehmen war. Das bestätigt mir laufend die Wirtschaft. Insoweit glaube ich, sagen zu können - das füge ich gerne hinzu -, daß ich davon ausgehe, daß das Bardepot zumindest bei einigen Bereichen der Landwirtschaft fristgerecht abläuft. Ich kann auch weiterhin verraten, daß im Augenblick sogar die Kommission darüber verhandelt, ob es nicht eine vorzeitige Aufhebung gibt. Aber ich möchte das Ergebnis nicht vorwegnehmen, weil es auch in Italien besondere Schwierigkeiten insbesondere beim Fleisch gibt, und zwar in Folge der Dürre in Norditalien. Insgesamt kann ich aber sagen: es ist nicht so schlimm geworden, wie es hätte kommen können. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, in der zweiten Frage des Herrn Abgeordneten Jenninger wurden auch das Bardepotgesetz Italiens und dessen Auswirkungen angesprochen. Nun hat Herr Staatssekretär Logemann auf die dringenden Fragen des Herrn Abgeordneten Kiechle und von mir hier im Deutschen Bundestag immer wieder geantwortet, Sie würden in Verhandlungen mit Frankreich sicherstellen, daß es zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommen würde. Nun lese ich heute im neuesten Nachrichtendienst der Europäischen Gemeinschaft, daß die französische Regierung doch wieder, ähnlich wie 1974, Sondermaßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbssituation der französischen Landwirtschaft in bezug auf Italien durchgeführt hat.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Das ist falsch, Herr Eigen. Ich weiß nicht, wo Sie es gelesen haben. Vielleicht können Sie mir das zuschicken. Das wäre ein eklatanter Wortbruch. Für mich sind die Informationsdienste nicht maßgebend. Ich halte mich an das Wort eines Ministers. Der französische Minister hat expressis verbis gesagt und ich bin auch so von der deutschen Botschaft informiert - ich habe auch Unterlagen darüber, wie sich. das Bardepot auf Frankreich ausgewirkt hat, die das bestätigen -, daß Frankreich keine nationalen Maßnahmen ergriffen hat. Frankreich hat aber etwas getan - dazu hat mir Herr Präsident von Heereman einen Brief geschrieben -, was wir auch tun könnten. Frankreich hat die Orientierungspreise zulasten der Erzeuger heruntergesetzt. Das wollte ich im Interesse der Einkommenssituation der Landwirte vermeiden. Wenn aber der Berufsstand bereit ist zu sagen, er übernähme die Mitverantwortung, dann setzen wir so wie Frankreich die Orientierungspreise um 4 % herunter. Dann haben wir die gleiche Wettbewerbslage. Ich habe das im Interesse der Einkommenssituation der Landwirtschaft nicht getan, sondern habe lieber unsere staatlichen Mittel, die Einfuhr- und Vorratsstellen, zum Wohle der Landwirtschaft eingesetzt. ({0}) - Das kostet nur ein Verwaltungsausschußverfahren, Herr Kollege Eigen. Ich bin rechtlich dazu in der Lage, das zu beurteilen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.

Dr. Isidor Früh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, nachdem Sie mich durch die Antwort auf die vorige Frage darüber in Kenntnis gesetzt haben, daß die Trockenheitsgeschichte im Europäischen Parlament Mitte Juni gelaufen ist - die jetzige Situation war damals noch nicht abzusehen - und das an den Landwirtschaftsausschuß zurücküberwiesen wure und weil nun der Landwirtschaftsauwsschuß des Europäischen Parlaments am Montag in dieser Frage eine Sondersitzung haben wird, um das dann nochmals ins Parlament zu bringen, möchte ich Sie fragen: Wird die deutsche Bundesregierung, wenn diese Frage so entschieden wird, daß Sondermaßnahmen, insbesondere auch im Hinblick auf Abschlachtung von Rindern ergriffen werden müssen, wegen der eventuell neu entstehenden Kosten gegen eine solche Maßnahme Widerstand leisten?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ich kann nicht auf eine Frage antworten, die mit „wenn" beginnt. Ich muß von Tatsachen ausgehen. Ich kann nur noch einmal sagen - ich habe es gerade in der Antwort auf die Frage von Herrn Jenninger verlesen -: Der Ministerrat hat unverzüglich, und zwar nicht zuletzt auch auf Antrag der deutschen Delegation, in einigen Bereichen auf dem Fleischsektor etwas getan. Insoweit würde jeder Parlamentsbeschluß offene Türen einrennen. Die Frage der Kosten kann ich doch erst prüfen, wenn ich weiß, in welchem Umfang Kosten entstehen. Ich kann doch nicht à fonds perdu sagen: Gebt mal alle Geld aus. Für uns steht fest, daß etwas getan werden muß, damit diese fatale Situation in einigen Bereichen nicht zu einer Katastrophe führt. Aber ich kann Sie in einigen Punkten auch beruhigen. Die Situation, die wir jetzt haben, die ich sehr bedauere, bringt es mit sich - das ist die eine Seite der Medaille; ich will nicht sagen: eine erfreuliche, aber auf jeden Fall keine ungünstige -, daß das Milchproblem dadurch in seiner Schärfe gemildert wird, und zwar nicht nur der Menge nach, sondern auch materiell, vom Geld her. Insoweit, würde ich sagen, ist der Spielraum der Kommission größer geworden. Was soll ich mir darüber den Kopf zerbrechen? Bis jetzt hat die Kommission immer noch sehr viel Geld bekommen, einschließlich dessen von der Bundesrepublik Deutschland. Vizepräsident von Hassel: Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung der beiden Fragen danken, Herr Bundesminister. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Es liegen zwei Dringlichkeitsfragen vor. Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 3 des Abgeordneten. Josten auf: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung, in Verbindung mit den Ländern die Wasserversorgung für die Bevölkerung bei der anhaltenden Trockenheit sicherzustellen? Bitte, zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Herr Kollege Josten, die Sicherstellung der Wasserversorgung der Bevölkerung ist grundsätzlich eine Aufgabe der Länder und der Gemeinden. Der Bund hat nur eine Rahmenkompetenz auf dem Gebiet des Wasserrechts und der Wasserwirtschaft. Dennoch hat die Bundesregierung die Entwicklung im Bereich der öffentlichen Wasserversorgung im Zusammenhang mit der anhaltenden Trockenheit aufmerksam verfolgt. Die Wasserversorgungssituation der Bundesrepublik kann - soweit sie sich auf die Grundwassergewinnung bezieht - insgesamt zur Zeit noch nicht als kritisch bezeichnet werden. Gewisse geringe Schwierigkeiten, die bei Anhalten der Trockenheit allerdings zunehmen werden, bestehen in einigen Orten, in denen die Wasserversorgung über Quellen oder Brunnen aus flachliegendem Grundwasser erfolgt. Die Trinkwassertalsperren haben im Durchschnitt noch einen Füllungsstand von etwa 70 %, so daß auch dort in absehbarer Zeit keine Engpässe zu erwarten sind. Bei Wasserwerken, die mittelbar Oberflächenwasser gewinnen, muß wegen der niedrigen Wasserstände und der dadurch bedingten erhöhten Verunreinigung die maximale Aufbereitungstechnik eingesetzt werden. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie im Hinblick auf Ihre ersten Sätze fragen: Teilen Sie meine Meinung, daß in den Gebieten, in denen großer Wassermangel besteht, niemand Verständnis für einen Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern hat, sondern unsere Mitbürger nur an rascher Hilfe interessiert sind?

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Ohne Zweifel geben Sie die Stimmung der Bürger richtig wieder, Herr Kollege Josten. Nur kann diese rasche Hilfe, sowohl sachgerecht als auch in der richtigen Zuständigkeit, sehr viel besser von denen gewährt werden, die in der Tat dort dafür zuständig sind, nämlich von Ländern und Gemeinden. Es hätte überhaupt keinen Sinn, einer solchen Stimmung, wie Sie sie schildern, in der Form nachzugeben, daß sich der Bund nun plötzlich Kompetenzen anmaßt, bei deren Gebrauch er nicht nur juristisch, sondern auch in der Sache Schiffbruch erleiden müßte. Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem erst in diesen Tagen die Drucksache 7/5014, die Unterrichtung durch die Bundesregierung, in der es um die Umweltprobleme des Rheins geht, vorgelegt wurde, darf ich Sie fragen: Gibt es bereits feste Pläne beim Bund, in Verbindung mit den Ländern, daß beispielsweise an unseren Flüssen Staubecken oder Stauseen angelegt werden, damit Wasser für Krisenzeiten gespeichert und andererseits Hochwasserschäden vermieden werden?

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Herr Kollege Josten, Maßnahmen, wie Sie sie jetzt schildern, könnten allenfalls mittelfristig greifen. Sie sind nach der derzeitigen Lage, die ich Ihnen in der Antwort auf Ihre erste Frage dargestellt habe, zur Zeit nicht angebracht. Was im übrigen das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der Abhilfe in einzelnen Notsituationen anbelangt, so haben Sie dazu eine zweite Frage eingebracht, auf die ich gleich antworten werde. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wäre Ihr Haus bereit, im Benehmen mit dem Bundesverteidigungsministerium darauf hinzuwirken, daß von den Standorten der Bundeswehr, bei denen - wie z. B. im Bereich des Heeresflugplatzes Mendig -nachweislich die Wasserversorgung der Bevölkerung durch die Bundeswehr selber stark beeinträchtigt wird, kontinuierliche Maßnahmen zur Versorgung der Bevölkerung durch die Bundeswehr ergriffen werden? ({0})

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Was die Einbeziehung der Bundeswehr in die Abhilfe bei Notfällen anbelangt, werde ich ebenfalls gleich auf die Frage 2 dazu antworten. Der von Ihnen konkret dargestellte Sachverhalt und die daraus entstandenen Probleme lassen sich meines Erachtens sehr viel besser an Ort und Stelle lösen, als wenn der Weg über das Bundesministerium des Innern und das der Verteidigung gewählt wird, um diese Probleme abzustellen. Sollte es sich allerdings ergeben, Herr Kollege Schweitzer, daß an Ort und Stelle eine Abhilfe nicht möglich ist, daß sie dort erfolglos versucht worden ist, stehe ich gern zur Vermittlung weiterer Initiativen zur Verfügung. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.

Richard Ey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Informationen über Gebiete der Bundesrepublik vor, in denen die Wasserversorgung kritisch ist?

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Der Bundesregierung ist bekannt, daß es an einzelnen wenigen Orten solche Probleme gibt, mit denen man zur Zeit aber noch durchaus fertig wird. Es liegen hier keine Informationen darüber vor, daß solche Probleme sich auf weitere Bereiche erstrecken. Im Gegenteil, ich konnte Ihnen eben die Auskunft geben, daß nach Rücksprache mit den Ländern und nach Einholung der Informationen bei denjenigen, die damit befaßt sind, die Gesamtsituation durchaus noch nicht als kritisch betrachtet wird. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung, nachdem die Dürre nun aufzeigt, wie unsinnig einige Gesetze sind, bereit, für die schon vorgesehene Sondersitzung des Bundestages eine Novellierung der Abwasserabgabenordnung zu beantragen, denn niemand hat ja wohl noch Verständnis für die dort von der SPD und FDP beschlossene Regensteuer? ({0}) Vizepräsident von Hassel: Verehrter Herr Kollege, ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn man Fragen auszuweiten trachtet, aber die Regensteuer hat mit der Wasserversorgung der Bevölkerung bei anhaltender Trockenheit - so heißt die Grundfrage - nichts zu tun. Herr Staatssekretär, Sie brauchen diese Zusatzfrage nicht zu beantworten. Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Josten auf: Ist von seiten der Bundesregierung daran gedacht, Hilfsorganisationen - z. B. Technisches Hilfswerk oder auch die Bundeswehr - zum Wasserfahren in den ausgesprochenen Wassernotstandsgebieten einzusetzen? Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Soweit infolge der derzeit anhaltenden Trockenheit Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der Wasserversorgung auftreten, können die hierfür zuständigen Länder und Kommunen wie folgt auf Bundespotential zurückgreifen. Nach dem Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes vom 9. Juli 1968 steht den Landes- und Kommunalbehörden das vom Bund beschaffte Katastrophenschutzgerät jederzeit ohne besondere Anforderung zur Verfügung. Dazu gehören u. a. 54 Mehrzweckfahrzeuge mit einem Fassungsvermögen von je 4 5001 Wasser. Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, zu deren Aufgaben die Leistung technischer Hilfe bei öffentlichen Notständen zählt, hält insgesamt 16 Trinkwasseraufbereitungsanlagen, Wassertransportkapazitäten sowie Rohrverlegungsmaterial vor. Auf Anforderung örtlicher Stellen befinden sich bereits in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz Trinkwasseraufbereitungsanlagen und Lastwagen mit Wasserbehältern im Einsatz. Die Landesverbände der Bundesanstalt sind angewiesen, sich für weitere Hilfsaktionen bereitzuhalten. Nach Art. 35 Abs. 2 des Grundgesetzes können Länder und Kommunen auch die Streitkräfte und den Bundesgrenzschutz zur Hilfeleistung anfordern. Diese sind darauf vorbereitet, unverzüglich ihr Personal und Material einzusetzen. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bei aller Anerkennung Ihrer Hinweise, wie geholfen werden kann: Ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise jetzt schon in Gemeinden auch in Rheinland-Pfalz die Wasserversorgung nur mit Tankfahrzeugen gesichert werden kann, welche z. B. von den freiwilligen Feuerwehren gefahren werden, und ist zu erwarten, daß diese Gemeinden auch vom Bund eine finanzielle Entschädigung oder Mithilfe bekommen können?

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Ich kann Ihnen über eine finanzielle Entschädigung zur Zeit überhaupt nichts sagen. Dazu ist meines Erachtens weder das Ausmaß des Schadens, noch die Zuständigkeit, noch die Abhilfemöglichkeit bisher schon absehbar. Im übrigen aber, Herr Kollege Josten, muß ich noch einmal darauf verweisen, daß die Sicherstellung der Wasserversorgung der Bevölkerung Aufgabe der Länder und Gemeinden ist. Die Möglichkeiten des Bundes, zu helfen, die ich soeben dargelegt habe, sind ein Angebot, das der Bund vorhält. Von diesem Angebot kann Gebrauch gemacht werden; damit es überhaupt realisiert wird, muß davon Gebrauch gemacht werden. Keinesfalls kann der Bund von sich aus die Initiative ergreifen und über dieses Angebot hinausgehen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie aber nicht meine Meinung, daß es sich hier um eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern handelt und daß nicht in solchen Gebieten, wo Wassernot ist, der Eindruck entstehen kann, daß die Regierung des Bundes wenig interessiert ist, weil ihr vielleicht das Wasser schon am Hals steht?

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Herr Kollege Josten, ich muß diesen Vorhalt zurückweisen; denn wenn ich Ihnen eben - und, wie ich glaube, eindrucksvoll - darlegen konnte, daß der Bund ein reichhaltiges Angebot an Hilfsmaßnahmen unterhält und dieses vorhält, dann können Sie nicht von einem Desinteresse der Regierung oder von einer Zurückhaltung sprechen. Im übrigen hat das Grundgesetz die Zuständigkeitsverteilung aus sehr wohlerwogenen Gründen auch für diesen Fall geregelt. Es kann nicht angehen, daß in einer konkreten Situation, die hier oder dort Probleme schafft, bei denen man die vorhandenen Mittel noch gar nicht ausgenutzt hat, urn ihrer Herr zu werden, schon über die Änderung von Zuständigkeiten, die verfassungsrechtlich festgelegt sind, geredet wird. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, bitte schön Herr Kollege!

Klaus Bremm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000260, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen aus früheren Notständen bekannt, daß, wenn die Hilfe der Bundeswehr oder des Technischen Hilfswerks von den Gemeinden oder von einzelnen Gehöften angenommen worden ist, im Anschluß an diese Maßnahmen sehr hohe Gebührenrechnungen gekommen sind, und ist die Bundesregierung bereit, innerhalb der Ressorts abzustimmen, daß diese Gebühren dann nicht erhoben werden?

Dr. Jürgen Schmude (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002038

Mir ist bekannt, daß grundsätzlich eine Kostenerstattungspflicht besteht. Nur ist mir auch bekannt, daß es die ständige Praxis der Bundesregierung in der Vergangenheit gewesen ist, nachträglich beim Erlaß dieser Kostenerstattungsforderung sehr großzügig zu verfahren. Es geht nur nicht an, von vornherein und ohne Kenntnis des genauen Ausmaßes der Beanspruchung schon Kostenerlaß zu gewähren. Dies ist auch haushaltsrechtlich nicht möglich. Vizepräsident von Hassel: Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung danken. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Die Frage 1 des Abgeordneten Gansel wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgewickelt. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Die Frage 2 des Abgeordneten Milz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Die Frage 3 hat der Abgeordnete Horstmeier gestellt: Wie sieht die Bundesregierung die Einbeziehung der sogenannten Entwicklungsländer in die Möglichkeiten des internationalen Praktikantenaustausches, und hat sie dafür schon Regelungen vorgesehen? Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brück.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Horstmeier, die Bundesregierung führt seit 1956 Programme zur Aus- und Fortbildung von Fach- und Führungskräften der Entwicklungsländer durch. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um Fortbildungsmaßnahmen mit dem Schwergewicht einer praktischen Fortbildung in Institutionen und Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland. Da die Entwicklungsländer in der Regel nicht über entsprechende Ausbildungsplätze verfügen und auch noch keine nennenswerte Nachfrage von Deutschen für Praktika in Entwicklungsländern zu erkennen ist, steht ein Austausch noch in ersten Anfängen. Bisher wurde nur ein Abkommen auf Gegenseitigkeit mit einem Entwicklungsland abgeschlossen, und zwar 1974 mit Mexiko, das zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren den jährlichen Austausch von je 30 Mexikanern und Deutschen zu Fortbildungszwekken vorsieht. Praktikantenaustauschprogramme gibt es sonst nur mit Industrieländern. Sie werden durch Mittlerorganisationen wie die Carl-Duisberg-Gesellschaft und den Deutschen Akademischen Austauschdienst mit öffentlicher Förderung betreut. Eine allPari. Staatssekretär Brück mähliche Ausdehnung dieser Austauschprogramme auf fortgeschrittenere Entwicklungsländer hält die Bundesregierung für grundsätzlich möglich und im Rahmen ihrer auf gegenseitige Kooperation gerichteten Entwicklungspolitik auch für förderungswürdig. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Horstmeier.

Martin Horstmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000962, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sieht sich die Bundesregierung in der Lage, bei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen - das ist nämlich der entscheidende Punkt - den einzelnen Stellen und den einzelnen Praktikanten behilflich zu sein?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Sie meinen jetzt Praktikanten aus Entwicklungsländern?

Martin Horstmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000962, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Horstmeier, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung das bei der Begrenzung der Mittel natürlich nur in Zusammenarbeit auch mit den Regierungen der entsendenden Entwicklungsländer tun kann. Es ergibt sich für uns oft ein Problem daraus, daß Praktikanten und Studenten aus Entwicklungsländern einreisen, ohne daß die Studienplätze und die Aufenthaltsgenehmigungen für sie gesichert sind. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre es nicht zweckmäßig, wenn die Bundesregierung die Informationen über die Erfolge auf diesem Gebiet, welche sie uns als den Mitgliedern des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zukommen ließ, auch den Mitgliedern dieses Hauses insgesamt gäbe, damit auch noch eine breitere Möglichkeit der Information gegeben wäre?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Josten, ich glaube, angesichts der Papierflut, die alle Mitglieder dieses Hauses jeden Tag in Empfang nehmen, wäre es nicht angebracht, von vornherein diese Informationen an alle zu geben. Aber ich bin gern bereit, den Informationsvermerk, den der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit über dieses Gebiet erhalten hat, an die Mitglieder des Hauses weiterzuleiten, die das wünschen. Ich will nur zur Information des Hauses sagen, daß im Jahre 1975 rund 4 800 Praktikanten aus Entwicklungsländern von der Bundesrepublik gefördert worden sind, davon 3 800 für einen Aufenthalt in der Bundesrepublik, etwa 1 000 für einen Aufenthalt in Entwicklungsländern. Vizepräsident von Hassel: Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe zunächst die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Zeitel auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die im Handelsblatt vom 14. Juni 1976 zitierte Untersuchung über die Strompreise in der Bundesrepublik Deutschland und die Feststellung, daß die „Bundesrepublik die höchsten Strompreise" hat, und welche Folgerungen zieht sie hieraus für ihre Energiepolitik? Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Der im „Handelsblatt" vom 14. Juni 1976 zitierte Strompreisvergleich kann nicht als repräsentativ angesehen werden; für Forderungen an die Energiepolitik stellt er deshalb keine geeignete Grundlage dar. Der Vergleich greift nur ein spezifisches Abnahmeverhältnis aus dem Industriebereich heraus und legt nicht - wie erforderlich - einen ausgewogenen Querschnitt der vielfältigen Abnahmeverhältnisse dieses Bereichs zugrunde. Überdies ist der Tarifbereich ({0}) völlig unberücksichtigt geblieben. Die Methode der Untersuchung, Strompreise nach Währungsparitäten zu vergleichen, ist angesichts der starken Schwankungen der einzelnen Währungen - insbesondere des Pfund Sterling gerade gegenüber dem Dollar - nicht sonderlich geeignet. Der Vergleich läßt auch nicht erkennen, ob Steuern und Abgaben, wie etwa Mehrwertsteuer und Ausgleichsabgabe, in den angegebenen Werten enthalten sind. Nationale Unterschiede insbesondere in der Steuerstruktur, den Finanzierungsbedingungen und der staatlichen Preispolitik machen einen brauchbaren internationalen Vergleich der Strompreise äußerst schwierig. Die Untersuchung macht sich daher die Feststellung, die Bundesrepublik habe die höchsten Strompreise, zu einfach. Zudem spielen auch die unterschiedlichen Kosten und Anteile der Einsatzenergien eine gewisse Rolle. Die Bundesregierung hält nach wie vor im Rahmen ihrer Energiepolitik daran fest, daß die Strompreise kostennah sein sollten. Die für die Strompreisaufsicht zuständigen Länderministerien gehen nach diesem Grundsatz vor. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Zeitel.

Dr. Gerhard Zeitel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002585, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie dennoch - mit den methodischen Vorbehalten, die Sie gemacht haben - der Aussage, daß unsere Strompreise höher sind als in allen vergleichbaren Ländern, in der Tendenz zustimmen oder nicht?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Ich würde dem in der Tendenz nicht zustimmen, weil die Grundlagen für einen solchen Vergleich erst in einer sehr mühevollen Arbeit dargestellt und erarbeitet werden müßten. Erst dann ließe sich ein solcher Vergleich tatsächlich ziehen, ließen sich zuverlässige Aussagen an einen solchen Vergleich knüpfen. Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Zeitel.

Dr. Gerhard Zeitel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002585, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre Ihr Haus bereit, derartige Daten, die für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land von höchster Bedeutung sind, etwas methodisch gründlicher aufzuarbeiten - ich darf Ihrer Antwort entnehmen, daß das nicht der Fall ist - und mir bekanntzugeben?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Herr Kollege, es ist höchst zweifelhaft, ob die außerordentlich kostspielige und umfangreiche Arbeit, die mit diesem internationalen Vergleich verbunden ist - auch im Blick auf von Jahr zu Jahr eintretende Änderungen - den Aufwand tatsächlich lohnte. Aber ich bin sicher, daß eine entsprechende Initiative seitens des Parlaments oder eines dafür zuständigen Auschusses ein derartiges Vorhaben sehr befördern könnte. Man muß, glaube ich, sehr genau prüfen, ob Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis stehen. Denn selbst wenn wir erfahren, daß wir etwa die höchsten Strompreise haben, hat sich an dieser Tatsache damit noch nichts geändert, so wenig wie uns etwa angerechnet wird, daß wir, wenn ich einmal die Steuerbelastung nicht berücksichtige, zu den Ländern mit den niedrigsten Benzinpreisen gehören. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Zeitel auf: Welches sind zur Zeit die Erzeugungskosten für Strom aus deutscher Steinkohle, Importkohle, Braunkohle, Öl, Erdgas und Kernenergie betriebswirtschaftlich gerechnet und unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Kosten für die einzelnen Energiequellen?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Stromgestehungskosten unterliegen außerordentlichen Schwankungsbreiten, die von Unternehmen zu Unternehmen verschieden sind. Alter und Abschreibungsstand der Investitionen, Höhe der Steuer- und Zinsbelastung, Brennstoff- und Transportkosten, Ausnutzungsgrad der Anlagen sind nur einige der Parameter, die selbst bei gleicher Kraftwerksart von einem Kraftwerk zum anderen sehr unterschiedlich ausfallen können. Da die Bundesregierung keinen Einblick in die betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulationen der Unternehmen hat, können für die einzelnen Energieträger nur überschlägige kalkulatorische Kostenvergleiche angestellt werden. Hiernach entstehen die niedrigsten Stromerzeugungskosten im Grundlastbereich eindeutig auf der Basis von Kernenergie und Braunkohle. Dieser Kostenvorteil reicht bis in den Mittellastbereich, wo er von Importkohle und Erdgas eingeholt wird. Die Stromerzeugungskosten aus heimischer Steinkohle können auf Grund der Förderung durch das Dritte Verstromungsgesetz mit denen aus schwerem Heizöl gleichgesetzt werden. Die Erzeugungskosten dieser Energieträger liegen bis in den unteren Mittellastbereich über denen der oben genannten Energieträger. Noch schwieriger als die Erfassung der betriebswirtschaftlichen Kosten ist die der volkswirtschaftlichen Kosten. Zu diesen müssen letztendlich alle Aufwendungen der öffentlichen Hand zur Entwicklung, Förderung und Subventionierung der einzelnen Energieträger und Kraftwerkstypen gerechnet werden. Hier liegen die jährlichen Aufwendungen für die kerntechnische Entwicklung etwa in der gleichen Größenordnung wie die zur Aufrechterhaltung und Rationalisierung des Steinkohlenbergbaus eingesetzten staatlichen Subventionen. Eine Zuordnung dieser Mittel nur auf die Kraftwerkskohle oder die jetzt laufende Generation der Leichtwasserreaktoren ist allerdings nicht gerechtfertigt. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Zeitel.

Dr. Gerhard Zeitel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002585, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Tendenz in einer Überschlagsrechnung kundgetan. Können Sie mir vielleicht etwas näher sagen, wie groß - auch nur als Überschlagsrechnung - in absoluten Werten die Differenzen sind?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Ich bin dazu leider nicht in der Lage, Herr Kollege. Es bedürfte dazu einer erneuten Anfrage, die ich dann gern beantworten werde. Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Zeitel.

Dr. Gerhard Zeitel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002585, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf man Ihrer Antwort entnehmen, Herr Staatssekretär, daß bei den genannten Differenzen im Einsatz verschiedener Energiearten zu befürchten steht, daß die Steinkohle immer stärker in den Mittellast- und den Spitzenlastbereich abgedrängt wird?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Eine solche Befürchtung würde ich aus diesen Angaben nicht herauslesen wollen. Jedenfalls würden wir, wenn sie sich als zutreffend erwiese, im Interesse unserer sicheren Energieversorgung Maßnahmen zu überlegen haben, die dem entgegenwirken könnten. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dürfen wir davon ausgehen, daß Sie Ihren ganzen Einfluß geltend machen, daß die Steinkohle nicht nur für 1976, sondern auch für 1977 im Bereich der Verstromung angemessen eingesetzt wird, und das die Bundesregierung im Interesse der Sicherung der zukünftigen Energieversorgung daran festhält, daß die heimische Steinkohle bei der Verstromung einen wichtigen Platz einnimmt?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Davon können Sie ausgehen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, weil ich mich über jeden unnötigen Verwaltungsaufwand ärgere, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, die vorletzte Frage des Herrn Kollegen Zeitel ohne den Umweg einer nochmaligen Anfrage Ihrerseits schriftlich zu beantworten?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Das ist selbtverständlich, Frau Kollegin. ({0}) Es ist ganz klar, daß wir Ihnen ohne erneute Frage diese Antwort geben werden. Das wollte ich vorhin ausdrücken. Vizepräsident von Hassel: Die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Jens wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung danken. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Horstmeier auf: Ist vom Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer auch der internationale Praktikantenaustausch der deutschen Landjugend, der von der Bundesregierung finanziell gefördert wird, betroffen, und wenn ja, ist die Bundesregierung zu einer Neuregelung bereit? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort, bitte.

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Horstmeier, der internationale Praktikantenaustausch der deutschen Landjungend beruht auf einem Programm für Regierungspraktikanten. Hierfür gilt der Anwerbestopp nicht. Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Urbaniak auf: Wie beurteilt die Bundesregierung derzeit die Finanzsituation der Rentenversicherungsträger, und welche Folgerungen zieht sie aus dieser Beurteilung? Der Fragesteller ist anwesend. Bitte, zur Beantwortung Herr Staatssekretär.

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Urbaniak, aus Informationen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte von Ende Januar 1976 war zu erfahren, daß die Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten im Jahre 1975 ein Einnahmendefizit von rund 1,3 Milliarden DM erlitten hätten. Inzwischen ist dieses Defizit auf 0,5 bzw. 0,2 Milliarden DM nach dem Stand von Februar 1976 korrigiert worden. Ende Mai 1976 berichtete der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger auf der Grundlage neuester Ergebnisse von einem Einnahmenüberschuß für das Jahr 1975 in der Größenordnung von rund 0,6 Milliarden DM. Innerhalb weniger Monate hat sich also eine tatsächliche Verbesserung der Finanzlage der Rentenversicherungen von einem vorausgesagten Defizit von 1,3 Milliarden DM zu einem tatsächlich zu verbuchenden Uberschuß von 0,6 Milliarden DM eingestellt. Die Bundesregierung beobachtet die finanzielle Weiterentwicklung der Rentenversicherung mit großem Interesse. Sie ist davon überzeugt, daß die anhaltende Belebung des wirtschaftlichen Wachstums auch die Finanzen der Rentenversicherung nachhaltig kräftigen wird. Die Bundesregierung wiederholt aus diesem Anlaß, daß das finanzielle Fundament der gesetzlichen Rentenversicherungen solide ist. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat sich diese positive finanzpolitische Entwicklung, was die Frage der Einnahmen und Ausgaben angeht, auch im Jahre 1976 fortgesetzt?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Urbaniak, die Abweichung der tatsächlichen Entwicklung in den ersten Monaten des Jahres 1976 von der noch vor wenigen Wochen geschätzten Entwicklung für 1976 macht deutlich, wie sehr sich der wirtschaftliche Aufschwung positiv auf die Finanzentwicklung der Rentenversicherung auswirkt. Wie das endgültige Ergebnis für 1976 auf der Basis dieser Zahlen aussehen wird, läßt sich erst abschätzen, wenn die Rechnungsergebnisse für die Sommermonate bekannt sind. Vizepräsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir für die letzten drei Monate einige konkrete Zahlen nennen, die sich aus den Einnahmen und Ausgaben ergeben?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Urbaniak, wir haben keine Quartalsabrechnungen. Ich kann aber heute, bei allem Vorbehalt, den man machen muß, sagen, daß sich die Beitragseinnahmen von Januar bis Mai bei der Arbeiterrentenversicherung um 5,4, bei der Angestelltenversicherung um 8,5 und im Gesamtdurchschnitt um 6,9 % gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahre 1975 erhöht haben. Im Mai 1976 haben wir im Verhältnis zum Mai 1975 - dies ist wohl auf die tarifvertraglichen Abschlüsse zurückzuführen - in der Arbeiterrentenversicherung ein Plus von 11,6 %, bei der Angestelltenversicherung von 6,2 % und damit im Mittel von 9,2 % zu verzeichnen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind die von Ihnen genannten Zahlen nicht das Ergebnis von Nachentrichtungsbeiträgen, mit denen für die zurückliegenden Zeiten von 1956 an Lücken ausgefüllt werden sollen? Buschfort, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, das wird sich im Prozentsatz nicht entscheidend auswirken, denn im vorigen Jahr enthielt das Ergebnis im Mai auch Nachentrichtungsbeiträge. Es kommt auch nicht so sehr darauf an, ob hier ein Prozent, oder welche Quote auch immer, auf die Nachentrichtung zurückzuführen ist, sondern hier ist einfach festzustellen, daß wir beispielsweise bei der Arbeiterrentenversicherung in den ersten drei Monaten - da gab es sicherlich auch Nachentrichtungsbeiträge - mit einem Plus von 5,4 % rechneten und diese Rate im Mai schon bei 11,6 % lag. Das ist eindeutig auf die tarifvertragliche Entwicklung, also auf den Einkommenszuwachs bei den Arbeitern zurückzuführen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger.

Albert Burger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000310, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre jetzige positive Darstellung, daß die Renten bei einem Beitragssatz von 18 % in den nächsten Jahren gesichert sind?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege, so weite Schlußfolgerungen kann man aus den Ergebnissen der ersten vier Monate dieses Jahres allein nicht ziehen. Aber diese Zahlen, die ich Ihnen vorhin mitteilen konnte, zeigen zumindest an, daß die Entwicklung wesentlich positiver ist, als wir sie selbst zunächst für möglich gehalten haben. Angesichts der positiven Entwicklung und der vorhandenen Rücklagen spricht alles dafür, daß sich die Rentner in der Bundesrepublik Deutschland keine Sorgen zu machen brauchen. Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf: Hält es die Bundesregierung für wünschenswert, in der gesetzlichen Rentenversicherung - insbesondere für Teilzeitbeschäftigte - über den Pflichtbeitrag hinaus freiwillige Beitragsleistungen zuzulassen, die später zu höheren Rentenleistungen führen, und wenn ja, wird sie eine entsprechende Initiative ergreifen? Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Urbaniak, die Bundesregierung steht dem Wunsch, die Beitragszahlung flexibler zu gestalten, positiv gegenüber. Sie hält die Aufstockung von Pflichtbeiträgen durch freiwillige Beiträge für einen hierfür durchaus geeigneten Weg. Die hiermit zusammenhängenden rechtlichen, verwaltungstechnischen und finanziellen Fragen bedürfen allerdings noch eingehender Prüfung. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Personen von solch einer Regelung betroffen sein könnten?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Urbaniak, genaue Zahlen liegen darüber nicht vor. Sicherlich kämen aber zunächst einmal der Gesamtbereich der Teilzeitbeschäftigten und auch allgemein viele Arbeiter und Angestellte für eine solche freiwillige Regelung in Betracht. Ich kann Ihnen aber keine konkrete Zahl von Personen, die von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen wollen, nennen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0}).

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hält die Bundesregierung den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur freiwilligen Aufstockung von Rentenversicherungsbeiträgen vom 9. April 1975 - Drucksache 7/3468 -, der morgen auf der Tagesordnung steht und der von dem Kollegen Urbaniak vielleicht übersehen wurde, für einen geeigneten Weg, dem Begehren, das in dieser Anfrage enthalten ist, Rechnung zu tragen, und würden Sie dem Herrn Kollegen Urbaniak auch sagen, wie hoch die Bundesregierung die Steuerausfälle auf Grund der Verwirklichung eines solchen Vorhabens einschätzt?

Hermann Buschfort (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000315

Herr Kollege Müller, wenn die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf für geeignet hielte, hätte ich vorhin sicher nicht die Antwort gegeben, daß wir die sich ergebenden Fragen noch einmal rechtlich, verwaltungstechnisch und finanziell prüfen müssen. Wenn Sie schon einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt haben, so ist es, glaube ich, nicht statthaft, jetzt hier zu fragen, wie die Bundesregierung die finanzielle Belastung daraus einschätzt. Sie müßten schon selbst sagen, wie Sie Ihr Gesetzesvorhaben finanziell decken wollen. Vizepräsident von Hassel: Die Fragen 9 und 10 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Immer ({0}), schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zur Frage 11 des Herrn Abgeordneten Pieroth. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Herr Staatssekretär, wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Geisenhofer auf: Vizepräsident von Hassel Auf Grund welcher quantifizierter Feststellungen bzw. gesicherter Bedarfsdeterminanten ist die Bundesregierung zu dem Schluß gekommen, daß in weiten Teilen des Bundesgebiets ein Bettenüberhang in Krankenhäusern bestehe? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Herr Kollege Geisenhofer, die Bundesregierung hat in dem Bericht über die Auswirkungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in Abschnitt 2 unter der Überschrift „Ausführung des Gesetzes durch die Länder - Krankenhausbedarfsplanung" auf Seite 16 folgendes festgestellt: Das Angebot an Krankenhausbetten ist in der Bundesrepublik Deutschland überdurchschnittlich hoch. In verschiedenen Bereichen muß bereits ein Bettenüberangebot festgestellt werden, wenn auch regional und in einzelnen Fachrichtungen noch ein Mangel an Krankenhausbetten besteht. Die Bundesregierung weist somit differenziert auf ein fachbezogenes wie auch zum Teil regional bedingtes Bettenüberangebot hin. Wegen der Einzelheiten wird auf die Krankenhausbedarfsplanungen der Länder, die geänderten Daten zur Bevölkerungsentwicklung, zur Verweildauer, zur Krankenhaushäufigkeit und Bettennutzung hingewiesen, insbesondere auch auf die entsprechenden Ausführungen in dem Bericht auf den Seiten 14 bis 16. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer.

Franz Xaver Geisenhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000653, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nach wie vor der Meinung, daß nur die Größe, nicht aber auch die Qualität des Krankenhauses zur Grundlage und zum Maßstab der Förderung gemacht werden kann?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Ich vermag nicht zu erkennen, daß diese Frage mit der Ausgangsfrage im Zusammenhang steht, die auf die Einschätzung der Bettenversorgung überhaupt abzielte. Ich kann nur sagen, daß wir in dieser Zusammenfassung, die ich hier zitiert habe, auf der Grundlage sehr umfangreicher Informationen, die uns von den Ländern zugänglich waren, die Schlußfolgerung gezogen haben, nach der Sie gefragt haben, daß es insgesamt in der Bundesrepublik einen Bettenüberhang gibt, daß es aber durchaus fachbezogen und in bestimmten Gebieten nachweisbare Mängel gibt. Ein Beleg dafür, daß insgesamt ein Bettenüberhang vorhanden ist, ist ja die Tatsache, daß einzelne Bundesländer dabei sind, die Zahl der Krankenhausbetten in den Planungen für die nächsten Jahre zu reduzieren. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Burger.

Albert Burger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000310, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen von gewissen fachbezogenen Mängeln. Welche Spezialbetten fehlen nach Ihrer Ansicht, und wie kann erreicht werden, daß dieser Mangel behoben wird?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Ich kann darauf nur eine pauschale Antwort geben. Sie wissen genauso gut wie ich, daß beispielsweise in der Psychiatrie Betten fehlen. Welche Mängellagen es in bestimmten Regionen gibt, wo sich regionale Mängel in bestimmten Fachgebieten zeigen, kann ich aus dem Handgelenk nicht sagen. Aber das wäre in den einzelnen Bundesländern relativ leicht festzustellen. Die Krankenhausbedarfspläne müßten dies ausweisen. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, der Abgeordnete Braun.

Gerhard Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie wiesen u. a. darauf hin, daß regionale Unterschiede vorhanden seien. Bedeutet dies, daß insbesondere im ländlichen Bereich heute von einem Bettenüberhang nicht gesprochen werden kann?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Das kann man so pauschal für den ländlichen Bereich nicht sagen. Auch in den ländlichen Bereichen gibt es Gebiete, in denen davon ausgegangen werden kann, daß die Versorgung ausreichend, wenn nicht sogar etwas günstiger als ausreichend ist. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, der Abgeordnete Egert.

Jürgen Egert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000437, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß die angesprochenen Mängellagen in der Zuständigkeit der Länder behoben werden müßten?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Darüber besteht kein Zweifel, weil die Länder für die Krankenhausbedarfsplanung zuständig sind. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Prinz zu Sayn-Wittgenstein.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir zuzugestehen, daß es über § 7 Abs. 1, nämlich den gemeinsamen Ausschuß, möglich wäre, gemeinsame Kriterien zu erarbeiten, um solche unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Bundesländern zu verhindern?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Ich gestehe Ihnen zu, daß es diese Möglichkeit über den Ausschuß nach § 7 gibt. Ich gestehe Ihnen aber nicht zu, was im zweiten Teil Ihrer Frage zum Ausdruck kam, daß damit die Möglichkeit des Hineinwirkens des Bundes in die Landesplanung gegeben ist. Sie wissen wahrscheinlich ebenso gut wie ich, daß schon bei der Verabschiedung des Gesetzes die Koordinierungsfunktion, die der Bund in diesem Ausschuß haben sollte, von den Ländern verneint worden ist. Dies ist ein Gremium, in dem nur Erfahrungen ausgetauscht werden können. Die Bundesregierung ist auf die in diesem Sektor im Grunde allein zuständigen Bundesländer angewiesen. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die in § 7 normierten Bestimmungen die Bundesregierung nicht in den Stand versetzen, hier Zielvorgaben zu machen, sondern nur Anregungen zu geben, also nicht eine abgestimmte Bedarfsplanung für die Länder in einer gewissermaßen verbindlichen Form vorzuschlagen?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

So ist es. Dem Bund ist bei der Verabschiedung des Gesetzes im damaligen Verfahren, ich glaube, des Vermittlungsausschusses die von ihm angestrebte Koordinierungsfunktion über diesen Ausschuß versagt worden. Ich darf Sie im übrigen daran erinnern, daß die Bundesregierung auch anläßlich der Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes den Versuch gemacht hat, die Möglichkeit zu erhalten, bundeseinheitliche Bedarfskriterien mit zu bestimmen. Auch dieser Versuch des Bundes, hier mehr Einfluß zu gewinnen, ist in den damaligen Beratungen von den Bundesländern abschlägig beschieden worden. Vizepräsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Geisenhofer auf: Hält die Bundesregierung am Prinzip der kostendeckenden Pflegesätze fest? Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Herr Kollege Geisenhofer, in § 17 Abs. 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes ist festgelegt, daß die Pflegesätze auf der Grundlage der Selbstkosten eines sparsam wirtschaftenden, leistungsfähigen Krankenhauses und einer Kosten- und Leistungsrechnung eine wirtschaftliche Betriebsführung ermöglichen und die medizinisch und wirtschaftlich rationelle Versorgung durch die Krankenhäuser sichern müssen. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, von diesem Grundsatz abzugehen. Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage? Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Frau Schleicher auf: Sieht die Bundesregierung einen Ansatzpunkt in Richtung auf eine Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, um krankenhausentlastende Einrichtungen zu fördern und ihre Betriebskosten sicherzustellen?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Frau Kollegin Schleicher, nach Art. 74 Nr. 19 a des Grundgesetzes ist der Bund zuständig für die Gesetzgebung über die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze. Im Hinblick auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift ist nicht davon auszugehen, daß diese Gesetzgebungszuständigkeit auch die Befugnis zur Regelung der Investitions- und Betriebskosten anderer Einrichtungen als Krankenhäuser umfaßt. Vizepräsident von Hassel: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schleicher.

Ursula Schleicher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001980, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich dann in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob sich die Bundesregierung beim Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht in ihrer Kompetenz übernommen hat und jetzt gerade die Länder in weitere Zwänge versetzt werden.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich der Bundesgesetzgeber bei einem zustimmungspflichtigen Gesetz in seiner Kompetenz übernommen hat. Dies würde sicherlich schon der Bundesrat, wenn nicht mehrheitlich, so doch als Ganzes, zu verhindern wissen. ({0}) Vizepräsident von Hassel: Zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schleicher.

Ursula Schleicher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001980, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist nicht auch in dem Bericht der Bundesregierung zum Krankenhausfinanzierungsgesetz deutlich geworden, daß sie die Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses und der Krankenhausversorgung gerade durch eine verbesserte Krankenhausbedarfsplanung unter Berücksichtigung krankenhausentlastender Einrichtungen gesichert sieht?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Frau Kollegin Schleicher, dies steht außer Frage. Ich habe nur auf die Kompetenzlage des Bundes hingewiesen. Außerhalb dieser Kompetenzlage und in den Gremien, in denen die Bundesregierung mitwirkt, kann ich Ihnen sagen, daß es die Bundesregierung sehr begrüßen würde, wenn krankenhausentlastende Einrichtungen dieser Art entstünden. Die Bundesregierung hat dies auch immer in den Beratungen zum Ausdruck gebracht. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz hindert niemand daran, dies in seiner Zuständigkeit zu tun. Wir würden das sehr begrüßen, haben aber keine Kompetenz. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Länder nach den bestehenden Gesetzen die Möglichkeit hätten, andere Pflegesatzregelungen zu treffen?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Ja, selbstverständlich. Die Bundespflegesatzverordnung hat eine Experimentierklausel. In diesem Rahmen bestehen Möglichkeiten, andere Systeme der Pflegesatzbestimmungen zu erproben. Deutschei Bundestag - 7. Wahlperiode Vizepräsident von Hassel: Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Frau Schleicher auf: Glaubt die Bundesregierung, daß dem gesetzlichen Auftrag nach Planung und Vorhaltung des bedarfsgerechten und leistungsfähigen Krankenhaussystems mit dem derzeitigen Instrumentarium auch bei Bestehen eines Bettenüberhangs nachgekommen werden kann? Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Frau Kollegin Schleicher, nach Auffassung der Bundesregierung muß die Krankenhausbedarfsplanung der Länder dazu eingesetzt werden, das Bettenangebot bedarfsgerecht zu strukturieren. Dazu gehört auch der Abbau eines sich gegebenenfalls ergebenden Bettenüberhangs. Vizepräsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Prinz Botho.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Könnte der Herr Staatssekretär hier erläutern, was „bedarfsgerecht" ist?

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Ich kann nur davon ausgehen, daß das in die Kompetenz der Bundesländer fällt und daß die Bundesländer jeweils unter ihren konkreten Bedingungen, die sie vorfinden - in einem Flächenstaat ist das anders als in der Stadt -, zu definieren haben, wie sich bei ihnen „bedarfsgerecht" darstellt. Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer Fragestunde angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung danken, Herr Staatssekretär. Bevor wir in die Aussprache zu Punkt 3 der Tagesordnung eintreten, haben wir noch folgendes zu erledigen: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Handwerkszählungsgesetzes 1977 - Drucksachen 7/5228, 7/ 5375, 7/5517 -. Dazu liegt Ihnen auf Drucksache 7/5540 ein Antrag aller Fraktionen für einen Deckungsvorschlag vor. Zunächst einmal gehe ich davon aus, daß das Haus mit der Ergänzung der Tagesordnung einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir diesen Punkt sofort behandeln. - Das Haus ist damit einverstanden. Das Wort zur Begründung und Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP gemäß § 96 Abs. 5 der Geschäftsordnung auf Drucksache 7/5540. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Nach § 96 Abs. 5 der Geschäftsordnung gilt der soeben angenommene Antrag als an den Haushaltsausschuß überwiesen, der zu ihm Stellung nimmt und die Finanzvorlage sodann dem Bundestag zur abschließenden Beratung vorlegt. Wir werden also diesen Punkt in der Sache erst weiterberaten, wenn der Haushaltsausschuß seinen Bericht vorgelegt hat. Wir fahren fort in der Beratung des Tagesordnungspunktes 3, betr. Zukunftschancen der jungen Generation in der Bildung und im Beruf. Das Wort hat dazu der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Bundesminister Rohde.

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das heutige Thema beschäftigt, verfolgt man die internationale bildungspolitische Diskussion, alle vergleichbaren Industrieländer. Sie sehen sich dem Tatbestand gegenüber, daß in den nächsten Jahren geburtenstarke Jahrgänge gleichzeitig mit einer wachsenden Bildungsnachfrage zusammentreffen werden. Ich stimme mit dem Kollegen Pfeifer darin überein, daß dies eine der großen Herausforderungen an die Industrieländer darstellt. Es trifft zu, daß mit dieser Herausforderung sowohl die Bildungsbedürfnisse der jungen Generation als auf der anderen Seite auch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Industrieländer verbunden ist. In einer solchen Lage reicht es aber nicht, nur allgemeine Erwägungen anzustellen. Ginge es nur um Formulierungen, wie Aufwertung der beruflichen Bildung, Kurskorrektur zugunsten der beruflichen Bildung, Verbesserung der Lage der Hochschulen, Sicherung des Bildungs- und Ausbildungsplätzeangebots, so könnten wir, Herr Kollege Pfeifer, uns darin sehr schnell einig sein, zumal Sie diese Begriffe bereits in der bildungspolitischen Zwischenbilanz finden, die von der Bundesregierung am Anfang dieses Jahres vorgelegt worden ist. Wichtiger sind aber die Konsequenzen, die aus solchen Begriffen und Feststellungen gezogen werden. Dabei ist mir aufgefallen, daß sich der Kollege Pfeifer hinsichtlich der konkreten politischen Konsequenzen außerordentlich zurückgehalten hat. Das scheint mir um so bemerkenswerter zu sein, als die CDU/CSU, für die er spricht, in der Mehrzahl der Länder die Verantwortung für die Bildungspolitik trägt. Es ist unmöglich, in einer solchen Debatte wie dieser die Länder mit ihren überwiegenden Zuständigkeiten für die Bildungspolitik einfach auszuklammern. Der Kollege Pfeifer hat das zwar rhetorisch versucht, aber politisch kann man das nicht. Die von ihm kritisierte Hauptschule oder die Lage der Berufsschule müssen zu dem Hinweis herausfordern, daß diese nicht Schulen des Bundes, sondern der Länder sind. Ich will anerkennen, daß sich die Tonart der Rede des Kollegen Pfeifer heute von den zugespitzten und polemisch übertriebenen Formulierungen in der Großen Anfrage der CDU/CSU vom März dieses Jahres unterschied. Inzwischen hat man sicherlich auch im Lager der Opposition unter dem Eindruck der Berufsbildungsdebatte und der Debatte über den Abbau des Numerus clausus feststellen müssen, daß diese wichtigen Fragen der Bildungspolitik nicht über den einfachen Leisten geschlagen werden können, der uns noch Anfang dieses Jahres von der Opposition angeboten worden ist. Soweit es nun vor allem die wachsende Bildungsnachfrage von Jugendlichen und, damit verbunden, auch deren Eltern angeht, verkennt die Opposition offensichtlich deren Charakter. Die Bildungsexpansion beruht nicht auf einer, wie die Opposition in den letzten Monaten wiederholt behauptet hat, ausufernden Bildungswerbung. Ihr liegen vielmehr gesellschaftliche Strukturveränderungen zugrunde. Hochentwickelte Industrieländer mit verbesserten Einkommensverhältnissen, mit der Veränderung der ländlichen Strukturen, der Herausbildung neuer Mittelschichten und neuer Vorstellungen vom Inhalt der Lebensqualität führen auch zu einem veränderten Bildungsverhalten. Wenn sich die sozialen Strukturen wandeln, bleibt das nicht ohne Auswirkung auf Bildung und Bildungspolitik. Mit Angstvokabeln wie „Akademikerschwemme", „Lehrlingshalde" oder, wie ich kürzlich hörte, „Jahrgangsklumpen" sind diese gesellschaftlichen Prozesse weder zu beschreiben noch zu gestalten. Diese Begriffe der Antibildungswerbung zielen nach unseren Erfahrungen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Die Ausdehnung des Bildungssektors kann weder als eine typisch deutsche Erscheinung noch als eine Episode begriffen werden. Sie ist ein Grundzug der Entwicklung in einem modernen Industrieland. Die Bevölkerung wäre heute - in der Mitte der siebziger Jahre - nicht mehr bereit, die Bildungskonditionen der sechziger Jahre hinzunehmen, auf die die Opposition vielfach hinweist. Damals gab es hunderttausend Jugendliche, mehr als heute, die nach Abschluß der achten Volksschulklasse in das Arbeitsleben ohne weitere Bildung, vor allem ohne berufliche Bildung, eintreten mußten. Dieser Tatbestand beschäftigt die Arbeitsmarktpolitik noch heute, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben. Weit weniger Mädchen und Kinder aus der Arbeiterschaft und aus den Landgebieten hatten Bildungschancen und -angebote, als das heute der Fall ist. Damals beherrschten noch die Auseinandersetzungen um das neunte Schuljahr, um die ländliche Mittelpunktschule und die einklassige Dorfschule die Bildungspolitik. Die Frage an die Opposition lautet deshalb, wie sie es eigentlich mit der Bildungsexpansion der letzten Jahre hält. Nostalgische Erinnerungen wie die kürzlich zitierte „Sehnsucht nach den 60er Jahren" wären überhaupt keine Lösung für die Probleme, denen wir uns heute gegenübersehen. Wo wären z. B. die Jugendlichen angesichts des seit eineinhalb Jahrzehnten zurückgehenden Angebots von betrieblichen Ausbildungsplätzen geblieben, wenn in den letzten Jahren, vor allem unter dem Einfluß sozialliberaler Bildungspolitik, das Schul- und allgemeine Bildungswesen nicht tatkräftig ausgebaut worden wäre? Und wie stünden wir den geburtenstarken Jahrgängen ohne die Expansion der Bildungseinrichtungen in den Jahren seit 1970 gegenüber? Ich halte es für unvertretbar und ungerecht - sowohl gegenüber den Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden als auch gegenüber den Steuerzahlern und vor allen Dingen den Jugendlichen -, wenn die Bildungsexpansion abschätzig beurteilt oder - wie das auch manchmal der Fall ist - gar diffamiert wird. Innerhalb weniger Jahre sind die Bildungsausgaben von 16 Milliarden DM auf heute rund 60 Milliarden DM gestiegen. Wem Zahlen wenig sagen, dem ist an Hand konkreter Lebenssituationen darzulegen, was die Rückkehr zu den 60er Jahren bedeuten würde: Jedes dritte Kind müßte seinen Kindergartenplatz räumen; 100 000 Jugendliche mehr als heute wären ohne Ausbildung im Arbeitsprozeß tätig; ein großer Teil der Jugendlichen, die heute Vollzeitschulen in der Oberstufe besuchen, würden angesichts des sich verengenden Ausbildungsstellenmarkts resignierend nach ihren Chancen fragen; jeder zweite Student müßte seinen Studienplatz verlieren; jedem dritten Studienbewerber müßte die Hochschulreife entzogen werden. Die Leistungen der Bildungsexpansion sind also nicht nur abstrakt in Zahlen, sondern auch in konkreten Lebenssituationen der jungen Menschen beweisbar und nachzuzeichnen. Natürlich ist zu fragen, ob diese erste Phase der Bildungsexpansion überall und in gleicher Weise zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat. Diese Frage hat auch der Kollege Pfeifer aufgeworfen. In der bildungspolitischen Zwischenbilanz und in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Opposition ist die Bundesregierung dieser kritischen Frage nicht ausgewichen. Wir haben offen und ehrlich Soll und Haben der Bildungspolitik und der Bildungsreform dokumentiert, jener Bildungspolitik, für die nach Verfassung und Staatsaufbau in erster Linie die Länder die Verantwortung tragen. Auf der Habenseite steht der Ausbau der Bildungseinrichtungen und die Verbreitung des Bildungsangebots. Auf der Passivseite steht die Tatsache, daß wir in den Ländern eine Expansion der Bildungseinrichtungen vielfach ohne zulängliche Reform der Inhalte unseres Bildungswesens zu verzeichnen haben. Die Hochschulen sind in den letzten Jahren enorm ausgebaut worden, ohne daß zur gleichen Zeit eine Studienreform und eine bessere Ausnutzung der Kapazitäten erreicht worden wären. Die Berufsbildung allgemein und die Berufschulen im besonderen sind eher Stiefkinder als Schwerpunkte der Bildungsreform gewesen. Soweit es die Hauptschule angeht, droht sie zur Restschule des Bildungssystems zu werden, und die Weiterbildung ist immer mehr in den Schatten immer länger werdender Erstausbildungszeiten geraten. Schließlich kommt hinzu, daß sich vor allem in der Oberstufe der Gymnasien im Schatten des Numerus clausus ein Leistungsdruck entwickelt hat, der mit Leistung im ursprünglichen Sinn dieses Wortes nichts mehr zu tun hat. Er ist ein Signal für pädagogischen Substanzverlust und Abbau zwischenmenschlicher Beziehungen. Geht man den Erfahrungen der Eltern und der Jugendlichen nach, dann gibt es bei den für die Schulen Verantwortlichen allen Grund, Lehrstoff, Lehrmethoden und Leistungsdruck kritisch zu überprüfen. Es ist nicht die Expansion des Bildungswesens, die heute auf die Kritik der Betroffenen trifft. Es sind die inhaltlichen Versäumnisse, die mancherorts zu Resignation und Enttäuschung geführt haben. Die Opposition versucht nun in der Großen Anfrage und tendenziell auch heute, für diese Probleme, die wir als Bundesregierung in unserer bildungspolitischen Zwischenbilanz offen dokumentiert haben, den Bund an den Pranger zu stellen. Sie weiß aber genauso gut wie wir, daß es in der Bundesrepublik keine bildungspolitische Zentralinstanz gibt, die von den Bildungsinhalten bis zu den Abiturientenquoten für schlechthin alles im Bildungswesen zuständig ist und verantwortlich gemacht werden kann. Das ist eine jener unredlichen Arbeitsteilungen, die die Opposition vornimmt: die bildungspolitischen Entscheidungen den Ländern vorzubehalten und nicht einen Millimeter vom Purpur der Zuständigkeiten abzugeben, aber gleichzeitig den Bund für alles verantwortlich zu machen. ({0}) Meine Damen und Herren von der Opposition, die Bürger in diesem Land wissen, daß die Länder und nicht der Bund dafür zuständig sind, was und wie in unseren Schulen gelernt wird und daß die Länder und nicht der Bund Lehrer einstellen und auf die einzelnen Schularten verteilen, wenngleich der Bund bereit ist, im Bereich des Dienst- und Sozialrechts konstruktiv an der Lösung der heutigen Lehrerprobleme mitzuarbeiten. Die Bürger wissen auch, daß die Länder für die Reform der Oberstufe zuständig sind. Der Bund hat im Gegensatz zu dem, was die Opposition auch heute wieder hier behauptet, in den vergangenen Jahren stets darauf hingewiesen, daß die Ausweitung der Oberstufe nicht allein in die Einbahnstraße des klassischen Abiturs führen dürfe und statt dessen mehr Doppelqualifikation im Sinn allgemeinbildender und berufsbezogener Bildungswege ermöglicht werden solle. Es trifft nicht zu, daß das vom Kollegen Pfeifer zitierte Abitur II ein Schmalspurweg zur Hochschule hin sein soll. ({1}) Wir sind stets für die bessere Verbindung von allgemeiner und beruflicher Bildung eingetreten ({2}) und sind dafür jahrelang den ideologischen Verdächtigungen der Opposition ausgesetzt gewesen. ({3}) Heute erkennt sie, daß diese einseitige Ausweitung der Oberstufe, insbesondere in den von ihr regierten Ländern, zu Problemen geführt hat, mit denen sie schwer fertig wird. ({4}) Schließlich haben die Länder und hat nicht der Bund den Staatsvertrag über die Vergabe der Studienplätze abgeschlossen und praktiziert. Die Orientierung von Bildungs- und Lebenschancen nach einer Zehntelnote des Abiturdurchschnitts und die reglementierenden Tendenzen in der Hochschulzulassung sind keine Erfindungen des Bundes; hier haben wir es mit Länderrecht zu tun. Ich sage das mit besonderer Deutlichkeit, um Verantwortlichkeiten klarzustellen und um die unredliche Arbeitsteilung in der Argumentation der Opposition abzubauen. ({5}) Die Opposition vertritt eine in sich unlogische und nicht haltbare Politik, wenn sie sich einerseits zum Anwalt des Bildungsföderalismus in seiner gegenwärtigen Praxis macht, zugleich aber dessen Ergebnisse beklagt und dem Bund anzulasten versucht. ({6}) Insofern - das muß ich Ihnen nun sagen - stellt die Große Anfrage der Opposition gleichzeitig ein großes Ablenkungsmanöver dar. ({7}) Im Rahmen seiner Mitarbeit an der Gesamtbildungsplanung und auf der Grundlage der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Kompetenz hat der Bund sowohl in der bildungspolitischen Zwischenbilanz als auch in der Antwort auf die Große Anfrage die Perspektiven der Bildungspolitik aus seiner Sicht beschrieben und mit dem Hochschulrahmengesetz, mit dem Fernunterrichtsgesetz und mit den Reformanstrengungen für den Bereich der beruflichen Bildung Voraussetzungen für die Lösung von Strukturproblemen geschaffen. ({8}) Die Bundesregierung sieht die Hauptaufgabe der nächsten Jahre darin, den geburtenstarken Jahrgängen ausreichende Bildungsangebote zu eröffnen. Das ist in unseren Augen Ausdruck der Solidarität der Generationen, in deren Namen wir in den letzten Jahrzehnten für den Ausbau unseres Sozialleistungssystems eingetreten sind und in deren Namen wir heute für Bildungschancen und Bildungsmöglichkeiten für die junge Generation wirken. Die bessere Sicherung des Ausbildungsplätzeangebots in der beruflichen Bildung mit Hilfe neuer finanzieller Grundlagen, die Entwicklung der Berufsbildung zur Gleichwertigkeit mit anderen Bildungswegen sowie der Abbau des Numerus clausus sind die entscheidenden Eckwerte unserer Politik. Wir wollen, meine Damen und Herren, mehr Frei18242 heit statt Bewirtschaftung von Ausbildungschancen. ({9}) - Natürlich, das haben wir in der Numerusclausus-Debatte konkret dargelegt. Und hier ist doch nach den konkreten Perspektiven der Opposition zu fragen. ({10}) Während der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kohl noch 1974 eine Berufsbildungsumlage innerhalb der Wirtschaft ausdrücklich befürwortet hat, und zwar nach Kategorien, wie auch wir sie für richtig halten, lehnen heute CDU/CSU diesen Vorschlag kategorisch ab. Hier hat es offensichtlich einen Ausverkauf von Zusagen und Versprechungen gegenüber der jungen Generation gegeben. ({11}) Wenn der Kollege Pfeifer mit Recht, wie ich unterstreichen möchte, von mehr Investition für die junge Generation und die Bildung gesprochen hat, dann frage ich mich, warum ({12}) er sich gegen den Gedanken wehrt, daß die Wirtschaft auch mehr Investitionen in die Sicherung der Ausbildungsplätze tätigt. ({13}) Meine Damen und Herren, ich halte eine Berufsbildungsabgabe zur Finanzierung von Ausbildungsplätzen für besser als eine Umlange der Bundesanstalt für Arbeit zur Finanzierung von Jugendarbeitslosigkeit, um hier einmal die Größenordnungen klarzustellen, mit denen wir politisch zu tun haben. Völlig enttäuschend ist die Haltung der Opposition auch in der Frage der Ausbildungsqualität. Die nach vorn gerichtete Tendenz des Berufsbildungsgesetzes wurde von der Mehrheit des Bundesrates niedergestimmt, was in der Sache einem Schlag gegen die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung gleichkommt. ({14}) Es wurden selbst jene Punkte abgelehnt, die der rheinland-pfälzische Regierungschef Kohl 1974 in seiner Regierungserklärung zur beruflichen Bildung für richtig gehalten hatte. Soweit es den Numerus clausus angeht, haben Ministerpräsident Kohl und auch die Große Anfrage seine Wirkungen zwar beklagt, sie aber in geradezu fatalistischer Weise hingenommen. Während das Land Nordrhein-Westfalen bereits ein konkretes Programm zum Abbau des Numerus clausus an seinen Hochschulen auf den Weg gebracht hat, schweigt sich der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz bis heute aus. Nicht nur das, gleichzeitig wurden alle Anstrengungen zur Öffnung der Hochschulen aus den Reihen der Opposition mit dem Vorwurf der „Rattenfängerei" und „Traumtänzerei" bedacht. Das ist die Art und Weise, wie Sie eine große bildungspolitische Aufgabe in der politischen Diskussion behandeln. ({15}) Die Opposition bietet in dieser wichtigen Sache, an deren Regelung sich inzwischen auch Wissenschaftsrat, Westdeutsche Rektorenkonferenz und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft konstruktiv beteiligen, ein verworrenes Bild. Sie können nicht davon reden, daß wir es hier nur mit einem Begriff zu tun haben; wir haben zu tun mit konzentrierten Anstrengungen aufgeschlossener Kräfte in Staat und Hochschule zum Abbau eines sich als immer fragwürdiger erweisenden Zulassungssystems. ({16}) Man muß den Eindruck gewinnen, daß die CDU/ CSU zwar nach draußen den Numerus clausus beklagt, aber in Wahrheit eine Bildungspolitik betreibt, die auf Privilegierung und Konservierung von Minderheiten und nicht auf eine größere, mehr Chancen eröffnende Freiheit in der Hochschulzulassung ausgerichtet ist. ({17}) Die Klage über angeblich geschlossene Türen im Bildungswesen wird zum Vorwand, den Eintritt exklusiv zu halten. Der Abbau des Numerus clausus ist in unseren Augen keine Wahlsache. Die Sachverständigenberatungen der letzten Wochen machen deutlich, daß er die Konsequenz aus den Erfahrungen der letzten Jahre und, meine Damen und Herren, auch aus dem neuen Hochschulrahmengesetz darstellt. Die Hochschulen sind in den vergangenen Jahren mit einem Aufwand von insgesamt fast 16 Milliarden DM ausgebaut worden. Allein der Bund hat dafür rund 8 Milliarden DM investiert. Jahr für Jahr sind, wenn man alle Flächen zusammenrechnet, drei bis vier Universitäten von der Größe der Universität Bonn neu errichtet worden. ({18}) Die Zahlen für das Hochschulpersonal sind schneller gestiegen als die Zahlen der Studenten. Diese Kapazitäten müssen nach unserer Auffassung im Interesse der jungen Menschen voll genutzt werden. Die Politik der Bundesregierung, die auf den schrittweisen Abbau des Numerus clauses hinzielt, findet also fachlich und öffentlich Unterstützung, und - das zeigt jetzt schon der Verlauf der DisBundesminister Rohde kussion - sie wird sich der Sache nach und politisch in unserem Lande durchsetzen. ({19}) Die bessere Nutzung der Hochschulkapazitäten, die Studienreform, die auf kürzere und praxisbezogenere Studiengänge gerichtet ist, sowie eine bessere Studienberatung, die Fehlstarts und Fehlzeiten abbaut, sind hierfür vordringlich geworden. Die Opposition hat heute noch die Chance, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Wenn sie schon nicht in der Sache des Numerus clausus Motor der Entwicklung war, sollte sie jetzt wenigstens aus dem Bremserhäuschen kommen. ({20}) Ihr wird heute auch die Chance geboten, in der Abstimmung über das Ausbildungsplatzförderungsgesetz den Weg zur Reform der beruflichen Bildung freizumachen. In der Finanzierung hat die Bundesregierung einen Vorschlag unterbreitet, der dem Wesen des dualen Ausbildungssystems entspricht. Durch eine ausgleichende Finanzierungsregelung soll die Verantwortung der Wirtschaft für das Ausbildungsplätzeangebot zugunsten geburtenstarker Jahrgänge gestärkt werden. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe, ein freiheitliches und auch ein marktkonformes Konzept. Gleichzeitig soll der Staat durch erhöhte finanzielle Anstrengungen seinen Beitrag zum Ausbau der Berufsschulen und der überbetrieblichen Ausbildungsstätten leisten. Der Bund finanziert mittelfristig rund 600 Millionen DM für überbetriebliche Ausbildungsstätten, um damit vor allem die berufliche Bildung in den Klein- und Mittelbetrieben und in den wirtschaftlich schwachen Regionen zu stabilisieren. Wir stellen den Ländern ferner 400 Millionen DM für die Verwirklichung des von Bund und Ländern unterschriebenen Stufenplans zur Verfügung. Für die Entwicklung neuer Ausbildungswege stellt der Bund mittelfristig 120 Millionen DM bereit. Entgegen manchen Vorwürfen haben wir mit rund 300 Millionen DM Sonderprogrammitteln und mit 7,3 Milliarden DM Haushaltsausgleich für die Bundesanstalt für Arbeit wirksame Hilfen für arbeitslose Jugendliche auf den Weg gebracht. Die Zahlen über den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit zeigen heute, daß diese Maßnahmen greifen. Wer diese konstruktiven finanziellen und gesetzgeberischen Leistungen und Angebote des Bundes abwertet, handelt in unseren Augen verantwortungslos gegenüber den Ausbildungsansprüchen der jungen Generation. ({21}) Meine Damen und Herren, Abbau des Numerus clausus auf der einen und Aufwertung der beruflichen Bildung auf der anderen Seite werden nach unserer festen Überzeugung zu differenzierteren und ausgeglicheneren Entscheidungen bei der Ausbildung und der Berufswahl führen. Diese Politik soll dazu beitragen, unser Bildungssystem mehr ins Gleichgewicht der Bildungsgänge zu bringen. Töricht und eine bewußte Förderung weiterer Ungleichgewichte wäre es, durch eine strikte Numerus-clausus-Bewirtschaftung Zehntausende von Abiturienten in den nächsten Jahren trotz vorhandener Kapazitäten zusätzlich auf den ohnehin engen Markt der Ausbildungsstellen abzudrängen und damit Absolventen von Haupt- und Realschulen ins berufliche Abseits zu drängen oder auf der anderen Seite lange Warteschlangen vor den Türen der Hochschulen aufzubauen. In der Politik der Opposition vermögen wir kein Konzept zu erkennen. Die Kombination von Hochschulzugangsbewirtschaftung und Antireformkurs in der beruflichen Bildung muß aus der Sicht der Betroffenen wie ein bildungspolitischer Offenbarungseid wirken. ({22}) Eine Politik des Ausbildungsstopps und der Gefährdung von Ausbildungsqualität wäre aber auch unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten in jeder Hinsicht fragwürdig. Längerfristig gesehen sind die geburtenstarken Jahrgänge, von denen wir heute reden, keine Belastung, sondern eine Chance. ({23}) Denn spätestens ab Mitte der 80er Jahre werden wieder für eine heute noch unabsehbar lange Zeit geburtenschwache Jahrgänge ins Arbeitsleben eintreten. Insofern ist all das, was wir heute in die Bildung investieren und was wir an Bildungsmöglichkeiten eröffnen, gleichzeitig auch eine Investition in die Zukunft, in der diese geburtenstarken Jahrgänge weiterhin unsere Wirtschaftskraft repräsentieren und auch unsere Sozialleistungen tragen werden. Zum anderen kommt hinzu - das hat ja die Debatte heute morgen gezeigt -, daß die Bundesrepublik wie andere Industrieländer ihren Kurs auf zunehmende Qualifikation stellen muß. Neue Formen der internationalen Arbeitsteilung signalisieren das. Wir verkaufen keine Rohstoffe, sondern bieten neue Technologien, Know-how, Können und Wissen auf dem Weltmarkt an. Mit dieser Perspektive ist ein wachsendes Heer ungelernter Arbeitnehmer nicht zu vereinbaren. Ich bin mir in dieser Einschätzung übrigens mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Stingl, völlig einig. ({24}) Die Bundesanstalt hat darüber hinaus an Hand ihrer Statistiken deutlich gemacht, daß es Ungelernte sehr viel schwerer haben, sich arbeitsmarktpolitisch zu behaupten, als qualifiziert Ausgebildete. Wenn auch wachsende Bildungschancen zu mehr Wettbewerb, z. B. am Arbeitsmarkt der Akademiker, führen werden und ein Bildungsangebot nicht gleichzeitig als ein Karriereangebot mit automatisch einlösbaren Beförderungszusagen betrachtet werden kann, gilt im ganzen doch nach wie vor die Erfahrung, daß Wachstum der Bildungsangebote und Wachstum der Wirtschaft sowie qualifizierte Ausbildung und die Arbeits- und Berufsmöglichkeiten in enger Beziehung zueinander stehen. Im Grunde genommen kann auch die Opposition diese Zusammenhänge nicht bestreiten. Eine ernst zu nehmende Frage ist allerdings darauf ist auch Herr Kollege Pfeifer zu sprechen gekommen -, welche Art von Qualifikation für die Zukunft vermittelt werden soll. Dabei stehen wir vor den Aufgaben der Studienreform, der Entwicklung der Berufsbildung und auch der Reform des öffentlichen Dienstrechts. Das neue Bundesinstitut für Berufsbildung, das Drängen der Bundesregierung auf die Umsetzung der Studienreformanforderungen, die wir gemeinsam im Hochschulrahmengesetz beschlossen haben, sowie die notwendige Änderung der Laufbahnvorschriften des öffentlichen Dienstes sind inhaltliche Antworten auf die Fragen der Qualifikationsstruktur. Globaler Qualifikationsstopp ist also keine Lösung. Vielmehr bedarf es des Mutes zu strukturellen Reformen im Bildungs- und Beschäftigungssystem. Sie werden Probleme lösen, anstatt sie auf den Rücken der jungen Menschen zu verlagern. Sicher hat auch der öffentliche Dienst dabei eine wesentliche Rolle zu spielen. Ich hoffe nur, meine Damen und Herren, daß die Ausführungen der Opposition zur Reform des Laufbahnrechts nicht dann an überholten standespolitischen Interventionen scheitern werden, wenn es um die Entscheidungen in der Sache geht. ({25}) Die Fragen der Opposition in einer Kleinen Anfrage zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes schienen mir jedenfalls mehr auf Einstellungsstopp als auf innere Reform im öffentlichen Dienst angelegt zu sein. Eine überzogene Politik der Personalverminderung bei Bund, Ländern und Gemeinden würde aber zwangsläufig nicht nur Abbau von Dienstleistungen für den Bürger, sondern auch erhebliche Friktionen im Altersaufbau des öffentlichen Dienstes und in der Arbeitsmarktpolitik zur Folge haben. Meine Damen und Herren, sicherlich hat die von uns gewollte Bildungsoffensive mit der Öffnung des Bildungssystems auch finanzielle Konsequenzen. Wir leugnen das nicht. In der Bildungsfinanzierung ist heute ein weit höherer Sockel erreicht worden, als wir ihn am Ende der sechziger Jahre vorfanden. Das „Handelsblatt" hat das heute in einer Übersicht dokumentiert. Zu dieser finanziellen Leistung hat der Bund in doppelter Weise einen Beitrag geleistet. Er hat seine unmittelbaren Bildungsausgaben gegenüber den sechziger Jahren weit überproportional gesteigert und gleichzeitig die Länder durch Abtretung von Umsatzsteueranteilen in die Lage versetzt, ihren Aufgaben besser nachkommen zu können. Von diesem hohen Sockel, den wir inzwischen erreicht haben, gilt es nun, sorgsam mit den Mitteln umzugehen, und zwar unter Beachtung der Effizienz der Bildungseinrichtungen, die gegenwärtig in der Bund-Länder-Kommission gemeinsam zwischen Bund und Ländern beraten wird. Allerdings wirken die Fragen, die die Opposition in ihrer Großen Anfrage zur Bildungsfinanzierung gestellt hat, nach unserer Auffassung wenig überzeugend. Noch vor wenigen Wochen hat sich die Opposition mit ihrer Entscheidung über die Mehrwertsteuer, die auch, Herr Kollege Pfeifer, einen Solidaritätsbeitrag zur Bildungsfinanzierung und für die geburtenstarken Jahrgänge hätte werden können, ({26}) an den Problemen der geburtenstarken Jahrgänge und an der Finanzierung von Bildungsangeboten vorbeigedrückt. ({27}) Gleichzeitig ist es auch für die Bildungsfinanzierung alles andere als beruhigend, daß heute die Opposition aus Steuermitteln Betriebe in Höhe von fünf Milliarden DM subventionieren will, anstatt diese Gelder für den Ausbau des beruflichen Schul-und Bildungswesens einzusetzen. Die Opposition hat also wenig Grund, in Sachen Bildungsfinanzierung wie ein Ankläger aufzutreten. Meine Damen und Herren, in dieser Debatte wird sicherlich auch im nachhinein viel von Zahlen und von der wirtschaftlichen Entwicklung die Rede sein. Darum will ich hier deutlich anmerken, daß Bildung in einem Staat nicht allein unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Verwertbarkeit betrachtet werden darf. Bildung kann zwar nicht vom Beschäftigungssystem völlig abgekoppelt werden, sie ist aber auch nicht nur ein abgeleiteter Faktor der Arbeitsmarktpolitik. In einer demokratischen Gesellschaft und nach dem Geist unserer Verfassung hat Bildung auch einen Beitrag zur Entfaltung des Menschen und zu seiner Persönlichkeitsbildung sowie zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu leisten. ({28}) Ich bin mir darüber im klaren - die Art Ihrer Zwischenrufe, meine Damen und Herren, beweist mir das auch -, wie es in diesen Monaten vor der Bundestagswahl darum bestellt ist, zu einer Klärung in bildungspolitischen Grundfragen und den daraus zu ziehenden praktischen Konsequenzen zu kommen. Aber eines möchte ich hier ganz deutlich feststellen: Die Perspektive der bildungspolitischen Zwischenbilanz der Bundesregierung, nämlich die geburtenstarken Jahrgänge zu versorgen und dafür alle Bildungs- und Ausbildungsreserven zu mobilisieren, kann als gesellschaftspolitische Aufgabe nicht bestritten werden. In der Bund-Länder-Kommission haben erfreulicherweise am 14. Juni dieses Jahres alle Länder diese Einschätzung an Hand konkreter Zahlen und Frakten geteilt. Anstatt in der Bildungspolitik dauernd die rhetorischen Schlachten von gestern mit einer endlosen Zitatensammlung zu bestreiten, muß sich die Politik vorwärts gerichtet diesen Grundfragen zuwenden. ({29}) - Ich habe dabei insbesondere an Ihre falschen Hinweise auf die Abiturientenquote gedacht. Wir kennen also die Zahlen, mit deren Hilfe das Problem der geburtenstarken Jahrgänge gemessen werden kann. Die Konzepte zur Lösung dieser Probleme liegen auf dem Tisch. Jetzt ist die politische Frage nach der Handlungs- und Kooperationsfähigkeit des bildungsföderalistischen Systems gestellt. ({30}) Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Ministerpräsident Dr. Kohl. Ministerpräsident Dr. Kohl ({31}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem, was hier Herr Bundesminister Rohde vorgetragen hat, will ich nur eine einzige kurze Berner-kung machen. Seine ganze Rede war ein einziges Plädoyer für die Nichtzuständigkeit. ({32}) In allen deutschen Tageszeitungen gibt es aber heute drittelseitige Annoncen „Mehr Ausbildungsplätze und mehr Chancen auf allen Bildungswegen", in denen Herr Rohde und seine politischen Freunde in der Koalition alles, was es an bildungspolitischem Fortschritt in dieser Republik gab und gibt, für sich in Anspruch nehmen. ({33}) 3) Da lesen Sie von 350 000 Kindergartenplätzen. ({34}) Da lesen Sie, Herr Bundesminister Rohde, von mehr Schülern mit Realschul- oder vergleichbarem Abschluß und vieles andere mehr. ({35}) - Verehrter Herr Kollege, bevor Sie einen solchen Zwischenruf machen, sollten Sie das Einmaleins der Haushaltskunde der Bunderepublik Deutschland erlernt haben. ({36}) Meine Damen und Herren, die Art und Weise, wie Sie auf die Herausforderung von CDU und CSU im Zusammenhang mit der Frage nach den Zukunftschancen der jungen Generation in Deutschland, die hier und heute berechtigt gestellt wird, reagieren, Ihre Aufgeregtheit und die Art und Weise und die Form Ihrer Einlassungen, zeigen ganz symbolisch, wo Sie politisch stehen. ({37}) Es ist symbolisch für die Politik dieser Bundesregierung, für die Politik von SPD und FDP, daß Sie am Ende Ihrer siebenjährigen Regierungszeit die zentrale Auseinandersetzung über die Zukunftschancen der deutschen jungen Generation führen müssen. Das ist symptomatisch für Ihre Regierungszeit. ({38}) Es gibt kein vernichtenderes Zeugnis für das Versagen der Politik von SPD und FDP als das, daß am Ende dieser Legislaturperiode diese Frage zu einer der zentralen Fragen der deutschen Innenpolitik wurde. ({39}) Nach sieben Jahren Ihrer Regierungszeit müssen viele Hunderttausende unserer jungen Mitbürger und Millionen ihrer Familienangehörigen feststellen, daß ihre Zukunftschancen so schlecht stehen wie noch nie zuvor bei einer jungen Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. ({40}) Wenn der Herr Bundeskanzler ganz richtig einräumt, daß sich in der jungen Generation zunehmend Resignation breitmacht, dann gibt es eben kein schlechteres Zeugnis für die Amtszeit dieser Regierung, als daß sich in der jungen Generation am Ende Ihrer Amtszeit Resignation breitmacht. ({41}) Ich will mich jetzt nicht aufhalten ({42}) mit Zitaten. - Herr Kollege Wehner, ich könnte Ihnen nach Ihrem heutigen Auftritt viele Zitate aus Ihrem engen Freundeskreis bei den Jusos bringen, die genau das bestätigen, was ich eben hier gesagt habe. Das ist kein unabwendbarer Schicksalsschlag, der jetzt über unser Volk hereingebrochen ist. Es gibt eine Reihe von objektiven Faktoren, die keiner von uns leugnet, aber, meine Damen und Herren, es ist der Bankrott Ihrer Bildungsideologie, der jetzt hier und heute deutlich wird. ({43}) Herr Bundesminister Rohde, das sind die Folgen falscher politischer Entscheidungen, die Sie und die gewaltige Schar Ihrer Vorgänger in diesem Amte seit 1969 ({44}) getroffen haben. Es sind die Folgen Ihrer Politik, die entweder wichtige Entscheidungen nicht traf oder die sie bis heute vor sich herschob. Das Gesetz über die berufliche Bildung ist doch geradezu ein klassisches Beispiel. Ich kann es überhaupt nicht verstehen, daß Sie von diesem Pult über dieses Thema überhaupt noch reden. Überlegen Sie doch einmal, was von dieser Stelle seit 1969 von den Vertretern der Bundesregierung an ganz - kontroversen und unterschiedlichen Darlegungen zum Thema „berufliche Bildung" vorgetragen wurde. ({45}) Das alles sind doch die Folgen einer Regierungsund Parteipolitik, die sich an der eigenen vorgefaßten Meinung von einer heilen sozialistischen Welt orientiert, sie auf konkrete politische Entscheidungen zu übertragen versucht und dabei überhaupt nicht merkt, daß sie jeglichen Bezug zu den Realitäten verloren hat. Ministerpräsident Dr. Kohl ({46}) Herr Bundesminister Rohde, wenn Sie mich aus meiner Regierungserklärung von 1969 zitieren, so habe ich nichts dagegen. Ich stehe dazu, aber 1969 haben Sie in diesem Hause von Kurt Georg Kiesinger und Franz Josef Strauß ein geordnetes Gemeinwesen übernommen. ({47}) Durch Ihre Politik und durch die Ergebnisse Ihrer Ideologie haben Sie im Bereich der Wirtschaft, im Bereich der öffentlichen Kassen Verhältnisse geschaffen, die es einem realistisch denkenden Politiker einfach zwangsläufig als richtig erscheinen lassen müssen, den Betroffenen jetzt und sofort zu helfen. Zu dem, was ich 1970/71 sagte, stehe ich noch genauso, nur: die konkrete Situation ist doch heute eine ganz andere. Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie, Herr Ministerpräsident, eine Zwischenfrage? Ministerpräsident Dr. Kohl ({48}) : Einen Augenblick, Herr Präsident; ich darf gerade noch den Satz zu Ende führen. - Herr Bundesminister Rohde, ich bekenne mich dazu, daß wir, wenn wir im Herbst dieses Jahres durch das Vertrauen unserer Mitbürger die Regierung übernehmen und die Dinge wieder konsolidiert sind, selbstverständlich auf unsere Vorschläge zurückkommen werden. ({49}) Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Elchlepp? Ministerpräsident Dr. Kohl ({50}) : Ja, natürlich, gern.

Dietrich Elchlepp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000462, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ministerpräsident Kohl, wenn Sie heute so vehement die Berufsbildungsund Bildungspolitik der Bundesregierung kritisieren, ist Ihnen dann noch bekannt, daß Sie es im Jahre 1974 und Ihre Partei auf dem Hamburger Parteitag 1973 noch gewesen sind, die genau das gleiche Berufsbildungskonzept, was das Umlageverfahren und das Selbstverwaltungssystem anlangt, vertreten haben, ({0}) wie es heute die SPD/FDP-Koalition und die Bundesregierung fordern? Ministerpräsident Dr. Kohl ({1}): Herr Abgeordneter, Sie dürfen versichert sein, daß mir der Hamburger Parteitag aus zweierlei Gründen in bester Erinnerung ist: Erstens, weil wir dort eine Mitbestimmungsentscheidung getroffen haben, die Sie drei Jahre später abgeschrieben haben. Das ist bekannt. ({2}) - Meine Damen und Herren von der FDP, daß Sie an diesem Punkt lachen, das verstehe ich überhaupt nicht. Herr Kollege Mischnick, die Art und Weise, wie Sie jetzt draußen bei der Wirtschaft für das werben, was Sie durchgesetzt haben, läßt doch eigentlich nur erkennen, daß Sie völlig Ihr Gedächtnis verloren haben, denn im ersten Durchgang zur Mitbestimmung waren Sie völlig umgefallen. Da gibt es doch gar keinen Zweifel! ({3}) Im zweiten Durchgang haben Sie dann die Beschlüsse der Union abgeschrieben. Das ist eine ehrenhafte Sache. Warum sollen Sie an einer guten Entscheidung der Union nicht partizipieren? Aber Sie sollten dann nicht hier so tun, als sei es nicht so gewesen. Und jetzt zu Ihrer Frage. Die habe ich doch eben schon beantwortet. Natürlich stehe ich zu den Beschlüssen des Hamburger Parteitags. Aber es gibt auch konkrete wirtschaftliche Realitäten. Es war doch nicht die Union in Hamburg, sondern es war die Politik Ihrer Minister, die jahrelang die Ausbilder, die Ausbildungsbetriebe verunsichert und diffamiert hat und die diese negative Stimmung herbeigeführt hat. ({4}) Das ist doch wie in der Mitbestimmung, Herr Mischnick. Bei der Mitbestimmung haben Sie einen Entwurf vorgelegt, der beim Hearing durchfiel, der sich als nicht verfassungskonform erwies, und dann haben Sie einstecken müssen. Jetzt haben Sie ein Berufsbildungsgesetz vorgelegt, und Sie halten daran auch im Kern fest, obwohl Ihnen alle Experten und alle Fachverbände deutlich gemacht haben, daß dieses Gesetz so, wie es konzipiert ist, in der Praxis nie funktionieren kann. Vizepräsident von Hassel: Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach? Ministerpräsident Dr. Kohl ({5}): Ja, bitte.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ministerpräsident, ich komme zwar etwas spät, aber trotzdem wollte ich mich vergewissern, ob ich Sie richtig verstanden habe: Haben Sie eben im Zusammenhang mit 1969 und Herrn Strauß von Gemeinwesen oder von gemeinem Wesen gesprochen? ({0}) Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordneter Reuschenbach, ich rufe Sie wegen dieser Fragestellung zur Ordnung. ({1}) Ministerpräsident Dr. Kohl ({2}) : Ich finde, Herr Abgeordneter, die Bezeichnung „Hohes Haus" verbietet eine Antwort auf Ihre Frage. ({3}) Ministerpräsident Dr. Kohl ({4}) Nein, meine Damen und Herren, Sie mögen es drehen und wenden wie Sie wollen - ich darf hier vor allem die Damen und Herren der SPD ansprechen -: Sie sind von vornherein an diese Fragen mit einer ideologischen Verkrustung herangegangen, die einen weiten Blick ganz unmöglich gemacht hat. Denn Sie versuchen ja nichts anderes, als die Menschen - auch die jungen Menschen - in unserem Lande aus Ihrer Ideologie heraus als Material einer vorfabrizierten Zukunft zu sehen. ({5}) - Genauso ist es! ({6}) Sie müssen es schon ertragen, daß wir hier über Marxismus und Sozialismus reden. Sie versuchen, Ihre ganz spezielle Vorstellung vom notwendigen historischen Ablauf in Richtung auf ein festes Endbild der Zukunft durchzusetzen. Aber eine solche Politik ist es, die die Zukunft der jungen Generation nicht sichert, die auf Dauer die Zukunft der jungen Generation zutiefst verunsichert. ({7}) Die junge Generation will nicht von den Älteren, auch nicht von älteren Sozialisten oder Marxisten wie ein Austauschmotor in eine vorfabrizierte Karosserie eingesetzt werden. Für die Jungen in einem jeden Land und in einer jeden Generation fängt die Welt immer wieder von vorne an. Das ist ein Glück. Das ist ein Glück für den einzelnen, und das ist ein Glück für die Gesellschaft, weil eben anders die Freiheit als Offenheit für die Zukunft nicht denkbar wäre. ({8}) Wenn heute junge Menschen die Schulen verlassen und immer häufiger erleben, daß sie vor verschlossenen Türen in der Gesellschaft stehen, ist das eine Anklage gegen uns alle. Dies ist nicht eine Frage nur an eine Partei, das ist eine Frage an uns alle; denn ihre Resignation ist Ausdruck der Sorge, etwa keinen Arbeitplatz zu finden und keine beruflichen Chancen zu besitzen. Wer sich mit diesen Befürchtungen auseinandersetzt, muß eben sehen, daß es in der Tat dafür objektive Gründe gibt. Ich weiß nicht, ob für Sie diese Gründe nicht existieren; ich zähle sie dennoch auf. ({9}) - Ich weiß, das ist die letzte Spielwiese, die Sie innerhalb der FDP haben, um Ihre linken Vorstellungen und Betrachtungen der jungdemokratischen Bewegung vortragen zu dürfen. ({10}) Heute früh hat sich Ihr Parteivorsitzender, der Herr Bundesaußenminister, hier auf das lebhafteste erregt, daß bei der wichtigen Frage die Führer der Opposition nicht da sein könnten. Ich frage mich danach, warum eigentlich der Vorsitzende der FDP nicht hier ist, wenn es um die Zukunftsfragen der jungen Generation in Deutschland geht. ({11}) Ich kann Ihnen sogar die Antwort geben. Das ist der Spielraum, den man den Linken in der FDP jetzt vor der Bundestagswahl noch einräumt. Das ist deren Spielwiese, die sie noch behalten haben. ({12}) Meine Damen und Herren, es gibt objektive Daten, mit denen wir uns bei diesem Thema beschäftigen müssen. Vizepräsident von Hassel: Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mischnick? Ministerpräsident Dr. Kohl ({13}) : Bitte schön, Herr Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Ministerpräsident, ist Ihnen nicht bekannt, daß in diesem Augenblick Außenminister Genscher mit dem englischen Außenminister zusammentrifft? Ist Ihnen das wirklich nicht bekannt? ({0}) Ministerpräsident Dr. Kohl ({1}) : Herr Abgeordneter Mischnick, ich hätte diese Frage nicht aufgeworfen, wenn es nicht Ihr Parteivorsitzender, der Herr Bundesaußenminister, heute früh für nötig befunden hätte, in dieser Form hier seine Interpellation zu machen. ({2}) Es gibt objektive Gründe, mit denen wir uns im Zusammenhang mit unserem Thema beschäftigen müssen. Erstens: Die Zahl der Jugendlichen, die in den nächsten fünf bis acht Jahren unsere Schulen verlassen, ist viel, viel größer als in den letzten Jahren. Die Schätzungen, die bekannt sind, gehen von über 1 Million mehr junger Menschen in den nächsten fünf Jahren aus, die in den Arbeitsprozeß eintreten. Zweitens - ich glaube, dieses Argument wird viel zuwenig gewürdigt -: Als eine späte Folge zweier Weltkriege hat die Generation der heute Vierzigjährigen ihre beruflichen Endpositionen in der Regel sehr viel früher erreicht. Diese Positionen - denken Sie nur einmal an den Staatsdienst werden zum Teil erst in Jahrzehnten wieder frei. So sehr es zu begrüßen ist, daß bereits ein Vierzigjähriger eine hohe und wichtige Position in der Gesellschaft erreicht hat, so sehr muß man sehen, daß der normale Generationenablauf, auch was die Chancen betrifft, damit gestört ist. ({3}) Ministerpräsident Dr. Kohl ({4}) Drittens: Auch wenn sich wirtschaftliche Aufschwungtendenzen, was wir alle hoffen, fortsetzen, wird es in absehbarer Zeit nicht noch einmal zu einer Ausweitung der Stellenpläne in der Wirtschaft und vor allem auch im Staatsdienst in einer Dimension kommen, an die wir uns in den letzten zehn Jahren mehr oder minder gewöhnt hatten. Wir als Politiker sind verpflichtet, die Sorgen und die Angst vor der Resignation der jungen Mitbürger in unserem Lande als eine wichtige und zentrale Frage aufzunehmen. Denn diese Resignation enthält den bittersten Vorwurf, daß die Politik ihren Aufgaben nicht rechtzeitig gerecht geworden sei. Sie beinhaltet den Vorwurf, die Solidarität mit einer ganzen Generation verletzt zu haben. Jeder junge Bürger unseres Landes hat das Recht auf einen qualifizierten Ausbildungsplatz. Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit noch immer nicht behoben ist, bleiben wir dabei: Einem jungen Menschen, der die Schule verlassen hat, muß die Chance einer beruflichen Ausbildung eingeräumt werden, auch wenn die Zahl der jungen Mitbürger steigt, auch wenn mit dem Angebot eines Ausbildungsplatzes nicht in jedem Fall die Garantie eines Arbeitsplatzes verbunden werden kann. ({5}) Wir bekennen uns entschieden zur freien Berufswahl junger Menschen. Aber wir bekennen uns auch zu dem Risiko, das damit jeder eingeht; denn Freiheit ist ohne Selbstverantwortlichkeit, ist ohne Risiko auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu haben. Daß wir für die geburtenstarken Jahrgänge der kommenden Abschlußklassen nicht genügend Ausbildungsplätze im Handwerk und in der Industrie haben, hat, Herr Bundesminister Rohde, mehr als jeder andere, diese Bundesregierung zu verantworten. Sie hat zu spät und mit einer einseitigen ideologischen Fixierung die Reform der beruflichen Ausbildung in Angriff genommen. Viele junge Leute müssen heute leidvoll erfahren, daß in den letzten Jahren unterlassene Investitionen in der Wirtschaft den Arbeitsmarkt verknappt haben. Fehlende Arbeitsplätze gehen zu Ihren Lasten. ({6}) Diejenigen unter Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, die Gewinn als „Profit" diffamiert haben, tragen die Hauptschuld für die Entwicklung, vor der wir heute stehen. Wer, wie viele innerhalb der SPD, alles getan hat, um aus seiner sozialistischen Überzeugung heraus die marktwirtschaftliche Ordnung anzugehen, darf sich heute nicht beklagen über die Entwicklung, die wir jetzt hier zu besprechen haben. ({7}) Meine Damen und Herren von der SPD, es ist eine seltsame Ironie des Schicksals, daß sich dieser Prozeß, den wir hier leider besprechen müssen, genau in dem Zeitraum vollzogen hat, in dem die Sozialdemokratie nicht nur in vielen deutschen Bundesländern, sondern seit 1969 auch im Bund die Regierungsverantwortung trägt. ({8}) - Sie werden sich gleich noch mehr freuen. Die gleiche SPD, die 1959 in ihrem Godesberger Programm noch so ausdrücklich darauf abgehoben hat, daß Erziehung und Bildung „die Widerstandskraft gegen die konformistischen Tendenzen unserer Zeit stärken", ({9}) - ja, Sie klatschen Beifall - die gleiche SPD hat durch ihre Regierungspraxis für Hunderttausende junger Mitbürger den größten Anpassungsdruck bewirkt, unter dem junge Menschen in der Geschichte dieser Bundesrepublik je standen. ({10}) Das ist die Konsequenz einer Politik, die die Zusammenhänge nur zu oft verschleiert hat ({11}) und die sich im Kern trotz aller gegenteiligen Bekundungen mehr um eine Expansion des Staates als um eine Verbesserung der Chancen der jungen Generation bemüht hat. Sieben Jahre, sieben lange Jahre haben Sie als Regierungspartei - ({12}) - Ja, Herr Abgeordneter Wehner, das waren lange Jahre vor der Geschichte unseres Volkes. ({13}) Und das Urteil steht auch schon fest- Sie sind ja neuerdings so bibelfest -: Es waren die sieben mageren Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({14}) Sieben Jahre lang haben Sie Zeit gehabt, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. ({15}) Daß Sie es jetzt wenige Stunden vor dem Ablauf dieser Legislaturperiode mit einer so schädlichen Eile tun und mit einem Konzept, das der beruflichen Bildung nicht nützt, ({16}) das zeigt, meine Damen und Herren, welchen Ausgangspunkt Sie in Ihrer Politik genommen haben. Es war doch die Aufgabe der Bundesregierung, gerade gegenüber der jungen Generation in unserem Lande zu beweisen, daß dieser unser freiheitlicher Rechtsstaat handlungsfähig ist, daß er mit den Problemen fertig wird ({17}) Ministerpräsident Dr. Kohl ({18}) und daß sich nicht Unsicherheit und Ängstlichkeit breit machen müssen. Duckmäusertum, Resignation und Unsicherheit, die der Bundeskanzler und auch wir immer wieder beklagen, entstehen doch bei jungen Menschen erst dann, wenn sie feststellen müssen, daß in einer solchen schwierigen Situation die in der Politik Verantwortlichen nicht mutig und zielbewußt handeln, sondern unsicher und unentschlossen sind. ({19}) Aus der Sicht eines Hauptschülers, der den Übertritt in die Berufswelt und damit in die Welt des Erwachsenen vor sich hat, erscheint doch - und muß erscheinen - das Gerangel um die verschiedenen Modelle etwa der beruflichen Bildung wie ein böser Scherz. Je mehr die Detailprobleme jetzt in den Vordergrund kommen, um so mehr wird der Kern des Problems verschleiert. Die Reform der beruflichen Bildung muß jetzt und heute und in der konkreten Situation von Hunderttausenden junger Leute in den nächsten Jahren Ausbildungsplätze schaffen. Das ist die legitime Erwartung der Betroffenen. ({20}) Ein Gesetz - und das schreibe ich Ihnen in das Stammbuch -, das keine neuen Ausbildungsplätze bringt, sondern vorhandene beseitigt oder einschränkt, ist allein schon deswegen ein schlechtes Gesetz. ({21}) Das zweite große Ärgernis ist das Numerus-clausus-Problem. Das haben alle jene zu verantworten, die, wie etwa die Bundesregierung im Bildungsbericht 1970, verkündeten, die Hälfte eines Altersjahrganges müsse eine Studienberechtigung erwerben. ({22}) Jetzt wollen Sie mit dem „Abitur I" und dem „Abitur II" ein billiges Geschäft bei der Wahl machen. ({23}) Es war und es ist auch heute noch unsere Meinung, daß in dieser Bundesrepublik, vor 15 Jahren die Zahl der Gymnasiasten und Abiturienten zu gering war; davon haben wir nichts zurückzunehmen. ({24}) - Wer so offenkundig wider besseres Wissen spricht oder offenkundig so wenig sachkundig ist, ({25}) wie Sie es in diesem Zwischenruf beweisen, der sollte sich von der ersten Bank des Parlaments in die hintere Bank setzen. ({26}) Die Bundesregierung hat damals Ziele propagiert, die einfach falsch waren. Wer wie Sie 50 % eines Altersjahrgangs zur Studienberechtigung führen will, der ist für die einseitige Überbewertung des Abiturs in der öffentlichen Meinung mitverantwortlich, und er ist zugleich der eigentlich Verantwortliche für die Vernachlässigung der beruflichen Bildung. Sie und die Ihnen nahestehenden Ideologen waren es doch, die diese törichte Verakademisierung der Berufswelt gefördert haben. ({27}) Sie waren es, die die Mär aufgebracht haben, daß nur derjenige ein wirklich Gebildeter ist, der ein Zertifikat einer Hochschule hat, und Sie sind mit dieser rundum törichten Theorie gescheitert. ({28}) Wir beklagen zu Recht den Streß in unseren Schulen. Dieser Streß hat viele Ursachen, aber er ist auch von jenen erzeugt worden, die den Aberglaube predigten, ohne Abitur werde man kein vollwertiger Bürger, erst nach dem Abitur beginne irdische Glückseligkeit, erst mit dem Abitur erreiche man die wirkliche gesellschaftliche Anerkennung. ({29}) - Ganz konkret von Ihnen, die Sie hier vor mir sitzen. ({30}) Das Studium steht heute aber vor allem denen offen - das muß uns nachdenklich stimmen -, die Angelerntes gut wiederzugeben wissen. Ob es auch denjenigen offensteht, die Ideen haben, die Kreativität besitzen, die die notwendige Begabung haben, die sich beispielsweise in ihrer Jugend für Probleme ihrer Umwelt interessieren und ihren Blick geweitet haben, ({31}) die mit anderen in Gemeinschaft zusammenarbeiten können und die nicht nur spezielles Wissen additiv aufeinanderhäufen, ist eine der zentralen Fragen an unser Schulsystem. ({32}) In allen Bereichen unserer Gesellschaft brauchen unser Land und diese Gesellschaft Mitarbeiter, die denken können, Zusammenhänge erkennen und eigene Ideen haben. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten leidet nicht nur unter dem Numerus clausus, sondern, wie jeder von uns weiß, auch unter der übergroßen Stoffülle. ({33}) - Was heißt eigentlich „wir"? Ich nehme an, Sie sind Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, die für die Rahmenrichtlinien in einem Großteil der deutschen Bundesländer verantwortlich ist. ({34}) Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß wir alle - ich drücke mich nicht vor der Verantwortung, ({35}) darin unterscheide ich mich von anderen - uns prüfen müssen, ob wir es zugelassen haben, daß Ministerpräsident Dr. Kohl ({36}) in unsere Schulen eine übergroße Stoffülle eingebracht wurde, ob wir es zugelassen haben, daß der pädagogische Auftrag der Ausbildung, des Bildens und Prägens eines jungen Menschen durch dieses bloße Aufhäufen von Fachwissen zum Teil unmöglich wurde. Es ist notwendig, das auszusprechen, weil wir uns jetzt offensichtlich in einer Sackgasse befinden und umkehren müssen. Es ist notwendig, Schülern und Studenten in der Phase ihrer Berufsbildung ehrlich zu sagen, daß Hoffnungen, die auch heute noch sehr oft mit dem Besitz eines akademischen Diploms verbunden werden, sich sowohl in der Wirtschaft als auch beim Staat sich nicht ohne weiteres erfüllen werden. Zur notwendigen Aufklärung gehört, daß dies alles sehr viel risikoreicher geworden ist. Weil Sie eben dazwischenriefen: Zu den falschen bildungspolitischen Weichenstellungen gehört doch auch, was in den SPD-geführten Bundesländern in Rahmenrichtlinien, in Schulbücher, in die Köpfe junger Leute hineingeschrieben wurde. Die Zukunftschancen der jungen Generation bestimmen sich sicher zu einem erheblichen Teil aus den beruflichen Chancen. Sie bestimmen sich aber auch und vor allem aus den geistigen Chancen, die eine Gesellschaft ihrer Jugend anbietet. ({37}) Wer Unmündige durch Indoktrination verführt, erzieht sie zu mehr Sozialismus und zu weniger Freiheit. ({38}) Enthüllend, Herr Bundesminister Rohde, für die geistige Haltung, mit der Sie und Ihre politischen Freunde an die Reform der beruflichen Bildung herangegangen sind, ist ein Satz aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage, die wir heute debattieren. Dieser Satz lautet, daß der Ausbau des Bildungswesens durch staatliche Leistungen - nun zitiere ich wörtlich - „jetzt bewußt durch inhaltliche und strukturelle Änderungen ergänzt werden" muß. Meine Damen und Herren, was heißt eigentlich dieser Satz? Das heißt doch im Klartext nichts anderes, als daß zwischen 1965 und 1975 Milliardensummen - ungefähr 300 Milliarden DM - in Hochschulen und Gymnasien, zur Verbesserung der Besoldung der Lehrer und zu vielem anderen mehr ausgegeben wurden und daß man erst jetzt darüber nachdenkt, wie die inhaltlichen und strukturellen Änderungen aussehen sollen. Das alles führte in eine Sackgasse, und aus dieser Sackgasse müssen wir heraus. Unser Angebot an die junge Generation ist das Angebot einer Schule ohne Angst und ohne Indoktrination, einer Schule, in der niemand das lernen muß, was eine vorgefertigte Ideologie ihm abverlangt. ({39}) Wir wollen eine Schule, in der der Schüler die Chance erhält, seine Anlagen, seine Fähigkeiten und Möglichkeiten voll zu entfalten. Wir wollen eine Schule, in der Vielfalt - ein für Sie in der SPD schreckliches Wort -, Pluralität herrscht, in der der Lehrer den jungen Menschen hilft, mündig zu werden, in der Wissen vermittelt wird, aber auch Erziehung stattfindet. Auch das gehört zum Bild der Schule, wie wir sie verstehen. ({40}) Unser Angebot an die junge Generation ist, alles zu tun, um ihr das Recht auf Ausbildung zu sichern. Gleichgültig, ob die vorliegenden Rumpfgesetze - der Name ist schon verräterisch - zur beruflichen Bildung noch beraten werden oder nicht: Wir werden an diesem Punkte im kommenden Herbst einen neuen Anfang setzen. ({41}) - Ich kann nur sagen: Sie müssen ja so reden. Wer so auf Gedeih und Verderb mit den Sozialdemokraten koaliert, der kann ja gar nicht anders reden. ({42}) Ein neuer Anfang wird nur gelingen, wenn wir das Vertrauen und die Bereitschaft der Ausbilder wiedergewinnen, wenn wir nicht zulassen, daß beispielsweise, wie das in den letzten Jahren geschehen ist, Ausbilder als „Ausbeuter" diffamiert werden. Wir werden durch eine Finanzierungsregelung wirksame Anreize schaffen, damit zusätzliche Ausbildungsplätze entstehen. Wir werden vor allem dafür sorgen, daß die steigende Zahl der Schulabgänger in den nächsten Jahren auch ein steigendes Arbeitsplatzangebot vorfindet. Nur ein Dogmatiker kann die augenblickliche Lage so verstehen, daß er die wirtschaftliche Grundsituation im Bereich der beruflichen Bildung unberücksichtigt läßt. Es wäre eine törichte Politik, wenn wir sagten: Wir haben das auf dem Parteitag beschlossen, und auch wenn sich die konkrete Lage der Wirtschaft geändert hat, tun wir dennoch das, was wir unter anderen Bedingungen beschlossen haben. Sie können sicher sein, daß wir unsere Parteitagsbeschlüsse zum gegebenen Zeitpunkt, ({43}) den die Vernunft und sonst niemand diktiert, realisieren werden. ({44}) Wir werden alles tun müssen, um das Ärgernis des Numerus clausus in den Griff zu bekommen und schrittweise zu beseitigen, und zwar durch ein vernünftiges und realisierbares Angebot und Konzept, nicht durch eine Aktion großangelegter Täuschungen. Wenn jetzt der Bundeskanzler wiederum mit unverbindlichen Kraftsprüchen generell die Beseitigung des Numerus clausus ankündigt, dann muß ich ihn fragen, warum in sieben Jahren sozialdemokratischer Regierungstätigkeit nicht das getan wurde, was jetzt, 96 oder 95 Tage vor der Wahl, angeblich noch zu tun ist. ({45}) Mit zweifelhaften Zauberformeln darf das Vertrauen der Abiturienten und ihrer Familien nicht erneut mißbraucht werden. Vor allem darf es nicht Ministerpräsident Dr. Kohl ({46}) möglich sein, daß vor dem 3. Oktober Scheinlösungen angeboten werden, hinter denen sich die nächsten Enttäuschungen und in vielen Fällen auch die privaten Katastrophen nur mühsam verbergen. Wer studieren will - und das müssen wir auch hier sagen -, muß wissen, wie groß das Risiko ist und welche Chancen er nach seinem Studium hat. Wir sagen deutlich: Wir müssen und wir werden den Numerus clausus schrittweise beseitigen. Wir wollen und wir werden jenen helfen, die ohne Rücksicht auf die Realitäten auf den Weg zum Abitur gebracht wurden, im Vertrauen auf diese Politik das Abitur machten oder vor dem Abschluß im Gymnasium stehen. Das ist durch eine bessere Nutzung der Kapazitäten an den Hochschulen möglich. Sie darf allerdings nicht auf dem Rücken derer beginnen, die schon bisher mehr leisten, als ihnen normalerweise zuzumuten ist. Sie muß vor allem - und damit komme ich zu Ihrem Zwischenruf - mit einer Novellierung jener Hochschulgesetze beginnen, die - das ist das Kernstück ihrer Ideologie, meine Damen und Herren von der SPD die Arbeitskraft ganzer Kompanien von Hochschullehrern in einer unsinnigen Vielzahl von Gremien verschleißen, statt sie in die Lage zu versetzen, Studenten zu helfen. ({47}) Das ist in der Tat ein Mehr an Sozialismus an der deutschen Hochschule und ein Weniger an Erwartungen und Zukunftschancen für die junge Generation. Die bessere Nutzung beginnt, meine Damen und Herren von der SPD, mit der Frage, warum Studienplätze an deutschen Hochschulen so unterschiedlich teuer sind. Warum - das können Sie hier ja einmal diskutieren - kostet ein vergleichbarer Studienplatz an der einen Universität doppelt oder dreimal soviel wie an einer anderen Universität? Solange nicht nachgewiesen ist - und Sie sollten es von diesem Platz aus nachweisen -, daß das Ergebnis - um es in den Kosten abzustecken - in Bremen, weil es dreimal so teuer ist, dreimal so gut ist wie in Trier und das Ergebnis in Berlin, weil es zweimal so teuer ist, zweimal so gut ist wie in Freiburg, liegt der Verdacht nahe, daß mehr Sozialismus an deutschen Hochschulen vor allem viel Geld kostet und sonst nichts produziert. ({48}) Wir von der CDU/CSU sind bereit ({49}) - Herr Wehner, daß wir bereit sind, können Sie nicht mehr bestreiten, das merken Sie ja jeden Tag; das habe ich auch heute aus Ihrer Reaktion gemerkt, und das ist richtig so -, den Hochschulen für eine begrenzte Zeit dort mehr Lasten aufzubürden, wo das im Hinblick auf die Zukunftschancen der jungen Generation zu verantworten ist. Wenn wir aber beispielsweise heute schon wesentlich mehr Lehrer ausbilden, als wir morgen brauchen, hilft eine sogenannte Überlastquote niemandem. Das muß man aussprechen, statt darum herumzureden. Noch nicht alle jungen Leute, um deren Zukunft wir uns sorgen, sind bereits verführt und einseitig festgelegt. Jetzt ist es an der Zeit, Alternativen anzubieten. Noch ist auch Zeit, der beruflichen Bildung endlich den notwendigen Vorrang einzuräumen. Noch ist Zeit, vielen, die erst morgen oder übermorgen 16 Jahre alt werden, am Ende der Mittelstufe unserer Schulen attraktive Alternativen anzubieten. Noch ist Zeit, Korrekturen im Schulsystem vorzunehmen, um, wenn schon nicht denen, die heute 17 Jahre alt sind, so doch wenigstens denen, die heute 10 Jahre alt sind, die schlimmen Folgen einer falschen bildungspolitischen Weichenstellung zu ersparen. ({50}) Meine Damen und Herren, als diese Bundesregierung 1970 zum erstenmal versprach, bis 1975 werde der Numerus clausus beseitigt, gab es diesen Numerus clausus in fünf Fächern. Heute verspricht der Bundeskanzler ohne jede Einschränkung das gleiche, nur darauf vertrauend, daß die Mitbürger alles vergessen haben. Es hat sich nur eines verändert: Es gibt jetzt in der Bundesrepublik den Numerus clausus in 21 Fächern. Meine Damen und Herren, für wie dumm hält die Bundesregierung den Bürger in diesem Lande, daß man ihm innerhalb von fünf Jahren so etwas erneut zumuten kann! ({51}) Meine Damen und Herren, es ist gänzlich unerträglich, daß man jungen Leuten in dieser Lage den Glauben einreden will, daß der Numerus clausus per Kraftakt schon morgen zu beseitigen sei. Der Kanzler mag zwar per Kraftakt seine Fraktion oder sein Kabinett ({52}) disziplinieren, aber eine derartige Frage wie der Numerus clausus entzieht sich seiner Befehlsgewalt. Das könnte er in der Zwischenzeit auch gemerkt haben. Es gibt keine Patentrezepte! Das sagen wir wenige Wochen vor der Wahl, weil es zu billig ist, mit dem Schicksal junger Leute derartig Schindluder zu treiben. ({53}) Es gibt keine Patentrezepte, aber es gibt erste, pragmatische Lösungsansätze, die alles in allem für die Betroffenen natürlich noch lange nicht ausreichend, aber wirkungsvoller sind als die Fortsetzung unseriöser Versprechungen. Wir müssen uns auf die Maßnahmen konzentrieren, die realistisch sind, weil eben in unserem gemeinsamen Interesse die Glaubwürdigkeit nirgendwo so dringlich ist wie gegenüber der jungen Generation. Ob es uns, meine Damen und Herren - das ist eine Frage an jeden von uns -, gelingt, den Jungen wieder mehr Mut und Zuversicht zum Leben in einer freien Gesellschaft und mehr Selbstvertrauen zu geben, auch mit Schwierigkeiten fertig zu werden, ist doch entscheidend für den Fortbestand und die Entwicklung der freiheitlichen Gesellschaft. Wenn die junge Generation den Eindruck gewinnt ({54}) das ist noch nicht so weit, aber mit Ihrer Lautstärke bringen Sie es auch nicht weg; Sie müssen Ministerpräsident Dr. Kohl ({55}) an diesem Punkte schon mit Tatsachen aufwarten -, daß sie in dieser freiheitlichen Gesellschaft keine Chance hat, dann steht sie in Gefahr, die Freiheit in ihrem wahren Wert nicht mehr zu erkennen und Sicherheit in kollektivistischen Lösungen zu suchen. Aus diesem Grunde messe ich der Frage, ob wir die Jugendarbeitslosigkeit bald, schnell und dauerhaft beseitigen können, so große Bedeutung bei. Das ist eine der zentralen Fragen deutscher Politik. ({56}) Eine freiheitliche Ordnung braucht Bürger und vor allein junge Mitbürger, die den Mut zum Leben, die den Mut zum Risiko haben. Sie werden stets erfolgreicher sein als diejenigen, denen man in jungen Jahren den Schneid abgekauft oder ausgeredet hat. Deswegen brauchen wir eine Politik, die vor allem den Jungen wieder Mut macht. Aber junge Leute haben keine Chance, wenn man ihnen keine richtigen Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Die junge Generation - und das gehört zu diesem Thema - hat auch keine Chance, wenn man der Familie keine Chance gibt. ({57}) Gerade die Entwicklung in der deutschen Bildungspolitik hat in diesen Jahren klargemacht, daß es zur Familie keine Alternative gibt. Das sei besonders denen gesagt, die etwa im Kreise der SPD noch bis vor kurzem sagten, die Familie sei die „Keimzelle der Ungleichheit" und deswegen in ihrer Bedeutung einzuschränken. Nie zuvor ist die Funktion der Familie für die Entfaltung der jungen Menschen so sichtbar geworden, nie zuvor ist aber auch in den Familien eine so starke Belastung zu verzeichnen gewesen wie in den letzten Jahren. Heute - das ist Ihre Regierungszeit, die Zeit der sozialdemokratischen Bundesregierung, die Zeit der Partei, die für die kleinen Leute angetreten ist, wie sie sagt, und für die Arbeitnehmer - kann sich ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer ein drittes Kind nicht mehr leisten, wenn er nicht unter die Sozialhilfeschwelle abrutschen will. Das sind doch die Realitäten in unserem Lande! ({58}) 700 000 Arbeitnehmerfamilien müssen mit einem Einkommen unter dem Sozialhilfeniveau leben. Immer mehr Mütter sehen sich deshalb aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, einem Erwerb nachzugehen. Für die Zukunft unseres Landes wird es entscheidend sein, ob die erwerbstätige Generation wie früher selbstverständlich bereit ist, zugunsten der Kinder und zugunsten der alten Leute den notwendigen Verzicht zu leisten. Das muß man in dieser Lage doch aussprechen! ({59}) Die sinkende Geburtenzahl und die wachsende Isolierung vieler unserer alten Mitbürger - auch ihre materielle Not - sind eben wichtige Indizien für ein Stück schwindender Solidarität zwischen den Generationen. ({60}) Zu diesem Thema gehört es eben, daß wir hier feststellen, daß der Geburtenrückgang in der Bundesrepublik Deutschland unter allen vergleichbaren europäischen Ländern am stärksten ist. Die Pille war die technische Möglichkeit, aber überhaupt nicht die Ursache für diese Entwicklung. Die Ursache ist vor allem darin zu sehen, daß der durchschnittlich verdienende Bürger in unserem Lande heute zur Kenntnis nehmen muß, daß Kinderreichtum mit sozialem Abstieg identisch wurde. Und das ist Ihr Prägestempel von der Sozialdemokratischen Partei! ({61}) Zwar wird durch den Geburtenrückgang diese Generation nicht unerheblich entlastet, aber der künftigen Generation wird eine kaum mehr zu bewältigende Finanzlast für die Altersrenten auferlegt. Darüber mögen Sie lachen; in wenigen Jahren werden Sie zu diesem Punkt erneut befragt werden, zu dem, was Sie dabei zu verantworten haben. ({62}) Der Generationenvertrag, der bisher die Basis unserer Sozialversicherung war, wird dadurch zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik ernsthaft in Frage gestellt. Ich gehöre nicht zu denen, die da blind glauben, daß die Aufrechterhaltung oder das Wachstum der Zahl der Bürger unseres Landes an sich schon einen Wert darstellen. Aber es ist doch immerhin mehr als bemerkenswert, daß das Tempo des Bevölkerungsrückganges bedrohliche Konsequenzen auslösen muß, und der Prozeß der Überalterung beschleunigt sich doch in einem erschreckenden Maße. Wenn sich die statistische Relation zwischen den beiden Gruppen weiter zu Lasten der Jüngeren verschiebt, dann gibt es eben nur noch eine, und zwar die schlechte Alternative. Dann werden unter Umständen der heutigen jungen Generation später erdrückende finanzielle Belastungen für die Alterssicherung der heute Erwerbstätigen auferlegt. Es gibt Experten der Bundesregierung, die nach der Jahrtausendwende mit Rentenbeitragssätzen von 24 % rechnen; die Prognos AG rechnet gar mit 35 %; das sind Zahlen, die wir nicht erfunden haben, sondern das sind Zahlen, die heute fachlich diskutiert werden. Wenn dies so ist, dann weiß ich nicht, ob Sie das so lächerlich finden sollten; ich halte das für gar nicht lächerlich. Eine gute Politik sieht über den Tellerrand des morgigen Abends und vor allem über den Wahltag am 3. Oktober hinaus. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. ({63}) Meine Damen und Herren, es ist dann doch gar nicht auszuschließen, daß die künftige erwerbstätige Generation, die Generation nach uns, angesichts dieser ungeheuren Belastung in die Diskussion verwickelt wird, ob sie den Generationenvertrag aufMinisterpräsident Dr. Kohl ({64}) kündigt oder nicht. Was aber ist das für eine Politik, die der heute arbeitenden Generation vorgaukelt, sie könne sich ohne Konsequenzen den Verzicht zugunsten der Kinder „ersparen", wenn das die Alternative ist? Sie müssen das doch unwidersprochen hinnehmen! Wir haben dieses Thema in den letzten Monaten immer wieder diskutiert. Wir wollen keinen Klassenkampf, in gar keiner Weise! Wir wollen auch nicht den Kampf zwischen den Generationen. Wir wollen die Partnerschaft der Generationen. Das heißt, daß der Familie und den Kindern von heute jene Förderung zukommt, die einfach notwendig ist. Eine Politik, die es sich anfangs billig macht, wird später allen sehr teuer zu stehen kommen. ({65}) Wer den Familien die soziale Gerechtigkeit verweigert, lebt auf Kosten der jungen Generation und beutet schon heute die nach uns kommende Generation aus. Hier sind wir beim Zentralpunkt. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie zu diesem Thema hier einmal etwas sagen würden. ({66}) Zu diesem Thema hat man bisher von Ihrer Seite überhaupt noch nichts gehört. Heute ist der Zeitpunkt, wo wir über diese Frage von diesem Platz aus mit Ihnen diskutieren wollen, weil der Wähler wissen muß, woran er ist. ({67}) Das, meine Damen und Herren, ist ein Zentralpunkt deutscher Politik. Es geht nicht nur um die aktuelle Frage - natürlich geht es auch um diese -, welche Lehrpläne wir an den Schulen haben. Es geht auch um die langfristige Perspektive. Wir brauchen eine neue, eine verhaltensverändernde Perspektive. Es geht nicht mehr darum, etwas anders zu machen, koste es, was es wolle; es geht auch nicht darum, immer nur mehr zu machen, sondern darum, Aufgaben im Sinne der Zukunftserfüllung besser zu lösen. ({68}) Nehmen wir ein Beispiel. Wir setzen uns leidenschaftlich dafür ein, daß in der Zukunft immer mehr Kinder aus Arbeiterhaushalten die Chance erhalten, durch Bildung ihren Aufstieg zu schaffen. Aber, meine Damen und Herren, wir gehen auch ernsthaft der aus der solidarischen Pflicht einer freien Gesellschaft erwachsenden Frage nach, wieviel Prozent der steigenden Zahl der behinderten Kinder in unserem Land einen Schulabschluß erreichen. Ich kann für mich nur sagen: Es erscheint mir sehr wichtig, einem körperlich oder geistig behinderten Kind durch Bildung und Erziehung eine echte Chance zu vermitteln, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen und zu gestalten. Das zu tun scheint mir viel wichtiger zu sein, als aus Prestigegründen Kinder, die das gar nicht wollen und können, mit Latein und Mathematik durch das Gymnasium zum Abitur zu schleifen. Das muß klar und deutlich ausgesprochen werden. ({69}) In der ersten Nachkriegsphase lautete die Parole vieler unserer jungen Mitbürger noch: Ohne mich! Es war die Zeit einer skeptischen Generation. Dennoch hat diese Generation durch ihre Arbeit entscheidend zum Wiederaufbau beigetragen. Was sie politisch dachte, blieb manchmal im Dunkeln. Später, als die materiellen Existenzsorgen behoben waren, änderte sich das Bild. Es zeigte sich, daß es bei aller Aufbauleistung eben nur unzureichend gelungen war, der nachrückenden Generation die Werte und die Aufgabenstellungen zu vermitteln, an denen sie sich wirklich orientieren konnte und für die sie sich vor allem selber zu engagieren bereit war. Es entstand eine neue Haltung. Ihr Ausgangspunkt war das Aufbegehren gegen die Verhältnisse an den Hochschulen, wo manche Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen ausgeblieben war. Ein Teil der jungen Generation merkte, daß es sich auszahlte, aufzubegehren. Ja, es schien, als ließe sich die Durchsetzung der Ziele mitunter um so leichter erreichen, je weniger die Spielregeln der Verfassung in unserem Land eingehalten wurden. Aus einer passiven war eine teilweise revoltierende junge Generation geworden. Statt „Ohne mich!" hieß die Parole dann: „Gegen die Gesellschaft". Demokratie verengte sich für manchen zur bloßen Demonstration. Aus einer legitim eigenständigen Rolle wurde ein allgemeiner Jugendmythos. Von der Gesetzgebung bis zur Werbung beherrschte der Gedanke an die Jugend die Gemüter vieler, vor allem der eingeschüchterten Vertreter der älteren Generation. Meine Damen und Herren, das ist alles vorbei. Der Mythos und der Kult sind einer rauhen Wirklichkeit gewichen, der Wirklichkeit einer Ungewißheit über den Weg zum privaten Glück, den Weg zur Ausbildung und in den Beruf. Gute Politik muß hier in der Lage sein, Perspektiven anzubieten. Es gilt, der jungen Generation bei der Bewältigung ihrer beruflichen Perspektiven zu helfen, nicht nur um ihre berufliche Existenz zu sichern, sondern auch um ihr Engagement im Bereich von Staat und Gesellschaft, im Bereich der Politik zu erhalten. Das Privileg und die Stärke der Jungen sind ihr Engagement und ihr Idealismus. Zu allen Zeiten haben sich die Älteren daher von den Jüngeren vorwerfen lassen müssen, sie verträten den nackten Opportunismus. Aber niemand kann den Jungen die Erfahrung ersparen, daß eben Kompromisse nicht den Charakterlosen vorbehalten sind, sondern ein Grunderfordernis zur Fortentwicklung der Demokratie sind. Dennoch bleibt es - und dieser Anfrage haben wir uns zu stellen - Recht und Pflicht der Jugend, darauf zu dringen, daß die praktische Wirklichkeit nicht unerträglich weit hinter den proklamierten Werten des Staates und der Gesellschaft zurück18254 Ministerpräsident Dr. Kohl ({70}) bleibt. Die Frage der Jungen darf nicht verstummen: Welches sind die grundlegenden Maßstäbe der Politik und der Politiker, und wieweit richtet sich die Politik nach diesen Maßstäben? Ich lade Sie von der SPD ein, sich Ihren Maßstäben in den nächsten Wochen draußen im Lande zu stellen. ({71}) Verbunden damit bleibt die Forderung nach den langfristigen Perspektiven in der Politik. Meine Damen und Herren, es ist doch ganz natürlich: Wer normalerweise das längere Leben vor sich hat, braucht zum eigenen Verständnis der Politik den weiteren Ausblick. Daran ändern auch Zeiten des Wahlkampfs nichts. ({72}) - Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen. Es mag sein, daß Sie in einem längeren Leben mit einem kürzeren Ausblick auskommen. Das glaube ich Ihnen ohne weiteres. Denn wer in jungen Jahren so tief versunken ist im Staub der Ideologie des 19. Jahrhunderts, der hat in der Tat keine Perspektive für das letzte Drittel dieses Jahrhunderts. ({73}) Zur Anpassung wollen wir junge Leute nicht überzeugen - nicht zwischen den Wahlen und schon gar nicht vor den Wahlen. Im Verhältnis der Generationen geht es uns um die Solidarität und nicht um die Gleichschaltung. Unsere Zeit, die gekennzeichnet ist durch die Anonymität der Lebensverhältnisse, bedingt, daß viele Bürger ihre Leistungsbestätigung nicht erhalten und daher auch keine Leistungsbereitschaft zeigen. Sie fühlen sich an Kräfte ausgeliefert, von denen sie nicht wissen, wer diesen das Ziel gibt und wer sie kontrolliert. In einer Zeit, in der die Menschen trainiert werden, ihre Rolle zu spielen, in der derjenige - wie man leider nur zu oft beobachtet - am besten abschneidet, der sich anpaßt und auch rücksichtslos genug ist, seine Ellenbogen besser zu gebrauchen und kräftig nach unten zu treten, muß diese Frage gestellt werden. Meine Damen und Herren, Sie alle in der SPD sollten darüber nachdenken, wer der Prototyp dieser Ellenbogengesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als Person geworden ist. ({74}) Es ist jetzt an der Zeit, das Ruder herumzuwerfen. Für ein menschenwürdiges Leben braucht es Menschen mit Format. ({75}) - Herr Wehner, warum sollen wir nicht wenigstens in dieser Frage einig sein? Geben Sie mir die Chance, mit 46 Jahren die Einsicht zu haben, die Sie mit 70 Jahren haben. Das ist wenigstens etwas Gemeinsames, was uns verbindet. ({76}) Für ein menschenwürdiges Leben braucht es Menschen mit Format, ({77}) Menschen mit dem Wissen, daß das Menschenmögliche, meine Damen und Herren von der SPD, nicht immer das den Menschen Gemäße ist. Wir brauchen Menschen, die mit einem heißen Herzen Elend, Kaltherzigkeit und Unrecht in dieser Welt bekämpfen, Menschen, die Sachverstand besitzen und ein sicheres Urteil, Menschen mit Nächstenliebe, Einsatzbereitschaft für den anderen, Menschen mit Zivilcourage. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, damit sich diese Tugenden entwickeln können. Denn Menschen, die in diesem Geist erzogen werden, eignen sich schlecht zu Untertanen, sie eignen sich schlecht zur geistigen und sonstigen Entmündigung. Sie eignen sich vorzüglich zu freien Bürgern in einem freien Lande, zu Bürgern in einer freiheitlichen, in einer gerechten, in einer sozialen Demokratie. ({78})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meinecke.

Dr. Rolf Meinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen nun einmal versuchen, aus der Wahlkampfarena wieder ein Arbeitsparlament zu machen, soweit mir das gelingt; ich werde mich aber bemühen. ({0}) Zu einem Erfolg kann ich Herrn Ministerpräsidenten Kohl schon heute gratulieren: Die „Welt" hat in den letzten Tagen vermeldet, daß deutsche Babys stärker als die Pille sind. Die Pillenkrise scheint also möglicherweise ihrem Ende zuzugehen. Daß auch dies als eine Art Legitimationskrise natürlich der sozialliberalen Koalition vor die Regierungstür geschmissen wird, wundert mich gar nicht; es erhellt daraus allerdings die Tatsache, daß Herr Ministerpräsident Kohl bezüglich der Mengenlehre einige Mängel aufweist. ({1}) Denn der Pillenknick und damit der Mangel an Geburten ist in der Statistik ungefähr in den Jahren 1965 und 1966 eingetreten, und wer in diesen Jahren Regierungsverantwortung gehabt hat, wissen wir ja. Aber wir brauchen natürlich in diesen Jahren und Monaten auch noch eine Fruchtbarkeitskrise, und die haben wir ja nun, obwohl in der Welt-Statistik ganz klar ist, aus welchen Gründen diese entstanden ist und in welchen Ländern sie entsteht. ({2}) Die zweite Krise ist die Numerus-clausus-Krise, gut. Herr Ministerpräsident Kohl, Sie werden zugeben müssen, daß die Jugendlichen, die heute, im Jahre 1976, Abitur machen und vor den Hochschulen stehen, im Jahre 1966 auf die Gymnasien gegangen sind; das war also genau vor zehn Jahren. Damals hatten wir noch keine sozialliberale Koalition, damals waren wir dabei, auf Grund bestimmter krisenhafter Erscheinungen der deutschen Wirtschaft eine Große Koalition zu zimmern. Dr. Meinecke ({3}) In diesem Jahr 1966 hat hier auch die erste große Debatte über Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen stattgefunden, und da saß hier der Herr Stoltenberg, und da saßen hier alle Fraktionen, und der Herr Stoltenberg hat sich mit uns fünf Stunden über genau 100 Millionen DM gestritten, die zusätzlich in den Haushalten für Bildung und Wissenschaft einzuführen er nicht bereit war, obwohl wir damals schon gesagt haben: Die Krise kommt in den nächsten 5 bis 10 Jahren. Den Numerus clausus hat nun also bei Gott niemand in den letzten 4, 5 Jahren erfunden; den gab es schon vor 10 Jahren. Und ich darf vielleicht die Kolleginnen und Kollegen noch daran erinnern, daß hier auch im Jahre 1962 eine Debatte über den Numerus clausus stattgefunden hat. Damals hat der jetzige Bundespräsident Scheel hier zum erstenmal den Vorschlag gemacht, für eine Übergangszeit von 15 Jahren Trimester einzuführen. Dies ist hier geschehen. Natürlich haben wir den Numerus clausus als ein demographisches Problem vor uns hergeschoben, und der Minister Rohde hat klargemacht: Jedes Jahr drei Universitäten von der Größe der Universität Bonn, und es ist uns nicht gelungen, dieses demographische Problem einzuholen; das geben wir zu. Nun sind politische Anstöße notwendig, um diese Dinge abzubauen und in den Griff zu bekommen. Und es ist doch bei Gott nicht so, als ob hier nicht schon eine Resonanz entstanden wäre. Es ist doch wirklich nicht so, als ob der Bundeskanzler dies nur allein als Anstoß gegeben hätte, sondern wir sind doch in diesen Tagen auf eine breite und positive Resonanz der Wissenschaftler, der Universitäten und aller gestoßen, die nun endlich selbst einsehen, daß man versuchen muß, die Kapazitäten in den Hochschulen besser auszunutzen und für eine Übergangszeit von 8 bis 10 Jahren die Hochschulen für mehr Studierwillige zu öffnen. Die dritte Krise, die der Herr Ministerpräsident Kohl angesprochen hat, ist die Generationskrise. Hier hat er sich nun meiner Meinung nach eines nicht ganz hübschen Tricks bedient. Er hat nämlich die Jahrgänge der jüngeren Generation, die von 1977 bis 1984 - und wir kennen, Herr Ministerpräsident, die Zahlen - jedes Jahr in - im Vergleich zum Vorjahr - größerer Zahl aus den Schulen in die Hochschulen und in die berufliche Bildung strömen, zu einer Zahl von Hunderttausenden in meinetwegen 5 Jahren oder auch etwa 10 Jahren addieren können. Aber die hat er hier schon alle arbeitslos gemacht. Die sind alle schon arbeitslos, die haben alle noch keinen Platz gefunden, die stehen alle vor verschlossenen Türen. Er hat hier eine Negativsolidarisierung kommender Generationen und Erwachsener im Vergleich und im Gegensatz zu den jetzt älteren Generationen herbeigeführt. Das zusätzliche Mosaiksteinchen hat heute morgen der Kollege Pfeifer geliefert, der die neue soziale Frage etwa so formuliert hat: Der Staat muß dies gegen den Willen der gesellschaftlichen Kräfte durchsetzen, die offenbar nicht bereit sind, durch Verzicht auf eigene Privilegien das Notwendige für diese jüngeren Generationen zu tun. Damit haben Sie natürlich auch die Gewerkschaften gemeint. Wen denn sonst? ({4}) - Es geht bei einer solchen Debatte nicht, daß man die Rede schon lesen kann, wenn man an der Reihe ist; man muß sich die Dinge notieren. Sie haben noch einige weitere Fehler begangen, Herr Kollege Pfeifer. Sie haben von Aufwertung der beruflichen Bildung gesprochen. Dieses Wort hat Ministerpräsident Kohl nicht in den Mund genommen. Was aber hat Aufwertung mit Qualität zu tun, oder gibt es eine Aufwertung ohne Qualität? Ich kann mir das schlechterdings nicht vorstellen: Aufwertung ohne Qualität. Oder wollen Sie das durch Gesetz erreichen, indem Sie einfach par ordre de mufti erklären, die berufliche Ausbildung und Bildung sei jeder anderen gleichwertig. Dies nutzt doch überhaupt nichts, wenn Sie die Qualität nicht verbessern. Wenn wir aber seit Jahren darüber diskutiert haben, mit welchen Möglichkeiten und mit welchen Mitteln die Qualität zu verbessern sei, haben Sie geschrieen: Nein, nur Erhaltung der Quantität! Dies sei im Augenblick die einzige Sorge. Herr Kollege Pfeifer, Sie haben gefragt, was eine „humane Gesellschaft" sei, und gesagt, Sie würden die humane Gesellschaft mit Ihrer Politik gewährleisten. Dabei haben Sie den großen Fehler gemacht, den 16jährigen, der in eine Berufsbildung hinein möchte, mit dem Studenten oder dem Absolventen einer Universität zu vergleichen, der vielleicht eine gewisse Zeit warten muß, ehe er einen akademischen Beruf findet. Sie haben gewissermaßen eine punktuelle Gleichsetzung auf einen einzigen Punkt vorgenommen und nicht bedacht, daß auch derjenige, der im Verlaufe seines Lebens eine weitere, eine neue Qualifikation bekommt, dadurch neue Chancen bekommt. Das heißt: Sie wollen sowohl die Qualität der Zukunftschancen der jungen Generation wie auch den Zeitpunkt festsetzen. Das ist Ihre Politik, und diese Politik lehnen wir ab. Sie haben noch einige andere Bemerkungen gemacht, die man am besten im Zusammenhang mit der merkwürdigen Formulierung erklären kann, die Sie in der Großen Anfrage gefunden haben. Sie haben zum Beispiel verlangt, wir benötigten kritische junge Generationen. Und in Ihrer Großen Anfrage fragen Sie, ob es nicht an der Zeit sei, die Diskussion um Strukturen in den Schulen endlich abzubauen, weil das unwichtig sei, und statt dessen eine vernünftige Bildungspolitik zu betreiben. Herr Kollege Pfeifer, wenn Sie kritische junge Generationen wollen, wie können Sie oder wollen Sie im Ernst verhindern, daß sich junge Generationen, die in einem Schulwesen, die in einer beruflichen Bildung stecken, Gedanken machen, ob ihnen dieses Bildungssystem, diese Institution, qualitativ in ausreichendem Maße das gibt, was sie erwarten, und daß sie Veränderungen wollen, wenn ihnen diese Einrichtungen das nicht geben. Sie wollen auf der einen Seite Kritik. Wenn aber Kritik geübt wird, sagen Sie, es finde eine psychologische Verunsi18256 Dr. Meinecke ({5}) cherung statt, es dürfe keine Kritik geben, es müsse alles genauso bleiben, wie es sei. Dies steht auch hinter der Formulierung in Ihrer Großen Anfrage, mit der Sie behaupten, daß die Ausbilder und die Ausbildungsbetriebe jahrelang diffamiert worden seien. Welch ein merkwürdiges Verhältnis zu der Wissenschaft! Es waren doch ganz sachliche und kritische Analysen der Situation in den Ausbildungsbetrieben, mehrere Studien von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten, die seit dem Anfang der 70er Jahre einige betrübliche Feststellungen gemacht haben, nämlich zum Beispiel, daß jeder dritte Lehrling am Ende seiner Ausbildungszeit feststellen mußte, er habe den falschen Beruf erwählt, daß jeder dritte Lehrling feststellen mußte, er sei zu nicht geringen Zeitabschnitten ausbildungsfremd beschäftigt worden, daß jeder zweite und dritte Lehrling gesagt hat, er habe während der Ausbildungszeit einen Ausbildungsplan überhaupt nicht zu Gesicht bekommen und infolgedessen auch keine Kontrolle darüber gehabt, ob die Unterweisungen und die Zuweisungen, die in der Berufsschule stattgefunden hätten, in irgendeiner Form mit dem Inhalt seiner betrieblichen Ausbildung abgestimmt worden seien. Aus diesen mißlichen Ergebnissen der Studien ist die Kritik an den Ausbildungsstätten erwachsen und hat dazu geführt, daß in den Jahren 1970/71 die übereinstimmende Meinung in diesem Lande dahin gehend zu formulieren war, daß auch das Ausbildungsgesetz aus dem Jahre 1969 noch nicht ausreichend sei, sondern neu formuliert und reformiert werden müsse. Diese Zugeständnisse sind in den Jahren 1970/71 auch aus Ihren Reihen gemacht worden. Daraus haben Sie psychologische Verunsicherung und Verunglimpfung der Ausbilder gemacht. Hinzu kam noch, daß sich Herr Professor Carstens hier oben hinstellte und wider besseren Wissens behauptete, die Ausbildereignungsordnung dieser Bundesregierung bestimme, daß auch ein alter, erfahrener Handwerker eine neue Eignungsprüfung machen müsse. Dies entspricht überhaupt nicht den Tatsachen. Meine Damen und Herren, es ist schon so, daß es trotz der Sorgen, die wir im Hinblick auf die Zukunft haben, gewisse Gemeinsamkeiten in diesem Hause gibt. Es gibt trotz der Wahlkampfrede des Herrn Ministerpräsidenten Kohl Gemeinsamkeiten. Man kann feststellen, daß diese Gemeinsamkeiten in den letzten Wochen im wesentlichen von drei, vier großen Institutionen und Gesellschaften formuliert worden sind und von ihnen auch getragen werden. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz sagt durch ihren Vertreter mit anderen Worten: Es kann in den vor uns liegenden, für alle Betroffenen harten Jahren erst in zweiter Linie darum gehen, ein sinnvolles Verhältnis zwischen Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsaussichten herzustellen. In erster Linie muß es darum gehen, mit den uns zur Verfügung stehenden, möglicherweise sehr begrenzten Mitteln zu erreichen, daß möglichst vielen Jugendlichen nach der Schule überhaupt irgendeine sinnvolle Ausbildung geboten werden kann. Dies wird sich nur erreichen lassen, wenn auch die Hochschulen es schaffen, vorübergehend sehr viel höhere Zahlen und Jahrgangsanteile zu bewältigen, als es vom Arbeitsmarkt und vom Bedarf her möglicherweise sinnvoll ist. Dies ist in komprimierter Formulierung die Meinung der Westdeutschen Rektorenkonferenz, der auf der Tagung in Trier auch nicht widersprochen wurde. Die konkreten Lösungsmöglichkeiten, wie man in dieser Übergangszeit von acht bis zehn Jahren mit den Problemen fertig wird, sind schon in den Einzelheiten formuliert worden. Der Wissenschaftsrat drückt sich ähnlich aus. Er sagt: Alle Beteiligten sind sich darin einig, daß für die Jugendlichen auch der geburtenstarken Jahrgänge ein zureichendes Bildungsangebot bereitgestellt werden muß. Dies kann nur gelingen, wenn ungewöhnliche Anstrengungen in allen Bereichen der Ausbildung - im tertiären Bereich ebenso wie in der beruflichen Bildung - unternommen werden. Die Maßnahmen in beiden Bereichen müssen dabei in ihrem wechselseitigen Zusammenhang gesehen werden. Hier gilt insbesondere, daß eine restriktive Zulassungspolitik im Hochschulbereich die Zahl derjenigen, für die Ausbildungsplätze im Bereich der beruflichen Bildung geschaffen werden müssen, zusätzlich erhöht und die hier gegebenen, ohnehin schwierigen quantitativen Probleme noch verschärft. Dies ist eine zweite zustimmende Kommentierung letzten Endes der politischen Bemühungen und politischen Anstöße des Bundeskanzlers. Niemand aus dem Kreise dieser Einrichtungen, die aus einer großen Zahl von verantwortungsbewußten Wissenschaftlern zusammengesetzt sind, hat auch nur andeutungsweise derartige Formulierungen wie Herr Ministerpräsident Kohl gebraucht, der die Dinge so dargestellt hat, als ob es hier darauf ankomme, kurz vor der Wahl Augenauswischerei zu betreiben oder Betrug an der jungen Generation zu begehen. Meine Damen und Herren, wir befinden uns auch sonst in guter Gesellschaft, obwohl ich nicht weiß, ob ich hier „anscheinend" oder „scheinbar" sagen soll. Jedenfalls wird in dem Brief des Deutschen Industrie- und Handelstages und der Verbände der deutschen Wirtschaft vom 14. Januar 1975 gesagt: Zwischen Bundesregierung und Wirtschaft besteht Übereinstimmung in dem Ziel, den Bestand an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu sichern. Berufsausbildung, Berufschancen und Berufsausübung sollen so eng wie möglich miteinander verbunden und aufeinander bezogen sein. Alle Beteiligten - Staat, Wirtschaft, Gewerkschaften, Eltern, Jugendliche - sind fundamental daran interessiert. Dann wird das Angebot gemacht, noch bis zum Jahr 1975 das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen um etwa 10 % zu erhöhen. Außerdem wird der Staat aufgefordert, im Jahre 1975 die Zahl der Ausbildungsplätze seinerseits ebenfalls um Dr. Meinecke ({6}) 10 % zu erhöhen. Dann hätte es zweimal 40 000 mehr Ausbildungsplätze gegeben. In den letzten Wochen lesen wir nun zunehmend Zeitungsnotizen und Aufrufe des Inhalts, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl von Ausbildungsplätzen und Lehrlingsstellen unbesetzt bleibt. Das ist die jetzige Situation, die uns natürlich nicht der Notwendigkeit enthebt, Vorsorge für die nächsten Jahre zu treffen. Aber davon, daß in diesem Jahr Hunderttausende vor verschlossenen Türen stünden, kann überhaupt keine Rede sein. Wir haben heute morgen hier die wirtschaftspolitischen Daten der letzten Wochen und Monate gehört, wir haben die Aussichten für 1976 und 1977 erfahren, und wir haben vernommen, daß die „Jugendarbeitslosigkeit" statistisch und prozentual unter der Arbeitslosigkeit anderer Bevölkerungsgruppen liegt. Wie kann man daraus einen Generationskonflikt zu Lasten der älteren Generation zimmern? Dies ist reine Demagogie. ({7}) Meine Damen und Herren, zu Beginn des Jahres 1975 hat die deutsche Wirtschaft - rufen Sie sich bitte die ökonomischen und sozialen Daten dieser schwierigen Zeit, Januar 1975, einmal ins Gedächtnis zurück - das Angebot gemacht, 10 % Ausbildungsplätze mehr zu schaffen, allerdings unter einer Bedingung, nämlich daß den Betrieben gleichzeitig gewisse Steuervergünstigungen zugute kommen sollten, und zwar - das war der Deckungsvorschlag - aus der Minderfinanzierung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten, nicht mehr. Wenn dies Anfang 1975 möglich war, dann frage ich mich allerdings, wer heute behaupten kann und woher heute eigentlich jemand die Unverschämtheit hernimmt zu behaupten, daß im Jahre 1976, und zwar anderthalb Jahre später, in einer völlig veränderten ökonomischen Situation eine zusätzliche Bereitstellung von Ausbildungsplätzen ohne finanzielle Dotation durch den Staat in Höhe bis zu 6 000 DM nicht möglich sei. Dies ist doch einfach albern. ({8}) Ich will auf einzelne Teile dieses Briefes - das wäre sehr delikat - nicht eingehen. Die Formulierung der sogenannten 23 Punkte besagt im Grunde genommen: Wir sind nur dann bereit, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, wenn die Regierung selbst auf alle inhaltlichen Reformen und Umstrukturierungen in der beruflichen Bildung verzichtet. Genau das aber wollten wir gesetzgeberisch nicht tun, weil wir sahen, daß auch die Qualität der beruflichen Bildung soweit wie möglich verbessert werden sollte. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Frage ganz besonderer Art spielt in der Diskussion immer wieder eine Rolle. Sie wird auch hier sehr klug und sehr hintergründig von der Opposition formuliert, die offenbar die Ursache der ganzen Misere darin sieht, daß die bösen Bildungspolitiker der sozialliberalen Koalition und die Regierung seit der Vorlage des Bildungsgesamtplans 1970 oder, sagen wir, des Bildungsberichtes der Bundesregierung das Bildungssystem von der Wirtschaft abgekoppelt haben. Ich meine, daß man über dieses Problem der Beziehungen zwischen dem Bildungssystem im ganzen und dem Beschäftigungssystem auf der einen Seite sowie der Arbeitswelt auf der anderen Seite einmal diskutieren muß. Die Anfrage der CDU/CSU impliziert nämlich, daß man im Grunde genommen zu einer Verkoppelung der Systeme kommen müßte. So sehe ich es jedenfalls. Sie impliziert eine Frage, die auch in Trier gestellt wurde und die lautete: Warum werden die Universitäten heute vom Staat eigentlich gezwungen, am Markt vorbei zu produzieren? Ich will nicht semantisch untersuchen, was das heißt, ob man Menschen „am Markt vorbei" oder „in einen anderen Markt hinein" produzieren kann. Ich hätte nur gern von denjenigen, die dieses Problem mit dem heutigen Arbeitsmarkt lösen wollen, eine Antwort auf die Frage: Wie stellen sich analytisch eigentlich der heutige Arbeitsmarkt und die Beschäftigungswelt dar, wie stellen sich dieser Markt und die Welt in fünf oder in zehn Jahren dar und wie vielleicht in 15 oder in 20 Jahren? Im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft war die Opposition schon sehr viel klüger und vernünftiger. Der Kollege Gölter hat wörtlich gesagt: Wir geben zu, wir wissen nicht, wie groß der gesellschaftliche Bedarf an ausgebildeten Akademikern und wie ihre Qualität in den nächsten 15 oder 20 Jahren sein werden, und sind deshalb auch nicht bereit, restriktiv zu fahren. Andere wiederum sagen: Wir wissen auch nicht, wie die andere Arbeitswelt aussehen wird; aber es gibt Anhaltspunkte dafür, daß eine höhere Qualität, eine bessere Ausbildung jedem einzelnen Mitbürger in Krisenzeiten und in schwierigen Situationen auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen vermitteln, als wenn er die Qualifikation nicht bekommen hätte. Und das gilt für gleichberechtigte und vergleichbare Qualifikationen aller Art. Dieses Problem wird international wie auch national im Augenblick allgemein diskutiert. Es gibt im wesentlichen drei bis vier Nationen, die, verglichen mit der Bundesrepublik Deutschland, einen wesentlich höheren Anteil von Studienberechtigten und auch einen wesentlich höheren Anteil von Absolventen ihrer Hochschulen haben. Auch in diesen Ländern ist es in einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren gelungen, die Schwierigkeiten der Beschäftigung dieser Hochschulabsolventen und die Umstrukturierung ihres Arbeitsmarktes und Beschäftigungssystems zu läsen. Es gibt in diesen Ländern keine größere Zahl von arbeitslosen Akademikern als zur Zeit in der Bundesrepublik. Dies soll nun überhaupt nicht heißen, daß wir der Auffassung sind, daß die Schulen nun möglichst viel und einen grollen Anteil von Studienberechtigten hervorbringen müssen. Trotzdem meine ich, daß es ein Problem der Chancengleichheit ist, wenn man sich einmal im Vergleich betrachtet, wie groß innerhalb einer gleichartigen Bevölkerung in einzelnen Bundesländern der Prozentsatz derjenigen ist, die eine Studienberechtigung bekommen, die also den Abschluß der Sekundarstufe 2 erreichen. Ich will das ganz kurz aus der letzten Dokumentation des Wissenschaftsrates vortragen. Ich nenne Dr. Meinecke ({9}) für das Jahr 1974 den Anteil der 18- bis unter 21jährigen: Baden-Württemberg 16,8 %, Bayern 14,9 %, Rheinland-Pfalz 18,5 %, Saarland 21 %, Schleswig-Holstein 14 %, Nordrhein-Westfalen 22 %, Hessen 20 %, Bremen 30 %, Berlin 22 %. Die Relationen sehen 1980 folgendermaßen aus: BadenWürttemberg 18 %, Bayern 20 %, Rheinland-Pfalz 21 %, Saarland 21 % - also ein schöner gleichmäßiger Anteil von etwa einem Fünftel -, dagegen Berlin ({10}) 28 %, Bremen 33 %, Hamburg 47 %. Hessen 27 % und Niedersachsen 24 %. Ich habe das Gefühl, daß bei dem Arrangement und bei der Konstruktion der heutigen Debatte im Grunde genommen die Tendenz erkennbar ist, die Zahl der mit Hochschulausbildung Ausgeschiedenen, die Zahl der mit Abitur aus dem Schulwesen Ausscheidenden letzten Endes auf die Bedürfnisse der heutigen Arbeitswelt und des heutigen Arbeitsmarktes zuzuschneiden. Dies allerdings scheint mir in Anbetracht einer vernünftigen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und in Anbetracht der Notwendigkeiten, individuelle Bedürfnisse zu befriedigen, für die Zukunft nicht die richtige Politik zu sein. Meine Damen und Herren, es ergeben sich aus diesen Betrachtungen von Arbeitswelt und Schulsystem einige international übereinstimmend formulierte Thesen, die Rückwirkungen auf die derzeitigen Bildungssysteme in fast allen Industrienationen und in fast allen Nationen, die der OECD angeschlossen sind, aufzeigen. Ich darf das ganz knapp vorlesen: Konsequenzen für das Bildungssystem Angesichts der geschilderten Entwicklungen im Beschäftigungssystem kann es künftig nicht Ziel des Bildungssystems sein, junge Menschen im wesentlichen nur mit solchen Kompetenzen und Qualifikationen auszustatten, die ihre aktuelle Brauchbarkeit im Beschäftigungssystem und damit unter Umständen eine sehr kurzfristige Existenzsicherung gewährleisten. Es gilt vielmehr, den Lernenden die Einsicht dafür zu vermitteln, daß ein beruflicher Wechsel wahrscheinlicher ist und sozialer Abstieg durch rechtzeitiges Umsteigen vermieden werden kann. Fachliche Kompetenzen sind deshalb stärker als bisher an übergeordneten und berufsbezogenen Kriterien zu orientieren. Durch ihre Neuorientierung sollen die objektiven und subjektiven Diskrepanzen zwischen der beruflichen Qualifikation und der Berufsanforderung verringert und eine wesentliche Voraussetzung für ein höheres Maß vertikaler und vor allem horizontaler beruflicher Mobilität geschaffen werden. Mobilität beinhaltet die Fähigkeit, sich rechtzeitig und umfassend Änderungen im Beschäftigungssystem anzupassen, ohne daß der Spielraum der individuellen Entscheidungsfreiheit unangemessen eingeschränkt wird. Meine Damen und Herren, dies war eine Formulierung, zu der nach jahrelanger Arbeit der Deutsche Bildungsrat gekommen ist. Und so wissen und verstehen wir jetzt auch, warum dieses Instrument der Bildungsberatung vom Tisch mußte, warum diesem Instrument das Lebenslicht ausgeblasen werden mußte. ({11}) Sie können die Studien der OECD nehmen, Sie können die Studien der Vereinten Nationen über die UNESCO nehmen, Sie können alle modernen wissenschaftlichen Untersuchungen im einzelnen daraufhin abklopfen - keine Untersuchung kommt zu einem grundsätzlich anderen Lösungsvorschlag. Das heißt, die totale Entkoppelung, die totale Unabhängigkeit beider Systeme voneinander will niemand, aber die Verkoppelung, die Konstruktion und die Zuschneidung unseres Bildungssystems auf eine Arbeitswelt der Zukunft, die wir nicht kennen, ist falsch und bleibt falsch. Diese Politik wird von uns auch nicht vertreten. ({12}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, einig sind wir uns im Ziel, daß wir für die Angehörigen der nächsten Generation bis zum Jahre 1985 sowohl Plätze in den gewünschten Schulen, an den Hochschulen und in den Fachhochschulen als auch entsprechende Ausbildungsplätze in der Industrie, in der Wirtschaft und beim Staat benötigen. Dies setzt gemeinsame Anstrengungen voraus. Die Tonart des vor mir geleisteten Beitrags war nicht vernünftig, in diesem Sinne eine Kooperation herbeizuführen. In der Zielvorstellung bestehen keine unterschiedlichen Betrachtungen. Unterschiedlich bewertet werden die Wege dahin, wobei man bei manchen Wegen im Moment einfach nicht mit Sicherheit voraussagen kann, wie nützlich das vom Gesetzgeber vorgeschlagene Instrument ist, z. B. das Umlageverfahren bei der beruflichen Bildung. Dann aber wie die Opposition zu sagen: entweder unsere Lösung mit Steuervergünstigung und Dotation oder es gibt keine Reform der beruflichen Bildung bzw. überhaupt keine Finanzierung, scheint mir in einer parlamentarischen Demokratie für eine Noch-Minderheit und für eine auch ab Oktober bleibende Minderheit nicht die richtige Verhaltensweise zu sein. ({13})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten der Bundesregierung den Rat geben, die Rede, die Ministerpräsident Kohl hier gehalten hat, in Rillen zu pressen, ({0}) damit sich jeder einzelne Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland darüber ein Bild machen kann, ob eigentlich sein Schicksal in diesen Händen richtig aufgehoben ist. ({1}) Herr Kohl hat sich hier vorne so hingestellt, als ob er eine Partei vertrete, die noch nie in irgendeiner politischen Verantwortung gewesen ist. Er hatte dabei verschwiegen, daß er bei voller Ausschöpfung seiner Kompetenzen in seinem Bundesland selbstverständlich nicht mehr von „hätten", „könnten" und „wären" zu sprechen brauchte; vielmehr hätte er hier einmal eine Leistungsbilanz seines Landes vorführen sollen. Wo ist sie denn eigentlich geblieben? ({2}) Er hat auch völlig verschwiegen, daß er jetzt einer Partei vorsitzt, die einen erheblichen Zeitraum die politischen Geschicke der Bundesrepublik Deutschland geleitet hat. Er hat leider vergessen, daß es damals gerade die Jugend war, die eine Veränderung in diesem Lande erzwungen hat, indem sie auf die Straßen gegangen ist. Ich meine, daß all das, was heute hier gesagt worden ist, uns sicherlich zu der Hoffnung berechtigt, daß eine Verantwortung ihrerseits für die nächsten Legislaturperioden nicht droht. Herr Kohl, Sie haben von der Kreativität des Menschen gesprochen. ({3}) Ich kann nur sagen, ich hätte gewünscht, daß Sie diese Kreativität, zu der Sie selber in der Lage sind, hier vorgeführt hätten. Aber leider haben Sie eine wichtige Passage in Ihrer Rede vergessen, nämlich die Lösungsvorschläge. Nur zu zwei Dingen möchte ich noch Richtigstellungen anbringen. Herr Kohl, Sie sollten häufiger einmal die Debatten dieses Bundestages verfolgen. Dann hätten Sie z. B. bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts feststellen können, daß ein großer Teil Ihrer Fraktion unter dem Applaus Ihrer Fraktion den Sozialismus mit der steigenden Staatsquote begründet hat. Heute stellen Sie sich hier hin und meinen, wir müßten für Jugendliche und Alte mehr tun. Ich frage Sie: Wie geht dies eigentlich, ohne gleichzeitig die Staatsquote zu erhöhen? ({4}) Abgesehen davon ist ja damals von Herrn Minister Friderichs der Nachweis erbracht worden, daß die Staatsquote keineswegs grundsätzlich gestiegen ist. Meine Damen und Herren, noch eine zweite Richtigstellung. Herr Kollege Kohl hat eine Zwischenfrage eines sozialdemokratischen Kollegen nach den Beschlüssen des Hamburger Parteitages zur Berufsbildung und zu der von seiten der CDU vorgezogenen Fondslösung - diese Fondslösung ist vor allem auch vom Ministerpräsidenten Kohl selbst in seinem Land propagiert worden, wobei er von seinem Kultusminister unterstützt wurde - nicht beantwortet. Er hat vielmehr daran erinnert, daß auf dem Parteitag die Mitbestimmung verabschiedet worden ist. Daran möchte ich jetzt eine Korrektur anbringen, um Ihr Gedächtnis, Herr Kohl, etwas zu unterstützen. - Er ist gerade durch ein Gespräch beschäftigt. Aber vielleicht kann er es nachlesen. Er meinte nämlich, die FDP habe von der CDU abgeschrieben. Nun kann ich mich erinnern, daß der Freiburger Parteitag der FDP 1971 war und der Parteitag der CDU in Hamburg 1973 stattgefunden hat. Wer hier von wem abgeschrieben hat, können Sie sich dann selber denken. Man kann auch nicht auf der einen Seite von Abschreiben sprechen und dann gleichzeitig sagen, daß diese Lösung nicht praktikabel wäre. ({5}) Wenn Sie schon kein gutes Gedächtnis haben, dann, finde ich, hätten Sie bei Ihren Ausführungen eine gewisse Logik walten lassen sollen. Meine Damen und Herren, diese sechsstündige Debatte hat doch wohl - so, wie sie angekündigt ist - in allererster Linie - und dafür haben wir bereits die Begründungen bekommen - das Ziel einer politischen Demonstration, nicht das Ziel einer Sachdiskussion über das gemeinsame Bemühen, den Jugendlichen in ihren Bildungswünschen tatsächlich entgegenzukommen. Meine Damen und Herren, es ist die Strategie der CDU - und das konnten wir schon bei den vergangenen Landtagswahlen sehr deutlich feststellen -, von der eigenen Verantwortung im Bildungsbereich ihrer Länder auf den Bund abzulenken. Wenn hier selbst Herr Pfeifer, der es wirklich wissen müßte wir haben in unserem Ausschuß lange genug darüber geredet -, meint, die Hauptschulmisere auf den Bund schieben zu müssen, dann wird es makaber, schlicht makaber, Herr Pfeifer. Wenn dieses dann auch noch von dem Ministerpräsidenten eines Landes in ähnlicher Weise betont wird, dann wird es unverantwortlich gegenüber den Jugendlichen, die in diesem Land leben. ({6}) Hinsichtlich der finanziellen Ausstattung ist wieder einmal in ganz erheblichem Umfang darauf hingewiesen worden, daß Bildungspolitik - -({7}) - Ach, Herr Pfeifer, was sollen denn diese Zwischenrufe? Finden Sie, daß die nun wirklich so unglaublich sachlich sind? Zur finanziellen Ausstattung: Wir alle wissen, daß Bildung eine Serviceleistung der öffentlichen Hände ist und daß das Geld kostet. Es ist darauf hingewiesen worden, auch in der Begründung zur Großen Anfrage, daß der Bund die Länder allein ließe mit der Finanzierung, ja, die Verteilung der Lasten zwischen Bund und Ländern nicht richtig sei. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, Herr Pfeifer: Ich finde, darüber kann man reden. Aber dann muß man das auch von seiten Ihrer Partei tun. Man kann sich darüber sachlich unterhalten. Nur, wenn man zur gleichen Zeit beklagt, daß die Länder nicht über hinreichende Mittel verfügten, um die Bildungchancen, die sie im wesentlichen beeinflussen können, zu verbessern, dann muß man wirklich fragen, warum Sie als Opposition und mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat nicht den Mut aufgebracht haben, dem Wähler vor der Wahl ehrlich zu sagen: Wir sind für eine Mehrwertsteuererhöhung. Ich bin ganz sicher, nach der Wahl wird das auch Ihre Forderung sein. ({8}) Meine Damen und Herren, was war eigentlich der Anspruch zumindest der Liberalen - an ein Bildungssystem? Wir wollten die Menschen zur Selbstbestimmung, zu demokratischem Handeln befähigen, und wir wollten eigenmotiviertes Leistungsverhalten erzeugen. ({9}) Ich glaube, daß man wirklich sagen kann, daß wir dieses Ziel nicht erreicht haben. Die Frage ist ich komme darauf zurück -, wem dieses zu verdanken ist. Ich meine aber, daß wir dennoch auf erhebliche Erfolge schauen können. Wir haben das Verhältnis von Lehrenden zu Lernenden wesentlich verbessern können. Das ist das muß ich hier sagen - durch Anstrengungen der Länder geschehen. Das sollte man korrekterweise sagen, auch gerade an dieser Stelle. Die Forderung, den Anteil der öffentlichen Ausgaben für das Bildungssystem entsprechend der Prioritätenaussage zu erhöhen, konnte erfüllt werden. Wenn 1965 3,4 % des Bruttosozialprodukts für Bildung ausgegeben wurden, so waren es 1975 6,4 %. Ich meine, auch hier sollte man den Ländern für diese Anstrengungen danken, und dies sollte man auch ruhig unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung sagen. Nur sind diese Kosten eigentlich nicht den Reformen zugute gekommen, denn Reformen waren es nicht, die Geld gekostet haben. Wir haben hier im wesentlichen Expansion betrieben: wir haben steigende Schüler- und Studentenzahlen gehabt, wir haben das neunte Pflichtschuljahr eingeführt, wir haben stärkere Übergänge zu Realschulen und Gymnasium, also eine längere Bildungsdauer, und letztendlich natürlich auch Höherstufungen der Lehrer gehabt. Aber erinnern wir uns doch einmal zurück: Alles, was teuer war, hat die CDU auch gefordert: von der Vorschule über die kleinen Klassen zur Beseitigung des Lehrermangels bis selbstverständlich zu keinem Numerus clausus. Sie scheint offenbar überrascht zu sein, daß das, was sie damals selber gefordert hat, tatsächlich dann Geld gekostet hat. Ich meine, wenn wir richtige Reformen begonnen hätten und wenn dies in unserem Kulturföderalismus möglich gewesen wäre, hätten diese erstens nur einen erheblich geringeren Teil gekostet, und zweitens hätten wir die Chance gehabt, ein Bildungssystem, das dieser Expansion nicht gewachsen war, zu reformieren. Wenn wir uns nach wie vor den Luxus des Sitzenbleibens leisten und wenn es so ist, daß in der Regel ein Schüler einmal sitzenbleibt, dann bedeutet dies eine erhebliche Verlängerung von Bildungszeiten, die natürlich etwas kosten. Ich frage mich, ob eine vernünftig angesetzte Reform nicht für den Betroffenen sehr viel mehr Förderung gebracht hätte als das, was wir uns geleistet haben. ({10}) Man muß wohl festhalten, daß man durch Reformen gerade auch langfristig sparen kann, und wer zu Reformen auf diesem Gebiet nicht bereit ist, wird nicht sagen können, daß er langfristig bereit ist, verantwortungsbewußt mit Steuergeldern umzugehen. Ich meine, wir sollten auch erwähnen, daß wir für mehr Menschen mehr Bildung geschafft haben. Dies ist nun allerdings gewollt, von den Sozialdemokraten - nehme ich an und auch gerade von der liberalen Partei. Dies wollen wir. Nur, wenn wir feststellen, daß diese mehr Menschen, die mehr Bildung genossen haben, dann anschließend vor den Hochschulen stehen, dann kann doch wohl nur ein Konservativer sagen: Wir wollen diesen Numerus clausus wieder zurückverlagern auf Zehnjährige. ({11}) Für uns ist dies ein Problem, mit dem wir fertigwerden müssen. Allerdings: neue Probleme erwarten neue Antworten und nicht die alten. Meine Damen und Herren, es ist bereits darauf hingewiesen worden - und ich finde, dies sollten wir nicht unterbewerten -, daß die demographische Entwicklung in unserem Lande uns ganz erhebliche Schwierigkeiten machen wird, und zwar nicht nur heute, sondern immer wieder. Durch die zwei Weltkriege, die dieses Land in der Vergangenheit erlebt hat, haben wir nun einmal erheblich geburtenschwache Jahrgänge, und wir werden auch immer wieder Zunahme von Geburtenziffern haben, nämlich dann, Herr Stücklen, wenn die Jugendlichen, die starken Jahrgänge, die jetzt aus der Schule kommen, Vater und Mutter werden. Just dann werden wir natürlich eine Zunahme an Geburtenziffern wieder haben, und dies erfordert flexible Lösungen. Natürlich kann es keine Lösung sein, zu sagen, wir richten an den starken Jahrgängen die Kapazitäten aus, sondern wir müssen jeweils bei starken Jahrgängen flexible Lösungen finden, damit nicht unnütz Kapazitäten erzeugt werden, die wir später nicht verwenden können. Genau das gleiche gilt auch für die Erwerbspersonen. Wenn Sie heute fordern, daß wir für die Zunahme der deutschen Erwerbspersonen Arbeitsplätze durch Investitionen schaffen sollen - diese Zunahme der Erwerbspersonen wird von 1975 bis 1985 850 000 betragen -, wenn Sie die Kapazität insgesamt in der Wirtschaft langfristig daran ausrichten, dann werden Sie sich gleichzeitig darüber klar sein müssen, daß Sie in den 90er Jahren erhebliche Anteile von ausländischen Arbeitnehmern hier wieder haben müssen, um diese Kapazitäten auszunützen. Hier müssen wir also etwas längerfristig denken, als das heute hier den Eindruck erweckt hat. Es ist ja noch nicht allzulange her, daß wir vom akademischen Proletariat sprachen, nämlich als man meinte, die Hochschulkapazitäten allein nach dem Bedarf ausrichten zu müssen. Ich habe den Eindruck, daß heute, zwar halbherzig, zum Teil wieder zurückgenommen, doch auch die Vertreter der Opposition für den Abbau des Numerus clausus eingetreten sind. Also haben Sie sich hier - wenn man so will - für Recht auf Bildung und gegen den Bedarf als Priorität ausgesprochen. Ich finde dies gut, und vielleicht könnten wir versuchen, uns einmal darauf zu verständigen. Der Begriff des akademischen Proletariats wird dennoch immer dort, wo er angebracht ist, wieder verwendet. Ich bin nicht bereit, bei einer Gruppe von Menschen, deren prozentualer Anteil an der Arbeitslosigkeit so viel geringer ist als die Arbeitslosigkeit zum Beispiel von Hilfsarbeitern, von akademischem Proletariat zu sprechen. Merkwürdigerweise wird so etwas immer nur zu einem gesellschaftlichen Problem, wenn davon Menschen betroffen werden, die sich artikulieren können. ({12}) Dies, finde ich, sollten wir nicht widerspruchslos hinnehmen. ({13}) Sie sprachen davon, daß wir das öffentliche Dienstrecht verändern sollten. Wenn man ehrlich ist, bedeutet es ja wohl, daß man den Einstieg für Akademiker in den öffentlichen Dienst nicht so hoch ansetzen sollte. Wenn die Akademiker, die sich bewerben, für weniger als A 13 einzustellen wären, dann würde ich mich für das marktwirtschaftliche System entscheiden und den Marktwert entscheiden lassen. Aber ich habe den Eindruck, daß es auch hier darum geht, daß eine kleine Gruppe innerhalb unserer Bevölkerung deshalb klein bleiben möchte, um innerhalb unserer Marktwirtschaft den Marktwert nicht zu gefährden. ({14}) Wir sollten uns mal daran erinnern, daß es heute schon eine Reihe von Friseuren gibt, obwohl die Verantwortung für die berufliche Ausbildung bei der Wirtschaft lag, die über Bedarf ausgebildet worden sind und am Fließband stehen. Wer hat sich eigentlich in diesem Lande jemals darum gekümmert, ob in nichtakademischen Bereichen eigentlich jeder immer dort eingesetzt worden ist, für was er auch ausgebildet wurde? Dies kann man auch denen zumuten, die das Recht auf Bildung sehr umfassend wahrgenommen haben. Nun zum Bildungs- und Beschäftigungssystem und dessen Entkoppelung. Hier ist wiederholt der Eindruck erweckt worden - das wird nun schon seit Jahren betrieben, obwohl es hinlänglich widerlegt worden ist; aber es geht hier ja auch nicht um Sachdebatte, sondern um Polemik -, daß es nicht darum ging, die Inhalte von Ausbildung und späterer Berufsausübung zu trennen, zu entkoppeln, sondern es ging darum, die Bildung und das Berechtigungswesen im Beschäftigungssystem zu entkoppeln. Aus der Großen Anfrage ist herausgekommen, daß das auch Ihr Wunsch wäre. Darüber hinaus sind wir uns hoffentlich auch darin einig, daß die Bildung nicht nur zur Berufstätigkeit befähigen sollte, sondern zu etwas mehr. Wenn hier etwas vorwurfsvoll darauf hingewiesen worden ist, daß diese Bundesregierung zur Besoldungs- und Laufbahnreform nichts getan hätte, so ist dazu folgendes zu sagen. Erstens ist dieses Besoldungs- und Laufbahnsystem keine Erfindung dieser Regierung, sondern da haben wir wohl alle gemeinsam kräftig mitgemischt. Zweitens hat überhaupt, solange es diese Regierung gibt, der Bund erst die Kompetenzen. Das heißt, er mußte zunächst einmal die Rechte haben, um überhaupt in diesem Bereich reformieren zu können. Da Sie in Ihrer Großen Anfrage darauf hingewiesen haben, daß Sie ein kostenneutrales Modell zur Laufbahnreform vorgeschlagen hätten - ich habe vergeblich versucht, ich habe es leider nicht gefunden -, muß ich an dieser Stelle sagen, daß die Kompetenzverlagerung von den Ländern auf den Bund die Zustimmung der Union nur mit der zusätzlichen Zusage gefunden hat, im Besoldungssystem durch strukturelle Verbesserungen mehr Kosten zu erzeugen. Daß Sie hier mit gutem Beispiel vorangegangen wären und ein Laufbahnsystem vorgeschlagen hätten, das kostenneutral ist, entspricht doch wohl schlicht nicht den Tatsachen. Meine Damen und Herren, der Vorwurf der Zementierung dieses Systems kann also überhaupt nicht aufrechterhalten bleiben. Es ist sehr umfänglich vorbereitet worden, und es ist das Aktionsprogramm zur Laufbahnreform durch die Bundesregierung eingebracht worden. Ich bin gespannt, inwieweit die Gemeinsamkeiten in diesem Hause ausreichen, oder ob es dann nicht der Opportunismus ist, der dieses Haus und vielleicht alle Parteien dazu bringen wird, dies scheitern zu lassen, weil die Reform nicht mehr finanzierbar ist, weil man ach so viel Angst hat, an Besitzstände zu gehen. In der Großen Anfrage sind im Zusammenhang mit den Ausbildungsplätzen wieder alle Klischees und Vorurteile, die bei solchen Debatten immer ausgebreitet werden, wieder aufgenommen worden. Ein Widerlegen hat auch hier nichts genützt. Wenn Herr Kohl hier wiederum gesagt hat, daß Ausbildungsplätze durch das, was wir bisher getan hätten, verhindert würden, dann muß man doch einmal fragen: Wer war es eigentlich, der dieser Regierung und dieser Koalition vorgeworfen hat, daß wir das duale System abschaffen wollten? Das ist doch ein Gerücht, das bewußt „in die Gegend" gesetzt worden ist, auch wenn man dabei Gefahr zu laufen droht, den Jugendlichen zu schaden. Hauptsache ist, dennoch politisches Kapital daraus geschlagen zu haben. Die Opposition fordert an einer Stelle di a Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, und an einer anderen Stelle weist sie darauf hin, daß die Konsequenzen aus der Berufsbildungsreform 1969 - Ausbildungsordnung und Ausbildereignungsverordnung - ihr eigentlich nicht in den Kram paßten. Ist denn Gleichwertigkeit beider Bildungsgänge eigentlich nur Proklamation oder nehmen Sie sie wirklich ernst? Bisher haben Sie nicht bewiesen, daß Sie sie ernst nehmen. Die Koalition hat in ihrem Berufsbildungsgesetz ein schlüssiges Finanzierungssystem vorgelegt und wird es heute in diesem Bundestage verabschieden. Und eigentlich müßte Herr Kohl, wenn er ehrlich wäre, seiner Fraktion die Annahme empfehlen. Er ist ja vorhin der notwendigen Antwort ausgewichen. Aber so kann man natürlich auch vorangehen. Meine Damen und Herren, ich möchte nur noch auf einen anderen Widerspruch in der Großen Anfrage hinweisen. Da steht z. B. auf der Seite 7 in der Begründung: Bisher hat alles in allem noch jeder Jugendliche, der sich darum bemüht hat, einen Ausbildungsplatz erhalten. Auf der nächsten Seite können wir dann lesen, daß erst Ende Januar 1976 die Bundesregierung der Forderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachgegeben und selbst ein Programm zur Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit vorgelegt habe, zum Schaden der Betroffenen leider ein Jahr zu spät. ({15}) - Aber ich bitte Sie, Herr Pfeifer! Natürlich ist es ein Widerspruch. Wenn Sie sagen, bisher sei es ohne öffentliche Mittel noch hinreichend möglich gewesen, die Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen zu versorgen, Sie dann aber nachher sagen, das Programm sei ein Jahr zu spät gekommen, dann ist das ein ganz entscheidender Widerspruch. ({16}) Meine Damen und Herren, Ich hatte bereits auf die unterschiedlichen demographischen Entwicklungen hingewiesen. Daran will ich noch einmal deutlich machen, daß es doch wohl nicht sein kann, daß Recht auf Bildung nur für die schwachen Jahrgänge gelten darf, während für die starken Jahrgänge der Bedarf das entscheidende Element ist. Durch unbürokratische Maßnahmen - die Fähigkeit dazu haben wir in den letzten Jahren hinlänglich bewiesen - werden wir auch den Jugendlichen starker Jahrgänge ein entsprechendes Recht out Bildung einräumen müssen. Die CDU/CSU kann nachher zeigen, ob sie in der beruflichen Bildung, zumindest was den Ausbildungsplatzmarkt anbetrifft, mit uns ziehen wird. Ich bin fest davon überzeugt, daß sie das nicht tun wird. Auf die Probleme des Numerus clausus wird mein Kollege Möllemann später noch eingehen. Ich möchte dazu nur soviel sagen: Ich finde, wir Bildungspolitiker sollten es außerordentlich begrüßen, daß nun auch diejenigen, die keine Bildungspolitiker sind, zu der Auffassung gekommen sind, daß der Numerus clausus abgebaut werden müßte. Wir kennen alle die negativen Auswirkungen auf das Ausbildungsplatzangebot, wenn wir nicht hinreichend Studienplätze haben, und wir kennen auch die Auswirkungen durch den bereits vielzitierten Leistungsdruck in die Schule hinein. Wie sieht es denn nun aber mit den Chancen für leistungsschwache und behinderte Jugendliche aus? Dazu werden wir wohl gemeinsam, und zwar ganz besonders auch die Länder, unseren Teil beitragen müssen. Sie werden nachher Gelegenheit haben, der Errichtung eines Bundesinstituts für Berufsbildung zuzustimmen. Da soll ein Ausschuß für Behindertenfragen installiert werden. Ich glaube, das große Problem der betroffenen Jugendlichen ist, daß sie keine Lobby haben. Wenn hier ein Sprachrohr gerade für diese Jugendlichen installiert werden soll, sollten Sie sich dem anschließen. Aber was ist denn das Problem der leistungsschwachen Jugendlichen? Ist dies nicht gerade das Problem der Hauptschule? Und wem gilt denn nun eigentlich der Vorwurf der Wirtschaft, wenn sie sich über die Kenntnisse beklagt, die ein Jugendlicher hat, der von der Hauptschule kommt und sich bewirbt? Wer hat denn die Verantwortung für die Qualität der Hauptschule? Eben hat hier der Ministerpräsident eines Landes gesprochen. Ich meine, er hätte dazu vielleicht auch die großen Anregungen, die aus seinem Lande gekommen sind, an die anderen Länder weitergeben können. Allerdings ist er hier natürlich wie überhaupt alle Antworten schuldig geblieben.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Frau Abgeordnete Schuchardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie mir erklären, Frau Schuchardt, weshalb in den SPD/FDP-geführten Bundesländern der prozentuale Anteil der Hauptschüler ohne Hauptschulabschluß in der Regel doppelt so groß ist wie in den CDU-geführten Bundesländern?

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist Ihnen klar, daß in den SPD/FDP-regierten Ländern der Anteil der Hauptschüler an einem Jahrgang sehr viel geringer ist als in den CDU-regierten Ländern? Und wenn Sie schon von Prozentsätzen reden, dann sollten Sie nicht diesen Prozentsatz nehmen; auch das widerspricht wiederum der Logik. Ich finde, wenn man hier mit Zahlen hantiert, dann sollte man echt vergleichbare Zahlen nehmen. Im übrigen habe ich mich gerade bei einem Land, nämlich Nordrhein-Westfalen, erkundigen können, wo es einen sehr geringen Anteil gescheiterter Hauptschüler gibt. ({0}) Ich meine, daß man sich hier nicht gegenseitig etwas vormachen sollte. Schauen Sie, ich habe überhaupt niemandem die Schuld gegeben, keiner Partei in diesem Raum oder auch keiner bestimmFrau Schuchardt ten Landesregierung, was die Situation der Hauptschulen betrifft. Wir waren uns darüber einig, daß hier etwas getan werden muß. Wir sind uns natürlich auch darüber einig, daß in den von uns verantwortlich mitregierten Ländern mehr hätte getan werden müssen. Das ist überhaupt gar keine Frage. Nur meine ich, es besteht doch überhaupt keine Veranlassung, dies zur Wahlkampftaktik zu machen, zumal in Ihren Ländern keineswegs besondere Vorbilder vorhanden sind. Ich frage mich nur, warum z. B. in Baden-Württemberg die Landesregierung so extrem daran interessiert war, die Verantwortung für die bildungspolitische Situation ihres Landes unbedingt auf die Bundesregierung zu schieben. Das liegt doch wohl daran, daß sie selber mit dem unzufrieden ist, was sie dort geleistet hat. Meine Damen und Herren, noch einige Sätze zum Schluß. Die CDU, auch repräsentiert durch Ministerpräsident Kohl, hat heute ihr Gewissen für die Jugendlichen gezeigt. Nun muß man auch einmal fragen: Welche Politik hat sie für die Jugendlichen eigentlich betrieben? Durch das Stellen einer Großen Anfrage im Bundestag erweckt sie den Eindruck, als ob sie für bundesweite Lösungen zugänglich wäre. Zur gleichen Zeit ist aber die einzige beim Bund installierte Bildungsberatung, nämlich der Bildungsrat, abgeschafft worden. Er ist an einem Bundesland, nämlich Bayern, gescheitert. Sie fordert die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung. Wie sieht es denn tatsächlich aus? Ich habe darauf schon hingewiesen. Immer dann, wenn es darauf ankommt, und man das Argument besser verwenden kann, dann ist die CDU gegen die Verbesserung der Ausbildungsordnung, gegen die Verbesserung der Qualifikation der Ausbilder. Letztendlich hat sie ein Finanzierungsmodell vorgeschlagen, das in allererster Linie die Ausbildungen fördert, die nicht so kostenintensiv sind, während für die qualifizierten, teuren Ausbildungen damit keineswegs ein weiterer Ausbildungsplatz geschaffen wird. Hier ist der Leistungsdruck zitiert worden. Wer ist denn dafür verantwortlich? Zunächst einmal hieß es vor wenigen Jahren noch, wir, die sozialliberale Koalition, seien für den Verfall des Leistungsprinzips. Heute wird genau das Gegenteil gesagt. Aber wie kommt denn eigentlich dieser Leistungsdruck in die Schulen? Jeder weiß, daß es die heutige Bewertung mit Zehntelnoten ist. Wer war denn für den Staatsvertrag der Länder zur Vergabe von Studienplätzen? Selbstverständlich die CDU und die CSU in ganz entscheidendem Maße. Ich kann mich erinnern, daß damals meine Partei diejenige war, die sich skeptisch dazu geäußert hat, ja in Hessen und einigen anderen Ländern sogar darauf hingewiesen hat, daß sie nach den vielen Vorwürfen diesen Staatsvertrag so schnell wie möglich wieder kündigen wolle. War es nicht so, daß sich die Opposition bis zum Schluß noch der Aufnahme von Zulassungsparagraphen in das Hochschulrahmengesetz verweigert hat, weil sie der Auffassung war, daß der Staatsvertrag mit den Zehntelnoten so hervorragend funktioniert? Letztendlich, meine Damen und Herren, ist eines durch die Große Anfrage klargeworden: Die CDU ist auch bereit, den Numerus clausus abzuschaffen. Sie ist für die Rückverlagerung in die Schulen, ({1}) d. h., daß die Jagd auf die Zehntelnoten in die Grund- und Mittelschule verlagert wird. Den Leistungsdruck bei Kleinkindern sollten Sie dann selbst verantworten! ({2}) - Regen Sie sich doch nicht so auf; Sie können ja nachher hier noch Stellung nehmen, Herr Pfeifer. Dann haben Sie genug Gelegenheit. Herr Kohl hat gesagt, alles befände sich in einer Sackgasse und man müsse umkehren. Das ist eine sehr konservative Auffassung, meine ich. Es geht darum, es besser zu machen. Insoweit stimme ich ihm zu. Nur, die Beispiele, die ich eben angeführt habe, deuten nicht darauf hin, daß diese Opposition dazu in der Lage sein wird, es besser zu machen. ({3}) Ich meine, diese Partei hat sich heute nicht als Regierungspartei empfohlen. ({4})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus. Staatsminister Dr. Maier ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der allgemeinpolitische Hintergrund dieser Debatte, in der über das Thema „Zukunft der Jugend" gesprochen wird, ist ernster als der Hintergrund früherer jugendpolitischer und bildungspolitischer Debatten. ({1}) Ministerpräsident Kohl hat diesen Ernst schon mit einigen Stichworten angedeutet. Eine Million mehr junge Menschen treten in den Arbeitsprozeß ein; demgegenüber scheidet nur eine kleine Zahl aus. Viele junge Menschen stehen vor den geschlossenen Toren der Hochschulen oder doch einzelner Fächer in den Hochschulen. Die Generation der 40- bis 50jährigen hat vielfach ihre Lebensstellung gefunden. Soweit sie im öffentlichen Dienst tätig ist, blockiert sie die Plätze für die jetzt nachrückenden, noch für einige Jahre sehr starken Jahrgänge. Endlich werden in allen Ländern - keineswegs nur in der Bundesrepublik, sondern in der gesamten westlichen Welt - Obergrenzen für das Wachstum der Haushalte und vor allem auch der Bildungshaushalte sichtbar. Dabei ist zu bedenken, daß ja ein großer Teil der Bildungsexpansion in den letzten 10, 15 Jahren wiederum im Bildungsbereich aufgefangen wurde. In Zukunft aber werden wir zahlenmäßig geringere Jahrgänge haben. Mit diesen zahlenmäßig geringeren Staatsminister Dr. Maier ({2}) Jahrgängen werden die Chancen aller Erzieherberufe in den nächsten Jahren gleichfalls kleiner. Das sind Tatsachen, an denen keine Einsicht vorbeigehen kann. Angesichts dieser Tatsachen bedaure ich es, daß sich die Bundesregierung den in dieser Großen Anfrage gestellten, sehr dringlichen Fragen nicht oder doch nur sehr kleinlaut und nur sehr kleinmütig gestellt hat. ({3}) Ich möchte im folgenden auf einige dieser Punkte eingehen. Zunächst komme ich zur Frage der Verantwortlichkeiten. Es ist klar, daß wir hier zwischen den Parteien, auch zwischen Bund und Ländern, mit völliger Offenheit sprechen müssen. Natürlich haben auch die Länder Mitverantwortung an dem Zustand unseres Bildungswesens heute. Das leugnet überhaupt niemand. Auch die Ursachenanalyse sollte von Bund und Ländern und von allen Parteien - Regierung wie Opposition - sehr gründlich und unvoreingenommen vorgenommen werden. Wenn vorhin der Bundesbildungsminister in seiner Rede den Eindruck erweckt hat, der Bund könne ja auf diesem Gebiet von Bildung und Wissenschaft und Zukunftschancen unserer Jugend kaum etwas tun, weil die meisten Kompetenzen bei den Ländern liegen, dann muß ich dazu sagen: Vor Tische las man's ganz anders. ({4}) Wenn man den Bildungsbericht 1970 liest, wenn man die damaligen Regierungserklärungen liest - „Bildung an der Spitze der inneren Reformen", „Die Schule der Nation ist die Schule", „Wir werden das deutsche Bildungswesen reformieren" -, wenn man in diesem Bildungsbericht und den dazu gehörigen Broschüren einmal nachliest, worüber und wozu hier bildungspolitische Vorstellungen der Bundesregierung niedergelegt werden - das geht vom Kindergarten, von der Einschulung der Dreijährigen, von der Vorverlegung der allgemeinen Schulpflicht auf das fünfte Jahr über die Orientierungsstufe, über die curricularen Lehrpläne, über Inhalte, über Abschlüsse bis hin zu Hochschule und Forschung -, dann gibt es schlechterdings kein Gebiet, über das die Bundesregierung damals - was ich ihr nicht vorwerfe - nicht ihre bildungspolitischen Vorstellungen zu Papier gebracht hat. Heute ist die gleiche Bundesregierung ungemein kleinlaut. Sie skizziert von dieser Stelle aus das Bild eines Bundes, der leider so gering mit Kompetenzen ausgestattet ist, daß er alle diese schönen Versprechungen nicht wahrmachen konnte. Man müßte eigentlich, Herr Kollege Rohde, hier eine neue Vater-unser-Bitte einfügen: Gib unseren guten Absichten Kraft zur Verwirklichung, ({5}) denn offensichtlich traut sich die Bundesregierung heute nicht mehr, an diese Versprechungen von damals - ich werde mir erlauben, nachher einige kleine Kostproben vorzulesen -({6}) zu erinnern. Meine Damen und Herren, wie sieht das nun mit der Frage der Verantwortlichkeiten wirklich aus? Darüber müssen wir hier reden. Erstens: Wie sieht es aus mit dem zentralen Organ der Bildungsplanung, der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, die noch auf die große Koalition - auf einen Gedanken von Kurt Georg Kiesinger - zurückgeht? Nun, in dieser Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung hat der Bund und haben die SPD/FDP-regierten Länder eine erdrückende Mehrheit. Der Bund hat 11 von 22 Stimmen, und die SPD-Länder hatten bis vor kurzem 6, haben jetzt 5 Stimmen. Sie können sich ausrechnen, daß in dieser Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung die armen unionsregierten Länder gar nichts ernsthaft blockieren können. ({7}) - Herr Kollege Schäfer, wenn Mehrheiten noch Mehrheiten sind - und Sie sind ja ein Fachmann auf dem Gebiet des Mehrheitswahlrechts -, ({8}) müßte man doch sagen: Seltsam, daß hier einige ganz wenige, fast nur ein Viertel, diesen ganzen Prozeß der Bildungsplanung aufhalten können! ({9}) Ein Staatsbürger wird das nicht verstehen, ({10}) denn, wie gesagt, 17 oder 16 von 22 Sitzen in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung haben Sie. ({11}) Zweitens: Auch in den Ländern hatten Sie bis zum Regierungswechsel in Niedersachsen ja bekanntlich eine Mehrheit. Sechs Länder waren SPD/ FDP-regiert, fünf Länder CDU/CSU-regiert. Auch hier kann man also keineswegs behaupten, daß Sie nun nicht in der Lage gewesen wären, alle diese schönen Versprechungen von damals wahrzumachen. Tatsächlich muß es an anderen Gründen liegen, die nicht genannt werden, wenn Sie von diesen Versprechungen heute nichts mehr wissen wollen. Außerdem gibt es drittens ja nicht nur einen, sondern sogar zwei Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und Forschung und Technologie, energiegeladene, kräftige Figuren. ({12}) Man hat durchaus nicht den Eindruck, daß die Kompetenzen, die der Bund hat, nun so minimal sind, daß der Bund im Grunde immer nur nach der Parole „Wir können ja gar nichts machen, wir sind leider ohnmächtig" eine solche Große Anfrage an die Länder weiterdelegieren muß, an die Länder, die bis vor kurzem auch noch überwiegend von SPD und FDP regiert wurden. Staatsminister Dr. Maier ({13}) Fazit: Daß die Bundesregierung angeblich nicht genügend Kompetenzen im Bildungswesen und in der Jugendpolitik gehabt hat, hat sie 1970 und hat sie 1972 nicht daran gehindert, sehr konkrete Versprechungen an die Adresse der deutschen Jugend zu machen. ({14}) Und offensichtlich ist diese Zeit auch noch nicht ganz vergessen, denn - vom Numerus clausus war ja schon die Rede - hier verfallen Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, wieder in den gleichen Fehler: Wenn Sie tatsächlich keine Kompetenzen haben, können Sie auch nicht sagen, der komme im Hau-Ruck-Verfahren weg. ({15}) Haben Sie aber Kompetenzen, dann werden Sie - und ich bin sicher: noch vor dem 3. Oktober - wiederum an Ihren Versprechungen gemessen und für zu leicht befunden. ({16}) Denn glauben Sie mir: Die jungen Menschen sind heute kritischer geworden; ({17}) sie nehmen nicht mehr alles so für bare Münze, was ihnen von hier oder von anderen Orten versprochen wird; sie erlauben sich, sehr konkret hinzuschauen und zu fragen: Gilt das denn auch noch in drei Monaten? Gilt das denn auch in ihren Ländern? Haben Sie bisherige Versprechungen wahrgemacht? Es geht ja in einem Wahlkampf unter anderem um die Frage, ob Versprechungen gehalten worden sind oder nicht. Es ist ein legitimes Recht des Bürgers, die Parteien danach zu befragen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lattmann?

Dieter Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kultusminister Maier, da Sie gerade von der kritischen jungen Generation sprachen: Meinen Sie nicht auch, daß diese junge Generation gerade auch in Ihrem Bundesland kritisch genug ist, zu wissen, daß die sozialdemokratische Bildungspolitik im Bund und in den SPD-regierten Ländern zwar eine Menge guter Reformideen für die Schul- und Bildungspolitik hatte, daß aber die CDU/CSU während der letzten sieben Jahre noch an jedem einzelnen Tag im Bundesrat die Mehrheit hatte, all dies zu verhindern? Staatsminister Dr. Maier ({0}) : Die Jugend in Bayern ist kritisch genug - das zeigen die letzten Wahlergebnisse -, ({1}) gerade solche Argumente, wie Sie sie hier vorbringen, nicht für die Erklärung der heutigen Bildungsmisere zu nehmen. ({2}) Zusammenfassend zu diesem Punkt Verantwortlichkeiten: Die Länder wollen sich wahrhaftig nicht vor Verantwortung drücken. Dann, Frau Schuchardt, muß aber gesagt werden: alle Länder, auch die SPD/FDP-regierten Länder; ich komme nachher noch drauf zurück. Dann muß auch gefragt werden: Was hätte der Bund tun können? Was hat er versprochen? Was hat er nicht getan? Nun muß ich mir doch erlauben einige dieser Äußerungen aus dem Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung hier zu verlesen, weil vorhin gesagt worden ist, man habe an das duale System gar nie rühren wollen. Auch das gehört zu der heutigen Defensiv- und Verschleierungstaktik: ({3}) Wir wollten dies ja im Grunde gar nie; irgendein böser Mensch muß es mißverstanden haben. ({4}) Darf ich dazu mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zwei Zitate aus der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft zum Bildungsbericht der Bundesregierung 1971 zitieren: „Berufsausbildung darf nicht zu kurz kommen", steht hier. Ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Aber jetzt wörtlich: Das bisherige System der beruflichen Bildung ist so verwirrend, daß sich keiner mehr richtig auskennt, ausgenommen ein paar Fachleute. Und einige Zeilen weiter: Soviel allerdings erfährt der Schüler: Beginnt er eine Lehre, wird er an zwei verschiedenen Orten ausgebildet, am Arbeitsplatz und in der Berufsschule. Das Gleichgewicht zwischen Theorie und Praxis soll damit gewahrt sein. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Gleichgewicht ist gestört und die Theorie kommt zu kurz. ({5}) Und in einem gleichzeitig erschienenen Bericht: Die Verbindung von Theorie und Praxis in der beruflichen Bildung bleibt erhalten, wird aber neu geordnet. Zur Erläuterung: Neben das bisherige duale System, hier betriebliche Ausbildung, dort Ausbildung in beruflichen Schulen, sollen verstärkt Vollzeitschulen treten, die Teile der Berufsausbildung übernehmen und sie mit den allgemeinbildenden Fächern zu einem sinnvollen Ganzen kombinieren. Meine Damen und Herren, man kann wirklich nicht behaupten, daß Sie gegen das duale System in seiner damaligen Form nichts gehabt hätten. Natürlich hatten Sie etwas dagegen. Wir wollten das duale System an der Wurzel sanieren, und deswegen wollten wir auch ein Berufsgrundschuljahr einführen. Hier liegt eine gewisse Gemeinsamkeit. Sie waren aber und sind bis heute - das zeigt Ihr letzter Entwurf - nicht an einer wirklichen Sanierung des dualen Systems interessiert, sondern Sie wollen - in diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Staatsminister Dr. Maier ({6}) Ausdruck „Einstieg" - dieses duale System auf die Dauer doch in ein anderes überführen. ({7}) Wenn vorhin gesagt wurde, es sei ein furchtbares Elend, daß der Schüler so lange lernen muß, man wolle doch die Schulzeit verkürzen, so muß man fragen: Wer hat denn das zehnte Vollzeitschuljahr, gerade in der Hauptschule, gefordert? ({8}) Wenn man einmal all den Ursachen der heute viel beklagten Überforderung des Schülers nachgeht, so stellt man fest: Sie liegen im Grunde in zuviel Versprechungen, in einem rein kognitiven Verständnis von Bildung, in einer Überlastung der Schulen mit rein intellektuellem Lernstoff unter Ausblendung der pädagogischen Seiten und letztlich auch darin, daß Sie damals - 1970/72 - noch an das Heil einer immer und immer längeren Schulzeit geglaubt haben. ({9}) - Der Zwischenruf „Auch in Bayern" gibt mir die vergnügliche Möglichkeit einer Einlassung. Herr Engholm, gerade Bayern hat das zehnte Vollzeitschuljahr bewußt nicht in die Hauptschule, sondern in die berufliche Bildung gelegt und hat damit die Möglichkeit einer Verknüpfung mit der Berufsausbildung geschaffen, und zwar in einer Zeit, in der Sie in der SPD alle noch ehrfürchtig auf den Spuren des alten Humboldt gewandelt sind. ({10}) Ich fasse zusammen. So leichten Kaufs können die unionsregierten Länder und die CDU/CSU die Bundesregierung in dieser Frage nicht davonkommen lassen. Es könnte ja - Gott behüte! - sein, daß mancher Staatsbürger den Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung gelesen, ihn wörtlich genommen und daran geglaubt hat. ({11}) Eine furchtbare Möglichkeit! In diesem Bericht steht doch - ich möchte hier noch einmal einiges zitieren -, daß alle Kinder im Alter von drei bis vier Jahren Kindergartenerziehung erhalten. Die Kindergartenstufe sei Teil des allgemeinen Bildungswesens - einverstanden! Bis 1980 solle die Schule schon für Fünfjährige beginnen. Neue Lehr- und Lernpläne sollten für den Kindergartenbereich entwickelt werden. Dies hat damals Frau Hamm-Brücher als Parlamentarische Staatssekretärin mit unterschrieben, die heute den Schulstreß und die Überforderung der Schüler durch die Lernfächer beklagt. ({12}) „Neue Lehr- und Lernpläne für den Kindergartenbereich" - so steht es wörtlich in dem Bericht; Sie können es nachlesen. ({13}) In dem Bericht steht weiter: enge Verbindung von Grundschule und Kindergartenstufe, Versuche mit einer früheren Einschulung, neue Lern- und Lehrverfahren, moderner Unterricht, zehntes Schuljahr für alle Schüler Pflichtschuljahr, auch bis 1980. Ich will mir hier weitere Zitate ersparen. Angesichts des hier gezeichneten Bildes von einer - was die Kompetenzen angeht - armseligen und ohnmächtigen Bundesregierung möchte ich nur darauf hinweisen, daß sie vor Jahren nicht so kleinlaut war und sehr viel versprochen hat. Wenn sie es nicht halten konnte, so sollte man sie heute an diese Versprechungen erinnern. ({14}) Keine Regierung kann von Versprechungen einfach wieder Abschied nehmen und so tun, als hätte es sie nicht gegeben. ({15})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Porzner? Staatsminister Dr. Maier ({0}) : Bitte schön.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie sagten eben, daß allseits die Überforderung der Schüler beklagt werde. ({0}) Auf der Landesversammlung des Evangelischen Arbeitskreises der CSU haben Sie nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung" ebenfalls die Fülle des Lehrstoffes an unseren Schulen beklagt. Um meine Frage zu begründen: In einem Interview in der „tz" haben Sie auf die Frage „Müssen die Schüler nicht viel zuviel Stoff in weniger Zeit konsumieren?" wie folgt geantwortet: „Das ist das Krebsübel der heutigen Schule." Nun frage ich Sie, Herr Staatsminister: Warten Sie in Bayern, in der bayerischen Staatsregierung, vielleicht darauf, daß sich die UNO-Vollversammlung oder das Europaparlament mit den Stoffplänen in der Schule befaßt, oder ist es nicht die ureigene Aufgabe der Staatsregierung und des Kultusministers, dafür zu sorgen, daß dieses „Krebsübel" beseitigt wird? Oder meinen Sie vielleicht, daß das bei der föderalistischen Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern der Bundestag machen kann? Staatsminister Dr. Maier ({1}) : Darauf möchte ich Ihnen ganz offen antworten. Ich sage Ihnen, daß es in allen Ländern, auch in den CDU/CSU-regierten, in den letzten Jahren eine Explosion der Stofffülle in den Schulen gegeben hat und daß wir dagegen etwas tun müssen. ({2}) Wir sind allerdings der Meinung, daß diejenigen, die vor Jahren die kognitive Reform der Schule, gerade der Grundschule, in vorderster Front gefordert haben, die die alten Grundschulfächer und die alte Lehrerbildung zurückgedrängt haben, den geringsten Grund und am wenigsten das Recht haben, diese bedauernswerte Entwicklung zu beklagen. Staatsminister Dr. Maier ({3}) Nur darum geht es. Im übrigen haben die bayerische Staatsregierung wie auch Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und andere unionsregierte Länder durchaus etwas getan und Maßnahmen ergriffen, etwa durch Beschränkung der Hausaufgaben und durch Überarbeitung der Lehrpläne. Die Schwierigkeit ist, daß wir in der Tat immer weniger Schulzeit haben. Ich meine jetzt nicht die 10. Klasse, sondern ich meine die 40-Stunden-Woche und die 5-Tage-Woche in der Schule. Auf der anderen Seite fällt aber natürlich in den Fächern immer mehr Stoff an. Drittens sind die Kultusministerien gegenüber der verselbständigten Wissenschaft und den vielen Fachkommissionen - dahin gehört auch das Problem Bildungsrat, Frau Schuchardt - oft nicht in der Lage zu sagen: So, hier hört es auf, mehr ist dem Schüler nicht zuträglich, hier ist Schluß. Wenn das die Kultusministerien sagen, kommt gleich die nächste Fachkommission oder die nächste Wissenschaftlergruppe und sagt: Aber, um Gottes willen, das muß doch noch in die Schule hinein. - Ich habe die Frage etwas ausführlicher beantwortet, weil das in der Tat ein schwieriges Problem ist und weil wir hierüber keine Polemik führen sollten. ({4}) Ich komme zum zweiten Thema, der Frage: Bildungsexpansion wohin? „Mehr Bildung und bessere Bildung für alle", dieses Wort aus den 60er Jahren hat sich die Union von Anfang an zu eigen gemacht. Es ist keineswegs so, wie es gerade in der letzten Wortmeldung von Frau Schuchardt anklang, als ob wir einer restriktiven Bildungspolitik das Wort geredet hätten oder das Wort redeten. Aber Bildung ist eine Sache, die nicht allein aus der inneren Systematik des Bildungssystems heraus entwickelt werden kann. Bildung hat zu tun mit dem einzelnen, seinen Wünschen, seinen Möglichkeiten, seinen Chancen, seinem Leistungswillen, und Bildung hat, soweit sie in eine Praxis mündet, auch zu tun mit dem Beruf und dem Beschäftigungssystem einer Gesellschaft. Bildungspolitik kann sich im Grunde nur als Mittler anbieten zwischen den inneren Motivationen und Möglichkeiten des einzelnen einerseits, die für mich am Anfang des Bildungsgeschehens stehen, und den Möglichkeiten der Gesellschaft andererseits, diese individuellen Wünsche auch in eine berufliche Praxis überzuleiten. Bildung - hier unterscheide ich mich grundlegend von Frau Schuchardt und sicher auch von Herrn Möllemann, wenn ich seine bisherigen Diskussionsbeiträge hier in Rechnung stelle ({5}) ist sicherlich nicht nur eine „Service-Leistung der öffentlichen Hände", wie Frau Schuchardt es genannt hat. Diese „Service-Leistung" ist keine Bildungsleistung, sondern eine Leistung, um Bildung zu ermöglichen. Bildung setzt aber den voraus, der sich um Bildung bemüht. ({6}) Aber darauf kommen wir vielleicht gleich noch. Das Problem der Steuerung der Bildungsexpansion stellt sich seit den 60er Jahren. Auch der Bildungsrat hat sich in seinen Anfängen mit diesem Problem noch intensiv beschäftigt, leider in den letzten vier Jahren kaum mehr, weswegen er uns auch keine dienlichen Beiträge für die Bildungspolitik in den Ländern mehr liefern konnte. Was ich der sozialliberalen Koalition vorwerfe, sind zwei Dinge. Nicht, daß sie die Bildungsexpansion erfunden hätte; das war ein weltweiter Vorgang. ({7}) Das ließe sich auch historisch gut abweisen. Die ersten Kultusminister, die eine expansive Bildungspolitik betrieben haben, waren Paul Mikat, der vorhin noch hier war, Wilhelm Hahn und Ludwig Huber in Bayern. Das ist eine eindeutige und klare Sache. Das werfe ich niemandem vor. Aber das Problem der Expansion, der Steuerung und der Akzentsetzung ist nicht gelöst worden, und zwar wurden hier zwei Fehler gemacht, über die ich doch vor allen Dingen die Sozialdemokraten bitte, einmal selbstkritisch nachzudenken. Haben Sie sich nicht zu sehr - Herr Lohmer hat es neulich in einem Artikel so ausgedrückt, wie ich es gar nicht besser sagen könnte ({8}) mit einer Vorstellung von Bildung gleich akademischer Bildung gleich akademischer Status gleich beruflicher Aufstieg über Akademikerstatus identifiziert, einem Modell, wie es eigentlich aus dein 19. Jahrhundert stammt? ({9}) Haben Sie sich denn gar nicht, was mich immer zutiefst verwundert und sogar verbittert hat - denn so sehr liegt mir die Sozialdemokratie und ihre Tradition am Herzen -, ({10}) an die Tradition der Arbeiterbildungsvereine oder auch an einen Mann wie Kerschensteiner erinnert, dessen Saat je in unserer Bildungspolitik - ich sage das auch selbstkritisch - noch viel zuwenig aufgegangen ist? Wie eigentlich kommt die Sozialdemokratie als eine große Partei dazu, einem Bildungsideal nachzulaufen, wie man schon sagen muß, das in einer Zeit entwickelt worden ist, wo tatsächlich Bildung Sache einer schmalen Elite war? Denn Humboldt hat keine Bildung für alle konzipiert. Das hat er Pestalozzi, Rousseau und später Kerschensteiner überlassen. Er hat vielmehr eine Bildung für die wenigen konzipiert, eine theoretische Bildung, eine von Beruf und von der Praxis entfernte, sogar ganz bewußt entfernte Bildung. Nun kommen Sie und machen diese Bildungsidee, die sich im deutschen Gymnasium, im Abitur, in der traditionellen Universität niedergeschlagen hat, zum Maßstab der Bildungsexpansion der 60er Jahre. Ich höre nicht auf, mich darüber zu wundern, denn wir sind es ja gewesen, die Union, die demgegenüber den vernachlässigten Gesichtspunkt der Berufspraxis überhaupt wieder ins Spiel gebracht hat. ({11}) Staatsminister Dr. Maier ({12}) Es wirkt nahezu hilflos, wenn von sozialdemokratischen Rednern dieser Debatte gesagt wird: Aber wir haben auch etwas für die berufliche Bildung getan. Was Sie getan haben, habe ich mit diesen Zitaten dargetan: Tiefe Verunsicherung haben Sie in diesem Bereich ausgelöst. Und dies war die ganze Richtung der Expansion: jedes Jahr mehr Leute in Realschulen und Gymnasien, weniger in Hauptschulen und damit kein Sockel mehr für die berufliche anspruchsvolle weiterführende Bildung. Das haben Sie doch nicht begrenzt, sondern geradezu angeheizt und weitergetrieben. Hier sind die großen Ungleichgewichte entstanden, die uns heute bis in den Arbeitsmarkt hinein vor fast unlösbare Probleme stellen. Und das andere. Erlauben Sie mir hier auch ein kleines Stück Philologie. Sie haben im Bildungsbericht 1970 50 % der jungen Generation das Abitur II versprochen. Nun wird heute gesagt, Abitur II sei etwas ganz anderes als das heutige Abitur. Abitur II - ich war ja damals im Bildungsrat -schließt die Hochschulzugangsberechtigung ein. Das ist der springende Punkt. Wenn man sagt, 50 % eines Altersjahrganges sollen bis 1980 in die Lage versetzt werden das steht im Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung -, das Abitur II erwerben, dann muß man sich angesichts der Tatsache, daß schon bisher von 100 Abiturienten 90 bis 95 ein Studium aufnahmen, darüber klar sein, daß sie dieses Recht gebrauchen. Nun sagt die Bundesregierung in ihrer Unschuld damals 1970, davon werde wahrscheinlich die Hälfte in den Gesamthochschulbereich eintreten. Ich habe schon damals Herrn Leussink die Frage gestellt: Wie wollen Sie das denn steuern? Wenn jeder das Recht hat, ist es doch reine Gesundbeterei und wishful thinking, wenn Sie sagen: Aber die Hälfte macht davon keinen Gebrauch. Entweder dürfen Sie die Berechtigung nicht so uferlos inflationieren, oder, wenn Sie das tun - ich mache Ihnen das gar nicht zum Vorwurf -, müssen Sie auch die Möglichkeiten schaffen, daß die Berechtigten alle studieren können; aber das haben Sie schon damals als für nicht möglich erklärt. Hier liegt die Wurzel des Numerus clausus an den deutschen Hochschulen. ({13}) Man soll doch nicht so tun, als sei der Numerus clausus vom Himmel gefallen. Der Numerus clausus ist das Ergebnis einer Vervierfachung der Hochschulzugangsberechtigungen einerseits und eines Ausbaus andererseits, der - jetzt komme ich wieder auf die Länder - in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich und ungleichgewichtig vor sich gegangen ist. Frau Schuchardt hat vorhin nach den Leistungen des Landes Rheinland-Pfalz gefragt. Ich will hier von Bayern gar nicht reden; aber ich begrüße es sehr, hier sagen zu können: hätten alle Länder ihre Studienplätze so intensiv und geräuschlos vermehrt wie Rheinland-Pfalz etwa durch die Gründung von zwei neuen Universitäten, ({14}) wie Baden-Württemberg und Bayern, dann stünden wir heute nicht in einem solchen Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot. ({15}) - Das Hochschulbauförderungsgesetz halten wir in Ehren, und wir sind in den Ländern sehr dankbar, daß wir es haben. Aber die ungleich größeren Ausgaben - ich muß jetzt genau wie Helmut Kohl wieder an die Haushaltskunde erinnern - sind die laufenden Ausgaben. Wir sind sehr froh, daß der Bund uns für einmalige Bauinvestitionen Zuschüsse gibt; aber davon lebt die Hochschulpolitik und die Schaffung der Studienplätze gewiß nur zu einem Teil. Wenn ich das sage, trete ich keiner Bundesregierung, gleichgültig, welche Partei sie stellt, zu nahe. Bei den laufenden Ausgaben ist leider die Konkurrenz unter den Ländern auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1972 unterbunden worden; denn künftig bekommen auch die Länder, die weniger ausgebaut haben, ihre Studienplätze von anderen, und die Länder, die mehr ausgebaut haben, werden dafür bestraft, indem sie Vorleistungen machen müssen. ({16}) Bayern - um doch noch eine Zahl zu nennen - hat bei einem Bevölkerungsanteil von 17 % eine Abiturientenzahl, die bemerkenswert niedrig ist, weil wir Expansion mit Leistungsprinzip und nicht gegen das Leistungsprinzip betrieben haben, nämlich 12 %, und wir stellen 22 % aller humanmedizinischen Studienplätze der Bundesrepublik. ({17}) Angesichts des Parlaments und des bayerischen Steuerzahlers müssen wir uns aber heute überlegen, ob wir das noch mehr steigern, weil es gar nicht in erster Linie unseren Abiturienten zugute kommen kann. In dieser Lage sind alle Länder, die mehr als andere ausgebaut haben. Ich glaube, die Probleme muß man sehr differenzieren, um von diesem Schattenboxen zwischen Bund, Ländern, SPD, FDP und Union einmal wegzukommen. ({18}) Nun komme ich zum dritten und letzten Problem, zum Numerus clausus. Ich sagte schon, daß der Numerus clausus nicht vom Himmel gefallen ist, sondern daß er das Ergebnis von zwei Entwicklungen ist: die Studienberechtigungen haben sich sehr stark vermehrt, die Studienplätze sind zwar in allen Ländern, aber ungleichmäßig ausgebaut worden. Ich will noch einen dritten Grund nennen: die Bandbreite der Wahlmöglichkeiten ist - übrigens in getreuer Parallele zu den Ausbildungsplätzen in der Wirtschaft - geschrumpft. Das ist eine merkwürdige Tatsache, die wohl darauf zurückgeht, daß auf einen Mangel immer sehr stark geblickt wird. Das ist wie in der Berichterstattung: Normalitäten werden nicht berichtet, aber etwas Ungewöhnliches wird meist sehr vergrößert. So hat dieser Numerus clausus, der am Anfang ein Ausnahmefall war, als Staatsminister Dr. Maier ({19}) Ausnahmefall eine magische Anziehungskraft gerade in der Publizistik gewonnen. Wir haben die Schwierigkeit, daß wir zwar noch sagen können, es sind Studienplätze für alle Hochschulberechtigten da; aber da ein gewaltiger Run auf gewisse enge Bandbreiten von Numerus-clausus-Fächern eingesetzt hat, während andere Bereiche, von der Theologie bis zum Maschinenbau, vernachlässigt werden, besteht in der Öffentlichkeit die Tendenz zu meinen, die Hochschulen seien zu, was sie jedoch nicht sind. Nun wollte ich aber etwas zum Numerus clausus sagen; denn hier soll ja auch von Möglichkeiten und von Zukunftschancen die Rede sein. Es ist gar kein Zweifel: Ein realistisches Programm, wie es die Union vertritt, wird damit beginnen, die weitere Ausdehnung des Numerus clausus, vor allem in den Verteilungs- und Nichtauswahlfächern, zu stoppen. Nach meiner Meinung ist der Numerus clausus seit 1973 - übrigens gegen die Stimme Bayerns - auch im Bereich der Verteilungsverfahren zu stark ausgedehnt worden. Aber hier gibt es nun die seltsame doppelte Bühne der Politik der Bundesregierung. Da ist die vordergründige Schaubühne, auf der Helmut Schmidt im Hau-Ruck-Verfahren dem staunenden Wählervolk und den sehr skeptischen jungen Menschen die Abschaffung des Numerus clausus verheißt. Da ist die vordergründige Bühne - obwohl ich jetzt den Herrn Bundespräsidenten nicht zu nahe mit der Bundesregierung in Verbindung bringen will -, wo sich auch der Bundespräsident in das inzwischen längst lauwarm gewordene Wasser stürzt und sagt, der Numerus clausus müsse weg. Ähnliche großartige Erklärungen waren von anderen zu hören; inzwischen ist ja auch - etwas zögernd - das Ministerium für Bildung und Wissenschaft nachgekommen. Aber jetzt neben der Schaubühne die Realitäten: ZVS-Ausschuß, wo ja ein bayerischer Antrag lange vor Helmut Schmidts großen Erklärungen vorlag, nämlich 20 Fächer aus dem Verteilungsverfahren herauszunehmen. Sind da die beiden Vertreter der Bundesregierung, die mit beratender Stimme an den Sitzungen des Ausschusses teilnehmen, aufgestanden, um diesen bayerischen Antrag feurig zu unterstützen? Mitnichten. ({20}) Haben sie sich empört, gewehrt, das Weite gesucht oder Widerstand angekündigt, als der ZVSAusschuß mit Mehrheit - leider auch aller SPD-regierten Länder - beschlossen hat, die Sache in den November zu verschieben? Mitnichten. Nur ein Fach, die Elektrotechnik, hat man herausgenommen. Das heißt: Dort, wo die Entscheidungen wirklich fallen, geschieht nichts bzw. sehr wenig. Da hört auch niemand zu; denn der ZVS-Ausschuß tagt nicht öffentlich. Aber auf der anderen Seite wird dort, wo man große Versprechungen machen kann - ich wiederhole es -, im Hau-Ruck-Verfahren eine generelle Beseitigung des Numerus clausus angekündigt. Ich nehme mir die Freiheit, auf diesen Unterschied der beiden Bühnen ein wenig hinzuweisen; denn gerade der bayerische Kultusminister ist nicht verdächtig, diese Ausdehnung des Numerus clausus auf die Verteilungsfächer in den letzten Jahren gutgeheißen zu haben. Er stand manchmal - ich verrate kein Geheimnis - sogar als einziger gegen diese Beschlüsse des ZVS-Ausschusses. Aber hier soll man eine realistische Politik betreiben, man soll sagen, was möglich und was nicht möglich ist.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Staatsminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Elchlepp? Staatsminister Dr. Maier ({0}) : Bitte.

Dietrich Elchlepp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000462, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht darüber informiert, daß der Bund, als weitere Fächer in das ZVS-Verteilungsverfahren einbezogen werden sollten, hierin einen Widerspruch zu den allgemein zu hörenden öffentlichen Bekundungen gesehen hatte, den Numerus clausus abzubauen - nachzulesen in den entsprechenden ZVS-Protokollen -, und sind Sie nicht darüber informiert, daß gerade die Bundesregierung -- auf Grund von Forschungsaufträgen und anderen Untersuchungen - wiederholt auf die zahlreichen Möglichkeiten hingewiesen hat, den Numerus clausus abzubauen, insbesondere dadurch, daß die einzelnen Hochschulen im Bundesgebiet gleichmäßiger ausgelastet werden, was meines Erachtens eine entscheidende Ursache für die zu geringen jährlichen Aufnahmezahlen ist? Staatsminister Dr. Maier ({0}) : Ich stoße hier wieder auf die doppelte Ohnmachtserklärung der Bundesregierung. Man ist ohnmächtig, etwas zu tun; drum vergibt man Forschungsaufträge. Und man ist auch ohnmächtig, die der eigenen Partei verpflichteten Länderregierungen auf diese Linie zu bringen. Das müßte doch in drei Teufels Namen möglich sein, vor allem für einen Macher wie Helmut Schmidt. ({1}) Solange das nicht der Fall ist, erkläre ich, daß zwischen den Worten und den Taten der Bundesregierung ein Widerspruch klafft, den sie einmal erklären soll. Wir werden ihn jedenfalls in der deutschen Öffentlichkeit deutlich machen. Zum Schluß: Der Unterschied zwischen unseren bildungspolitischen Positionen - ich habe es vorhin im Vorübergehen schon angedeutet - liegt gar nicht so sehr im Organisatorischen und Technischen und erst recht nicht in einer unterschiedlichen Beurteilung des Verhältnisses zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem. Das sind Nuancen. Ich kann einigem von dem, was Herr Meinecke gesagt hat, durchaus zustimmen. Niemand will die totale Bildungsplanwirtschaft, niemand will aber auch eine totale liberale Anarchie im Bildungswesen. Es muß eine Abstimmung zwischen den individuellen Wünschen, Möglichkeiten und Ansprüchen junger Men18270 Staatsminister Dr. Maier ({2}) schen und dem Zustand der Gesellschaft geben. Sie muß so eingerichtet sein, daß sie zwar nicht unbedingt jedem die individuelle Chance bietet, die er gerade in diesem Augenblick an diesem Ort haben will, wohl aber doch in der Bandbreite seiner Möglichkeiten und seiner Ansprüche ein wirkliches Angebot, das ihn befriedigt und das ihm erlaubt, seine Person und seine Persönlichkeit in dem Raum und Rahmen zu entfalten, in den er hineingestellt ist. Nicht das Organisatorische, nicht das Technische und auch nicht die Zuwachsrate und die Expansion ist das, was uns trennt, sondern eine Auffassung von Bildung, wie sie in dem Ausdruck „Bildungsservice" von Frau Schuchardt zum Ausdruck kommt, so als habe der Staat wie ein großes Warenhaus Bildung zum freien Konsum anzubieten und als habe der junge Mensch wie in einem Warenhaus diese Bildung aus den verschiedenen Fächern herauszunehmen. Beginnt denn Bildung nicht im Inneren des einzelnen Menschen? ({3}) Ist sie nicht letzten Endes von äußeren Gegebenheiten unabhängig? Natürlich wollen wir, daß die äußeren Gegebenheiten verbessert werden, und wir haben das Mögliche dazu getan. Aber ich sage mit allem Nachdruck: Alle staatlichen Angebote sind vertan und leer, solange sie nicht mit einem inneren Bildungswillen des Menschen korrespondieren. ({4}) Und dieser Bildungswille muß frei sein. Er darf - wie Helmut Kohl es ausgedrückt hat - nicht durch eine programmierte Zukunft verriegelt sein. Der einzelne darf nicht das Werkzeug einer fertigen Zukunft sein. Er muß sich seine Zukunft schaffen können. Das ist das Ziel der Union in ihrer Bildungspolitik. Weil Sie darauf keine Antwort gegeben haben und wahrscheinlich auch aus bestimmten ideologischen Blickverengungen keine geben können, empfinde ich die Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage als unbefriedigend. Ich habe mir erlaubt, hier einige Kritik zu üben. Ich fordere Sie auf, sich den Herausforderungen, die in diesen Fragen stecken, zu stellen. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Reihe Einwände gegen das, was Sie gerade vorgetragen haben, Herr Maier, und möchte sie jetzt gleich begründen. Aber eines möchte ich vorweg am Anfang sagen: Die badische Schlitzohrigkeit von Hans Maier erschien mir jedenfalls sympathischer und auch kompetenter als die vorgebliche Leidenschaft eines wahlkämpfenden Kanzlerkandidaten. ({0}) - Jeder Kanzlerkandidat muß wahlkämpfen. Aber die Frage ist, ob das schwerwiegende Problem, das wir heute diskutieren, mit einer derartigen Wahlkampfvorstellung verbunden werden darf, wie sie Herr Kohl heute hier geboten hat. Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen, meine Damen und Herren. ({1}) Herr Kollege Maier, Sie haben mit Recht dargestellt, daß zwischen dem, was 1970 formuliert worden ist, ({2}) - Moment, Herr Niegel! - und den Hoffnungen, die darin gesteckt haben, einerseits und dem, was heute zum Teil Wirklichkeit der Bildungspolitik ist, andererseits Unterschiede klaffen. Nun, meine Damen und Herren, müssen wir uns denn nicht gegenseitig klarmachen und zugeben, daß die Tatsache, daß wir uns vor fünf Jahren alle gemeinsam mehr gesamtstaatliche Verantwortung erhofft haben, nicht eingetreten ist, daß diese Tatsache, Herr Kollege Maier, uns in unserem Bildungsgeschäft insgesamt große Schwierigkeiten macht? Weil Sie beispielsweise die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung zitiert haben, weil, Herr Kollege Fuchs, der bayerische Kultusminister gesagt hat, in der BLK gebe es letztlich eine Mehrheit der Stimmen des Bundes und der Länder der sozialliberalen Koalition, möchte ich mir doch erlauben, den Kollegen, die nun nicht Fachpolitiker für Bildungsfragen sind, vorzulesen, was in § 9 des Abkommens über die BLK steht, Herr Maier. Da steht: Die Empfehlungen der Kommission und die Minderheitsvoten werden dem Regierungschef zur Beratung und zur Beschlußfassung vorgelegt. Ein Beschluß setzt die Zustimmung von mindestens neun Regierungschefs voraus. Er bindet nur diejenigen, die ihm zugestimmt haben. Das ist doch die Wirklichkeit der BLK. Die BLK ist ein Beratungsgremium. Zur Zeit produzieren wir in diesem Beratungsgremium vor allem Papiere, verändern aber nicht die Wirklichkeit unseres Bildungssystems. Das ist das, was Bundesminister Rohde hier kritisiert hat und, wie ich glaube, mit Recht kritisiert hat, meine Damen und Herren. ({3}) - Herr Kollege Carstens, warten Sie doch einen Augenblick ab! Daß Sie dieses Vorurteil haben, kann ich gut verstehen. ({4}) Ein weiteres: Meine Damen und Herren, wie war es denn mit der Entscheidung, die über den Bildungsrat gefällt worden ist? Ich will das, was Herr Kollege Meinecke gesagt hat, nicht noch einmal wiederholen. Aber ich möchte doch einmal darauf hinweisen: Ein einziges Land hat genügt - ein einziges! -, um ein Abkommen, das Herr Ministerpräsident Stoltenberg, Herr Bürgermeister Klose und Herr Bundesminister Rohde unterschrieben hatten, zu einem Fetzen Papier zu machen, das gar nichts galt. Damals hat die Bayerische Staatsregierung, die jetzt gerade mit der rheinland-pfälzischen verhandelt, Herrn Ministerpräsident Stoltenberg, indem sie ihn desavouiert hat, noch schlechter oder fast so schlecht behandelt, wie Herr Strauß jetzt gerade Herrn Heubl behandelt. So schlecht ist Herr Stoltenberg behandelt worden! Ein Land hat genügt, um den politischen Willen aller anderen Ministerpräsidenten, das Bildungsrats-Abkommen beizubehalten, kaputtzumachen. Das ist die Wirklichkeit, von der wir in unserem Bildungsföderalismus ausgehen müssen. ({5}) Herr Kultusminister Maier, ein Letztes, was den Föderalismus und die Fragen unserer Kompetenzen betrifft. Sie wissen doch genauso gut, wie wir das wissen, daß sich in unserem föderalistischem System immer mehr Entscheidungen aus den Parlamenten, auch aus den Landesparlamenten, aus dem Bundestag in die Grauzone von verschiedenen Gremien verlagern. In der ZVS, in der Zentralen Verwaltungsstelle, und in anderen solcher Gremien wird doch inzwischen mehr entschieden, meine Damen und Herren, als beispielsweise im Bayerischen Landtag, und manchmal auch mehr, als in der Bildungspolitik der Deutsche Bundestag zu entscheiden hat. Dies ist eine schlimme Entwicklung, über deren Beseitigung wir uns alle gemeinsam Gedanken machen sollten. Das können wir uns, glaube ich, nicht so einfach machen, wie Sie es sich jetzt in Ihrer Polemik hinsichtlich des Punktes „Verfassungskompetenzen" gemacht haben. Herr Maier, Sie haben einzelne Sätze aus dem Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung zitiert. Lassen Sie mich auch dazu noch etwas sagen. Sie haben bezweifelt, daß die sozialliberale Koalition zum dualen System steht. Nun will ich gar nicht verhehlen, daß es, wenn man beispielsweise das Gesamtspektrum der Sozialdemokratie nimmt, Kräfte gegeben hat, die Zweifel am dualen System hatten. Nur, die beiden Beispiele, die Sie hier zitiert haben, Herr Maier, finde ich nicht überzeugend. Sie haben hier zitiert, es müsse mehr Theorie auch in der beruflichen Bildung herrschen. Selbstverständlich sind wir nach wie vor der Auffassung, daß auch der Berufsschüler stärker das Recht haben muß, beispielsweise politische Bildung, beispielsweise Allgemeinbildung aufzunehmen. Das widerspricht überhaupt nicht dem dualen Prinzip, meine Damen und Herren. ({6}) Weiter haben Sie gesagt, wir hätten verstärkt Vollzeitschulen gefordert. Herr Kultusminister Maier, in der Tat, wir haben verstärkt Vollzeitschulen gefordert. Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie denn beispielsweise in Entleerungsgebieten, etwa in Bayern, in Niederbayern, jungen Leuten eine anständige Berufsausbildung vermitteln, wenn Sie nicht das Angebot an Vollzeitschulen verstärken? Dies wäre ohne eine solche Maßnahme unmöglich, Herr Kultusminister Maier. Deswegen stehen wir nach wie vor zur Forderung nach Verstärkung der Vollzeitschulen unter ganz bestimmten Bedingungen. Das sollte man nicht als eine Absage an das duale System diffamieren. ({7}) Damit bin ich bei einigen von den Sätzen, die Herr Ministerpräsident Kohl, der jetzt zur Zeit nicht im Saal ist, angesprochen hat. Ich glaube, das Problem, das er angesprochen hat, daß eine ganze Generation - Herr Carstens, wir haben uns in der Verfassungsdebatte schon darüber unterhalten - möglicherweise in Resignation fallen könnte, ist wirklich eines der wichtigsten Probleme unserer Innenpolitik. Nur dann einfach zu sagen, sieben Jahre regiert in Bonn die sozialliberale Koalition und deswegen sei die sozialliberale Koalition daran schuld, daß in den Schulen beispielsweise Duckmäuserei, beispielsweise das Lernen nach Durchschnittsnoten überwiegt, ist doch ein viel zu vereinfachter Versuch, das darzustellen und zu erklären. Könnte es nicht sein, daß ein Grund dafür, daß Schüler heute in der Tat - ({8}) - Das ist nicht so einfach, Herr Kollege Reuschenbach, sondern ich glaube, wir müssen fragen, ob es nicht der Staatsvertrag, der abgeschlossen worden ist, und das System gewesen sind, nach Notendurchschnitten zu beurteilen, ob einer einen Studienplatz bekommt oder nicht, die dazu geführt haben, daß heute viele Siebzehnjährige und Achtzehnjährige resignieren und sich im Grunde nicht mehr für unsere Demokratie und für andere Dinge als für Schulnoten interessieren? Ist es nicht eine Schuld dieses Staatsvertrages, den nun sicher nicht die Bundesregierung abgeschlossen hat, sondern den die Länderregierungen abgeschlossen haben? Herr Kollege Maier, ich übe keine vereinfachte Kritik an den Ländern. Ich weiß, in welcher schwierigen Situation die Bundesländer waren, als sie diesen Staatsvertrag abgeschlossen haben. Aber ich frage mich: Trägt zur Resignation in Teilen der jungen Generation nicht auch die Praxis der Durchführung des Radikalenerlasses bei, wie sie in Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg praktiziert wird? Ist das nicht auch ein Beitrag zur Resignation dieser jungen Generation? ({9}) Ist es nicht auch ein Beitrag, wie beispielsweise, Herr Kollege Maier, die Allgemeine Schulordnung im Bundesland Bayern praktiziert wird und wie dort etwa die Schülermitverwaltung behandelt wird? Ich weiß nicht, wie das in Rheinland-Pfalz ist. Sind das nicht alles Gründe für die Resignation, über die wir uns gemeinsam Gedanken machen sollten? Ich behaupte nicht, daß die Schuld an dieser Entwicklung einer jungen Generation einseitig bei einer Partei zu suchen ist. Aber einfach so zu tun, als ob daran sieben Jahre sozialliberaler Koalition schuld sind, ist mir viel zu einfach. Ich möchte mich noch mit einem Punkt auseinandersetzen, Herr Kultusminister Maier, den Sie gerade aufgegriffen haben und den auch Herr Ministerpräsident Kohl angesprochen hat. Das ist der Vorwurf, den Sie gegen uns erheben, daß wir uns sozusagen an einem rein akademischen Bildungsideal orientiert hätten, daß wir die Akademisierung der Berufswelt betrieben hätten, wie Herr Ministerpräsident Kohl es gerade genannt hat. Ich frage Sie, wo und in welchen Dokumenten bzw. in welcher Entwicklung läßt sich denn eigentlich nachweisen, daß Sozialdemokraten in der Tat auch die berufliche Bildung, wie Sie es einmal ausgedrückt haben, am Gardemaß des Gymnasiums messen wollten? Wir haben doch alle gemeinsam darum gekämpft, daß mehr junge Leute in höhere Schulen gehen sollten. Erinnern Sie sich bitte auch an die Diskussionen über die damals noch sehr viel konservativere bayerische Schulpolitik, als Sie an einer anderen Front gestanden haben, Herr Maier, als Sie noch nicht so fest in die CSU eingebunden waren, sondern ihr gar nicht angehört haben. Sicher kann jeder Erkenntnisprozesse durchmachen, das verstehe ich durchaus. Ich möchte aber auf eines hinweisen: Wer heute einfach sagt, die berufliche Bildung sei genauso viel wert und genauso wichtig wie beispielsweise ein Weg über Gymnasium und Hochschule, dem stimme ich voll zu, das ist vollständig richtig. Aber wenn er nicht gleichzeitig dafür sorgt, daß es über die berufliche Bildung genauso möglich ist, zu Ansehen, zu Sozialstatus und auch zu Einkommen zu kommen, wie es über den Weg über Gymnasium und Hochschule möglich ist, solange also der Weg über Gymnasium und Hochschule der einzige Weg ist, der automatisch höheren Sozialstatus und höhere Gratifikationen bringt, solange darf sich doch niemand wundern, daß eine Mehrzahl der jungen Generation versucht, über Gymnasien den Weg ins Leben zu finden. ({10}) Das ist doch ein Tatbestand. Das heißt: derjenige, Herr Kollege Erhard, der sagt: bauen wir die berufliche Bildung aus, um sie gleichwertig zu machen, stellt eine richtige Forderung auf. Aber wenn er einerseits dies eben nicht tut, wenn wir es gemeinsam nicht schaffen, die berufliche Bildung gleichwertig zu machen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn eine große Zahl von jungen Leuten letztlich eben nicht den Weg über die berufliche Bildung geht, sondern versucht, den Weg weiterhin über Gymnasium und wissenschaftliche Hochschule zu suchen, wie schwierig das dort auch sein mag. Ich möchte noch mit ein paar Sätzen auf das eingehen, was Sie, Herr Kollege Pfeifer heute vormittag zum Problem Arbeitsmarkt gesagt haben. Ich gebe Ihnen recht, Herr Pfeifer, das Problem, wie wir für diese eine Million mehr junger Menschen Arbeitsplätze wirklich auch in der Zukunft schaffen, ({11}) ist eines der schwerwiegendsten Probleme, und es gibt von keiner Seite Patentrezepte. Das räume ich Ihnen. sofort ein. ({12}) Aber greifen wir doch einmal einen einzigen Trend aus der Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik heraus, Herr Pfeifer, nämlich die Tatsache, daß bestimmte Produktionen in Billigländer abwandern, weil dort geringere Lohnkosten vorhanden sind, gerade einfachere Produktionen. Wir müssen feststellen, daß wir dies in unserer Wirtschaftsordnung gar nicht verhindern können, vielleicht auch gar nicht verändern wollen. Wenn ich diesen Trend analysiere, dann frage ich Sie: Zeigt das nicht, daß wir gerade in unserem Land für diese starken Jahrgänge, die schon benachteiligt sind, wenn sie einen Arbeitsplatz suchen, weil es weniger Arbeitsplätze gibt, weil es nicht so einfach ist, neue gewerbliche Arbeitsplätze zu schaffen, erst recht dafür sorgen müssen, daß sie möglichst gut ausgebildet werden, ({13}) damit sie nicht doppelt bestraft werden: auf der einen Seite Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, und auf der anderen Seite, noch schlechter ausgebildet zu sein. ({14}) - Herr Pfeifer, Sie haben recht: Das Abitur ist nicht allein eine gute Ausbildung. Aber da sind wir bei dem Punkt, den wir heute schon einmal miteinander diskutiert haben. Die „attraktiven Alternativen" neben der Hochschule zu schaffen, ist eine allgemeine Forderung, über die man selbstverständlich ernsthaft diskutieren kann. Nur sind bei den Reaktionszeiten, die unser föderalistisches Bildungswesen hat, bis die dann auch geschaffen sind, bis die im Arbeitsmarkt abgenommen werden, zehn Jahre oder 15 Jahre vergangen. Dann ist es zu spät für die starken Jahrgänge, die jetzt vor uns stehen und mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen müssen. Ich glaube also, mit diesen „attraktiven Alternativen" werden Sie nicht zurechtkommen! Denken Sie doch bitte an die baden-württembergischen Berufsakademien, die jetzt installiert wurden. Sie mögen ein guter Weg sein. ({15}) Ich zweifele daran, aber ich will sie nicht von vornherein abwerten. Schauen wir, was dabei herauskommt! Aber sie sind nicht in der Lage, massenwirksam eine Alternative etwa zu dem darzustellen, was heute in den Universitäten passiert. Deswegen können Sie mit dem Begriff „attraktive Alternativen" nicht einfach das Problem Öffnung der Hochschulen vom Tisch wischen, Herr Kollege Pfeifer. ({16}) - Lieber Herr Pfeifer! Ich habe gar nicht die Regierung von Baden-Württemberg in diesem Zusammenhang angegriffen. Es gibt Alternativen zu dem, was in Baden-Württemberg gemacht wird, in Hessen, die ganz ähnlich laufen; hier liegen ja auch die Kompetenzen bei den Ländern. ({17}) Herr Kollege Pfeifer, die Frage ist doch nur: Ist dies denn massenwirksam eine Alternative in absehbarer Zeit, solange wir die starken Jahrgänge haben? Da muß ich Ihnen leider sagen, daß alle Fachleute die Aussage machen: Nein, das ist in dieser kurzen Zeit nicht zu schaffen. Ich möchte noch auf zwei Punkte eingehen. Das eine ist das Thema Öffnung der Hochschulen, und das andere ist die Diskussion, die in diesem Haus über den Hamburger Parteitagsbeschluß der CDU zum Thema berufliche Bildung geführt worden ist. Zunächst also zum Thema Öffnung der Hochschulen! Ich habe gerade den Entschließungsantrag analysiert, den die Union hier heute auf den Tisch des Hauses gelegt hat. Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen offen gestehen: Nachdem ich diesen Entschließungsantrag gelesen habe, verstehe ich nicht die Kritik, die hier von diesem Pult geübt worden ist. ({18}) Denn in dem Entschließungsantrag steht genau dasselbe drin, was Bundesminister Rohde in seinem Sieben-Punkte-Programm vor sechs Wochen verkündet hat. ({19}) Warum also dann die Polemik hier von diesem Pult?! Ich verstehe das nicht. ({20}) Wir werden uns gleich in der Einzelberatung bei dem Antrag darüber unterhalten können, Herr Kollege Pfeifer. Im übrigen analysiere ich auch Ihre Äußerungen, die Sie gemeinsam mit Herrn Gölter zum Thema „Öffnung der Hochschulen" in vielen bildungspolitischen Diskussionen, im Ausschuß und überall machen. All dies ist diskutabel, all dies läuft darauf hinaus, daß auch Sie eine Öffnung der Hochschulen wollen, daß es nur bei „harten" Numerus-claususFächern nicht geht und daß ein Ortsverteilungsverfahren in Dortmund entwickelt werden muß. Das ist der Kern Ihrer Aussagen, und das ist der Kern unserer Aussagen. Nur, wenn das so ist, warum bezeichnen Sie dann den Bundeskanzler als „Rattenfänger", und warum stempelt Ministerpräsident Kohl ihn im Grunde als einen, der falsche Versprechungen abgibt, ab, wenn Sie letztlich in Ihrem konkreten Programm überhaupt nichts anderes sagen als das, was vorher schon Helmut Schmidt und Helmut Rohde hier gesagt haben? Das ist unbegründbar, Herr Kollege Pfeifer. ({21}) - Selbstverständlich bin ich gern bereit, dies zu lesen, aber ich habe mich jetzt in diesem Moment auseinandergesetzt beispielsweise mit den Unterschieden zwischen dem Sieben-Punkte-Programm von Rohde und dem, was in Ihrem Antrag steht. Über zwei Punkte, Herr Kollege Pfeifer - einmal, wo es um die Alternativen geht, und noch an irgendeinem zweiten Punkt -, kann man sich streiten, d. h., da wären wir anderer Auffassung. In der Grundlinie sagen Sie aber doch zum Thema „Öffnung der Hochschulen" das gleiche, was das sozialdemokratische Regierungsprogramm und was der Bundesbildungsminister schon vor Ihnen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Herr Maier - er ist jetzt auch nicht mehr da - hat an diesem Pult vor wenigen Minuten erklärt, Bayern habe schon vor anderen den Antrag gestellt, daß über zwanzig Fächer aus dem ZVS-Verfahren herausgenommen werden sollten. Wenn dies der Fall ist, dann kann ich nicht auf der anderen Seite, wenn die Sozialdemokraten dies fordern und dies dann zum Gegenstand auch ihres Regierungsprogramms machen, so tun, als mache die Sozialdemokratie falsche Versprechungen. Das ist dann nicht konsequent. Ein letzter Punkt; dann komme ich zum Schluß. Herr Kultusminister Vogel ist ja noch anwesend als der Vorsitzende des Bundeskulturausschusses der CDU. Es gab hier heute eine Debatte um die Frage - ich glaube, es kam dazu auf Grund einer Zwischenfrage des Kollegen Elchlepp -: Was hat denn die Union beschlossen, und warum hält sie sich nicht an den Beschluß? Sie haben ein Finanzierungssystem, ein Umverteilungssystem beschlossen, und genau das lehnen Sie zur Zeit ab. Daraufhin haben Sie schon einmal im Bundesrat gesagt, Herr Vogel, und darauf hat Herr Kohl hier wieder gesagt: Das liegt daran, daß zur Zeit ökonomisch die Situation nicht danach ist. Herr Kultusminister Vogel, ein solches System könnte - das wissen wir alle, das werfen Sie uns auch immer vor - frühestens im Jahre 1977 greifen. Wir haben jetzt, wie uns alle Wirtschaftsinstitute bestätigen und wie gar nicht mehr bestritten wird, eindeutig eine gute, sich bessernde Konjunktursituation, einen Aufschwung. Wo liegt die Begründung, daß Sie nun ein solches System, das erst 1977 greifen würde, jetzt mitten im Aufschwung immer noch mit ökonomischen Gründen ablehnen? Es gibt keinen ökonomischen Grund dafür, Herr Kultusminister Vogel. ({22}) Ich will Ihnen sagen, worin der Grund liegt; das weiß jeder. Der Kollege Probst, der so aufmerksam dieser Debatte lauscht, hat es ja immer offen und klar gesagt und bekannt: Die CSU hat immer schon den Beschluß von Hamburg für einen Schmarrn gehalten. Das ist ihr gutes Recht, nur sollte dann Herr Kohl hier nicht so tun, als ob die ökonomische Situation hindert. Franz Josef Strauß und die CSU hindern ihn wieder einmal. Das ist der Tatbestand, meine Damen und Herren. ({23}) - Warum eine Pflichtübung, Herr Stücklen? ({24})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Probst?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Selbstverständlich.

Dr. Albert Probst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001752, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Glotz, an welchem Ort und wann habe ich ihnen gesagt, daß die Beschlüsse von Hamburg ein „Schmarrn", wie Sie es ausdrückten, sind?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege Probst, Sie haben das nicht etwa in einem geheimen Gespräch - solche Gespräche würde ich im Plenum nie zitieren - mir irgendwo erklärt, sondern Sie haben in Ihren Äußerungen im Pressedienst, in Ihren Äußerungen hier im Plenum immer deutlich gemacht - und die CSU wird daraus wahrscheinlich auch gar keinen Hehl machen -, daß Sie ein Umverteilungssystem, wie es in Hamburg beschlossen worden ist, für falsch halten. Gut, ich habe das etwas in der Umgangssprache ausgedrückt, Sie sagen das etwas vornehmer gegenüber Ihrer Schwesterpartei; aber hart ist die Tatsache: Sie wollten ein solches Umverteilungssystem nicht, ({0}) und Kohl hat es trotz der Hamburger Beschlüsse nicht durchgesetzt, weil Sie es nicht wollen, und nicht, weil die ökonomische Situation schlecht ist. Das sind die Tatbestände. ({1}) „Schmarrn" habt ihr wortwörtlich nicht gesagt, lieber Herr Stücklen, aber es geht hier nicht um Worte, sondern es geht um die Inhalte, und durchgesetzt habt ihr euch wieder einmal. Sie können ja darauf stolz sein, nur der Herr Kohl soll darauf nicht so stolz sein. Das ist mein Punkt. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns - so wie der Ansatz von Herrn Ministerpräsidenten Kohl ja wahr - um die Frage auseinanderzusetzen: Ist möglicherweise eine ganze Generation in der Gefahr, apolitisch zu werden, sich nur noch für den eigenen beruflichen Erfolg zu interessieren und nicht mehr beispielsweise für politische Tatbestände, für die Gestaltung unserer Gesellschaft? Ich habe es am Anfang schon einmal gesagt, Herr Pfeifer: Das scheint mir einer der wichtigsten Punkte, die wir in der Bildungspolitik, aber nicht nur in der Bildungspolitik zu lösen haben: Etwas tun gegen Duckmäusertum. Etwas durch bildungspolitische, aber auch durch andere Maßnahmen dagegen zu tun, daß eine ganze Generation und möglicherweise in den Gymnasien eine ganze spätere Führungsgeneration unserer Gesellschaft apolitisch wird und sich nur noch für sich selbst interessiert. Ich sage noch einmal: Daß dies heute zum Teil so zu werden beginnt, schreibe ich nicht einseitig auf das Konto meines politischen Gegners; ich denke nicht daran. Aber ich glaube nicht, Herr Kollege Erhard, daß der Kanzlerkandidat der Union, der mit einem großen Anspruch auftritt, drei Monate vor einer Bundestagswahl mit einem solch einseitigen Versuch, ein solches Problem einfach dem politischen Gegner in die Schuhe zu schieben, durchkommt. Ich meine nicht, daß uns dies weiterbringen würde. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann. ({0})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Stücklen, ich würde Sie nie verdächtigen. Ich habe von Ihnen gar nicht gesprochen. Ich habe mich nur vergewissert, daß Sie noch da sind, weil es mich mit besonderer Freude erfüllt, wenn ich in Ihrer Anwesenheit reden darf. Zunächst einmal zur Bundesratsbank. Da kann man mal sehen, wie schnell man in die Bredouille kommen kann. Es ist gar nicht so lange her, da hat Herr Kohl hier getönt und gesagt, es sei wohl für den FDP-Vorsitzenden nicht wichtig genug, eine solche Debatte hier mitzumachen. Herr Kohl hat die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen aufgefordert, auf seine Fragen einzugehen. ({0}) Jetzt, da wir dies in dieser Debatte tun wollen, ist er nicht mehr da. Es kann ja sein, daß er einen wichtigen Termin hat. Aber ich finde, er sollte beim nächsten Mal vorsichtiger sein, wenn er anderer Leute Abwesenheit hier so rügt, wie er das getan hat,

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stücklen? Möllemann ({0}) Ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Möllemann, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß der Vorsitzende und Kanzlerkandidat der CDU/CSU zu einem anscheinend wichtigen Gespräch zum Bundeskanzler gerufen ist und sich jetzt vorbereitet, um das Gespräch mit aller Gründlichkeit und Sachkenntnis führen zu können? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann nehme ich das zur Kenntnis. Herr Stücklen, wenn dies so zutrifft, halte ich das für eine ähnlich seriöse Begründung wie vorhin die meines Kollegen Mischnick, der darauf hinwies, daß der Bundesaußenminister bei Herrn Callaghan, seinem englischen Gast, ist. Von daher hätte sich Herr Kohl das wollte ich gesagt haben - ersparen können, den Eindruck zu erwecken zu versuchen, Herr Genscher sei aus böswilligen Motiven hier nicht anwesend. ({0}) Sie erlauben mir aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, obwohl der Ministerpräsident Kohl nicht hier ist, auf einige seiner Argumente einzugehen. Sie von der CDU/CSU werden ja die Auffassung teilen, die er hier vorgetragen hat, nicht ganz und geschlossen - das sind wir gewohnt -, aber immerhin in gewissen Grundzügen. Herr Kohl hat davon gesprochen, es sei kennzeichnend für unsere Politik, daß am Ende einer Legislaturperiode die Auseinandersetzung um die Bildungspolitik geführt werde, um die Chancen in der Bildung für eine ganze, für die junge Generation. Herr Pfeifer, seien Sie doch so liebenswürdig und unterrichten Sie Ihren Parteivorsitzenden künftig immer gleich, wenn im Parlament Debatten über dieses Thema geführt werden. Sie wissen so gut wie ich, da wir uns permanent dabei im Plenum auseinandergesetzt haben, daß wir an sehr vielen Zeitpunkten in der Legislaturperiode über exakt die gleichen Fragen diskutiert haben, die auch heute hier anstehen. Der Kanzlerkandidat der Union hat darüber hinaus behauptet - ich versuche es sinngemäß vorzutragen; das wörtliche Zitat habe ich nicht -, die Koalition habe mit ihrer Politik den größten Anpassungsdruck bewirkt, der unsere junge Generation je betroffen habe. Ich teile die Auffassung des Kollegen Glotz, daß es unzulässig ist, die Verantwortung für ein solches Problem wie Anpassungsdruck oder Leistungsdruck allein einer bestimmten politischen Richtung zuzuschieben. Aber ich meine auch, daß ganz bestimmt eine politische Richtung wie die Ihre am wenigsten Veranlassung hat, dieses Problem so zu behandeln, wie es geschehen ist. Dieser Druck entsteht beispielsweise - das ist hier völlig zu Recht erwähnt worden - durch die geradezu unerträgliche Gesinnungsschnüffelei, die in Ihrem Lande Baden-Württemberg betrieben wird. ({1}) Sie entsteht natürlich dadurch, daß Sie sich, Herr Jenninger, und Ihre Partei beim Staatsvertrag und auch beim Hochschulrahmengesetz dafür eingesetzt haben, daß die Vergabe der knappen Studienplätze im wesentlichen nach dem Notendurchschnitt vollzogen werden soll. Sie klagen jetzt über den Leistungsdruck, der dadurch in den Schulen entsteht, aber Sie haben darauf beharrt, daß die Studienplätze nach dem Notendurchschnitt vergeben werden sollten. ({2}) Schließlich, meine ich, kann man so etwas wie eine Drucksituation auch durch bestimmte Äußerungen erzeugen, die Denkrichtungen diffamieren. Ich habe hier zwei Beispiele, die ich in diesem Zusammenhang einmal vortragen möchte. Der Abgeordnete Wörner, der wenn es nach Ihnen ginge, Verteidigungsminister werden soll ({3}) - werden soll, Herr Dr. Gölter; überlassen wir das den Wählern -, hat in meinem Wahlkreis in einem Vortrag gesagt - ich zitiere hier wörtlich -: Nach seiner Meinung befindet sich die Politik der Bundesrepublik auf dem Marsch zu einem Wendepunkt, den man am besten mit dem CDU-Wahlkampfmotto - jetzt kommt dieses Motto; es ist mir neu, daß es so heißt - „Freiheit oder Sozialismus unter Vorherrschaft Moskaus" charakterisieren könne. Ich meine, dies ist eine Ungeheuerlichkeit und Unverschämtheit, die nur darauf angelegt ist, Verunsicherung zu bewirken. Ich nehme fast an, Sie werden im Gespräch mit dem Kollegen Wörner ihn noch bitten, die Interpretation eines an sich gerade mühsam gekitteten Mißverständnisses in Ihrem Slogan nicht weiterhin so vorzunehmen. Ihr Kanzlerkandidat Kohl hat in einer berühmten deutschen Zeitung, in der „Bild"-Zeitung, folgendes gesagt: ({4}) - Ich habe nichts dagegen, daß er sich dort äußert. Ich habe etwas gegen das, was er dort gesagt hat. - Er hat dort gesagt: „Es geht jetzt urn die Entscheidung im Grundsätzlichen." Dann kommt es: Wir müssen wieder lernen, was Freiheit ist, so wie damals nach dem Ende der Nazi-Herrschaft: frei reden können, reisen, wohnen, einkaufen usw. Solche Darstellungen sind nun wirklich der Gipfel nicht nur des Simpeltums, sondern der Unverschämtheit, und Sie müssen sich darauf ansprechen lassen. Die kritische junge Generation, von der Sie hier sprechen, weiß ganz sicher, was sie von solchen Sprüchen zu halten hat. ({5}) - Ich muß ja auf Herrn Kohl eingehen, der hier über die Altersrente, über das Babyjahr und ähnliches gesprochen hat, als er von den Chancen der Jugend redete. Er mußte dies ja tun. Wir haben mitgeteilt bekommen, daß oben sein Filmteam stand, das den Wahlkampffilm für ihn drehen sollte. Wir verstehen, das er deshalb bei der Anfrage über die Situation in der Bildungspolitik über alle anderen Bereiche gesprochen hat, wohl auch deswegen, weil seine Kompetenz zur Bildungspolitik eher stellvertretend durch den Kultusminister seines Landes ausgewiesen wird. Er hätte das auch weiterhin so praktizieren sollen; dann wäre es nicht so aufgefallen, daß er selbst dort nichts aufzuweisen hat. ({6}) - Ich hoffe dies, Herr Kollege Kroll-Schlüter. Überlassen wir es der jungen Generation, wen sie wählt. Herr Kohl hat hier ein Weiteres gesagt. Herr Kohl hat davon gesprochen, wir würden Kompanien von Hochschullehrern in Gremien verschleißen, statt sie arbeiten zu lassen. Herr Pfeifer, wie meint er das eigentlich? Will er die von Ihnen mit verabschiedete Fassung des Hochschulrahmengesetzes, die dort verabschiedeten Mitbestimmungsregelungen und die Regelungen der demokratischen Selbstverwaltungsorgane rückgängig machen? Wie darf ich das verstehen, wenn er von Kompanien von Hochschullehrern spricht, die in den Selbstverwaltungsgremien verschlissen werden? ({7}) : Dieses Hochschulrahmengesetz wird dazu beitragen, daß sie eben nicht mehr verschlissen werden!) Ein Weiteres. Herr Kohl hat hier, als er über die größeren Weiterungen der Jugendpolitik sprach, von der Motivation zum Kinderreichtum gesprochen. Hier wurde es ja wohl peinlich. Er argumentierte: Diese Bundesregierung hat dafür gesorgt, daß wir so viele arme Menschen haben, die sich auf Grund ihrer Armut Kinderreichtum nicht mehr leisten können. Wenn es mir nicht zu peinlich wäre, würde ich sagen: Es muß mit der Armut von Ministerpräsidenten schon weit gekommen sein; Herr Kohl hat zwei Kinder. Es bestreitet doch niemand das Recht, nicht mehr als zwei Kinder haben zu wollen. Herr Kohl soll sich dann aber nicht hier hinstellen und sagen: Der Grund für Kinderreichtum bzw. Nichtkinderreichtum ist der Wohlstand bzw. mangelnde Wohlstand der Bevölkerung. Dafür, daß es hier um ganz andere Motivationen gehen kann, die von der Regierungspolitik nun wahrhaftig nicht abhängig sind, ist Herr Kohl selbst wohl das beste Beispiel. ({8}) - Die neue soziale Frage! So kann man es sagen. ({9}) - Herr Kollege Jenninger, ich verstehe Ihren Einwand, weil ich auch der Meinung war, daß dieses Thema nicht unter die Thematik Ihrer Anfrage fiel. Ich habe mich auf die Ausführungen des Kanzlerkandidaten Ihrer Partei bezogen. Ich nehme doch an, daß er nicht deswegen hier gesprochen hat, damit man alles schnell wieder vergißt, sondern wahrscheinlich doch deswegen, damit man sich damit kritisch auseinandersetzt. In diesem Parlament war das jedenfalls bisher so üblich. ({10}) - Das habe ich gerade getan. ({11}) Auf die wenigen Positionen, die er zum eigentlichen Thema bezogen hat, komme ich gleich auch noch. Dazu hätte ich gern mehr gesagt, aber er hat sich mit dem eigentlichen Thema ja kaum befaßt. Hier ist vorhin von mehreren Rednern - auch vom Kultusminister des Freistaats Bayern - etwas über die Verantwortlichkeit für die Situation gesagt worden, mit der wir uns hier beschäftigen. In einigen Punkten teile ich die Auffassung des Herrn Maier, weil ich wirklich meine, daß wir hier weder unsererseits die Verantwortung für die Probleme einfach wegschieben können noch unsererseits - auch nicht in Anzeigen - die Leistungen und die positiven Erscheinungsformen - Kindergärten usw. - alle für uns reklamieren können. Das ist ganz klar. Dies kann man ganz offen sagen. Genau-sowenig, Herr Kroll-Schlüter, können Sie hier aber den Eindruck erwecken, als seien alle positiven Erscheinungsformen in der Bildungspolitik von Bund und Ländern, die es ja zweifellos in beiden Bereichen gibt, das Verdienst Ihrer Länder - in Ihrer Anfrage erwecken Sie diesen Eindruck - und als seien die negativen Erscheinungsformen und die Probleme auf das Verschulden dieser Koalition zurückzuführen. Wenn Sie schon differenzieren wollen - bitte, wir können das hier tun -, dann nach beiden Seiten hin! Wir haben Ihnen von seiten der Freien Demokraten schon des öfteren vorgeschlagen, dem Bund eine stärkere Kompetenz im Bildungswesen zu geben, weil wir von der Sache her der Überzeugung sind, daß dies ein angemessenes Mittel wäre, um gewisser Probleme Herr zu werden. Ich habe den Eindruck, daß manche Ihrer Bildungspolitiker im Grunde diese Auffassung teilen. Von einigen weiß ich es auch persönlich. Da Sie dieses Mittel nun aber nicht akzeptieren können oder wollen, müssen Sie es schon zur Kenntnis nehmen, wenn wir auf die geringe Kompetenz, die der Bund hat, auch hinweisen. Dieses wollte ich hier getan haben. Für eine Reihe der Probleme, die Sie hier ansprechen, hat der Bund - dies wird gleich noch einmal deutlich werden - in der Tat nicht die Problemlösungskompetenz, auf gar keinen Fall aber die alleinige Kompetenz. Dies gilt in erster Linie für das Schulwesen, aber auch für den Hochschulbereich. Mit diesen beiden Bereichen möchte ich mich im wesentlichen auseinandersetzen. Sie haben sich in dieser Anfrage an die Bundesregierung mit der Schulpolitik auseinandergesetzt und haben auch inhaltliche Fragen zur Struktur des Schulwesens gestellt. Wir gehen davon aus, daß unsere bildungspolitischen Ziele im Bereich der Schulpolitik wohl nur in einem in seiner Struktur noch endgültig zu definierenden Gesamtschulsystem erreicht werden können. Allerdings warten wir mit Interesse die Ergebnisse der laufenden Gesamtschulversuche und ihre wissenschaftliche Analyse ab. Diese Versuche zeichnen sich ja dadurch aus, daß sie sich voneinander durch die sogenannte innovative Komponente unterscheiden. Am Ende dieser Versuche möchten wir dann eine definitive Aussage über den Schultyp der Zukunft machen. Zu dieser unserer Haltung befinden Sie sich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, im Widerspruch, jedenfalls wenn das gilt, was Sie in Ihrer Anfrage formuliert haben. Sie befinden sich überdies im Widerspruch zu der Haltung, die Ihre Kultusminister in der Bund-LänderKommission eingenommen haben. Sie befinden sich im Widerspruch zu dieser Haltung, wenn Sie mit Ihrer Frage II 2 wissen wollen - ich darf zitieren -: Teilt die Bundesregierung infolgedessen die Ansicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß im Gegensatz zum Bildungsbericht 70 nicht die Auflösung unterschiedlicher Schularten, sondern ihr eigenständiger Ausbau dem Gebot der chancengleichen Förderung gerecht wird? Hiermit haben Sie sich, Herr Kollege Pfeifer - ich nehme an, Sie waren an der Formulierung beteiligt -, einseitig auf eine bestimmte Entwicklung des Schulwesens festgelegt. Damit stehen Sie, wie ich schon sagte, im Widerspruch zu den Aussagen der von Ihnen geführten Landesregierungen bzw. Ihrer Kultusminister. Diese haben nämlich im Bildungsgesamtplan zunächst die genannten Ziele für diesen Bereich mit unterschrieben, nämlich erstens Sicherung einer allgemeinen wissenschaftsorientierten Grundbildung für alle, zweitens Vermeidung von vorzeitiger Festlegung auf bestimmte Bildungsgänge und drittens Berücksichtigung der Neigung und der Prägung des einzelnen durch eine zunehmende Wahl-und Leistungsdifferenzierung unter Beibehaltung eines verpflichtenden Kernbereichs gemeinsamer Inhalte. Der Auffassung, daß diese Ziele und Prinzipien die Organisationsform der integrierten Gesamtschule bedingten, haben die Kultusminister der von Ihnen regierten Länder dann allerdings widersprochen und haben dem ein Sondervotum entgegengestellt, worauf vorhin hier schon verwiesen wurde. Darin heißt es: Die bisherigen Versuche in verschiedenen Ländern der Bundesrepublik sind noch nicht abgeschlossen, so daß die Entscheidung für die allgemeine Zielsetzung des gesamten Schulwesens auch unter dem Gesichtspunkt der Gebietsstruktur nicht auf die dort gewonnenen Ergebnisse aufgebaut werden kann. Erst wenn die vorgesehene Auswertung des Gesamtversuchsprogramms abgeschlossen ist und die damit verbundene wissenschaftliche Begleituntersuchung vorliegt, kann darüber entschieden werden, welches von den Systemen, das reformierte gegliederte Schulwesen, die kooperative Gesamtschule oder die integrierte Gesamtschule, den Vorzug verdient oder ob gegebenenfalls die verschiedenen Systeme nebeneinander ihre Berechtigung haben. - Sehen Sie, Kollege Pfeifer, Sie sind bereits hier in der Bundestagsfraktion festgelegt. Sie haben sich von der Offenheit, die die Äußerung der Kultusminister der von Ihnen regierten Länder gekennzeichnet hat, nämlich eventuell auch das Modell der integrierten Gesamtschule zu übernehmen, bereits entfernt. Diesen Widerspruch mögen Sie bitte auch einmal aufklären. Ich nehme an, daß der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, dessen Kultusminister diese Äußerung unterschrieben hat, dann auch im Widerspruch zu der Haltung steht, die Sie in Ihrer Äußerung für die Fraktion zum Ausdruck gebracht haben. Eines von beiden kann ja wohl nur Gültigkeit haben. In der Frage II 3 üben Sie erneut Selbstkritik. Wie anders nämlich wäre die Behauptung zu verstehen, daß durch die besondere Gewichtung des Abiturs als eines besonders erstrebenswerten Zieles die Chancengleichheit für die anderen Bildungsbereiche erschwert worden sei? Hierzu ist zu sagen, daß in allen Bundesländern die Erkenntnis vorhanden war, daß der Ausbau der weiterführenden Schulen, die Steigerung des Anteils der Jahrgänge, die solche Schulen besuchen, innerhalb dieses Anteils wiederum die Steigerung der Anteile bestimmter soziologischer Gruppen, ein notwendiges Ziel war, allein schon um im internationalen Vergleich bestehen und den gestiegenen Qualifikationsanforderungen gegenübertreten zu können. Ich meine, das war an sich auch bei Ihnen völlig unumstritten. Die Äußerungen Ihrer Bildungspolitiker, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die ich in den letzten Jahren gehört habe, zeigen, daß Sie diese Position geteilt haben. Wenn Sie hier bewußt eine Kurskorrektur vornehmen wollen, ist Ihnen dies unbenommen. Aber dann sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir allein diese Auffassung vertreten. Ich meine, ein Weiteres muß hier gesagt werden. Wie ist eigentlich die Frage, die Sie gestellt haben, angesichts der Tatsache zu verstehen, daß sich gerade diese Bundesregierung darum bemüht - darüber können Sie hier nicht hinwegreden -, durch Verbesserung der beruflichen Bildung im organisatorischen und finanziellen Bereich diese auch faktisch zu mehr Gleichwertigkeit zu bringen und damit tatsächlich Chancengleichheit für solche Jugendliche zu bewirken, die diesen Bildungsgang wählen? Denn es hat wirklich keinen Sinn, zu sagen, auch die Ausbildung zu einer praktischen Berufstätigkeit habe ihren Wert, wenn man nicht dafür sorgt, daß durch die Steigerung ihrer Qualität dies auch von den Jugendlichen so empfunden und nachher praktisch erfahren werden kann. ({12}) Genau dieses verhindern Sie mit Ihrer konkreten Politik, mit der Sie dieses Gesetz zu Fall gebracht und uns gezwungen haben, ein von Ihnen so genanntes Rumpfgesetz einzubringen. Ich muß sagen, das ist schon der Gipfel des Zynismus, wenn jemand so verfährt, wie Sie verfahren sind, und uns dann nachher vorwirft, wir brächten die Teile, die Sie vorher zu Fall gebracht haben, nicht erneut hier ein. ({13}) Eine weitere Frage in Ihrer Drucksache, Herr Pfeifer, konstruiert einen Gegensatz, der so nicht besteht. Sie fragen nämlich: Teilt die Bundesregierung die Ansicht der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, daß individuelle Förderung im Interesse des einzelnen Kindes heute von größerer Bedeutung ist als die weitere Diskussion über die strukturellen Veränderungen des Bildungssystems? Ich meine, hier wird ein Gegensatz konstruiert, der keiner ist. Die weitere Diskussion über die strukturelle Veränderung des Bildungssystems verhindert ganz sicherlich keine individuelle Förderung. Wir meinen, daß mit Recht darauf verwiesen worden ist, daß gerade die von der Bundesregierung angedeuteten Maßnahmen die individuelle Förderung eher steigern, als daß sie sie senken können. Nun noch einige Bemerkungen zum Bereich der Hochschulpolitik und hier insbesondere zum Numerus clausus. Die ganze Hochschulsituation wird ja tatsächlich unter diesem Stichwort diskutiert. Sie werden sich vorstellen können, wie sehr wir uns freuen, daß hier von Ihnen ein Ansatz aufgenommen wird, den wir bei der ersten Lesung des Hochschulrahmengesetzes 1973 bereits zur Geltung gebracht haben und der dann bei den Beratungen des Hochschulrahmengesetzes durchgängig als Prinzip von uns eingebracht worden ist. Ich darf dies hier noch einmal zitieren, weil ich meine, daß die Wortgleichheit verschiedener Äußerungen geradezu frappierend ist. Wir haben damals gesagt: Die Verteilung der Studienplätze nach Notenschnitten erscheint allerdings äußerst fragwürdig ... Nicht nur, daß jeder weiß ..., wie sehr von Lehrer zu Lehrer, von Schule zu Schule und von Land zu Land die Leistungsanforderungen und Beurteilungen mit Noten differieren nein, jedermann ist auch bewußt, wie wenig der Notenschnitt über die Qualifikation zum Studium bestimmter Fächer aussagt. Wer von Ihnen kann die Frage beantworten, welche Durchschnittsnote etwas über die Qualifikation eines künftigen Arztes, Lehrers oder Juristen aussagt? ... Darüber hinaus führt dieses Verfahren in der Tat zu einem unerträglichen und dem Ziel kritikfähiger Bildung abträglichen Leistungsdruck, der zur Aneignung reinen Paukwissens zwingt. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hätten 1973 und in den Folgejahren bei der Beratung des Hochschulrahmengesetzes die Chance gehabt, die Konsequenzen aus dieser unserer damals schon artikulierten Auffassung zu ziehen. Dies haben Sie aber nicht getan. ({14}) Eine letzte Bemerkung zu diesem Komplex. Hier ist mit Recht darauf verwiesen worden - und ich denke, so will auch die Bundesregierung verstanden werden -, daß es sicherlich nicht möglich sein wird, auf einen Schlag den Numerus clausus in allen Bereichen sofort zu beheben. Dies will auch wohl keiner und kann auch niemand. Es ist aber notwendig, angesichts der besonderen Probleme, die wir verzeichnen, jetzt die Maßnahmen zu erörtern, mit denen man den Numerus clausus verringern will. Da hätte ich, Herr Ministerpräsident Kohl, von Ihnen erwartet, daß Sie konkrete Vorschläge vorlegen, daß Sie also nicht nur Ihren Willen bekunden, sondern daß Sie auch eine Aussage machen, wie Sie es tun wollen. Erlauben Sie mir, daß ich deswegen die fünf Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, hier noch einmal kurz nenne: Erstens. Die inhaltliche Studienreform ist forciert voranzutreiben. Sie wird im Ergebnis auch zu einer Verkürzung der Verweildauer an den Hochschulen führen. Zweitens. Die Studien- und Studienfachberatungen müssen verbessert werden. Drittens. Wir versprechen uns durch die Einbeziehung von Fernstudiengängen eine spürbare Verbesserung der Situation. Wir erwarten viertens eine volle Nutzung der Raumkapazitäten an allen Werktagen und auch während der Semesterferien. Gegebenenfalls gehen wir - so ungewöhnlich dies klingen mag auch von der Einführung eines Schichtbetriebes an den Hochschulen aus. Fünftens müssen schließlich die Lehrverpflichtungen der Hochschullehrer für eine beschränkte Zeit erhöht werden. Wie gesagt, diese Maßnahmen werden den Numerus clausus nicht sofort voll beseitigen können, sie können ihn aber spürbar lindern. Es ist richtig, was hier gesagt worden ist: dies kann zweifellos nur geschehen, wenn die Bundesländer mitziehen; natürlich, da wir vom Bund die Kompetenz allein nicht haben. Aber ich habe aus Ihren Außerungen entnommen, daß Sie mitziehen wollen. Also steht einem Abbau des Numerus clausus in der Tat weniger als das im Wege, was Sie hier vorgetragen haben. Gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung. Herr Ministerpräsident Kohl, uns ist bewußt, warum Sie heute hier gesprochen haben und warum Sie das, was Sie gesagt haben, so weitschweifig vorgetragen haben. Glauben Sie ganz sicher, auch wir sind uns darüber im klaren, welche Wählergruppen am 3. Oktober besonders wichtig sind; aber verlassen Sie sich darauf: die Haltung Ihrer Fraktion, die sie hier im Bundestag in den letzten vier Jahren eingenommen hat, rechtfertigt in keiner Weise den außerordentlich engagierten Vortrag, den Sie sich hier geleistet haben. Ich meine, dies werden wir der Öffentlichkeit noch außerordentlich deutlich machen können. ({15})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat Herr Senator Thape, Freie und Hansestadt Bremen. ({0}) Senator Thape ({1}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Diskussion um bildungspolitische Fragen leidet nicht erst seit heute unter dem Mangel an Offenheit und Ehrlichkeit. Es ist unredlich, wie es heute geschehen ist, Probleme, die die geburtenstarken Jahrgänge aufwerfen und die uns alle betreffen, der Bundesregierung oder den SPD- bzw. SPD/FDP-regierten Ländern zuzuschanzen. ({2}) - Im Gegensatz zu Ihnen habe ich zugehört. ({3}) Die öffentliche Diskussion richtet sich allein auf die Frage der Ausbildungsplätze an den Universitäten bzw. der gewerblichen Ausbildungsplätze und nicht darauf, ob die eine oder andere Zeile im Bildungsbericht 1970 heute noch voll mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Die Politik ist etwas Dynamisches, und ich glaube, wir können aus jeder Regierungserklärung oder jeder Erklärung eines Landes nach fünf oder sechs Jahren den einen oder anderen Satz herauslesen, der mit der Wirklichkeit nicht mehr ganz übereinstimmt, einfach deshalb, weil sich die Entwicklungen so dynamisch vollziehen, daß wir nicht jederzeit in der Lage sind, alles von vornherein vorherzusagen. Ich habe mich über den Ausdruck des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Herrn Kohl, vom Anpassungsdruck sehr gewundert, der angeblich durch die falsche Bildungspolitik der Bundesregierung entstanden ist. Zehn Jahre lang habe ich etwas anderes gehört. Da war als Beweis die angebliche Tatsache zu verzeichnen, daß in den von der CDU/ CSU-regierten Ländern an Schulen und Universitäten Ruhe herrschte, daß das gerade Ausdruck einer sehr konsequenten, zielsicheren und auch handfesten Bildungspolitik dieser Länder war und daß in den von der FDP und der SPD regierten Ländern Krach, Diskussionen, Demonstrationen waren, über die Diskussion das Arbeiten und die Leistung vergessen wurde, während gerade immer wieder und auch von meinem Kollegen Maier die Leistung als das Wesentliche der bildungspolitischen Arbeit hervorgehoben wurde. Heute höre ich genau das Gegenteil. Ich kann auch der Folgerung des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Kanzlerkandidaten nicht folgen, daß der Bankrott einer Bildungsideologie aus der Antwort der Bundesregierung herausgelesen werden müßte. Hier geht es nicht um Bildungsideologie, sondern ausschließlich um Probleme, die dadurch entstanden sind, daß wir mehr Chancengleichheit gegeben haben. Weil wir mehr Kinder fördern, haben wir mehr Interessenten vor den Hochschulen und den Universitäten. Die früheren Hilfsarbeiter sind heute Abiturienten, und ich bin stolz darauf. Wir weigern uns, schon die Zehnjährigen in der Schule in Arbeitsbienen und Privilegierte einzuteilen. Das ist das ganze Problem, das vor uns steht, und das war gewollt. ({4}) Auch die Bildungskommission des Bildungsrates hat 1969 folgende erzieherische Forderungen für eine demokratische Industriegesellschaft aufgestellt: 1. Chancengleichheit für alle, 2. Förderung des einzelnen gemäß Neigung und Fähigkeit, 3. Vermeidung verfrühter Schullaufbahnentscheidungen und 4. breites Fächerangebot entsprechend der Vielfalt der Begabungen und Erfordernisse der Gesellschaft. Leiter der Bildungskommission war Professor Erdmann, damals schon Mitglied der CDU, und Stellvertreter war Professor Maier, damals noch nicht Mitglied der CSU; das hat sich inzwischen geändert. Aber ich glaube, an der Gültigkeit dieser Aussagen hat sich nichts geändert, und ich wundere mich, daß gerade der Kultusminister von Bayern jetzt versucht, von seinen eigenen Erklärungen abzurücken, die er mit unterschrieben hat. In der Tat ist Chancengleichheit der zentrale Begriff, der uns zu beschäftigen hat; denn anders als früher werden heute Lebenschancen nicht mehr durch die Geburt, sondern durch die Schule vergeben. Deshalb auch diese konsequente, harte und andauernde Diskussion um die Schule, und zwar um die Schule als die Stelle der Verteilung von Lebenschancen. Trotzdem möchte ich feststellen, daß für Schule, für Ausbildung, für Weiterbildung, auch für die Hochschulen in Deutschland, auch inhaltlich, mehr getan wurde als jemals zuvor. Das Problem ist, daß Bildung nicht als Grundrecht und Startgleichheit angesehen wird, sondern als Mittel, einen größeren Anteil am Sozialprodukt zu erhalten, wenn man die Ausbildung absolviert hat, d. h. auf deutsch gesagt: daß man mit einer akademischen Ausbildung Anspruch auf ein höheres Gehalt hat. Das gilt nicht mehr oder gilt zumindest ab heute nicht mehr. Das führt vor allen Dingen bei denjenigen, die heute noch begünstigt sind, zu Unzufriedenheit, soweit es ihre eigenen Kinder betrifft. Diese Unzufriedenheit wird von der CDU/CSU geschürt, anstatt mitzuhelfen, aufzuklären und Ausbildungsplätze im gewerblichen und kaufmännischen Bereich durch klare Gesetzgebung sicherzustellen, die auch die Wirtschaft zwingt, ihren Beitrag zur Meisterung der neuen Aufgaben zu leisten, die durch große Geburtenzahlen entstanden sind. Wir müssen doch immer wieder darauf hinweisen, daß wir vor einer extremen Bevölkerungsexplosion gestanden haben und noch stehen, deren Folgen heute von der Grundschule über den Sekundarbereich I, den Sekundarbereich II bis anschließend zu den Hochschulen oder aber den Weiterbildungsein18280 Senator Thape ({5}) richtungen reichen. Mit diesen Problemen werden wir nicht mit Polemik und auch nicht mit Unsachlichkeit und Unehrlichkeit fertig. Selbstverständlich ist Bildungspolitik auch Partei-und Gesellschaftspolitik. Das sieht man vor allen Dingen an der Kultusministerkonferenz. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die Sacharbeit, die dort früher zum Teil quer durch die Reihen ging, als in Sachfragen durchaus Länder mit CDU- und Länder mit SPD-Regierungen einmal gegen andere Länder mit CDU- und mit SPD-Regierungen standen, sehr stark einer parteipolitischen Konfrontation Platz gemacht hat. Aber warum denn? Weil die CDU/CSU es nicht vertragen hat, daß sie 1969 aus der Bundesregierung verdrängt worden ist, und den Kriegsschauplatz auf andere Gremien verlegt hat, nämlich in den Bundesrat und, soweit es die Kulturpolitik betrifft, in die KMK. ({6}) Es wird deutlich, daß die CDU/CSU zur frühen Selektion zurück will. Wir wollen das nicht. Das ist die ganze Auseinandersetzung. Auf diese einfache Form kann man die Auseinandersetzung bringen. Angebot und Möglichkeit sind größer geworden. Das führt allerdings nur dann zu Unzufriedenheit, wenn wir jedem Abiturienten auch eine akademische Karriere vorhersagen. Das können wir nicht, und das tun wir nicht. Wir stellen vielmehr das Recht auf Bildung als gesellschaftspolitischen, aber auch als individuellen Anspruch heraus. Hierin unterscheiden wir uns von der CDU/CSU. Wir knüpfen daran aber nicht die Aufrechterhaltung oder den Erwerb von Privilegien, so wie Sie es jetzt mit der Verlegung der Selektion in die Schule praktisch wieder tun wollen. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz hat die Großartigkeit der Unions-Bildungspolitik auch mit der angeblichen Tatsache unterstrichen, daß die Universität Trier/Kaiserslautern billiger sei als die von Bremen. Ein anderes Beispiel ist ihm, glaube ich, nicht eingefallen. Leider ist er nicht mehr anwesend. Ich wollte ihm empfehlen, sich u. a. die Universitätsbibliothek in Bremen und die in Trier anzugucken. Dann weiß er, warum die Bremer Universität teurer ist. ({7}) Wir haben uns nämlich sorgfältig vorbereitet, und zwar zehn Jahre lang. ({8}) Wir haben nicht um der Optik willen einen Etikettenschwindel betrieben, nämlich aus kleinen Einrichtungen plötzlich eine Universität gemacht, nur um uns draußen als eine Landesregierung darstellen zu können, die ad hoc in der Lage ist, Studienplätze aus dem Boden zu stampfen. Wir sind wegen dieser sorgfältigen Vorbereitung gerade von Ihrer Partei sehr kritisiert und verlacht worden. Da ich heute angesprochen wurde, kann ich in aller Öffentlichkeit feststellen, daß diese Vorbereitung zu diesem Ergebnis geführt hat. ({9}) Im übrigen ist eine im Aufbau befindliche Universität selbstverständlich teurer als eine bereits laufende Universität. Mit jedem hinzukommenden Studenten sinken die Durchschnittspreise. Das sollte allgemein bekannt sein. Abschließend möchte ich eine Bemerkung des Kollegen Maier aus Bayern aufgreifen, der der SPD praktisch vorgeworfen hat, sie habe ihre Mehrheit in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung nicht rigoros ausgenutzt, um ihre Ziele durchzusetzen. Genau das haben wir nicht getan, weil wir von der CDU und der CSU in diesem Gremium hart attackiert wurden, als wir den Versuch machten, in der Frage der Gesamtschule unsere Mehrheit durchzusetzen. Ich habe mich damals sehr dafür eingesetzt, weil es mir geradezu langweilig und lästig war, wegen der Einstimmigkeit in der Kultusministerkonferenz immer wieder gezwungen zu sein, mit den Schlußlichtern zusammen Bildungspolitik zu machen und nicht auch einmal nach vorne gehen zu können gegen den Wunsch und den Willen anderer Landesregierungen, sich hier nicht zu einer fortschrittlichen und nach vorn gerichteten Bildungspolitik entschließen zu können. Im übrigen müssen die Beschlüsse der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung von der Kultusministerkonferenz verwirklicht werden. Ihnen sollte bekannt sein, daß die Kultusministerkonferenz nur einstimmig entscheiden kann und insofern der Langsamste oder das Schlußlicht oder der Unwilligste zum Teil das Tempo dieser Einrichtung bestimmt. Daran sollte man denken, wenn man glaubt, bildungspolitische Kontroversen auf dem Rücken derer austragen zu können, die in der Kultusministerkonferenz den eigenen Standpunkt durchzusetzen versuchen, aber nicht durchsetzen können, weil sie durch andere gehindert werden. Ich halte es für unredlich und falsch, daß in dieser Diskussion heute versucht wurde, eine pauschale Antwort auf die bildungspolitischen Fragen der Gegenwart zu geben. Die Bundesregierung und die von der SPD und der FDP regierten Länder haben einen schweren Stand, hatten einen schweren Stand und werden auch in Zukunft einen schweren Stand haben, weil sie von der Gruppe der im Bundesrat vertretenen Unionsparteien und von der durch diese dort vertretenen Mehrheit immer wieder gehindert werden, die eigenen Pläne zu verwirklichen und die Wirksamkeit dieser Planungen nachzuweisen. Bis zum 3. Oktober werden wir zu einer Sachdiskussion wohl nicht mehr kommen. Es ist fast nutzlos, zu versuchen, auf die tatsächlichen Probleme unserer gegenwärtigen Bildungspolitik, die in erster Linie Massenprobleme sind, hinzuweisen und gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, die allen gerecht wird, vor allem unserer jungen Generation, die den Anspruch hat, daß wir ihr die bestmögliche Lösung anbieten. Senator Thape ({10}) Ich hoffe allerdings, daß nach dem 3. Oktober jeder von uns in seinem Bereich - wir in den Ländern und Sie im Bundestag - wieder zu Diskussionen kommen kann, die von Emotionen und Unterstellungen, die ich heute gehört habe, frei sind. Ich war - das darf ich sagen - sehr überrascht, mit welcher Einseitigkeit die Darstellung bildungspolitischer Probleme betrieben wird und Redner mit Zwischenrufen bedacht werden, die nicht darauf hinauslaufen, deutlich zu machen, daß wir gemeinsam eine Aufgabe zu lösen haben. ({11})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit wenigen Sätzen darauf hinweisen, daß auf die Frage, welche Zukunftschancen die Jugendlichen in diesem Land haben, nicht nur der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und der Bundesminister für Forschung und Technologie eine Antwort geben müßte, sondern auch der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit; auch er ist für diesen Bereich zuständig. So wie der Stuhl dieser Ministerin heute den ganzen Nachmittag - bis auf eine Minute - leer geblieben ist, so ist auch das jugendpolitische Feld, für das Frau Minister Focke zuständig ist, absolut leer und kahl geblieben. ({0}) Erster Beweis: Am 1. März 1973 versprach sie: Im Zentrum meiner Jugendpolitik steht ein neues Jugendhilferecht. Mitnichten! Nichts ist passiert! In die unterste Schublade ist es gelegt worden, auch mit der Begründung, daß kein Geld da sei und daß die Ministerpräsidenten aller Länder dem zugestimmt hätten. ({1}) - Ich weiß. - Wie gesagt: aus finanziellen Gründen, und das war ehrlich und redlich. ({2}) - Hören Sie zu! - Als es um die Jugend ging, war kein Geld da. Als es darum ging, über die Mehrwertsteuererhöhung die Kassen des Bundes zu füllen, da auf einmal ging es. Da wurden die Gemeinden, die den größten Teil des Jugendhilferechts hätten bezahlen müssen, mit 300 Millionen DM zusätzlich belastet, wie Ihnen die kommunalen Spitzenverbände dargelegt haben. Als es darum ging, die Kassen des Bundes zu füllen, war Geld da. Als es darum ging, Geld für die Jugend bereitzustellen, war kein Pfennig da. Das ist das Zwiespältige an Ihrer Jugendpolitik. ({3}) Deswegen zieht auch nicht mehr die finanzielle Begründung, deswegen können Sie sich auch nicht mehr auf den Beschluß der Ministerpräsidenten zurückziehen. Sie haben, weil Sie die Situation der Städte und Gemeinden kennen, konsequent, ehrlich und redlich gehandelt. Nur, nach der gegen unseren Willen durchgesetzten Mehrwertsteuererhöhung trifft dies nicht mehr zu. Zweiter Beweis: Seit 1970/72 versprechen Sie ein neues Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit. Als wir vor einigen Wochen erneut einen Antrag mit der Forderung einbrachten, dieses Gesetz einzubringen, sagte Herr Hauck von der SPD-Fraktion: Damit rennen Sie offene Türen ein. Frau Focke ließ einen Referentenentwurf erstellen, ging ins Kabinett und scheiterte. Dritter Beweis: Sie haben einen Perspektivplan zur Weiterentwicklung des Bundesjugendplanes vorgelegt. Selbst das Bundesjugendkuratorium hat Frau Focke nachweisen müssen: Die Begriffe stimmen nicht, inhaltlich geht alles durcheinander. Es sagt wortwörtlich: Es gibt keine Konsistenz der Vorschläge. Mittlerweile mußte sie von einem Teil ihrer Vorschläge wieder abrücken, weil von mehr als 60 Stellungnahmen der Jugendverbände höchstens zwei, drei positiv ausgefallen waren. Aber ich habe das Wort nicht nur deswegen ergriffen, meine Damen und Herren. ({4}) - Herr Moersch, jetzt hören Sie bitte einmal zu! - Ich möchte Sie und die Öffentlichkeit auf etwas aufmerksam machen, was geradezu an einen Skandal grenzt: Die Bundesregierung hat die Aufgabe, diesem Hohen Hause alle vier Jahre einen Bericht über die Situation der jungen Menschen, der jungen Generation in diesem Lande vorzulegen. Der Bericht in dieser Legislaturperiode hatte die Situation der arbeitenden Jugend zum Thema. Davor hatten wir das Thema Jugendämter - wichtig, aber nicht so wichtig wie gerade heute das Thema: Die Situation der arbeitenden Jugend in diesem Lande. Ausgerechnet da, wo es kein Geld kostet, wo man sich als Regierung mit Hilfe einer Kommission hätte Mühe geben sollen, diesem Hohen Hause Aufschlüsse zu geben, wie man diesem Problem besser beikommen könne, wie man der jungen Generation im Arbeitsprozeß dienen könne, welche abgestimmten Vorschläge Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam machen könnten, ausgerechnet in dieser Situation hat die Bundesregierung mitteilen müssen: In dieser Legislaturperiode gibt es diesen Bericht nicht mehr. Rechtsexperten sagen, daß das für eine Organklage reichen würde, um das Versagen der Bundesregierung in diesem Punkt festzustellen. Es lohnt sich nicht mehr, weil die Periode zu Ende geht. Sonst hätten wir es gemacht. ({5}) Daran sieht man das Versagen der SPD und der FDP und dieser Bundesregierung vor der jungen Generation. Sie sind weder in der Lage, die gesetzlichen Aufträge zu erfüllen, noch haben Sie eine Zukunftsperspektive, in der jungen Menschen ihre Zukunftschancen erkennen können. ({6})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es für die Teilnehmer an der Diskussion, die noch hier sind, einerseits bedauerlich, daß ich das Wort noch ergreifen muß. Andererseits finde ich es verdienstvoll, daß Herr Kollege Kroll-Schlüter über die bisher diskutierten Aspekte hinaus die Aufmerksamkeit des Hauses auf andere Gebiete der Jugendpolitik gelenkt hat. Es lag in der Natur der Sache, Herr Kollege, daß sich die heutige Debatte mit aktuellen, brennenden Fragen der Tagesauseinandersetzung beschäftigt hat. So wichtig es aber ist, die konkreten sozial- und bildungspolitischen Fragen auszuleuchten und Lösungsmöglichkeiten zu suchen und zu diskutieren, um die es ja hier ging, so wichtig ist es aber auch, die Zukunftschancen jüngerer Menschen in einen größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang zu stellen. Hier will ich - da sind ganz deutliche Unterschiede markierbar zwischen dem, was die Bundesregierung tut, und dem, was die Opposition fordert - einiges deutlich machen und von dem zurückweisen, was Sie gesagt haben. Ich will bei den Bemerkungen beginnen, die Sie über die Perspektiven zum Bundesjugendplan gemacht haben. Der Bundesjugendplan ist ein seit Jahrzehnten in diesem Lande bewährtes Förderungsmittel politischer Jugendarbeit. Die Bundesregierung hat Perspektiven zur Diskussion gestellt und dem Bundesjugendkuratorium, den Verbänden und Trägern der Jugendarbeit vorgelegt. Und wenn die Bundesregierung Perspektiven zur Diskussion stellt, dann meint sie es ernst damit, daß sie zur Diskussion gestellt werden. Das heißt: die Kritik, die vorgetragen wurde, war in einem Dialog zwischen der Bundesregierung und den freien Trägern der Jugendarbeit erwünscht. Kritik und Dialog waren erwünscht und nicht störend. Dies war auch der Grund dafür, warum es nur selbstverständlich und natürlich gewesen ist, daß das Bundesjugendkuratorium kritische Bemerkungen zur Jugendpolitik und zu den Perspektiven gemacht hat. Andere haben das auch getan. Zweiter Punkt. Sie haben selbst schon akzeptiert, daß das Jugendhilferecht aus finanzpolitischen Gründen zurückgestellt worden ist. Für diese Bundesregierung behält die Reform der Jugendhilfe aber große Priorität, und ich hoffe, daß bei Ländern und Gemeinden, die dieses Gesetz werden bezahlen müssen, in der nächsten Legislaturperiode auch im Gefolge des Konjunkturaufschwungs die finanziellen Voraussetzungen günstig sein werden. ({0}) Jugendpolitik ist in dieser Gesellschaft in der Tat - deswegen sollten wir dem Herrn Kollegen KrollSchlüter für die weiteren Aspekte dankbar sein, die er bringt - mehr als die Fragen, die wir hier diskutiert haben. Sie ist ein Großteil Gesellschaftspolitik. Ich kann nur sagen: Keine Koalition hat mehr für die Sicherung des Friedens, für sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt getan. Keine junge Generation hat unter dem Gesichtspunkt allgemeiner gesellschaftspolitischer Gestaltung dieser Gesellschaft, in der wir leben, günstigere Zukunftschancen in Deutschland gehabt als die Generation, die jetzt lebt. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Ewen.

Carl Ewen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat in ihrer Großen Anfrage bezüglich der Zukunftschancen der jungen Generation in der Bildung und im Beruf den Eindruck erweckt, als sei die Bundesregierung, als sei dieser Bundestag verantwortlich für die Bildung der Jugendlichen in diesem Lande. Tatsache ist doch wohl, daß die Bildungs- und Ausbildungschancen von Kindern und Jugendlichen, angefangen vom Kindergarten und der Vorschule über die Grund- und Hauptschule bis hin zu Gesamtschulen, Realschulen und Gymnasien sowie Hochschulen und Berufsschulen aller Art, von den Initiativen der Länder abhängig sind. Der Bund und die elf Bundesländer haben sich 1973 - wie wir alle wissen - im Bildungsgesamtplan einen Rahmen für die Entwicklung des Bildungswesens gegeben. Leider ist die Ausfüllung dieses Rahmens mit den notwendigen Einrichtungen und der Bereitstellung von Mitarbeitern nicht in dem Umfang erreicht worden, der wünschenswert und notwendig gewesen wäre, um mit den heute und in den nächsten Jahren auf uns eindrängenden Problemen fertig zu werden. Es bedurfte der massiven Anreize durch die Bundesregierung, um den Bau von Berufsschulen voranzutreiben. ({0}) Im Rahmen von Förderprogrammen wurden dafür 101 Million DM und im Rahmen von Konjunkturprogrammen weitere 100 Millionen DM bereitgestellt, davon allein 30 Millionen DM für die berufliche Bildung. Ich glaube, wenn dies in zwei Jahren geschehen ist, dann zeigt das, daß hier ein großer Nachholbedarf gegeben war, den die Länder in der Vergangenheit nicht erfüllt haben. Und ich weiß aus meinem eigenen Bundesland, Herr Gölter, wieviel in den letzten zwei Jahren mit Hilfe dieser Bundesmittel gebaut worden ist. Das neue Ausbildungsplatzförderungsgesetz und der Stufenplan für die Berufsbildung sind die sich ergänzenden Teile eines Konzepts. Es kommt darauf an, daß dem Stufenplan bei seiner Umsetzung in die Wirklichkeit nun auch Priorität eingeräumt wird. Seine Umsetzung in konkrete Bildungsangebote ist der Maßstab, an dem alle Beteiligten gemessen werden. Der Bund hat seine Verpflichtung hinsichtlich der Verwirklichung des Stufenplans sehr ernst genommen. Die Anhebung des Fördersatzes für Modellversuche in der beruflichen Grundbildung auf 90%, die Bereitstellung von 260 Millionen DM bis zum Jahre 1976 für den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten und zusätzlich 80 Millionen DM zur Gewerbeförderung im Handwerk, die Aufstockung der Mittel in der Berufsbildungsforschung auf 20 Millionen DM im Jahr 1976 und die verstärkten Arbeiten an neuen Ausbildungsordnungen, die mit bundeseinheitlichen Rahmenlehrplänen abzustimmen sind, zeigen, daß die Bundesregierung gewillt ist, den ihr aus dem Stufenplan erwachsenden Verpflichtungen nachzukommen. Es wird erwartet, daß auch die Länder ihre Aufgabe und ihren Anteil erfüllen. Die Bundesregierung hat Ländern von 1976 bis 1979 für den Ausbau von Berufsschulen weitere 400 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Der Vorwuf der CDU/CSU-Fraktion in der Großen Anfrage, der Bund statte die Länder finanziell nicht genügend aus, trifft nicht zu und muß als polemische Verschleierung der wahren Verantwortlichkeit der Länder bezeichnet werden. ({1}) Lassen Sie mich ein Wort zu dem Vorwurf des Herrn Ministerpräsidenten des Landes RheinlandPfalz sagen, wir - damit meinte er wohl die Sozialdemokraten - wollten die Jugendlichen in eine vorgefertigte Ideologie pressen. Dies muß doch wohl über Lehrkräfte geschehen. Ich möchte hier ausdrücklich all den Lehrern danken, die als Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei oder als deren Sympathisanten zum Teil seit Jahrzehnten versuchen, den jeweils Unterprivilegierten eine Chance zu eröffnen, sie nicht zur Anpassung an jeweils vorgegebene Sozialstrukturen zu veranlassen; denn dadurch wurden auf der einen Seite wertvolle Kräfte, die in unserem Volk ungenutzt verborgen waren, freigesetzt und in der Wirtschaft, in Wissenschaft und Kunst im Dienstleistungssektor wirksam. ({2}) Andererseits wurden dadurch bis dahin Privilegierte einem für sie oft unbekannten Konkurrenzdruck ausgesetzt, den sie nicht immer erfolgreich bestanden. Wer meint, eine solche auf Veränderung überkommener Verhältnisse bedachte Haltung von Lehrkräften und Bildungspolitikern als Sozialismus verächtlich machen zu können, vergißt, daß zahlreiche junge Menschen in unserem Land erst durch eine sozialdemokratische Bildungspolitik in den Ländern und Gemeinden die Chance erhalten haben, aus verkrusteten Gesellschaftsstrukturen auszubrechen. Sie werden am 3. Oktober wissen, wem sie dies zu verdanken haben, und werden auch entsprechend stimmen. Ein Wort zu dem, was Herr Kultusminister Maier über den Bildungsbericht 1970 gesagt hat. Es tut mir außerordentlich leid, daß dieser Bildungsbericht immer sehr verkürzt zitiert wird. Ich möchte deshalb doch noch einmal vortragen dürfen, was hier unter Punkt 5 - Abitur II verkündet worden ist. Im Laufe der jetzigen Dekade, also von 1970 bis 1980, sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß etwa die Hälfte eines Altersjahrgangs das Abitur II erwerben kann, von der wiederum die Hälfte in den Gesamthochschulbereich eintritt. Entscheidend ist, daß davon die Hälfte in den Gesamthochschulbereich geht. Die anderen waren für berufliche Bildungsgänge und für berufliche Übergänge vorgesehen. Es ging urn Voraussetzungen. Ich glaube, dies muß man sagen; sonst gibt es in der Öffentlichkeit ein schiefes Bild. Noch etwas weiteres dazu. Der Bildungsbericht 1970 ist als Willenserklärung der Bundesregierung in einer Zeit verkündet worden, als die Diskussion um den Bildungsgesamtplan in vollem Gange war. Die Verabschiedung des Bildungsgesamtplans, die Verständigung von Bund und Ländern über diesen Plan haben dann praktisch diesen zur Grundlage der aktuellen Politik gemacht. Ich meine, wir sollten nicht immer auf dem Bildungsbericht herumhacken und den Bildungsgesamtplan vergessen und damit unter Umständen verschleiern, daß auch hier Mängel übriggeblieben sind, die von den Ländern zu verantworten sind. ({3}) Ich will wegen der fortgeschrittenen Zeit nur noch eine Anmerkung zu dem Bereich machen, der im Bildungsgesamtplan festgelegt ist und auf den wir uns eingestellt haben. Danach wollen wir für etwa 14 bis 15" o eines Geburtsjahrgangs studienbezogene Bildungsgänge und für weitere 7 his 9 % Bildungsgänge anbieten, die mit einer beruflichen Qualifikation oder Ausrichtung Ausbildungsgänge im tertiären Bereich eröffnen. Ich meine, dieses Ziel ist nicht übertrieben. Damit bleiben wir unter 25 %, deutlich unter der Quote von Japan, wo sie 38 % beträgt, deutlich auch noch unter der Quote, die Frankreich allgemein anbietet. Ich darf jetzt ein letztes Wort zu den vorliegenden Anträgen sagen. Meine Damen und Herren, wer den Antrag der CDU/CSU-Fraktion genau liest, stellt fest, daß er im wesentlichen dem SiebenPunkte-Programm der Bundesregierung entspricht. Die Bundesregierung hat bereits vor Wochen auf diesem Sektor zu arbeiten begonnen; die Verhandlungen laufen. Wir sehen seitens der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion, für die ich hier mitsprechen darf, nicht ein, daß wir einen Antrag verabschieden sollen, dessen Substanz längst erfüllt wird, der in der Durchführung begriffen ist und außerdem den großen Mangel aufweist, daß er nur einen Bereich des Bildungsgeschehens anspricht, im Gegensatz zum Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP, der alle drei Bereiche Hochschule, berufliche Bildung und die Öffnung des Bildungswesens insgesamt anspricht. Wir meinen, daß wir den Antrag der CDU/CSUFraktion ablehnen sollten, da seine Forderungen im wesentlichen erfüllt sind. Wir sollten den Antrag der Fraktionen von SPD und FDP annehmen, weil er die Aufgaben für die Zukunft umfassender anspricht. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die beiden Entschließungsanträge. Ich lasse zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP zur Großen Anfrage auf Drucksache 7/5533 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Meine Damen und i-Ierren, der Antrag ist angenommen. Ich lasse nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5542 zum gleichen Komplex abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, der Antrag ist abgelehnt. Damit ist die Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Zukunftschancen der jungen Generation in der Bildung und im Beruf abgeschlossen. Ich rufe nunmehr den Punkt 4 der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des Angebots an Ausbildungsplätzen in der Berufsausbildung ({0}) - Drucksache 7/5236 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/5544 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Abgeordneter Westphal bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({2}) - Drucksachen 7/5490, 7/5509 - Berichterstatter: Abgeordneter Engholm Abgeordneter Dr. Gölter Abgeordneter Schedl Abgeordnete Frau Schuchardt Abgeordneter Wüster ({3}) b) Zweite Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung steuerrechtlicher und anderer Fragen der Ausbildungsplatzförderung - Drucksache 7/5237 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/5544 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Abgeordneter Westphal bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({5}) - Drucksachen 7/5490, 7/5509 - Berichterstatter: Abgeordneter Engholm Abgeordneter Dr. Gölter Abgeordneter Schedl Abgeordnete Frau Schuchardt Abgeordneter Wüster ({6}) c) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes - Drucksache 7/5261 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/5544 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Abgeordneter Westphal bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({8}) - Drucksachen 7/5490, 7/5509 -Berichterstatter: Abgeordneter Engholm Abgeordneter Dr. Gölter Abgeordneter Schedl Abgeordnete Frau Schuchardt Abgeordneter Wüster ({9}) d) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({10}) - Drucksache 7/5280 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/5544 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Abgeordneter Westphal bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({12}) - Drucksachen 7/5490, 7/5509 - Berichterstatter: Abgeordneter Engholm Abgeordneter Dr. Gölter Abgeordneter Schedl Abgeordnete Frau Schuchardt Abgeordneter Wüster ({13}) Ich frage, ob eine Ergänzung der vorgelegten Berichte gewünscht wird. - Das ist offensichtlich nicht Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen der Fall. Dann bedanke ich mich bei der Frau Berichterstatterin und den Herren Berichterstattern. Wir treten in die Aussprache in zweiter Beratung ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rappe.

Hermann Rappe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001775, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte um dieses Ausbildungsförderungsgesetz verdanken wir der Opposition und den CDU/CSU-regierten Ländern im Bundesrat. Dieses Parlament hatte ein umfassendes Berufsbildungsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz wurde dann im Bundesrat abgewürgt. Aber das doppelte Spiel wollen wir Ihnen heute gründlich vermiesen. Draußen im Lande erwecken Sie nämlich einen falschen Eindruck. ({0}) Sie bejammern den Mangel an Ausbildungsplätzen vor allem für die kommenden Jahre, beschließen dicke Programme und geben Erklärungen ab, die bei der Bevölkerung den Eindruck erwecken sollen, Sie wollten ihr helfen, und in diesem Hause blockieren Sie gesetzliche Initiativen, die wirklich helfen könnten. Das umfassende Berufsbildungsgesetz haben Sie im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft noch nicht einmal ernsthaft mitberaten, weil Sie von Anfang an - getreu der Anweisung Ihrer Führungsspitze und sicher auch der Anweisung aus München - vorhatten, im Bundesrat dann doch alles zum Scheitern zu. bringen. ({1}) Ganz sicher ist es Ihre eigene Sache, wie Sie Oppositionspolitik auffassen. Wenn Sie in Ihrer Verbissenheit vernünftige Regelungen der Koalition ablehnen, mag das bei Ihrer Interessenpolitik für andere Gruppen noch zu verstehen sein. Sie sind nun einmal so, wie Sie eben strukturiert sind. Aber daß Ihre Verbissenheit so weit geht, daß Sie das Schicksal einiger hunderttausend Jugendlicher und ihrer Eltern mißachten, ist der Ausdruck konservativer und zugleich elitärer Politik. Ihr Interesse an der Chancengleichheit von einigen hunderttausend Jugendlichen ist demnach gleich Null; die Doppelbödigkeit Ihrer Politik ist selten so sichtbar geworden wie in dieser Auseinandersetzung um die berufliche Bildung. ({2}) Sie arbeiten und agieren im Grunde auf der Basis von Legenden. ({3}) Die erste Legende, die Sie in der Öffentlichkeit verbreiten, ist folgende: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - so sagen Sie hat rechtzeitig, und zwar schon im Januar 1975, ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebots vorgelegt; ({4}) die Regierung hat darauf verspätet - erst im Januar -- reagiert. ({5}) Wahr ist folgendes - und das kann man ja in den Protokollen nachlesen -: Schon bei seiner Vorlage Ende Januar 1975 war das Dringlichkeitsprogramm der CDU/CSU überholt, weil alle geforderten Maßnahmen von der Bundesregierung und der Arbeitsverwaltung bereits eingeleitet waren. ({6}) Schon damals war das Programm der Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen, weil der Eindruck erweckt werden sollte, die geforderten Maßnahmen seien erst noch einzuleiten. Ein neuer Vorschlag war damals lediglich der, neue Ausbildungsplätze mit einer Prämie von je 4 000 DM zu fördern. Dieser Kopfprämien-Vorschlag wurde damals von den Koalitionsfraktionen einhellig zurückgewiesen, weil er die Angebotsstruktur auf dem Lehrstellenmarkt erheblich gestört hätte und schon der Ankündigungseffekt bis heute seine negativen Folgen zeigt. Legende Nummer 2, die Sie verbreiten: Das von der Bundesregierung vorgelegte Berufsbildungsgesetz ist auf die einhellige Ablehnung aller Betroffenen und Wissenschaftler gestoßen. ({7}) So argumentieren Sie in der Öffentlichkeit. ({8}) Wahr ist: Hier werden unvereinbare Dinge in einen Topf geworfen. Es ist doch unvergleichbar, wenn beispielsweise auf der einen Seite der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärt hat, nicht alle seine Forderungen seien erfüllt, und auf der anderen Seite der Deutsche Industrie- und Handelstag jeden auch noch so kleinen reformerischen Fortschritt radikal ablehnt. Auch die Stellungnahmen der Wissenschaftler können nur durch eine schwarze Brille als Rundherum-Ablehnung interpretiert werden. In der entscheidenden Phase der parlamentarischen Beratung hat der Deutsche Gewerkschaftsbund in einem Rundschreiben zum 1. Mai folgenden Appell an den Bundesrat gerichtet: Den Gewerkschaften geht es jetzt darum, das Mindestmaß an Weiterentwicklung sicherzustellen. Deshalb appelliert der DGB an den Bundesrat, nicht die Rolle eines Neinsagers in der Berufsbildungsgesetzgebung zu übernehmen. Die Entscheidungen des Bundestages dürfen nicht durch den Bundesrat rückgängig gemacht werden. Der DGB erwartet, daß die CDU/CSU-regierten Länder nicht die bedingungslose Ablehnung des Gesetzes von der Bundestagsfraktion der CDU/CSU übernehmen werden. Wer jetzt noch gesetzliche Regelungen verhindert, setzt sich dem Verdacht aus, Jugendarbeitslosigkeit zu provozieren ({9}) Rappe ({10}) und das Ausbildungsplatzrisiko für die jugendlichen Schulabgänger zu erhöhen. ({11}) Im gleichen Brief stellt der DGB fest, daß das Gesetz eine Weiterentwicklung der Berufsbildungsgesetzgebung darstelle. Die Behauptung der CDU/CSU also ist eine bewußte Täuschung. Es gibt noch eine ganz neue Stimme, auch aus dein gewerkschaftlichen Bereich. Lassen Sie mich die deutsche Postgewerkschaft zitieren. Es heißt hier: In dieser Situation fordern die Gewerkschaften seit Jahren die gesetzliche Regelung eines Finanzierungssystems, - damit ist die neue Regelung wieder gemeint welche die Betriebe verpflichtet, eine bestimmte Summe in einen Berufsbildungsfonds zu zahlen. Die Bundesregierung hat im Entwurf des Berufsbildungsgesetzes die gewerkschaftlichen Forderungen nach einem Finanzierungssystem vom Ansatz her verankert. Wenn allein gewerkschaftliche Stimmen möglicherweise nicht ausreichen, die unhaltbare Position der Opposition deutlich zu machen, dann will ich Ihnen gern noch eine Stimme zitieren - wenn der Herr Präsident es gestattet -, die mehr aus Ihrer eigenen Verwandtschaft kommt. Die Junge Arbeitnehmerschaft des Landesverbandes Rheinland-Pfalz im CDA schrieb an Sie: Königswinter, 23. Mai 1976. Junge Arbeitnehmerschaft zur Umlagefinanzierung zur beruflichen Bildung. Die CDU/CSU-regierten Länder haben das vorn Bundestag verabschiedete Berufsbildungsgesetz im Bundesrat abgelehnt. Damit ist eine gesetzliche Initiative gescheitert, die nach den Beschlüssen des CDU-Parteitags in Hamburg bereits 1973 als unbedingt notwendig erachtet wurde. Die Junge Arbeitnehmerschaft hat kein Verständnis dafür, daß die längst überfällige Reform der beruflichen Bildung aufgehalten wird. Sie wies in einem Schreiben vom 6. Mai an die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-regierten Länder darauf hin, daß es unerträglich und unzumutbar sei, für eine Parteimehrheit zu kämpfen, wenn ein derart wichtiges Gesetz ohne glaubwürdige Alternative abgelehnt würde. Dieses Schreiben umfaßt noch eine ganze Reihe von anderen Teilen an Ihre Adresse. Noch eine Erklärung, die ich bitte, zitieren zu dürfen, von der Deutschen Landjugend an Sie, datiert vom 22. Juni: Der Bund der Deutschen Landjugend verweist im Hinblick auf die Diskussion zum Berufsbildungsgesetz erneut auf seine Stellungnahme zu dieser Frage. Eine zügige Verabschiedung dieses Gesetzesvorhabens ist im Interesse aller Jugendlichen dringend erforderlich. Alle Parteien und Interessenverbände sollten wissen, daß die betroffenen Jugendlichen kein Verständnis dafür aufbringen, wenn parteipolitische Gesichtspunkte und Machtfragen eine weitere Verzögerung oder aber ein Scheitern des Gesetzes zur Folge haben würden. ({12}) Wir appellieren erneut an alle Verantwortlichen, im Interesse der Jugendlichen das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Meine Damen und Herren, wenn Sie heute, so wie Sie es vorhaben, abermals ablehnen werden, dann wenden Sie sich mit Ihrer Haltung auch noch gegen die Sympathisanten Ihrer eigenen Partei, und zwar aus ideologischer Verklemmtheit. Ich will Ihnen eines dazu sagen. Sie betreiben in dieser Berufsbildungspolitik eindeutig Helfershelferpolitik für die Führungsspitze der Arbeitgeberverbände. ({13}) Sie betreiben eindeutig eine Politik gegen die einzelnen Unternehmer, gegen die Klein- und Mittelbetriebe, gegen. die Handwerksmeister. ({14}) Darüber gehen Sie hinweg. Ich könnte mir denken - lassen Sie mich das in dieser Auseinandersetzung anfügen -, daß die Wahlunterstützung der Großbetriebe möglicherweise für sie wichtiger ist als eben die Stimmen aus diesen mittleren Unternehmen und kleineren. Betrieben. ({15}) Mir liegt daran, vor diesem Hause und vor allem vor der Öffentlichkeit folgende Punkte noch einmal klar herauszustellen, auch jetzt für die Beratung dieses Gesetzes und für die bildungspolitische Diskussion im Zusammenhang mit diesem Gesetz draußen im Lande. Diese Feststellung von uns ist zum wiederholten Male notwendig, weil Sie die berufspolitische Diskussion dauernd durch Unterstellungen verunreinigen. ({16}) Erstens. Wir sind für die Beibehaltung des dualen Systems, also Lernort Betrieb und zweiter Lernort Berufsschule. ({17}) - Da gibt es überhaupt nichts anderes zu unterstellen, auch nicht aus ideologischer Verblendung. Zweitens. Wir sind gegen eine Verstaatlichung und also gegen eine Verschulung der Berufsausbildung. Auch dies sollten Sie in der bildungspolitischen Diskussion wahrnehmen und nicht mehr andere Unterstellungen verbreiten. Drittens. Wir sind für Beteiligung und Mitbestimmung aller an der Sache beteiligten Partner bei den notwendigen Einrichtungen, die nach diesem Gesetz geschaffen werden. Viertens. Wir sind für den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungseinrichtungen ({18}) als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung. Dies ist keine Ideologie, sondern Zweckmäßigkeit. Rappe ({19}) Herr Probst, Ihr Zwischenruf zeigt mir, daß Ihre ideologische Brille eben überhaupt nicht weitergeht als bis zum Schornstein oder einer Mauer einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte. ({20}) Sie haben immer noch nicht begriffen, was überbetriebliche Ausbildungsstätten sollen! Fünftens. Die zusätzlichen einigen hunderttausend Jugendlichen, die bis 1984 auf den Arbeitsmarkt aus der Schule kommen, müssen gut ausgebildet werden, zum einen, weil es um die Betroffenen geht, zum anderen, weil es um die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geht. Meine Damen und Herren! Die zur Entscheidung anstehenden Vorlagen der Koalition bestehen aus einem Ausbildungsplatzförderungsgesetz, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, und aus dem am 9. April beschlossenen Berufsbildungsgesetz, mit dem Regelungen über die Finanzierung der Berufsausbildung, über Planung und Statistik sowie das Bundesinstitut für Berufsbildung erneut aufgegriffen werden, und einem Gesetz über steuerrechtliche und andere Fragen der Ausbildungsplatzförderung, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf und vorsieht, daß die Mittel der Ausbildungsplatzförderung bei den Betrieben steuerfrei bleiben und die Länder sich bei der Einziehung der Berufsbildungsabgabe der am besten dafür geeigneten Berufsgenossenschaften bedienen können. Zu dieser Problematik wird mein Kollege Huonker später noch einmal besonders Stellung nehmen. Lassen Sie mich hier abschließend folgende Feststellungen treffen. Wir hätten uns gewünscht, in dieser Legislaturperiode zu einem weitergehenden gesetzgeberischen Fortschritt in der beruflichen Bildung zu kommen, wie er im Berufsbildungsgesetz, das wir am 9. April in diesem Hause verabschiedet hatten, enthalten war. Das ist an der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder gescheitert. Wir wären auch danach noch bereit gewesen, einige wichtige Komplexe erneut aufzugreifen, wie zum Beispiel ein differenziertes Angebot für Behinderte, eine bessere Rahmenregelung für die berufliche Weiterbildung, die Einbeziehung der Seeschiffahrt, die Verbesserung von Aufgabe und Stellung der Ausbilder sowie vertragsrechtliche Fortschritte in der Kooperation mehrerer Ausbildungsbetriebe zur Ausweitung des Ausbildungsplatzangebots. Aber auch hier hat die Starrheit der Opposition uns daran gehindert, weiteren Fortschritt zu erreichen. Die Opposition wird mit sich selbst ausmachen müssen, gegen wen sie ihre fortgesetzte Konfrontation richtet, nämlich nicht nur gegen die Koalition allein, sondern in erster Linie gegen die Mehrheit der Jugendlichen und die Arbeitnehmerschaft, für die eine qualifizierte Berufsausbildung die entscheidende Grundlage des beruflichen und gesellschaftlichen Aufstiegs sowie dafür ist, daß Arbeitsplatzrisiken abgebaut werden können. Wir werden dieses Gesetz, welches die Teile aus dem eigentlich beschlossenen Berufsbildungsgesetz beinhaltet, verabschieden, wahrscheinlich gegen Ihre Stimmen. Wie ich höre, tun Sie uns noch den Gefallen, dafür eine namentliche Abstimmung zu fordern. ({21}) Dies versetzt uns in den Stand, in jedem Wahlkreis dann auch noch offensiv diskutieren zu können, welchen Dienst Sie hier den Jugendlichen und der deutschen Wirtschaft mit Ihrer Ablehnung abermals nach einem zweijährigen Diskussionsprozeß geleistet haben. ({22})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Schedl.

Albert Schedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001948, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Rappe hat uns soeben verkündet, daß Sie diese heutige Debatte der Opposition zu verdanken haben, ihrer Starrköpfigkeit, ihrer doppelbödigen Politik und der Macht, die sie über die zweite Kammer ausübt. Ich glaube, es ist etwas anders, Herr Rappe: Diese heutige Debatte müssen wir führen, weil Sie mit Ihrem Gesetzesvorhaben in diesem Bereich total gescheitert sind. Deswegen müssen wir heute debattieren. ({0}) Sie sind gescheitert, meine verehrten Damen und Herren, weil Sie entgegen allen Ankündigungen sich nicht mit den Betroffenen auf die dringenden und zwingenden Punkte zu einigen versucht haben, sondern weil Sie an weiten Teilen der Betroffenen vorbei, aber auch gerade an den Ländern vorbei versucht haben, eine Gesetzgebung zu machen, mit der Sie dann an den Punkt gekommen sind, der Sie heute veranlaßt, Ihr Gesetz auseinanderzuschnüren und in zwei neuen Teilen vorzulegen. ({1}) - Mindestens die Beteiligten, Herr Kollege Engholm. Aber in Anbetracht der Riesenbeteiligung hier und der vorgerückten Zeit müssen Sie Nachsicht üben, wenn etwas sehr kurz ausfällt. Herr Rappe, Sie haben in Ihrer Rede eine doch beachtliche Mischung geboten zwischen der Aufforderung an uns, unsere Abstimmungshaltung uns noch einmal zu überlegen, damit wir es nicht mit den letzten Sympathisanten im Lande verderben, wie Sie das liebenswürdigerweise ausgedrückt haben, und der anderen Komponente, die am Ende Ihrer Rede lautete: „Nun werden wir hinausgehen ins Land und den Leuten sagen, wer schuld ist, daß es keine Ausbildungsplätze gibt." Herr Rappe, nun komme ich an einen weiteren Punkt. Sie haben hier für Ihre Fraktion ausgeführt, daß wir im Jahre 1975 ein Dringlichkeitsprogramm vorgelegt haben, aber viel zu spät, weil es längst in allen Punkten erfüllt war. Das stimmt doch gar nicht, Herr Rappe, denn die entscheidenden Punkte, z. B. Ansätze der Förderung und des Anreizes für mehr und bessere Ausbildungsplätze, haben Sie ja damals durch Redner Ihrer Fraktion zurückgewiesen, die hier von „Kopfgeldern" gesprochen haben. ({2}) Wenige Wochen später haben Sie dies selber in die Diskussion eingeführt, und wieder wenige Wochen später haben Sie sich dann - nach Monaten des Hin und Her - auf diesen Minimalkompromiß als die großartige Finanzierungsregelung in Ihrem ursprünglichen Gesamtkonzept einigen können. So ist es doch in Wirklichkeit, und jetzt tun Sie so, als ob wir hinter der Entwicklung hergelaufen wären. In Wirklichkeit haben Sie den Kurs mannigfach verändern müssen. Zu dem jetzt vorliegenden Gesetz wäre es reizvoll, auf den Etikettenwechsel hinzuweisen, den Sie betrieben haben. Erst haben Sie die Magna Charta der Berufsbildung vorgelegt, dann haben Sie sich das überlegt, und nun machen Sie ein Ausbildungsplatzförderungsgesetz, ein Gesetz - Herr Kollege Elchlepp, wir haben das doch alle hier mitgemacht-, das Sie in allen Bereichen zusammengeschrumpft haben, um am Bundesrat, an den Ländern, an den Beteiligten vorbeizukommen, und mit dem Sie nun zum zweitenmal so tun wollen, als ob Sie damit eine Chance hätten, draußen Dinge zu verbessern. Zur Finanzierung, Herr Kollege Rappe, haben Sie gemeint, wir hätten hier eine ganz wesentliche Position zu erfüllen gehabt für die Freunde in den Spitzen der Wirtschaft. Dort hätten wir unsere „Klientel", wie Sie das ja immer so schön sagen hier sagen Sie es etwas vornehmer, draußen sagen Sie es noch viel härter -, und für diese hätten wir uns hingestellt. Herr Kollege Rappe, dann muß aber das große Hearing im Herbst und das kleine Hearing in der vorigen Woche an Ihnen offensichtlich völlig vorbeigegangen sein, denn auf die Frage: „Kann mit dem vorliegenden Paket ein Anreiz auch nur für einen Ausbildungsplatz mehr gegeben werden?", Herr Kollege Rappe, gab es doch niemand, der uneingeschränkt erklärte: „Ja!" ({3}) So ist es doch nun einmal. Doch nicht deshalb, Herr Kollege Meinecke, weil dort eine vordergründige Interessenlage vorliegt, sondern ganz einfach deshalb, weil das die gleichen Leute sind, die für die Ausbildung lange Jahre auch viel Geld aus den eigenen Kassen auf den Tisch gelegt haben, die das auch weiter tun, die aber ganz deutlich erklärt haben: Über diese Wege kann es auf keinen Fall mehr und bessere Ausbildungsplätze geben. Auf die Umlagenfinanzierung, meine verehrten Kollegen, wird unser Kollege Gölter in der abschließenden Lesung noch eingehen. Zur Umlagenfinanzierung nur eine Anmerkung. Herr Kollege Rappe, es kann doch überhaupt nicht funktionieren, wenn bei 10% der ausbildenden Betriebe im Bereich des kleinen Teils der Betriebe, die ausbilden, die Finanzierung umgeschichtet werden soll, ganz gleich, wie Sie das im Detail nennen. Das kann nicht den, Effekt auslösen, daß dann eine Anzahl Betriebe mehr ausbilden will. Sie wissen auch, daß es so nicht funktioniert. Sie wollen nur den ersten Schritt in diese Richtung gehen, um dann weiter die Stufen auf einem Weg legen zu können, von dem Sie meinen, daß sie vielleicht irgendwohin kommen, wo es besser und vernünftiger funktionieren könnte. Wenn Sie dann noch so tun, als ob dieses Gesetz eine besondere Mehrzweckwaffe zur Förderung des Handwerks und des Mittelstandes wäre, Herr Kollege Rappe, dann kann ich Ihnen das beim besten Willen nicht abnehmen. Wissen Sie, was Mittelstand und Handwerk wollen? Die wollen endlich, das im Bereich des Vorschriftendickichts einiges von bestehenden Dingen ausgeholzt wird. ({4}) Die wollen eine echte, spürbare Förderung. Die wollen nicht immer neues, umkrempelndes Reglementieren. Dann werden die noch mehr zusätzliche Plätze anbieten, als sie schon in der Vergangenheit angeboten haben. Die verlangen überhaupt kein Geld von Ihnen, von uns, vom Staat. Die verlangen von uns, daß wir Ihre Leistung anerkennen und daß wir ihnen gesetzliche Hilfeleistungen geben. ({5}) - Kollege Gallus, Sie müssen mal mit den Handwerkern reden, dann werden Sie draufkommen, daß ich völlig richtig liege. ({6}) - Meine verehrten Anwesenden, Sie hätten mich nur zu Ende reden lassen sollen. Der entscheidende Punkt ist folgendes: wenn Sie in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit - sie trifft mit den wenigen Jahren zusammen, in denen die großen Fehlzahlen auftreten - die beiden Dinge aneinander spannen wollen, dann gibt es doch - wenn überhaupt - nur Modelle über unseren Steuerweg oder den anderen Weg, den wir - großzügig, wie wir immer sind - Friderichs-Weg bezeichnet haben, nämlich Modelle eines zeitlich begrenzten Anreizes, um damit noch mehr Reserven herauszuholen, als man bisher herausholen konnte. ({7}) - Herr Kollege Engholm, dazu haben wir zu oft diskutiert, als daß ich die große Runde aufhalten müßte, um das im Detail auseinanderzusetzen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogelsang?

Albert Schedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001948, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Kurt Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schedl, darf ich Ihre Äußerungen, die Sie zur Finanzierung gemacht haben, so verstehen, daß Sie überhaupt gegen eine Finanzierung sind und im Gegensatz zu dem stehen, was heute Ministerpräsident Kohl zu dem Parteitagsbeschluß der CDU hier gesagt hat? ({0})

Albert Schedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001948, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Vogelsang, ich bin nicht generell gegen Finanzierungsüberlegungen. Ich bin nur - und ich meine, daß das auch Ministerpräsident Kohl so gesagt hat - der Auffassung, daß es jetzt in erster Linie darum geht, bestehende Plätze sicherzustellen und Wege zu finden, über die wir neue Ausbildungsplätze anbieten können. ({0}) Und für diese Modelle sind Modelle, die über Steuererleichterungen Anreize bieten, die einzige Möglichkeit, nicht aber Finanzierungsmodelle, die Sie im Grunde wegen ganz anderer Überlegungen wollen. Sie wissen doch, daß Sie so nicht mehr Plätze kriegen; Sie wollen diese Modelle doch aus ganz anderen Gründen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie noch eine zweite Frage?

Kurt Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Und wann wollen Sie diese Umlagenfinanzierung machen, wie sie die CDU beschlossen hat?

Albert Schedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001948, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Vogelsang, ich möchte mich nicht auf einen Termin festlegen. Aber ich weiß sicher, daß wir, wenn wir erst einmal wieder auch die wirtschafts- und finanzpolitischen Situationen in diesem Lande in der Hand haben, sehr schnell wieder in Verhältnissen sind, bei denen man über generelle Dinge reden kann; dann sind wir wieder so weit. ({0}) Meine verehrten Damen und Herren, die letzten Punkte, die der Kollege Rappe angesprochen hat, haben mich beeindruckt: „Wir sind für das duale System, gegen Verschulung und Verstaatlichung, für die Beteiligung und Mitbestimmung aller." Ich wundere mich nur, warum Sie den Lehrern an den beruflichen Schulen keinerlei Beteiligung zugestanden haben, wenn Sie alle Betroffenen im Grunde beteiligen wollen. Dies alles, Herr Kollege Rappe, würde uns freuen, wenn wir in der gesetzgeberischen Arbeit mehr und deutlicher verspüren würden, was Sie hier als den letzten Katalog verkündet haben, der nach meinem Eindruck nur so gemeint gewesen sein kann, daß er, gekoppelt mit dem Blick auf die CDU/CSU, die „tolle" Gesetze verhindert hat, dann an die Betroffenen gegeben werden soll, um klarzumachen, wie man in Ihren Reihen darüber denkt. In Wirklichkeit - das möchte ich abschließend sagen haben Sie mit diesem Rumpfgesetz, das man besser als Schrumpfgesetz bezeichnen würde, erneut verdeutlicht, daß Sie Ansätze in Richtungen suchen, die anders sind als unsere Richtung. Unsere Konzeption lautet: wir wollen die bestehenden Gesetze dort verbessern, wo es notwendig ist, sie zu verbessern, wir wollen insgesamt nicht umdrehen und umkrempeln, und wir wollen mehr fördern als reglementieren. Wir meinen, so können wir die Probleme lösen, die im übrigen bei den Platzzahlen auch in vielen Bereichen Ihnen und Ihrer Gesamtwirtschaftspolitik zu verdanken sind. Dies sind wenige Gründe. Sie werden von Kollegen ebenso wie die Anträge noch ausführlicher behandelt werden; aber ich meine, es sind wichtige Gründe, die uns nur veranlassen können, zu dem nun auseinandergeschnürt vorgelegten Paket Nein zu sagen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner. ({0})

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, daß gerade bei der Diskussion um die Zweckmäßigkeit der Finanzierungsregelung noch einmal - obwohl das mehrfach geschehen ist - in aller Klarheit ins Gedächtnis zurückgerufen werden sollte, was die CDU in ihren verschiedenen Stadien eigentlich beschlossen hat. Auf dem Hamburger Parteitag der CDU im November 1973 hieß es: Die jetzige Form der Finanzierung der außerschulischen Berufsbildung durch die ausbildenden Betriebe führt zu Ungerechtigkeiten und zu Strukturverzerrungen. Sie ist durch ein Finanzierungsverfahren zu ersetzen, das die Verbesserung der Ausbildung durch eine gerechte Verteilung der Ausbildungslasten unter Berücksichtigung des Prinzips der Selbstverwaltung gewährleistet. ({0}) So lautete der Hamburger Beschluß der CDU. Diesem Beschluß hat verbal - ich betone verbal - die Bundestagsfraktion der CDU/CSU am 29. März 1974 Rechnung getragen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagte - ich bin gespannt, Herr Gölter, wie Sie Ihre frühere Haltung motivieren, wenn Sie nachher gegen dieses Umlagesystem reden werden -: Die berufliche Bildung ist finanziell so sicherzustellen, daß Ungerechtigkeiten und Strukturverzerrungen abgebaut werden sowie die Verbesserung der Ausbildung durch eine sachgerechte Verteilung der Ausbildungslasten gewährleistet ist. Der zunehmenden Konzentration der Ausbildungsmöglichkeiten in den Ballungsräumen ist zugunsten der ländlichen Gebiete entgegenzuwirken. Die Finanzierung, Verwaltung und Vergabe erfolgen im Rahmen der bestehenden Selbstverwaltung unter Berücksichtigung von regionalen und sektoralen Besonderheiten. 18290 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode Genau das ist in unserer Finanzierungsregelung, die wir heute als eine Hilfe zur Selbsthilfe - zeitlich befristet vorschlagen, als Grundgedanke enthalten. Die CDU/CSU sagt zwar in ihrem Bundestagsfraktionsbeschluß nicht genau, was sie unter „sachgerechter Verteilung der Ausbildungslasten" versteht. Wenn sie aber, was wahrscheinlich ist, mit diesem Vorschlag bezweckt, die gesamten Kosten der außerschulischen beruflichen Bildung auf alle Arbeitgeber umzuverteilen - das ist auch der Sinn des Edding-Vorschlags gewesen , dann würde das bedeuten, daß im Jahre 1977 mindestens 7 Milliarden DM Nettokosten der Ausbildung umgelegt werden müßten. Dieses Modell ist vor dem Hintergrund der Bestätigung durch den Kanzlerkandidaten der CDU, Herrn Kohl, heute hier zu sehen, daß dieses Modell nach wie vor Grundlage der CDU/ CSU-Politik sei; es müsse der Wirtschaft nur einmal besser gehen. Ich meine, es wäre an der Zeit, daß man hier in der CDU/CSU Klarheit schafft, was eigentlich gemeint ist. ({1}) Es geht aber noch weiter. Herr Kohl hat nicht nur hier, sondern auch am 19. Juni 1973 in Rheinland-Pfalz erklärt: Die Landesregierung geht davon aus, daß eine Reform der beruflichen Bildung ein neues Finanzierungssystem verlangt. Dabei wird es notwendig sein, auch jene Betriebe stärker zur Finanzierung der beruflichen Bildung heranzuziehen, die sich nicht unmittelbar an der Ausbildung des für die gesamte Wirtschaft erforderlichen Ausbildungsnachwuchses beteiligen. Genau das ist ein wesentlicher Zweck unseres heute vorliegenden Gesetzentwurfes zur Finanzierungsregelung. In einer Erklärung zu diesem Antrag der CDU/ CSU, Bundestagsdrucksache 7/1908, hat der Herr Kollege Gölter erklärt: Wir bejahen die Notwendigkeit eines Ausgleichs der Ausbildungslasten. Betriebe, die sowohl von der Betriebsgröße wie von der Betriebsstruktur ausbilden könnten, dies aber nicht tun, sollen zu einem finanziellen Ausgleich im Interesse der Betriebe herangezogen werden, die sich der Mühe und der Kosten der Ausbildung unterziehen. ({2}) Vor diesem Hintergrund der Haltung der CDU/ CSU war es ja wohl nicht vermessen, wenn die Regierung bei ihren Überlegungen annehmen konnte, hier auf Verständnis für ihre eigenen Vorschläge rechnen zu können. Daß das nicht geschehen ist, hat sehr viel mit Wahlkampf zu tun, hat sehr viel damit zu tun, daß die Bundestagsfraktion der CDU CSU im Gegensatz zu mancher von CDU- oder CSU-regierten Landesregierung in dieser Debatte praktisch lahmgelegt und nicht bereit war, sich auch an der Diskussion dieser Frage zu beteiligen. Am 17. April 1975 erklärte der Sprecher der Arbeitnehmergruppe in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Fragen der beruflichen Bildung, der Herr Kollege Klein, im „Deutschland-Union-Dienst" : Die vorgeschlagene Finanzierungsregelung bringt keine Lösung des Problems. Die vorgeschlagene Größenordnung ist völlig unzureichend. Dies war bezogen auf unser System. Und nun sehen Sie sich einmal die Vorschläge der CDU: CSU-Bundestagsfraktion vor diesem Hintergrund an, dieses lächerliche völlig undurchdachte und mittelstandsfeindliche Rücklagensystem, mit dem Herr Friderichs ja hier im Bundestag abgerechnet hat. Eine so wenig durchdachte Arbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei einer so wichtigen Frage angesichts großsprecherischer Grundsatzbeschlüsse dürfte wohl ein einmaliger Vorgang sein. ({3}) Aber alle diese Grundsatzbeschlüsse haben die CDU/CSU natürlich nicht gehindert, das Problem, daß hier etwas für zusätzliche und bestehende Ausbildungsplätze getan werden muß, zu beachten; denn immerhin haben sowohl die CDU/CSU-regierten Länder wie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 14. Januar 1976 einen Gesetzentwurf für ein neues Berufsbildungsgesetz im Bundesrat bzw. im Bundestag eingebracht. Dieser Gesetzentwurf enthielt keinerlei - ich betone: keinerlei - Vorschläge zur Finanzierung der beruflichen Bildung. Das noch am 14. Januar 1976 und vor dem Hintergrund sehr weit-tragender Grundsatzbeschlüsse, die vielfach bestätigt: worden sind! Am 20. Februar 1976 hat Kultusminister Vogel, wie heute sinngemäß Kanzlerkandidat Kohl, bezogen auf den Hamburger Parteitagsbeschluß, eine Umlagefinanzierung ohne Einschränkung und ohne zeitliche Begrenzung für alle Betriebe einzuführen, erklärt: In der Sache der Finanzierungsregelung gehen wir nicht von unserem Konzept ab. Aber wir nehmen Rücksicht auf die gegenwärtige wirtschaftspolitische Situation. Man kann darauf zurückkommen, wenn es der Wirtschaft ein wenig besser geht. Das ist die Haltung der CDU/CSU, eine Haltung, die in einem sehr krassen Widerspruch steht zu dem sehr maßvollen, auch von der Belastungswirkung für die Betriebe her wohldosiertes Umlagesystem, das wir heute erneut zur Diskussion stellen, von dem wir nach wie vor hoffen, daß es von der CDU/CSU im Bundesrat akzeptiert wird, gerade im Blick auf die sehr weitgehenden Erklärungen, die heute abgegeben worden sind, und gerade auch im Hinblick darauf, daß sich ja eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation für unsere Betriebe abzeichnet. Es ist jedenfalls völlig unverständlich, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion durch ihren Sprecher, Herrn Pfeifer, die Finanzierungsregelung der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien vor dem Hintergrund einer solchen Diskussion als ein „Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz" bezeichnet. Hier wird sehr deutlich, mit welcher MeParl Staatssekretär Grüner thode der Diffamierung, der Verfälschung und der Ablenkung von der eigenen Grundhaltung tatsächlich gearbeitet worden ist. ({4}) Der Entwurf der Fraktionen der SPD,FDP, der heute zur Diskussion steht, hat das Konzept des Regierungsentwurfs als Grundlage, das ja von Wirtschaftsminister Dr. Friderichs konzipiert worden ist. Im Gegensatz zu den Grundsatzbeschlüssen der CDU/CSU haben wir bei diesem Konzept im Blick auf die Belastung und Belastbarkeit der Wirtschaft sehr bewußt von vornherein eine Beschränkung der Umlage auf 0,25 % der Lohn- und Gehaltssumme vorgesehen. Die Umlage kann bei uns also höchstens 750 Millionen DM erreichen. Bei den weitergehenden, vom Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Gölter, grundsätzlich bestätigten Dauerumverteilungsplänen des Hamburger Parteitags der CDU hingegen wächst die Größenordnung der Umverteilung in mehr als 7 Milliarden DM hinein. Wenn ich mir all das vergegenwärtige, meine ich: Auch heute schon ist die wirtschaftliche Situation gegeben, daß Sie auf unsere Art von Umlage eingehen können. Ich appelliere an die von der CDU oder der CSU regierten Länder, anzuerkennen, daß unsere Finanzierung ein maßvolles System ist, das - und dies ist ganz entscheidend - nur so lange in Kraft sein soll, bis der Ausbildungsplatzmangel beseitigt ist. Es handelt sich nicht um eine Dauerumlage, wie sie 1973 in Hamburg von der CDU beschlossen wurde, sondern lediglich um eine befristete Regelung, solange die Ausbildungsplatznot andauert. ({5}) Natürlich ist es für die Wirtschaft bequemer und angenehmer, eine Subventionierung der Ausbildungsplätze aus Steuermitteln in Anspruch zu nehmen. Minister Friderichs hat zwar angesichts der mangelnden Bereitschaft der CDU/CSU, auf unsere Vorschläge einzugehen, in einem Stadium, als wir befürchten mußten, mit unserem Umlagesystem wegen des Neins der CDU/CSU im Bundesrat zu scheitern, ein Zulagesystem als Möglichkeit angedeutet. Aber er hat dies nur deshalb getan, um klarzumachen, daß auf jeden Fall etwas geschehen muß und daß selbstverständlich auch in den Augen der Bundesregierung eine auf Steuermittel zurückgreifende Lösung besser als gar keine Lösung ist. Doch wir sehen sehr klar, daß die jetzt von Ihnen vorgelegte Regelung einer nach dem Investitionszulagengesetz geregelten Zulage für zusätzliche Ausbildungsplätze, die in der Grundkonzeption durchaus auf unsere Überlegungen zurückkommt, eine außerordentlich große Gefahr einschließt, die uns und den Wirtschaftsminister veranlaßt hat, das Umlagesystem als eine Hilfe zur Selbsthilfe für besser und richtiger zu halten, weil wir befürchten, daß wir von einer steuerlichen Subventionierung der Ausbildungsplätze nicht mehr herunterkommen. Zumal vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, warum der jetzt vorliegende Antrag der CDU/CSU keine zeitliche Begrenzung enthält. Wie ist das mit der Erklärung Ihres Kanzlerkandidaten in Einklang zu bringen, er gedenke ein Umlagesystem einzuführen, wenn die Wirtschaft dieses Umlagesystem nach seiner Meinung verkraften kann? Daß die Spitzenverbände der Wirtschaft dieses Umlagesystem ablehnen, kann man nur vor dem Hintergrund sehen, daß der Wirtschaft im Augenblick nicht klar ist, welche weitergehenden Vorschläge im Umlagebereich die CDU/CSU verfolgt, die Herr Kohl heute nochmal bestätigt hat. Außerdem haben die Spitzenverbände - in ordnungspolitisch bedenklicher Kurzsichtigkeit - es ihren Mitgliedern, insbesondere den Großbetrieben, gegenüber leichter, wenn aus der Tasche des Steuerzahlers Ausbildungsplätze finanziert werden, als wenn kleine und mittlere Unternehmen im Wege einer Umlage zu Lasten der Großbetriebe eine auf Zeit befristete Unterstützung erhalten. Das ist der Kernpunkt der Ablehnung unserer Vorschläge durch die Wirtschaft. Die Vorteile des hier konzipierten Umlagesystems sind in folgenden wesentlichen Punkten zu sehen: Frstens. Hier wird eine Hilfe zur Selbsthilfe angeboten, weil mit der Umlage die Wirtschaft selbst benötigte Ausbildungsplätze finanziert und weil mit der zeitlichen Befristung dieser Umlage sichergestellt ist, daß in der Wirtschaft ein Interesse am Wegfall dieser Umlage bestehen bleibt. ({6}) Es sind grundsätzliche Erwägungen gewesen, die uns bei unseren Überlegungen, etwa im Bundeswirtschaftsministerium, davon abgehalten haben, hier eine populärere und einfacherere steuerliche Regelung ins Auge zu fassen: weil wir den Einstieg des Staates in die berufliche Bildung mit einer Steuersubventionierung nicht haben wollen. ({7}) - Nein, ich muß da nicht lachen. Denn der ganze Kampf der Wirtschaft wird vor dem Hintergrund der Besorgnis geführt, daß die berufliche Bildung ein Monopol des Staates werden könnte. Ich möchte einmal den Staat sehen, der die berufliche Bildung in einer solchen Weise auf Dauer finanziert, wie das in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist, ohne früher oder später die entsprechenden Eingriffsmöglichkeiten zu verlangen. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Probst?

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Bitte sehr!

Dr. Albert Probst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001752, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß es ein staatlicher Eingriff ist, wenn Sie das Geld zwar bei der Wirtschaft einziehen, es dann aber - es handelt sich ja um fremdes Geld - ganz allein durch den Staat verteilen lassen? Sie machen das gleiche, nur mit dem Geld der anderen. ({0})

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Herr Kollege Probst, das stimmt ja nicht. Denn erstens machen wir eine befristete Regelung, die automatisch außer Kraft tritt, wenn der Ausbildungsplatzmangel beseitigt ist. Zweitens wird diese Umlageregelung, weil sie die Wirtschaft belastet, mit dazu beitragen, daß an deren Abschaffung ein wirtschaftliches Interesse besteht, während bei jeder steuerlichen Subventionierung, wie wir alle wissen, dieses Interesse in Wegfall kommt und wir uns dann der Forderung gegenüber sähen, das zu perpetuieren. Das ist doch der entscheidende Unterschied. Niemand kann diesen entscheidenden Unterschied leugnen. Zweiter wesentlicher Vorteil: Unser Finanzierungssystem ist mittelstandsfeindlich, weil wir mit einem Freibetrag von 400 000 DM der Lohn- und Gehaltssumme etwa 94 % aller handwerklichen Betriebe von der Umlage von vornherein freistellen, sie aber mit den finanziellen Hilfen selbstverständlich begünstigen. ({0}) Es fällt mir überhaupt nicht schwer, dieses Konzept in jeder Handwerkerversammlung zu erklären mit dem Schlußergebnis, daß die Handwerker erstaunt fragen: Warum erfahren wir eigentlich nicht, daß das so ist? ({1}) Meine Damen und Herren, diese Freibetragsregelung bedeutet aber auch eine Entlastung der Betriebe, die klein sind. Denn 400 000 DM Freibetrag stehen in jedem Fall zur Verfügung. Auch der Betrieb, der eine Lohn- und Gehaltssumme von 600 000 DM hat, profitiert wie jeder Betrieb von der Freibetragsregelung. Nur 200 000 DM werden damit umlagepflichtig. ({2}) Damit ist ein entscheidendes Instrument geschaffen. Zwei Drittel der Ausbildungsplätze werden ja von kleinen und mittleren Betrieben zur Verfügung gestellt. Uns kam es darauf an, gerade in diesem Bereich die Bereitschaft, mehr Plätze anzubieten, zu stärken. Denn das Quantitätsproblem werden wir nur auf diese Art und Weise lösen können. Dritter Vorteil: Jeder Betrieb bekommt für jeden zusätzlichen Ausbildungsplatz eine Zulage, die wir im Durchschnitt auf 5 000 DM berechnet haben. Das ist eine Durchschnittszahl. Aber auch bestehende Ausbildungsplätze, die wieder besetzt werden, werden begünstigt, wenn auch mit einem geringeren Betrag. Damit ist sichergestellt, was in der Diskussion vielfach übersehen wird, daß gerade die ausbildungsintensiven Betriebe, auch wenn sie zur Umlage herangezogen werden, in aller Regel eine Entlastung erfahren. Nur bei Großbetrieben ist eine andere Regelung denkbar. Vierter Punkt: Wir haben - das haben Sie ja nun in Ihrem Entwurf ebenfalls von uns übernommen - eine Differenzierung der Prämien für zusätzliche und für bestehende Ausbildungsplätze nach den Kosten der Ausbildung vorgenommen, weil wir haben wollen, daß auch teure Ausbildungsplätze in zusätzlichem Umfange angeboten oder erhalten werden. Wir sind der Meinung, daß bei der Bemessung der Prämien Rücksicht darauf zu nehmen ist, wie hoch die Kosten des Ausbildungsplatzes tatsächlich sind. Diese Differenzierungsregelung haben Sie sich glücklicherweise jetzt auch in Ihrem Gesetzentwurf zu eigen gemacht. Letzter und entscheidender Vorteil, den ich noch einmal nachdrücklich wiederhole und der sich von Ihren Vorschlägen diametral unterscheidet: Unsere Ausbildungsplatzfinanzierungsregelung ist eine befristete Regelung. Sie ist eine Regelung, die als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht ist, und unser hier vorliegender Gesetzentwurf sieht vor, daß, wenn die Ausbildungsplatznot beseitigt ist, diese Finanzierung zu Ende geht. Jedes Jahr muß die Bundesregierung erneut entscheiden, ob noch Ausbildungsplatzmangel gegeben ist. Nur wenn sie feststellt, daß dies der Fall ist, bleiben Umlage und Prämien. Sonst entfallen sie. Das ist im Gesetzentwurf geregelt im Gegensatz zu dem, was Sie heute hier im Bundestag mit Ihrer Zulagenregelung vorgelegt haben, und im Gegensatz zu Ihren Grundsatzbeschlüssen von Hamburg, die Ministerpräsident Kohl heute noch einmal bestätigt hat. Vor diesem Hintergrund - so meine ich - müßte es doch überzeugend sein, daß wir hier einen Weg beschritten haben, der für Sie gangbar sein sollte im Interesse unserer Jugendlichen. Wir haben die Diskussion nicht zu scheuen. Es kommt darauf an, daß man diesen gemeinsamen Weg, der denkbar ist, geht. Wenn Sie an Ihren Hamburger Grundsatzbeschlüssen festhalten wollen, dann müssen Sie auch vor den Augen der Betroffenen zugeben, daß das, was hier die Regierung vorgelegt hat, in der Belastungswirkung für die Wirtschaft, aber auch in dem Grundgedanken der Hilfe zur Selbsthilfe wesentlich effektiver ist. Es kann wesentlich mehr dazu beitragen, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, als ein System, mit dem Sie hier heute noch einmal gearbeitet haben, nämlich ein auf Dauer angelegtes System der Umlage aller betrieblichen Ausbildungskosten mit einer Umverteilungswirkung in der Größenordnung von 7 Milliarden bis 10 Milliarden DM. Ich glaube, wenn die Wirtschaft wüßte, wie hier die Alternativen tatsächlich sind, dann hätten wir auch von da her ein anderes Echo. Denn diese Alternative muß man dort erst noch einmal klarmachen, um überzeugend darlegen zu können, daß wir hier auf dem richtigen Wege sind. ({3}) Ich bitte darum, daß Sie das überlegen und daß Sie daraus die Konsequenzen ziehen, so daß wir damit noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 255. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Juni 197G 18293 kommen, mit der wir vor die Bevölkerung treten und sagen können, daß die Parteien im Deutschen Bundestag trotz Wahlkampfes einen gemeinsamen Weg beschritten haben. Ich bin der Überzeugung, daß wir auf diesem Weg das Ziel, nämlich mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, also eine große gesellschaftspolitische Notwendigkeit, auch erreichen werden. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Huonker.

Gunter Huonker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000981, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß der Herr Kollege Schedl nicht mehr auf die Frage eingegangen ist, wie man durch Interpretationstricks vielleicht doch noch erreichen könnte, dem Gesetz, das jetzt zur Abstimmung steht, den Anschein zu geben, daß es der Zustimmung des Bundesrates bedürfe. Nachdem Sie von der Opposition nach zweijähriger Diskussion plötzlich am 9. Juni 1976 - und zwar nicht die Finanzpolitiker, die mitberatend tätig waren, sondern die Bildungspolitiker - Zweifel daran entdeckt haben, ob es sich bei dieser Abgabe um eine Steuer oder um eine wirtschaftslenkende Abgabe handelt, freut es mich doch, daß Sie nun die Sache erneut überlegt, ganz offenkundig auch einmal in einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hineingesehen haben und deshalb von diesem Dampfer wieder heruntergekommen sind und das Problem heute nicht mehr angesprochen haben. Schönen Dank; das spart uns eine Menge Zeit! ({0}) Die CDU - das ist schon häufiger gesagt worden hat sich ja bekanntlich auf ihrem Hamburger Parteitag auch für einen Lastenausgleich zwischenbetrieblicher Art ausgesprochen. Nur zeigt sich wieder: Wenn immer es darum geht, etwas für richtig Erkanntes gegen starken Widerstand aus Kreisen der Wirtschaft durchzusetzen, beugt sich die Opposition diesen Kräften. So auch - das haben wir ja gehört - bei der Berufsbildungsfinanzierung. Statt dessen brachte die Union das ist ziemlich einmalig nicht weniger als vier Finanzierungsmodelle ins Gespräch ({1}) - ja, es traten noch ein paar Alternativen hinzu - nach dem Prinzip: Jeder soll sich aus der Diskussion das heraussuchen, was für ihn gerade das Genehmste ist. Da man das aber nicht bis zu dem Tag, an dem im Bundestag abgestimmt wird, durchhalten kann, hat sich die Union jetzt schließlich doch auf einen Vorschlag geeinigt. Aber eines will ich hier sagen: Alle Modelle der Union haben einen gemeinsamen Nenner: Nicht Teile der Wirtschaft sollen zur Sicherung und Ausweitung der betrieblichen Ausbildungskapazität und damit für die von den Unternehmern künftig benötigten Fachleute einen finanziellen Beitrag leisten, sondern zahlen soll wie immer, wenn Sie Forderungen aufstellen, im Endergebnis der Steuerzahler. ({2}) Wer weiß, welche Anträge mit finanzwirtschaftlichen Auswirkungen die Opposition in den letzten Wochen im Bundestag gestellt hat - ich erinnere allein an das sogenannte strukturpolitische Aktionsprogramm für den Mittelstand mit mittelfristigen Steuerausfällen von 7 Milliarden DM pro Jahr -, dem drängt sich so allmählich als finanzpolitisches Credo der Unionsparteien im Wahlkampf der Eindruck auf, daß man alle Steuern abschaffen und an ihrer Stelle für jedermann Finanzhilfen einführen solle. Daß dies nicht zusammenpaßt, ist klar. Ich will, nachdem über die verschiedenen Modelle einiges gesagt worden ist, darauf nicht zurückkommen. Nur eines möchte ich betonen. Ich freue mich, daß in der Zwischenzeit auch die CDU unter dem Eindruck der Anhörung gemerkt hat, daß das Finanzierungsmodell, das mit der Rücklage arbeitete, ein ausgesprochen mittelstandsfeindliches Modell war und unter dem Druck der Anhörung dieses Modell dann zurückgezogen hat. Daß auch alle anderen Modelle der Union Mängel haben, ist hier schon gesagt worden. Auch das Modell, auf das Sie sich jetzt geeinigt haben, ein Zulagenmodell, hat gravierende Mängel. Auf diese will ich hier nicht erneut eingehen, sondern nur eines feststellen: Der Hauptmangel ist der, daß nicht die Wirtschaft, die qualifizierte Fachleute braucht, die betrieblichen Ausbildungskosten allein, sondern nach Ihrem Modell zu einem wesentlichen Teil der Steuerzahler tragen soll. Dabei bedarf es doch, meine Damen und Herren, allergrößter Anstrengungen, unser Berufsschulwesen in Ordnung zu bringen, wenn jede vierte Stunde in der Berufsschule ausfällt. ({3}) Sie sagen, auf der einen Seite, der Staat gebe zuviel aus, und fordern laufend Mehrausgaben. Auf der anderen Seite verweigern Sie dem Staat die notwendigen Mehreinnahmen. Dazu kann ich nur sagen: Auch Ihre Politik auf dem Gebiet der Berufsausbildung paßt hinten und vorn nicht zusammen. Die Opposition und Teile der Wirtschaft bringen immer wieder das Argument vor, aus psychologisch-klimatischen Gründen seien zur Sicherung und Ausweitung der Arbeitsplatzkapazität Steuererleichterungen oder Zulagen besser als unser Finanzierungsmodell. Dazu kann ich nur erneut feststellen: Wenn die Wirtschaft vor die Frage gestellt wird, ob sie lieber eine Abgabe zahlt oder Steuererleichterungen oder Finanzhilfen empfängt, dann darf sich doch niemand wundern, daß sie sich gegen eine Abgabe ausspricht. Das ist völlig normal. Deshalb ist das, was die CDU hier treibt, in Wirklichkeit eine unwahrhaftige Alternative, und zwar nicht nur gegenüber dem Steuerzahler, sondern auch und insbesondere gegenüber der jungen Generation. Unser Finanzierungssystem des zwischenbetrieblichen Lastenausgleichs ist sachgerecht und nützt ganz besonders dem Handwerk. Es ist doch eine Binsenweisheit, daß das Handwerk die Hauptlast der beruflichen Bildung trägt, daß aber ein Großteil derer, die im Handwerk ausgebildet werden, nach18294 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 255. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Juni l976 her in die Industrie oder den Dienstleistungssektor abwandern. Aus einer Untersuchung aus dem Jahre 1970 wissen wir, daß die Industrie, wenn sie alle Fachleute, die sie beschäftigt, selber ausbilden würde, ihr Angebot an Ausbildungsplätzen verdoppeln müßte. Weil wir auf der anderen Seite wissen, daß fast eine halbe Million junger Menschen in Betrieben ausgebildet werden, die mit Sicherheit nicht abgabepflichtig sind, die aber etwas aus dem Fonds bekommen, stelle ich hier noch einmal eindeutig fest: Unser Finanzierungssystem ist mittelstandsfreundlich, und zwar ganz besonders im Interesse des Handwerks. Das Aha-Erlebnis bei Gesprächen mit Handwerkern, von dem Staatssekretär Grüner sprach, habe auch ich schon beobachtet. Ich frage mich manchmal - wenn ich das hier in aller Offenheit sagen darf -: Woher kommt es wohl, daß die Mehrzahl der Handwerker, die durch unser Gesetz nur begünstigt und nicht belastet werden, noch immer in der Meinung gehalten werden, dieses Gesetz laufe ihren Interessen zuwider? Ich habe den Verdacht, daß von der einen oder anderen Stelle aus politischen Gründen diese Kreise bewußt falsch informiert werden im Hinblick auf den 3. Oktober. ({4}) Ich komme zum Schluß. Unser Finanzierungssystem und damit das gesamte Gesetz ist sachgerecht. Es ist insbesondere mittelstandsfreundlich und dient dem Handwerk. Deswegen werden wir diesem Gesetz zustimmen und - aber darüber wird noch zu reden sein - den Antrag der Opposition ablehnen. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, zur allgemeinen Aussprache in der zweiten Beratung liegt mir keine Wortmeldung mehr vor. Ich schließe daher die allgemeine Beratung. Wir kommen zur Einzelberatung. Zu den Kapiteln 1 und 2 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Hornhues das Wort.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe hier für meine Fraktion den Änderungsantrag zu begründen, der Ihnen auf Drucksache 7/5543 vorliegt und in der Sache drei Teile enthält, drei wesentliche Schwerpunkte, die gleichzeitig auch Inhalt des Ihnen vorliegenden und jetzt gleich zur Abstimmung anstehenden Rumpf- oder Restgesetzes der SPD/FDP-Koalition sind. Es geht um den Punkt der Finanzierungsregelung, die eben hier schon ausführlich angesprochen wurde, es geht um den Punkt, wie berufliche Bildung und betriebliche Ausbildung koordiniert werden, und es geht schließlich um den Punkt einer möglichst optimalen Berufsbildungsstatistik. In allen drei Punkten sind wir der Auffassung, daß die in unserem Änderungsantrag enthaltenen Vorschläge den Vorschlägen der Koalitionsfraktionen in der Sache überlegen sind. Lassen Sie mich dies in aller Kürze begründen. Erstens. In bezug auf die Berufsbildungsstatistik sind wir der schon wiederholt geäußerten Auffassung, daß die im Koalitionsentwurf vorgesehene Regelung zu perfektionistisch ist. Es werden Erhebungen gefordert und Daten erbeten, die weit über das notwendige Maß hinausgehen und deswegen zu Recht befürchten lassen, daß dabei unnötig hohe Kosten entstehen und eine überzogene bürokratische Belastung die Konsequenz sein wird. Manchmal, wenn man den Katalog durchgeht, hat man den Eindruck, als fehle nur noch die Frage nach der Schuhgröße oder nach anderen persönlichen Daten von Personen, die gefragt und ausgefragt werden sollen. Wir meinen, daß das, was wir in unserem Änderungsvorschlag vorschlagen, die bessere Lösung ist, weil sie diese genannten Schwächen nicht hat, uns andererseits aber alle Daten bringt, die wir für eine gute Berufsbildungsstatistik benötigen. Der zweite Teil unseres Änderungsantrags beschäftigt sich mit dem Problem der Abstimmung von beruflicher Ausbildung und dem, was in der Berufsschule passiert. Ich glaube, es ist zwischen allen Fraktionen in diesem Hause unbestritten, daß diese Dinge besser als bisher miteinander abgestimmt werden müssen, daß die Lehrpläne der Berufsschulen einerseits und die Ausbildungsordnung andererseits koordiniert werden müssen, und zwar so früh und so gut wie möglich. Ich glaube, darüber gibt es keinen Streit. Ich will auch darauf verzichten, an dieser Stelle dieses Problem durch einige sehr drastische Beispiele, die man hier an sich bringen könnte, zu vertiefen, und zwar deshalb, weil ich auf die Kollegen Rücksicht nehmen möchte, die wie der Kollege Breidbach nur noch auf die namentliche Abstimmung warten. Die Lösung, die von der Bundesregierung vorgeschlagen wird, heißt Berufsbildungsinstitut und bedeutet letztlich mit Blick auf die Materie, in der die Kompetenzen in der Sache auf Bund und Länder verteilt sind, daß hier ein Bundesinstitut gebildet wurde, in welches die Länder kommen dürfen, um sich koordinieren zu lassen, und zwar in einem Unterausschuß des Hauptausschusses. Meine Damen und Herren, man kann sich über die Kompetenzen der Länder ärgern. Ich muß Ihnen ehrlich gestehen: Ab und zu tue ich dies auch, wenn so mancher Ländervertreter gern die Bestimmung „nur mit Zustimmung des Bundesrats" hineinschreibt. Aber wir müssen hier, glaube ich, mit einer bestimmten Verfassungswirklichkeit leben, und da hat es keinen Zweck, den Versuch zu machen, die Länder in ein institut einzubinden, das dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im wörtlichen Sinne untersteht. Die einzige Lösung, die tatsächlich für die Zukunft gute Ergebnisse bringen kann, bietet unser Vorschlag, eine Zentralstelle für berufliche Bildung einzurichten, weil es nur so möglich ist, daß es partnerschaftlich zwischen Bund und Ländern tatsächlich zu einer sinnvollen Koordination von Lehrplänen und Ausbildungsordnungen kommt, und zwar, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht erst dann, wenn alles fertig ist und jeder für sich sein Süppchen gekocht hat, sondern von Anfang an. ({0}) Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Dr. Hornhues Daneben wird es notwendig sein - und ich glaube, auch in dieser Hinsicht ist unser Vorschlag mit der Zentralstelle überlegen -, den Sachverstand ausreichend mit einzubeziehen. Und wenn man von Sachverstand spricht, kann man beim besten Willen nicht die Berufsschullehrer draußen vor der Tür stehen lassen; sie gehören mit an den Tisch. ({1}) Aus den genannten Gründen - und es wären noch einige mehr zu nennen meinen wir, daß unser Vorschlag mit der Zentralstelle Ihrem Vorschlag des Bundesinstituts in der Sache ganz konkret überlegen ist. ({2}) Zum dritten geht es um das Problem, um das in den letzten Wochen und Monaten immer wieder diskutiert worden ist und auf das sich alles zugespitzt hat, nämlich uni die Frage der Finanzierung der beruflichen Bildung unter dem Thema „Mehr Ausbildungsplätze für junge Menschen". Dazu ist eben einiges gesagt worden; für unsere Fraktion hat der Kollege Schedl dazu Wichtiges gesagt. Ich bin Herrn Grüner an sich dafür dankbar, daß er zu diesem Problem relativ sachlich Stellung bezogen hat und daß er sich der reinen Polemik des Herrn Kollegen Rappe doch nicht voll hat anschließen können. Nur, meine sehr geehrten Damen und Herren, wer immer sich mit diesem Problem noch einmal konkret beschäftigt, wird sich der Frage stellen müssen: Ist es überhaupt möglich, durch ein Finanzierungssystem zusätzliche Ausbildungsplätze zu bekommen, und wenn ja, wie viele können das denn werden? Nun will ich gar nicht verschweigen, daß ich durchaus meine Zweifel daran habe, ob dies tatsächlich gelingen kann. Ich glaube, es wird gelingen, aber die entscheidende Frage ist: Kann irgend jemand in diesem Haus sagen, durch wie viele Milliarden oder Millionen - oder welche Beträge auch immer - tatsächlich am Ende wie viele zusätzliche Ausbildungsplätze zustande kommen? Wenn Sie sich dieser Frage stellen, wird niemand von Ihnen hier im Hause in der Lage sein, auch nur eine halbwegs abgesicherte konkrete Zahl zu nennen. ({3}) Wenn dies so ist - und es ist so, meine sehr geehrten Damen und Herren -, ist es allerdings um so wichtiger, daß man sich bei allen Finanzierungsmodellen der Frage zuwendet: Beinhalten diese Modelle Effekte, die unter Umständen dazu führen, daß durch das Finanzierungssystem Ausbildungsbetriebe veranlaßt werden, ganz oder teilweise Ausbildungsplätze zu reduzieren oder sie ganz wegzugeben? ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Einen Augenblick! Herr Kollege, Sie haben es sehr schwer. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch, sich hinzusetzen. ({0}) Wir sind in der Beratung, und ich bitte doch, dem Redner zuzuhören.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage ist also bei jedem Finanzierungssystem: Ist es frei von Effekten, die bewirken können, daß aus dem System selbst heraus Ausbildungsbetriebe veranlaßt werden, ihre Ausbildungskapazitäten zu reduzieren? Auch hier will ich mir - um auch Ihrem Bedürfnis, daß ich Schluß mache, entgegenzukommen - die Einzeldarlegungen sparen. Nur, wer dies in der Sache Punkt um Punkt nüchtern prüft, muß zu dem Ergebnis kommen, daß die Umlagefinanzierung, wie sie uns hier erneut vorgeschlagen worden ist, genau dieses Element mit beinhaltet. ({0}) Es bedeutet konkret, daß für eine Reihe von Ausbildungsbetrieben die Ausbildung verteuert wird, und die logische Konsequenz einer Verteuerung der Ausbildung ist nach meinen bisherigen Überlegungen immer die gewesen, daß man darauf reagiert. Und die Reaktion wird wohl kaum die sein, daß man die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht, sondern die, daß man diese Zahl dann vermutlich reduziert. ({1}) Das, Herr Staatssekretär Grüner, ist genau der Kernpunkt, weswegen wir nach langen Diskussionen, nach langem Hin und Her - wir gestehen zu, daß wir es uns mit dieser Frage nicht leicht gemacht haben, nicht so leicht wie Sie, die Sie sehr schnell Ihr Glückskind, mit dem Sie alle Probleme lösen wollten, gefunden haben - am Ende den Vorschlag aufgegriffen haben, der aus Ihrem Hause stammt, der von Ihrem Minister auf den Tisch gelegt worden ist und von dem wir meinen, daß er sicherlich auch seine Schwächen hat, daß er aber in dieser Situation, in der wir uns befinden, die einzige Möglichkeit darstellt, ein Finanzierungssystem einzurichten, das mit Sicherheit eines nicht hat, nämlich negative Auswirkungen auf die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen. ({2}) Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist der Kernpunkt, warum wir Ihrer Bitte und Ihrer Aufforderung, Ihren Vorschlägen zuzustimmen, nicht nachkommen können und hier unseren Änderungsantrag stellen. Für den Teil unseres Änderungsantrages, der die Finanzierung der beruflichen Bildung betrifft, darf ich namens der CDU/CSU-Fraktion die lang erwartete namentliche Abstimmung beantragen. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt. Meine Damen und Herren, es ist kurze Redezeit beantragt. Es wäre für uns alle gut, wenn sie in möglichster Ruhe abgewickelt werden könnte.

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich kann eine allgemeine Beruhigung aussprechen: Ich werde nicht lange reden. Die Opposition war heute in einer umfassenden Debatte angetreten, den Jugendlichen mitzuteilen, wie sehr sie um sie besorgt sei. Wir stellen fest: Was die Finanzierung der beruflichen Bildung anbelangt, haben es eine ganze Fraktion, sechs Finanzminister und sechs Kultusminister in den Ländern nicht fertiggebracht, ein Finanzierungsmodell zu entwickeln, das auch tatsächlich anwendbar ist und vor allem dem nützt, dem es nützen soll. Man mußte deshalb also eine Anleihe nehmen, die im wesentlichen aus dem Regierungsentwurf und jetzigen Koalitionsentwurf genommen wurde. Meine Damen und Herren, die CDU hat sich jetzt auf ein Finanzierungsmodell geeinigt, in dem sie den ganzen Vergabeteil im Prinzip aus dem Koalitionsentwurf entnommen hat. Ihr Finanzierungsmodell unterschiedet sich lediglich dadurch, daß dieses aus Steuermitteln und nicht aus der Umlage der Wirtschaft bezahlt werden soll. Auf die Dauerlösung ist bereits hingewiesen worden. Sie ergibt sich daraus, daß hier keine zeitliche Begrenzung angeführt ist. Zweitens hat die CDU in ihrem Antrag nicht einmal ein Aufgreifkriterium. Das heißt, sie zahlt selbst dann Steuermittel, wenn es eigentlich gar nicht notwendig ist. Meine Damen und Herren, im Anhörverfahren ist deutlich geworden, daß die Verbände doch mehr die Interessen der Großunternehmen als die kleiner Unternehmen wahrgenommen haben. Ich meine, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich selbst das Handwerk dazu entschieden hat, lieber die 5 % seiner Unternehmen zu schonen, die Abgaben zu zahlen haben, als die 95 % der Betriebe, die keine Abgabe zahlen, sehr wohl aber für die Ausbildung etwas bekommen, zu vertreten. Wir bedauern dies sehr. Wir bitten Sie, den Antrag der Union abzulehnen und dem Entwurf der Koalition zuzustimmen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren! Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich muß jetzt einmal fragen: Sollen wir über den ganzen Änderungsantrag namentlich abstimmen oder nur über Abschnitt I? Wie soll das gehandhabt werden? ({0}) - Nur über Abschnitt I. Ich rufe also das erste Kapitel des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes - Nr. 1 des Ausschußantrags - auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/5543 Abschnitt I vor. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag zustimmen will, stimmt mit Ja, wer % ablehnen will, mit Nein. Meine Damen und Herren, das Abstimmungsergebnis liegt vor. Insgesamt haben 374 uneingeschränkt stimmberechtigte und 19 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Mit Ja haben 155 uneingeschränkt stimmberechtigte und 7 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 219 uneingeschränkt stimmberechtigte und 12 Berliner Abgeordnete. Enthaltungen sind nicht vorhanden. Ergebnis Abgegebene Stimmen 374 und 19 Berliner Abgeordnete; davon ja: 155 und 7 Berliner Abgeordnete, nein: 219 und 12 Berliner Abgeordnete Ja CDU/CSU Dr. Abelein Alber von Alten-Nordheim Dr. Althammer Baier Dr. Becher ({1}) Dr. Becker ({2}) Frau Benedix Benz Berger Bewerunge Biechele Biehle von Bockelberg Böhm ({3}) Breidbach Bremer Carstens ({4}) Dr. Czaja Damm Dr. Dollinger Eilers ({5}) Engelsberger Erhard ({6}) Ernesti Dr. Evers Dr. Eyrich Freiherr von Fircks Franke ({7}) Dr. Franz Dr. Fuchs Geisenhofer Gerlach ({8}) Gerster ({9}) Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz Dr. Graß Haase ({10}) Dr. Häfele Handlos von Hassel Hauser ({11}) Dr. Hauser ({12}) Dr. Heck Höcherl Hösl Horstmeier Frau Hürland Dr. Hupka Hussing Dr. Jaeger Jäger ({13}) Dr. Jahn ({14}) Dr. Jahn ({15}) Dr. Jobst Dr. Kempfler Kiechle Dr. Klein ({16}) Dr. Klein ({17}) Dr. Kliesing Dr. Köhler ({18}) Dr. Köhler ({19}) Köster Krampe Kroll-Schlüter Lagershausen Lampersbach Lenzer Link Löher Dr. Luda Maucher Dr. Mertes ({20}) Dr. Miltner Möller ({21}) Dr. Müller ({22}) Müller ({23}) Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Dr.-Ing. Oldenstädt Orgaß Frau Pack Pfeffermann Pfeifer Pohlmann Rainer Rawe Reddemann Frau Dr. Riede ({24}) Dr. Riedl ({25}) Dr. Ritgen Dr. Ritz Röhner Rollmann Rommerskirchen Roser Sauer ({26}) Sauter ({27}) Dr. Schäuble Schedl Schetter Frau Schleicher Schmidhuber Schmitt ({28}) Schmöle Dr. Schneider Frau Schroeder ({29}) Dr. Schröder ({30}) Schröder ({31}) Schröder ({32}) Schulte ({33}) Dr. Schulze-Vorberg Seiters Sick Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({34}) Graf Stauffenberg Strauß Stücklen Susset de Terra Thürk Tillmann Dr. Todenhöfer Vehar Frau Verhülsdonk Vogel ({35}) Vo liner Frau Dr. Walz Dr. Warnke Vizepräsident Frau Funcke Wawrzik Weber ({36}) Werner Windelen Wissebach Dr. Wittmann ({37}) Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Zoglmann Berliner Abgeordnete Frau Berger ({38}) Dr. Gradl Kunz ({39}) Müller ({40}) Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe Nein SPD Ahlers Amling Anbuhl Dr. Apel Dr. Arndt ({41}) Augstein Baack Barche Dr. Bardens Batz Becker ({42}) Biermann Blank Dr. Böhme ({43}) Börner Frau von Bothmer Brandt Brandt ({44}) Bredl Büchler ({45}) Büchner ({46}) Dr. von Bülow Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Dürr Eckerland Frau Eilers ({47}) Elchlepp Dr. Emmerlich Engholm Esters Fiebig Dr. Fischer Frau Dr. Focke Friedrich Gansel Gerstl ({48}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haase ({49}) Haehser Dr. Haenschke Halfmeier Hansen Hauck Dr. Hauff Henke Herbers Herold Höhmann Hofmann Horn Huonker Immer ({50}) Jahn ({51}) Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans .Junker Kaffka Kern Koblitz Konrad Kratz Dr. Kreutzmann Lambinus Lattmann Dr. Lauritzen Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Löbbert Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny Frau Meermann Dr. Meinecke ({52}) Meinike ({53}) Metzger Möhring Müller ({54}) Müller ({55}) Müller ({56}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann Dr.-Ing. Oetting Offergeld Freiherr Ostman von der Leye Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({57}) Rappe ({58}) Frau Dr. Rehlen Reiser Frau Renger Reuschenbach Richter Röhlig Rohde Rosenthal Sander Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({59}) Dr. Schäfer ({60}) Scheffler Scheu Frau Schimschok Schinzel Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({61}) Schmidt ({62}) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schonhofen Schulte ({63}) Dr. Schwenk ({64}) Seefeld Simon Simpfendörfer Dr. Sperling Spillecke Stahl ({65}) Frau Steinhauer Tietjen Frau Dr. Timm Tönjes Urbaniak Vahlberg Vit Walkhoff Waltemathe Walther Dr. Weber ({66}) Wehner Wende Wendt Dr. Wernitz Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer Wittmann ({67}) Wolf Wolfram ({68}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Dübber Egert Grimming Frau Grützmann Löffler Männing Mattick Frau Schlei Schwedler Sieglerschmidt FDP Baum Dr. Böger Engelhard Gallus Geldner Hölscher Hoffie Jung Kirst Kleinert Krall Dr. Kreibaum Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Logemann Frau Lüdemann Dr. h. c. Mertes ({69}) Mischnick Moersch Ollesch Peters ({70}) Schleifenbaum Schmidt ({71}) von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller Dr. Wendig Wolfgramm ({72}) Zywietz Berliner Abgeordnete Hoppe Fraktionslos Emeis Damit ist der Antrag zum Ersten Kapitel abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über das Erste Kapitel nach der Ausschußvorlage. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Ich rufe das Zweite Kapitel auf. Dazu liegt ebenfalls auf dem Umdruck 7/5543 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Das erste war die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über das Zweite Kapitel nach der Ausschußvorlage. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe das Dritte Kapitel auf. Dazu liegt ebenfalls ein Änderungsantrag der CDU/CSU vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über das Dritte Kapitel in der Ausschußvorlage. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen. Ich rufe das Vierte Kapitel auf. Auch hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/5543 vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über das Vierte Kapitel in der Ausschußvorlage. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe das Fünfte Kapitel der Ausschußvorlage samt Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Es ist so beschlossen. Wir kommen nunmehr zur dritten Beratung. Das Wort hat Herr Abgeordneter Gölter.

Dr. Georg Gölter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung der beiden vorliegenden Gesetze in der zweiten und dritten Lesung am heutigen Tag dokumentiert das Scheitern der Koalition in der Berufsbildungspolitik. ({0}) Herr Bundesminister Rohde, dem auch die Opposition nach dem Scheitern Dohnanyis die Chance eines besonnenen und pragmatischeren Vorgehens eingeräumt hatte, hat die gegebenen Möglichkeiten nicht genutzt. Die eigentliche Ursache für das Scheitern der Berufsbildungsreform in dieser Legislaturperiode liegt in der mangelnden Bereitschaft der Bundesregierung zur Kooperation: mangelnde Gesprächsbereitschaft mit den Ländern einerseits - hier meine ich ausdrücklich alle Bundesländer -, mangelnde Gesprächsbereitschaft mit der ausbildenden Wirtschaft andererseits. Die Reform der Berufsbildung ist nicht ohne oder gar gegen die Länder zu verwirklichen, ({1}) sie ist nicht ohne oder gar gegen die ausbildende Wirtschaft zu machen. ({2}) Damit will ich nicht behaupten, Maßnahmen der Regierung oder des Gesetzgebers seien nur zu verantworten, wenn sie ausdrücklich auf dem Konsens der Betroffenen aufbauten. Ich will damit jedoch behaupten, daß sich eine Regierung als töricht und unfähig erweist, wenn sie die Bereitschaft der Betroffenen zur gemeinsamen Lösung der Probleme nicht aufgreift, sondern wenn sie die Betroffenen im Gegenteil provoziert und ihnen ans Bein tritt. ({3}) Niemand will doch bestreiten, daß die Länder an einer besseren Abstimmung von Betrieb und Schule, d. h. an einer besseren Zusammenarbeit von Bund und Ländern, interessiert sind. Niemand will doch bestreiten, daß es der ausbildenden Wirtschaft darum geht, das Angebot an Ausbildungsplätzen auszuweiten. Ich darf in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Leistung des Handwerks verweisen, das seit 1970 die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Handwerk um 100 000 gesteigert hat. Gestatten Sie mir - mit Genehmigung der Frau Präsidentin - ein Zitat, weil ich dieses Zitat besonders schön finde. Rüdiger Altmann hat in der „Deutschen Zeitung" vom 25. Juni 1975 folgendes geschrieben. Die mangelnde Bereitschaft der Bundesregierung, sich auf ein Gespräch einzulassen, sei vergleichbar mit einer „Dorfgeistlichkeit, die das Absingen einer Litanei für eine theologische Argumentation hält". Dieser Vorwurf gilt für den ursprünglichen Gesetzentwurf. Er gilt aber auch für das Kern-, Rumpf- oder zutreffender: Schrumpfgesetz, das eigentlich nur durch einen anspruchsvollen Titel auffällt, sowie für das „Gesetz zur Regelung steuerrechtlicher und anderer Fragen der Ausbildungsplatzförderung". Erneut werden die Länder durch den unveränderten Vorschlag eines Bundesinstituts für die Berufsbildung direkt provoziert, ein Nein auszusprechen. Wäre ein Preis für eine Konstruktion auszusetzen, die zwangsläufig auf die Ablehnung durch die Länder stoßen muß, das Bundesinstitut des Herrn Rohde verdiente, prämiert zu werden. Dieses Institut einschließlich seiner Beschlußgremien unterliegt zwangsläufig der Weisung des Bundesministers. In einem Unterausschuß des weisungsabhängigen Hauptausschusses sollen die Länder ihre Interessen zur Geltung bringen. Daß das Gesetz ausdrücklich darauf hinweisen muß, dieser Länderausschuß unterliege nicht dem Weisungsrecht des zuständigen Bundesministers, zeigt die Brüchigkeit, die Fragwürdigkeit, ja die Unangemessenheit dieser Konstruktion. ({4}) Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: nur eine gemeinsam getragene Einrichtung, die Zentralstelle für berufliche Bildung, wie wir sie vorgeschlagen haben, ist geeignet, ein gleichberechtigtes und gleichgewichtiges Zusammenwirken von Bund und Ländern zu bewerkstelligen. Die beiden Haupteinwände der Koalition gegen unseren Vorschlag, nämlich die Notwendigkeit eines Verwaltungsabkommens und die angeblich reduzierte Mitwirkungsmöglichkeit der Sozialpartner, ziehen nicht. Auch das Bundesinstitut, das die Bundesregierung vorsieht, bedarf zu seinem FunktioDr. Gölter vieren einer Verwaltungsvereinbarung. Es war Herr Staatssekretär Jochimsen, der im Ausschuß erklärt hat, es funktioniere auch ohne, aber wirklich funktioniere es nur mit. Hier habe ich ihn sehr korrekt wiedergegeben. Zum zweiten Einwand, zur reduzierten Mitwirkungsmöglichkeit in der Zentralstelle: In der Zentralstelle arbeiten im Zentralausschuß die Vertreter der Sozialpartner und der Lehrerverbände gleichberechtigt mit. Ihre Rechte sind, da Weisungsgebundenheit in keinem einzigen Fall gegeben ist, zweifelsfrei größer als die Rechte im Hauptausschuß des Bundesinstituts. Wie steht es denn um die Mitwirkungsmöglichkeiten der Sozialpartner in einem Hauptausschuß, der einmal nach Weisung, dann nach allgemeinen Verwaltungsvorschriften, nach genehmigten Programmen und gelegentlich nach Selbstverwaltungsgesichtspunkten zu arbeiten und zu beschließen hat? Die Vermischung von Aufgaben der politischen Führung, der Verwaltung und Forschung, der Kommunikation mit den Ländern ist fatal. Wie wäre eigentlich gesichert, daß sich Forschung im Grundsatz unabhängig und nicht nach Weisung vollzieht? Wieso - um ein Lieblingswort von Herrn Bundesminister Rohde zu gebrauchen - wird der Gremiendschungel durch ein Bundesinstitut abgebaut? Zwar wäre - um Herrn Rohde noch einmal zu zitieren - eine gemeinsame Adresse geschaffen. Aber diese gemeinsame Adresse würde zum unbeweglichen Tausendfüßler, sie neigte zur Beschäftigung mit sich selbst, Aufwand und Ergebnis stünden zueinander in umgekehrtem Verhältnis. ({5}) Lassen Sie mich jetzt als zweites einige Bemerkungen zu dem Problem der Finanzierung machen. Eine grundsätzliche Vorbemerkung - ich bitte die Koalition trotz dieser späten Stunde, zumindest diejenigen, die sich weiter mit dem Thema beschäftigen, das sehr ernst zu nehmen -: Für die Diskussion der Reform der Berufsbildung war es sehr schädlich, daß sich diese Diskussion immer mehr ausschließlich auf die Finanzierungsproblematik reduziert hat. ({6}) Es ist eben falsch, die Zukunft der Berufsbildung in erster Linie von der Frage der Finanzierung abhängig zu machen. Es ist falsch zu glauben, daß bereits eine Finanzierungsregelung geeignet sei, die Zukunftschancen der jungen Generation zu sichern. ({7}) Die von der konjunkturellen Entwicklung völlig un-beeinflußte Zunahme der Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Handwerk ist ohne Finanzierungsbeihilfe erreicht worden. Das Handwerk wird auch eine weitere Steigerung der Zahl der Ausbildungsverhältnisse bewältigen, wenn eine vernünftige Berufsbildungspolitik dies möglich macht. Die Reduzierung des Ausbildungsplatzangebots vor allem in kaufmännischen Ausbildungsbereichen ist ebenfalls nicht primär auf das Fehlen einer Finanzierungsregelung zurückzuführen. Hier lagen erhebliche strukturelle Veränderungen der Arbeitswelt vor; Konzentrationsprozesse, Rationalisierung und Überforderung der Ausbildungsbetriebe haben gleichermaßen zusammengewirkt. Es muß noch einmal festgestellt werden: In der Berufsbildung ist die Lösung manchen einfachen Problems in den letzten zwei, drei Jahren verhindert worden, weil die Problematik verzerrt und auf einen einzigen Teilbereich in der Diskussion verlagert wurde. ({8}) Meine Damen und Herren, daß die Berufsbildung die Betriebe etwas kostet, ist richtig. Es ist auch gut so. Daß die Bundesregierung, insbesondere der Herr Bundesminister immer wieder mit Stolz darauf hinweisen, es sei der Regierung gelungen, Kostenbewußtsein und Bedürfnis nach Lastenausgleich in der Berufsbildung zu wecken, ist eine zweischneidige Sache. Die Veränderung des Bewußtseins schafft in vielen Fällen doch erst neue Probleme. Dies ist die Ausgangssituation. Was der Koalitionsvorschlag jedoch - ich möchte dies noch einmal unterstreichen - beim besten Willen nicht leistet, ist ein Beitrag zur Bewältigung des wie auch immer zu beurteilenden Problems. Erster Gesichtspunkt: 90 % der Betriebe, so wird versichert, seien von der Umlage freigestellt. Akzeptiert. Nur 10 % der Betriebe zahlen. Aber genau diese 10 % tragen zahlenmäßig die Hauptlast der Ausbildung. Nur wenige nicht ausbildende Betriebe werden von der Umlage erfaßt. Das Aufkommen aus der Umlage wird zu mehr als 90 % von den Ausbildungsbetrieben aufgebracht. ({9}) Wenn der dem Regierungsmodell zugrunde liegende Gedanke, wie Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner eben mehrfach versichert hat, der des Lastenausgleichs sein sollte, dann ist doch der Anteil, den die nicht ausbildenden Betriebe aufbringen, jedenfalls so gering, daß er das aufwendige System nicht rechtfertigt. ({10}) - Herr Gallus, Sie haben sich besonders damit beschäftigt; da bin ich ganz sicher. Die Weisheit der Koalition will uns jedenfalls ein System bescheren, nach dem im wesentlichen die Betriebe bezahlen, die bereits ausbilden, nach dem im wesentlichen die Betriebe freigestellt sind, die nicht ausbilden, nach dem die Betriebe, die ausbilden und zahlen, auch dann in der Regel noch das Ausbildungsplatzangebot ausweiten sollen, weil es sich dabei um die Betriebe handelt, von denen dies in erster Linie erwartet werden kann. Dieser falsche Ansatz hat für die Ausbildungsbetriebe die psychologischen Auswirkungen der Visite des Elefanten im Porzellanladen. ({11}) Entweder ändert sich für den Betrieb überhaupt nichts, weil sich Abgabe und Zuwendung aufheben. Dann stellt sich die Frage: Wozu der ganze Zirkus? Oder der Ausbildungsbetrieb stellt sich in der Tat schlechter. Dann stellt er sich doch zwangsläufig die Frage, wieso eigentlich ein Ausbildungsbetrieb gerade jetzt die Ausbildung in Betrieben subventionieren soll, die bislang nicht ausgebildet haben. ({12}) Zweiter Gesichtspunkt: Meine Damen und Herren, diese Konstruktion - das Wort „System" wäre Übertreibung ist abhängig von der Frage, ob das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage um mindestens 12,5 % übersteigt. Bis zum heutigen Tag ist dieser Prozentsatz nie sauber begründet worden Die Erklärungen der Beamten im Ausschuß, denen das oblag, waren schlicht putzig. Der Prozentsatz ist nichts anderes als das arithmetische Mittel zwischen. den Vorstellungen von Herrn Friderichs und Herrn Rohde, wobei in diesem Fall die Ausgangssituation einerseits 0 und andererseits 20 war. Dann hat man sich auf 12,5 % geeinigt. Wenn man eine solche Zahl schon festlegt, um mit ihr ein System auszulösen, dann muß die Ausgangssituation sowohl statistisch wie rechtlich sauber sein. Auch hier im Plenum will ich unterstreichen: Die von der Regierung vorgeschlagene Konstruktion würde, wenn gesetzliche Verpflichtungen damit verbunden sein sollen dies ist ja wohl Ihr Ziel - ohne eine gesetzliche Ausbildungsplatzmeldepflicht nicht durchführbar sein. ({13}) Wie sollte denn sonst das Angebot des jeweils zurückliegenden Jahres anders im rechtlichen Sinne korrekt erfaßt werden können? ({14}) Die Regierung ist darüber hinaus jede Erklärung schuldig geblieben, wie sie die zu erwartende Nachfrage exakt erfassen will. Die Kombination der Zahl der erwarteten Schulabgänger mit dem bisherigen Übergangsverhalten und dem bisherigen Angebot -- dies ist die im Ausschuß gegebene Erklärung wird nicht ausreichen, um saubere Rechtsgrundlagen für ein Abgabesystem herzustellen. Dritter Gesichtspunkt. Die Hälfte der aufgewendeten Summe soll für den sogenannten Bestandsschutz ausgegeben werden. Nun verdanken wir der Koalition die freundliche Aufklärung, auch dieser Bestandsschutz solle nach Kostengruppen gestaffelt sein. Im Schnitt sollen pro Ausbildungsplatz 900 DM herauskommen. Das Ergebnis: Siemens bekommt als Bestandsschutz 1 500 bis 1 600 DM, die Dienstleistungsbetriebe des Handwerks gehen - wenn Rechnung noch Rechnung ist zum großen Teil leer aus oder unterziehen sich für 200 bis 300 DM im Jahr einer gewaltigen bürokratischen Prozedur. Sie würden mit einem solchen System ungeahnte Glücksgefühle auslösen! Ein vierter, ein besonders wichtiger Punkt. Herr Bundesminister Rohde hat vor bestimmten Zuhörerkreisen immer wieder erklärt, das ganze sei ein Einstieg. Vielleicht, Frau Schuchardt, denken Sie auch über diesen Punkt noch einmal ein bißchen nach. Ein Einstieg in was? Einstieg ist immer Anfang, Beginn. Die Zielsetzung der Bundesregierung ist, wenn Einstieg als Einstieg verstanden werden soll, dann doch ein umfassendes, vom Staat im einzelnen festgelegtes System von Berufsbildungsfinanzierung und Ausbildungslenkung. Den Vorstellungen der Koalition liegt in diesem Punkt die Strategie des gezielten Einzeleingriffs in gesellschaftliche Sachverhalte und Zusammenhänge zugrunde. (Dr. Glotz ({15}) Die Koalition leugnet dabei, daß dieser Eingriff Bedeutung für das marktwirtschaftliche System habe. Der ordnungspolitische Zusammenhang von Eingriff und System wird abgestritten. Es steht für mich außer Frage: Vom Edding-Gutachten bis zum sogenannten Kerngesetz über die Vergaberichtlinien können je nach gesellschaftspolitischer Zielrichtung einzelne Berufsbilder, Ausbildungszweige und Wirtschaftszweige bevorzugt oder benachteiligt werden. Mit dem vorgeschlagenen System wäre der Bundesregierung ein Ansatz für eine umfassende Planwirtschaft in der Berufsbildung an die Hand gegeben. Genau das verstößt gegen das Interesse der jungen Generation und das Interesse der Wirtschaft. Das duale System in der heute uns im Grundsatz vorliegenden Form ist besser geeignet, Nachfrage und Bedarf im Interesse aller Beteiligten, aber zuallererst im Interesse der jungen Generation ({16}) in Übereinstimmung zu bringen als jede Form staatlichen Eingriffs und staatlicher Steuerung. ({17}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle noch folgendes sagen. Wenn Herr Ministerpräsident Dr. Kohl sich heute nachmittag zum Gedanken des Lastenausgleichs zugunsten der ausbildenden Betriebe bekannt hat, dann ist es schlicht unstatthaft, wenn Herr Grüner dieses grundsätzliche Bekenntnis zum Gedanken des Lastenausgleichs zugunsten der ausbildenden Betriebe mit irgendeinem System in Verbindung setzt und dann damit die Behauptung verbindet, damit sollten sieben bis zehn Milliarden umverteilt werden, wobei auch dann, wenn dieses System überhaupt gemeint sein sollte, diese Aussage von Herrn Grüner in dieser Form nicht zutreffend ist. ({18}) Ich möchte für die CDU/CSU noch einmal zum Ausdruck bringen: Wir bedauern, daß es nicht möglich war, eine Einigung auf der Grundlage unseres Vorschlages zu erzielen. ({19}) Der Vorschlag der Union - eine zeitlich begrenzte staatliche Hilfe in steuerlicher Form oder in der Form der direkten Zuwendung - wäre schnell wirksam, und zwar bereits im Jahre 1976. Es würde damit keine neue Bürokratie aufgebaut werden. Es würde den Verzicht auf staatliche Planung und Steuerung bedeuten, und es würde vor allen Dingei mit sich bringen eine erhebliche positive psychologische Wirkung im Sinne der Anerkennung der Leistung, im Sinne der Hilfe bei der Bewältigung der Aufgabe der Ausweitung des Ausbildungsplatzangebotes. Der Einwand der Koalition, Hilfe des Staates bei der Bewältigung der Berufsbildung sei nicht systemkonform, ist nicht zutreffend. Meine Damen und Herren, wer finanziert denn die Ausbildung des Diplom-Chemikers, der in die Wirtschaft geht, des Diplom-Physikers, des Diplom-Ingenieurs, der Naturwissenschaftler, der Fachhochschulabsolventen? ({20}) Wer finanziert denn dieses System? Das Argument, daß Ausbildung zugunsten der Wirtschaft grundsätzlich nur von seiten der Wirtschaft finanziert werden könne, alles andere sei nicht systemkonform, ist schlicht unzutreffend. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine kurze Anmerkung zu der These der Koalition, das sogenannte Ausbildungsplatzförderungsgesetz bedürfe nicht der Zustimmung des Bundesrates. Aus unserer Sicht ergibt sich die Zustimmungsbedürftigkeit aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen. Das deutsche Abgabenrecht kennt die Begriffe Steuer, Gebühr, Beitrag und Abgabe eigener Art. Als Abgabe eigener Art hat das Bundesverfassungsgericht z. B. die Ausgleichsabgabe nach dem Milch- und Fettgesetz und die Weinabgabe nach dem Weinwirtschaftsgesetz angesehen. Unstreitig ist, daß es sich bei der Berufsbildungsabgabe weder um eine Gebühr noch um einen Beitrag handelt. Die Frage, ob sie unter den Begriff Steuer oder unter den Begriff Abgabe eigener Art einzuordnen ist, wird nicht durch die im Gesetz gewählte Kennzeichnung entschieden, sondern danach, ob die Merkmale einer Steuer nach dem Steuerbegriff der Abgabenordnung und des Finanzverfassungsrechtes erfüllt sind oder nicht. Eine Steuer liegt dann vor, wenn von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht Geldleistungen für eine besondere Leistung sind, allen auferlegt werden. Diese Voraussetzungen sind durch die Berufsbildungsabgabe erfüllt. ({21}) Der Bund legt allen, auf die der Steuertatbestand zutrifft, eine Leistungspflicht auf. ({22}) Dein Begriff der Steuer steht dabei nicht entgegen, daß es sich um eine Zweckabgabe, also um eine Bindung der eingenommenen Mittel für einen bestimmten Zweck handelt. Die Abgabe dient vielmehr zur Erzielung von Einkünften für die öffentlich-rechtliche Einrichtung „Bundesinstitut für Berufsbildung", die diese Einkünfte nach Erlaß einer Rechtsverordnung an Begünstigte verteilt. Eine wirtschaftslenkende Abgabe eigener Art liegt mangels einer Ausgleichsfunktion innerhalb eines Wirtschaftszweiges nicht vor; vielmehr ist die Belastung der gesamten Wirtschaft auferlegt, um Ausbildungsplätze für Lehrlinge, also der Wirtschaft noch nicht angehörende Bevölkerungskreise zu schaffen. Die Abgabe ist demnach eine Art Lohnsummensteuer, die nach Art. 106 Abs. 6 des Grundgesetzes eigentlich den Gemeinden zustünde. Ich bin sicher, daß diese Gesichtspunkte im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ausführlich erörtert werden. Es gibt im übrigen auch Experten der Bundesregierung, Herr Mischnick, die dies in den letzten Wochen ganz genauso gesehen haben. Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem Ergänzungsgesetz machen. Eine grundsätzliche Bemerkung: Wir erheben Bedenken gegen die Aufteilung der Gesetzesmaterie in ein angeblich zustimmungsfreies und in ein zustimmungspflichtiges Einzelgesetz. ({23}) Es ist zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zulässig, daß der Gesetzgeber in Ausübung seiner gesetzgeberischen Freiheit ein Gesetzesvorhaben in mehreren Gesetzen regelt. Unzulässig wird das Vorhaben jedoch dann, wenn dadurch unvollständige Gesetze - leges imperfectae - entstehen. Dies ist der Fall, wenn die materiellrechtlichen Normen eines Nichtzustimmungsgesetzes erst über die verfahrensrechtlichen Normen eines Zustimmungsgesetzes ihren vollen Gehalt finden oder die materiell-rechtlichen Normen ohne die Vorschriften über das Verfahren eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite bekommen. Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz ist in diesem Sinne eine lex imperfecta, denn es bedarf zu seiner Durchführung Regelungen, die zwar das Verfahrensrecht betreffen, die aber auch materiell-rechtliche Auswirkungen haben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Das Vorgehen der Koalition ist insgesamt untauglich, ungeeignet und schädlich. Es wird der Zielsetzung einer Ausweitung des Ausbildungsplatzangebotes wegen der aufgezeigten Gründe nicht förderlich sein. Bundeskanzler Schmidt hat das Vorgehen der Koalition bezüglich des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes in einem Zeitungsinterview einmal als Beispiel für den freiheitlichen demokratischen Sozialismus bezeichnet. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß es um den freiheitlichen Sozialismus insgesamt doch noch ein wenig besser bestellt ist, weil man sonst ja sagen müßte, daß er sich ausschließlich auf Murks und Tricks reduziert. ({24}) Ich möchte hier noch einmal zum Ausdruck bringen, meine Damen und Herren: Sollte die Vorlage in dieser Legislaturperiode noch Gesetz werden, so wird die Union nach dem 3. Oktober durch eine bessere gesetzliche Grundlage dafür sorgen, daß den Betrieben bei der Sicherung des Ausbildungsplatzangebots geholfen wird. Sie wird verhindern, daß die Ausbildungsbetriebe von der Koalition jetzt und in den kommenden Jahren bestraft werden. ({25})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Bundesminister Rohde.

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Frau Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Ausbildungsplatzförderungsgesetz zieht die sozialliberale Koalition die Konsequenz aus der Ablehnung einer umfassenden Reform der Berufsbildung durch die Mehrheit der CDU/ CSU im Bundesrat. Es ist eine konstruktive Konsequenz in dem Sinne, daß in dieser Legislaturperiode des Bundestages noch möglich gemacht werden soll, was nicht mehr am Nein des Bundesrates scheitern kann. Es ist völlig abwegig, Herr Kollege Gölter, zu behaupten, wir hätten dabei den Finanzierungsfragen ein Übergewicht gegeben. Wir wollten die Finanzierung gleichgewichtig mit der inhaltlichen Reform der beruflichen Bildung verbinden. ({0}) Aber Sie haben durch die CDU/CSU im Bundesrat und auch vorher im Bundestag diese inhaltliche Reform der beruflichen Bildung bekämpft. ({1}) Man kann hier nicht mit großer Gebärde, wie Herr Kohl, von der Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung, von der Kurskorrektur zugunsten der beruflichen Bildung sprechen und jeden gesetzgeberischen Schritt zur Weiterentwicklung ihrer Qualität behindern. ({2}) Wir bedauern es, meine Damen und Herren, daß durch die Ablehnung des Berufsbildungsgesetzes durch die CDU/CSU-Mehrheit des Bundesrates keine Chance mehr besteht, auch die materiell-rechtlichen Fragen und die Organisationsprobleme auf Regional- und Landesebene mit zu lösen. In der Berufsbildungsdebatte ist deutlich geworden, daß neue Ausbildungswege und -formen, eine bessere Kooperation zwischen den Ausbildungsstätten, eine Festigung der Position der Ausbilder, bessere Rahmenbedingungen für die berufliche Bildung, die Ordnung differenzierterer Bildungsmöglichkeiten sowie die Einbindung der Berufsbildung in das Gesamtbildungssystem dringend erforderlich sind. Dies waren alles Punkte, zu denen die Mehrheit des Bundesrates nein gesagt hat. Diese Aufgaben bleiben nach unserer Auffassung auf der Tagesordnung der Bildungspolitik. Man kann - wie gesagt - nicht auf der einen Seite beklagen, daß unser Bildungssystem sich über weite Strecken zu einer Einbahnstraße zur Hochschule hin entwickelt hat und gleichzeitig alle Anregungen und Anstrengungen zur Aufwertung der beruflichen Bildung im Gesetzgebungsverfahren mit einer Handbewegung kalt beiseite schieben. ({3}) Es ist völlig falsch, wenn der Sprecher der Opposition hier behauptet, es sei zu wenig mit den Betroffenen gesprochen worden. ({4}) Meine Damen und Herren, niemals zuvor in der Bildungspolitik haben Fragen der beruflichen Bildung ein solches Gewicht gehabt wie in den vergangenen zwei Jahren. ({5}) Sie können das bis in die Weimarer Zeit hinein verfolgen. Lange Zeit sind die Fragen der beruflichen Bildung mit der traditionellen Arroganz elitärer Bildungspolitiker beiseite geschoben und nur wie ein Randproblem der Wirtschaftt behandelt worden. ({6}) Eines sage ich Ihnen schon heute: Ich hätte mir auch gewünscht, daß die Auseinandersetzung um die Berufsbildung anders verlaufen wäre, als sie verlaufen ist. Aber besser diese Auseinandersetzung, als daß die 1,4 Millionen junger Menschen in der Berufsbildung weiter so in der Zone des bildungspolitischen Schweigens geblieben wären, in der sie in früheren Jahrzehnten gewesen sind. ({7}) Dies hat das öffentliche Bewußtsein verändert. Was glauben Sie denn? Meinen Sie, nur der Herr Kohl habe das Recht, ({8}) seinen Gefühlen hier Ausdruck zu geben, und wir hätten nur das Recht, das in diesem Parlament anzuhören? ({9}) Als einen Höhepunkt des politischen Zynismus habe ich den Vorwurf von Herrn Kohl empfunden, die Bundesregierung habe die Reform der beruflichen Bildung zu spät auf den Weg gebracht. Der Tatbestand, dem wir uns gegenübersehen, besteht darin, daß uns seine Fraktion, die Fraktion der CDU. zwei Jahre lang erklärt hat, wir brauchten gar keine Reform. ({10}) Aus dieser Ihrer These wurde dann das Nein im Bundesrat abgeleitet. So ist die Lage. ({11}) Was heute zur Entscheidung ansteht, betrifft Kernfragen der beruflichen Bildung. Es wäre politisch naiv, anzunehmen, daß Fragen der Ausbildungsfinanzierung, der Organisation auf Bundesebene und der Planung und Statistik in der beruflichen Bildung als Nebenfragen anzusehen seien. Das glaubt auch ernsthaft niemand mehr. Darum ist die Rede vom „Schrumpfgesetz" reine Rhetorik und wird allein durch die Auseinandersetzung um diese Kernfragen widerlegt, eine Auseinandersetzung, die wir seit anderthalb Jahren geführt haben. ({12}) Wir haben es hier ganz zweifelsfrei mit Eckwerten der Berufsbildungspolitik zu tun, nämlich angesichts der geburtenstarken Jahrgänge der nächsten Jahre das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu stabilisieren und zu erweitern; durch eine institutionelle Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in der beruflichen Bildung auf dem Wege zur Gleichwertigkeit ein wesentliches Stück weiterzukommen; drittens die notwendigen Voraussetzungen für mehr Transparenz in der beruflichen Bildung zu schaffen, die, wie die Debatten nochmals deutlich gemacht haben, für eine konstruktive und gestaltende Berufsbildungspolitik unabdingbar sind. Die Finanzierungskonzeption geht von dem dualen System der Berufsausbildung aus und berücksichtigt die Verantwortung der Wirtschaft für das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Sie stellt dabei die unterschiedliche Ausbildungsintensität und Leistungskraft der Betriebe in Rechnung und nimmt besondere Rücksicht auf das Handwerk. Herr Kollege Gölter, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich das von Ihnen heute unterbreitete Zahlenwerk nicht noch einmal einer kritischen Prüfung und Beantwortung unterziehe. Das alles haben wir anderthalb Jahre in Ausschußberatungen und Sachverständigenanhörungen erörtert. Ich weise noch einmal darauf hin, daß die quantitativen Annahmen und Behauptungen, die Sie der Finanzierung zugrunde legen, nach Auffassung der Bundesregierung und nach unseren Beratungsergebnissen nicht zutreffen. ({13}) Viel wichtiger ist eine andere Sache: daß sich heute der Kanzlerkandidat der CDU in der Debatte im Bundestag noch einmal ausdrücklich zur Umlagefinanzierung bekannt hat ({14}) und seine Fraktion in der heutigen Beratung dieses Prinzip unter den Tisch stimmen will. Das ist der eigentlich politisch gravierende Sachverhalt. ({15}) Herr Gölter und Herr Pfeifer, wir waren doch aufgeschlossen in den Ausschußberatungen des Deutschen Bundestags ({16}) für die Erörterung der Formen der Finanzierung der Berufsbildungsabgabe. ({17}) Aber Sie haben sich systematisch - das muß man heute schon sagen - jeder Diskussion über die Berufsbildungsabgabe entzogen. Dafür gibt es auch einen einleuchtenden Grund: weil Sie in der CDU/ CSU unfähig waren, in der Finanzierung einen gemeinsamen Nenner zu finden, blieb Ihnen nur noch das Nein als einzige Alternative zur Regierungspolitik. ({18})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer?

Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wenn es so gewesen wäre, wie Sie es jetzt darstellen, warum haben Sie dann im letzten Herbst, nachdem im ersten Hearing Ihr Berufsbildungsgesetz rundum abgelehnt worden ist, eigentlich unser Angebot nicht angenommen, eine gemeinsame Bestandsaufnahme zu machen und zu überlegen, was dann noch gesetzgeberisch in dieser Legislaturperiode bewältigt werden kann? Wären Sie heute nicht sehr viel weiter, wenn Sie seinerzeit auf dieses konstruktive Angebot der Opposition eingegangen wären? ({0})

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Herr Kollege Pfeifer, in Ihrer Frage sind gleich zwei Sachverhalte falsch dargestellt worden. Der erste ist der, daß dieses Finanzierungssystem in den Anhörungen nicht rundum abgelehnt worden ist; vielmehr haben wir es in dieser Sache mit unterschiedlichen Auffassungen und Interessen zu tun. ({0}) Die Wirtschaft wollte überhaupt keine Berufsbildungsabgabe, keine ausgleichende Finanzierung. Und auf der anderen Seite gab es auch Kräfte, die der Auffassung waren, daß das Volumen dieser Finanzierung nicht umfangreich genug sein würde. Diesem Tatbestand begegnen Sie doch oft in der Politik bei auseinanderstrebenden Interessen. Ich habe schon in einer früheren Debatte gesagt: Was ist denn in einer solchen Lage die Aufgabe des Staates? Soll er nur die Registrierkasse für Verbandsinteressen sein, oder soll er seine ausgleichende Funktion wahrnehmen und das möglich machen, was nach reiflicher Prüfung wirklich der Sache dient und auch in den Dimensionen ausgleichend und umsichtig angelegt worden ist? ({1}) Wir haben uns für das letztere entschieden. So und nicht anders ist die Lage. ({2}) Und nun der zweite Tatbestand, Herr Kollege Pfeifer: Eine umfassende Bestandsaufnahme, was ist denn das unter den Bedingungen der parlamentarischen Demokratie? Das ist die Ausschußberatung, die eigentliche Substanz dessen, was Politik bei der Beratung des Gesetzes ausmacht. Dazu ist anzumerken, daß Sie sich geweigert haben, an den Einzelberatungen der Paragraphen dieses Gesetzes überhaupt teilzunehmen. ({3}) Insofern ist es überhaupt nicht dazu gekommen, die Chance wahrzunehmen, zu dem zu kommen, was man politisch „Bestandsaufnahme" im Sinne konstruktiver gesetzgeberischer Arbeit nennen könnte.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Nein, Herr Kollege, ich würde jetzt gern zu Ende kommen. ({0}) Unser Finanzierungssystem ist im ganzen ein praxisbezogener Ansatz, der weder die Wirtschaft überfordert noch jene Fehlentwicklungen des Ausbildungsplatzangebots und des Berufsbildungssystems einleitet, die zwangsläufig - Herr Grüner hat das dargelegt - mit Steuerlösungen, wie sie von der Opposition vorgeschlagen worden sind, verbunden gewesen wären. Gleichzeitig hält dieses Finanzierungssystem auch den Staat für den weiteren Ausbau des beruflichen Schulwesens leistungsfähig. Denn wenn man das duale System angesichts geburtenstarker Jahrgänge funktionstüchtig erhalten will, muß man besondere Anstrengungen sowohl von der Wirtschaft erwarten als auch vom Staat im Sinne verstärkter Investitionen in die beruflichen Schulen. Dieser Gesichtspunkt - das haben Sie, Herr Gölter, wohlweislich unterschlagen - hat in den Sachverständigenanhörungen eine große Rolle gespielt. Es waren mehrere, die gefragt haben: Wo bleiben dann, wenn Sie als CDU/CSU jetzt der Wirtschaft eine Subvention in Höhe von 5 Milliarden DM geben, noch die Leistungen und die Mittel zum Ausbau des beruflichen Schul- und Fachschulwesens? ({1}) Es gibt weite Bereiche in der Bundesrepublik, wirtschaftlich schwache Regionen, wo im Grunde genommen nur mit zusätzlichen Leistungen des Staates im Sinne beruflicher Schulen und Fachschulen für die dortigen Jugendlichen ein Angebot gemacht werden kann. Es hat nicht nur mich aufmerksam werden lassen, sondern alle an der Sache wirklich Interessierten, daß vor allem die unionsregierten Länder bis heute keine klaren Planungszahlen für die Verwirklichung des Stufenplans für das berufliche Schulwesen auf den Tisch gelegt haben. Wenn aber das alles - die Berufsschule, das Berufsgrundbildungsjahr und die Doppelqualifikationen in der Oberstufe, die die Einbahnstraße zur Hochschule abbauen sollen - auf der Strecke bleibt, nützen Steuersubventionen und 5,80-DM-Vorschläge für bestehende Ausbildungsplätze gar nichts. Sie kosten dann zwar, haben aber keine Effizienz. Die nunmehr mögliche Zusammenfassung aller Verantwortlichen der beruflichen Bildung im Bundesinstitut für Berufsbildung wird ein gemeinsames und abgestimmtes Handeln einleiten und die bisherige Aufsplitterung in Gremien und Institutionen auf Bundesebene überwinden. Hier wird Kooperation verbessert und Leerlauf abgebaut. Dringende Fragen der beruflichen Bildung können schneller gelöst werden. Das Schlimme bei den heute zersplitterten Gremien der beruflichen Bildung ist die abnehmende Verantwortlichkeit, die wir ganz deutlich beobachten können. Keines dieser Gremien, die zumeist alle Ihre eigene Bürokratie haben, kann und will letztlich für Versäumnisse verantwortlich gemacht werden. Das Schwarze-Peter-Spiel wird zum Dauerzustand zu Lasten der Bildung und vor allem zu Lasten der Betroffenen. Insofern ist die gemeinsame Adresse für die deutsche Berufsbildung, was immer auch die Opposition heute noch polemisch einwendet, ein entscheidender Fortschritt in der Sache. Glauben Sie mir, Herr Kollege Gölter, es ist nicht Rechthaberei, sondern die Auswertung der Erfahrungen mit jenen Grauzonen in der Bildungspolitik, angesiedelt zwischen Bund und Ländern, die uns letztlich veranlaßt hat, keine weitere Grauzone für die berufliche Bildung zu schaffen, sondern sie eindeutig durch Gesetz der parlamentarischen Verantwortung unterzuordnen. Wir sind es den Jugendlichen in der beruflichen Bildung schuldig, daß der Zusammenhang zwischen gestalterischer Politik und Entwicklung ihrer Ausbildungschancen durch parlamentarische Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten auch für die Zukunft gesichert bleibt. Die Schwerpunkte der Aufgaben und der Zusammenarbeit dieses Instituts sind im Gesetz bezeichnet. Die abgestimmte Erarbeitung der Ausbildungsinhalte, die von allen Fraktionen dieses Hauses für unabdingbar bezeichnet worden ist, kann endlich eingeleitet werden. Ich verbinde damit die Hoffnung, daß bald ein ergänzendes Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern abgeschlossen werden kann, das sich mit jenen Fragen zu befassen hat, die in die rechtliche Kompetenz der Länder gehören, die wir respektieren, Herr Gölter. ({2}) Mit den Vorschriften über die Planung und Statistik verbinde ich die Erwartung, daß bei allen Beteiligten an der beruflichen Bildung die Aufgeschlossenheit für die Zurverfügungstellung der notwendigen Daten besteht. Diese Statistik ist nicht Selbstzweck. Sie dient dazu, daß eine vorausschauende und konstruktive Berufsbildungspolitik möglich wird. Das Bundesinstitut für Berufsbildung ist auf diese Daten angewiesen. Eine abgestimmte Planung aller Beteiligten ist davon abhängig. Vor allem aber werden diese Daten für den jährlich zu erstattenden Berufsbildungsbericht gebraucht, der nach unserer Auffassung eine Art Hauptbuch der deutschen BeBundesminister Rohde rufsbildung werden und uns in die Lage versetzen soll, vor allem der Öffentlichkeit und denen, die Berufsberatung vorzunehmen haben, einen höheren Informationsstand über die Lage und die Entwicklungstendenzen in Ausbildung und Beruf zu vermitteln. Dieses Gesetz ist mit einem Angebot für ein rationales Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Durchführung der Aufgaben der Finanzierung verbunden. Die Sachverständigenanhörungen haben eindeutig klargestellt, daß die Einziehung der Mittel durch die Berufsgenossenschaften effektiv ist und zentral und einfacher vorgenommen werden kann als die steuerliche Lösung über 500 Finanzämter. Außerdem enthält das Gesetz auch die Klarstellung, daß die Mittel, die aus der überbetrieblichen Finanzierung in die berufliche Bildung fließen, steuerlich in gleicher Weise behandelt werden sollen wie die betrieblichen Berufsbildungsinvestitionen. Die Opposition hat zu dem letzteren Tatbestand in den bisherigen Debatten Einwendungen erhoben. Ich habe dafür kein Verständnis, weil nicht einzusehen ist, warum Mittel, die durch eine Gemeinschaftsanstrengung der Wirtschaft für die Berufsbildung aufgebracht werden, anders behandelt werden sollen als betriebliche Leistungen. Der Wille des Bundes, der im Rahmen seiner Zuständigkeiten in dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz zum Ausdruck kommt, ist also gleichzeitig mit einem praktikablen gesetzgeberischen Angebot für die Durchführung in den Ländern gekoppelt worden. Auf den drei Grundlagen Finanzierung, bessere Organisation und Instrumente der Vorausschau wird die Arbeit zur inhaltlichen Ausformung der beruflichen Bildung in der neuen Legislaturperiode fortzusetzen sein. Diese Arbeit wird in Respekt vor dem System der beruflichen Bildung zu erfüllen sein, das sich in seinen beiden Lernorten Betrieb und Schule auch in Zukunft darstellen soll, aber auch im Hinblick auf eine bessere Verbindung von allgemeiner und beruflicher Bildung. Meine Damen und Herren, heute ist eine lange, sehr ins einzelne gehende bildungspolitische Debatte geführt worden. Am Anfang standen politische Rhetorik und große Gebärden des Kanzlerkandidaten der CDU. Jetzt aber, meine Damen und Herren, kommen wir zur Entscheidung. ({3}) Wir erreichen jetzt den Punkt, an dem gesagt werden muß, wer in dieser Situation den Jugendlichen wirklich helfen will. Jetzt stehen wir dem Nein der CDU/CSU gegenüber. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung gehen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir treten nun in die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung steuerrechtlicher und anderer Fragen der Ausbildungsplatzförderung in der Fassung der Anlage 2 zu Drucksache 7/5490 ein. Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir haben nun noch über die Ziffern 3, 4 und 5 des Ausschußantrages abzustimmen. Können wir gemeinsam darüber abstimmen? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Wer den Ziffern 3, 4 und 5 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist mit Mehrheit so beschlossen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Körperschaftsteuerreformgesetz ({0}) - Drucksachen 7/4803, 7/5021 Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 7/5476, 7/5502 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Weber ({2}) Abgeordnete Frau Will-Feld ({3}) b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten van Delden, Lampersbach, Sick, Dr. Sprung, Dr. Kunz ({4}), Schedl, Schmidhuber, Frau Pieser, Dr. Unland und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform - Drucksache 7/3774 -Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({5}) - Drucksachen 7/5476, 7/5502 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Weber ({6}) Abgeordnete Frau Will-Feld ({7}) Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Das Wort hat Herr Abgeordneter Weber.

Prof. Dr. Hubert Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Körperschaftsteuereinführungsgesetz setzen Bundesregierung und sozialliberale Koalition das Schlußstück der Steuerreform. Allen Unkenrufen, Spekulationen und Schwierigkeiten zum Trotz ist damit dieses Reformstück verwirklicht worden, das sich die Koalition zu verwirklichen vorgenommen hatte und das auch in eindrucksvoller Weise die politische Stabilität, die Zuverlässigkeit und die Ausdauer dieser sozialliberalen Koalition bestätigt. Deswegen möchte ich an dieser Stelle einmal all denjenigen danken - wir tun das ja viel zu selten -, die dafür verantwortlich sind, daß diese Gesetze in die Tat umgesetzt werden, nämlich den Beamten und Angestellten bei den einzelnen Finanzämtern. Ich weiß, daß wir dieser Gruppe im öffentlichen Dienst in den letzten Monaten und Jahren sehr viel Opfer und Lerneifer zugemutet haben. Um so mehr wissen wir die Bereitschaft zu schätzen, die jeder einzelne dieser Beamten im Interesse des Steuerpflichtigen und letztlich auch des Staates gezeigt hat. Vielleicht ist es eine kleine Gegenleistung, wenn dieser Bundestag morgen das Steuerbeamtenausbildungsgesetz verabschiedet und diesen Beamten damit etwas Dank entgegenbringt. Das Körperschaftsteuereinführungsgesetz ist die notwendige Ergänzung zum Körperschaftsteuergesetz. Ich möchte mich hier auf die Darstellung von vier Punkten beschränken. Erstens: steuerliche Maßnahmen bei der Änderung der Unternehmensform. Dem Umwandlungssteuergesetz liegt die Konzeption zugrunde, Umwandlungen weitgehend steuerneutral durchzuführen, um die Anpassung der Unternehmensform an die betriebswirtschaftlichen und unternehmenspolitischen Erfordernisse zu ermöglichen. Dies geschieht dadurch, daß beim Vermögensübergang von einer Körperschaft auf eine andere stille Reserven nicht aufgelöst, sondern die Buchwerte fortgeführt werden und daß beim Vermögensübergang von einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft oder auf eine natürliche Person die im Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft enthaltenen stillen Reserven zwar aufgelöst, aber nicht versteuert werden. Zweitens. Die sozialliberale Koalition hat entgegen der ursprünglichen Regierungsvorlage eine auf fünf Jahre befristete Grunderwerbsteuerbefreiung bei Umwandlungen in eine Kapitalgesellschaft beschlossen. Wir waren der Meinung, daß sie notwendig ist, um eine betriebswirtschaftlich und unternehmenspolitisch sinnvolle Umwandlung zu ermöglichen und gleichzeitig die Flucht in zwielichtige Unternehmensformen zu verhindern. Wir haben allerdings die Vorschläge der Opposition und des Bundesrates für eine zeitlich unbefristete Grunderwerbsteuerbefreiung und eine Befreiung für alle Umwandlungsvorgänge abgelehnt, weil wir einfach erwarten, daß sich die Unternehmer innerhalb von fünf Jahren entscheiden, welche Form sie zukünftig für ihre Gesellschaft wählen wollen, und weil wir es unerträglich finden, daß sich die Opposition auf der einen Seite ständig darüber beschwert, daß die Finanzausstattung der Gemeinden sehr schlecht sei, auf der anderen Seite aber in diesem Bereich ohne weiteres bereit gewesen wäre, Steuerausfälle zu Lasten der Gemeinde einzuführen. Drittens. Wir haben die Befreiung von der Gesellschaftsteuer im Zusammenhang mit Umwandlungen abgelehnt, weil wir dies mit den Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft nicht für vereinbar halten und weil dies die Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft stören würde. Viertens: schließlich haben wir die Anpassung der Berlin-Präferenzen an die Körperschaftsteuerreform beschlossen. Für die Bundesregierung und diese Koalition gilt das Prinzip: das Ausmaß der gegenwärtigen wirtschaftlichen und finanziellen Berlin-Förderung wird nicht vermindert, sondern beibehalten und sogar noch verbessert. Wir wissen, daß auch auf lange Sicht steuerrechtliche und haushaltsmäßige Hilfen für Berlin notwendig sein werden, um die wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieser Stadt zu erhalten und zu steigern. Diese Koalition hat diese Hilfen in der Tat in der Vergangenheit gewährt und wird sie auch in Zukunft gewähren. Es ist deshalb kein Zufall, daß sich die Weltrezession in der Bundesrepublik viel schwächer ausgewirkt hat als anderswo und daß sie auch in Berlin viel schwächer bemerkbar geworden ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Die Berlin-Regelung wahrt die Interessen der Berliner Wirtschaft voll und erfolgt in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und dem Berliner Senat. Wir haben in der Vergangenheit sehr viel darüber gehört, daß diese Berlin-Präferenzen nicht ausreichten. Dabei wurden von einem Abgeordneten der Oppositionsparteien alle möglichen Vereine ins Feld geführt. ({0}) Die jetzt vorgenommene Anpassung gewährleistet, daß die Körperschaftsteuerpräferenz für Berliner Einkünfte auch bei Ausschüttungen in mindestens dem gleichen Umfang erhalten bleibt wie vor der Körperschaftsteuerreform. Die Verbesserung der Körperschaftsteuerpräferenz beläuft sich auf ca. 20 Millionen DM. Die Steuerermäßigung für Schachtelerträge, die sich nicht auf Berliner Betriebe beziehen, wird im bisherigen Umfang beibehalten. Allerdings wollen wir einen Mißbrauch durch Kumulation von Vorteilen unterbinden. Auch die bisherigen Vergünstigungen für Berlin-Darlehen bleiben in vollem Umfange erhalten. Auch hier wollen wir allerdings keine zusätzlichen Begünstigungen bei Ausschüttungen an die Aktionäre einräumen. Wenn die Opposition dies will, will sie gleichzeitig eine Steueroase, die nicht gerechtfertigt ist und die auch von den Berlinern nicht gewollt ist. Wir haben allerdings die Bundesregierung in einem Entschließungsantrag aufgefordert, dem Bundestag über die Auswirkungen der Körperschaftsteuerreform auf die Berlin-Darlehen zu berichten. Dr. Weber ({1}) Meine Damen und Herren, namens der SPD-Fraktion bitte ich daher, dem Gesetzentwurf zuzustimmen und die Entschließung anzunehmen. Ebenso bitte ich, die Einleitungsformeln, die ich wegen der Kürze der Zeit zu Protokoll geben möchte, anzunehmen. Das gleiche gilt für den Änderungsantrag auf Drucksache 7/5511, der besagt, daß die Änderungen des Berlinförderungsgesetzes ab 1. Januar 1977 gelten sollen. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Frau Abgeordnete Will-Feld.

Waltrud Will-Feld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002515, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Verabschiedung des Körperschaftsteuerreformgesetzes werden durch das Einführungsgesetz zum Körperschaftsteuergesetz noch zahlreiche andere Gesetze an das neue Körperschaftsteuergesetz angepaßt. Die CDU/CSU-Fraktion sieht die Körperschaftsteuerreform und ein entsprechendes Umwandlungssteuerrecht als Teil einer umfassenden - auch internationalen - Unternehmensordnung an. Der Anfang ist mit dem Gesetz zur Körperschaftsteuerreform und dem vorliegenden Einführungsgesetz gemacht worden. Anpassungen werden in zahlreichen Fällen nur durch die Änderung der Unternehmensform erfolgen können, wobei der von den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf 7/3774 zur „Änderung des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Änderungen der Unternehmensform" vorsieht, daß die Umwandlung entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten möglichst steuerneutral vollzogen werden soll. Die Steuerneutralität ist keine Frage des „Haushalts", also von Steuermindereinnahmen, sondern nur ein Beitrag zur Neugestaltung der Unternehmensordnung gerade auch für den kleineren und mittleren Bereich unserer Wirtschaft; denn Umwandlungen von der einen in die andere Gesellschaftsform werden in der Regel von dem Steuerbürger dann nicht vorgenommen, wenn sie zusätzliche Steuern kosten. Der steuerneutrale Wechsel der Rechtsform einer Gesellschaft kann aber helfen, wichtige Probleme der Nachfolge im Familienunternehmen, in der Unternehmensleitung und bei anderen Fragen zu lösen. Nur das ist der Grund für den von den Mitgliedern meiner Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf, dem die Beratungen im Finanzausschuß in weiten Teilen Rechnung getragen haben. Zur Steuerneutralität gehört aber vor allem auch die Befreiung von der Grunderwerbsteuer. Sie wurde in den Beratungen des Finanzausschusses von drei auf fünf Jahre erweitert und ausschließlich für Umwandlungen von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften einer Gesellschaftsform in Kapitalgesellschaften einer anderen Gesellschaftsform ins Gesetz aufgenommen. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß die Grunderwerbsteuerbefreiung nur für diese steuerliche Einbahnstraße gilt. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, daß im Rahmen einer umfassenden Unternehmensordnung auch die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft begünstigt werden sollte, weil es ein Anliegen der kleinen und mittleren Unternehmen ist, daß diese Unternehmen in die Lage versetzt werden, die ihnen wirtschaftlich und rechtlich am sinnvollsten erscheinende Rechtsform wählen zu können. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert weiterhin, daß die Steuerneutralität bei Umwandlung für die Gesellschaftsteuerbefreiung nicht eine Mehrheit im Finanzausschuß gefunden hat. Die Bundesregierung hatte zu erkennen gegeben, daß sie nicht bereit war, eine Bestätigung der EG-Kommission für die Betreiung von der Gesellschaftsteuer zur Erleichterung von Umwandlungen einzuholen. Nach einer am 23. Januar 1976 beim Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels eingegangenen Auskunft der EG-Kommission wäre ein Antrag der Bundesregierung nach Art. 9 der EG-Richtlinie betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital nicht aussichtslos gewesen, da die Körperschaftsteuerreform eine Änderung des Steuersystems zum Inhalt hat. Die Argumentation, die Gesellschaftsteuer habe der Gesetzgeber schon von 2,5 v. H. auf 1 v. H. herabgesetzt, trägt der Tatsache nicht Rechnung, daß durch die Körperschaftsteuerreform der Anfang einer umfassenden Neuordnung des Unternehmensrechts eingeleitet werden kann. Diese Neuordnung sollte daher in Fällen der rechtlichen Umwandlung nicht mit zusätzlichen Steuern belastet werden. Noch eine Bemerkung zu den Berlin-Präferenzen. Es ist den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion ohne nachprüfbare Berechnungsgrundlagen nicht möglich, die Behauptung der Bundesregierung, die Präferenzen für Berlin seien in vollem Umfang erhalten, zu widerlegen. Schließlich darf ich in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß die CDU/CSU-Fraktion eine Begünstigung für Unternehmen, die elektrische Arbeit durch Wasserkraftwerke erzeugen, ins Gesetz aufgenommen wissen wollte, die bisher in einer Verordnung über die steuerliche Begünstigung von Wasserkraftwerken geregelt war, Die Bundesregierung hat in den Beratungen des Finanzausschusses vorgetragen, daß sie dies durch eine Verwaltungsregelung erreichen wollte. Uns ist zwischenzeitlich bekanntgeworden, daß diese Verwaltungsregelung verlängert worden ist. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Einführungsgesetz zum Körperschaftsteuergesetz in der vorgelegten Form und ebenfalls den Einleitungsformeln zu. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Einführungsgesetz ist die Folge und notwendige Ergänzung der am 10. Juni 1976 im Bundestag verabschiedeten KörperschaftsteuerHoppe reform. Es ist zeitgerecht vorgelegt worden, und deshalb kann heute darüber abgestimmt werden. Damit kann die Reform zum 1. Januar 1977 in Kraft treten. Die FDP hat sich nachdrücklich für diese Reform eingesetzt. Sie hat auch darauf bestanden, daß der Verwaltung hinreichend Zeit eingeräumt wird, um sich auf das umgestellte Verfahren einstellen zu können. Mit der heutigen Verabschiedung des Einführungsgesetzes werden die erforderlichen Voraussetzungen dafür geschaffen. Ein Ziel der Körperschaftsteuerreform war es für uns, die freie Wahl der geeigneten Unternehmensform nicht länger durch steuerliche Bestimmungen behindern zu lassen. Von nun an können Personengesellschaften, die von der Zusammensetzung der Gesellschafter her zweckmäßigerweise als juristische Personen geführt würden, ohne dauernde Mehrbelastung in diese andere, bessere Form umgewandelt werden. Außerdem mußte die Umwandlung selbst erleichtert werden. Die FDP hat sich daher von Anfang an für den Wegfall der Grunderwerbsteuer im Falle einer solchen Umwandlung ausgesprochen. Auch das konnte erreicht werden. Natürlich lag es nahe, in einem solchen Fall auch von der Gesellschaftsteuer abzusehen. Aber hier stoßen Wir in der Tat auf Probleme aus dem europäischen Bereich; denn die Gesellschaftsteuer ist harmonisiert und steht daher nicht mehr so einfach zur Disposition des Bundestages. Ob dafür dennoch in Brüssel eine Ausnahme hätte durchgesetzt werden können, mag dahingestellt bleiben; denn es ist doch ernstlich zu fragen, ob man für eine Belastung von einem Bruchteil eines Prozents des Umwandlungsvermögens überhaupt ein Verfahren in Brüssel in Gang setzen soll. Schließlich beträgt die Gesellschaftsteuer nämlich nur 1 %, berechnet lediglich vom Nominalkapital, und ist außerdem steuerlich voll abzugsfähig. Deshalb war die FDP der Meinung, daß es gerechtfertigt ist, auf den Gang nach Brüssel zu verzichten. Die Übernahme der Körperschaftsteuerreform auf das Instrumentarium der Berlin-Förderung ist im großen und ganzen gelungen. Der Innerdeutsche Ausschuß dieses Parlaments, der heute in Berlin getagt und sich dort mit dieser Frage befaßt hat, konnte sich davon in der Diskussion mit dem Senat von Berlin überzeugen. Im übrigen waren alle Fraktionen dieses Hauses der Auffassung, daß eine öffentliche Diskussion der Berlin-Förderung nicht gerade als besonders nützlich bezeichnet werden kann. Wir sollten in der Lage sein, nach dieser dort vertretenen gemeinsamen Einsicht zu handeln. Die Fraktion der FDP wird dem Gesetz zustimmen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe. ({0})

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem Thema einen kurzen Beitrag leisten. Die Körperschaftsteuerreform macht eine Anpassung des Berlinförderungsgesetzes notwendig. Ohne Anpassung würden die Steuerermäßigungen bei ausgeschütteten Gewinnen wegfallen, weil der Systemwechsel mit dem Anrechnungsverfahren keine Körperschaftsteuer mehr anfallen läßt. Ohne Anpassungsregelung müßten die Unternehmen also bestrebt sein, ihre Gewinne zu thesaurieren und nicht auszuschütten, um in den Genuß der Vergünstigungen zu kommen. Sie würden damit dem Ziel der Körperschaftsteuer zuwiderhandeln. Deshalb wurde - und zwar einvernehmlich - zwischen Berliner Senat und der Wirtschaft in Berlin eine Lösung angestrebt, die die Steuerermäßigung verwendungsneutral, also unabhängig von der Ausschüttungsquote, voll aufrechterhält. Im Fall der Gewinnausschüttung sollte die Entlastung von der Körperschaftsteuer so erfolgen, als wären fiktiv 56 % Körperschaftsteuer gezahlt. Dieser auch steuertechnisch einfachste Vorschlag wurde vor zwei Wochen überraschend aufgegeben. Das Bundesministerium der Finanzen legte am 18. Juni plötzlich Berechnungen vor, wonach dieser Vorschlag angeblich 115 Millionen DM zusätzliche Steuerausfälle zur Folge hätte. Diese Berechnungen waren nicht überzeugend. Sie wurden später zurückgezogen. ({0}) Deshalb liegt auch die Vermutung nahe, daß sie dazu dienen sollte, das Präferenzvolumen zu vermindern. Ein gewisses Mehr ist im Rahmen der neuen Körperschaftsteuer systembedingt ({1}) und gleicht lediglich die erweiterten Ausschüttungsmöglichkeiten westdeutscher gegenüber Berliner Unternehmen aus. Es geht letztlich um die Aufrechterhaltung des Präferenzgefälles; das ist die wichtigste Frage, die wir zu lösen hatten. ({2}) Das Bundesministerium der Finanzen leistete diesem Anliegen Berlins mit seinen Berechnungen nach der Auffassung der CDU/CSU keinen Dienst. Dies hat auch die Tatsache erwiesen, daß zwischen den Beteiligten erstmals keine einvernehmliche Regelung erzielt werden konnte, was auch der Kollege Hoppe weiß und in einer Berliner Tageszeitung durch eine Erklärung zum Ausdruck gebracht hat. Dabei hätten die fiskalischen Auswirkungen und die Berechtigung von Mehrbelastungen schon 1975 errechnet und diskutiert werden können. Denn wir wissen alle, daß die Zeit, in der wir das besprochen haben, lang genug war, um insbesondere die gravierenden Berechnungsfehler zu vermeiden und Meinungsverschiedenheiten, um deren Klärung es uns ging, in Ruhe abzusprechen. Statt dessen kam es am Vorabend der entscheidenden Sitzung im Finanzausschuß - und dies war die völlige Überraschung zu einem Vorschlag ohne Einschaltung der betroffenen Wirtschaft in Berlin, ({3}) zwar mit Einschaltung des Senats, aber gegen den Willen der Berliner Wirtschaft. ({4}) - Das können Sie in jeder Berliner Tageszeitung nachlesen. Die Opposition hat deshalb - und das ist wohl ein einmaliger Vorgang in der Geschichte - die Senatsvorschläge, die ursprünglich mit der Berliner Wirtschaft abgesprochen waren, als ihre eigenen Vorschläge im Finanzausschuß vorgetragen. Sie sind dann, obwohl sie mit der ursprünglichen Meinung des Berliner Senats und der Berliner Wirtschaft kongruent waren, von der Mehrheit der Koalitionsparteien abgelehnt worden. Dies haben wir bedauert. ({5}) Das ist nicht nur unerhört, sondern das ist die Schilderung des Sachverhalts. Der Berliner Senat war auf die Linie der Bundesregierung eingeschwenkt. Aber damit war noch lange nicht die Berliner Wirtschaft auf diese Linie eingeschwenkt. Inzwischen ist es immerhin gelungen, durch zusätzliche Erläuterungen zu klären, was mit dem neuen Vorschlag im einzelnen überhaupt gemeint ist. ({6}) Diese mehr als kurzfristige Überprüfung läßt folgende Feststellung zu, die ich hier abschließend treffen darf. Erstens. Der Vorteil der Körperschaftsteuerermäßigung ist nicht, wie in der ursprünglichen Regelung angestrebt, verwendungsneutral, d. h., er bleibt nicht unabhängig vom Verhältnis der Rücklagen zu den Ausschüttungen erhalten, sondern vermindert sich bei steigender Ausschüttungsquote. Zweitens. Abgesehen von dem nur mit zusätzlichen Erläuterungen möglichen Verständnis des Gesetzestextes erfordert die neue Regelung sehr komplizierte und unübersichtliche Zerlegungen in verschiedene Eigenkapitalsteile, die den Unternehmen nur schwer verständlich zu machen sein werden. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Weber?

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Prof. Dr. Hubert Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wohlrabe, können Sie mir nach all den vielen Erklärungen ({0}) und Verlesungen erklären, warum Ihre Kollegin Frau Will-Feld eben namens der CDU/CSU-Fraktion dem Gesetz und den Berlin-Präferenzen in diesem Gesetz ausdrücklich zugestimmt und diese Regelungen gutgeheißen hat, während Sie nun mit einer Historie, die zwischen Lobby und wahrscheinlich Träumen endet, aufwarten?

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weber, es war nie in Abrede gestellt, daß unsere grundsätzliche Zustimmung deshalb nicht in Frage gestellt ist. Aber richtig ist es deshalb doch - und das kann ja niemand abstreiten -, daß es in der Frage, die ich hier vortrage, eine sehr starke Divergenz der Meinungen gegeben hat, daß dazu Änderungsanträge der CDU/CSU vorlagen und daß diese Anträge von der Mehrheitskoalition abgelehnt worden sind. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie namhafteste Vertreter der Berliner Wirtschaft, darunter die Industrie- und Handelskammer, nicht als Lobby bezeichnen würden. Diese Persönlichkeiten haben zuviel für Berlin getan und sich stark für die Stadt eingesetzt. ({0}) Ich würde dies nicht tun. Drittens. Die Anpassungsregelung erhält nur dann die Präferenzvorteile aufrecht, wenn die als Durchschnittssätze angenommene Prämisse des Bundesfinanzministeriums für die Thesaurierung und die Ertragslage der Unternehmen ab 1977 tatsächlich zutreffen. ({1}) Dies aber ist ungewiß. Viertens. Die Kürzung des Ermäßigungssatzes für Beteiligungserträge ist grundsätzlich als Präferenzkürzung zu werten, auch wenn damit im Ergebnis der Status quo wahrscheinlich aufrechterhalten bleibt. Fünftens. Der Vorteil der Steuerermäßigung entfällt in Zukunft für die Anteilseigner von Kapitalgesellschaften, die Darlehen nach Berlin gewähren. Das ist für uns, wie Sie aus der Diskussion im Finanzausschuß wissen, ein sehr wichtiger Punkt, ({2}) - Darüber gehen die Meinungen auseinander, verehrter Herr Kollege. ({3}) Wir haben im Finanzausschuß als CDU/CSU-Gruppe eine geschlossene Meinung vorgetragen, die ich hier wiederhole, obwohl das haushaltsmäßige Risiko für eine positive Regelung von allen Seiten als gering erachtet wurde. Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe die Aufregung nicht. Mir lag daran, einen kurzen Beitrag zur Sache zu leisten, zu den im Finanzausschuß unterschiedlichen Meinungen. Diese Auffassungen sind in Berlin bis heute in der Diskussion. Sie sind nicht ausgeräumt. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wir werden, trotz dieser Unterschiede in einem für die Berliner sehr wichtigen Punkt, diesem Gesetzentwurf insgesamt - das hat meine Vorrednerin bereits gesagt - zustimmen; unbeschadet der Tatsache und dem Wunsch, ({4}) daß in Fragen Berlins alle - der Bund, die Landesregierung und auch die Betroffenen selbst - wie in der Vergangenheit möglichst wieder einer Meinung sein sollten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler. ({0})

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es nicht für angemessen, daß wir zu so später Stunde bei einem so komplizierten System versuchen, nun auch noch das letzte Tröpfchen politischer Suppe vor der Wahl warm zu machen. Das hat der Herr Kollege Wohlrabe hier versucht. Er hätte sich dafür eine andere Gelegenheit aussuchen sollen, zumal es auch einige Untertöne gab, die mich veranlassen, hier einige Worte zu sagen. Berlin will eine wirtschaftlich leistungsfähige Stadt bleiben und die wirtschaftliche Existenz seiner Bürger langfristig sichern. Aber es hegt keinen Ehrgeiz, so etwas wie ein zweites Liechtenstein zu werden. ({0}) Worauf es uns ankommt, ist, daß wir z. B. nicht, wie Sie es in dem einen Punkt dargestellt haben, als Sie über die Berlin-Darlehen sprachen, mehr Holdinggesellschaften nach Berlin bekommen, ({1}) wo ohne Engagement kassiert wird, sondern für uns kommt es darauf an, - ({2}) - Lieber Herr Kollege Wohlrabe, Sie haben sich mit dieser Frage genauso beschäftigt wie ich. ({3}) Sie wissen genauso wie ich, daß es sich um eine außergewöhnlich schwierige und komplizierte Materie handelt. Sie haben gesagt, Vorteile entfallen künftig. Das stimmt nicht. Die alten Vorteile werden weitergewährt. Aber dieser Punkt der BerlinDarlehen ist nicht der entscheidende Punkt der Berlin-Förderung insgesamt. Noch einmal: Wir wollen keine Holdinggesellschaften, sondern wir wollen sichere und zukunftsträchtige Arbeitsplätze in Berlin haben. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte!

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich wollte nur fragen, ob Ihnen bei meinem Beitrag nicht aufgegangen ist, daß ich, wie es der Sache auch gebührt, zwischen Holdinggesellschaften und der Gewährleistung von Darlehen nach §§ 16, 17 des Berlinförderungsgesetzes unterschieden habe? Das ist doch ein sehr großer Unterschied in der Sache. Das dürfen Sie nicht verquicken. Ist Ihnen das nicht aufgefallen? Sie haben es verquickt.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich ist mir das aufgefallen. Wenn es mir nicht aufgefallen wäre, Herr Kollege Wohlrabe, würde ich jetzt zu Ihnen kommen und sagen: Geben Sie mir doch bitte einmal Ihr Manuskript. Sie haben hier heute nicht sehr laut und überzeugend gesprochen, ({0}) aber ich würde in Ihrem Manuskript nachgucken, wenn ich das nicht mitgekriegt hätte. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Löffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Huber?

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Löffler, können Sie sich noch erinnern, daß in der Ausschußsitzung des Finanzausschusses der Vertreter des Berliner Senats selber große Bedenken des Berliner Senats in der Darlehnsfrage vorgetragen und gesagt hat, die Stadt Berlin wolle nicht die erste sein, die diesen Sündenfall begehe, und meinen Sie nicht auch, daß der Senat als die gewählte politische Vertretung das Urteil in dieser Frage zu sprechen habe und nicht die Wirtschaft? ({0})

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihre Ausführungen, Frau Kollegin Huber, voll und ganz unterstreichen. Ich sage hier auch ganz deutlich: Es war eine ({0}) Löllier - ach, lieber Herr Reddemann, nun sagen Sie bloß, daß Sie davon auch noch etwas verstehen ({1}) kluge Haltung des Berliner Senates. ({2}) - Lieber herr Reddemann, ich bin sicherlich genauso gut unter der Nase wie Sie. Also, nun müssen Sie wissen: Wollen wir beide jetzt in ein Zwiegespräch eintreten? Dann können wir das machen. Aber ich lasse mir hier natürlich durch Ihre Zwischenrufe nicht das Wort abschneiden. ({3}) Wie gesagt: Es war eine kluge Haltung des Berliner Senats. Denn der Berliner Senat hat natürlich erkannt, daß die Hilfe, die Solidarität und das Engagement des Bundes nicht von irgendwelchen Prozentsätzen abhängen können. Das will ich hier einmal ganz deutlich sagen. Berlin braucht natürlich das Engagement, und zwar nicht nur des Bundes und der Bundesregierung, sondern auch von jedem einzelnen, und dieses Engagement - so haben wir es eigentlich bisher alle in diesem Hause verstanden - sollte eine nationale Aufgabe sein, um die Leistungsfähigkeit und die Lebensfähigkeit dieser Stadt zu erhalten, damit wir den Anspruch der Deutschen auf Normalisierung in Mitteleuropa durchsetzen können. Ich muß sagen: Wenn ich einige Ausführungen höre, wenn ich höre, wie da an Prozentsätzen links herum und rechts herum gehäkelt wird und wie man fragt, ob man nicht noch dieses oder jenes einführen könne, dann habe ich das Empfinden, als wollten sich einige Leute ihre angeblich nationale Haltung mit Steuerprozentsätzen bezahlen lassen. Das - so glaube ich - ist nicht die richtige Haltung. ({4}) Ich sage hier nur das eine: Wir sind dankbar für das Engagement der Bundesregierung, und je maßvoller wir uns verhalten, je vernünftiger wir uns verhalten, um so besser sind auch unsere Chancen, daß dieses Engagement in der Zukunft ungebrochen fortbestehen wird. ({5}) Niemand weiß, Herr Kollege Wohlrabe, was sich in Berlin in den nächsten Jahren entwickeln wird. Vielleicht werden Sie sogar noch einmal auftreten und um neue Hilfe beim Bund bitten müssen. Insofern fand ich es nicht gut, daß Sie hier den Zungenschlag hereingebracht haben, da solle das Präferenzvolumen vermindert werden. Nach allen Berechnungen können Sie diese Auffassung nicht stützen. Das war sachlich falsch und politisch - nebenbei gesagt - in einem hohen Maße unklug. Wenn Sie hier darlegen, daß zwischen dem Senat und der Bundesregierung verhandelt wurde und das, was dort verhandelt wurde, wieder revidiert worden sei und dann Sie als CDU-Fraktion gekommen seien und die Vorschläge des Berliner Senats eingebracht hätten, dann darf ich Sie einmal daran erinnern, daß natürlich eine Verhandlung immer verschiedene Stadien der Beratung hat und diese verschiedenen Stadien der Beratung auch verschiedene Stadien der Erkenntnis widerspiegeln. Das muß man mit einberechnen. Und im übrigen sah es ja so aus, daß sich bis vor drei Wochen der Berliner Senat und die Bundesregierung völlig einig waren. Ich darf hier nur das eine erklären: Wir sind dankbar dafür, daß diese Anpassung gelungen ist und daß ({6}) bei dieser Anpassung - und so genau ist es, Herr Wohlrabe! nicht nur das Präferenzvolumen in vollem Umfang erhalten geblieben ist, sondern daß auch durch das Mehr von 20 Millionen DM, das über die Körperschaftsteuer den Berliner Unternehmungen zugute kommt, das Präferenzgefälle gewahrt worden ist. ({7}) Insofern ist diese Anpassung für Berlin außerordentlich nützlich. Das muß auch so bezeichnet werden, und diese Leistung muß gegenüber irgendwelchen kleinkarierten Kritiken, die angebracht werden, zurücktreten. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Offergeld.

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja bisher nicht üblich gewesen, daß es über die Berlin-Förderung im Plenum Diskussionen gibt. Das ist erst der Fall, seitdem sich Herr Wohlrabe in der CDU-Fraktion mit diesem Thema beschäftigt. ({0}) - Herr Wohlrabe, Sie ersetzen mangelnde Sachkenntnis durch Polemik. Wie anders ist es denn zu verstehen, daß Sie hier z. B. kritisieren, daß es jetzt zu einer Eigenkapitalaufteilung kommt; das ist ja mit dem System der Körperschaftsteuer, das wir alle gemeinsam verabschiedet haben, verbunden. Das ist gar kein spezielles Problem der Berlin-Förderung. Wie ist es weiter anders zu verstehen, daß Sie hier noch einmal die Diskussion auf die Berlin-Darlehen bringen. Sie wissen, daß der Senat wie auch die Bundesregierung dargelegt haben, ({1}) daß davon auszugehen ist, daß die geänderte Regelung in keiner Weise auf das Volumen der Berlin-Darlehen einen Einfluß haben wird und daß eine andere Regelung nur unter Durchbrechung des Körperschaftsteuersystems, das wir ebenfalls gemeinsam beschlossen haben, möglich gewesen wäre. Herr Wohlrabe, mir liegt daran, festzustellen: Erstens. Entgegen Ihrer Darstellung hat es niemals die Zustimmung der Bundesregierung zu einer ande18312 ren Regelung gegeben, als sie jetzt verabschiedet wurde, und es war auch niemals so, daß der Senat Vorschläge vorgebracht und dann aus dem Verkehr gezogen hätte. Es hat von seiten des Senats eine Diskussionsgrundlage gegeben. Darüber ist diskutiert worden, und dann kam es zu einer einverständlichen, gemeinsamen Vorlage der Bundesregierung und des Senats. Zweitens. Es war auch niemals so, daß die Bundesregierung auch nur daran gedacht hätte, das Präferenzvolumen einzuschränken. Im Gegenteil! Wir haben immer deutlich gemacht, daß das Präferenzvolumen im wesentlichen erhalten, aber nicht wesentlich ausgeweitet werden sollte. Dieses Präferenzvolumen ist auch erhalten geblieben. Sie wissen genau, daß wir davon ausgehen müssen, daß 20 Millionen DM mehr Haushaltsausfälle als bisher entstehen werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe? - Bitte.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß viele Beteiligte in Berlin, allen voran die Industrie- und Handelskammer, das, was Sie eben sagten, daß es nämlich einen Ausgleich wirklich geben würde, nicht teilen? Sagen die alle etwas Falsches?

Rainer Offergeld (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001641

Herr Wohlrabe, es gab weitergehende Wünsche der Wirtschaft. Das ist wohl immer so, und das ist Ihnen in Ihrer sonstigen parlamentarischen Tätigkeit doch auch schon vorgekommen, daß Beteiligte, Interessenten, weitergehende Wünsche haben, daß man aber das im Gesamtrahmen haushaltsmäßig und politisch Vertretbare machen muß. Das ist auch hier der Fall. Wir sind dem Senat weitgehend entgegengekommen - wie Sie wissen, entgegen unseren ursprünglichen Vorstellungen. Allein die Tatsache, daß das Präferenzvolumen, haushaltsmäßig gesehen, nicht nur erhalten, sondern um 20 Millionen DM ausgeweitet wird, belegt hinreichend meine These, daß von einem Abstrich der Berlin-Förderung in keiner Weise die Rede sein kann. Das ist der Punkt, auf den es ankommt. Ich weise nochmals Ihre Unterstellung zurück, die immer wieder durchklang, die Bundesregierung habe das Präferenzvolumen einschränken wollen; davon war nie die Rede. Die Bundesregierung bekennt sich nach wie vor zur Berlin-Förderung und hat das durch ihre Zustimmung zu dem Kompromiß mit dem Berliner Senat auch deutlich gemacht. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Abstimmungen. Ich rufe zunächst Art. 1 bis 10 c auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Wir kommen zu Art. 10 d. Dazu liegt der interfraktionell gestellte Änderungsantrag Drucksache 7 5511 vor. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ebenfalls einstimmig so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über Art. 10 d in der nunmehr geänderten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Nunmehr rufe ich Art. 11 bis 13 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen?- Einstimmig so beschlossen. Wir stimmen jetzt noch über den Ausschußantrag unter Ziffer 2 ab, den Gesetzentwurf Drucksache 7/3774 für erledigt zu erklären. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen. Ich rufe den Ausschußantrag unter Ziffer 3 - Entschließungsantrag - auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen. Im Ausschußantrag unter Ziffer 4 geht es darum, die Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir haben uns vorgenommen, heute noch Punkt 6 der Tagesordnung zu behandeln: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung ({0}) - Drucksache 7/261 Bericht und Antrag des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 7/5456, 7/5458 Berichterstatter: Abgeordneter Meinike ({2}) Abgeordneter Eilers ({3}) ({4}) Ich darf an Stelle des Berichterstatters, der sich nicht mehr zu Wort gemeldet hat, darauf aufmerksam machen, daß in den letzten Artikel, nämlich Art. 83, der Art. 7 Nr. 1 Buchst. a eingefügt werden soll. Das müßte hier entsprechend korrigiert werden. Wird das Wort in zweiter Lesung gewünscht? - Herr Abgeordneter Schreiber, bitte.

Heinz Schreiber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß die Steuern viele Lebensbereiche berühren, so bestätigt der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf eines Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung mit seinen 83 Artikeln diese Tatsache anschaulich. Über 70 Gesetze, davon fast zur Hälfte Steuergesetze, sind hiervon betroffen. Bei einem großen Teil der Bestimmungen handelt es sich zwar um redaktionelle Anpassungen, jedoch sind einige Änderungen von materieller Bedeutung. Insbesondere wird das durch Sonderbestimmungen in zahlreichen Leistungsgesetzen stark durchlöcherte Auskunftsrecht der Finanzämter in einigen Teilbereichen wieder befestigt. Von wirtschaftspolitischer Bedeutung sind außerdem die einkommensteuerlichen Vorschriften über geringwertige Wirtschaftsgütern und die Bilanzierung von Steuern und Zöllen. Die Voraussetzung für Steuervergünstigung für Krankenhäuser und Altenheime, die bisher nach der Gemeinnützigkeitsverordnung und in den Einzelsteuergesetzen geregelt wurde, wird den Vorschriften der Abgabenordnung 1977 angepaßt. Da die Verträge mit den Heimbewohnern langfristig abgeschlossen werden und wir eine stärkere Belastung wegen dieses Gesetzes vermeiden wollen, ist nach unserer Ansicht für die Anpassung an die neuen Voraussetzungen eine Übergangszeit von fünf Jahren notwendig. Der an die Bundesregierung gerichtete Entschließungsantrag unterstützt dieses nachdrücklich. Zwei Bereiche möchte ich jedoch noch besonders hervorheben: die Regelung der Auskunfts- und Beistandsrechte der Finanzbehörden und die Vorschriften über die geringwertigen Wirtschaftsgüter. Durch die Änderung und Erweiterung des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes ist sichergestellt, daß, wie sich auch aus der Entschließung ergibt, mit der Neufassung keine Einschränkung der bisher bestehenden Abschreibungsmöglichkeiten für geringwertige Wirtschaftsgüter verbunden ist. Dies wollen wir auch nicht. Nach unserer Auffassung wird der Begünstigungsrahmen eher geringfügig erweitert. Die Behörden sind grundsätzlich verpflichtet, um den anderen Themenbereich anzusprechen, den Finanzbehörden Auskunft zu erteilen und Amtshilfe zu leisten. In zahlreichen Leistungsgesetzen insbesondere jüngeren Datums ist diese Verpflichtung gestrichen worden. In einigen Gesetzen wurden die Behörden auch von der Verpflichtung befreit, eine vorsätzliche Steuerhinterziehung dem Finanzamt anzuzeigen. Diese sozusagen routinemäßig und weitgehend unreflektiert in das geltende Recht übernommenen Regelungen bilden keine ausgewogene Lösung zwischen dem der Sicherung des Steueraufkommens dienenden Auskunfts- und Amtshilferecht in der Finanzbehörde einerseits und den Interessen der anderen Behörden unter Geheimhaltung der ihnen anvertrauten Tatsachen andererseits. Die vorn Ausschuß noch für vertretbar erachtete Kompromißlösung sieht folgendes vor: Bei besonders schweren Straftaten wird auf die Beistandspflicht der anderen Behörden nicht verzichtet. Bei Steuerstraftaten sowie bei zwingendem öffentlichem Interesse dürfen die Finanzbehörden alle Erkenntnisse verwerten. Ausgenommen sind die Sicherstellungsgesetze und das Gesetz für die Statistik für Bundeszwecke. Der Bereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird wegen seiner besonderen Interessenlage gesondert geregelt. Mit der Neuregelung ist der ungerechtfertigten Ausweitung behördlicher Geheimhaltungsbefugnisse Einhalt geboten. Vor einigen Wochen, meine Damen und Herren, haben wir das Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verabschiedet. Das Ziel dieses Gesetzes ist nur erreichbar, wenn die Behörden ihre Kenntnisse noch intensiver verwerten können. Es ist daher sicher notwendig, daß der Gesetzgeber in Zukunft nicht nur auf eine weitere Einschränkung der Auskunftspflicht gegenüber der Finanzverwaltung verzichtet, sondern auch bestehende gesetzliche Regelungen daraufhin überprüft, ob ihre Aufrechterhaltung zwingend geboten erscheint. Die hierfür notwendige Beratung war in dem uns jetzt zur Verfügung stehenden Zeitraum leider nicht möglich. Der Umfang des Gesetzes, die fortgeschrittene Stunde und die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit sowie die Hitzewelle sind sicher Gründe genug, nicht noch weiter in die Einzelheiten des Gesetzes einzusteigen. Lassen Sie mich deshalb abschließend auf den Zusammenhang eingehen, in dem dieses Gesetz steht und der ihm in unerwarteter Weise eine besondere Bedeutung zukommen läßt. Vor 5 1/2 Jahren, d. h. im Jahre 1970, übersandte die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf einer neuen Abgabenordnung. Dieses sogenannte steuerliche Grundgesetz mit seiner Auswirkung auf alle Steuergesetze war das erste Steuerreformgesetz. Weitere wichtige Steuerreformgesetze sind in der Zwischenzeit eingebracht, verabschiedet und zum größten Teil schon in Kraft gesetzt worden. Mit dem Einführungsgesetz zur Abgabenordnung schließt sich der Kreis. Ohne das naheliegende Wortspiel von der Abgabenordnung als dem steuerlichen Alpha und Omega unangemessen zu strapazieren, so kann doch gesagt werden, daß dieses Gesetz den Schlußstein auf einem bedeutenden, in sich abgerundeten Reformwerk bildet. Das Steuerrecht muß zwar auch in Zukunft laufend an die sich ändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Ziele angepaßt werden. Gesetzesänderungen in dem Ausmaß, wie sie die nunmehr abgeschlossene Reform des Steuerrechts und des Familienlastenausgleichs mit sich brachte, kommen jedoch in den nächsten Jahren mit ziemlicher Sicherheit nicht in Betracht. Diese gesetzgeberische Ruhe ist auch notwendig, denn alle Beteiligten, sowohl die Bürger als auch die Steuerverwaltung und die Steuergerichte, sollen sich auf die neue Rechtslage einstellen können. Für uns Sozialdemokraten ist dieses Gesetz ein willkommener Anlaß, rückblickend festzustellen, daß es dieser Bundesregierung gelungen ist, gegen zum Teil heftige Widerstände ein Stück sozialer Gerechtigkeit auch im steuerlichen Bereich zu verwirklichen. ({0}) Der Politiker ist realistisch genug, um von denen, die durch die Einkommensteuerreform um 15 Milliarden DM finanziell entlastet worden sind, keinen Dank zu erwarten. Wir wollen jedoch unsererseits an dieser Stelle all denen danken, die zum Teil bis an die Grenze der physischen Belastbarkeit mitgeholfen haben, dieses Reformwerk zustande zu bringen, sowie denjenigen, die es in die Realität des Alltags umsetzen. Über 70 Gesetze sind allein in diesem Einführungsgesetz geändert worden. Hierfür war eine sorgfältige Vorbereitung und Beratung notwendig, die auch zügig und kooperativ durchgeführt werden konnte. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle den Mitarbeitern des Finanzausschusses und der Ministerien, insbesondere natürlich des Finanzministeriums, besonders danken. Die Verabschiedung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung gibt nunmehr der Finanzverwaltung die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter mit den Regelungen des neuen Abgabenrechts vertraut zu machen. Die Schulungen und Unterrichte können somit verstärkt fortgesetzt werden. Mit der Änderung des Steuerbeamtenausbildungsgesetzes, das für morgen vorgesehen ist, tragen wir hierzu bei. Die Fraktion der SPD stimmt diesem Gesetz uneingeschränkt zu. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Eilers.

Jan Eilers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000457, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegen der Antrag des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung in der Drucksache 7/5456 und der ausführliche Bericht des Abgeordneten Meinike ({0}) und von mir selbst vor. „Ausführlich" sagte ich soeben; dennoch mußte die Präsidentin darauf aufmerksam machen, daß zwei Ergänzungen, wenn auch nur rein gesetzestechnischer Art, erforderlich sind, liber die nachher noch beschlossen werden muß. Sie haben sie, Frau Präsidentin, im einzelnen schon dargelegt. Die alte Reichsabgabenordnung, die über ein halbes Jahrhundert Geltung hatte, wird durch die neue Abgabenordnung, die am 1. Januar 1977 in Kraft tritt, abgelöst. Gleichzeitig aber ist die Anpassung einer großen Zahl steuerlicher und anderer Gesetze notwendig. Insgesamt handelt es sich dabei um rund 100 Gesetze und Vorschriften. Diese Aufgabe rechtzeitig zu bewältigen, so daß der Bundestag auch das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung noch verabschieden kann, war nur durch die Einsetzung eines Unterausschusses des Finanzausschusses möglich, der aus fünf Personen bestand. Diese fünf Mitglieder haben auch bei der über drei Jahre dauernden Beratung der Abgabenordnung bereits mitgewirkt, so daß es ihnen verhältnismäßig leicht fiel, dieses Einführungsgesetz zu behandeln. Ich stelle ausdrücklich und dankbar fest, daß die beteiligten Vertreter der Bundesregierung und des Bundesrates in bemerkenswerter Weise bereitwillig und schnell den Anforderungen des Unterausschusses nach weiterer Unterrichtung gefolgt sind. Mein Dank gilt gleichermaßen auch den Mitarbeitern des Finanzausschusses. In den bereits erwähnten Berichten und in dem Antrag des Finanzausschusses wurde die Materie so ausführlich dargelegt, daß ich mich auf wenige Punkte beschränken will, bei denen die CDU/CSU im Finanzausschuß anderer Ansicht war als die Vertreter der SPD und der FDP. Dabei fand der Antrag der CDU/CSU, die Art. 58 - Landwirtschaftsgesetz -, 70 - Arbeitsförderungsgesetz - sowie 71 - Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - ebenso zu behandeln wie das Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke leider keine Mehrheit. Wir sind jedoch nach wie vor der Ansicht, daß durch die von der Mehrheit beschlossene Fassung die Bereitschaft der Bürger zur Abgabe richtiger Daten geringer wird. Dadurch verliert natürlich auch die Aussagekraft einer darauf aufbauenden Statistik erheblich an Wert. Diese Tatsache kann zu unübersehbaren Konsequenzen für die Planung und gleichgerichteten Maßnahmen der Regierung führen, ganz abgesehen davon, daß die Beziehungen zwischen Staat und Bürger auf diese Weise nicht vertrauensvoller werden können. Die CDU/CSU wird deshalb diese Artikel in der jetzigen Fassung auch heute in der zweiten Lesung ablehnen. Sehr wesentliche Bedenken hat die CDU/CSU-Fraktion auch gegen die von der Mehrheit der SPD-und FDP-Mitglieder im Finanzausschuß beschlossene Fassung des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes. Wegen der großen Bedeutung dieses Problems, meine Damen und Herren, darf ich hier nochmals unsere ablehnende Haltung zu dieser Gesetzesänderung kurz deutlich machen. Es geht um die Bewertungsfreiheit bei den sogenannten geringwertigen Wirtschaftsgütern, jenen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens also, bei denen die Anschaffungs- und Herstellungskosten im vollen Umfang im Jahr der Herstellung oder Anschaffung abgesetzt werden können. Ausgelöst wurde die Änderung durch neuere Urteile des BFH, worin er zu der selbständigen Nutzungsfähigkeit des einzelnen Wirtschaftsgutes Stellung genommen hat. Die Bundesregierung, ihre Vertreter und Mitglieder der Koalitionsfraktionen sehen in der Rechtsprechung des BFH eine Ausweitung des Begriffes ,.geringwertige Wirtschaftsgüter", die im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte nicht hingenommen werden könnte. Die Bundesregierung vermutet - so muß ich es formulieren - einen jährlichen Ausfall von etwa 5 Milliarden DM. Sie ist aber leider nicht in der Lage gewesen, für diese Vermutung irgendeine Eilers ({1}) Unterlage dem Finanzausschuß zur Verfügung zu stellen. ({2}) - Herr Kollege Wehner, wir haben sehr eingehend darüber beraten. Es kann sich um 500 Millionen DM handeln, es kann sich um eine Milliarde DM handeln, es kann sich um 5 Milliarden DM handeln. Wir sind auf Schätzungen angewiesen, und weil diese Schätzungen nicht belegt werden können, bedauern wir, nicht zustimmen zu können. Wir haben gegen diese Änderung des Einkommensteuergesetzes erhebliche Vorbehalte, weil wir nicht überzeugt sind - ich sagte es eben schon -, daß die Neuregelung die Rechtssicherheit bringt, die sich die Bundesregierung von der Neuformulierung erhofft. Das war der wesentliche Grund, weswegen die Bundesregierung diese Änderung beantragte. Wir wollen an der bisherigen Besteuerungspraxis nichts ändern, müssen aber befürchten, daß die vom Finanzausschuß mehrheitlich beschlossene Änderung diesem Titel nicht gerecht wird. Wir sind eben nicht sicher, ob die vorgesehene Änderung nicht doch über das Ziel hinausschießt und zu einer Einschränkung der Bewertungsfreiheit bei geringwertigen Wirtschaftsgütern führt. Wir würden dem umgekehrten Weg, als er hier gegangen wird, den Vorzug gegeben haben. Die Aufforderung an die Bundesregierung in der Entschließung, eine Untersuchung über die Auswirkung der BFH-Rechtsprechung vorzunehmen und dann dem Bundestag innerhalb zweier Jahre zu berichten, hätte besser am Anfang stehen sollen. So hätte eine brauchbare Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestanden. Wir wären nicht auf Vermutungen hinsichtlich der finanziellen Seite des Problems angewiesen gewesen. Dies wäre gerade auch bei der gegenwärtigen Konjunkturentwicklung, glaube ich, vertretbar gewesen, weil nicht auszuschließen ist, daß sich die Unsicherheit, die die Änderung auslösen kann - ich sage ausdrücklich: kann -, nachteilig und hemmend auf die so notwendigen Investitionen unserer Wirtschaft auswirkt. Nun noch ein anderes, meine sehr verehrten Damen und Herren. In § 5 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes wird eine Vorschrift angefügt, wonach als Aufwand berücksichtigte Zölle und Verbrauchsteuern bei Wirtschaftsgütern des Vorratsvermögens zu aktivieren sind. Ich empfehle Ihnen, hier jetzt besonders aufmerksam zuzuhören, weil es um ein Gewerbe geht, das jetzt in der Hitze in der Lage ist, uns einigermaßen eine Linderung zu verschaffen durch die Herstellung des Gerstenbräus. Bei der Beschlußfassung über § 5 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes gingen wir im Finanzausschuß davon aus, daß durch diese Vorschrift lediglich die Fortführung der bisherigen Verwaltungspraxis sichergestellt werden sollte, nachdem der Bundesfinanzhof im sogenannten Biersteuerurteil eine andere Auffassung vertreten hatte. Nachträglich stellt sich jetzt heraus, daß die Aktivierung der Biersteuer im Bereich der Brauwirtschaft bisher offenbar doch nicht so allgemein üblich war, wie es uns von den Vertretern der Bundesfinanzverwaltung im Finanzausschuß vorgetragen wurde. Uns liegen jedenfalls entsprechende Eingaben vor. Die Bundesregierung, insonderheit der Bundesfinanzminister wird zu prüfen haben, ob die Brauwirtschaft durch die erwähnte Änderung unangemessene Nachteile erleidet. Dies wäre gegen die Intention des Gesetzgebers. Es ist unsere Auffassung, daß in einem solchen Falle durch eine Billigkeitsregelung der Verwaltung geholfen werden sollte und auch könnte. Im übrigen darf ich auf den ausführlichen schriftlichen Bericht Bezug nehmen. Ich darf mit Genugtuung feststellen, daß die Schlußabstimmung im Finanzausschuß zum Gesetzentwurf und zu den beiden Entschließungen einstimmig gefallen ist, dies im wesentlichen jedoch nur, weil die CDU/CSU trotz der von mir vorgetragenen Bedenken das Gesetzeswerk ins Leben treten lassen will. Meine Damen und Herren, die neue Abgabenordnung gibt dem Staatsbürger, so hoffe ich, eine größere Gewißheit, so gerecht wie nur möglich zur Zahlung von Steuern herangezogen zu werden, und dem Staat die Möglichkeit, das, was ihm zukommt, auch zu erhalten. Steuern sind nun einmal der Preis der Zivilisation. Aber der Staat sollte mit den Steuern sparsam umgehen. Damit meine ich: Sparsamkeit ist die goldene Mitte zwischen Verschwendung und Geiz. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit der gerade erfolgten Verabschiedung des Einführungsgesetzes zum Körperschaftsteuerreformgesetz und dieser abschließenden Lesung eines Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung wird die steuerpolitische Herkulesarbeit dieser 7. Legislaturperiode zu einem guten Abschluß gebracht. ({0}) Etappen dieser steuerpolitischen Arbeit waren die Grundsteuer, Erbschaft- und Vermögensteuer, Einkommensteuer inklusive Kindergeld in absoluten Beträgen vom ersten Kind an sowie eine grundsätzliche Umgestaltung der Körperschaftsteuer weg von der Doppelbesteuerung, hin zum Anrechnungsverfahren. Alles in allem sehr gut vorzeigbare Entlastungen insbesondere im unteren und mittleren Einkommens- und Vermögensbereich. Bei diesem Einführungsgesetz geht es konkret darum, zahlreiche steuerliche und nichtsteuerliche Gesetze an die neue Abgabenordnung, die wir in diesem Hause gemeinsam Ende 1975 verabschiedet haben, so anzupassen, daß die Abgabenordnung beschlußgemäß zum 1. Januar 1977 in Kraft gesetzt werden kann. Das vorliegende Gesetz ist logische Konsequenz der Abgabenordnung, dem steuerpolitischen Grundgesetz, das ab nächsten Jahr der neue Mantel für das gesamte Steuerrecht sein wird. Um die Vielzahl der im Einführungsgesetz vorgenommenen redaktionellen Anpassungen und auch Folgeregelungen nur exemplarisch anzudeuten, möchte ich zum Beispiel erwähnen das Finanzverwaltungsgesetz, das Außensteuergesetz, die Vermögensteuer, Verwaltungszustellungsgesetz, das Handelsgesetzbuch. Insgesamt sollen es über 100 Gesetze und Regelungen sein, die von diesem Einführungsgesetz berührt sind. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Einführungsgesetz den Anwendungsbereich der Abgabenordnung auf Prämien- und Zulagengesetze, wie das dritte Vermögensbildungsgesetz und das Wohnungsbau- und Sparprämiengesetz, ausweitet und nunmehr von den zahlreichen Neuregelungen lediglich drei weitere ansprechen. Erstens. Praktische Erleichterungen in der Buchführung werden dadurch erreicht, daß Handelsbücher und sonstige erforderliche Aufzeichnungen auch auf Datenträgern erfaßt werden können und für den Jahresabschluß die bisherige Inventur das heißt körperliche Bestandsaufnahme - durch ein geschichtetes Stichprobenverfahren sehr erleichternd durchgeführt werden kann. Zweitens steuerliche Regelungen, die, beispielsweise bei privaten Krankenhäusern, der Bewertungsfreiheit für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens Dauercharakter geben. Die weitere Freistellung der privaten Altenheime hinsichtlich Umsatz- und Gewerbesteuer soll künftig daran geknüpft werden, daß mindestens zwei Drittel der Leistung einem bestimmten Personenkreis zugute kommen müssen, der nachweislich die Hilfe unserer Gesellschaft nötig hat. Daß ein praktikabler Übergang bei Härtefällen in fünf Jahren sichergestellt werden kann, sieht eine Entschließung vor, die wir begrüßen. Zum dritten wurde das Auskunfts- und Amtshilferecht der Finanzbehörden gegenüber den Geheimhaltungsinteressen anderer Behörden geregelt. Wir gehen dabei von dem Grundsatz der Auskunftspflicht von Behörden aus, die in der Abgabenordnung verankert ist, sehen aber auch die guten Gründe, in Einzelfällen per Gesetz diesen Grundsatz einzuschränken. Ich möchte deutlich betonen, daß die Auskunfts- und Amtshilfepflichten sowohl bei Bundesstatistik- als auch bei Sicherstellungsgesetzen z. B. nicht gelten. Es steht fest, daß die in diesem Gesetz gefundene Regelung keine Steuerstraftaten schützen, und ich meine, daß dies auch angesichts der kürzlich erfolgten Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nicht logisch wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Aufgenommen in das Einführungsgesetz ist die Verpflichtung zur Auskunft und Anzeige, wenn es nötig ist, nämlich dann, wenn die Finanzbehörden Kenntnisse für die Durchführung eines Verfahrens wegen einer Steuerstraftat benötigen, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Auch hier und da bestehende Aufgeregtheit, daß bei Auskünften im Rahmen des Landwirtschaftsgesetzes eine Weitergabe an das Finanzamt bei den freiwillig buchführenden Landwirten zu befürchten sei, ist völlig unbegründet, weil dieser landwirtschaftliche Personenkreis überhaupt nicht auskunftspflichtig im Sinne dieses Gesetzes ist. Abschließend möchte ich hervorheben, daß wir die Gesetzesergänzung und einen Entschließungsantrag begrüßen, die sicherstellen wollen, daß derselbe Kreis geringwertiger Wirtschaftsgüter entsprechend der bisherigen Praxis sofort im Jahr der Anschaffung oder Herstellung abgeschrieben werden kann. Einer möglichen Ausweitung als Folge von Bundesfinanzhofsurteilen mit möglichen Steuermindereinnahmen, wie immer man sie auch schätzen möge, auf jeden Fall in Milliardenhöhe, können wir nicht folgen. Insgesamt stimmen wir diesem Einführungsgesetz und einigen Sonderregelungen zu und hoffen, damit die umfangreiche und, wie ich meine, erfolgreiche steuerliche Gesetzgebungsarbeit dieser Legislaturperiode bis auf das eine morgen noch zur abschließenden Beratung anstehende Gesetz zu beenden. Ich verbinde damit den Dank an alle, die daran mitgewirkt haben. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Einzelabstimmung in zweiter Beratung. Dabei ist gebeten worden, über einzelne Artikel getrennt abzustimmen. Ich rufe also zunächst die Art. 1 bis 7 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Einstimmig so beschlossen. Ich rufe nun Art. 7 a auf, und zwar zunächst die Nr. 1. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe die Nr. 2 auf. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe nun die Nrn. 3, 4, 5, 6, 7 bis 16 auf. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Art. 7 b bis 57 a auf. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen. Ich rufe jetzt Art. 58 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen. Ich rufe nun Art. 59 bis 69 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen. Art. 70! Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen. Art. 71! Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe Art. 72 bis 82 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe Art. 83 in der veränderten Fassung, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir treten ein in die dritte Lesung. Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer in dritter Lesung dem Gesetz seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Ich rufe die im Antrag des Ausschusses aufgeführten weiteren Punkte auf. Es handelt sich unter Ziffer 2 um zwei Entschließungsanträge. Ich glaube, wir können gemeinsam darüber abstimmen. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen. Ich rufe die Ziffern 3 und 4 des Ausschußantrages auf, den Gesetzentwurf auf Drucksache 7/181 sowie die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unseres heutigen Programms. Ich berufe das Haus auf morgen, Donnerstag, den 1. Juli 1976, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.