Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 21. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel ({0}), Dr. Miltner, Berger, Dr. Klein ({1}), Gerster ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Fortentwicklung des öffentlichen Dienstes ({3}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5433 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 16. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten de Terra, Dr. Hornhues, Frau Benedix, Böhm ({4}), Franke ({5}), Sauer ({6}), Dr.-Ing. Oldenstädt, Mursch ({7}), Nordlohne, Dr. von Bismarck und Genossen betr. Schülerwarteräume in Verbindung mit Büchereien in Bahnhöfen der Deutschen Bundesbahn ({8}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5447 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 24. Juni 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Russe, Springorum, Schmidhuber, Zeyer, Dr. Müller-Hermann, Eigen, Müller ({9}), Dr. Stavenhagen, Dr. Narjes und der Fraktion der CDU/CSU betr. statistischer Bericht über die Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deuschland im Jahr 1974 sowie im Jahr 1975 ({10}) beanwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/5479 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 9. Juni 1976 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, vom Ministerrat zwischenzeitlich bereits verabschiedete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für färbende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen ({11})
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({12}) des Rates zur Festsetzung einer Übergangsvergütung für den am Ende des Wirtschaftsjahres 1975/1976 eingelagerten Mais ({13})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({14}) des Rates zur Festsetzung der Schwellenpreise für Getreide für das Wirtschaftsjahr 1976/77 ({15})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({16}) des Rates Nr. ../76 zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Waren, die für die Geschädigten der im Mai 1976 durch ein Erdbeben betroffenen italienischen Regionen vorgesehen sind ({17})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({18}) des Rates zur Änderung der Verordnungen Nrn. 3152/75 und 3153/75 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Oberkleidung der Tarifnummern 60.05 und 61.01 des
Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta ({19}) ({20})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates betreffend die von den Mitgliedstaaten durchzuführenden Erhebungen über die Schweineerzeugung ({21})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Änderung der Verordnung ({22}) Nr. 3015/75 des Rates vom 17. November 1975 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für unverarbeiteten Tabak der Sorte „flue cured" Virginia ({23})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({24}) des Rates zur Aussetzung der Preisbindung, der die Einfuhr frischer Zitronen in die Gemeinschaft mit Ursprung in den Mittelmeerländern unterliegt, mit denen die Gemeinschaft Abkommen schließt ({25})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({26}) des Rates über die Lieferung von Magermilchpulver an die Republik Zaire zugunsten der Bevölkerung im Gebiet des Kivu-Sees als Nahrungsmittelhilfe im Rahmen der Verordnung ({27}) Nr. 1348/75 ({28})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtchaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({29}) des Rates
über die Sofortlieferung von Butteroil als Nahrungsmittelhilfe an das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge und des Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen zugunsten der Bevölkerung von Vietnam im Rahmen der Verordnung ({30}) Nr. 1542/75
über die Sofortlieferung von Magermilchpulver als Nahrungsmittelhilfe an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen zugunsten der Bevölkerung von Vietnam im Rahmen der Verordnung ({31}) Nr. 1348/75
über die Sofortlieferung von Magermilchpulver als Nahrungsmittelhilfe an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen zugunsten der Bevölkerung von Vietnam im Rahmen der Verordnung ({32}) Nr. ../76 ({33})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({34}) des Rates zur Festlegung der für die Intervention erforderlichen Mindestanforderungen für ver-backbaren Weichweizen ({35})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({36}) Nr. 1281/76 des Rates vom 1. Juni 1976 zur zweiten Änderung der Verordnung ({37}) Nr. 567/76 über allgemeine Regeln für die Destillation von Tafelwein, für den der Destillationsvertrag vor dem 15. April 1976 genehmigt werden muß
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Verordnung ({38}) Nr. 1022'76 des Rates vorn 30. April 1976 zur Änderung der Verordnung ({39}) Nr. 873/76 hinsichtlich des Transfers bestimmter Mengen Weichweizen aus Beständen von Interventionsstellen zur italienischen Interventionsstelle
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Verordnung des Rates über die Anwendung des Protokolls Nr. 6 zu dem am 22. Juni 1972 unterzeichneten Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Island ({40})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({41}) des Rates über Sondermaßnahmen für Leinsamen ({42})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({43}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({44}) Nr. 619/71 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung einer Beihilfe für Flachs und Hanf )Drucksache 7/5441)
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({45}) des Rates zur Ergänzung der Verordnung ({46}) Nr. 885/68 über die Grundregeln der Vorausfestsetzung der Erstattungen bei der Ausfuhr von Rindfleisch ({47})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Für die Verteidigungsdebatte - Tagesordnungspunkte 48 bis 50 - ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Dauer der Aussprache auf vier Stunden festgelegt. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Altestenrat zu ermächtigen, von der Geschäftsordnung abweichende Regelungen für die Einbringung von Fragen in den kommenden Monaten zu treffen, die dann schriftlich beantwortet werden.
Für die nächsten drei Monate ist vorgesehen, daß jedes Mitglied je Monat vier Fragen einreichen darf. Die Fragen für Juli müssen bis Freitag, den
30. Juli, 11 Uhr, die für August bis Dienstag, den
31. August, 11 Uhr, und die für September bis Donnerstag, den 30. September, 11 Uhr, im Parlamentssekretariat eingereicht werden. Die weiteren Termine werden noch bekanntgegeben. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 48 bis 50 der Tagesordnung auf:
48. Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses ({48}) zu dem Weißbuch 1975/1976 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr
- Drucksachen 7/4554, 7/5323 Berichterstatter: Abgeordneter Möhring
49. Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses ({49}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wörner, Handlos, Stahlberg, Ernesti, de Terra, Biehle, Frau Tübler, Dr. Kraske, Gierenstein, Dr. Kunz ({50}), Rommerskirchen, Dr. Jobst, Löher, Geisenhofer, Kiechle, Sick, Eigen, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim und Genossen
betr. Verbesserung der Aufstiegsmöglichkeiten für Unteroffiziere in den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen des Heeres
- Drucksachen 7/4433, 7/5316 -Berichterstatter: Abgeordneter Horn dazu
Bericht des Haushaltsausschusses ({51}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/5317 - Berichterstatter: Abgeordneter Würtz
50. Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses ({52}) zu dem Jahresbericht 1975 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 7/4812, 7/5342 - Berichterstatter: Abgeordneter Ernesti
Ich danke den Herren Berichterstattern. Eine Ergänzung der Berichte wird nicht gewünscht.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte, daß ich zum Weißbuch der Bundesregierung und zu seinem Inhalt ein paar über den Text hinausführende Anmerkungen mache.
Vor zwei Wochen sind die Konferenzen des Nordatlantischen Bündnisses beendet worden. Sie haben gezeigt, daß das Bündnis in der Erfüllung seiner militärischen Aufgaben voll funktionsfähig ist. Das Bündnis hat wahrgenommen, daß der Osten seine militärische Kraft auch in der jüngsten Zeit weiter gestärkt hat. Angesichts dieser Tatsache und anderer Vorgänge ist der Wille des Westens, durch eigene Anstrengungen die Balance der Kräfte zwischen Ost und West aufrechtzuerhalten und der erkannten gewachsenen militärischen Bedrohung entgegenzusetzen, was notwendig ist, stärker geworden. Was der Osten produziert hat, ist nicht Überlegenheit über den Westen, sondern sind wachgerüttelte Wachsamkeit und Vorsorge unter den Ländern des Bündnisses. Das ist wohl das wichtigste Ergebnis der letzten NATO-Konferenzen.
Die Bundesregierung hat das Kräfteverhältnis zwischen West und Ost im letzten Weißbuch ausführlich dargestellt. Ich möchte dem, was dort niedergelegt ist, noch folgendes hinzufügen. In einigen Bereichen gibt es, wenn man sie für sich betrachtet, Unausgewogenheiten. Ein oberflächlicher Blick z. B. auf die Panzer- und die Flugzeugzahlen könnte jemand, der beziehungslos nur diese Zahlen sieht und die übrigen Fähigkeiten des Bündnisses und sein militärisches Konzept übersieht oder nicht kennt, zu falschen Schlußfolgerungen führen.
Die Nordatlantische Allianz ist ausschließlich auf Verteidigung angelegt. Die militärische Fähigkeit zur Verteidigung gegen Offensivwaffen des Ostens ergibt sich aus der Zahl und der Qualität der eigenen gepanzerten Kräfte und der Zahl und der Qualität der eigenen sonstigen PanzerabwehrBundesminister Leber
Waffen. Beides zusammen macht die Abwehrfähigkeit aus, die wir den Panzermassen des Ostens gegegenüberzustellen haben. Aus diesem Sachverhalt haben bisher weder die Sowjetunion noch die deutsche Opposition die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen.
({0})
Wir wissen aus vielen Quellen, daß auch im Osten Konzeptionen der Panzerabwehr diskutiert werden. Wir wissen aber auch, daß dies keine Anerkennung des Defensivprinzips bedeutet, sondern daß die Diskussionen dort mit dem Ziel geführt werden, die Fähigkeit zu überraschender Offensive beizubehalten und die Panzerabwehrkapazität, die der Westen zur Verfügung hält, durch mehr Offensivwaffen immer mehr zu überlagern. Die Sowjetunion will nicht wahrhaben, daß sie sich mit diesem Konzept in einer schlechten und in einer sehr kostspieligen Gasse befindet. Wieviel Offensivkraft sie auch immer produziert, auf diesem Gebiet wollen wir nicht mit ihr konkurrieren. Wieviel Offensivkraft sie auch immer produziert, den westlichen Demokratien wird es immer möglich sein, ihren Völkern deutlich zu machen, daß man gegen Bedrohung nicht Bedrohung setzen muß, sondern daß man gegen Bedrohung Abwehrfähigkeit setzen muß.
({1})
Dies verstehen freie Völker. Dies ist moralisch legitim. Dies versteht auch die junge Generation in den Völkern. Und dies zehrt weniger an der Wohlfahrt der Bürger, als Offensivwaffen mit ihren höheren Kosten daran zehren.
({2})
Herr Chruschtschow hat das gesehen, als er einmal sagte: „Welch ein Jammer, diese Abwehrwaffen tun weh. Schließlich haben wir viel gutes Geld für unsere Panzer ausgegeben. Sie würden in Flammen aufgehen, bevor sie zum Schuß kämen." Genau das ist es, was wir meinen. Und genau das ist es, worauf es ankommt: Wer uns nicht angreifen will, braucht keine Angst - auch um seine schönen Panzer - zu haben.
({3})
Wir wollen es jedenfalls nicht. Wir wollen es auch nicht können.
Auch die Opposition hier im Lande will das nicht eingestehen. Sie bleibt lieber bei der altgeübten und bewährten Methode der Panzerzählung, und einige ihrer Sprecher erzählen draußen im Lande Geschichten, so wie man Kindern die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein abends erzählt, wenn sie nicht ins Bett gehen wollen.
({4})
- Sie sind ständig dran. Ich weiß nicht, welche Zahlen Sie jetzt haben;
({5})
aber ich lese das doch ständig, wo Sie überall gezählt haben.
Es muß ein erhebendes Gefühl sein, zu sehen, wie die Leute dann Angst und Furcht bekommen, wenn man Ihnen diese Bilder an die Wand malt, und wie die Leute dann hoffen, daß die gute, liebe Opposition, die ihnen die Angst gerade eingejagt hat, sie ihnen dann auch wieder nimmt. Und darum geht es ja.
({6})
Meine Damen und Herren, wir wollen nicht mehr, als uns nur verteidigen können. Das heißt nicht: ein wenig schwächer sein. Das heißt in einem anderen Sinne: stark sein. Das heißt: dem Angreifer keine Chance lassen für einen Erfolg, mit wieviel Kräften er es auch immer versuchen könnte.
Dies meinen wir, so wie wir das sagen, weil wir uns gedanklich auf nichts anderes festlegen als nur darauf: Wie können wir Krieg verhindern, und was müssen wir tun, damit es keinen Krieg gibt.
({7})
Das Kräfteverhältnis zwischen den Blöcken ist nicht statisch. Die Strategie des atlantischen Bündnisses ist auf die Kräfte des Ostens eingestellt. In Mitteleuropa - da, wo es in engerem Sinne besonders um unsere Sicherheit geht - ist der Westen nicht schwächer geworden, sondern er hat Schritt gehalten, seine Kraft ist mit der Kraft des Ostens gewachsen. Die amerikanischen Kräfte sind heute wesentlich stärker, als sie es vor einigen Jahren waren; und sie werden noch stärker. Die Kanadier sind nicht hier weggegangen, sondern werden stärker. Wir wissen, daß die Franzosen konzeptionell ihre Aufgaben in Mitteleuropa klären. Und die Bundeswehr ist nicht schwächer geworden, sondern durch Beschlüsse des Parlaments wesentlich stärker.
Weil das so ist, sollten wir uns davor hüten, die militärischen Stärke des Ostens zu überschätzen und die Kraft der NATO herabzureden. Wer ständig ein einseitiges Bild von sowjetischer Stärke und ein anderes Bild von den Schwächen des Westens und des eigenen Bündnisses zeichnet, der leistet der Sicherheit der westlichen Welt einen schlechten Dienst.
({8})
Wer so redet, diskriminiert auch die Verteidigungsanstrengungen und macht sie in den Augen des eigenen Volkes sinnlos. Ob man es will oder nicht - ich unterstelle nicht, daß man es will -:
({9})
Wer nur so redet, betreibt psychologisch das Geschäft des Ostens.
({10})
- Sie meine ich damit zum Beispiel.
({11})
- Nicht Sie persönlich, aber Ihre Herren. Aber ich werde hier jetzt schon persönlich werden.
Herr Kollege Wörner, Sie haben vor zwei Tagen wieder hören lassen - ich zitiere jetzt wörtlich -,
({12})
daß Verteidigungsminister Georg Leber und die Bundesregierung versuchten, die sicherheitspolitische Lage zu schönen und rosiger darzustellen, als sie wirklich sei. Herr Kollege Wörner, was schönen wir denn eigentlich dort, wo es um die Sicherheit unseres Landes geht? Das müßten Sie jetzt hier sagen, denke ich. Haben Sie nicht gehört, was z. B. in dieser Woche der Generalsekretär der NATO, der doch gewiß nicht ein Verschönerer ist, in Wilhelmshaven über die Stärke des Bündnisses in Mitteleuropa gesagt hat? Ist Ihnen das ganz entgangen? Haben Sie, Herr Kollege Wörner, nicht gehört, daß kürzlich der Vorsitzende der Chefs des amerikanischen Generalstabes, Herr General Brown, in Amerika gesagt hat: In Mitteleuropa haben wir und unsere Alliierten die militärische Stärke, um einem Angriff des Warschauer Paktes zu begegnen? Ist Ihnen das alles entgangen? Oder glauben Sie, Sie allein wären klüger als alle die Leute, die das Bündnis und alles, was das Bündnis kann, übersehen können?
({13})
Was wollen Sie eigentlich, wenn Sie draußen durch das Land ziehen? Was wollen Sie dann mehr, was wir jetzt nicht haben? Was wollen sie mehr als das, was allen Partnern des Bündnisses genügt? Das sollten Sie sagen. Sie sollten sagen, was Sie darunter verstehen. Wollen Sie den Haushalt des Verteidigungsministers wesentlich ausweiten? Dazu hätten Sie in diesem Jahr Gelegenheit gehabt. Dann hätten Sie das sagen müssen; Sie hätten auch sagen müssen, wieviel das sein soll und woher das Geld kommen soll.
({14})
Dann müßten Sie sagen, um wieviel die Bundeswehr Ihnen zu klein ist. Dann müßten Sie sagen, um wieviel Sie sie größer machen wollen. Sie müßten sagen, ob die Bundeswehr schlecht bewaffnet ist, und dann müßten Sie sagen, welche Beschaffungsentscheidungen dem Bundestag vorzulegen von der Regierung versäumt worden ist. Dann müßten Sie sagen, welche Waffen in welcher Zahl wir noch brauchen. Hier fängt es an, konkret zu werden. Sie müssen aufhören, Sprüche zu klopfen, meine Damen und Herren.
({15})
Wissen Sie eigentlich, Herr Kollege Wörner, daß das Spiel, das Sie da spielen, auch in einer anderen Hinsicht sehr gefährlich ist? - An dem Tisch, an dem die Verteidigungsminister sitzen, genießt die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig Ansehen und einen guten Ruf; sie genießt dort Vertrauen. Das ist für mich immer so wichtig gewesen, meine Herren, wie die Soldaten und die Panzer, die das Bündnis hat, wichtig sind. Dieses Vertrauen, das wir
dort genießen, kann man auch verspielen, wenn man zu Hause zuviel mit dem Säbel rasselt.
({16})
Die Ausgewogenheit der Kräfte zwischen den westeuropäischen Partnern des Bündnisses, in die sich die Bundesrepublik mit ihrer Stärke einfügen muß, wenn sie nicht eine innere Unbalance in Westeuropa erzeugen will, ist nicht minder wichtig wie die Wahrung der Balance zwischen West und Ost. Die Bundesrepublik Deutschland darf nicht herauswachsen aus einer miteinander synchronisierten Stärke, die die einzelnen Bündnispartner in das Bündnis eintragen.
({17})
Wenn das, was Sie hier im Lande als Ihre Auffassung vertreten, von Ihnen im Bündnis vertreten würde, würden Sie erleben, daß Sie dort Antworten ernteten, die für unser Land schlecht wären; Sie würden dann erfahren, daß das, was Sie hier in Text und Ton verkünden, im Bündnis anders verstanden würde als Sie es hier vielleicht meinen. Ich sage das nicht einmal als Vorwurf, sondern ganz einfach als Rat zum Nachdenken. Denn auch die deutsche Opposition spricht für die Bundesrepublik Deutschland, und was sie sagt, wird im Ausland gehört.
Unsere Politik muß von dem bestimmt sein, was unsere Sicherheit wirklich gebietet. Wir müssen uns dabei von falschen sogenannten Realitäten ebenso freihalten wie von Illusionen. Wir dürfen die Verteidigungspolitik auch nicht von anderen Überlegungen leiten lassen und dürfen sie nicht anderen Überlegungen unterordnen als solchen, die allein die Sicherheit unseres Landes gebietet. Wir wehren uns dagegen, daß die Sicherheitspolitik als Ausfluß der Konjunkturpolitik betrachtet wird - das ist nicht geschehen -. Wir müssen uns auch dagegen wehren, daß sie zum Element parteitaktischer Auseinandersetzungen gemacht wird. Die Sorge um die Sicherheit hat immer Konjunktur. Wir wollen in Frieden leben. Wir wollen mit allen Völkern in der Welt auch künftig in Frieden leben können. Wir wissen, daß mit Gewalt keine Probleme zu lösen sind. Wir müssen aber auch sicher sein, daß unsere Freiheit und unser Frieden und unsere Unabhängigkeit nicht von der Gunst anderer abhängig werden.
Aus dem gleichen Grund haben wir uns nicht nur in angemessener Weise um militärische Vorsorge für unsere Sicherheit bemüht, sondern auch Ursachen zu mindern versucht, aus denen militärische Konflikte entstehen können. Dies wird so bleiben - trotz allem, was darüber geredet wird. Denn das Leben in einer Welt mit hoher Rüstung und mit hohen und wachsenden politischen Spannungen ist risikoreicher als das Leben in einer Welt, in der es zwar auch noch hohe Rüstungen gibt, aber die Spannungen abgetragen und vermindert und damit die Konfliktgefahren verkleinert werden.
({18})
Politische Spannungen abtragen und abbauen, heißt Ursachen vermindern, die in einer hochgerüsteten Welt zu militärischen Konflikten führen können. Weil das so ist, ist es gut für unser Land, daß wir uns durch nichts irremachen lassen und diesen Weg weitergehen.
Wir wissen dabei natürlich, daß durch die Verminderung politischer Spannungen, auch wenn dadurch die Zündschnüre besser unter Kontrolle kommen können, noch kein Gewehr aus der Welt geschafft wird. Wir wissen, daß die Zahl der Waffen sogar wachsen kann, obwohl politische Spannungen auf bestimmten Feldern abgetragen worden sind. Das ist so, weil es sich um zwei verschiedene Medaillen handelt und weil keine davon durch die andere ersetzt werden kann. Der Abbau der politischen Spannungen bleibt wichtig. Er ist aber kein Ersatz für die militärische Vorsorge gegen militärische Bedrohung. Militärische Vorsorge kann nicht durch das ersetzt werden, was auf dem politischen Gebiet zur Verminderung von Spannungen geschieht.
Bei einer militärischen Betrachtung der Ballance zwischen Ost und West fällt natürlich auf, daß es auf der westlichen Seite an den Flanken Schwächen gibt, die man bei einer vollständigen Betrachtung nicht übersehen kann. Der Westen ist dort nicht mitgewachsen, sondern durch die Verminderung des Beitrags einiger Länder zur gemeinsamen Sicherheit sogar schwächer geworden. Das ist so, auch wenn wir wissen, daß sich einiges in einigen Ländern zum Besseren gewendet hat. Wir haben geholfen, wo wir konnten, und wir haben zusammen mit anderen Freunden ganz gewiß manches bewegt. Dies wird unsere Aufgabe bleiben.
Es ist aber nicht gut, wenn in einer Phase, während der die Bundesregierung sich in verbündeten Ländern bemüht, die Opposition im eigenen Land den Eindruck zu erwecken versucht, die eigene Regierung trage die Verantwortung dafür, daß in einigen Ländern am Mittelmeer oder anderswo Bündnisverpflichtungen nicht richtig erfüllt werden.
({19})
Herr Kollege Wörner, wenn Sie schon auf die Flanken ausweichen müssen, weil es anscheinend im Zentrum des Bündnisses hier in Mitteleuropa nicht genug Stoff für Ihre Reden gibt, die Sie abends draußen halten, und wenn Sie so tun, als sei es Sache der Deutschen und der Bundesregierung und als seien wir fähig und mächtig und klug beraten, uns bei unseren unabhängigen Bündnispartnern in die inneren Angelegenheiten ihrer eigenen unabhängigen Länder einzumischen, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie auf einem sehr schlechten und unguten Weg sind.
({20})
Sie laufen jedenfalls durch das Land und sehen nicht, daß Sie hier ein Eisen in der Hand haben, das nicht ungefährlich ist.
Ich möchte mit ein paar Beispielen und Feststellungen zeigen und deutlich machen, was hier geschehen ist - denn dafür sind wir verantwortlich - und was vor allem in der eigenen Armee geschehen ist. Wir haben daran gearbeitet, daß die Bundeswehr ihren politischen Auftrag, gemeinsam mit den verbündeten Streitkräften Krieg zu verhindern und Frieden zu wahren, heute besser erfüllen kann als jemals vorher, als wir, die Sozialdemokraten, das Verteidigungsministerium noch nicht zu verantworten hatten.
({21}) Dies ist eine Feststellung, die augenfällig ist.
({22})
- „Angeber" haben Sie gesagt. Ich nehme das gerne zur Kenntnis. Das ist wahrscheinlich Ihre Art, so etwas zu kommentieren. Das ist der feine Stil der Opposition.
({23})
Was Sie als Angabe bezeichnen, genießt im Bündnis, bei unseren Verbündeten einen hohen Ruf. Das müssen Sie erst einmal nachholen.
({24})
Der Umfang der Bundeswehr ist um 30 000 Soldaten stärker geworden. Ist das Angabe? Dies haben wir gemacht. Sie haben das nicht gemacht. Sie haben dem Bündnis einen Umfang der Bundeswehr versprochen, den Sie in den Jahren, in denen Sie die Verteidigungspolitik zu verantworten hatten, dem Bündnis gegenüber nie eingehalten haben.
({25})
Es ist befohlen, daß bis zum 30. Juni dieses Jahres drei neue Brigaden aufzustellen sind. Sie haben dem Bündnis 36 Brigaden versprochen, haben ihm aber immer nur 33 zur Verfügung gestellt. Wir stellen ihm 36 zur Verfügung.
({26})
Ich denke, daß die Meldung über die Erfüllung dieses Auftrags in wenigen Tagen vorliegen wird.
Alle erforderlichen Entscheidungen, die zu einer so gut wie völligen Erneuerung und Modernisierung in der Ausstattung unserer Streitkräfte führen, sind getroffen.
In all den Jahren, seit die Bundeswehr besteht, ist um die Möglichkeit der sogenannten Integration der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft viel Tinte vergossen worden. Seit einigen Jahren ist dieses Wort aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Die Bundeswehr ist heute in einer sehr natürlichen Weise ein unumstrittener Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge geworden. Damit ist etwas erreicht worden, was in der Form, wie es jetzt gelungen ist, in der deutschen Geschichte, soweit wir auch zu18106
rückblicken, keine Parallelen findet. Weil dies für die Stabilität sowie die Sicherung und Sicherheit unseres Staates von hohem Rang ist, wäre es, wenn wir sonst nichts als dies aufzuweisen hätten, schon ungeheuer viel.
({27})
Wir haben aber mehr aufzuweisen.
Die Bundeswehr ist eine Wehrpflichtarmee, und sie zeichnet sich dadurch aus, daß es gelungen ist, in ihr - dies ist ein weiterer Punkt - Disziplin und menschliche Würde nicht als sich widersprechende Faktoren zu verstehen, sondern sie in einem Maße in Übereinstimmung miteinander zu bringen, daß wir alle stolz darauf sein können.
({28})
Dies ist etwas, was in der ganzen Welt ungeheuer beachtet wird. Diese Bundeswehr muß auch künftig eine Wehrpflichtarmee bleiben. Wir wissen, daß das unbequemer ist, als anderen Gedanken nachzugehen. Wir wollen aber die lebendige Verzahnung zwischen Bürger und Armee, zwischen Gesellschaft und Bundeswehr im Alltag und nicht nur an den Feiertagen.
({29})
Die Bundeswehr ist in den letzten Jahren nicht nur eine moderne Armee, sondern auch eine Stätte der Ausbildung geworden. Es sind viele und große Schritte nach vorn in Neuland getan worden. Dies gilt für die Ausbildung der Unteroffiziere ebensosehr, wie es für die Ausbildung der Offiziere gilt. Am 30. September, also in wenigen Wochen werden erstmalig mehr als 1 000 junge Offiziere unsere eigenen Hochschulen verlassen und der Truppe nach einem Studium von drei Jahren mit staatlichem Examen und abgelegten Prüfungen zur Verfügung stehen. Dies ist ein ungeheurer Schritt nach vorne. Diese Ausbildung wird in sehr breit angelegter Form am Anfang der militärischen Laufbahn vermittelt.
Wir wollen einen militärischen Führer, der mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft ausgestattet ist und deshalb auch fähig ist, hochwertige Leistungen in einer modernen und hochtechnisierten Armee zu vollbringen. Wir wollen aber auch, daß der junge Offizier, der z. B. Diplomingenieur geworden ist, wenn er von der Schule in die Truppe zurückkehrt, die Erkenntnisse der pädagogischen Wissenschaften mit auf den Weg bekommen hat, weil wir davon überzeugt sind, daß es nicht seine erste Aufgabe ist, nur mit technischen Apparaturen und herausfordernden technischen Apparaten umzugehen; seine erste Aufgabe ist vielmehr, Menschen mit Fleisch und Blut richtig zu führen. Deshalb muß er die Erkenntnisse der pädagogischen Wissenschaft mitbekommen.
({30})
Diese Ausbildung liegt auch deshalb am Anfang der militärischen Laufbahn, weil die Bundeswehr auf diese Weise, so wie jedes Unternehmen in der Wirtschaft auch, natürlich selber etwas von dem haben will, was die bessere Ausbildung ihrer Führungskräfte mit sich bringt. Darüber hinaus soll
sie den Soldaten nach Beendigung ihres Dienstes in der Bundeswehr natürlich auch einen geordneten Übergang in das zivile Leben ermöglichen.
Die CDU scheint auf diesem Gebiete kein anderes Konzept zu haben. Das war jedenfalls bisher mein Eindruck. Deshalb war ich auch sehr überrascht, als ich in der „Wehrkunde" Nr. 5 dieses Jahres einen Artikel von Herrn Dr. Wörner gelesen habe. Wenn ich ihn richtig verstehe, soll die Bundeswehr im schnellen Vormarsch in die 60er Jahre zurückgeführt werden.
({31})
Es soll ein Zustand wiederhergestellt werden, der damals dazu geführt hat, daß die Bundeswehr den qualifizierten Nachwuchs, auf den sie angewiesen ist, nicht bekommen hat.
({32})
- Ich empfehle Ihnen, den Artikel einmal zu lesen. Ich unterstelle, Sie haben ihn nicht gelesen. Nehmen Sie ihn bitte nicht in Schutz, wenn Sie ihn nicht kennen. Ich habe ihn gelesen
({33}) und war erschrocken.
({34})
- Das hat nichts mit konservativ, sondern mit zurück in die Vergangenheit zu tun. Lesen Sie zum Vergleich einmal die Schnez-Studie aus dem Jahre 1969. Dann haben Sie eine schöne Synopse und können vergleichen. Sie wollen nämlich das wieder herbeiführen, was Herr Schnez im Jahre 1969 sehr hart kritisiert hat.
({35})
Da sieht man wieder einmal: Wenn jemand zu etwas, was gut ist, keine wirkliche Alternative hat und versucht, einfach eine zu entwickeln, dann geht das manchmal schief.
Um die Entwicklung im personellen Bereich steht es im ganzen in Wirklichkeit erfreulich gut.
({36})
- Es steht so gut, daß ich sogar über einen Punkt, bei dem es nach meiner Auffassung nicht glänzend steht, ganz offen reden kann. So gut steht es im personellen Bereich.
Bei den Unteroffizieren mit einer zweijährigen Verpflichtungszeit haben wir einen nicht unbeträchtlichen Rückgang zu verzeichnen. Ende 1974 hatte die Zahl der Soldaten mit kurzen Verpflichtungszeiten einen Höchststand erreicht. Es waren 80 000 Unteroffiziere. Deshalb wurde für ein Quartal eine vorübergehende Begrenzung der Einstellungen und der Erstverpflichtungen bei Zeitsoldaten mit zweijähriger Verpflichtung erforderlich. Entsprechende Beschränkungen wurden für AbiturienDeutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 254. Sitzung. Bonn, Freitag. den 25. Juni 1976 18107
ten eingeführt. Das war notwendig, weil sonst die Bewerber, die bereit gewesen wären, eine längere Verpflichtung einzugehen, keine Stelle zur Verfügung gehabt hätten; denn alle Stellen wären durch diejenigen in Anspruch genommen worden, die sich nur für zwei Jahre oder weniger verpflichtet hätten. Das ist ein Vorgang, den wir damals wahrgenommen haben, dem wir begegnen mußten. Deshalb war die vorübergehende Begrenzung der Einstellungen notwendig. Darüber hat es auch überhaupt keinen Streit gegeben, auch keine Meinungsverschiedenheiten im Verteidigungsausschuß.
Dieser Vorgang kann aber den tieferen Einbruch nicht bewirkt haben - damals gab es noch kein Haushaltsstrukturgesetz -, der sich in den Zahlen des Jahres 1975 ausdrückt. Die Hauptursache für den Rückgang der Verpflichtungen 1975 - das ist aus unseren Unterlagen zu entnehmen - war die Tatsache der für viele Jugendliche geringer gewordenen Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Darüber ist in diesem Hohen Hause vielfach diskutiert worden. Das war ein psychologisches Moment, das auf den Jugendlichen gelastet hat. Wer 15 Monate Wehrdienst leistet, dessen Arbeitsplatz ist gesichert; so steht es im Gesetz. Wer sich bei der Bundeswehr für mehr als zwei Jahre verpflichtet, braucht keine sonstige Sicherung seines Arbeitsplatzes, weil ihm die Verpflichtung über einen längeren Zeitraum bei der Bundeswehr einen sicheren Arbeitsplatz gewährleistet.
Wer sich aber nur für zwei Jahre oder nur für 21 Monate verpflichtet - hier liegt der Einbruch -, verliert wegen einiger Monate Dienstleistung über seinen Wehrdienst hinaus jedweden Anspruch auf den alten Arbeitsplatz, weil er einige Monate mehr Dienst geleistet hat, als das Wehrpflichtgesetz vorsieht. In Zeiten der Vollbeschäftigung hat dieser Sachverhalt nie eine Rolle gespielt; denn der Unternehmer war natürlich froh, wenn der Soldat zurückkam, auch wenn er ein paar Monate später zurückkam, als es das Ende der Wehrpflicht eigentlich angezeigt hätte.
Dazu kam dann ab 1. Januar 1976 die Wirkung des Haushaltsstrukturgesetzes, mit dem zusätzliche Leistungen an die Soldaten mit längerer Dienstzeit gekürzt oder annulliert wurden. Die Dienstbezüge werden künftig ab siebtem Monat gewährt, nicht mehr als erstem Monat. Dieses Gesetz gilt, wie bereits erwähnt, seit dem 1. Januar 1976.
Die Bundesregierung hält es daher für zu früh,
({37})
vor dem 1. Juli diesen Tatbestand abschließend zu beurteilen, weil wir es für denkbar halten, daß man Verpflichtungen, die man früher am Anfang der Dienstzeit wegen der höheren Dienstbezüge eingegangen ist, jetzt nicht mehr am Anfang eingeht, weil die Dienstbezüge erst im siebten Monat höher werden und daher auch die Verpflichtung erst ab 1. Juli von denen eingegangen wird, die am 1. Januar eingetreten sind. Dies ist der logische Grund, warum die Bundesregierung nach langer Diskussion und gründlicher, verantwortlicher Beratung dieses Gegenstandes zu dem Schluß gekommen ist, jetzt erst abzuwarten, wie die Entwicklung in den Wochen nach dem 1. Juli sein wird. Wenn die Personallage es dann erfordert, wird die Bundesregierung nicht zögern, die Maßnahmen zu ergreifen und dem Deutschen Bundestag die Maßnahmen vorzuschlagen, die notwendig sind, um auch künftig ein funktionierendes Unteroffizierkorps zu haben - wenn es notwendig ist, auch zweijährige Verpflichtungen wieder mehr in den Vordergrund zu stellen. Sie können sicher sein, daß das nicht übersehen wird.
Meine Damen und Herren, unsere gewiß fortschrittliche Verfassung hat uns allen ein Problem zum Vollzug anheimgegeben, unter dem die Bundeswehr nicht minder gelitten hat, wie viele junge Männer und wie viele Bürger darunter gelitten haben, die sich mit der Durchführung dieses Verfassungsauftrags aus Art. 4 des Grundgesetzes in der Rechtspraxis befassen mußten. Ich bin aus diesem Grunde dankbar dafür, daß sich der Deutsche Bundestag auf eine Initiative der beiden Regierungsfraktionen hin einer Lösung dieser Frage zugewandt hat. Um dieses Thema sind aber in jüngster Zeit erneut öffentliche Debatten entstanden. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß ich in Wahrung meiner vollen Verantwortung, wie ich sie begreife, das Gesetz für einen abgesicherten Versuch halte, mit dem der Spannungsbogen zwischen den Art. 4 und 87 a der Verfassung wesentlich gemildert werden kann. Ich bin heute auch sicher, daß wir mit dieser Lösung kein Wagnis eingehen, das wir politisch nicht verantworten könnten.
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Es gibt viele Hinweise dafür, die darauf schließen lassen, daß der übergroße Teil unserer Jugend sehr wohl auch um seine Pflichten im Staate weiß. Eine Jugend, die solche Signale setzt, wie wir sie gegenwärtig erkennen, kann auch erwarten, daß der Staat, ihr Staat, der Jugend selber dann, wenn sie mehr Bereitschaft erkennen läßt, auch mehr Vertrauen entgegenbringt. Deshalb halte ich die durch die Beschlußfassung des Deutschen Bundestages angebotene Lösung auch für eine großartige Offerte des Staates an die Jugend.
Um zu einem Übergang von der alten Regelung zu einer neuen Lösung zu kommen, wie sie das Gesetz vorsieht, habe ich im November des vergangenen Jahres von meinem Recht Gebrauch gemacht und die Praxis nach altem Gesetz erheblich auf die neue Linie hin orientiert, die der Rahmen des neuen Gesetzes spannen wird. Damit sollte schon im Vorfeld des neuen Gesetzes eine liberalere Praxis geschaffen, zugleich aber auch eine weitgehende Erprobung der neuen Lösung ermöglicht werden. Ich will Ihnen dazu sagen: ich wollte auch, wenn es möglich ist, im Vorfeld der Wirkung des neuen Gesetzes für mich eine Gelegenheit schaffen, zu sehen, ob das Gesetz das bringt, was wir uns davon erhoffen, um nicht Risiken einzugehen, die man vielleicht im vorhinein schon hätte ausloten können.
In Zahlen ausgedrückt zeigt sich gegenwärtig folgende Entwicklung. Wir haben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 4 587 Anträge auf Kriegs18108
dienstverweigerung mehr als in den vergleichbaren fünf Monaten des vergangenen Jahres. Das sind im Durchschnitt der zurückliegenden Monate rund 900 Antragsteller pro Monat mehr. Aus diesen Zahlen wird deutlich, auch wenn ich sie nicht bagatellisiere, daß es nicht zu einer Lawine, daß es nicht zu einem Zusammenbruch der Bundeswehr gekommen ist, sondern es handelt sich um 900 Kriegsdienstverweigerer im Monat mehr. Dieser Zuwachs ist entstanden, ohne daß dabei berücksichtigt wird, daß allein der Geburtsjahrgang, der in diesem Jahr gemustert worden ist und in dem diese 900 mehr in einem Monat zustande gekommen sind, um 19 000 Wehrpflichtige größer ist als der Musterungsjahrgang des Jahres 1975. Wenn Sie das in Rechnung stellen - das wird ja wohl auch Auswirkungen auf die Quote der Kriegsdienstverweigerung im Normalfall haben -, dann ist damit schon ein gut Teil der zusätzlichen 900 in diesem Jahr erklärt.
Ich möchte gerne noch sehr persönlich etwas dazu sagen: Wenn ich vor der Wahl stünde, 900 junge Männer nach den Methoden, wie das bis jetzt üblich war, zur Erfüllung ihres Wehrdienstes zu zwingen oder sie statt der Erfüllung ihrer Wehrpflicht ungeprüft hinüberwechseln zu lassen in einen 18monatigen Zivildienst und dafür einigen hundert Angehörigen von Prüfungsausschüssen und Kammern und vielen jungen Männern die Marter einer Gewissensprüfung ersparen könnte, würde ich mich immer mit einem Risiko in einer Größenordnung, wie es sichtbar geworden ist, für mehr Freiheit und für weniger Marter entscheiden, meine Damen und Herren.
({39})
- Ja, darum geht es!
Dies ist aber nicht das einzige positive Element, das sich aus einer Praxis ergibt, die dem noch nicht in Kraft getretenen Recht sehr nahekommt. Seit diese Praxis geübt wird, ist die Bundeswehr von viel mehr Last befreit worden, als wir uns vorstellen können. Seit dem November des vergangenen Jahres gibt es keine Unruhe mehr in den Einheiten und keine Belastungen des Einheitsführers mehr, die durch einen Kriegsdienstverweigerer ausgelöst werden, der der Einheit angehört.
({40})
- Meine Damen und Herren, das ist so, daß ein Kriegsdienstverweigerer in der Kompanie dem Kompaniechef oft mehr Arbeit macht und mehr Last bedeutet als die Arbeit insgesamt für den größten Teil der Kompanie.
({41})
- Sie wollen sie als Soldaten haben, obwohl Sie sie nicht brauchen. Wir wollen sie, wenn sie nicht zu den Soldaten wollen, dem Zivildienst zuführen.
({42})
- Es ist ja nicht einfach, zuzugeben, daß das gut geworden ist, was wir gemacht haben. Das verstehe ich ja.
({43})
Ich nehme an, daß damit schon vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes sehr weitgehend bewiesen ist, daß die Risiken, die das neue Gesetz bringen wird, nicht so groß sind. Auch das praktische Verhalten unserer jungen Männer beweist, daß die ausgestreckte Hand, die wir ihnen entgegengehalten haben, von ihnen sehr richtig verstanden worden ist.
Was sich hinter diesem Komplex befindet, ist in Wirklichkeit aber viel mehr, als durch die Worte „Regelung für Kriegsdienstverweigerer" umschrieben und sichtbar wird. Es sind Fragen, die an den Kern des Ganzen rühren. Es gibt wenig Staaten auf der Welt, in denen der Mensch freier, gesicherter, geachteter und besser leben kann als hier in diesem unseren eigenen Lande.
({44})
Was wir wollen, ist ein Bürger, der Freiheit nicht nur als Freisein von etwas, sondern auch als Pflicht und Verantwortung für etwas,
({45})
als Pflicht und Verantwortung für den freiheitlich verfaßten Staat und seine Sicherung versteht.
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Diese Sicherung, meine Damen und Herren, wollen wir nicht nur auf Zwang und staatliche Order gründen, sondern wir wollen den Versuch machen, sie mehr auf die Freiheit, auf die in Freiheit empfundene Pflicht des Bürgers zur Fürsorge für den Staat zu gründen. Dies ist der hohe moralische Anspruch, der auch Leitgedanke unserer Verteidigungspolitik ist und sie ausmacht.
({47})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben soeben ein neues Kapitel in der recht abenteuerlichen Geschichte der Rückkehr des Herrn Leber in seine eigene Partei erlebt.
({0})
Wir fragen uns: wie muß es um die innere Verfassung eines Mannes bestellt sein, der sich auf diese Weise Heimatrechte in seiner eigenen Partei verschaffen muß?
({1})
Herrn Leber sei gesagt: Sie waren schon wesentlich besser, als Sie noch wesentlich sachlicher waren.
({2})
Wir können verstehen, daß es bitter ist, wenn man seine Unterstützung in der Opposition suchen muß, weil man sie in seiner eigenen Partei nicht hinreichend hat.
({3})
Stellen Sie sich einmal hin und erzählen Sie doch, daß beispielsweise das wichtigste Projekt - jedenfalls nach dem Finanzumfang -, das Ihre Regierung hier vorgelegt hat, nur deswegen den Verteidigungsausschuß passiert hat, weil die CDU/CSU wie bei allen anderen Beschaffungsprojekten zugestimmt hat, während Leute Ihrer eigenen Partei hinausgelaufen sind und gesagt haben: Wir machen diesen Krampf nicht mit. So ist es gewesen.
Herr Leber, wie verlangen dafür überhaupt keinen Dank, wir verlangen dafür keine Anerkennung; aber wir verlangen wenigstens, daß dann ein Verteidigungsminister das nötige Verantwortungsgefühl aufbringt, die Gemeinsamkeiten nicht mutwillig zu zerstören,
({4})
die die Verteidigung in unserem Volke tragen und sicher machen.
({5})
- Ach, Herr Wehner, Sie können sich doch Ihr Geschrei sparen!
({6})
Sie wissen doch, daß das immer wieder die gleiche Wirkung erzeugt. Sie sind nicht der Schulmeister der Nation! Wenn sich die Nation an Ihrem Beispiel orientieren würde, gäbe es keine demokratische Gemeinsamkeit unter den Parteien mehr.
({7})
Man muß einmal den Werdegang des Herrn Leber nachzeichnen. Herr Leber, Sie haben bis vor kurzem, genau bis zum Ende letzten Jahres selbst zu denen gehört, die gemahnt und gewarnt haben. Zum Teil geschah das so deutlich, daß Sie von Herrn Wehner in Ihrer eigenen Fraktion zurechtgewiesen werden mußten. Ich darf einmal ein paar der Schlagzeilen zitieren.
({8})
17. Dezember 1975: „Leber warnt vor der gewaltigen Übermacht der Sowjetunion", 10. Dezember 1975 im „General-Anzeiger" „Leber warnt die NATO vor Rüstungsabbau",
({9})
„Stuttgarter Nachrichten" vom 3. November 1975: „Leber warnt die Bündnispartner". Sehr geehrter Herr Leber, wenn Sie uns Säbelrasseln vorwerfen, so frage ich, wer denn am 17. Dezember 1973 - ich zitiere wieder - gesagt hat: „Keinen Pfennig Kapitalhilfe an Moskau, solange nicht der letzte notwendige Pfennig für unsere eigene Sicherheit investiert ist."
({10})
Herr Leber, Sie sagten: Säbelrasseln. Gestern hörte man es noch anders von Ihnen, ganz anders! Ich zitiere aus einem Artikel, den Sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben haben:
Wenn es ohne Risiko möglich ist und für opportun gehalten wird, wird nicht gezögert und wird auch künftig nicht gezögert werden, der Ausbreitung der Ideologie auch mit Schwert und Feuer den Weg zu bereiten.
So haben Sie es gesagt, und jetzt klagen Sie uns an, daß wir vor den Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion warnen. Plötzlich hört man das von Ihnen ganz anders.
({11})
Nicht nur wir, auch viele Beobachter draußen fragen sich: Was ist eigentlich mit Herrn Leber los, warum ist er plötzlich so nervös, warum schimpft dieser Mann, der sich bisher durch Sachlichkeit ausgezeichnet hat und der von uns dafür die nötige Anerkennung erhalten hat?
({12})
Eines allerdings lassen Sie mich gleich vorweg zurechtrücken: Man kann im Vorwahlkampf - Sie haben ja gezeigt, daß man das kann - sicher übertreiben. Aber eines sollte man nicht tun, Herr Leber - und diesen Versuch machen Sie jetzt hier in diesem Parlament zum zweitenmal, und draußen machen Sie ihn noch schärfer , nämlich den Eindruck zu erwecken, als ob früher die Bundeswehr zu offensiven Zwecken aufgebaut worden sei.
({13})
Wir haben von der ersten Stunde an die Bundeswehr für die Defensive geschaffen. Wir wollten niemanden bedrohen, wir wollten uns verteidigen, und Sie wissen das!
({14})
Dann tun Sie doch draußen nicht so, als ob erst Sie den Defensivauftrag verankert hätten. Wir waren von Anfang an Mitglied der NATO; wir wären es allerdings nicht geworden, wenn es nach Ihrer Stimme und nach der Stimme der SPD gegangen wäre.
({15})
Sie unterstellen doch damit der NATO, daß sie früher Offensivaufträge gehabt hätte. Sie wissen doch: Das ist vom ersten bis zum letzten Wort nicht die Wahrheit. Aber Sie brauchen das, Sie müssen ja Ihren Linken wieder gefallen.
({16})
Es ist ja nicht genug, daß Sie Ihren Wahlkreis verloren haben - auch noch auf den Rat Ihres Parteivorsitzenden hin -, Sie müssen sich Ihren Listenplatz vor Ihren Linken erdienen.
({17})
Und dann schimpfen Sie, wie gesagt, auf die Opposition, die genau das tut und auf genau dasselbe hinweist, was Sie bis vor kurzem auch getan haben.
Meine Damen und Herren, es nützt nichts, wenn es kalt wird, daß man das Thermometer zerschlägt. Dadurch wird die Kälte nicht geringer. Es nützt nichts, daß man die Dinge beschönigt, Herr Leber. Dadurch wird die Bedrohung durch die steigende Offensivkraft der Sowjetunion nicht um einen Deut geringer. Wenn wir weiterhin wie Sie warnen, dann deshalb, weil wir wissen, daß aus dieser gestiegenen Bedrohung durch die Sowjetunion nicht nur militärische, sondern auch politische Gefahren für unser Land und seine Bevölkerung drohen.
({18})
Im übrigen: Was hat sich denn eigentlich in dieser Zeit geändert, daß Sie Ihre Meinung geändert haben?
({19})
Sie selbst gehören zu denen, die am 11. Juni 1976, also in diesem Monat, folgendes Kommuniqué mit unterzeichnet haben - ich zitiere aus Ihrer eigenen Mitteilung des Bundesverteidigungsministeriums an die Presse -:
Die Minister hörten sodann einen Vortrag über die neuerliche Erhöhung der militärischen Stärke des Warschauer Pakts
({20})
und brachten ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck, daß diese Stärke auch weiterhin über das zur Selbstverteidigung erforderliche Maß hinaus anwächst. Sie befaßten sich besonders eingehend mit den Auswirkungen der gesteigerten Betonung der Offensivkraft der Streitkräfte des Warschauer Pakts, besonders der Luftstreitkräfte. Daran anschließend hielt der Vorsitzende des Militärausschusses einen Vortrag über den derzeitigen Stand der Verteidigung der NATO,
- jetzt kommt es wobei er erneut die anhaltende Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten des Warschauer Pakts betonte.
Ich betone: die anhaltende Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten des Warschauer Pakts. Und Sie stellen sich hier im gleichen Monat, in dem Sie das unterzeichnet haben, hin und erklären: Wir haben, die NATO hat mit dem Warschauer Pakt Schritt gehalten. - Meine Damen und Herren, entweder ist das eine oder das andere richtig oder aber Sie haben zwei Gesichter, eines für den Hausgebrauch und ein anderes für die internationale Offentlichkeit.
({21})
Das merken inzwischen ja nicht nur wir. Gestern kam mir aus den Mitteilungen des Bundespresseamts folgender Auszug aus einer Sendung von „Radio Frieden und Fortschritt" in die Hände - auch drüben merkt man, daß sich mit dem Herrn Leber irgendwas geändert haben muß -, in dem es heißt:
Er hat aber dazu nicht nur einen Standpunkt,
wie man erwarten könnte, sondern zwei: einen
für das breite Publikum und einen anderen sozusagen für den inneren dienstlichen Gebrauch.
({22}) Weiter heißt es da:
Zum erstenmal gesteht der Mann, der nicht müde wurde, auf die Notwendigkeit der Forcierung des Wettrüstens zu pochen, offen ein, daß die Theorie der militärischen Überlegenheit des Ostens ein Bluff ist.
So wie Sie uns vorher unterstellt haben, wir besorgten das Geschäft unserer Gegner, weil wir das tun, was Sie bis gestern auch getan haben, so sagen wir Ihnen: Mit Ihrer Kehrtwendung besorgen Sie das Geschäft derer, die nichts mit Ihnen, nichts mit uns und nichts mit der Freiheit unseres Volkes im Sinn haben.
({23})
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Leber meint, er müsse nun seinen Unmut über die Entwicklung in seiner eigenen Partei an der Opposition auslassen, dann sei er doch einmal an das erinnert, was er unlängst im „Spiegel" gesagt hat:
Ich habe manchmal Schwierigkeiten in meiner eigenen Partei;
({24})
das bestreite ich nicht. Was mir weh tut, ist, daß sie sich wenig mit meiner Arbeit als Verteidigungsminister befaßt.
Dann geht es in diesem Interview weiter.
({25})
Auf die Frage:
Hat sich Willy Brandt nicht für Sie eingesetzt, als Sie Ihren Wahlkreis an einen Jungsozialisten verloren haben?
sagen Sie selber:
Ich wollte mit dem Parteivorsitzenden darüber reden. Aber es ist, durch die Umstände des Sommers bedingt, nicht zu einem Gespräch gekommen. Statt dessen hat er mir einen Brief geschrieben und von einer Kandidatur in diesem Wahlkreis abgeraten, wenn sich nicht eine überzeugende Situation ergäbe, die für eine erneute Aufstellung als Kandidat spreche.
({26})
- Wenn wir hier über die Sicherheit unseres Volkes diskutieren, dann ist die Tatsache, daß die große Regierungspartei in den Fragen der Verteidigung innerlich gespalten ist, eine Frage, die die Sicherheit unseres Volkes und nicht nur Ihre Partei angeht.
({27})
Herr Leber kann sich weniger als irgendein anderer Minister darüber beklagen, daß wir etwa angeDr. Wörner
fangen hätten, zu polemisieren. Wir haben diesen Verteidigungsetat bis zum heutigen Tage mitgetragen. Ich kann nur sagen: Wenn die SPD mit Ihrem Parteivorsitzenden an der Spitze ähnlich geschlossen wäre wie die CDU/CSU, dann bräuchten wir eine solche Polemik, wie Herr Leber sie hier entfacht hat, überhaupt nicht zu haben.
({28})
- Ich kann mir vorstellen, daß Sie das ärgert. Aber: Wie man in den Wald hineinruft,
({29}) so schallt es heraus.
({30})
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Situation der Verteidigung in diesem Volk diskutieren, dann sei an den Anfang ausdrücklich die Feststellung gesetzt - diese Feststellung der Opposition ist nicht neu -, daß die gegenwärtige Verteidigungsstärke, das gegenwärtige Verteidigungsdispositiv der NATO auch nach unserer Auffassung ausreicht, um den Warschauer Pakt abzuschrecken - ich sage: gerade noch ausreicht -,
({31})
allerdings - das hat Herr Leber vergessen, zu erwähnen, aber das wissen Sie so genau wie wir auch - nur deswegen, weil die Amerikaner - Gott sei Dank - mit ihrer Nuklearhaftung die konventionelle Schwäche der NATO in Mitteleuropa bis zum heutigen Tage ausgleichen.
({32})
Deswegen ist es nicht richtig, wenn so einfach gesagt wird, das Gleichgewicht sei noch intakt. Wir haben hier eine bedrohliche Schwäche. Wenn sich diese Schwäche im Westen fortsetzt, riskieren wir eines Tages, daß die Sowjetunion die Nuklearschwelle unterläuft.
Und, Herr Leber: Unsere Hauptsorge, die früher auch Ihre Hauptsorge war, gilt nicht so sehr - wenngleich auch - der gegenwärtigen Lage, sondern unsere Hauptsorge gilt - und das im Einklang mit der NATO und ihren führenden Persönlichkeiten - der sich anbahnenden Entwicklung, den unterschiedlichen Trends, dem unterschiedlichen Ausmaß der Rüstung in Ost und West. Nicht wir, sondern Schlesinger - von dem Sie immer wieder sagen, er sei Ihr Freund - hat doch nicht nur einmal darauf hingewiesen, daß die jährlichen Aufwendungen der UdSSR um ein Drittel größer seien als die der USA, daß die UdSSR 15 % ihres Bruttosozialprodukts für die Rüstung ausgebe, während es bei den Amerikanern nur 10 % sind und bei den westeuropäischen Staaten der NATO im Schnitt noch nicht einmal 4 %.
({33})
Sie wissen doch auch, daß der Forschungsaufwand der UdSSR - auch das eine Zahl von Schlesinger - um 20 % höher als der Forschungsaufwand des Westens ist. Das Institut für Strategische Studien in London, das die Meinung vertritt, die wir auch vertreten, die uns also gar nicht trennt, daß nämlich die gegenwärtige Balance, nimmt man alles in allem, ausreicht, kommt auch zu dem Schluß und zu der Warnung, daß dann, wenn sich dieser unterschiedliche Aufwand für Forschung und Entwicklung in Ost und West fortsetzt, der qualitative Vorsprung des Westens zusammenschmelzen wird und dann wieder die größere Zahl ihr Gewicht haben und sich durchsetzen wird.
Und waren es nicht Sie, Herr Leber, der unlängst auf die unterschiedlichen Produktionskapazitäten hingewiesen hat? Sie wissen doch - Sie selbst haben es gesagt -, die Produktionskapazitäten der Sowjetunion sind zum Teil bei den Waffen, bei den Rüstungen sechsmal größer als die des Westens. Sie wissen doch, daß die UdSSR im Augenblick in einem Monat mehr Panzer produziert als die Amerikaner in einem Jahr. Auch das ist eine Zahl, die nicht von uns kommt. Sie wissen doch, daß sie viermal mehr Unterseeboote produziert, daß sie 70 % mehr Kampfflugzeuge produziert.
({34})
Und wie kommt es denn, daß sich im Kommuniqué der letzten NATO-Tagung zum erstenmal, während sonst immer von „Sorge" gesprochen wurde, der Ausdruck und die Feststellung findet, man sei „beunruhigt" über die Geschwindigkeit sowjetischer Rüstung? Und dann steht in diesem Kommuniqué ganz klar drin, daß die Sowjetunion die Absicht habe, sich nicht mit dem Gleichgewicht zufriedenzugeben, daß die Sowjetunion auf das Ziel der Überlegenheit ausgerichtet sei, daß sie stärkste Macht der Welt werden wolle und daß der konzentrierte Ausbau der Offensivkraft der WarschauerPakt-Streitkräfte, den Sie ja gar nicht bestreiten können, den Sie ja in Ihrem Weißbuch selber darstellen, einer globalen politischen Expansion dient.
Haben wir nicht in Angola erlebt, daß sich die Sowjetunion nicht scheut, militärische Macht -wenngleich durch Satelliten - einzusetzen? Und Sie wissen doch auch, daß es in manchen Staaten der NATO einen entgegengesetzten Trend gibt. Sie wissen doch, daß die Dänen und die Belgier und die Italiener und auch unsere britischen Freunde hinter dem zurückgeblieben sind, was sie leisten sollten. Und Sie wissen so gut wie ich, daß auch der Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland - das ist eine ganz nüchterne Feststellung - mit 2,6 % Steigerungsrate in diesem Jahr und mit einer Steigerungsrate von unter 4 % im letzten Jahr hinter den Inflationsziffern zurückgeblieben ist. Sehen Sie, deswegen gehören wir zu denen, die - nicht um Panik zu machen, sondern um unser Volk zu den nötigen Opfern bereit zu machen - darauf hinweisen, daß wir dann, wenn sich dieser Trend fortsetzt, langfristig keine Chance haben, die Freiheit unseres Volkes und die Freiheit Europas zu sichern.
({35})
Wenn Sie schon - völlig unnützerweise und polemisch - fragen, ob ich denn allein klüger sei als die Staatsmänner des Westens und die Soldaten der NATO,
({36})
dann, Herr Leber, muß ich sagen: General Alexander Haig hat - auch das zitiere ich aus einer Veröffentlichung der Bundesregierung, des Bundespresseamtes selbst - am 5. Dezember 1975 - so lange ist das also noch nicht her - auf die Frage von Lothar Ruehl:
Wie würden Sie den militärischen Zustand der Allianz angesichts des massiven Kräfteaufbaus des Warschauer Pakts in Europa und der Probleme im Bündnis beschreiben?
geantwortet:
Ich wäre weniger als aufrichtig, wenn ich ihn irgendwie anders als besorgniserregend nennen würde.
Da sagen Sie, wir stünden allein!
Herr Schlesinger muß doch seine Gründe haben, wenn er in einer deutschen Zeitung wörtlich schreibt:
Zweifelsohne wollen im derzeit herrschenden politischen Klima viele Menschen die Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Die Kenntnisnahme der Tatsache, daß das Gleichgewicht kippt, erfordert schwierige Entscheidungen. Es könnte von diesem Land verlangen, etwas zu tun, was viele nicht tun möchten: die militärische Stärke zu erhalten oder zu verbessern.
Ich könnte diese Zitate nun wirklich reihenweise fortsetzen. Aber Sie sagen, wir seien allein.
Sie werfen uns vor, wir zählten die Panzer. Bis zum heutigen Tag ist der Panzer nun einmal das entscheidende Offensivmittel des Warschauer Pakts. Sie wissen sehr wohl, warum Sie selber in Ihrem Weißbuch die Panzer gezählt haben. Wenn sie von Panzerabwehrwaffen sprechen: Wir haben nie vergessen, in unserer Betrachtung des Kräfteverhältnisses die Panzerabwehrwaffen mit aufzunehmen. Es war die CDU/CSU, die die Vorlagen, die Sie dem Ausschuß zugeleitet haben, in allen Fällen unterstützt hat, mit deren Stimmen in diesem Parlament gerade die Panzerabwehrwaffen beschlossen wurden.
Also reißen Sie doch keine Gräben auf, wo keine Veranlassung dazu ist! Wir sind nicht - ich wiederhole es - Pessimisten. Wären wir Pessimisten, wäre ich nicht davon überzeugt, daß der Westen die Kraft, das Potential hätte, die technologische, die wirtschaftliche und vor allen Dingen die Überlegenheit in der freiheitlichen Gesellschaftsordnung, so stünde ich nicht hier, um das zu sagen. Aber entscheidend ist, daß der Westen diese Kräfte mobilisiert. Dazu gehören Führungskraft und Willen. Daran fehlt es gelegentlich in der westlichen Allianz.
({37})
Deswegen fordern wir wieder und wieder den Ausbau der NATO zu einer politischen Schicksalsgemeinschaft, wieder und wieder den Ausbau der europäischen Verteidigung, wieder und wieder die Stärkung konventioneller Anstrengungen, und wir fordern die konsequente Eindämmung der kommunistischen Expansion, wo immer sie sich auf dieser Welt vollzieht.
({38})
Wenn der Westen die politische Initiative zurückgewinnen will, dann muß er nicht militärisch, aber geistig endlich wieder auf die politische Offensive, auf die ideologische Herausforderung des Ostens offensiv reagieren und die Werte der Freiheit offensiv betonen, meine Damen und Herren.
({39})
- In den „Worthülsen" steckt beispielsweise, daß wir, wenn die Sowjetunion ihren gesamten Propagandaaufwand auf Westeuropa konzentriert, wenn der Kommunismus in Westeuropa auf dem Vormarsch ist, nicht die beiden Rundfunkanstalten sterilisieren können, die wenigstens einen Rest von freier Information in den Ostblock tragen.
({40})
Und dann kommt - das haben Sie auch jetzt wieder versucht, Herr Leber - eine Darstellung der Bundeswehr, die wir nur als Schönfärberei kennzeichnen können. Sie vertreten die Auffassung, die Sie auch hier und heute wieder und wieder vorgetragen haben und die Sie draußen noch viel deutlicher aussprechen: Die Bundeswehr ist heute besser als jemals zuvor. -Und Sie tun so, als ob das die Leistung allein der Sozialdemokraten wäre.
({41})
Herr Leber - das hätte ich nicht gesagt, wenn Sie uns nicht provoziert hätten - Sie scheinen langsam zu vergessen, was Sie und Ihre Parteifreunde gemacht haben, als wir die Bundeswehr ins Leben riefen. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir heute noch keine Bundeswehr, dann hätten wir das Sicherheitssystem nicht, auf dem unsere Sicherheit ruht.
({42})
Sehen Sie, Ihr Vorgänger,
({43})
der jetzige Bundeskanzler Helmut Schmidt, hatte wenigstens noch den Anstand, bei seiner Amtsübernahme, als er das Ministerium von Schröder übernahm, zu sagen: Aus dieser Erkenntnis heraus betont der Tagesbefehl, den ich Ihnen soeben verlas, die Kontinuität der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Er hat mir einmal persönlich gesagt - und wenn er hier wäre, würde er dazu stehen -, daß wir alles daransetzen müssen, gerade um der Bundeswehr willen, die Gemeinsamkeit der demokratischen Parteien in diesem Parlament aufrechtzuerhalten. Aus dieser Verantwortung heraus haben wir das eben nicht getan, was Herr Leber behauptet.
Keiner meiner Kollegen und ich schon gar nicht haben jemals die Kampfkraft und den Wert der Bundeswehr angezweifelt. Wir haben immer gesagt - und ich wiederhole das hier -: Diese Bundeswehr ist eine gute Armee, sie ist eine modern ausgerüstete Armee, die den Vergleich mit den Armeen der westlichen Staaten nicht zu scheuen braucht.
({44})
Dann gehen Sie doch nicht her und ziehen Sie das in Zweifel!
Ich will jetzt im einzelnen auf Ihre Argumente eingehen. Sie behaupten immer wieder, die Bundeswehr sei noch nie so gut gewesen wie heute.
({45})
Natürlich ist das Gerät, das die Bundeswehr heute hat, moderner und damit kampfkräftiger als das, das wir in den 50er und 60er Jahren hatten. Es wäre ja schlimm, wenn das nicht so wäre. Aber vergessen Sie doch nicht, daß auch die Modernität und die Kampfkraft des Gerätes im anderen Teil Deutschlands und der Welt - d. h. im Osten - gewachsen ist. Das ist der entscheidende Vergleich, meine Damen und Herren.
Wir wollen doch auch nicht vergessen, Herr Leber, wenn Sie sich auf die Modernität dieses Geräts berufen: Wer hat denn den „Leoparden" beispielsweise entwickelt? Unter welcher Verantwortung ist er denn zunächst entwickelt und hergestellt worden, wenn nicht unter der Verantwortung der CDU/CSU und ihrer Verteidigungsminister?
Dann sagen Sie: Wir haben jetzt 495 000 Mann, und damals hatten wir nur 465 000. Sie wissen doch genau, warum, nämlich weil Sie die Wehrpflichtzeit von 18 auf 15 Monate heruntergesetzt haben. Sie wissen, daß der Schüleretat gestiegen ist, d. h., daß sich die faktische Präsenz nicht erhöht hat. Und dann kommen Sie mit dieser alten Milchmädchenrechnung: 36 Brigaden, und wir hätten immer nur 33 gehabt. Sie wissen doch ganz genau, daß es zwei Panzerregimenter gab, die Sie jetzt aufgelöst haben, um daraus die neuen Brigaden zu machen, und daß Ihre Brigaden kleiner sein werden als die Brigaden, die bei uns waren. Das ist doch eine Milchmädchenrechnung. Die können Sie draußen aufmachen, aber nicht in diesem Parlament.
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Sehen Sie, auch das muß noch einmal gesagt werden: Wenn man heute von Ihnen draußen die Aussage hört, diese Bundeswehr sei besser in Staat und Gesellschaft eingegliedert als jemals zuvor,
({47})
dann kann ich nur sagen: Das hätte schon weit früher der Fall sein können, wenn nicht Sie und Ihre Partei in den Anfangsjahren der Bundeswehr massiv Opposition getrieben und diese Bundeswehr massiv in das Ghetto des Mißtrauens eingesperrt hätten.
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Manchmal erinnert mich dieses Verhalten, Herr Leber, an die jüdische Definition des Begriffes „Chuzpe", daß nämlich ein Elternmörder vor Gericht mildernde Umstände beantragt, weil er Vollwaise sei.
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So verhalten Sie sich neuerdings, während wir hier ein gutes Gewissen haben. Wir haben diese Bundeswehr geschaffen. Wir haben natürlich nicht in den ersten 20 Jahren dieser Bundeswehr alles verwirklichen können. Aber niemand wird doch bestreiten, daß die Bundeswehr heute nicht so gut sein könnte, wenn wir nicht das Fundament gelegt hätten gegen Widerstände in unserem Volk und von der Opposition.
({50})
Wir hätten uns eine Opposition gewünscht, wie Sie sie die ganze Zeit haben.
Daß Sie sich auf Schnez berufen, das haut sozusagen „dem Faß die Krone ins Gesicht". Ausgerechnet Sie - die SPD - haben doch Herrn Schnez massiv angegriffen. Damals waren Sie gegen ihn. Alle, die an dieser Studie mitgearbeitet habe - mit einer Ausnahme -, wurden entweder kaltgestellt oder sind freiwillig gegangen. Und jetzt wird Herr Schnez plötzlich als Kronzeuge bemüht, der im übrigen in dieser Studie Maßstäbe aufgestellt hat, von denen ich nicht weiß, ob das Urteil, wenn Sie die heutige Bundeswehr diesen Maßstäben unterwerfen, günstiger wäre.
({51})
Auch die Modernität der Waffensysteme - ich wiederhole das, Herr Leber - beruht auf der gemeinsamen Anstrengung der Parteien in diesem Parlament. Wir versagen Ihnen dafür nicht die Anerkennung, auch heute nicht, selbst nach dieser Polemik nicht. Wir gehen gar nicht so weit, wie Sie es jetzt tun; wir bestreiten Ihnen nicht das Verdienst, es um diese Bundeswehr redlich zu meinen. Deswegen u. a. haben wir dem Verteidigungsetat zugestimmt. Ich sage Ihnen aber: Wenn Sie noch eine Weile so weitermachen, verlieren Sie nicht bloß bei uns die entsprechende Anerkennung, sondern auch draußen in der Truppe und in diesem Volk, das schon Ihre letzten Reden nicht mehr so günstig aufgenommen hat, wie das früher der Fall war.
({52})
Nur der Vollständigkeit halber seien doch einige Schwächen der Bundeswehr hier aufgeführt - nicht um sie abzuwerten, sondern um ihre volle Wirklichkeit zu zeigen: die unzulängliche Grundausbildung, die Ihnen jeder Kompaniechef draußen bestätigen wird, die zu kurze Ausbildung der Unteroffiziere, die Ihnen jeder draußen bestätigen wird, die Bürokratisierung dieser Armee, die langsam auf eine Aushöhlung des bewährten Prinzips der Auftragstaktik hinausläuft, die draußen ununterbrochen und mit Recht beklagt wird, die Tendenz zur einseitigen und übertriebenen Verwissenschaftlichung in der Ausbildung. Wir haben ja gesagt zur Hochschulausbildung, wir sagen weiterhin
ja zur wissenschaftlichen Ausbildung des Offiziers, aber das militärische Erfordernis muß Vorrang haben. Wir bilden auch an den Bundeswehrhochschulen und zumal an der Generalstabsakademie Offiziere, d. h. militärische Führer, aus. So hat sich auch die Ausbildung auszurichten; das muß der Schwerpunkt sein.
({53})
Die Heeresstruktur hat doch, wie Sie wissen, Unruhe gebracht, unvermeidliche Unruhe. Ein endgültiges Urteil darüber wird ja von uns gar nicht getroffen. Wir haben ja nur Fragen gestellt und den Versuch erzwungen. Aber eines steht doch jetzt schon fest: An den ursprünglichen Vorstellungen dieser Heeresstruktur muß manches geändert werden, wenn das Ziel erreicht werden soll,
({54})
die Kampfkraft dieses Heeres zu verbessern.
Weiterhin müssen wir - und jeder wird uns daran messen können - auf drei ernste Hypotheken hinweisen, die Sie hinterlassen.
Es sind zunächst zwei Hypotheken auf personellem Gebiet. Da ist einmal der Beförderungsstau bei den Oberfeldwebeln und den Hauptleuten in dieser Armee, der schwer auf die Stimmung dieser Truppe drückt, der in dieser Truppe zunehmend Unruhe erzeugt. Ich mache nicht alles mit, was da draußen gesagt wird, aber ich kann Ihnen sagen: Die Offiziere und die Unteroffiziere, die ja eine wesentlich höhere Stundenbelastung haben als der übrige öffentliche Dienst, fragen sich natürlich auf die Dauer, warum ihre Beförderungschancen schlechter sein sollen als die in anderen Zweigen des öffentlichen Dienstes.
({55})
Und dann haben Sie im Augenblick - das hat ja die letzte Sitzung des Verteidigungsausschusses ergeben - eine alarmierende Entwicklung in der Personallage. Das hat man draußen, außerhalb der Truppe, noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Wir haben doch einen echten Einbruch in die Weiterverpflichtungstendenz.
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Das wird doch langfristige Nachteile haben, auch wenn Sie das wieder reparieren, wozu wir Sie dringend auffordern. Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht, und ich sage hier und heute: Wir müssen diese Maßnahme des Haushaltsstrukturgesetzes schnellstmöglich rückgängig machen, noch in dieser Legislaturperiode, weil wir sonst langfristig viel mehr Geld zahlen müssen, um die Lücke, die wir uns da geschlagen haben, wieder auszugleichen. Es steht doch nach Ihrem eigenen Bericht einfach fest, daß wir am Ende des Jahres 20 000 Zeitsoldaten weniger haben werden.
({57})
- Das war vorauszusehen, und wir haben es vorausgesagt. Wir haben Anträge gestellt. Aber das
alles hat man abgelehnt und so getan, als ob wir schwarzmalten. Heute haben wir die Wirklichkeit.
Weiter muß auf die finanzielle Hypothek hingewiesen werden,
({58})
die auf die nächste Regierung wartet. Sie haben, Herr Leber, in einem Gespräch, das die „Badischen Neuesten Nachrichten" am 27. März 1976 wiedergegeben haben, nicht zu Unrecht erklärt, mit den schon jetzt beschlossenen Beschaffungsvorhaben sei der Investitionshaushalt der Bundeswehr bis 1985 ausgebucht. Sie haben wörtlich hinzugefügt: „Der Nachfolger kann nur noch bezahlen, was ich bestellt habe." Auch das klingt etwas anders als das, was Sie heute gesagt haben. Ich versichere Ihnen: Mit den Steigerungsraten, die Sie in der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesen haben, kann die nächste Regierung, egal, wer sie stellt, noch nicht einmal das bezahlen, was wir schon beschlossen haben, geschweige denn andere dringende Vorhaben beschließen.
({59})
Das ist der Grund, warum wir immer wieder sagen: Ohne eine reale Steigerung des Verteidigungsetats ist das in Zukunft nicht zu meistern.
({60})
Die Betriebsausgaben können Sie nicht uferlos kürzen. Das war eine Notmaßnahme für zwei Jahre. Die Nachteile sehen wir heute schon. Wenn Sie die Betriebsausgaben weiter so schröpfen,
({61})
dann wird die Bundeswehr auch in ihrer Einsatzbereitschaft und Kampfkraft leiden.
Ein letztes, weil Sie hier von der Wehrdienstverweigerung und Ihren Vorschlägen zur Wehrdienstverweigerung reden: Am 18. September 1972 haben Sie, Herr Leber, in einem anderen „Spiegel"-Gespräch - das sind wahre Enthüllungen - auf die Frage „Wollen Sie das Spruchkammerverfahren, die Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer abschaffen?" gesagt: „Ich habe gar keine Veranlassung und auch kein Recht, das abzuschaffen, im Gegenteil."
({62})
Jetzt kommen Sie, Herr Leber, daher und erklären, es sei eine Frage des Vertrauens in die junge Generation. Hier in diesem Haus weiß doch jeder, daß Sie das nicht wollten, sondern daß Sie dem Druck der Linken in SPD und FDP nachgegeben haben, als Sie ihn nicht mehr bremsen konnten.
({63})
Wir sagen: Das ist nicht eine Offerte an die junge Generation, sondern das ist eine Versuchung der jungen Generation, eine Art Korrumpierung. Das
wird ein Massenverschleiß des Gewissens werden.
({64})
Das Ernsteste daran, Herr Leber, ist: In der jungen Generation wird das Bewußtsein schwinden, daß es die normale staatsbürgerliche Pflicht des jungen Mannes ist, diese unsere Demokratie, dieses unser Volk in der Bundeswehr als Soldat wenigstens für 15 Monate zu verteidigen.
({65})
- „Sprechen Sie der jungen Generation das Verantwortungsbewußtsein ab!" - ach, kommen Sie! Das ist genauso, wie wenn Sie sagen: Ich spreche der älteren Generation das Vertrauen ab und spreche ihr das Mißtrauen aus, weil ich bis heute gesetzlich an der Steuerzahlungspflicht festhalte. Das ist ein ähnlicher Quatsch, wie das, was Sie hier erklären.
({66})
Die Aufgaben der nächsten Bundesregierung sind damit vorgezeichnet. Sie wird sich um Steigerung der konventionellen Kampfkraft der Bundeswehr bemühen müssen. Sie wird dies - ich wiederhole es: egal wer sie stellt, Herr Leber - nicht ohne reale Steigerungsraten des Verteidigungsetats bewältigen können. Sie wird die Ausbildung der Soldaten, besonders der jungen Unteroffiziere, verlängern und verbessern müssen. Sie wird dafür sorgen müssen, daß die Armee wieder geführt und nicht nur verwaltet wird. Sie wird die Streitkräfte von überflüssigem bürokratischem Ballast befreien und der Auftragstaktik wieder zu ihrem Recht verhelfen müssen. Sie wird Erziehung und Ausbildung wieder vorrangig am militärischen Auftrag orientieren müssen. Sie wird das Reservistenpotential besser nutzen und die Herstellung der Einsatzbereitschaft beschleunigen müssen; eine ganz entscheidende Maßnahme. Sie wird das vernachlässigte System der Gesamtverteidigung - insbesondere der zivilmilitärischen Zusammenarbeit - verbessern und schließlich dafür sorgen müssen, daß Leistung und Charakter des Soldaten und nicht sein Parteibuch seinen Weg in der Armee bestimmen.
({67})
Sie wird schließlich das Prüfungsverfahren für Wehrdienstverweigerer verbessern müssen, es aber nicht abschaffen dürfen. Außerdem wird sie sich mehr um Wehrgerechtigkeit kümmern müssen, als es die gegenwärtige Regierung getan hat.
Die vornehmste Aufgabe aber - hoffentlich sind wir in diesem Punkt noch einig - wird sein, daß wir alles daransetzen, den Willen zur Verteidigung, den Freiheitswillen in unserem Volk wachzuhalten. Denn die Verteidigung ist nicht nur die Aufgabe des bezahlten Spezialisten, des freiwilligen Soldaten, sondern die Aufgabe des ganzen Volkes. Sonst wird sie nicht wirksam sein können.
({68})
Meine Damen und Herren, ich bin in dieser Verteidigungsdebatte nicht davon ausgegangen, daß meist das Florett benutzt würde; ich habe mit schwerem Säbel gerechnet. Ich wäre Ihnen aber sehr dankbar, wenn wir in diesem Hause den Kern der Gemeinsamkeit sichern würden. Dies ist auch eine Frage der inneren Bereitschaft, die sich bei den Rednern ausdrücken muß.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst die infamen Äußerungen des Herrn Wörner gegenüber Herbert Wehner mit aller Schärfe zurückweisen.
({0})
Da Sie an die politische Potenz dieses Mannes - Herbert Wehners - nicht herankommen, können Sie stets nur in gehässigen, infamen Ausfällen gegen ihn antreten.
({1})
Herr. Dr. Wörner, das trifft für jede Plenardebatte zu - in jeder Plenardebatte können wir das erleben -, und das setzt sich im Wahlkreis fort, wo sich der CDU-Abgeordnete wie ein Dackel benimmt, der das Bein hebt, weil ihm die Argumente fehlen.
({2})
- Sie sind gemeint, Herr Damm. Genau Sie sind gemeint. Ich hatte gedacht, Sie würden schweigen.
({3})
Herr Dr. Wörner, Sie haben hier so getan, ais ob die Verteidigungspolitik von den Sozialdemokraten nicht mit getragen würde.
({4})
- Herr van Delden, man darf doch wohl einmal reagieren - oder?
({5})
- Nein, auf Sie muß man manchmal reagieren.
Sie haben hier so getan, als ob die Verteidigungspolitik von den Sozialdemokraten nicht mit getragen würde. Voraussetzung für diese Politik ist der Einzelplan 14, der die einstimmige Zustimmung der SPD-Fraktion fand. Ich werde auf diesen Einzelplan noch zurückkommen.
({6})
- Herr Biehel, in jener Nacht, als wir die letzte Abstimmung hatten, war einer von Ihnen nicht ganz da und stimmte anders, nicht wir.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einleitend ein paar Worte zu unserer Bundeswehr sagen. Zweimal in diesem Jahr ist die Bundeswehr im Bild der Öffentlichkeit besonders positiv aufgefallen. Zum einen ist sie bei der Hochwasserkatastrophe an der deutschen Küste am 3. Januar positiv aufgefallen. Bundesminister Leber hat in der Debatte am 15. Januar 1976 das Nötige dazu gesagt, als er lobend hervorhob, daß von 10 000 aufgerufenen Soldaten schon 7 000 auf dem Wege in ihre Standorte waren, als der Aufruf kam.
Das zweite Mal ist sie bei der Erdbebenkatastrophe in Italien positiv aufgefallen, wo deutsche Pioniere eingesetzt sind. Wie ich von unserem Passauer Kollegen Fritz Gerstl hörte, der vor einigen Tagen die sonst in Passau stationierten Pioniere des Bataillons 240 in Gimono und Osoppi besucht hat, werden dort die großartigen Leistungen unserer Pioniere dankbar anerkannt. Die Passauer Pioniere werden in Italien genauso beurteilt wie die Pioniere aus Brannenburg, die vorher dort eingesetzt waren. Ich möchte dem Kollegen Gerstl sagen, daß wir alle miteinander diese Leistung unserer Soldaten aus Passau und Brannenburg und wo sie sonst auch immer stationiert sind, mit großem Respekt verfolgen. Wir sind ihnen für ihre Leistungen dankbar.
({8})
Wenn das Thema unserer heutigen Debatte nicht so ernst wäre, könnte man der Rede des Kollegen Dr. Wörner die Überschrift geben: „Alternative '76
- CDU-Verteidigungspolitik zum Schmunzeln". So könnte auch Ihr Wahlslogan zu diesem Thema heißen. Einem aufmerksamen Beobachter zwingt sich dieses Bild geradezu auf, wenn er die geistigen Verrenkungen des CDU-Hauptsprechers für Verteidigungsfragen verfolgt, der, wie man dem „Spiegel" entnehmen konnte, neuerdings sogar „stehend freihändig" im Spind schlafen kann.
Man merkt, Herr Kollege Dr. Wörner, wie Sie hin und her gerissen werden zwischen neidloser Anerkennung der Leistung der Sozialdemokraten für die Verteidigung
({9})
- aber ja - und der Parteiräson des oppositionellen Neins. Sie suchen krampfhaft nach einem Weg für eine christdemokratische Alternative zu Helmut Schmidt und Georg Leber. Da kommen dann Ihre Stilblüten und Klimmzüge entsprechender Qualität zustande. Da die Leistungen Georg Lebers für unsere Bundeswehr vom überwiegenden Teil der Bevölkerung anerkannt werden, hüten Sie sich - Sie haben es jedenfalls bis heute getan -, auf diesem Bild herumzumalen. Dafür könnte man ja vom Bürger vielleicht eins auf die Finger bekommen. Ihr Gegenrezept in der Vergangenheit war schnell zur Hand: Georg Lebers Politik wurde kurzerhand für die CDU beansprucht. Heute haben Sie zum erstenmal versucht, zwischen Politik und Mann zu trennen.
Das Eingeständnis Ihrer eigenen Unfähigkeit konnte nicht besser dokumentiert werden als durch Ihr „Quick"-Interview vom 16. Oktober 1975. Dort finden wir die schlichte, aber zutreffende Erkenntnis: „Denn jeder, der nach ihm" - gemeint ist Georg Leber - „in dieses Amt käme, wäre schlechter." „Käme" sagte Kollege Dr. Wörner, und recht hat er. Diese gedankliche Leistung, Herr Kollege Dr. Wörner, muß Sie, kaum ausgesprochen, doch recht gewurmt haben.
Dann hörte man zu diesem Thema eine ganze Weile nichts. Sie waren wahrscheinlich in Klausur; denn ein paar Monate später teilten Sie der „FAZ" das Ergebnis ihrer Klausur mit. Sie haben sich jetzt entschlossen, besser sein zu wollen als Georg Leber; denn Sie versprechen, „aus einer guten Bundeswehr eine noch bessere" zu machen. Langsam kommt einem so der Gedanke, daß zu einem guten CDU-Mann auch fromme Wünsche gehören.
Ein anderes Bild ergeben Ihre Versprechungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Lassen Sie mich das an einem Beispiel belegen, und zwar an der für mich wichtigsten Frage zur Verteidigungspolitik der Christdemokraten: Wieviel Geld will die Opposition nun tatsächlich für die Verteidigung ausgeben? Zur Frage, wieviel Geld Sie tatsächlich für die Verteidigung ausgeben wollen, gehört eine zweite, die die Glaubwürdigkeit Ihrer heutigen Versprechungen ins rechte Licht rückt: Welche Leistungen haben Sie nämlich erbracht, als Sie die Verantwortung für das Verteidigungsressort trugen? Es sollen also Taten gemessen werden; denn mit dem Munde kann man viele Milliarden ausgeben.
Da fällt der Blick zunächst auf das Jahr 1968. Der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß - der Mann mit dem großen Verteidigermund und der schwachen Finanzierungshand - schlug vor, die Verteidigungsausgaben zu kürzen. Und so geschah es: prozentuale Abnahme 12 %.
Ich habe schon in der Debatte zu Ihrer Anfrage zur Verteidigungspolitik am 15. Januar darauf hingewiesen, daß Sie, Herr Dr. Wörner, in der 139. Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Dezember 1974 eine falsche Aussage gemacht zu haben, als Sie über die Steigerungsraten des Verteidigungsetats und die Inflationsraten sprachen und behaupteten, daß die Inflationsraten höher als die Steigerungsraten des Verteidigungsetats seien. Das war unseriös.
({10})
Unter unserer Verantwortung für den Bereich der Verteidigung lagen die Verteidigungsausgaben im Durchschnitt jährlich um 4 % über dem durchschnittlichen Kaufkraftverlust. Die durchschnittliche Steigerung der Verteidigungsausgaben betrug 10,6 %, der durchschnittliche Kaufkraftverlust 6,66 % in den Jahren von 1969 bis 1975.
Ein Blick in Ihre Leistungsbilanz zeigt, daß die Verteidigungsausgaben in den Jahren 1963 bis 1969
nur um 1,1 % gestiegen sind. Hätte die CDU/CSU damals ihre heute lauthals verkündete Parole selbst erfüllt, nämlich Steigerung der Verteidigungsausgaben gemäß dem allgemeinen Kaufkraftverlust, dann hätten der Bundeswehr für diese Zeit 10,24 Milliarden DM mehr zur Verfügung gestanden.
Sie stellen aber nicht nur die Forderung nach Kaufkraftausgleich, Herr Kollege Dr. Wörner. In Kiel haben Sie im Oktober 1974 folgendes zum Ausdruck gebracht. Sie haben dort gesagt: „Jahr um Jahr geht der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt zurück." Nur haben Sie geschickterweise gar nicht erwähnt, daß während der Verantwortungszeit Ihrer Partei der Anteil des Verteidigungshaushalts, gemessen am Bruttosozialprodukt, von 1963 bis 1969 - also in einem vergleichbaren Zeitraum - von 4,7 % auf 3,2 % gesunken ist. Hätten Sie den Stand gehalten, hätte die Bundeswehr in dieser Zeit 32 Milliarden DM mehr zur Verfügung gehabt. Sehen Sie sich das Weißbuch aus dem Jahre 1969 an, das die Unterschrift Ihres Parteifreundes Dr. Schröder trägt, dann werden Sie feststellen können, wie damals die Entwicklung gewesen ist. Sie hatten einen Investitionsanteil von 20,6 %, im Jahre darauf von 22,5 %. Wir liegen heute bei 32 %. Ich will aus diesem Weißbuch nicht mehr zitieren. Sie finden dort eine ganze Reihe von Aussagen, die Sie einmal nachlesen sollten. Wenn wir das gemacht hätten, würden Sie uns heute vorgeworfen haben, die Sicherheit gefährdet, einen sicherheitspolitischen Ausverkauf betrieben zu haben.
({11})
- Ach, wissen Sie, Herr Dr. Lenz, wir wollen uns darüber nicht unterhalten.
({12})
Wir wissen - und Sie wissen es auch -, daß die Bundeswehr noch nie in ihrer Geschichte in einem besseren Zustand war, als sie es heute ist.
({13})
- Es bleibt Ihnen vorbehalten, Herr Dr. Wörner, ständig Unterlegenheitskomplexe zu züchten.
({14})
- Herr Dr. Wörner, am 21. Mai 1974 hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU einen Antrag gestellt. Dieser Antrag enthielt die Formulierung:
Die Bundesregierung wird aufgefordert ... dafür zu sorgen, daß der Anteil der Verteidigungsausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes nicht weiter absinkt.. .
Was haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in der Zeit von 1963 bis 1969 gemacht? Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt sank um 10 % von 33,3 % auf 23,3 %. Hätten Sie damals getreu Ihrer heutigen Forderung gehandelt, wären für die Bundeswehr unter dieser Forderung 16 Milliarden DM mehr vorhanden gewesen.
(Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Haben Sie das damals beantragt?
- Sie fordern ja heute. Wir müssen uns mit Ihren Forderungen von heute auseinandersetzen und sie mit Ihren Leistungen in der Vergangenheit vergleichen.
({15})
Zum Schluß noch ein Wort zu Ihrer vierten Forderung. Die Deutsche Presseagentur hat am 9. April 1976 gemeldet: Eine Erhöhung des Verteidigungsetats „mindestens in der Höhe der allgemeinen Steigerung des Bundesetats von 12 %" hat Dr. Wörner gefordert. Nun ist das Hin und Her, das Hü und Hott, perfekt. Auch hier wieder, auch wenn es Ihnen nicht schmeckt, Herr Dr. Wörner, die Rechnung Ihrer Versäumnisse aus der Zeit von 1963 bis 1969.
({16})
Herr Abgeordneter gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Aber ja.
Bitte.
Herr Neumann, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich überall, auch gegenüber der Deutschen Presseagentur, genau das gleiche erklärt habe, was ich heute hier wiederholt habe - Sie können jede neue Bundesregierung daran messen -, daß ohne eine reale Steigerung des Verteidigungsetats die Kampfkraft der Bundeswehr weder aufrechterhalten noch gar verbessert werden kann?
Ja, okay! Dann müssen Sie aber zur gleichen Zeit auch die Frage von Minister Leber beantworten: Haben Sie hier im Parlament, im Verteidigungsausschuß, etwas gefordert?
({0})
- Im Haushaltsausschuß nicht, bei uns auch nicht.
- Sie hätten nach Ihrer vierten Forderung der Bundeswehr damals 29 Milliarden DM mehr geben können. Sie können sich also heute aussuchen, wieviel Milliarden DM Sie unter Ihrer Regierungsverantwortung zuwenig ausgegeben haben: 10, 17, 29 oder 32 Milliarden DM, immer als Antwort auf die vier Forderungen, die Sie im Verlauf der Zeit gestellt haben. Wir wissen sehr wohl, daß der Bundeswehr dieses Geld gefehlt hat und möglicherweise noch heute fehlt. Die Bestandsaufnahme des Weißbuches 1970 des damaligen Verteidigungsmi18118
nisters und heutigen Bundeskanzlers Helmut Schmidt hat dies ans Licht gebracht. Es hätte keine 150 Weißbuchmaßnahmen der sozialliberalen Koalition zu geben brauchen. Der größte Teil der Kfz-Folgegeneration könnte schon bei der Truppe sein und vieles mehr, wenn wenigstens die fehlenden 10 Milliarden DM vorhanden gewesen wären. Sie können sicher sein, daß wir dem Bürger draußen diese Rechnung Ihrer Versäumnisse präsentieren werden.
({1})
Aber wir dürfen uns natürlich nicht nur mit Ihren Fehlern in der Vergangenheit auseinandersetzen. Wir müssen auch Ihre heutigen Wahlversprechen zerpflücken, und das werden wir tun. Dazu eine kleine Kostprobe. Am 12. Januar gab sich der „Kurfürst" des Landes Rheinland-Pfalz die Ehre, zusammen mit Ihnen, Herr Dr. Wörner, die verteidigungspolitischen Leitlinien der CDU vorzustellen. Dabei wurden Sie zum zweitenmal zum Ministeraspiranten für die Verteidigung gekürt. Sie wissen, daß sich die Presse in ihrer Berichterstattung hauptsächlich den Passus über den Verteidigungshaushalt herausgriff, weil sonst in diesen „Leitlinien" nur Allgemeinplätze und Selbstverständlichkeiten zu finden sind. Dort versprechen Sie, daß Sie den Verteidigungsausgaben „höchsten Rang" zuweisen, und meinen, daß es einer „jährlichen, kontinuierlichen, realen Steigerung des Verteidigungshaushalts" bedürfe, wie Sie es auch jetzt gesagt haben.
({2})
Meinen Sie nicht, daß es ein kühnes Versprechen ist, Herr Dr. Wörner, wenn man an die Zeit von 1963 bis 1969 zurückdenkt, die letzten .Jahre Ihrer Regierungsverantwortung im Verteidigungsbereich? Damit Sie auf dieses Versprechen nicht festgelegt werden können, gibt es noch eine andere Aussage im Programm, und zwar unter dem Kapitel „Bündnispolitik". Dort heißt es:
Wir werden dem Bündnis politische und militärische Beiträge leisten, die der Gefährdung unseres Landes sowie seiner Wirtschaftskraft entsprechen.
Das bedeutet aber nichts anders als die Anpassung der Verteidigungsausgaben auch an nachlassende Wirtschaftskraft und so möglicherweise sinkende Verteidigungsaufwendungen.
({3})
In einer Presseerklärung vom 12. Januar 1976 zur Veröffentlichung Ihrer Leitlinien habe ich zum Ausdruck gebracht, daß dieser vorsichtige Passus wohl von Herrn Kohl geschrieben worden ist, der Passus mit der jährlichen, kontinuierlichen, realen Steigerung des Verteidigungshaushalts wohl aber von Ihnen stammt, Herr Kollege Dr. Wörner.
Einige Ihrer Kollegen haben das kritisiert, was ich damals gesagt habe. Ich möchte daher heute versuchen, die Richtigkeit nachzuweisen. Herr Kohl hatte in seinem Redemanuskript für den „Sicherheitspolitischen Kongreß der CDU" einen Abschnitt
aufgenommen, der aber durchgestrichen war, also auch nicht vorgetragen wurde. Was wollte Herr Kohl in diesem Passus sagen?
({4})
Dieser durchgestrichene Abschnitt lautet:
Es führt aber kein Weg daran vorbei, daß sich in Zeiten von Engpässen bei den Staatsfinanzen die Zuwachsraten der Verteidigungsausgaben langsamer erhöhen. Auch die Bundeswehr muß sich nach der kürzer werdenden Decke der Staatsfinanzen strecken.
Sehr wahr, Herr Kohl, kann man da nur sagen. Aber er durfte es wohl nicht aussprechen, was da im Manuskript vermerkt war. Ich habe Sie im Verdacht, Herr Kollege Dr. Wörner, daß Sie der Streicher im Manuskript gewesen sind.
({5})
- Das ist doch nett, Herr Wörner. Ich habe ja nur vermutet, daß Sie es gewesen sind.
({6})
Verfolgt man die programmatischen Versprechungen von der „jährlichen, kontinuierlichen, realen Steigerung des Verteidigungshaushalts", dann wird bereits bei der Wahlplattform der CDU/CSU deutlich, daß dies eine leere Versprechung ist. Im Diskussionsentwurf der Wahlplattform der CDU heißt es nur noch:
Wir werden die Verteidigungsausgaben entsprechend den militärischen Erfordernissen steigern.
({7})
- Moment, Herr van Delden, das ist noch nicht die letzte Aussage. Die letzte Aussage sieht nämlich anders aus. Diese letzte Aussage Ihres Wahlprogramms ist noch dünner. Es heißt dort:
Wir werden deshalb die Verteidigungsausgaben den sicherheitspolitischen Erfordernissen anpassen.
({8})
- Aber wo steht denn da noch etwas von „steigern", Herr Rommerskirchen? „Anpassen" sagen Sie.
({9})
- Das kann auch nach unten sein, das wissen Sie doch ganz genau, Herr Rommerskirchen.
Wer das „Prinzip der Hinlänglichkeit der Kräfte" aus der Militärstrategie kennt, wird hier unschwer das „Prinzip der Hinlänglichkeit der Finanzen" erNeumann
kennen. Man sieht, die Opposition hat richtig( Strategen.
({10})
- Nix „Quatsch aufgeschrieben", Herr van Del den. Lesen Sie es bei Gelegenheit einmal nach.
Schon heute können wir ganz eindeutig nachweisen, daß die CDU/CSU in der Regierungsverantwortung die Verteidigungsausgaben allein schon deshalb senken müßte, käme sie wieder an die Regie rung, weil sie z. B. die Mehrwertsteuererhöhung ab. lehnt. Das bedeutet nämlich, daß im Bundeshaushalt 1977 6,9 Milliarden DM, 1978 8,5 Milliarder DM und 1979 9,3 Milliarden DM fehlen würden.
({11})
- Bundesfinanzminister Apel, den Sie da gerade zitieren, hat vor dem Bundesrat darauf hingewiesen, daß diese Beträge nur in den Bereichen Soziales und Verteidigung eingespart werden können. Auch in dieser Frage können Sie sicher sein, daß wir den Wähler bitten werden, Sie zu fragen, wie Sie angesichts dieser Sachlage Ihre großartigen Versprechungen zur Verteidigungspolitik wahrmachen wollen.
({12})
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Leistungen unserer Bündnispartner sagen. Sie, Herr Kollege Dr. Wörner, haben in einem namentlich gezeichneten Beitrag für die Zeitung „Die Welt" alle Bündnispartner als „blind" bezeichnet, und am 23. Januar 1966 haben Sie im „Rheinischen Merkur" den NATO-Partnern folgenden Vorwurf gemacht:
... kaum ein Land, das sich von der allgemeinen Konferenzseligkeit und den Kooperationsbeteuerungen der Kommunisten nicht anstekken ließ und seine Verteidigungsbereitschaft nicht zugunsten des Wohlstands und Sozialkomforts
was ist eigentlich Sozialkomfort?
({13})
vernachläßigt ... leider macht auch die Bundesrepublik Deutschland hier nur eine sehr begrenzte Ausnahme.
Herr Dr. Wörner, Sie sollten, bevor Sie derartigen Unsinn verbreiten, einmal überprüfen, was die Bündnispartner gemeinsam für ihre Sicherheit ausgeben. Es wird Ihnen hoffentlich nicht schwerfallen, sich den NATO-Brief 1/76 zu besorgen und die Verteidigungsausgaben der europäischen NATOPartner nachzulesen. In den Jahren 1966 bis 1969 bewegten sie sich noch zwischen 21 Milliarden US-Dollar und 23 Milliarden US-Dollar, von 1970 bis 1975 wuchsen sie jedoch von 24,5 Milliarden USDollar auf 57,2 Milliarden US-Dollar. Wenn Sie auch das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, empfehle ich Ihnen das Studium der Eurogroup-Kommuniqués von 1971 bis 1975. Ich weiß, daß weder Sie
noch die Ihnen nahestehende Presse davon Kenntnis nehmen.
({14})
- Herr van Delden, machen Sie sich doch nicht lächerlich! Vergleichen Sie einmal diese beiden Zahlen miteinander! Dabei können Sie die Höhe der Inflation vergessen!
In Ihren Kreisen schreibt und redet man gern jeden Tag ganz ausführlich von der Aufrüstung des Warschauer Pakts.
({15})
- Es ist nicht so, daß ich dagegen etwas vorzutragen hätte; aber man sollte nicht gleichzeitig die Tätigkeiten der NATO auf diesem Gebiet verschweigen. Deshalb möchte ich Ihnen jetzt nur die quantitativen Verbesserungen aus den Jahren 1971 bis 1976 zusammenzählen,
({16})
die die Eurogroup in den einzelnen Jahren angekündigt und beschafft hat.
({17})
- Aber Herr Damm, Sie zählen doch sonst zu denen, die die Eurogroup noch besser machen möchten. Es waren 2 800 Kampfpanzer, 753 schwere Geschütze auf Selbstfahrlafetten, 3 700 Panzerabwehrraketensysteme - ({18})
- Ich habe gesagt: zunächst die quantitativen Verbesserungen; zu dem anderen kommen wir noch. Es waren weiter 5 700 Späh-, Schützen- und Transportpanzer, 30 Zerstörer und Fregatten, 6 Nuklear- und 39 konventionelle U-Boote, 117 Marinehubschrauber, 37 Schnellboote, 1 131 Kampfflugzeuge und Seeaufklärer, 100 Transportflugzeuge, 650 Hubschrauber, 3 200 Flugabwehrgeschütze und 2 000 Flugabwehrraketen. Anzumerken ist, daß amerikanische Verbesserungen und auch qualitative Verbesserungen hierbei nicht eingerechnet sind, von denen Sie selbstverständlich auch Kenntnis haben.
Die Militärexperten der Opposition zählen dagegen lieber sowjetische Panzer.
({19})
Verteidigungsminister Leber hat kürzlich darauf hingewiesen, was wir dem entgegenhalten: 2 500 Abschußanlagen der Panzerabwehrrakete Milan und 40 000 Raketen dazu.
({20})
- Herr Damm, Sie haben in der Vergangenheit
heute bestellt und morgen geliefert bekommen, so tun Sie!
({21})
- Sie haben in Ihrer Regierungszeit die Waffen heute bestellt, und sie wurden morgen geliefert. Sie wissen ganz genau, daß es da selbstverständlich eine gewisse Zeit gibt - ({22})
- Das wissen Sie genauso gut wie ich.
Es ist uns klar, daß Sie die intensive und sachkundige Auseinandersetzung mit diesen Fragen nicht wollen und lieber eilfertig, weil Ihnen das in den Kram paßt, dem verspäteten Studenten vom NATO-Defence-College beipflichten und Ihre Warnungen vor einer weiteren Verminderung der konventionellen Stärke in Europa bestätigt sehen.
({23})
Der Finanzminister von 1968 mit dem „Minus-12 %-Zeichen für Verteidigungsausgaben" darf dabei natürlich nicht fehlen. Getreu dem Sonthofener Panikorchester wußte auch Strauß zu berichten, daß der belgische General sich vielleicht nur in der Zeitangabe geirrt hatte - nach welcher Seite, das hat er lächelnd offengelassen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben eine ernste Bitte an Sie und Ihre Freunde draußen im Lande. Unterlassen Sie es, in unserem Lande Unterlegenheitskomplexe zu kultivieren, nur um daraus dann den parteipolitischen Honig saugen zu wollen,
({24})
daß Sie als der starke Max erscheinen können. Sie waren es nie und werden es auch in der Zukunft nicht sein.
Wir Sozialdemokraten werden dem Bürger draußen sachlich die Leistungen dieser Regierung für die äußere Sicherheit darlegen und mit ihm darüber diskutieren. Diese Leistungen können sich sehen lassen. Wenn der Bürger die solide Sicherheitspolitik von Helmut Schmidt und Georg Leber mit der Fata-Morgana-Politik der Opposition vergleicht, dann weiß er, wo seine äußere Sicherheit - und nicht nur die - besser gewahrt ist. Auf jeden Fall nicht bei Ihnen.
({25})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auch auf Herrn Wörner eingehen,
({0})
obwohl es etwas schwer ist, die Substanz seiner
Äußerungen zu fassen; denn mit Ausnahme einer
Anhäufung von kritischen Äußerungen hat er es
doch, so meine ich, an konstruktiven Vorschlägen in seinem Beitrag weitgehend fehlen lassen. Es wäre hilfreich gewesen, wenn hier nicht nur die -zweifellos legitime - Kritik vorgetragen worden wäre, sondern auch die Alternative, die Herr Wörner für den Fall, daß er Verantwortung übernehmen müßte, was kein Mensch annehmen kann, hier präsentierte.
({1})
Herr Wörner, gestatten Sie mir deswegen, daß ich, bevor ich unsere eigenen Vorstellungen vortrage, auf einige Ihrer Bemerkungen eingehe. Sie haben gesagt, Sie wunderten sich, daß der Verteidigungsminister Sie derartig kritisch angehe, obwohl Sie doch im Verteidigungsausschuß ständig so solidarisch hinter ihm stünden. Ich finde es gut, daß Sie im Verteidigungsausschuß unsere positive Politik auch so positiv bewerten. Das Problem liegt nur darin, daß Sie nach der Sitzung des Ausschusses nach draußen gehen und so tun, als sei diese Politik, die Sie im Ausschuß mit getragen haben, nicht positiv. Dies ist unredlich. Man kann nicht allen Vorlagen zustimmen und dann draußen den Eindruck zu erwecken versuchen, als sei das alles falsch - es sei denn, man hätte selbst für all das Falsche bewußt oder unbewußt gestimmt.
Herr Wörner, Sie haben hier zweitens gesagt, Bundesminister Leber müßte allen möglichen Leuten in seiner Partei gefallen und sei deswegen zu Kompromissen genötigt. Ich weiß nicht, welches Demokratieverständnis Sie hierbei zugrunde legen. Vielleicht wollen Sie den Eindruck erwecken, als hätten Sie selbst keine verschiedenen Gruppierungen in Ihrer Fraktion, mit denen Sie sich abstimmen müssen, bei denen es unter Umständen unterschiedliche Interessen gibt. Sie können darüber hinaus auch nicht sagen, in Ihrer Partei fände gerade die Sicherheitspolitik das größte Interesse. Man muß sich ja, glaube ich, nur die Besetzung des Plenums hier anschauen, um zu sehen, daß dies tatsächlich ein Problem in allen Fraktionen ist, daß verschiedene Sachgebiete eben nicht auf das Interesse aller Abgeordneten stoßen.
Ein weiteres, Herr Wörner. Es mutet schon apart an, Herr Kollege Damm, wenn bei Ihnen davon gesprochen wird, da gebe es eine in sich gespaltene SPD und vielleicht auch FDP, und die CDU sei so geschlossen. Wissen Sie, das klingt nun wirklich lächerlich zu einem Zeitpunkt, da gerade der Kollege Wörner wohl der kleinste gemeinsame Nenner ist, auf den man sich, was die Ministermannschaft anlangt, gerade noch einigen konnte.
({2})
Wo ist denn die Erfüllung des Versprechens von Herrn Kohl, seine komplette Ministermannschaft bis zum Mai vorzustellen? Das findet nicht statt.
({3})
- Er darf eben nicht, Herr Rawe. Die Leute, die ihm das nicht erlauben, tagen heute in München und sind deswegen hier nicht anwesend.
({4})
- Außerordentlich geistreich, Herr Wulff! Würden Sie den Zwischenruf noch einmal wiederholen?
({5})
- Das kann ich mir vorstellen.
Ich darf weiter auf Herrn Wörner eingehen. Er hat von der Finanzierungsfrage gesprochen. Ich meine, das muß man unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Man kann ja wohl schlecht vortragen
- und wir sagen dies ja -, die Bundeswehr habe heute ihren höchsten Leistungsstandard erreicht, den sie bisher gehabt habe, wenn man es nicht gleichzeitig für vertretbar hält, die derzeitigen Verteidigungsausgaben als zureichend anzuschauen. Überdies halte ich es auch nicht für gerechtfertigt, immer nur vom Einzelplan 14 zu sprechen, wenn man von den Ausgaben für die Sicherheit unseres Landes spricht. Sie wissen so gut wie ich, daß nach NATO-Kriterien nicht nur die ca. 30 Milliarden DM des Einzelplans 14 für die Sicherheit aufgewandt werden, sondern - im letzten Bundeshaushalt - ca. 47 Milliarden DM. Ich finde, auch dieses sollte man unserer Bevölkerung klar sagen, wenn man davon redet, hier würde zuwenig aufgewandt.
Abschließend zu diesem Finanzaspekt: Es ist einfach unerträglich, daß jeder Ihrer Fachressort-Vertreter - für die Entwicklungspolitik Herr Todenhöfer, für die Agrarpolitik Herr Ritz, für die Verteidigungspolitik Herr Wörner - hier herkommt und sagt, wir müssen mehr ausgeben. Wenn es dann aber um die Einnahmeseite des Staates geht, sind Sie die ersten, die sagen: Nein, es kann nicht mehr durch die Steuererhöhung eingenommen werden. Wie wollen Sie das denn eigentlich machen? Dies ist eine unredliche Politik.
({6})
Ein weiteres. Ich kann nun ein bestimmtes Wort allmählich wirklich nicht mehr hören - tut mir leid -, obwohl die meisten vielleicht darauf beharren wollen: das von der Gemeinsamkeit der Demokraten. Ich bin, genau wie Sie, jetzt jeden Tag im Wahlkampf. Und da hört man ununterbrochen einen bestimmten Slogan: Freiheit statt/oder Sozialismus. Derjenige, der diesen Slogan propagiert, hat sich längst außerhalb der Gemeinsamkeit von Demokraten gestellt,
({7})
hat uns diffamiert. Dann kann er doch von uns nicht erwarten, plötzlich anders behandelt zu werden, als er als Erfinder eines solchen Slogans behandelt werden muß.
Und ein weiterer Aspekt, Herr Wörner, ist apart: Sie sagen uns, wir könnten uns auf Herrn Schnez als Kronzeugen nicht berufen, da wir ja wohl die Frechheit besessen hätten, ihn früher zu kritisieren. Das müssen gerade Sie sagen! Wenn Sie über den Liberalismus sprechen, berufen Sie sich neuerdings immer auf Heuss, Reinhold Maier, der Sie übrigens als schwarzes Gewürm bezeichnet hat. Wenn Sie über die Sozialdemokratie sprechen, dann finden Sie immer wieder zu denen zurück, die Sie damals wütend attackiert haben. Das können Sie uns, glaube ich, wohl nicht vorwerfen: daß wir hier Leute zitieren, die auf ihrem Gebiet keine Fachleute gewesen seien.
Herr Abgeordneter Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja sicher, gerne.
Bitte.
Herr Kollege Möllemann, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Angriffe, die wir zur Zeit gegen das Verhalten der Koalitionsparteien im Umgang mit den radikalen Kräften im Sozialismus richten, gerade dadurch provoziert worden sind, daß die Gemeinsamkeit der Demokraten bei Ihnen und bei den Sozialdemokraten immer stärker durch gemeinsame Aktionen mit Kommunisten und anderen Linksradikalen ersetzt worden ist?
({0})
Das ist nun für mich allerdings die neueste Begründung, eine von vielen, die Sie für diesen Slogan geliefert haben, allerdings auch die einfältigste, muß ich sagen.
({0})
Daß ich die von Ihnen höre, wundert mich dabei weniger.
Herr Wörner, bei den wenigen Sachpunkten, die Sie angesprochen haben, sind Sie auf Punkte eingegangen, an denen die Bundeswehr Schwächen hat. Sie haben gesagt, die Ausbildungsqualität der Wehrpflichtigen sei nicht zureichend. Darüber kann man ja diskutieren. Aber was heißt das? Wollen Sie - dann sagen Sie das bitte auch - die Wehrpflicht wieder von 15 Monate auf 18 Monate verlängern? Dann sagen Sie das doch einmal! Ich fände das übrigens ganz interessant, gerade zu diesem Zeitpunkt. Aber dazu trauen Sie sich natürlich wieder nicht. Nur festzustellen, daß das alles nicht gut ist, ohne konkret zu sagen, wie Sie dem abhelfen wollen, hilft der Bundeswehr ganz sicherlich auch nicht weiter.
Ein weiteres - und da komme ich auf Sie zurück, Herr Jäger. Sie sprachen von den Linken, was immer Sie darunter verstehen mögen. Links von Ihnen zu sein, ist, glaube ich, gar nicht so sehr schwer -: Herr Jäger, Sie sagten, die KDV-Novelle sei ein Sieg der Linken über Minister Leber. Na ja, 1967 ist dies auf dem Wehrpolitischen Kongreß der FDP von den Radikal-Linken Kurt Jung, Alfred Ollesch, Hans-Dietrich Genscher usw. beschlossen worden. Ich weiß zwar nicht mehr, was bei Ihnen links ist, aber wenn ich mir das so überlege, wie die Fronten da so verlaufen, kann ich mir unter „Linken" etwas anderes vorstellen.
({1})
Schließlich eine letzte Bemerkung - Herr Wörner, ich mußte nun einmal so auf Sie eingehen -,
bevor ich zu meinen Ausführungen zur Sache kommen möchte. Herr Wörner, Sie haben versucht - der Kollege Neumann hat mit Recht darauf verwiesen -, das hohe Ansehen, das der Bundesverteidigungsminister in der Öffentlichkeit hat, hier etwas zwiespältig zu behandeln. Sie haben gesagt: Einerseits leisten Sie was, aber andererseits benehmen Sie sich nicht so, wie Sie sich benehmen müßten, damit wir Ihnen weiterhin unseren Beifall zollen können. Das verstehe ich ja. Kurz vor den Wahlen können Sie ja nicht klatschen. Denn wie wollten Sie ihn denn dann attackieren? Über den Bundesverteidigungsminister hat eine Ihnen nicht ganz fernstehende Zeitung, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", im Anschluß an die Haushaltsberatungen zutreffend folgendes formuliert - ich darf dies zitieren -:
Allerdings
- so heißt es hier hat unabhängig von Parteidisziplin, Opportunismus oder Einsicht ein Mann ein besonderes Verdienst, daß dieses Abstimmungsergebnis so positiv ausfiel: Georg Leber. Der Verteidigungsminister hat all die Jahre über eine überzeugende Verteidigungspolitik getrieben. Das zahlt sich heute aus.
Das allerdings meine ich auch. Und das wird sich nicht nur heute auszahlen, sondern - ich bin ganz sicher - auch an dem Tag, an dem Sie wieder einmal vergeblich darauf warten werden, die Regierung zu übernehmen.
({2})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese Debatte über das Weißbuch und auch über den Jahresbericht des Wehrbeauftragten zu führen; ich möchte mich im wesentlichen mit dem Weißbuch auseinandersetzen. Dieses Weißbuch hat die Erwartungen hinsichtlich der ehrlichen und offenen Darstellung der sicherheitspolitischen Lage voll erfüllt. In Ihrer Stellungnahme vom 20. Januar haben Sie, Kollege Wörner, das Weißbuch „ein Dokument der Ernüchterung, dem man über weite Strekken Realitätssinn bescheinigen muß", genannt. Sie haben - ich zitiere noch einmal - von der „ungeschminkten Schilderung des Kräfteverhältnisses in Ost und West und der daraus resultierenden Bedrohung" gesprochen.
Nach diesem Lob mußte naturgemäß gleich wieder ein konterkarierender Tadel folgen. In der FebruarAusgabe der „Sicherheitspolitik" - Herausgeber: die Kollegen Klepsch und Wörner - schrieben Sie dann gleich:
Die Bundesregierung sollte jedoch die Lageentwicklung ungeschminkt nicht nur in vertraulichen Ausschußsitzungen, sondern auch vor der Öffentlichkeit darstellen.
Ich weiß nicht, was das heißen soll. Dieses Weißbuch ist einer breiten sicherheitspolitisch interessierten Öffentlichkeit in einer Auflage von 180 000 Exemplaren zugänglich gemacht worden. Welche Erklärung eigentlich haben Sie parat, wenn Sie Aussagen wie die machen, wir sollten eine ungeschminkte Darstellung geben? Wir veröffentlichen das Weißbuch, das von Ihnen selbst als eine ungeschminkte Darstellung bezeichnet worden ist, in einer Auflage von 180 000 Stück; Ihr Petitum ist doch erfüllt.
In diesem Weißbuch wird noch eindrucksvoller und deutlicher als in den früheren das internationale militärische Kräfteverhältnis dargestellt, und ich meine, es werden daraus auch die notwendigen und angemessenen, der wirtschaftlichen Potenz unseres Staates entsprechenden Konsequenzen gezogen. Dabei wird zu Recht deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland und mit ihr die Staaten des freien Westens nicht gezwungen sind, ihre Sicherheit ausschließlich dadurch zu gewährleisten, daß für jeden gegnerischen Panzer ein eigener Panzer produziert wird, sondern daß die Sicherheitspolitik als ein sehr komplexer Bereich viele unterschiedliche Komponenten hat, die alle erfüllt sein müssen, um wirklich unsere Sicherheit zu gewährleisten. Für uns gibt es für die Gewährleistung unserer Sicherheit vor Bedrohungen von außen drei wesentliche Voraussetzungen; nur wenn diese gegeben sind, kann unsere Konzeption und unsere Politik erfolgversprechend und erfolgreich sein.
Die erste Voraussetzung ist eine auf Friedenssicherung und Ausgleich gerichtete Außenpolitik, die uns in aller Welt Freunde und Verbündete schafft. Unter deren Primat, unter dem Primat der Außenpolitik steht die Verteidigungspolitik - und nicht umgekehrt. Ergänzt wird diese Außenpolitik durch eine Entwicklungspolitik, die das Entstehen neuer Konfliktzonen verhindern soll, und ergänzt wird sie auch durch eine Außenwirtschaftspolitik, die die Zufuhr von Energien und Rohstoffen und die Ausfuhr von Produkten - auf beides sind wir ja existentiell angewiesen - sichert.
Die zweite Voraussetzung ist eine ausreichend starke Notwehrorganisation, die jeden militärischen Angriff eines potentiellen Gegners für diesen zum unkalkulierbaren Risiko werden läßt. Wir bemühen uns daher darum, für unsere Notwehrorganisation, die Bundeswehr, die Voraussetzungen für eine solchermaßen notwendige Stärke zu schaffen, und davon war die Politik dieser Koalition in den vergangenen Jahren geprägt. Struktur und Organisation dieser Einrichtung müssen, soweit dies unter Berücksichtigung der gestellten Aufgaben möglich ist, mit den Struktur- und Organisationsprinzipien der übrigen demokratischen Gesellschaft in Einklang stehen.
Die dritte Voraussetzung ist die Überzeugung der breiten Mehrheit der Bevölkerung, daß es lohnend und notwendig zugleich ist, ihren Staat zu verteidigen und dafür einen so hohen Anteil des Sozialprodukts zu investieren. Insoweit unterstreichen wir im Bereich der liberalen Sicherheitspolitik immer wieder den ursächlichen Zusammenhang zwischen Verteidigungswürdigkeit und Verteidigungsfähigkeit einer Gesellschaft. Oder, anders gesagt: Wir glauben, daß alle Maßnahmen, die unsere Gesellschaft noch sozialer und liberaler gestalten, auch dazu angetan sind, die Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk zu verstärken. Die jüngsten Umfragen bestärken uns in dieser Meinung.
Die Opposition ist nun - dies ist hier mit Recht angesprochen worden in den letzten Monaten nicht müde geworden, das Bild einer übermäßigen militärischen Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland in den düstersten Farben zu zeichnen. Schon in der Debatte im Januar habe ich darauf verwiesen, daß es zu einseitigen Schlüssen führt, wenn man nur die Stärken des Warschauer Pakts herausstreicht und die fraglos ebenso vorhandenen Schwächen unterschlägt. Bei dieser Auffassung bleiben wir.
Inzwischen gibt es auch andere Stimmen, die das bestätigen. Außenminister Kissinger hat im März 1976 in seiner Rede in Boston darauf hingewiesen, daß auch nach seiner Auffassung die von uns gesehenen Schwächen des sowjetischen Systems vorhanden sind. Es ist darum schlicht falsch, sich auf der einen Seite einen disziplinierten, produktiven und starken Osten und auf der anderen Seite einen dekadenten, in sich zerfallenen Westen vorzumalen. Diejenigen, die ein übertriebenes Bild von sowjetischer Stärke und westlicher Schwäche malen, leisten - das unterstreiche ich - der Sicherheit der Allianz, auch und besonders der Sicherheit unseres Landes keinen Dienst. Der Slogan der Bundeswehr heißt: „Wir produzieren Sicherheit." Sie, verehrte Rollegen, müßten für sich den Slogan in Anspruch nehmen: Wir produzieren Unsicherheit.
({3})
Von daher sind Sie für diesen Bereich ganz sicher nicht geeignet.
Die sowjetische Stärke ist eben ungleich. Der Warschauer Pakt hat ein starres Wirtschafts- und Führungssystem, das Rentabilität und Effizienz, welche wir in unserer Ordnung haben, verhindert. In der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung ist er, insgesamt gesehen, weit hinter den westlichen Industrienationen zurück.
All dies hebt natürlich die militärische Bedrohung nicht auf. Aber es unterstreicht den Verteidigungswert der freiheitlichen Demokratie im Westen und unterstreicht die Konkurrenzlosigkeit unseres freiheitlichen, wirtschaftlich überlegenen Systems. Ich glaube, daß die von uns betriebene Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik diese Überlegenheit bewahren wird, daß dies aber nicht durch die von Ihnen betriebene Schwarzmalerei möglich ist.
Ich habe den Ausführungen von Herrn Wörner, wie ich bereits sagte, in der Substanz nichts entnehmen können, was von der Bundesregierung nicht bereits geplant oder zur Realisierung eingeleitet worden wäre. Soweit Sie Bereiche kritisiert haben, die zu ändern nicht in der Macht und Kompetenz unseres Staates liegt, teilen wir zwar mit der Bundesregierung Ihre Sorgen, aber auf dem Wege zur Überwindung dieser Probleme sind die Freien Demokraten durch ihre immer wieder geforderte europäische Option doch wohl beispielhaft aktiv gewesen. Die Bemühungen des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher in den vergangenen Monaten, insbesondere in den letzten Wochen und Tagen, eine einheitliche Willensbildung der freien europäischen Staaten zu bewirken, dürften wohl kaum noch übertroffen werden können. Aber auch hier werden wir noch Geduld brauchen. Wir werden diesen Weg allerdings, da er ohne Alternative ist, weiter fortsetzen.
Im Namen der Freien Demokraten darf ich feststellen, daß wir die im Weißbuch dargelegte sicherheitspolitische Zielsetzung dieser Bundesregierung für richtig halten und sie unterstützen werden. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben in den vier Jahren dieser Legislaturperiode - das drückt der Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sehr deutlich aus - eine gute Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemacht. Diese Politik findet im übrigen die Zustimmung der Bürger und die Anerkennung unserer Verbündeten. Die beharrlich betriebene Entspannungspolitik, die in ihren Grundzügen von den Freien Demokraten bereits in den 50er Jahren entwickelt worden ist, haben nicht zuletzt die liberalen Außenminister Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher mit Erfolg in die Tat umgesetzt. Auch das hat als zweite Säule der Sicherheitspolitik dazu geführt, daß sich die Bürger sicherer fühlen.
Zugleich hat die Wertschätzung der Bundeswehr einen außerordentlich hohen Grad erreicht. Ich sage es noch einmal, auch wenn es Ihnen nicht paßt: Diese Armee ist heute so fest im Volk verankert wie keine andere vor ihr; man könnte sagen: seit den Befreiungskriegen. Wir, Herr Wörner, sehen das ein wenig historisch; Ihre Fraktion aber, Herr Rommerskirchen, sieht es etwas mehr hysterisch.
({4})
Diese Rolle haben Sie übernommen.
Die Bundeswehr zählt heute 495 000 Soldaten. 1969 waren es - auch das kann man nicht hinwegreden - 465 000 Soldaten. Es kommen zwei zusätzliche amerikanische Brigaden nach Norddeutschland. Der amerikanische Verteidigungsminister hat sich erst kürzlich in Brüssel über die Verteidigungsanstrengungen der europäischen Verbündeten anerkennend ausgesprochen. NATO-Generalsekretär Luns hat in dieser Woche Zuverlässigkeit und Kampfwert der Bundeswehr deutlich mit folgenden Worten unterstrichen. Er sagte in Wilhelmshaven - ich darf das zitieren -:
Ihr Land spielt eine besondere positive Rolle im Bündnis. Da ist zunächst die besondere geographische Lage unmittelbar am kommunistischen Machtbereich. Dann ist aber da eine militärisch hervorragende Bundeswehr, die eine vorzügliche Aufbauleistung Ihres Landes verkörpert. Und schließlich hat die Bundesrepublik Deutschland durch einen klugen Einsatz ihrer wirtschaftlichen Macht einen guten Ruf in der Welt erworben.
Dem, meine ich, ist an Deutlichkeit nichts hinzuzufügen.
Die Frühjahrskonferenzen der NATO in Oslo und Brüssel haben gezeigt, daß auf das Bündnis auch in Zukunft Verlaß ist und daß sich das Bündnis den
Herausforderungen stellt. Die Zuverlässigkeit Portugals als Bündnispartner steht erfreulicherweise wieder außer Zweifel. Der Konflikt zwischen Großbritannien und Island ist beigelegt. Frankreich hat seine Bereitschaft erkennen lassen, seine Verpflichtungen als Mitglied der Allianz so zu erfüllen, wie es das gemeinsame Verteidigungsinteresse gebietet.
Die in Brüssel und Oslo erzielten Ergebnisse und Vereinbarungen lassen den optimistischen Schluß zu, daß in der Nato ein Prozeß der Revitalisierung in Gang gekommen ist. Es gibt heute erfreulicherweise mehr positive als negative Entwicklungen. Die NATO-Staaten begreifen sich offenkundig wieder stärker als eine Solidargemeinschaft. Es wird natürlich immer widerstrebende Einzelinteressen geben, was in der Natur eines solchen heterogenen Bündnisses liegt. Doch setzt sich verstärkt die Erkenntnis durch, daß bestehende Probleme nicht gegeneinander, sondern eben nur miteinander gelöst werden können.
Der Jahresbericht '75 des Wehrbeauftragten stellt der Bundeswehr insgesamt betrachtet ein gutes Zeugnis aus. Auf ihn wird mein Kollege Ollesch näher eingehen. Hier sei nur so viel gesagt: Aus der Stellungnahme der Opposition zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten läßt sich unschwer Erleichterung darüber ablesen, daß man sich mit offenbar unverständlich wissenschaftlich-theoretischen Grundüberlegungen nun nicht mehr zu beschäftigen braucht. Theoriedefizit, ja Theoriefeindlichkeit der Konservativen schlagen auch hier, ähnlich wie in Ihren anderen Stellungnahmen, wieder durch.
Für den Kollegen Wörner sind solche grundsätzlichen Erwägungen und Aussagen über das Konzept der Inneren Führung - ich zitiere -, pseudowissenschaftlicher Klimbim", wie er jüngst wieder geäußert hat. Wie angekündigt, will er dann auch die Ausbildung der Soldaten befreien, falls er - so sagt er - dafür einmal die Kompetenz und die Verantwortung haben sollte. Ich finde es sehr erfreulich, daß Sie sich bisher noch nicht für kompetent halten.
Wir Freien Demokraten werden dieser konservativen Attacke auf die Innere Führung denn darauf läuft es ja letztlich hinaus - entschlossen entgegentreten. Wir sind auch der Meinung, daß ein gänzlicher Verzicht auf die Erörterung von Grundsatzfragen dem Jahresbericht des Wehrbeauftragten nicht gut bekommt. Keine gesellschaftliche Institution kommt ohne ein gesichertes theoretisches Fundament aus. So muß es denn auch in der Armee Leute geben, die sich über die Grundfragen der soldatischen Existenz in der Welt von heute Gedanken machen - ich meine damit nicht die Theologen, Herr Kollege Rommerskirchen, obwohl ich sie nicht ausschließen will - und die auch in der Lage sind, Antworten auf die kritischen Fragen zu geben, wie sie in einer Wehrpflichtarmee an die Vorgesetzten aller Dienstgrade immer wieder herangetragen werden. Bei dieser Aufgabe, finde ich, muß der Wehrbeauftragte der Bundeswehr zur Seite stehen.
Auch bei meinem nächsten Punkt ist das, glaube ich, notwendig. Eine besondere Bedeutung kommt nämlich nach Auffassung der Liberalen in diesem Zusammenhang der Arbeit des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr in München zu, von deren Nützlichkeit und besonderer Qualität ich mich überzeugen konnte. Wir sind überzeugt und erwarten, daß dies auch im Bundesministerium der Verteidigung so gesehen wird. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Bundesminister der Verteidigung das Forschungsinteresse, das Sozialwissenschaftler an der Bundeswehr nehmen, unterstützt und durch die Genehmigung von Befragungen innerhalb der Bundeswehr erst ermöglicht. Die Ergebnisse nützen der Bundeswehr selbst. Ich halte das für wichtig, damit das gespannte Verhältnis zwischen Sozialwissenschaften und Bundeswehr, das lange Zeit für die Situation kennzeichnend war, überwunden werden kann.
Im übrigen hat die Opposition vor nicht langer Zeit erst den Vorwurf erhoben, daß neue Vorschläge für die Behandlung der Kriegsdienstverweigerer nicht zuerst durch Umfrage wissenschaftlich abgesichert worden sind. Wir tun dies. Die ständige Abqualifizierung der Gesellschaftswissenschaften durch den verteidigungspolitischen Sprecher der Opposition signalisiert deshalb nach unserer Auffassung eher dessen gebrochenes Verhältnis zu und sein persönliches Unverständnis für moderne Führungs- und Managementmethoden.
Wir sollten uns allerdings nicht allein mit dem Gestern und Heute aufhalten. Ich möchte vielmehr die sicherheitspolitische Debatte nutzen, auch die nächsten und übernächsten Schritte zur Realisierung der notwendigen Maßnahmen auf dem Gebiete der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem Ziel einer möglichst breiten Übereinstimmung mit Ihnen zu besprechen.
Die Freien Demokraten halten es für erforderlich, daß den militärischen Fachleuten eine eindeutige politische Zielsetzung für die Erfüllung ihrer Aufgaben, ihrer Planungen und deren Verwirklichung gegeben wird, um hinterher nicht einzig die Möglichkeit der Billigung oder Genehmigung zu haben. Für diese Zielsetzung sind wir alle in diesem Hause zusammen verantwortlich und zuständig. Wir jedenfalls halten es für erforderlich und möglich, die parlamentarische Kontrolle für diesen wichtigen und aufwendigen Bereich noch zu verstärken.
Liberale Verteidigungspolitik, der militärische Teil einer umfassenden Sicherheitspolitik, setzt sich das Ziel, die Freiheit aller Bürger zu sichern und den Frieden zu festigen. Eine wirksame Friedenspolitik ist in unserer heutigen Welt auf eine glaubhafte militärische Verteidigungsfähigkeit angewiesen. Herr Kollege Jäger, dies wird bei uns in der gesamten Partei so gesehen, und Sie sollten nicht immer wieder versuchen, Untertöne hereinzubringen, als seien das Auffassungen, die sozusagen von Gruppen am Rande akzeptiert würden, aber in der Partei ansonsten umstritten seien. Dies ist eine unredliche
Argumentation, für die Sie keinen Beleg bringen können.
({5})
Zu diesem Ziel müssen im übrigen alle freiheitlichen Staaten zusammenstehen. Die hohe Industrie- und Bevölkerungsdichte in unserem Staate läßt es nicht zu, territoriale Verluste und die Vernichtung eines Teils seiner Bevölkerung, seiner Industrie und Infrastruktur hinzunehmen. Die Bundesrepublik Deutschland ist deshalb auf eine militärische Abschreckung, die jede kriegerische Auseinandersetzung verhindert, sogar in ganz besonderem Maße angewiesen. Auch eine nach Zeit und Kräften begrenzte Aggression würde für uns verheerende Folgen haben.
Nach Auffassung der Liberalen muß die Bundesrepublik deshalb übernommene Bündnisverpflichtungen im NATO-Bündnis, durch das allein unsere militärische Sicherheit gewährleistet werden kann, ehrlich erfüllen. Wir haben im Bundestag und in der Bundesregierung alle Maßnahmen zur Festigung des inneren Zusammenhalts der NATO und zur Verbesserung ihrer Funktionsfähigkeit unterstützt.
Angesichts der zunehmenden sowjetischen Rüstungsanstrengungen, die ja auch wir nicht leugnen, ist es erforderlich, erstens die Effektivität der NATO zu steigern, auch und gerade durch Standardisierung der Ausrüstung und Arbeitsteilung in Forschung und Produktion, zweitens die politische Zusammenarbeit zwischen den Bündnispartnern weiter zu verbessern und zu intensivieren und drittens die aktive Rolle des Bündnisses in der Entspannungspolitik fortzusetzen. - Diese Feststellungen aus der Wahlplattform der Freien Demokraten, die im Mai in Freiburg verabschiedet worden ist, umreißen die Zukunft unseres sicherheitspolitischen Programms.
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0})?
Immer, gerne.
Herr Kollege Möllemann, wenn Sie von der Bedeutung der Entspannungspolitik reden, weshalb enthalten Sie uns dann eigentlich die Auffassung Ihrer Fraktion zum gegenwärtigen Stand der MBFR-Gespräche in Wien und der dort offensichtlich gewordenen mangelnden Bereitschaft der Sowjetunion zu echter Entspannung vor?
Ich will Ihnen weder meine Auffassung noch die Haltung meiner Fraktion zu diesem Thema vorenthalten, weil ich exakt im nächsten Moment darauf gekommen wäre und einiges dazu sagen möchte.
Im Blick auf die Abrüstungs- und Entspannungspolitik unterstützt die FDP die Bemühungen der
Großmächte zur Begrenzung der strategischen Waffen - SALT - und wird weiterhin intensiv auf den Erfolg der von Ihnen angesprochenen MBFR-Verhandlungen zu ausgewogenen und gleichgewichtigen Reduzierungen von Streitkräften hinwirken. Herr Kollege Jäger, insbesondere nach einem Gespräch mit dem Vertreter der Bundesrepublik bei diesen Verhandlungsrunden in Wien würde es auch mich reizen, hierzu einiges zu sagen. Aber ich habe mich davon überzeugen können, daß es - und das meine ich sehr ernst - wenig sinnvoll wäre, die Verhandlungsspielräume beider Seiten durch detaillierte Erörterungen der Möglichkeiten beider Seiten hier im Plenum einzuengen. Wir gehen davon aus, daß hier wie bei den anderen internationalen Verhandlungsrunden, z. B. bei der Seerechtskonferenz, bei der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts die Sicherheitsinteressen unseres Staates berücksichtigt werden, und wir werden darauf Wert legen. Ich sage noch einmal: Es ist von der eigentlichen Intention dieser Verhandlungen her unmöglich, im jetzigen Stadium eine Detaildebatte über die Verhandlungsspielräume beider Seiten hier anzufangen.
Die NATO-Strategie ist den politischen Gegebenheiten, den eigenen technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie den Fähigkeiten und möglichen Absichten eines potentiellen Gegners anzupassen. Die Aufgabenverteilung im Bündnis muß noch konsequenter verwirklicht werden. Hierbei ist die angestrebte europäische Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Verteidigung bei den Planungen zu berücksichtigen.
Das Wehrmaterial der Bündnispartner muß stärker standardisiert werden, und zwar aus operativen und logistischen Gründen ebenso wie zur effektiven Nutzung der verfügbaren und eben begrenzten finanziellen Mittel. Natürlich sind wir uns über die Schwierigkeiten im klaren. Eine derartige Kooperation kann nicht befohlen oder verordnet werden. Sie muß organisch wachsen, getragen von der öffentlichen Meinung und beständigen parlamentarischen Bemühungen, damit politisch und wirtschaftlich unerwünschte Nebenfolgen ausbleiben.
In diesem Zusammenhang des Wehrmaterials darf ich darauf verweisen, daß die FDP bei der Ablehnung von Waffenlieferungen in Spannungsgebiete bleibt und überdies für internationale Abmachungen zur Beschränkung des Exports von Rüstungsgütern eintritt.
Die neue Struktur der Bundeswehr, die in einigen Teilen in Erprobung ist, ist mit dem Ziel weiterzuentwickeln, für die Bundeswehr höchstmögliche Kampfkraft zu entwickeln. Zwischen der Zahl von Soldaten in Kampfverbänden einerseits und den Stäben andererseits muß vor allem bei längerdienenden Soldaten ein vernünftiges Verhältnis bestehen. Die Kommandostruktur darf nicht kopflastig sein. Es ist deshalb nach unserer Auffassung zu prüfen, ob die neue Struktur eine Verminderung der Zahl der Kommandoebenen zuläßt.
Nach Auffassung der Liberalen müssen die NATO-Kampfverbände, die für die Erfüllung der NATO-Strategie erforderlich sind, durch Reserve18126
verbände für Sperr- und Kampfaufgaben zahlenmäßig ergänzt werden. Die Vorne-Verteidigung ist in einem tiefgestaffelten System zu organisieren. Zur Ergänzung der assignierten Streitkräfte sind zusätzliche territoriale Verbände notwendig, um durch sie cien Schutz des gesamten Raums des Bundesgebiets zu verbessern.
Für die Reserveverbände ist eine neue Reservisten- und Mobilmachungskonzeption unter Einbeziehung der Verfugungsbereitschaft zu entwickeln. Wir wissen, daß das Haus daran arbeitet.
({0})
- Herr Wörner, im Gegensatz zu Ihnen stelle ich mich doch nicht hier her und sage, nur weil Wahlen sind, Sie haben in allen Punkten unrecht. Eine Debatte hier muß doch die Möglichkeit bieten, auch solche Ansätze Ihrerseits aufzunehmen, die vernünftige Gedanken enthalten. - Wir arbeiten auch auf diesem Feld einer Reservistenkonzeption.
Bundeswehrgemeinsame Aufgaben sind stärker zentral wahrzunehmen. Nur so ist eine wirksame Ausnutzung der verfügbaren Mittel zu erreichen. Dies berührt die Eigenständigkeit der Teilstreitkräfte nicht. Deren Aufträge sind auf ihre spezifischen Fähigkeiten abzustellen. Ihre Ausgewogenheit und Koordinierung untereinander wollen wir überprüft sehen.
Die stärkere Nutzung der zivilen Ressourcen sollte ebenfalls geprüft werden. Wir müssen, denke ich, neue Formen einer materiellen Mobilmachung schaffen. Auch im Zivilbereich sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Erst beides zusammen ergibt ja eine glaubwürdige Abschreckung. Auf diesem Gebiet bietet sich ein weites Aktionsfeld für unsere jüngeren Bürger, um in einer freiwilligen Mitwirkung im Zivilschutz zu mehr Wehr- und Dienstgerechtigkeit zu kommen. Meine Fraktion begrüßt deshalb ausdrücklich, daß der Bundesinnenminister ein Schwerpunktprogramm für die Zivilverteidigung und den Zivilschutz verfolgt, um im Rahmen des derzeit finanziell Möglichen die zivile Seite ausrüstungs- und ausbildungsmäßig zu stärken, damit unsere Verteidigung auch im eigenen Land glaubwürdig ist.
Auch in der Bundeswehr hat moderne Menschenführung an erster Stelle zu stehen. Erst durch die Möglichkeit der persönlichen Entfaltung der Soldaten wird eine optimale Leistung erzielt. Für uns Liberale ist eben die Freiheit der Kernbegriff bei der Definition aller politischen Ziele - auch auf diesem Feld. Es ist deshalb bei allen staatlichen Maßnahmen zu prüfen, ob sie Einschränkungen der Freiheit bringen, ob sie solche Einschränkungen notwendig machen oder ob Einschränkungen der Freiheit vermieden werden können. Deshalb haben wir auch im Bereich der Sicherheitspolitik aktiv an solchen Vorschlägen mitgewirkt, die dem jungen Bürger so viel Freiheit wie möglich einräumten.
Die allgemeine Wehrpflicht - hier teilen wir die Auffassungen der übrigen Fraktionen - war und bleibt nach unserer Auffassung die Grundlage unserer militärischen Verteidigung. In Übereinstimmung mit dem Grundgesetz ist für Liberale die allgemeine Wehrpflicht aber nur ein Teil, wenngleich ein sehr wesentlicher Teil einer allgemeinen Pflicht, für die Zwecke der Verteidigung unseres Landes etwas zu leisten. Wir nehmen auch auf diesem Gebiet das Grundgesetz sehr genau. Nach liberalem Verständnis nämlich bedingt die Wahrnehmung persönlicher Freiheitsrechte auch die Bereitschaft zur Übernahme staatsbürgerlicher Pflichten. Die Verantwortung für die Sicherung und Erhaltung des Friedens obliegt allen Bürgern. Von dieser Verpflichtung kann sich niemand befreien lassen. Unsere Bürger müssen wissen - und ich denke, sie wissen es auch -, daß sie ihre Persönlichkeit in Freiheit nur entfalten können, wenn sie zugleich bereit sind, diese demokratische Ordnung zu festigen und zu schützen.
Nach unserem liberalen Verständnis ist diese Verpflichtung aber in erster Linie nicht durch Zwangsmaßnahmen zu realisieren. Vielmehr geben wir dem Prinzip der freiwilligen Erfüllung von Gemeinschaftspflichten in jedem Fall den Vorrang. Unser Leitprinzip heißt eben: in dubio pro libertate, im Zweifel für die Freiheit. Dieser Grundsatz „im Zweifel für die Freiheit" war ja Richtschnur des Handelns unserer Fraktion im Deutschen Bundestag gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Partner bei allen politischen Maßnahmen während dieser Legislaturperiode.
({1})
- Herr Kollege Jäger, ich sagte gerade, daß nach unserer Auffassung alle politischen Maßnahmen, die wir realisiert haben, mehr Freiheit bewirkt haben. Bei allen politischen Maßnahmen in den verschiedensten Bereichen haben Sie konkret für die Eingrenzung von Freiheit, für weniger Freiheit für den einzelnen Bürger plädiert.
({2})
Man kann deswegen auch nur darüber staunen, mit welch geistigem Salto mortale, bei dem die Dinge ja nun wirklich auf den Kopf gestellt werden, die CDU/CSU darangeht, sich als den einzigen verläßlichen Hüter der Freiheit in unserem Lande zu präsentieren. Gerade Sie haben es doch bislang verhindert, daß es bei der Wahrnehmung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung ein Mehr an Freiheit gibt. Auch in diesem Bereich wird Ihr Wahlslogan nicht nur karikiert, sondern durch Ihre praktische Politik faktisch widerlegt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend in dieser letzten Debatte zum Thema „Sicherheitspolitik" in dieser Legislaturperiode zusammenfassend folgendes verdeutlichen. Für die Freien Demokraten bilden Außen- und Verteidigungspolitik eine untrennbare Einheit. Als Politik zur Wahrung unserer Freiheit haben beide das Ziel, die Entspannungspolitik erfolgreich fortzusetzen und damit den besten Weg einer Friedenssicherung zu gewährleisten. Weder eine von konservativer
Erstarrung gekennzeichnete Sicherheitspolitik, die sich fast ausschließlich auf den militärischen Bereich stützen will, die wesentliche Methoden als Klimbim bezeichnet und die die Entspannungspolitik permanent attackiert und diffamiert dies im übrigen in völliger Isolierung von allen verbündeten NATO-Staaten -, noch eine solche, die die militärischen Belange geringschätzen würde, kann die Interessen unseres Landes wahren. Wir werden uns
entsprechend unserem Verständnis von Sicherheitspolitik - auch künftig für eine Fortführung der Grundzüge jener Politik einsetzen, die die sozialliberale Koalition auch auf dem Felde der Sicherheitspolitik als ein erfolgreiches Bündnis ausweist.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung. Ich darf feststellen, daß der Bericht des Verteidigungsausschusses meiner Fraktion und mir nur in bereits ausgedruckter Form zur Kenntnis kam. Zwar ist die Inhaltsangabe des Weißbuches mit dem Bericht in Übereinstimmung, aber das Resümee des Berichtes gibt nur die Meinung der SPD/ FDP-Koalition wieder. Ich wollte das zu Protokoll geben, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob wir mit diesem Bericht einverstanden seien.
({0})
Im Zusammenhang mit den Überlegungen zu unserer Sicherheit und zur Lage der Bundeswehr erwarten wir als Opposition von dieser Bundesregierung klare Antworten. Dementsprechend haben wir die Aussagen des Weißbuches 1975/76 geprüft und auch bewertet. Wir freuen uns, daß auch die Bundesregierung in diesem Weißbuch nunmehr eine realitätsbezogene Betrachtungsweise der Entspannungspolitik zum Ausdruck gebracht hat.
Mit großem Befremden nehmen wir allerdings zur Kenntnis, daß Vertreter der SPD und FDP in öffentlichen Äußerungen zu diesen Fragen regelmäßig bemüht sind, den Ernst der Lage zu beschönigen, um von dem Hauptproblem abzulenken.
({1})
Herr Leber besitzt die Unbefangenheit, das auf der wehrpolitischen Fachkonferenz der SPD in München am 9. Mai dieses Jahres wieder einmal so darzustellen - ich zitiere -:
Da wird ein Bild von der Bedrohung durch den
Osten gemalt, das blutrot ist, so rot, daß den
ängstlichen Gemütern schwarz vor Augen wird.
So einfach ist das! Der für unsere Verteidigung zuständige Ressortminister argumentiert vor einem großen Zuhörerkreis der SPD, als hätte er Frikadellen zu verkaufen.
Auf demselben Kongreß der Kollege Horn: „Das Züchten von dramatischen Monsterbildern ist gefährlich." Kein Wort zur Sache, nur vordergründige Polemik mit dem Ziel, Unangenehmes aus der Diskussion herauszuhalten.
({2})
Aber gerade die Leichtgläubigkeit - urn nicht zu sagen: die Leichtfertigkeit - in der gesamten Ostpolitik der Bundesregierung und damit dieser Koalition hat doch bisher gezeigt, daß Verpflichtungen und Verträge oft genug Schall und Rauch waren bzw. sind.
({3})
Da brauchen wir nur die KSZE als Beispiel zu nehmen.
Mit dieser Meinung stehen wir gar nicht alleine. Selbst das DGB-Blatt „Welt der Arbeit" hat dazu festgestellt - ich zitiere -:
Sechs Monate nach der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki hört sich das Wort Entspannung nur noch wie eine Leerformel an. Alle Welt redet davon, keiner will mehr so recht daran glauben. Noch vor wenigen Jahren war die Zuversicht groß. Heute sind alle Illusionen verflogen.
({4}) Dem kann man nur voll und ganz zustimmen.
({5})
Ich frage: Wo ist denn Ihre Entspannung? Das neue Weißbuch zeigt doch, daß nicht die Union, sondern die Koalition die Möglichkeiten der Ostpolitik von Grund auf falsch eingeschätzt hat. Die Koalition hat in ihrer Entspannungseuphorie eine Politik verfolgt, die den Realitäten doch in keinster Art und Weise gerecht geworden ist. Heute müssen selbst SPD und FDP einräumen, daß die rapide Stärkung der Streitkräfte des Warschauer Paktes ausgerechnet in der Zeit seit 1969 stattgefunden hat, seitdem diese Koalition Entspannungspolitik betreibt.
({6})
Wenn sich Herr Leber hier hinstellt und etwas anderes sagt - ich hoffe nicht, daß das Wetter daran schuld ist -, dann erfüllt er nur sein Plansoll gegenüber den Linken. Bei der Bundeswehr würde man dazu sagen: Das sind Überlebensübungen.
({7})
Schon 1975 wurde ihm angekündigt - ich zitiere -: „Leber muß eine eindeutige politische Abfuhr erteilt werden." Das ist geschehen. Einzelheiten hat der Kollege Wörner ja schon ausgeführt.
Ausgerechnet der Berichterstatter zum Weißbuch, der Kollege Möhring, stellt auch noch die Vergleiche seines eigenen Ministers zwischen NATO und Warschauer Pakt in Frage, weil sie der Öffentlichkeit angeblich die Überlegenheit des Warschauer Paktes suggerieren.
({8})
Aber diese Haltung ist verständlich, wenn man um die innere Einstellung von SPD- und FDP-Mitgliedern, -Funktionären und -Mitgliedern dieses Hauses weiß. Es genügt einfach nicht, daß der Herr Minister gelegentlich eine harte Linie in der Öffentlichkeit vertritt. Es ist so, wie vor kurzem eine Illustration gezeigt hat: Der Minister dient der SPD als sicherheitspolitische Attrappe im Schaufenster des SPDParteibuchladens, und hinter der Theke werden noch Marx und Lenin gehandelt.
({9})
Beschämend und skandalös ist es, daß ein SPD-Abgeordneter dieses Hauses, der Kollege Dr. Jens, nach Rückkehr aus der Sowjetunion über die Bundeswehr in „Radio Frieden und Freiheit" erklärt hat - ich zitiere -:
Ich habe wirklich nach vielen Gesprächen den Eindruck gewonnen, daß die Bürger in der Sowjetunion friedliebend sind. Von der Sowjetunion wird sicherlich niemals wieder mehr ein Krieg ausgehen. Er ist ja auch noch nie davon ausgegangen. Aber was mich persönlich und als Einzelbeispiel besonders beeindruckt hat: Wir haben in Wolgograd ein Gespräch geführt mit einem hochdekorierten Militär, einem Offizier, der so intensiv und nachhaltig über Frieden gesprochen hat, daß man das wirklich glauben mußte, daß man fest überzeugt war, daß die Militärs - selbst die Militärs hier ({10}) - Frieden wollen. Ich würde mir wünschen, daß die Militärs bei uns auch z. T. etwas häufiger mal über den Frieden reden würden.
({11})
So etwas sagt ein Abgeordneter dieses Hauses nach der Rückkehr aus der Sowjetunion.
Diese Bundeswehr hat Friedensgeist bewiesen,
({12})
und ihre Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten vermitteln dies jeden Tag aufs neue, im Gegensatz zur Haßerziehung in der DDR. Wir danken diesen Offizieren und Unteroffizieren und auch den Zivilpersonen für diese Erkenntnis und den aufopfernden Dienst.
({13})
Wie glaubwürdig diese Bundeswehr, Herr Leber, ist, fragt man sich, wenn die SPD über ihre Abgeordneten dieses Hauses Zeitungen mit der Schlagzeile verteilen läßt: „CSU will Kanonen, SPD will Kindergärten!"
({14})
Wie glaubwürdig sind Sie, wenn allenthalben von der SPD, wie in Frankfurt, Flugblätter mit dem Text verteilt werden - ich zitiere -: „Wir fordern die radikale Senkung des preistreibenden Rüstungshaushaltes und der Militärausgaben"? Die FDP nehme ich davon nicht aus; denn die politischen
Playboys dieser Partei, die Judos, verteilen sogar Flugblätter - ich zitiere -: „25 Jahre NATO sind genug - Frieden durch Abrüstung" sowie:
In der 25jährigen NATO-Geschichte zeigte sich: Mit immer größerer Zerstörungskraft soll der Gegner bedroht, abgeschreckt, notfalls auch vernichtet werden. Die NATO war in diesem Rennen immer der Schrittmacher.
({15})
Wie glaubwürdig ist die SPD/FDP-Koalition, wenn wichtige Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr nur mit den Stimmen der CDU/CSU im Verteidigungsausschuß erfolgreich über die Bühne gehen? Jüngstes Beispiel war die MRCA-Vorlage, bei deren Abstimmung im Verteidigungsausschuß Mitglieder - laut eines Pressedienstes - der „linken SPD-Riege" abwesend waren oder den Sitzungssaal verlassen haben, während die FDP ihr Verständnis durch völlige Abwesenheit auch ihres seit wenigen Monaten dort tätigen sogenannten jungen Verteidigungsexperten Möllemann bekundete.
({16})
Zu seinem Vorwurf, daß wir draußen anders sprächen als im Verteidigungsausschuß, kann man nur sagen: Wenn man nicht anwesend war, kann man natürlich draußen auch nicht anders reden.
({17})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Wenn sie mir nicht auf meine Zeit angerechnet wird, bitte.
Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise hier wie im Verteidigungsausschuß noch einmal zur Kenntnis nehmen, daß ich es für einigermaßen unredlich halte, wenn man die zeitweilige Abwesenheit eines Kollegen ({0})
- auch bei Ihnen geschieht es ja wohl des öfteren, daß Sie nicht alle permanent anwesend sind - so interpretiert, als seien wir dagegen, insbesondere nachdem von exakt demselben, nämlich von mir, für die Freien Demokraten bereits vorher klar und deutlich mitgeteilt worden war, daß wir dieses Beschaffungsvorhaben unterstützten? Ich meine, Sie wissen genau, daß es immer schwieriger ist -
Herr Kollege, Sie dürfen nur fragen.
Ja. Wissen Sie nicht, Herr Kollege, daß es naturgemäß etwas schwieriger ist, wenn eine Fraktion nur durch zwei Abgeordnete im Ausschuß vertreten ist, daß diese immer gleichzeitig anwesend sind?
Herr Kollege Möllemann, ich habe erwartet, daß Sie diese Frage stellen würden. Es war auch gar kein Vorwurf gegen Sie persönlich, denn ein einzelner kann immer einmal fehlen. Aber die FDP-Fraktion hat ja vier Kollegen zu benennen, zwei ordentliche Mitglieder und zwei Stellvertreter. Es war keiner von den vieren anwesend.
({0})
Ihre Erklärung, daß Sie dem MRCA-Projekt zustimmten, kam erst dann, als Sie in der Offentlichkeit Druck verspürten, weil die FDP bei dieser wichtigen Entscheidung nicht dabei war. Das sind die Realitäten.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm? - Bitte!
Herr Kollege, könnte es sein, daß die FDP-Kollegen deswegen nicht an der Abstimmung über die MRCA-Vorlage teilgenommen haben, damit sie nach Regierungsübernahme durch die CDU/CSU ein Alibi haben, gegen das MRCA zu sein?
({0})
Diese Überlegungen sind durchaus anzustellen.
Wie glaubwürdig ist denn diese Koalition, wenn FDP- und SPD-Mitglieder die Aufrufe zu Protestaktionen des Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit, laut SPD eine kommunistische Organisation mit über 15 000 Teilnehmern, in Bonn unterstützen? Pikanterweise haben sich zu dieser Volksfrontgruppierung auch Frau und Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten bekannt, dessen damalige Partei mit dem Slogan durch die Lande gezogen ist: „Wählst du die Heinemann-Partei, kommst du am Barras vorbei."
({0}) Daran sollte man sich auch gelegentlich erinnern.
Die SPD und Minister Leber kommen immer wieder mit dem abgedroschenen Schlagwort der ausbleibenden Alternative der Opposition. Dazu muß doch deutlich gesagt werden, daß diese Bundeswehr und das Bündnis in den 50er Jahren - man muß es immer wiederholen, damit es auch der letzte Mann in unserem Lande weiß - gegen den harten Widerstand der SPD in diesem Hause geschaffen worden sind.
({1})
Leider beseelt dieser Geist von damals viele in Ihren Reihen auch noch heute, und es geht darum, daß dieser Geist sich nicht durchsetzt.
({2})
Die Jusos und eine Reihe SPD-Mitglieder haben eine Reihe von Beweisen geliefert. Lassen Sie mich einige Kostproben aufzählen:
({3})
Minister Leber steht in krassem Widerspruch zu SPD-Parteitagsbeschlüssen und der erklärten Friedens- und Entspannungspolitik der Bundesregierung.
({4})
Der sicherheitspolitische Kongreß der Jungsozialisten in Gießen fordert die Einführung von Soldatenräten, Reduzierung von Verteidigungsausgaben, Abzug aller US-Truppen aus Europa.
({5})
Frankfurter Jungsozialisten fordern Haushaltskürzungen, z. B. 10 Milliarden im Verteidigungshaushalt.
({6})
Die Juso-Zeitschrift schreibt:
Wir sind auf Grund unserer Analyse der außenpolitischen Situation sicher, daß wir uns schrittweise aus der Vormundschaft einer imperialistischen Großmacht befreien können und daß es völlig unlogisch ist, wenn immer behauptet wird, unsere Sicherheit beruhe auf den Verträgen und den Waffen des NATO-Bündnisses.
Man fährt fort:
Auch die Funktion der Bundeswehr muß neu überdacht werden, inwieweit diese als Instrument der Sicherheit notwendig ist oder inwieweit sie nur als Bürgerkriegswaffe neben ihrer Funktion als Pfründe ganzer Industrien und privilegierter Offiziers- und Beamtenkasten zur Sicherung unseres Gesellschaftssystems und zur Aufrechterhaltung der amerikanischen Vorherrschaft am Leben erhalten wird.
({7})
- Ja, Mitglieder der SPD.
Lassen Sie mich ein letztes Beispiel bringen, das deutlich macht, welche Entwicklung das genommen hat. Da sagt ein Genosse von Ihnen, der jetzt in Schleswig-Holstein als Kandidat für den Bundestag aufgestellt worden ist und der jetzt schon Sprecher Ihrer Landtagsfraktion für innenpolitische Angelegenheiten ist:
Wenn dieser Staat nicht mehr nach den Vorstellungen meiner Partei geordnet ist, muß man über die Anwendung von Gewalt als Mittel der Politik neu nachdenken.
({8})
- Ja, Zitatende, Herr Wehner. Man könnte von Ihnen auch noch einiges dazu bringen. Aber es ist auch so schon gesagt. Ich komme auf Sie noch zurück.
({9})
Wenn die CDU/CSU nicht über 20 Jahre in der Verantwortung auch für die Sicherheitspolitik dieses Landes gestanden hätte, ich glaube, wir würden heute vielleicht nicht mehr die Chance haben, uns als Demokraten in diesem Parlament in Freiheit auseinanderzusetzen, denn noch heute gilt der Spruch:
Jedes Volk hat eine Armee, entweder die eigene oder die der Besatzungsmacht.
({10})
Die Beispiele Ungarn, CSSR und in anderen Ländern mögen uns genügend Hinweis sein.
Wenden wir uns der Entwicklung der Bundeswehr zu. Herr Leber hat sich angewöhnt, den Zustand der Bundeswehr in goldenen Farben zu malen. Wenn es so wäre, Herr Minister, würden wir uns in unserer Zustimmung zu solchem Lob von keinem übertreffen lassen. Sie aber lassen sich von der Fassade blenden. Die Qualität der Truppe bekommt man nicht in den Griff, wenn man Statistiken studiert, an der einen oder anderen Lehrvorführung teilnimmt, die Leistungsdaten moderner Waffensysteme vergleicht oder die größeren Probleme mancher westlicher Bündnispartner für die Bewertung der Bundeswehr zugrunde legt.
({11})
Die Soldaten und Zivilbediensteten der Bundeswehr können Ihnen jederzeit aus dem Handgelenk eine realistische Zustandsbeschreibung vortragen. Am allerwenigsten kann es aber die Truppe vertragen, wenn man ein unzutreffendes Bild von ihr malt, im guten wie im schlechten.
({12})
Gegen jedwede Schönmalerei spricht z. B. ein Pressebericht einer Division mit der Überschrift: ,,Anerkennung für Soldaten - Schelte für das Material". Es wird dann davon gesprochen, daß das überalterte Gerät Sorgen macht, daß man kaum noch größere Divisionsübungen durchführen kann, sie finden mangels Masse - ich meine damit die finanzielle Ausstattung - im Saale statt.
Zweifellos stimmt es, daß die Soldaten ein unvermindert hohes Maß an Leistungen bringen. Dafür zollen wir ihnen immer wieder höchstes Lob; aber das ständig steigende, im Übermaß geforderte Engagement zahlloser Führer und Unterführer wird immer mehr aufgezehrt. In dieser Überforderung bleiben der Truppe viele notwendige Erfolgserlebnisse versagt.
({13})
Der unter Ihrer Verantwortung ausgebaute Zentralismus, die von oben her verordnete Gestaltung auch der letzten Dienststunde, hat den erforderlichen Handlungsspielraum der unteren Befehlsebene unerträglich eingeengt. Sie läßt kaum mehr Platz für schöpferisches Planen und Handeln. Im Gegenteil: sie fördert einen Geist des Absicherns, des oben Nachfragens
({14})
und damit der politischen Einflußnahme im Sinne des ehemaligen Verteidigungsministers und heutigen Bundeskanzlers Schmidt, der laut Sozialdemokratischem Pressedienst vom 3. Dezember 1970 vor dem SPD-Parteirat die Befolgung sozialdemokratischer Befehle in der Bundeswehr forderte, um den
militärischen Wert der Bundeswehr zu verbessern. Das ist dieser Geist.
({15})
Sie haben ferner einen neuen großen Beförderungsstau bei Feldwebeln und Offizieren entstehen lassen. Sie haben es bis heute weder gegenüber den Betroffenen noch gegenüber dem Parlament für notwendig befunden, dazu auch nur annähernd konkrete Lösungsvorschläge aufzuzeigen.
Unser bereits am 18. Februar 1976 im Verteidigungsausschuß eingebrachter Antrag auf Wiedereinführung der Besoldung von Zeitsoldaten vom ersten Tag der Verpflichtung an einschließlich der Verpflichtungsprämien war bis zum 23. Juni 1976 immer wieder verzögert worden. Am Mittwoch stimmten plötzlich die Koalitionsparteien einstimmig zu, nachdem selbst das Ministerium einen niederschmetternden Bericht über die echte Situation, die Personallage, vorgelegt hat. Das sind die Realitäten.
({16})
Der Bestand von 34 000 liegt derzeit bereits um 20 000 unter dem Soll der Streitkräfte; so konnten wir dem schriftlichen Bericht entnehmen. Zum Jahresende 1976 wird man bei den Z 2-Soldaten auf rund 18 000 absinken, so daß das Fehl 35 000 erreichen wird. Insgesamt ging bei den Zeitsoldaten SAZ 3 bis 15 die Zahl von Januar bis Mai 1976 um 60 % zurück, und sie sinkt weiter rapide ab.
({17})
Der Bericht sagt, die Hauptursachen seien - so das Ministerium - die Maßnahmen des Haushaltsstrukturgesetzes vom Dezember 1975.
({18})
Wir haben gewarnt, haben es vorausgesagt; aber man wollte uns nicht ernst nehmen.
Es scheint Ihnen auch gleichgültig zu seine, daß die Soldaten trotz Eignung und Leistung je nach ihrer Jahrgangszugehörigkeit bis zu mehreren Jahren unterschiedliche Beförderungszeiten erfahren müssen. Sie haben gegen unsere wiederholten ernsten Warnungen - für die wir sogar als Panikmacher bezeichnet wurden - für Soldaten auf Zeit in den ersten sechs Monaten ihrer Dienstzeit durch das Haushaltsstrukturgesetz vom Dezember 1975 viele Dinge abgeändert. Sie werden schon jetzt als Folge davon nach wenigen Monaten zu erheblichen finanziellen Mehraufwendungen gezwungen sein.
Seit zwei Jahren fordert dieses Parlament auf einen Antrag der CDU/CSU hin die Einführung des Spitzendienstgrades der Unteroffiziere. Bis heute hat sich diese Bundesregierung nicht auf einen Losungsvorschlag einigen können. Der Streit der beteiligten Ministerien wird auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen.
({19})
Die Hauptfeldwebel werden es Ihnen sicher zu lohnen wissen.
Die Wohnungsfürsorge hat sich zur Wohnungszuteilung entwickelt. Einschneidende Maßnahmen werden verschwiegen. Wo bleibt die Fürsorge für die Soldaten? Die Bundesdarlehenswohnungen haben längst die Mietsätze des freien Wohnungsmarktes überschritten. Wo bleibt Ihre Fürsorge, Herr Minister, von der Sie sagen, daß alles so bestens bestellt sei? Die Kantinenreform wird in zahlreichen Standorten mit bitterer Enttäuschung kommentiert.
Das Problem der Wehrgerechtigkeit, zu dem in früheren Weißbüchern umfangreiche Betrachtungen angestellt worden waren, wird herabgespielt und bleibt ungelöst. Sie sagen in Ihrem Weißbauch sogar - ich zitiere -:
Wehrgerechtigkeit ist in der jungen Generation kein wichtiges Diskussionsthema.
Gehen Sie hinaus, fragen Sie junge Menschen und deren Eltern, wie sie zu diesen Dingen stehen!
Das Revervistenkonzept und seine Unzulänglichkeiten werden mit keinem Wort erwähnt. Neuordnung der Wehrdienststruktur ist lediglich eine Absichtserklärung, es ist Funkstille eingetreten.
({20})
Das neue Ausbildungs- und Bildungsangebot ist zu wenig berufsorientiert.
Die Steigerungsraten des Verteidigungshaushaltes bleiben unter der Inflationsrate. Jedem Laien wird klar, daß dies angesichts explosionsartig steigender Kosten für Personal und neue Waffensysteme zu einem faktischen Rückgang unserer Leistungen für die äußere Sicherheit führt. Lange genug haben wir auch hier vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Auf diesem Gebiet müßten wenigstens einigermaßen wieder reale Steigerungsraten hergestellt werden.
Die Thesen des Herrn Möllemann waren sicherlich wenig nützlich. Diese hörten sich ja an, als ob die Bundeswehr ein Kindergarten sei; sie waren überhaupt nicht realitätsbezogen.
Schwerwiegende Folgen wird schließlich auch die von der SPD/FDP gewollte Neuordnung des Anerkennungsverfahrens für Wehrdienstverweigerer haben. Wir haben hinreichend klargemacht, daß wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen können. Bereits am 15. April 1957 hat der Herr Kollege Wehner angekündigt: „Die SPD wird die Wehrpflicht abschaffen, wenn sie an die Regierung kommt." Dies wird immer deutlicher.
({21})
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Diese Entwicklung in der Bundeswehr besorgt uns. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Wer immer im Herbst als Minister die Verantwortung auf der Hardthöhe tragen wird, übernimmt eine schwere Hypothek. So sehr wir insgesamt der Bewertung des Weißbuchs zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zustimmen, so reserviert betrachten wir andererseits die schönfärberische Darstellung der Entwicklung der Bundeswehr. Das Buch soll den Bürgern nichts
vormachen. Das, was Sie hier zur Bundeswehr geliefert haben, ist kein Weißbuch, sondern ein Weißmacherbuch.
Sie können sich darauf verlassen, daß die nächste, von der CDU/CSU geführte Bundesregierung dieses Weißbuch ernster nehmen und im Interesse der Soldaten und auch der künftigen Wehrpflichtigen auch handeln wird. Gleichwohl empfehlen wir besonders den Damen und Herren von der SPD/FDP-Koalition den ersten Teil dieses Weißbuches eindringlich zur sorgfältigen Lektüre.
({22})
Wenn es aber um die Freiheit und Sicherheit durch Abwehr aller äußeren Gefahren für unsere Bürger geht, sollte dies unser volles Engagement wert sein. Dies haben wir wiederholt bekundet. Dazu gehört nach wie vor auch die Devise der NATO: „Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit."
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möhring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach diesen etwas launischen Wahl- kampfthemen - ich denke, sie wurden in der Hauptsache für die Heimatzeitung angesprochen - möchte ich zu den wesentlichen Schwerpunkten des Weißbuchs und zu seinen Aussagen zurückkehren. Ich möchte beginnen mit der Präambel:
Unser Ziel ist es, den Frieden zu wahren, die Unversehrtheit unseres Landes zu sichern, die Freiheit der Bürger zu schützen und den politischen Handlungsspielraum dieser Bundesregierung zu erhalten. Dazu sind personelle Zusammensetzung, Ausrüstung und Ausbildungsstand der Bundeswehr besser als je zuvor.
Das ist das Vorwort, das der Bundeskanzler diesem Weißbuch gegeben hat, und ich füge hinzu: Diese unsere Bundeswehr ist in einem sehr guten Zustand. Ich werde dies durch einige Weißbuchschwerpunkte beweisen. Nur, der Zustand dieser Bundeswehr war nicht immer so. Auch dafür gibt es ausreichend Beweise. Dankenswerterweise hat ein CDU-Verteidigungsminister, nämlich Herr Schröder, ein kleines Büchlein geschrieben, das Weißbuch 1969. Weißbücher kann man vergleichen; das ist eine gute Sache. Ich werde das punktuell tun, es ist sehr interessant.
Beginnen wir beim Personalstärkenbereich. Wir stellen fest, daß erstmals eine Bundesregierung ihre NATO-Verpflichtung voll erfüllt hat. 36 Brigaden stehen dem Bündnis zur Verfügung. Da vorher das Zahlenspiel angezweifelt wurde bezüglich der Brigaden, darf ich dazu sagen: Diese Brigaden haben die CDU-Krankheit der äußerst mangelhaften Tagesdienststärken von vor 1969 abgelegt. Ihre Sollstärke von 495 000 ist fast erreicht. Sie betrug im ersten Quartal 1976 490 000. Es kommt eben darauf an, was hinter den Zahlen steht.
Dies geschah dank einer neuen Wehrstruktur, die sich allein ausrichtet a) an der Bedrohung durch den Warschauer Pakt und b) den Forderungen der
NATO-Strategie, und zwar, Herr Kollege Biehle, auf Grund der dem Bündnis zugrunde liegenden Zahlen, nicht derjenigen, die Sie mir bei dem Versuch, mich zum Pseudojuso abzustempeln, unterstellen möchten, um mich draußen vielleicht ein wenig madig zu machen. Ich bin überzeugt, daß Ihr bayerischer Hemdsärmelkampfstil auch innerhalb Bayerns nicht überall ungeteilten Beifall finden wird.
Das Ziel dieser Wehrstruktur ist es, mehr Verteidigungskraft durch mehr Panzer, durch mehr Artillerie und durch mehr Panzerabwehrraketensysteme zu bekommen.
({0})
Drei neue Brigaden sind aufgestellt, zwei Modellbrigaden werden ein Jahr lang erprobt. Auch hier ein Fortschritt gegenüber früher. Es gibt keine Überhastung wie bei der Aufstellung der Bundeswehr unter CDU-Verantwortung, unter deren Folgen wir heute noch zum Teil leiden.
({1})
Wer über Personalschwankungen klagt und meint, die Bundeswehr stehe vor dem totalen Zusammenbruch und sei nur noch durch einen Dr. Wörner zu retten - zumindest bis zum 3. Oktober -, darf mit mir einmal einen Ausflug in die CDU-Vergangenheit machen.
Wie sah Ihre Personalstärke denn damals aus? Am Anfang - Herr Kollege Biehle, genau dies ist der Punkt, warum wir damals unsere Bedenken angemeldet haben - stand eine der unbedachtesten, weil realitätsfremdesten Verpflichtungen,
({2})
nämlich in kurzer Zeit insgesamt 508 000 deutsche Soldaten aufzustellen. Das haben wir als unrealistisch angesehen. Denn: Nach 14 Jahren Wehrverfassung, 1966, mußte die CDU-Regierung einräumen,
({3})
daß ihr immer noch 53 000 Soldaten fehlten. 1967 war ein weiteres Ansteigen der Fehlstellen auf 54 000 zu verzeichnen, 1968 waren es bereits 65 000. Zwischendurch bekam Ihr Verteidigungsminister Angst und hat den Versuch gemacht, diese ursprüngliche Zahl sogar um 91 000 auf 417 000 zu kürzen. Und Sie reden heute von Sicherheitsabschwächung! Damals gab es diese Schwäche, aber das wollen Sie ja nicht hören.
Bei genauerer Beobachtung gab die Personalmisere noch etwas preis: 18 % oder insgesamt 26 000 Unteroffiziere fehlten Ihnen. 40 % der Offiziere waren nicht vorhanden. Darüber hinaus bestand ein völliges Mißverhältnis in der Relation Wehrpflichtige zu Ausbildern. Gemessen an unserem Leitbild, daß wir 60 % Zeit- und Berufssoldaten und 40 % Wehrpflichtige haben wollen, hatten Sie damals 47 % Längerdienende, aber 13 % mehr Wehrpflichtige! Heute ist das Zahlenverhältnis genau umgekehrt. Ich sage Ihnen: Wenn nach CDU-Vorstellungen der Anfangsjahre 508 000 Soldaten die Sicherheit garantieren sollten, dann war diese Bundesrepublik unter dieser schlechten Struktur sicher weniger als nur „bedingt abwehrbereit". Das war die Wirklichkeit noch 1969.
Dieses ganze konzeptionslose Chaos ist erst sichtbar und transparent geworden, als wir die Regierung übernahmen.
({4})
Denn wir machten Bestandsaufnahme. Wir machten dieser Armee, die unter der CDU/CSU bis dahin über ihre inneren Zustände stillschweigen mußte, den Mund auf. Und sie schrieben und sie redeten, diese Soldaten, drei Monate lang. Tausende von Anregungen erreichten den Verteidigungsminister Schmidt. Das Weißbuch 1970 gibt darüber sehr erschöpfend Auskunft. Und dann machten wir uns daran, diese Anregungen in Taten umzusetzen, oft gegen Ihre härteste Kritik.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kliesing?
Ich möchte angesichts der unter uns fair eingeteilten Zeit keine Zwischenfragen zulassen, um nicht diejenigen, die noch zum Wehrbeauftragten-Bericht sprechen möchten, nach 13 Uhr abzudrängen. ({0})
Wer wissen möchte, was die Regierung und die SPD/FDP-Koalition geleistet haben, darf sich gern noch einmal die Weißbücher von 1971 bis 1974 ansehen.
({1})
Sie gehören nämlich mit zur Beurteilung der Qualität dieser Regierung. Jede Einzelmaßnahme, mit der wir konkret etwas gegenüber der Zeit, die Sie hier zu verantworten haben, verbessert haben, ist dort aufgelistet. In 180 Einzelmaßnahmen haben wir für Soldaten Entscheidendes tun können,
({2})
nicht mit Allgemeinsprüchen wie bei Ihnen, mit „Man müßte" und „Man würde", sondern ganz konkret, oft sogar in vielen Kleinigkeiten. Denn Kleinigkeiten sind es ja, die den Soldaten oft ärgern oder erfreuen, besonders, wenn sie sich summieren.
({3})
- Ja, genau, Ihre Socken! Aber sie sind gegenüber der Grundausstattung von 1956 nicht reduziert worden. Sie haben ja den Soldaten von Anfang an nicht
genügend mitgegeben. Erst unter dieser Regierung
haben sie genügend Socken bekommen, Herr Damm!
({4})
Ich darf daran erinnern: Wir haben erreicht: die vorgezogene Beförderung von Wehrpflichtigen, die Transparenz des Werdeganges aller, die sich für eine Tätigkeit innerhalb der Bundeswehr interessieren, die Einführung des FD-Offiziers, den Hauptfeldwebel nach A 9, funktionsbezogene Speziallaufbahn,
({5})
Verbesserungen in Einödstandorten, zentrale Kantinenorganisation, Einführung der Sozialabteilung - nichts ist Ihnen damals eingefallen! -, Wohnungsmodernisierungsprogramm, Soldatenheime als Begegnungsstätten,
({6})
Bundeswehrkrankenhäuser; auch die Reservistenkonzeption 1971 ist nicht von Ihnen erfunden worden, sondern ist von uns verabschiedet worden.
({7})
Herr Dr. Wörner, Sie haben vieles gesagt, was Sie sich alles gewünscht hätten. Darauf kommt es überhaupt nicht an!
({8})
Ihre guten Ideen von damals, Herr Dr. Wörner, sind allesamt nur ein Stück Papier, wenn sie nicht verwirklicht werden. Ich gebe zu, wir leben nicht ohne Vergangenheit, nicht ohne das, was vor uns gewesen ist,
({9})
aber wir haben in unserer Regierungszeit alles verwirklicht, was den Soldaten damals vorenthalten worden ist. Das ist das Entscheidende!
({10})
- Es ist sehr interessant, wie Sie sich ereifern,
({11})
aber das zeigt mir, daß Sie sehr gut mitdenken können und daß Sie sich getroffen fühlen.
({12})
Wir haben die Mitwirkung der Soldaten durch die Verbesserung des Vertrauensmännerwahlgesetzes und des Soldatengesetzes weiter ausgebaut, und wir haben Bildung und Ausbildung neu geordnet.
({13})
Dies alles - diese an sich nur kleine Auswahl ({14})
zeigt, was alles diese CDU und diese CSU nicht getan haben; sonst wären diese Maßnahmen ja nicht erforderlich gewesen. Das heißt also, unser Leistungskatalog ist Ihre Versäumnisbilanz, Herr Rommerskirchen.
({15})
Ein schwieriges Problem - ich gebe das zu, und ich muß mich damit beschäftigen, weil hierüber das letzte Wort noch nicht gesprochen ist - ist der Komplex der Kriegsdienstverweigerung. Aber, meine Herren von der Opposition, statt klar zu erkennen, daß der Versuch einer Gewissensprüfung unehrlich, weil unmöglich ist, und daraus endlich saubere Konsequenzen zu ziehen, findet man in der Zeit der CDU/CSU-Verantwortung nur völlige Hilflosigkeit gegenüber steigenden Antragszahlen. Siehe Weißbuch 1969:
Die Bundesregierung wird u. a. gesetzgeberische Maßnahmen prüfen, die geeignet sind, den Mißbrauch des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zu verhindern.
Diese Formulierung erinnert mich ganz fatal an die substanzlosen Bemerkungen des Kollegen Wörner zur Verteidigungspolitik von vorhin. So wurde Verteidigungspolitik gemacht, deklamatorisch, aber nicht faktisch!
({16})
Und auch heute noch, als wir das Gesetz zur Aussetzung dieses unwürdigen Verfahrens vorlegten, war die Opposition nicht bereit, Wehrpflichtige und Truppe von diesem belastenden Problem zu befreien. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie dieses Gesetz zu Fall bringen, werden Sie dafür - davon bin ich überzeugt - von vielen jungen Menschen am 3. Oktober eine Quittung erhalten, und zwar nicht nur von Kriegsdienstverweigerern, sondern auch von all denen, die in Ihrer Haltung ein generelles Mißtrauen gegenüber unserer Jugend sehen müssen, daß sie nicht bereit sei, in der Stunde der Not zu unserem Staat zu stehen.
Wir Sozialdemokraten bescheinigen dieser Jugend noch einmal ausdrücklich unser Vertrauen, weil sie in der Vergangenheit überwiegend ihren Wehrdienst geleistet hat, obwohl sie jederzeit und in jeder Zahl ihr Gewissen anmelden konnte und auch heute noch anmelden kann. Deshalb ist der Vorwurf der Abschwächung unserer Verteidigungsfähigkeit, den Sie uns einreden wollen, auch kompletter Unfug. Unsere Jugend ist viel, viel besser als der Ruf, den Sie dieser Jugend insgesamt anhängen möchten.
({17})
Die Verteidigungsfähigkeit beruht aber nicht nur auf 495 000 präsenten Soldaten. Für den Verteidigungsfall sind 750 000 Reservisten aufgerufen, gut
ausgebildet und richtig strukturiert, um den V-Umfang herzustellen. 1971 hat diese Bundesregierung eine Reservistenkonzeption verabschiedet und diesen Mob-Anteil neu geordnet. Sie hat auch erstmals den Mut besessen, zivile Kraftfahrzeuge schon in Friedenszeiten vorführen zu lassen. Die CDU hat sich dazu nie getraut.
Im Territorialbereich gilt es nun, angepaßte Strukturen durch Modellversuche zu erarbeiten. um höchste Verteidigungseffektivität zu erreichen. Nicht mehr eingeplante Reservisten der Personalreserve gilt es durch neuformulierte Aufträge im verteidigungspolitischen Bereich sinnvoll zu nutzen. Wir dürfen und können dabei auf keinen Fall auf Freiwillige verzichten. In der Zeit der CDU/CSU-Verantwortung wurde viel guter Wille ungenutzt vertan und wurden Reservisten im Status eines Kriegervereins gehalten. Die Koalition hat ihnen endlich wieder ihre ursprüngliche Bedeutung gegeben. Sie sollten sich einmal die Reservistenzahlen von vor 1969 und ihre Nutzung ansehen, wenn Sie über dieses komplexe Thema mit uns reden wollen.
Ausbildung und Bildung wurden neu geordnet und ihre Grundzüge der Bildungsreform unserer zivilen Umwelt angeglichen. Das Ziel ist: Soldaten sollen mehr Verwendung unter zivilberuflich verwertbarer Aus- und Fortbildung finden und mit beruflichem Zugewinn als Zeitsoldat die Bundeswehr durchlaufen. Heute sind im Offiziersstudium: 1287 in Hamburg, 1900 in München, 610 in Fachhochschulen.
Unter CDU/CSU-Verantwortung war dieser Bereich völlig ungeordnet. Oft kam der gelernte Bäkker in die Schreibstube und der Abiturient in die Küche.
({18})
Glorreicher Erfolg dieser verfehlten Personalpolitik war jahrelang der Negativbegriff des „Gammelns" als Bewertung sinnloser Tätigkeiten unter CDUVerteidigungsministern. Das war Ihr Konzept: nämlich keines!
({19})
Was sagen zu alledem die Bürger, die diese Verteidigung tragen sollen? Da die CDU/CSU in ihren Regierungsjahren den Bürger um seine Meinung nicht gefragt hat - im Weißbuch 1969 fehlt dazu jeder Hinweis -, haben wir es 1970 getan. 68 % der Bürger sagten ja zur Bundeswehr. 32 % hielten sie nicht für wichtig oder gar für schädlich. 1975, nach fünf Jahren Regierungszeit dieser Koalition, sagten 74 % der Bürger ja und nur noch 26 % je in oder nein. Da muß unsere Verteidigungspolitik wohl doch nicht so schlecht gewesen sein, wie Sie sie hier darzustellen versuchen.
({20})
Dies kann natürlich auch Herr Dr. Wörner nicht bestreiten. Aber er möchte die Bundeswehr natürlich noch viel besser machen; wenn es geht, unter drastischen Sparmaßnahmen in anderen Bereichen, vielleicht im Sozialbereich; er muß das schon deutlicher sagen. Vielleicht versucht er es aber auch mit
unverbindlichen Sprüchen. So habe ich im Deutschlandmagazin gelesen:
Solange die militärische Bedrohung aus dem Osten wächst, müssen wir mit unseren Verteidigungsanstrengungen Schritt halten.
Und so weiter. Heißt das eigentlich: Bundeswehr adäquat Warschauer Pakt? Oder was ist damit gemeint?
Nein, Herr Dr. Wörner, da ist es schon besser, Sie überlassen uns das Weiterregieren auch im Verteidigungsbereich, so wie es der Bürger laut diesen Befragungsergebnissen ja wünscht. Denn dieser Bürger will keine Politiker, die ihm Angst machen. Dieser Bürger will Politiker, die ihm seine Sicherheit garantieren,
({21})
und er kann sich bei Sozialdemokraten darauf verlassen.
Das Weißbuch 1975/76 ist ein ausgezeichneter und beispielloser Leistungsbericht dieser Bundesregierung im Gegensatz zu dem verschämt dünnen Bändchen, das damals von einem CDU-Minister unterschrieben war und das, wie Herr Kollege Herbert Wehner damals treffend formulierte, seinen Namen besser verdient hätte, „wenn seine Blätter weiß geblieben wären". Außer einigen resignierenden Allgemeinplätzen und statistischen Ausdeutungen fehlte aber auch alles, was heute mit moderner Menschenführung und Teilhabe am Fortschritt in Staat, Beruf und Gesellschaft auch für unsere Soldaten zusammenhängt.
Diese fundamentalen Fehler der CDU-geführten Regierungen sind nun unter einer klaren und zielstrebigen Führung von zwei sozialdemokratischen Verteidigungsministern, die jeder für sich einen noch nie dagewesenen Beliebtheitsgrad erreichen konnten, zum Vorteil unserer Soldaten beseitigt worden.
({22})
Unter unserer Regierung sind Soldaten das geworden, was in den CDU-Gründerjahren von manchem Skeptiker vom Dienst verlacht wurde: freie und mündige Staatsbürger in Uniform. Die Redensarten vom inneren Gewürge stammen nicht von uns, sie stammen aus Ihrem Bereich.
({23})
Dafür haben wir nicht nur Graf von Baudissin zu danken. Helmut Schmidt, Georg Leber und jedem Soldaten, der sich in der Vergangenheit engagiert auf die Seite dieser Leitgedanken stellte, und der SPD und FDP, die seit 1969 diese Verteidigungspolitik vertreten haben, gebührt unser aller Dank.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen kurz vor dem Beginn eines - wie ich meine heftigen Wahlkampfes. Es ist eigentlich unüberhörbar, Herr Möhring, daß es vor allen Dingen Ihr Bestreben und das Ihrer Freunde ist, alles daranzusetzen, in diesem Wahljahr so zu tun und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, als wäre die Bundeswehr noch niemals zuvor so gut aufgehoben gewesen, wie das heute der Fall ist,
({0})
der Öffentlichkeit jenes falsche Bild vor Augen zu stellen, die SPD sei zu jeder Zeit ein treuer Sachwalter der verteidigungspolitischen Interessen dieses Landes gewesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, wenn wir gerade auch aus dem Munde von Herrn Leber, auch aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers immer wieder den Appell vernehmen, der da lautet, Verteidigungspolitik sei etwas, was uns alle betreffe und angehe als ein Ganzes, dann, glaube ich, müssen wir doch mit einem höheren Maß von Redlichkeit miteinander umgehen.
({1})
Ich finde es einfach nicht fair, hier so zu tun, als sei die Bundeswehr erst in den vergangenen sechs Jahren zu einer schlagkräftigen Armee, zu einem Instrument der Friedensbewahrung und der Friedenssicherung, zu einem Instrument geworden, das nun auch politische Entscheidungs- und Ermessensspielräume offenhalten soll und kann, und demgegenüber dann all das, was vor 1969/70 stattfand, in primitivster Weise abzuwerten. Denn, meine Damen und Herren, es war doch eigentlich unüberhörbar, daß gerade der Kollege Wörner, aber auch in den vergangenen Diskussionen immer wieder unsere Debattenbeiträge eines deutlich gemacht haben, nämlich daß wir die letzten sind und sein werden, die den Versuch, die Schlagkraft der Bun-. deswehr beizuhalten und nach Möglichkeit zu vergrößern ein Versuch, der mit Unterstützung der überwiegenden Mehrzahl dieses Hauses auch in den vergangenen Jahren unternommen wurde , vereiteln wollen.
({2})
Herr Bundesverteidigungsminister, nun muß ich Sie ansprechen: Sie sind doch eigentlich der letzte, der berufen wäre, uns vorzuwerfen, wir hätten außer Schwarzmalereien - wie Sie das darstellen, wenn wir von Realitäten sprechen - angeblich keine Alternativvorstellungen, keine Alternativen darzulegen. Sie wissen doch, und es wurde auch schon wiederholt angesprochen, wer eigentlich die verteidigungspolitischen Grundkonzeptionen der NATO für dieses Land mit verbindlich gemacht hat, wer dieses Land und diese Bundeswehr von den ersten Augenblicken ihres Aufbaus bis hin zur jeweils fortschreitenden Phase ihres Ausbaus dann bis 1969/70 unmittelbar in das Bündnis der freien europäischen und atlantischen Partner hineingebunden hat. Deswegen ist es doch nicht möglich zu sagen: Nun macht ihr, die Opposition, doch einmal deutlich, was ihr eigentlich wollt. Sie können uns nicht unterschwellig unterstellen, es gäbe offensichtlich da irgendwelche größenwahnsinnigen Überlegungen
und Bestrebungen in den Reihen der Oppostionsparteien, die darauf hinausliefen, diese NATO irgendwie zu verändern oder wenigstens Alleingänge zu unternehmen. Das ist das, was uns in anderer Form in den früheren Jahren, als wir die Verantwortung für die Verteidigungspolitik in diesem Hause getragen haben, immanent und beständig aus den Reihen Ihrer Partei unterschoben worden ist.
({3})
Deswegen meine ich, wir sollten doch den Mut haben, zu erklären, daß zweifelsohne keiner von uns weiß, wie sich die Entwicklung im verteidigungs- und sicherheitspolitischen Bereich in der Zukunft definitiv gestalten wird. Aber gerade weil wir das nicht definitiv wissen, gerade weil wir Anzeichen und Versuche sehen, die Entwicklung zu bestimmen und die Bedrohlichkeit der derzeitigen Lage etwas abzuschwächen - was wir gar nicht tadeln, sondern anerkennen wollen -, muß es uns doch erlaubt sein, darüber nachzudenken, ob das, was Sie tun, ob das, was diese Regierung verteidigungs- und sicherheitspolitisch vertritt, richtig oder falsch ist. Das, sehr geehrter Herr Verteidigungsminister, kann doch nun bei Gott nicht dem Kollegen Wörner nachträglich als „Säbelrasseln" untergejubelt und in die Schuhe geschoben werden.
({4})
Wenn es so ist, Herr Leber, daß nur noch Sie die Patentrezepte haben, wenn es so ist, daß nur noch Sie und der Kreis Ihrer engsten Berater wissen, wie die Entwicklung weitergehen wird, können wir ja nach Hause gehen, wenn es sich um Verteidigungs- und Sicherheitspolitik handelt. Wenn dem aber nicht so ist - und ich schätze Sie als Demokraten eigentlich so ein, daß Sie uns auch andersartige Meinungen und Auffassungen gestatten -, dann müssen Sie das bitte auch zur Kenntnis nehmen und uns hier die uns zustehende Möglichkeit geben, andere Auffassungen auch vorzutragen.
({5})
- Herr Kollege Möllemann macht es sich ebenfalls einfach.
({6})
Herr Kollege Möllemann, Sie haben im Grunde mit Ihren drei Grundpositionen, die Sie aufgezeigt haben, nichts anderes gebracht als das,
({7})
was Sie im Wahlprogramm der CDU nachlesen können. Ich verehre Ihnen gerne die Mannheimer Erklärung und die anderen Schriften meiner Partei; Sie werden dann feststellen, daß wir hier - sollte dies Ihr Standpunkt sein gar nicht so weit auseinander liegen.
({8})
Die inhaltliche Ausprägung, die Ausfüllung, Herr Möllemann, kann sehr wohl unterschiedlicher Natur sein. Deswegen empfinde ich es einfach als unredlich, es so auszudrücken, wie es der Herr Bundesverteidigungsminister in München mit jenem - ich möchte es gelinde ausdrücken - plumpen Satz getan hat - ich hatte ursprünglich einen schärferen Ausdruck -:
Von 1949 bis 1969 ist es von Jahr zu Jahr in Mitteleuropa, in Deutschland, schlechter, schlimmer, gefährlicher und konfliktgeladener geworden.
({9})
Es soll dann wohl in der Folge manches Jahr für Jahr besser und sicherer geworden sein.
({10})
Verehrter Herr Leber, ich meine, eine derartig plumpe Geschichtsbetrachtung können Sie vielleicht Ihren Jungsozialisten zumuten, die auf merkwürdige Weise dort Beifall geklatscht haben, ohne die Diskussion eröffnen zu können; aber dies sollte eigentlich nicht den Gang der Diskussion im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich insgesamt bestimmen.
({11})
Nun, Herr Möhring, zu Ihnen. Es war für mich interessant, einen Wirbel von Beispielen zu sehen. Ich hatte zunächst versucht, einmal mitzuschreiben, um zu sehen, ob Sie alle 180 Punkte - andere sprachen einmal von 150; die waren etwas bescheidener - mit Grandezza abhaken würden. Ich meine, Sie haben auch hier des Eifers etwas zuviel getan. Um nur ein Beispiel zu nennen: Meinen Sie tatsächlich, daß die Ankündigung früherer Weißbücher: jedem Feldwebel, jedem Unteroffizier seine eigene Stube mit entsprechender Ausstattung, eingehalten wurde? Die Truppe sagt Ihnen etwas anderes!
({12})
Meinen Sie eigentlich tatsächlich und wollen Sie im Ernst behaupten, daß zum Beispiel das in der Frage der Unterkunftsheime Erreichte ein Verdienst Ihrer Partei und Ihrer Minister sei? Wissen Sie eigentlich nicht, daß diese Heime weitestgehend von kirchlichen Trägervereinigungen und auch von Trägerschaften aus den Reihen der Soldaten getragen werden?
({13})
Dies muß doch ebenso wie etwa die Tatsachen gesehen werden, über die, Herr Möhring, eine Diskussion gar nicht aufzukommen bräuchte. Ich denke etwa an den Fachoffizier. Sie scheinen vergessen zu haben, daß es Herr von Hassel und Herr Schröder waren, die als erste jene Anstöße gegeben haben,
die zu dem geführt haben, was wir heute an Stellung
und Aufgabenbeschreibung des Fachoffiziers haben.
({14})
- Herr Haase, ich bedaure es einfach, daß Sie hier so tun, als sei das alles, was wir heute haben, bis zum letzten Schnürsenkel vor Ihrem Hause gewachsen und entstanden und als sei die schwierigste Aufgabe, den Auf- und Ausbau der Bundeswehr durchzuführen, nicht von anderen gegen Ihren Willen und gegen Ihre Entscheidung verwirklicht worden.
({15})
Ein weiteres. Es heißt, die Sicherheit und die Sicherheitspolitik seien umfassend. Dazu, Herr Möllemann, ist ein Hinweis auf das angeblich umfassende Sicherheitspaket des Innenministers angebracht. Die Ausgaben für zivile Verteidigung sinken kontinuierlich. Das Verhältnis zwischen der zivilen und der militärischen Verteidigung klafft immer mehr auseinander. Wir alle wissen und bedauern, daß - aus welchen Gründen auch immer - zum Beispiel die Mittel für Schutzraumbau und für Lebensmittelbevorratung gekürzt wurden. Es ist unfair und unredlich, das zu verschweigen. Es wäre besser, wenn man sagen würde: Wir haben hier gekürzt. Alle miteinander sind wir bereit, hier auch Schwieriges zu tragen. Das wäre dem Ernst der Lage angemessener.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank?
Wissen Sie oder würden Sie bestätigen, daß dieses Parlament mit den Stimmen der CDU/CSU den Einzelplan 14 in diesem Jahr ganz schlicht hat passieren lassen, ohne ihn auch nur zu diskutieren?
({0})
- Ich habe doch gar nicht Sie gefragt, Herr Kollege!
Verehrter Kollege, hier geben Sie wieder einmal dem recht, was ich vorhin behauptet habe. Ich habe nämlich nichts anderes erklärt, als daß wir uns in den vergangenen Jahren darum bemüht haben, nicht so zu tun, als ob alles, was getan wurde, schlecht sei, sondern daß wir den Mut hatten, Entscheidungen mitzutragen und auch die Haushalte mitzuverantworten, die diesem Hause vorgelegt wurden. Dies haben wir getan. Dazu stehen wir. Denn wir sehen, daß die entscheidenden fundamentalen konzeptionellen Vorstellungen von Ihnen Gott sei Dank - wenngleich unserer Auffassung nach leider zu spät - übernommen wurden.
Nach dem, was hier erzählt und angesprochen wurde, könnte man noch einiges zur Lage in der Bundeswehr sagen. Auch hier bin ich der letzte, der schwarzweißmalen möchte. Wir, die wir oft in der
Truppe sind, in die Truppe hineingehen und mit der Truppe Kontakt haben, wissen - das hat Kollege Wörner stets betont -, daß diese Truppe gut, loyal und unmittelbar diesen Staat in entscheidender Funktion mitträgt.
Diese Truppe weiß aber auch von den Mängeln, mit denen sie im Bereich der Bewaffnung und der Beschaffung zu kämpfen hat. Ich möchte jetzt nicht die Probleme der Bewaffnung der Bundeswehr im einzelnen ansprechen, sondern die Frage der quantitativen und qualitativen Vergleiche erwähnen. Für mich war es, Herr Horn, überraschend, daß zum Beispiel Herr Würtz in München bei jener sicherheitspolitischen Konferenz offen zugegeben hat, daß die einstige qualitative Überlegenheit des westlichen Bündnisses praktisch geschwunden sei, und daß auch der Herr Bundeskanzler in München, wenn ich es in der Niederschrift richtig gelesen habe, davon gesprochen hat, daß es nunmehr so sei, daß wir mit einer Lage rechnen müßten, in der die Drohfähigkeit im konventionellen Bereich seitens des Warschauer Pakts stetig stärker werde. Dies alles ist doch zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Kollege Horn, wenn ich gerade Ihren Beitrag richtig gelesen habe und einmal von der Polemik absehe, die Sie gegen uns und unseren Obmann gerichtet haben, so ist doch festzustellen, daß Sie im Grunde nichts anderes als das gesagt haben, was wir immer wieder betonen, daß nämlich der Zeitpunkt gekommen ist, in dem nicht nur die quantitative Überlegenheit des Warschauer Pakts immer deutlicher und bedrückender wird, sondern in dem sich diese quantitative Überlegenheit in einer Vielzahl von Bereichen auch mit qualitativem Gleichziehen, unter Umständen sogar Vorbeiziehen gepaart hat.
({0})
Ich erinnere an die Mig 25 und die Tu 28. Ich erinnere an die Panzer T 62 und T 72, Dinge und, die wir einfach nicht stillschweigend übergehen wollen und können. Deswegen, meine Damen und Herren, muß man hieraus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
({1})
- Herr Horn, verzeihen Sie, die rote Lampe leuchtet die ganze Zeit schon.
Das Weißbuch gliedert sich in zwei Teile, in eine nüchterne Tatsachenbeschreibung, Herr Minister, die wir auf Grund Ihrer Einlassungen wenige Tage zuvor im Ausschuß eigentlich in dieser Nüchternheit und Sachlichkeit gar nicht mehr erwarten durften,
({2})
und in jenen zweiten Teil, in dem zwar nur Positives dargestellt wurde, aber genau das vergessen wurde, was jene, die 1968/69 die Verantwortung hatten, noch den Mut darzulegen hatten, indem sie nämlich in offiziellen Schriften auch auf bestehende Mängel und Unzulänglichkeiten hinwiesen. Gerade auf ein objektives Bild und auf eine objektive Beschreibung der Wirklichkeit auch in der Bundeswehr haben - so meinen wir - die Offentlichkeit und dieses Haus einen Anspruch.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Werner hat seine Ausführungen mit der Feststellung eingeleitet, hier sei nicht sachlich beraten worden, sondern die Debatte sei weitgehend vom Wahlkampf bestimmt gewesen.
({0})
Den Eindruck, daß der bevorstehende Wahlkampf bei Ihren Rednern schon eine hervorragende Rolle spielt, haben wir auch gewinnen können und leider gewinnen müssen, denn im Grunde wurde sachliche, fundierte Kritik an der Verteidigungspolitik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, die diese Regierung tragen, nicht vorgebracht.
({1})
- Nein, Herr Kollege Rembert, ich schlafe wohl, aber niemals im Plenum.
Sie haben sich mit Ausführungen oder angeblich an verschiedenen Orten gemachten Ausführungen des Bundesverteidigungsministers beschäftigt. Der Kollege Biehle hat einen tiefen Griff in die Zitatenkiste getan, um an Hand dieser Zitate darzustellen, daß diese Bundesregierung in Sachen gemeinsame Anstrengungen auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik zur Aufrechterhaltung unserer äußeren Sicherheit nicht so ganz vertrauenswürdig sei.
({2})
- Herr Kollege Biehle, man kann noch tiefer in diese Kiste greifen. Dann kommen beispielsweise Zitate von Ihrem Kollegen Dr. h. c. Strauß oder sogar von dem verstorbenen früheren Bundeskanzler Adenauer zum Vorschein,
({3})
Zitate, in denen von der Wehrfreudigkeit nicht die Rede war und die jede Wehrbereitschaft in der Vergangenheit vermissen ließen.
({4})
- Es gibt eine ganze Reihe von solchen Zitaten. - Wenn Sie die Jungdemokraten anführen, die sogenannten Playboys, wie Sie sich auszudrücken belieliebten:
({5})
Herr Kollege Biehle, wenn Sie in Ihrer Partei davon einige hätten, kämen Sie in allen Sparten der Politik wahrscheinlich früher und schneller aus Ihrem Immobilismus heraus, der heute bei Ihnen festzustellen ist.
({6})
Von daher empfinden wir es gar nicht als einen Mangel, sondern als einen Vorzug, daß unsere jungen Leute die Dinge von ihrer Warte aus mit Kritik - naturgemäß mit überzogener Kritik; in den jungen Jahren kann man ja gar nicht anders sein - sehen. Ausschlaggebend, Herr Biehle, ist jedoch die Politik, die wir als Gesetzgeber betreiben bzw. die die Bundesregierung in unserem Auftrage betreibt.
({7})
Noch einmal zum Thema Wehr-, Kriegsdienstverweigerer. Herr Kollege Biehle, ich gehöre zu den Initiatoren des Beschlusses von 1967;
({8})
aber nicht aus ideologischen Gründen oder weil ich
aus einer dunklen linken Ecke komme - nein -,
({9})
sondern weil ich um den Unsinn der Gewissensprüfung durch Kammern weiß und ich diesen Unsinn beseitigen wollte. Darüber hinaus wollte ich die Bundeswehr nicht mit jungen Soldaten belasten, die gegen ihr Gewissen - oder angeblich gegen ihr Gewissen ({10})
unwillig Dienst tun. Im Gegensatz zu Ihnen - Sie haben die Meinung ja heute wieder geäußert - bin ich der Auffassung, daß die Bundeswehr daran nicht zugrunde geht. Im Gegenteil: Ich bin auch heute der Auffassung, daß der Großteil unserer Jugend bei der Entscheidung, Ersatzdienst oder Wehrdienst zu leisten, lieber den Wehrdienst vorzieht; einmal aus ihrer Verpflichtung heraus, aber auch auf Grund der Möglichkeiten, die wir den jungen Leuten während der Monate des Wehrdienstes für ihre Weiterbildung bieten, auch für ihre berufliche Weiterbildung.
({11})
Die Bundeswehr wird nicht, obwohl zum größten Teil Wehrpflichtarmee, an innerer Auszehrung sterben.
Nun einige wenige Worte zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten und zu Ihrem Antrag. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages 1975 bestätigt den positiven Eindruck, den die Bürger unseres Landes von der Bundeswehr haben. Der Wehrbeauftragte hat dem Verteidigungsausschuß bereits am 5. November 1975 - zum 20. Geburtstag der Bundeswehr - eine Würdigung übermittelt, die er in seinem Bericht wiederholt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung darf ich daraus einige Sätze zitieren. Da heißt es:
Verletzungen von Grundrechten der Soldaten
sind unwesentliche Randerscheinungen geblieben. Die allgemeine Respektierung der Grundrechte in den Streitkräften kann ich aus Überzeugung als gesichert bezeichnen.
Die Grundsätze der Inneren Führung werden anerkannt. Die über eine lange Zeit hinweg geführte Grundsatzdiskussion über das Konzept der Inneren Führung hat ihren Abschluß gefunden.
Soweit die Bewertung des Wehrbeauftragten.
Ich brauche nicht eigens anzuführen, daß uns dieser Befund der Kontrolltätigkeit des Wehrbeauftragten außerordentlich zufriedenstellt. Wir sehen diese Feststellung als die wichtigste Aussage dieses Jahresberichtes an. Als erfreulich werten wir aber auch die Tatsache, daß bei der Behandlung des Jahresberichts im Verteidigungsausschuß des Bundestages die überwiegende Mehrheit der Probleme, die vom Wehrbeauftragten angesprochen worden sind, gelöst werden konnten oder aber der Wille besteht, das zu tun. Wo das nicht der Fall war, sind es kaum zu beeinflussende Sachzwänge, die einer alle Seiten zufriedenstellenden Lösung im Wege stehen.
Wir stellen aber auch mit Zufriedenheit fest, daß sich die Fraktionen über die Erweiterung der Kompetenzen des Wehrbeauftragten geeinigt haben. Wir regen an, die Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes auf der Grundlage dieser Vereinbarungen nunmehr vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, wir empfehlen Ihnen, den Bericht des Verteidigungsausschusses und den Antrag zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten zur Kenntnis zu nehmen. Wir schließen uns dem im Ausschuß ausgesprochenen Dank an den Wehrbeauftragten für seine Arbeit an.
({12})
Ich möchte noch einige wenige Worte zu dem Antrag einer Reihe von Abgeordneten der Opposition sagen, über den sicherlich gleich debattiert werden wird, einem Antrag, der sich mit der Verbesserung der Aufstiegsmöglichkeiten für Unteroffiziere in den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen des Heeres beschäftigt. Wir Freien Demokraten haben uns immer für eine Verbesserung der Ausbildung eingesetzt.
({13})
- Oh, Herr Kollege van Delden, ich habe in der Vergangenheit, als ich im Verteidigungsausschuß noch Aktiver war,
({14})
eine ganze Reihe von Anträgen in dieser Richtung gestellt, nicht nur als wir in der Opposition waren. Wir waren ja zu der Zeit noch gemeinsam in der Regierung
({15})
und hatten, wenn ich mich recht erinnere, damals
gemeinsam das schwere Problem der ungenügenden
Ausbildung der Starfighter-Piloten zu lösen. Sie wissen, was es uns gemeinsam für Sorge und Arbeit gekostet hat,
({16})
die Piloten auf einen besseren Ausbildungsstand zu bringen. Wir waren immer zu einer Verbesserung der Ausbildung bereit und haben uns sehr dafür eingesetzt.
Wir sind der Auffassung, daß die Ausbildung verbessert werden müßte, weil eine Steigerung der Qualität der Streitkräfte nur durch Anhebung der persönlichen, geistigen und fachlichen Eignung des einzelnen zu erreichen ist. Dies gilt für die Offiziere, aber besonders auch für die Unteroffiziere. Wenn wir uns trotzdem gegen eine Annahme Ihres Antrags - Drucksache 7/4433 - auf Verbesserung der Aufstiegsmöglichkeiten ausgesprochen haben, so hat das folgenden Grund.
Der Antrag geht hinsichtlich der Gewährung von Chancengleichheit für die Unteroffiziere ins Leere, weil diese Chancengleichheit durch die Maßnahmen des Bundesverteidigungsministeriums bereits hergestellt ist. Sie besteht darin, daß in Zukunft in der Truppe den als Diplompädagogen ausgebildeten Offizieren Unteroffiziere aus den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen zur Seite stehen werden, die an einer Fachschule zu staatlich anerkannten Erziehern ausgebildet worden sind. Darüber hinaus wollen wir uns aber, wie im Verteidigungsausschuß mehrheitlich beschlossen, dafür einsetzen, daß im Zuge der Untersuchung zur Personalstruktur das Laufbahngefüge aller Offiziere neu überdacht wird. Die zu erwartenden Ergebnisse sollten jetzt nicht durch isolierte Änderungen und vorgezogene Einzelmaßnahmen präjudiziert werden.
Meine Damen und Herren, ich darf für die Freien Demokraten abschließend zum Thema Sicherheitspolitik und zum Thema Bundeswehr folgendes sagen. Wir haben uns darum bemüht, die Kampfkraft unserer Bundeswehr zu verstärken. Sie haben das anerkannt, und Sie können nicht bestreiten, daß zumindest seit der Einführung der Flexible Response die konventionelle Kampfkraft der Bundeswehr zahlenmäßig, materialmäßig, aber auch ihr gesamter Kampfwert, hervorragend verbessert wurde. Wir haben dabei mitgewirkt. Wir sind stolz auf diese Leistung, und wir dürfen diesen Stolz auch zum Ausdruck bringen. Unser Bemühen gilt weiterhin, unserem Lande ein Gefühl der Sicherheit durch Bereitstellung der notwendigen Mittel zur äußeren Verteidigung auch für die Zukunft zu geben.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Ernesti.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es würde mich reizen, Herrn Möhring noch zu antworten. Die Zeit wird dazu nicht reichen. Herr Möhring, so kann man sich
aus der Sache nicht herausstehlen, wie Sie es hier getan haben. Wir werden dafür sorgen, daß Ihre Rede verbreitet wird, damit die Bundeswehr darüber lachen kann.
({0})
Sie haben sich hier als Trittbrettfahrer mit Weihrauchfaß betätigt. Das war keine gute Rolle.
Wir sind in der Debatte bereits beim Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1975 angelangt. In diesem Bericht ist eine Anzahl von Problemen angesprochen. Im wesentlichen sind es die Sachkomplexe Wehrbeauftragter und Parlament, Grundrechte der Soldaten, Grundsätze der Inneren Führung und Fürsorgeangelegenheiten. Der Bericht ist aus der Sicht der CDU/CSU insgesamt instruktiv und abgewogen. Ich stelle das mit besonderer Genugtuung fest, weil wir bei der Beratung dieses Berichts im Verteidigungsausschuß eine gute Atmosphäre gehabt haben, die sich vielleicht heute morgen im Saale hätte widerspiegeln sollen. Das wäre auch möglich gewesen, wenn der Minister nicht zu Anfang geredet hätte.
({1})
Meine Freunde und ich haben Verständnis dafür, daß der Wehrbeauftragte, der erst eine relativ kurze Amtszeit aufweist, in seiner Kritik an der Exekutive etwas zurückhaltend geblieben ist, weil er kurz vorher noch die Verantwortung mitgetragen hat. Wir sehen aber die Einrichtung des Wehrbeauftragten vorwiegend als „Frühwarnsystem" und in besonderem Maße auch als Kontrollorgan an. Daher erwarten wir, daß sich der Wehrbeauftragte in seinem nächsten Bericht - mehr als er das aus den erwähnten Gründen im vorliegenden Bericht getan haben mag - mit größerem Nachdruck all der Probleme in schonungsloser Offenheit widmet, die schon seit einiger Zeit Ursache großer Unruhe in der Truppe sind. Auf diese Sorgen werde ich noch etwas eingehen.
Bei der Beratung des Berichts des Wehrbeauftragten ist von drei Voraussetzungen auszugehen:
1. Die im Bericht aufgeworfenen Fragen und Probleme beziehen sich auf Beobachtungen, die zum Teil inzwischen mehr als ein Jahr zurückliegen. Daher konnte sich dieser Bericht z. B. nicht mit den Folgen der Sparmaßnahmen der Bundesregierung für die Soldaten und mit der vorgesehenen Abschaffung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer beschäftigen.
2. Mit Sicherheit gibt es eine Anzahl von Vorkommnissen und Beobachtungen, sowohl im Bundesministerium der Verteidigung als auch in der Truppe, mit denen sich der Bericht deshalb nicht beschäftigen konnte, da diese dem Wehrbeauftragten einfach nicht durch Eingaben bekanntgeworden sind.
3. Die bei der Wahrnehmung der Kontrolle gewonnenen Erkenntnisse des Wehrbeauftragten können ein umfassendes Bild vom tatsächlichen Gesamtzustand der Bundeswehr nicht liefern. Sie beschäftigen sich - dem Auftrag entsprechend - in der Mehrzahl mit Vorkommissen vorwiegend negativer Art.
Meine Ausführungen, die ich im Zusammenhang mit den Feststellungen des Berichts des Wehrbeauftragten über die augenblicklichen Probleme der Bundeswehr zu machen habe, sollen sich aber nicht allein mit der Vergangenheit beschäftigen, sie müssen sich auch auf die Gegenwart beziehen. Zum anderen ändert die hier und heute vorgebrachte Kritik nichts an dem Maß des Vertrauens und dem großen Respekt, den meine Fraktion allen Soldaten aller Dienstgrade entgegenbringt. Wir haben große Achtung vor der Hingabe und der Verantwortung, mit der die überwiegende Mehrzahl dieser Soldaten ihre Pflicht zum treuen Dienen wahrnimmt.
({2})
Ohne diese loyale Pflichterfüllung dieser Soldaten wäre es um die Funktionsfähigkeit unserer Bundeswehr und damit um unsere Sicherheit bei der unverkennbaren Tendenz zu parteipolitischer Einflußnahme schlecht bestellt. Auf diesen Punkt werde ich noch zurückkommen.
Wie der Wehrbeauftragte begrüßen wir es sehr, daß nicht über Grundrechtsverletzungen berichtet werden mußte. Hier wird knapp ausgeführt, daß unzulässige Eingriffe in die verfassungsmäßig geschützte Grundrechtssphäre der Soldaten gering geblieben seien. Aus der lapidaren Feststellung, schwere Verstöße seien nicht zu berichten, muß aber nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß die Wertordnung des Grundgesetzes im täglichen Leben respektiert werde.
Sicherlich sind öffentlichkeitswirksame Fälle eklatanter Grundrechtsverletzungen selten; jedoch ist der Grundrechtsschutz nicht auf diese Fälle beschränkt. Gerade die kleinen Übergriffe des Alltags sind es, die die Rechte der unterstellten Soldaten beeinträchtigen, ohne daß dies aus dem besonderen Pflichtverhältnis geboten wäre: das leichtfertige Beschneiden der Freizeit, das willkürlich abgelehnte Urlaubsgesuch oder die fahrlässige Mißachtung eines truppenärztlichen Ratschlags. Erst dann, wenn auch solche Übergriffe nachlassen und die „Wertordnung des Grundgesetzes im täglichen Dienstbetrieb respektiert wird", kann „das Bewußtsein der Verfassungsbezogenheit eine wichtige Grundlage für die Dienstbezogenheit des Soldaten" darstellen.
({3})
Auf die deutliche Betonung dieses Zusammenhangs hätte nicht verzichtet werden dürfen, um den Grundrechten die ihnen zukommende Bedeutung auch tatsächlich zukommen zu lassen.
Meine Damen und Herren, auch dem Hinweis des Wehrbeauftragten, daß der Erlaß „Erzieherische Maßnahmen" nicht immer sachgerecht angewandt wurde, sollte mit größerem Ernst nachgegangen werden, als dies die Bemerkung des Bundesministers der Verteidigung in seiner Stellungnahme vom 14. Mai 1976 erwarten läßt. Er schränkt diese Feststellung symptomatischer Art dadurch ein, daß er sie lediglich auf wenige Einzelbeispiele bezieht. Die Gefahr des Mißbrauchs der erzieherischen Maßnahmen ist indessen nach meinen Erfahrungen groß. Diese Gefahr liegt vorwiegend in zwei Ursachen:
Erstens. Es wird manchmal zu erzieherischen Maßnahmen gegriffen, ohne daß geprüft wurde, ob wirklich ein Fehlverhalten vorliegt.
Zweitens. Die erzieherischen Maßnahmen -insbesondere die, die sich in den Freizeitraum der Soldaten erstrecken - stehen oft in keinem Zusammenhang mit der Verfehlung. Sie tragen vielfach auch abschreckenden Strafcharakter. Dies ist aber nicht Sinn erzieherischer Maßnahmen. Um das Gesagte zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, daß über 50 % der erzieherischen Maßnahmen in die Freizeit des Soldaten eingreifen und damit nicht nur er, sondern auch die Familie, Kinder, Freunde und Sportvereine am Wochenende beeinträchtigt werden.
Ich bitte daher den Wehrbeauftragten, auch diesem Problem in Zukunft erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen und im nächsten Jahresbericht eingehend darüber zu berichten.
({4})
Bei der Behandlung der Grundsätze der Inneren Führung kritisiert der Wehrbeauftragte, daß die Vorgesetzten auf der Kompanie-, Zug- und Gruppenführerebene verhältnismäßig früh in Verantwortungsbereiche hineingestellt werden, für die sie nicht in jedem Fall hinreichend vorbereitet werden konnten. Dieser wichtigen Frage aus dem Bereich der Inneren Führung sollte weiterhin besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. So hilfreich und so bedeutungsvoll die Leitsätze der zentralen Dienstvorschrift „Hilfen für die Innere Führung" sind, zum Durchsetzen dieser Prinzipien kommt der Fähigkeit der Menschenführung allerdings erhöhte Bedeutung zu. Die Anwendung der Leitsätze setzt nämlich Erfahrungen im Umgang mit Menschen voraus; sie vermittelt aber keine. Daher rührt u. a. das Verlangen von Unteroffizieren, die ohne nennenswerte Führungserfahrungen zum Unterführer ausgebildet werden, nach Patentrezepten für den Umgang mit ihnen anvertrauten Soldaten.
({5})
Hier zeigt sich ferner, daß die ZDV 10/1 - geschrieben für Einheitsführer - für Zugführer gerade noch anwendbar ist. Für Gruppenführer gibt sie so gut wie nichts her. Dies beweist erneut, daß die Ausbildung der Unteroffizieranwärter und der jungen Unteroffiziere zum Vorgesetzen immer noch nicht zufriedenstellend geregelt ist. Diese Frage berührt allerdings insgesamt die Funktionsbereitschaft der Streitkräfte in ihrem Kern.
Ein anderes Kapitel. Vermehrte Eingaben aus dem Bereich des Arbeitsplatzschutzgesetzes bestätigen erneut, daß das Arbeitsverhältnis nach Ablauf des Wehrdienstes vom Arbeitgeber jeweils zum frühestmöglichen Zeitpunkt gekündigt oder aber der Betroffene nach seinem Wehrdienst in einer gegenüber früher geringer zu bewertenden Funktion verwendet wird. Der Wehrbeauftragte regt daher mit Recht eine Überprüfung der derzeitigen Bestimmungen an. Wir haben bereits durch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes einen Vorschlag unterbreitet.
Der Wehrbeauftragte stellt mit uns gemeinsam den unhaltbaren Zustand fest, daß eine Vielzahl von Hauptfeldwebeln in der Bundeswehr, die alle Qualifikationen besitzen, mangels entsprechender Planstellen nicht nach A 9 eingewiesen werden können. „Im Heer gibt es Hauptfeldwebel, die seit vier Jahren sämtliche Einweisungsvoraussetzungen erfüllen und gleichwohl in absehbarer Zeit nicht eingewiesen werden können." Der Wehrbeauftragte kritisiert hierbei die Weigerung des Bundesministeriums der Verteidigung, eine Änderung der Einweisungsrichtlinien vorzunehmen. Gerade hierfür hat sich meine Fraktion in der Vergangenheit bei den Beratungen immer wieder eingesetzt. Wir haben in dieser Frage immer die Auffassung vertreten, daß die Bundesregierung zunächst den bereits mit Wirkung zum 1. Juli 1975 durch das 2. Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz verbesserten A 9-Stellenanteil auf 15 % endlich haushaltsmäßig absichern sollte.
Bei der Behandlung der Fürsorgeangelegenheiten fällt weniger die Aufzählung einzelner Sachkomplexe ins Auge. Als besorgniserregend erscheint vielmehr die Tatsache dieser erheblich hohen Zahl der insgesamt 4 253 Eingaben aus diesem Bereich. Diese sprechen der Sozialabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung kein gutes Zeugnis aus. Man hätte eine positivere Auswirkung der mit so viel eigenen Vorschußlorbeeren aufgetretenen Abteilung erwarten dürfen.
Es muß festgestellt werden, daß der Wehrbeauftragte der ihm zugeordneten Funktion als „soziales Frühwarnsystem" nicht in allen Punkten gerecht geworden ist. Auf die Ursachen der Unruhe in der Truppe will ich noch kurz eingehen. Ich tue dies mit der gleichzeitigen Aufforderung an den Herrn Wehrbeauftragten, sich dieser Fragen in seinem nächsten Bericht ausführlich zu widmen.
Im Interesse der fortgeschrittenen Zeit verzichte ich auf einige Punkte, die anzusprechen wären. Wir haben das hier bereits am Rande behandelt: den Beförderungsstau, die verschlechterte Personallage usw. Aber auf eines muß ich näher eingehen.
Große Unruhe in der Truppe verursacht das Gebiet der Wohnungsfürsorge.
({6})
Es ist kein Geheimnis, daß die Sparmaßnahmen nach dem Haushaltsstrukturgesetz für die Soldaten wesentliche Belastungen gebracht haben. Der praktische Wegfall der Wohnungsfürsorge stellt die einschneidendste Verschlechterung dar. Durch die Mieterhöhung ab 1. März 1976 für den größten Teil der Bundesdarlehenswohnungen werden viele Soldatenhaushalte belastet. Ich erinnere hierbei an § 31 des Soldatengesetzes, nach dem die Wohnungsfürsorge ein Teil der Fürsorge des Bundes ist. Offensichtlich versteht das Bundesministerium der Verteidigung unter „Wohnungsfürsorge" inzwischen lediglich, bei der Beschaffung von Wohnungen behilflich zu sein. Dabei beweisen viele akute Beispiele, die wir aufzählen könnten, daß auch auf diesem Gebiet eine schleichende soziale Demontage droht. Darum möchte ich vorsorglich den Herrn Wehrbeauftragten auf dieses Problem hinweisen und ihm das Studium unserer Kleinen Anfrage und auch der Antwort der Bundesregierung, die darauf gegeben wurde, empfehlen.
Unsere besondere Sorge gilt der weiter um sich greifenden Politisierung der Bundeswehr. Wir sehen in vielen Aktionen grobe Verstöße gegen die gebotene parteipolitische Neutralität. Meine Damen und Herren, ich sage dies nicht etwa aus parteipolitischer Empfindsamkeit. Wir halten eine solche Tendenz - auf die wir oft genug hingewiesen haben - für staatspolitisch verhängnisvoll.
Wir alle in diesem Hohen Hause sollten uns darüber einig sein, daß die Bundeswehr nicht eine Armee der SPD, nicht eine der FDP und nicht eine der CDU/CSU ist.
({7})
Sie ist die Armee dieses Staates, und das sollte sie auch bleiben, so wie sie Fritz Erler am 5. Februar 1957 in einem Vortrag „Heer und Staat in der Bundesrepublik" charakterisierte:
Die Armee darf unter gar keinen Umständen so etwas ähnliches wie das Eigentum der Regierung oder gar der Regierungsparteien oder einer einzigen Regierungspartei werden.
Aber seit jenem unglückseligen Wort des damaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt, welches hier schon einmal angeschnitten wurde, daß „eine deutsche Armee ihren gesellschaftlichen und militärischen Wert verbessert, indem sie sozialdemokratische Befehle befolgt", hat sich eine parteipolitische Tendenz entwickelt, die mit den Grundsätzen der vom Gesetz vorgeschriebenen Neutralität nicht mehr im Einklang steht.
({8})
Ich weise auf § 15 des Soldatengesetzes und auf den Erlaß bezüglich der politischen Betätigung von Soldaten hin.
Gerade in einer Zeit vor der Wahl ist eine parteipolitische Einwirkung auf die Bundeswehr zu beobachten. Sie wissen das selbst. Truppenbesuche von Angehörigen des Bundesministeriums der Verteidigung in Begleitung von Bundestagsabgeordneten und Parteifunktionären gehen Hand in Hand mit Wahlkampfveranstaltungen, in denen Angehörige des Verteidigungsministeriums, unter Anführung ihres höheren Vorgesetzten, auf breiter Front zum Einsatz kommen. Ich könnte Ihnen all die Anzeigen vorzeigen, die ich hier in meiner Mappe habe. Derartige und eine Anzahl ähnlicher Vorfälle verstoßen doch im Prinzip sehr deutlich gegen den im Soldatengesetz geforderten Geist der Unterlassung jedweder parteipolitischen Beeinflussung im militärischen Bereich. Hier sollte man den Untergebenen und den Soldaten ein gutes Beispiel geben.
Meine Damen und Herren, eine Schlußbemerkung. Mit diesen im einzelnen aufgeführten Feststellungen wiederhole ich meine Aufforderung an den Herrn Wehrbeauftragten, sich der angesprochenen Probleme in seinem nächsten Jahresbericht ausführlich zu widmen. Wir erwarten - aus der Neutralität sei18142
nes Amtes - ein stärkeres Wirksamwerden in seiner parlamentarischen Kontrollaufgabe. Insgesamt aber danken wir dem Herrn Wehrbeauftragten und allen seinen Mitarbeitern, die mit ihm an der Abfassung dieses Jahresberichts gearbeitet haben.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf gleich den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/5481, der sicherlich gleich vorgelegt und auch begründet wird, mit einem Satz behandeln.
({10})
Es handelt sich um den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP zur Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses zum Weißbuch. Dies ist eine einzige Selbstbeweihräucherung, der wir unsere Zustimmung mit Sicherheit nicht geben.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Schlaga.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ernesti, Sie hatten sicher keinen Grund, den Verteidigungsminister bezüglich seiner Ausführungen zu rügen. Ich hätte es wirklich viel lieber gesehen, Sie hätten ihren Kollegen Biehle zurechtgerückt; denn das, was er hier gesagt hat, war genau das, was Ihr von Ihnen so allseits geschätzter Kollege Strauß in Sonthofen der Welt zur Kenntnis gebracht hat. Das war wirklich die totale Konfrontation.
({0})
- Passen Sie doch einmal auf! Ich weiß ja, daß Sie das nicht gern hören. Aber deswegen sage ich es Ihnen ja, genau deswegen. - Ich bin sicher, daß das für Sie in die Hosen geht, das mit der Freiheit statt des Sozialismus; buchstäblich. Nach dem 3. Oktober wird man Sie an Ihrem Geruch erkennen.
({1})
Und das darf ich noch hinzufügen: Sie gestehen mir doch wohl zu, daß ich am Anfang erst einmal auf das eingehe, was meine Vorredner gesagt haben. Das, was der Kollege Biehle gesagt hat, würde tatsächlich Freiheiten einschränken. Und ich habe als Berichterstatter für den Bericht des Wehrbeauftragten Bedenken, daß, wenn man diese Tendenzen laufen läßt, dieser oder jener Kollege der CDU/CSU sogar bereit sein könnte, das Amt des Wehrbeauftragten wieder abzuschaffen.
({2})
- Das hat die Präsidentin nicht gehört.
({3})
Der Verteidigungsausschuß hat den Bericht des Wehrbeauftragten beraten, und über diesen Bericht haben wir uns im Verteidigungsausschuß weitgehend verständigt. Das hat bereits Herr Kollege Ernesti gesagt. Dazu stehe ich. Der Wehrbeauftragte selbst hat die Gelegenheit gehabt und sie auch sehr positiv und konstruktiv genützt, um seine Meinung zu den Problematiken, die er aufgespürt und festgestellt hat, zum Ausdruck zu bringen. Es gab in dem Bericht des Wehrbeauftragten eine Fülle von Anregungen. Ich darf hier nur wiederholen, was in der ersten Lesung auch von mir dazu gesagt worden ist: Er ist ein Beispiel dafür, wie man geräuschlos, schnell, aber erfolgreich arbeiten kann.
Der Wehrbeauftragte hat die Aufgabe, Vorgänge, Mißstände, soweit sie vorhanden sind, zu kritisieren und konstruktiv und informativ zu arbeiten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Herr Biehle, Sie hatten vorhin genügend Gelegenheit, sich sachlich zu äußern. Das haben Sie nicht getan. Ich sehe keinen Grund, auf Ihre Fragen einzugehen.
({0})
In den Vorbemerkungen des Berichts des Wehrbeauftragten
({1})
- Mensch, reden Sie doch zu Hause einmal so viel, wie Sie jetzt hier dauernd dazwischenreden; das wäre doch eine gute Sache ({2})
war ein Passus enthalten, der zweifellos Grund bietet, darüber nachzudenken und auch unterschiedlicher Meinung sein zu dürfen. Unter Ziffer 4 auf Seite 4 - ich zitiere nur den letzten Satz, weil ich davon ausgehe, daß die Anwesenden das hinreichend kennen - bringt der Wehrbeauftragte zum Ausdruck:
Unsere Streitkräfte brauchen nicht die Mitläufer und Jasager, sondern eigenverantwortliche Soldaten.
Was diesen Satz angeht, so gibt es gar keinen Grund, unterschiedlicher Auffassung zu sein. Nur, der Wehrbeauftragte stellt weiter fest, daß es bestimmte Gründe gibt, warum in diesem und jenem Verhalten der Soldaten nach seiner Auffassung ein bißchen mehr Courage oder Zivilcourage notwendig wäre. Er führt einige Gründe an, von denen er meint, daß sie dazu geführt haben könnten.
Wir haben uns darüber unterhalten und haben uns des Auftrags, den der Wehrbeauftragte dem Verteidigungsausschuß hiermit meinte geben zu sollen, insofern entledigt - und das halte ich für die beste Lösung -, daß wir an das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr den Auftrag vergeben haben, zu untersuchen, ob die Ursachen und Wirkungen, die hier erst einmal relativ vordergründig dargestellt worden sind, so stimmen, sich so verhalten, oder ob es da andere Gründe gibt. Ich bin daran interessiert, diesen Bericht eines Tages in die Hand zu bekommen.
Ein weiterer Punkt, auf den ich kurz eingehen will, befaßt sich mit jenem G 1-Hinweis des Verteidigungsministers, das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung betreffend. Zum besseren Verständnis darf ich einmal kurz den Text dieses G 1-Hinweises zitieren:
Ein Soldat, der den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, ist grundsätzlich verpflichtet, bis zur Feststellung seiner Berechtigung alle Dienstpflichten in den Streitkräften, einschließlich des Waffendienstes, zu erfüllen. Erscheint für einen Soldaten, der die Feststellung seiner Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, beantragt hat, der Dienst mit der Waffe als eine unzumutbare Härte, kann er von der unmittelbaren Bedienung der Waffe befreit werden.
Nun, das ist zweifellos das, was der Minister heute morgen als eine fortschrittliche Entwicklung innerhalb der Führung der Streitkräfte dargestellt hat, und auch ich unterstütze das. Es hat keinen Sinn, daß man Kriegsdienstverweigerer in die Truppe einberuft, in der sie den Disziplinarvorgesetzten tatsächlich das Leben oft schwermachen. Deswegen also dieser Erlaß.
Nur sind - das ist unsere Auffassung - die Disziplinarvorgesetzten oft überfordert, weil ihnen Handreichungen fehlen. Und das ist das, was der Wehrbeauftragte hier eben auch möchte: daß den Disziplinarvorgesetzten Handreichungen in die Hand gegeben werden, mit deren Hilfe sie dann tatsächlich auch Entscheidungen treffen können, die ein hohes Maß an Gerechtigkeit gewährleisten.
Der Verteidigungsminister sagt dazu: Wir haben noch zu wenig Erfahrung, der Erlaß ist erst zu kurze Zeit in Kraft, wir müssen noch abwarten. - Dies mag aus seiner Sicht richtig sein. Er sagt auch: Es liegen noch zu wenige Fälle vor.
Aber damit unterschiedliche und damit ungerechte Entscheidungen weitestgehend vermieden werden, waren wir der Auffassung, daß eben etwas getan werden muß, und sei es erst einmal nur in Form einer Handreichung, mit der vorläufig gearbeitet werden muß und die dann schließlich vom Verteidigungsminister fortgeschrieben wird. Ich bitte den Verteidigungsminister, tatsächlich auch so zu verfahren.
Punkt 3 waren erzieherische Maßnahmen, die ich hier noch einmal nennen zu sollen meinte. Da schreibt der Wehrbeauftragte in seinem Bericht: Es ist bedenklich, daß von den von mir gezielt ausgewerteten erzieherischen Maßnahmen mehr als 50 % mit Eingriffen in die Freizeit des Soldaten verbunden waren. - Das Ministerium äußert sich dazu etwa in folgender Form: Die Bedenken des Wehrbeauftragten können nicht in vollem Umfange geteilt werden. Und es gibt dazu eine Begründung. Die Begründung mag technisch, manchmal auch technokratisch richtig sein, aber menschlich stimmt sie mich doch etwas bedenklich. Denn z. B. mehrfach über einen einzelnen Soldaten verhängte Freizeitbeschränkungen, besonders bei Heimatfernen, finde ich bedenklich. Denn die Störungen der Bindung an die Familie, der Bindung an Freunde, Freundinnen und Freundeskreise können bei diesen jungen Leuten zu Verhaltensweisen, zu Kurzschlußhandlungen führen, die auch wiederum der Bundeswehr nicht dienlich sein können.
Mir fällt da immer wieder das Beispiel meines eigenen Sohnes ein, der 350 km von zu Hause entfernt eingezogen gewesen ist, der ein begeisterter Volleyballspieler war, der sehr viele Meisterschaften mitgemacht hat. Er wollte eben am Samstagfrüh an einer Meisterschaft teilnehmen, mußte aber am Freitagnachmittag in der Kaserne bleiben - was auch immer er „verbrochen" hatte; das ist eine andere Sache. Das Ergebnis war: Er fuhr um Mitternacht mit seinem Wagen von der Kaserne doch noch nach Hause und hat dann also morgens gespielt und das Spiel verloren - sicher nicht allein deswegen; aber die Mannschaft war der Auffassung: dies wäre nicht passiert, wenn du rechtzeitig gekommen wärst. - Das ist ein ganz minimales, ein ganz kleines Beispiel; über solche Dinge gibt es sicher mehr zu sagen.
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- Na hören Sie mal, das Induktive ist noch immer das, was am ehesten verständlich wirkt. Das sollten Sie doch wissen.
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Was ich damit zum Ausdruck bringen will: Ich bin der Auffassung, daß man, um Aversionen entgegenzuwirken, um sie nicht wachsen zu lassen - denn so etwas könnte festsitzen -, mit der Einschränkung der Freizeit restriktiv verfahren sollte, wenn auf die Dauer Nachteile vermieden werden sollen.
Es ist richtig, wie das Bundesverteidigungsministerium sagt, daß eben diese erzieherischen Maßnahmen besonders wehtun, wenn man die Freizeit kürzt und beschränkt. Aber gerade weil es wehtut, sollte man besonders sparsam damit umgehen.
Ein weiterer Komplex sind die Familienheimfahrten. Es schiene mir tatsächlich ein Stück mehr Wehrgerechtigkeit zu sein, könnte man da zu einem Ergebnis kommen. Jedem Wehrpflichtigen stehen im Jahr 12 Freifahrten zu; daneben stehen ihm unbegrenzt Fahrten nach Hause oder woandershin zu 50 % Ermäßigung zu. Das heißt, derjenige, der 50 km von zu Hause entfernt ist, hat 50 % Ermäßi18144
gung; der, der 500 km entfernt ist, auch 50 %. Es trifft also die Heimatfernen.
Der Vorschlag des Wehrbeauftragten geht dahin, eine Staffelung einzuführen. Die könnte z. B. so aussehen, daß bei 50 km nur eine Ermäßigung von 30 % gewährt wird, bei 500 km aber eine von 70 %, so daß insgesamt bei gleichem Volumen ein Ausgleich zustande käme. Das würde, wie gesagt, eine fühlbare Entlastung für die Heimatfernen und eine durchaus tragbare Belastung für die Heimatnahen sein. Das würde auch zu einer positiven Motivation Wehrpflichtiger führen und ein Stück mehr Wehrgerechtigkeit sein. Der Haushalt dürfte natürlich nicht ausgeweitet werden. Von der Möglichkeit darf auch nur bei Fahrten zwischen Standort und Heimatort Gebrauch gemacht werden. Es darf auch nur einen geringen Verwaltungsaufwand verursachen. Wenn also auf Grund der Haushaltslage schon kein höherer Sold gezahlt werden konnte, dann sollte man auch angesichts der gestiegenen Fahrpreise diese Staffelung einführen.
Das Bundesverteidigungsministerium ist nach meiner Kenntnis im Prinzip einverstanden, aber -da kommt das Aber - die Bundesbahn ist nicht einverstanden. Denn die Automaten, die sie eingerichtet hat, spielen nicht mit. Diese unterschiedliche Staffelung läßt sich nicht einspeisen. Mehr Wehrgerechtigkeit in einem solchen Fall, die von dem einzelnen Wehrpflichtigen sicher begrüßt werden würde, soll nun also an einer perfektionierten Rationalisierung scheitern. Hier handelt es sich um einen seelenlosen Vorgang, der auf Kosten der Menschlichkeit geht. Die Bundesbahn macht sich das nach meiner Auffassung zu einfach. Sie sollte gefälligst noch einmal nachdenken. Es geht hier um 300 000 junge Leute, denen geholfen werden könnte.
Mein Dank gilt dem Wehrbeauftragten. Mein Wunsch ist, daß er weiterhin ein waches Auge und eine glückliche Hand haben und eine erfolgreiche Arbeit leisten möge.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Stahlberg.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU hat am 10. Dezember 1975 einen Antrag vorgelegt, der mithelfen soll, die Benachteiligung der Unteroffiziere bei den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen des Heeres gegenüber den sogenannten Spezialisten auszuräumen. Geeigneten und bewährten Unteroffizieren in Führungsverwendungen der Kampf- und Kampfunterstützungstruppen sollte nach unserer Meinung der Aufstieg zum Offizier unter gleichen Bedingungen ermöglicht werden wie den Unteroffizieren in speziellen Verwendungen.
Im Bericht des Abgeordneten Horn vom 4. Juni 1976 - Drucksache 7/5316 - wird nunmehr vorgeschlagen, unseren Antrag als unbegründet abzulehnen. Kollege Horn verweist auf eine Fachschulweisung des Verteidigungsministers vom 11. September
1975, mit der die von uns angesprochenen Schwierigkeiten angeblich bereits behoben seien.
Dieser Auffassung müssen wir entschieden widersprechen. Im Interesse der betroffenen Unteroffiziere möchte ich Sie, meine Kolleginnen und Kollege, mit allem Ernst darauf hinweisen, daß der Berichterstatter bei Abfassung seines Berichts entweder über die tatsächliche Sachlage im Bundesministerium der Verteidigung nicht richtig orientiert wurde oder die erhaltenen Informationen falsch interpretiert hat.
Richtig hingegen ist, daß erstens bis heute die Feldwebel der Kampf- und Kampfunterstützungstruppen nicht in einer eigenen Fachrichtung Offiziere des militärischen Dienstes werden können
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und daß damit die wiederholt behauptete Chancengerechtigkeit weder durch die Weisung des Bundesverteidigungsministers vom 11. September 1975 noch durch eine andere Weisung hergestellt oder auch nur eingeleitet worden ist und daß zweitens der Antrag der CDU/CSU-Fraktion geeignet ist, diese Chancengerechtigkeit in einer gemeinsamen Bemühung aller im Bundestag vertretenen Parteien herbeizuführen.
Des weiteren meint der Berichterstatter, die Verwirklichung des Vorschlags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion führe zu einer Überalterung der Einheitsführer und damit zu Friktionen in der Truppe. Er meint, man sollte zudem solche Pläne zur Neuordnung so lange zurückstellen, bis das Laufbahngefüge aller Offiziere im Rahmen der Untersuchungen zur Personalstruktur der Streitkräfte insgesamt überdacht sei.
Zu der ersten Sorge des Berichterstatters möchte ich Ihnen an einem konkreten Zahlenbeispiel verdeutlichen, daß sie völlig unbegründet ist.
Zur Zeit geschieht die Auswahl zum Offizier des militärfachlichen Dienstes unter den jungen Feldwebeln im Alter von etwa 25 Jahren. Sie haben der Truppe dann in Verwendungen als Gruppen- und Zugführer insgesamt nur etwa vier bis fünf Jahre zur Verfügung gestanden. Die zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassenen jungen Feldwebel erhalten dann eine etwa zweijährige Ausbildung und werden anschließend in Fachrichtungen der verschiedensten Führungsgrundgebiete verwendet. Nur, meine Kolleginnen und Kollegen: In die Verwendung als Führer in der Truppe kehren sie nicht wieder zurück. Das empfinden wir als sehr schade. Hier liegt der entscheidende Ansatz unserer Kritik. Wir sind der Auffassung, daß es darauf ankommen muß, den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen über einen sehr viel längeren Zeitraum hin auch die hervorragendsten Feldwebel in Führungsfunktionen wirklich zu erhalten.
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Wir denken dabei an mindestens zwei weitere Zugführerverwendungen und an die Möglichkeit, daß die besten von ihnen auch zum Einheitsführer, zum Kompaniechef, aufsteigen können.
Dabei ist es völlig unbegründet, von einer Überalterung der Einheitsführer und Friktionen in der Truppe zu sprechen, da auch die Verwendung als Einheitsführer vor dem 40. Lebensjahr abgeschlossen sein kann und der Betreffende dann nahtlos in eine andere Laufbahnrichtung überführt werden kann.
Zum zweiten Punkt der Kritik des Berichterstatters muß ich wiederum richtigstellen, daß unser Auftrag das Ziel verfolgte, die Neuordnung im Sinne des Bildungsgutachtens weiterzuführen. Es ist nicht beabsichtigt, einer späteren umfassenderen Regelung hier vorzugreifen. Die CDU/CSU-Fraktion will in einem ganz konkreten Fall die Neuordnung lediglich vollenden. Diese ist bisher an den Unteroffizieren der Kampf- und Kampfunterstützungstruppen vorbeigegangen. Wir haben kein Verständnis dafür, daß die Truppe hier mit ihren aktiven Soldaten immer gegenüber den Dienststellen, dem Ministerium und anderen Einrichtungen der Bundeswehr benachteiligt werden soll.
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Der Berichterstatter tut so, als ob die bei der Fachschule des Heeres in Munster ausgebildeten Erzieher Offiziere des militärfachlichen Dienstes sozusagen von selbst würden. Es müßte hier außerdem, Herr Kollege Horn, bekannt sein, daß diese Ausbildung nicht 1978, sondern 1980 abgeschlossen sein wird. Es müßte vollkommen klar sein - in späteren Weisungen steht das mehr als deutlich geschrieben -, daß diese Gehilfen des Offiziers Hauptfeldwebel sein sollen und eben nicht Offiziere des militärfachlichen Dienstes werden können.
Wir sind der Meinung, diese Soldaten sind auch schon vor ihrer Offizierausbildung zum Zugführer qualifiziert. Aus diesem Grunde wollen wir die Chancengerechtigkeit für alle Soldaten.
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Wer unseren Auftrag unterstützt, folgt damit auch einer militärischen Forderung, die jüngst erneut im Heeresamt erhoben worden ist. Deshalb appelliere ich an alle Damen und Herren des Hohen Hauses, dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Interesse eines Großteils der Unteroffiziere zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht zunächst ein Wort in eigener Sache, nachdem ich heute morgen zweimal von Kollegen der CDU/CSU angesprochen wurde: Herr Biehle hat einerseits behauptet, ich hätte auf der Wehrkundetagung der SPD in München die Gefahr der potentiellen militärischen Bedrohung aus dem Osten unterschätzt. Sie, Herr Kollege Werner, haben gesagt, wir lägen tendenziell gleich. Ich möchte Sie bitten: Lesen Sie bitte beide die Unterlagen etwas korrekter, dann kommen nicht die gravierenden Widersprüche in ihrer eigenen Fraktion hoch. Ich kann das hier wegen der Kürze der Zeit leider nicht ausführlicher darstellen.
Zu dem Antrag, der hier vorliegt, darf ich noch folgendes sagen. Wir haben im Verteidigungsausschuß eingehend darüber diskutiert. Wir sind nicht vom Antrag der CDU/CSU überzeugt worden. Es bleiben für mich die beiden gravierenden Mängel entscheidend - auch für unsere Kollegen -, nämlich daß die Verwendung der Unteroffiziere in Kampf- und Kampfunterstützungstruppen nach entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten, die den Aufstieg der Fachoffiziere zu Einheitsführern anbetrifft, zu einer Überalterung der Einheitsführer und damit zu einer Friktion in der Truppe führt.
Zweitens. Im Zuge der Untersuchungen zur Personalstruktur der Streitkräfte mit ihren neu zu ordnenden Ausbildungs- und Verwendungsreihen wird letztlich auch das Laufbahngefüge aller Offiziere neu zu überdenken sein. Die Ergebnisse dieser Überlegungen und Untersuchungen dürfen jedoch nicht dadurch präjudiziert werden, daß bereits jetzt auf Grund isolierter Einzelbetrachtungen Änderungen vorgenommen werden, die die Zuordnung zu den einzelnen Laufbahnen bzw. deren Abgrenzung untereinander betreffen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt den CDU/CSU-Antrag ab, da er zum Teil überholt ist - das habe ich hier schon einmal ausgeführt
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und zum Teil unausgegoren ist. Wir fordern unsererseits die Bundesregierung auf, die bisherigen Maßnahmen zur Erhöhung der Chancengleichheit für die Unteroffiziere in den Kampf- und Kampfunterstützungstruppen konsequent fortzusetzen und das Problem der Personalstruktur in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang einzuordnen.
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Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die verbundene Debatte. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Zunächst der Antrag des Verteidigungsausschusses zum Weißbuch auf Drucksache 7/5323. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Hierzu liegt der Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Ich nehme an, daß er in der Debatte schon begründet worden ist und wir abstimmen können. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe nun den Antrag des Verteidigungsausschusses zu Punkt 49 der Tagesordnung auf Drucksache 7/5360 auf.
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- Es handelt sich um den Antrag des Verteidigungsausschusses, Ihren Antrag abzulehnen. Es kann hier nur in dieser Form abgestimmt werden, weil der Ausschuß die Ablehnungsempfehlung gibt.
Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung zu Punkt 50 der Tagesordnung, Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5342. Wir können wohl über alle drei Einzelpunkte gemeinsam abstimmen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 30. Juni 1976, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.