Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für heute die Zeitdauer für die Aussprache über die Tagesordnungspunkte wie folgt vorgesehen: Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz und Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts - Punkt 14 der Tagesordnung -: 1 Stunde; Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und anderer Vorschriften - Punkt 15 in Verbindung mit Punkt 16 der Tagesordnung -: 3 Stunden; Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - Punkt 17 in Verbindung mit Punkt 18 der Tagesordnung -: 3 Stunden; Drittes Gesetz zur Änderung des Diätengesetzes - Punkt 21 der Tagesordnung -: 30 Minuten; Antrag des Haushaltsausschusses betr. Entlastung der Bundesregierung - Punkt 13 der Tagesordnung -: 1 Stunde. Ist das Haus damit einverstanden? - Danke; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts und zur Änderung der Krankenversicherung der Rentner ({0})
- Drucksache 7/3336 -
aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/ .... - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
bb) Bericht und Antrag des Auschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 7/5365 Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({3})
({4})
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung ({5})
- Drucksache 7/3337 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({6})
- Drucksache 7/5365 Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({7}) ({8})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Bitte, Herr Abgeordneter Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verweise auf den vorliegenden Schriftlichen Bericht und möchte ihn noch an einer Stelle etwas ergänzen. Unter 2. auf Seite 3 beginnt der zweite Absatz schlicht und einfach mit den Worten:
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat am 26. November 1975 zu den kassenarztrechtlichen Vorschriften der beiden Gesetzentwürfe Sachverständige gehört und die Vorlagen in drei weiteren Sitzungen beraten.
Gemeint sind der Regierungsentwurf über ein Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts und zur Änderung der Krankenversicherung der Rentner, kurz Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz, und der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts.
Meine Damen und Herren, da der Regierungsentwurf nicht nur Änderungen im Kassenarztrecht vorsah, sondern u. a. und vor allem auch Änderungsvorschläge zur Stabilisierung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner für die Jahre 1971 bis 1977 - wie es in der Begründung der Regierungsvorlage wörtlich heißt - enthielt, kam der federführende Ausschuß in seiner ersten Beratung am 18. September 1975 nach kurzer Aussprache überein, am 15. Oktober 1975 zunächst zu den das Kassenarztrecht betreffenden Vorschriften in einer öffentlichen Informationssitzung Sachverständige zu hören. Dies ist auch geschehen, allerdings erst
Müller ({0})
- wie es auch im Bericht steht - am 26. November.
In der gleichen Sitzung wurde aber ferner vereinbart, nach Vorlage des Rentenanpassungsberichts 1976 in einer weiteren öffentlichen Informationssitzung, wenn möglich am 26. November 1975, Sachverständige zu den Vorschriften über die Neuregelung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner nach dem Regierungsentwurf zu hören.
Diese Anhörung ist jedoch nicht erfolgt, bis die Koalitionsfraktionen dann am 5. Mai 1976 erklärten, in dieser Legislaturperiode nur noch den kassenärztlichen Teil der Entwürfe zu behandeln, im übrigen aber darauf zu verzichten, die Vorschriften über die Änderung der Krankenversicherung der Rentner noch zu verabschieden, und zwar um Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung zu vermeiden und weil das Ziel, die finanzielle Grundlage der Rentnerkrankenversicherung für die nächsten Jahre zu stabilisieren, durch die Entwicklung längst überholt sei. Wegen der Kompliziertheit der Materie sollte die Neuregelung der Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung erst nach dem 3. Oktober 1976 im Rahmen einer Gesamtkonzeption für die Rentnerkrankenversicherung erfolgen.
({1})
- So wurde es erklärt.
Die Opposition glaubte, dieser Tatsache nicht widersprechen zu können, wies jedoch deutlich darauf hin, daß auf Grund der Empfehlung der Sachverständigenkommission für die Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung beim Bundesarbeitsministerium vom August 1973 die CDU/CSU bereits am 25. März 1974 einen Antrag einbrachte, in dem die Bundesregierung um die Vorlage eines Gesetzentwurfs im Sinne dieser Empfehlung ersucht wurde. Seitdem sei ausreichend Zeit hierfür gewesen. Der Fraktion der CDU/CSU könne somit nicht der Vorwurf gemacht werden, daß die Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden könne.
Gleichzeitig kündigte die Koalitionsmehrheit Änderungsanträge an, die sich jedoch nicht am Gesetzentwurf des Bundesrats, sondern am Regierungsentwurf orientierten. Demgegenüber hob die Opposition die Vorzüge der Bundesratsvorlage hervor und machte sich deren Konzeption zu eigen. Sie stützte sich außerdem auf die Aussagen der Mehrzahl der Vertreter der Organisationen während der Sachverständigenanhörung, insbesondere soweit es sich um die Aufstellung und Fortschreibung eines Bedarfsplans zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung handelt.
Ebenso glaube ich, daß die weiteren Sätze im gleichen Absatz des Schriftlichen Berichts „Die Gesetzentwürfe wurden von allen Sachverständigen begrüßt. Zu den einzelnen Sachfragen haben die Sachverständigen jedoch nicht einheitlich Stellung genommen" zugegebenermaßen aus Zeitmangel so, wie sie dastehen, etwas mager ausgefallen sind. Lassen Sie mich deshalb diese wenigstens an einigen Beispielen noch ergänzen, und zwar im Hinblick darauf, welcher Art die unterschiedlichen Stellungnahmen waren.
So gaben die Sozialpartner und die Vertreter der RVO-Kassen in Sachen Bedarfsplanung und den damit zusammenhängenden Fragen dem Bundesratsentwurf den Vorzug. Die Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie die landwirtschaftlichen Krankenkassen baten z. B., die Änderungen des Kassenarztrechts unter die Grundsätze des gleichberechtigten partnerschaftlichen Zusammenwirkens von Ärzten und Krankenkassen und der bedarfsgerechten Versorgung zu stellen, damit das, was in § 368 der RVO als Leitsätze aufgeführt ist, auch in den folgenden Vorschriften Wirklichkeit wird. Eines der wichtigsten Instrumente der Bedarfsplanung seien die Bedarfspläne selbst. Auch sei der Hinweis in der Bundesratsvorlage, daß bei der Bedarfsplanung Ziele und Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung zu beachten sind, sehr wichtig und sinnvoll.
Sachverständige der RVO-Kassen erklärten in diesem Zusammenhang, daß nach dem Regierungsentwurf zwar die Krankenkassen ihre Vorstellungen vorbringen dürften, aber bei Meinungsverschiedenheiten die kassenärztliche Vereinigung allein entscheide. Das sei offensichtlich nicht mit dem Grundsatz des partnerschaftlichen gleichberechtigten Zusammenwirkens aus § 368 Abs. 1 RVO in Einklang zu bringen.
Die Vertreter der Ersatzkassen nahmen z. B. zu der Frage der Bedarfsplanung überhaupt nicht Stellung, weil für sie das Kassenarztrecht nicht gilt und damit für sie auch keine Bedeutung hat. Andererseits lehnten sie Eigeneinrichtungen der Krankenkassen als Sicherstellungmaßnahme für die ärztliche Versorgung entschieden ab.
Auch die Vertreter der Ärzteschaft anerkannten die Notwendigkeit der Aufstellung von Bedarfsplänen, lehnten aber eine einvernehmliche Regelung im Sinne des Bundesratsentwurfs ab und räumten dem Regierungsentwurf in dieser Frage den Vorzug ein. Auf der anderen Seite lehnten sie den Sicherstellungsauftrag im Sinne des § 368 s RVO strikt ab, weil diese Regelung systemfremd und davon keine effektive Wirkung zu erwarten sei.
Abschließend möchte ich noch ein Wort zu der Abstimmung im Ausschuß sagen. Auf eine kurze Formel gebracht, kann zusammenfassend gesagt werden: die SPD-FDP-Mehrheit ist unter Verzicht auf eine Neuregelung der Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung der Regierungskonzeption, die CDU/CSU-Minderheit ist jedoch der des Bundesrates gefolgt. Dadurch erklären sich auch die Mehrheitsverhältnisse bei der Abstimmung im Ausschuß.
({2})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist, wie ich meine, ein wenig eigenartig, wenn ein Berichterstatter heute morgen noch einmal hinter das Rednerpult geht, um im weitesten Sinne Dinge, die man als Opposition nicht hat unterbringen können, als Berichterstatter vorzubringen und das so - ich möchte es höflich ausdrücken - zu vervollständigen. Ich weiß nur nicht, ob das die richtige Art ist.
Wir beschäftigen uns heute morgen mit der Weiterentwicklung des Kassenarztrechts. Die Weiterentwicklung des Kassenarztrechts, die heute zur abschließenden Beratung ansteht, weist eine große gesundheitspolitische Bedeutung auf. Daß das geltende Kassenarztrecht, das aus der Mitte der fünfziger Jahre stammt, revisionsbedürftig ist und unbedingt auf neue Erfordernisse zugeschnitten werden muß, zeigt sich allein daran, daß sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat Gesetzentwürfe eingebracht haben, mit denen das Kassenarztrecht strukturell verändert, verbessert werden soll.
Der Regierungsentwurf stellt ein wirksames Instrumentarium dar, mit dem die Ungleichmäßigkeit in der ambulanten Behandlung, in der ärztlichen wie der zahnärztlichen Versorgung der Krankenversicherten, abgebaut werden soll. Zwar verfügt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich über eine beachtliche Arztdichte. Jedoch kann nicht übersehen werden, daß in zahlreichen ländlichen Regionen und in Stadtrandgebieten ebenso Ärzte für Allgemeinmedizin wie auch Fachärzte fehlen. Diese ärztliche Unterversorgung mit ihren Nachteilen für Patienten und Ärzte wird nicht nur seit längerer Zeit von Experten lebhaft diskutiert, sie ist eine der drückendsten Benachteiligungen der in diesen Räumen lebenden Menschen und einer der zentralen Punkte der Kritik am System der Gesundheitssicherung. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß auch steigende Ärztezahlen eine gesetzliche Lösung nicht entbehrlich machen; denn uns kommt es darauf an, dafür gerüstet zu sein, daß auch auf lange Sicht die ambulante ärztliche Versorgung und Betreuung der Bevölkerung durch eine bedarfsgerechte Verteilung der Kassenarztsitze gewährleistet werden könnte.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes sah, wie soeben schon angeführt wurde, neben den kassenärztlichen Bestimmungen eine neue Regelung vor, mit der die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner bis Ende 1977 konsolidiert werden sollte. Die Vorschläge zielten in ihrem Kern darauf ab, die Beitragszahler der Krankenkassen möglichst ausgewogen an den Aufwendungen zu beteiligen, die der Solidargemeinschaft der Versicherten aus der Versorgung der Rentner mit Gesundheitsleistungen erwachsen. Allerdings ging es der Bundesregierung lediglich um eine Übergangslösung. Die auf die Rentnerkrankenversicherung bezogenen Regelungen wurden vom federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorerst zurückgestellt, und dieses hat mit dem 3. Oktober gar nichts zu tun, Herr Kollege Müller. Ich glaube, wir alle wissen, daß wir im nächsten
Jahr an dieses Problem heranmüssen, und Sie wissen genausogut wie wir, daß dieses kurzfristig in dieser einfachen Form nicht lösbar ist. Wir sollten es uns selbst nicht zu einfach machen, indem wir uns etwas vormachen oder etwas vorspielen, was im Grunde gar nicht da ist. Diese Entscheidung wurde nämlich nicht zuletzt deshalb getroffen, weil es galt ({0})
- Wir hatten es vor. Sie haben schon so viel regeln wollen, was nur in endlos langer Zeit oder überhaupt nicht geschehen ist! Deshalb können Sie in einem so schwierigen Bereich, zu dem Sie über keinerlei Konzepte verfügen, uns nicht den Vorwurf machen, daß es mit dieser Übergangslösung, die auch nicht die endgültige war, hätte geregelt werden können.
({1})
Diese Entscheidung wurde nicht deshalb getroffen, weil es galt, die jetzt schon Erfolge zeitigenden Bemühungen um die Stabilisierung der Beitragssätze in der sozialen Krankenversicherung nicht zu gefährden. In der nächsten Legislaturperiode stellt sich daher die Aufgabe, die Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung in Angriff zu nehmen. Dabei muß eine auf Dauer angelegte grundsätzliche Lösung herbeigeführt werden, die die Neuregelung und Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner in eine Gesamtkonzeption für die Renten- und Krankenversicherung einpaßt. Für die Verteilung der Lasten aus der Rentnerkrankenversicherung zwischen der Renten- und der Krankenversicherung bedarf es, wenn ich es so sagen darf, einer definitiven Regelung, die sorgfältig zu diskutieren und vorzubereiten ist. Alle, auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind aufgefordert, daran mitzuarbeiten. Sie können sich darauf verlassen, Sie werden es auch in der nächsten Legislaturperiode als Opposition machen müssen.
({2})
Eines aber muß wiederholt betont werden: Die Verteilung der Lasten, die sich aus der Rentenkrankenversicherung ergeben, ist vorrangig ein technisch-organisatorisches Problem, dessen Lösung sich auf die materielle Situation der Beitragszahler praktisch kaum auswirken wird. Es ist weitgehend unerheblich, ob die Beitragszahler für die Krankenversicherung der Rentner mit ihren Krankenversicherungsbeiträgen oder mit ihren Rentenversicherungsbeiträgen einstehen. Wer diesen Zusammenhang leugnet oder versucht, die Träger der Krankenversicherung und der Rentenversicherung gegeneinander auszuspielen, der offenbart, daß es ihm nicht um die Belange der Beitragszahler, sondern vielmehr um Verunsicherung geht.
({3})
Dieser Verunsicherung, Herr Kollege Franke, treten wir Sozialdemokraten ganz entschieden entgegen.
Aus dem Regierungsentwurf übernommen hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einige Änderungen und Ergänzungen des Rechts der Krankenversicherung der Landwirte. Daß es lediglich notwendig war, einige wenige Unzulänglichkeiten im Recht der landwirtschaftlichen Krankenversicherung zu beseitigen, zeigt einmal mehr, daß der Weg richtig war, den die sozialliberale Koalition im Jahre 1972 mit der Schaffung der Krankenversicherung der Landwirte eingeschlagen hat, durch die die Landwirte, ihre mithelfenden Familienangehörigen und die Altenteiler in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen sind. Wir dürfen also feststellen, eine der Säulen der von uns Sozialdemokraten maßgeblich geprägten Agrarsozialpolitik hat sich als absolut standfest erwiesen.
Über den Regierungsentwurf hinaus hat der Ausschuß beschlossen, Ihnen vorzuschlagen, für eine Verbesserung der Organisationsstruktur der Krankenversicherungsträger gesetzliche Vorkehrungen zu treffen. Ermöglicht werden soll die Bildung größerer und leistungsfähigerer Verwaltungseinheiten. Auf unserem Mannheimer Parteitag haben wir Sozialdemokraten im November vergangenen Jahres ein Zehn-Punkte-Programm zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen verabschiedet, in dem es u. a. heißt:
Die Krankenkassen haben eine wirtschaftlich günstigere Betriebsgröße anzustreben. Dies erfordert eine Herabsetzung der Zahl der Krankenkassen.
Dazu sollen mit dein vorliegenden Gesetz die Weichen gestellt werden. Dann sind die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen am Zuge. Gleichwohl müssen wir sicherstellen, daß keine Lösungen getroffen werden, die die Leistungsfähigkeit der Ortskrankenkassen irgendwie beeinträchtigen könnten.
Lassen Sie mich nunmehr die wichtigsten Aspekte des Regierungsentwurfs für die Weiterentwicklung des Kassenarztrechts beleuchten. Um eine ausgewogene Struktur der ambulanten ärztlichen Versorgung zu schaffen, ist eine bundesweite und bundeseinheitliche Planung erforderlich. Die Planung in den einzelnen Bundesländern muß sich an einheitlichen Bedarfskriterien orientieren. Der Gesetzentwurf bestimmt daher:
Ziel der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung ist es, den Versicherten und ihren Familienangehörigen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung, die auch einen ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienst umfaßt, in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie der Möglichkeiten der Rationalisierung und Modernisierung zur Verfügung zu stellen.
Hieraus lassen sich Grundsätze und Merkmale für die Bedarfsplanung ableiten.
Bei der Planaufstellung haben die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Landesverbänden der Krankenkassen zusammenzuarbeiten. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen für die ambulante Versorgung wird im Gesetz präzisiert. Die Maßnahmen sind auf die Bedarfspläne auszurichten. Das Spektrum möglicher Maßnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung wird erweitert. So dürfen die Kassenärztlichen Vereinigungen etwa auch Einrichtungen, die unmittelbar der medizinischen Versorgung der Versicherten dienen, selbst schaffen, selbst betreiben oder sich hieran beteiligen.
Ob in bestimmten Gebieten eines Zulassungsbezirks eine ärztliche Unterversorgung vorliegt oder droht, hat der jeweilige Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen festzustellen. Befindet der Landesausschuß, daß eine Unterversorgung bereits eingetreten ist oder droht, ist der Kassenärztlichen Vereinigung nach dem Gesetz eine angemessene Frist einzuräumen, in der alle geeigneten Mittel auszuschöpfen sind, um die Unterversorgung zu beheben oder abzuwenden. Läßt sich die Unterversorgung nicht fristgemäß beseitigen, dann dürfen die Landesausschüsse noch ausreichend versorgte Gebiete des Zulassungsbezirks für die Niederlassung von Ärzten und Fachärzten sperren. Auf diesem Wege dürften niederlassungswillige Ärzte veranlaßt werden können, sich offenen Kassenarztsitzen zuzuwenden.
Die Beschränkung der Niederlassung ist das letzte Mittel, das die Kassenärztlichen Vereinigungen anwenden dürfen, um die Unterversorgung zu beheben. Erweist sich auch dieses Mittel als unwirksam, dann geht der Sicherstellungsauftrag - aber erst dann - auf die Krankenkassen über. Sie können durch eigene Einrichtungen sowie durch Verträge mit Krankenhäusern und Gesundheitsämtern die ambulante ärztliche Versorgung sicherstellen. Die Bestimmungen gelten gleichermaßen für die zahnärztliche Versorgung.
Durch dieses Konzept zieht sich wie ein roter Faden der Gedanke, dem Anspruch der Versicherten und ihrer Familien auf eine quantitativ und qualitativ gleichmäßige ambulante Arztversorgung zu entsprechen. Der staatliche Einfluß bleibt weitgehend im Hintergrund. Der Sicherstellungsauftrag bleibt in den Händen der beruflichen Selbstverwaltung der Kassenärzte und der sozialen Selbstverwaltung der Versicherten. Großes Gewicht kommt dabei der Zusammenarbeit der Beteiligten zu. Der Entwurf richtet sich keinesfalls gegen die Ärzte, sondern er überträgt den Kassenärztlichen Vereinigungen wichtige Aufgaben und liefert ihnen die Instrumente, damit sie diese Aufgaben auch wirksam erfüllen können. Das gilt auch für die Kassen und ihre Landesverbände. Der Instrumentenkasten ist differenziert ausgestaltet und bietet einen abgestuften und aufgefächerten Maßnahmenkatalog.
Insofern unterscheidet sich der Regierungsentwurf auch vom Bundesratsentwurf, der auf eine Initiative des Feistaates Bayern zurückgeht. Dieser
weiß-blaue Vorschlag ist durch weitgehenden Dirigismus gekennzeichnet
({4})
- das ist „dummes Zeug", das kann ich mir vorstellen; Sie werden noch begründen können, warum das „dummes Zeug" ist; ich bin sehr gespannt darauf -, da er sich im wesentlichen auf die Bedarfsplanung und die Zulassungssperre bei einer Unterversorgung beschränkt. Der sogenannte Alternativvorschlag des Bundesrates ist für uns Sozialdemokraten daher keine akzeptable Alternative. Er fördert auch die tiefe Kluft zutage, die zwischen den schönfärberischen gesundheitspolitischen Deklamationen der Union und ihrer tatsächlichen Gesundheitspolitik besteht.
Wir Sozialdemokraten werden dem Regierungsentwurf über die Bundestagshürde hinweghelfen, weil er im Gegensatz zum Bundesratsentwurf das Prädikat freiheitlich verdient.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Biermann sagte soeben, die KVdR-Regelung müsse in eine Gesamtlösung eingebettet und sorgfältig vorbereitet werden. Ich will es mir ersparen, das zu zitieren, was Herr Minister Arendt vor einem Jahr zu der Frage der Krankenversicherung der Rentner in der Einbringungsrede hier bei der ersten Lesung gesagt hat. Er sagte nämlich damals kurzgefaßt: Das ist sorgfältig vorbereitet; es ist zwar eine Zwischenlösung, aber es ist sorgfältig vorbereitet.
Ich darf mir eine zweite Bemerkung erlauben und darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren. Ich lese heute morgen in der „Bild-Zeitung"
({0}) - ich war mir Ihrer Reaktion sicher -:
Krankenkassen teurer! - Die Krankenkassenbeiträge werden wahrscheinlich schon 1977 wieder erhöht. Und noch mal 1978. Jeder wird dann 400 bis 500 Mark monatlich ({1}) zahlen müssen, kündigte der FDP-Sozialexperte Hansheinrich Schmidt ({2}) an.
({3})
Der Grund: Das Sparprogramm im Gesundheitswesen ist am Widerstand der SPD gescheitert. Die Rezeptgebühr kann deswegen nicht von 2,50 auf 3,50 erhöht werden, und auch Kopfschmerztabletten und Appetitzügler gibt es weiter auf Krankenschein. Der FDP-Politiker: „Im letzten Augenblick hat die SPD nein gesagt."
Was ist nun „sorgfältig", was ist „vorbereitet"?
Nach Meinung des Kollegen der FDP hat die SPD
hier einige Dinge verhindert, um den Beitragszahler
zu entlasten. Das hat die Bundesregierung vor einem Jahr noch als ein ganz wichtiges Gebiet angesehen.
Es sei dringend nötig, das Problem der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner zu lösen, sagte Walter Arendt. Heute, ein Jahr später, sagt dieselbe Regierung, das Problem sei jetzt nicht zu lösen. Was hat sich ereignet, was ist passiert? Hat sich seither die Kassenlage der Rentenversicherungen oder die Kassenlage der Krankenversicherungen wesentlich verbessert? Nein, das ist gar nicht der Fall. Hier gibt es aus der Sicht der Koalition eine ganz einfache, plausible Erklärung: Es müssen einige unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, und die will man ein Jahr oder ein halbes Jahr oder ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl nicht fällen. Man hat Angst, an diese Fragen heranzugehen.
({4})
Mit jedem Tag, den man weiter ins Land ziehen läßt, wird die Lage für diejenigen, die nachher zu bezahlen haben, schlimmer. Sie werden mehr bezahlen müssen, weil SPD und FDP dieses Problem nicht regeln, nicht lösen können.
Ich darf noch einmal wiederholen, was ich seit 1974 - erst im Alleingang, aber nachher im Namen meiner Fraktion - angeboten habe: Wir sind bereit, uns an der Lösung dieser Probleme zu beteiligen. Ich habe das hier offiziell gesagt.
({5})
- Lieber Herr Kollege Sund, ich weiß, daß Sie lesen können. Lesen Sie nach, was der Kollege Müller in der ersten Lesung zu diesem Problem gesagt hat.
Ich gebe freimütig zu: Darüber, ob der Weg, den wir vorgeschlagen haben, der richtige ist, läßt sich streiten. Nur seid ihr bei der Debatte im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auf diese Fragen gar nicht zurückgekommen, weil euch der Mut verlassen hat.
({6})
Und dann wollt ihr, daß wir für euch die Kastanien aus dem Feuer holen. Während wir euch anbieten, das aus dem parteipolitischen Gezänk herauszuhalten, habt ihr - auf Kosten der Beitragszahler draußen - gekniffen, diese Frage zu regeln.
({7})
Wie ist die Lage? Im Jahre 1977 wird bei den Rentenversicherungen eine Unterdeckung in Höhe von 16,3 Milliarden DM eintreten. Davon sind rund 6 Milliarden DM auf die Nichtregelung der Krankenversicherung der Rentner zurückzuführen. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich darüber Gedanken machen, wie Sie das im nächsten Jahr beitreiben wollen. Nach Aussage des Verbandes der Rentenversicherungsträger wird die Nichtregelung zum „Hauptbeschleuniger" des Defizits bei den Rentenversicherungsträgern.
Aber die Nichtregelung der Krankenversicherung der Rentner beunruhigt nicht nur die Selbstverwal17978
Franke ({8})
tungsorgane der Rentenversicherungen, sondern auch die der Krankenversicherungen. Nichtregelung heißt auch, die Krankenversicherungen, d. h. die Beitragszahler weiterhin durch Beitragserhöhungen zu belasten. Während wir noch 1969 in der Krankenversicherung einen Beitragssatz von etwa 7,5 bis 8 % hatten, haben wir heute einen Beitragssatz von 11,75 bis 12 %. Nach einer Schätzung der Krankenkassen steigt dieser Beitrag bis 1978/79 auf 14,5 bis 15 %, in einzelnen Fällen sogar auf 17 bis 18 %. Der Kollege Schmidt ({9}) von der FDP hat die Zahlen heute morgen in der Presse wiedergegeben. die effektiv auf den Beitragszahler zukämen.
Die Krankenversicherung der Rentner machte im Jahre 1975 etwa eine Summe von 17 bis 18 Milliarden DM aus. Von den Rentenversicherungen wurden nur Teile dieser Kosten erstattet. Bei den Krankenversicherungen verbleibt ein Defizit von 6 bis 7 Milliarden DM. Diese 6 his 7 Milliarden DM müssen durch die Krankenkassen in Form von Beitragserhöhungen von den Krankenversicherten beigetrieben werden.
({10})
Die Regierung macht es sich daher sehr einfach. Eine Beitragsänderung in der Rentenversicherung muß per Gesetz beschlossen werden. Die Beitragserhöhung letztlich auf die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen zu verlagern heißt, sich aus dem Geschäft zu stehlen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist keine verantwortliche Sozialpolitik.
({11})
Wir wissen sehr wohl, daß die Beitragszahler der Rentenversicherung und die der Krankenversicherung nahezu identisch sind. Herr Kollege Sund, Sie haben das während der ersten Lesung gesagt. Es ist völlig richtig: Zu 93 % besteht eine Kongruenz. Die Zahl der Beitragszahler in der Krankenversicherung ist um etwa 10 % höher als die Zahl der Beitragszahler in der Rentenversicherung. Es ist auch richtig, was Sie in der ersten Lesung gesagt haben: Im Grunde genommen ist es der gleiche Kreis, von dem wir die Beiträge letztlich beitreiben müssen. Aber durch Nichtregelung erledigt sich dieses Problem nicht, sondern man verlagert hier die Entscheidung auf die Sozialversicherungsträger, die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen. Den einen oder den anderen Teil muß man belasten; das wissen Sie sehr genau. Das wollen Sie den Bürgern vor der Bundestagswahl nicht sagen. Schmidt ({12}) sagt das heute morgen in der „Bild-Zeitung". Lieber Kollege Hansheinrich Schmidt, so einfach kann es sich die FDP aber nicht machen.
({13})
- Ich weiß das wohl, aber gesagt ist gesagt, und es stimmt ja leider, was der Kollege Schmidt ({14}) dort gesagt hat. Von der Korrektivfunktion, die sich die FDP in der Koalition hier immer selbst als Aufgabe gestellt hat, ist in diesem Bereich nichts zu sehen gewesen, obwohl unser Angebot, diese Frage zu regeln, bestand und hier im Plenum des Deutschen Bundestages offiziell oft genug wiederholt wurde. Nun wird auf die Zeit nach dem 3. Oktober verlagert.
({15})
- Lieber Kollege Glombig, ich kann verstehen, daß Sie unruhig sind. Wenn mein Koalitionspartner gesagt hätte, daß wir die Schuld daran hätten, daß diese Fragen nicht geregelt werden, wäre ich auch unruhig. Alle Anregungen und Vorschläge der CDU/CSU haben Sie in den Wind geschlagen. Sie haben es sogar abgelehnt, diese Fragen im Ausschuß zu beraten. Wir waren bereit, Unpopuläres mit zu tragen. Was wir jetzt nicht mit tragen, ist die offensichtliche Irreführung der Öffentlichkeit, die Sie in dem Glauben lassen wollen, im Bereich der Rentenversicherung und der Krankenversicherung gebe es keine Probleme. Walter Arendt wird den Bürgern mit dem Millionentitel der Steuergelder bis zum 3. Oktober weismachen wollen, es sei alles in Ordnung. Wir werden aber dafür sorgen, daß Schmidt ({16}) kontra Walter Arendt ({17}) draußen auch lesbar ist. Leider hat Schmidt ({18}) recht. Arendt verniedlicht und verschönt die Probleme, um den Bürgern nach dem 3. Oktober die Rechnung zu präsentieren.
({19})
Je länger wir mit diesen Regelungen warten, desto tiefer müssen die Bürger dann auf der Beitragsseite in die Tasche greifen, d. h., Sie langen in die Taschen der Bürger, um Ihre Fehlhaltung bei diesen Nichtentscheidungen letztlich bezahlen zu lassen. Die CDU/CSU fordert schon seit dem März 1974, die Regelung dieser Probleme anzugehen. Der Kollege Müller hat dies im März 1974 im Namen der Fraktion der CDU/CSU hier dargestellt. Sie sind auf dieses unser Angebot nicht eingegangen. Durch Sonntagsreden, Walter Arendt, und mit durch Steuergelder finanzierten Broschüren werden Sie dieses Problem nicht von der Tagesordnung bekommen. Wir werden Sie überall da, wo wir Sie stellen können, in der Öffentlichkeit stellen und sagen: Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht.
({20})
Daß wir in dieser Frage so weit gekommen sind, ist die Schuld von SPD und FDP. Die FDP sagt: Es ist die Schuld der SPD. Nein, es ist die Schuld dieser Koalition. Wir können dieser Ihrer Politik keine Zustimmung geben.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedaure eigentlich, daß auf Grund des vorhin gemeinsam gefaßten Beschlusses für die Abhandlung dieses Tagesordnungspunktes nur 60 Minuten zur Verfügung stehen und mir nur zehn Minuten bleiben.
({0})
Schmidt ({1})
- Herr Kollege Franke, das Thema, das Sie hier etwas ausgewalzt haben, wäre es natürlich wert, viel länger diskutiert zu werden. Ich werde mich aber bemühen, in zehn Minuten dazu Stellung zu nehmen und Sie vor allen Dingen etwas von dem zu lösen, was Sie aus der „Bild-Zeitung" von heute früh an Honig glaubten saugen zu können. Da ich kein Abonnent der „Bild-Zeitung" bin, habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, zu lesen, was dort steht.
({2})
- Ich lese nicht jeden Morgen die „Bild-Zeitung"; das ist wahrscheinlich Ihre Lektüre, nicht meine. Ich lese sie nicht jeden Morgen.
Um Ihre Äußerungen, Herr Kollege Franke, gleich als erstes abzuhandeln: Natürlich habe ich das, was Sie mir da vorgelesen haben - im Detail habe ich es noch nicht gesehen -, in diesem Hause schon in mehreren Debatten - nicht gestern oder vorgestern - für die Freien Demokraten ganz klar gesagt.
({3})
- Ich komme ja darauf, Herr Kollege Müller. Sie wissen, daß ich selten eine Antwort schuldig bleibe. Sie können sich darauf verlassen, daß ich, soweit es meine Zeit erlaubt, darauf eingehe.
Ich wiederhole, was ich von dieser Stelle schon mehrmals für die Freien Demokraten gesagt habe, nämlich daß wir uns um die Entwicklung der Kosten in der Krankenversicherung Sorgen machen. Ich habe von dieser Stelle aus mehrmals auf die unbestrittenen Zahlen hingewiesen, die - egal, ob sie von den Ortskrankenkassen, von Herrn Geißler oder von der Bundesregierung stammen - Entwicklungen aufzeigen, die uns Sorge machen müssen. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben gemeinsam über diese Fragen nachgedacht und Vorstellungen entwickelt.
Daß es nicht möglich war, das schon im Rahmen der Verabschiedung des KrankenversicherungsWeiterentwicklungsgesetzes, wie es ursprünglich hieß, konkret anzupacken, bedauern wir Freien Demokraten. Dieser Zusammenhang kommt wohl auch in dem Artikel der „Bild-Zeitung" zum Ausdruck. Aber warum war es nicht möglich, das alles noch zu machen? Herr Kollege Franke, Sie können Ihre Stellungnahme doch nicht besonders auf der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner, die hier nicht geregelt wird, aufbauen. Herr Franke, es ist etwas zu einfach, wenn die Opposition das, was ihr seinerzeitiger Arbeitsminister bezüglich der Krankenversicherung der Rentner verbockt hat, hier nun plötzlich der Opposition - Entschuldigung: der Koalition - vorwerfen will.
({4})
Wer war es denn, der diese Entwicklung ermöglicht hat? Herr Kollege Carstens, war es nicht die
Große Koalition? War es nicht der von Ihnen gestellte Arbeitsminister, der seinerzeit diese Finanzierungsformulierung „20 : 80" für die Krankenversicherung der Rentner einführte, obwohl er damals wissen mußte - denn das wurde damals schon klar -, daß aus 20 % Krankenversicherungsanteil und 80 % Rentenversicherungsanteil, weil das nicht dynamisiert war, ein Verhältnis von 50 : 50 mit hoher Belastung der Krankenversicherung werden mußte.
({5})
Das war doch Ihr Arbeitsminister! Herr Katzer war es doch, der als Bonbon die Einbeziehung aller Rentner in die Krankenversicherung der Rentner dem Hohen Haus vorschlug - auch jener Rentner, die nie eine echte Anwartschaft in der Krankenversicherung gehabt haben. Herr Spitzmüller hat damals von diesem Platz aus zu Herrn Katzer gesagt: Wenn ich, der ich in meinen ersten Berufsjahren einige Jahre versicherungspflichtig war und jetzt selbständiger Hotelkaufmann bin, 65 Jahre alt sein werde und dann eine ganz kleine Rentenanwartschaft habe, werde ich meine private Krankenversicherung kündigen und mich bei der Ortskrankenkasse in Nordrach anmelden, um kostenlos versichert zu sein. Das waren doch Sie, die das gemacht haben. Das waren doch Sie, die es eingeführt haben, daß - ich sage das ungeschützt - bei manchen Doppelversorgungen höchste Ministerialbeamte, die nebenbei eine kleine Rente haben, im Rentenalter kostenlos krankenversichert sein können. Das haben doch alles Sie getan. Wir haben das abgelehnt. Und heute sagen Sie: Diese Krankenversicherung der Rentner ist nicht in Ordnung!
Natürlich müssen wir sie regeln. Aber das geht nicht von heute auf morgen.
({6})
- Herr Kollege Franke, das geht eben nicht in dieser Form. So leicht kann man es sich nicht machen.
({7})
- Herr Kollege Franke, das geht eben nicht in der Form, wie wir es ursprünglich in einem guten Vorschlag im Entwurf hatten. Das wäre eine gute Übergangsregelung gewesen. Aber inzwischen hat sich gezeigt - das wissen Sie genauso wie ich - ({8})
- Sie können immer nicht warten, Herr Kollege Blüm.
({9})
Inzwischen sind die Entwicklungen über den zwei Jahre im Geschäftsgang befindlichen Entwurf hinweggegangen. Inzwischen hat sich gezeigt, daß wir den gesamten Komplex der Renten- und Krankenversicherung dabei gemeinsam sehen müssen. Inzwischen hat sich auch gezeigt, Herr Kollege Franke - damit komme ich auf das zurück, was Sie als Sprengstoff zwischen meinem Freund Walter Arendt und mich hineinzutragen versuchten -, daß man darüber nachdenken muß, ob nicht die eine
Schmidt ({10})
oder andere Maßnahme, die nicht mehr ganz der Solidarität unserer sozialen Sicherheit entspricht, geändert werden muß.
Wir haben hierzu Vorschläge gemacht. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Sie haben sie heute früh anscheinend alle in der „Bild-Zeitung" gelesen. Ich habe hier für die Freien Demokraten angeregt, daß dies im Rahmen dieses Gesetzes als erster Schritt geschehen sollte.
Es war infolge der Entwicklung aber auch nicht mehr möglich, die Krankenversicherung der Rentner in dieser Richtung schon einzubeziehen, weil es die Zeitverhältnisse nicht zuließen und es richtig erschien, auch die Entwicklung unseres Konjunkturzyklus abzuwarten und langfristig Konzepte zu entwickeln.
({11})
Was wir hierzu in mittel- und langfristiger Sicht zu sagen haben - aus Zeitgründen schenke ich es mir, es auszuführen -, steht anscheinend in der „Bild-Zeitung". Ich werde es nachher nachlesen. Ich nehme an, sie hat wahrheitsgetreu berichtet, so wie ich es hier schon zweimal gesagt habe, wie ich es für die Freien Demokraten aus der Sorge um die Gesamtsolidarität und die Möglichkeit der Finanzierung unserer sozialen Sicherung in allen Bereichen gesagt habe.
Ich habe nur noch wenige Minuten Zeit. Lassen Sie mich aber zum Gesetz selber noch etwas sagen. Worum geht es heute bei der Verabschiedung des nunmehr umbenannten Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts? Es geht um die Beantwortung der Frage, die immer wieder im Raum stand: Ist der ländliche Raum, sind die Stadtrandgemeinden ärztlich unterversorgt und dergleichen mehr?
Die Bundesregierung hat hier einen Entwurf vorgelegt. Der Ausschuß hat ihn auf Anregung der Freien Demokraten in einigen Passagen noch verbessern können. Dieser Entwurf hat das Beiwort „freiheitlich", mit dem der Kollege Biermann hier geendet hat, wirklich verdient. Herr Kollege Müller, es wäre sicher besser gewesen, Sie hätten in Ihrer Berichterstattung nicht noch einmal versucht, die Oppositionsanträge des Herrn Pirkl, die ja über Bayern, Bundesrat und zum Schluß auch wieder für die Opposition hier auf den Tisch gekommen sind, hochzuspielen.
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Es hat doch eigentlich genügt, daß wir schon in der ersten Lesung feststellen mußten, Herr Kollege Müller - das wurde Ihnen von allen Seiten, sogar von den zuständigen Organisationen bestätigt -, daß Herr Pirkl hier einen schweren Mißgriff getan hatte, als er in die dirigistische Schublade griff, als er von der Zusammenarbeit mit den Landesausschüssen, von Eingriffen und dirigistischen Maßnahmen sprach.
Soll ich Ihnen einmal vorlesen, was damals in den Fachzeitungen stand? Damit werde der Sicherstellungsauftrag der Reichsversicherungsordnung pervertiert. Soll ich Ihnen einmal vorlesen, was da alles war? Es wäre sicher besser gewesen, wenn man sich bei der CDU/CSU bemüht hätte, diese Initiativen des Herrn Pirkl etwas herunterzuspielen. Aber Sie haben das hier noch einmal dargelegt.
Was wir hier auf Grund der Vorlage der Bundesregierung mit Mehrheitsentscheidung des Ausschusses verabschieden, ist eine freiheitliche Alternative zu den dirigistischen Maßnahmen, die Sie in diesem Bereich wollen, ist eine Verbesserung des Kassenartzrechts im Sinne des Sicherstellungsauftrags der Reichsversicherungsordnung, ist abgestellt auf die Selbstverwaltung, von der wir Freien Demokraten eine sehr hohe Meinung haben, ist abgestellt - ({13})
- Sehen Sie, Herr Kollege Stücklen, so leicht kann man es sich nicht machen. Hier ist man als Opposition dirigistisch, legt dirigistische Anträge vor, aber woanders behauptet man, die Regierung sei dirigistisch und das dürfe alles nicht geschehen. Bleiben Sie einmal bei einer Meinung! Zeigen Sie mir einmal, wo hier Ihr Freiheitsbegriff ist, wenn das zur Durchführung käme, was Sie bezüglich der kassenärztlichen Versorgung wollen! Wo ist da Freiheit? Was Sie in Ihrem Vorschlag haben, ist ein Stückchen Sozialismus. Das lehnen wir ab. Deshalb ist die Mehrheitsentscheidung des Ausschusses die freiheitliche Alternative für das Kassenarztrecht und wird mit Sicherheit dazu beitragen, daß die ärztliche Versorgung, die in den letzten Jahren schon wesentlich besser geworden ist, noch besser werden kann, so daß jeder Bürger in seinem Land die ärztliche Versorgung hat, die wir als Freie Demokraten wünschen.
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Das Wort hat der Herr Staatsminister Dr. Pirkl.
Staatsminister Dr. Pirkl ({0}) : Frau Präsidentin! Hohes Haus! Das Gesetz, über das Sie jetzt beraten und entscheiden, das Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts, ist ein Gesetz, das auf die vom Freistaat Bayern im Bundesrat bereits im Juli 1974 eingebrachte Initiative zurückgeht. Reichlich spät, aber immerhin noch in dieser Legislaturperiode soll nun mit diesem Gesetz das unsere Bevölkerung so hautnah berührende Problem einer hinreichenden und alle Regionen der Bundesrepublik einigermaßen gleichmäßig erfassenden ambulanten ärztlichen Versorgung gesetzlich gelöst werden. Ich ergreife, Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Hohen Hause nicht nur deshalb das Wort, weil die erste Initiative zu diesem Gesetz vom Freistaat Bayern ausging, sondern vor allem auch deswegen, weil seine Regelungen die Flächenstaaten der Bundesrepublik und
Staatsminister Dr. Pirkl
damit natürlich auch Bayern in besonderer Weise tangieren.
({1})
Leider muß ich aber nun feststellen, daß die Fassung des Gesetzes, wie sie Ihnen der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mehrheitlich zur Annahme empfiehlt, nicht geeignet ist, die Fragen einer ausreichend gleichmäßigen ambulanten kassenärztlichen Versorgung freiheitlich und selbstverwaltungsgerecht, konfliktfrei und dauerhaft zu lösen. Nur eine Lösung auf der Grundlage der Vorschläge des Bundesrates würde die zuverlässige Gewähr dafür bieten, daß künftig jeder, insbesondere eben auf dem flachen Land, also auch in den unbeliebten Regionen, der den Arzt braucht, diesen auch in Ortsnähe findet.
Bei der ersten Lesung der beiden Gesetzentwürfe zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts vor fast genau einem Jahr in diesem Hohen Hause ging unser dringender Appell an Sie, sich nicht für das Modell der Bundesregierung, sondern für das selbstverwaltungsgerechte Kooperationsmodell des Bundesrates zu entscheiden. Der Ausschuß ist in seiner Mehrheit, wie gesagt, diesem Appell nun nicht gefolgt. Er hat sich mit seiner Zustimmung zur Konzeption der Bundesregierung einem Lösungsvorschlag angeschlossen, der von Anfang an - davon sind wir fest überzeugt - den Keim neuer, kaum lösbarer Konflikte zwischen Ärzteschaft und Versichertengemeinschaft bereits in sich trägt. Lassen Sie mich diese Befürchtung wenigstens in einigen wichtigen Hinsichten kurz näher erläutern.
Erstens. Wir sind uns sicher darin einig, daß wir ähnlich wie schon bisher im Bereich der stationären gesundheitlichen Versorgung unserer Bevölkerung, also im Krankenhauswesen, künftig auch für die ambulante kassenärztliche und kassenzahnärztliche Versorgung einen Bedarfsplan brauchen. Wie wir eben durch die Krankenhausplanung dafür zu sorgen haben, daß Krankenhäuser in allen Landstrichen in genügender Zahl und Qualität und in zumutbarer Entfernung unserer Bevölkerung zur Verfügung stehen, genauso müssen wir nun in dem Sektor der ambulanten Versorgung vorausschauend gewährleisten, daß genügend in freier Praxis tätige Allgemeinärzte, Fachärzte und Zahnärzte in allen Landesteilen für die Versicherten erreichbar sind.
Der Bedarfsplan, und zwar ein fachlich und regional möglichst weit differenzierter Bedarfsplan, als Kernstück und entscheidende Grundlage der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung kann aber nur dann seinen Sinn und Zweck erfüllen, wenn er einvernehmlich von der Ärzteschaft und den Krankenkassenverbänden getragen wird.
({2})
Gerade in diesem Punkt weicht unsere Auffassung von der Entscheidung der Ausschußmehrheit wesentlich ab. Wer nämlich die Notwendigkeit solcher Einvernehmlichkeit in der Regelung übersieht, riskiert schon bewußt ein brüchiges Fundament, er
riskiert die Wurzel sich fortpflanzender Konflikte, die dann in allen schwierigeren Einzelfällen aufbrechen werden, wenn man sich nicht von vornherein und ganz allgemein einvernehmlich geeinigt hat.
Mit dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen, rechtlich kaum faßbaren Postulat der bloßen Zusammenarbeit statt der Einvernehmlichkeit tut man sicherlich auch der Ärzteschaft - wenn das vielleicht mit dieser Regelung beabsichtigt sein sollte - im Ergebnis wirklich keinen Gefallen. Zweifelsohne wären die kassenärztlichen Vereinigungen fachlich und organisatorisch in der Lage, ausgezeichnete Bedarfspläne in alleiniger Verantwortlichkeit aufzustellen. Aber darum geht es hier ja nicht: um das Vermögen, um das In-der-LageSein, solche Bedarfspläne aufzustellen, sondern es geht darum, daß Ärzteschaft und Kassen von vornherein verpflichtet werden, eine gemeinsame, tragfähige und damit wirklich durchsetzbare Planungsgrundlage zu erarbeiten.
Es ist eine, wie ich meine, einfach logische Konsequenz aus der unserem Kassenarztrecht ganz allgemein und generell zugrunde liegenden Partnerschaftsidee, auch die Kassen von Anfang an in die Verantwortung mit einzubinden. Andernfalls würden sich die in schon genügend zahlreichen Bereichen auftretenden Spannungen zwischen Krankenkassen und Ärzten um eine weitere Variante vermehren. Daran kann doch wirklich niemandem gelegen sein.
Eines aber verstehe ich vor allem nicht, auch nicht bei den bereits heute vormittag hier vorgetragenen Argumenten: wie man den Bundesratsvorschlag als dirigistisch bezeichnen kann. Denn eine einvernehmliche Regelung in freier Partnerschaft, wie wir sie fordern, ist doch gerade das Gegenteil von Dirigismus; es ist die freiheitliche Lösung, auf die wir hinsteuern müssen, um den Dirigismus zu vermeiden.
({3})
Die zweite entscheidende Schwäche des Regierungsentwurfs und damit auch des Ausschußbeschlusses ist die mangelnde Koppelung von Bedarfsplanung und allenfalls notwendiger Zulassungsbeschränkung für neue ärztliche Praxen. Aus der Nichterfüllung des Bedarfsplans werden nämlich dort keinerlei unmittelbare Konsequenzen gezogen. Als Grundlage für mögliche Zulassungsbeschränkungen wird erst ein zusätzliches Kriterium, der kaum justitiable Begriff einer bestehenden oder gar nur drohenden ärztlichen Unterversorgung, eingeführt. Man muß sich doch ernstlich fragen, was die Aufstellung eines Bedarfsplans überhaupt noch soll, wenn seine Nichterfüllung nicht unmittelbar Konsequenzen ermöglicht.
({4})
In diesem Zusammenhang darf ich auf einen weiteren wichtigen Tatbestand in der Gesetzesvorlage hinweisen. Wir begrüßen es zwar, daß die verfassungsrechtlich notwendige Regelung, eine Zulassungsbeschränkung nur als allerletztes Mittel einzuführen, jetzt im Gesetz wenigstens ausdrücklich erwähnt ist. Wir bedauern es aber erneut, daß die
Staatsminister Dr. Pirkl
nähere Regelung der Zulassungsbeschränkung weiterhin nicht im Gesetz selbst, sondern in einer Verordnung erfolgen soll. Dies halten wir wegen der Wichtigkeit der hier zu regelnden Tatbestände für einen wesentlichen Mangel.
Als vierten gewichtigen Einwand gegen die hier vorliegende Konzeption des Gesetzes muß ich noch folgendes vorbringen. Mit der Schaffung der Möglichkeit zur Einführung kasseneigener Ambulatorien in § 368 s wird zweifelsohne ein Schritt getan, um den freien ärztlichen Berufsstand und die freie Arztpraxis zu gefährden. Die Erwartung der Bundesregierung, durch festangestellte Ärzte bei kasseneigenen Einrichtungen ambulante Versorgungsprobleme lösen zu können, muß schlechthin als Utopie erscheinen. Denn es dürfte doch wohl völlig unmöglich sein, in eine unterversorgte Region über Ambulatorien angestellte Ärzte zu bekommen, wenn man sie nicht in die freie Praxis bekommt. Dies ist doch eine Utopie.
({5})
Dieser § 368 s zeigt übrigens - gerade im Zusammenhang mit anderwärts in diesem Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten - gefährliche Tendenzen auf, denen es schon in den Anfängen zu wehren gilt, nämlich Tendenzen zur Aushöhlung der ärztlichen Tätigkeit in freiberuflicher Praxis. Und hier sind nun die dirigistischen Tendenzen erkennbar, nicht an einem anderen Punkt, sondern hier tritt der Dirigismus heraus. Als Beispiele möchte ich hier nur nennen: erstens die unmittelbare Inanspruchnahme von beteiligten Krankenhausärzten ohne Überweisungsschein; zweitens die sachwidrige Gleichstellung der Lehrkrankenhäuser mit poliklinischen Einrichtungen; drittens die ohne fachliche Prüfung vorgesehene Öffnung der psychiatrischen Krankenanstalten für ambulante Behandlung in der vom federführenden Ausschuß vorgeschlagenen Weise.
Lassen Sie mich, Frau Präsidentin, Hohes Haus, zusammenfassend feststellen: Die vorhandene Chance, Grundprobleme der ärztlichen Versorgung im Geiste der Partnerschaft und auf der Basis der freiheitlichen ärztlichen Berufsausübung zu lösen, ist mit dieser Konzeption nicht genutzt worden. Die Vorstellungen der Regierungskoalition sind in dieser Form nicht geeignet, die Probleme kassenärztlicher Versorgung krisenfest und dauerhaft zu bewältigen. Ich befürchte, daß mit diesem Gesetz keine tatsächliche Verbesserung der ärztlichen Versorgung verbunden sein wird. Gelingt uns diese Verbesserung der ambulanten ärztlichen Versorgung aber nicht, kann niemand ausschließen, daß dann Kräfte auf den Plan treten, die nach einer grundsätzlichen Veränderung unseres freiheitlichen und bewährten Kassenarztrechts rufen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn durch dieses hier zu verabschiedende Gesetz bereits Wege beschritten werden sollten, die, wie soeben aufgezeigt, die Grenzen unserer jetzigen Ordnung überschreiten.
Für den Freistaat Bayern muß ich hier deshalb leider erklären, daß wir dem Gesetz in der Fassung des Ausschusses im Bundesrat nicht zustimmen könnten. Ich bedaure dies um so mehr, als wir doch
mit dem Entwurf des Bundesrates einen konkreten und sachgerechten Lösungsvorschlag für die anstehenden Probleme auf den Tisch gelegt haben.
Erlauben Sie mir bitte noch eine Bemerkung, die über die hier vor allem von mir behandelte Frage hinausgeht und sich auf den möglichen und eigentlich dringend notwendigen Gesamtbereich des hier zu verabschiedenden Gesetzes bezieht. Bundesregierung und Koalition haben in dieser Materie nur dort gehandelt, wo sie durch die Initiative des Bundesrates in unabweisbaren Zugzwang geraten sind. So wurden z. B., wie hier bereits ausgeführt, die brennenden Fragen der Rentnerkrankenversicherung, die nach den ursprünglichen Vorstellungen der Bundesregierung mit diesem Gesetz gelöst werden sollten, nicht beantwortet. Damit wurde in Konsequenz auch versäumt, einen der unbedingt notwendigen Einstiege zur generellen Lösung der uns alle beschäftigenden Probleme der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen zu finden. Meine Damen und Herren, durch das Aufschieben dieser Probleme wird deren Lösung sicher nicht einfacher. Es bleibt nur zu hoffen, daß die nächste Bundesregierung und der 8. Deutsche Bundestag diese Fragen energischer und erfolgreicher angehen werden.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition sieht in dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts die gegenüber der entsprechenden Vorlage des Bundesrates eindeutig schlechtere Möglichkeit, die anstehenden Probleme im Rahmen des seit 1955 bewährten Kassenarztrechts zu lösen. Deshalb legen wir Ihnen die wesentlichen Punkte des Bundesratsentwurfs in Gestalt von Änderungsanträgen zum Entwurf der Bundesregierung vor.
Zwar gibt es auch bei uns über einzelne Vorschläge des Bundesratsentwurfs unterschiedliche Auffassungen: das wollen wir freimütig zugestehen.
({0})
Aber der entscheidende Vorzug dieses Entwurfs gegenüber dem der Bundesregierung liegt eindeutig darin, daß er den Rahmen des geltenden Kassenarztrechts nicht sprengt und insbesondere die darin vorgeschriebene Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung unserer Bevölkerung nicht durchlöchert. Hierzu werde ich bei der Begründung unserer einzelnen Anträge noch detailliert Stellung nehmen.
Uns scheinen die Vorschriften über die Bedarfsplanung in besonderem Maße zukunftsweisend zu sein. Hier bieten sich bedeutende Chancen auch im Hinblick auf das aktuelle Problem der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen. Ich meine damit
nicht nur eine Bedarfsplanung nach bundeseinheitlichen Kriterien für die ambulante Versorgung, sondern zugleich auch die sinnvolle, d. h. kosteneffiziente Verzahnung dieser ambulanten Bedarfsplanung mit den Krankenhausbedarfsplänen der Länder für die stationäre Versorgung unserer Mitbürger. Es kommt hier darauf an, daß der Bedarf an Kassenarztsitzen in optimaler Weise mit dem Bedarf an Krankenhausbetten abgestimmt wird, und zwar nicht nur regional, sondern überregional und damit bundesweit.
Im übrigen scheint meinen Freunden und mir der jetzt immerhin 21 Jahre währende soziale Friede zugunsten der Sozialversicherten auf der Grundlage des geltenden Kassenarztrechts durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung - allerdings für den Außenstehenden wegen der geschickt gemachten Verpackung kaum bemerkbar - bedroht, ja substantiell gefährdet. Denn diesmal haben die Veränderer, die Reformer, die das als Paradies anzupreisen pflegen, was sich bei näherer Betrachtung gewöhnlich als sehr irdischer Platz entpuppt, einen anderen, stilleren Weg gewählt als den, den wir in der gleichen Materie in den Massenmedien in der letzten Zeit mit steigender Sorge beobachten mußten. Wir messen also den Wert dieses Gesetzentwurfs und vor allem der Änderungsvorschläge der Koalition nicht an den wohltönenden Worten, die seine Entstehung begleiten und die besagten und besagen, daß in ihm die bewährten Grundsätze des fast ein Vierteljahrhundert geltenden Kassenarztrechts aufrechterhalten werden, sondern an dem, was er wirklich mit sich bringt.
In ihm gibt es vier Punkte, in denen es Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, eigentlich hätte leichtfallen müssen, unseren Wünschen und Anträgen entgegenzukommen, wo Sie aber durch die Art und Weise Ihrer Reaktion mit der wünschenswerten Deutlichkeit haben klarwerden lassen, worauf es Ihnen eigentlich ankommt und was Sie mit allen Worttiraden für den Sachkenner nur schwer verpacken konnten, nämlich auf die De-facto-Beseitigung einer der Grundsäulen des Kassenarztrechts, der Aufrechterhaltung des Systems der ambulanten ärztlichen Versorgung durch freiberuflich tätige Kassenärzte.
Lassen Sie mich das deutlich machen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthielt zur Regelung der Teilnahme der Universitätspolikliniken an der kassenärztlichen Versorgung für Zwecke der Lehre und Forschung die Bestimmung, daß ihnen zukünftig die sogenannten akademischen Lehrkrankenhäuser wegen der für die Durchführung der im Rahmen der ärztlichen Ausbildung vorgeschriebenen praktischen Ausbildung gleichgestellt werden sollen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wurde dazu ausgeführt, daß es sich hierbei um eine Folgeregelung einer in der Approbationsordnung vorgesehenen Klarstellung handeln solle.
Der Bundesrat beschloß in seiner Stellungnahme den Antrag auf Streichung dieser Vorschrift und begründete dies u. a. mit personellen, räumlichen und finanziellen Verhältnissen, die es in absehbarer Zeit nicht möglich erscheinen ließen, Polikliniken an akademischen Lehrkrankenhäusern zu eröffnen.
Wie wenig glaubhaft die Versicherung der Bundesregierung ist, daß der Einbau der sogenannten akademischen Lehrkrankenhäuser in die RVO nur eine Folgeregelung darstellen solle, zeigt die Tatsache, daß die Bundesregierung selbst es war, die in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage im Dezember 1975 wörtlich erklärt hat:
Die Bundesregierung zieht eine Änderung der Bundesärzteordnung und der Approbationsordnung für Ärzte mit dem Ziel einer Änderung der ärztlichen Ausbildung nicht in Betracht.
Ich wiederhole: „nicht in Betracht" ! Ich zitiere weiter mit Genehmigung der Frau Präsidentin:
Dies entspricht auch der Auffassung der Mehrzahl der Länder.
Offenbar um nicht vollends das Gesicht zu verlieren, haben die Koalitionsparteien als § 8 a in die Übergangsbestimmungen des Gesetzentwurfs eine Vorschrift aufgenommen, welche die sogenannte Folgevorschrift solange außer Kraft setzt, bis die Grundvorschrift vorhanden ist. Dies, meine Damen und Herren, halten wir erstens für juristisch in bemerkenswerter Weise unlogisch und zweitens deswegen für dekuvrierend, weil es die Absicht zeigt, die dahintersteht.
Da wir für gesetzgeberische Logik sind, fordern wir deshalb heute zum wiederholten Male die Streichung aller Vorschriften über die Teilnahme von akademischen Lehrkrankenhäusern an der kassenärztlichen Versorgung aus dem Entwurf, solange die Approbationsordnung nicht wirklich eine Ausbildungsphase für den Medizinstudenten in poliklinischer ambulanter Tätigkeit vorsieht. Wer dem nicht zustimmt, gibt nach unserer festen Überzeugung deutlich zu erkennen, daß er einen nach außen hin unverdächtigen Weg gesucht hat und glaubt gefunden zu haben, um das Kassenrecht auszuhöhlen.
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Meine Damen und Herren, es gibt neben diesen eben genannten, mehr formalen Gründen auch ganz handfeste sachliche Argumente, die gegen die von der Koalition gewünschte Einbeziehung der poliklinischen Ausbildung an den Lehrkrankenhäusern in den Gesetzentwurf sprechen. Es führt eindeutig zu einer weiteren Spezialisierung und geradezu zu einer Superspezialisierung bei der ärztlichen Ausbildung, und wir entfernten uns immer weiter von der Forderung, die wir alle gemeinsam stellen, nämlich daß wir in Zukunft mehr Allgemeinärzte für die bessere Versorgung der Bevölkerung haben sollten.
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Unser zweites Indiz dafür, daß es der Regierungskoalition gar nicht um die Erhaltung der Grundsätze des Kassenrechts, sondern letztlich um deren langfristige Aushöhlung geht, ist die Erweiterung des § 368 n Abs. 6 RVO, den wir gerade vor kurzem im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 218 StGB in die RVO eingeführt haben und der be17984
kanntlich einen Anspruch von Krankenhäusern als Institutionen auf Abschluß von Verträgen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über den ambulanten Schwangerschaftsabbruch schaffte. Hierbei haben - und jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, kann es nachlesen - Vertreter der Koalitionsfraktionen in diesem Hause und der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in seinem Schriftlichen Bericht ausdrücklich erklärt, daß dies eine absolute Ausnahmeregelung sein solle und werde. Herr Kollege Hölscher von der FDP hat z. B. gesagt, daß hierin nicht etwa ein erster Schritt zu Ambulatorien gesehen werden dürfte - „ganz und gar nicht" hat er sogar hinzugefügt -, sondern eine einmalige Ausnahmeentscheidung im Interesse einer optimalen Versorgung der Hilfesuchenden.
Es ist sicher nicht nur für die Ärzte, sondern darüber hinaus für viele an der Funktion der sozialen Krankenversicherung Mitwirkende von ganz besonderem Interesse, jetzt feststellen zu können, einen wie kurzen Bestand diese seinerzeit doch so klaren, so eindeutigen Erklärungen des politischen Willens gehabt haben. Man wird mir entgegenhalten, daß der Bericht des Ausschusses ja die Klarstellung enthalte, daß die Vorschrift über die psychiatrischen Krankenhäuser und über selbständige, unter fachärztlicher Leitung stehende psychiatrische Abteilungen keinen Ersatz für die persönliche Beteiligung von Ärzten darstellen soll.
Nach dem von mir eben erwähnten Realitätsgehalt und der Bestandsdauer der schriftlichen und mündlichen Erklärungen im Zusammenhang mit dem ambulanten Schwangerschaftsabbruch in Krankenhäusern sehen wir uns jedoch nicht imstande, unsere Zustimmung zu dieser Vorschrift zu geben, es sei denn, die Regierungskoalition ist bereit, die schriftlichen und mündlichen politischen Erklärungen über ihr Wollen und ihre Vorstellungen in das Gesetz selbst aufzunehmen. Das, meine Damen und Herren, können Sie doch eigentlich nur verweigern, wenn Sie Ihre eigenen Erklärungen nicht so ernst genommen sehen möchten, sondern hinter diesem Vorhang das zu erreichen wünschen, was der Sachkenner hinter solchen Winkelzügen vermuten muß, nämlich die Einführung von Ambulatorien und Polikliniken in die ambulante Krankenversorgung, beginnend mit dem Bereich der Psychiatrie und dann fortschreitend mit Hilfe des Grundsatzes der Gleichbehandlung gleicher Tatbestände auch für Krankenhausabteilungen anderer Fachgebiete.
Herr Staatssekretär Wolters hat vor dem Bundesverband der Ortskrankenkassen bereits am 14. September 1973 in Boppard in dankenswerter Offenheit erklärt, daß seiner Auffassung nach die uneingeschränkte Aufrechterhaltung des monopolartigen Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigungen nichts mehr gemein habe mit den sozialpolitischen Absichten bei der Entstehung des Kassenarztrechts und lediglich mit ökonomischen Partikularinteressen erklärbar sei.
Sollte dies nicht Ihre Auffassung sein, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, können Sie dies nur dadurch zum Ausdruck bringen, daß Sie das, was Sie als Ihren Willen bezeichnen,
nicht de facto völlig unverbindlich im Ausschußbericht niederlegen, sondern im Gesetz selbst.
Lehnen Sie das aber ab, dann seien Sie sich darüber im klaren, daß Sie damit endgültig den Beweis für die Richtigkeit meiner Ausführungen über das Ziel, das Sie auf diese Art und Weise erreichen wollen, vor der gesamten interessierten Öffentlichkeit geliefert haben und liefern, ganz abgesehen davon, daß Sie nach meinem persönlichen Empfinden der Glaubwürdigkeit politisch-parlamentarischer Erklärungen über die Motive für Gesetzesänderungen einen schweren Schlag versetzt haben. Wir verwenden in der Medizin sogenannte Einmalspritzen , die nach Gebrauch weggeworfen werden. Wenn Erklärungen über das Ziel von Gesetzentwürfen bzw. Gesetzen so behandelt werden wie diese Spritzen, dann dürfen wir uns nicht über Reaktionen wundern, die uns allen unlieb sind. Das geschieht gleichzeitig mit dem gerade von den Kassenärzten tätig bewiesenen Willen, der Kostenexpansion im Gesundheitswesen und in der sozialen Krankenversicherung an führender Position entgegenzuwirken.
Zusammenfassend möchte ich zu diesem Änderungswunsch der Koalition gegenüber dem Regierungsentwurf festhalten, daß er auf eine von uns nicht gewünschte Institutionalisierung der psychiatrischen Versorgung hinausläuft. Dies widerspricht auch dem wesentlichen Anliegen der PsychiatrieEnquete, nämlich die psychiatrische Behandlung endlich auch in den Augen der breiten Öffentlichkeit der übrigen ärztlichen Behandlung gleichzustellen. Wesensmerkmal der ärztlichen Behandlung - dies ist doch wohl bis jetzt zwischen uns noch unumstritten - ist gerade nicht die Institutionalisierung, sondern das persönliche und individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis. Durch den Koalitionsantrag wird also unter diesen für den Therapieerfolg wesentlichen Gesichtspunkten die psychiatrische Versorgung und damit der psychisch kranke Mitbürger erneut diskriminiert.
Meine Freunde und ich sind drittens der Auffassung, daß die Bestimmung des § 268 s des Entwurfs, die den Krankenkassen die Möglichkeit eröffnen soll, nach Scheitern aller sonstigen Sicherstellungsmaßnahmen Eigeneinrichtungen zu betreiben, gestrichen werden muß. Wer den Gesetzentwurf kennt, wird zugeben müssen, daß eine solche Bestimmung entweder nur der Fixierung einer weiteren Möglichkeit der institutionalisierten Behandlung von Patienten dient oder aber wirklich nur auf dem Papier steht, weil jede denkbare andere Möglichkeit vorher ausgenutzt worden sein wird, es sei denn, Sie unterstellen der ärztlichen Selbstverwaltung, wissentlich und willentlich solche Situationen herbeizuführen.
Hier muß auch einmal auf die interessanten Ausführungen des Vertreters der Ersatzkassenverbände bei der letztjährigen Sachverständigenanhörung hingewiesen werden, der sich entschieden gegen eine solche Möglichkeit des Übergangs des Sicherstellungsauftrags in die alleinige Verantwortung der Krankenkassen aussprach, weil er sich keinen
Erfolg von einer solchen Maßnahme versprechen könne, nachdem es bereits den Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihrem umfangreichen Instrumentarium nicht gelungen ist, den betreffenden freien Kassenarztsitz zu besetzen. Man muß sich wirklich fragen, was die Koalition mit einer solchen, nicht einmal von den Krankenkassen einmütig gewünschten Verlagerung des Sicherstellungsauftrags beabsichtigt, wenn nicht die Sprengung des gegenwärtigen Systems! Nach unserer Überzeugung handelt es sich hierbei also um eine sinnlose Vorschrift mit rein deklamatorischem Charakter und einer unübersehbaren Signalwirkung in Richtung einer weiteren Institutionalisierung der Medizin.
Im übrigen möchte ich hier die Wortführer der Koalition auf einen logischen Knick in ihrer Argumentation hinweisen, wenn sie einerseits bei der Bedarfsplanung den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem Hinweis verteidigen, es gehe um die Beibehaltung klarer Verantwortungsbereiche der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen, andererseits aber mit der Vorschrift des § 368 s RVO sogar in Einzelfällen eine völlige Umkrempelung der Verantwortung für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung herbeiführen wollen.
Schließlich treten meine Freunde und ich mit allem Nachdruck dafür ein, die Nr. 29 Buchstabe b des Entwurfs, die eine besondere kassenärztliche Fortbildung vorsieht, zu streichen. Vor wenigen Wochen hat der Deutsche Ärztetag in einer Musterberufsordnung für die Ärztekammern der Länder die allgemeine Berufspflicht des Arztes zur Fortbildung klar und ausführlich geregelt. Frau Bundesminister Focke hat diese Beschlüsse in aller Öffentlichkeit auf dem kürzlich beendeten Berliner Fortbildungskongreß ausdrücklich begrüßt.
Wir würden es für eine verhängnisvolle Fehlentwicklung halten, wenn man etwa neben der allgemeinen ärztlichen Fortbildung und den sie regelnden Berufsordnungsvorschriften, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ohnehin integraler Bestandteil des Kassenarztrechts sind, eine besondere kassenärztliche Fortbildung vorsehen und in der RVO verankern würde. Der Patient hat nach den Vorschriften des § 368 e RVO das Recht auf die nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßige und notwendige Behandlung. Was jeweils Regeln der ärztlichen Kunst sind, das darzulegen ist eine wesentliche Aufgabe der allgemeinen ärztlichen Fortbildung und nicht etwa die einer speziellen kassenärztlichen Fortbildung.
Lassen Sie mich abschließend wiederholen, daß für uns das Kassenarztrecht und seine weitere Entwicklung ein überaus bedeutungsvoller Teil der Gesellschaftspolitik ist. An unseren gesellschaftspolitischen Auffassungen und Überzeugungen haben wir den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form gemessen und gewertet. Ich habe Ihnen unsere Auffassung dargelegt,
({3})
unsere Anträge begründet. und Sie gebeten, logische klare Konsequenzen aus Ihren eigenen mündlichen und schriftlichen Erklärungen zu ziehen.
Ich bitte, die vorgesehenen Redezeiten einzuhalten. Ich bitte Sie herzlich, Frau Kollegin, zum Schluß zu kommen.
Im Sinne einer sachlichen Verbesserung unserer gemeinsamen Anliegen bleibt uns dann nur noch die Hoffnung auf den Bundesrat, der bei diesem zustimmungspflichtigen Gesetzentwurf nichts unversucht lassen sollte, um in den von mir genannten Punkten letztlich doch noch zu einigermaßen befriedigenden Regelungen zu kommen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kratz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich einmal die vereinbarte Redezeit, die im Ältestenrat und auch unter den Fraktionsgeschäftsführern abgesprochen war, ansieht, und wie sie von den einzelnen Fraktionen in Anspruch genommen ist, könnte man daraus den Schluß ziehen, daß das schlechte Gewissen die Opposition treibt, hier mit so vielen Rednern und auch entgegen der vereinbarten Zeit so lange zu sprechen.
({0})
Herr Kollege Franke, nun wäre es natürlich hochinteressant, das eine oder andere auch zu Ihren Ausführungen zu sagen. Ich will es kurz machen und will es auch der Frau Präsidentin im Rahmen der verabredeten Zeiten nicht allzu schwer machen. Sie tönen hier in Ihren uns schon reichlich bekannten Fensterreden herum, als wenn Sie wirklich im Ausschuß zu dem Thema, zu dem Sie gesprochen haben, Anträge vorgelegt hätten. Das haben Sie aber gar nicht. Sie werfen uns vor, wir hätten Ihre Anträge in den Wind geschlagen. Wie kann man denn in den Wind schlagen, was gar nicht vorliegt?
({1})
- Da waren Sie noch gar nicht da, Herr Stücklen. Das haben Sie nicht mitbekommen, als Herr Franke hier gesprochen hat. Sie wissen deshalb auch nicht, worum es hier geht. Man kann also nichts in den Wind schlagen, was Sie gar nicht vorgelegt haben. Sie haben ein seltsames Verständnis, eine seltsame Auffassung von der parlamentarischen Demokratie, wenn Sie sagen, es sei nicht die Aufgabe der Opposition, der Regierung die Antwort abzunehmen. Da kann man geteilter Auffassung sein. Es ist aber die Aufgabe der Opposition, innerhalb der parlamentarischen Demokratie konstruktiv mitzuarbeiten.
({2})
Wenn Sie glauben, uns hier vorwerfen zu können, wir hätten etwas in den Wind geschlagen, was gar nicht da war, dann ist das eben Ihre konstruktive Politik, die Sie in den letzten vier Jahren gezeigt
haben, nicht nur zu diesem Punkt, sondern auch zu anderen Punkten.
Meine Damen und Herren, nun zu den Änderungsanträgen. Was kann man dazu sagen?
({3})
Die Frau Kollegin Neumeister ist ja auch nicht konkret auf die Änderungsvorschläge eingegangen. Der Herr bayerische Staatsminister weiß genau Bescheid, nachdem er den Bundesratsvorschlag, der weitgehend von ihm konzipiert ist, mit unseren Vorschlägen verglichen hat. Sie haben ja aus dem Bundesratsvorschlag Ihre Anträge fast wörtlich übernommen, ich möchte fast sagen, kritiklos übernommen und damit einen dirigistischen Vorschlag und dirigistische Anträge, wie sie der Herr bayerische Staatsminister ursprünglich vorgesehen hat, hier vorgelegt. Das entbehrt doch nicht einer gewissen Pikanterie, Frau Kollegin, wenn gerade Sie als Ärztin hier Thesen vertreten wollen, die Ihnen die Ärzteschaft draußen nicht abnimmt. Ich habe in vielen Gesprächen auch in meiner Eigenschaft als Organmitglied einer großen Selbstverwaltungskörperschaft von Ärzten gehört, daß sie der Vorlage der Regierung bei weitem den Vorrang vor dem geben, was die bayerische Staatsregierung als Bundesratsantrag eingebracht hat.
({4})
- Sie kennen ihn wahrscheinlich kaum, Herr Stücklen. Wenn Sie die Entwürfe wirklich verglichen hätten, müßten Sie auch zu unserer Auffassung kommen. Der bayerische Staatsminister hat sich ja wahrscheinlich deswegen so bemüht, weil er die dirigistische Tendenz in seinem Antrag erkannt hat - „Freiheit oder Sozialismus" kommt ja aus Bayern -, die Dinge hier so darzustellen, als sei dieses dirigistische Zeug, was da vorgelegt worden ist, der Freiheit letzter Schluß entsprechend Ihrem Slogan.
({5})
Da müssen Sie ihn aber schnell umändern, denn hier kommen Sie mit diesem Slogan nicht zum Zuge.
Meine Damen und Herren, die Zeit erlaubt es nicht, jetzt auf alle Einzelheiten einzugehen. Sie werden mir allerdings eines gestatten, sehr verehrte Frau Kollegin, zu Ihren Ausführungen zur Psychiatrie doch noch einiges zu sagen. Ich werde den Eindruck nicht los, daß Sie im Ausschuß in diesem Punkt völlig anders argumentiert haben und in der Endphase unserer Meinung waren, daß man auch in Erfüllung der vorgelegten Enquete zur Psychiatrie etwas für die Psychiatrie tun muß. So habe ich und haben wahrscheinlich auch die übrigen Kollegen Ihre Diskussionsbeiträge verstanden.
Wir sind jedenfalls sehr stolz darauf - erlauben Sie mir, das in ein paar Sätzen hier noch zu erläutern -, daß mit der Weiterentwicklung dieses Gesetzes in der Versorgung unserer psychisch kranken Mitbürger ein deutlicher Schritt nach vorn in die richtige Richtung getan wird. Wir beklagen alle, daß
die ambulante Versorgung der psychisch Kranken besonders unter der geringen Zahl niedergelassener Nervenärzte leidet. Das haben auch Sie, Frau Kollegin, im Ausschuß nicht bestritten; dort waren Sie mit uns einer Meinung. Zudem bringt die Grenze zwischen ambulantem und stationärem Sektor in der Psychiatrie besondere Probleme mit sich. Das wissen Sie als Ärztin ganz genau, und Sie müssen es auch als Ärztin wissen. Hier fehlen Zwischenstufen in der Versorgung, von einer Versorgungskette, von einem zügigen Aneinanderreihen, ganz zu schweigen. Dies führt dazu, daß die Patienten schlecht auf das vorbereitet sind, was sie draußen erwartet, wenn sie die Klinik verlassen. Angesichts der zu niedrigen Zahl niedergelassener Nervenärzte mußten die Patienten sehr oft die Klinik bald wieder aufsuchen. Sie wissen, daß man in diesem Zusammenhang von einer „Drehtür-Psychiatrie" sprach: auf der einen Seite heraus und auf der anderen gleich wieder hinein.
({6})
- Das wollen Sie uns doch wohl nicht auch noch zum Vorwurf machen? Oder wollen Sie uns eventuell zum Vorwurf machen, daß das so ist? Wir bemühen uns hier, das jetzt zu regeln, und dazu sollten Sie uns Ihre Unterstützung geben, weil das dringend notwendig ist. Auch das ist die Aufgabe der Opposition.
({7})
Wir bieten jetzt den Patienten an, dort, wo es möglich ist, auch in den Kliniken ambulant behandelt zu werden, und das ist gut so, Frau Kollegin. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir uns in der prinzipiellen gesetzlichen Ausgestaltung dieser Öffnung an das Modell angelehnt haben, das im Zusammenhang mit dem Strafrechtsergänzungsgesetz bei der ambulanten Durchführung des Schwangerschaftsabbruch in Kliniken zum erstenmal formuliert wurde. Wir halten das für eine gute, für eine sinnvolle Regelung. Meine Damen und Herren von der Opposition, es wäre sehr gut, wenn Sie diesem unserem Gesetz im Interesse der Menschen und der Bürger draußen in unserem Lande zustimmen könnten.
Lassen Sie mich aber zum Schluß noch folgendes sagen. Allein die Tatsache, daß der Herr bayerische Staatsminister zum Schluß seiner Rede hier bereits angekündigt hat, daß Sie dieses Gesetz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Bundesrat ablehnen und dann sicherlich im weiteren Verlauf den Vermittlungsausschuß anrufen werden, zwingt uns zu der Frage, ob die Oppostiion in Verbindung mit dem Bundesratsvorschlag überhaupt eine gesetzliche Regelung wünscht.
({8})
Meine Damen und Herren, wir haben die Redezeit weit überschritten. Die FDP verzichtet deshalb auf weitere Wortmeldungen.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des KrankenversicherungsWeiterentwicklungsgesetzes fügen wir der langen Reihe von sozialpolitischen Gesetzen in dieser Legislaturperiode ein weiteres wichtiges hinzu. Deshalb möchte ich den Damen und Herren des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die auch das jetzt anstehende Gesetz zur Verabschiedung vorbereitet haben, ganz besonders danken.
Dieses Gesetz verfolgt das Ziel, auch im Bereich der ärztlichen Versorgung mehr Chancengerechtigkeit zu verwirklichen. Konkret geht es darum, den Versicherten und ihren Familienangehörigen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie der Möglichkeiten der Rationalisierung und Modernisierung zur Verfügung zu stellen. Schlicht und einfach heißt das: Ein Versicherter, der auf dem Lande oder am Stadtrand wohnt, soll dadurch nicht benachteiligt sein, wenn er ärztliche Versorgung in Anspruch nehmen muß. Darauf sind die Vorschläge des Gesetzes ausgerichtet.
Sie reichen von einer Bedarfsplanung der kassenärztlichen Versorgung über einen Ausbau des Instrumentariums, das den Kassenärztlichen Vereinigungen eine effektive Sicherstellung ermöglichen soll, bis zu besonderen Maßnahmen im Falle drohender oder bereits eingetretener Unterversorgung. Ich begrüße es, daß der Ausschuß dabei der Konzeption des Regierungsentwurfs gefolgt ist, die auf eine Stärkung der Selbstverwaltung von Kassenärzten und Krankenkassen in der Wahrnehmung dieser Sicherstellungsaufgaben zielt und staatliche Lenkungsmaßnahmen vermeidet.
Ebenso ist auch der Grundgedanke des Regierungsentwurfs bestätigt worden, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen eng mit den Krankenkassen zusammenarbeiten, um eine Bedarfsplanung zu entwickeln, die den hohen Stand der medizinischen Versorgung auch in den nächsten Jahren voll aufrechterhält und weiterentwickelt.
Erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zur Zielsetzung des Gesetzes aus aktuellem Anlaß. In letzter Zeit ist verschiedentlich die Meinung geäußert worden, eine Zunahme der absoluten Zahl der Ärzte - man sprach sogar von einer kommenden Arztschwemme - schaffe das Problem medizinisch unterversorgter Gebiete aus der Welt; daher bedürfe es einer Regelung zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechtes nicht. Diese Meinungen gehen am Ziel des Gesetzes vorbei. Das Gesetz ist nicht auf ein aktuelles Unterversorgungsproblem ausgerichtet; denn im allgemeinen ist die ärztliche Versorgung gesichert.
Hauptsächlich geht es vielmehr darum, eine Grundlage zu schaffen, die auch langfristig die ärztliche Betreuung der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte in quantitativer und qualitativer Hinsicht gewährleistet. Darauf soll durch strukturelle Verbesserungen Einfluß genommen werden. Im übrigen löst die Zunahme der absoluten Zahl der Ärzte
noch nicht das Problem ihrer bedarfsgerechten Verteilung und auch nicht den zunehmenden Mangel an praktischen Ärzten.
Herr Müller hat in seinem Ausschußbericht hervorgehoben, daß die Kollegen der Opposition im Ausschuß dem Bundesratsentwurf den Vorzug gegeben haben. Ich möchte jetzt nicht mehr auf die einzelnen Unterschiede der beiden Entwürfe eingehen, sondern daran anknüpften, daß beiden Entwürfen gemeinsam ist, daß die Voraussetzungen für eine verbesserte ärztliche Versorgung jetzt geschaffen werden müssen. Diese gemeinsame Absicht sollten Sie als Opposition nicht aus dem Auge verlieren, wenn es um die politische Entscheidung der zwischen der Koalition und Ihnen offenen und streitigen Fragen geht.
Lassen Sie mich das auch noch feststellen: Sie sollten Ihre politische Position gegenüber den Ärzten auch deutlich machen, wenn Sie der anerkannt liberalen und flexiblen Lösung nicht Ihre Zustimmung geben wollen.
({0})
Wenn Sie bedenken, daß der dem Bundesratsentwurf zugrunde liegende Entwurf des Landes Bayern durch dirigistische Lösungen gekennzeichnet ist, bietet sich Ihnen mit dem Vorschlag der Koalition die Alternative: Freiheit statt Dirigismus,
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und für Herrn Pirkl die Devise: Freiheit oder Dirigismus. Und da entscheiden wir uns für die Freiheit.
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Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat aus dem Regierungsentwurf Änderungen und Ergänzungen zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung übernommen. Sie sind darauf gerichtet, rechtliche Unzulänglichkeiten zu beseitigen, die sich seit Einführung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung herausgestellt haben. Die Bundesregierung begrüßt diesen Beschluß ebenso wie die weiteren Vorschläge des Ausschusses. Die vorgeschlagenen Änderungn der Vorschriften über die Krankenversicherungsträger zielen darauf ab, den freiwilligen Zusammenschluß in größere und leistungsfähige Verwaltungseinheiten zu erleichtern. Damit trägt man zweifelsohne zur Verbesserung der Organisationsstruktur der Krankenversicherungsträger bei.
Der federführende Ausschuß hat die Vorschläge im Regierungsentwurf über die Krankenversicherung der Rentner jetzt nicht aufgenommen. Ich habe Verständnis für die hierbei angestellte Überlegung, die sich abzeichnende Beitragsstabilität in der Krankenversicherung für die Jahre 1976 und 1977 nicht aufs Spiel zu setzen. Allerdings werden wir dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode wieder aufzunehmen haben. Ich bin zuversichtlich, daß uns dies angesichts des eingetretenen Wirtschaftsaufschwungs leichterfallen wird, als dies in den vergangenen Monaten der Fall gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich auf folgendes hinweisen. Sobald die Vorschriften des Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes in Kraft treten, werden auf die Selbstverwal17988
tung von Kassenärzten und Krankenkassen neue Aufgaben zukommen. Die Bundesregierung hat das Vertrauen in die Kraft der Selbstverwaltung, daß sie auch diese Aufgaben bewältigt. Sie appelliert hier insbesondere an die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen eng und vertrauensvoll zu gestalten. Die Bundesregierung wird ihrerseits die erforderlichen Änderungen der Zulassungsordnungen für Kassenärzte und Kassenzahnärzte unverzüglich vorbereiten. Sie wird damit die Voraussetzungen für eine baldige Anwendung des neuen Instrumentariums zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung schaffen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, der Gesetzesvorlage Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Ich schließe die Debatte und rufe nun die Einzelbestimmungen auf. Zunächst Art. 1 § 1 Nr. 3 a. Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 9 a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5446 ein interfraktioneller Antrag auf Streichung vor. Meine Damen und Herren, wer diese Streichung erreichen möchte, muß jetzt mit Nein stimmen, wenn ich den Ausschußantrag zur Abstimmung stelle. Wer Art. 1 § i Nr. 9 a in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Danke schön. Damit ist dem Änderungsantrag entsprochen worden. Die aufgerufene Bestimmung ist somit gestrichen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 9 b bis e, 11 a und 22 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen sind die aufgerufenen Bestimmungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 23 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 7/5429 unter den Ziffern 1, 2 und 3 Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesen Änderungsanträgen der Fraktion der CDU/ CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind abgelehnt.
Wer Art. 1 § 1 Nr. 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 24 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 7/5429 unter den Ziffern 4 und 5 Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind mit Mehrheit abgelehnt.
Wer Art. 1 § 1 Nr. 24 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit
Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 25 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5429 unter Ziffer 6 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Art. 1 § 1 Nr. 25 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 26 auf. Dazu liegt in der Drucksache 7/5429 unter Ziffer 7 ein Änderungsantrag von der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 1 § 1 Nr. 26 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 27 bis 29 in der Ausschußfassung auf.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimmungen sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 30 auf. Dazu liegt in der Drucksache 7/5429 unter Ziffer 8 ein Änderungsantrag der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 1 § 1 Nr. 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 31 und 32 auf.
Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 33 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/5429 unter Ziffer 9 vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 1 § 1 Nr. 33 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 1 Nr. 34, 39, 40, 41 a, 42, 43, 48 und 49, Art. 1 §§ 2, 3 und 4 und Art. 2 jeweils in der Fassung des Ausschußantrags sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung mit Mehrheit angenommen.
Präsident Frau Renger Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht.
({0})
- Das ist doch nicht vorgesehen, Herr Kollege! Jetzt haben wir die Redezeit sogar interfraktionell verlängert. Ich bitte sehr herzlich, nun keiner Verlängerung mehr zuzustimmen.
Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung, um noch einigermaßen unsere Verabredung einzuhalten.
({1})
- Aber ich bitte Sie! Das geht nicht! Wir haben heute früh eine andere Abmachung gehabt. Ich bitte, jetzt zur Schlußabstimmung zu kommen.
Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in der dritten Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Wir haben noch über zwei Ausschußanträge abzustimmen.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5365 unter Nr. 2, den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung - Drucksache 7/3337 - durch den soeben gefaßten Beschluß für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß beantragt außerdem auf Drucksache 7/5365 unter Nr. 3, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ich bemerke keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden.
Die Beratung dieses Tagesordnungspunkts ist damit beendet.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Enwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfasfungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes
- Drucksachen 7/4005, 7/3729 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 7/5401 Berichterstatter:
Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Kunz ({3})
({4})
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Vogel ({5}), Kunz ({6}), Dr. Jaeger, Erhard ({7}), Dr. Lenz ({8}), Dr. Wittmann ({9}) und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Rechtspflege
- Drucksache 7/3116 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({10})
- Drucksache 7/5401 Berichterstatter:
Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Kunz ({11})
({12})
c) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung
- Drucksache 7/3649 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({13})
- Drucksache 7/5401 Berichterstatter:
Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Kunz ({14})
({15})
d) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen
- Drucksache 7/3661 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({16})
- Drucksache 7/5401 Berichterstatter:
Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Kunz ({17})
({18})
e) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Strafverfolgung krimineller Vereinigungen
- Drucksache 7/3734 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({19})
- Drucksache 7/5401 Berichterstatter:
Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Kunz ({20})
({21})
f) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen
- Drucksache 7/4004 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({22})
- Drucksache 7/5401 17990
Abgeordneter Gnädinger Abgeordneter Kunz ({0})
({1})
Weiter rufe ich den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eine Gesetzes zur Beschleunigung strafrechtlicher Verfahren
- Drucksache 7/5267 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Wir führen eine verbundene Debatte. - Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Gnädinger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der heute zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf hat eine bessere Bekämpfung des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel. Die Vorschriften richten sich erklärtermaßen gegen alle Mitglieder und Helfer terroristischer Vereinigungen.
Inhaltlich geht es um einen neuen Straftatbestand, nämlich den der terroristischen Vereinigung. An ihm orientieren sich die Erweiterung der Anzeigepflicht sowie eine Verschärfung des Haftrechts. Zugleich soll der schriftliche Verkehr zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten überwacht werden, wenn dieser wegen des dringenden Verdachts der Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung in Haft genommen werden mußte. Weitere Vorschriften betreffen die zentrale Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts sowie Änderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung.
Lassen Sie mich zu Beginn mit Nachdruck und Deutlichkeit sagen, daß wir Sozialdemokraten in dem heute zu verabschiedenden Gesetzeswerk den Abschluß der justizpolitischen Gesetzgebung auf diesem Gebiet sehen. Meine Damen und Herren, es wäre ein schwerer Irrtum, zu meinen, die Aktivitäten der Terroristen hätten in den vergangenen Monaten nachgelassen. Das Gegenteil ist der Fall. Aus diesem Grunde ist die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs, der hier vor über einem Jahr eingebracht wurde, nach wie vor dringend notwendig. Der Vorwurf einer übereilten Beratung kann allerdings nicht erhoben werden.
Sicherlich gibt es Meinungen - wohl eher außerhalb des Parlaments -, nach denen Gesetzesänderungen im Hinblick auf den Terrorismus nicht notwendig seien, da die vorhandenen Instrumente ausreichten. Wir haben solche Auffassungen mit Interesse zur Kenntnis genommen und zu verstehen versucht. Wir müssen aber eindeutig und nachdrücklich sagen, daß eine solche Haltung nicht unsere Billigung finden kann. Jedem Eingeweihten ist klar, daß z. B. ohne die bereits beschlossenen Änderungen der Strafprozeßordnung der Prozeß in Stammheim gegen die Baader/Meinhof-Terroristen in noch größere Schwierigkeiten geraten wäre, ja, unter Umständen hätte abgebrochen werden müssen. Erst durch eine Gesetzesänderung vom vergangenen Jahr, die vorsah, daß Angeklagte, die sich durch eigene Schuld in einen verhandlungsunfähigen Zustand versetzt haben, nicht eine Unterbrechung des Prozesses erzwingen können, wurde die Fortführung des genannten Strafverfahrens möglich.
Ich bitte daher alle Kritiker, sich einmal zu überlegen, welch verheerende Folgen für das Rechtsbewußtsein unserer Bürger insgesamt entstanden wären, wenn das Strafverfahren in Stammheim ohne Ergebnis hätte abgebrochen werden müssen.
Darüber hinaus ist nicht zu bestreiten, daß die terroristischen Vereinigungen, mit denen wir es heute zu tun haben, eine völlig neue Erscheinungsform des Verbrechens sind. Hier verbindet sich eine hohe kriminelle Energie mit juristischem Sachverstand. Die inhaftierten Angeklagten richten ihr Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit der Fortsetzung ihres strafbaren Tuns. Der Prozeß selber wird zu allem anderen als zur Verteidigung benutzt. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn der Gesetzgeber auf neue Erscheinungsformen mit geänderten Gesetzen reagiert. Was z. B. bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Selbstverständlichkeit ist, muß auch im Bereich des Terrorismus gelten. Dies ändert nichts an der Tatsache, daß wir Sozialdemokraten für alle kritischen Stellungnahmen auch außerhalb des Parlaments dankbar waren. Sie alle zusammen haben den Blick dafür geschärft, was bedenklich sein könnte, sowie auch dafür, was unbedingt notwendig und erforderlich ist. Manche Kritik war mit Schärfe zurückzuweisen. Mit Genugtuung kann ich deshalb feststellen, daß die Einwände nicht ungehört verhallt sind, sondern ihren Niederschlag in der nunmehr vorliegenden Gesetzesfassung des Rechtsausschusses gefunden haben. So haben sich vor allem, was die vorgeschlagene Kronzeugenregelung und die Überwachung des Besuchsverkehrs angeht, durch den Wegfall dieser Instrumente beachtliche Veränderungen ergeben.
Nach Auffassung der Sozialdemokraten erfüllt die nunmehr im Rechtsausschuß gefundene Fassung vier wesentliche Bedingungen:
1. Das Gesetz wird ein wirksames Instrument sein.
2. Es enthält keine rechtsstaatlich bedenklichen oder unpraktikablen Vorschriften.
3. Es hat umfassenden Charakter. Alle festgestellten, denkbaren Gesetzeslücken sind geschlossen worden.
Alle
Behauptungen sind falsch!)
- Damit ist auch jenen der Boden entzogen, Herr Erhard, die immer Neues und Zusätzliches, oft Bedenkliches verlangen, je nach aktuellen Tagesereignissen, wie Sie dies ou getan haben.
({0})
4. Die taktischen Absichten der Terroristen sind durchkreuzt worden.
({1})
Sie wollten nämlich durch Ihren hemmungslosen Angriff auf unseren Rechtsstaat erreichen, daß dieser in Überreaktion seine eigenen Prinzipien verrät. Davon kann im Hinblick auf den vorliegenden Gesetzentwurf überhaupt nicht mehr gesprochen werden. Der Rechtsstaat, meine Damen und Herren, ist in der Lage, sich unter der Wahrung seiner eigenen Prinzipien wirksam zu verteidigen.
({2})
Trotzdem werden wir heute keine Wunderwaffe beschließen.
({3})
Der Kampf gegen den Terrorismus hat viele Teilaspekte. Das werden Sie anerkennen.
({4})
Änderungen des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung stehen dabei nicht an erster Stelle.
({5})
Es handelt sich auch um eine geistige Auseinandersetzung. Aber insbesondere die Sympathisanten sollten begreifen, daß die einmal vorhandene politische Motivation eigentlich verlorengegangen ist und daß es sich heute nur noch um gewöhnliche Kriminalität handelt. Gerade die Anreicherung der terroristischen Szene mit unpolitischen kriminellen Elementen in neuerer Zeit macht dies besonders deutlich. Es ist ein Kennzeichen des Terrorismus, daß er seine Allgegenwart deutlich machen will. Jeder soll ständig bedroht sein. Darin liegt eine Verwerflichkeit, die jene der übrigen Kriminalität übersteigt.
Eine hervorgehobene Bedeutung kommt jedoch den Sicherheitsorganen zu, insbesondere dem Bundeskriminalamt. Es konnte seit 1969, also seit Bildung der sozialliberalen Koalition, erheblich ausgebaut werden. Seine Erfolge sind unbestreitbar.
Die Unionsparteien haben bisher versucht, sich als besonders engagiert hinzustellen, wenn es um die innere Sicherheit der Bundesrepublik ging. Sie haben dabei verschiedene Mittel angewandt, um den gewünschten Eindruck zu erwecken. Die berühmte Rede von Sonthofen war sicherlich ein Beitrag zu dem Versuch, ein Klima von Furcht und Hysterie zu schaffen und Angst zu verbreiten.
({6})
Damit das Ganze - Herr Vogel - noch besser wirkt, haben Sie jeweils aus aktuellem Anlaß überzogene Gesetzesvorschläge präsentiert und den Koalitionsfraktionen vorgeworfen, ihrerseits Verzögerungsmanöver hervorzurufen.
({7})
Heute ist klar, meine Damen und Herren: die Unionsfraktion selbst ist es, die eine Verzögerungstaktik
({8})
im Hinblick auf die Verabschiedung dieses Gesetzes betrieben hat.
({9})
Die Weigerung des Berichterstatters Kunz, den Bericht zu unterschreiben, die Forderung nach einer ausgedehnten Anhörung, die Ablehnung, die Ergebnisse der Anhörung unmittelbar danach im Rechtsausschuß zu erörtern - all dies mag jeweils für sich einleuchtende Gründe gehabt haben. Das Ergebnis insgesamt war jedoch eine zeitliche Verzögerung dieser Debatte und eine ernsthafte Gefährdung der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs noch in dieser Legislaturperiode. Ich frage mich: Wollen Sie eine große Sicherheitsdebatte unmittelbar vor der Bundestagswahl, oder wollen Sie das vorgelegte Gesetz überhaupt verhindern? Beides wird Ihnen keinen Erfolg bringen. Was auch immer Sie bewogen haben mag, das Urteil der Öffentlichkeit ist klar. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin die Stuttgarter Zeitung vom 10. Juni 1976 zitieren. Unter der Überschrift „Heiße Gesetze" steht dort zu lesen:
Die Union, die sich so gern als der eigentliche Hüter der inneren Sicherheit versteht und mit dem Vorwurf schnell bei der Hand ist, die sozialliberale Koalition versage im Kampf gegen den Terroristen, hat sich auf ein seltsames Manöver eingelassen: Sie will die zweite und dritte Lesung der sogenannten Antiterrorgesetze auf Ende Juni vertagen. Sie, die Union, der es sonst mit Gesetzen dieser Art nicht schnell genug gehen kann, betätigt sich überraschend als Bremsklotz.
Ich füge dem hinzu, Herr Erhard: Der Glorienschein
des Vorkämpfers der inneren Sicherheit ist dahin.
({10})
Auch der heute zur Beratung in erster Lesung vorliegende Gesetzentwurf
({11})
- ich bin jetzt bei dem Gesetzentwurf des Bundesrates, Herr Erhard - zur Beschleunigung strafrechtlicher Verfahren wurde schon vor seiner Überweisung an die Ausschüsse als Änderungsantrag zum Antiterroristengesetz von den Abgeordneten der CDU/CSU im Rechtsausschuß eingebracht. Der Nebeneffekt war natürlich eine erneute Verzögerung der Beratungen des Antiterroristengesetzes. Das im Gesetzentwurf des Bundesrates angesprochene Thema einer Beschleunigung von Großverfahren ist wichtig, steht jedoch in keinem ganz unmittelbaren Zusammenhang mit den heute zu verabschiedenden Vorschriften.
Die Tendenz des Gesetzentwurfs ist zu begrüßen; er ist jedoch in seinen Einzelheiten unausgegoren und insgesamt nicht umfassend genug. Der jetzt veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz kommt den von uns verfolgten
Zielen näher. Erst eine gründliche Beratung im Rechtsausschuß sowie eine eingehende Erörterung mit der gerichtlichen und staatsanwaitschaftlichen Praxis hätten eine Verabschiedung im Bundestag gerechtfertigt. Unsere Weigerung - und dies ist auch ein Punkt zur Debatte über Ihren Änderungsantrag -, diesen Gesetzentwurf mitzuberaten und in das Antiterroristengesetz einzuarbeiten, stellt also keine grundsätzliche Ablehnung des Bundesratsentwurfs dar, sondern sollte nur dazu dienen, die Verabschiedung des heute zur Beratung anstehenden Gesetzes nicht noch weiter zu verzögern.
Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu den Einzelbestimmungen des Gesetzes machen, wobei ich eine kurze Vorbemerkung vorausschicken möchte. Wenn im folgenden auf die Kontroversen zwischen Opposition und Koalition besonders abgehoben wird, so bedeutet dies nicht, daß nicht in vielen Punkten über die generelle Anderungsbedürftigkeit einzelner Vorschriften Konsens bestanden hätte.
Die zentrale Bestimmung ist der neu zu schaffende Tatbestand der terroristischen Vereinigung. Leider konnten sich die Fraktionen im Rechtsausschuß nicht auf einen Katalog hierfür einigen, der ausschließlich Delikte umfaßt hätte, die für terroristische Vereinigungen charakteristisch und typisch sind. Die Opposition wollte eine Ausweitung, die letztlich ins Uferlose geführt hätte. Ihr Vorschlag z. B., Herr Vogel, den Tatbestand der Verschleppung mit aufzunehmen, sieht ja zunächst recht plausibel aus, es handelt sich jedoch tatsächlich um einen wirklich untypischen Tatbestand; denn welcher Terrorist, Herr Vogel, will schon Personen der Willkür fremder Staaten ausliefern?
({12})
- Herr Vogel, wir haben eine so lange Debatte, und fünf Redner der Opposition kommen noch dran: Sie werden alles hier erläutern können.
Auch das Unterfangen der Opposition, den Tatbestand der terroristischen Vereinigung als Verbrechen auszugestalten, war nicht sachgerecht. Denn nach dieser Bestimmung sollen nicht nur jene erfaßt werden, die Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sind, nein, diese Bestimmung erstreckt sich auch auf Personen, die Unterstützung gewähren oder die für die Vereinigung werben.
({13})
- Natürlich, Herr Erhard, ist ein solches Tun strafwürdig. Es soll bestraft werden und wird nach der Fassung, die der Rechtsausschuß beschlossen hat, auch bestraft. Nur, es ist ein Unding, ein solches, am Rande unterstützendes Verhalten nicht als Vergehen, sondern als Verbrechen einzustufen. Eine Mindeststrafe von sechs Monaten - Mindeststrafe! - genügt hier vollauf. Alles andere stellt unserer Meinung nach ein Übermaß dar.
Es scheint mir nicht unwesentlich zu sein, noch einmal ausdrücklich zu erwähnen, daß die ausgedehnte Anzeigepflicht, die Verschärfung des Haftrechts, die Verteidigerüberwachung und die Erstzuständigkeit des Generalbundesanwalts den neu zu schaffenden Tatbestand der terroristischen Vereinigung zur Voraussetzung haben. Dies muß deshalb betont werden, weil es gilt, Mißverständnissen vorzubeugen oder solche, die entstanden sind, auszuräumen. Nicht der Dieb oder der Betrüger werden von dieser Erweiterung erfaßt, sondern nur diejenigen, die dringend verdächtigt sind, an einer terroristischen Vereinigung mitgewirkt zu haben, müssen damit rechnen, von diesen Neuregelungen betroffen zu sein.
Bei der erweiterten Anzeigepflicht geht es darum, diesen klassischen Tatbestand auf die Mitwisser von Straftaten terroristischer Vereinigungen auszudehnen. Es widerspricht jedoch dem Grundgedanken der Anzeigepflicht, bei der Ausdehnung so weit zu gehen, daß abgeschlossene Akte mit einbezogen werden. Auch Ihr Vorschlag der Erweiterung der Anzeigepflicht der Angehörigen auf Straftaten, die nicht im Zusammenhang mit terroristischen Vereinigungen stehen, hat mit dem Kampf gegen den Terrorismus überhaupt nichts zu tun. Die Vorschläge der Opposition im Rechtsausschuß, die dort keine Mehrheit gefunden haben, deuten in eine gefährliche Richtung.
Die Verschärfung des Haftrechts war notwendig, weil terroristische Vereinigungen und diejenigen, die daran mitwirken, in hohem Maße als gefährliche Straftäter einzuordnen sind. In diesem Zusammenhang liegt mir jedoch daran, zu betonen, daß beim Vorliegen des dringenden Tatverdachts des § 129 a StGB kein Automatismus für die Inhaftnahme besteht, sondern daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall zu beachten ist.
Lassen Sie mich ein Fazit aus der kontroversen Behandlung von Straftatbestand, Anzeigepflicht und Haftrecht ziehen. Während die Koalitionsfraktionen den Sinn und den Anlaß dieser Gesetzgebung, nämlich die bessere Bekämpfung des Terrorismus, nie aus den Augen verloren haben, scheinen sich bei der Opposition auch Andersartiges und darüber hinausgehende Vorstellungen breit gemacht zu haben. Wir Sozialdemokraten wollen den Strafverfolgungsbehörden jenes Instrument an die Hand geben, das sie benötigen. Die Opposition hat diese Gesetzgebung zum Anlaß genommen, eine ganze Reihe erweiterter Strafbarkeitsmöglichkeiten vorzuschlagen, und zwar solche - dies ist der wesentliche Punkt -, die nicht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus gesehen werden können. Dies, meine Damen und Herren von der Opposition, war, meine ich, der eigentliche Anlaß für unsere Kontroversen zu diesen drei Punkten.
({14})
Ich möchte nunmehr, meine Damen und Herren, zu einem weiteren Schwerpunkt kommen, nämlich zur Frage des Ausschlusses und der Überwachung von Verteidigern. Darüber, wie das Verhalten einiger weniger Rechtsanwälte zu beurteilen ist, gibt es in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheiten; übrigens auch nicht in der Anwaltschaft selbst. Wir haben zu Beginn dieser Wahlperiode aus Anlaß
eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts eine Regelung für den Verteidigerausschluß getroffen. Danach ist ein solcher Ausschluß nur möglich, wenn der Anwalt dringend verdächtig ist, an der Tat seines Mandanten mitgewirkt zu haben. Das ist ein eindeutiger, klar abgegrenzter und justitiabler Tatbestand.
Ähnliches kann man vom Tatbestand der Verfahrenssabotage nicht sagen, wie er von der Opposition wiederholt gefordert worden ist. Wer will denn eine exakte Antwort auf die Frage geben, wo eine alle legale Mittel ausnutzende, unangenehme Verteidigung aufhört und wo die Sabotage des Prozesses beginnt. Ein klarer Ausschlußgrund ist jedoch deshalb erforderlich, weil sich die daran knüpfende Folge, nämlich der Ausschluß, als ein außerordentlich schwerer Eingriff in die Rechte des Anwalts und insbesondere in die des Angeklagten darstellt.
Schon bei den Auseinandersetzungen zum Thema „Ausschluß der Verteidigers" hat sich die Opposition einen Spaß daraus gemacht, einen vermeintlichen Gegensatz zwischen Regierung und Koalitionsfraktionen zu konstruieren. Ich nehme an, meine Herren, daß Sie heute mit besonderem Genuß darauf verweisen werden, daß wir in unseren Entwürfen zunächst sowohl die Überwachung des mündlichen als auch die des schriftlichen Verkehrs zwischen Anwalt und Mandant vorgeschlagen hatten und davon nunmehr, was den Besuchsverkehr angeht, abgewichen sind.
Dies ist richtig. Richtig ist aber auch, daß wir von Anbeginn an unseren Vorschlag als eine Diskussiongrundlage bezeichnet haben,
({15})
und richtig ist auch, daß wir auf die gravierenden Unterschiede zwischen Besuchsverkehr und schriftlichem Verkehr stets hingewiesen haben. In beiden Fällen muß, meine Damen und Herren, eine Abwägung stattfinden; im Falle des schriftlichen Verkehrs ist sie ungleich leichter. Hier gilt, daß wir nicht zulassen wollen, daß Pläne über neue Verbrechen die Gefängnismauern ungehindert passieren, nur weil sie die Aufschrift „Verteidigerpost" tragen. Hier gilt es auch, den Satz von Baader richtig zu begreifen: „Die RAF braucht ein Info.". Ohne dieses schriftliche Informationssystem wäre die Baader-MeinhofBande nie das gewesen, was sie war - und ihre Nachfolgeorganisationen auch nicht.
({16})
Die Rechte der Verteidigung sind jedoch durch die Überwachung des schriftlichen Verkehrs nur wenig tangiert. Anders beim Besuchsverkehr: Hier wird in den Kernbereich des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant eingegriffen.
({17})
Die Waffengleichheit vor Gericht wird berührt, jene Waffengleichheit, Herr Kollege Stark, die für eine optimale Wahrheitsfindung von Bedeutung ist.
({18})
- Sie haben das wieder nicht verstanden;
({19}) ich erkläre es Ihnen nach der Debatte einmal.
Dabei muß beachtet werden, daß die Form der Überwachung des Besuchsverkehrs wenig praktikabel wäre und während der Hauptverhandlung, die oft Monate dauern kann, auch bei größter Anstrengung nicht durchsetzbar wäre. Die Argumente gegen die Überwachung des Besuchsverkehrs hatten für uns größeres Gewicht.
Erlauben Sie mir zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zum „Kronzeugen". Auch hier ging es um eine Abwägung der Vor- und Nachteile. Das Ergebnis war, daß der Rechtsausschuß mit ganz überwiegender Mehrheit von der Einführung der Kronzeugen-Regelung abgesehen hat.
Die Fraktionen der SPD und der FDP haben hier im Bundestag am 13. Juli 1975 eine Entschließung eingebracht, in der es heißt:
Nicht Furcht und Hysterie, sondern demokratischer Bürgersinn bieten die beste Gewähr für die Bekämpfung der Terroristen und für die erfolgreiche Arbeit der Polizei. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn Haß geschürt wird und wenn Angst verbreitet wird und dadurch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates untergraben wird.
Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf verbessert die Handlungsfähigkeit unseres Staates. Er ist zugleich mit den Prinzipien des Rechtsstaates vereinbar. Deshalb, meine Damen und Herren, stimmen die Sozialdemokraten zu.
({20})
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gnädinger, Sie haben uns die Freude erwiesen, den Koalitionsentwurf zu preisen. Dies mußten Sie tun. Sie mußten es um so mehr tun, als der Entwurf dürftig ist. Er ist nicht nur keine Wunderwaffe - was Sie natürlich selbst erkannt haben -, sondern ist auch nicht einmal ein taugliches konventionelles Mittel. Er ist schlechthin nichts.
({0})
Sie haben, Herr Kollege Gnädinger, auf das Haftrecht und auf die erweiterten Zuständigkeiten des Generalbundesanwalts hingewiesen. Zum letzteren wird Herr Kollege Wittmann eingehend sprechen. Zum Haftrecht ist zu sagen, daß hier in diesem einen Punkt die harten Tatsachen Sie einmal gezwun17994
Kunz ({1})
gen haben, mit uns gemeinsam und auf unsere Anregung hin eine Verschärfung des Haftrechts zu Lasten terroristischer Banden zu beschließen.
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Dies ist aber alles.
Es bleibt dabei: Der vorliegende, vom Rechtsausschuß beschlossene Entwurf ist unzureichend. Die Beschlüsse der Koalition sind kein wirklich wirksamer Beitrag zur besseren Bekämpfung terroristischer Gewaltkriminalität, einer Kriminalität, deren Gefährlichkeit ungebrochen ist.
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Die jüngsten Bombenanschläge in Frankfurt und Hamburg haben dies gezeigt. Sachverständige haben erst kürzlich mitgeteilt, daß das Potential des deutschen Terrorismus 4 000 Anarchisten umfaßt.
Es sind insbesondere, meine Damen und Herren von der Koalition, vier Unterlassungen, an denen die Mangelhaftigkeit des Entwurfs und damit die Unzulänglichkeit Ihrer Vorstellungen zur Bekämpfung des terroristischen Bandentums deutlich wird, an denen sich zeigt, daß die Kampfansage gegen den Terrorismus nicht wirklich ernsthaft ist.
Unterlassung 1: Die Koalition lehnt es ab, den Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung als Verbrechen zu beschließen. Nach ihrer Ansicht stellt die Bildung einer solchen Vereinigung nur mittleres, nicht jedoch schwerstes Unrecht dar.
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Ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren soll ausreichen.
Unterlassung 2: Die Koalition lehnt es ab, denjenigen mit einer Anzeigepflicht zu belegen, der von der Existenz einer terroristischen Vereinigung weiß, aber dieses Wissen für sich behält. Dadurch wird nicht zuletzt das immer noch beträchtliche Sympathisantentum im Umkreis terroristischer Vereinigungen sich nachhaltig ermuntert fühlen.
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Unterlassung 3: Die Koalition lehnt es ab, Vorschriften zu beschließen, den mündlichen Verteidigerverkehr in Haftanstalten in Fällen terroristischer Bandenkriminalität zu überwachen, in Fällen, in denen auf Grund bestimmter Tatsachen der Verdacht der Konspiration zwischen einem Untersuchungs- und Strafgefangenen und einem bestimmten Verteidiger besteht.
Dabei war es die Bundesregierung selbst - Herr Minister Vogel, Sie, wenn auch schwankend, mal so und mal so -,
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die unter dem Eindruck der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten, der Entführung von Peter Lorenz und des Sprengstoffanschlags auf unsere Botschaft in Stockholm solche gesetzlichen Bestimmungen für unvermeidbar gehalten hat. Die
Koalition hat nunmehr ihre eigene Regierung im Stich gelassen, und der Justizminister hat seinen eigenen Entwurf nicht einmal verteidigt.
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Unterlassung 4: Die Koalition lehnt es ab, krassesten Fällen der Sabotage von Strafverfahren durch wirksame gesetzliche Regelung entgegenzutreten, obwohl doch gerade der Prozeß gegen Mitglieder der sogenannten Rote-Armee-Fraktion in Stuttgart-Stammheim im Übermaß gezeigt hat, wie die Strafprozeßordnung prostituiert worden ist, wie ein Strafprozeß in ein politisches Szenarium umfunktioniert werden soll.
Nun komme ich zu den Einzelheiten. Es ist also so, daß die Gründung einer terroristischen Bande nur ein Vergehen, nicht jedoch ein Verbrechen sein soll. Meine Damen und Herren, nach geltendem Recht wird die Gründung einer kriminellen Vereinigung und die Tätigkeit in ihr mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. Nunmehr soll in der zutreffenden Erkenntnis, daß Terrorbanden beispielsweise nicht mit den ehemaligen Berliner Ringvereinen vergleichbar sind, also nicht mit Vereinigungen, die Straftaten mittlerer Art begehen, wie etwa Diebstahl und Hehlerei, ein neues Strafgesetz geschaffen werden.
Und siehe da: Es hat wiederum eine Höchststrafdrohung von fünf Jahren. Bisher bei der kriminellen Vereinigung fünf Jahre, fünf Jahre künftig bei der terroristischen Vereinigung. Man hätte doch zumindest hier von der Koalition einen anderen Strafrahmen vorsehen müssen, und man hätte erwarten können, daß dieses Delikt als Verbrechenstatbestand ausgestaltet wird - doch mitnichten!
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Die Strafdrohung für die Gründung terroristischer Vereinigungen, die ich soeben genannt habe, steht in keinem Verhältnis zu dem Unrecht, das derjenige verübt, der solche Vereinigungen, deren Zweck und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord, Totschlag, erpresserischen Menschenraub, Geiselnahme und Sprengstoffdelikte zu begehen, gründet oder in seiner solchen Vereinigung tätig ist.
Straftaten, wie ich sie vorhin genannt habe, wie die Entführung von Peter Lorenz, wie die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Berlin, gehen doch zweifelsfrei auf das Konto terroristischer Vereinigungen wie die Baader-MeinhofBande, die Bewegung 2. Juni, das sogenannte Heidelberger Patientenkollektiv und andere. Diese Vereinigungen haben nur das eine Ziel, unseren Staat zu zerstören. Es sollen nicht nur Einzelpersönlichkeiten erpreßt, der Staat soll nicht nur genötigt, sondern er soll in die Knie gezwungen werden, das Recht soll vor dem Unrecht kapitulieren. Bei dieser Lage hält die Koalition gleichwohl eine Regelstrafe von nur sechs Monaten bis zu fünf Jahren für genügend,
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Kunz ({10})
wobei sie allerdings diejenigen härter bestrafen will, die Rädelsführer und Hintermänner sind.
({11})
Diese Unterscheidung zwischen Rädelsführern und Hintermännern mag für eine Fülle von Straftaten möglich sein.
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- Herr Kollege Dürr, ich würde Ihre Zwischenfrage gern zulassen, ich muß mich nur vergewissern, daß das nicht von meiner Zeit abgeht.
Doch,
Herr Kollege, das geht nach den Beschlüssen über den Zeitablauf von Ihrer Zeit ab.
Dann bedauere ich sehr; Herr Dürr, das tut mir gerade bei Ihnen sehr leid. Ich komme mit meiner Zeit gerade aus.
Das Recht soll also vor dem Unrecht kapitulieren. Gleichwohl hält die Koalition als Regelstrafe nur sechs Monate bis fünf Jahre für genügend, wobei sie allerdings Rädelsführer und Hintermänner härter bestrafen will.
Bei einer Bande, die Diebstahl und Hehlerei begeht, Automaten knackt und ähnliches, ist es sicherlich vollkommen richtig, zwischen Rädelsführern und anderen zu unterscheiden. Solche Banden haben in der Regel einen oder zwei Anführer, die anderen sind Mitläufer, die mehr oder weniger über keinen eigenen Willen verfügen. Anders ist die Situation jedoch bei Terrorbanden, die Mord, Geiselnahme, Sprengstoffdelikte begehen. Sie haben in der Regel Mitglieder mit durchaus beachtlicher taktischer und strategischer Begabung, von beachtlicher intellektueller Potenz und gleichermaßen höchster krimineller Energie. Die Mitglieder solcher Banden haben eine ihnen eigentümliche Philosophie der Rechtfertigung und verstehen sich durchaus elitär. Jedes Mitglied ist grundsätzlich auf Grund der gemeinsamen Zielsetzung, die alles andere als rational ist, aber von den Bandenmitglieder als rational verstanden wird, ein gleichwertiger Teil der verbrecherischen Organisation, wie diese sich selbst versteht.
Es gibt, wie Baader und Frau Meinhof mehrfach erklärt haben, nur die Wirklichkeit des Kollektivs. Man kann hier nicht zwischen Rädelsführern, Drahtziehern, Hintermännern und anderen unterscheiden; es wird arbeitsteilig vorgegangen. Dies ist glasklar in einem Heft nachzulesen, das kürzlich unter dem Titel „Letzte Texte von Ulrike" vom Internationalen Komitee zur Verteidigung politischer Gefangener in Westeuropa herausgegeben worden ist. Ich kann nur eine Stelle zitieren, die zeigt, daß es völlig unsinnig ist, hier zwischen Rädelsführern und anderen unterscheiden zu wollen. Es heißt hier:
Kollektivität ist ein Moment in der Struktur
der Guerillas. Ihr Wichtigstes, das Kollektiv,
ist die Gruppe, die als Gruppe denkt, fühlt und handelt.
Daraus geht hervor, daß der einzelne keinen Stellenwert hat, daß man die Konstruktion der Bande so vorgenommen hat, daß systematisch von gleichwertigen Tatbeiträgen ausgegangen werden muß.
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- So wäre es doch wohl völlig unmöglich, Herr Kollege Arndt, zwar Baader als Rädelsführer, Ensslin und Raspe aber nur als sonstige Bandenmitglieder mit dem praktischen Unterschied eines ganz erheblich differenzierten Strafmaßes zu betrachten. Darin stimmen wir hoffentlich noch überein.
Dann wendet die Koalition ein, jedenfalls müsse doch wohl das Werben für die terroristischen Organisationen milder bestraft werden, als es der Vorschlag der CDU/CSU - sein Strafrahmen ist bekanntlich ein Jahr bis zehn Jahre - zulasse. Schon im geltenden Recht - Herr Kollege Penner, Sie wollen ja nachher darauf eingehen - ist aber doch anerkannt, daß man in diesem Zusammenhang unter Werben für eine kriminelle Vereinigung nichts anderes als das Werben von Mitgliedern versteht. Das Werben von Mitgliedern für eine kriminelle Vereinigung, für eine terroristische Vereinigung ist doch schwerstes Unrecht.
Im übrigen kennt unser Entwurf durchaus die Möglichkeit, in den wenigen Fällen, in denen die Unterstützung für eine terroristische Vereinigung wegen außergewöhnlicher Umstände geringeres Unrecht darstellen sollte,
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die Strafe herabzusetzen. - Sie brauchen nicht „aha" zu sagen; wären Sie bei den Beratungen öfter dabei gewesen, könnten Sie mehr als „aha" sagen.
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Dies ist das richtige Verhältnis, die richtige Sicht von Regel und Ausnahme. Wir sagen: Bei der Gründung einer terroristischen Vereinigung und bei der Tätigkeit in dieser in der Regel empfindliche Strafe, nur ausnahmsweise Strafmilderung und nicht umgekehrt, wie dies die Koalition für richtig hält, z. B. Sie, Herr Kollege von Schoeler. Bereits durch den Grundstrafrahmen des neuen Straftatbestandes muß zweifelsfrei zum Ausdruck kommen, wie der Rechtsstaat dieses schwere Unrecht bewertet. Hier darf nichts bagatellisiert werden.
Darüber hinaus bleibt die Frage, ob ein Delikt nur ein Vergehen oder doch ein Verbrechen ist, für die Anwendung von Schußwaffen von erheblicher Bedeutung. Niemand darf in Zweifel ziehen, daß Schußwaffen nur als allerletzte Möglichkeit, sofern alle sonstigen rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, eingesetzt werden müssen. Vielfach müssen Polizeibeamte dabei in der Praxis schwerwiegende Entscheidungen treffen. Sollen Polizisten gezwungen sein, so möchte ich einmal fragen, wenn sie Terroristen bekämpfen müssen, erst schwerwiegende Abwägungen über den Einsatz von Schußwaffen
Kunz ({3})
vorzunehmen, und zwar nur deshalb, weil die Bildung einer terroristischen Vereinigung nach dem Willen der Koalition nur ein Vergehen, nicht jedoch ein Verbrechen sein soll?
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Ich frage weiter: muß nicht vielmehr der Wille des Gesetzgebers in diesen Fällen den Polizisten mit einer gesetzlichen Entscheidungshilfe ausstatten?
Wenn ein Delikt ein Verbrechen ist, so können Schußwaffen eher eingesetzt werden, vorausgesetzt, daß es schlechthin keine andere Möglichkeit gibt, woran natürlich niemand etwas ändern will. Dies alles kann bei der Tätigkeit von terroristischen Vereinigungen von großer praktischer Bedeutung sein, beispielsweise bei Verhaftungen von Bandenmitgliedern, bei denen Mord oder sonstige konkrete Verbrechensbeteiligungen im Moment der Verhaftung nicht feststehen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Die nächste Unterlassung der Koalition ist sodann die Tatsache, daß die Kenntnis von Terrorbanden nicht angezeigt werden soll.
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Meine Damen und Herren, wir alle wissen doch, daß eine kriminelle Vereinigung mit der Gründung ihrer Existenz nicht abgeschlossen hat, Herr Kollege Penner, sondern erst richtig damit anfängt.
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Das ist doch der Zweck, warum sie begründet wurde. Man kann auch nicht strafrechtssystematisch sagen, daß man, wenn man hier eine Anzeigepflicht begründet, abgeschlossenes Unrecht zur Anzeige bringen will. Andauerndes Unrecht bringt man hier zur Anzeige und sonst nichts!
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Meine Damen und Herren, wovon lebt denn so eine terroristische Vereinigung? Sie lebt davon, daß Geld geraubt wird und daß ihr von Sympathisanten Geld gegeben wird, wobei der Kreis der Sympathisanten beträchtlich ist. Sie lebt davon, daß Sympathisanten Unterschlupf gewähren, sie lebt davon, daß Sympathisanten Kontakte vermitteln, daß Sympathisanten Fahrzeuge leihen und ähnliches mehr. Dies wird vielfach im Einzelfall nicht nachweisbar sein. Eines wird aber nachweisbar sein, nämlich das Wissen dieser Kreise, die sich zum Teil ja noch dazu als Schickeria bezeichnen, von der Existenz der terroristischen Vereinigung. Dieses Wissen ist Unrecht und muß als Unrecht mit Strafe bedroht werden.
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Die Antwort, die die Koalition gibt, ist keine Antwort. Die Sympathisanten werden sich dadurch ermuntert fühlen dürfen.
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Die dritte große Unterlassungssünde der Koalition ist der Umstand, daß die Konspiration in Fällen terroristischer Bandenkriminalität in Haftanstalten weitergehen wird. Die Tatsachen im Bereich der politisch-anarchistisch motivierten Bandenkriminalität sind so, daß eine Überwachung des Verkehrs zwischen den Untersuchungsgefangenen, den Strafgefangenen und dem Verteidiger beim Verdacht der Konspiration in der Haftanstalt leider notwendig ist und daß eine Überwachung des nur schriftlichen Verkehrs die Konspiration auf die mündlichen Möglichkeiten geradezu konzentriert.
In der Dokumentation über „Aktivitäten anarchistischer Gewalttäter in der. Bundesrepublik Deutschland", deren Herausgeber das Bundesministerium des Innern ist, heißt es auf den Seiten 5 bis 6 der Einführung - ich zitiere -:
Es gelang den Häftlingen, ein schnell und reibungslos funktionierendes Kommunikationssystem innerhalb der verschiedenen Haftanstalten und mit der Außenwelt aufzubauen. Gewichtige Anhaltspunkte deuten auf die bewußte Mitwirkung verschiedener Rechtsanwälte bei der unkontrollierten und ungehinderten Vertreibung der Schriftstücke hin. Sendungen zwischen den Gefangenen und den Sympathisanten wurden mißbräuchlich als Verteidigerpost deklariert oder bei den häufigen und zeitlich ausgedehnten Besuchen
- hier wird der Tatsachenstoff interessant der Verteidiger unmittelbar übergeben, die Erklärungen mündlich oder auf Tonträger übermittelt.
Es heißt sodann weiter, daß sich aus den vorgelegten Dokumenten der Verdacht ergibt, daß sich einige Rechtsanwälte sogar mit der ihnen von den Führern der kriminellen Vereinigung zugedachten Schlüsselrolle voll identifizieren. Da es sich, wie gesagt, um eine Dokumentation des Bundesministeriums des Innern handelt, wird wohl niemand
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- auch Sie nicht, Herr Penner - auf den Gedanken kommen können, dies sei ein Greuelmärchen der Opposition.
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- Herr Kollege Kleinert, Sie haben sie zu oft gelesen, als daß Sie das nicht wüßten.
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- Am 14./15. November 1974 hatte die Konferenz der Justizminister, aller Justizminister - Sie wollten das Datum wissen -, auch der, die der SPD oder FDP angehören, konsequenterweise beschlossen, eine Überwachung auch des mündlichen Verteidigerverkehrs in der Haftanstalt durch gesetzgeberische Maßnahmen zu ermöglichen.
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Am 7. Mai 1975 haben die Justizminister noch einmal unterstrichen, daß auch eine Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs in diesen Fällen notwendig sei.
Kunz ({14})
Zum Tatsachenkern kommt hinzu, daß - ich verweise auf vertrauliche Beratungen in einem Hearing im Rechtsausschuß - Anhaltspunkte dafür bestehen, daß Häftlinge der sogenannten Rote-ArmeeFraktion aus den Zellen heraus mit Hilfe eines ehemaligen Rechtsanwalts - es soll Herr Haag gewesen sein - an der Vorbereitung des Sprengstoffanschlags auf unsere Botschaft in Stockholm mitgewirkt haben. Jedenfalls ist bekannt, daß Frau Mein-hof lange vor dem Anschlag in Stockholm zumindest abstrakt zur Besetzung von Botschaften aufgerufen hat.
Wenn dies alles geschieht, dann wird das doch im Zweifelsfall nicht schriftlich geschehen. Dies wird doch mündlich geschehen, und deshalb muß für diese Fälle ein Instrument geschaffen werden. Dieses Instrument, meine Damen und Herren von der Koalition, verweigern Sie dem Rechtsstaat.
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Sie argumentieren, daß die Aussprache des Beschuldigten mit seinem Verteidiger unter vier Augen den Kernbereich des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant darstelle. Dies verkenne ich nicht. Doch auch das Recht auf freie Aussprache in der Haftanstalt, so müssen wir entgegnen, darf nicht verabsolutiert werden, jedenfalls dann nicht, wenn es um die Unterbindung von Konspiration im Bereich der Terrorkriminalität geht. Selbstverständlich hat auch der Terrorist Rechte. Es gibt aber doch wohl auch Rechte derer, die Opfer von Bombenanschlägen wurden, Rechte all derer, die nicht Opfer weiteren Terrors werden sollen,
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und gerade daran zu denken, ist rechtsstaatlich.
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Die Zeit gebietet mir, zum Schluß zu kommen. Es ist weder notwendig noch möglich, auf die absurden Vorwürfe einzugehen, wir hätten verzögert. Wir haben darauf gedrungen, diese Gesetze gründlich, ordentlich zu beraten und mit wirksamen Instrumenten auszustatten. An diesen Vorwurf, Herr Kollege Gnädinger, glauben ja nicht einmal Sie. Er muß pflichtgemäß erhoben werden. Ich brauche ihn nicht einmal pflichtgemäß zurückzuweisen; er erledigt sich von selbst, weil er bar jeden Tatsachenkerns ist.
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Meine Damen und Herren, ich schließe mit der Bekräftigung ab, daß die gegenwärtige Situation der steigenden Kriminalität, der zunehmenden Brutalisierung des Verbrechens zwingend gebietet, wenigstens in vier Fällen wirsame Maßnahmen zu schaffen. Ich habe die vier Fälle genannt.
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- Ich muß zum Schluß kommen. - Ich verweise darauf. Sie sind unserem Vorschlag nicht gefolgt. Deshalb ist Ihre Kampfansage gegen den Terrorismus nicht so, daß sich der Terrorismus in die Schranken gewiesen fühlen kann.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Dame! Meine Herren! Die nachdrückliche Nichtverteidigung, die Sie zum Schluß vorgenommen haben, Herr Kunz, bedarf wohl keiner weiteren Kommentierung. So verteidigt man sich nicht, wenn man sich nicht verteidigen will.
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- Die Geschichte ist ja viel länger, die Geschichte dessen, was ich Ihnen nicht einmal so sehr als Verzögerung, aber als zutiefst innere Unentschlossenheit in diesem Bereich vorwerfen möchte.
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Ich erinnere mich noch daran, wie ich an dieser Stelle davon gesprochen habe, daß Sie mit einer streuenden Flinte in der Gegend herumschießen, weil Sie nicht so recht das Ziel ausmachen können. Und zwar haben ich das anläßlich Ihres Antrages gesagt, die Bundesregierung möge doch so freundlich sein, einmal zu prüfen, ob man nicht hinsichtlich des Verteidigerstatus etwas unternehmen könne. Das liegt nunmehr ungefähr drei Jahre zurück. Zu einem Antrag in irgendeiner bestimmten Form hat es damals bei Ihnen nicht gereicht, sondern nur zu diesem Notabwurf, die Bundesregierung aufzufordern, ihrerseits etwas zu tun. Das war damals die Situation.
({2})
- Bitte, Herr Erhard.
Herr Kleinert, könnten Sie so freundlich sein, dem Hause zu sagen, daß wir diesen Antrag gestellt haben, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine bis dahin als ständige Rechtsprechung angesehene Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgehoben hatte?
Da das Haus trotz Ihrer verbalen Entschlossenheit, die CDU/CSU als einen in sich einigen und konsequenten Verfechter der inneren Sicherheit darzustellen, lediglich in Form einer erweiterten Ausschußsitzung versammelt ist, glaube ich nicht, daß die anwesenden Kollegen eines solchen Hinweises bedürfen. Der Sachverhalt ist bekannt.
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- Herr Vogel, wir werden Sie ja noch hören.
Ich beabsichtige nicht, mich auf die Einzelheiten einzulassen, zumal wir uns hinsichtlich der Redezeit offenbar in gewisse Schwierigkeiten begeben
haben. Ich beabsichtige aber, Herrn Kunz zu bitten, im Interesse der intellektuellen Redlichkeit da, wo auf Einzelheiten eingegangen werden muß, doch deutlicher herauszuarbeiten, welche Unterschiede wirklich bestehen und welche nicht. Es ist doch einfach nicht richtig, daß zwischen der Ausgestaltung des neuen § 129 a des Strafgesetzbuches als Verbrechen oder als Vergehen in der Praxis wesentliche Unterschiede aufträten. Wir können uns nach vier oder fünf Jahren Gerichtspraxis - hoffentlich eine möglichst wenig umfangreiche Gerichtspraxis - über diese Fragen wieder unterhalten. Dann würden Sie feststellen, daß man nach einer Milderung des von Ihnen vorgesehenen Regelstrafrahmens in aller Regel auf den Regelstrafrahmen kommen wird, den die Koalition mit der Einstufung als Vergehen vorgesehen hat, und daß lediglich wenige Fälle übrigbleiben, bei denen es sich tatsächlich um Rädelsführer und Hintermänner handelt, die nach dem Absatz 2 der Bestimmung ohnehin bis zu zehn Jahren - genau wie in Ihrem Entwurf vorgesehen - bestraft werden sollen.
Was bleibt außer einem Öffentlichkeitseffekt dann an praktischer Differenz? Wir sind nun einmal der Meinung, daß sich die Angelegenheiten unserer Rechtsordnung, insbesondere unserer Strafrechtsordnung ein für allemal - so leid es einem im Einzelfall tun mag - nicht für die Öffentlichkeitsarbeit und Werbung eignen, sondern nur Gegenstand ganz vorsichtiger und sehr verantwortungsbewußter Überlegungen sein können. Diese Überlegungen hat die Koalition angestellt, und das Ergebnis liegt hier vor.
In den Fällen, in denen sinnvollerweise von einer Verschärfung der bestehenden strafrechtlichen Vorschriften eine bessere Bekämpfung des Terrorismus zu erwarten war, sind von der Koalition entsprechende Verschärfungen vorgenommen worden. Alles, was darüber hinausgeht, haben wir abgelehnt, weil wir der Meinung sind, daß auch die zugegebenermaßen besonders schwierige Situation im Bereich der Terrorismus-Szene es nicht rechtfertigt, Bestimmungen in das Strafgesetzbuch einzuführen, die zu unbestimmt sind, um zu dem zu kommen, was wir im Strafrecht am dringendsten brauchen, nämlich zu sicher vorhersehbaren Urteilen auf Grund einwandfrei feststehender Tatbestandsvoraussetzungen.
Dies gilt insbesondere für die von Ihnen zitierte Anzeigepflicht. Sie haben bei der weniger informierten Öffentlichkeit den Eindruck hervorgerufen, als bestünde eine Anzeigepflicht nicht, sobald es sich um Terroristendelikte handelt. Das ist nicht richtig. Sie als Berichterstatter wissen das ganz genau. Deshalb war, so meine ich, zumindest der Duktus, in dem Sie dies hier vorgetragen haben, intellektuell nicht ganz sauber, denn die Anzeigepflicht ist in dem Gesetzentwurf, über den wir jetzt abzustimmen haben, enthalten. Sie bezieht sich auf ein Delikt nach § 129 a, und das Delikt des § 129 a besteht in der Bildung einer solchen Bande. So lese ich das Gesetz. Das bedeutet, daß wir - von einem schmalen Grenzbereich abgesehen, der in Ihrem Vorschlag vielleicht noch mit erfaßt würde - genau
das getan haben, was Sie jetzt fordern. Sie aber benutzen die Gelegenheit, um uns hier so darzustellen, als hätten wir dies entweder nicht gewollt oder nicht gekonnt. Beides ist, wie Sie wissen müssen, nicht richtig.
Das einzige, was wir wirklich nicht gewollt haben, ist, hier auch nur in der geringsten Weise zu überziehen und auch nur den Verdacht entstehen zu lassen, rechtsstaatliche Prinzipien könnten nicht mehr mit der nötigen Konkretheit angewendet werden. Wir sind der Meinung, daß es präzise dies ist, was die Terroristen wollen: Sie wollen, daß wir an irgendeiner Stelle nervös werden, daß wir überziehen und damit ihre Sympathisanten-Szene vergrößern und ihre operativen Möglichkeiten erweitern. Eben dies wollen sie.
({1})
Weil wir das nicht wollen, handeln wir entsprechend. Wir werden auch nicht das tun, was Sie hier in Überziehung rechtsstaatlicher Möglichkeiten vorschlagen, weil wir inzwischen - deshalb habe ich Sie vorhin nach dem Datum des Berichts des Bundesinnenministers gefragt - ja in der glücklichen Lage sind, Ihnen wie bei vielen anderen Rechtsmaterien und auch bei anderen Gesetzesvorhaben an Hand der Fakten nachweisen zu können, daß wir in unseren Ansichten, die wir am Anfang nur als Überzeugung vortragen konnten und die wir für logisch zwingend hielten, die wir aber nicht durch praktische Erfahrungen beweisen konnten, durch die Entwicklung der letzten Jahre gerechtfertigt worden sind. Die Zahl der Sympathisanten von Terroristen, so bedenklich sie auch immer noch ist, ist nämlich drastisch zurückgegangen. Die Möglichkeiten, die Sie, Herr Kunz, hier vorhin aufgeführt haben, bestehen heute in einem viel geringeren Umfang. Trotz so dramatischer Anlässe wie des Selbstmords von Frau Meinhof und anderer „Gedenktage", die - von der Szene aus gesehen - begangen werden sollten, haben solche Ereignisse, so schmerzlich und verdammenswert sie auch waren, nicht annähernd den Umfang erreicht, den sie noch vor fünf Jahren mit Sicherheit erreicht hätten.
Wo liegen die Ursachen dafür, daß das Übel eingekreist worden ist, daß die Szene austrocknet und ein Ende abzusehen ist? Sie liegen darin, das hier gemacht worden ist, was wir ursprünglich nur fordern konnten: daß das Bundeskriminalamt entschlossen ausgebaut worden ist, daß die technischen Möglichkeiten entschlossen verstärkt worden sind und daß die personelle Ausstattung nicht etwa nur verstärkt, sondern vervielfacht worden ist. Sie liegen auch in der viel besseren Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern, die inzwischen erreicht worden ist.
All das hat zunächst einmal dazu geführt, daß sich im Bereich der Strafverfolgung die Situation gebessert hat. Im Bereich des Strafverfahrens soll sie durch unsere Vorlagen verbessert werden. Insbesondere muß sie - dazu brauchen wir keine neuen Gesetze, sondern geeignete Richterpersönlichkeiten und natürlich auch Staatsanwälte - dadurch gebessert werden, daß man die Verfahren mehr konzenKleinert
triert und damit ihre schnellere Durchführung ermöglicht.
({2})
Nach meiner Meinung war für den Stockholm-Prozeß keine so lange Vorbereitungszeit erforderlich. Denn der Gegenstand war dermaßen klar, daß eine bescheidenere Anklageschrift unter Beschränkung auf die zutage liegenden Delikte genügt hätte. Die Wirkung eines schnellen und doch durchaus gerechten Urteils wäre rechtspolitisch von größter Bedeutung gewesen.
Leider muß ich aus dem eingangs angedeuteten Grund schon jetzt zum Schluß kommen. Ich möchte nicht schließen, ohne darauf hingewiesen zu haben, daß das Strafverfahren, die Strafverfolgung und die Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden nicht die einzigen Faktoren sind, die für die Bekämpfung des Terrorismus in unserem Land notwendig sind. Viel wichtiger als all das ist, daß demokratische Regeln unter allen Umständen von allen Beteiligten, in erster Linie natürlich von den politisch Handelnden, eingehalten werden und daß man sich in jeder Situation - ({3})
- Ich denke an einen gewissen Slogan, Herr Erhard, und wir werden bis zum 3. Oktober noch anderes hören. - Viel wichtiger ist also auch, daß man die Abwechslungsmöglichkeit unter den demokratischen Parteien darstellt. Das ist ein Beitrag, den die FDP 1969 geleistet hat und den ich für das, was sich in der linken Szene entwickelt hat, als ganz wesentlich ansehe, weil nämlich die Demokratie dadurch glaubhafter gemacht worden ist.
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Wir wollen uns deshalb nicht von Ihren Mitläufern als Steigbügelhalter von was weiß ich wem beschimpfen lassen, wenn wir uns wie Demokraten verhalten haben, um unserer Jugend zu beweisen, daß sie in einem wirklich demokratischen Land lebt und daß sie keinen Anlaß hat, irgendwelchen Rattenfängern in die terroristische Szene hinein nachzulaufen.
({5})
Auf diesem Weg sind wir durch die Arbeit der Koalition im politischen Raum ein gutes Stück vorangekommen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zu verabschiedende Antrag des Rechtsausschusses zur wirksameren Bekämpfung
einer bestimmten Gewaltkriminalität markiert für die auslaufende Legislaturperiode den Abschluß zahlreicher politischer Bemühungen, auch über Gesetzesinitiativen zum weiteren Ausbau der inneren Sicherheit beizutragen.
Der Antrag fällt dadurch auf, daß ihm sieben Gesetzentwürfe zugrunde liegen. Sie alle sind unter der Bezeichnung „Antiterroristengesetze" bekanntgeworden. Darüber hinaus gibt es weitere Initiativen der Opposition, die ebenfalls in diese Kategorie einzuordnen sind.
Es ist unzweifelhaft das Recht, ja die Pflicht der politisch verantwortlichen Kräfte - auch in der Opposition -, neue Formen von Kriminalität und neue Formen strafwürdigen Verhaltens auch rechtspolitisch zu bedenken. Das ist beispielsweise für den Umweltschutz und die Wirtschaftskriminalität geschehen. Aber gerade wegen des Engagements für die verfassungsmäßige Ordnung sind Überreaktionen und vorschnelle Handlungsweisen fehl am Platz.
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Schutz vor Kriminalität ist besonders in der Anarcho-Szene mit den Mitteln des Strafrechts allein nicht zu schaffen. Dieser Täterkreis läßt sich bekanntlich auch durch schwerste Strafandrohungen nicht beeindrucken. Wer in diesem Bereich allein auf mehr Gesetze setzt, schafft damit keine Schutzgarantie für unsere Bürger,
({1}) [CDU/CSU] : „Allein" ist
richtig!)
sondern kann sogar den höchstindividuellen Freiheitsraum anderer Unbeteiligter einengen.
Mit einem Blick auf diejenigen, die den Staat härter wünschen und damit notwendigerweise auch die Freiheit des einzelnen berühren, sage ich: Wo Freiheit ist, ist die Möglichkeit zum Guten wie zum Bösen eröffnet, und wo Freiheit ist, ist auch die Presse, da ist Rundfunk, da ist Fernsehen, und da gibt es Leser, Hörer und Seher,
({2})
ist Öffentlichkeit und Diskussion. Die offene Information trägt ein doppeltes Risiko. Sie kann die Täter und ihre Gesinnungsfreunde warnen oder aufmuntern. Sie kann den Bürger einschüchtern. Schließlich aber kann sie Stimmungen übermitteln und Emotionen wecken. Gerade deshalb wären alle staatstragenden Parteien zu besonderer Mäßigung verpflichtet.
Leider wird diese Zurückhaltung von der Opposition nicht befolgt. Die ausufernden Entgleisungen von sicherheitspolitischen Sprechern beweisen, wie leichtfertig ohne Rücksicht auf das Staatsinteresse diese Mine der Emotionalisierung ausgebeutet wird.
({3})
Treffend erscheint mir in diesem Zusammenhang eine Äußerung des Strafrechtslehrers Noll. Ich zitiere:
Die ruhige und aggressionsfreie Behandlung, die dem Rechtsbrecher zuteil wird, kann Aggressionen auslösen, die verantwortungslose Politiker gern in politische Macht umsetzen. Die rechtsstaatliche Demokratie muß daher darauf bedacht sein, den leicht entstehenden Anschein zu vermeiden, geregelte und gerechte Machtausübung fördere chaotische Zustände.
In diesem Zusammenhang noch ein Zitat zum Vergleich. Ein Abgeordneter der Opposition sagte anläßlich der ersten Beratung des jetzt zu verabschiedenden Gesetzentwurfs, die Bundesregierung und die sozialliberalen Koalitionsfraktionen seien nicht fähig, diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat so zu schützen, wie es nötig wäre; sie hätten sich immer schwergetan, das Recht so zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung einzusetzen, wie es die Verhältnisse erforderten.
Wenn Sie Ihre Äußerungen auf der Pressekonferenz anläßlich der Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Rechtsausschuß - „lasch" und „lau" - hinzunehmen, dann kommen Sie genau auf das, was Professor Noll in seiner Äußerung meint. Ich will dies nicht weiter werten. Ich glaube, daß Rechtspolitik mehr als den tagespolitischen Schlagabtausch erfordert.
Der Gesetzgeber wird allerdings Grundstimmungen der Bürger immer in seine Überlegungen einbeziehen müssen, soll es nicht zu einer Krise der Legitimation und damit letztlich zu einer Gefährdung der Staatsordnung selbst kommen. Aber er darf sich auch nicht von nur aktuellen Ereignissen provozieren lassen, um schließlich nur noch auf den Einzelfall zu reagieren. Das repräsentative Prinzip bietet genug Schutz und Anspruch, das Gesetzgebungsverfahren von allzu flüchtigen Ereignissen freizuhalten.
Mir scheint, diese Perspektive wird allzu leicht vergessen. Bei der Opposition ist das noch am ehesten erklärlich; denn nach ihrem Selbstverständnis ist sie Gralshüterin einer inneren Sicherheit, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch durch neue gesetzgeberische Reaktionen befriedigt werden muß. Anders scheinen mir die zahlreichen Anregungen der Opposition zur Änderung materieller wie formeller Strafvorschriften kaum erklärbar zu sein.
Das Prinzip, sich möglichst schnell mit der Ankündigung einer rechtspolitischen Initiative in die Schlagzeilen zu setzen, kann die Weiterentwicklung der Rechtspolitik gefährden. Daß mit einer gesetzlichen Regelung nach Vorstellung der Opposition nicht nur konkrete Krankheitsherde erfaßt werden, sonder auch auf nicht regelungsbedürftige Lebenssachverhalte ausgestrahlt wird, ist bei den Beratungen mehrmals gesagt worden. Das scheint kennzeichnend zu sein für die Opposition, die zwar einen Alleinvertretungsanspruch für die Freiheit erhebt, sich aber schnell gegen Freiheit und für staatliche Reglementierung entscheidet.
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Es ist also doch mehr eine bestimmte Art der Freiheit, die Sie meinen, und nicht d i e Freiheit.
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- Keiner wird die bekannten Vorgänge in Stockholm, verehrter Herr Zwischenrufer, das Bombenlegen, die Rolle gewisser Verteidiger in Strafprozessen oder die Steuerung weiterer anarchistischer Aktivitäten aus den Untersuchungshaftanstalten heraus verniedlichen. Aber ist dies wirklich die Stunde der Legislative, die Stunde der Parteien, der Parlamente, der öffentlichen Konfrontation? Oder ist es nicht die Sache derer, die vorhandene Rechtsnormen durchsetzen sollen: der Polizei, der Staatsanwälte, der Richter? Sicherlich, gewissen Machenschaften von seiten einer Verteidigung aus konnte auch unter Berücksichtigung einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung wohl nur mit gesetzgeberischen Mitteln begegnet werden. Aber gerade die Reaktion zur vorgeschlagenen Fassung der Verteidigerüberwachung zeigt, wie übergreifend sich dies für die allgemeine Rechtspraxis auswirken kann. Aber auch hier ist zu fragen, ob sich tatsächlich die schon zur Verfügung stehenden Werkzeuge als unzureichend erwiesen haben. War die teilweise Wiedereinführung der Verteidigerüberwachung tatsächlich zwingend geboten? Sind die vorhandenen Möglichkeiten der Selbstreinigung des Anwaltstandes ausgeschöpft worden? Reichen die massiven, jeder Grundlage entbehrenden Vorwürfe gewisser Verteidiger, ihre Mandanten würden gefoltert und gemordet, für Generalstaatsanwaltschaften und anwaltschaftliche Ehrengerichte nicht aus, den Ausschluß solcher Funktionsträger zu betreiben? Es ist zu hoffen, daß die nunmehr vorgesehene Differenzierung der Ausschlußmöglichkeit von Anwälten in geeigneten Fällen häufiger als bisher praktiziert wird. Dies gerade deshalb, weil sich sonst die staatliche Verantwortung anders und mit Mitteln helfen muß, die über die Regelung des Einzelfalls hinaus in ihren Auswirkungen auch die Berufsausübung der rechtstreuen Anwälte erfassen kann.
Im übrigen muß bei allen gesetzgeberischen Aktionen und Eingriffen im Bereich des Prozeßrechts eines bedacht werden. Das Strafverfahrensrecht hat eine hohe Bedeutung für den Schutz der Öffentlichkeit wie für die Sicherung individueller Rechte. Gerade diese Dialektik, übrigens vor 100 Jahren bei der Beschlußfassung über die Reichsstrafprozeßordnung bewußt gewollt, verschafft dem alles verneinenden Täter Möglichkeiten zur Destruktion, und zwar mit den Rechtsnormen selbst. Mag der Täter nach materiellem Recht auch als Hang- oder Triebtäter oder unverbesserlicher Rechtsfeind einzustufen sein, dem Verfahrensrecht liegt im gewissen Gegensatz hierzu der Gedanke zugrunde, daß der rechtsförmliche Verfahrensweg vom Betroffenen selbst akzeptiert wird. Entfällt diese Voraussetzung, ist nach dem Grundgedanken der Strafprozeßordnung, die ein gewisses Mitmachen voraussetzt, ein Strafverfahren nur sehr schwer durchzuführen. Ein punktuelles Handeln wie z. B. die Überwachung oder der Ausschluß eines Verteidigers ist insofern
nur ein Reagieren auf Symptome, läßt aber eine unübersehbare Fülle von anderen Möglichkeiten zur Verfahrenssabotage unberührt. Dem läßt sich nur begegnen, wenn die Sicherung individueller Rechte selbst zur Disposition gestellt wird. Nur wäre damit das rechtsstaatliche Prinzip selbst aufgehoben und dann das erreicht, was dieser Kreis von Tätern will: Unser Staat soll sich von seinen rechtsstaatlichen Grundlagen lösen und damit den Grund und Boden für eine vorrevolutionäre Unruhe selbst bereiten. Nein, man muß dabei bleiben. Die Regeln des Strafverfahrensrechts müssen auch für den alles verneinenden Tätertyp maßgebend bleiben. Das schließt behutsame Maßnahmen des Gesetzgebers und ein flexibles Reagieren - ({6}) - Ich hatte 15 Minuten angegeben.
Herr Kollege, ich kann nur 10 Minuten zulassen, sonst werden wir im Rahmen der Debatte zeitlich nicht durchkommen.
({0})
- Die Zeitbegrenzung hat das Hohe Haus heute morgen beschlossen, um die Abwicklung der noch vorliegenden Gesetzentwürfe sicherzustellen.
Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.
Das schließt behutsame Maßnahmen des Gesetzgebers - da war ich wohl stehengeblieben - und ein flexibles Reagieren auf seiten der Gerichte nicht aus. Die jüngsten Erkenntnisse der Praxis und der Beschlußvorschlag des Rechtsausschusse weisen hierzu einen vertretbaren Weg. Wir haben allen Anlaß, aufmerksam und entschlossen zu bleiben. Wir haben ebenso allen Anlaß, gelassen zu sein. Unser Rechtsstaat ist sicher.
({0})
Meine Damen und Herren, um noch einmal deutlich zu machen, um was es geht: Wenn wir bei der Abwicklung der einzelnen Debattenbeiträge nicht darauf achten, einigermaßen in dem vorgesehenen Rahmen zu bleiben, besteht die Gefahr, daß am Schluß einzelne Redner nicht mehr zu Wort kommen. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich daher rechtzeitig bemühe, die Abwicklung auch für die späteren Redner sicherzustellen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß die Vorlagen, die wir heute beraten, dem Ziel der inneren Sicherheit nicht hinreichend dienlich sind, ist bereits zur Genüge deutlich gemacht worden. Und das wir es hier, Herr Kollege Penner, mit einer Fülle von Initiativen aus verschiedenen Richtungen zu tun haben, ist doch nicht auf Übereifer zurückzuführen, sondern darauf, daß wir in vielerlei Hinsicht gezwungen sind, Reparaturen an Reformschäden anzubringen, die Sie zu verantworten haben.
({0})
Die Schritte, die Sie, meine Damen und Herren, hier tun wollen, bringen uns nicht weiter. Zwar rühmt sich die Bundesregierung ihrer Erfolge auf dem Gebiete der Bekämpfung des Terrorismus,
({1})
aber dem ist mit Jens Feddersen die nüchterne Frage entgegenzuhalten: „Was nutzt ein noch so perfekter Sicherheitsapparat, wenn ihm in entscheidenden Fragen die Hände gebunden sind,
({2})
wenn aus den Zellen heraus mit Hilfe von ,Anwälten' die Parole ,Der Kampf geht weiter' proklamiert wird? Hier sind die Lücken, die geschlossen werden müssen." Und deshalb, Herr Kollege Penner, ist dies die Stunde der Legislative.
Freilich, die Vorlagen, die Sie uns unterbreiten, sind nicht geeignet, diese Lücken zu schließen; denn sie lassen die Verbindungen zwischen den inhaftierten Bandenmitgliedern und ihrer noch auf freiem Fuß befindlichen Gefolgschaft bestehen. Ich finde keine Erklärung für die unverzeihliche Nachlässigkeit, die Sie hier an den Tag legen, zumal es ja mindestens zuweilen an besserer Einsicht bei Ihnen nicht fehlt. Vor allem der Herr Bundesjustizminister hat sie gelegentlich erkennen lassen, aber seinen starken Worten sind Taten nicht gefolgt.
({3})
Deshalb gilt für ihn:
Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter.
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Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind nach der Kenntnis, die wir von der fortdauernden, aus den Gefängnissen heraus gesteuerten terroristischen Aktivitäten haben, notwendig und angemessen. Wir verkennen dabei gar nicht, daß es sich um möglicherweise recht gravierende Eingriffe in die Rechte der betroffenen Anwälte und Angeklagten handelt. Wir wissen auch um die absolute rechtsstaatliche Notwendigkeit einer effektiven Verteidigung.
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Aber wir sehen uns einer zu rücksichtsloser Kriegsführung gegen unsere Gesellschaft und unseren Staat entschlossenen Bande Krimineller gegenüber, der wir mit gleichen Mitteln weder begegnen wollen noch können, zu deren Bekämpfung mit allen rechtsstaatlich zulässigen Mitteln wir jedoch um unserer Sicherheit und Freiheit willen ebenso fest entschlossen sind.
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Dr. Klein ({7})
Wenn dann gelegentlich gesagt wird - auch in der Rede von Herrn Kleinert klang es an, wenn er auch etwas andere Worte gewählt hat -, unsere Vorschläge seien geeignet, eine autoritäre Atmosphäre zu schaffen, die dann schließlich in eine militaristische und faschistische überzugehen drohe, womit die Terroristen ihr eigentliches Ziel erreicht hätten, dann ist dies blanke Demagogie.
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Dies ist auch blanker Unsinn. Denn aus einer solchen Haltung kann man dann den Schluß ziehen, eben gar nichts zu tun. Und diesen Schluß haben Sie de facto auch gezogen.
({9})
In diesem Zusammenhang erfreut sich besonderer Beliebtheit die These, das von der Union angestrebte Mehr an Sicherheit gehe auf Kosten der Freiheit. Sie, Herr Bundesinnenminister, werden ja nicht müde, in diesem Zusammenhang zu wiederholen: in dubio pro libertate! Nur, in diesem Zusammenhang ist dies eine einseitige Betrachtungsweise. Denn um das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit steht es ja ebenso wie um das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit. Es ist ein Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit ebensowohl wie der Spannung. Zwar: ein Übermaß von Gleichheit oder Sicherheit hebt Freiheit auf. Aber ohne ein gewisses Maß an Sicherheit, insbesondere physischer Sicherheit, wie ohne ein gewisses Maß an Gleichheit gibt es eben auch keine Freiheit.
Dabei geht es um die Abwägung der Freiheit des einzelnen einschließlich der Rechte, die der Verbrecher oder gar der eines Verbrechens nur Verdächtige besitzt, und der Freiheit der vielen, über deren Sicherheit als Bedingung ihrer Freiheit zu wachen die elementarste Aufgabe des Staates ist.
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Eben weil hier Freiheit gegen Freiheit steht, ist der Grundsatz „Im Zweifel für die Freiheit" in diesem Zusammenhang keine taugliche Maxime politischen Handelns.
({11})
Denn was sich auf der einen Seite als Eingriff in die Freiheit darstellt, ist auf der anderen Seite Freiheitsschutz. Und Sicherheit wirkt eben nicht „bloß pazifizierend", wie Sie, Herr Maihofer, in Freiburg mit einem Unterton der Verachtung gesagt haben, nein, Sicherheit ist eine Bedingung der Freiheit.
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Die Gesetze, um die es uns heute geht, sind allerdings nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sie die Möglichkeit des Staates zur Bekämpfung des Terrorismus verbessern sollen - ein Versuch mit untauglichen Mitteln, wie wir gesehen haben -; ihr rechtspolitischer Stellenwert ist ein wesentlich höherer. Denn es geht hier um die Autorität des Staates und seiner Rechtsordnung, ohne die die Freiheit seiner Bürger auch nicht gewährleistet werden kann.
Die zögerliche und teils erkennbar unwillige Reaktion der Koalition auf die Ereignisse auf der
Anarchisten- und Terroristenszene, ihre viel zu lange währende Verharmlosung, die häufig anzutreffende Duldsamkeit gegenüber gewaltsamen Übergriffen in den letzten Jahren, die Unfähigkeit der Mehrheit in diesem Hause, eindeutig auf die Lahmlegung der Justiz zielenden Prozeßverschleppungstaktiken wirksam entgegenzutreten - dies und vieles andere mehr hat diese Autorität beschädigt.
In all dem und in vielem anderen, meine Damen und Herren, wird ein erschreckendes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber jenen Ordnungsprinzipien deutlich, auf denen unsere, aus den verschiedensten Gründen immer aufs neue gefährdete Freiheit beruht: der Verfassungstreue des öffentlichen Dienstes etwa oder der Autorität unseres Rechts. Mir will scheinen, als habe der Bundeskanzler bei seiner kürzlich gehaltenen Rede in Hamburg vor der Katholischen Akademie dafür die theoretische Rechtfertigung liefern wollen. Denn die These dieser Rede ist doch ein Wertrelativismus,
({13})
ohne den es in der Tat eben nicht verstanden werden kann, daß SPD und FDP, wenngleich wohl aus unterschiedlichen Motiven, die fortschreitende Zerstörung der Autorität unserer Rechtsordnung zum Teil passiv hingenommen, zum Teil aber auch, wie durch die in ihrem Schoß geborene Theorie vom politischen Richter, aktiv gefördert haben.
({14})
Dieser Wertrelativismus allerdings bildet in der vom Bundeskanzler dargestellten Form nach meiner Überzeugung nicht die Grundlage unserer freiheitlichen und demokratischen Ordnung, weil er in seinen Konsequenzen zu ihrer Preisgabe führen kann.
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Dabei, meine Damen und Herren, findet sich in dem Vortrag des Herrn Bundeskanzlers natürlich auch einiges, was Zustimmung verdient.
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- In der Tat! Sie sollten sich doch darüber freuen.
({17})
So teile ich die Auffassung, daß die Grundrechte des Grundgesetzes nicht mit religiösen oder sittlichen Grundwerten gleichzusetzen sind, daß sie kein geschlossenes Wertsystem aufrichten, keine Gewährleistung bestimmter Meinungen oder Überzeugungen darstellen, sondern ohne konkrete Zielorientierung schlicht die Freiheit eröffnen, etwas zu tun oder nicht zu tun, etwas zu glauben oder auch nicht zu glauben. Ich fürchte freilich auch, daß diese Meinung des Bundeskanzlers in der SPD alles andere als unbestritten ist.
({18})
Ich folge auch jeder vom Bundeskanzler aufgegriffenen Theorie der Nichtidentifikation, nach der
Dr. Klein ({19})
der freiheitliche Staat zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist.
Aber, meine Damen und Herren, Neutralität ist nicht Indifferenz. Dieser Verwechslung, die bekanntlich auch dem unseligen Kirchenpapier der FDP zugrunde liegt, ist der Bundeskanzler zum Opfer gefallen, wenn er die Erhaltung der Grundwerte in die Zuständigkeit der Gesellschaft, insbesondere der Kirchen, verweist und für den Staat und die staatliche Rechtsordnung nur mehr eine Folgepflicht gegenüber allfälligen Wandlungen des allgemeinen Wertbewußtseins statuiert.
({20})
- Herr Präsident, ich bin davon ausgegangen, daß für mich 15 Minuten Redezeit angemeldet sind.
({21}) [CDU/CSU] : Ja, die
sind angemeldet!)
Die gehen dann bei Herrn Vogel ab.
Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch, zeitweise sozialdemokratischer Justizminister der Weimarer Republik, hat einmal den Relativismus als die gedankliche Voraussetzung der Demokratie bezeichnet, weil diese es ablehne, sich mit einer bestimmten politischen Auffassung zu identifizieren, und vielmehr bereit sei, jeder politischen Auffassung, die sich die Mehrheit verschaffen konnte, die Führung im Staat zu überlassen, weil sie die Möglichkeit eines Standpunkts über den Parteien nicht anerkenne.
Für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat unseres Grundgesetzes hat diese Kennzeichnung aber nur eine begrenzte Richtigkeit. Der positivistische Wertrelativismus des Bundeskanzlers ist rechtsmethodologisch ein Rückfall ins 19. Jahrhundert,
({0})
und rechtspolitisch findet er hier und heute keine Grundlage.
({1})
Denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich abwehrbereit gegenüber jenen politischen Auffassungen, die die verfassungsmäßige Ordnung dieser Republik im Kern zu zerstören trachten. Es verpflichtet den Staat und seine Organe zu deren Schutz, wie immer sich das allgemeine Wertbewußtsein entwickelt. Ja, der Staat ist sogar gehalten, dafür Sorge zu tragen, daß eine gegen seine freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete öffentliche Bewußtseinsbildung nicht stattfindet.
Mit jenem Bestand an Grundwerten, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die freiheitliche demokratische Grundordnung ausmachen, ist im Sinne Radbruchs ein „Standpunkt über den Parteien" formuliert und vorgegeben, den dieser Staat und seine Organe in allen ihren Funktionen unter allen Umständen zu garantieren haben, wenn - und ich gebrauche jetzt Worte des Herrn Bundeskanzlers - die Bundesrepublik Deutschland ihre Freiheitlichkeit nicht in Frage stellen lassen will.
({2})
- Nein, nein, den Unterschied weiß ich wohl zu machen, Herr Kollege Arndt.
An den Ausführungen des Bundeskanzlers fällt übrigens die scharfe Trennlinie auf, die er zwischen Staat und Gesellschaft zieht. „Tua res agitur", sagt er, und macht damit die Wahrung der Grundrechte zur - wohlgemerkt: ausschließlichen - Sache des einzelnen, der Gesellschaft, der Kirche. Daran ist natürlich richtig, daß Moral - oder Ethos, wie der Bundeskanzler sagt - durch staatliches Gesetz nicht geschaffen oder doch jedenfalls nicht allein geschaffen werden kann, sondern in der Gesellschaft lebendig sein muß, um verpflichtend wirken zu können. Und richtig ist natürlich auch, daß der rechtsstaatlich verfaßte Staat und die Gesellschaft nicht identisch sind, sondern unterschieden werden müssen - auch das übrigens eine Einsicht, die auf der linken Seite des Hauses nicht Allgemeingut ist.
Aber schon die Tatsache, daß durch Gesetz Ethos und Moral, also Wertbewußtsein, zerstört werden können, zeigt, daß sich der Staat seiner Verantwortung dafür nicht entledigen kann.
Hinzu kommt die Funktion der politischen Parteien in der Demokratie. Als gesellschaftliche Organisationen sind sie doch zugleich die maßgeblichen Faktoren der staatlichen Willensbildung. Die Grundwerte, die sie sich in jener Eigenschaft zu eigen machen, versuchen sie in dieser in staatliches Recht umzusetzen. Dabei reagieren sie selbstverständlich nicht nur auf von ihnen beobachtete Wandlungen des allgemeinen Wertbewußtseins, sondern sie versuchen, sie aktiv zu steuern. An dieser Stelle setzte die gegen die Rechtspolitik der letzten Jahre gerichtete Politik der katholischen Bischöfe und des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken ein. Insoweit, als SPD und FDP selbst aktiv zur Zerstörung des sittlichen Bewußtseins beigetragen haben, besteht diese Kritik zu Recht.
({3})
Schutz und Gehorsam bedingen sich. Nur der Staat, der Leben und Freiheit seiner Bürger wirksam schützt, wird sich auf Dauer als demokratischer Rechtsstaat behaupten können. Unsere durch die Erfahrungen der letzten Jahre immer neu erhärtete Sorge ist groß, daß die kleinen Schritte der Reform, die sich die Koalition von Zeit zu Zeit abnötigen läßt, nicht ausreichen, um das Leben und die Freiheit der Bürger im notwendigen Ausmaß zu sichern, daß die Autorität von Staat und Recht weiter unter dieser Halbherzigkeit zu leiden haben wird. Ein in seiner Wertorientierung unklarer und dazu noch untüchtiger bloßer Funktionalismus wird das Ver18004
Dr. Klein ({4})
trauen in diesen Staat und seine Rechtsordnung weiter dahinschwinden lassen.
({5})
Meine
Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, daß wir nach den hier teilweise lyrisch, teilweise markig dargelegten Allgemeinplätzen des Kollegen Klein zu dem Thema zurückkommen können, das heute auf der Tagesordnung steht und Inhalt dieser Gesetzentwürfe ist.
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Meine Damen und Herren, es ist eine Binsenweisheit: Der politisch motivierte Terrorismus ist keine spezifisch deutsche Sache, sondern er hat europäische und gar weltweite Dimension. Deshalb ist es auch zwingend geboten, zur Bekämpfung des bandenmäßig organisierten Terrorismus über die Grenzen unseres Land hinaus mit möglichst vielen Staaten Vereinbarungen über die Zusammenarbeit auf diesem Gebiete zu treffen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt deshalb ausdrücklich die Aktivitäten, die sowohl der Herr Bundesminister des Innern als auch der Herr Bundesminister der Justiz in die Wege geleitet und auch zu beachtlichen ersten Ergebnissen geführt haben. Um so notwendiger ist es jedoch, meine Damen und Herren, daß wir im eigenen Lande auf Grund der vorliegenden Erfahrungen die erforderlichen Maßnahmen treffen, um den Terrorismus mit einer einheitlichen Strategie bekämpfen zu können.
Auch diesem Ziel dienen die vorliegenden Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen von SPD und FDP ebenso wie die Entwürfe der Bundesregierung beispielsweise zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, mit denen die primäre Ermittlungskompetenz des Generalbundesanwalts auf die Strafverfolgung terroristischer Vereinigungen erweitert werden soll. Das Fehlen einer solchen zentralen Ermittlungskompetenz hat sich insbesondere auch für die polizeiliche Ermittlungstätigkeit auf diesem Gebiet als nachteilig herausgestellt. Das geltende BKA-Gesetz gibt dem Bundeskriminalamt keine Ermittlungszuständigkeit im Terroristenbereich.
Es ist bedauerlich, meine Damen und Herren darauf möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal hinweisen -, daß CDU und CSU bei der letzten Novellierung des BKA-Gesetzes im Jahre 1973 entsprechenden Vorschlägen der Koalitionsfraktionen nicht gefolgt sind. Ich füge hinzu, daß dieser Zustand auch auf die Dauer nicht hingenommen werden kann. Richtig ist zwar, daß der Bundesminister des Innern in allen länderübergreifenden und aus schwerwiegenden Gründen dem Bundeskriminalamt die Ermittlungen übertragen kann. Nur - das ist der erhebliche Mangel - wird mit einem solchen Auftrag an das BKA nicht zugleich auch eine zentrale staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit begründet. Das führt dann dazu, daß das BKA in einem einheitlichen Verfahrenskomplex des Terrorismusbereichs teilweise mit 20 und mehr Staatsanwaltschaften verhandeln muß. Eine solche Aufsplitterung der Kompetenzen hat in der Vergangenheit zu erheblichen Schwierigkeiten geführt, weil durch die unterschiedliche sektorale Betrachtung durch die Staatsanwaltschaften eine einheitliche Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus überhaupt nicht möglich war.
Auch ist die jetzige Rechtslage, nach der die Fälle „von besonderer Bedeutung", wie es heißt, von den Landesstaatsanwaltschaften dem Generalbundesanwalt zuwachsen, absolut unbefriedigend, weil die Praxis gezeigt hat, daß die Landesstaatsanwaltschaften diese „besondere Bedeutung" aus ihrer sektoralen Lage heraus in der Regel verneinen. Es entsprach wohl auch den Erkenntnissen der Praxis, daß die Innenminister des Bundes und der Länder am 11. April 1975 grundlegende Beschlüsse zur Terroristenbekämpfung gefaßt haben, wonach außerhalb einer gesetzlichen Regelung zwar dem Bundeskriminalamt die Berechtigung zuerkannt wurde, Ermittlung in Bund und Ländern zu führen und einheitlich zu steuern. Aber auch diese im Prinzip gute Regelung läuft wiederum zum Teil leer, weil die Sachherrschaft über die Verfahren nicht beim Bundeskriminalamt, sondern bei den örtlichen Staatsanwaltschaften liegt.
Nach dem bereits erwähnten Innenministerbeschluß vom 11. April 1975 wurde das Bundeskriminalamt befugt, Regelungen für die Ermittlungen in Bund und Ländern für den kriminaltechnischen Sachbeweis zu treffen. Ein solcher Sachbeweis ist gerade in der Terroristenszene von besonderer Bedeutung. Dies beweist auch der Prozeß in Stammheim sehr deutlich, der in der Beweisführung im wesentlichen auf der Kriminaltechnik aufbaut; denn in 1500 Gutachten, vertreten durch 120 Gutachter, werden Beweise über Täter- und Tatzusammenhänge, über Waffen und Sprengkörper, Handschriften, Maschinenschriften, Reifenspuren, Fußspuren bis hin zum Fingernagelschmutz der Täter geführt.
Nun läuft aber auch diese übertragene Befugnis zum großen Teil leer, weil von den verschiedenen Staatsanwaltschaften die vom Bundeskriminalamt in diesem Zusammenhang herausgegebenen Regelungen nicht als verbindlich angesehen werden. Für besonders skandalös halte ich es, daß der Generalstaatsanwalt im Lande Rheinland-Pfalz, also im Lande des Herrn Ministerpräsidenten Kohl, seine Staatsanwälte sogar angewiesen hat, die vom BKA herausgegebenen Regelungen nicht zu beachten.
({1})
All dies macht deutlich, wie notwendig es ist, auf diesem Gebiete die erforderlichen Maßnahmen gesetzlich zu regeln, um ihnen so erst Wirksamkeit zu verleihen. Man kann nicht nur immer wieder von der Notwendigkeit einer verbesserten TerrorisPensky
musbekämpfung reden oder allenfalls rechtsstaatlich sehr zweifelhafte und den Freiheitsraum der Burger immer mehr einschränkende Maßnahmen vorschlagen, wie wir es allzuhäufig von der Opposition erleben. Deshalb ziehen wir Sozialdemokraten solche Maßnahmen vor, die ein Höchstmaß an Effektivität bewirken und daneben unseren Rechtsstaatsprinzipien voll gerecht werden. Das ist beispielsweise bei den vorgeschlagenen Änderungen zum Gerichtsverfassungsgesetz gewährleistet, das ist also eine praktische Handhabe für unsere Ermittlungsbehörden zur Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gnädinger, ich muß Ihnen leider sagen, daß ich fürchte, daß wir nicht beim Abschluß dieser Gesetzgebung gegen die Terroristen sind,
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weil Sie wesentlich erscheinende Punkte in Ihrer Ausschußfassung übersehen haben, Punkte, die seit 1974 keine Berücksichtigung gefunden haben, gravierende Mängel unseres Verfahrens, die auch, Herr Kollege Kleinert, durch die Anhörung der Präsidenten des Bayerischen und des Bundeskriminalamtes, vor allem aber des Generalbundesanwalts erhärtet wurden. Das war, wenn ich das Datum richtig im Kopf habe, Ende April/Anfang Mai dieses Jahres.
Meine Damen und Herren, unsere Anträge zielen darauf ab, die Menschen vor Terroristen zu schützen, also den Freiheitsraum der Allgemeinheit zu erhalten, ein gerechtes, wirksames und schnelles Strafverfahren zu garantieren, die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege zu erhalten und die Ermittlungsbehörden zu unterstützen.
Mein Kollege Kunz hat zu der Qualifizierung der Bildung schwerkrimineller Vereinigungen als Verbrechen schon gesprochen, ebenso zu den Problemen des Haftrechts und der Bestrafung der Nichtanzeige einer schwerkriminellen Vereinigung. Wir sollten uns auch einmal mit dem Mißbrauch der Verteidigerrechte im Prozeß befassen. Ich glaube, daß es notwendig ist, einigen wenigen Verteidigern, die ihre Privilegien mißbrauchen,
({1})
von Gesetzes wegen ganz klar zu sagen: Bis hierher und nicht weiter im Interesse einer der Allgemeinheit, allen Menschen dienenden Rechtspflege. Das ist das Ziel unserer Anträge.
({2})
Meine Damen und Herren, es genügt nicht, daß man
den Verteidigerausschluß erst dann vornimmt, wenn
dieser Verteidiger unter Mißbrauch seiner Verteidigerstellung bereits eine strafbare Handlung begangen hat. Dann hat die Sanktion einzutreten, die das Strafgesetzbuch vorsieht. Wir müssen in der Strafprozeßordnung die Fälle regeln, wo das Privileg eines Verteidigers zur Begehung strafbarer Handlungen mißbraucht wird und auch, wenn er den Verdacht erweckt, einen solchen Mißbrauch zu begehen. Er hat ja dagegen auch Rechtsmittel.
Meine Damen und Herren, der Verlauf der Prozesse gegen die Angehörigen der Baader-MeinhofBande demonstriert anschaulich, daß eine Reihe entschlossener Verteidiger unter Ausnutzung aller Möglichkeiten der Strafprozeßordnung in der Lage ist, den Gang der Rechtspflege durch Monate hindurch aufzuhalten, ohne daß das Gericht auch nur zur Vernehmung der Angeklagten zur Person oder gar zur Beweisaufnahme schreiten könnte. Das ist Verfahrenssabotage, und ich meine, daß in schweren Fällen der Verfahrenssabotage, so sieht es unser Antrag vor, ein Ausschluß von der Verteidigung gerechtfertigt sein muß, wenn zu befürchten ist, daß dieses Verhalten anhält und die Prozeßführung weiterhin gefährdet wird.
Meine Damen und Herren, es geht inzwischen nicht nur um den berühmten Stammheimer Prozeß. Die dort mittlerweile üblichen Praktiken, die allein auf eine Verschleppung und Vereitelung des Strafverfahrens ausgerichtet sind, scheinen Schule zu machen. Das Gericht verfügt aber leider nicht über nötige Handhaben, um das zu verhindern. Die Ausschlußmöglichkeit wegen Prozeßsabotage unter eng umgrenzten Voraussetzungen - ich betone: eng umgrenzt - erscheint hier als der dem Organ der ( Rechtspflege angemessene Weg. So wie der Richter bei Fehlverhalten gegenüber Angeklagten wegen Befangenheit abgelehnt werden kann, so muß auch ein anderes Organ der Rechtspflege, nämlich der Rechtsanwalt, bei einem Mißbrauch seiner Stellung gegenüber anderen Beteiligten des Prozesses ausgeschlossen werden können.
Meine Damen und Herren, einzelne Verteidiger mißbrauchen ihr Begründungs-, Erklärungs- und Fragerecht zu uferlosen unsachlichen Ausführungen, mit denen sie nur politische Propagandazwecke verfolgen oder das Gericht von seiner eigentlichen Aufgabe abhalten wollen. Nahezu alle Terroristenprozesse ergeben hier reiches Anschauungsmaterial. Wir haben es in den Anhörungen wiederholt erfahren müssen. Die Strafprozeßordnung muß deshalb so geändert werden, daß der Vorsitzende das Wort oder auch das Fragerecht dann entziehen kann, wenn prozeßfremde Zwecke verfolgt werden.
({3})
Ich glaube, bei der Situation, in der Organe der Rechtspflege ihre Stellung und ihre Privilegien für staatsfeindliche und ordnungsfeindliche Zwecke mißbrauchen - ({4})
- Ich rede vom Mißbrauch der zu Recht gewährten Privilegien zugunsten des Menschen.
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Dr. Wittmann ({6})
- Man kann auch Privilegien gewähren, die einem bestimmten vernünftigen Zweck dienen. Aber das Wort „Privilegien" ist ja für Sie ein Schimpfwort geworden.
Wir sollten uns auch einmal darüber Gedanken machen - darauf zielt ein Antrag meiner Fraktion hin -, ob wir nicht auch die Zulassungsvorschriften für Rechtsanwälte dahin ändern, daß Rechtsanwälte, die die grundgesetzliche Ordnung aktiv bekämpfen, von der Anwaltschaft ausgeschlossen werden können, bzw. daß ihnen die Zulassung verweigert werden kann.
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- Das geltende Recht sagt nicht „aktiv bekämpfen", sondern das geltende Recht, Herr Kollege Arndt, sagt: „in strafbarer Weise bekämpfen". Es gibt Fälle, wo eben die strafbare Weise nicht gegeben ist, wohl aber ein aktives Bekämpfen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Eine solche Bestimmung wird übrigens auch von einem großen Teil der Anwaltschaft für richtig gehalten. Auch hier sollte nur in eng umgrenzten Fällen ein Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft bzw. eine Ablehnung der Zulassung erfolgen.
Meine Damen und Herren, Anzahl und Bedeutung der Großverfahren haben in den letzten Jahren außerordentlich zugenommen. Die Strafjustiz muß sich in diesen Verfahren in besonderem Maße bewähren. Wir müssen zunächst unseren Richtern, Staatsanwälten und den sonstigen Prozeßbeteiligten dafür danken, daß sie schwierigste Prozesse und Prozeßsituationen in hervorragender Weise gemeistert haben. Ich glaube aber, daß es unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist, sie bei ihrer schweren Arbeit durch entsprechende gesetzgeberische Korrekturen zu unterstützen, damit auch diese Großverfahren zweckentsprechend, zeitgerecht und gerecht durchgeführt werden können.
Wir sollten jede Möglichkeit ausschöpfen, Verfahren zu straffen und zu beschleunigen. Eine solche Beschleunigung ergeben unsere Anträge zur Ausweitung des Opportunitätsprinzips, die eine stärkere Beschränkung des Prozeßstoffes zum Ziel haben. Die Anträge sehen eine beträchtliche Erweiterung der Möglichkeiten vor, von der Strafverfolgung solcher Delikte abzusehen, bei denen im Ergebnis die zu erwartende Strafe gegenüber einer sonst rechtskräftig verhängten oder zu erwartenden Strafe nicht ins Gewicht fällt. Bei drohender Verfahrensverzögerung soll sogar von der Strafverfolgung solcher Delikte abgesehen werden, bei denen die im Ergebnis zu erwartende Strafe in keinem Verhältnis zu den sonstigen Strafdrohungen steht.
Wir haben auch andere Mißbräuche, glaube ich, unseres Prozeßrechts einmal vom Gesetzgeber her zu untersuchen und Änderungen vorzunehmen. Ich denke hier z. B. an den Mißbrauch des unmittelbaren Ladungsrechts durch den Angeklagten, wo ohne Notwendigkeit der Angabe des Beweisthemas Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geladen werden können und dort durch Angeklagte, Verteidiger und durch eine aufgeputschte Zuhörerschaft beschimpft und bedroht werden können. Ich erinnere an die Ladungen der Bundeskanzler oder auch an die Ladung des Verlegers Axel Springer in Berlin, wo das Kammergericht eindeutig festgestellt hat, daß diese Ladung nicht dem Prozeßzweck, sondern allein der Diffamierung und der Prozeßverschleppung gedient hat. Hier stellen wir ebenfalls einen Antrag, der es dem Vorsitzenden bzw. dem Gericht ermöglicht, Beweise zurückzuweisen, die nicht sachdienlich sind.
Im Stammheimer Prozeß gegen die Rädelsführer der Baader-Meinhof-Bande wurden über 90 Ablehnungsanträge gestellt. Jedesmal mußte die Hauptverhandlung unterbrochen werden, um über diese Ablehnungsanträge zu entscheiden. Ein Antrag von uns zielt darauf ab, daß über einen Ablehnungsantrag erst entschieden wird, wenn ein gewisser Verfahrensabschnitt erreicht ist, der sich zeitlich und sachlich abgrenzen läßt.
Auch wird die Verlesung von Urkunden zunehmend zur Prozeßverschleppung mißbraucht. Ein Antrag von uns sieht deshalb vor, daß den Prozeßbeteiligten allseits bekannte Urkunden nicht mehr verlesen zu werden brauchen, daß bei der Absetzung des Urteils auch auf Urkunden, Schriften usw. verwiesen werden kann.
Nun zur Primärzuständigkeit des Generalbundesanwalts im Zusammenhang mit der Verfolgung terroristischer Vereinigungen. Die Fraktionen der SPD und der FDP haben die Primärzuständigkeit des Generalbundesanwalts zur Verfolgung von Straftaten nach dem neugeschaffenen Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen entgegen den Warnungen der Praxis im Ausschuß durchgesetzt. Für eine Primärzuständigkeit des Generalbundesanwalts bei diesen Delikten besteht in der Tat keine Notwendigkeit, Herr Kollege Pensky. Sie haben diese Primärzuständigkeit ja auch gar nicht angesprochen, sondern Sie haben das alte Thema wieder aufgebracht: über die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes haben Sie gesprochen, aber nicht über die des Generalbundesanwalts. Das fällt Ihnen auch schwer, weil der Generalbundesanwalt selbst ausdrücklich erklärt hat, daß er eine solche Primärzuständigkeit nicht für notwendig, ja unter Umständen sogar für gefährlich hält, weil ihm die Tatortnähe, die Vertrautheit mit dem Tatort, fehlt. Er hat ganz eindeutig erklärt, daß die Zusammenarbeit mit den Landesstaatsanwaltschaften hervorragend funktioniert. Daß dann auch noch die einzelnen Senate des Bundesgerichtshofs mit Beschwerden überlastet werden, möchte ich nur am Rande erwähnen.
Trotz dieser schwerwiegenden Bedenken haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, diese Regelung beschlossen und sind dem Rat des Generalbundesanwalts und der Stellungnahme des Präsidenten des Bundesgerichtshofs nicht gefolgt.
Wir wären dankbar, wenn diese Anträge angenommen würden; denn dann hätten wir in der Tat etwas geschaffen, mit dem unsere Praxis etwas anfangen könnte. Der Torso, den Sie uns vorlegen - im Ausschuß mit Mehrheit beschlossen -, wird diese Aufgabe nicht erfüllen.
Dr. Wittmann ({8})
Herr Präsident, ich habe die Anträge begründet und bitte, über die Anträge der CDU/CSU-Fraktion insgesamt abstimmen zu lassen.
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In der zweiten Beratung liegt noch eine Wortmeldung vor. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Engelhard das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Wittmann hat soeben die Änderungsanträge der Opposition begründet. Mit einigen dieser Anträge ist er allerdings der Zeit vorausgeeilt. Sie stammen aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung strafrechtlicher Verfahren, das sich heute in der ersten Lesung befindet.
({0})
Ich weiß, daß darüber kraft Sachzusammenhangs auch im Rechtsausschuß bereits teilweise gesprochen worden ist. Aber wir werden Gelegenheit nehmen, auch bei diesem Gesetz den vorgeschriebenen Weg einzuhalten, und können uns aus diesem Grunde mit der Verabschiedung heute nicht einverstanden erklären.
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Wir werden auch Ihre übrigen Anträge ablehnen. Die Begründung ergibt sich aus den eingehenden Diskussionen im Rechtsausschuß und aus dem, was in der heutigen Aussprache an Für und Wider angeführt worden ist. Herr Kollege Kunz sagte heute, daß das, was wir in diesem Bereich geleistet hätten, dürftig sei; es sei wahrlich keine Wunderwaffe zu nennen.
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- Herr Kollege Kunz, vielleicht ist es ein gewisser Einstieg, daß wir uns einmal klarmachen, daß es Wunderwaffen in diesem Bereich überhaupt nicht geben kann. Deswegen bin ich an sich auch dankbar dafür, daß der Ton in der heutigen Aussprache etwas erfreulicher war als bei früheren Debatten und daß Sie z. B. konzediert haben, daß wir hier eine ganze Menge gemeinsam getan haben und heute auch gemeinsam verabschieden werden. Sie sind freilich der Auffassung, daß das nicht weit genug gehe. Wir haben hier einen verschiedenen Ansatzpunkt. Aus diesen verschiedenen Ansatzpunkten ziehen wir, Koalition und Opposition, unterschiedliche Konsequenzen. Aus unserer Sicht sind Sie in Ihrem Bestreben der Verbrechensabwehr bereit, den Bereich des Rechtsstaates zu tangieren. Wir sind in diesem Punkt sensibler.
Hier muß ich allerdings mit allem Nachdruck das zurückweisen, was Professor Klein gesagt hat, dessen Ausführungen zu entnehmen war, daß es bare
Gleichgültigkeit sein könnte, die die Koalition zu anderen Konsequenzen als die Opposition kommen läßt. Herr Professor Klein, davon kann doch überhaupt nicht die Rede sein. Daß sie es in dieser Weise wirklich gemeint haben könnten, will ich gar nicht unterstellen. Unser Bestreben ist das gleiche. Wir sehen die Dinge allerdings etwas anders und kommen dann auch zu unterschiedlichen Folgerungen.
Dies läßt sich am besten am Kernproblem, der Verteidigerüberwachung, deutlich machen. Wir sehen dieses Problem nicht unter dem Gesichtspunkt der Abwägung: Sollen wir mehr den Bereich der Terroristen oder den ihrer Opfer tangieren? Herr Kollege Kunz hat darüber gesprochen und im Zusammenhang mit den Stockholmer Vorgängen darauf hingewiesen, daß es darum gehe, zunächst einmal an die Opfer zu denken. Das ist doch aber nicht der Diskussionsgegenstand. So stellt sich die Frage doch überhaupt nicht. Hier tendieren wir selbstverständlich in dieselbe Richtung, in die einzig mögliche Richtung.
Die Abwägung ist eine ganz andere: Es gilt, den Rechtsstaat und seine Garantien im Kernbereich auch im Rahmen dieser Gesetzgebung zu bewahren. Es gilt, die richtige Strategie zur Bekämpfung terroristischer Verbrechen zu entwickeln. Ich habe bereits in der Aussprache am 12. Juni des letzten Jahres darauf hingewiesen, daß wir im Rahmen dieser Strategie sehen müssen, daß sich die Terroristen als Märtyrer fühlen und daß ihnen deswegen jede Maßnahme, die wir gegen sie ergreifen, recht sein wird, insbesondere jede Maßnahme, mit der sie sich gegenüber ihrer Sympathisanten-Szene als Märtyrer darstellen können. Ich habe damals gesagt: Das ist ein Personenkreis, in dem sich Sadistisches und Masochistisches paart, Leute, die nicht mit den normalen Maßstäben gemessen werden können. Daran hat sich unsere Strategie bei der Bekämpfung dieser Szene auszurichten.
Es bleibt die Frage zu stellen: Was nützt die Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidigern und Angeklagten, die Sie so heftig fordern? Wir haben uns lange darüber unterhalten, welche Schwierigkeiten für den mithörenden Richter entstehen. Er wird vielfach überhaupt nicht in der Lage sein, die Spezialsprache der Terroristen zu verstehen, und nicht wissen, wann er einzugreifen hat. Er gerät auf jeden Fall in größte Schwierigkeiten und bietet nicht die Gewähr dafür, das zu verhindern, was wir alle gemeinsam verhindern wollen.
Wir konnten auch nicht das Problem lösen, daß zeitlich eine große Lücke klafft. Wir waren uns immer darin einig, daß zumindest ab dem Beginn der Hauptverhandlung alle Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem Angeklagten, die am Rand der Hauptverhandlung stattfinden, nicht mehr der Überwachung unterliegen können. Dieses Argument ist bei Verfahren von großer zeitlicher Ausdehnung gewichtig.
Wir haben auch die Frage untersucht: Woran sollen wir bei der Überwachung anknüpfen? An das Verhalten des Verteidigers ganz sicher nicht. Ein
Verteidiger, der sich an den Delikten, die seinem Mandanten zur Last gelegt werden, beteiligt, ist nach unserem geltenden Recht aus dem Verfahren auszuschließen. Die praktikable Lösung ist, an das Delikt, das dem Beschuldigten zur Last gelegt wird, und an dessen Verhalten anzuknüpfen. Diesen Weg sind wir bei der Überwachung des schriftlichen Kontakts des Anwalts mit seinem Mandanten gegangen.
Die Überwachung des mündlichen Verkehrs haben wir abgelehnt. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, noch einmal darüber nachzudenken, ob wir mit der Überwachung des mündlichen Verkehrs nicht nur ganz zentral die Möglichkeit der Verteidigung einschränken, sondern auch die beschuldigten und angeklagten Terroristen ausdrücklich auf eine kleine Gruppe von Verteidigern verweisen würden, über deren Beurteilung wir uns alle einig sind. Denn welcher angesehene und integre Anwalt wird es hinnehmen, daß der Kontakt mit seinem Mandanten überwacht, daß ihm von Gesetzes wegen Mißtrauen entgegengebracht wird und daß durch die Anwesenheit der Mithörperson bei den Gesprächen mit seinem Mandanten nahezu die Vermutung besteht, auch er gehöre zu jenen, die ihre Privilegierung als Organ der Rechtspflege dazu mißbrauchen, um in eine rechtswidrige Kooperation mit dem Beschuldigten zu treten. Das ist meines Erachtens ein Kernproblem, daß die Qualität der Verteidiger in Terroristenprozessen sinken würde, wenn wir die Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten so beschließen würden, wie Sie von der Opposition es wünschen.
({3})
Herr Abgeordneter Engelhard, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Könnten Sie uns sagen, zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Überlegungen die Bundesregierung von ihrem Vorschlag abgerückt ist, die Überwachung des mündlichen Verkehrs für notwendig zu halten?
Herr Kollege Erhard, ich spreche hier für die Fraktion der FDP. Ich darf daran erinnern, daß wir bereits bei der Einbringung gesagt haben: Wir bringen auch die Überwachung des mündlichen Verkehrs ein, um Stoff zu breiten Diskussionen zu haben
({0})
und um uns dann in einer gewissenhaften und sehr genauen Beratung im Rechtsausschuß über all diese Fragen unterhalten zu können. Daß das geschehen ist, müssen Sie bestätigen.
({1})
Ich habe bereits am 12. Juni 1975 bei der Diskussion über einige Entwürfe für unsere Fraktion klargemacht, daß wir gerade zur Frage der Überwachung des mündlichen Verkehrs eine ganze Menge kritischer Vormerkposten haben, die in den Beratungen des Rechtsausschusses eine Rolle spielen sollten.
Es gibt in diesem Bereich keine letzte Sicherheit. Aber ich sehe mit einigem Bedauern, daß sich alle, die sich hier in Nüchternheit und mit Augenmaß um Lösungsmöglichkeiten bemühen, einem Zangenangriff ausgesetzt sehen.
({2})
Ich hatte erst kürzlich Gelegenheit, an einer Hochschule an einer Diskussion teilzunehmen. Dort waren Leute, die nicht bereit waren, gegen terroristische Verbrechen das aus meiner Sicht Notwendige zu unternehmen. Sie haben das alles für überflüssig gehalten und hielten mir schließlich das Argument entgegen: Ihr beschließt die Überwachung des schriftlichen Verkehrs mit dem Verteidiger; das kann nicht Rechtens sein; im übrigen ist das überflüssig; denn wenn ihr nicht die Überwachung des mündlichen Verkehrs habt, hilft das alles nichts.
({3})
- Es ist richtig, sagen Sie, Herr Kollege Vogel. Ich habe damals den Herrschaften geantwortet: Dieses Argument kommt mir merkwürdig bekannt vor; denn das ist das Argument der Union im Deutschen Bundestag.
({4})
Ich denke, wir sollten uns hier stärker zusammenfinden. Ihnen sollte es zu denken geben, daß sich hier in der Argumentation der Kreis schließt und daß Leute aus völlig verschiedenen Richtungen und Ansätzen mit denselben Argumenten gegen diese Koalition und gegen diese Bundesregierung zu Felde ziehen, die sich bemüht, das Notwendige in Nüchternheit zu tun, sich nicht von Emotionen fortschwemmen läßt, nicht mit Beispielen am falschen Platz operiert. Man muß erkennen, daß das allerdings ein rechtspolitisches Turnen ohne letzte Sicherheit und damit ohne Netz ist.
Wir alle wissen nicht, welcher Bestimmungen es bedürfte, um alle künftigen terroristischen Anschläge verhindern zu können. Wir alle sollten aber aus Erfahrung wissen, daß das stärkste Bollwerk unserer Abwehr die Garantien unserer rechtsstaatlichen Ordnung sind.
({5})
Ich schließe die Aussprache in der zweiten Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt der Änderungsantrag Drucksache 4/5430 vor, der sich auf die Art. 1, 2, 3 und 4 bezieht. Ich gehe davon aus, daß
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
wir über den Antrag insgesamt abstimmen können. Wer diesen Antrag der CDU/CSU-Fraktion unterstützt, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 1, 2, 3 und 4 in der Ausschußfassung. Wer ihnen zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! ({1})
Danke. Stimmenthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion mit sehr großer Mehrheit gebilligt.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 4 a, 5, 6, 7 sowie Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! ({2})
Stimmenthaltungen? - Mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Vogel ({3}) .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal gestaltet sich ein Kapitel über innere Sicherheit in diesem Hause am Ende zu einem traurigen Kapitel, und wieder einmal wird eine Chance vertan, nicht nur die Chance, überhaupt etwas zu tun, sondern die, das Richtige zu tun.
Was hier verabschiedet werden soll, täuscht der Öffentlichkeit mehr vor, als es enthält. Es ist mehr Beruhigungspille als eine wirkliche gesetzgeberische Tat. Was wir zur Begründung der Haltung der Koalition heute hier gehört haben, ist mehr Wortgeklingel als der Ausdruck tatsächlicher Bereitschaft, mehr innere Sicherheit möglich zu machen. Mich hat in Erstaunen versetzt, mit welcher Akrobatik die Standpunkte der Koalition vertreten werden. Wir haben es gerade an dem Beispiel des Kollegen Engelhard noch erleben können. Meine Damen und Herren, diese Akrobatik gestaltet sich sicher inzwischen zu artistischer Glanzleistung und ist insofern olympiaverdächtig, aber mit den eigentlichen Problemen setzt sie sich nicht mehr auseinander. Das Gesetz, das Sie heute verabschieden wollen, ist ein Gesetz der Halbherzigkeit und der Halbheiten. Wir können dazu unseren Segen nicht geben,
({0})
und zwar deshalb nicht, weil wir uns unsere Reputation in Fragen der inneren Sicherheit erhalten wollen.
({1})
Deshalb werden wir dieses Gesetz auch in der abschließenden dritten Lesung ablehnen.
Ich glaube, es wäre sehr gut, wenn wir die Möglichkeit hätten, uns in dieser Debatte auch mit einigen grundsätzlicheren Fragen ein wenig mehr zu beschäftigen. Der Zeitdruck, unter dem wir stehen, gestattet das leider nicht. Es wäre gut, sich noch einmal etwas näher mit dem Freiheitsverständnis auseinanderzusetzen, das den gesetzgeberischen Handlungen der Koalition zugrunde liegt. Dabei wäre es auch gut, die unterschiedlichen Positionen in diesem Freiheitsverständnis sowohl in seinen historischen Bezügen als auch in seinen aktuellen Bezügen zu behandeln.
({2})
Leider ist das nicht möglich. Aber ich möchte doch sagen, daß Sie weder erkennen noch anerkennen wollen, daß Recht und Ordnung einerseits und Freiheit andererseits einander bedingen und zusammen erst den Rechtsstaat ausmachen. Sie haben statt dessen versucht, Recht und Ordnung zu einem Schimpfwort, zu einer Schimpfvokabel gegen uns zu machen, in der Hoffnung, Sie könnten der Opposition damit einen Bonbon ankleben. Sie redeten unbekümmert damit einer egoistischen Ausbeutung der Freiheit das Wort.
Sie haben nicht nur gestattet, sondern sogar gefördert, daß die Freiheit einzelner Individuen und kleiner Gruppen überproportional ausgedehnt wurde. Da auch Freiheitsräume nicht etwas beliebig Vermehrbares sind, mußte die Ausdehnung des Freiheitsraumes bestimmter Personen und Personengruppen notwendigerweise zur Verletzung - und zwar zur erheblichen Verletzung - des Freiheitsraumes anderer führen. Diese Verletzung des Freiheitsraumes anderer haben Sie in Kauf genommen. Sie haben dabei die vornehmste Aufgabe einer politischen Führung bewußt und gewollt vernachlässigt, die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß jeder Bürger soviel Freiheitsraum wie möglich erhält, aber nicht mehr, als er ohne Verletzung des Freiheitsraumes anderer wahrnehmen kann.
Für meine Fraktion stand und steht die Aufgabe, den Freiheitsraum jedes Bürgers zu sichern, in unserer politischen Zielsetzung an oberster Stelle. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, brauchen wir auch Recht und Ordnung. CDU und CSU haben sich nie gescheut, sich hierzu zu bekennen und dafür zu kämpfen.
Wie sieht Ihre Rechtspolitik auf diesem Gebiet der inneren Sicherheit aus? Sie ist ein Beispiel an Konzeptionslosigkeit, Inkonsequenz und prinzipiellem Opportunismus.
({3})
Vogel ({4})
Nur unter dem Druck terroristischer Aktivitäten bieten Sie jeweils kurzlebige Augenblickslösungen an.
({5})
Geben die Terroristen für ein paar Wochen Ruhe, geraten die notwendigen rechtspolitischen Maßnahmen schnell wieder in Vergessenheit. Ist die Öffentlichkeit alarmiert, dann erscheinen Ihre Großkopfeten auf dem Fernsehschirm, dann werden starke Reden gehalten. Wenn es an die Beratung hier im Plenum geht, ist das alles vergessen. Dann wird das, was nach draußen als Absicht verkündet worden ist, die nun endlich verwirklicht werden soll, Stück um Stück auf ein Minimalprogramm, auf eine - ich sage es noch einmal - Beruhigungspille zurückgedreht.
({6})
Das ließe sich ja alles noch einmal nachvollziehen, z. B. an Hand der Geschichte des 3. Strafrechtsreformgesetzes, der Überliberalisierung des sogenannten Demonstrationsstrafrechts bis hin zu diesem kleinen Kuckucksei Vierzehntes Strafrechtsänderungsgesetz.
({7})
Was ist denn bei all dem Gerede am Ende selbst von dem, was die Bundesregierung hier im Bundestag an Gesetzesvorschlägen eingebracht hat, übriggeblieben? Oder denken Sie zurück an die lange, lange Geschichte der Regelung des Haftrechts für die Serientäter! - Meine Damen und Herren, die Zeit ist zu kurz, um darauf noch einmal einzugehen.
Herr Abgeordneter Vogel, würden Sie eine Zwischenfrage gestatten?
Wenn das nicht von meiner Zeit abgeht.
Leider muß ich sagen, Herr Kollege: das geht nicht; wir müssen im Zeitplan bleiben.
Es tut mir sehr leid, dann kann ich leider diese Frage auch nicht zulassen.
Meine Damen und Herren, gerade die Geschichte der Änderung des Haftrechts für die Wiederholungstäter ist ein Musterbeispiel dafür, wie die Koalition in ihren Auffassungen hin und her geschwankt ist, wie aus aktuellem Anlaß starke Sprüche gemacht worden sind und wie hinterher alles zurückgenommen worden ist. Es ist im Hinblick auf die Gesetzgebungsvorgänge hier geradezu ein Witz, wenn wir dann noch im Wahlkampf 1972 erleben mußten, daß die Änderung des Haftrechts als eine der großen Leistungen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit durch diese Koalition gefeiert worden ist.
({0})
- Tut mir leid, Herr Pensky.
({1})
- Herr Kollege Pensky, wenn Sie richtig zugehört hätten, hätten Sie festgestellt, daß ich davon nicht einmal geredet habe.
({2})
Ich habe vielmehr von einer Überliberalisierung des Demonstrationsstrafrechts gesprochen. Aber vielleicht wissen Sie nicht einmal den Unterschied zwischen Demonstrationsstrafrecht und Haftrecht und können deshalb solche Zwischenrufe hier machen.
({3})
Meine Damen und Herren, das gleiche erleben wir bei dem heute ja im Zentrum der Auseinandersetzung stehenden Thema der Überwachung des Verteidigerverkehrs. Auch hier wäre es eigentlich verlockend, noch einmal das Hin und Her nachzuzeichnen, das wir im Laufe der Jahre in dieser Frage erlebt haben, die Haltung des Bundesjustizministers, der Bundesregierung, vor allen Dingen der beiden Führer dieser Bundesregierung, des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers.
({4})
- Nun gut, dann führt er eben nicht. Meinetwegen.
({5})
Aber das sind doch die beiden, die mit strammen Muskeln vor die Fernsehschirme gegangen sind und nach Stockholm verkündet haben, wie notwendig die Überwachung des Verteidigerverkehrs ist.
({6})
Kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen also noch einmal ein richtiger politischer Push, und als die Wahl vorbei war, war das alles auch wieder vorbei. Das haben wir doch im Laufe der Jahre zur Genüge erlebt, und genau dasselbe erleben wir doch im Augenblick auch wieder. Im Grunde genommen können Sie doch heute dieses Gesetz hier nur so verabschieden, weil im Augenblick eine aktuelle Situation Sie nicht zwingt; hätten wir sie, würden Sie überhaupt nicht zurückstehen, hier heute auch ein Stück zuzulegen und die von der Sache her notwendige Regelung der Überwachung auch des mündlichen Verteidigerverkehrs in dieses Gesetz aufzunehmen.
Ich will das alles nicht nachzeichnen, weil die Zeit heute so kurz ist, aber ich möchte doch auf einen Punkt eingehen. Er betrifft den Bundesjustizminister, der im Rahmen dieser Debatte ja auch darauf hingewiesen hat, daß es im Ausland das, was wir
Vogel ({7})
hier vorhaben, nicht gebe, daß es dort dafür kein Vorbild gebe. Meine Damen und Herren, ich habe mir die Mühe gemacht, mir einmal anzusehen, was denn in dem uns umgebenden Ausland in diesem Bereich gilt.
({8})
Ich kann Ihnen nur sagen: Ihnen würden die Augen übergehen, welche Beschneidung von Verteidigerrechten wir über unseren Vorschlag hinaus noch vornehmen müßten, um die gleichen rigiden Vorschriften zu haben wie unsere Nachbarländer Holland, Schweiz, England oder Schweden, um nur einige zu nennen.
({9})
In den Niederlanden darf sich der Anwalt nicht gegen besseres Wissen dem unwahren Leugnen der Tat anschließen. Der mündliche und schriftliche Verkehr zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten kann ausgeschlossen werden - also nicht nur überwacht, sondern sogar ausgeschlossen -, wenn auf Grund bestimmter Umstände ernsthaft vermutet werden kann, daß der freie Verkehr zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten für Versuche mißbraucht wird, die Wahrheitsfindung zu verhindern. - Wie gesagt, hier kann der mündliche und schriftliche Verkehr nicht nur überwacht, sondern sogar ausgeschlossen werden, und das schon dann, wenn nur die Wahrheitsfindung in dem zur Verhandlung stehenden Fall berührt ist.
In der Schweiz wird der Verteidigerverkehr dann beaufsichtigt, wenn der Zweck der Strafuntersuchung gefährdet ist, insbesondere, wenn die Gefahr des Zusammenspiels zwischen Verteidiger und beschuldigtem Inhaftierten besteht. Für diese Fälle ist Überwachung oder Ausschluß schriftlicher und mündlicher Korrespondenz zwischen Verteidiger und Beschuldigtem vorgesehen. Auch hier ungleich härtere Bestimmungen, als sie von uns vorgeschlagen werden.
In England geben die Prison Rules dem inhaftierten Angeklagten nur das Recht auf angemessene Möglichkeiten zum Verkehr mit seinem Anwalt. Jedoch: Ein Beamter ist anwesend - außer Hörweite, aber in Sichtweite.
({10})
- Herr Pensky, ich hoffe nur, daß Ihnen das Lachen eines Tages nicht vergeht. Im Grunde genommen sind das Fragen, die viel zu ernst sind, um in dieser Art und Weise behandelt zu werden, wie sie von Ihnen hier behandelt werden.
({11})
Sie haben nur eine alte Kamelle, die Sie immer wieder auflegen können: das ist das BKA-Gesetz, eine Sache, in der zwischen dem Bundesinnenminister und den Landesinnenministern Übereinstimmung erzielt worden ist, eine Sache, in der in diesem Hause Übereinstimmung erzielt worden ist und hinsichtlich der Sie alte Ladenhüter immer wieder neu aufwärmen müssen. Das ist alles, was Sie in dem Bereich zu bieten haben, Herr Pensky.
({12})
- Das ist alles, was Sie in diesem Bereich zu bieten haben.
({13})
- Herr Gnädinger, Sie wissen ganz genau, daß ab 1969 das verwirklicht worden ist, was unter dem Bundesinnenminister Benda bereits an Vorstellungen entwickelt worden war und vorlag. Das wissen Sie doch ganz genau!
({14})
- Herr Pensky, Sie können davon ausgehen, daß ich diese Zusammenhänge sehr genau kenne. Sie können nach außen ruhig Propagandaspiele betreiben, an den Tatsachen ändert sich dadurch nichts.
Meine Damen und Herren, ich darf wiederholen: In England geben die Prison Rules dem inhaftierten Angeklagten nur das Recht auf angemessene Möglichkeiten zum Verkehr mit seinem Anwalt. Das Standesrecht des Barrister in England verlangt, daß er das Gericht in der Hauptverhandlung weder über eine Tatsache falsch unterrichtet noch aktiv zur Verdunkelung der Tatsachen beiträgt. Hat der Angeklagte dem Barrister seine Schuld eingestanden, so darf dieser nicht auf die Unschuld des Mandanten hinweisen oder seine Verteidigung auf der These der Unschuld aufbauen.
In Schweden gibt es nur eine eingeschränkte freie Anwaltsauswahl. Der öffentliche Verteidiger wird vom Gericht beigeordnet. Macht der Angeklagte einen Vorschlag, so wird der vorgeschlagene Verteidiger als öffentlicher Verteidiger beigeordnet, es sei denn, daß seine Heranziehung eine beträchtliche Erhöhung der Kosten mit sich bringen würde oder sonst besondere Gründe anderes veranlassen. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß ein sonstiger besonderer Grund auch ein Verdacht des strafbaren. Zusammenwirkens wäre.
Ich glaube, meine Damen und Herren, die Tatsache, daß wir mit Anwälten der Art, wie sie im Baader-Meinhof-Verfahren auftreten, konfrontiert sind, überrascht nicht, wenn man unsere Strafprozeßordnung und die anderer Länder vergleicht. In anderen Ländern wären Anwälte der genannten Art gar nicht über die ersten Versuche hinausgekommen.
Meine Damen und Herren, hier ist bereits auf das Anhörungsverfahren, das im Rechtsausschuß des Bundestages stattgefunden hat, und auf das Ergebnis dieses Anhörungsverfahrens hingewiesen worden. Ich muß es mir leider versagen, darauf noch einmal einzugehen, einzugehen insbesondere auf das, was diejenigen, die wissen, wovon sie reden, uns in diesem Anhörungsverfahren gesagt haben, wie z. B. der Generalbundesanwalt, der Präsident des Bundeskriminalamts, der Präsident des Landeskriminalamts in Bayern. Dieses Anhörungsverfahren ist bedauerlicherweise nicht öffentlich gewesen. Bedauerlicherweise ist auch das Protokoll dieses Anhörungsverfahrens öffentlich nicht zugänglich. Ich
Vogel ({15})
glaube, es würde sehr heilsam sein, wenn das, was in diesem Protokoll steht, auch öffentlich würde, damit den Bürgern ein ungeschminktes Bild vermittelt werden kann. Nur eines möchte ich aus dem, was der Generalbundesanwalt gesagt hat, zitieren:
Die Zelle und die Verteidiger ohne die Überwachungsmöglichkeit sind ja - das sei geklagt - das am besten abgeschirmte konspirative Zimmer, das wir in der Bundesrepublik überhaupt haben.
({16})
Meine Damen und Herren, das alles spielt bei Ihnen überhaupt keine Rolle, das macht auf Sie überhaupt keinen Eindruck, weil Sie im Grunde genommen, ich würde sagen, von vornherein überhaupt nicht die Bereitschaft mitgebracht haben, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was dieses Anhörungsverfahren ergibt.
Das einzige, was ich in diesem Zusammenhang bedaure, ist, daß auch die Vertreter der Anwaltschaft bisher die Verteidigerüberwachung und den Ausschluß des Verteidigers bei Prozeßsabotage ablehnen. Ich frage mich, ob sie auf lange Sicht in ihrem eigenen Interesse gut beraten sind. Wie wir leider feststellen müssen, hat das Auftreten der Angeklagten und ihrer Anwälte im Stammheimer Prozeß schon Schule gemacht. Wenn ein derartiges Verhalten sanktionslos bleibt, werden wahrscheinlich immer mehr Angeklagte auf den Geschmack kommen, eine Prozeßführung à la Stammheim zu versuchen. Dazu werden dann willfährige Anwälte gebraucht, und wer will dann garantieren, daß nicht der einzelne Anwalt immer stärkeren Pressionen seitens seiner Mandanten ausgesetzt wird?
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzesvorschlag steht voll und ganz in der Tradition der konzeptionslosen, inkonsequenten und - ich sage es noch einmal prinzipiell opportunistischen Politik der SPD/FDP im Bereich der inneren Sicherheit. Er entspricht in keiner Weise den Notwendigkeiten, die sich aus der inneren Sicherheitslage ergeben. Er regelt so wenig, daß er so gut wie nichts regelt. Deshalb lehnen wir, nachdem Sie unsere Ergänzungs- und Änderungsanträge abgelehnt haben, diesen Gesetzesvorschlag ab.
({17})
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Beratungen bis 14 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir treten in die Fragestunde - Drucksache V5404
ein. Wir kommen zuerst zu Restfragen aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Frage 40 der Abgeordneten Frau Will-Feld wird auf Wunsch de: Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Trifft die Bundesregierung eine Mitverantwortung durch mangelhafte Überwachung der Arzneimittelproduktion eines verunreinigten Impfstoffs zur Bekämpfung einer gefährlichen Geflügelkrankheit, der Marekschen Krankheit?
Herr Präsident, ich bitte darum, die Fragen 41 und 42 zusammen beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken.
Bitte sehr! Dann rufe ich auch die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Was unternimmt die Bundesregierung gegebenenfalls, um die durch Verwendung dieses verunreinigten Impfstoffs schwer betroffenen Betriebe vor einer Existenzgefährdung zu schützen?
Herr Kollege Ey, mit der Frage ist offenbar eine beim Geflügel erstmalig Anfang 1973 aufgetretene Infektionskrankheit gemeint, bei der ein ursächlicher Zusammenhang mit der Verwendung eines bestimmten Impfstoffes gegen die Mareksche Krankheit des Geflügels vermutet wird. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sie keine Mitverantwortung an diesem Geschehen trifft, dessen Ursächlichkeit im übrigen noch nicht geklärt zu sein scheint.
Die Bundesregierung hat sich frühzeitig bemüht, in dem fraglichen Fall zur Klärung des Sachverhalts beizutragen. Letztlich ist es aber Sache der betroffenen Parteien, strittige Fragen auf privatrechtlichem Weg zu klären; dies gilt auch für die Geltendmachung eventueller in ursächlichem Zusammenhang stehender Schäden.
Im übrigen sind - soweit aus öffentlichem Interesse geboten - zur Verhütung gesundheitlicher und wirtschaftlicher Gefahren durch Sera und Impfstoffe, die bei Tieren angewendet werden, Vorschriften erlassen worden. Hiernach dürfen solche Sera und Impfstoffe nur abgegeben oder angewendet werden, wenn sie von dem dafür bestimmten Prüfungsinstitut geprüft und zugelassen worden sind. Für die Anforderungen, die die Prüfungsinstitute an die Prüfung eines Serums oder Impfstoffes im Einzelfall stellen müssen, werden die jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde gelegt. Nach den bisherigen Erfahrungen sind weitere Regelungen nicht erforderlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, wann haben sich die vom Schaden betroffenen Geflügelhaltungsbetriebe schriftlich an die Bundesregierung gewandt, und wann ist mit einer Beantwortung zu rechnen?
Ich habe keine Unterlagen darüber, ob und wann ein solcher Eingang von Interessenten oder Geschädigten bei uns zu verzeichnen ist. Ich kann diese Frage also nur schriftlich beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß bereits im Oktober 1973 von einem Fachwissenschaftler der Verdacht auf Fremdkontamination beim PHV-Impfstoff anläßlich einer gerichtlichen Beweisaufnahme geäußert wurde?
Auch darauf kann ich nur schriftlich antworten. Eine besondere Schwierigkeit besteht ja darin, daß es ein schwebendes Gerichtsverfahren gibt, zu dem ich jetzt keine Aussagen machen kann.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß bereits in einem Merkblatt der Firma Behring darauf hingewiesen worden sein soll, daß Verunreinigungen des Impfstoffes durch Verwendung von flüssigem Stickstoff in dem genannten Impfstoff möglich sein könnten?
Tut mir leid; auch darauf kann ich keine konkrete Antwort geben.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, in welcher Höhe macht die Interessengemeinschaft der geschädigten Geflügelerzeuger Schadenersatzansprüche gegen den Arzneimittelhersteller bzw. gegen einen Dritten geltend?
Ich habe vorhin schon in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß mir Unterlagen darüber nicht vorliegen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Verfügung steht Frau Staatssekretärin Schlei. Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Billigt die Bundesregierung die Ausdrucksweise des Staatsministers beim Bundesminister des Auswärtigen, Moersch, die Bundesländer als „Fußballmannschaft" zu bezeichnen, und ist sie der Auffassung, daß dadurch das Verständnis des Auslands für unser bundesstaatliches Regierungssystem sowie die originären und ausschließlichen Kompetenzen der Bundesländer gefördert wird?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Dr. Fuchs, im politischen Bereich
werden häufig Begriffe aus der Welt des Sports verwendet. Dies ist angesichts der Beliebtheit und des gesellschaftlichen Ansehens des Sports, insbesondere des Fußballsports, ganz verständlich und, wie ich finde, auch erfreulich. Die Sportsprache ist nämlich in vielen Bereichen auch in den von ihr vermittelten Inhalten zum Vorbild geworden. Ich erinnere nur an fair play, Zusammenspiel, Fitness, Hochform, Mannschaftsgeist. Auch der Vorsitzende Ihrer Partei bedient sich z. B. insofern der Sportsprache, als er statt des angekündigten Schattenkabinetts eine Kernmannschaft vorstellt.
({0})
Herr Kollege Moersch hat also das kooperative Gremium der Kultusministerkonferenz mit einer Fußballmannschaft verglichen. Das bedeutet nichts Negatives und ist von ihm eigentlich nur im Hinblick auf die Zahl elf gemeint gewesen.
({1})
Ich möchte auf den zweiten Teil der Frage eingehen, in dem Sie fragen, ob dies nach Auffassung der Bundesregierung dem Ausland gegenüber eine gute Definition ist. Dazu muß ich darauf hinweisen, daß diese Antwort an den Kollegen Professor Dr. Schweitzer gegeben wurde, so daß es eine Antwort ans Plenum und keineswegs eine Antwort ans Ausland war. Diesem Plenum hier, unseren Kollegen, brauchen wir meines Erachtens nicht noch das Verständnis beizubringen, das hier im staatsrechtlichen Sinne erworben worden ist und von jedem erworben werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es für möglich, daß die Länderkultusminister diese Bezeichnung für weniger glücklich halten?
Keineswegs, Herr Kollege; wenn sie an Ulli Hoeneß, Beckenbauer und Müller denken, werden sie sich geehrt fühlen, meine ich.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, da Sie angeführt haben, daß im politischen Leben ähnliche Begriffe verwendet werden, möchte ich Sie fragen: sind Sie der Auffassung, daß diese Begriffswelt überhaupt in die Fragestunde Einzug halten sollte.
Ja, bis zu dem Punkt: der Ball ist ins Aus gegangen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Frau Staatssekretärin, wenn wir bei dieser Parallele bleiben und dieser Begriff für die Kultusminister angewandt worden ist, sollen wir dann davon ausgehen, daß der Bundesminister für Bildung als Ersatzspieler zu bezeichnen ist?
({0})
Nein, als ein Mensch, der den Elfmeter genauso beherrscht wie das faire Zusammenspiel auf der W-Linie, Herr Kollege.
({0})
Die Sachkunde der Frau Staatssekretärin ist beachtlich.
Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Wieviel haben die Veröffentlichung der Bundesregierung zur Darstellung ({0}) ihrer Politik im weiteren Sinne ({1}) insgesamt gekostet, die die Bundesregierung in der Zeit vorn 1. Januar his 18. Juni 1976 publiziert oder zur Verteilung angeboten hat ({2})?
Herr Abgeordneter Dr. Althammer, darf ich Ihre beiden Fragen wegen des sachlichen Zusammenhangs zusammen beantworten?
Bitte sehr!
Dann rufe ich auch die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Was kosten die entsprechenden Veröffentlichungen der Bundesregierung, die sie in der Zeit vom 19. Juni bis 3. Oktober 1976 nach dem derzeitigen Stand der Überlegungen noch publiziert oder zur Verteilung anbietet, insgesamt?
Zunächst möchte ich mit dem Blick auf die Angriffe der Opposition gegen die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung folgendes klarstellen. Erstens. Die Bundesregierung erfüllt mit allen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit die außerordentlich bedeutsame Aufgabe, die Bürger über ihre Arbeit und ihre künftigen Ziele als Verfassungsorgan zu unterrichten.
({0})
Zweitens. Wie Sie selber wissen, ist diese Pflicht durch das Haushaltsgesetz und durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juli 1966 legitimiert.
({1})
Weder durch dieses Gesetz noch durch Urteil wird diese Pflicht der Bundesregierung in Zeiten vor Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden eingeschränkt.
({2})
Das kann auch gar nicht so sein, da die Aufgabe der Bundesregierung selber in diesen Zeiträumen ja nicht ruht. Alle Maßnahmen sind in Übereinstimmung mit den vom Deutschen Bundestag festgelegten Zweckbestimmungen der Titelansätze auf die Organtätigkeit der Bundesregierung bezogen.
Wenn Sie, Herr Abgeordneter Althammer, nach den Kosten der Propagierung, wie es in Ihrer Frage heißt, der Regierungspolitik fragen, so darf ich Ihnen in der Logik dieser kurzen Vorbemerkung sagen: es gibt solche Kosten im Sinne einer Propagierung oder gar Propaganda nicht.
({3})
- Wenn ich es selbst nicht glaubte, würde ich es nicht sagen.
({4})
Eine Regierung, die bei den Bürgern überzeugen will, wird von sich aus auf Propaganda verzichten,
({5})
weil sie dem mündigen Bürger genug Urteilskraft zutraut, daß er sehen kann, ob Fakten, ob Tatsachen dargestellt werden oder ob die Regierung versucht, dem Bürger ein X für ein U vorzumachen und Potemkinsche Dörfer vor den Bürger zu stellen. Daß die Darstellung einer Leistungsbilanz einer Bundesregierung, Herr Abgeordneter, auch eine werbende Wirkung hat, ist nicht zu bestreiten und wird im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich anerkannt. Vielleicht wäre es einigen Mitgliedern der Opposition willkommen, wenn die Regierung ihre vom Bürger jederzeit nachprüfbaren Leistungen gleichsam als Verschlußsache behandelte. Soviel Altruismus können Sie von uns ernstlich nicht erwarten.
({6})
Wenn Sie diese Sachinformationen und ServiceBroschüren meinen, Herr Abgeordneter Althammer,
({7})
so belaufen sich die Kosten auf 14,1 Millionen DM in dem von Ihnen angeführten Zeitraum. Dies entspricht, auf die erwachsene Bevölkerung umgerechnet, einem Betrag zwischen 25 und 30 Pfennig pro Kopf.
({8}) : Zur Frage!)
Was die künftigen Veröffentlichungen angeht, so läßt sich heute keine exakte Auskunft geben. Wie ich schon eingangs sagte, ist nach der geltenden Rechtsprechung die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Teil ihrer Organtätigkeit, die deshalb
I auch zu keiner Zeit ruhen kann. Es kann Ihnen heute niemand sagen, welche Ereignisse in dem von Ihnen apostrophierten Zeitraum die Bundesrepublik veranlassen könnten, besondere Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu erwägen und durchzuführen.
({9})
Ich darf Ihnen aber mitteilen, Herr Abgeordneter, daß die Anzeigen und Beilagen der Bundesregierung nach unserer jetzigen Vorstellung Ende Juli abgeschlossen sein werden. Die von Ihnen weiter geforderte Aufschlüsselung nach Druck, Herstellung und Vertrieb kann ich Ihnen nicht geben.
({10})
Sie kennen als Haushaltsfachmann die einschlägigen Bestimmungen: Verdingungsordnung für Leistungen, insbesondere § 24. Selbstverständlich, Herr Abgeordneter, ist die Bundesregierung bereit, den Deutschen Bundestag in einer Form zu unterrichten, die die geforderte Vertraulichkeit gewährleistet und ein Bekanntwerden dieser Daten ausschließt.
({11})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, ist es ein Ausdruck des schlechten Gewissens dieser Bundesregierung, daß sie auf eine ganz schlichte Sachfrage nach Zahlen mit einer solch unglaublichen Darstellung und Verschleierung antwortet?
({0})
Herr Abgeordneter, wir haben überhaupt keinen Grund, irgend etwas zu verschleiern.
({0})
Sie werden gesehen haben, daß ich auf die kritischen und polemischen Bemerkungen des Generalsekretärs der CDU bereits vor gut acht Tagen vor der Bundespressekonferenz unsere Zahlen auf den Tisch gelegt und gesagt habe, daß die Kosten für die eigentliche politische Öffentlichkeitsarbeit 52 Millionen DM betragen.
({1})
Wenn Sie alle anderen Maßnahmen der Ressorts hinzunehmen, z. B. Verkehrserziehung und Kosten für die Darstellung der Verteidigungsleistungen
({2})
und die Propagierung von Gesundheitsmaßnahmen,
kommen Sie auf die Summe von 143 Millionen DM,
({3})
aber nicht auf die von Herrn Professor Biedenkopf mehrfach genannte Summe von über 200 Millionen DM, die er bis zu diesem Augenblick nicht korrigiert hat.
({4})
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, würden Sie es als einen Ausdruck des schlechten Gewissens dieser Regierung ansehen, daß Sie jetzt eben erklärt haben, Sie könnten keine detaillierte Auskunft geben, weil diese Dinge vertraulich zu behandeln seien, während andererseits diese gleiche Bundesregierung im Januar 1974 eine genau detaillierte Darstellung mit einer Fülle von Seiten als offizielle Drucksache herausgegeben hat?
Diese Maßnahmen sind ja noch in der Diskussion, Herr Abgeordneter. Wenn alle Planungen abgschlossen sind, bin ich selbstverständlich bereit, Ihnen die Zahlen im Detail zu geben.
({0})
Ich habe Ihnen die Zahlen, auf die es Ihnen offenkundig politisch ankommt, bereits genannt. Im übrigen wissen Sie selber, Herr Abgeordneter, daß hier auch Fragen des Wettbewerbsrechts involviert sind. Die Bundesregierung war und ist bereit, über die Kosten ihrer Öffentlichkeitsarbeit, ohne irgend etwas zu verschleiern, Auskunft zu geben, anders als die bayerische Staatsregierung, die 1974 jede Frage nach den Kosten der Öffentlichkeitsarbeit einfach mit dem Hinweis auf einschlägige Bestimmungen abgeblockt hat.
({1})
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, würden Sie es als einen Offenbarungseid dieser Regierung ansehen, die dauernd von der Notwendigkeit der Planung spricht, wenn Sie ausgerechnet zu der Planung der noch bevorstehenden Maßnahmen dieser Bundesregierung hier erklären, daß Sie darüber nichts wüßten, weil eine solche Planung überhaupt nicht vorliege?
({0})
Herr Abgeordneter, ich habe bereits, ich glaube, mit der notwendigen Klarheit darauf hingewiesen,
({0})
daß es Ereignisse geben kann, die die Bundesregierung im Sinne der Organtätigkeit, die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts angesprochen ist, nötigen, im Interesse der Bürger bestimmte Informationen zu geben oder womöglich sogar ganze Informationskampagnen zu machen. Das gehört nicht nur zu ihren Rechten, sondern auch zu ihrer Pflicht.
({1})
Sie haben keine Zusatzfrage mehr, Herr Abgeordneter Dr. Althammer? - Nein.
Ich sehe bereits sieben oder acht Damen und Herren, die sich zu weiteren Zusatzfrage gemeldet haben. Zuerst der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, beruft sich die Bundesregierung genauso wie der bayerische Ministerpräsident Goppel auf Recht, Gesetz und Verordnung, wenn sie es unter Verweis auf die Verdingungsordnung ablehnt, bestimmte Einzelheiten zu nennen, ausgenommen natürlich Auflageziffern und Kosten?
Das ist richtig, Herr Abgeordneter. Wie ich schon in meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Althammer sagen konnte, gibt es aus Gründen des Wettbewerbsrechts für uns die Pflicht, bestimmte Daten jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Natürlich sind wir jederzeit bereit, dem Haushaltsausschuß Auskunft zu geben. Aber im Unterschied zu der Behandlung der Frage der sozialdemokratischen Fraktion des bayerischen Landtages haben wir zu keinem Zeitpunkt gezögert, das Gesamtvolumen unserer Öffentlichkeitsarbeit in aller Öffentlichkeit zu dokumentieren.
({0})
Eine Frage, der Abgeordnete Breidbach.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie, nachdem Sie dem Kollegen Althammer die Notwendigkeit der Informationspolitik der Bundesregierung erläutert haben, fragen, wie Sie als SPD-Mitglied dazu stehen, daß Ihre Partei im Jahre 1958 im Hinblick auf den Gesamthaushalt des Bundespresse- und Informationsamtes einmal gegenüber der CDU erklärt hat, daß sie mehr Geld für Propagandazwecke benötige als Goebbels, wie dem „Vorwärts" vom 20. Juni 1958 zu entnehmen ist.
({0})
Ich kenne diesen Sachverhalt nicht, Herr Abgeordneter. Das müßte ich mir erst im Detail ansehen.
({0})
Aber ich glaube nicht, daß es gut und empfehlenswert wäre - ich bin jedoch jederzeit bereit zu antworten -, in die Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit
einzutreten. Es könnten z. B., Herr Abgeordneter, viele Dissertationen über das Thema „Reptilienfonds" geschrieben werden.
({1})
Ich glaube sogar, es wäre für viele jüngere Bürger in diesem Lande interessant, einmal erklärt zu bekommen, was sich hinter diesem seltsamen Wort verbirgt.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, halten Sie es wirklich für vertretbar, nachdem die Parteien bereits erhebliche Beträge aus Steuermitteln für ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit erhalten, und zwar jeweils nach ihrer Stärke im Bundestag, daß die Bundesregierung unter Verletzung gleicher Chancen
({0})
zusätzlich Anzeigen aufgibt, in denen sie vermeintliche Leistungen aufzeigt und sagt: „Leistung verdient Vertrauen", also praktisch mit Steuermitteln dazu auffordert, sie wiederzuwählen? Halten Sie das wirklich für vertretbar?
({1})
Ich muß zunächst, Herr Abgeordneter, die in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung zurückweisen, daß hier, wie Sie vermuten - ich sage es in meinen Worten -, eine Synchronisierung vorliegt. Sie müßten sich schon die Mühe machen, den Nachweis zu führen, daß wir in irgendeiner Publikation, in irgendeiner Anzeige, für die die Bundesregierung Verantwortung trägt, anderes getan haben, als objektiv nachprüfbare Leistungen zu dokumentieren.
({0})
- Ich bin erstaunt über Ihre
({1})
Heiterkeit; denn auch Generalsekretär Biedenkopf hat auf seiner ausführlichen Pressekonferenz nicht den Versuch gemacht, uns nachzuweisen, daß wir anderes darstellen als Regierungsleistungen. Dabei verzichten wir auf jede Emotionalisierung, auf jede Polemik gegen andere und beschränken uns auf die Darstellung dessen, was in diesem Hohen Haus geleistet und als Gesetz verabschiedet worden ist.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß die pflichtgemäße publizistisch darstellende Tätigkeit des BundespresseDr. Schweitzer
amtes u. a. daran zu messen ist, ob z. B. in Anzeigen die Opposition angegriffen wird, und teilen Sie meine Auffassung, daß die in Frage stehenden Veröffentlichungen Ihres Hauses in dieser Hinsicht - im Gegensatz etwa zu der Zeit eines auch in solchen Sachen wenig pingeligen Bundeskanzlers Adenauer - keinerlei Anlaß zu Beanstandungen geben können?
Ich glaube, Herr Abgeordneter Professor Dr. Schweitzer, wir können mit gutem Gewissen sagen, daß wir uns strikte, aber wirklich strikte an einen Sachstil gehalten haben, während ein an dieser Thematik interessierter Doktorand bei Untersuchung der Regierungsanzeigen früherer Regierungen auf Parolen stoßen würde, die sich sicherlich nur sehr schwer mit dem Gebot der Sachlichkeit vereinbaren lassen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre seitherigen Ausführungen dahin gehend richtig verstanden, daß eine solche Erörterung, wie wir sie jetzt führen, unter CDU/CSU-Regierungen wohl kaum hätte geführt werden können, weil ein möglicher Amtsvorgänger von Ihnen dann darauf hingewiesen hätte, daß alle diese Dinge aus dem geheimen Reptilienfonds - also für das Parlament undurchschaubar und unkontrollierbar - finanziert werden?
({0})
Herr Abgeordneter Professor Schäfer, ich weiß - auch wenn das bei der Opposition keine Zustimmung findet - jedenfalls von zwei jüngeren Abgeordneten der Opposition,
({0})
daß sie sehr zufrieden damit sind, daß bereits in den Tagen der Großen Koalition damit begonnen worden ist, den Reptilienfonds zu reduzieren, weil sie davon ausgingen, daß die politische Wirkung eines solchen anonymen Fonds auch auf die ihnen zugetanen Wähler nur negativ sein könne.
Wir haben diesen Fonds auf jetzt 5 Millionen DM reduziert. Ich kann sagen - das ist jederzeit durch den Unterausschuß des Haushaltsausschusses nachzuprüfen -, daß große Teile dieser Gelder für die Auslandsarbeit verwendet werden, andere beträchtliche Teile für die Finanzierung von politischen Bildungsinstituten. Also Reptilien werden von uns heute nicht mehr genährt.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Staatssekretär, aus der Arbeit im Haushaltsausschuß wissen wir, daß die meisten Ressorts zumindest in ihren Haushaltsreferaten über intakte Institutionen verfügen. Ist es denn nun so schwierig, durch einen schnellen Zugriff auf diese doch recht leistungsfähigen Einrichtungen der Regierung jene Details zu ermitteln, nach denen der Kollege Althammer gefragt hat, zumal ihr Einwand, wettbewerbsrechtliche Fragen stünden entgegen, doch gar nicht stichhaltig ist? Denn die Zahlen, nach denen der Kollege Althammer gefragt hat, sind doch nicht geeignet, die Anonymität zu durchbrechen, da sie nicht auf Unternehmen bezogen sind.
Herr Abgeordneter Haase, ich weiß nicht, warum Sie an jedem Detail interessiert sind,
({0})
da Sie doch die Gesamtsumme kennen und ich bereits gesagt habe, daß wir dem zuständigen Unterausschuß des Haushaltsausschusses dann, wenn diese Planungen alle abgeschlossen sind und es keine Unbekannten mehr gibt, von denen ich vorhin gesprochen habe - nämlich unvorhersehbare Ereignisse, die uns zur informatorischen Aktivität förmlich zwingen -, alle diese Zahlen vorlegen werden. Wir werden z. B. - daraus entnehmen Sie bitte, daß ich überhaupt keine Veranlassung habe, etwas zuzudecken - für unsere Anzeigenkampagne, die wir Ende des Monats Juli abschließen werden, noch etwa 2 Millionen DM ausgeben. Das Justizministerium hat aber z. B. - nach Verabredung mit den Länderjustizministerien - vor, eine Aufklärungsaktion zum Thema „Ehe- und Familienrecht" durchzuführen. Die Kosten sind mir in diesem Augenblick noch nicht bekannt, Herr Abgeordneter Haase.
({1})
Mir liegen noch Wortmeldungen der Herren Lenders, von Bülow, Graf Stauffenberg und Leicht zu Zusatzfragen vor. Ich schließe damit die Zusatzfragen ab. Irgendwo muß einmal Schluß gemacht werden, damit wir in der Fragestunde vorankommen, Herr Abgeordneter Lenders!
Herr Staatssekretär, wie sind eigentlich Ihre Erfahrungen: Trifft es zu, daß die Bevölkerung, wie hier durch die Art der Fragestellung unterstellt wird, an den Informationen der Bundesregierung über neue Gesetze und über Rechte und Pflichten aus neuen Gesetzen nicht interessiert ist?
Herr Abgeordneter Lenders, das trifft mit absoluter Gewißheit nicht zu. Wir haben Ende des vergangenen Jahres Infas mit der Durchführung einer Umfrage beauftragt - gegenüber jenen, die ihre eigene Meinung über Infas haben, möchte ich sagen, daß es sich hier um eine
streng sachliche Arbeit handelt -, aus der hervorgeht, daß jeder zweite deutsche Bürger die Öffentlichkeitsarbeit für ausreichend hält, aber jeder dritte Bürger meint, daß er durch die Regierung noch mehr erfahren müsse.
({0})
Ich möchte hinzufügen, daß ich aus Gesprächen mit zahlreichen Bonner Journalisten, die sicherlich nicht Parteigänger dieser Regierung sind, sich aber um ein objektives Urteil bemühen, weiß, daß sie zahlreiche Broschüren, die aus unserem Hause oder etwa auch aus dem Hause des Bundesarbeitsministers kommen, als vorbildlich, sachlich und im besten Sinne des Wortes als Lebenshilfe begreifen und sie auch als eine komplementäre - ({1})
Meine Damen und Herren, bei etwas mehr Ruhe würde die Fragestunde rascher ablaufen.
Herr Abgeordneter Lenders, ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß ich der Opposition und selbstredend auch Ihnen noch am heutigen Tage eine Liste zu überreichen bereit bin, ja, mich sogar freuen würde, wenn ich sie bei der Opposition an den Mann bringen könnte, aus der hervorgeht, daß auch solche Organisationen wie die Junge Union und die große und wichtige politische Organisation, an deren Spitze Sie, Herr Abgeordneten Katzer, stehen, bei uns um solche Broschüren gebeten haben
({0})
und daß wir zwar nicht als Persilscheine, wohl aber als von uns gut aufzubewahrende Dokumentation anerkennende Briefe haben, in denen die Sachlichkeit dieser Produkte der Öffentlichkeitsarbeit bestätigt wird.
({1})
Herr Abgeordneter von Bülow!
Herr Staatssekretär, haben Sie eine Übersicht darüber, wie sich die Steigerungsraten der Haushaltsansätze für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit in den verschiedenen von der CDU geführten Ländern darstellen? Trifft die Information zu, daß im Lande Rheinland-Pfalz im Bereich der für die Öffentlichkeitsarbeit angesetzten Mittel innerhalb von drei Jahren eine Steigerungsrate von 40 % und im Lande Schleswig-Holstein im gleichen Zeitraum eine solche von 90 % zu verzeichnen war?
({0})
Herr Abgeordneter, Sie können nur Fragen stellen, die mit der Bundespolitik im Zusammenhang stehen. Hier geht es um Fragen der Landespolitik. Solche Fragen müssen Sie in dem jeweiligen Landtag stellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, bleiben Sie bei Ihrer vorhin gemachten Aussage, daß die Verabschiedung von Gesetzen eine Leistung der Bundesregierung sei?
Es ist in einigen Fällen, Herr Abgeordneter, so denke ich, das Interesse des ganzen Hauses, zum Beispiel was die Öffentlichkeitsarbeit für die Transparentmachung des Ehe- und Familienrechts angeht - dies ist ja keine Sache, die nur solche Bürger interessiert oder mit Sicherheit interessieren wird, die Sozialdemokraten oder Freie Demokraten wählen - ({0})
- Ich habe so wenig wie andere Vertreter der Bundesregierung jemals in unserer Öffentlichkeitsarbeit oder in einigen Äußerungen den Eindruck erweckt, als habe die Bundesrepublik mit dem Anfang der sozialliberalen Koalition begonnen. Dies wäre ja unsachlich und würde einem nicht geglaubt werden.
({1})
Zu einer letzten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Leicht.
Herr Bölling, wären Sie so freundlich, Ihre zu Beginn dieser Fragestunde abgegebene Erklärung über die Höhe des eigentlichen Titels für Öffentlichkeitsarbeit in allen Häusern in der Größenordnung von 52 Millionen DM überprüfen zu lassen - wobei das Ergebnis sein wird, daß von 1969 bis 1976 in absoluten Zahlen 43,2 Millionen DM hinzugekommen sind und daß nach den Zahlen der Regierung in diesen sieben Jahren eine Steigerung um 125 % festzustellen ist?
({0})
Herr Abgeordneter Leicht, meine Zahlen sind mit Ihren Zahlen nicht identisch. Wir können die Zahlen später vergleichen. Aber die Steigerungsrate von 1969 bis 1976
({0})
beträgt nach unseren sorgfältigen Untersuchungen 47 %, davon 40 % für das Bundespresseamt, bei einer Gesamtsteigerungsrate des Bundeshaushalts im gleichen Zeitraum von 102 %. Da müßten wir die Zahlen kritisch vergleichen.
({1})
Ich kann diesen Punkt als damit abgeschlossen betrachten.
Wir kommen zur Frage 93 des Abgeordneten Haase ({0}) :
Welche Zeitungs- und Zeitschriftenanzeigen sowie Zeitungsund Zeitschriftenbeilagen hat die Bundesregierung vorn 1. Januar bis 18. Juni 1976 in welcher Auflagenhöhe veröffentlicht?
Herr Abgeordneter Haase, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich diese Frage und Ihre andere Frage zusammen beantworten.
({0})
Ich rufe auch die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Haase ({0}) auf:
Was haben diese Anzeigen und Beilagen gekostet ({1})?
Zwischen dem 1. Januar 1976 und dem 18. Juni 1976 hat die Bundesregierung die folgenden Anzeigen und Beilagen in den folgenden Auflagehöhen und zu folgenden Kosten gestaltet. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich Sie jetzt mit detaillierten Angaben in Anspruch nehme.
({0})
- Das kommt am Schluß, Herr Abgeordneter.
Bundesfinanzministerium: zwei Anzeigen zur Mittelstandsförderung in einer Auflage von 621 000 Exemplaren zu Kosten von über 44 000 DM sowie eine Beilage über finanzpolitische Themen in einer Auflage von 7 200 000 Exemplaren bei Kosten von 839 000 DM.
Landwirtschaftsministerium: eine Anzeige zum Agrarbericht 1976 in einer Auflagenhöhe von 800 000 Exemplaren bei Kosten von 115 000 DM.
Das Ministerium Arendt: drei Anzeigen zum Thema Mitbestimmung in einer Auflage von 183 000 Exemplaren bei Kosten von 18 340 DM; eine Beilage zum Thema „Soziale Sicherheit" in einer Auflage von 14 Millionen Exemplaren bei Kosten von 2,015 Millionen DM.
({1})
- Dies war, das darf ich in Parenthese sagen, Herr Abgeordneter, eine Anzeige, die viele positive Zuschriften im Gefolge hatte.
({2})
- Ich kann es nicht ändern. Ich kann das ja dokumentieren. Es sind keine gewünschten Reaktionen, sondern solche, die nachzuweisen sind.
Bundesbauministerium: eine Anzeige zum Ausbau der Hauptstadt Bonn in einer Auflage von 150 000 Exemplaren bei Kosten von etwas über 8 Millionen DM und zwei Anzeigen zum Thema „Sozialer Wohnungsbau" bei Kosten von etwas über 11 Millionen DM.
({3})
Das Ministerium Matthöfer: eine Anzeige zur Forschungspolitik in einer Auflage von 316 000 Exemplaren bei Kosten von 60 000 DM.
Das Ministerium Rohde: zwei Anzeigen zur Bildungspolitik in einer Auflage von 440 000 Exemplaren bei Kosten von 40 565 DM.
Das Ministerium Bahr: drei Anzeigen zu entwicklungspolitischen Themen in Auflagen zwischen 1 610 000 und 10 Millionen Exemplaren bei Gesamtkosten von 440 800 DM.
Wir selber, Herr Abgeordneter Haase: neun Anzeigen in Tageszeitungen zu der Arbeit und den Zielen der Bundesregierung in Auflagen zwischen 7,8 Millionen und 12,5 Millionen Exemplaren bei Kosten von 3 292 000 DM; ich bin gleich durch - vier Anzeigen im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" in einer Auflage von jeweils 896 000 Exemplaren bei Kosten von 368 518 DM; vier Anzeigen in der „Bunten Illustrierten" in einer Auflage von jeweils 1,5 Millionen Exemplaren und bei Kosten von 445 000 DM; schließlich und endlich zwei Anzeigen zum Thema „Sicherheit der Renten" in Funk- und Fernsehzeitschriften in einer Auflage von jeweils 11 Millionen Exemplaren bei Kosten von rund 154 000 DM. Das ergibt eine Gesamtsumme von knapp 8 Millionen DM. Ich habe vorhin schon sagen können: Das, was noch aussteht und womit wir in gut vier Wochen durch sein wollen, wird bei uns im BPA noch etwa rund 2 Millionen DM kosten, Herr Abgeordneter.
({4})
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 95 des Abgeordneten Schröder ({0}) auf:
Welche und wieviel Zeitungs- und Zeitschriftenanzeigen sowie Beilagen der Bundesregierung zu Zeitungen oder Zeitschriften sind für die Zeit zwischen dem 19. Juni und 3. Oktober 1976 in welcher Auflagenhöhe noch vorgesehen oder schon durchgeführt?
Entschuldigung!
({0})
- Ja.
({1})
- Ich bitte um Nachsicht. Ich hatte mich in einer Zahl versprochen und überlegte, ob ich sie gleich noch korrigieren sollte.
Herr Abgeordneter Schröder, was ich vorhin auf die Frage des Herrn Abgeordneten Althammer gesagt habe, gilt auch für Zeitungs- und Zeitschriftenanzeigen. Heute ist in der Tat nicht mit Sicherheit zu sagen, welche Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit in den bevorstehenden drei Monaten noch notwendig sein werden.
({2})
Nach dem bisherigen Stand der Planung kann ich Ihnen - ich habe darauf schon hingewiesen - mitteilen, daß die Bundesregierung mit Rücksicht auf den Wahltermin ihre Informationsanzeigenserien Ende Juli, wie ich es schon betont habe, beendet haben wird. Naturgemäß kann ich Ihnen aber die insgesamt entstehenden Kosten für den Zeitraum bis zum 3. Oktober heute noch nicht präzise nennen. Ich habe vorhin schon auf die noch nicht völlig abgeschlossene Planung z. B. des Bundesministers der Justiz in Sachen Ehe- und Familienrecht hingewiesen.
Es ist allerdings damit zu rechnen - das kann ich mit absoluter Sicherheit sagen -, daß diese Kosten bei weitem niedriger sein werden als diejenigen, die ich Ihnen für das zurückliegende halbe Jahr nennen kann. Wenn Sie an den Kosten der einzelnen Anzeigen interessiert sind, werde ich sie Ihnen nennen. Ich bin aber auch bereit, Ihnen das nachher ad oculos vorzuführen; dann brauchte ich es jetzt nicht im einzelnen vorzulesen.
Die Gesamtkosten ab 19. Juni bis Ende Juli werden - ich habe vorhin gesagt: 2 Millionen DM - nicht einmal 2 Millionen DM betragen; es sind 1 826 000 DM.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schröder ({0}).
Herr Staatssekretär, wieviel Haushaltsmittel stehen in den einzelnen Titeln für Öffentlichkeitsarbeit und im Bundespresseamt für den Rest des Jahres überhaupt noch zur Verfügung?
Jedenfalls genug, um die Aufgaben zu leisten,
({0})
zu denen wir uns nach der Linie, die wir von Anfang an gehalten haben, verpflichtet fühlen.
({1})
Wir haben - Sie werden mir die Bemerkung nicht verdenken, Herr Abgeordneter Schröder - auch noch ein wenig zur Verfügung, damit die Bundesregierung für den Fall, - den ich immerhin für theoretisch denkbar halte -, daß sie in unsachlicher Weise angegriffen werden sollte, die Möglichkeit einer sachlichen Berichtigung hat.
({2})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder ({0}).
Herr Staatssekretär, in welchen Themenbereichen sieht denn die Bundesregierung in den nächsten Wochen noch ein großes Informationsbedürfnis unserer Bevölkerung?
Es sind einfach wichtige Elemente, Herr Abgeordneter Schröder, der Leistungsbilanz noch zu komplettieren.
({0})
- Ja, selbstverständlich. Ich kann Ihnen die Themen im einzelnen, wann immer Sie wollen, dokumentieren. Es gibt kein Thema, bei dem Sie vermuten werden, daß man damit Polemik verbinden könne. Alle Anzeigen werden bis zum letzten Tag streng sachlich sein,
({1})
so wie ich es auch bei der letzten Zusammenkunft, Herr Abgeordneter, mit den Pressechefs der Länder versprochen habe. Als ich neulich Gelegenheit hatte, mit einem der Herren zu sprechen, hat er gesagt: Das, was Sie da machen, ist nicht so schlecht; es ist schwer angreifbar. - Ich habe das als ein Kompliment für die Arbeit des Bundespresseamtes genommen.
({2})
Zunächst eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden denn die noch zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen, um nach dem Muster der rheinland-pfälzischen Landesregierung etwa eine eigene Zeitung herauszubringen, statt des „Rheinland-Pfalz Reports" nun einen „Bundesreport" der Bundesregierung, und hat die Bundesregierung etwa die Absicht, so etwas zu tun?
({0})
Ich würde das, Herr Abgeordneter Sperling, für eine närrische Idee, für eine extrem unpolitische Idee und für eine in Wahrheit auch gegen den Sinn des Art. 5 GG gerichtete Idee halten. Die Presse soll von der Presse gemacht werden. Regierungen würden wohl, wenn sie auf eine solche Idee kämen, mit dem Art. 5 GG in Kollision geraten. Außerdem - davon bin ich fest überzeugt - wären die Zeitungen schlecht, ganz gleich, welche Regierung sie macht.
({0})
Herr Abgeordneter Haase.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer etwas verklausulierten Darstellung, Ihre Finanzplanungen seien noch nicht ganz abgeschlossen, im Hinblick auf Ihre Initiativen bis zum Oktober entnehmen, daß Sie gegebenenfalls beabsichtigen, überplanmäßigen Ausgaben in diesem Bereich zu tätigen?
Herr Abgeordneter Haase, ich kann Ihnen ohne jede Einschränkung versichern, daß niemand daran denkt. Wir bewegen uns in dem
haushaltsrechtlich fixierten Rahmen und werden keine Schritte vom Pfad der Haushaltstugend machen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin von der Notwendigkeit. Welche Kriterien legen Sie zugrunde, um eine Anzeige als notwendig zu erkennen?
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel zu erläutern versuchen, Herr Abgeordneter Niegel. Wir haben - Sie haben es vielleicht gesehen - in einer der letzten Nummern des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen dokumentiert.
({0})
- Jawohl, auf sechs Seiten, weil ich der Meinung bin, daß ein so wichtiges Thema, für das sich - davon bin ich allerdings überzeugt - alle politisch interessierten und urteilsfähigen Bürger interessieren, gründlich dargestellt werden muß.
Diese Chronik der innerdeutschen Beziehungen mit all den Rückschlägen, die wir nicht verschwiegen haben, ist sicherlich - so habe ich mir jedenfalls von Schülern sagen lassen, vor denen ich neulich einen kleinen Vortrag habe halten können - eine hilfreiche Instruktion gewesen, sogar im Unterricht.
({1})
Hierin ist kein Wort der Polemik. Hier werden nur die Tatsachen und der Gang der Ereignisse geschildert. Es wird nichts geschönt. Es wird an einer Stelle, Herr Abgeordneter, ausdrücklich festgestellt, daß der Stand der innerdeutschen Beziehungen nach wie vor unbefriedigend ist und daß wir uns weiter Mühe geben müssen, daß wir aber trotzdem damit zu rechnen haben, daß es immer wieder zu ernsthaften Schwierigkeiten und Rückschlägen kommt. Ich habe für diese Anzeige auch von kritischen Journalisten gute Prädikate gehört.
({2})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, werden die Anzeigen, die noch bevorstehen - Sie haben soeben geäußert, es handle sich dabei um eine Art Leistungsbilanz -, wie in einer Bilanz nicht bloß die Aktiva - wie die bisherigen Anzeigen -, sondern auch die Passiva der Politik dieser Bundesregierung darstellen? .
({0})
Herr Abgeordneter Jäger, ich habe schon einleitend in meiner Antwort auf die
Frage des Abgeordneten Dr. Althammer sagen können, daß wir keine Propaganda machen.
({0})
Wenn man aber keine Propaganda machen will, gehört zur Glaubwürdigkeit - das wird Ihnen jeder PR-Fachmann sagen -, daß man auch das darstellt, was noch nicht geschafft ist - zum Teil noch nicht geschafft werden konnte, Herr Abgeordneter, weil Ihre Fraktion nicht mittun wollte oder weil der Bundesrat es anders gewollt hat. Das wird von uns nicht verschwiegen. Ich kann Ihnen einige Inserate zeigen, die genau diesen Punkt ansprechen und nicht vertuschen, daß noch manches zu leisten bleibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß das Verhalten der Opposition eigentlich unlogisch ist, weil die Opposition selbst hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages und in verschiedenen Ausschüssen die Regierung sogar ermuntert und auffordert, in verschiedenen Bereichen mehr Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.
({0})
Ich teile die Argumentation, die hinter Ihrer Frage steckt, Herr Abgeordneter. Ich bin ganz sicher, daß auch die Opposition daran interessiert sein müßte, daß jene Gesetze, die von diesem Hohen Hause verabschiedet worden sind und von denen manche komplex und kompliziert sind, dem Bürger wirklich durchsichtig gemacht werden können, damit er die Möglichkeit hat, die Rechte, die Ansprüche auch tatsächlich zu erkennen. Denn die Wirkung auch des besten Gesetzes wird ja um einen guten Teil gemindert, wenn nicht die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung es fertigbringt, den Bürger dafür zu interessieren, damit er sich wenigstens die wichtigsten Bestandteile eines solchen Gesetzes gedanklich zu eigen macht.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, wenn, wie Sie sagen, die Anzeigen der Bundesregierung im „Spiegel" eine so hilfreiche Instruktion für alle Bürger darstellen, warum erscheinen diese Instruktionen dann ausgerechnet im „Spiegel"? Liegen hier besondere Absichten vor?
({0})
Herr Abgeordneter, ich glaube, dieses Magazin wird von Gerechten und Ungerechten gelesen. Im übrigen wird Ihnen jeder PR-Fachmann sagen, daß eine bestimmte Form der Darstellung nur in bestimmten Publikationsorganen Resonanz findet. Dies ist eine handwerkliche, zugleich aber auch - das räume ich Ihnen ein 18022
politische Überlegung, der jede Regierung folgen wird, der auch jede Partei folgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung von Jahr zu Jahr die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit - ich nenne es Propaganda - exorbitant erhöhen mußte, sind dann die Bundesbürger dümmer geworden, so daß sie mehr Nachhilfeunterricht brauchen, oder muß eine ständig schlechter gewordene Politik mit ständig mehr Geld gut verkauft werden?
Herr Abgeordneter, die Antwort ist ganz simpel und kurz: Das Volumen der Öffentlichkeitsarbeit orientiert sich an der Zahl der Gesetze, die wir durchsichtig und verständlich machen müssen.
({0})
Im übrigen darf ich Sie aus mehr geschichtlichen Gründen daran erinnern, daß die beiden Inlandsetats des Bundespresseamtes in der Zeit der Bundeskanzlerschaft von Professor Ludwig Erhard im Jahre 1965 auf einen Schlag um 40 % erhöht worden sind. Ich will mir jetzt kein Urteil darüber erlauben, welche Gründe es damals dafür gegeben hat.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, nachdem Ihre Ausführungen die Entwicklung dieser Werbemaßnahmen der Bundesregierung haben erkennen lassen und nachdem Sie in Ihren Antworten haben erkennen lassen, daß neben dem Presseamt in der Zwischenzeit praktisch jedes Ministerium zusätzlich Werbemaßnahmen und Werbekampagnen durchführt, daß also eine Vervielfachung dieser Werbekampagnen in diesem Jahr stattfindet, frage ich Sie: Sind Ihnen persönlich einmal Gedanken gekommen, daß mit dieser Methode der Vervielfachung von Werbemaßnahmen des Presseamtes und aller Ministerien der Mechanismus einer parlamentarischen Demokratie mindestens gefährdet, wenn nicht außer Kraft gesetzt werden könnte durch ein Monopol der Bundesregierung?
({0})
Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg, diese von Ihnen diagnostizierte Gefährdung vermag ich überhaupt nicht zu erkennen. Ich darf Sie als ehemaligen und immer noch aktiven Journalisten doch daran erinnern oder Sie bitten, zu bedenken, daß ein großer Teil der Gelder für die Öffentlichkeitsarbeit politisch völlig unstrittig ist. Sie können unter Fachleuten natürlich darüber diskutieren, ob die Klick-Klack-Kampagne so hätte sein müssen oder ob sie nicht anders hätte besser sein können. Das ist eine rein fachliche Frage. Aber Sie werden die Tatsache anerkennen, daß in der Folge aller Maßnahmen, die der Bundesverkehrsminister getroffen hat, die Zahl der Verkehrstoten merklich zurückgegangen ist und daß die Fachleute das wesentlich darauf zurückführen, daß unsere Landsleute inzwischen, auch wenn es ihnen manchmal lästig ist, diese Gurte anlegen. Dies ist doch keine kontroverse „Öffentlichkeitsarbeit".
({0})
Das kann man doch nicht sozialdemokratisch oder christdemokratisch machen. Man legt ihn an, oder man legt ihn nicht an. Diese Kampagne jedenfalls hat geholfen, daß heute eine Menge Leute den Gurt anlegen.
({1})
Herr Abgeordneter Sperling, Sie haben zu der Frage 95 bereits eine Zusatzfrage gestellt. Eine weitere Frage ist noch nicht aufgerufen, aber es kommt noch eine weitere.
Die Frage 96 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Carstens ({0}), schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 97 des Abgeordneten Wohlrabe auf:
Welche Werbeagenturen wurden vorn Bundespresseamt und den einzelnen Bundesressorts aufgefordert, Präsentationen für die Veröffentlichungen im Rahmen der Öffehtlichkeitsarbeit der Bundesregierung zu machen, und welche Agenturen wurden schließlich mit welchen Objekten beauftragt?
({1})
Herr Abgeordneter Wohlrabe, die Bundesregierung hat nicht die Absicht, diese Frage vor der Öffentlichkeit zu beantworten. Es entspricht einer sachgerechten Übung - nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern auch in der amtlichen Praxis -, daß vertragliche Beziehungen, die auf Vertraulichkeit angewiesen sind, nicht öffentlich bekanntgegeben werden.
({0})
Der Offenlegung stehen im übrigen entweder ausdrückliche Vereinbarungen oder schutzwürdige Interessen, vor allem auch wettbewerbsrechtlicher Art, entgegen.
({1})
So wäre es insbesondere untragbar, die Namen der Agenturen öffentlich mitzuteilen, die sich an Präsentationen, wie man das in der Fachsprache nennt, beteiligt haben, im Vergleich zu denen, die dann bestimmte Aufträge erhalten haben. Solche Publizierungen könnten eine nach Sinn und Zweck der für öffentliche Aufträge maßgeblichen Vorschriften fragwürdige Auswirkung haben, z. B. wenn potentiellen Anbietern Rückschlüsse ermöglicht würden, durch
die die Preisbildung im freien Wettbewerb beeinträchtigt werden könnte. Auf diese Gesichtspunkte hatte ich bereits in meiner Antwort vom 1. April dieses Jahres auf eine schriftliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Böhm hingewiesen.
Um aber einen Verdacht von vornherein auszuräumen - ich habe das Thema vorhin schon kurz gestreift -, kann ich Ihnen mitteilen, daß die Werbeagentur ARE, nach der Ihr Fraktionskollege Böhm seinerzeit gefragt hatte, nur mit 5 % am Anzeigenetat des Bundespresseamts beteiligt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Einmal abgesehen davon, daß Sie - zumindest Ihr Haus - in der Antwort der Bundesregierung vom 30. Januar 1974 darauf weit umfassender geantwortet und somit damals mehr gesagt haben als heute, abgesehen auch davon, daß im Impressum einer jeden Druckschrift - ich frage hier nicht nur nach Anzeigen, sondern nach der gesamten Propagandaarbeit der Bundesregierung - nach den presserechtlichen Vorschriften zu lesen ist, wer sie produziert, herausgegeben und vertrieben hat, frage ich Sie, ob es zutrifft, daß allein in der letzten Zeit die sozialdemokratische Werbeagentur ARE, die gleichzeitig Hauptauftragnehmer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und aller ihrer Landesverbände ist, 31 Aufträge der Bundesregierung erhalten hat.
({0})
Herr Abgeordneter Wohlrabe, ich bleibe bei meiner Antwort auf Ihre erste Frage und sage Ihnen, daß lediglich 5 % der von uns zu vergebenden Aufträge an die Agentur ARE gegangen sind. Es ist allgemein bekannt, daß die Sozialdemokratische Partei mit dieser Agentur zusammenarbeitet. Bei uns ist es, verglichen mit dem Gesamtvolumen, ein so geringfügiger Teil, daß Sie daraus, so denke ich, keinerlei politische Konsequenzen ziehen können.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Ist Ihnen bekannt, daß allein in der letzten Zeit diese Broschüren ({0}) von der Werbeagentur ARE für die Bundesregierung erstellt, produziert und verteilt worden sind,
({1})
und glauben Sie nun immer noch, daß dies nur 5 % des Mittelvorrats, den Sie haben, entspricht? Dies ist - nachlesbar im Impressum - der Stapel, und ich bin sicher, ich habe noch nicht einmal alle hier.
({2})
Herr Abgeordneter, ich bleibe bei dieser Zahl, aus der Sie nicht den Schluß ziehen können, daß hier eine politisch da oder dort angesiedelte Firma von uns in unzulässiger Weise bevorzugt worden wäre. Im Gegenteil, Ihr Anteil ist - ich muß mich wiederholen -, verglichen mit dem Gesamtvolumen, minimal.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß sich diese Bundesregierung gelegentlich einer Werbeagentur bedient, die der SPD nahesteht, während frühere Bundesregierungen es so gehandhabt haben, daß sie als Werbemittel Mobilisierungsinstrumente wie die „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise" oder „Mobilwerbung" gegründet haben, um sie anschließend im Wahlkampf zur Verfügung der CDU/CSU zu lassen?
({0})
Dies ist, Herr Abgeordneter Dr. Sperling, ein Kapitel, das in einer fiktiven Doktorarbeit über die Öffentlichkeitsarbeit früherer Regierungen - also über die Zeit vor 1969, als Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Regierung bildeten - sicherlich sehr umfangreich sein müßte. Es gibt zwar keine mir erreichbaren Unterlagen mehr, aber ich weiß aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen, daß die AdK, wie sie sich abgekürzt nennt, unter Leitung des Abgeordneten Jahn aus Braunschweig
({0})
damals nicht jenes Konzept verfolgt hat, an das wir uns - ich habe das mehrere Male sagen können - konsequent halten, nämlich Sachinformation zu geben. Damals wurde etwas gemacht, was auch bei wohlwollender Interpretation keinen anderen Namen verdient als „Propaganda".
({1})
Herr Abgeordneter Breidbach!
Herr Staatssekretär, nachdem Sie im dunkeln lassen möchten, welche Agenturen Sie auftragsmäßig bedient haben, allerdings die Werbeagentur ARE herausgehoben haben, möchte ich Sie nun fragen, ob Sie dem Hohen Hause in absoluten Zahlen mitteilen können, was ARE an Aufträgen für Zeitungsinserationen, also für Gesamtmedia einschließlich der Broschüren, Faltblätter usw. bekommen hat?
({0})
Herr Abgeordneter Breidbach, dazu bin ich so wenig bereit, wie ich bereit bin, die anderen Agenturen zu nennen. Sie wissen selber, Herr Abgeordneter, daß diese Auskünfte einem
besonderen Ausschuß des Haushaltsausschusses jederzeit zugänglich gemacht werden können.
({0})
Wir würden uns ja und jeder würde sich um Vertrauen und Kredibilität bringen,
({1})
der in aller Öffentlichkeit all diese Firmen beim Namen nennt.
({2})
Da wäre ja überhaupt kein normaler und gesitteter Geschäftsverkehr mehr möglich, weder für eine Regierung noch für eine Partei noch für ein großes Unternehmen.
({3})
Wenn die Kundgebungen des Beifalls und des Mißfallens gleichmäßig unterblieben, wäre erstens alles genauso, und zweitens kämen wir rascher voran.
Herr Abgeordneter Kunz ({0}) !
Herr Staatssekretär, nachdem Sie Namen und Prozente der Agenturen, die die Bundesregierung in diesem Punkte bedient hat, nicht nennen wollen, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit guten Gründen dem Hohen Hause die Auskunft darüber verweigern können, welchen Teil der Aufträge - in Prozentzahlen und in absoluten Zahlen - die Bundesregierung den SPD-eigenen Agenturen und solchen Agenturen, an denen SPD-Mitglieder kapitalmäßig beteiligt sind, hat zukommen lassen.
({0})
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen darauf keine andere Antwort geben als jene, die ich dem Herrn Abgeordneten Wohlrabe gegeben habe. Sie machen - ich meine nicht Sie persönlich, aber einige in Ihren Reihen - aus dieser Agentur eine Art Golem. Ich sage Ihnen nur: 5 0/0 und kein Prozent mehr.
(Niegel [CDU/CSU] : 5 % Provision, aber
nicht Umsatz! - Weitere Zurufe von der
CDU !CSU,
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wawrzik.
Herr Staatssekretär, sind der Vergabe von Aufträgen an die von Ihnen so geschätzte Firma ARE Ausschreibungen vorausgegangen, und ist die Vergabe der Aufträge das Ergebnis des niedrigsten Preisangebots?
Davon, Herr Abgeordneter, können Sie ausgehen.
({0}) Dieses nehmen Sie bitte für sicher.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär,
ist es richtig, daß die Einrichtungen des Bundespresse- und Informationsamtes, die Herr Abgeordneter Sperling vorhin ansprach - ich will nur die Mobilwerbung und AdK nennen, aber sie wären um ein Dutzend zu erweitern -, bis zum Jahre 1966 vom Bundespresse- und Informationsamt in Landtagswahlkämpfen eingesetzt wurden?
Das deckt sich, Herr Abgeordneter Professor Schäfer, genau mit meinen Informationen und wird sicherlich durch viele in der Opposition, die ein gutes Gedächtnis haben, bestätigt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Bülow.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die CDU/CSU unter Konrad Adenauer alle Mittel des Bundespresseamts für die Öffentlichkeitsarbeit aus einem geheimen Titel entnommen hat, der keinerlei Parlamentskontrolle unterlag und einen Betrag von 13 Millionen DM ausmachte und damit nur 2,5 Millionen DM unter dem heute für die Inlandsarbeit des Bundespresseamts ausgewiesenen Betrag liegt?
({0})
Die Ihrer Frage zugrunde liegende Information, Herr Abgeordneter von Bülow, kann von mir vollinhaltlich gedeckt werden. Es sind in der Tat 13 Millionen DM gewesen. Das sind nur 2 Millionen DM weniger als der gesamte Inlandsetat des Bundespresse- und Informationsamtes. Ich sage das, um die politische Dimension dieser reinen Propagandaarbeit hier einmal zu illustrieren.
({0})
Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist nach Ihren Auslassungen über die Informationsaktivität früherer Bundesregierungen die Aktivität Ihrer Bundesregierung gegenwärtig auch als eine Abschiedsgeste zu deuten?
Im Gegenteil, Herr Abgeordneter. Ich gehe im Sinne der Argumentation des damaligen Innenministers Lücke davon aus, daß die Darstellung der Leistungsbilanz einer Regierung auch eine werbende Wirkung tut zugunsten der diese Regierung tragenden Parteien,
({0})
daß diese sachlichen Informationen jeden Bürger wünschen lassen, daß diese Leistungsbilanz über den 3. Oktober 1976 hinaus verlängert wird.
({1})
Eine andere Antwort hatte wohl kein Mitglied dieses Hohen Hauses erwartet.
Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie aus Ihrer Sicht bitte den inhaltlichen Unterschied zwischen dem Wort „Propaganda" einerseits, das Sie für diese Bundesregierung ablehnen, aber früheren Bundesregierungen zuerteilen, und dem Begriff „propagieren", den Sie für diese Bundesregierung in Anspruch nehmen, erklären?
Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg, dieses kann ich an einem Beispiel tun, unabhängig davon, ob Sie das nun überzeugt oder nicht. Es hat eine Anzeigenserie der Bundesregierung unter Professor Ludwig Erhard gegeben, wo die Parole
({0})
-ich bin ja dabei - gedruckt war - ich sage es sinngemäß; den ersten Teil habe ich genau im Gedächtnis - „Wenn Sie mir folgen, wird alles gutgehen." Dieses halte ich für eine unzulässige subjektive Propaganda. Sie werden unter unseren Anzeigen nicht eine einzige finden, Herr Abgeordneter, bei der wir auch nur andeutungsweise Führer- und Personenkult betreiben.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Schröder ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie sich heute so sehr um Aufklärung über den sogenannten Reptilienfonds bemühen, darf ich Sie fragen, ob Sie in der Zwischenzeit bei Ihren Bemühungen den Empfänger der 50 000 DM von Herrn Ehmke gefunden haben.
({0})
Herr Abgeordneter, ich glaube, abgesehen davon, daß diese Frage nicht bei mir ressortiert und darüber das, was an Aufklärung möglich war, schon gesagt worden ist,
({0})
möchte ich sagen: Welchen Namen auch immer Sie nennen, hier sollten Sie lieber keine Parallelen ziehen, die fallen dann nicht zu Ihren Gunsten aus.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, wo der Sachaufklärungswert der ständig wiederkehrenden Formel „Leistung verdient Vertrauen" liegt, nachdem vermeintliche Leistungen, wie ich meine, oft sachentstellend dargestellt wurden, und ob das nicht indirekt nur eine Aufforderung sein kann, diese Regierung wiederzuwählen?
({0})
Ich habe darauf sinngemäß bereits geantwortet, Herr Abgeordneter. Diese Schlußformel „Leistung verdient Vertrauen" ist das logische Resümee dessen, was wir in einer jeden Anzeige Punkt für Punkt aufgebaut haben.
({0})
Ich glaube, diese Frage ist damit hinreichend beantwortet.
Die Frage 98 des Abgeordneten Dr. Jenninger ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Leicht auf:
Trifft es zu, daß die Gliederungen der SPD ({0}) im April einen 16seitigen hektographierten Katalog der Veröffentlichungen des Bundespresseamts und der Bundesministerien mit der offenen oder versteckten Aufforderung erhielten, diese Veröffentlichungen im Rahmen der Parteiarbeit einzusetzen?
Herr Abgeordneter Leicht, nein, das trifft nicht zu. Bereits in meiner Antwort vom 19. Mai 1976 auf die schriftliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Schröder habe ich gesagt, es treffe nicht zu, daß ein solcher Katalog des BPA in der in der Frage erwähnten Weise verteilt worden ist. Das Amt hat allerdings - darauf hatte ich in meiner Antwort hingewiesen - der SPD, aber auch anderen im Bundestag vertretenen politischen Parteien auf Anfrage eine Ubersicht über wichtige Publikationen des Amtes und der verschiedenen Ressorts zur Verfügung gestellt. Dementsprechend gibt es nicht nur Anforderungen aus den Reihen der Koalitionsparteien, sondern auch aus den Gliederungen der Opposition.
Ich darf mit Ihrer Erlaubnis zwei Beispiele nennen. So hat die Junge Union Bensberg vom BPA 1 000 Exemplare der Jugendbroschüre „Frag' mal" angefordert und - das versteht sich - auch sogleich zugeschickt bekommen. 500 Exemplare der gleichen Broschüre gingen nach Bestellungen an die Sozialausschüsse der CDU nach Berlin. Ich könnte diese Liste fortsetzen; ich räume Ihnen ein: ich könnte sie nicht ins Endlose fortsetzen, aber noch um einige wirklich aussagekräftige Beispiele. Ich kann Sie aber gerne über die anderen schriftlich informieren.
Im übrigen finde ich es bedauerlich, Herr Abgeordneter Leicht - das Bedauern ist keineswegs simuliert -, daß nicht auch aus den Reihen der Opposition häufiger jene Broschüren angefordert werden, wie z. B. ,,Tips für Arbeitnehmer", „109 Tips für die Frau", „Tips für junge Leute" ; denn hier wird der Bürger mit einer - ich habe das vorhin schon sagen können - auch nach Meinung unabhängiger Journalisten vorbildlichen Sachlichkeit über den Inhalt von Gesetzen und seine Rechte informiert. Ich könnte mir denken, auch eingefleischte Anhänger der CDU/CSU werden, wenn sie solche Broschüren lesen, nicht an ihrer Seele Schaden nehmen. Bei diesen und bei anderen Veröffentlichungen geht es nicht um Wahlhilfe, sondern - ich scheue nicht das abgenutzte Wort, das ich vorhin gebraucht habe - wirklich um Lebenshilfe.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Leicht.
Herr Bölling, wer trägt die Versandkosten?
Die Versandkosten werden selbstverständlich vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung getragen.
({0})
- Aus dem Inlandstitel, aus dem die Broschüren und anderes finanziert werden; das ist immer so gewesen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt ({0}).
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß alle demokratischen Parteien gleichermaßen auf Anforderung im gleichen Umfang durch das Bundespresseamt mit diesen Broschüren bedient werden?
({0})
Herr Abgeordneter Arndt, genauso ist das. Nur wird bedauerlicherweise - ich sagte das soeben schon - aus Gründen, über die mir ein Urteil nicht zusteht, von diesem Angebot von den Regierungsparteien häufiger als von anderen Gebrauch gemacht, aber erfreulicherweise auch von einigen, die sich an der Sache und nicht an sogenannten übergeordneten politischen Gesichtspunkten orientieren wollen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, in welchem Verhältnis die Zusendungen an die einzelnen Parteien oder ihre Verbände und Gliederungen der hier im Bundestag vertretenen Parteien in etwa stehen?
({0})
Herr Abgeordneter Jäger, ich habe schon deutlich gemacht und habe gar keinen Anlaß, hier irgendeinen Schleier vorzuziehen: Es ist so, daß die sozialdemokratische Fraktion sich sehr viel häufiger bei uns meldet und Broschüren bestellt.
({0})
- Das Verhältnis kann ich Ihnen gerne später auf Grund von Unterlagen sagen. Es ist aber sicher der erkleckliche Teil. Daran ist gar kein Zweifel.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind Sie und, wie ich hoffe, auch die Kollegen der Opposition bereit, mit Freude zu hören, daß das von mir relativ häufig bestellte Material von der SPD in meinem Wahlkreis auch gern der CDU zur Verfügung gestellt wird und ich selten eine Gelegenheit vorübergehen lasse, einem ärmlich ausgestatteten CDU-Informationsstand das Material, das ich häufig bei mir führe, zur Verfügung zu stellen.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Sperling, ich danke Ihnen für diese flankierenden Maßnahmen und beglückwünsche Sie zu solchen Oppositionskollegen in Ihrem Bundesland, die souverän genug sind, auf Grund der Qualität der Broschüren diese nicht zurückzugeben, sondern zu behalten.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Kunz ({0}).
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß offenbar ein Zusammenhang zwischen den ärmlich ausgestatteten CDUDcut cher Bundestag - 7. Wahlperiode Dr. Kunz ({0})
Informationsständen, die der Herr Kollege Sperling gerade erwähnt hat, und dem großen Geld
({1})
der SPD besteht, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Presseerzeugnisse des BPA und die Verzeichnisse darüber den jeweiligen Bestellern nur auf Anforderung zugesandt haben oder ob Sie unabhängig davon den SPD-Gliederungen diese Verzeichnisse und auch Ihre Druckerzeugnisse unbestellt zugesandt haben.
Herr Abgeordneter, jede Fraktionsgeschäftsführung dieses Hohen Hauses, die sich für unsere Publikationen entweder in toto oder zu bestimmten Spezialthemen interessiert, bekommt von uns ein Verzeichnis dessen, was wir verfügbar haben. Wir haben in einigen Fällen von diesen, ich zögere nicht, zu sagen: Rennern wie „Arbeitnehmertips", „Jugendtips", „Frauentips", die Lieferungen kontingentieren müssen, weil wir zwar bei diesen Broschüren nicht argwöhnen, daß sie irgendwo verstauben, weil wir aber doch eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Verteilung garantieren wollen. Deshalb haben wir, auch weil die Kosten limitiert sind, trotz neuer Auflagen manchen schreiben müssen: Sie können keine 1 000, Sie können nur 500 bekommen.
„Bestellt oder unbestellt" war die Frage.
Nur auf Bestellung, sonst würden wir Gefahr laufen, daß jemand die Sachen aus purer Wichtigtuerei bestellt und sich nachher nicht die Mühe macht, sie wirklich an den Mann und an. die Frau zu bringen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Bülow.
Herr Staatssekretär, stimmt Ihre Praxis mit der der bayerischen Staatsregierung überein, für die Minister Dr. Seidel in einer Landtagsdebatte ausgeführt hat, daß die wunderbaren Broschüren der bayerischen Landesregierung auch den Herren der Opposition zur Verteilung zur Verfügung gestellt würden?
({0})
Ich kenne diesen Vorgang nicht im Detail, Herr Abgeordneter von Bülow, aber ich begrüße Ihre Frage, weil sie mir die willkommene Gelegenheit bietet, darauf hinzuweisen
({0})
- ja, sie ist mir in der Tat willkommen -, daß die bayerische Staatsregierung vor geraumer Zeit eine sehr aufwendige Broschüre gemacht hat, die zwar vom Standpunkt der Fachleute ausgezeichnet ist, bei
der Sie aber an Information wenig, dagegen an Glorifizierung eine ganze Menge finden.
({1})
Von diesem Stil haben wir vom ersten Tage an sehr bewußt Distanz gehalten.
({2})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Haase ({0}).
Herr Staatssekretär, Sie empfehlen uns mit treuem Augenaufschlag, wir sollten uns doch des Informationsmaterials des Presseamtes bedienen. Ist es nicht doch ein bißchen viel verlangt, Material durch uns verteilen lassen zu wollen,
({0})
das zum Teil selbst von Organisationen der Koalitionsparteien als so problematisch bewertet wird, so daß es letztlich als Makulatur beim Altwarenhändler landet?
({1})
Herr Abgeordneter Haase, ich will Sie und Ihre Fraktionskollegen nicht überfordern. Aber Sie sind mit den Projekten des Bundespresseamtes gut vertraut, und ich könnte mir denken, daß es Ihnen nichts ausmachen würde, sich vor diesem Hohen Hause als Zeuge dafür zur Verfügung zu stellen, daß eine ganze Reihe dieser Broschüren eigentlich überhaupt nicht kontrovers sind, weil sie Sachdarstellungen liefern.
({0})
Was Mißverständnisse mit dem Koalitionspartner angeht, Herr Abgeordneter Haase, so kann ich mich nur an ein einziges erinnern, das auf eine sehr angenehme Weise mit Minister Ertl geklärt worden ist. Er hat mir nämlich damals gesagt, daß er einige dieser Broschüren unter seinen politischen Freunden schwer loswerde, weil sie eine rote Farbe trügen. Ich habe auf diese Sensibilität Rücksicht genommen.
({1})
Beim Nachforschen, wie es denn zu der roten Farbe gekommen war, hat sich herausgestellt: das war die Lieblingsfarbe des Bundeswirtschaftsministers.
({2})
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Wird sich die Bundesregierung in den kommenden Monaten bei der Verteilung von Broschüren und ähnlichem Material der bewährten Methode des Jahres 1972 bedienen, die so aussah, daß fortlaufend aus allen Ministerien und Dienststellen der Bundesregierung beim Bundesbahnhof in Bonn, bei der Bundespost in Bonn
und bei ähnlichen Dienststellen auch unaufgefordert - im Gegensatz zu dem, was Sie soeben sagten - Pakete angeliefert wurden, die Broschüren und anderes Werbematerial enthielten und die an die regionalen und lokalen Dienststellen der SPD und FDP adressiert waren, wobei nach Aussagen zuständiger Stellen in der Anlieferung solcher Pakete Tagesrekorde von mehreren zehntausend Paketen erreicht worden sind?
({0})
Herr Abgeordneter, ich kann hier nicht auf der Stelle prüfen, ob das in der Vergangenheit so gewesen ist. Aber ich kann Ihnen versichern, daß unser Betrieb so durchorganisiert ist, daß es zu solchen Versandmethoden nicht kommt.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir sind doch selber daran interessiert, damit etwas zu bewirken.
({1})
- Ja, selbstverständlich! Wir wollen doch mit diesen Schriften an den Bürger heran und wollen nicht, daß sie in Paketen irgendwo vergammeln.
({2})
Deshalb sind unsere Versandmethoden so organisiert, daß die Schriften tatsächlich zu dem Bürger kommen und nicht nachher irgendein Buchhalter im Bundespresseamt einfach Tausende von Exemplaren abhaken kann. Damit würden wir uns ja um den Lohn unserer eigenen Arbeit bringen.
({3})
Meine Damen und Herren, es folgen noch Zusatzfragen der Abgeordneten Immer und Wawrzik. Ich schließe damit die Liste der Zusatzfragen zur Frage 99 ab.
Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, indem ich noch einmal auf Ihre Äußerungen zurückkomme, daß Sie nicht unaufgefordert Sendungen dieser Art verschicken, darf ich Sie fragen, ob Sie der Praxis des Sozialministers Geißler von Rheinland-Pfalz nicht folgen, der dem Rentenbescheid zum 1. Juli 1976 einen Rentnerbrief auf Kosten der Steuerzahler beigelegt hat, in dem er die Rentenerhöhung als alleinigen Erfolg des Sozialministers von Rheinland-Pfalz preist.
({0})
Herr Abgeordneter, ich I kenne diese Veröffentlichung des Ministers Geißler nicht.
({0})
Aber ich gehe davon aus, daß Sie sie sich genau angeguckt haben. Das ist genau das, was ich unter dem Rubrum „Personenkult" verstehen würde.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wawrzik.
Herr Staatssekretär, wären Sie im Hinblick auf Ihren Wunsch, daß auch die Opposition Ihre Druckerzeugnisse verteilt, bereit, eine Broschüre zur Verfügung zu stellen, in der wir den Kriegerwitwen klarmachen können, warum ihnen zwar 20 Millionen DM an Leistungen gestrichen worden sind, die Bundesregierung aber nicht bereit ist, im Etat Öffentlichkeitsarbeit Einsparungen vorzunehmen?
({0})
Herr Abgeordneter, dieses Argument habe ich schon viele Male gehört.
({0})
Ich muß Ihnen darauf antworten, daß wir z. B. bei der Steuerreform und der Reform des Kindergeldes ungefähr 6 Millionen DM tatsächlich für die Offentlichkeitsarbeit eingesetzt haben. Gemessen an dem Umfang der den Bürger entlastenden Maßnahmen, nämlich 15 Milliarden DM, scheint mir das ein durchaus vertretbarer Betrag zu sein, nämlich 0,05% Deshalb müssen wir, damit diese Gesetze durchsichtig werden - ich muß es noch einmal sagen -, diese Argumentationen so darstellen, wie wir das bisher getan haben. Daran kann ich auch nichts ändern, nur um Ihnen einen Gefallen zu tun.
({1})
Wir kommen zur Frage 100 des Abgeordneten Dr. Waigel. - Er ist nicht im Saal. Dann werden diese Frage und die von ihm ebenfalls eingebrachte Frage 101 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 102 der Frau Abgeordneten Pieser auf:
Wieviel Broschüren, Faltblätter, Druckschriften und ähnliche Veröffentlichungen der Bundesregierung liegen nach dein Stand vorn 19. Juni 1976 noch zur Verteilung bereit ({0})?
Herr Präsident, wenn die Fragestellerin einverstanden ist, möchte ich die beiden Fragen der Frau Abgeordneten Pieser zusammen beantworten.
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 103 der Frau Abgeordneten Pieser auf:
Was kosteten die vom 1. Januar bis 18. Juni 1976 angebotenen Broschüren, Druckschriften, Faltblätter und ähnlichen Veröffentlichungen der Bundesregierung ({0})?
Frau Abgeordnete, weil es wenig Sinn macht, völlig unterschiedliche Druckerzeugnisse sehr unterschiedlichen Inhalts einfach zu addieren, bin ich bereit, wenn Sie es wünschen, die Aufstellung der Publikationen zu verlesen oder aber sie Ihnen zuzuleiten. Ich schlage vor, daß ich sie Ihnen in die Hand gebe.
({0})
Die Kosten beliefen sich auf 7 282 000 DM. Die Liste habe ich hier verfügbar, und ich darf sie Ihnen vielleicht später zustellen.
({1})
Ja, das ist dieselbe Abgeordnete.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Pieser.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie doch bitten, die Liste zu verlesen; denn sonst haben wir ja keine Antwort auf die Frage im Protokoll.
Frau Abgeordnete, das nimmt praeter propter 10 Minuten in Anspruch.
({0})
Ich schlage vor, wir nehmen die Liste ins Protokoll. *) Wenn das Haus das beschließt, wird das so gemacht.
Dann haben Sie jetzt das Wort zu Ihrer ersten Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich möchte an sich auf Zusatzfragen verzichten, jedoch feststellen, daß ich noch immer - im Gegensatz zu dem Vermerk zur Frage 103 in der Drucksache 7/5404 - Mitglied der CDU/CSU-Fraktion bin.
({0})
Frau Abgeordnete, hier ist natürlich in der Druckerei ein Fehler passiert. Der Druckfehlerteufel hat sich schon besonders angestrengt, um Sie einer anderen Partei zuzuordnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns, nachdem die Liste zu Protokoll
*) Anlage 2
gegeben wird, wenigstens sagen, wie viele Positionen in ihr enthalten sind?
({0})
Ich kann sie jetzt zählen,
({0})
aber ich schätze, daß es 60 bis 70 Positionen sein werden. Sie werden darunter eine ganze Reihe von nützlichen Broschüren und Darstellungen entdecken, die Sie selber noch nicht kennen und die vielleicht Ihre Neugierde wecken werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leicht.
Herr Staatssekretär, sind Sie so freundlich zuzugeben, daß Herr Minister Geißler aus Rheinland-Pfalz nur etwas nachgemacht hat, was 1972 der damalige Bundeskanzler vorgemacht hat?
({0})
Herr Leicht, ich habe vorhin schon gesagt, daß ich dieses Blatt nicht kenne. Aber da ich keinen Anlaß habe, der Darstellung des fragestellenden Abgeordneten zu mißtrauen, habe ich lediglich die Bemerkung gemacht, das wirke wie Personenkult.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sund.
Herr Staatssekretär, vielleicht hilft es bei der Interpretation der von Ihnen angekündigten Liste, wenn ich Sie frage, ob Sie mir sagen können, wie groß eigentlich der Personenkreis ist, für den die Sicherung der betrieblichen Altersversorgung wirkt, und ob dieser Personenkreis auch in besonderer Weise über seine neuen Rechte informiert worden ist.
Herr Abgeordneter Sund, wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich um einen Kreis von etwa 12 Millionen Arbeitnehmern, für die wir eine Broschüre in einer Auflagenhöhe - ich bin jetzt nicht absolut sicher, ob die Zahl korrekt ist - von 400 000 Stück oder etwas mehr hergestellt haben. Das ist ein Beispiel dafür, Herr Abgeordneter, wie wir uns nach der Decke strecken müssen; denn ich bin ganz sicher, daß sich aus den Reihen von 12 Millionen Arbeitnehmern, die eine Altersversorgungszusage haben, bestimmt mehr als 400 000 für eine detaillierte Darstellung des Gesetzes interessieren. Aber wir können - leider - nicht alle Wünsche abdecken.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, haben Sie denn schon eine Reise nach Rom gebucht, um - ähnlich wie Ihr früherer Vorgänger Felix von Eckardt - sich die Tätigkeit des Bundespresseamts in einem Wahljahr von der höchsten stellvertretenden Autorität auf Erden absegnen zu lassen?
({0})
Dies ist eine interessante Anregung, Herr Abgeordneter Dr. Sperling; ich habe aber, wie ich glaube, irgendwelche metaphysische Unterstützung oder Konfirmation für das, was ich gemeinsam mit meinen Mitarbeitern zu tun habe und weiter tun werde, nicht nötig.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Egert.
Herr Staatssekretär, im Blick auf die Liste, die Sie zu Protokoll geben wollen, habe ich folgende Frage: Wie hoch ist der Stückpreis für die Broschüren „109 Tips für die Frau", „Arbeitnehmertips", „Frag' mal" und „Mietfibel", welche Auflagen haben diese Broschüren, und wie groß war die anvisierte Zielgruppe?
({0})
Wir haben die Broschüre „109 Tips für die Frau" z. B. in einer Auflage von 21/2 Millionen Exemplaren herausgegeben. Nach meiner Schätzung gibt es in unserem Land etwa 22 Millionen Frauen. Sie sehen also, dies ist immer noch eine in Wahrheit völlig unbefriedigende Auflagenhöhe.
({0})
- Ich meine hier erwachsene Frauen, also Frauen, die an der Thematik, die wir hier schildern, und auch an den Rechten weiblicher Arbeitnehmer, die in dieser Broschüre dargestellt werden, wirklich interessiert sind. Die Kosten pro Exemplar liegen bei 21 Pfennig.
Ähnlich stellt es sich bei der Broschüre „Arbeitnehmertips" dar. Auch mit dieser Broschüre können wir natürlich nur einen Bruchteil der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik erreichen. Bei den Jugendlichen ist es genauso. Ich bin sicher, daß das Interesse gerade an diesen Bestsellern - so nennen wir sie zu Recht - sehr stark ist, und wir müssen - darauf habe ich vorhin schon verwiesen -- die Wünsche hinsichtlich der Stückzahl immer wieder redressieren.
Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, legt die Zahl dieser Veröffentlichungen und Faltblätter, die so groß ist, daß Sie sie hier vor diesem Hause nicht einmal zählen konnten, nicht die Vermutung nahe, daß es hier weniger um eine Lebenshilfe für den Bürger als um eine Überlebenshilfe für diese Bundesregierung geht?
({0})
Herr Abgeordneter Jäger, Sie mögen diese Schlußfolgerung ziehen. Ich habe den Eindruck, daß Sie, da Sie eine solche Schlußfolgerung ziehen, diese Broschüren offenbar noch nie in der Hand gehabt haben. Deshalb finde ich es wichtig, daß ich Ihnen noch in dieser Woche einige Exemplare in Ihr Büro zustelle.
({0})
Herr Abgeordneter Becker ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin die Gruppe der Jugendlichen angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, wie viele Jugendliche durch den neuen Arbeitsschutz positiv betroffen werden und wie hoch die Auflage der Publikationen für Jugendliche ist, in denen sie sich über ihre neuen Rechte informieren können.
Herr Abgeordneter, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, umfaßt der Kreis derjenigen, die von dem Gesetz profitieren, 1,5 Millionen Jugendliche. Wir haben in einer Broschüre mit einer Auflagenhöhe von knapp 300 000 Exemplaren über alle Aspekte dieses Gesetzes informiert. Wir haben darüber hinaus, weil auch in den Betrieben ein starkes Interesse vorhanden war, ein sogenanntes Poster, ein Plakat angefertigt, das über den wesentlichen Inhalt des Gesetzes Auskunft gibt, ein Plakat, das in den Betrieben an den Schwarzen Brettern angeschlagen werden kann und angeschlagen worden ist.
({0})
Herr Abgeordneter Grobecker.
Herr Staatssekretär, um die Verhältnismäßigkeit dieser Arbeiten noch etwas zu verdeutlichen, möchte ich Sie fragen, wie hoch denn die Auflage der Broschüre über die Arbeitsstättenverordnung ist, die der Bundesarbeitsminister vor einem Jahr erlassen hat, und in welchem Verhältnis die Auflage zu der Zahl der Arbeitnehmer steht, die davon betroffen sind. Nach meiner Schätzung müßten fast 20 Millionen Arbeitnehmer davon betroffen sein.
Diese Zahl ist auch nach meiner Meinung realistisch, Herr Abgeordneter Grobecker. Wir haben aber auch in diesem Fall nicht die vermutete Zahl der interessierten Arbeitnehmer mit Broschüren versorgen können. Die AuflagenStaatssekretär Bölling
höhe einer Broschüre, die über diese neue Verordnung Auskunft gibt, liegt bei 600 000 Exemplaren. Ich weiß, daß nach wie vor ein starkes Interesse daran besteht, so daß wir zu überlegen haben, eine weitere Auflage zu drucken. Aber im Augenblick wird das nicht möglich sein.
({0})
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende dieser besonders lebhaften Fragestunde. Sie, Herr Staatssekretär, wurden überdurchschnittlich in Anspruch genommen. Ich danke Ihnen.
({0})
Die Fragen 52 bis 67 sind von den Fragestellern zurückgezogen. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Seiters.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in der heutigen Fragestunde zu der Flut von aufwendigen Anzeigen und Broschüren, die in den vergangenen Wochen über die Bevölkerung der Bundesrepublik ausgegossen wurde und in den kommenden Monaten offenbar weiter ausgegossen werden soll, Fragen an die Regierung gerichtet.
Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik kein vergleichbares Beispiel für den unerträglichen Widerspruch zwischen der Höhe dieser Propagandakosten einerseits, der schlechten Wirtschaftslage und der exorbitanten Verschuldung dieses Landes andererseits
({0})
und, das darf man wohl hinzufügen, den Leistungen dieser Bundesregierung zum dritten.
Das Geld des Steuerzahlers, das in dieser Größenordnung zur Beeinflussung der Wähler zum Fenster hinausgeworfen wird, wäre - um nur ein einziges Beispiel zu nennen zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze für Jugendliche sicher bisser angebracht.
({1})
Besonders schlimm wird die Sache dadurch, daß die Bundesregierung sich mit dieser Anzeigenkampagne, nicht, wie Herr Bölling hier vorgetragen hat,
({2})
- das ist zur Geschäftsordnung, Herr Kollege! - darauf beschränkt, ihre Leistungen oder auch Fehlleistungen darzustellen, sondern Falschinformationen und Halbwahrheiten verbreitet. Das ist der Sachverhalt, der hier zur Debatte steht.
({3})
Die Sache wird auch nicht dadurch besser, daß die angeblichen Leistungen der Bundesregierung teilweise so dick aufgetragen werden, daß das den Spott der Bürger geradezu herausfordert.
({4})
Ich möchte ein einziges Beispiel nennen, Herr Wehner; hören Sie gut zu; Sie werden das sicher bestätigen. können.
({5})
In der sechsseitigen „Spiegel"-Annonce dieser Woche
({6})
verkündet die Bundesregierung folgendes: Sie habe die Sparer beruhigt - eine immerhin interessante Formulierung -, die Landschaft entrümpelt, den Schlaf besser behütet, die Schulkinder in Schutz genommen, das Studieren einheitlich geregelt - sie hätte besser sagen sollen: den Numerus clausus in unserem Land einheitlich eingeführt! -,
({7})
sie habe den Kindern Sorgen abgenommen und den Himmel wieder etwas blauer gemacht.
({8})
Meine Damen und Herren, das ist offenbar die „strenge Sachlichkeit", von der Herr Bölling eben in der Fragestunde des Bundestages gesprochen hat.
Ich wiederhole: Auch der Umstand, daß Sie sich mit solchen Formulierungen lächerlich machen, rechtfertigt nicht die Verschwendung von Steuergeldern.
Wir sind der Meinung, daß sich der Deutsche Bundestag mit diesem Mißbrauch von Staatsgeldern beschäftigen muß. Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantrage ich eine Aktuelle Stunde.
({9})
Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die die Aktuelle Stunde wünschen, die Hand zu erheben. - Die Unterstützung ist ausreichend.
Wir treten in die
Aktuelle Stunde
ein. Die Redezeit beträgt fünf Minuten für jeden Redner. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Carstens.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema dieser Aktuellen Stunde müßte lauten: Verschwendung und rechtswidrige Verwendung von Haushaltsmit18032
Dr. Carstens ({0})
tein für Propagandazwecke der Regierungsparteien SPD und FDP.
({1})
Die Auskünfte, die uns die Regierung hier soeben in der Fragestunde erteilt hat, geben wieder einmal nur ein unvollständiges Bild über den wirklichen Sachverhalt.
({2})
- Wenn ich einmal auf einem anderen Platz sitze, dann bin ich trotzdem da, Herr Kollege. Das haben Sie nur nicht bemerkt. - Wenn uns die Regierung vorträgt, daß sie nur 52 Millionen DM für Propaganda im Hinblick auf die Bundestagswahl ausgibt, so muß ihr entgegengehalten werden, daß Fachleute die Gesamtkosten für die laufenden und angekündigten Anzeigenaktionen, für die Flut teurer Faltblätter und Propagandabroschüren, mit denen die Informationsstände von SPD und FDP im Wahlkampf ausgestattet werden, und für andere Propagandazwecke auf etwa 100 Millionen DM schätzen. Dabei ist die Arbeitskraft von Hunderten von Mitarbeitern, die sich ganz oder teilweise diesem Zweck der Propaganda widmen, noch gar nicht einmal mit eingerechnet.
Hiermit erfüllt die Bundesregierung keineswegs, wie sie behauptet, die ihr obliegende Informationspflicht gegenüber dem Burger, sondern sie betreibt massive Wahlpropaganda für SPD und FDP.
({3})
Dies alles geschieht in einem Zeitpunkt, in dem die Regierung alle Veranlassung hätte, mit den Steuermitteln des Steuerzahlers sparsam umzugehen. Die Regierung nimmt in zwei Jahren über 70 Milliarden DM neue Schulden auf, schränkt beschlossene Leistungen ein, erhöht für die Zukunft die Steuern und gibt dann auf diese Weise an die 100 Millionen DM für reine Propagandazwecke aus.
({4})
Wenn es sich um wichtige soziale Leistungen wie die Versorgung der Kriegsopfer, das Kindergeld, das Wohngeld handelt, erklärt die Regierung, für eine Erhöhung dieser Leistungen sei kein Geld da.
({5})
Aus Steuergeldern, die alle Bürger aufbringen müssen, wird statt dessen der Wahlkampf der Regierungsparteien finanziert.
({6})
Das ist ein krasser Verstoß gegen Sinn und Zweck des Verfassungsgrundsatzes der Chancengleichheit der Parteien. Hier wird jedem deutlich vor Augen geführt, wer die Parteien des großen Geldes wirklich sind.
({7})
Gestern hat der Bundestag mit den Stimmen der SPD und der FDP die Erhöhung des Wohngeldes mit folgender Begründung abgelehnt:
Eine Anpassung des Wohngeldes an die Entwicklung der Mieten konnte aus zwingenden
finanzpolitischen Gründen in den Jahren 1975
und 1976 nicht vorgenommen werden. Der Bundestag bedauert dies. Er hält jedoch die getroffene Entscheidung für unvermeidbar.
Meine Damen und Herren, 68 % der Bezieher von Wohngeld sind Rentner. Ich empfehle den Regierungsparteien und dem Bundespresse- und Informationsamt, den Rentnern klarzumachen, daß Sie zwar 100 Millionen DM für eine sinnlose Propagandaaktion zur Verfügung haben, aber nicht dazu, das Wohngeld der Rentner zu erhöhen.
({8})
Zudem verletzt die Regierung auch noch die Vorschriften des Haushaltsrechts. Eine Broschüre des Bundesfinanzministers, die gleichfalls eine unverhüllte Propaganda für die Regierungsparteien und die Regierung enthält, ist aus einem Titel bezahlt worden, der für Zwecke der Werbung für Bundesanleihen und Bundesschatzbriefe vorgesehen ist.
({9})
Die Unlauterkeit dieses Vorgehens ist der Regierung von einer unparteilichen Stelle, nämlich der Bundesbank, unzweideutig bescheinigt worden, indem es die Bundesbank ablehnte, diese Broschüre als Werbematerial zu verteilen.
({10})
Schließlich muß der Bundesregierung auch noch vorgehalten werden, daß sie mit den Mitteln, die sie auf diese Weise vergeudet, den Bürger zu allem anderen auch noch falsch informiert.
({11})
In der „Erfolgsbilanz", die hier vorgelegt wird, fehlen sämtliche Rückschläge und Fehlschläge dieser Regierung. Wenn es an einer Stelle dieser „Erfolgsbilanz", unter Ziffer 40, heißt, die Zahl neuer Arbeitsplätze sei erhöht worden, dann ist das doch der reine Hohn
({12})
angesichts der Tatsache, daß diese Regierung dadurch, daß sie für die Stillegung von an die 20- bis 30 000 Betrieben verantwortlich ist, etwa eine halbe Million Arbeitsplätze wahrscheinlich endgültig zerstört hat.
({13})
Es wird höchste Zeit, daß diese Regierung abtritt
({14})
und durch eine Regierung von CDU und CSU abgelöst wird, damit endlich wieder Solidarität und Sparsamkeit Einzug in die öffentlichen Finanzen halten.
({15})
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Bülow.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen zur Sache sprechen. Die Sache wird gekennzeichnet und abgesteckt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1966 zur Parteienfinanzierung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß die Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzlichen Körperschaften unbedenklich sei, soweit sie, bezogen auf ihre Organtätigkeit, der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlege und erläutere.
({0})
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung unterstellt sich voll diesem Urteil. Sie unterstellt sich ihrer Pflicht zur Information und der Pflicht zur Ziehung einer Bilanz vor der Bevölkerung. Jeder, der im Wahlkreis die Probleme, die dort auftreten, mit der Bevölkerung erörtert, wird ständig mit der Frage konfrontiert, warum es nicht mehr Informationen gibt.
({1})
- Herr Breidbach, Sie können ja die Ergebnisse der Umfrage des Bundespresseamts heranziehen, wonach es gerade die CDU/CSU-Anhänger sind, die zu 42 % angeben, nicht ausreichend über das informiert zu sein, was von seiten der Regierung geleistet wird.
({2})
Es besteht eine Informationspflicht.
({3})
Wenn man den Bürgern mehr Rechte gibt, Herr Marx, dann muß er wissen, daß er diese Rechte hat. Wenn ich z. B. das Abzahlungsgesetz reformiere, wenn ich die Rechtsgrundlagen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen reformiere und sie einenge, muß ich möglichst allen Rechtsgenossen klarmachen, daß sie mehr Rechte haben.
({4})
Wie soll denn überhaupt ein Mieter wissen, daß es ein neues Mietgesetz gibt? Da muß ihm die Broschüre möglichst ins Haus gegeben werden.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ein anderes Beispiel geben. Wir geben 10 Milliarden DM im Rahmen der Kindergeldreform aus. Es war das Anliegen aller Parteien - Sie haben ja auch mitgestimmt -, daß möglichst viele Haushalte und Familien von dieser neuen Kindergeldregelung Gebrauch machen.
({6})
Es wurde geschätzt, daß 95 % der Familien davon Gebrauch machen würden. Wir haben es dann durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit geschafft, daß schon im ersten Jahr weit mehr als 95 % aller Familien in den Genuß dieses Kindergeldes gekommen sind.
({7})
Ich weiß aus dem eigenen Wahlkreis, daß innerhalb von drei Monaten die Broschüren zum Betriebsverfassungsgesetz vergriffen waren, weil das Bundespresseamt nicht mehr genügend Mittel hatte, um mehr davon zu drucken. Ich könnte weitere Beispiele aus der mittelständischen Wirtschaft bringen, wo man z. B. über die ERP-Programme oder darüber unzureichend informiert ist, welche Möglichkeiten es gerade für Betriebe der mittelständischen Wirtschaft gibt, um an Forschungsergebnissen teilzuhaben.
Wir haben eine volle Offenheit der Mittelverwendung. Es ist Ihnen heute über alles Information zuteil geworden. Das, was in früheren Jahren anstößig war, ist unter dem Einfluß der Sozialdemokraten in der Großen Koalition beseitigt worden.
({8})
Das war damals der Reptilienfonds in Höhe von 13 Millionen DM, zu dem jede Anfrage aus dem Parlament mit dem Stereotyp beantwortet wurde, dies sei geheim; darüber könne keine Auskunft gegeben werden. Wir wissen ja doch genau, was alles darauf finanziert wurde: die Filmwagen, die draußen den komischen Film „Eine Königin besucht Deutschland", in dem Erhard verherrlicht wurde, gezeigt haben, oder die „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise", die dann später unter der Großen Koalition abgeschafft wurde, weil sie natürlich nur mit den Finanzen aus dem damaligen Bundespresseamt finanziert werden konnte.
Die Öffentlichkeitsarbeit dieser Regierung hebt sich wohltuend von der der Vergangenheit ab. Sie ist sachlich, sie ist wahr, sie ist nachprüfbar.
({9})
Sie ist dem Sonthofener Rezept des Parteiführers der CSU völlig entgegengesetzt. Ich muß auch sagen, sie ist von der Mittelverwendung her in Ordnung. Ludwig Erhard hat sich im Wahljahr 1965 eine Steigerung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit in Höhe von 40 % genehmigen lassen.
({10})
Auch hierin hebt sich diese Koalition wohltuend von Ihren Vorgängerinnen ab.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition möchte die Aktuelle Stunde offenbar zu einer vierten Lesung des Bundeshaushalts machen.
({0})
An einer Nachlese mit falschen Zahlen möchten wir uns aber nicht beteiligen.
18034 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Hoppe
Verehrter Herr Carstens, auch der Bund der Steuerzahler hat, wie wir alle wissen, Kritik an den Haushaltsansätzen für die Öffentlichkeitsarbeit geübt. Aber er hat dann auch erklärt, daß er es gern sähe, wenn ein CDU-regiertes Land endlich einmal mit gutem Beispiel voranginge. - Leider bis heute Fehlanzeige, meine Damen und Herren.
({1})
Die Öffentlichkeitsarbeit lieferte zu allen Zeiten Stoff für parteipolitische Kontroversen. Besonders in Wahlkampfzeiten schafft sie immer wieder ein eigenartiges Reizklima. Auseinandersetzungen über Inhalt und Umfang der Öffentlichkeitsarbeit haben deshalb fast schon Tradition.
Die Opposition haut nun kräftig auf den Putz. Die vom Generalsekretär der CDU formulierten Unterstellungen strotzen von inkriminierenden Vorwürfen. Mit dem Vokabular „Amtsmißbrauch", „Veruntreuung" und „Verletzung des Amtseids"
({2})
wird der Knüppel der Kritik gegen die Regierung geschwungen.
({3})
Es wird von schwerwiegenden Rechtsverletzungen gesprochen. - Aber meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bis heute haben Sie nicht den geringsten Versuch unternommen, dafür den Beweis anzutreten.
({4})
Sie, meine Damen und Herren, sollten deshalb ermuntert werden, nach Karlsruhe zu gehen.
({5})
Sie sollten die schweren Vorwürfe nicht allein mit der Ankündigung einer möglichen Klage begründen. Damit können Sie diese Form der Auseinandersetzung nun weiß Gott nicht rechtfertigen.
({6})
Meine Damen und Herren, worum geht es? - Jede Regierung, auch diese Bundesregierung, hat das Recht, ja die Pflicht, der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und ihre Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darzulegen und zu erläutern. Form und Inhalt der Veröffentlichungen der Bundesregierung und ihres Presseamtes
({7}) heben sich dabei, wie mir scheint, wohltuend
({8})
von den Praktiken ab, mit denen die CDU die Wahlkampfauseinandersetzung bestreitet. Ich verweise dazu beispielhaft auf Ihre Anzeige zum Extremistenproblem in der „Welt" vom 24. Mai 1976. Nein, meine Damen und Herren, auf diese Ebene
der Auseinandersetzung werden wir uns nicht begeben.
({9})
Diese Form von Meinungsfreiheit verletzt in der
Tat mehr als nur die Grenzen des guten Geschmacks.
({10})
Meine Damen und Herren, es geht der Opposition offenbar ja auch nicht so sehr um den Inhalt, sondern mehr um den Umfang der Informationstätigkeit.
({11})
Nun kann man über das rechte Maß sehr wohl streiten. Aber verfassungsrechtliche Schranken sind der Regierung dabei nicht gezogen. Deshalb wären behauptete Rechtsverletzungen allenfalls dann denkbar, wenn der vom Haushalt festgelegte finanzielle Rahmen überschritten würde.
({12})
- Im Gegenteil, diese Schwelle wird von der Bundesregierung sehr sorgfältig beachtet.
({13})
Deshalb geht Ihre Kritik ins Leere.
Wir alle, meine Damen und Herren, sollten andererseits nicht übersehen, daß sich auch die positiven Aspekte einer guten Informationspolitik bei einer Überproduktion an Papier leicht ins Gegenteil verkehren können.
({14})
Wie häufig bei staatlicher Betätigung möchte man sich manchmal mit der Frage zu Wort melden: Haben Sie es nicht ein bißchen kleiner? Wann endlich sind die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern - nicht zuletzt, meine Damen und Herren, den CDU-regierten Ländern - bereit, nach dieser Einsicht zu handeln? Es wäre gut, wenn der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten der Länder den Versuch wagte, hier zu einer Vereinbarung der Vernunft zu kommen. Eine aufeinander abgestimmte Informationspolitik wäre sicher sparsamer und deshalb nur zu begrüßen, meine Damen und Herren.
({15})
Dieser Versuch sollte gemacht werden. Denn wir alle wollen diesem Staat und der Wohlfahrt seiner Bürger dienen.
({16})
Das Wort als Vertreter der Bundesregierung hat Herr Staatssekretär Haehser.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren!
({0})
- Wenn Sie einmal ein bißchen still sind, hören Sie meine ersten Sätze, Herr Wohlrabe. - Der Generalsekretär der CDU
({1})
hat in seiner Stellungnahme zu dem Thema, das heute hier ansteht, von einer Veruntreuung von Steuergeldern gesprochen.
({2})
- Ich nehme an, Herr Präsident, daß dieser Beifall, der einer falschen Darstellung galt, nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. ({3})
Die Bundesregierung muß diese falsche Darstellung des Generalsekretärs der CDU auf das entschiedenste zurückweisen.
({4})
Meine Damen und meine Herren, die Öffentlichkeitsmittel
({5})
für die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung sind angemessen, und ihre Ausgabe ist legitim. Herr Kollege von Bülow hat vorhin schon auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen. Ich kann es mir ersparen, das zu wiederholen.
Ich muß aber, meine Damen und meine Herren, die von Herrn Biedenkopf genannten Zahlen richtigstellen. In Wirklichkeit betragen die Öffentlichkeitsmittel der Bundesregierung, wie schon von Herrn Bölling dargestellt, 51,6 Millionen DM. Dies ist ein weit unterproportionaler Anstieg seit 1969.
({6})
- Herr Carstens, Sie waren da noch nicht hier im Saal, und Sie haben nicht etwa nur auf einem falschen Platz gesessen. - Es ist gesagt worden, daß die Mittel in den letzten sieben Jahren am 47 % gegenüber dem Bundeshaushalt mit einer Steigerungsrate von 102 % gestiegen sind.
({7})
Aber auch diese Steigerung ergibt noch ein falsches Bild. Denn in Wahrheit, meine Damen und meine Herren, sind die heutigen Mittel kaum höher als 1965,
({8})
weil nämlich in die damaligen Mittel die Gelder des Reptilienfonds hinzugerechnet werden müssen.
({9})
Sie haben die Ausgaben aus dem Reptilienfonds verschleiert, genauso wie Sie manches Waffengeschäft verschleiert haben, das damals vorgekommen ist.
({10})
Sie, Herr Carstens, bezichtigen das Bundesministerium der Finanzen, aus einem falschen Titel Geld ausgegeben zu haben. Ich weise auch das entschieden zurück.
({11}) Dies ist die Broschüre, um die es geht.
({12})
- Halten Sie einmal Ihren Mund, damit Sie mich hören können, Herr Wohlrabe.
({13})
- Hat er etwa keinen Mund, oder ist das etwas anderes, was er hat? - Meine Damen und meine Herren, die Bundesregierung hat die Mittel für diese Broschüre aus dem Kap. 3203 Titel 541 01 aufgewandt.
({14})
Ich habe das gestern in der Fragestunde bereits gesagt. Ich habe gesagt, Herr Carstens, daß für die Schuldaufnahme - ({15})
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas Ruhe für den Redner.
Ja, wenn Sie immer noch nicht mitbekommen haben, daß Sie mich nicht aufregen können, dann nehmen Sie es aber endlich einmal zur Kenntnis!
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe gestern in der Fragestunde gesagt, aus welchem Kapitel und aus welchen Titeln diese Broschüre bezahlt worden ist, und ich habe gesagt, daß für die Werbung für Schuldaufnahmen im Jahre 1969, als Strauß noch Minister und der Kollege Leicht noch Parlamentari18036
scher Staatssekretär war, der gleiche Titel verwendet worden ist.
({1})
Lassen Sie mich nun ein letztes Wort sagen.
({2})
- Diese Ihre Broschüre war längst nicht so schön wie unsere, Herr Kollege Leicht!
Lassen Sie mich also ein letztes Wort sagen: Wenn Sie, meine Damen und Herren, von „Finanzchaos" reden und wenn Sie die Rentner verunsichern, dann muß diese Bundesregierung
({3})
über die wirklichen Finanzen aufklären und muß den Rentnern sagen,
({4})
daß ihre Renten nicht in Gefahr sind.
({5})
Und nun will ich Ihnen sagen: Wenn mit dieser Aufklärung auch Erfolge für die Regierung verbunden sind, dann liegt das ganz im Sinne eines Schriftsatzes des damaligen Bundesministers des Innern, des Herrn Lücke. Er hat gesagt:
Wenn Regierungspublikationen für die Regierung und ihre Politik werben und dies auch Regierungsparteien zugute kommt,
({6})
so liegt diese Wirkung, wie bereits verfassungsrechtlich dargelegt, in der Natur der Sache, ist nur logisch und entspricht der Verfassungswirklichkeit.
({7})
Recht hat er gehabt, der Herr Lücke!
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Der gegenwärtige Bundeskanzler mißbraucht öffentliche Einrichtungen und öffentliche Gelder für Parteizwecke in einer Form und in einem Umfang, die unerträglich geworden sind.
({0})
Die Sozialdemokratische Partei kündigt schon heute in aller Form an, daß sie alle Rechtsmöglichkeiten in Anspruch nehmen wird, um die Zweckentfremdung öffentlicher Ämter und öffentlicher Gelder zu ahnden. Was auf diesem Gebiet geschieht, geht bis in die Nähe des juristischen Begriffes „Veruntreuung".
Diese Worte von Herrn Wehner gelten genau für die heutige Situation.
({1})
Der Kollege Haehser hat eben ein Kabinettstück dafür geleistet, wie die Dinge verschleiert,
({2})
vernebelt
({3}) und verfälscht werden sollen.
({4})
Wir wiederholen deshalb: Wenn Sie alle Propagandaausgaben aus den Öffentlichkeitstiteln und aus den Sachtiteln, die dafür verwendet werden, zusammenrechnen, kommen Sie auf 200 Millionen DM, von denen man rund 100 Millionen als Mittel für reine Wahlpropaganda bezeichnen muß.
({5})
Diese skandalöse Verwendung von Steuergeldern, die durch diese Regierung vorgenommen wird und für die jede Privatperson gerichtlich zur Rechenschaft gezogen würde, erweist sich in drei Punkten:
erstens in der skrupellosen Verschleuderung und Verschwendung von Steuergeldern, die nach Gesetz und Verfassung entsprechend der vom Parlament festgelegten Zweckbestimmung
({6}) und sparsam zu verwenden wären;
({7})
zweitens in der Verbreitung von falschen und unvollständigen Informationen durch die Bundesregierung auf Kosten des Steuerzahlers
({8})
und drittens in der gesetzwidrigen Verfilzung von öffentlich finanzierter Regierungspropaganda und SPD-Parteipropaganda.
({9})
Ich darf wegen der Kürze der Zeit aus der Vielzahl von Beispielen nur einige wenige herausgreifen. Erstens. Im Rahmen einer Anzeigenserie der Bundesregierung sind auf einer einzigen Seite einer Illustrierten sechs Worte abgedruckt. Wenn Sie die zwei kleingedruckten Sätze weglassen, kostet jedes dieser Worte unseren Steuerzahler 5 000 DM.
({10})
Diese Kernsätze einer „Regierungsinformation" lauten: „Der Aufschwung wurde uns nicht geschenkt." Sechs Worte, je 5 000 DM!
({11})
({12})
In weiteren Inseraten dieser Bundesregierung sind folgende angebliche Sachinformationen enthalten - ich darf zitieren -: „In Zukunft wird wieder mehr frischer Wind in unseren Städten wehen"
({13})
- eine ganze Seite - „Heute wird unsere Wäsche
genauso weiß wie früher unser Wasser, aber nicht
mehr so schmutzig". Auch das war eine ganze Seite.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist Verschleuderung und Veruntreuung von Steuergeld!
({15})
Ich darf ein zweites Beispiel anführen. Ein Staatsbürger schreibt unter Namens- und Adressenangabe am 9. Juni 1976:
Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat offenbar Auftrag in seinem Hause erteilt, eine Schallplatte „Das Wunder der Liebe; der Sieg des Hosenbodens" mit Jürgen von Manger über die Ausbildungseignungsverordnung herstellen zu lassen.
({16})
Im Schutzumschlag der Platte ist unter der Überschrift „Die Bundesregierung informiert" hierzu ein Vorwort des Ministers zu lesen.
Informationen der Bundesregierung, die bekanntlich aus Steuermitteln finanziert werden, sind für den Bürger kostenlos. Und hier fängt das Problem an. Diese Schallplatte habe ich am Pfingstsamstag in Würzburg in einer Fußgängerzone von jungen Leuten gekauft, die eine stattliche Anzahl von Platten bei sich trugen. Der Stückpreis war mit 50 Pfennig zwar preiswert, aber als Information der Bundesregierung um diese 50 Pfennig zu hoch.
Auf meine Frage, von welcher Organisation und zu welchem Zweck dieser Verkauf betrieben werde, wurde mir wörtlich erklärt: „Wir sind vom Ortsverband der SPD und finanzieren damit den Wahlkampf."
({17})
Für diese Aussage habe ich einen weiteren Zeugen, der ebenfalls eine Platte erworben hat. Dies ist schlicht Unverfrorenheit.
({18})
Die Bundesregierung stellt. mit Steuermitteln Information her und verkauft sie an den Bürger, der damit doppelt bezahlt.
({19})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Aber eines ist für den Staatsbürger klargeworden: Wenn die Bundesregierung rund 100 Millionen DM für Regierungspropaganda ausgibt, dann steht damit fest: die Partei des großen Geldes ist die SPD!
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Althammer hat uns soeben vorgeführt, wieviel Worte auf einer halben Seite stehen. Ich möchte ihm ein anderes Beispiel entgegenhalten. Ich habe hier einen Auszug aus der „Saarbrücker Zeitung" vom 3. Mai 1975. Dort sind, Herr Kollege Althammer, zwei Worte enthalten - hoher Informationswert! -, dazu aber das Bild des Ministerpräsidenten des Saarlandes. Sonst nichts!
({0})
So sieht es dort aus. Ich würde Ihnen empfehlen: Wenn Sie in einem Glashaus sitzen, dann sollten Sie vorsichtig sein, wenn Sie mit Steinen werfen!
({1})
Nehmen wir doch einmal die Dinge, die sich auf die Länder beziehen.
({2})
Wir haben bei der zweiten Lesung des Bundeshaushalts schon einmal darüber sprechen können. Dies ist insofern eine Neuauflage. Dort werden in schöner Regelmäßigkeit Leistungen der Bundesregierung mangels eigener Masse als landespolitische Leistungen den Bürgern verkauft.
Ich habe hier wieder ein Beispiel aus dem Saarland. Hier scheint man dem Bürger nach einer Legislaturperiode besonders wenige landespolitische Dinge anbieten zu können. Im Saarland wird die Steuerreform als eine große eigene Leistung von der Landesregierung verkauft.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen. In Rheinland-Pfalz werden bekanntlich keine Straßen mehr vom Bund gebaut. Dort wird alles von der Landesregierung Rheinland-Pfalz in Anspruch genommen. Zitat aus einer Anzeige:
1960 gab es in Rheinland-Pfalz erst 150 km Autobahn bzw. vierspurige Straßen. Ende 1971 waren es bereits dreimal so viel, und 1975 werden es 730 km sein.
({3})
Das sind Bundesleistungen, die das Land RheinlandPfalz vor den Landtagswahlen der Bevölkerung als
eigene landespolitische Leistungen einreden wollte.
({4})
Herr Kollege Althammer, wenn Sie schon von Verfilzungen sprechen, dann will ich noch kurz auf einen Artikel des „Stern" vom 15. Januar 1976 zurückkommen.
({5})
- Hören Sie zu! Ich weiß, daß Ihnen das schwerfällt. Hören Sie zu!
({6})
Da klagte damals der Herr Stücklen Herrn Haase gegenüber, daß „durch eine Kürzung der Mittel gerade bei Vereinigungen, die meiner Partei nahestehen, unnötige Barrieren aufgerichtet" würden. Stücklen meinte - wen wohl? - die Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit.
({7})
Der staatspolitische Verein kassierte von 1959 bis 1968 insgesamt 405 775 DM Steuergelder aus dem Etat des Presseamtes.
({8})
Auf wundersame Weise - schreibt der „Stern" dann noch - wurden aus Spendern nachher wieder Empfänger.
Da gibt es dann, Herr Kollege Marx, noch den Auszug aus dem Brief von Ihnen. In dieser Phase - ({9})
- Das ist der „Stern" vom 15. Januar 1976.
({10})
Mir ist nicht bekannt, daß Sie dem bisher widersprochen haben. Solange Sie dies nicht tun, bleibt das im Raum.
({11})
Deswegen möchte ich das auch im Protokoll haben, Herr Kollege Marx. Ins Protokoll muß dies hinein.
({12})
Nur der Zufluß von Steuergeldern wurde gegen Ende der Großen Koalition gestoppt, nicht die privaten Spenden, wie wir sie 1972 hatten und wie wir sie jetzt wohl wieder bekommen werden; denn dazu dient diese Kampagne, die Sie jetzt hier eingeleitet haben.
({13})
Und hier hieß es dann weiter:
Auch ein Mahnschreiben des CDU-MdB und
Mitglieds der Studiengesellschaft Dr. Werner
Marx an Pressestaatssekretär Günter Diehl vom 25. Juli 1969 nützte nichts mehr.
Marx führte aus:
Ich glaube, daß es nun auf jeden Tag ankommt, um endlich die Auszahlung der finanziellen Mittel vorzunehmen, weil uns sonst gerade in der Auseinandersetzung mit rechts- und linksradikalen Gruppen jede weitere Tätigkeit in der Wahlkampfzeit unmöglich sein würde.
({14})
Herr Marx, wer in dieser Weise in einem Glashaus sitzt - ich will jetzt nicht auf AdK und wie es alles hieß, was da lief, eingehen -, der sollte vorsichtig sein. Die Appelle, Herr Althammer, die Sie hier an die Bundesregierung richten, sollten Sie an den bayerischen Ministerpräsidenten, den rheinland-pfälzischen und den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten richten.
({15})
Dort würden Sie auf sehr taube Ohren stoßen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die Opposition in diesem Hause, Herr Kollege Esters, billigt jeder Bundesregierung und jeder Landesregierung ein angemessenes Maß an Informationstätigkeit zu. Nur, um Ihre Vokabel vom Glashaus aufzugreifen, meine Damen und Herren, was sich hier in diesen Tagen und Wochen in unserem Lande vollzieht, unterscheidet sich in zwei fundamentalen Punkten von allem, was wir in der Vergangenheit erlebt haben, und von allem, was auch auf Länderebene an Vergleichbarem jemals geschehen ist.
({0})
Erstens, Herr Kollege Esters, ist noch nie so schamlos und in einem solchen Ausmaß in die Steuertasche gegriffen worden wie von dieser Regierung in diesem Wahlkampf.
({1})
Zweitens, meine Damen und Herren, ist noch nie so schludrig mit Tatsachen und mit der Wahrheit umgegangen worden wie in diesen Anzeigen und in diesen Broschüren.
({2})
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen wird den Bundesbürgern ein völlig verzerrtes und entstelltes Bild von der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit in unserem Lande dargeboten. Lassen Sie mich dazu einige Beispiele bringen:
1. In der Broschüre „Soziale Sicherheit ein ganzes Leben lang" wird der Anstieg der Sozialleistungen aus dem Bundeshaushalt dargestellt. Verschwiegen
Schiöder ({3})
wird, daß die Arbeitslosengelder mit einbezogen sind, d. h. Kosten einer Arbeitslosigkeit, die maßgeblich durch die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung verursacht wurde.
({4})
2. In der Anzeige „Traum vom Eigenheim" wird die Behauptung aufgestellt, die Bundesregierung habe allein 1975 7 Milliarden DM für den Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen zur Verfügung gestellt. In Wirklichkeit weist der Bundeshaushalt 1975 nur 4,1 Milliarden DM aus. Man hat hier offensichtlich einfach die Mittel der Länder hinzugezählt, und verschwiegen wird natürlich, daß im sozialen Wohnungsbau die Zahl der geförderten Wohnungen von rund 153 000 im Jahre 1973 auf rund 128 000 im Jahre 1975 zurückgegangen ist und daß die Mietpreise im sozialen Wohnungsbau heute höher liegen als im frei finanzierten Wohnungsbau.
Das dritte Beispiel: Im Faltblatt „Zur Finanzpolitik der Bundesregierung gibt es keine Alternative" wird behauptet, daß die Mehrverschuldung in den Jahren 1975 und 1976 ausschließlich zur Rezessionsbekämpfung unumgänglich gewesen sei. In dem Text, der der Bevölkerung suggeriert, daß die zusätzliche Schuldenaufnahme nur eine Folge der nachlassenden Konjunktur gewesen sei, wird bewußt verschwiegen, was der Wissenschaftliche Beirat im Bundesfinanzministerium in seinem letzten Gutachten ausdrücklich festgestellt hat, daß nämlich die Hälfte der Neuverschuldung unabhängig von der Konjunkturentwicklung entstanden ist, nämlich aus strukturellen Gründen, d. h. wiederum als Folge der verfehlten Wirtschafts- und Konjunkturpolitik dieser Regierung.
({5})
Viertes Beispiel. In der Anzeige „Der Aufschwung wurde uns nicht geschenkt" wird behauptet, rund 35 Milliarden DM sind bei uns für Konjunkturprogramme und die Steuer- und Kindergeldreform eingesetzt worden, um den Aufschwung anzukurbeln.
({6})
Meine Damen und Herren, hier wird doch so getan, als ob die sogenannte Steuer- und Kindergeldreform eigens für den Zweck durchgeführt wurde, um die Konjunktur wieder in Gang zu setzen.
({7})
Dieses ist die glatte Unwahrheit. Die Kindergeldreform war, wie Sie alle wissen, seit Jahren überfällig und geplant, und was die sogenannte Steuerreform anbelangt, so war sie nicht zuletzt deshalb notwendig, um die überfälligen Inflationsfolgen im Steuersystem endlich einmal zu beseitigen. Es war nicht zuletzt dem Drängen der Opposition zuzuschreiben, daß diese Steuerreform überhaupt zum 1. Januar 1975 eingeführt wurde.
({8})
Das fünfte Beispiel: In einer Anfang Juni über das Bundespresseamt herausgegebenen zwölfseitigen Publikation behauptet Finanzminister Apel, erst in letzter Zeit seien beim Kontensparen mit gesetzlicher Kündigungsfrist die Zinserträge hinter der Geldentwertungsrate zurückgeblieben. Tatsache ist demgegenüber, meine Damen und Herren, daß es bis 1969 unter CDU/CSU-geführten Bundesregierungen für Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist immer eine positive Realverzinsung gegeben hat. Zinssatz minus Inflationsrate ergab unter dem Strich bis dahin immer ein Plus. Erst seit 1970 gibt es rote Zahlen, und dies hat steigende Tendenz.
({9})
Im Jahre 1975 betrug die Negativentwertung auf den Konten mit gesetzlicher Kündigungsfrist minus 1,5 % in diesem Lande. Daß Zinsen im übrigen ein Entgelt für Konsumverzicht sind, wird ohnehin nicht mehr erwähnt.
Schließlich und letztlich wird in den Wirtschaftsanzeigen „Mit unserer Wirtschaft geht es wieder aufwärts" erneut das alte Märchen aufgetischt, daß die Entwicklung der Weltwirtschaft schuld sei an der Rezession, ihre Bewältigung aber ausschließlich Konsequenz der Wirtschaftspolitik dieser Regierung sei.
({10})
Meine Damen und Herren, hier wird des Pudels Kern sichtbar: Die ganze Anzeigenaktion ist nicht anders zu qualifizieren denn als ein groß angelegtes gigantisches Täuschungsmanöver gegenüber unseren Wählern.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß diese Debatte sehr aufmerksam verfolgen und beobachten.
({0})
Zwei Kollegen von der CDU/CSU haben in ihren Ausführungen gesagt, nicht sie hätten das große Geld, sondern das habe die SPD.
({1})
Das hat Herr Althammer gesagt, und auch Herr Kunz hat darauf hingewiesen.
({2})
Ich kann dazu nur sagen: hier soll anscheinend im Rahmen dieser Debatte, die ich sehr bedaure, ein großer Endschuldigungsfeldzug für das kommende große Geld der CDU in diesem Wahlkampf eingeleitet werden.
({3})
Anders ist diese Debatte überhaupt nicht zu verstehen. Denn wir sind uns doch darüber einig: Selbstdarstellung muß sein. Das gilt sowohl für die Bundesregierung als auch für die Länderregierungen. Kein großes Unternehmen verzichtet auf
Selbstdarstellung. Sie, meine Damen und Herren, verlangen, daß die Landesregierungen das tun dürfen; aber die Bundesregierung soll sich enthalten.
({4})
Nein, das kann überhaupt nicht in Frage kommen.
({5})
Der Bund der Steuerzahler hat erklärt, daß das Vorbild der CDU-Landesregierungen fehle. Deshalb ist es angebracht, Ihnen hier einmal in Zahlen darzulegen, wie es z. B. die Landesregierung von Baden-Württemberg geschafft hat, nämlich, wie ich sage, mit einem sauberen Trick.
({6})
- Ja, passen Sie nur auf! In den Haushalten des Staatsministeriums und der übrigen Ministerien des Landes Baden-Württemberg waren 1973 für Informationsaufgaben und Öffentlichkeitsarbeit 3,57 Millionen DM ausgebracht.
({7})
- Moment, sehr richtig! Warten Sie nur ab; der „dicke Hund" kommt noch.
({8})
1974 waren es 3,87 Millionen DM.
({9})
- Dann, Herr Kollege, kam der Doppelhaushalt 1975/76. Aufpassen! Da hat man die Ansätze für beide Jahre getrennt: 1975 5,16 Millionen DM, 1976 5,1 Millionen DM.
({10})
- Moment!
({11})
Jetzt sage ich Ihnen folgendes.
({12})
Die Anzeigenkampagne der Landesregierung hat im Herbst 1975 begonnen.
({13})
Aus dem Haushalt 1975 standen für Öffentlichkeitsarbeit 5 Millionen DM zur Verfügung. Im ersten Vierteljahr waren es die 5 Millionen DM für 1976. Das waren haargenau 10 Millionen DM, die der Landesregierung von Baden-Württemberg für den Landtagswahlkampf zur Verfügung gestanden haben.
({14})
Rechnen Sie jetzt einmal die Relation aus. Dann sage ich Ihnen, Herr Kollege Stark: Gemessen daran geht die Bundesregierung noch sparsam mit diesen Mitteln um.
({15})
- Es gibt doch wohl niemanden in diesem Hause, der bei einem Wahlkampf in einem CDU-geführten Land jemals den Eindruck gewinnen konnte, daß die betreffende Regierung in dieser Beziehung vor Seriosität gestrotzt hätte.
({16})
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Das, was Sie heute hier veranstalten, schadet nicht nur der Demokratie, sondern auch den Parteien.
({17})
Ich sage Ihnen: es ist ein untauglicher Versuch, aus Liebe zur CDU die sozialliberale Koalition madig zu machen.
({18})
Das Wort hat Frau Staatssekretär Schlei.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gallus, das war natürlich alles gemacht „Aus Liebe zu Deutschland" ; das ist klar.
({0})
Der Generalsekretär hat gezündelt, und der Qualm ist nun hierher gedrungen. Das war „biedenköpfisch" inspiriert und inszeniert.
({1})
Wir können Ihnen sagen, daß das, was Heidegger über das Fragen sagte, für Sie nicht zutrifft. Er sagte nämlich: Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens. Aber Sie wußten ja schon vorher, wie gut auch immer Staatssekretär Bölling Ihre Fragen beantworten würde: Es muß eine Aktuelle Stunde kommen. Das wußten Sie schon vorher.
({2})
Aber da muß ich - nun wieder im Gegensatz zu Herrn Gallus - sagen:
({3})
Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode
Wir müssen Ihnen eigentlich dankbar sein für diese Aktuelle Stunde. Die ist eine Menge Geld wert; denn wer unsere Annoncen in den Zeitungen bis jetzt noch überblättert hat, wird sie ab heute - mit Ihrer Hilfe - sicherlich genauer lesen.
({4})
Auch die, die schlecht sehen können, werden nun die vorhin von Herrn Wohlrabe hochgehaltenen Annoncen lesen können. Schönen Dank also.
({5})
Damit Sie noch ein bißchen an Ihre eigene Geschichte erinnert werden, die Sie ja über Ihren Vorsitzenden immer so mit Blick nach links oben ins Bild bringen lassen, möchte ich einmal den Weltmann Felix von Eckardt sprechen lassen. Da schreibt er doch - ganz liebenswürdig, so wie der immer
war ({6}) in seinen Lebenserinnerungen:
Als der Kanzler
- er meinte Herrn Adenauer mich dem Papst vorstellte, fügte er - Adenauer hinzu: „Ich habe Herrn von Eckardt aus New York nach Bonn zurückbeordert; denn er muß mir helfen, die Wahlen zu gewinnen."
({7})
Für die Jüngeren: Felix von Eckardt hat damals das gemacht, was jetzt Klaus Bölling machen muß.
({8})
Aber nun Ihr Herr von Eckardt weiter:
Pius XII. zeigte das gleiche feine Lächeln,
({9})
das ich an ihm schon als dem Apostolischen Nuntius Pacelli in Berlin gesehen hatte, und meinte: „Das scheint mir ein vernünftiger Grund für eine so weite Reise zu sein."
({10})
Über die Kosten wurde damals natürlich nicht gesprochen.
Damit Sie noch etwas mehr an Ihre Geschichte erinnert werden, möchte ich hinzufügen: So etwas, was der verehrte Herr Kollege und ehemalige Kanzler Erhard geschrieben hat, finden Sie in unseren Broschüren nicht. Er schrieb, treuherzig, wie er fast immer war:
Wenn Sie mir weiter folgen
- im Wahlkampf schrieb er das und helfen so wie bisher, dann werden wir diese Zukunft meistern.
Für das Geld der Steuerzahler, wohlgemerkt. Außerdem schrieb er natürlich auch, daß, wer ihm folge, eine formierte Gesellschaft erleben werde. Aber das wollte keiner, wie man nun offensichtlich gemerkt hat.
({11})
Da wir heute so viel über Zahlen gesprochen haben, möchte ich versuchen, dazu beizutragen, daß Ihnen der Überblick für Relationen nicht verlorengeht, und noch eine Vergleichszahl nachschieben.
({12})
- Hören Sie gut zu, Herr Marx. Mit dieser Zahl können Sie dann eine bessere, christlichere, ehrlichere Aussage treffen.
({13})
- Sie haben mich schon einmal als Courths-MahlerTyp bezeichnet. Und das liebt das deutsche Volk.
({14})
Ja, Herr Marx, Gefühl und Gemüt sind wieder in.
({15})
Aber zur Zahl: Das Bundespresse- und Informationsamt berichtet mit einem Kostenaufwand von 12 Pfennigen je Bürger über die gesamte Arbeit der Bundesregierung in einer Legislaturperiode von vier Jahren. Wenn Sie nachrechnen, ergibt sich, daß dies nicht die Hälfte des Kaufpreises einer billigen Zeitung ist, die sich der Bürger jeden Tag kauft.
({16})
Noch ein Wort zu den Kosten. Sie wollen hier große Rechnungen aufmachen und den Bürger damit verschrecken. Sie haben einen eigenartigen Kostenbegriff. Wenn eine Information einen Bürger nicht erreicht und dies beispielsweise eine Vorsorgeuntersuchungsnachricht ist, möchte ich einmal wissen, wie der Betroffene - z. B. der Krebskranke - Ihr Kostenverständnis einschätzt.
({17})
Für uns bedeutet Information, den Bürger zu informieren, ihn frei zu machen, und - meine Herrschaften, daran müssen Sie sich gewöhnen - von Freiheit verstehen wir mehr.
({18})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wohlrabe.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Schlei, man sollte hier wiederholen, daß Sie
Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt und nicht eine Märchentante sind.
({0})
Sie haben sich ja selbst eben diesen Mantel angezogen. Für die Märchen, die Sie hier erzählt haben, erhalten Sie allerdings bei keiner Zeitung auch nur einen Pfennig.
({1})
Wir hätten uns gewünscht - das erwarte ich eigentlich von einer Parlamentarischen Staatssekretärin -, daß Sie sich in der Sache mit den Vorwürfen, die hier der Fraktionsvorsitzende und andere Kollegen von uns vorgetragen haben, auseinandersetzen.
({2})
Dies ist es doch, worum es geht. Daß Sie als Regierungsmitglied in die Polemik einsteigen, zur Sache aber so wenig sagen, halte ich für eine schlimme und unerträgliche Angelegenheit.
({3})
Ich hätte mir z. B. gewünscht, daß Sie uns in diesem Hause einmal die Fragen beantworten, deren Beantwortung Herr Bölling verweigert hat, nämlich: wer Auftragnehmer ist, wer die Honorare kassiert, welche Werbeagenturen eingeschaltet werden und welche Druckereien den Zuschlag bei Ihnen erhalten. Wer das untersucht, wer das überprüft, wer ins Handelsregister Einblick nimmt, stellt fest, daß sich hier ein Sumpf von Filzokratie und Verfilzung auftut, der in seiner ganzen Tiefe unter einem hanseatischen Bundeskanzler die ohnehin nicht pingeligen Berliner SPD-Genossen vor Neid erblassen lassen würde.
({4})
Die fettesten Werbebrocken - ich kann Ihnen das nachweisen - schlucken die SPD-Agenturen und damit die Genossen selbst.
Zuerst ein Wort zur ARE, einer Werbeagentur mit Sitz in Düsseldorf. Geschäftsführer und mittlerweile Mitinhaber der Firma ist der Sozialdemokrat Harry Walter, übrigens Miterfinder der Aktion „Gelber Punkt".
({5})
Er hat in den letzten Jahren mehr als 30 Werbefeldzüge für die Bundesregierung durchgeführt, und auf seiner Kundenliste stehen - ausweislich des Amtlichen Markenartikelhandbuchs für Deutschland - die SPD-Landesverbände, die SPD im Bund und weite Teile der Bundesregierung, allen voran das Bundespresseamt.
({6})
Nehmen wir nur einmal, um die Größenordnungen des Geschäftes darzustellen, eine „Spiegel"-Anzeige. Eine sechsseitige Anzeige im „Spiegel" kostet den Steuerzahler z. B. rund 140 000 DM. Der branchenübliche Provisionssatz beträgt 15%. Das bedeutet 21 000 DM zugunsten dieser SPD-Firma.
Es kommt hinzu, daß dieser Mann der einzige in der Branche ist, der dem Berufsverband nicht angehört und der darüber hinaus von Herrn Dröscher gegenüber den deutschen Tageszeitungen zurückgepfiffen werden mußte, weil er bei den Anzeigenaufträgen der Bundesregierung und der SPD erzwingen wollte - darüber gibt es einen sehr interessanten Schriftwechsel von Herrn Dröscher -, daß das Gegendarstellungsrisiko nicht zu Lasten seiner Auftraggeber geht. Unseriöse und unübliche Geschäftspraktiken treten somit noch hinzu.
({7})
Wer die „Frankfurter Rundschau" vom 2. Juni liest, stellt fest - ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, als ich las, daß man die Stirn hat, dies sogar in München zu behaupten -, daß man hofft, die desolate SPD-Kasse in München mit 400 000 DM Schulden könne mit Hilfe der ARE-Werbeagentur bereinigt werden. So erhofft man eine Schuldentilgung. Dies, meine Damen und Herren, ist eine Art der Verfilzung, ein Sumpf, ein Zusammenspiel von Staat und Partei, das es in der Geschichte der Bundesrepublik bis heute nie gegeben hat.
({8})
Ich füge hinzu, daß wir dieses In-die-Tasche-Wirtschaften, dieses Profitdenken ablehnen, es als abenteuerlich empfinden und darüber hinaus nicht bereit sind, zwielichtige Aktionen im Rahmen der Genossenwirtschaft auch noch durchgehen zu lassen. Wir werden dies draußen unermüdlich aufdecken, damit der Bürger weiß, was mit seinem Geld geschieht.
({9})
Die deutsche Werbewirtschaft, meine Damen und Herren, hat einen Anspruch darauf, daß die Aufträge der öffentlichen Hand ausgeschrieben werden, jedermann zugänglich sind und gerecht verteilt werden und nicht nur an ARE, seinen früheren Geschäftsführer Harry Lorenz, der sich der Optik halber nun vor einiger Zeit selbständig gemacht hat. Im übrigen unterhalten beide zusammen in Bonn eine gemeinsame Drittfirma „Kommunikation und Service". Dies sind drei wesentliche Auftragnehmer. Das steht alles im Handelsregister.
({10})
- Ich spreche für alle Burger, auch wenn es Ihnen wehtut, Herr Jahn.
({11})
- Wissen Sie, das haben Sie schon einmal gesagt, Herr Wehner; damit kommen Sie bei mir nicht an. Wir haben hier schon manche Runde ausgestanden. Deshalb lasse ich mich heute nicht darauf ein.
Lassen Sie mich noch folgendes sagen, meine Damen und Herren. Die von mir geschilderten Vorgänge sind nicht nur eine Veruntreuung von SteuerWohlrabe
geldern, sondern sie sind wohlüberlegtes Zuschanzen von Agenturprovisionen in die Kassen der SPD.
({12})
Im Volksmund könnte man sagen - ich will das gar nicht -, das sei ein Plündern der Staatskasse,
({13})
eine unverantwortliche Filzokratie von Staats- und Parteiinteressen. Mit Unterstützung des DGB, der Bank für Gemeinwirtschaft, der Neuen Heimat, bei Berücksichtigung der vielen Mittel der SPD ist diese SPD heute die Partei des großen Geldes und nicht die CDU/CSU, die Herr Börner am letzten Wochenende im Südwestfunk anzuprangern versuchte.
({14})
200 Millionen, zusammengerechnet mit all den zusätzlichen Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, erbringen viel mehr, als alle anderen Parteien in Deutschland für ihre Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung haben. Derartiges zerstört die Gleichheit der Wahlchancen. Wer dabei wie die SPD hemmungslos die Staatskasse einsetzt, zerstört die Gleichheit der Wahlchancen.
({15})
Wir werden dies immer wieder anprangern und lehnen es ab.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker!
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Von Honoraren hat der Herr Wohlrabe eine Ahnung. So kennen wir ihn.
({0})
Wohlrabe als Inbegriff der Seriosität - so kennen wir ihn, so kennen wir ihn alle.
({1})
Ich glaube, ich traue meinen Ohren nicht: Wohlrabe als Weißmacher an diesem Pult hier! Wissen Sie, Herbert Wehner hat doch recht: Sie sind eine Übelkrähe!
({2})
Herr Carstens! - Meine Damen und Herren von der Opposition! Sie wollen uns hier weismachen, wir würden zuviel Geld für die Information der Bürger ausgeben.
({3})
Einen Augenblick, Herr Kollege; einen Augenblick! Meine Damen und Herren! Die Akustik dieses Hauses und die Lärmkulisse machen es leider für das Präsidium sehr schwer,
({0})
hier etwas herauszuhören. Ich werde die Protokolle nachprüfen lassen. Ich bitte aber alle Redner und Zwischenrufer,
({1})
die eigenen Ausdrücke zu überprüfen. Bitte, Sie haben das Wort!
({2})
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, ich will das gern wiederholen: Ich habe Herrn Wohlrabe als Übelkrähe bezeichnet.
({0})
Herr Kollege Grobecker, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
({0})
Ich nehme diesen Ordnungsruf mit Dankbarkeit entgegen.
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition will uns hier weismachen, wir wendeten zuviel Geld für die Information der Bürger auf. Das ist ja wohl der Kern Ihrer Kritik. Ich finde, darauf sollten wir einmal zurückkommen. Meine Damen und Herren von der Opposition, das ist doch wohl nicht ganz so ernst gemeint. Das wird ja auch an dem Auftreten des Herrn Wohlrabe hier deutlich. Hier wird etwas zurechtgeschneidert, was vorn und hinten nicht paßt.
Sie reden immer von der Freiheit. Aber da ist die Frage zu stellen, welche Freiheit Sie meinen. Ich will Ihnen einmal sagen, was wir darunter verstehen. Wir meinen die Freiheit des Bürgers, seine von diesem gewählten Parlament beschlossenen Rechte und Ansprüche auch wirklich in Anspruch zu
nehmen bzw. wahrzunehmen. Die Gesetze und Rechte, die wir beschlossen haben, sind - das konzediere ich Ihnen gern - zum größten Teil mit Ihren Stimmen beschlossen worden. Ich weiß also gar nicht, wieso Sie kein Interesse daran haben können, die mit Ihren Stimmen beschlossenen Gesetze dem Bürger nahezubringen.
({1})
Wir wollen eben nicht mit Schlagworten Emotionen wecken. Wir wollen dem Bürger Sachinformation geben,
({2})
die er braucht, damit er seine Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen kann.
Meine Damen und Herren von der Opposition, seien Sie versichert: Die Bürger haben längst erkannt, wo Sachinformationen angeboten werden. Sie haben längst erkannt, auf welche Weise sie an diese Sachinformationen herankommen.
Haben Sie sich einmal klar gemacht, daß allein im Bundesarbeitsministerium, wo ich die Daten kenne, 6000 Anfragen nach Informationsmaterial pro Monat eingehen und daß diese Anfragen monatlich 6000mal - diese Zahl wiederholt sich ja - beantwortet werden. Vergessen Sie nie, meine Damen und Herren: 6000 Anfragen pro Monat heißt, daß wir Bürger haben, die Informationen brauchen, die Hilfe brauchen und die wir eben nicht auf ihrer Unwissenheit sitzen lassen können.
Weil wir gerade bei solchen Beispielen sind, darf ich auch noch ein Zitat bringen. Sie alle, meine Damen und Herren, kennen sicherlich die Katholische Arbeiterbewegung. Der zuständige Referent eines Bistums schrieb kürzlich dem Bundesarbeitsminister - ich zitiere -:
Heute habe ich Ihre Broschüre „Soziale Sicherung ein ganzes Leben lang" erhalten. Ich danke Ihnen dafür. Ich könnte diese Ausgabe für unsere Vertrauensleute der Ortsverbände gut gebrauchen, da die wesentlichen sozialen Bereiche und die Leistungen der Bundesregierung recht deutlich und unüberschaubar aufgezeigt werden. Schicken Sie bitte 60 Exemplare für unsere Arbeit.
Meine Damen und Herren, wir lassen die Bürger mit ihren Sorgen nicht allein. Wir sind für die Bürger da und nicht umgekehrt. Deshalb haben wir auch Geld für die Aufklärung und die Beratung der Bevölkerung bereitgestellt.
Ich will Ihnen sagen, daß in den einzelnen Ministerien die Nachfrage - das gilt ganz besonders für das Bundesarbeitsministerium - überhaupt nicht befriedigt werden kann. Im Gegenteil! Nehmen wir einmal einen ganz normalen Arbeitnehmer! Wissen Sie, wieviel Rechtsvorschriften in den letzten Jahren seine Position in Arbeit und Gesellschaft verbessert haben? Ich zähle ein paar auf. Da haben wir die Mitbestimmung, da ist das Betriebsverfassungsgesetz, da ist die Arbeitsstättenverordnung mit ihren entscheidenden Vorschriften über
eine humanere Arbeitsumwelt, da ist die betriebliche Altersversorgung, da ist das Konkursausfallgeld. All diese Gesetze verbessern die unmittelbare Umgebung der Arbeitnehmer. Wie Sie wissen, haben wir 25 Millionen Arbeitnehmer. Wenn Sie dagegenstellen, wie hoch die Auflagen der Broschüren sind, die diese Gesetze erläutern, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß das zu wenig ist.
Wir sollten uns sogar fragen, ob wir im Haushaltsausschuß für diesen Bereich nicht sogar viel mehr tun müssen, d. h. in Zukunft mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, damit jeder Bürger über seine Rechte informiert werden kann, ganz besonders hinsichtlich des Teils, für den ich eben geredet habe, nämlich des Bereichs des Bundesarbeitsministeriums.
({3})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Haehser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte die Gelegenheit benutzen, einige Dinge richtigzustellen, die insbesondere durch die Ausführungen des Kollegen Schröder ins falsche Licht geraten sind.
Zunächst, Herr Kollege Schröder, lassen Sie mich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, daß die hohen Kreditaufnahmen des Bundes selbstverständlich rezessionsbedingt waren. Niemand bestreitet das. Sie wissen, daß wir durch die Rezession 14 Milliarden DM weniger an Steueraufkommen hatten und daß wir zur Bezahlung der Arbeitslosigkeit 7 Milliarden DM mehr nach Nürnberg überweisen mußten. Diese Zahlen sind Ihnen genauso bekannt wie dem ganzen Hause. Der rheinland-pfälzische Finanzminister, Herr Gaddum, hat auf Kosten der Steuerzahler ein Blatt an die rheinland-pfälzischen Steuerzahler verteilt - Herr Kollege Marx hat es ja auch bekommen, denn er ist ja auch Steuerzahler -, in dem es heißt, daß, um die Investitionen und damit Arbeitsplätze nicht zu gefährden, eine hohe Kreditaufnahme angebracht sei. Der Mann hat recht. Nur, wenn wir das tun, nennen Sie das eine Politik des Finanzchaos.
({0})
Herr Schröder hat auch gesagt, wir würden zu Unrecht die Leistungen für die Arbeitslosigkeit als Sozialleistungen bezeichnen. Ich sage Ihnen, wir nennen die Leistungen für die Arbeitslosen auch zukünftig Sozialleistungen und nicht Gratifikationen.
({1})
Dann hat Herr Kollege Schröder davon gesprochen, daß die Sparer Schaden erleiden. Dies ist unrichtig.
({2})
Es ist der erneute Versuch, Teile der deutschen Mitbürgerschaft zu verunsichern. Dieser Versuch läßt veränderte Sparergewohnheiten ebenso wie die Tatsache außer acht, daß es Sparprämien gibt.
({3})
Diese Ihre Verunsicherungskampagne ist beim deutschen Sparer nicht angekommen;
({4})
denn wir haben die höchste Sparquote, die es in der Bundesrepublik Deutschland je gab.
({5})
Der Sparer weiß nämlich, daß er die neben dem
Schweizer Franken härteste Währung der Welt hat.
Darauf sind wir alle stolz. Sie verunglimpfen dies.
Lassen Sie mich noch etwas zu der Unverfrorenheit sagen, wie ich Ihr hiesiges Auftreten empfinde. Ich habe hier eine Broschüre, die unter Mitwirkung gerade auch des Kollegen Leicht im Wahljahr 1969 vom Bundesministerium der Finanzen angeschafft worden ist. In ihr ist nicht weniger als 14mal der damalige Finanzminister Strauß abgebildet worden: mit Familie, im Bundestag, im Flugzeug, in Libyen, mit Journalisten, als Staatsgast, mit Frau, im Kabinett. So sieht er aus. Ich zeige ihn Ihnen, damit Sie ihn einmal sehen. Er ist ja selten hier im Deutschen Bundestag. Ein Solobild von ihm ist auch darin. Nun treten Sie hier auf und werfen der Bundesregierung vor, sie betreibe Personenkult! Eine solche Broschüre finden Sie, von der jetzigen Bundesregierung herausgegeben, nicht. Wir sind froh darüber, daß es das nicht gibt.
({6})
Lassen Sie mich etwas zu der Bemerkung sagen, die Kollege Wohlrabe gemacht hat. Er suggeriert, als seien die Annoncen, die zweifellos erfolgreich sind, weil sie objektiv informieren
({7})
- daran ist ja wohl kein Zweifel, sonst würden Sie sich doch nicht so darüber aufregen, meine Damen und Herren -,
({8})
von der SPD-nahen Werbeagentur ARE gemacht worden. Herr Kollege Wohlrabe, ARE hat mit den Annoncen des Bundespresse- und -informationsamtes nichts zu tun.
({9})
- Ich kenne nur Wickelkinder und die hiesige Opposition, die so schreien können. Ich will Ihnen einmal etwas sagen.
({10})
Gerade auf Wunsch unseres Herrn Bundeskanzlers ist die Werbeagentur ARE in diese Annoncen nicht eingeschaltet worden, weil der Bundeskanzler nicht wollte, daß der Eindruck entsteht als würde eine Agentur sowohl für die Leistungen der Bundesregierung als auch für die größte Regierungspartei werben.
Ihr ganzes Gehabe, Ihr ganzes Geschrei, Ihre ganze für die Außenwelt bestimmte Aufregung - innerlich können Sie nicht aufgeregt sein, weil ich Ihnen solche Zeitschriften zeigen kann, wie ich es eben tat -, bringen uns nicht davon ab, wie bisher mit größter Objektivität die Mitbürger in unserem Land zu informieren, damit sie wissen, was mit ihren Steuergeldern geschieht: eine erfolgreiche, den Mitbürgern dienende Politik.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Haase ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst die unkollegialen und verletzenden Bemerkungen, die in den letzten zehn Minuten zu meinem Kollegen Wohlrabe gemacht worden sind, zurückweisen. Es tut mir außerordentlich leid, daß diese persönliche scharfe Note hier hereingetragen wurde. Es bestand nämlich absolut kein Anlaß. Sie brauchen denjenigen, der hier Mißstände aufdeckt, nicht persönlich zu attackieren. Dazu besteht keine Notwendigkeit.
({0})
Herr Kollege Grobecker, bei Ihnen bedaure ich es besonders; denn wir haben im Haushaltsausschuß eine gute Atmosphäre und halten uns tunlichst persönlichen Attacken fern. Wir sollten es auch in Zukunft so halten.
Unserem verehrten Fraktionsvorsitzenden Wehner
({1})
möchte ich nur wieder das mit auf den Weg geben, was Herr Carstens ihm jüngst einmal gesagt hat: Herr Wehner, wenn Benehmen Glückssache ist, dann unterliegen Sie einer permanenten Pechsträhne.
({2})
Meine Damen und Herren, am Ende dieser Debatte muß ich feststellen, daß es der Regierung und den Kollegen der Koalition in keinem Punkte gelungen ist, das zu entkräften, was hier von uns dargetan worden ist im Hinblick auf die Ungeheuerlichkeiten im Zusammenhang mit den Aktionen der Bundesregierung. Finanziell - das wiederhole ich - stellt die gegenwärtig von der Regierung entfachte
Haase ({3})
Welle von Volksaufklärung und Propaganda alles bisher Dagewesene in den Schatten und sprengt jeden gegebenen Rahmen.
({4})
Von den 200 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit werden in diesem Jahr mindestens - und diese Zahl ist für uns und für die (ffentlichkeit maßgeblich - 100 Millionen DM im politischen Kampf gegen die Opposition verwandt.
({5})
Angesichts dieser Dimensionen mit Informationspflicht zu argumentieren erscheint mir doch als blanker Hohn.
({6})
Die Behauptung in Ihren bundesweiten Anzeigenkampagnen, Sie sicherten Deutschlands Zukunft, ist ebenso unzutreffend wie unverschämt. Denn Sie fordern damit lediglich unverhüllt und schamlos zur Wahl der Koalitionsparteien auf. Das ist verfassungswidrig. Was hier geschieht, grenzt an die Veruntreuung öffentlicher Mittel.
({7})
Aber, meine Damen und Herren, Sie haben im Grunde ja noch nie treuhänderisch mit dem Geld der Steuerbürger umgehen können. Diese Regierung lebt weitgehend von Pump, will die Steuern erhöhen, wo sie nur kann, zur Finanzierung der beruflichen Bildung hat sie kein Geld, die Mittel für das Müttergenesungswerk kürzt sie, sie reduziert die Prämien für die Soldaten, Sie schrecken nicht einmal davor zurück, die Leistungen für die Kriegerwitwen einzuschränken - es ist doch wirklich schamlos -, und im selben Augenblick geben Sie 100 Millionen DM für Ihre unredliche Propaganda aus!
({8})
Im August werden wir dann erleben, - ({9})
- In Unterhosen? - Ja, wie in Baden-Württemberg! Gibt es da nach dem Wahlergebnis Ihre Partei überhaupt noch, Herr Schäfer?
({10})
Herr Schäfer, daß Sie Spitzenkandidat sind, zeigt doch, daß es die SPD in Baden-Württemberg gar nicht mehr gibt.
({11})
Meine Damen und Herren, wir werden im August erleben, daß sich an dieses propagandistische Trommelfeuer, das mit veruntreuten öffentlichen Mitteln finanziert wird, nahtlos die Wahlagitation der Koalitionsparteien anschließt.
({12})
- Nahtlos! Das Wort ist wichtig. Denn dann erscheint die deutsche Sozialdemokratie schwer bestückt, aber leicht geschürzt im schwarz-rot-goldenen Bikini auf der „Wahlstatt".
({13})
Wie wäre es, Herr Bundespressechef, in diesem Zusammenhang noch mit einem besonderen Werbegag, beispielsweise ein ganzseitiges Farbfoto auf der ersten Seite des „Stern" : Unser werter Bundeskanzler im Kreise seiner Regierung im Strandbad im schwarz-rot-goldenen Lendenschurz? Mit dieser Aktion könnten Sie nahtlos wie auch hüllenlos an die sonstigen von Ihnen kreierten Geschmack- und Würdelosigkeiten anknüpfen.
({14})
Was haben sich eigentlich die Verantwortlichen in Ihrer Partei gedacht, Herr Wehner, als sie diese Sache mit dem Bikini kreiert haben? Ihre Altvorderen würden sich im Grabe herumdrehen, eingedenk der Diffamierungskampagnen, die die Nationalsozialisten seinerzeit gegen die schwarz-rot-goldene Fahne der Weimarer Republik geführt haben.
({15})
Denen blieb es vorbehalten, die Embleme des Weimarer Staates mit Kübeln von Hohn und Spott zu übergießen. Goebbels und seine Trabanten verunglimpften die Farben der Republik als schwarz, rot und Mostrich. Und Sie, die deutsche Sozialdemokratie von 1976, zwängt sich die Farben der Republik mittels Lendenschurz über das Gesäß. Dazu kann man nur sagen: Von Ihnen sind anscheinend alle Bande frommer Scheu gewichen.
({16})
All das wird auf Sie zurückschlagen, meine Damen und Herren.
({17})
Sie werden dafür bestraft werden wie in BadenWürttemberg. Vor allem der Griff in die Staatskasse
({18})
wird Ihnen vom deutschen Bürger nicht verziehen werden, besonders da er merkt, daß er mit seinem eigenen Geld getäuscht werden soll. Meine Damen und Herren, Sie sichern Deutschland nicht, es sei denn höchstens so wie der Strick den Gehängten.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Sperling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den Rednern Wohlrabe und Haase haben wir jetzt den Niedergang Ihres Wahlspruchs erlebt: Nicht aus Liebe zu Deutschland, auch nicht aus Liebe zur CDU, auch nicht mehr aus Liebe zur Wäsche, sondern aus Liebe zur Schmutzwäsche machen Sie das Ganze hier.
({0})
Und diese Schmutzwäsche müssen Sie uns auch erst noch andichten, damit Sie Ihre Erregung halbswegs glaubhaft für sich selber vortragen können.
({1})
Herr Wohlrabe, eine ganz kurze Bemerkung zu dem, was Sie an Verfilzung vorgetragen haben. Das schlimmste Kapitel zur Geschichte der Parteienfinanzierung ist im Steiner-Ausschuß geschrieben worden, als aufgedeckt wurde, daß Sie Ihre Geschäftsführer auch noch mit Zusatzeinkünften für Berichtstätigkeit beim Verfassungsschutz aufbessern mußten, weil Sie nicht bereit waren, ihnen dafür etwas zu zahlen.
({2})
Das, was Sie Herrn Steiner an Parteienfinanzierung in Baden-Württemberg zugemutet, angesonnen und auferlegt haben - Gelder über Konten hereinholen, bar abheben und wieder zurückzahlen, bar an denjenigen, der es überwiesen hat, ohne daß irgendein Grund ersichtlich werden konnte -, wurde zwar nicht der Öffentlichkeit, aber uns klar.
({3})
Wenn dies in der Tat einmal durchgeforscht sein wird, was denn da geleistet worden ist, dann sollten Sie mit den ständigen Verdächtigungen aufhören, daß das, was von dieser Bundesregierung für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben wird, in der Tat in die Taschen der SPD fließe. Wir bleiben für dieses Volk die preiswerteste Partei.
({4})
Sie sind die billigste, trotz des großen Geldes.
({5})
So. Und nun, damit die Geschichte mit den 200 Millionen DM einmal ein bißchen besser aufgeklärt wird, habe ich mir heute morgen alle Schriften des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit besorgt, die in diesem Jahr herausgekommen sind und die alle in den gemutmaßten 200 Millionen DM stecken, die aber höchstens 143 Millionen DM gekostet haben können. Davon finden Sie für Wahlpropaganda in diesem Jahr so gut wie nichts.
Und hier die Titel der Broschüren: „Für uns", Broschüre für die Familien. Nicht einmal ein Bild der Bundesministerin ist darin. „Sozialhilfe - Ihr gutes Recht" : Dies ist das gute Recht der Bevölkerung, darüber aufgeklärt zu sein.
({6})
„Gesundheitsbilanz der Bundesregierung" : Nur 1 000 Exemplare, das Stück für 2 DM. „Krebsforschungsbericht" : 8 000 Exemplare; wichtig für die Krankenhäuser und Ärzte.
({7})
„Bericht über Krankenhausfinanzierung" : Da ist alles drin, was Landesregierungen über Krankenhausgesetze in ihren Bereichen gemacht haben. Von mir aus, wenn es gute Krankenhausgesetze sind, Propaganda für die Landesregierungen, die diese mit
zustande gebracht haben. „Sachaufklärung für die alte Bevölkerung in unserem Land" : Dies können Sie bedenkenlos an jedem CDU-Stand verteilen. „Der rote Faden" : Höchstens der Titel könnte Sie stören.
({8})
„Alt werden und gesund bleiben" : Für jeden Bundestagsabgeordneten wichtig und für seine Wähler.
({9})
„Menschen wie wir" : Daß diese Broschüre von Ihnen mit diffamiert werden soll, ist eigentlich die größte - Entschuldigung - Schweinerei.
({10})
So. - Und wer hier drauf ist, kandidiert nicht, weder bei Ihnen noch bei sonst jemandem: das ist ein Baby. Dies wird von demselben Geld gezahlt, das Sie dauernd diffamieren wollen, Geld, das dafür ausgegeben wird, jungen Müttern klarzumachen, was die Entwicklungsstadien von Babys sind. „Sendbrief wider den Saufteuf" : Kandidiert bei Ihnen auch nicht, bei uns auch nicht. Haben Sie vielleicht etwas gegen diese Propaganda, weil Sie von den alkoholproduzierenden Firmen die größten Spenden einstecken?
({11})
Dies ist etwas, was Sie krummnehmen könnten. Da steht auf rotem Grund „Wir wollen offen miteinander reden - ohne blauen Dunst". Die letzte Aufforderung könnten Sie sich in die Tasche schreiben. Und auf den Hund sind wir noch nicht gekommen: Im Plenum darf nicht geraucht werden. Ich sage: Gott sein Dank; vielleicht ist mein Fraktionsvorsitzender darüber anderer Meinung.
Aber dies alles ist eine Aufklärungsarbeit, die dazu dienen soll, daß unserer Bevölkerung bewußt ist,
({12})
was sie mit ihrer Lebensführung treibt.
({13})
Dies alles buttern Sie in die angebliche Propaganda hinein.
({14})
- Nein, dies alles steckt in den Zahlen drin, die Sie nennen.
({15})
Dies alles diffamieren Sie mit,
({16})
und weil Sie dies tun,
({17})
ist das, was Sie mit der Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit dieser Regierung leisten, im Grunde genommen etwas, was man als eine Verächtlichmachung der Informationsbedürftigkeit unser aller Wähler bezeichnen kann.
({18})
Denn unsere Wähler haben allesamt ein Recht darauf,
({19})
auch über die Gesetze, die Sie doch mit verabschiedet haben und von denen Sie manchmal sagen, Sie seien stolz darauf, daß Sie sie mit verabschiedet haben,
({20})
informiert zu werden. - Nun, was für Schwierigkeiten macht es Ihnen? Reißen Sie von mir aus das Bild von Katharina Focke vorne heraus, und machen Sie einen Stempel oder einen Aufkleber an die Stelle: ein Gesetz, von uns mit verabschiedet, und verteilen Sie es. Dies braucht Sie ja nicht sonderlich zu stören.
Herr Kollege Sperling, ich muß Sie bitten, zum Ende zu kommen.
Ja, meine Zeit ist abgelaufen. - Wenden Sie sich wirklich der sachlichen Informationstätigkeit dieser Bundesregierung zu, und sorgen Sie mit dafür, daß das, was sachlich drinsteht, verbreitet wird!
({0})
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
({0})
lch habe inzwischen Mitteilungen vom Stenographischen Dienst über Zwischenrufe und erteile Herrn Abgeordneten Wehner und Herrn Abgeordneten Rawe einen Ordnungsruf.
({1})
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 7/5382 Berichterstatter: Abgeordneter Junghans
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Junghans, hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 1. April 1976 das Dritte Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes beschlossen. Es geht hierbei um folgendes. Die Betriebsergebnisse der Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs werden durch gemeinwirtschaftliche Lasten, insbesondere durch die Sozialtarife im Ausbildungsverkehr, in erheblichem Umfang negativ beeinflußt. Deshalb hatte der Deutsche Bundestag mit diesem Gesetz beschlossen, eine Ausgleichspflicht für den Bund, d. h. für
Bahnbusverkehr und Postreisedienst, und für die Länder für deren öffentliche Nahverkehrsunternehmen gesetzlich zu statuieren, und zwar sollten 75 % der Einnahmeausfälle im Ausbildungsverkehr erstattet werden. Insgesamt hätte dies für die Länder eine Belastung von 375 bis 400 Millionen DM ausgemacht, die allerdings als Mehrbelastung in wesentlich geringerem Umfang in Erscheinung getreten wäre, da die Länder bereits nach eigenem Recht oder freiwillig Zahlungen geleistet haben. Für den Bundeshaushalt hätte sich eine Mehrbelastung von zirka 60 bis 65 Millionen DM ergeben.
Der Bundesrat hat mit Beschluß vom 14. Mai den Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes angerufen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe, damit der Redner gehört werden kann. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Es geht um ein bißchen mehr als nur 100 Millionen DM, meine Damen und Herren! - Der Vermittlungsausschuß hat am 10. Juni getagt und schlägt Ihnen folgende Änderungen zum Dritten Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes Drucksache 7/4899 vor.
1. Der von mir erwähnte Ausgleich der Einnahmeausfälle wird von 75 % auf 50 % herabgesetzt. Entsprechend ergeben sich geringere Mehrbelastungen von Bund und Ländern.
2. Bei der Festsetzung von pauschalen Kostensätzen werden die repräsentativen Unternehmen, ' deren Kostenlage zum Vergleich herangezogen werden soll, näher bestimmt.
3. Auch für andere Unternehmen, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist, also außer Bahn und Post, hat der Bund die Ausgleichspflicht.
Den genauen Wortlaut der Änderungsvorschläge des Vermittlungsausschusses entnehmen Sie bitte der Drucksache 7/5382. Ich bitte namens des Vermittlungsausschusses um Zustimmung, und zwar in einer Abstimmung über alle drei Punkte.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich beim Berichterstatter. - Das Wort zu einer Erklärung wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Bericht des Vermittlungsausschusses zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
- Drucksache 7/5383 -Berichterstatter: Abgeordneter Junghans
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Junghans.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Zweiten Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes - Drucksache 7/4902 - handelt es sich beim Vorschlag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/5383 unter Ziffer 1 um denselben Tatbestand wie beim Personenbeförderungsgesetz, und zwar bezogen auf die nicht bundeseigenen Lisenbahnen. Es geht also um die Herabsetzung des ursprünglich vorgesehenen Ausgleichsbetrags in Höhe von 75 % auf 50 %. Es geht ferner um die Erweiterung des repräsentativen Querschnitts. Insofern hat der Vorschlag den gleichen Wortlaut wie in bezug auf das Personenbeförderungsgesetz.
Unter Ziffer 2 a wird eine bestehende Praxis gesetzlich festgeschrieben, und unter Punkt 2 b werden zukünftige Aufwendungen aus Darlehen nach dem Verkehrsfinanzierungsgesetz 1955, d. h. für die Restschuldbeträge, in Zukunft in Zuschüsse des Bundes umgewandelt, ohne daß dieses eine Regelung von großer finanzieller Bedeutung ist.
Unter Punkt 3 wird die Ausgleichspflicht für Kriegsfolgelasten dem Bund übertragen. Punkt 4 ist eine redaktionelle Folgeänderung; Punkt 5 ist ebenfalls ein Kompromiß für das Inkrafttreten einiger Teile dieses Gesetzes, insbesondere für den Ausgleich betriebsfremder Lasten.
Es handelt sich also um den gleichen Tatbestand wie beim Personenbeförderungsgesetz, mit einigen kleinen Änderungen bei der Ausgleichspflicht. Ich bitte Sie deshalb namens des Vermittlungsausschusses um Zustimmung, und zwar auch in gemeinsamer Abstimmung über die vorgeschlagenen Änderungen.
({0})
Ich danke dem Berichterstatter. Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen.
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts
- Drucksache 7/5384 -Berichterstatter: Abgeordneter Höcherl
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Höcherl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte eigentlich gedacht, ich sollte Ihnen nicht mehr zur Last fallen. Aber mein sehr verehrter Freund und Ausschußvorsitzender Herr Dr. Möller - er ist heute nicht da - hat mich mit der Berichterstattung beauftragt. Ich bitte daher um Nachsicht.
Der Bundesrat hat am 4. Juni 1976 zu dein vom Bundestag am 6. Mai 1976 verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechtes den Vermittlungsausschuß angerufen, was sein gutes Recht ist. Das Anrufungsbegehren, das insgesamt zehn Punkte umfaßte - die meisten wurden von Beamten formuliert -, bezog sich ausschließlich auf Art. 1 des Gesetzes, d. h. auf die Vorschriften des neuen Arzneimittelgesetzes. Der Vermittlungsausschuß hat sich in seiner Sitzung am 10. Juni 1976 mit dem Anrufungsbegehren befaßt. Bei den Beratungen im Ausschuß ergab sich sehr schnell - darüber kann man streiten - eine Einigkeit darüber, denjenigen Anrufungsbegehren des Bundesrates, die vorwiegend technischer Art sind bzw. eine Klarstellung oder Anpassung an andere Vorschriften zum Ziel haben, zu folgen. Dagegen wurde sehr eingehend über diejenigen Vorschläge beraten, die auf eine Änderung des Umfanges der Zulassungspflicht von Arzneimitteln zielten.
Die Beratung des Vermittlungsausschusses hatte im einzelnen folgendes Ergebnis. Erstens. Zur Definition des Arzneimittelbegriffes in § 2 des Arzneimittelgesetzes hatte der Bundesrat begehrt, in § 2 Abs. 1 Nr. 1 klarzustellen - das ist sehr hilfreich für alle, die das miterleben müssen -, daß unter den Begriff der Arzneimittel nicht nur solche Stoffe und Zubereitungen fallen, durch die Krankheiten, sondern auch solche, durch die Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden geheilt, gelindert, verhütet oder sogar erkannt werden. Damit sollte zugleich eine Anpassung an § 31 des geltenden Arzneimittelgesetzes vom Jahre 1961 sowie § 44 Abs. 1 und § 45 Abs. i des neuen Arzneimittelgesetzes vorgenommen werden. Der Vermittlungsausschuß hat sich dem Ergänzungsvorschlag einmütig und in voller Erkenntnis der schwierigen Sachlage angeschlossen.
Zweitens. In einem weiteren Anrufungsbegehren, das ebenfalls bestimmte Definitionen von Arzneimitteln betrifft, hatte der Bundesrat die Streichung des § 2 Abs. 4 Satz 2 des Arzneimittelgesetzes verlangt. Der Bundesrat befürchtete, daß nach dieser Bestimmung bestimmte Erzeugnisse, die weder Arznei- noch Lebensmittel bzw. kosmetische Mittel sind, künftig auf Grund einer gesetzlichen Lücke ungehindert auf den Markt gebracht werden könnten. Dieses Anrufungsbegehren wurde im Vermittlungsausschuß von keinem Mitglied aufgenommen, was man nur bedauern kann.
Drittens. Ferner begehrte der Bundesrat eine Klarstellung zu der in § 4 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes getroffenen Definition der Sera. Der Vermittlungsausschuß hat sich diesem Änderungsbegehren, durch das zugleich eine Anpassung an die Fassung anderer Bestimmungen dieses Paragraphen vorgenommen wird, einmütig angeschlossen.
Viertens. Gleiches gilt für ein ähnliches Anrufungsbegehren, nach dem zur Begriffsbestimmung von Verbandstoffen in § 4 Abs. 9 des Arzneimittelgesetzes klargestellt werden sollte, daß Verbände - nicht im soziologischen, sondern im medizinischen Sinne - zum Fixieren und zum Stützen oder zum Komprimieren nicht unter den Verbandstoffbegriff
fallen und damit nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 gelten.
Fünftens. Den im Vermittlungsausschuß eigentlich umstrittenen Punkt stellte Ziffer 5 des Anrufungsbegehrens dar. Hier hat der Bundesrat zwei Abänderungen des Gesetzbeschlusses verlangt, die beide die Zulassungspflicht von Arzneimitteln betrafen.
Lit. a: einerseits begehrte der Bundesrat zu § 21 des Arzneimittelgesetzes, daß die dort in Abs. 2 Nr. 1 vorgesehene Ausnahme von der Zulassungspflicht bei Arzneimitteln, die in Apotheken hergestellt werden, nicht auf Chargengröße bis zu 50 abgefertigten Packungen pro Tag beschränkt wird, sondern auf eine Chargengröße von 200 Packungen erweitert wird. Damit sollte insbesondere einem Bedürfnis der Krankenhausapotheken Rechnung getragen werden. Bei den Beratungen im Vermittlungsausschuß wurde gegen diese Erweiterung u. a. geltend gemacht, daß zwar bei einer Chargengröße von 50 Packungen noch von einer Art verlängerter Rezeptur gesprochen werden könnte, stelle man dagegen aber auf eine Chargengröße von 200 Packungen pro Tag ab, so gerate man bereits in den Bereich der Fabrikation von Arzneimitteln. Gegen das Anrufungsbegehren spreche zudem, daß die Frage der Regelung nicht etwa nur Krankenhausapotheken, sondern sämtlichen Apotheken zugute komme. Der Auffassung des Bundesrates, die Arzneimittelsicherheit werde durch die genannte Erweiterung nicht beeinträchtigt, könne daher nicht gefolgt werden. Nach eingehender und sehr tiefer Erörterung einigte sich der Vermittlungsausschuß mit großer Mehrheit darauf, als Mittellösung eine Chargengröße von 100 Packungen pro Tag vorzuschlagen. Ich bitte, das zu beachten, Herr Wehner.
Lit. b: Andererseits hat der Bundesrat in demselben Anrufungspunkt eine Einengung der Ausnahme von der Zulassungspflicht von Arzneimitteln beantragt. Nach § 36 des Arzneimittelgesetzes können durch Rechtsverordnung sogenannte Standardarzneimittel von der Zulassungspflicht freigestellt werden. Voraussetzung dafür ist, daß eine Gefährdung von Menschen oder Tieren nicht zu befürchten ist, weil die Erfüllung der Anforderungen an die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erwiesen ist. Der Bundesrat hatte eine Einschränkung dieser Standardzulassung beantragt. Danach sollte die Freistellung von der Zulassungspflicht nicht für solche Arzneimittel in Betracht kommen, die verschreibungspflichtig sind. Dieses Änderungsbegehren fand im Vermittlungsausschuß leider keine Mehrheit.
Sechstens. Der Bundesrat hatte weiterhin beantragt, die im § 12 des Arzneimittelgesetzes vorgesehene Ermächtigung für die Kennzeichnung und die Packungsbeilage dahin gehend zu ändern, daß in Abs. 1 Nr. 3 die Möglichkeit eröffnet wird, neben der Anbringung von Warenzeichen oder Erkennungszeichen für bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen auch die Anbringung von Warnhinweisen, z. B. hinsichtlich der Teilnahme am Straßenverkehr, vorzuschreiben. Der Vermittlungsausschuß ist dem einmütig gefolgt.
Siebentens. Der Vermittlungsausschuß ist dem Bundesrat auch insoweit gefolgt, als entsprechend dem Anrufungsbegehren zu § 52 des Arzneimittelgesetzes durch Anfügung eines neuen Abs. 3 bestimmt werden soll, daß für Apotheken, abgesehen von bestimmten Fällen des § 52 Abs. 2, weiterhin das Verbot gilt, Arzneimittel auch nicht auf andere Weise als durch Automaten im Wege der Selbstbedienung abzugeben. Bisher hat § 10 Abs. 2 der Apothekenbetriebsordnung dieses grundsätzlich verboten. Diese Vorschrift wurde aber durch das neue Arzneimittelgesetz als dem höherrangigen Recht außer Kraft gesetzt. Der Bundesrat hat geltend gemacht, durch die Einführung der Selbstbedienung mit Arzneimitteln in Apotheken werde die den Apotheken obliegende Aufgabe, die verantwortliche Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, beeinträchtigt. Die vom Bundestag beschlossene Regelung stehe im Widerspruch zu grundlegenden Bestimmungen der Bundesapothekenordnung, des Apothekengesetzes und der Apothekenbetriebsordnung, wonach die kontrollierte Abgabe von Arzneimitteln zu den ureigensten Aufgaben des Apothekers zählte, auf die im Interesse der Arzneimittelsicherheit nicht verzichtet werden könnte.
Achtens. Schließlich machte sich der Vermittlungsausschuß die Ziffern 8 bis 10 des Anrufungsbegehrens zueigen, in denen der Bundesrat zu den Strafvorschriften des § 96 des Arzneimittelgesetzes einige Verbesserungen vorgeschlagen hat.
Meine Damen und Herren, ich bin damit am Ende meines Berichtes. Sie sind sehr eingehend über Dinge, die Ihnen sehr geläufig sind, informiert worden. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über die vorgeschlagenen Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Ich darf das Hohe Haus im Namen des Ausschusses bitten, dem Einigungsvorschlag, auch ohne Sachkenntnis, zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren! Wir danken dem Berichterstatter und stimmen nunmehr über den Antrag ab, und zwar gemeinsam über alle Punkte. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen!
({0})
Meine Damen und Herren! Mir liegt eine Mitteilung vom Stenographischen Dienst vor, daß die hier aufgezeigten Zwischenrufe vom Mitstenographen nicht in allen Fällen gleich gehört worden sind. Ich sehe damit bestätigt, was ich zu sagen versuchte, daß es für alle Beteiligten in großer Unruhe des Hauses sehr schwer ist, alle Zwischenrufe genau zu hören. Ich nehme den Ordnungsruf an Herrn Kollegen Rawe zurück.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach
Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht Fernunterrichtsschutzgesetz - ({2})
- Drucksache 7/5385 Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Schäfer. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf für den Vermittlungsausschuß folgendes vortragen.
Der Bundesrat hat in seiner 435. Sitzung am 4. Juni 1976 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 6. Mai verabschiedeten Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes einberufen wird.
Der volle Titel des Fernunterrichtsschutzgesetzes ist: „Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht". Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß es ein Verbraucherschutzgesetz ist. Dem Bund steht hierfür nach Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes die konkurrierende Gesetzgebung zu. Das erste Anrufungsbegehren des Bundesrates bezieht sich darauf, daß im Fernunterricht schulische Bereiche berührt werden können, die zum alleinigen Zuständigkeitsbereich der Länder gehören. In der Tat ist es durchaus möglich, daß sich hier Kompetenzüberschreitungen ergeben könnten. Der Vermittlungsausschuß schlägt im Bemühen, dies auszuschließen, vor, den § 12 Abs. 2 Nr. 1 wie folgt zu fassen:
1. der Fernlehrgang nicht zur Erreichung des vom Veranstalter angegebenen Lehrgangsziels geeignet ist.
Außerdem empfiehlt der Vermittlungsausschuß, wie aus der Drucksache 7/5385 zu ersehen ist, den letzten Satz des Abs. 2 wie folgt zu fassen:
Das Landesrecht kann weitere Versagungsgründe vorsehen und die näheren Einzelheiten über Inhalt und Umfang der Versagungsgründe nach Satz 1 bestimmen.
Der Vermittlungsausschuß ist der Auffassung, daß damit den Ländern die erforderlichen Mittel in die Hand gegeben werden, ihren eigenen Zuständigkeitsbereich zu schützen. Dadurch wird erreicht, daß alle Fernunterrichtslehrgänge dem Verbraucherschutz unterliegen. Die Möglichkeit des Eingriffs in die Länderzuständigkeit kann auf diesem Wege von den Ländern selbst abgewehrt werden.
Das zweite Anrufungsbegehren des Bundesrates betreffend die Erhebung von Gebühren und Auslagen wurde vom Vermittlungsausschuß nicht aufgenommen, da den Ländern die Zuständigkeit hierfür ohnedies schon zusteht.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich bitten, dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/5385 zuzustimmen.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem vorliegenden Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kehren nunmehr zur verbundenen Beratung der Tagesordnungspunkte 15 und 16, betreffend die Bekämpfung des Terrorismus und die Beschleunigung strafrechtlicher Verfahren, in dritter Beratung zurück.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dürr.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Art von älteren Schlagern, die man Evergreens nennt. Sie werden von manchen Leuten von der Schallplatte oder vom Kassettenrecorder zu ihrer Freude und zu anderer Leute Freude öfters abgespielt. Weniger Freude bereitet es dagegen, wenn sich die Opposition heute in rednerischen Evergreens und Wiederholungen vorloren hat, wo sie wirklich besser auf die Schriftsätze oder genauer gesagt auf das Protokoll früherer Sitzungen verwiesen hätte.
({0})
Der Herr Kollege Dr. Wittmann hat ein sehr gutes Wort gesagt. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren. Er meinte, wir sollten jede Möglichkeit benutzen, Verfahren zu straffen und zu beschleunigen. Ich kann Herrn Dr. Wittmann bloß sagen, daß seine Fraktion bei der Behandlung dieses Tagesordnungspunkts seinem Rat offensichtlich nicht gefolgt ist.
({1})
Lassen Sie mich ein kurzes Resümee dieser Debatte ziehen. Kollege Gnädinger hat eine solide Darstellung und Rechtfertigung unseres Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung gegeben.
({2})
Er und Kollege Kleinert haben auch das, was wir wollen, sauber und klar gegenüber dem Unnötigen, ja zum Teil Gefährlichen abgegrenzt, was die Opposition darüber hinaus verlangt.
Der Kollege Kunz hat die Stellung der Opposition dargestellt. Es spricht für ihn, daß ihm - mangels Begabung dafür - Ausflüge in die Demagogie kräftig mißlungen sind.
Der Herr Kollege Klein nun allerdings hat offensichtlich ein Manuskript ausgearbeitet, das für eine Verfassungsdebatte gedacht war. Aber da die vor Ende der Legislaturperiode nicht mehr stattfindet, hat er sich auf die Rednerliste geschmuggelt und sein Manuskript im rhetorischen Sommerschlußverkauf verhökert.
({3})
Im übrigen hat er mit dem Sprung von der terroristischen Vereinigung bis zum FDP-Kirchenpapier, das er auch erwähnt hat, einen rednerischen Weitsprungrekord, weg vom Thema des Tages, vollbracht.
({4})
18052 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode Dürr
Herr Kollege Dr. Wittmann bedarf einer Erwiderung, weil er das Kapitel Verfahrenssabotage wieder einmal aufgerührt hat. Zu diesem Thema habe ich der Opposition bereits am 18. Dezember 1974 empfohlen, sie möge ein Preisausschreiben für eine eindeutige Definition und genaue Abgrenzung zwischen Verfahrenssabotage einerseits und sauberer, aber harter Verteidigung andererseits veröffentlichen. Von der Opposition, die ihren Vorschlag Verfahrenssabotage immer wieder vorbringt, ist bis heute an genaueren Kriterien nichts, aber auch gar nichts Zusätzliches angeführt worden. Dieser Vorschlag ist und bleibt weiterhin ungeeignet.
Herr Kollege Vogel ({5}) hat, um mit Kurt Tucholsky zu reden, eine Wiederholungs- oder Unterstreichungsrede gehalten, mit der man sich nicht weiter befassen muß.
Alles, was die Opposition sagte, wurde mit großer Verve vorgetragen, wie wenn es wirklich um den Bestand des Vaterlandes ginge. Die Tatsache aber, daß während dieser Debatte - auch jetzt - etwa 4 bis 5 O/o der Abgeordneten der Opposition anwesend waren, spricht etwas dagegen.
({6})
- Herr Kollege, wir sind immer mehr als die Opposition, und es hat schon Zeiten gegeben, in denen die Opposition zwar mit hohen Phonzahlen geredet hat, die an Mandaten weit schwächere FDP im Plenum aber genauso stark vertreten war wie die CDU/CSU. Zeitweise fehlt die CSU sogar ganz, wie etwa jetzt im Moment.
({7})
- Ich bitte um Entschuldigung. Herr Kollege Althammer, Sie sitzen auf einem CDU-Platz. Können Sie mir noch einmal vergeben? Aber eine personenstarke Vertretung der CSU sind Sie alleine ja auch nicht.
({8})
Ein Lob muß ich der Opposition aussprechen, nämlich, das, daß sie wenigstens ihre Redner mit besonders hohem Überdrehmoment, wie etwa die Herren Dregger, Carstens, Spranger und Richard Jaeger, in dieser Debatte nicht eingesetzt hat.
({9})
- Ich habe gesagt, daß ich ein Resümee dieser Debatte ziehe. Nachdem Sie in Ihrer Rede nichts gesagt haben, habe ich darauf nichts erwidert. Mehr als das ist im Zusammenhang mit Ihrer heutigen Rede auch nicht notwendig.
({10})
Meine Damen und Herren, der heutige Versuch der Opposition, darzulegen, die Koalition tue nicht genug für die innere Sicherheit, ist mißlungen. Er ist genauso mißlungen, wie ihr morgen der Vorwurf mißlingen wird, den sie sicher in der Verteidigungsdebatte erheben wird, diese Koalition tue zu wenig für die äußere Sicherheit.
({11})
Das Wort hat Herr Bundesminister Vogel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Abwicklung der heutigen Tagesordnung hat zu einer mehrstündigen Unterbrechung der dritten Lesung geführt. Ich will mich dennoch bemühen, den Zusammenhang mit der zweiten Lesung und dem vorausgegangenen Teil der dritten Lesung zu wahren. Zunächst danke ich Herrn Kollegen Klein für das bemerkenswerte Goethe-Zitat, das er mir gewidmet hat. Ich möchte nicht in seiner Schuld bleiben und ebenfalls mit einem Goethe-Zitat erwidern:
Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende,
Was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt. Es fordert meine Pflicht, soviel ich kann, Die Hast zu mäß'gen, die Euch übel treibt.
({0})
Dieses Zitat möchte ich aber nicht nur Ihnen, Herr Klein, sondern auch Ihren Kolleginnen und Kollegen widmen.
Gestatten Sie mir nun zwei allgemeine Bemerkungen. Mit Recht ist in der Debatte darauf hingewiesen worden, daß es sich bei den terroristischen Aktivitäten nicht um ein typisch deutsches Problem, sondern um eine weltweite Herausforderung handelt. Ich denke dabei gar nicht in erster Linie an den Nahen Osten, an Nordirland oder an Südamerika. Dort liegen sicherlich besondere Situationen vor. Ich denke vielmehr an die spektakuläre Geiselnahme der OPEC-Minister in Wien, an die Aktionen der Ambonesen in Holland, an Terroranschläge vor und während des italienischen Wahlkampfes, an die Anschläge auf Botschaften und Konsulate in Den Haag und Paris, aber auch an zahlreiche andere Gewaltakte in Frankreich, in den Vereinigten Staaten und in vielen anderen Ländern. Schon dies macht deutlich, wie verfehlt Vorwürfe und Beschuldigungen gegen die Bundesregierung und die Koalitionsparteien sind, die diese Zusammenhänge bewußt beiseite schieben. Es ist auch nicht hilfreich, Herr Kollege Vogel, uns Gesetze anderer Länder vorzuhalten, gleichzeitig aber zu verschweigen, daß diese Länder mit der Abwehr des Terrorismus eher größere Schwierigkeiten haben, als wir sie in den vergangenen zwölf Monaten hatten.
Es ist weiter mit Recht betont worden, daß es sich bei den terroristischen Aktivitäten um Straftaten, und zwar um solche schwerer und schwerster Art, handelt und ihre Abwehr sowie ihre Ahndung deshalb zunächst und vor allem eine Aufgabe der Polizei und der Justiz ist. Beide haben sich erst auf die neue Herausforderung und die Kampfesweise der
Terroristen einstellen müssen. Dabei hat es anfänglich da und dort Unsicherheiten und sicher auch einmal Fehler gegeben. Diese Phase ist aber nun überwunden. Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte bewältigen heute ihre schwierige Aufgabe mit Sicherheit und Festigkeit. Sie tun ihre Pflicht und lassen sich dabei auch durch persönliche Bedrohung und Gefährdung nicht beirren. Dafür spreche ich ihnen namens der Bundesregierung auch bei dieser Gelegenheit den sehr herzlichen Dank aus.
({1})
Meine Damen und Herren, diesen Dank erstrecke ich zugleich auf diejenigen Verteidiger, die in den fraglichen Prozessen ihre Aufgabe im Sinne und im Geiste unserer Rechtsordnung wahrnehmen. Pauschale Kritik ist auch den Verteidigern gegenüber fehl am Platze. Auch ihr Beitrag ist zur Bewahrung des freiheitlichen Rechtsstaats unentbehrlich.
Auf neue Gefahren und neue Sachverhalte muß aber auch der Gesetzgeber antworten, wenn sich zeigt, daß die bestehenden Normen zum Schutze bedrohter Rechtsgüter nicht ausreichen. Der Bundesgesetzgeber hat dies nach eingehender Prüfung durch zwei Gesetze getan, die im übrigen mit breiter Mehrheit, ja, sogar einstimmig verabschiedet worden sind: im Jahre 1974 durch das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts und in diesem Jahr durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz.
Das Zusammenwirken der drei Staatsgewalten hat bei der Abwehr des Terrorismus zu klaren Erfolgen geführt. Manche tun so - sie haben dies auch in der heutigen Debatte getan -, als ob dieser Staat machtlos sei, als ob sich die Terroristen in unserem Lande unbehelligt tummeln könnten. Herr Kollege Klein hat sich sogar zu der Behauptung verstiegen, die Justiz sei weithin lahmgelegt. Manche, meine Damen und Herren, reden so, weil sie es nicht besser wissen. Andere handeln mit Vorbedacht, weil sie die Angst schüren wollen, da sie meinen, ihre politische Saat gedeihe nur in einem Klima der Angst und der Furcht.
({2})
Die Wahrheit ist, daß wir den Gesetzen unseres Staates auch gegenüber Terroristen Geltung verschafft haben. Das zeigen schon die Zahlen: 128 terroristische Gewalttäter befinden sich in Haft, 34 verbüßen erkannte Freiheitsstrafen, 94 sind in Untersuchungshaft, 103 sind rechtskräftig verurteilt, gegen 76 weitere ist Anklage erhoben.
Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition: Das Klima hat sich geändert. Das Gefühl der Bedrohung in der Bundesrepublik hat abgenommen. Das Vertrauen in die Fähigkeit unseres Staates, seine Ordnung ohne Preisgabe rechtsstaatlicher Prinzipien zu bewahren, ist nicht geschwunden. Es hat sich gefestigt. Dieses Vertrauen haben Sie auch durch Ihre Beiträge in der heutigen zweiten Lesung nicht die Frage stellen können.
Der vorliegende Entwurf, über den wir jetzt in dritter Beratung zu befinden haben, verwertet die
Erfahrungen, die wir vor allem in den Jahren 1974 und 1975 gesammelt haben. Er präzisiert den sehr weit gefaßten Tatbestand der kriminellen Vereinigung für die terroristischen Vereinigungen und knüpft daran Folgerungen für das Haftrecht und die Anzeigepflicht. Er unterwirft den Schriftverkehr zwischen Anwalt und inhaftiertem Mandanten im Fall des § 129 a StGB unter bestimmten Voraussetzungen der Kontrolle. Er begründet die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Straftaten nach dem neuen § 129 a StGB und damit die primäre Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts. Es war von Anfang an klar, daß diese Zuständigkeitsregelung manchen Widerständen ausgesetzt sein würde. Die zentrale Zuständigkeit des Bundeskriminalamts muß aber im Bereich der Strafverfolgung gerade für den ersten Zugriff den Generalbundesanwalt als zentralen Ansprechpartner zur Verfügung haben. Schließlich schließt die neue ehrengerichtliche Maßnahme des zeitlich und gegenständlich befristeten Vertretungsverbots die jetzt zwischen Geldbuße und Berufsausschließung auf Dauer klaffende Lücke.
Abgelehnt haben die Ausschüsse mit breiten Mehrheiten die sogenannte Kronzeugenregelung. Die für die Ablehnung geltend gemachten Gesichtspunkte erscheinen überzeugend - dies auch deshalb, weil inzwischen einzelne Beschuldigte ihr Wissen auch so offenbart haben. Die ursprüngliche Annahme, es bestehe ein nahezu absoluter Aufklärungsnotstand, der ungewöhnliche Maßnahmen erfordere, ist damit erheblich relativiert worden.
Der Rechtsausschuß hat weiter davon abgesehen, auch den mündlichen Verkehr zwischen Inhaftierten und ihren Verteidigern im Fall des § 129 a StGB überwachen zu lassen. Der Ausschuß meint, daß die ihm vorgetragenen Tatsachen den Eingriff in den Kernbereich des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Verteidiger jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht rechtfertigen. Diese ernsthafte Abwägung, die der Ausschuß in seiner Verantwortung vorgenommen hat, wird von der Bundesregierung respektiert.
Die Angriffe, die Sie in diesem Zusammenhang gegen die Koalition, gegen die Bundesregierung und gegen mich richten, sind abwegig. Ich muß fragen: Was haben Sie eigentlich für ein Demokratie- verständnis? Welche Vorstellungen besitzen Sie über das Verhältnis zwischen Minister und Parlament? Es ist wirklich schwer, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, es Ihnen recht zu machen: Wird eine Regierungsvorlage von den Koalitionsfraktionen unverändert angenommen, dann werfen Sie den Koalitionsfraktionen vor, sie folgten der Regierung sklavisch, sie seien die parlamentarischen Hilfstruppen der Regierung. Werden aber von der Koalitionsfraktionen nach sorgfältiger Prüfung Änderungen vorgenommen, dann beklagen Sie die mangelnde Durchsetzungskraft der Regierung.
Weitergehende Regelungsvorschläge der Opposition sind zu Recht abgelehnt worden. Ich darf nochmals die vier wichtigsten Forderungen nennen:
Erstens. Verfahrenssabotage als weiterer Ausschlußgrund. Es bleibt dabei, daß es sich hier um einen schillernden und unscharfen Begriff handelt, der zu Unsicherheiten und Reibungen führen würde. Die Gerichte sind nach Überwindung anfänglicher Unsicherheiten mit den Störungen, um die es sich hier handelt, durchaus fertig geworden. Das gilt besonders für die beiden großen Verfahren, von denen heute mehrmals die Rede war.
Es geht zweitens um Ihre Forderung, in § 129 a StGB eine höhere Mindeststrafe vorzusehen; darauf läuft die Forderung des Kollegen Kunz hinaus. Ich darf dem entgegenhalten, daß bisher noch in keinem Fall konkret Kritik an der Höhe der verhängten Strafen geübt worden ist. Außerdem sind die Bedenken auch deswegen unbegründet, weil es bei Rädelsführern und Hintermännern einen Strafrahmen bis zu zehn Jahren gibt und weil die Fälle, in denen nur auf Grund des § 129 a verurteilt wird, sehr selten sein werden. In aller Regel liegt Tateinheit mit anderen schweren und schwersten Verbrechen vor, so daß die Frage der Mindeststrafe und die Frage der Höchststrafe in der Praxis schon dadurch erheblich relativiert werden.
Sie haben drittens eine Ausdehnung der Anzeigepflicht gefordert. Dies ist systemwidrig, weil sich die Anzeigepflicht unseres Strafgesetzbuchs immer auf die Anzeige bevorstehender, noch nicht vollendeter Verbrechen beschränkt. Im übrigen verliert auch dieser Hinweis an praktischer Bedeutung, weil die Anzeigepflicht bei jeder Unterstützungshandlung auf neue entsteht, weil sie auch dann immer wieder auf neue entsteht, wenn eine neue Beteiligung vorliegt. Außerdem ist eine selbständige Anzeigepflicht bei jeder konkreten Einzeltat gegeben, die eine kriminelle Vereinigung plant und vorbereitet. Wir haben ein dichtes Netz von Anzeigepflichten, das den Bedürfnissen völlig entspricht.
Viertens haben Sie Vorschläge zur Abkürzung von Großverfahren aufgegriffen. Sie wissen genauso gut wie ich, daß es hierzu eine eigene Vorlage gibt, die auf Vorarbeiten einer gemeinsamen Kommission der Justizminister der Länder und des Bundesjustizministeriums beruht. Es hat keinen Sinn, in einem Schnellverfahren Teile isoliert vorzuziehen. Es ist sinnvoll, die Vorlage des Bundesrats, die in eine Vorlage meines Hauses Eingang finden wird, im Zusammenhang zu behandeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sachliche und nüchterne Würdigung der heutigen Debatte ergibt, daß sich die Differenzen zwischen der Koalitionsvorlage und der Regierungsvorlage in der Fassung, in der sie jetzt Gesetz werden soll, und den abgelehnten Oppositionsanträgen im Rahmen dessen halten, was in Gesetzgebungsverfahren auch auf vielen anderen Gebieten üblich ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben sich bemüht, diese Differenzen zu unüberbrückbaren Gegensätzen hochzustilisieren. Ich verstehe, daß Sie das, je näher das Ende der Legislaturperiode rückt, bei jeder Gelegenheit um so mehr versuchen. Mit Ihrer Wahlparole stehen Sie in besonderer Weise unter Polarisierungszwang.
({3})
Sachliche Meinungsverschiedenheiten unter Demokraten genügen offenbar nicht mehr. Alles muß in das Muster totaler Konfrontation, in den Gegensatz von Gut und Böse, in die Gegenüberstellung von Verantwortung und Verantwortungslosigkeit gegenüber unserem Staat und unserer Sicherheit gepreßt werden. Deshalb diese maßlosen Übersteigerungen wie die des Herrn Kollegen Klein, der, wenn man seine Äußerungen des professoralen Beiwerks entkleidet, der Bundesregierung und den Koalitionsparteien nicht weniger vorwirft, als daß sie unsere gemeinsame Rechtsordnung planmäßig und fortschreitend zerstören. Ich glaube, ein so maßloser Vorwurf richtet sich selbst. Ich sage Ihnen voraus, meine Damen und Herren, daß Sie mit Ihrer Parole auch in diesem Punkt Schiffbruch erleiden werden, weil diese maßlosen Übertreibungen an dem nüchternen und klaren Sinn unserer Bürger zuschanden werden.
({4})
Unrichtig ist allerdings auch - das füge ich hinzu - die Alternative, es gehe hier um Freiheit oder Sicherheit. Es geht nicht um Freiheit oder Sicherheit. Es geht darum, die Freiheit um unserer Bürger willen sicherer zu machen.
({5})
Das ist eine Aufgabe von hohem Rang, nach Auffassung unserer Bürger sogar eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt. Nach einer Umfrage vom Februar 1976 rangiert dieser Problemkreis hinter dem Bemühen nach langfristiger wirtschaftlicher Sicherung mit 69 % an zweiter Stelle der als wichtig angesehenen Themen, und zwar noch vor dem Bemühen um soziale Sicherung. Unsere Bürger sind aber auch der Meinung, daß dieser Staat das Erforderliche zu Ihrem Schutz tut. Auf die Frage, ob sie ihre persönliche Sicherheit gegenwärtig von politischen Terroristen bedroht fühlen, antworteten 53 %, sie fühlten sich gar nicht bedroht, 25 %, sie fühlten sich kaum bedroht, 14 %, sie fühlten sich etwas bedroht, und nur 8 %, sie fühlten sich stark bedroht.
({6})
- Aber Herr Erhard, was soll denn diese völlig abwegige Bemerkung? Wollen Sie denn wirklich einen Zustand haben, bei dem - nicht wegen meiner eigenen persönlichen Sicherheit - der Staat neuerlich in Schwierigkeiten gerät, in denen er auf dem Höhepunkt der Berliner Entführungsaffäre gewesen ist? Sie kennen doch die Gründe und Zusammenhänge. Machen Sie das doch nicht zum Gegenstand einer vordergründigen Polemik.
({7})
Ich behaupte und habe unter Beweis gestellt, daß sich die Bürger in unserem Lande nicht bedroht fühlen, daß sie sich sicher fühlen. Über drei Viertel der Befragten waren gleichzeitig der Meinung, daß es in der westlichen Welt keine Staaten gibt, die ihre Bürger besser schützen als die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung sieht sich in der
Auffassung bestätigt, daß sie mit ihren Maßnahmen
gegen den Terrorismus, auch mit der Gesetzgebung
gegen den Terrorismus auf dem richtigen Wege ist.
Namens der Bundesregierung bitte ich Sie, der Vorlage in der dritten Lesung Ihre Zustimmung zu geben.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard. Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, daß vorher Redezeiten vereinbart worden sind. Sie haben noch ein paar Minuten.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Justiz hat nun eben wieder genau das gemacht, was wir ihm seit langem vorwerfen.
({0})
Er tut so, als wäre das, was hier Gesetz wird, eigentlich das Beste. Wenn man seine heutige Presseerklärung über das liest, was er heute gesagt habe - so ganz hat er es eben nicht gesagt -, dann ist alles richtig und optimal geschehen. Mit diesen Gesetzesbeschlüssen, so hat er hier wörtlich gesagt, „hat der Gesetzgeber das Notwendige und Erforderliche in rechtsstaatlicher Weise geleistet". In Wirklichkeit sind die Dinge, die Sie selbst für erforderlich gehalten haben, die die Regierung für erforderlich gehalten hat, in verschiedenen Punkten eben nicht Gesetz geworden.
({1})
Wo ist Ihre konkrete persönliche Meinung, Herr Minister? Wo ist die konkrete Meinung der Regierung? Wann hat ein einziger Minister oder auch nur ein Staatssekretär im Rechtsausschuß die Auffassung der Regierung zu diesen Fragen vertreten? Nicht ein einziges Mal, nicht eine Minute hatten Sie dazu Zeit. Aber hier stellen Sie sich hin und tun so, als wäre alles, was nun wirklich von Ihnen vorgeschlagen wurde, jetzt in bester Weise gelöst. Das ist unredlich, und - entschuldigen Sie das harte Wort - Sie stehen hier entweder zu überhaupt keiner Meinung oder Sie haben nicht den Mut, Ihre eigene Meinung zu vertreten. Das kann dann allenfalls nur mit Rücksicht auf die linke oder rechte Seite des Hauses zu begründen sein. Jedenfalls hört man hier nicht das, was der Minister und die Regierung zu tun hätten.
Zum zweiten haben Sie wiederum das terroristische Umland und den Terrorismus hier regelrecht bagatellisiert. Sie sagen zwar, daß sei international. Natürlich ist es international. Wo ist es aber international? Überall dort, wo Freiheit herrscht. In keinem kommunistischen Land haben wir solche Vorgänge. Wir haben aber sehr wohl diesen politisch bestimmten Terrorismus mit Unterstützungen aus Ländern, die sich sozialistisch nennen. Auch das ist Ihnen genau bekannt. Dann kann man nicht sagen, dieses Problem bestünde in der ganzen Welt. Hier wird die Freiheit angegriffen.
({2})
Dann nennen Sie Zahlen von denjenigen Terroristen, die bekannt sind, die bereits inhaftiert sind, gegen die Verfahren laufen, die endgültig verurteilt sind usw. Sie wissen aber doch, daß noch zwischen 250 und 300 bekannte Terroristen in Freiheit sind, daß gegen 28 solcher Terroristen Haftbefehle erlassen worden sind. Der Abteilungsleiter im Bundeskriminalamt hat diese Zahlen auf einer internationalen, von schwedischen Richtern durchgeführten Akademie-Tagung jetzt in diesen Tagen genannt. Gestern hat dpa darüber berichtet. Herr Buback beklagt als Chef der Bundesanwaltschaft diese Zustände, die ein neues Terroristenbild ergeben, Sie wissen, wie die Dinge jetzt international gehandhabt werden, aber von der gleichen Richtung. Und dann tun Sie hier so, als wäre das alles im wesentlichen eigentlich schon überwunden. Ich habe Ihnen dazwischengerufen: Ihr Haus, Ihr Ministerium, Herr Vogel, ist der beste Beweis dafür, wie ernst Sie diesen Terrorismus nehmen. Ich halte es für richtig, daß Sie ihn ernst nehmen. Aber Sie sollten ihn auch in der politischen Aussage ernst nehmen und sich nicht nur selber hinter dem Stacheldraht verschanzen.
({3})
Dann werfen Sie uns vor, wir wollten die totale Konfrontation. Wie können Sie das heute hier sagen, wo wir am gleichen Tage mehrere Gesetze in zweiter und dritter Lesung auf der Tagesordnung haben, die einvernehmlich verabschiedet werden, wo wir noch Verfassungsänderungen einvernehmlich verabschieden werden, wo Sie sich in der vorletzten Sitzung noch ausdrücklich für die umfangreiche gemeinsame Arbeit bei der Veränderung der Prozeßordnungen bedankt haben? Und dann sagen Sie, wir wollten die totale Konfrontation! Ich kann überhaupt nicht begreifen, wo Sie das hernehmen wollen.
Was wir hier zu beanstanden haben, Herr Minister Vogel, ist die außerordentliche Geschwindigkeit, mit der Sie für die Regierung oder für sich persönlich den Standort wechseln. Niemand weiß mehr, wo Sie wirklich stehen. Ich habe deswegen schon einmal ein böses Wort über die Zunge gehen lassen, das ich jetzt nicht wiederhole, weil ich keine persönliche Verschärfung haben will; ich hätte sonst an Ihren Namen angeknüpft. - Hier muß eine einheitliche, klare Sprache gesprochen werden, damit wir wirklich gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen und nicht der Eindruck entsteht, als wollten Sie gewisse Teile im Umland oder im Vorfeld eigentlich mit dem Mantel der Barmherzigkeit überdecken in der Hoffnung
({4})
- im Umland, habe ich gesagt -, die würden schon einsichtig werden. Diese Ideologen werden nicht einsichtig, wenn der freiheitlich gesonnene Rechtsstaat ihnen nicht mit all seinen Mitteln auch kämpferisch begegnet.
({5})
Das Wort hat Herr Bundesminister Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine ganz kurze Erwiderung auf die Bemerkungen, die Herr Kollege Erhard soeben von dieser Stelle aus gemacht hat.
Erstens. Sie werfen mir vor, meine Haltung oder die Haltung der Bundesregierung in der Frage der Bekämpung des Terrorismus sei nicht erkennbar. Ich weise diese Behauptung mit aller Entschiedenheit zurück.
({0})
Alle Gesetzesvorlagen, die diesem Hause unterbreitet worden sind, alle Gesetzesvorlagen, die hier beraten und verabschiedet worden sind, geben diese meine Auffassung wieder.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Gern, bitte sehr.
Herr Bundesminister, geben Sie zu, daß sich in der Frage, um die es hier in erster Linie geht, in der Frage der Überwachung des Verteidigerverkehrs, die Meinungen in der Tat ständig geändert haben?
({0})
Herr Kollege Vogel, die Frage der Verteidigerüberwachung ist eine von 12 oder 15 Fragen, die bei der Bekämpfung des Terrorismus in der Gesetzgebung eine Rolle gespielt haben. In dieser Frage haben sich der Ausschuß und die Mehrheit des Parlaments eine andere Meinung gebildet, als ich sie vertreten und vorgetragen habe. Wenn Sie dies attackieren, so ist das kein Angriff gegen mich, sondern gegen das Wesen des Parlamentarismus, das darin besteht, daß sich das Parlament in eigener Verantwortung eine Meinung bildet.
({0})
Sie kritisieren hier das, was Sie bei anderen Gelegenheiten ständig als Tugend preisen, daß nämlich das Parlament als Kontrollinstanz Vorschläge und Anregungen der Regierung korrigiert und in eigener Verantwortung ändert.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Aber gern.
Herr Minister Vogel, könnten Sie uns erklären, wie es dann für Sie möglich war, die Ablehnung der Verteidigerüberwachung, von der Sie soeben wieder gesagt haben, sie wäre richtig, bei der Verabschiedung des Gesetzes zum Verfahrensrecht im Dezember 1974 zu loben?
Ich habe damals festgestellt, Herr Kollege Erhard ich stelle Ihnen die Texte gern zur Verfügung -, daß der Ausschluß gegenüber der Überwachung bei dem damals zur Debatte stehenden Problem das schärfere und einschneidendere Mittel sei. Das habe ich ausgeführt.
({0})
- Meine Herren, es wird Ihnen nicht gelingen, diesen Punkt der Überwachung des mündlichen Verkehrs zum zentralen Punkt der gesamten Terroristenabwehr zu machen.
({1})
Im übrigen, wenn Sie es noch einmal hören wollen: Der Eingriff in den mündlichen Verkehr zwischen Mandant und Verteidiger - das habe ich auf dem Deutschen Anwaltstag in Berlin gesagt - ist der Kernbereich dieses Vertrauensverhältnisses. Daß es darüber unter Demokraten, sogar wenn sie der gleichen Partei angehören, unterschiedliche Meinungen in der Abwägung gibt, ist nicht ein Zeichen von Schwäche oder Schwanken, sondern ein Zeichen von Stärke und funktionierender parlamentarischer Kontrolle.
({2})
Zum zweiten: Herr Kollege Erhard, dunkel ist der Rede Sinn. Wenn Sie hier die kommunistischen Länder als Vorbild hinstellen, weil es dort keinen Terrorismus gibt,
({3})
dann, lieber Herr Kollege Erhard, sind Sie auf einem ganz gefährlichen Weg. Wir jedenfalls wollen den Preis nicht zahlen, den Preis, daß wir den Terrorismus durch Einschränkung rechtsstaatlicher Prinzipien und durch ihren Abbau bekämpfen.
({4})
-- Lieber Herr Kollege, mir steht es nicht zu, die Äußerungen Ihres Kollegen Erhard als primitiv zu kennzeichnen.
({5})
Das steht mir als Vertreter der Bundesregierung nicht zu. Ich habe hier als Ohrenzeuge gehört, daß Herr Kollege Erhard gesagt hat, der Hinweis auf die ganze Welt bedürfe der Korrektur, weil in den kommunistischen Diktaturen kein Terror vorkomme. Das ist das Zitat. Wenn das eine primitive Äußerung war, dann fällt das auf den Urheber zurück, nicht auf mich.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kliesing?
Vielleicht können sich die Herren vorher verständigen, wer als erster seine Zwischenfrage stellt. Derweil rede ich weiter.
Herr Minister, würden Sie mich vielleicht einmal darüber belehren, - Dr. Vogel, Bundesminister der Justiz: Ich habe bisher, Frau Präsidentin, noch keine Zustimmung gegeben. Ich möchte, daß sich die Herren erst selbst darüber verständigen, wer fragt.
Ich kann nur Sie fragen, ob Sie Herrn Kliesing eine Zwischenfrage stellen lassen wollen.
Gern. Bitte, Herr Kliesing.
Ich glaube, Herr Minister, so entspricht es auch der Geschäftsordnung des Hauses.
Können Sie mir einmal erklären, inwieweit die Feststellung, die Sie aus der Rede des Kollegen Erhard soeben zitiert haben, eine Darstellung der kommunistischen Staaten als vorbildlich enthält? Kennen Sie nicht den Unterschied zwischen einer faktischen Feststellung und einer Empfehlung als Vorbild?
Herr Kollege Kliesing, welchen Sinn soll denn diese Feststellung haben? Aus welchem Grund wird denn darauf hingewiesen, daß es in kommunistischen Ländern keinen oder weniger Terror gebe? Warum wird denn dieser Gesichtspunkt überhaupt in unsere Debatte eingeführt? Ich kann nicht unterstellen, daß der Kollege Erhard sinnlose Ausführungen macht. Er wird sich ja bei dieser Äußerung irgend etwas gedacht haben.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Bitte, Herr Kollege Erhard.
Haben Sie, Herr Minister, überhört, daß ich sofort im Anschluß daran gesagt habe, daß aus diesen kommunistischen Ländern - aus gewissen - der Terror in den freien Ländern unterstützt wird, und daß es um diese Art von Terror mit politischem Hintergrund geht? Haben Sie das überhört?
Lieber Herr Kollege Erhard, um das Maß an Häme voll zu machen, haben Sie nicht gesagt: aus kommunistischen Ländern, sondern: aus sozialistischen Ländern,
({0})
weil das aus Ihrer polemischen Blickrichtung besseren Sinn macht und ein bißchen mehr hergibt. Das habe ich sehr wohl gehört.
({1})
- Lieber Herr Kollege Erhard, dann bringen Sie Ihre Äußerung in Ordnung. Es steht fest, daß Sie eingeleitet haben mit der Feststellung, in kommunistischen Ländern gebe es keinen Terror. Das haben Sie gesagt; dazu stehe ich.
({2})
- Herr Kollege Erhard, ich gebe ja zu, es ist peinlich, wenn man eine unbedachte Bemerkung gemacht hat und dann nicht davon herunterkommt. Das kann ich verstehen.
Dritte und letzte Bemerkung: Es ist eine Frage des guten Geschmacks, Herr Kollege Erhard, über die man mit Ihnen offenbar nicht streiten kann: daß Sie in diesem Zusammenhang Sicherungsmaßnahmen, die für die Bediensteten des Bundesjustizministeriums getroffen worden sind, ins Spiel bringen und es so darstellen, als wenn ich mich hinter Stacheldraht zurückzöge. Dagegen wehre ich mich mit aller Entschiedenheit. Sie wissen ganz genau, daß die Sicherheitsmaßnahmen nicht vom Justizministerium, sondern von den für die innere Sicherheit zuständigen Stellen verfügt werden und sich in nichts unterscheiden von den Sicherheitsmaßnahmen für vergleichbare Einrichtungen in anderen Bundesländern. Ich fürchte, daß Sie hier in unzulässiger Weise ins Persönliche zielen, da Ihnen die sachlichen Argumente fehlen bzw. ausgegangen sind.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Gnädinger.
({0})
- Das Wort wird nicht mehr begehrt.
Wir kommen damit zur Beschlußfassung über den Gesetzentwurf in dritter Beratung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Wir haben nunmehr über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 und 3 abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit so angenommen.
Wir haben dann noch die Überweisung der in Punkt 16 der Tagesordnung aufgeführten Vorlage vorzunehmen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Rechtsausschuß vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Frau Funcke
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ({1})
- Drucksachen 7/3919, 7/3200 Bericht und Antrag des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksachen 7/5412, 7/5422 - Berichterstatter:
Abgeordneter Thürk
Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin
({3})
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einem Dreivierteljahr haben wir uns in diesem Hause bereits mit der ersten Lesung des von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurfs über Allgemeine Geschäftsbedingungen befaßt. Bereits damals haben alle Redner die grundsätzliche Bedeutung dieses Vorhabens gewürdigt. Wir Sozialdemokraten haben hervorgehoben, daß dieses Gesetz einen wichtigen Schwerpunkt unseres Bemühens darstellt, den wirtschaftlich Schwächeren im Umgang mit dem Vertragspartner besser zu stellen und den wirtschaftlich Stärkeren dazu anzuhalten, mehr als bisher die Interessen auch seines Vertragspartners zu berücksichtigen.
Wir haben weiter erklärt, wir würden nach der Verabschiedung der Abzahlungsnovelle, der Bestimmungen über die Gerichtsstandsvereinbarung und anderer verbraucherpolitisch wichtiger Regelungen jetzt alles daransetzen, auch diesen Gesetzentwurf, ergänzt durch den noch fehlenden verfahrensrechtlichen Teil, noch in der laufenden Legislaturperiode zur Verabschiedung zu bringen.
Daß wir heute so weit sind - zum Erstaunen vieler, die wohl das Gegenteil befürchtet oder auch erhofft hatten -, zeigt auch hier wieder - und darauf bin ich stolz -, daß Sozialdemokraten Wort halten, wenn es darum geht, mehr Gerechtigkeit und mehr Bewegungsfreiheit für den wirtschaftlich Schwächeren zu schaffen.
({0})
Natürlich weiß ich, meine Damen und Herren, daß wir vieles in diesem Gesetz mit den Stimmen der Opposition im Rechtsausschuß beschlossen haben,
({1})
und ich freue mich auch darüber, daß der Entwurf heute im Plenum wohl nicht auf grundsätzlichen Widerstand stoßen wird. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann diese Zusammenarbeit um so deutlicher hervorheben, als wir gerade auf Grund unserer eigenen Leistungen bei diesem Gesetz das nötige Selbstbewußtsein aufbringen, um anzuerkennen, daß auch andere Gutes und Richtiges dazu beigetragen haben.
Wir anerkennen dies gern, auch wenn einzelne Stimmen aus der Opposition schon wieder den Eindruck zu erwecken suchen - so grotesk und töricht dies auch ist -, daß die Mehrheitsfraktionen in diesem Hause bei diesem Gesetz nur dazu nütze gewesen seien, die hehren Grundsätze der Opposition im Ausschuß abzulehnen - Herr Gerster würde sagen: niederzuwalzen -, um dann dort, wo unsere geistigen Gaben dies eben noch erlauben, einzelnen guten Einfällen der Opposition zur Mehrheit zu verhelfen. Da kann man nur sagen: Wohl dem, der eine solche Opposition hat; bleiben Sie es möglichst lange!
Auch zum Erstgeburtsrecht an diesem Gesetz will ich hier nicht weiter Stellung nehmen. Mein Dank gilt heute denjenigen, die uns bei den Bemühungen tatkräftig unterstützt haben, einen ausgewogenen und vernünftigen Verfahrensteil in den Regierungsentwurf einzufügen. Und mein Dank gilt hier den Mitarbeitern des Rechtsausschusses, die dazu beigetragen haben, die nicht immer ganz unproblematische organisatorische Seite des Vorhabens zu einem guten Abschluß zu bringen.
Meine Damen und Herren, wie sich der Regierungsentwurf der ja die Grundlage unserer Beratungen bildete, im Zuge dieser Beratungen verändert hat, können Sie im einzelnen aus dem Ihnen vorliegenden Bericht ersehen. Ich will einige Schwerpunkte herausgreifen, an Hand derer sich die Bedeutung dieses Gesetzes für den einzelnen Bürger ablesen läßt.
Nehmen wir zunächst die Frage: Warum ist überhaupt ein Gesetz erforderlich oder vorteilhaft? In der ersten Lesung haben alle Seiten ausgeführt, warum Allgemeine Geschäftsbedingungen aus dem heutigen, durch Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken sind. Gründe dafür sind ihre im Vergleich zu Gesetzen höhere Anpassungsfähigkeit an spezielle Vertragsgestaltungen ebenso wie - und hier wird es für uns interessant - die Möglichkeit, die sie dem einzelnen Unternehmer bieten, abseits von den Vorschriften des bürgerlichen Rechts seine Interessen zu Lasten des Vertragspartners zu betonen. Dies gilt und galt insbesondere für solche Unternehmen, die eine Monopolstellung oder monopolähnliche Stellung auf dem Markt innehaben. Doch auch dort, wo es Wettbewerb gibt, wirkt sich das nicht unbedingt zugunsten des schwächeren Vertragspartners aus; denn auch da, wo Konditionenkartelle nicht existieren, bestehen durchaus gegenläufige Interessen.
Verhindert die Konkurrenz möglicherweise auf der einen Seite ein zu einseitiges Durchsetzen eigener Interessen in bestimmten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, so fördert der konkurrenzbedingte Kostendruck dies möglicherweise wieder. Zwar ist es richtig, daß die Rechtsprechung diese einseitige Interessendurchsetzung gerade in den letzten Jahren in verstärktem Maß zu durchkreuzen versuchte, aber dieses Richterrecht wirkt unmittelbar eben nur im jeweiligen Einzelfall. Hat
beispielsweise ein Herr A in seinem Prozeß erreicht, daß eine Bestimmung für ungültig erklärt wurde, so nützt dieses Herrn B unmittelbar überhaupt nichts, nicht einmal gegenüber demselben Verwender. Auch Herr B muß klagen, und das von ihm angerufene Gericht kommt womöglich zu einer anderen Einschätzung der gleichen Sachlage.
All das führte zu der Notwendigkeit, dieses privat gesetzte Nebenrecht an die gesetzliche Leine zu nehmen und es am Rechtsgütersystem des Grundgesetzes auszurichten.
Die Bestimmungen unseres Gesetzes geben auf die in der Rechtsprechung nicht durchgehend einheitlich entschiedenen Fragen eine Antwort, nämlich darauf, wann Allgemeine Geschäftsbedingungen vorliegen, wie und wann sie Vertragsbestandteil werden, daß als Grundsatz in Allgemeinen Geschäftsbedingungen immer auch die Interessen des Vertragspartners berücksichtigt werden müssen.
Unser Gesetz enthält weiter einen gut lesbaren und auch verständlich formulierten Katalog von Klauseln, die überhaupt nicht als AGB verwendet werden dürfen, weil sie immer die Interessen des Vertragspartners zu kurz kommen lassen. Das Gesetz führt an Hand einer ganzen Reihe von Beispielen auf, daß bestimmte Klauseln nur dann zulässig sind, wenn im Einzelfall auf die Interessen beider Vertragspartner Rücksicht genommen wird.
In diesem Aufgreifen von Rechtsprechung, ihrem Herausheben aus der Einzelfallentscheidung und in der Verallgemeinerung für alle vergleichbaren Fälle liegt ein wesentliches Moment für die Bedeutung dieses Gesetzes. Ein weiteres wesentliches Moment liegt darin, daß wir in vielen Fällen den von der Rechtsprechung aufgezeigten Weg ein gutes Stück weitergegangen sind. Rechtssicherheit, mehr Rechtsklarheit und mehr Rechte charakterisieren somit den materiellen Teil unseres Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Aber häufig wird der Einwand erhoben, dies gelte ja alles nur für einen Teilbereich, weil solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus der Geltung des Gesetzes ausgenommen seien, die durch Gesetz, durch Rechtsverordnung oder durch Satzung erlassen seien. Richtig ist, daß wir im Rechtsausschuß beschlossen haben, Leistungsbeschreibungen auf Grund von Rechtsnormen der Inhaltskontrolle nach dem neuen Gesetz vorgehen zu lassen. Aber es ist auch richtig, daß gleichwohl sichergestellt werden muß, daß vergleichbare Fälle mit solchen Bedingungen nach gleichen Grundsätzen behandelt werden müssen.
Insbesondere im Bereich des Beförderungswesens - hier stehen Bahn und Post den übrigen Verkehrsunternehmungen gegenüber - oder auf dem Gebiet der Energielieferung muß die Geltung unserer Grundsätze sichergestellt sein. Denn warum sollte für Allgemeine Geschäftsbedingungen bei der Lieferung von Heizöl prinzipiell anderes gelten als bei der Lieferung von Strom? Über dieses Ziel bestehen keinerlei Meinungsunterschiede. Wir haben dies im Gesetz für die Bereiche der Versorgung mit Wasser, Strom, Fernwärme und Gas klargestellt,
und wir gehen davon aus, daß auch die anderen öffentlichen Unternehmungen ihre Bedingungen an unsere neuen Maßstäbe anpassen.
Bei der Beratung stellte eine weitere Gruppe von Allgemeinen Geschäftsbedingungen als problematisch heraus, nämlich diejenigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die von staatlichen Aufsichtsämtern schon heute genehmigt werden müssen. Hier war die Frage, ob solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen - Versicherungsbedingungen oder etwa Bausparkassenbedingungen - nach der Genehmigung überhaupt in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einbezogen werden sollten oder ob man damit nicht nur neue unnötige Belastungen schaffe. Wir haben uns entschieden, diese Bedingungen einzubeziehen, und zwar, wie ich meine, aus gutem Grund: Die Praxis der Gerichte hat uns nämlich immer wieder gezeigt, daß auch bereits genehmigte Bedingungen wegen Rechtswidrigkeit für unwirksam erklärt werden mußten. Verwunderlich ist dies freilich nur für den, der nicht weiß, daß die Genehmigungskriterien der Aufsichtsämter keineswegs immer greifen und auch keineswegs ausschließlich oder wenigstens überwiegend aus dem Bereich des Verbraucherschutzes stammen. Dennoch leuchtet ein, daß die staatliche Genehmigung unter den neuen inhaltlichen Vorgaben unseres Gesetzes neu durchdacht werden sollte.
Um ein Auseinanderlaufen oder Nebeneinanderherlaufen möglichst zu vermeiden, haben wir - nicht jedoch der Oppositionsentwurf, der diesen Punkt wohl nur für die heute bereits genehmigten, nicht aber für neue Bedingungen für wichtig hält - Verzahnungsvorschriften in den Verfahrensteil eingebaut: Beim Bundeskartellamt wird eine Registerabteilung damit beauftragt, mindestens die von uns gesetzlich vorgeschriebenen Informationen über Prozesse und ungültige Allgemeine Geschäftsbedingungen zu sammeln. Diese Informationen werden den mit AGB-Klagen befaßten Gerichten übermittelt und stehen auch Verbänden und Einzelpersonen zur Verfügung. Weiter haben wir vorgesehen, daß in solchen Verfahren, in denen es um die Gültigkeit bereits staatlich genehmigter AGB geht, das Bundesaufsichtsamt gehört werden muß, das die Klausel genehmigt hat.
Dritter und letzter Punkt in diesem Bereich: wir haben uns sehr überlegt, ob und wieweit wir Kaufleute und deren Allgemeine Geschäftsbedingungen in das neue Gesetz einbeziehen sollten. Unter dem Gesichtspunkt der Hilfe und Unterstützung für den wirtschaftlich schwächeren Vertragspartner sind ja durchaus Fallgestaltungen denkbar, in denen etwa ein Einzelhändler von seinem Grossisten oder ein kleinerer Zulieferbetrieb von seinem Großabnehmer durch Allgemeine Geschäftsbedingungen bedrängt wird. Das sprach dafür, Kaufleute grundsätzlich in den Schutzbereich einzubeziehen.
Weil uns aber allen bekannt ist, daß es gerade im kaufmännischen Bereich auch ganz anders gelagerte Interessenkonstellationen gibt, in denen sich der Betroffene wirklich selber helfen kann und dies auch selbst will, haben wir uns stärker als der Entwurf der Opposition für eine erhöhte Flexibilität in
diesem Bereich entschieden. Wir haben den Grundsatz des angemessenen Interessenausgleichs voll für anwendbar erklärt, während der Katalog der stets unwirksamen Klauseln auf jeden Fall, die Aufzählung der beispielhaften Klauseln mit Wertungsspielraum insoweit keine Anwendung finden sollen, als sie einer Prüfung jeder Klausel im Einzelfall an den Voraussetzungen der Generalklausel entgegenstehen. Gleichzeitig haben wir hinzugefügt, daß dort, wo ausschließlich zwischen Kaufleuten verwendete AGB in Rede stehen, die jeweiligen Handelsbräuche berücksichtigt werden sollten. Soweit die Schwerpunkte.
Lassen Sie mich jetzt noch an Hand einiger Beispiele verdeutlichen, was die einzelne Vertragspartei konket gewinnt. Nehmen wir an, ein Herr A als einer von Zehntausenden kaufe ein Auto von einem Großkonzern mit eigener Händlerkette und eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Was macht Herr A? Zunächst liest er hoffentlich einmal das Kleingedruckte. Damit das aber Vertragsbestandteil wird, muß er wissen, daß es so etwas gibt, er muß die Möglichkeit haben, die Klauseln zur Kenntnis zu nehmen; diese müssen also ausreichend groß und deutlich und nicht in zu schlimmem Juristenchinesisch abgefaßt sein. Dann muß Herr A noch irgendwie kundgeben, daß er mit dem einverstanden ist, was dort steht. Wird dies durch das Gesetz klargestellt, so gilt jetzt auch, daß Hinweis und Möglichkeit der Kenntniserlangung per se nicht ausreichen, um auf das Einverständnis zu schließen. Stellt Herr A nach Vertragsabschluß fest, daß eine dieser Voraussetzungen fehlte oder daß sie zwar vorliegen, aber eine Klausel so untypisch ist, daß er nicht mit ihr zu rechnen brauche - um in unserem Beispiel zu bleiben: wenn etwa in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel versteckt war, nach der Herr A zusammen mit seinem Auto zugleich eine bestimmte Menge von Motoröl mit zu kaufen habe -, dann ist diese Klausel nicht Teil des mit ihm abgeschlossenen Vertrags geworden; er besteht vielmehr ohne sie weiter. Galt dies bisher nur für den Einzelfall - die Rechtsprechung bewertete dies nicht immer ganz einheitlich so -, so stellt das Gesetz dies nunmehr generell klar.
Ein weiteres Beispiel: Wird Herr A, der sein Auto erst nach einigen Monaten Lieferfrist erhalten soll, beispielsweise nach zwei Monaten durch die Autofirma oder den Händler unter Hinweis auf eine Preiserhöhungsklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgefordert, 5 % mehr zu zahlen, dann wird er auf dem heutigen Rechtszustand möglicherweise wütend werden, aber er wird wahrscheinlich zahlen. Denn wer hat schon als Normalverbraucher die Möglichkeit, zu prüfen, ob, unter welchen Voraussetzungen welche Gerichte - einheitlich oder nicht -, eine solche Klausel noch für zulässig halten? Und wer wird bei einer Summe dieser mittleren Größenordnung Risiken eingehen wollen oder können, die möglicherweise erheblich höher sind? In Zukunft wird Herr A im Katalog der stets unzulässigen Klauseln nachschlagen und dann wissen, daß er nicht zu zahlen braucht.
Darüber hinaus gilt Vergleichbares auch dann, wenn man ihm etwa seinen Gewährleistungsanspruch durch die AGB verkürzen will oder ihm auf diesem Weg eine Vertragsstrafe aufbrummen will oder sich durch AGB einfach vorbehält, den Auftrag weiterzuverkaufen. Erhält Herr A indessen einen Brief der Autofirma, die ihn unter Bezug auf AGB wie „freibleibend" oder „richtige oder rechtzeitige Selbstbelieferung vorbehalten" oder „solange Vorrat reicht" oder „Lieferfähigkeit vorbehalten" erklärt, sie löse hiermit den Vertrag, so konnte Herr A nach heutigem Recht nicht immer damit rechnen, durch die Gerichte zu seinem Recht und damit zu seinem gekauften Auto zu kommen. Nach dem neuen Gesetz wird er feststellen, daß derartige Klauseln und der bloße Hinweis auf sie allein nicht mehr ausreichend sind. Sie sind es vielmehr nur dann, wenn die Firma zusätzlich einen sachlichen Grund nennt und es Herrn A ermöglicht, sein eigenes Risiko und die Haltung der Firma im voraus abzuschätzen.
Bringen diese Bestimmungen dem Herrn A Vorteile an Rechtssicherheit, so gilt es in gleichem Maße für die Autofirma. Auch sie weiß in Zukunft, was in ihren AGB stehen darf und was nicht. Und damit sie ihre AGB ohne Schwierigkeiten anpassen kann, wo dies erforderlich ist, haben wir das Datum des Inkrafttretens erst auf den 1. April 1977 festgelegt. Im übrigen bleibt auch hier noch festzuhalten, daß die neuen Regelungen helfen werden, in Zukunft Prozesse einzusparen. Auch das ist ein Gewinn.
Doch nun zu den gerichtlichen Verfahren selbst. Ich erwähnte schon, daß wir einen Verfahrensteil eingefügt haben. Dieser läßt die Rechte des Herrn A gegen die Automobilfirma, aus dem Kaufvertrag zu klagen, völlig unberührt.
Neben diesen in der ZPO geregelten Anspruchssystemen wird indes ein neues Instrument geschaffen, die Verbandsklage: Rechtsfähige Verbände oder ihnen gleichgestellte Organisationen, zu deren satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, die Interessen von Verbrauchern durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, also Verbraucherverbände oder beispielsweise die Aktion Bildungsinformationen ({2}) oder auch Arbeitnehmerorganisationen, die entweder korporative Mitglieder oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder haben, weiter rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen, öffentlich-rechtliche Berufsvereinigungen und Kammern wie die in § 13 Nr. 3 aufgeführten Beispiele, alle diese Vereinigungen können einen Klauselverwender vor dem Oberlandesgericht auf Unterlassung einer Klausel verklagen, oder sie können, falls es sich um Klauseln handelt, deren Verwendung beispielsweise von einer Branchenorganisation empfohlen wurde, sich mit einer Klage auf Widerruf gegen diese Empfehlung wenden. Dringen sie durch, so kann sich jeder Betroffene auf dieses Urteil berufen. Gestützt auf die Informations-und Mitteilungspflichten erhalten wir so die Breitenwirkung, an der es bisher fehlte.
Zum Abschluß gilt es, hier noch einige kleinere Punkte zu erörtern: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Verfahren des CDU-Entwurfs zu übernehmen und jedem betroffenen einzelnen die UnterlasFrau Dr. Däubler-Gmelin
sungsklage zuzusprechen? Ich meine, nein; denn auch wenn man einmal unterstellt, der einzelne werde regelmäßig das anfallende Risiko auf sich nehmen, so ergeben sich dennoch aus seinem Recht, bis zum Ende des Prozesses die Klage zurückzunehmen, auch Schwierigkeiten, neue Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die einem klaren, schnellen und wirksamen Verfahren mit Sicherheit entgegenstehen.
Und wäre der Rechtsschutz des einzelnen nicht noch intensiver, wenn wir als Beginn des Instanzenzuges das Landgericht vorgesehen hätten? Auch das glaube ich nicht, denn in der von uns vorgesehenen besonderen Unterlassungsklage geht es um Rechtsfragen, nicht um Tatfragen, und die sind beim Oberlandesgericht effektiver und mit größerer Übersichtsmöglichkeit besser untergebracht.
Ein Punkt des CDU-Entwurfs hingegen war für uns überhaupt nicht diskutabel, die Vorschrift nämlich, daß Verbände, um überhaupt klagen zu können, erst einmal besonders zugelassen und dann auch noch speziell überwacht werden müssen, und zwar durch die jeweils sachlich zuständige oberste Landesbehörde. Zu diesem Punkt bin ich der Auffassung, daß hier wieder einmal die Lust am Überwachen und Genehmigen Blüten treibt, denn das gerechtfertigte Anliegen, Querulanten und Grauzonenverbände am Klagen zu hindern, kann man doch mit unseren Vorschlägen viel besser und freiheitlicher erreichen.
({3})
- Ich weiß, Herr Dr. Lenz, Sie sind ja darin Spezialist.
Ein letztes: Wir haben eine Höchstgrenze für den Streitwert vorgesehen. Auch wenn man davon ausgeht, daß der Streitwert unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Umstände auf beiden Seiten des Prozesses festgesetzt wird und daß er im Einzelfall auch herabgesetzt werden kann, kann man natürlich über diese Grenze genau wie über jede andere Höchstgrenze durchaus verschiedener Meinung sein.
Insgesamt gesehen wird sich dieser Schwerpunkt unserer Verbraucherpolitik sehr nachhaltig und, ich bin sicher, sehr positiv auswirken.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Thürk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In den letzten Jahren ist das Wort „Verbraucherschutz" zum Schlagwort geworden. Auf diesem Gebiet haben sich, glaube ich, auch wohl mehr Unberufene als Berufene getummelt. Gleichwohl muß festgestellt werden, daß die Entwicklung in unserer hochtechnisierten und rationalisierten Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Freiheitsraum, den unsere Gesellschaftsordnung dem einzelnen Bürger gewährt, zur Übertreibung und zur Ausnutzung von Rechten geführt haben, die weder Rechtsprechung noch Gesetzgebung hinnehmen konnten. Dabei ist das Gebiet, auf dem Verbraucherschutz gewährt werden muß, unendlich weit. Schritt für Schritt wurde in der Vergangenheit durch die Gerichte und durch das Parlament ein immer umfassenderer Rechtsschutz für den einzelnen Verbraucher aufgebaut.
Das heute hier vorliegende Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nur ein allerdings wichtiger Teil in diesem Mosaik. Die Entwicklung wird weitergehen. Wir werden mit weiteren Gesetzen zum Verbraucherschutz rechnen können.
Die CDU/CSU kann auf eine ununterbrochene Reihe von Initiativen zum Verbraucherschutz zurückblikken. Ich will diese hier im einzelnen nicht aufzählen. Sie sind bei der Einbringungsrede zur Genüge dargelegt worden. Aus der letzten Zeit möchte ich von unseren Initiativen nur ganz kurz noch den Beurkundungszwang beim Grundstückserwerb, die Gerichtsstandvereinbarung und die Haustürgeschäfte erwähnen.
Auch das vorliegende Gesetz ist weitgehend auf die Initiative der CDU/CSU zurückzuführen. Es bedurfte der Initiative des damaligen bayerischen Staatsministers der Justiz, Dr. Held, um beim Bundesjustizministerium zu erreichen, daß eine Kommission zur Beratung eines Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen eingesetzt wurde.
({0})
- Ja, das kann man beinahe so sagen, nachdem man zumindest die Ausführungen gehört hat, die Herr Jahn bei der Einbringung hier gemacht hat, Herr Penner. Damals waren Sie, glaube ich, nicht hier. Das war 1970. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch eine Kommission in der CDU eingesetzt. Beide Kommissionen arbeiteten auf dasselbe Ziel hin. Wegen der umfangreichen Rechtsprechung zu den AGB war es nicht verwunderlich, daß die beiden Entwürfe in ihren Verbotskatalogen jedenfalls nicht weit voneinander entfernt waren. Jedoch im systematischen Aufbau und vor allen Dingen in den verfahrensrechtlichen Bestimmungen waren wie auch sonst in der Einzelgestaltung erhebliche Unterschiede festzustellen.
Im Mittelpunkt steht in sämtlichen Entwürfen und auch in der heutigen Vorlage für das Plenum die Generalklausel. Angelpunkt der Beurteilung der AGB ist die Formulierung in § 9, nach der Bestimmungen, „wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen", unwirksam sind. Die Regierung hatte ursprünglich gefordert, daß die Generalklausel einen angemessenen Ausgleich der vertraglichen Leistungen bieten müsse. Glücklicherweise ist sie von dieser unrealistischen Forderung im Verlauf der Beratungen abgerückt. Wir freuen uns über diese Einsicht, Herr Minister.
Das Wirtschaftsleben bringt es oftmals mit sich, daß Vertragsleistungen aus besonderen Gründen keinen echten wirtschaftlichen Gleichwert darstellen. Häufig spielen Motive, die außerhalb des Vertrages liegen, für eine Vertragspartei die größere Rolle. Deshalb muß, wenn man eine Benachteiligung eines
Partners feststellen will, dies unter Berücksichtigung aller Umstände auch ohne enge Wertmaßstäbe unternommen werden. Wichtigster Gesichtspunkt für die Opposition ist hierbei, daß die Generalklausel auf alle Verträge auch im öffentlich-rechtlichen Bereich früher oder später Auswirkungen haben und damit die Rechtsentwicklung im weitesten Umfang beeinflussen wird.
An die Generalklausel des § 9 schließt sich in den §§ 10 und 11 sodann je ein Klauselkatalog an, und zwar einmal mit Wertungsmöglichkeit, einmal ohne Wertungsmöglichkeit. Der Rechtsausschuß ist damit den Vorstellungen der Bundesregierung gefolgt, während die Opposition es lieber gesehen hätte, wenn die einzelnen Klauseln nach sachlichen Zusammenhängen geordnet worden wären. Die Opposition glaubt, daß dies für die Praxis einfacher und übersichtlicher gewesen wäre.
Beide Gesetzentwürfe gingen davon aus, daß im Einzelfall an sich unzulässige AGB doch wirksam sein können, wenn für sie mit Rücksicht auf das Vertragsverhältnis ein besonderer Grund vorliegt. Ob zum Beispiel die Frist zur Lieferung unangemessen lang ist, ob für einen Rücktritt vom Vertrag ein rechtfertigender Grund vorliegt, ob eine Nutzungsentschädigung unangemessen hoch ist, entscheidet sich häufig nur nach den besonderen Gesichtspunkten des Einzelfalls.
Dagegen hat der Ausschuß eine Reihe von Klauseln im § 11 festgelegt, die ohne Rücksicht auf das Vertragsverhältnis und ohne Rücksicht auf die Motivation der Parteien in jedem Fall unwirksam sein müssen. Nur beispielsweise seien das einseitige Recht kurzfristiger Preiserhöhungen, die Vereinbarung pauschalierter Schadenersatzansprüche, der Ausschluß der Haftung für den Erfüllungsgehilfen, der Ausschluß oder die Beschränkung der Gewährleistung bei Sachmängeln, der Ausschluß der Haftung für fehlende zugesicherte Eigenschaften genannt; es gibt vieles mehr.
Lassen Sie mich noch auf wenige Beispiele kurz eingehen. Viel Diskussion hat es um die Schriftformklausel gegeben. Der Regierungsentwurf hatte vorgesehen, daß in AGB nicht gefordert werden dürfe, daß mündliche Nebenabreden nachträglich schriftlich bestätigt werden müssen. Umgekehrt hatte der CDU/CSU-Entwurf gefordert, daß mündliche Nebenabreden nur Wirksamkeit haben können, wenn sie schriftlich bestätigt sind. Wegen des Gebotes der Rechtssicherheit hätte dem Vorschlag der Opposition entsprochen werden müssen. Gleichwohl wären Fälle denkbar gewesen, in denen mündliche Zusicherungen wahllos abgegeben würden mit dem Hintergedanken, daß eine schriftliche Bestätigung doch nicht erfolgen werde und deshalb die Zusicherung wirkungslos bleiben würde. Deshalb wurden beide Vorschläge nicht aufgenommen, sondern es beim derzeitigen Rechtszustand belassen. Es kann also in AGB die Schriftform vereinfacht werden. Wer sodann mündliche Nebenabreden behauptet, muß dieses beweisen. Die Gerichte werden im Einzelfall prüfen, ob die Gebote von Treu und Glauben verletzt sind.
Diskussionen hat es auch um die Frage gegeben, ob die Haftung für den Erfüllungsgehilfen in AGB ausgeschlossen werden kann. Obwohl der Ausschuß nicht verkannt hat, daß auf manche Wirtschaftszweige außerordentliche Belastungen zukommen können, war doch die ganz überwiegende Meinung dahin festzustellen, daß man den AGB-Verwendern die Verantwortung aufbürden müsse, weil eventuelle vertragswidrige Handlungen in ihrem Bereich liegen und von ihnen leichter verfolgt werden können als von den außenstehenden Verbrauchern.
Nun ein wesentlicher weiterer Punkt: der Einbeziehungsvertrag! Die besondere Gefährlichkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen liegt in dem Umfang begründet, daß sie Vertragsbestandteil werden, ohne daß in der Regel der Verbraucher sie bewußt aufnimmt. Deshalb wird vom Individualvertrag, der die Einbeziehung der AGB in das Vertragsverhältnis bringt, dreierlei gefordert, daß nämlich erstens der AGB-Verwender ausdrücklich oder durch deutlichen Aushang bei Vertragsschluß auf die beabsichtigte Verwendung der AGB hinweist, zweitens, daß die andere Vertragspartei die tatsächliche Möglichkeit hat, davon Kenntnis zu nehmen, und drittens, daß sich ergibt, daß der Kunde mit der Einbeziehung der AGB einverstanden ist. Immer aber wird die Bestimmung im Einzelvertrag, im Individualvertrag, Vorrang haben. Unklarheiten bei der Auslegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders. Wenn AGB überraschende Bestimmungen beinhalten, mit denen man normal nicht zu rechnen braucht, werden sie nicht Bestandteil.
Obwohl die Opposition bestrebt war, möglichst alle AGB in den Gesetzesbereich einzubeziehen, konnte sie sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß für bestimmte Bereiche Ausnahmen zugelassen werden müssen. Dies trifft - Frau Kollegin Däubler-Gmelin hat es schon erwähnt - für den Bereich der Elektrizitäts- und Gasversorgungsunternehmen, für die Personenbeförderungsunternehmen, für Eisenbahntarife, für Verträge nach der Verdingungsordnung für Bauordnungen ({1}) und für Versicherungsverträge zu, allerdings in ganz unterschiedlichem Umfang, meist nur bezüglich einzelner Vorschriften. Wir haben dies so eng gefaßt, wie es uns nur möglich war, um den Ausnahmenkatalog klein zu halten.
Erwähnt werden müssen in diesem Zusammenhang auch Leistungen der Lotterieunternehmen, da hier bei Übernahme der vollen Haftung nicht die Gesellschaft, sondern der Kreis der am Spiel Beteiligten betroffen wäre. Dies gilt insbesondere für die Ausspielungen in Toto- und Lottogesellschaften.
Beim persönlichen Ausnahmebereich stehen die Kaufleute im Mittelpunkt der Betrachtung. Richtig ist, daß der Wirtschaftsverkehr seine eigenen Gesetze kennt. Rationalisierung, Schnelligkeit des Warenverkehrs und Kostendruck machen es im Wirtschaftsverkehr notwendig, gewisse Rechte zu beschneiden, wenn der kaufmännische Verkehr nicht gelähmt werden soll. Auch im geltenden Recht kennen wir bereits eine Reihe von Regelungen, die den kaufmännischen Verkehr unter härtere Anforderungen stellen. Als Konsequenz dieser Überlegungen
wurde beschlossen, lediglich die Generalklausel auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem Kaufmann im Bereich seines Handelsgewerbes angewandt werden, Anwendung finden zu lassen. Wenn allerdings im Rahmen der Überprüfung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im kaufmännischen Bereich Klauseln berührt werden, die im § 11 aufgeführt sind, so hindert dies nicht, unter Berücksichtigung der Usancen des Handelsgewerbes zur eventuellen Unwirksamkeit der AGB zu gelangen.
Gestatten Sie mir nun an dieser Stelle einen Hinweis auf den von uns eingebrachten und zurückgezogenen Antrag auf Drucksache 7/5469. Der Hinweis auf § 10 in § 24 ist in diesem Zusammenhang verfehlt. Denn § 10 mit seinem Gebot, einzelne Klauseln unter Berücksichtigung der jeweiligen tatsächlichen Um stände, besonderen Gegebenheiten und persönlichen Ausgestaltungen des Vertragswerkes anzuwenden, ist nichts anderes als eine Aufzählung von Beispielsfällen des § 9, nämlich der Generalklausel. Insoweit wäre es nur logisch, den Hinweis auf § 10 zu streichen. Sowohl in § 9 als auch in § 10 muß also gewürdigt werden, daß im Verkehr zwischen Kaufleuten andere Gewohnheiten und Gebräuche gelten als zwischen Kaufleuten und Endverbrauchern.
Wenn wir gleichwohl nach Rücksprache mit den Kollegen aus den Koalitionsfraktionen diesen Antrag zurückgezogen haben, so deswegen, weil möglicherweise diesen juristischen Gedankengängen in der Wirtschaft nicht gefolgt werden könnte oder die Rechtsprechung dies anders auslegen könnte. Deshalb sind wir bei dem beschlossenen Text geblieben.
Der Rechtsausschuß hat mit der Mehrheit der Regierungskoalition beschlossen, daß für die Erhebung der Klage auf Unwirksamkeitserklärung von AGB das Oberlandesgericht zuständig sein soll. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes in Zivilsachen ist unüblich und durchbricht die Regel der gerichtlichen Zuständigkeiten. Hierzu besteht keinerlei Bedürfnis. Die Opposition sieht darin eine Erschwerung des Verfahrens und eine unnötige Komplizierung, gleichzeitig auch eine Abwertung der landesgerichtlichen Rechtsprechung. Im einzelnen will ich dazu noch etwas sagen.
Durch diese ungewöhnliche Zuständigkeitsregelung ist auch bedingt, daß im Gegensatz zu sonstigen zivilrechtlichen Verfahren keine zweite Tatsacheninstanz gegeben ist. Gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes gibt es nämlich nur noch die Revision beim Bundesgerichtshof. Eine Beschleunigung des Verfahrens ist dadurch nicht erreicht. Vielmehr werden die Oberlandesgerichte mit einer Fülle von Verfahren über AGB überzogen werden, die sonst vom Landgericht bearbeitet und nur in geringer Zahl die Berufungsinstanz beschäftigen würden. Statt die obergerichtliche Rechtsprechung zu entlasten und für Grundsatzentscheidungen frei zu halten, wird hier genau das Gegenteil bewirkt.
Im Gegensatz zum Entwurf der CDU/CSU hat die Regierungskoalition durchgesetzt, daß einzelne Bürger nicht mehr in der Lage sind, selbst auf Unwirksamkeit von AGB zu klagen. Der Bürger, der derartige Beanstandungen hat, muß also Mitglied eines Verbandes werden, der für ihn die Klage erheben kann, aber nicht muß. Wir halten dies für nicht gut. Der einzelne Bürger hat also nur die Möglichkeit, im konkreten Einzelfall, wenn er wirklich betroffen ist, selbst Klage in seiner Sache zu erheben. Die allgemeine Klage steht lediglich den Verbraucherverbänden, Verbänden zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft und den Industrie- und Handelskammern zu.
Die Opposition hat gefordert, daß die Zulassung von Verbraucherverbänden zu dem sehr einschneidenden Recht, eine Popularklgae zu erheben, also eine Klage, ohne selbst betroffen zu sein, von einer Genehmigung der obersten Landesbehörde abhängig gemacht wird. Maßgebliche Kriterien - und wir bedauern, daß sich die Regierungskoalition da nicht anschließen konnte - sollten die Sachkunde und die Zuverlässigkeit der Verbände sein. Dies wurde abgelehnt. Wir bedauern das sehr, da nunmehr auf diesem Gebiet ein Wildwuchs entstehen kann, der die Wirtschaft in unnötige sinnwidrige Prozesse verstricken kann, die, selbst wenn sie gewonnen würden, über Jahre hinweg die Einrichtungen größerer Rechtsabteilungen notwendig machen. Wenn privaten Verbänden solche weitreichenden Sonderbefugnisse vom Gesetzgeber zugebilligt werden -Herr Justizminister, dies würden wir gern künftig auch in anderen Fällen gewahrt wissen wollen -, müssen sie sich der damit verbundenen Verantwortung stellen und ihre Überwachung durch oberste Landesbehörden hinnehmen. Es ist ein Prinzip: Wer besondere Rechte haben will, muß besondere Pflichten übernehmen. Dies scheint uns recht und billig zu sein.
Ohne Zweifel wird das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Neugestaltung im zivilrechtlichen Bereich bringen. Der Grundsatz von Treu und Glauben wird hier in besonderer Weise ausgeprägt werden. Neue Mittel zur Durchsetzung sind der Bevölkerung an die Hand gegeben.
Die Opposition hat durch ihre eigenen Initiativen genügend bewiesen, daß sie stark daran interessiert ist, daß dieser Bereich geregelt wird. Sie bedauert deshalb sehr, daß in den Beratungen des Rechtsausschusses einige wesentliche Mängel nicht beseitigt werden konnten, weil die Regierungsparteien nicht bereit waren, den Argumenten der Opposition zu folgen. Nach sorgfältigem Abwägen der Vorzüge und der Mängel der neuen gesetzlichen Regelungen war die Opposition aber der Meinung, daß auch die unbefriedigenden Regelungen um des größeren Interesses des Verbraucherschutzes willen hingenommen werden sollen. Die Rechtsprechung in den nächsten Jahren wird uns zeigen, an welchen Stellen wir durch eine Novellierung Verbesserungen anbringen müssen, Übertreibungen verhindern können und den Schutz des Verbrauchers in Einzelfall besser ausgestalten können.
Als besonders bedauerlich empfindet es die Opposition, daß der Gesetzgeber zwar materiell die Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelt, das Verfah18064
ren aber in einer Form ausgestaltet, die die Durchsetzung der materiellen Bestimmungen in der Praxis erschwert. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es ungünstig ist, die Oberlandesgerichte mit dieser Materie erstinstanzlich zu befassen. Die Landgerichte sind sowohl von der Struktur wie von der Qualität her - ich würde es bedauern, wenn dies in Zukunft irgendwie in Frage gestellt werden sollte - in vollem Umfang geeignet, die hier anstehenden Fragen ordnungsgemäß zu lösen.
({2})
- Herr Kollege Penner, ich glaube, daß Landgerichte auch zur Lösung von Rechtsproblemen tagtäglich geeignet sind und daß hier auch tatsächliche Fragen, nämlich in bezug auf die Ausgestaltung des einzelnen Vertragswerks, in Bezug genommen und abgewogen werden müssen. Gerade dies wird ja im Bereich des § 10 notwendig sein. Insofern kann man nicht sagen, es seien ausschließlich Rechtsfragen, und nur diese seien an dieser Stelle zu beantworten.
({3})
- Das ist natürlich etwas anderes. Dann könnte das Landgericht in den Fällen, wo ausschließlich Rechtsfragen zur Diskussion stehen, ohne weiteres die Sprungrevision zulassen; dann hätten Sie genau denselben Erfolg, wenn Sie dies wollen.
Die Landgerichte müssen Fragen auch bei anderen zivilrechtlichen Prozessen lösen, die rechtlich wesentlich schwieriger gelagert sein können. Wenn die Regierungsparteien glauben, durch derartige Verfahrensregelungen nach außen bekunden zu können, welchen Stellenwert sie dem Verbraucherschutz beimessen, so scheint mir dies hier jedenfalls ein untauglicher Versuch zu sein.
Auch wird den Parteien die zweite Tatsacheninstanz genommen, die in allen zivilrechtlichen Verfahren Bedeutung hat. Auch der Kreis der Anwälte, der für diese Verfahren zugelassen ist, wird entsprechend kleiner.
Einen besonderen Punkt möchte möchte ich hier noch kurz anschneiden. Besonders nachteilig wird sich der außerordentlich hohe Streitwert auswirken, den die Regierung vorgesehen hat und dem der Rechtsausschuß gefolgt ist. Beim Verbot von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist zu erwarten, daß eine Fülle von Komplikationen in einzelnen Branchen und Betrieben auftreten wird, die weitgehende Kosten verursacht. Verbraucherschutz kostet Geld. Wir können uns dadurch nicht zurückschrecken lassen. Wenn es sich aber dahin auswirkt, daß die auf das einzelne Produkt verteilte Kostenbelastung beim Streitwert zusammengerechnet wird, können sich leicht Millionenbeträge als Streitwert ergeben.
Die Bundesregierung hat die Streitwertobergrenze auf 500 000 DM bemessen. Der Opposition scheint dies viel zu hoch zu sein. Bei einem Streitwert von 500 000 DM ergibt sich nach der neuen Gebührenordnung, Herr Bundesjustizminister, für die Regelgebühren in der ersten Instanz ein Betrag von 33 819 DM - ich habe mir die Mühe gemacht,
es einmal nachzusehen - und in der nächsten Instanz ein Betrag von 45 067 DM.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher oder andere Verbraucherverbände mit ihrem schmalen Jahresetat, der im wesentlichen auf öffentlichen Zuschüssen beruht, pro Jahr nur wenige Verfahren einleiten können, weil sie nicht das Geld für die Gerichtskosten aufzubringen vermögen - von den anderen Aufgaben ganz zu schweigen. Um einen wirkungsvollen Rechtsschutz des Verbrauchers zu gewährleisten, hat die Opposition daher in Übereinstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher als höchstmögliche Grenze des Streitwerts 200 000 DM vorgeschlagen.
Wenn die Popularklage nur von Verbänden erhoben werden kann, so hat dies zweifellos die Wirkung, daß weniger Prozesse anhängig gemacht werden. Andererseits aber ist der Rechtsschutz für den einzelnen Bürger als Individuum geringer, weil er selbst, insbesondere im Bereich von Dauerschuldverhältnissen und Wiederkehrschuldverhältnissen, nicht die Möglichkeit hat, grundsätzlich die Unwirksamkeit bestimmter Klauseln feststellen zu lassen. Zwar finden die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozeßordnung nach dem Willen des Rechtsausschusses weiterhin Anwendung. Der Bürger ist also in der Lage, durch Erhebung einer Feststellungsklage für derartige Dauerschuldverhältnisse sein Recht im wesentlichen durchzusetzen. Es ist ihm aber nicht möglich, mit Wirkung für andere, für die er ein Interesse hat, aufzutreten, dieselbe Wirkung zu erzielen.
Wenn ein Rechtsschutz allgemein wirksam sein soll, müssen die Ausnahmeregelungen so gering wie möglich sein. Für ein zivilrechtlich ausgerichtetes Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen gibt es keine Möglichkeit, auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse einzuwirken. Bedauerliche Folge könnte sein, daß wir besser ausgestattete Privatrechtsverhältnisse als öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse erhalten. Es muß die Forderung an den Verordnungsgeber erhoben werden, im Rahmen dieses Gesetzes schnellstmöglich in seinem Bereich nachzuziehen.
Insgesamt kann man sagen, daß das AGB-Gesetz, hätten die Regierungsparteien den Vorschlägen der Opposition etwas mehr Aufmerksamkeit gezollt, besser sein könnte. Die Mängel des Gesetzes sind aber nicht so, daß wir den Verbraucherschutz schlechthin in Frage stellen und zum Gesetz nein sagen könnten.
Über die aufgeführten Beanstandungen und Mängel hinweg muß die Auswirkung gesehen werden, daß in Zukunft der Vertragsinhalt insgesamt, d. h. also einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dem Verbraucher bei Vertragsschluß bewußt gemacht wird. Dadurch wird er geschützt vor der Übermacht des Vertragsverwenders bzw. vor der Unmöglichkeit, zu einem bestimmten Kaufabschluß zu kommen, wenn er sich nicht den Bedingungen ganzer Branchen unterwirft.
Auf der anderen Seite hat die Opposition sehr wohl bedacht, daß der Verbraucherschutz Geld kostet und daß jede weitergehende Regelung über die Kostenerhöhung des Einzelprodukts wieder auf den Verbraucher zurückschlägt. Infolgedessen mußten die Regelungen, die vorgeschlagen wurden, in einem solchen Bereich bleiben, daß sie nicht hinterher zum Schaden des Verbrauchers ausschlagen konnten.
Den Verbraucherverbänden wird in Zukunft eine große Verantwortung auferlegt werden. Genauso aber auch werden die Verbände für die Förderung der Wirtschaft und die Kammern ihre Aufgabe darin sehen müssen, den Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu überwachen, zu kontrollieren und bei Mißständen einzugreifen.
Die Opposition hat sorgsam darauf geachtet, daß der Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht angetastet wurde. Das Gesetz soll lediglich Mißstände und einzelne Mißbräuche, wie sie einfach nicht hinwegzudenken sind, verhindern helfen. Wir glauben, daß dies trotz gewisser Abstriche möglich ist, und sind deshalb froh, daß heute ein Meilenstein auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes gesetzt werden konnte. Es liegt nunmehr in der Hand der Verbände, aber auch der Gerichte, etwas Gutes aus diesem Gesetz für die Praxis und den Verbraucher zu machen.
Es ist mir an dieser Stelle ein Bedürfnis, den Mitgliedern und Mitarbeitern des Rechtsausschusses, der Bundesregierung, aber auch bei den Fraktionen unseren herzlichen Dank für das zu sagen, was sie an zusätzlicher Arbeit hier geleistet haben.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Lenz, ich habe hier nur den Bericht des Ausschusses. Es handelt sich keineswegs um ein Manuskript, wie Sie zu befürchten scheinen. Es wäre hier auch besonders wenig erforderlich und angebracht, weil wir uns ja doch, wie sich bei den Beratungen etwas deutlicher als heute gezeigt hat, sehr weitgehend in dem Anliegen einig gewesen sind und auch in den Möglichkeiten zur Lösung. Deshalb haben wir zum Schluß auch eine Lösung gefunden, die die Opposition jedenfalls mittragen will.
Herr Thürk hatte, wie ich meine, doch etliche Mühe, eine solche Liste der Beanstandungen zusammenzustellen, wie er sie hier vorgetragen hat, um die Opposition noch etwas absetzen und einen Tadel zu ermöglichen.
({0})
Auf einige wenige Einzelheiten Herr Thürk, möchte ich dann gleich noch einmal eingehen.
Vorab ist es wichtig, wiederum ganz gemeinsam festzustellen, daß wir alle den Verbraucher schützen wollen und daß auch alle Beteiligten aus allen Fraktionen das Spannungsverhältnis gesehen haben - Frau Däubler-Gmelin hat darauf genauso hingewiesen wie Herr Thürk -, das darin besteht, daß Verbraucherschutz auch Geld kostet und letzten Endes dieses Geld, wenn nicht eine ganz besondere Marktlage vorliegt, vom Verbraucher zu zahlen sein wird. Daher hatten wir hier also die doppelte Verantwortung, einerseits etwas Wirksames zu gestalten, andererseits aber die notwendigen Rationalisierungsvorteile im Massengeschäft nicht durch zu einengende Bestimmungen zu stören, was mit Sicherheit - das wiederhole ich mit Absicht noch einmal wiederum zu Lasten des Verbrauchers gegangen wäre.
Wir haben nach den verschiedenen Entwürfen schließlich eine Generalklausel gefunden, deren Vorgeschichte zum Teil etwas dramatisch geschildert worden ist. Sie haben sich auf Zuruf, Herr Thürk, noch dazu bringen lassen, zu sagen, der Justizminister habe gezwungen werden müssen, tätig zu werden. Diese Unterhaltung kann ich mir in diesem Zusammenhang nicht so recht vorstellen. Wir wissen, was der Bundesjustizminister - der jetzige und sein Vorgänger im Amt - alles unternommen haben. Wir kennen auch den Bericht der Kommission, der wohl nicht zufällig eine erhebliche Ähnlichkeit mit ihrem schließlich vorgelegten Vorschlag aufweist. Mehr will ich hierzu nicht sagen.
Die Generalklausel steht am Anfang der Regelung. Es ist sehr schwierig, die Vielfalt in eine solche Generalklausel zu bringen. Es ist andererseits aber nach unseren Überlegungen auch nicht ohne eine solche auszukommen, weil es noch ungleich schwieriger gewesen wäre, die Lebensvielfalt in Kataloge einzufangen und enumerativ der Fülle der Fälle gerecht zu werden. Deshalb diese Generalklausel, die wir für ausgesprochen ausgewogen halten, wobei wir nicht verkennen, daß die Bemühung dazu auch bei den früheren Entwürfen vorhanden gewesen ist. Wichtig ist natürlich - auch darauf ist mindestens schon angespielt worden -, daß hier keine richterliche Nachkalkulation stattfinden kann, weil dazu dem Richter auch bei noch so geschicktem Sachvortrag eine Fülle von Einzelheiten natürlicherweise fehlen muß. Das wird nun durch die vorgelegte Formulierung vermieden. Wir hoffen, daß diese Klausel trägt. Wir glauben auch, mit den beiden Gruppen des dann folgenden Kataloges die wesentlichen Fälle der bisherigen Beanstandungen erfaßt zu haben.
Was wird die Folge sein? Unserer Meinung nach soll und muß die Folge sein, daß Prozesse auf diesem Gebiet nicht, wie manche befürchten, häufiger, sondern nach einer Übergangszeit seltener werden, weil zur Zeit gerade in dem schwierigen Bereich im Grunde immer nur über Treu und Glauben entschieden werden kann. Einer unserer Rechtslehrer hat früher einmal ge18066
sagt: Begeben Sie sich nie in das Schlammbad von Treu und Glauben. Ich meine, an dieser Warnung ist schon einiges dran. Wir kommen jetzt von der Notwendigkeit, Herr Vogel, hier alles mit dem § 242 BGB zu lösen, wenigstens bei den im Katalog aufgeführten Tatbeständen weg. Wir werden dadurch mehr Klarheit haben und der Rechtsprechung eine wesentliche Hilfe geben. In den meisten Fällen wird es aber vorher durch den von Frau DäublerGmelin bereits erwähnten Blick in diesen Katalog möglich sein - wenn auch vielleicht nicht für den Herrn A, von dem Sie sprachen, dann aber doch mindestens für den Chef der diesbezüglichen Rechtsabteilungen -, zu sehen, was sie klugerweise gar nicht erst dort hineinschreiben sollten, weil sie damit nicht durchkämen. Damit muß automatisch eine größere Klarheit und eine Vermeidung ärgerlicher und im Grunde überflüssiger Prozesse eintreten. Nur wenn man das so sieht, bekommt man unserer Auffassung nach auch das richtige Verhältnis für die Verfahrensregelungen, die vorgeschlagen worden sind.
Wir haben hier in einigen Einzelfragen auch in den letzten Wochen noch Hinweise bekommen. Ich bin z. B. darauf angesprochen worden, wie es mit der Vereinbarung von Vertragsstrafe bei einer nur teilweisen Nicht- oder Schlechterfüllung, aus welchen Gründen auch immer, stünde. Dazu sind wir, so glaube ich, übereinstimmend der Auffassung, daß da, wo die Vertragsstrafe insgesamt nicht zulässig ist, sie auch für Teile des gleichen Geschäfts nicht in Frage kommen kann. Ich benutze nur die Gelegenheit, hier noch einmal darauf hinzuweisen.
Unterstreichen möchte ich auch für die Freien Demokraten, obwohl es bezeichnender- und richtigerweise schon zweimal gesagt worden ist, daß es natürlich insbesondere für die öffentlichen Unternehmungen - man sollte es eigentlich gar nicht sagen müssen; man muß es aber nach allem, was bisher zu sehen war, doch sagen - und staatlich beaufsichtigten Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sein muß, sich in der Gestaltung ihrer Bedingungen diesem Gesetz alsbald anzupassen, wenn nicht der Gesetzgeber gezwungen sein soll, bei diesem Nobile officium in absehbarer Zeit ein wenig Nachhilfe zu erteilen. Das müßte wohl durch rechtzeitiges Handeln der Betroffenen vermieden werden können.
Dargestellt sind auch einige andere Ausnahmen. Ich zweifle - weil ich beruflich damit verbunden bin -, ob wir sehr glücklich beraten waren, die Versicherungsunternehmen und die genannten weiteren streng aufsichtspflichtigen Unternehmen nicht ganz herauszunehmen. Wir haben aber eingesehen, daß Ausnahmekataloge in einem Gesetz wirklich nichts Schönes sind, und hoffen, daß die Verzahnung ausreicht, um insbesondere dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen die Erfüllung seiner Aufgaben zu gewährleisten. Es steht doch jetzt fest, daß das Aufsichtsamt, wenn in dem jetzt vorgesehenen Verfahren eine Bedingung für einen Versicherer als unwirksam und nicht mehr anzuwenden erklärt wird, gezwungen ist, im Interesse der Wettbewerbsgleichheit allen anderen so schnell wie möglich aufzuerlegen, die gleiche Bedingung auch nicht mehr zu verwenden. Das kann in schwierigen Fällen zeitliche Verzögerungen ergeben, die zu einer gewissen Ungerechtigkeit und Ungleichheit führen. Durch die Beteiligung des Amtes sollte allerdings auch die Möglichkeit gegeben sein, die Fälle so rechtzeitig zu erkennen, daß die Verzögerung klein gehalten wird.
Zu dem für viele Millionen Bürger interessanten Punkt der Toto- und Lotto-Gesellschaften, die wir nun tatsächlich ausgenommen haben, ist zu sagen, daß natürlich die Verlockung ungeheuer groß ist, sich durch eine Vereinbarung mit dem Leiter einer der vielen zigtausend Annahmestellen in diesem Lande einen Millionengewinn durch nachträgliches Abgeben und Schuldeingeständnis des Leiters der Annahmestelle zu verschaffen. Der Gewinn müßte ja ausgezahlt werden, wenn die Haftung für den Erfüllungsgehilfen bliebe. Angesichts einer so unerhört großen Versuchung - weit oberhalb der Beute der meisten, selbst etwas größeren Raubzüge - und angesichts der großen Zahl derjenigen, die hier in Versuchung geführt werden könnten, schien es uns rechtspolitisch wichtig, diese Versuchung für so viele präsumtive Täter nicht bestehen zu lassen.
Herr Thürk, Sie haben Bedenken gegen das von uns gewählte Verfahren geäußert. Ich bin der Meinung, dieses Verfahren hat aus einer Reihe von Gründen, die auch Sie angeführt haben, Vorzüge, obwohl man immer auch für eine andere Möglichkeit etliche Gründe finden kann. Ich meine, bei einer Abwägung überwiegen die Vorzüge dieses Verfahrens. Sie selber befürchten, daß hier eine Fülle von Prozessen von dazu vielleicht nicht qualifizierten Leuten geführt wird, die einfach den berühmten Sieben-Mann-Verein aufmachen, nur weil sie meinen, hier gebe es noch eine Marktnische, um auf Kosten anderer Geschäfte zu machen und in dem Augenblick, wo ein großer Prozeß verlorengegangen ist, den Verein dann in Konkurs gehen zu lassen, im Gewinnfall aber freudestrahlend die Kostenerstattung mitzunehmen. Wenn diese Gefahr besteht - sie besteht sicherlich -, gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihr zu begegnen. Wir haben gemeint, daß nicht etwa die behördliche Zulassung die notwendige Bremse sei. Auch dieses Verfahren hat ja seine Risiken, seine Zufälle. Die vielen Fälle der Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz, die da denkbar sind, könnten sehr wohl zu einer bald ausufernden Genehmigungspraxis führen. Darum haben wir in der Genehmigung eben nicht die notwendige Bremse gesehen, sondern darin, daß hier, wo es sich stets um reine Rechtsfragen handelt, der Prozeß kurz gehalten wird und beim Oberlandesgericht ansetzt. Deshalb haben wir es gerade gern gesehen, daß hier nur die begrenzte Zahl der bei den Oberlandesgerichten zugelassenen Anwälte dann mit der Sache befaßt sein würde, daß dann eine schnelle Entscheidung durch den Bundesgerichtshof erreicht wird und eine Fülle von Parallelprozessen, die die Landgerichte technisch gar nicht kontrollieren könnten, solange sie nicht mindestens entschieden sind, vermieden wird. Das waren unsere wesentliche Gründe für die Wahl dieses Weges. Ici
glaube, man kann leichter damit leben - trotz einer stärkeren Belastung der Oberlandesgerichte - wenn man sich vor Augen hält, daß die Zahl der Prozesse nach wenigen Jahren vermutlich drastisch zurückgehen wird, weil die Lage dann in ganz anderem Maße als heute klar ist. Das war ja ein ganz wesentliches Ziel.
Eine weitere solche Bremse sehen wir auch in der Streitwertfestsetzung. Da muß ich Ihnen allerdings sagen: Die Tatsache, daß ausgerechnet von seiten der CDU/CSU-Fraktion hier wieder einmal besondere soziale Leistungen auf Kosten der Beteiligten angeboten werden,
({1})
indem man einen Streitwert manipuliert, ist bemerkenswert. Denn das würde geradezu zu einer Strangulierung des Privatrechts, zu einer weitgehenden Einschränkung der sonst dort geltenden Grundsätze führen, wonach sich eben der Wert der Sache nach ihrem wirtschaftlichen Interesse bemißt. Da kann ich nicht einfach die Sache so heruntermanipulieren, wie Sie das wollen, mit der Folge, daß ich die überflüssigen Prozesse geradezu provoziere und damit auch das von Ihnen an einer Stelle befürchtete Anschwellen der Rechtsabteilungen in den Unternehmen provoziere. Wenn da ein Wert ist, dann muß auch um diesen Wert gestritten werden können. Das müssen beide Seiten wissen.
Auch bei den Verbraucherverbänden, die jetzt in die Verantwortung kommen, wird man das vorher wissen müssen. Im übrigen handelt es sich ja, wenn man die Dinge wirtschaftlich sieht - das ergibt sich schon aus den Schreiben, die wir von dort bekommen haben -, um Vorposten der öffentlichen Hand. Es ist gar nicht einzusehen, warum die öffentliche Hand, wenn sie gewisse Aufgaben klugerweise solchen Verbänden überläßt, dann auf Kosten anderer Verfahrensbeteiligter etwa besonders günstig gestellt werden sollte.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Streitwertherabsetzung, wie Sie wissen. Die Obergrenze dürfte eine rein theoretische sein, und in der Praxis dürfte auch vom wahren Wert häufiger abgewichen werden. Dann aber doch bitte nicht von vornherein ohne Berücksichtigung des wahren Wertes, sondern in angemessener Berücksichtigung auch dieses Wertes bei der Festsetzung des Streitwertes! Das wollten wir gern erreichen, und nicht etwa sagenhaft hohe Prozeßkosten, aber auch nicht wieder ein Stück mehr kalte Sozialisierung - hier wieder vorgetragen, wie so oft, von der CDU/CSU, die damit für immer weniger Freiheit sorgt. Das muß bei der Gelegenheit doch einmal gesagt werden: daß hier die Fronten ganz merkwürdig verlaufen.
({2})
Alles in allem glaube ich, daß ein vernünftiges Gesetz mit einer ausgewogenen - soweit das überhaupt möglich ist - Berücksichtigung der Interessen vorliegt, sowohl des Verbrauchers als auch einer zum Wohle des Verbrauchers funktionierenden Wirtschaft, und daß wir daneben hoffen dürfen, daß wir ein Stück zur Entlastung der Gerichte und nicht
etwa zur Vermehrung ihrer Arbeit beigetragen haben. Dafür möchte ich allen Beteiligten sehr herzlich danken.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode der Verbesserung des Verbraucherschutzes besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie begrüßt deshalb, daß der Bundestag heute den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Denn dieser Entwurf ist ohne Zweifel das Kernstück des neuen Verbraucherschutzrechts.
Die bisherigen Gesetzgebungsmaßnahmen haben einzelnen Mißständen abgeholfen, so etwa der Überrumpelung des Kunden beim Abschluß von Abzahlungsgeschäften, der zweckwidrigen Verwendung von Kundengeldern bei Makler- und Bauträgerverträgen und der Übervorteilung bei Aufnahme von Krediten.
Der heute behandelte Entwurf betrifft nicht Einzelfragen. Er bringt neue und bessere Normen für den gesamten Bereich des Vertragsrechts, d. h. aber für Milliarden täglicher Rechtsgeschäfte und für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Im Grunde geht es nämlich nicht nur um eine mehr oder weniger große Anzahl von Geschäftsbedingungen, sondern um eine Novellierung des Allgemeinen Teils unseres Schuldrechts. Nur wenige Gesetze haben diesen Abschnitt des Bürgerlichen Gesetzbuches seit dessen Inkrafttreten so weitgehend ergänzt und umgestaltet, wie es dieser Entwurf tun wird.
Meine Vorredner haben den Inhalt des Entwurfs bereits im einzelnen dargelegt, erläutert und gewürdigt; sie haben auch deutlich gemacht, daß mit einer breiten Mehrheit, ja sogar mit einer einstimmigen Annahme gerechnet werden kann. Ich beschränke mich deshalb auf drei wesentliche Punkte.
Erstens. Dies ist keineswegs ein Gesetz zur Einschränkung des Privatrechts und der Vertragsautonomie, es ist vielmehr ein Gesetz zur Stärkung der Vertragsfreiheit. Die Vertragsfreiheit - Bestandteil des durch unsere Verfassung gewährleisteten Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - ist in der Wirklichkeit unseres Alltags durchaus keine Selbstverständlichkeit. Erhalten geblieben ist für viele Bürger häufig nur der erste Teil der Vertragsfreiheit, nämlich die Abschlußfreiheit, die Freiheit, einen Vertrag zu schließen oder von einem Vertragsabschluß abzusehen. Und auch sie ist dort eingeschränkt, wo für den Erwerb lebensnotwendiger Bedarfsgüter Monopolsituationen bestehen.
Verkümmert ist dagegen nur zu oft die nicht minder wichtige andere Seite der Vertragsfreiheit, nämlich die Gestaltungsfreiheit. Die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung meint die Möglichkeit für beide Vertragspartner, über den Inhalt des zu schließen18068
den Vertrages zu verhandeln und ihn frei zu bestimmen. Diese vom Bürgerlichen Gesetzbuch vorausgesetzte Freiheit steht in weiten, ja in den meisten Bereichen des Wirtschaftslebens nur auf dem Papier.
Otto von Gierke, der große Germanist, hat das schon 1889 vorausgesehen. Er schrieb damals:
Durchweg ist das Recht der Schuldverhältnisse so geordnet, als stünden sich dabei nur selbstherrliche Individuen gegenüber, aus deren freier verantwortlicher Tat Verpflichtungen hervorsprießen.
Der Wirklichkeit des Lebens hat das nie entsprochen. - Und Gustav Boehmer sagt 60 Jahre später:
Die liberale Vertragsfreiheit hat, sich selbst überschlagend, zu einer schematisierenden Reglementierung des Vertragslebens entwickelt, die hier nicht vom Staat ausgeht, sondern ein selbstgeschaffenes Produkt der Wirtschaft ist. Der einzelne, der sich ihr nicht entziehen kann, ist ihr genauso unterworfen wie der objektiven Ordnung des Gesetzes.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Entwurf wird nicht dazu führen, daß künftig jeder Kunde, jeder Käufer, jeder, der eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, die Vertragsbedingungen in jedem Einzelfall neu aushandelt. Aber er schafft mehr Gleichberechtigung der Vertragspartner, weil er den, der Allgemeine Geschäftsbedingungen anwendet, an strengere Regeln bindet, weil er den Grundsatz des gerechten Interessenausgleichs über die Generalklausel des § 242 BGB hinaus konkretisiert.
Zweitens. Es ist erfreulich, daß mit der materiellen Regelung heute auch eine Verfahrensregelung verabschiedet werden kann. Die gefundene Lösung stellt - und da weiche ich von Ihrer Beurteilung ab, Herr Kollege Thürk - doch einen vernünftigen Kompromiß dar; er vermeidet die Einrichtung neuer Bürokratien und stellt in einfacher und überschaubarer Weise sicher, daß Entscheidungen über einzelne Klauseln allgemeine Geltung erlangen. Hier wächst jetzt allerdings den Verbraucherverbänden eine neue und verantwortungsvolle Aufgabe zu.
Drittens. In dem so gezogenen Rahmen - und das möchte ich für die Bundesregierung ausdrücklich unterstreichen - sind Allgemeine Geschäftsbedingungen unentbehrlich. Sie gewähren das Maß an Gleichartigkeit und Berechenbarkeit der Rechtsfolgen von Lebensvorgängen, das für die rationale Abwicklung massenhafter Austausch- und Leistungsgeschäfte ganz unerläßlich ist und das gerade auch im Interesse der Verbraucher selber liegt.
Der Gesetzgeber selbst könnte den sich immer rascher wandelnden tatsächlichen Gegebenheiten nicht mit der notwendigen Schnelligkeit folgen, und er wäre auch gar nicht in der Lage, jeweils neue Vertragstypen und neue Konfliktregeln - notfalls auch kurzfristig - zu entwickeln. Der Normenbedarf, der hier besteht, muß deshalb auch künftig weithin von den Beteiligten selbst gedeckt werden. Aber - und das ist der Kern der Sache - nicht
mehr nach freiestem Ermessen, sondern nach konkreten Maßstäben und unter schärferer gerichtlicher Kontrolle, die auch von Verbänden - nicht nur vom einzelnen Bürger - in Gang gesetzt werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir bleibt übrig, namens der Bundesregierung allen zu danken, die das Zustandekommen dieses wichtigen Gesetzes ermöglicht haben. An erster Stelle gilt auch hier der Dank meinem Vorgänger im Amt. Er hat dieses Gesetz und diesen Entwurf keineswegs verhindert, sondern ihn durch Einsetzung und Berufung der Arbeitsgruppe, aus deren Arbeitsergebnissen die Opposition genauso ihren Nutzen gezogen hat wie die Regierung, entscheidend gefördert.
Mein Dank gilt den Mitgliedern der Arbeitsguppe. Sie haben in mühsamer und langwieriger Arbeit eine Fülle von Stoff aufgearbeitet, die kaum noch zu übersehende Rechtsprechung geprüft und den Berg der wissenschaftlichen Literatur gesichtet und ausgewertet. Der von der Arbeitsgruppe auf der Grundlage dieses Materials erarbeitete Entwurf hat sich als so ausgereift und praktikabel erwiesen, daß das jetzt zu verabschiedende Gesetz der Vorlage der Arbeitsgruppe in weitem Umfang folgen konnte.
Nicht zuletzt gilt mein Dank den Berichterstattern im Rechtsausschuß, Frau Kollegin Däubler-Gmelin und Herrn Kollegen Thürk, die ebenfalls Entscheidendes für dieses Gesetz geleistet haben.
Schließlich möchte ich in diesem besonderen Fall abweichend von der Übung auch meine Mitarbeiter erwähnen, die 1975 nicht weniger als 150 Verbände aus Wirtschaft, Handel und Verbraucherschaft angehört und dadurch ein breites Einverständnis für den Entwurf in den Kreisen der Beteiligten geweckt haben. Ich glaube, die Gesetzgebung war auch in dieser Richtung in der Tat vorbildlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies, was heute verabschiedet werden soll, ist kein Gesetz, das in spektakulären parlamentarischen Schlachten geboren worden ist. Es ist legislatorisches Schwarzbrot, ein Gesetz, das unsere Ordnung ein Stück gerechter und ein Stück vernünftiger macht. Ich bitte namens der Regierung um Ihre Zustimmung.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen vorschlagen, jetzt zuerst das „legislatorische Schwarzbrot" - oder wie Sie es nennen wollen - zu verzehren, also zuerst Punkt 17 abzuhandeln und sich erst dann der Diskussion zu Tagesordnungspunkt 18 zuzuwenden. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen dann zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den §§ 1 bis 32, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht,
möge sich erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
Deutscher Bundestag - - 7. Wahlperiode Vizepräsident Dr. Jaeger
- Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Der Ausschuß schlägt ferner vor, die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Auschusses für Wirtschaft ({0}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Zweiten Bericht zur Verbraucherpolitik
- Drucksachen 7/4181, 7/5174 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens
Als erster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den Verbraucherbericht der Bundesregierung und hofft sehr, daß die Bundesregierung auch in Zukunft in angemessener Zeit über die verbraucherpolitischen Leistungen Bericht erstatten wird. In der Tat enthält dieser Verbraucherbericht eine Fülle von Leistungen, die in der letzten Zeit - in den letzten vier Jahren - auf verbraucherpolitischem Gebiet durchgesetzt worden sind.
Leider hatte die Opposition im Wirtschaftsausschuß gegen den Bericht Bedenken angemeldet; er sei ihr zu positiv, hieß es dort. Diesen Standpunkt vertrat sie, obwohl sie -- das darf man hier vielleicht einmal feststellen - fast alle verbraucherpolitischen Maßnahmen der letzten Zeit mit getragen hat. Aber bitte sehr, wenn Sie sich Ihre eigenen Leistungen nicht an den Hut stecken wollen - wir haben persönlich natürlich nichts dagegen.
Sie haben aus einem zweiten Punkt heraus Bedenken angemeldet: Sie wollten, daß in Zukunft keine verbraucherpolitischen Veröffentlichungen nach einheitlichen Grundsätzen erfolgen. Gestern hat die Opposition noch bei der Debatte über die Forschungspolitik gefordert, daß ein koordiniertes Programm her müsse. Hier bei der Verbraucherpolitik wollen Sie keine einheitlichen Grundsätze, sondern Sie wollen weiterhin eine unkoordinierte Verbraucherpolitik.
In einem Punkt waren sich Opposition und Koalition bei der Debatte im Wirtschaftsausschuß allerdings einig: wir wollen zusammen auch in Zukunft dafür sorgen, daß die Mittel für die Verbraucherpolitik laufend angemessen weiter erhöht werden.
Wenn ich hier von Verbrauchern spreche, so fühlen sich im allgemeinen alle angesprochen; aber Verbraucherpolitik ist eine Politik, die vor allem für jene betrieben wird, die am Markt nur als Käufer und nicht als Verkäufer auftreten. Für jene wurde sehr, sehr viel durchgesetzt. Ich meine, die sozialliberale Koalition hat in den letzten vier Jahren mehr für diese 90 % der Bevölkerung getan als je eine Regierung zuvor.
({0})
Wir haben mit unserer Verbraucherpolitik den Freiheitsraum der Verbraucher, dieser 90 % der Bevölkerung, gewaltig erhöht.
({1})
Ich darf vielleicht an die Gerichtstandsklausel erinnern, die dazu beiträgt, daß der Verbraucher, der Käufer, jetzt nicht mehr zum Ort des Verkäufers fahren muß, um zu klagen, sondern daß er dies an seinem Wohnort machen kann. Ich könnte auch an das Abzahlungsgesetz erinnern, das bestimmt, daß jemand, der etwas auf Teilzahlung kauft, noch eine Woche nach Unterzeichnung des Vertrages vom Vertrag zurücktreten kann. Auch dies ist eine Maßnahme, die die formelle Freiheit der Bürger in diesem Lande ganz bewußt heraufgesetzt hat.
({2})
Ich verstehe nicht, wie Herr Thürk meinen konnte, daß das auf Initiative der CDU zurückgehe. Ich darf daran erinnern, daß wir Sozialdemokraten 1964 bereits ein Teilzahlungsgesetz vorgelegt hatten, das leider von der damaligen Regierungspartei, der CDU, torpediert worden ist. Auch während der Großen Koalition sind wir vor allem durch das Drängen der CDU nicht zu Rande gekommen und konnten dieses Gesetz, das wir, wie gesagt, schon 1964 vorgelegt hatten, nicht verwirklichen.
Allerdings wird diese formelle Freiheit der Verbraucher - das sehen wir Sozialdemokraten ganz genau - durch eine Entwicklung eingeschränkt, die wir nicht billigen können, nämlich dadurch, daß sich verstärkt Supermärkte auf der grünen Wiese und zum Teil in bestimmten ländlichen Gebieten niederlassen und dadurch in Zukunft und auch schon jetzt keine Kaufgelegenheiten vor allem für die schwächeren Schichten in unserem Volke mehr vorhanden sind.
Aber Freiheit erhöhen heißt eben nicht nur, die formelle Freiheit zu erhöhen, sondern das heißt auch, die materiale Freiheit zu erhöhen, d. h. die Kaufkraft der Bürger zu erhöhen, und auch auf diesem Gebiet haben wir etwas erreicht. Dank der gewerkschaftlichen Lohnpolitik und der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung konnten die Nettoeinkommen der Bürger in diesem Lande von 1969 bis 1975 um über 100 % angehoben werden.
({3})
Eine derartige Steigerung der Nettoeinkommen ist vorher nie vorgekommen. Das Jahr 1976 nehme ich aus. Das ist richtig. Am Beginn eines Aufschwungs ist es immer so, daß die breiten Schichten der Arbeitnehmer schlechter als die Unternehmer abschneiden; aber das ist zum Teil von einigen sogar politisch gewollt. Ich spreche hier jedoch die Hoffnung aus, daß es im Jahre 1977 und 1978 für diese Arbeitnehmer wiederum besser aussehen wird, was die Einkommensverteilung und die Erhöhung ihres Einkommens angeht. Auf alle Fälle war die Erhöhung der Kaufkraft von 1969 bis 1975 ein großer Erfolg dieser Regierung. Die Leute, die in diesem Jahr ins Ausland fahren, werden feststellen können, was unsere D-Mark, international gesehen, wert ist.
Wenn man nach Italien fährt, wird man feststellen, daß die D-Mark allein 43 % mehr wert ist.
({4})
Ich weise auch bei dieser Gelegenheit darauf hin - das verschweige ich gar nicht -, daß es immer noch viele Lohnunterschiede gibt, für die die Bundesregierung allerdings nicht verantwortlich ist, die nicht leistungsgerecht sind, weil in der Privatwirtschaft auf das soziale Gepäck keine Rücksicht genommen wird. In der Tat beschneiden Preissteigerungen die materiale Freiheit der Verbraucher, beschneiden die Kaufkraft. Aber in dieser Wirtschaftsordnung hat es seit 1948 Preissteigerungen gegeben, und mir persönlich sind Preissteigerungen in einer Marktwirtschaft lieber als möglicherweise lange Schlangen vor den Geschäften oder aber Beziehungshandel, also Einkauf nur auf Grund von Beziehungen, wie es in den Ostblockstaaten üblich ist.
Der Einfluß der Verbraucher auf die Preise wurde allerdings in der letzten Zeit ebenfalls kräftig heraufgesetzt und verbessert. Wir haben dafür gesorgt, daß die Preisauszeichnungspflicht erweitert wurde. Wir haben dafür gesorgt, daß verstärkt Preisvergleiche durchgeführt werden können. Wir haben dann dafür gesorgt, daß die Preistransparenz erhöht worden ist, und wir haben durch unsere kartellgesetzlichen Maßnahmen für mehr Preiswettbewerb gesorgt.
({5})
- Herr van Delden, Sie sind in der nächsten Legislaturperiode aufgerufen, dieses Thema erneut auf die Tagesordnung zu bringen. Aber sorgen Sie doch bitte zunächst dafür, daß in Ihrer eigenen Fraktion in diesem Punkte Klarheit geschaffen wird.
({6})
Ich verstand nie so ganz das Geschimpfe der Opposition über den Ansatz, im Zuge der Aktion „Gelber Punkt" Preisvergleiche einzuführen. Preisvergleiche gehören zwingend zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Wer Preisvergleiche ablehnt, lehnt im Grunde einen wichtigen Grundsatz dieser Marktwirtschaft ab.
Leider ist es so, daß auf dem Automobilmarkt oder Mineralölmarkt der Einfluß der Verbraucher auf die Preisgestaltung in der Tat noch immer sehr gering ist. Wenn die Verbraucher weniger kaufen, steigen die Preise, und wenn die Verbraucher mehr kaufen, steigen dort auch die Preise. Hier bleibt eben noch viel zu tun.
Wenn ich schon bei der Preisbildung bin, dann erlauben Sie mir einen kleinen Schlenker zu dem, was ich vor kurzem aus Zeitungen in Rheinland-Pfalz erfahren habe. Für mich war es mehr als erschrekkend, daß die Landesbank von Rheinland-Pfalz in der Zeit von 1972 bis 1974 ganz bewußt die Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung torpediert hat.
({7})
Der Verwaltungsratsvorsitzende dieser Landesbank ist der Kanzlerkandidat der CDU, Herr Dr. Kohl.
({8})
Zuerst war gesagt worden, von dieser Bank seien deutsche Wertpapiere im Werte von 86 Millionen DM gegen die gesetzlichen Bestimmungen des Bardepotgesetzes ins Ausland verkauft worden. Dann hat man zugegeben, es seien sogar derartige Käufe in Höhe von 313 Millionen DM getätigt worden. Jetzt müssen wir erfahren, daß sogar die Töchter dieser Landesbank diese Geschäfte durchgeführt haben. Ich verstehe nicht, wieso der Herr Kohl hier antritt, um die Bundesrepublik zu regieren, wenn er nicht einmal in seiner eigenen Landesbank für Ordnung sorgen kann.
({9})
Ich verstehe auch nicht, wie er während dieser Zeit die Bundesregierung laufend auffordern konnte, für eine stabile Preisentwicklung zu sorgen, während seine eigene Bank dazu beigetragen hat, daß die Preise in unserem Land stärker gestiegen sind.
({10})
-- Sie sollten einmal mit Ihrem Herrn Kohl darüber reden, damit diese Sache in Ordnung kommt. Das ist nämlich wirklich eine himmelschreiende Angelegenheit, die Sie in Ihren Reihen zu klären haben, und dazu erwarten wir noch von Ihnen ein deutliches Wort, Herr Jenninger.
Trotz der vielen Erfolge im Bereich der Verbraucherpolitik hat der Verbraucher noch immer, so wie es in unserem Godesberger Programm steht, eine schwache Stellung in der Wirtschaft. Die Freiheit der Verbraucher ist ständig in Gefahr, durch Praktiken der Marktmächtigen ausgehöhlt zu werden. Es kommt in Zukunft verstärkt darauf an, daß die Verbraucherpolitik stärker die Sorgen der kleinen Einkommensbezieher beachtet. Sicherlich ist es so, daß die Verbraucherpolitik für die Wirtschaft zusätzliche Kosten bewirken kann. Das sind aber einzelwirtschaftliche Kosten. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten werden im allgemeinen durch die Verbraucherpolitik deutlich gesenkt. Die Verbraucherpolitik ist und bleibt ein weites Feld für echte Reformen, und zwar Reformen, die kein Geld kosten. Ich denke hier z. B. an das noch einzuführende Rücktrittsrecht bei Haustürverkäufen.
Es bleibt, meine Damen und Herren - und damit meine ich auch die Opposition -, noch viel zu tun. Wir Sozialdemokraten packen diese Probleme zusammen mit den Freien Demokraten auf alle Fälle an. Die Wähler haben am 3. Oktober die Alternative: Mit der CDU sicher in die 50er Jahre.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zweite Verbraucherbericht nennt die Grundlagen und Ziele der Verbraucherpolitik der Bundesregierung. Er zählt die verbraucherpolitischen Maßnahmen, die in den letzten Jahren vom Bundestag verabschiedet worden sind, auf, und stellt das verbraucherpolitische Programm der Bundesregierung für die nächste Zukunft dar. Schließlich geht der Bericht auf die Verbraucherpolitik im europäischen und internationalen Bereich ein.
Eindrucksvoll werden die Maßnahmen dargestellt, die die Rechtsstellung des Verbrauchers gegenüber den Herstellern von Waren und gegenüber Dienstleistungen verbessert haben. Wir erkennen gern die Tatsache an, Herr Jens, daß bei einer wachsenden Zahl von Gesetzgebungsvorhaben verbraucherpolitische Notwendigkeiten mehr und mehr Berücksichtigung finden. Allerdings möchte ich an dieser Stelle schon ausdrücklich feststellen - ich werde später noch einmal darauf zurückkommen -, daß dieser Eindruck auch dadurch entsteht, daß heute die verbraucherpolitische Seite vieler Gesetze eindeutiger hervorgehoben wird, als dies früher üblich und modern war. Ich möchte mir an dieser Stelle bereits die Bemerkung erlauben, daß fast aller verbraucherpolitischen Gesetze im Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet worden sind.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den Ausbau all dessen, was wir unter Verbraucherinformation und Stärkung der Verbraucherinteressen verstehen. Die Aufnahme der Verbraucher in die Konzertierte Aktion ist besonders zu begrüßen, da es auch nach unserer Meinung wesentlich ist, daß in der Konzertierten Aktion nicht nur die Interessen der Bundesregierung, der Wirtschaftsgruppen und der Sozialpartner zur Sprache kommen, sondern auch die der Verbraucher, die oft die von diesen Gruppen Betroffenen sind. Sie können in der Konzertierten Aktion daran erinnern, daß die Wirtschaft letzten Endes nicht für Interessentengruppen, sondern für den Verbraucher da ist.
Die Bundesregierung führt im Zweiten Verbraucherbericht einen großen Katalog von weiteren beabsichtigten Maßnahmen zugunsten der Verbraucher an. Sie alle stehen unter dem Gesichtspunkt, daß Verbraucherpolitik eine ständige Aufgabe bleibt. Wir teilen diese Meinung auch von seiten der CDU/ CSU-Fraktion in vollem Umfang.
Wir begrüßen es ausdrücklich, daß sich die Bundesregierung in ihrem Bericht eindeutig zur Marktwirtschaft und zum Wettbewerb bekennt. Die CDU/ CSU-Fraktion unterstreicht die Forderung, daß in der Marktwirtschaft der Wettbewerb das entscheidende Ordnungsprinzip sein und bleiben muß. Wir unterstreichen auch die Feststellung, daß der Wettbewerb die günstigsten Voraussetzungen für die bestmögliche Versorgung der Verbraucher sowohl in quantitativer als auch in qualitativer und preislicher Hinsicht ist. Schließlich unterstützen wir die Regierung, wenn sie feststellt, daß der Staat durch geeignete Maßnahmen sicherstellen muß, daß sich der Wettbewerb entfalten kann und nicht durch Mißbrauch von Marktmacht gestört wird.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion bedauert es aber um so mehr, daß in der Darstellung der künftigen verbraucherpolitischen Ziele in diesem Verbraucherbericht kein Wort über das gegenwärtig wichtigste verbraucherpolitische Anliegen verloren wird, nämlich die Preisstabilität,
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ebenso kein Wort über die Sicherung der Vollbeschäftigung als Quelle wachsenden Einkommens der Verbraucher. Dies ist um so erstaunlicher, als im Ersten Verbraucherbericht der Bundesregierung von 1971 noch der Satz zu finden ist, daß die Sicherung der Kaufkraft und die Erhöhung der Realeinkommen aller Verbraucher als vordringliche verbraucherpolitische Zielsetzung der Bundesregierung herausgestellt wurden. Sollte dies etwa heute nicht mehr gelten, so fragen wir.
Dieser Verzicht auf die deutliche Herausstellung der Preisstabilität und der Einkommenssicherung als vordringliche verbraucherpolitische Aufgabe gibt zu der Annahme Anlaß, daß die Bundesregierung das Scheitern ihrer Stabilitätspolitik und ihrer Vollbeschäftigungspolitik praktisch zugibt und resigniert in der Erkenntnis, daß sie auch in Zukunft kaum noch mit ihrer Politik die beiden wichtigsten verbraucherpolitischen Forderungen Preisstabilität und Einkommenssicherung erhalten kann.
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Wir müssen aber nach wie vor fordern, daß das verbraucherpolitische Programm einer Bundesregierung die Preisstabilität und die Einkommenssicherung als bleibendes Ziel herausstellt. Erfolgt dies nicht, so beweist eine Bundesregierung letzten Endes ihr gestörtes Verhältnis zum Verbraucher trotz aller verbaler Erklärungen, die sie von sich geben mag.
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Ausdrücklich, gnädige Frau, nehme ich diese Debatte über den Zweiten Verbraucherbericht der Bundesregierung zum Anlaß, vor aller Öffentlichkeit mit der Vorstellung mancher Sozialdemokraten aufzuräumen, daß der Verbraucherschutz eine ureigene Domäne der SPD sei und daß sich die CDU/CSU mit diesen Problemen nur selten oder zu wenig oder zu spät beschäftigt habe.
({3})
Bereits in den „Düsseldorfer Leitsätzen" von 1949, dem Grundsatzprogramm von CDU und CSU, ist zur Verbraucherpolitik folgendes gesagt - Herr Präsident, Sie gestatten mir das Zitat -:
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Die soziale Marktwirtschaft ist diejenige Ordnung, welche die Ausrichtung der Erzeugung auf die wirklichen Wünsche der Verbraucher und die billigste Versorgung des Gesamtbedarfs mit dem geringsten Aufwand an sozialer und wirtschaftlicher Macht gewährleistet.
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Diese Grundaussage wurde auf verschiedenen, folgenden Parteitagen immer wieder bestätigt und erläutert.
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- Ich weiß, daß Ihnen das nicht paßt, wenn wir Ihnen diese Wahrheiten vorhalten, aber ich werde es trotzdem tun.
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So heißt es in den Grundsatzentschließungen des Parteitages in Dortmund 1962 - ich zitiere -:
Der weitere Ausbau des Wettbewerbs müßte unter anderem durch Verbesserung der Marktübersicht des Verbrauchers, durch Warentests sowie durch Aufklärung über richtiges Marktverhalten erfolgen.
Im Berliner Programm der CDU von 1971 werden weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in verbraucherpolitischen Gesichtspunkte einbezogen, so der Bereich des Verkehrs, der Gesundheit und des Umweltschutzes. Die Organisation der Verbraucher und die entsprechende Wahrnehmung ihrer Interessen sowie die Verbesserung der Unterrichtung, der Information und der Aufklärung der Verbraucher sind Schwerpunkte der Mannheimer Erklärung von 1975. Es heißt darin - ich zitiere -:
Die Vertretung der Verbraucher in Verbraucherverbänden ist bisher noch nicht ausreichend, um ihre Interessen gegenüber dem Produzenten angemessen wahrzunehmen. Ihre Interessenvertretung muß deshalb im Rahmen unserer freiheitlichen Marktwirschaft verbessert werden.
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- Entschuldigen Sie, Herr Präsident, ich möchte meine Rede lieber zu Ende führen. Sonst würde die Debatte auch viel zu lange dauern. Besondere Bedeutung hat hierbei die individuelle Befähigung des Bürgers, seine Interessen zur Geltung zu bringen. Eine umfassende Verbraucheraufklärung und -information durch den Staat und durch öffentliche oder privatwirtschaftliche Einrichtungen dienen diesem Zweck. Verbraucheraufklärung und -information müssen deshalb verstärkt ausgebaut werden.
Meine Damen und Herren, aber nicht nur die Parteiprogramme haben sich mit der Verbraucherpolitik kontinuierlich von 1949 an beschäftigt. Nein, diesen Forderungen und programmatischen Erklärungen wurden in wesentlichen Gesetzgebungsakten, die die CDU/CSU als Regierungsfraktion oder als Bundesregierung in den Jahren von 1949 bis 1969 durchgesetz hat, auch entsprochen.
Ich muß an dieser Stelle zur Klarstellung, daß Verbraucherpolitik immer ein Anliegen der CDU/ CSU gewesen ist, ein paar Gesetze nennen, die wir in jener Zeit durchgesetzt haben: auf dem Gebiet der Wettbewerbsordnung z. B. das Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen vom Juli 1957 - wir nennen es das Kartellgesetz - und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und seine verschiedenen Änderungen. Verwiesen sei hier insbesondere auf die Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb aus dem Jahre 1965, die den Verbraucherverbänden Klagebefugnis bei irreführender Werbung brachte, sowie auf eine spätere weitere Novellierung, die Sicherheiten gegen die täuschende Verwendung von Preislisten schuf sowie Maßnahmen gegen die sogenannten Lockvogelangebote durchsetzte.
Als Gesetze, die eine bessere Markttransparenz für den Verbraucher mit sich brachten, seinen hier genannt: das Eichgesetz aus den Jahren 1966 bis 1969, das Regelungen für Fertigpackungen brachte, um brauchbare Preisvergleiche zu ermöglichen und Mogelpackungen zu bekämpfen; das Textilkennzeichnungsgesetz; die Gewerbeordnung mit einer großen Anzahl von Änderungsgesetzen, z. B. zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit im Marktverkehr, zur Bekämpfung von Mißständen und Auswüchsen bei bestimmten Werbe- und Verkaufsveranstaltungen, zur Regelung der Gewerbeuntersagung, mit Maßnahmen gegen Luftverunreinigung und anderes mehr.
Meine Damen und Herren, ich muß an dieser Stelle insbesondere einmal mit aller Deutlichkeit sagen, daß die Stiftung Warentest in Berlin, die mit so großartigem Erfolg arbeitet, auf Vorschlag der CDU/ CSU entstanden ist. Wir sind die geistigen Väter dieser Institution und haben auch vor, sie in Zukunft außerordentlich schicklich zu behandeln und weiter auszubauen.
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Ich nenne ein paar weitere Beispiele für Gesetze zum Schutze des Verbrauchers, insbesondere zum Gesundheits- und Rechtsschutz. Ich nenne das Maschinenschutzgesetz, das Detergentiengesetz, die Reinhaltungsgesetze für Luft und Wasser. Ich nenne die zweimalige Reform des Lebensmittelrechts, die entscheidende Reform, die im Jahre 1954 durchgeführt wurde, und eine zweite Reform, die wir 1974 verabschiedet haben. Ich nenne das Abzahlungsgesetz von 1967 und seine Novellierung zum verstärkten Schutz des Abzahlungskäufers gegen Übervorteilungen. Ich nenne das Arzneimittelgesetz, das in der Adenauer-Zeit entstanden ist und das wir heute nach Abschluß des Vermittlungsverfahrens im Vermittlungsausschuß noch einmal behandelt haben.
Meine Damen und Herren, seit 1969 befindet sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der parlamentarischen Opposition. Angesichts der gegebenen Mehrheitsverhältnisse war es in diesem Hause sehr schwer, eigene verbraucherpolitische Konzeptionen durchzusetzen. Die CDU/CSU-Fraktion beschränkte sich trotzdem nicht darauf, im Beratungsgang den Vorlagen der Bundesregierung und der Koalition zu verbraucherpolitischen Themen etwa nur zu folgen, sondern sie brachte eigene Vorstellungen ein und setzte sie durch. Sie ergriff auf verschiedenen Gebieten die Initiative und zwang damit die Bundesregierung, mit entsprechenden Gesetzentwürfen
nachzuziehen. Zu der Regierungsvorlage einer zweiten Kartellgesetznovelle machten wir z. B. folgende Änderungsvorschläge. Die CDU/CSU-Fraktion setzte sich in den Ausschußberatungen für ein Verbot der Verbraucherpreisempfehlungen bei Markenwaren zur Verbesserung der Preistransparenz des Verbrauchers ein. Ein entsprechender Antrag wurde von der Koalitionsmehrheit im Wirtschaftsausschuß jedoch abgelehnt.
Ich nenne das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung betreffend Verbraucherschutz im Makler- und Baubereich.
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Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat sich während der Beratungen nachdrücklich für den Verbraucherschutz gegenüber Grundstücks- und Anlagevermittlern, Bauträgern, Baubetreuern, Darlehensgebern und Darlehensvermittlern eingesetzt.
Ich nenne ferner den Bundesratsentwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes. Die CDU/CSU-Fraktion trat insbesondere für die durch das Gesetz geschaffenen neuen Schutzbestimmungen zugunsten des Verbrauchers ein.
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Ich nenne die Einführung des Widerrufsrechts - Herr Jens, das haben wir gemeinsam gemacht - des Käufers bei Abzahlungskäufen innerhalb einer Woche, gleichgültig, ob er an der Haustür, im Einzelhandelsgeschäft oder im Großkaufhaus kauft.
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Ich nenne die Pflicht des Verkäufers zur Belehrung über das Widerrufsrecht in einer deutlichen Form. Ich erinnere an die Verpflichtung zur schriftlichen Darlegung des effektiven Jahreszinses für das Abzahlungsgeschäft.
Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch den am 31. Januar 1975 eingebrachten Gesetzentwurf über Allgemeine Geschäftsbedingungen, dessen Debatte wir vorhin verfolgen konnten und der einstimmig verabschiedet wurde.
Am 6. November 1974 brachte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag zur Sicherung von Einlagen im Kreditgewerbe ein. Der Antrag sieht die Sicherung aller Spar-, Sicht- und Termineinlagen sowie Erlöse aus Sparbriefen von Privatpersonen und von kleinen und mittelständischen Unternehmen vor. Er sieht ferner eine Gewährleistung im Vergleichsoder Konkursfall von Forderungen bis mindestens 50 000 DM für alle Gläubiger vor, und zwar unabhängig von der Kontenhöhe.
Am 29. April 1974 haben 115 Abgeordnete meiner Fraktion den Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb eingebracht. Mit diesem Gesetz soll u. a. der Schutz des Verbrauchers vor Übervorteilung verstärkt, insbesondere Mißstände im Ausverkaufswesen und bei der Preisauszeichnung beseitigt werden. Die Gepflogenheiten des unseriösen Mondpreisvergleichs sollen für unzulässig erklärt werden.
Meine Damen und Herren, fürwahr eine Bilanz, die sich sehen lassen kann! Ich nehme an, daß diese meine Stellungnahme zum Zweiten Verbraucherbericht der Bundesregierung mit dazu beitragen wird, klarzustellen,
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welche Voraussetzungen die CDU/CSU entweder in Koalitionen zusammen mit der FDP oder der SPD oder auch aus der Opposition heraus gelegt hat, damit der Verbraucherschutz funktionieren kann.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen der FDP und SPD haben zum Zweiten Verbraucherbericht einen Entschließungsantrag vorgelegt. Dieser Entschließungsantrag, im Ausschuß von der Koalition durchgesetzt, gibt eine rein beschönigende Darstellung allgemeiner verbraucherpolitischer Zielsetzungen, ohne - wie ich vorhin schon dargelegt habe - auch nur mit einem einzigen Wort auf die kritischen Punkte der gegenwärtigen Verbraucherpolitik und die Situation der Verbraucher einzugehen. Die Probleme, die dem Verbraucher große Sorgen bereiten, nämlich die ständige Geldentwertung durch hohe Preissteigerungsraten, die Senkung des Realeinkommens durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, das Aufzehren von Lohnerhöhungen durch Steuerprogression und Sozialabgabensteigerungen, die Versuche der Bundesregierung, denen die Koalition zugestimmt hat, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Verbraucher erneut zu belasten, spricht die Entschließung überhaupt nicht an. Wir können deshalb diesem Entschließungsantrag unsere Zustimmung nicht geben.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit der Vorlage des Zweiten Berichts zur Verbraucherpolitik unterstrichen, daß sie in der vergangenen Legislaturperiode in der Verbraucherpolitik den begonnenen Weg konsequent und mit Energie fortgesetzt hat. Auch mit diesem Zweiten Bericht zur Verbraucherpolitik soll deutlich gemacht werden, daß die Verbraucherpolitik nach Auffassung der Bundesregierung kein Schattendasein am Rande der Politik führen darf, sondern ins Zentrum der Wirtschafts- und Ordnungspolitik gehört. Wir haben die verbraucherpolitischen Maßnahmen aus den verschiedenen Sachgebieten in ein umfassendes Gesamtkonzept eingeordnet. Wir zielen mit ihnen darauf ab, daß der Verbraucher als aktiver Marktpartner auftreten kann.
Mit diesem Zweiten Bericht zur Verbraucherpolitik hat die Bundesregierung neben ihrem Programm für die Zukunft zugleich einen Rechenschaftsbericht über die Verbraucherpolitik der vergangenen Jahre abgelegt. Wir wollten deutlich machen - und der Verbraucher kann das erwarten -, daß diese Bun18074
Pari. Staatssekretär Grüner
desregierung es nicht bei einer Aufstellung von Programmen beläßt, sondern daß in Ausführung dieser Programme auch konkret etwas ins Werk gesetzt wird.
Es gibt nur verhältnismäßig wenige Punkte aus dem ersten Verbraucherbericht von 1971, die bisher unerledigt geblieben sind. Selbst ein Teil der Maßnahmen, die im zweiten Bericht von 1975 noch als unerledigt aufzuführen waren, sind in der Zwischenzeit vom Parlament bereits verabschiedet worden oder stehen unmittelbar zur Verabschiedung an.
In diesen Jahren ist ein umfangreiches Gesetzgebungsprogramm zum Abschluß gebracht worden, das sich sehen lassen kann und das, wie die Regelung über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sogar Marksteine in der internationalen Rechtsentwicklung setzt.
Wir haben es immer für falsch gehalten, die Marktwirtschaft als ein statisches Element anzusehen, als eine Wirtschaftsordnung, die nur erhalten zu werden braucht. Die Marktwirtschaft ist ein dynamischer Prozeß, und sie muß sich mit ihrem Ordnungsrahmen ständig auf neue Bedürfnisse einstellen. Es wird uns zudem nur dann gelingen, diese Ordnung als Grundelement unserer Wirtschaftsordnung zu bewahren, wenn wir sie fortentwickeln und noch stärker mit Leben erfüllen.
Deswegen hat sich diese Bundesregierung mit Energie für die Kartellgesetznovelle des Jahres 1973 eingesetzt. Herr Kollege Hammans, wenn Sie auf die Verdienste der Opposition um diese Kartellgesetznovelle hier hingewiesen haben, dann muß ich doch daran erinnern, daß im Wirtschaftsausschuß des Bundestages zu jeder wichtigen Frage dieser Kartellnovelle sehr unterschiedliche Auffassungen Ihrer Fraktion deutlich wurden, unbeschadet der Zustimmung zu dieser Kartellgesetznovelle im Plenum dieses Bundestages.
Marktwirtschaft ist nicht nur und soll nicht nur eine Veranstaltung sein, die der Verbraucher als Schauspiel vor seinen Augen abrollen sieht. Er kann sich von der Marktwirtschaft auch nicht etwa lediglich bedienen lassen. Der Verbraucher muß in ihr eine aktive Rolle spielen, wenn der Wettbewerb funktionieren soll. Sicherlich ist es richtig, daß diese Funktion des Verbrauchers, die er auch zunehmend erkennt, nicht immer für alle Beteiligten bequem ist. Aber Marktwirtschaft mit Wettbewerb ist insgesamt keine bequeme, sondern eine anstrengende Sache, dies übrigens nicht nur für den Verbraucher, der schon einige Mühe aufwenden muß, wenn er die sich bietenden Chancen nutzen will.
Es wäre eine Illusion, zu glauben, und es käme einem Mißverständnis unseres politischen Bemühens gleich, wenn man meinte, die Verbraucherpolitik könne dem Verbraucher eigene Initiativen ersparen. Es wird immer beim einzelnen Verbraucher liegen müssen, ob er die sich bietenden Möglichkeiten nutzt.
Mit der staatlichen Verbraucherpolitik kann lediglich und muß aber auch - erreicht werden, daß dem Verbraucher keine unübersteigbaren Hindernisse für die Realisierung seiner Möglichkeiten entgegengesetzt werden. Dazu sind ihm neben rechtlichem Schutz Hilfen auch in Form gezielter Informationen für eine bessere Marktinformation zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise sollen aber immer nur die Voraussetzungen für eine eigene marktwirtschaftsgerechte Aktivität des Verbrauchers verbessert werden.
Im Bereich des Gesundheitsschutzes, wo bestimmte gesundheitsschädliche Produkte überhaupt vom Markt verbannt oder die Verwendung bestimmter Substanzen geregelt werden, muß der Staat allerdings auch weitergehende Maßnahmen ergreifen. Auch bei den gesundheitlich relevanten Produkten spielt jedoch die Information eine zunehmende Rolle. Dazu möchte ich nur auf die Gesamtreform des Lebensmittelrechts und auf das neue Arzneimittelrecht verweisen, die beide der Unterrichtung des Verbrauchers, einer besseren Unterrichtung als bisher, eine zentrale Rolle beimessen. Falsch wäre es aber, aus dieser unverzichtbaren Eigenverantwortung des Verbrauchers zu folgern, es bedürfe keiner Verbraucherpolitik oder jedenfalls keiner gesetzlichen Maßnahmen.
Der Verbraucher ist und bleibt als einzelner zu schwach, die erforderlichen Veränderungen am Markt und im Marktverhalten der Anbieter selbst durchzusetzen. Auch im Blick auf den Verbraucher ist es, wie für den Wettbewerb ganz allgemein, Aufgabe des Staates, den Ordnungsrahmen zu setzen, unlauterem Verhalten entgegenzutreten. Diese Gesetze entmündigen den Verbraucher nicht. Sie sind weit davon entfernt, irgend jemanden zu knebeln. Sie sind auch nicht gegen irgend jemanden gerichtet. Ihr Ziel besteht vielmehr darin, für den Verbraucher den Freiheitsraum zu vergrößern. Auch am Markt hat die Koalition dafür gesorgt, und zwar mit den Gesetzen, die ich hier angeführt habe, daß mehr Freiheit geschaffen worden ist.
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Gerade aus dieser ordnungspolitischen Sicht hält es die Bundesregierung aber auch für besonders notwendig, die verbraucherpolitischen Maßnahmen aus den unterschiedlichen Sachgebieten in ein einheitliches Konzept einzuordnen. Warum das so ist, wird jedem klar, der sich den umfangreichen Katalog der von den einzelnen Sachgebieten her durchaus heterogenen Maßnahmen ansieht. Entscheidend ist, daß mit den beiden Verbraucherberichten 1971 und 1975 dem Grundsatz nach die Zusammenfassung unter einem einheitlichen ordnungspolitischen Dach gelungen ist und daß sich die einzelnen Maßnahmen dann auch in ihrer Wirksamkeit sinnvoll ergänzen können. Die Zusammenarbeit der mit Verbraucherfragen befaßten Ressorts hat sich bewährt, und die Koordinierung ist gelungen. Sachverstand der fachlich zuständigen Ressorts und die Bereitschaft zur Einordnung in unser marktwirtschaftliches System waren dabei der Leitfaden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich mit Nachdruck der bisweilen zu hörenden Kritik entgegentreten, hier würden durch punktuelle Maßnahmen in diesem oder jenem Sachgebiet der ordnungspolitische Gesamtrahmen beeinträchtigt und der Marktwirtschaft Schaden zugefügt. Wer so argumentiert, hat die Ergebnisse der Verbraucherpolitik
Part. Staatssekretär Grüner
dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition nicht erfaßt. Er wird den einzelnen Maßnahmen, die in diesem Verbraucherbericht zusammengefaßt sind, auch nicht gerecht.
Sicherlich werden mit diesen Maßnahmen neue Daten gesetzt. Aber das ist ja gerade das Ziel. Alte Gewohnheiten der Marktbeteiligten werden sich ändern müssen. Kassandrarufe, die zu der einen oder anderen Maßnahme zu hören sind, sind deshalb nicht angebracht. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß die Unternehmen durchaus in der sind, sich auf neue ordnungspolitische Anforderungen, die das Funktionieren der Marktwirtschaft verbessern sollen, einzustellen und sich den Regeln des Wettbewerbs zu unterwerfen. Lassen Sie mich dazu nur an die jahrelange Diskussion um die Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand erinnern. Oder denken Sie an die mit der Verordnung über Preisangaben von 1973 eingeführte Verpflichtung zur Angabe des effektiven Jahreszinses. Die Verbraucher haben damit ein Datum erhalten, an dem Sie die Preiswürdigkeit verschiedener Kreditangebote vergleichen können. Diese Schlüsselfunktion haben auch die Kreditinstitute erkannt.
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In vielen Anzeigen wird heute mit dem effektiven Jahreszins der Kreditangebote geworben. - Herr Kollege, es ist eine ständige Aufgabe, die Wettbewerbsverhältnisse zu verbessern.
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Die Bundesregierung ist aber nicht etwa der Auffassung, daß notwendige Änderungen dieser Art allemal vom Gesetzgeber herbeigeführt werden müssen. Dies geschieht immer nur dort, wo der Wettbewerb von sich aus dies nicht bewirkt. Die Bundesregierung sieht zudem auch im Bemühen der Marktpartner, gemeinsam Maßnahmen zu erarbeiten und durchzuführen, die einem zusätzlichen Schutz und einer besseren Information des Verbrauchers dienen, einen wichtigen Beitrag zur Realisierung ihrer verbraucherpolitischen Ziele. Auf die vielfältige Normungsarbeit, in der die Stimme des Verbrauchers durch Einrichtung eines Verbraucherrats beim DIN nachdrücklich verstärkt worden ist, brauche ich nur hinzuweisen. Besondere Bedeutung messen wir dabei dem Bemühen der Marktpartner bei, eine allgemeine Produktinformation zu vereinbaren. Wir hoffen, daß hier sehr bald die Realisierungsphase erreicht wird.
Vom grundsätzlichen ordnungspolitischen Ansatz ihrer Verbraucherpolitik her hat die Bundesregierung einer verstärkten Verbraucherinformation von Anfang an ein besonders großes Gewicht beigemessen. Davon legt nicht nur die von den Ressorts ausgearbeitete Konzeption für die Verbraucherinformation und -beratung Zeugnis ab. Vor allem ist hierzu auch auf die nach Vorschlag der Bundesregierung vorgenommene deutliche Erhöhung der für die Verbraucherarbeit zur Verfügung gestellten Bundesmittel zu verweisen. Diese Mittel haben sich im Zeitraum von 1972 bis 1975 von 12,5 Millionen DM auf 25 Millionen DM verdoppelt. Dieser Aufwand hat sich gelohnt, wie alle Statistiken über den Absatz der Zeitschrift der Stiftung Warentest, die Inanspruchnahme der Beratungsstellen, das Interesse des Verbrauchers an den Verbraucherinformationen, die Verteilung des Informationsmaterials und die Verfolgung unlauterer Werbung zum Nachteil des Verbrauchers beweisen.
Die im Oktober des vergangenen Jahres vorgelegte Konzeption für die Verbraucherinformation und -beratung soll auf dieser Basis dazu beitragen, daß die Verbraucherinformation ihrer Qualität nach noch wesentlich verbessert und insbesondere auch auf solche Verbraucherkreise ausgedehnt wird, die bisher noch zuwenig von der Verbraucherinformation erreicht worden sind.
Meine Damen und Herren, wir sind in den vergangenen Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Aber es bleibt auch, wie der Bericht erkennen läßt, noch manches zu tun. Wir werden uns darin nicht beirren lassen - zum Nutzen des Verbrauchers, aber auch zur Stärkung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind zwar heute abend hier zahlenmäßig nicht sehr viel mehr als ein Bundestagsausschuß, aber wir sitzen hier in einer Zusammensetzung beieinander, die vielleicht Geschichte macht - in der Form, daß es einmal einen solchen Bundestagsausschuß geben sollte, in dem die Kompetenzen aus den verschiedenen Bereichen, die sich mit Verbraucherpolitik beschäftigen, zusammenlaufen. Ich fände das sehr vernünftig und verdienstvoll.
Herr Hammans, Ihre Rede war fleißig gearbeitet. Herzlichen Dank für die Zusammenstellung aller Gesetze, die im Laufe der letzten Jahre, seit 1949 in Ihren Parteipapieren programmatisch verankert, über diese Bühne gelaufen sind. Es ist allerdings der merkwürdige Widerspruch festzustellen, daß Sie heute nachmittag hier eine Aktuelle Stunde beantragt haben wegen der Informationspolitik der Bundesregierung und nun selber eifrig darangehen, uns alle hier als Zuhörer über das zu informieren, was an Gesetzen gelaufen ist.
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Auch in bezug auf die geistige Vaterschaft würde ich mich vielleicht nicht so aufspielen, wenn ich wie Sie der CDU angehörte. Ich darf Sie daran erinnern, daß der erste Verbraucherbericht schon so gut war, daß seine Ziele vor einigen Monaten von Ihrer Kollegin Frau Wex als Forderungen der Opposition verkauft worden sind - wörtlich, mit einer Auslassung, Herr Lenders: An dem Punkt, wo es um den verbreiterten finanziellen Spielraum für
die Verbraucher ging, hat Frau Wex einen wichtigen Punkt ausgelassen.
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- Wir sind uns einig, Herr Hammans, bloß müssen Sie dann bitte zugestehen, daß Sie leider Gottes um einige Jahre hinterherhinken. Sie konnten doch dem Entschließungsantrag diesmal auch nicht zustimmen. Vermutlich werden Sie dann in drei oder vier Jahren das, was wir hier an verbraucherpolitischen Zielen mit den Koalitionsfraktionen verabschieden werden, wiederum als verbraucherpolitische Ziele der Union verkaufen.
Wir alle sollten, wie Sie es auch getan haben, Herr Hammans, der Bundesregierung danken für die Vorlage dieses Berichts und für die Deutlichkeit, mit der sie sich für eine aktive Verbraucherpolitik - auch in Zukunft - ausgesprochen hat.
Die Opposition sagt oft, die beste Verbraucherpolitik sei eine gute Wirtschaftspolitik.
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Das stimmt. Die machen wir ja auch,
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und zwar nicht bloß im Wahlkampffieber. Ich darf vielleicht kurz zitieren, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", ja nicht gerade ein linkes Blatt, vor allem nicht in ihrem Wirtschaftsteil, die Dezember-Konjunkturübersicht überschrieben hat: „Der Verbrauch stützt die Konjunktur". Sie kommt zu dem Ergebnis, daß im Jahre 1975 bei einer zehnprozentigen Steigerung der Masseneinkommen, selbst wenn man die Teuerungsrate abzieht, immer noch eine reale Einkommensverbesserung um rund 4 0/o zu verzeichnen war. Das hat sich in den letzten Monaten fortgesetzt.
Das „Handelsblatt" - auch nicht gerade ein SPD-Blatt, wie Sie alle wissen - schreibt am 22. Juni: „Die Verbraucher lassen die Kassen klingeln". Das Blatt stützt sich auf eine Untersuchung, die von zwei Instituten gemacht worden ist, nämlich der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomie in Köln und der Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung in Nürnberg, welche auch nicht gerade SPD-nahe ist. Diese Forschungsstellen kommen zu dem Ergebnis, daß die Konjunktur durch Nachfrage abgestützt wird und daß die Verbraucher erheblich mehr ausgeben als noch vor einigen Monaten, daß die Sparraten nun erstmals ein wenig absinken und mehr Geld in den Konsum fließt.
Dabei ist ein Tatbestand besonders bemerkenswert, auf den Herr Friderichs bei seiner Rede anläßlich der Eröffnung der Verbraucherwoche im Oktober vergangenen Jahres intensiver eingegangen ist. Derselbe Zusammenhang wird dargestellt in einem Artikel des „Handelsblatts" unter der Überschrift: „Die Freizeit wird zum Motor des Konsums". Es ist nämlich ganz deutlich, daß sich die Konsumströme in unserer Wirtschaft verlagern: immer mehr in den Dienstleistungsbereich und in den Luxusgüter- und Freizeitbereich hinein.
Ich darf Sie auf eine Untersuchung hinweisen, die vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel durchgeführt worden ist. Diese kommt nämlich zu dem Ergebnis, daß die Konsumströme vor allem in größere und komfortablere Wohnungen wandern, auch als Zweitwohnungen, in Möbel und Heimtextilien, keramische Artikel und Sanitärwaren und Heimwerkerbedarf; außerdem in Geschirrspüler, Heimbügler, Wäschetrockner, Gefriergeräte und Kurzwellenherde; ferner in reparaturfreundlichere Kraftfahrzeuge und komplementäre Dienstleistungen; dann in Freizeitgüter wie Filmkameras und -projektoren, Sport- und Campingartikel, aber auch Gartengeräte und Haustiere; dann in Farbfernseher, elektronische Taschenrechner, berufliche Fortbildungskurse; schließlich in Dienstleistungen von Banken und Versicherungen und in persönliche Gebrauchsartikel wie z. B. Quarzuhren, Antiquitäten und Kunstgegenstände.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Gerne.
Frau Kollegin, darf ich Ihnen zur Bestätigung, aber auch zur Korrektur Ihrer soeben gemachten Aussagen über die Verlagerung des Konsums sagen, daß die Einzelhandelsumsätze in den letzten Monaten, wenn man den Kauf von Kraftfahrzeugen und das Gebrauchen von Mineralöl abzieht, real zurückgegangen sind?
Das mag in der globalen Statistik vielleicht zutreffen, Herr Müller-Hermann. Aber man muß, glaube ich, berücksichtigen, daß das in den einzelnen Branchen ganz unterschiedlich aussieht, sowohl bei den Möbeln, bei Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs wie auch bei Textilien. Die Umsätze in verschiedenen Branchen sind ganz außerordentlich hoch, gerade in den letzten Monaten. Von den Reisen wollen wir einmal gar nicht reden! - Ich möchte dann weiter fortfahren.
Mit den Verlagerungen der Konsumströme sind aber auch Verlagerungen der Wirtschaftsprobleme eng verbunden. Darauf möchte ich hier noch ein wenig zu sprechen kommen. Denn der Konsum ist ja heute nurmehr in zweiter Linie darauf gerichtet, die Menschen satt zu machen und zu kleiden; die Grundbedürfnisse sind befriedigt. Heute geht es viel stärker um die Ausrichtung des Konsums und um seine Qualität. Dabei meint Qualität zum einen die Entscheidung darüber, ob nun der Konsum mehr auf Waren oder mehr auf Dienstleistungen ausgerichtet ist oder sein soll oder ob es beim Konsum eher um private oder um öffentliche Angebote von Gütern und Dienstleistungen geht. Qualität meint aber zum anderen, daß uns Verbrauchern natürlich gesunde
Nahrung, sichere Geräte, unschädliche Arzneimittel, kindersicheres Spielzeug, lautere Kauf- oder Reiseveranstaltungsverträge und ebenso lautere Versicherungsverträge und ebenso lautere Versicherungsbedingungen angeboten werden. Dazu ist hier bei der Debatte um die Reform der Allgemeinen Geschäftsbedingungen soeben Ausführliches gesagt worden.
Die Entscheidung der Bürger fällt jetzt häufig zugunsten des Hallenbades, aber zu Lasten des neuen Bademantels, zugunsten des Volkshochschulkurses, aber zu Lasten des Leserings, für die U-Bahn, aber auch - das greift in den Bereich der Freizeit hinein - für Fahrräder, Autos, Rennmotorräder, Segelboote und Ähnliches.
Auf diesen Zusammenhang haben wir in dem Entschließungsantrag aufmerksam gemacht, den die Opposition leider nicht hat annehmen können. In ihm heißt es nämlich:
Der Bürger erfährt im Konsumbereich den augenfälligsten Freiraum seines täglichen Lebens. Wo Berufs- und Leistungszwänge mancher Art ihn einengen, hat er bei der Einkommensverwendung Chancen, sich seinen finanziellen Möglichkeiten entsprechend am Markt zu entscheiden und sich Wünsche zu erfüllen.
Das macht deutlich, daß die Koalitionsfraktionen es ernst meinen mit dem Freiraum des Bürgers in der Konsum- und Freizeitwelt.
Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch auf einzelne Punkte dieses Entschließungsantrages eingehen, um deutlich zu machen, wo wir, die Regierungskoalition, gern die Akzente setzen möchten, und weshalb wir eigentlich ein bißchen darüber verwundert sind, daß die Opposition dem nicht hat zustimmen können.
Der erste Punkt sagt nämlich, daß wir der Meinung sind, daß die Veränderung dieser Verbraucherbedürfnisse, von denen ich eben gesprochen habe, doch von der Regierung, die für den Schutz des Verbrauchers verantwortlich ist, beachtet werden muß. Die Regierung hat dem durch Gründung des Verbraucherbeirats beim Wirtschaftsministerium und durch Teilnahme von Verbrauchervertretern in der Konzertierten Aktion Rechnung getragen. Es ist hier aber noch anderes zu tun: daß man nämlich beispielsweise statistische Daten, die in Bundes- oder Landesämtern in verschiedenen Bereichen gesammelt werden, nutzbar macht, beispielsweise für Auswertungen in verbraucherpolitischer Hinsicht, was selten passiert.
Der zweite Punkt dieser Entschließung macht darauf aufmerksam, daß wir der Meinung sind, daß ein wirksamer Wettbewerb erhalten bleiben muß. Herr Hammans, nicht daß ich der Meinung wäre, Sie wollten den ganzen „Orientierungsrahmen '85" akzeptieren; aber ich würde Ihnen doch empfehlen, einmal nachzulesen, wie in einem Abschnitt dieses Orientierungsrahmens als Voraussetzungen für eine realitätsbezogene Wirtschaftspolitik - und die Verbraucherpolitik ist ja ein Zweig der Wirtschaftspolitik - in der Analyse die Punkte aufgelistet werden, wo der Markt als Steuerungsinstrument eindeutig versagt. Sie können nach den Gesetzen des Marktes weder Umweltschutz noch Verbraucherschutz noch Gesundheitsschutz garantieren, weil all dies Punkte sind, die durch Wettbewerb weggeputzt werden, wo also andere Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diese Schutzbereiche zu sichern.
Wir sind der Meinung, daß wir für wirksamen Wettbewerb sorgen müssen. Wir verfolgen infolgedessen auch sehr aufmerksam die Konzentrationsentwicklung im Handel, insbesondere was die Verbrauchermärkte angeht, wovon mein Kollege Jens schon gesprochen hat. Wir wachen aber auch ausgiebig darüber, daß der Machtmißbrauch marktbeherrschender Unternehmungen nicht überhand nimmt, was Sie selbst auch zugestanden haben; warum konnten Sie diesen zweiten Punkt des Entschließungantrages dann nicht annehmen?
Ich will an diesem Punkt, was den Wettbewerb angeht, doch auch noch ein Wort zur Werbung sagen. Mich - und ich glaube, nicht nur mich, sondern ganz sicherlich beispielsweise auch die vielen Damen, die hier auf der Zuschauertribüne Platz genommen haben - ärgert, was beim Komplex Werbung mit und vor Kindern in unserer Wettbewerbswirtschaft passiert.
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Das ist sicherlich etwas, wo wir uns in Zukunft noch etwas einfallen lassen müssen.
({1})
Der dritte Punkt dieses Entschließungsantrages besagt, daß wir der Meinung sind, die Verbraucherposition müsse durch eine Förderung der Verbraucherinformation gestärkt werden. Ich weiß nicht, warum Sie auch diesem Punkt nicht haben zustimmen können, denn es ist doch ganz klar, daß wir eine stärkere Interessenvertretung der Verbraucherschaft brauchen, zum einen dadurch, daß wir die Organisationen stärken und auch ihre Zusammenarbeit fördern, zum anderen aber auch dadurch, daß wir den Verbraucher als Individuum stärken. Denn eines ist doch ganz klar: Die Interessen des Verbrauchers sind zersplittert; er braucht sowohl den günstigen Nahverkehrstarif wie das Waschmittel, sowohl die Kamera wie modische Garderobe. Das ganze Spektrum aller Waren und Dienstleistungen muß das Individuum Verbraucher irgendwie am Markt überblicken. Die Anbieter und Hersteller von Waren und Dienstleistungen können demgegenüber ihre Macht am Markt jeweils viel gezielter ausspielen. Ich meine das gar nicht polemisch, sondern das ist ein Machtungleichgewicht, das in der Struktur unserer Wirtschaft und auch in der sozialistischer Wirtschaften gegeben ist. Infolgedessen ist es das Hauptproblem einer staatlich geförderten Verbraucherpolitik, hier für einen Machtausgleich Sorge zu tragen, und zwar einerseits durch gesetzliche Regelungen, wie wir dies heute durch die Annahme der Reform der Allgemeinen Geschäftsbedingungen erneut getan haben, andererseits, indem wir eben die Verbraucherorganisationen stärken.
({2})
Der vierte Punkt des Entschließungsantrags behandelt ein Thema, das, wie ich meine, Zukunft hat, nämlich die informative Warenkennzeichnung. Ich meine, wir sollten die Bundesregierung - und das sagt dieser Entschließungsantrag - bitten, sichverstärkt dafür einzusetzen, daß hier zwischen der Industrie, die dies freiwillig betreiben möchte, und den Anforderungen der Verbraucherorganisationen wirklich ein Ausgleich herbeigeführt wird, d. h., daß die verbraucherrelevanten Normen mit bestimmten Mindestanforderungen erarbeitet werden, die den Verbraucherschutz berücksichtigen, und daß dann zu einer informativen Warenkennzeichnung, die man auch „Produktinformation" nennt, geschritten werden kann. Ich begrüße es sehr, daß die Mehrheit des Wirtschaftsausschusses beschlossen hat, daß die Bundesregierung bis Mitte 1977 über die bis dahin gemachten Erfahrungen berichten soll.
Der fünfte Punkt betrifft die internationale Rechtsangleichung, die in zweierlei Hinsicht anstrebenswert ist: zum einen, weil wir wegen der Verflochtenheit unseres Marktes natürlich darauf achten müssen, daß unsere vorbildlichen nationalen Gesetze wie das Lebensmittelgesetz und das Arzneimittelgesetz nicht durch europäische Vorschriften etwa verwässert werden; zum anderen, weil wir gelegentlich - wie beispielsweise bei der Produktenhaftung, bei der Regelung der Verbraucherkredite und bei der Warenkennzeichnung - auf dem fußen können, was in den anderen europäischen Ländern betrieben worden ist.
Ich meine, für all diese Punkte braucht die Verbraucherpolitik künftig die Mithilfe dieser Bundesregierung.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Martiny, Sie haben von den Konsumbedürfnissen gesprochen, die weithin befriedigt worden seien. Ich meine, Verbraucherpolitik bedeutet auch, daß wir in besonderer Weise an die sozial Schwachen in unserem Lande denken, die heute noch ihre liebe Mühe und Not haben, die Dinge des einfachen Lebens zu befriedigen.
({0})
Herr Staatssekretär Grüner, Sie haben hier heute abend über die Bedeutung der Verbraucherpolitik geredet. Man muß sich einmal ansehen, welchen Stellenwert die Verbraucherpolitik im Jahresbericht 1975 der Bundesregierung - wir bekommen ja zur Zeit viel Material von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt - bei dem Teil, der dem Wirtschaftsministerium gewidmet ist, zugemessen ist. Es sind dort auf 45 Seiten ganze elf Zeilen. Vielleicht ist das auch ein Hinweis darauf, wie die Bundesregierung die Bedeutung der Verbraucherpolitik bewertet.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar kurze Bemerkungen zu einem Thema machen, das bei der Diskussion um die Verbraucherpolitik allmählich in das zweite Glied gerückt wird, nämlich zu dem Interessenkonflikt zwischen Erzeugern und Verbrauchern, der über Jahre hinweg immer vorhanden gewesen ist. Ich sage auch ganz offen: Es wäre ein zu frommer Wunsch, anzunehmen, daß die verschiedenen Standorte nicht mehr bestünden und durch den Ruf nach einer Partnerschaft ersetzt werden könnten.
Dennoch glaube ich, daß das Verständnis der Verbraucher und Erzeuger füreinander draußen im Lande gewachsen ist. Gleiches kann man wohl nicht in jedem Fall für die Verbände und Organisationen sagen. Hier haben sich die gegenseitigen Positionen im Verlauf der letzten Zeit eher verfestigt. Es wäre keine Beeinträchtigung der Autonomie und es fiele den Verbänden keine Perle aus der Krone, wenn man gelegentlich an einem Tisch säße, um sich gegenseitig besser zu informieren. Es ist auf Dauer niemandem gedient, wenn hier jeweils extreme Positionen vorgetragen werden.
Für die Verbraucherpolitik, meine Damen und Herren, ist der Ernährungsbereich nach wie vor von größter Bedeutung. Die Erzeuger haben die optimale Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sichergestellt, was man von ihnen erwartete. Darüber hinaus ist dem berechtigten Wunsch der Verbraucher nach einer breiten Angebotspalette und nach gesunden Nahrungsmitteln weitgehend Rechnung getragen worden. Diese Vielfalt des Angebots soll auch in Zukunft erhalten bleiben. Uns stört es dabei überhaupt nicht, wenn wir auch künftig mehrere hundert Wurstsorten in Deutschland auf den Märkten haben und damit den vielfältigen Wünschen der Verbraucher nachkommen können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein offenes Wort zur Preisentwicklung bei Nahrungsmitteln sagen, weil diese Frage natürlich immer ein großes Interesse bei den Verbrauchern findet. In den letzten Monaten hat es vor allem über die Kartoffelpreise lebhafte Diskussionen gegeben. Hierzu muß gesagt werden, daß die Preissprünge bei den Kartoffeln den Erzeuger in den meisten Fällen nicht mehr erreicht haben. Die Preiserhöhungen waren bei vielen Produkten in erster Linie nicht durch die Marktordnungen, sondern durch schlechte Ernten und zyklisch bedingte Anstiege verursacht. Aber auch am Beispiel der Kartoffel ist einmal mehr deutlich geworden, daß der Ruf nach Öffnung der Grenzen nicht weiterhilft, wenn wir eine Mangelsituation haben.
Ich möchte -es mir versagen, auf die im Mittelpunkt der Kritik stehenden Überschußprobleme einzugehen, weil die Kommission in Brüssel in der nächsten Woche darüber befinden wird.
Aber wenn über diese Fragen diskutiert wird, ist der Hinweis erlaubt, daß die gesamten Ausgaben des Vier-Personen-Haushalts für die Lebenshaltung wesentlich stärker als die Ausgaben für Nahrungsmittel gestiegen sind. Während wir im Vergleich von 1970 zu 1975 eine Steigerung der Gesamtausgaben für die Lebenshaltung von 65,7 % hatten, betrug diese bei Nahrungsmitteln im gleichen Zeitraum 34,4 %. Der Anteil der Nahrungsmittel an den Lebenshaltungskosten ging ständig
Sauter ({1})
zurück und lag 1975 bei 21,9 %. Die Vergleichszahl von 1970 lautet 27 %. Ich meine, die Gerechtigkeit gebietet es, daß diese Zahlen hier genannt werden, damit sie im öffentlichen Bewußtsein nicht untergehen.
Die Verbraucher fordern darüber hinaus zu Recht, daß ihnen gesunde Nahrungsmittel angeboten werden. Ich brauche hier nicht auf die vielfältigen gesetzlichen Maßnahmen zu sprechen zu kommen, die auch im Verbraucherbericht ihren Niederschlag gefunden haben. Es bleibt die Feststellung, daß die in Deutschland erzeugten Agrarprodukte den strengsten gesundheitlichen Maßstäben unterworfen sind. Dies ist in Ordnung. Nur müssen wir hier natürlich mit Nachdruck erneut die Forderung erheben, daß die importierten Waren mit gleichen Maßstäben gemessen und vermehrten Kontrollen unterworfen werden.
({2})
Wir fordern deshalb erneut einen verbesserten Verbraucherschutz vor allem bei Nahrungsmitteln in den Europäischen Gemeinschaften und begrüßen und unterstützen jede Initiative auf diesem Gebiet. Gegenwärtig bestehen für die deutschen Landwirte auf diesem Gebiet erhebliche Wettbewerbsnachteile.
Leider muß festgestellt werden, daß die Sicherstellung der Ernährung in Krisensituationen nicht hinreichend gewährleistet ist. Der Notvorrat für die Verbraucher ist allenfalls zur Hälfte vorhanden. Der Hinweis auf die Marktordnungsreserven kann nicht beruhigen, weil diese erheblichen Schwankungen unterliegen und auch regional unterschiedlich gestreut sind. 1974 wurden letztmals 49 Millionen DM für Ersatzbeschaffungen zur Verfügung gestellt. Im Etat 1975 und im Etat 1976 sind keine Mittel mehr ausgewiesen, obwohl es sich hier um ein einvernehmlich verabschiedetes Gesetz aus dem Jahre 1968 handelt.
Im Verbraucherbericht wird zu Recht darauf verwiesen, daß eine gesunde Umwelt zu den herausragenden Forderungen aller Verbraucher gehört. Ich erlaube mir hier den Hinweis, daß die Landwirte als Landschaftspfleger und Umweltschützer einen wichtigen Beitrag leisten und daß darüber hinaus durch die Verabschiedung des Naturschutzgesetzes, Kollege Susset, wichtige gesetzliche Voraussetzungen hierfür geschaffen wurden. Für den Verbraucher ist es sicher interessant, daß Landschaftspflege und Umweltschutz von der Landwirtschaft billig und zuverlässig durchgeführt werden.
Herr Dr. Hammans hat bereits in seinem Beitrag eindrucksvoll auf die Schwächen dieses Verbraucherberichts hingewiesen, besonders auf die schwerwiegenden Versäumnisse auf dem Gebiet der Vollbeschäftigungs- und der Stabilitätspolitik.
Einen schweren Schlag für die Verbraucher würde natürlich die von Regierung und Koalition beabsichtigte Erhöhung der Mehrwertsteuer bedeuten, wobei hier besonders deutlich anzumerken ist, daß die am stärksten Betroffenen die Verbraucher mit geringem Einkommen, also die sozial Schwachen, sind.
({3})
Schweren Schaden für den Verbraucher würde es auch bedeuten, wenn an den Fundamenten der Sozialen Marktwirtschaft weiter gerüttelt würde. Die Stimmen, die solches im Sinne haben, sind trotz Herannahen der Wahlen nicht zum Verstummen zu bringen. Mancher hier würde einen wichtigen Beitrag zur Verbraucherpolitik leisten, wenn er die Soziale Marktwirtschaft in unserem Lande mit Zähnen und Klauen verteidigen würde. Dies ist nämlich eine wesentliche Voraussetzung für jede vernünftige Verbraucherpolitik.
({4})
Wenn wir echte Verbraucherpolitik betreiben wollen, bedeutet dies, die Möglichkeit offenzuhalten für ein breitgefächertes Angebot an Waren, Diensten und Dienstleistungen. Verbraucherpolitik heißt: durch ein kontinuierliches Angebot eine breite Palette, Markttransparenz, Vergleichsmöglichkeiten und echte Konkurrenz.
Verbraucherpolitik bedeutet auch, daß der Staat, die öffentliche Hand, mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Aber gerade dort, wo der Staat eine Monopolstellung hat wie etwa bei der Bahn und bei der Post sind doch die Preise exorbitant gestiegen. Darüber finden wir in diesem Bericht kein Wort.
Wenn wir Politik für den Verbraucher betreiben wollen, muß doch auch eine hinreichend breitgestreute Zahl von Anbietern vorhanden sein. Hier muß gesagt werden, daß in der Zeit dieser Koalition zahlreiche mittelständische Betriebe auf der Anbieterseite ihre Tore geschlossen haben. Die seinerzeitige Aktion „Gelber Punkt" hat hier schweren Schaden angerichtet und war ein Bärendienst für den Verbraucher. Ein Verbraucherbericht hätte nach unserer Auffassung gerade auf die wachsenden Sorgen im Gesamtbereich der mittelständischen Dienstleistungsbetriebe verweisen sollen. Die Politik der letzten Jahre hat aber leider dazu geführt, daß in der jungen Generation kaum mehr Bereitschaft vorhanden ist, den eigenen Betrieb weiterzuführen, geschweige denn eine eigene Existenz zu begründen.
({5})
Wenn es hier nicht gelingt, meine Damen und Herren, eine Wende herbeizuführen, ist mit Sicherheit letzten Endes der Verbraucher der Leidtragende. In diesem Zusammenhang müssen wir uns selbstkritisch fragen, ob mittelständische Dienstleistungsbetriebe überhaupt noch in der Lage sind, alle Gesetze, die wir beschließen, und alle Verordnungen, die hier ergehen, zu beachten.
Verbraucherpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft heißt für uns, daß wir den Verbrauchern in zumutbarer Entfernung ein umfassendes Angebot an Dienstleistungen und Waren zur Verfügung stellen wollen. Herr Jens hat bereits darauf hingewiesen. Die regionale Strukturpolitik der letzten Jahre hat die Verbraucher in dünner besiedelten Gebieten weiter benachteiligt.
({6})
Sauter ({7})
Die Verkehrspolitik der letzten Jahre ist verbraucherfeindlich angelegt gewesen.
({8})
Im Verbraucherbericht der Bundesregierung wird auf die besondere schwierige Situation der sozial Schwachen und hier besonders der älteren Mitbürger, der Kranken, der Behinderten und der kinderreichen Familien überhaupt nicht eingegangen. Es wäre durchaus angebracht gewesen, diese Probleme im Zusammenhang mit diesem Bericht anzugehen. Dieser Bericht verschweigt wesentliche Aspekte der Verbraucherpolitik, die im ersten Bericht noch genannt waren. Herr Dr. Hammans hat bereits darauf hingewiesen.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Hier und heute ist nicht der Ort, Parteipolitik zu machen und Wahlprogramme zu verkünden. Wir wehren uns jedoch mit Nachdruck dagegen, daß eine Partei einen Alleinvertretungsanspruch geltend macht. Im Programm der SPD heißt es - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
Die SPD ist die einzige Partei, die schon immer aktive Verbraucherpolitik getrieben hat.
Dies ist eine Anmaßung und für die anderen Parteien eine Zumutung. Wir weisen dies mit Nachdruck zurück.
({9})
Verbraucherpolitik bedeutet nach unserer Auffassung, daß der Staat seinen Beitrag dazu leisten muß, daß der Markt kein Kampfplatz zwischen Anbietern und Nachfragenden wird, sondern daß der Verbraucher ein gleichgewichtiger Partner am Markt wird. Hierzu gehört ein umfassender Verbraucherschutz ebenso wie die Verbesserung der Information des Verbrauchers. Unser Ziel ist der mündige und der selbstbewußte Verbraucher.
({10})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir haben abzustimmen über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5174, mit dem Ihnen unter Ziff. 2 auch die Entschließung vorliegt. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und mehreren Enthaltungen angenommen.
Ich rufe jetzt Punkt 13 der Tagesordnung auf.
Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses ({0}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsund Vermögensrechnung des Bundes für die Haushaltsjahre 1971 und 1972 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
- Drucksachen 7/1242, 7/2709, 7/5350 - Berichterstatter: Abgeordneter Kulawig Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man eine der Hauptaufgaben des Parlaments in der Kontrolle der Regierung sieht, kann nur zutiefst bedauert werden, erstens, daß die tatsächliche Haushalts- und Wirtschaftsführung stets erst viele Jahre nach dem Ablauf des jeweiligen Haushaltsjahres im Parlament behandelt wird und damit notwendigerweise an Aktualität verliert. Ich bedaure - das ist auch ein Vorwurf an meine eigene Fraktion -,
({0})
daß bei der Frage des Kontrollrechts dieses Parlaments hier noch etwa 20 „Hanseln" - entschuldigen Sie, daß ich das so sage - sitzen und draußen dann unter Umständen mit ihren Wähler ganz anders verfahren.
({1})
- Herr Kleinert, Sie haben mich verstanden. Ich habe hier in erster Linie meine eigene Fraktion angesprochen.
({2})
Zweitens bedaure ich, daß für die Ausprache über die Entlastung der Regierung nach einer fast ständig gewordenen Übung nur wenig Zeit ist, in manchen Jahren sogar eine Aussprache unterblieben ist.
Der Opposition kommt, wie ich meine, im Entlastungsverfahren angesichts der engen Verzahnung zwischen Regierung und Regierungsfraktionen, gleichgültig, wie die Zusammensetzung sein mag, die entscheidende Aufgabe zu. Die Regierungsparteien sind - ich habe dafür sogar ein gewisses Verständnis - wenig geneigt, Rechtsverstöße ihrer Regierung bei der Verwaltung der Steuergelder offenbar werden zu lassen,
({3})
auch wenn - das möchte ich hervorheben - in der sachlichen Atmosphäre des Haushaltsausschusses objektives Fehlverhalten der Regierung auch von Mitgliedern der Regierungsparteien im Anschluß an die Bemerkungen des Rechnungshofes beanstandet worden ist. In der öffentlichen Diskussion indessen hat nur die Opposition die Unabhängigkeit, sichtbar gewordene Mißstände aufzuzeigen und politische Konsequenzen zu fordern.
Unter dem Druck des Schlußgalopps in der Gesetzgebung, was allerdings keine Entschuldigung für diesen leeren Saal zu sein braucht, muß ich mich auch bei der Erörterung der Haushalts- und Wirtschaftsführung in den Jahren 1971 und 1972, um die es sich dreht, auf wenige Bemerkungen und Beispiele beschränken. Nach dem Prüfungsergebnis des Rechnungshofes und des Rechnungsprüfungsausschusses ist in den Rechnungsjahren 1971 und 1972 keineswegs in allen Fällen die gebotene Sparsamkeit bei der Verwaltung der Steuergelder beachtet worden. Nicht nur das Verhalten untergeordneter Dienststellen ist zu beklagen; anzuspreLeicht
Chen sind auch und gerade finanzpolitische Sünden, für die Regierungsmitglieder persönlich Verantwortung zu tragen haben.
Der jetzige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich heute gern als grundsoliden Staatsmann feiern läßt,
({4})
hat als Verteidigungsminister ein böses Beispiel öffentlicher Verschwendung und Vetternwirtschaft auf Kosten des Steuerzahlers geliefert.
({5})
- Moment! Bitte, ich rede über 1971/72! Das steht in dem Bericht; dort können Sie es nachlesen. Zwei engen und hochgestellten Mitarbeitern verschaffte er durch sogenannte Beraterverträge für die Zeit nach ihrem Ausscheiden über Jahre hinweg ein beachtliches Zubrot. Das ist nicht meine Feststellung; das ist die Feststellung des Rechnungshofes.
Schlimmer aber noch sind die ständigen Mißachtungen des Haushaltsbewilligungsrechts des Parlaments, für die ebenfalls der Bundeskanzler als früherer Finanzminister persönlich in hohem Maße verantwortlich ist. Eines der Kernziele der Haushaltsrechtsreform, die wir mit den Stimmen aller Parteien am 1. Januar 1970 in Kraft gesetzt haben, war die Sicherstellung des Etatbewilligungsrechts des Parlaments und die Eindämmung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben am Parlament vorbei. Dem diente die Einführung eines zügigeren Nachtragshaushaltsverfahrens, die Neufassung des Art. 112 des Grundgesetzes und die Präzisierung der Voraussetzungen für das Notbewilligungsrecht.
Aber schon ein Jahr nach dem Inkrafttreten der Neuregelung schienen alle guten Vorsätze vergessen. Ich sage gleich zwischendurch: Das wurde im Jahre 1975 anders gehandhabt, und zwar so, wie das nach unseren Vorstellungen sicherlich allgemein der Fall sein muß. Im Jahre 1971 beliefen sich die Haushaltsüberschreitungen auf fast 2,4 Milliarden DM und waren damit nahezu zweieinhalbmal so hoch wir im Jahre vorher, 1970, als sie rund 1 Milliarde DM betrugen.
Selbst Abgeordnete der Regierungsparteien sahen Anlaß zur Kritik. Das festzustellen ist eigentlich erfreulich. Der Herr Kollege Haehser, der jetzt als Parlamentarischer Staatssekretär des Finanzministers auf der Regierungsbank sitzt, wies in der Sitzung des Haushaltsausschusses am 11. November 1971 ausweislich des Protokolls u. a. darauf hin, daß der Begriff „unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis" hier stimme ich ihm voll zu -, dessen Vorliegen Voraussetzung für eine überplanmäßige Haushaltsausgabe ist, von der Regierung in vielen Fällen hätte - nun wörtlich - „sachgerechter" ausgelegt werden müssen. Der Haushaltsausschuß kam in dieser Sitzung schließlich zu dem Ergebnis - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -, „künftig bedeutsame Änderungen in den Titelansätzen nur noch in der Form eines Nachtragshaushalt vorzunehmen".
Der neue Finanzminister, der Mitte 1972 Helmut Schmidt hieß, war also gewarnt, setzte sich aber noch bedenkenlos über Gesetz und Recht hinweg. Im Jahre 1972 gab er als Finanzminister mehr als 2 Milliarden DM an Steuergeldern aus, ohne dafür vorher die Genehmigung des Parlaments in Form des Haushaltsplans oder eines Nachtragshaushalts eingeholt zu haben.
Der Haushaltsplan 1972 ist aus bekannten Gründen erst am 20. Dezember 1972, also elf Tage vor dem Jahresende, vom Bundestag verabschiedet worden. In der vorhergehenden Sitzung des Haushaltsausschusses am 18. Dezember 1972 wurde die Regierung ausdrücklich nach etwa noch notwendigen überplanmäßigen Ausgaben gefragt. Mit keinem Wort deuteten die Vertreter der Regierung an, daß zusätzliche Leistungen über die bereits damals bewilligten Haushaltsüberschreitungen hinaus beabsichtigt seien.
({6})
Tatsächlich überwies der Finanzminister nach dem 20. Dezember 1972 zu Lasten des Rechnungsjahres 1972 noch 1 170 000 000 überplanmäßig an die Bundesbahn und 230 Millionen DM außerplanmäßig zur Ablösung der Zwischenfinanzierung der VEBA-Bezugsrechte an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, beides Zahlungen, die durch den Haushaltsplan nicht bewilligt waren.
({7})
Ich nehme gar keine Wertung vor, ich beanstande nur das Verfahren.
Zur Begründung erklärte der Finanzminister, die Ausgaben seien unabweisbar - elf Tage vor dem Jahresende, das muß man sich einmal vorstellen - und unvorhergesehen gewesen. Will man dem heutigen Bundeskanzler nicht unterstellen - ich tue das nicht -, daß ihm als Finanzminister jeglicher Überblick über seinen eigenen Haushalt. fehlte, so kann man diese Begründung nur als unverfroren und dreist bezeichnen.
({8})
Ich habe für die Opposition bereits damals diese krasse Mißachtung des Haushaltsbewilligungsrechts des Parlaments scharf kritisiert. Auch der Bundesrechnungshof hat in seinen Prüfungsbemerkungen zum Haushaltsjahr 1972, über die wir uns ja jetzt unterhalten, festgestellt, daß mehr als drei Viertel der über- und außerplanmäßigen Ausgaben in diesem Haushaltsjahr - es sind genau 1 540 000 000 DM - in verfassungs- und rechtswidriger Weise - das ist die Ausdrucksweise des Rechnungshofs - gegen das Haushaltsbewilligungsrecht des Parlaments verstoßen. Der Regierung muß schon deshalb sowohl für 1971 als auch für 1972 die Entlastung verweigert werden.
({9})
Dies um so mehr, als Finanzminister Helmut Schmidt im Jahre 1973 - allen Mahnungen zum Trotz - sein unbekümmertes Sich-Hinwegsetzen über Verfassung und Recht auf die Spitze trieb. Haushaltsbeträge von 4,5 Milliarden DM, die sich
durch Mehreinnahmen und Minderausgaben angesammelt hatten, gab er überwiegend in einer Art von Nacht- und Nebelaktion innerhalb weniger Tage am Parlament vorbei nach seinem Gutdünken für ganz verschiedene Zwecke aus.
({10})
Nachdem weder die Mahnungen der Opposition noch die Beanstandungen des Bundesrechnungshofes etwas gefruchtet hatten, entschloß sich die CDU/ CSU-Fraktion, wie Sie wissen, im Juli 1974, dem bösen Treiben für die Zukunft - auch gegen sich - durch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht Einhalt zu gebieten. Die Reaktion der Bundesregierung auf diese Klage bestand und besteht in erster Linie darin, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mit allen Mitteln zumindest zu verzögern.
({11})
Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Äußerungsfrist bis 15. Juli 1975 hielt die Regierung nicht ein.
({12})
Das Gericht bewilligte eine Fristverlängerung bis zum 1. November 1975 nur mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß eine weitere Äußerungsfrist nicht gewährt werden könne. Aber erst die Drohung des Verfassungsgerichts, daß nun nicht mehr gewartet werde, veranlaßte den Bundesfinanzminister, im Februar dieses Jahres - mehr als anderthalb Jahre nach der Klageeinreichung - endlich Stellung zu nehmen.
Die Regierung Schmidt und ihren Finanzminister April trifft, wie ich meine, der Vorwurf der Prozeßverschleppung. Kanzler und Finanzminister wollten und wollen das Verfahren ausschließlich nach ihren Terminvorschlägen ablaufen lassen. Dieses Verhalten wurde erstens vom Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl und zweitens von der erkennbaren Sorge um den Ausgang des Verfahrens diktiert. Die vom Verfassungsgericht abgelehnten Fristen nehmen sie sich einfach. Sie benehmen sich als Herren des Verfahrens. Der auch vom Bundesrechnungshof beanstandeten Mißachtung des Parlaments folgt die Nichtachtung des Verfassungsgerichts.
Die CDU/CSU-Fraktion appelliert deshalb an das Bundesverfassungsgericht, diese Verzögerungstaktik der Regierung, mit der sie sich vor der Verantwortung drücken will, zunichte zu machen. Es wäre rechtlich wie politisch gleich beklagenswert, wenn als Folge der Verzögerungstaktik der Regierung der bereits am 26. Juli 1974 mit der Klage erhobene Vorwurf eines eklatanten Verfassungsverstoßes gegen das Budgetrecht des Parlaments über zwei Jahre hinweg, also über mehr als die Hälfte der Legislaturperiode dieses Bundestages hinweg, ungeprüft bleiben könnte.
({13})
Das würde bedeuten, daß unser rechtsstaatliches System der balance of power nicht funktioniert. Es würde den Eindruck erwecken, die Regierung sei mächtig genug, dieses System außer Kraft zu setzen. Dazu darf es nicht kommen.
Lassen Sie mich zum Schluß - ich glaube, das muß man etwas schneiden - für die Opposition und, wie ich annehme, auch im Namen der Koalition dem Rechnungshof gegenüber den Dank für seine mühevolle Kleinarbeit zum Ausdruck bringen,
({14})
mit der er im Interesse aller Steuerzahler das Finanzgebahren einer Regierung durchleuchtet hat. Lassen Sie mich den Dank an die Kollegen dieses Bundestags anschließen, die mit noch mehr Aufwand an Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß prüfen, in erster Linie an den Vorsitzenden dieses Ausschusses, den Kollegen Kulawig.
Ich beantrage, der Empfehlung des Haushaltsausschusses in den Punkten 2 his 5 zuzustimmen und in Punkt 1 nicht zuzustimmen. Deshalb bitte ich, eine getrennte Abstimmung über Punkt i und über die Punkte 2 bis 5 durchzuführen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Kulawig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben aus den Ausführungen des Vorredners gehört, daß es ein Anliegen der Opposition ist, sich den Problemen der Haushaltskontrolle und der Rechnungsprüfung,
({0})
folgend der Spur des Bundesrechnungshofs, ausführlicher zu widmen, weil es die Befürchtung der Opposition ist, daß die anderen Parteien im Hause kein besonderes Interesse daran haben, und weil es sozusagen eine institutionelle Aufgabe der Opposition sei, diese Probleme wahrzunehmen.
Ich habe gezählt, wie viele Abgeordnete der Opposition den Ausführungen des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Sprechers der Opposition heute abend gelauscht haben. Unter Abzug seiner Person waren es vier. Es ist also offensichtlich nicht so ernst von der Opposition gemeint, wie ihr Sprecher das heute abend glauben machen wollte
({1})
und wie es der Rechnungshof - das ist im Lauf der letzten Jahre bei anderen Anlässen hier schon gelegentlich vorgetragen worden - eigentlich gern hätte, nämlich daß hier im Parlament der Arbeit, die er leistet, mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich meine, der Rechnungshof ist auf einer falschen Fährte, wenn er hofft, daß diese Aufgabe von der Opposition wahrgenommen werden könnte. Die andere Seite - ich meine die der Koalition - ist zwar entsprechend ihrer Mehrheit, aber auch nicht in großem Umfang stärker vertreten. Das zeigt
({2})
- das will ich fairerweise gesagt haben -, daß der ganze Bereich, über den wir heute eine Plenumsdebatte wagen, Herr Kollege Leicht, so sensationell und so wichtig gar nicht von allen Seiten des Hauses genommen wird.
({3})
Vielleicht können wir in den kommenden Jahren darüber nachdenken, woran das liegt.
Nur will ich gesagt haben: Der Pfad, der in der Zeit getreten worden ist, als die CDU/CSU die Regierung stellte und die Sozialdemokraten in der Opposition waren, ist offenbar nicht genutzt worden, um eine Tradition für eine aufmerksamere Haushaltskontrolle zu begründen. Das muß also offensichtlich erst unter den heutigen Verhältnissen ernsthafter dargelegt und zum Austrag gebracht werden.
Insofern hat mich auch gestört, daß Sie - wie Sie ausgeführt haben - zutiefst bedauert haben, daß die tatsächliche Haushalts- und Wirtschaftsführung stets erst viele Jahre nach dem Ablauf des jeweiligen Haushaltsjahrs im Parlament behandelt wird.
({4})
Ich als der Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses, als den Sie mich zum Schluß apostrophiert haben, habe zum Beispiel im Jahr 1973 die Aufgabe der Prüfung von Vorgängen gehabt, die sich im Jahr 1958 etwa im Zusammenhang mit der StarfighterEntwicklung und der Starfighter-Beschaffung abgespielt haben. Das war im Jahre 1973 gegenüber 1958. Dazwischen liegt also ein Zeitraum von 15 Jahren. Heute abend reden wir im Plenum des Deutschen Bundestages über Prüfungsvorgänge, die sich, was die über- und außerplanmäßigen Ausgaben des Jahres 1973 betrifft, Ende des Jahres 1973 abgespielt haben. Also immerhin: gegenüber einem Abstand von 15 Jahren, was die Aktualität dessen betrifft, was zu prüfen war in einer Zeit, als ich Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses wurde, liegen heute drei Jahre dazwischen. Im Vergleich zu früher sind wir der Realität und der Aktualität der Prüfungsvorgänge beträchtlich nahegekommen, und zwar seitdem die Sozialdemokraten im wesentlichen die Bundesregierung stellen.
({5})
- Ich will hier nicht unfreundlich sein. Sonst würde ich sagen: Es ist sowieso nicht ernst zu nehmen, was Sie hier einzuwenden haben. Ich will Ihnen das auch belegen. Das steht im Gegensatz zu einer Zeit, als der Vorredner selber nicht nur Angehöriger der Regierungspartei, sondern auch Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses gewesen ist.
Wir wollen also festhalten: Von seiten der heutigen Opposition ist keine Kritik berechtigt, die in die Richtung geht, daß man zu beklagen habe, daß keine Zeitnähe der Haushaltskontrolle bestehe. Wir haben seit der Zeit, wo wir dran sind, und seitdem wir im Rechnungsprüfungsausschuß die Möglichkeit haben, das Prüfungsverfahren zu beschleunigen, die Zeitnähe der Haushaltskontrolle und der Rechnungsprüfung gegenüber der Entwicklung vergangener Jahre, als Sie die politische Verantwortung als Regierungspartei getragen haben, erheblich verbessert. Insofern war das, was Sie hier als grundsätzliche Kritik angebracht haben, unberechtigt. Sie haben dabei nicht durchblicken lassen, daß sich in der Zwischenzeit eine beträchtliche Wandlung hin zur Aktualität durchgesetzt hat.
({6})
Wir prüfen jetzt sehr zeitnah. Zur Zeit prüfen wir im Rechnungsprüfungsausschuß das, was uns der Bundesrechnungshof an Prüfungsbemerkungen zum Haushaltsjahr 1973 vorgelegt hat. Was wir heute prüfen, liegt in der Zeit der Regierung und der Regierungskoalition, die heute dran sind. Das haben Sie zu Ihrer Zeit nie erreicht. Sie sind weit in der Historie geblieben. Ihr Vorwurf war also unberechtigt.
Ich war mir sicher, daß das Plenum an dem Gegenstand, den wir heute abend zu diskutieren haben, keinen großen Anteil nimmt. Ich hatte mir vorgenommen, dem Plenum heute abend zu sagen: Wir wollen hier nicht wiederholen, was wir in dem zuständigen Haushaltsausschuß und in dem zuständigen Unterausschuß im einzelnen geprüft haben; denn das ist ja nun die Aufgabe der Ausschüsse. Ich wollte vielmehr darauf hinweisen, daß Ihnen das, was wir im Rechnungsprüfungsausschuß und im Haushaltsausschuß als Ergebnis unserer Prüfung erarbeitet haben, als Drucksache 7/5350 vorliegt. Daraus können Sie entnehmen, zu welchem Resultat die zuständigen Ausschüsse bei ihren Prüfungsbemühungen gekommen sind.
Ich habe erleben müssen, daß Sie, Herr Kollege Leicht, nun doch in die Einzelheiten der Beschlüsse des Rechnungsprüfungsausschusses, die der Haushaltsausschuß bestätigt hat, eingestiegen sind. Sie sind dabei zu skandalös falschen Schlußfolgerungen gekommen. Denn Sie haben ausgeführt, daß der jetzige Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als Bundesverteidigungsminister ein böses Beispiel öffentlicher Verschwendung gegeben habe, indem er zwei engen und hochgestellten Mitarbeitern für die Zeit nach ihrem Ausscheiden über die Jahre hinweg sogenannte Beraterverträge und damit ein, wie Sie sagten, beachtliches Zubrot verschafft habe.
({7})
- Wenn Sie dabei waren, Herr Kollege Haase, als wir das im Rechnungsprüfungsausschuß behandelten, haben Sie dem ja wohl zugestimmt, was der Ausschuß einstimmig beschlossen hatte. Es ist einfach unfair, eine Sache - Sie können sie in der Drucksache, die Ihnen vorliegt, nachlesen -, die sachlich und ordnungsgemäß geprüft worden ist und zu einstimmigen Beschlüssen sowohl des Rechnungsprüfungs- als auch nachher des Haushaltsausschusses geführt hat, hier in dieser Art und Weise nachträglich zu entstellen.
Es handelt sich um zwei Fälle. Ich nehme den zweiten Fall vorweg, wo der Rechnungsprüfungsausschuß und der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gesagt haben - zunächst einmal grundsätzlich-, daß Beamte, die eine wichtige Funktion in
der Bundesregierung ausgeübt und sich besondere Spezialkenntnisse erworben haben im Zusammenhang mit einer bestimmten Spezialaufgabe, nachdem sie nun, weil die Pensionsgrenze dazwischengeraten ist, in den Ruhestand versetzt worden sind, im Sinne der Regierung, im Sinne des Parlaments, auch im Sinne des Steuerzahlers sinnvoll verwendet werden können, um diese Aufgabe noch zu Ende zu bringen.
({8})
- Sie waren ja auch nicht dabei, als wir das im Haushaltsausschuß, im Rechnungsprüfungsauschuß, beschlossen haben!
Dies muß dann beamtenrechtlich, nachdem sie in den Ruhestand getreten sind, geregelt werden. Es kann also sinnvoll sein, sie mit einem zeitlich begrenzten Auftrag mit ihrer Aufgabe noch weiter zu beschäftigen, weil sie eben noch einen gewissen Informationsvorteil haben, weil sie Fähigkeiten und Kenntnisse haben, die Nachfolger nicht haben könnten.
({9})
Dies haben der Rechnungsprüfungsausschuß und der Haushaltsausschuß auch entsprechend beschlossen. Ich rede vom zweiten Fall!
({10})
- Bitte, Herr Kollege Althammer
Herr Kollege Kulawig! Sind Sie nicht auch mit mir der Auffassung, daß dieses Schicksal, daß dann die Pensionsgrenze dazwischenkommt, eigentlich alle qualifizierten Beamten trifft?
({0})
Ja gewiß! Der Rechnungsprüfungsausschuß und der Haushaltsausschuß haben auch ausdrücklich gesagt: Darum kann man es nicht grundsätzlich ausschließen, daß ein fähiger, erfahrener Beamter, wenn er in den Ruhestand versetzt worden ist, auf dem Weg über einen Beratervertrag auch noch weiter beschäftigt wird.
({0})
Der Rechnungsprüfungsausschuß und der Haushaltsausschuß haben einstimmig beschlossen, daß dies grundsätzlich möglich sein muß, aber die Regierung aufgefordert, strenge Maßstäbe für die Erteilung solcher Berateraufträge aufzustellen.
({1})
Der andere Fall, der also der erste Fall gewesen ist, Herr Kollege Leicht, ist nicht geeignet, um in aller Breite und im Detail hier dargelegt zu werden,
({2})
weil es sich hier um eine bestimmte NATO-Aufgabe gehandelt hat. Aber auch hier haben der Rechnungsprüfungsausschuß und der Haushaltsausschuß gesagt: Dagegen, daß dieser Mann diesen Auftrag im Interesse der Bundesregierung dort aufgenommen hat, kann natürlich kein Mensch etwas einwenden. Die Bundesregierung hat pflichtgemäß gehandelt, als sie von der Möglichkeit, hier einen Beamten, einen General der Bundeswehr, mit dieser zivilen Aufgabe im NATO-Bereich zu beauftragen, Gebrauch gemacht hat. Da ergab sich nun ein Einkommensdefizit gegenüber den Möglichkeiten des Generalleutnants in der deutschen Bundeswehr und der Stellung, die er als Zivilbeamter im NATO-Bereich dort anzutreten hatte. Wir haben einhellig - der Kollege Haase, der da jetzt grinst, hat dabei mitgewirkt ({3})
festgestellt, daß wir als Rechnungsprüfungsausschuß zwar die Gesetze und die Verordnungen der Bundesregierung möglichst exakt eingehalten wissen wollen, daß aber dem Gesetzgeber nicht immer so weitmaschige Regelungen eingefallen sind, daß alle Spezialfälle auch exakt untergebracht werden können.
({4})
Der damalige Bundesverteidigungsminister hat im Interesse der Bundesrepublik gehandelt, als er den Mann auf diesen Posten berief.
({5})
Dies hat der Rechnungsprüfungsausschuß, hat der
Haushaltsausschuß ausdrücklich als richtig bestätigt.
({6})
Daß die Konkurrenten, mit denen der Mann es dort zu tun hatte, zum Beispiel sein Stellvertreter, der ein Amerikaner ist, aufgrund amerikanischer Verhältnisse, wesentlich höhere Bezüge und auch andere Möglichkeiten der Repräsentation auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers hatten,
({7})
hat hier zu einem gewissen Mißverhältnis geführt. Der damalige Bundesverteidigungsminister, der heutige Bundeskanzler, hat einen Weg gesucht, im Dschungel unseres Dickichts
({8})
- im Dschungel unserer Gesetze und Verordnungen -, der es ermöglichte, das Problem zu lösen. Der Rechnungsprüfungsausschuß ist der Auffassung gewesen, daß der Weg über den Beratervertrag nicht der geeignetste Weg gewesen ist.
({9})
Es hat sich niemand gefunden, der einen anderen Weg aufgezeigt hat. Wir haben gesagt, es möge die Bundesregierung in Zukunft an die Erteilung von Beraterverträgen schärfere, härtere Maßstäbe anlegen.
Ich wollte also - ich bitte um Entschuldigung, das ist noch im Vorfeld dessen, was wir hier überhaupt
zu diskutieren haben - nur darauf hingewiesen haben, daß es notwendig ist, wenn so argumentiert wird, wie es der Kollege Leicht getan hat, auf die Einzelheiten der Erörterungen im Rechnungsprüfungsausschuß einzugehen. Sie werden an diesem Beispiel merken, daß es durchgängig nicht beweisbar ist, der heutigen Bundesregierung - und eben auch dem Bundeskanzler in seiner früheren Eigenschaft als Verteidigungsminister, in anderem Zusammenhang auch in seiner früheren Eigenschaft als Bundesfinanzminister - zu unterstellen, daß sie in skandalöser Weise die Gesetze dehnt und verantwortungslos mit den Ausgaben umspringt. Gerade die Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß in der Zeit, in dem ich ihm angehöre, und in der Zeit, in der ich sein Vorsitzender war, zeigt - und das werden auch die Kollegen von Ihrer Seite, die dem Ausschuß angehören, ob sie wollen oder nicht, zugestehen müssen -, daß vieles erst in den Jahren, seit wir die Bundesregierung stellen und seit wir das gemeinsam machen, einigermaßen prüfbar gemacht worden ist.
Wenn wir den abenteuerlichen Bereich - ({10})
- Soll ich es Ihnen vorlesen? Ich habe die Unterlagen zur Starfighter-Beschaffungsangelegenheit unter dem Bundesverteidigungsminister Strauß da. Sie sollten sich die abenteuerlichen Verhältnisse früherer Zeiten einmal zu Gemüte führen. Der schrecklichste Bereich ist der des Bundesverteidigungsministeriums gewesen.
({11})
Erst seit Sozialdemokraten an der Spitze dieses Ministeriums stehen, ist mit Nachdruck darangegangen worden, die Sache in Ordnung zu bringen, sie durchsichtig zu machen, sie nachprüfbar zu machen, sie vom Charakter des Skandalösen frei zu machen.
({12})
- Sie erheben da Einwendungen. Ich habe mir, weil ich darauf gefaßt gewesen bin, daß man darüber heute abend diskutieren würde, ein Protokoll einer Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses mitgebracht. Es ist das der 9. Sitzung dieser Wahlperiode vom 22. März 1973.
1973 haben wir die Starfighter-Beschaffung aus dem Jahre 1958 im Rechnungsprüfungsausschuß behandelt - noch einmal ein Beitrag dazu, wie zeitnäher wir in der Zwischenzeit arbeiten, wenn wir uns heute mit über- und außerplanmäßigen Ausgaben vom Ende des Jahres 1973 beschäftigen.
Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was der Rechnungsprüfungsausschuß damals einstimmig - und nachher auch der Haushaltsausschuß - zu der Starfighter-Beschaffung beschlossen hat:
1. Bei der Entwicklung des Starfighters F 104 G sind erhebliche Mängel aufgetreten.
({13})
2. Der Vorgang der Entscheidungsfindung innerhalb des Ministeriums, insbesondere die Mitteilung von Bedenken auf der oberen Entscheidungsebene bis in die politische Entscheidung hinein, ist unzulänglich.
3. Die Dokumentation über die Entscheidungsfindung ist lückenhaft und hat möglicherweise den Entscheidungsfindungsprozeß sowie eine nachträgliche Würdigung und Prüfung erschwert.
Das heißt auf deutsch, daß die erforderlichen Akten für den Bundesrechnungshof gar nicht vorfindbar gewesen sind.
4. Im gesamten Verfahren hat sich das Bundesverteidigungsministerium nicht eine ausreichende Übersicht über die Zeit- und Kostenfaktoren verschafft.
Weiter:
Die Vorlagen des Bundesministers der Verteidigung von Oktober/November 1958 an den Haushalts- und Verteidigungsausschuß waren unzureichend, da auf die Notwendigkeit und die Folgen einer Umrüstung nicht hingewiesen wurde.
Weiter:
Es ist offen, ob dies auf mangelndem Erkenntnisstand des Ministeriums oder auf einer unzulänglichen Informationsbereitschaft des Ministeriums gegenüber den Ausschüssen zurückzuführen war.
Weiter:
Die Entwicklung des Waffensystems war entgegen den Erklärungen des Bundesministers der Verteidigung vor dem Verteidigungsausschuß im März und Juni 1962 noch gar nicht abgeschlossen.
Weiter:
Die Antwort des Bundesverteidigungsministeriums, warum hinsichtlich der unzureichenden Unterrichtung des Parlaments keine personellen Folgerungen gezogen worden sind, muß als unbefriedigend zurückgewiesen werden und wird mißbilligt.
Dies war ein einstimmiger Beschluß des Rechnungsprüfungsausschusses und nachher des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages.
({14})
Dies ist also nun, Herr Kollege Wehner, in dem trockenen Deutsch des Ausschußbeschlusses ausgedrückt worden. Wenn wir das im allgemeinen Gebrauchsdeutsch, so für jeden Bürger der Bundesrepublik übersetzt, ausdrücken wollten, dann müßten wir sagen
({15})
- in schlichtem Deutsch, Herr Kollege Möller, unter Beachtung der mir empfohlenen Vorsicht -: Das Parlament ist von dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß mehrfach anhaltend und nachdrücklich falsch unterrichtet worden.
({16})
Es wurden Steuergelder verschleudert, und es sind Menschenleben leichtfertig auf's Spiel gesetzt worden - oder auf bayerisch: ein Saustall ohnegleichen.
({17})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Bitte schön.
Herr Kollege Kulawig, wir haben das nun in tagelangen Sitzungen minutiös durchexerziert. Wenn jemand im Zusammenhang mit der damaligen Unterrichtung - ich bitte, mir das doch zu bestätigen - Ausführungen vor den Parlamentariern gemacht hat, die sich zumindest langfristig als problematisch erwiesen haben, dann war es nicht der Verteidigungsminister, sondern sein Inspekteur, der letztlich das Parlament veranlaßt hat, eine Hülse zu kaufen und kein Waffensystem.
Bitte eine Frage stellen, Herr Kollege!
Ich habe Ihnen vorgelesen, was Sie selber mit beschlossen haben, Herr Kollege Haase. Sie sind ja damals Berichterstatter gewesen. Ich habe es Ihnen heute, wie gesagt, noch einmal vorgelesen, weil Sie einen starken Drang verspüren, - ({0})
- Ich kann nur noch einmal sagen: Ich habe Ihnen vorgelesen, was wir damals einstimmig beschlossen haben. Der Kollege Haase ist Berichterstatter gewesen.
({1})
- Noch einmal: Der Kollege Haase ist damals Berichterstatter gewesen. Was ich Ihnen jetzt vorgelesen habe, ist ein einstimmiger Beschluß gewesen.
({2})
Um zu einem einstimmigen Beschluß der drei Fraktionen des Deutschen Bundestages und auch der Verantwortlichen für die damalige Beschaffung zu kommen - sowohl im Rechnungsprüfungsausschuß als nachher dann auch noch im Haushaltsausschuß -, bedarf es gewisser Formulierungskünste und gewisser Übereinstimmungen.
({3})
Was ich Ihnen jetzt vorgelesen habe, ist das Resultat jener Formulierungskünste gewesen,
({4})
die dazu geführt haben, daß das einstimmig beschlossen werden konnte. Wenn dies deutsch ausgesprochen worden wäre - ich habe versucht, das anzudeuten -, würde dies Ganze mit einem viel skandalöseren Ruch
({5})
in der deutschen Öffentlichkeit vorgetragen worden sein.
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Althammer?
Bitte schön, Herr Kollege Althammer.
Glauben Sie, daß die Interpretation, die Sie diesem Beschluß gegeben haben, dazu dienlich ist, daß sich der Rechnungsprüfungsausschuß künftig gemeinsam bemüht, gewisse Dinge zu klären, oder glauben Sie nicht vielmehr, daß es so ist, daß dann eben eine solche Übereinstimmung nicht mehr erreichbar ist?
({0})
Sie bringen präzise das zum Ausdruck, Herr Kollege Althammer, was ich nun am Ende dieser Wahlperiode als der Vorsitzende dieses Ausschusses dem Hause - ich wünschte, es wären mehr anwesend, als heute abend anwesend sind -, aber auch Ihnen gerade als Opposition gerne auf die Seele gebunden haben möchte. Ich kenne das Schicksal und Ergebnis all der Bemühungen der Untersuchungsausschüsse, die dieses Parlament seit seinem Bestehen eingesetzt hat. Der Rechnungsprüfungsausschuß hat - ich darf das so sagen eine leidlich ordentliche Arbeit geleistet in Erkenntnis dessen, daß von allen Regierungen immer Fehler gemacht werden. Wenn dem Parlament daran liegt, daß im Interesse des Steuerzahlers solche Fehler abgestellt werden, dann muß hier eine faire,
({0})
eine sachliche, eine nüchterne Diskussion geführt werden, wie sie bisher bei unserer Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß geführt worden ist.
({1})
Aber wenn Sie versuchen, daraus dann nachher vor dem Plenum und vor der deutschen Öffentlichkeit Skandale zurechtzuzimmern, dann lähmen Sie die sinnvolle Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses, und dann werden Sie auch die Arbeit des Bundesrechnungshofes lahmlegen, weil dann auf der einen Seite die Auffassung der Koalitionsmehrheit, auf der anderen Seite die der Opposition zur Abstimmung gestellt wird.
({2})
Bemühen Sie sich, wie ich das in den vier Jahren getan habe, in denen ich der Vorsitzende dieses Ausschusses gewesen bin, einen Beitrag dazu zu leisten, die Mühen, die sich der Bundesrechnungshof gemacht hat und die ich heute abend auch ausdrücklich anerkennen möchte,
({3})
und die Aufgabe, die das Parlament in der Gesamtheit seiner Abgeordneten hat, die nicht nur die politische Verantwortung tragen, sondern auch die politisch erfahrenen Leute sind, so zu übersetzen, daß die Bundesregierung daraus Schlußfolgerungen ziehen kann!
({4})
Lassen Sie mich aber trotzdem abschließend auch noch gesagt haben: Die Bundesrepublik hat ja auch einen Reifeprozeß durchlaufen. Was damals unterlaufen ist, was damals sozusagen zur Tagesordnung gehört hat, das könnte heute nun weiß Gott als skandalös angesehen werden. Wir haben alle dazugelernt; die Verwaltung hat ihre Erfahrungen gesammelt. Gerade von dem Bereich - ich habe ihn angeschnitten -, von dem heute abend hier die Rede gewesen ist, vom Verteidigungsbereich, kann man sagen: Seit Helmut Schmidt und seit Georg Leber Verteidigungsminister gewesen sind bzw. sind, ist eine immense Arbeit aufgewendet worden, um den Apparat ordentlich zu organisieren, ihn durchschaubar zu machen und ihn auch für die öffentliche Anteilnahme durchsichtig zu machen - im Gegensatz zu dem, was in früheren Jahren passiert ist
({5})
und was nur als Zumutung hinsichtlich der Überwachungsaufgabe der parlamentarischen Demokratie angesehen werden kann.
({6})
- Frau Präsidentin, ich weiß, daß ich zu Ende kommen muß. Darum: Befleißigen Sie sich einer gewissen Bescheidenheit; denken Sie an die Sünden, die Sie in der Zeit, in der Sie regiert haben, für den Bereich der Haushaltskontrolle zu verantworten haben, und versuchen Sie, ein bißchen die Bemühungen der heutigen Koalition anzuerkennen und auch die Bemühungen des Rechnungsprüfungsausschusses und des Haushaltsausschusses, diese gesamte Haushaltskontrolle durchsichtiger zu machen!
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es darf füglich bezweifelt werden, daß die Opposition allein die Fähigkeit besitzt, ein Fehlverhalten der Regierung in der Öffentlichkeit zu kritisieren, wie es der Herr Kollege Leicht hier heute rühmend für die Opposition behauptet hat.
({0})
- Aber, verehrter Herr Kollege Leicht, ich würde diese Frage in dieser Stunde sehr gern dahingestellt sein lassen. In jedem Fall - und das ist, scheint mir, offensichtlich geworden - fehlt der Opposition dazu die innere Bereitschaft; die Teilnahmslosigkeit zeigt es überdeutlich.
({1})
Aber wenn der Kollege Leicht in seinem Diskussionsbeitrag das Schwergewicht wieder auf die über- und außerplanmäßigen. Ausgaben des Haushaltsjahres 1973 legt,
({2})
ist das eigentlich nicht das Thema des Abends und das Thema unseres Beschlusses. - Verehrter Herr Kollege Möller, liebenswerter Trave-Entkrauter, lassen Sie uns heute abend schnell zum Schluß kommen, und stören Sie nicht weiter die Diskussion!
Ich kann und will nicht antworten, daß Sie und wir, wenn wir Aufsatzthemen so bewältigt hätten, am Rande „Thema verfehlt" stehen gehabt hätten. Das will ich nicht, denn ich weiß, verehrter Herr Kollege Leicht, daß Sie deshalb auf 1973 vorgreifen, weil das Ihren Beitrag und Ihre veränderte Bewußtseinslage von der Beratung im Rechnungsprüfungsausschuß über den Haushaltsausschuß bis zu dieser Sitzung im Plenum begründet und erklärt. Denn Sie wollten eine gemeinsam geleistete, gemeinsam abgeschlossene Arbeit mit dem Vorbehalt der verbalen Kritik einstimmig erledigen. Sie glauben es nicht tun zu können, weil Sie fürchten, sich damit für den anhängigen Verfassungsrechtsprozeß zu präjudizieren. Ich kann das nur zur Kenntnis nehmen und so diesen Sinneswandel als - nach meiner Meinung nicht überzeugend, aber doch wenigstens bemüht - aufgeklärt ansehen.
Meine Damen und Herren, über die Prozeßgeschichte des Verfassungsstreitverfahrens selbst wird erst später berichtet, und dann, so meine ich, werden wir auch Aufschluß darüber bekommen, warum sich die Opposition so schwer getan hat, ihre Klage zunächst überhaupt zu begründen. Aber das mag dann das Pendant dazu sein, verehrter Herr Kollege Leicht, daß Sie jetzt für den zweiten Teil der Prozeßgeschichte der Regierung vorwerfen, nun
ihrerseits die Verzögerung veranlaßt oder beeinflußt zu haben. Darüber aber, so meine ich, kann und sollte heute hier nicht weiter kontrovers diskutiert werden. Heute kann das Haus so beschließen, wie der Ausschuß die Beschlußvorlage formuliert hat. Im Ausschuß waren wir alle noch der Meinung, daß so beschlossen werden kann.
({3})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Haehser.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Zunächst dankt die Bundesregierung dafür, daß der Beschlußvorschlag so lautet, wie er dem Hohen Hause vorgetragen worden ist. Aber ein paar Bemerkungen erscheinen mir dennoch angebracht.
Wenn die Tagesordnung richtig ausgedruckt ist
- und davon gehe ich aus -, dann geht es heute abend um die Entlastung der Bundesregierung für die Haushaltsrechnung der Jahre 1971 und 1972.
({0})
- Natürlich.
Gesprochen wurde vielfach über Dinge, die mit dem heutigen Tagesordnungspunkt nichts zu tun haben. Ich will trotz dieser Tatsache nicht verabsäumen, dem Haushaltsausschuß und seinem Vorsitzenden, dem Herrn Kollegen Leicht, recht herzlich für die Arbeit zu danken, die ich immer als eine objektive Kontrollbegleitung der Bundesregierung betrachtet habe. In diesen Dank schließe ich auch den Herrn Abgeordneten Kulawig als den Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses ein, der - freilich in etwas günstiger Zeit - im Nachholen der aufgestauten Probleme mehr erreicht hat als eine Vorgänger.
({1})
Meine verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auf eine Bemerkung von Ihnen, Herr Leicht, zurückkommen. Sie haben gesagt, der Bundeskanzler gäbe sich als ein Mann, der von Wirtschaft und Finanzen etwas versteht.
({2})
Sie wissen genau wie ich, daß er sich nicht so gibt, sondern daß er der Mann ist, der von diesen Problemen etwas versteht.
({3})
Wenn Sie es nicht zugäben, daß er dieser Mann ist, müßte ich die Welt zum Zeugen für diese meine Behauptung aufrufen.
({4})
- Die ganze Welt, außer jenen Teilen, wo man noch nicht lesen und schreiben kann, Herr Kollege Möller.
Nun ist es für die Bundesregierung keine Überraschung, daß über- und außerplanmäßige Ausgaben der Jahre, die wir kennen, eine Rolle spielen. Ich möchte Ihnen dazu noch einmal folgendes sagen, Herr Kollege Leicht. Im Jahre 1963 betrugen die über- und außerplanmäßigen Ausgaben, gemessen am Ausgabensoll des Bundeshaushalts, 3,7 Prozent. 1965 hat die damalige Bundesregierung
({5})
einen Rekord erreicht, nämlich 6,5 Prozent des Ausgabensolls des Bundeshaushalts.
({6})
1968, Herr Kollege Leicht, als Sie, wenn ich mich recht erinnere, einer meiner Vorgänger als Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium waren,
({7}) betrug der Anteil 4,4 Prozent des Ausgabensolls.
Ich sagen Ihnen heute, trotz aller Ihrer Beanstandungen: Diesen Anteil von 4,4 Prozent, der während Ihrer Tätigkeit im Finanzministerium erreicht worden ist, haben wir nie wieder erreicht. Das möchte ich Ihnen einmal zu bedenken geben, damit Sie bei Ihrer Kritik meinetwegen oder gefälligst ein bißchen vorsichtiger sind.
({8})
Nun haben Sie die Bemerkung gemacht, die Bundesregierung hätte sich bei der Beantwortung Ihrer Frage Zeit gelassen.
({9})
- Herr Kollege Möller, Sie können die Daten nicht wissen, woher denn auch; Sie haben andere Interessen.
({10})
Hier muß ich Ihnen sagen, daß sage und schreibe acht Monate, Herr Kollege Althammer, von der Einbringung Ihrer Klage bis zu dem Zeitpunkt verstrichen sind, da wir endlich die Begründung dafür hatten. Vorher konnten wir überhaupt nicht dazu Stellung nehmen.
({11})
- Natürlich weiß ich es; Sie haben es mir ja selber
gesagt. Ihr Berater, oder wie man das nennt, Ihr Fachmann,
({12})
Ihr Gutachter, hat versagt. Ich würde ja sagen: Hier hat die Opposition versagt, weil sie dem Gutachter nicht genügend Materialien geliefert hat. Deshalb mußte es ja so kommen.
({13})
Wie auch immer es sei: Eine Verzögerung von acht Monaten werden Sie der Bundesregierung überhaupt nie nachweisen können, weil wir uns ganz getreu an unsere Rechte und an unsere Pflichten halten.
({14})
Ich will hier das wiederholen, was ich damals gesagt habe, als Ihre Klage eingereicht wurde: Wir sehen sehr gelassen dem Ergebnis der Klage entgegen. Ich will Ihnen auch sagen, weswegen: weil Sie gespalten sind in Ihrer Begründung. Sie sagen, das, was die der Bahn gezahlt haben, war falsch, und das nehmen Sie in Ihre Klage auf. Sie sagen: Die Ablösung der VEBA-Bezugsrechte war falsch; das haben Sie, wie ich glaube, später in Ihre Bemerkungen aufgenommen.
({15})
- Sie sagen, Herr Kollege Althammer, die Kapitalerhöhung für Salzgitter war falsch, obwohl sie dringend nötig war, wie jedermann weiß.
({16})
- Aber wenn Sie gegen etwas klagen, was alles richtig war, dann muß ich an Ihrem Verstand zweifeln! Sie haben z. B. in Ihre Klage nicht aufgenommen
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Althammer?
Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht auch mit mir bedauerlich, daß Sie so wenig über den Inhalt der Klage orientiert sind, daß Sie nicht wissen, daß wir ausdrücklich erklärt haben: über die Notwendigkeit der Maßnahmen wird hier nicht gerechtet, sondern allein über die verfassungsrechtliche Frage, ob Sie diese Bewilligung ohne das Parlament hätten erteilen können?
({0})
Lieber Herr Kollege Althammer, Ihre Zwischenfrage veranlaßt mich dazu, Sie zukünftig nicht mehr als Menschen, sondern als Formalisten einzustufen; das haben Sie sich selber zuzuschreiben.
({0})
Ich will aber folgendes noch einmal sagen. In der von Ihnen wohlbegründeten Klageschrift haben Sie z. B. die Tatsache des Erwerbs der Gelsenberg-Aktien für den nationalen Ölkonzern VEBA/Gelsenberg nicht erwähnt. Bei einer anderen Gelegenheit hatte
ich dazu hier gesagt: mit der Größe der Pfarre dürfen sich die Grundsätze nicht verändern. Ich sage Ihnen: Sie haben das nicht erwähnt, weil die Schaffung des nationalen Ölkonzerns eine populäre Maßnahme war. Ihre Klage ist im Grunde genommen überhaupt nicht lesenswert. Das ist das Urteil, das ich Ihnen abgeben will.
({1})
- Ich will Ihnen dazu etwas sagen. Jemand, der mehr als zwei Jahrzehnte einem Parlament angehört, der hat schon Achtung davor; aber wenn er sich selber ernst nimmt, - ({2})
- Sie können überhaupt nichts verwerten; dazu
fehlt Ihnen etwas, Herr Möller. Jemand, der zwei Jahrzehnte einem Parlament angehört, der nimmt es nicht nur ernst, sondern der tut auch viel dafür, daß es ernst genommen wird.
({3})
Was Sie mit Ihrer Klage dafür getan haben, gehört nicht in diesen Bereich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer?
Ja, bitte!
Herr Kollege Haehser, wenn Sie die Sache wirklich so ernst nehmen, haben Sie dann als Aufsichtsratsvorsitzender der Salzgitter AG völlig übersehen, daß nicht ich in Gesprächen mit Vorstandsmitgliedern und Betriebsräten unsere Stellung dargelegt habe, daß selbst der Generalsekretär der Union, Herr Professor Biedenkopf, nach Salzgitter gekommen ist, um gerade mit Ihren Herren des Aufsichtsrates und mit allen Betriebsräten unsere Lage darzustellen? Insofern verstehe ich überhaupt nicht, daß Sie hier von diesem Pulte aus nochmals diese billige Polemik bringen, wir wären gegen die Erhöhung des Kapitals der Salzgitter AG. Wir haben vielmehr mit der Begründung, wie ich es gesagt habe, gegen das Verfahren protestiert. Ich hätte mich als Betriebsrat innerhalb des Salzgitter-Konzerns genauso dagegen verwahrt, wenn die Geschäftsleitung uns, den Betriebsrat, nicht an Entscheidungen beteiligt hätte. Sie haben es als Regierung mit uns Parlamentariern jedoch gemacht. Darum der Weg nach Karlsruhe!
Herr Kollege Sauer, halten ten Sie bitte im Rahmen der Zwischenfrage keine Referate!
Wissen Sie, ich finde es fast be18090
lustigend, daß Sie sich darum bemühen, die Kapitalzuweisung an die Salzgitter AG als unabweislich darzustellen und dennoch dagegen klagen, daß sie erfolgt ist. Ich finde das belustigend.
({0})
- Herr Kollege Wehner, ich muß Ihnen mit Ihrem Zwischenruf recht geben.
({1})
Ich verlasse mich hier sehr auf das Bundesverfassungsgericht; denn das hat bisher - so wird es auch bleiben - zwischen Späßen und politischen Anliegen zu unterscheiden vermocht.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Es wird getrennte Abstimmung zu Ziffer 1 des Ausschußantrages verlangt. Wer dem Antrag des Auschusses unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Ziffern 2 bis 4 des Ausschußantrages. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit ist der Ausschußantrag im ganzen angenommen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 20 und 21 der Tagesordnung auf:
20. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern ({0})
- Drucksache 7/5192 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/5348 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({2})
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 7/5296 Berichterstatter: Abgeordneter Berger
Abgeordneter Dr. Wernitz ({4})
21. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Anderung des Diätengesetzes 1968
Drucksache 7/5247 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
-- Drucksache 7/5454 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({6})
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses ({7})
- Drucksache 7/5357 - Berichterstatter:
Abgeordneter Berger
Abgeordneter Liedtke
({8})
Wir haben eine verbundene Debatte. Das Wort in der Debatte hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den beiden eben angesprochenen Gesetzen einige kurze Ausführungen machen, zum einen zum Fünften Besoldungserhöhungsgesetz und zum anderen zum Dritten Gesetz zur Änderung des Diätengesetzes 1968. Gleichzeitig darf ich im Namen der Koalitionsfraktionen den Änderungsantrag der Opposition hier mit ansprechen und erläutern, warum wir diesen Antrag ablehnen.
Rückwirkend vom 1. Februar dieses Jahres werden die Bezüge der Beamten, Richter und Soldaten sowie der Versorgungsempfänger des Bundes, der Länder und der Gemeinden linear um 5 Prozent, mindestens aber um 85 Mark angehoben. Damit werden die Grundgehälter und Ortszuschläge der Beamten an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten und an die Erhöhungen der Löhne und Gehälter für die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst angepaßt. Die Zulagen werden grundsätzlich nicht berührt, um ihre Harmonisierung in Bund und Ländern nicht zusätzlich zu erschweren.
In diesem Zusammenhang kann man festhalten, daß der öffentliche Dienst in diesem Jahr nicht die Rolle der Lohnführerschaft gehabt hat. Der öffentliche Dienst hat im Einkommen keine Spitzenreiterfunktion. Ein globaler Besoldungsrückstand ist aber ebensowenig festzustellen. Dies ist mit eine entscheidende und wesentliche Leistung der sozialliberalen Bundesregierung und Koalition seit 1970. Schließlich - auch dies sollte hier nicht verschwiegen werden , diese Besoldungsanpassung ist anständig, fair und maßvoll zugleich im Ergebnis.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus wissen wir, daß trotz zahlreicher struktureller Besoldungsverbesserungen seit 1969 manche Wünsche offengeblieben sind. Bund und Länder haben sich am 19. Dezember 1974 für den Bereich des öffentlichen Dienstes bekanntlich auf ein Stillhalteabkommen, auf ein Stillhalten bei kostenintensiven Strukturverbesserungen bis Ende 1976 verpflichtet. Im NoDr. Wernitz
vember und Dezember 1975 wurde mit den Stimmen der Koalition und der Opposition das Haushaltsstrukturgesetz verabschiedet. In seinem Rahmen leistet auch der öffentliche Dienst einen Sparbeitrag.
Andererseits wäre der Eindruck völlig falsch, daß die Koalition nunmehr dem öffentlichen Dienst gegenüber einen Kurswechsel vorgenommen habe. Wir werden weiterhin für eine angemessene Bezahlung im öffentlichen Dienst eintreten und Besoldungsstrukturen unter Berücksichtigung der Ziele des Aktionsprogramms zur Dienstrechtsreform korrigieren. In dieser Legislaturperiode können jedoch keine kostenintensiven Maßnahmen mehr getroffen werden. Wir vertrauen darauf, daß die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die Einsparungsmaßnahmen als notwendige Entscheidung im Rahmen eines Gesamtprogramms zur Konjunkturbelebung und im Zusammenhang mit der Bilanz bisheriger Maßnahmen für den öffentlichen Dienst respektieren.
Meine Damen und Herren, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind die Mitbürger in diesem Staat, die in unserem Auftrag für uns alle staatliche Leistungen erbringen. Ihnen gebührt auch in diesem Rahmen der Debatte von heute hier Dank für die geleistete Arbeit und Anerkennung.
({0})
Wir werden wie bisher jede unsachliche, pauschale, undifferenzierte, unberechtigte Kritik an den Beschäftigten im öffentlichen Dienst energisch zurückweisen.
({1})
Dies sind wir dem öffentlichen Dienst gegenüber schuldig.
Wir setzen uns weiterhin für den Ausbau der öffentlichen Leistungen und für die Reform der öffentlichen Verwaltung und des öffentlichen Dienstrechtes ein. Denn ohne öffentliche Leistungen ist weder heute noch morgen der Grundwert sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen.
({2})
Lassen Sie mich nun einige wenige Anmerkungen zu dem zweiten eingangs genannten Gesetz machen. Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, verzichten 1976 auf die Erhöhung der Grunddiäten, der Aufwandsentschädigung. Zu diesem Zweck haben alle drei Fraktionen des Bundestages einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Damit folgen die Volksvertreter dem Sparappell an den öffentlichen Dienst. Eine Reihe solcher Sparmaßnahmen wurde bekanntlich schon Ende 1974 mit dem Haushaltsstrukturgesetz, das nun in Kraft ist, beschlossen. Mit dem Einfrieren der Diäten tragen auch die Abgeordneten zur Einsparung im Bundeshaushalt 1976 bei.
Meine Damen und Herren, abschließend darf ich an dieser Stelle, wie angekündigt, im Namen der Koalitionsfraktionen noch kurz auf den Änderungsantrag der Opposition eingehen. Die Opposition schlägt vor, daß auch das Gehalt der Minister und
der Parlamentarischen Staatssekretäre auf dem Stand des Jahres 1975 eingefroren wird, d. h. nicht an der Erhöhung teilnimmt. Erstens meine ich dazu, daß sich hier die Frage stellt, warum die Union, warum die Opposition diesen Vorschlag nicht bereits seinerzeit eingebracht hat, als es um die Einbringung des Diätengesetzes ging. Sie hat ihn erst spät seitlich in die Beratungen mit eingespeist. Darüber hinaus muß man die Opposition auch fragen, ob sie sich die Konsequenzen dieses Entwurfs voll überlegt, ob sie das voll durchdacht hat. Denn Sie müssen dabei ja berücksichtigen, daß sich diese von Ihnen vorgeschlagene Formulierung dann letztlich nicht auf die Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre beschränkt, sondern auch Konsequenzen etwa für das Grundgehalt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes mit Konsequenzen im Gesamtgefüge und schließlich auch für die Amtsbezüge des Bundespräsidenten hätte.
({3})
Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren von der Opposition. Bei den Beratungen im Innenausschuß des Deutschen Bundestages haben wir feststellen müssen, daß Sie zwar hier einen solchen Antrag einbringen, daß aber ähnliche Initiativen von Ihrer Seite in den einzelnen Bundesländern, wo Sie die Mehrheit und die Möglichkeit haben, bisher jedenfalls nicht ergriffen worden sind. Damit, verehrte Damen und Herren, reduziert sich der von Ihnen hier vorgelegte Antrag wie vieles in der letzten Zeit auf einen reinen Schaufensterantrag ohne Substanz. Dieser Antrag ist im Grunde nicht seriös, sondern nur so zu verstehen, daß Sie vordergründig auf den 3. Oktober blicken. Es ist bemerkenswert, daß sich keiner Ihrer Kollegen aus dem Innenausschuß bereit gefunden hat, das hier zu begründen. Offensichtlich hatten diese Kollegen selbst das Gefühl, daß das mit Seriosität und Solidität nichts zu tun hat. Deshalb lehnen wir diesen Änderungsantrag ab. Im übrigen stimmen wir den beiden Gesetzentwürfen zu.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur zu dem Änderungsantrag sprechen. Im übrigen, Herr Kollege Wernitz: Wenn nicht andere Kollegen aus dem Innenausschuß auch noch dazu sprechen, dann nur aus Zeitgründen angesichts des vorgerückten Abends. Ich nehme an, daß einige dafür Verständnis haben.
({0})
Trotz alledem, was Sie nun versucht haben gegen unseren Antrag polemisch zu sagen, wird der Staatsbürger draußen nur eines verstehen, nämlich daß die von dem Antrag Betroffenen eben nicht bereit sind, diese Aktion mitzumachen. Und ich muß Ihnen gestehen: Wenn Sie uns vorgeführt haben, wer außerdem noch betroffen ist, so kommen uns
fast die Tränen; es sind die Ärmsten der Armen, die hiervon noch betroffen sein könnten.
({1})
Im übrigen hatten wir eigentlich erwartet, daß Sie auf diesen Antrag mit großer Begeisterung eingehen;
({2})
denn Sie sollten manchmal ein Wort Ihres Bundeskanzlers beherzigen. Ihr Bundeskanzler hat vor ciniger Zeit - leider in einer holländischen Wochenzeitung - erklärt: Ich bin der Meinung, daß es bei uns viele Menschen gibt, die zuviel verdienen; ich würde es ganz gerne sehen, daß ihnen ein Teil davon weggenommen würde.
Dies wäre ein Fall, einmal die soviel berufene Solidarhaftung zum Tragen zu bringen. Aber wir entnehmen Ihrer Haltung, daß Sie zwar sehr gerne bereit sind, das auf die Abgeordneten zu beziehen - das macht das Parlament ja gemeinsam -, daß aber keine Bereitschaft besteht, hinsichtlich der Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre das gleiche zu tun.
({3})
Ich überlasse es unserer Bevölkerung, daraus die notwendige Konsequenz zu ziehen.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst stimmen wir in zweiter Beratung über das Fünfte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz ab. Ich rufe die Art. I bis III, Art. V und VI - in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung, zu ersehen aus B Nr. 1 der Drucksache 7/5296 -, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In der zweiten Lesung so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
des Fünften Besoldungserhöhungsgesetzes auf. Wortmeldungen liegen nicht vor? - Ich schließe die Beratung.
Wer dem Gesetz als Ganzes zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 3 Enthaltungen angenommen.
Es liegt noch ein Ausschußantrag unter B Nr. 2 auf Drucksache 7/5296 vor, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Änderung des Diätengesetzes 1968 in zweiter Lesung. Ich rufe § 1 auf. Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5431 auf. Sind Sie damit einverstanden, daß wir über die Nrn.2 und 3 der Drucksache 7/5431 zusammen abstimmen? - Dann stimmen wir jetzt über diese beiden Änderungsbegehren ab. Wer den beiden Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit sind die Ziffern 1 und 4 des Änderungsantrages erledigt.
Ich rufe nunmehr §§ 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Gegenstimmen ist es so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. - Ich stelle fest, daß das Wort nicht gewünscht wird. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Gegenstimmen ist es so beschlossen.
Wir haben nun noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages auf Drucksache 7/5357, die eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären, abzustimmen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses
- Drucksache 7/4889 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 7/5453 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({1})
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 7/5145 Berichterstatter: Abgeordneter Sieglerschmidt
({3})
Wir treten in die zweite Beratung ein. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe § 1 auf. Wer dieser Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5432 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Sieglerschmidt, Dr. Miltner und Wolfgramm vor. Wird
Präsident Frau Renger
zur Begründung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Wer dem § 2 in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist § 2 einstimmig angenommen.
Ich rufe die §§ 3 bis 5 in der Ausschußfassung sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltunge? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir haben nun noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages auf Drucksache 7/5145, die Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären, abzustimmen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist somit so beschlossen.
Ich rufe Punkt 32 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klein ({4}), Dr. Lenz ({5}), Gerster ({6}) und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({7})
- Drucksache 7/5307 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({8})
Innenausschuß
Ich stelle fest, daß hierzu keine Wortmeldungen vorliegen.
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Der Überweisung wird nicht widersprochen. Es ist so beschlossen.
Wir stehen damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 25. Juni 1976, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.